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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
d460fe70-d950-43c4-8253-ca1a725d237a | Urteilskopf
100 V 100
26. Urteil vom 18. Juni 1974 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schmid und Rekurskommission für Sozialversicherung des Kantons Appenzell AR | Regeste
Art. 12 Abs. 1 IVG
.
Die an juveniler Polyarthritis leidenden minderjährigen Versicherten haben Anspruch auf die notwendigen medizinischen Massnahmen (rekonstruktive und konservative Behandlung).
Präzisierung der Rechtsprechung. | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 100 V 100 S. 100
A.-
Der 1957 geborene Werner Schmid leidet an primär chronischer Polyarthritis (Morbus Still) sowie an Strabismus. Seit 1. Juni 1967 gewährt die Invalidenversicherung physikalische Therapie als Eingliederungsmassnahme gemäss
Art. 12 Abs. 1 IVG
(Verfügung vom 28. Juni 1967), welche gestützt auf Berichte von Dr. med. Z. vom 16. Mai 1968 und 19. Juni 1969 sowie Dr. med. K. vom 2. Oktober 1969 als vorbeugende Massnahme zum Zwecke der Bewahrung der später zu erwartenden Erwerbsfähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung fortgesetzt wurde (Verfügungen vom 4. Juli 1968, 1. Dezember 1969 und 26. Januar 1972). Auf Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung wurde die Verfügung vom 26. Januar 1972 auf Ende 1972 befristet, weil es sich bei der Physiotherapie nicht um eine Eingliederungsmassnahme nach
Art. 12 IVG
handle (Verfügung vom 31. Oktober 1972). Mit Eingabe vom 9. Juli 1973 ersuchte die Appenzellische Rheumaliga beider Rhoden um Kostenübernahme der Behandlung in einer Spezialklinik sowie der allfällig von der Klinik verordneten ambulanten Turn- und Schwimmtherapie. Diese Behandlung sei unbedingt notwendig, um einer Versteifung der Gelenke, insbesondere einer Fehlstellung der Hüftgelenke, vorzubeugen, welche unweigerlich zur Invalidität führe und eine spätere Berufsausbildung erschwere oder verhindere.
Mit Verfügung vom 14. August 1973 wies die Ausgleichskasse das Gesuch ab.
BGE 100 V 100 S. 101
B.-
Die Rekurskommission für Sozialversicherung des Kantons Appenzell AR hiess durch Entscheid vom 15. November 1973 eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde gut. Die Physiotherapie und die Balneotherapie seien im Sinne von
Art. 12 IVG
und in Anlehnung an Rz. 21 des Kreisschreibens über medizinische Eingliederungsmassnahmen ausschliesslich auf die spätere Erzielung der Erwerbsfähigkeit und Berufsausbildung ausgerichtet.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das Bundesamt für Sozialversicherung den Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 14. August 1973 wiederherzustellen. Konservative Massnahmen allein gälten bei der juvenilen Polyarthritis als Behandlung des Leidens an sich (EVGE 1968 S. 259).
Die Rheumaliga beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und verweist auf einen Bericht von Dr. Z., wonach Physiotherapie und Schwimmen der unmittelbaren Verhinderung von Gelenkversteifungen dienten.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Unter den allgemeinen Voraussetzungen des
Art. 8 Abs. 1 IVG
hat der Versicherte nach
Art. 12 Abs. 1 IVG
Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren.
Als Behandlung des Leidens an sich gilt rechtlich jede medizinische Vorkehr, sei sie auf das Grundleiden oder auf dessen Folgeerscheinungen gerichtet, solange labiles pathologisches Geschehen vorhanden ist. Eine solche Vorkehr bezweckt nicht unmittelbar die Eingliederung. Durch den Ausdruck labiles pathologisches Geschehen wird der juristische Gegensatz zu wenigstens relativ stabilisierten Verhältnissen hervorgehoben. Erst wenn die Phase des labilen pathologischen Geschehens insgesamt abgeschlossen ist, kann sich - bei volljährigen Versicherten - die Frage stellen, ob eine medizinische Vorkehr Eingliederungsmassnahme sei. Die Invalidenversicherung übernimmt in der Regel nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren, sofern sie die Wesentlichkeit und
BGE 100 V 100 S. 102
Beständigkeit des angestrebten Erfolges im Sinne des Art. 12.Abs. 1 IVG voraussehen lassen. Dagegen hat die Invalidenversicherung eine Vorkehr, die der Behandlung des Leidens an sich zuzuzählen ist, auch dann nicht zu übernehmen, wenn ein erheblicher Eingliederungserfolg vorauszusehen ist. Der Eingliederungserfolg, für sich allein betrachtet, ist im Rahmen des
Art. 12 IVG
kein taugliches Abgrenzungskriterium, zumal praktisch jede ärztliche Vorkehr, die medizinisch erfolgreich ist, auch im erwerblichen Leben eine entsprechende Verbesserung bewirkt (
BGE 98 V 205
mit Hinweisen).
b) Es kann keinem Zweifel unterliegen und entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass die Polyarthritis nach ihrem Gesamtverlauf labiles pathologisches Geschehen im Sinne der vorstehenden Ausführungen darstellt. Aus diesem Grunde kann auch rekonstruktiven Eingriffen zur Erhaltung oder Verbesserung der Funktionstüchtigkeit eines von der Krankheit befallenen oder bereits zerstörten Gelenks nicht Eingliederungscharakter im Sinne des
Art. 12 Abs. 1 IVG
zukommen, selbst wenn der angegangene lokale Defektzustand an sich stabil ist, solange mit einem solchen Eingriff bloss eine Teilerscheinung auf dem Hintergrund eines viel umfassenderen labilen pathologischen Geschehens behoben wird. Erlöscht dagegen die primär chronische Polyarthritis unter Zurücklassung zerstörter Gelenke, so können entsprechende rekonstruktive Operationen ausnahmsweise in den Aufgabenbereich der Invalidenversicherung fallende medizinische Eingliederungsmassnahmen sein (
BGE 97 V 50
mit Hinweisen). Das gilt vorab für die primär chronische Polyarthritis Erwachsener.
c) Bei der juvenilen Polyarthritis ist in zweifacher Hinsicht zu differenzieren. Vorerst ist die medizinische Prognose in Fällen juveniler Polyarthritis generell günstiger als bei der Polyarthritis Erwachsener, indem der entzündliche Prozess im Erwachsenenalter meistens erlöscht; so Prof. B. in einem gerichtlichen Gutachten vom 17. August 1968 (das dem in EVGE 1968 S. 249 publizierten Fall zugrunde liegt):
"Bei den schweren Fällen, die rund 1/3 des Krankengutes der juvenilen Polyarthritis umfassen, kommt es zu schweren Gelenksveränderungen, und der entzündliche Prozess kann über längere Zeit bestehen. Aber auch bei diesen Fällen kommt es im Erwachsenenalter meist zu einem Stillstand, zu einem Auslöschen des entzündlichen Prozesses, so dass gerade bei der juvenilen Polyarthritis nur anfänglich und temporär
BGE 100 V 100 S. 103
von einem progredient chronischen Verlauf gesprochen werden kann... Nicht beeinflussbare, maligne Formen sind bei der juvenilen Polyarthritis praktisch nicht bekannt, so dass bei der juvenilen Polyarthritis von einem fortschreitenden progressiven Charakter der Krankheit nur in einem bestimmten Zeitabschnitt gesprochen werden kann."
Sodann ergibt sich eine weitere, durch das Gesetz bedingte Differenzierung, insofern es sich um nichterwerbstätige Minderjährige handelt. Gemäss
Art. 5 Abs. 2 IVG
ist nämlich in solchen Fällen für die Beurteilung des Anspruches auf medizinische Massnahmen nicht der Moment massgebend, in dem die beanspruchte Vorkehr durchgeführt wird, sondern der Zeitpunkt, in dem der Jugendliche voraussichtlich in das Erwerbsleben eintreten wird.
Im Hinblick auf diese zwei Besonderheiten gelangte das Eidg. Versicherungsgericht zum Schluss, es könnten Jugendlichen mit juveniler Polyarthritis grundsätzlich medizinische Massnahmen (rekonstruktive Operationen) zugesprochen werden, weil im Lichte des
Art. 5 Abs. 2 IVG
mit Bezug auf den massgebenden Zeitpunkt eine hinreichende Stabilisierung vorausgesehen werden könne, dies gestützt auf die vom Experten vermittelte und auf statistischer Erfahrung beruhende Erkenntnis, dass der entzündliche Prozess bei juveniler Polyarthritis im Erwachsenenalter mehrheitlich zum Stillstand kommt (EVGE 1968 S. 249).
Den sogenannten Rehabilitationsvorkehren kann indessen nach bisheriger Praxis (EVGE 1968 S. 259) nur der Charakter von Eingliederungsmassnahmen zugesprochen werden, wenn sie nicht zur konservativen Therapie der Grundkrankheit zählen, sondern als Nachbehandlung der operativen Eingriffe aufzufassen sind. Diese Rechtsprechung ist nach einem Beschluss des Gesamtgerichts vom 3. April 1974 wie folgt zu präzisieren:
Bei den schweren Fällen juveniler Polyarthritis, die laut Prof. B. rund einen Drittel des Krankengutes ausmachen, kommt es im Erwachsenenalter zu einem Erlöschen des entzündlichen Prozesses. Ohne entsprechende Prophylaxe können indessen bei diesen Fällen schwere Gelenksveränderungen auftreten; das heisst, dass stabile Defektzustände entstehen, welche die berufliche Ausbildung und die künftige Erwerbsfähigkeit des Jugendlichen beeinträchtigen werden. Weil auf Grund der statistischen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass die Physiotherapie geeignet ist, Skelettdefekte zu verhindern,
BGE 100 V 100 S. 104
sind auch die konservativen Vorkehren zur Verhütung solcher drohender Defekte als medizinische Eingliederungsmassnahmen zu übernehmen. Eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der Skelettveränderungen bei Polio, Skoliose, Kyphose und Lordose einerseits (
BGE 98 V 214
) und der juvenilen Polyarthritis anderseits lässt sich daher nicht rechtfertigen. Demzufolge haben an juveniler Polyarthritis leidende Jugendliche bis zum Abschluss des Wachstumsalters Anspruch auf jene medizinischen Vorkehren, welche notwendig sind, um dauernde Skelettschäden zu verhüten, die ihre Berufsbildung oder ihre spätere Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen würden. Dieser Anspruch besteht im Einzelfall nur dann nicht, wenn und solange kein derart schwerwiegender Defektzustand droht.
In Fällen, in denen neben der Physiotherapie zur Verhinderung drohender Skelettdefekte eine medikamentöse Behandlung zur Stabilisierung der Grundkrankheit vorgenommen wird, ist allerdings zu prüfen, ob diese nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen als untrennbarer Bestandteil der Physiotherapie übernommen werden kann.
2.
Im vorliegenden Fall dient die Physiotherapie und die Balneotherapie nach Angaben der behandelnden Ärzte der Verhinderung von Gelenksveränderungen. Nach dem in Erw. 1c Gesagten hat Werner Schmid daher bis zu seiner Volljährigkeit Anspruch auf die dazu notwendigen medizinischen Massnahmen nach
Art. 12 IVG
.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d4613474-ff41-4ca3-968f-0d1da765240c | Urteilskopf
118 III 22
8. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9. November 1992 i.S. K. (Rekurs) | Regeste
Anfechtung des Lastenverzeichnisses (
Art. 140 Abs. 2 SchKG
).
Ist in einer Betreibung der Rechtsvorschlag unterlassen worden oder Rechtsöffnung bewilligt worden, so kann der Schuldner Bestand und Höhe der Forderung nicht dadurch erneut in Frage stellen, dass er im Zeitpunkt der Verwertung durch Anfechtung des Lastenverzeichnisses die materiellrechtliche Begründetheit der Forderung und das sie sichernde Grundpfandrecht bestreitet. | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 118 III 22 S. 22
Nachdem die kantonalen Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs die Bestreitung verschiedener Positionen des Lastenverzeichnisses durch den Schuldner zugelassen und das Betreibungsamt angewiesen hatten, bezüglich dieser Positionen Frist zur Klage im Sinne von
Art. 39 VZG
anzusetzen, rekurrierte der Schuldner an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Er wollte im Lastenbereinigungsverfahren auch noch die Forderung, für die Betreibung auf Grundpfandverwertung gegen ihn eingeleitet worden war, und das diese Forderung sichernde Grundpfandrecht bestreiten. Der Rekurs wurde abgewiesen.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Das Obergericht des Kantons Zürich hat die Bestreitung des in Ziff. 1 des Lastenverzeichnisses aufgeführten Inhaberschuldbriefes im ersten Rang von Fr. 320'000.-- (ohne Zins) nicht zugelassen, weil der Rekurrent für diese Forderung in der diesem Verfahren zugrunde liegenden Betreibung Nr. 4678 betrieben worden
BGE 118 III 22 S. 23
sei und hiegegen keinen Rechtsvorschlag erhoben habe. Der Schuldner habe also weder die Forderung noch das Pfandrecht bestritten; letzteres hätte mit begründetem Rechtsvorschlag geschehen müssen (
Art. 85 Abs. 1 VZG
), worauf der Schuldner im Zahlungsbefehl hingewiesen werde. Unter Hinweis auf
BGE 49 III 184
und GOETZINGER (Die Lastenbereinigung, BlSchK 1942, S. 106) hat das Obergericht sodann erklärt, der Schuldner könne die Bestreitung im Lastenbereinigungsverfahren nicht mehr nachholen, nachdem er keinen Rechtsvorschlag erhoben und die Gläubigerin damit einen rechtskräftigen Zahlungsbefehl für den ganzen Betrag ihres Schuldbriefes erlangt habe.
Ziff. 8 des Lastenverzeichnisses beziehe sich auf die ausgewiesenen Kosten der Betreibung Nr. 4678 - hat die obere kantonale Aufsichtsbehörde schliesslich ausgeführt -, so dass eine Bestreitung auch hier ausser Betracht falle.
b) Der Rekurrent stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, das Betreibungsamt habe nicht darüber zu befinden, welche Lasten er anfechten könne und welche nicht. Das Betreibungsamt habe lediglich von der Bestreitung Kenntnis zu nehmen und das Formular VZG 11a zu verwenden.
Art. 37 VZG
mache diesbezüglich keine Einschränkungen, so dass das Betreibungsamt und die kantonalen Aufsichtsbehörden diese Bestimmung missachtet hätten.
Das Vorgehen des Betreibungsamtes und der Aufsichtsbehörden widerspreche auch dem vorgedruckten Text der Mitteilung des Lastenverzeichnisses, "dass die darin bezeichneten Lasten ... als anerkannt gelten, sofern diese nicht bestritten worden sind". Er habe diese Lasten bestritten - erklärt der Rekurrent -, und nur das zuständige Gericht könne feststellen, ob diese Bestreitung zu Recht erfolgt sei oder nicht.
2.
Der Auffassung der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde ist zuzustimmen.
a) Durch die Unterlassung des Rechtsvorschlags ist der Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 4678 rechtskräftig geworden, so dass innerhalb dieser Betreibung Bestand und Höhe der Forderung wie auch das entsprechende Grundpfandrecht nicht mehr in Frage gestellt werden können. Es wäre widersinnig, wenn der Schuldner, nachdem er den Rechtsvorschlag versäumt hat oder für die betriebene Forderung Rechtsöffnung erteilt worden ist, die materiellrechtliche Begründetheit der Forderung und das sie sichernde Grundpfandrecht doch noch bestreiten könnte, indem er im Zeitpunkt der Verwertung das Lastenverzeichnis anficht (vgl. neben der im
BGE 118 III 22 S. 24
angefochtenen Beschluss zitierten Rechtsprechung und Literatur die in gleicher Richtung gehende Überlegung bei BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 461, oberster Abschnitt).
Die gegenteilige Auffassung lässt sich auch nicht unter Berufung auf den Text in der Mitteilung des Lastenverzeichnisses (Form. VZG 9), der
Art. 37 Abs. 2 VZG
wiedergibt, begründen. Auch kann dem Betreibungsbeamten nicht rundweg die Befugnis zur Zurückweisung der Bestreitung abgesprochen werden; denn er ist - wenngleich er damit auf ein materiellrechtliches Problem stösst - aufgrund summarischer Prüfung zur Feststellung in der Lage, dass die Forderung, welche der Schuldner im Lastenbereinigungsverfahren bestreiten möchte, mit der in Betreibung gesetzten Forderung identisch ist.
Der Rekurrent gibt im übrigen selber zu, dass ein Bestreitungsverfahren im vorliegenden Fall auf ein Hornberger Schiessen hinausliefe, indem er erklärt, dass er "vor Gericht keine neuen Einwendungen bringen könnte bzw. diesbezüglich unterliegen würde". Im Hinblick auf diese Einsicht grenzt sein Vorgehen an Rechtsmissbrauch.
b) Kann die mit der Betreibung Nr. 4678 geltend gemachte Forderung im Lastenbereinigungsverfahren nicht mehr bestritten werden, so gilt dies - wie im angefochtenen Beschluss zu Recht erkannt worden ist - auch für die Kosten dieser Betreibung. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d461f931-d71c-402d-a8db-6fbf4071edad | Urteilskopf
116 II 315
56. Estratto della sentenza 27 giugno 1990 della I Corte civile nella causa X contro Y (ricorso per riforma) | Regeste
Werkvertrag mit Festpreisabrede. Preiserhöhung (
Art. 373 Abs. 2 OR
).
Der Unternehmer verwirkt seinen Anspruch auf Preiserhöhung, wenn er das Werk trotz erkannter Abweichung von der Offerte fertigstellt, ohne die Vertragsauflösung zu erklären oder unverzüglich die Anpassung der Berechnungsgrundlagen und des Preises zu verlangen. | Erwägungen
ab Seite 315
BGE 116 II 315 S. 315
Considerando in diritto:
3.
Il ricorrente afferma poi che qualora l'opera avesse dovuto essere eseguita a forfait, vi sarebbero delle circostanze straordinarie (art. 373 cpv. 2 CO) che giustificano un aumento della mercede. Dagli accertamenti dei giudici cantonali risulta che il ricorrente, nonostante si fosse subito accorto che l'opera che stava eseguendo non era conforme all'offerta, non ha risolto il contratto né richiesto immediatamente la ricalcolazione dei quantitativi e dei prezzi (art. 373 cpv. 2 CO),
BGE 116 II 315 S. 316
portando praticamente a compimento l'opera. In simili circostanze, il ricorrente non può richiedere ora un aumento della mercede (GAUTSCHI, in: Berner Kommentar, n. 16 ad art. 373). Il fatto poi che il convenuto ha versato acconti per un importo superiore alla mercede stabilita, non significa che egli riteneva il contratto superato dalle circostanze. I maggiori versamenti sono infatti dovuti alle modifiche (diversa isolazione e maggior impiego di acciaio e cemento) accettate dal convenuto. Anche su questo punto il giudizio della Corte cantonale è conforme al diritto federale. | public_law | nan | it | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4654edc-1d6e-4f5b-a6e0-66850dd584fd | Urteilskopf
121 IV 34
8. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 février 1995 dans la cause D. contre Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 346 ff., 354 Abs. 3 StGB
,
Art. 269 BStP
; Entscheid über Kosten eines anderen Kantons, Zuständigkeit und anwendbares Recht.
Die örtliche Zuständigkeit nach
Art. 346 ff. StGB
umfasst auch die Kompetenz, im Endurteil über die Tragung der Kosten des Verfahrens und der Untersuchungshaft durch den Angeschuldigten zu entscheiden, die ausserhalb der interkantonalen Rechtshilfe in einem anderen Kanton entstanden sind. Bei diesem Entscheid ist das Recht dieses anderen Kantons anzuwenden. Die Fragen nach der Zuständigkeit und dem anwendbaren Recht sind solche des Bundesrechts und können Gegenstand einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde bilden (E. 3-5). | Erwägungen
ab Seite 35
BGE 121 IV 34 S. 35
Considérant en fait et en droit:
1.
D. a été condamné le 8 mars 1994 par le Juge d'instruction du canton de Genève, à six mois d'emprisonnement sous déduction de 5 mois et 4 jours de détention préventive ainsi qu'à l'expulsion du territoire suisse pour une durée de dix ans, pour vol, tentative de vol, recel, dommage à la propriété et rupture de ban. Un sursis qui lui avait été accordé le 26 novembre 1990 pour une peine d'emprisonnement a été révoqué. D. n'a pas fait opposition à l'ordonnance de condamnation du juge d'instruction, sur le fond, mais il a saisi la Cour de justice d'une "opposition à taxe" le 7 avril 1994, contestant la condamnation aux frais relatifs à la partie de la procédure qui avait eu lieu dans le canton de Vaud et par devant les autorités vaudoises, soit un montant de 3'785 fr. répartis de la manière suivante: 1'300 fr. pour 26 pages de procès-verbaux à 50 fr., 300 fr. versés au défenseur d'office, 35 fr. de débours divers et 2'130 fr. de frais de détention préventive. Débouté le 6 juin 1994, sauf en ce qui concerne les honoraires du défenseur d'office, pour lequel il a obtenu gain de cause, D. a saisi le Tribunal fédéral d'un recours de droit public sur lequel il sera statué le cas échéant plus tard, séparément, ainsi que d'un pourvoi en nullité à la Cour de cassation, dans lequel il se plaint de la violation de l'art. 354 CP.
2.
Le recourant voit une violation de l'art. 354 CP dans l'application par analogie de cette disposition par l'autorité cantonale. En effet il fait valoir que l'art. 354 CP traite de l'entraide intercantonale et qu'il ne saurait y avoir eu d'entraide faute d'une requête du canton de Genève tendant à l'octroi de celle-ci par les autorités vaudoises. A titre subsidiaire, il soutient que si l'art. 354 CP devait trouver application, son alinéa 3 ferait obstacle à ce que les frais de détention préventive lui soient réclamés. Enfin il se plaint de la violation de dispositions du droit cantonal de procédure, ce qui ne saurait faire l'objet d'un pourvoi
BGE 121 IV 34 S. 36
en nullité (art. 269 al. 1 PPF).
3.
La compétence des cantons en matière pénale est réglée aux art. 346 ss CP. Les dispositions de procédure qui fixent lequel de deux ou de plusieurs cantons impliqués dans une poursuite pénale est compétent sont de droit fédéral. Celui-ci en effet détermine de cas en cas quel est le canton qui doit assurer la poursuite pénale, mais cette attribution ne peut être définitive avant le renvoi en jugement et elle peut être modifiée selon l'évolution de l'enquête. Il se pose alors la question de savoir si dans ce dernier cas le canton qui reçoit en définitive la compétence de poursuivre et de juger, est en même temps investi de celle de statuer sur les frais intervenus avant cette attribution. Une deuxième question consiste à se demander si le canton compétent doit, sur ce dernier point, faire application de son propre droit de procédure ou de celui des cantons qui ont engagé les frais en cause. Ces questions doivent être résolues par le droit fédéral car elles se posent par suite de l'application des art. 346 ss CP et les réponses doivent en respecter la systématique. Cela dit, il est vrai que ces questions ne sont pas expressément réglées par le droit fédéral.
4.
Pour ce qui regarde l'entraide judiciaire proprement dite, l'art. 354 al. 3 CP prévoit que le canton requérant doit mettre à la charge de la partie qui succombe non seulement ses propres frais, en tout ou partie, mais aussi et dans la même mesure ceux qui ont été occasionnés dans le cadre de l'entraide, y compris ceux dont il ne pourrait lui être demandé le remboursement en vertu de l'art. 354 al. 1 CP. Dès lors que dans le cadre de l'entraide, il est prévu que les frais assumés par un autre canton que celui du jugement puissent être mis à la charge d'une partie, il n'y a pas de raison qu'il n'en aille pas de même pour les frais de procédure intervenus dans un canton dessaisi de la compétence de poursuivre et de juger en application des dispositions du droit fédéral sur le for (art. 346 ss CP, 262 al. 3 et 263 al. 3 PPF). Cette règle s'impose d'autant plus que la "mesure" dans laquelle une partie doit supporter les frais de procédure n'est connue qu'avec la décision finale sur l'action pénale, décision qui appartient au canton compétent pour juger la cause. Le principe de l'économie de la procédure commande que ce soit la même autorité qui statue sur le principe et sur le montant des frais judiciaires mis à la charge d'une partie, même si la détermination du montant doit intervenir en application du droit du canton où ils ont été engagés. Certes, l'art. 355 al. 2 CP qui prévoit cette règle pour le cas où les autorités d'un canton
BGE 121 IV 34 S. 37
agissent, exceptionnellement et à certaines conditions sur le territoire d'un autre canton, n'est pas applicable ici, même par analogie comme l'a fait l'autorité cantonale, les hypothèses étant par trop différentes, mais il reste que cette solution est la seule qui respecte le principe - constitutionnel - de la compétence des cantons en matière de procédure. On ne saurait donc critiquer, quant au résultat, la solution retenue par l'autorité cantonale, d'autant qu'elle correspond à une pratique générale approuvée par la doctrine (MAX WAIBLINGER, Gerichtsstand bei Mehrheit von Handlungen oder von Beteiligten, ZStr. S. 7/1943 p. 104; SCHWERI Interkantonale Gerichtsstandbestimmung in Strafsachen No 514; TRECHSEL, Kurzkommentar zum StGB, no 4 ad art. 354) et que c'est celle adoptée par la Chambre d'accusation dans le cadre d'un différend entre deux cantons sur le même sujet (ATF 116 IV 88 consid. 2a). En ce qui concerne le reproche fait par le recourant à l'autorité cantonale d'avoir appliqué une disposition applicable en cas d'entraide judiciaire, alors qu'une telle assistance n'avait pas été demandée par les autorités genevoises, il tombe complètement à faux puisque l'autorité cantonale a expressément déclaré ne faire application de l'art. 354 CP que par analogie.
5.
L'autorité cantonale s'est donc à bon droit reconnue compétente pour statuer sur le sort des frais de procédure intervenus dans le canton de Vaud et c'est à raison également qu'elle en a déterminé le montant conformément aux dispositions du droit de procédure vaudois. Le recourant ne faisant pas valoir que l'autorité cantonale aurait violé les dispositions du droit vaudois, ce qui ne saurait d'ailleurs donner matière à un pourvoi en nullité (art. 269 PPF), son pourvoi ne peut qu'être rejeté. Il n'était toutefois pas d'emblée voué à l'échec si bien que l'assistance judiciaire qu'il demande peut lui être accordée au regard de l'art. 152 OJ.
Le Tribunal fédéral conclut au rejet du pourvoi et accorde l'assistance judiciaire au recourant. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4669d5f-c9c4-4912-90e5-fc8751ab2518 | Urteilskopf
121 III 445
86. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. November 1995 i.S. W. gegen S. AG. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Bauhandwerkerpfandrecht; Ersatzsicherheit (
Art. 839 Abs. 3 ZGB
), Verzugszinse (
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
); Willkür.
Die Ersatzsicherheit im Sinne von
Art. 839 Abs. 3 ZGB
muss die gleiche Deckung bieten wie das Bauhandwerkerpfandrecht. Mit Blick auf diese Bestimmung ist die Auffassung unhaltbar, beim Bauhandwerkerpfandrecht bestehe aufgrund von
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
für Verzugszinse Sicherheit nur für 3 1/2 Jahre (E. 5a). Offengelassen wird die Frage des Gerichtsstandes bezüglich der Ersatzsicherheiten (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 445
BGE 121 III 445 S. 445
Mit Eingabe vom 22. September 1994 stellte W. beim Gerichtspräsidium X. das Begehren um Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten auf Grundstücken der
BGE 121 III 445 S. 446
Beschwerdegegner 1 und 2. Diesem Begehren wurde am 27. September 1994 im Sinne einer vorläufigen Vormerkung entsprochen. Nach einem doppelten Schriftenwechsel liess die erste Instanz mit Entscheid vom 21. Dezember 1994 die fraglichen Bauhandwerkerpfandrechte wegen anderweitiger Sicherstellung im Grundbuch löschen. Mit Beschwerde vom 9. Januar 1995 an das Obergericht des Kantons Aargau beantragte W. die Aufhebung des erstinstanzlichen Entscheides, wobei die offerierten anderweitigen Sicherheiten als ungenügend zurückzuweisen seien. Nach einmaligem Schriftenwechsel hiess das Obergericht die Beschwerde mit Urteil vom 20. Juni 1995 teilweise gut und liess ein Bauhandwerkerpfandrecht zulasten des Beschwerdegegners 5 vorläufig im Grundbuch vormerken, im übrigen wies es die Beschwerde ab.
W. führt gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und beantragt dessen Aufhebung sowie die Rückweisung zur Neubeurteilung. Die Beschwerdegegner beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie eingetreten werden könne.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Der Beschwerdeführer rügt in zweierlei Hinsicht auch die Anwendung des materiellen Rechts als willkürlich: Zum einen sei aufgrund von
Art. 839 Abs. 3 ZGB
nicht nur der Zins für 3 1/2 Jahre zu decken und zum andern sei es völlig unhaltbar, bezüglich der anderweitigen Sicherheiten einen anderen Gerichtsstand als denjenigen am Orte der gelegenen Sache bzw. der Vereinbarung anzuerkennen.
a) Gemäss
Art. 839 Abs. 3 ZGB
kann die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts nicht verlangt werden, wenn der Eigentümer für die angemeldete Forderung hinreichende (andere) Sicherheit leistet.
Das Obergericht ist in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, aufgrund von
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
bestehe beim Bauhandwerkerpfandrecht auch für 3 1/2 Jahreszinsen Sicherheit. Da für diese Zeitdauer - bei Verzugszinsen in Höhe von 5% - auch die Bürgschaftsverpflichtungen der Zürcher Kantonalbank quantitativ volle Sicherheit gewährten, sei das Bauhandwerkerpfandrecht aufgrund von
Art. 839 Abs. 3 ZGB
zu löschen.
BGE 121 III 445 S. 447
Diese Rechtsauffassung ist unhaltbar. Die Ersatzsicherheit im Sinne von
Art. 839 Abs. 3 ZGB
muss die gleiche Deckung bieten wie das Bauhandwerkerpfandrecht (vgl.
BGE 97 I 209
E. 2 S. 215,
BGE 110 II 34
ff.), d.h. für die Werklohnforderung samt Zinsen (vgl. RAINER SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2. Aufl., Zürich 1982, N 897). Dabei ist aber zu beachten, dass sich die Sicherung der Zinsen beim Bauhandwerkerpfandrecht - abgesehen vom vorliegend nicht in Frage stehenden Fall der Maximalhypothek im Sinne von
Art. 794 Abs. 2 ZGB
, vgl. hiezu
BGE 115 II 349
E. 4c - offensichtlich nach Ziff. 2, 2. Teil (Verzugszinse), und nicht nach Ziff. 3 (Vertragszinse, welche bei einem Werkvertrag nicht aktuell sind) von
Art. 818 Abs. 1 ZGB
richtet und daher - ohne Grundbucheintrag - zeitlich nicht limitiert ist (DIETER ZOBL, Das Bauhandwerkerpfandrecht de lege lata und de lege ferenda, in: ZSR 101/1982 II S. 116, mit entsprechenden Präzisierungen zu
BGE 103 II 40
in Anm. 494; SCHUMACHER, a.a.O., N 828 ff.). Dementsprechend muss auch die Ersatzsicherheit hinsichtlich der Verzugszinsen eine zeitlich bzw. quantitativ nicht limitierte Sicherheit bieten (vgl. SCHUMACHER, a.a.O., N 897), was vorliegend nicht der Fall ist. Hat mithin das Obergericht offensichtlich und krass gegen Art. 839 Abs. 3 i.V.m.
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB
verstossen, so ist sein Entscheid wegen willkürlicher Rechtsanwendung nach
Art. 4 BV
(vgl. hiezu
BGE 119 Ia 117
E. 2a und SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, N 503, je mit Hinweisen) aufzuheben.
b) Unter diesen Umständen kann die Frage, ob vorliegend die Ersatzsicherheiten auch im Hinblick auf den diesbezüglichen, vom Ort der gelegenen Sache bzw. vom vereinbarten Ort abweichenden Gerichtsstand als
Art. 839 Abs. 3 ZGB
widersprechend anzusehen sind (vgl. hiezu
BGE 103 Ia 462
ff.; SCHUMACHER, a.a.O., N 904), offenbleiben. Sie wäre angesichts der grossen Bedeutung des Gerichtsstandes zu bejahen gewesen. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d467da92-f392-4a9e-948d-7ed74145f08a | Urteilskopf
120 III 57
19. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 16. Mai 1994 i.S. X. AG (Rekurs) | Regeste
Zustellung einer Schätzungsurkunde (
Art. 34 und
Art. 64 ff. SchKG
).
Die Schätzungsurkunde ist den am Betreibungsverfahren Beteiligten als Mitteilung und nicht als Betreibungsurkunde zuzustellen. | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 120 III 57 S. 57
Im Betreibungsverfahren Nr. ... teilte das Betreibungsamt Zürich im Anschluss an das Begehren der K. auf Verwertung von fünf ihr zu Faustpfand übergebenen Inhaberschuldbriefen den Beteiligten mit eingeschriebenem Brief vom 9. Juli 1993 das Ergebnis der Schätzung mit; für die X. AG nahm M. am 12. Juli 1993 die Schätzungsurkunde entgegen.
Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs trat auf die gegen diese Schätzung von der X. AG am 28. Juli 1993 erhobene Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.
Das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs wies den von der X. AG dagegen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 12. April 1994 ab.
BGE 120 III 57 S. 58
Die X. AG hat sich mit Rekurs vom 25. April 1994 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gewandt. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Anweisung an das Betreibungsamt, ihr die Schätzungsurkunde erneut zuzustellen, eventualiter das Bezirksgericht Zürich anzuweisen, auf ihre Beschwerde vom 28. Juli 1993 einzutreten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Nach Ansicht der Rekurrentin handelt es sich bei der Schätzungsurkunde um eine Betreibungsurkunde, die ihr nach den Erfordernissen von
Art. 64 ff. SchKG
hätte zugestellt werden müssen.
a) Das Betreibungsamt setzt sich durch Mitteilung (
Art. 34 SchKG
), öffentliche Bekanntmachung (
Art. 35 SchKG
) und formelle Zustellung (
Art. 64 ff. SchKG
) mit den am Betreibungsverfahren Beteiligten in Verbindung. Die Vorschriften über die Zustellungsform und die Zustellungsempfänger sind einzig für Betreibungsurkunden zu beachten, was sich aus der Bedeutung des Inhalts dieser Urkunden ergibt. Das Gesetz zählt die Fälle nicht auf, in denen sich das Betreibungsamt der formellen Zustellung bedienen muss. Sicher gehören der Zahlungsbefehl und die Konkursandrohung dazu (Art. 71/72 SchKG, Art. 160/161 SchKG;
BGE 97 III 107
E. 1 S. 109). JAEGER zählt überdies alle Mitteilungen des Betreibungsamtes an den Schuldner über die für ihn wichtigen Vorgänge zu den Betreibungsurkunden (Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 1. Band, 3.A. 1911, S. 137 N. 1). Nach AMONN (Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5.A. Bern 1993, S. 104 N. 7 und N. 8) gibt es hingegen ausser dem Zahlungsbefehl und der Konkursandrohung keine weitern Betreibungsurkunden im Sinne von
Art. 64 ff. SchKG
, da nur die beiden genannten den Schuldner zur Befriedigung des Gläubigers auffordern und gleichzeitig auf bestimmte Rechtsfolgen im Unterlassungsfall hinweisen. Gleicher Ansicht - unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien - ist auch BLUMENSTEIN (Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechts, Bern 1911, S. 220). JEKER möchte jede vom Betreibungsamt zu erlassende Verlautbarung, deren Kenntnisnahme durch den Schuldner unerlässliche gesetzliche Voraussetzung für den Fortgang des Betreibungsverfahrens bildet, als Betreibungsurkunde verstehen; darunter fallen demnach - neben dem Zahlungsbefehl und der Konkursandrohung - auch die Pfändungsankündigung, die Pfändungsurkunde und die Mitteilung des
BGE 120 III 57 S. 59
Verwertungsbegehrens (Die Zustellung der Betreibungsurkunden nach schweizerischem Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, Diss. Bern 1942, S. 10/11). GILLIÉRON (Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3.A. Lausanne 1993, S. 102) und FRITZSCHE/WALDER (Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Band 1, Zürich 1984, S. 170 N. 30) stufen die praktische Bedeutung dieser Frage als gering ein.
b) Im vorliegenden Fall ist der Rekurrentin im Anschluss an das Verwertungsbegehren der Gläubigerin die Schätzung der Faustpfänder bekanntgegeben worden. Diese Vorkehr des Betreibungsamtes war einzig mit dem Hinweis verbunden, dass die Schätzung als anerkannt gelte, falls nicht innert zehn Tagen dagegen eine Beschwerde beim Bezirksgericht eingereicht werde. Eine Aufforderung an die Rekurrentin, in irgendeiner Weise tätig zu werden, insbesondere die Gläubigerin zu befriedigen, war damit nicht verbunden. Die Zustellung der Schätzungsurkunde ist demnach weder auf die Einleitung noch die Fortsetzung des Verfahrens ausgerichtet, das seinerseits darauf abzielt, den Gläubiger auf dem Weg der Zwangsvollstreckung aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, und dadurch in die Rechtsstellung des Schuldners einzugreifen; eine Betreibungshandlung im Sinne der Rechtsprechung ist nicht gegeben (
BGE 115 III 11
E. 1b S. 13). Setzt das Betreibungsamt die Beteiligten über das Ergebnis der Schätzung in Kenntnis, so handelt es sich hiebei vielmehr um eine der zahlreichen Tätigkeiten, die sich aus der gesetzeskonformen Durchführung des Betreibungsverfahrens ergeben. Mit ihr sind jedoch keinesfalls Rechtswirkungen verbunden, die eine formelle Zustellung nach
Art. 64 ff. SchKG
erfordern. Damit brauchte das Betreibungsamt insbesondere nicht zu prüfen, wer seitens der Rekurrentin berechtigt war, die Schätzungsurkunde in Empfang zu nehmen (
BGE 119 III 57
E. 3c S. 59 mit Hinweisen). Es obliegt allein der Rekurrentin, ihre betriebsinternen Abläufe derart zu gestalten und im Auge zu behalten, dass sie eine nach
Art. 34 SchKG
erfolgte Mitteilung des Betreibungsamtes auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen kann. Dies gilt umsomehr, als der in Frage stehende Einschreibebrief in einer hängigen, ja bereits fortgeschrittenen Betreibung, erfolgt ist.
Der Rekurs erweist sich demnach insgesamt als unbegründet. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d46c817c-1f62-4336-963c-6f92138c3aab | Urteilskopf
97 I 167
27. Extrait de l'arrêt du 29 janvier 1971 dans la cause Hoirs X. contre Commission vaudoise de recours en matière d'impôt. | Regeste
Wehrsteuer. Besteuerung des Gewinns, den ein auch die Verwaltung von Liegenschaften besorgender Notar beim Verkauf von Aktien von Immobiliengesellschaften erzielt.
Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB. Buchführungspflicht (Erw. 3 a). Geschäfts- und Privatvermögen (Erw. 3 b).
Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB. Dem Verkauf von Liegenschaften gleichgestellter Verkauf von Aktien von Immobiliengesellschaften (Erw. 4 a). Einkommen aus beruflicher Tätigkeit (Erw. 4 b).
Verjährung. Grundsatz der Einheit der Veranlagung (Erw. 5 b). | Sachverhalt
ab Seite 167
BGE 97 I 167 S. 167
Résumé des faits:
A.-
X. était notaire dans le canton de Vaud. Il pratiquait en outre la gérance d'immeubles. A la fin de 1962, il était actionnaire de 28 sociétés immobilières, dont il gérait les immeubles. Il s'occupait de gérance pour un grand nombre d'autres sociétés, sans en être actionnaire.
En 1955, X. avait constitué, avec un architecte et trois maîtres d'état, deux sociétés immobilières, A. et B., participant au capital social de la première (60 000 fr.) à concurrence de 20% et à celui de la seconde (80 000 fr.) à concurrence de 10%. Pour les deux sociétés, les fondateurs s'étaient réservé dans les bâtiments à construire les travaux en rapport avec leur profession et en fait ils exécutèrent des travaux. Pour sa part, X.
BGE 97 I 167 S. 168
encaissa de la société A. une note d'honoraires et de débours. On ignore s'il reçut quelque chose de la société B.
X. avait en outre acheté 10 actions (3 en 1954 et 7 en 1969) de la société immobilière L., au capital de 50 000 fr. divisé en 50 actions de 1000 fr. chacune. La majorité de ces actions avait été acquise par un groupe de maîtres d'état, en 1954.
Le 31 octobre 1959, après que X. eut racheté les parts d'un de ses partenaires, toutes les actions des sociétés immobilières A. et B. furent vendues à un acheteur domicilié à l'étranger. Le 1er mars 1960, il en alla de même des actions de la société immobilière L.
Dans les trois cas, les contrats de vente d'actions stipulaient que l'acheteur avait connaissance du contrat de gérance antérieurement conclu pour dix ans avec l'Etude du notaire X. et qu'il déclarait en "assumer la responsabilité" jusqu'à leur échéance.
Sur l'ensemble de ces diverses ventes d'actions, X. réalisa un gain.
B.-
Pour l'impôt de défense nationale 11e période (1961/1962), l'autorité de taxation ajouta ce gain au revenu déclaré. Il en résulta un surplus d'impôt.
X. éleva une réclamation. Selon lui, il achetait des actions de sociétés immobilières pour placer ses économies, son revenu dépassant ses besoins, et en principe il ne les revendait pas, sauf lorsque la bonne gestion de sa fortune privée l'y amenait, dans le cas notamment où il était actionnaire minoritaire et où la majorité, décidée à vendre pour profiter d'une occasion, l'obligeait à en faire autant. C'est ce qui se serait produit pour les sociétés A., B. et L.
X. décéda en 1964. Par lettre du 21 janvier 1965, ses héritiers relancèrent la Commission d'impôt en demandant qu'il soit enfin statué sur la réclamation déposée le 21 mai 1963. Ils faisaient valoir que, n'ayant pas, en tant que notaire, l'obligation légale de tenir une comptabilité, X. n'était pas soumis à l'impôt pour la défense nationale sur ses bénéfices en capital.
La réclamation fut rejetée par décision du 23 septembre 1965. Saisie d'un recours, la Commission cantonale de recours en matière d'impôt (ci-après: la Commission cantonale de recours ou la Commission) le rejeta par prononcé du 1er juin 1970, notifié le 31 juillet, en se fondant sur l'art. 21 al. 1 lettre a AIN et en considérant que les opérations en cause avaient été réalisées
BGE 97 I 167 S. 169
en étroite relation avec la profession du contribuable. La Commission procéda en outre à une reformatio in pejus en ajoutant au revenu imposable un gain provenant de la vente par X. le 1er janvier 1959, de 16 actions de la société immobilière C., vente déclarée au fisc le 1er mai 1964 seulement.
C.-
Les hoirs X. forment un recours de droit administratif contre le prononcé de la Commission cantonale de recours. Ils reprennent en la développant et en la complétant l'argumentation présentée dans la réclamation du 21 mai 1963. Pour ce qui concerne la vente des actions de la société C., ils invoquent en outre la prescription.
D. - La Commission cantonale de recours et l'Administration cantonale des impôts concluent au rejet du recours. Elles soutiennent que les gains réalisés l'ont été dans le cadre d'une activité professionnelle et se fondent uniquement sur l'art. 21 al. 1 lettre a AIN.
L'Administration fédérale des contributions conclut elle aussi au rejet du recours. Elle fait d'abord intervenir l'art. 21 al. 1 lettre d AIN, puis déclare que l'imposition se justifiait de toute façon sur la base de l'art. 21 al. 1 lettre a AIN. Elle estime en effet qu'il y avait commerce d'actions de sociétés immobilières et qu'un tel commerce doit être assimilé à celui des immeubles. Elle repousse le moyen tiré de la prescription.
Erwägungen
Considérant en droit:
1./2. ... (procédure).
3.
Selon l'art. 21 al. 1 lettre d AIN, l'impôt pour la défense nationale frappe "les bénéfices en capital obtenus, dans l'exploitation d'une entreprise astreinte à tenir des livres, par l'aliénation ou la réalisation de biens ...". Encore faut-il cependant, selon la jurisprudence, que les biens aliénés fassent partie de la fortune commerciale du contribuable, par opposition à sa fortune privée.
a) La première question qui se pose ici, en relation avec cette disposition, est donc de savoir si X. exploitait une entreprise astreinte à tenir des livres. Après l'avoir contesté devant la Commission cantonale de recours, les recourants passent la question sous silence dans leur recours de droit administratif. Elle n'en doit pas moins être examinée d'office.
A l'obligation de tenir une comptabilité quiconque doit s'inscrire au registre du commerce (art. 957 CO). Peu importe
BGE 97 I 167 S. 170
que le contribuable y soit en fait inscrit ou non; cela ne joue pas de rôle dans l'application de l'art. 21 al. 1 lettre d AIN (RO 89 I 282 consid. 2). Et le Tribunal fédéral examine librement si l'obligation de s'inscrire existait ou pas (même arrêt).
En application de l'art. 934 CO et en vertu de la délégation de compétence qui résulte de l'art. 936, le Conseil fédéral a défini l'entreprise tenue de s'inscrire au registre du commerce comme étant toute activité économique indépendante exercée en vue d'un revenu régulier (art. 52 al. 3 ORC). La gérance d'immeubles, telle que la pratiquait X., tombe certainement sous le coup de cette définition. D'ailleurs, l'art. 53 lettre A ch. 4 ORC mentionne expressément les bureaux fiduciaires et de gérance au nombre des entreprises commerciales.
Certes, les professions libérales ne donnent en principe pas lieu à inscription obligatoire au registre du commerce, mais pour autant seulement qu'elles ne sont pas liées à une activité commerciale (HIS, Berner Kommentar, note 61 ad art. 934 CO) et, s'agissant du notaire, que son rôle se limite à des affaires juridiques au sens étroit, le cas où il est fonctionnaire devant en outre être réservé (STAMPA, Sammlung von Entscheiden in Handelsregistersachen, 1923, n. 86).
Selon la loi vaudoise sur le notariat du 10 décembre 1956 (en abrégé: LN), le notaire est un officier public (art. 1). A ce titre, il exerce un "ministère" qui consiste à dresser divers actes, principalement les actes authentiques (art. 4 al. 1). A côté de cela, il peut être chargé d'autres mandats à titre professionnel, notamment de gérer et d'administrer des biens immobiliers et mobiliers (art. 4 al. 2). Pour cette activité dite professionnelle, il n'est plus un officier public, et il ne jouit d'aucune exclusivité; il est donc dans la même situation que n'importe quel autre gérant de fortune ou d'immeubles, avec cette conséquence qu'il n'échappe pas aux règles du droit fédéral sur l'inscription au registre du commerce, ni à l'obligation de tenir une comptabilité lorsque cette inscription est obligatoire.
Il s'ensuit que X. tombait sous le coup de l'art. 21 al. 1 lettre d AIN pour son activité de gérant d'immeubles. Point n'est besoin de rechercher si l'obligation faite au notaire, en vertu de l'art. 64 LN, de tenir une comptabilité de toutes les opérations qu'il effectue pour le compte de ses clients ou de tiers, suffisait déjà à rendre applicable cette dernière disposition.
b) Reste à déterminer si les actions que X. a vendues en
BGE 97 I 167 S. 171
réalisant un gain faisaient partie de sa fortune commerciale, ainsi que l'Administration fédérale des contributions le soutient.
Dans un arrêt du 14 juin 1968 (RO 94 I 466), le Tribunal fédéral a fait la synthèse de sa jurisprudence antérieure sur ce point, tout en la précisant dans un sens restrictif. Lorsqu'on éprouve des difficultés à déterminer si un certain bien appartient à la fortune commerciale ou à la fortune privée, il faut en décider d'après l'ensemble des circonstances. A côté d'autres indices peut jouer un rôle le fait que le bien dont il s'agit a été acquis au moyen de fonds provenant de l'entreprise, ou qu'il représente le placement des réserves, ou qu'il sert à garantir des dettes commerciales. Mais ce sont là des critères subsidiaires, et à eux seuls non déterminants. La question décisive est de savoir si le bien a été acquis à des fins commerciales et s'il sert effectivement à l'exploitation, dans quel cas il appartient à la fortune commerciale. S'il ne sert qu'indirectement à l'exploitation, la prudence s'impose. La circonstance que le bien figure au bilan de l'entreprise ou au contraire n'y apparaît pas constitue un sérieux indice dans un sens ou dans l'autre, mais à elle seule elle n'est pas décisive non plus.
En l'espèce, il est constant que les actions vendue par X. ne figuraient pas au bilan qu'il joignait régulièrement à sa déclaration d'impôt. Ce bilan ne comprenait comme actifs, en dehors du mobilier de l'étude, que d'importantes liquidités (caisse, chèques postaux, banques) et un gros poste "débiteurs", ces avoirs ayant pour contreparties principales au passif d'importants comptes "créanciers divers" et "gérance".
En dehors d'un mobilier et de matériel d'administration, un bureau de gérance n'a besoin de valeurs réelles (mobilières ou immobilières) ni pour son exploitation, ni pour garantir des emprunts. Cette constatation est en faveur des recourants.
Il n'apparaît pas non plus que X. ait acquis les actions en cause au moyen des liquidités de l'étude, pour les placer. C'eût d'ailleurs été contraire à l'art. 63 LN, qui exige que ces liquidités soient toujours disponibles. Il faut donc tenir pour fort vraisemblable la thèse des recourants soutenant que leur auteur avait acheté ces actions avec ses économies personnelles, ce qui par le en faveur de leur appartenance à sa fortune privée.
Il y a cependant une importante circonstance en sens contraire. Après avoir tiré avantage dans son activité ministérielle de la constitution et de la gestion des sociétés immobilières dont il
BGE 97 I 167 S. 172
était actionnaire, X. en profitait dans son activité professionnelle - au sens spécifique de la loi vaudoise sur le notariat - puisqu'il en gérait les immeubles. En cela, les actions qu'il détenait servaient - tout au moins indirectement - à l'exploitation de son bureau de gérance. Les recourants objectent que leur père aurait eu cette gérance même sans être actionnaire, et ils en veulent pour preuve qu'il gérait les immeubles de nombreuses autres sociétés dont il n'était pas membre. Cela n'est cependant pas décisif, car les recourants ne contestent pas que X. avait la gérance pour toutes les sociétés auxquelles il appartenait. Cela montre qu'en acquérant des actions, il apportait du travail supplémentaire à son bureau. De plus, s'il s'était agi de mandats qu'il aurait obtenus même sans être actionnaire, il n'aurait pas fait insérer dans les actes de vente d'actions une clause obligeant l'acheteur à respecter jusqu'à leur échéance les contrats de gérance en cours, qui étaient conclus pour une longue durée.
. Cette circonstance est assez importante pour que l'on doive considérer les actions en cause comme appartenant à la fortune commerciale de X., avec cette conséquence que le gain en capital qui est résulté de leur vente est imposable en vertu de l'art. 21 al. 1 lettre d AIN.
4.
Selon la jurisprudence, l'assujettissement peut se fonder à la fois sur la lettre a et la lettre d de l'art. 21 al. 1 AIN (Archives, 30, p. 372). Il paraît opportun d'examiner si, en l'espèce, les conditions d'application de la lettre a sont aussi réunies.
a) X. n'a pas vendu d'immeubles mais des actions de sociétés immobilières. Comme le relève l'Administration fédérale des contributions dans son préavis, l'autorité fiscale fait montre d'une certaine réserve dans l'imposition des bénéfices provenant du commerce de valeurs mobilières, se bornant à imposer les professionnels de la branche, le plus souvent du reste en vertu de l'art. 21 al. 1 lettre d AIN. La Cour de céans peut toutefois se dispenser de revoir le bien-fondé de cette pratique dans la mesure où, comme le soutient aussi l'Administration, la vente des actions d'une société immobilière devrait être assimilée, en matière d'impôt pour la défense nationale, à l'aliénation de l'immeuble lui-même. A cet égard, l'arrêt rendu le 7 décembre 1962 (Archives, 32, p. 27 ss.), que cite l'Administration, n'apparaît pas décisif. Les circonstances de la cause étaient très particulières et l'imposition se justifiait pour d'autres motifs, de sorte que la question de principe aujourd'hui soulevée n'a pas été véritablement tranchée. Elle doit donc être examinée.
BGE 97 I 167 S. 173
Le Tribunal fédéral admet depuis longtemps déjà que, même sans base légale expresse, il n'est pas contraire à l'art. 4 Cst. de soumettre le transfert des actions d'une société immobilière aux droits de mutation et aux impôts cantonaux sur les gains immobiliers (RO 79 I 20 et les arrêts cités; cf. RO 95 I 143 et les arrêts cités). Statuant cette fois-ci avec un libre pouvoir d'examen, en matière de double imposition intercantonale, il a posé en principe que le gain résultant d'un tel transfert est imposable au lieu de situation de l'immeuble, et non pas au domicile de l'actionnaire, lorsqu'il s'agit de la vente de toutes les actions d'une pure société immobilière (RO 85 I 95 ss., not. 102) ou du moins de la majorité absolue de ces actions (RO 91 I 470 ss.). Le gain résultant de la vente des actions est ainsi considéré comme un gain immobilier. Les mêmes motifs sont valables en matière d'impôt pour la défense nationale, tout au moins lorsqu'il ressort des circonstances que cette vente équivalait économiquement au transfert de l'immeuble.
Or tel est le cas en l'espèce. Certes, X. était actionnaire minoritaire. Mais il formait en fait un groupe avec les autres actionnaires, comme s'ils avaient été tous ensemble copropriétaires de l'immeuble appartenant à la société. C'est si vrai qu'ils ont chaque fois vendu ensemble la totalité des actions, à un seul et même acheteur, par l'intermédiaire d'un seul et même représentant, sous forme d'un seul et même acte. Celui-ci est rédigé comme un acte de vente immobilière, avec la désignation cadastrale de l'immeuble et l'état des servitudes; il donne le bilan et le dernier compte de pertes et profits de la société; il calcule le prix de vente des actions en partant de la valeur de l'immeuble telle qu'établie d'un commun accord entre parties. L'acte de vente des actions de la société C. ne figure à vrai dire pas au dossier, mais les recourants ne prétendent pas qu'il aurait été d'un autre type; il est en tout cas certain qu'il y eut là aussi vente en bloc de toutes les actions à un seul acquéreur. De tels actes sont certes usuels pour ce genre d'opérations, mais ils indiquent clairement que la vente des actions équivalait en fait à la vente de l'immeuble lui-même, et il faut donc traiter le cas comme s'il y avait gain immobilier proprement dit.
b) Ceci admis, il s'agit de déterminer si ce gain doit être considéré comme acquis professionnellement au sens de la jurisprudence fondée sur l'art. 21 al. 1 lettre a AIN.
Selon cette jurisprudence, il y a commerce professionnel d'immeubles lorsqu'un contribuable procède à des achats et à
BGE 97 I 167 S. 174
des ventes d'immeubles non pas simplement dans l'administration de sa fortune ou en profitant d'une occasion qui s'est présentée fortuitement à lui, mais systématiquement et avec l'intention d'obtenir un gain. Le caractère professionnel peut résulter, d'une part, de la fréquence des achats et des ventes, d'autre part, s'agissant d'opérations isolées, du fait qu'elles étaient en relation avec une autre activité lucrative. L'achat et la vente d'un immeuble par un entrepreneur, un gypsier-peintre, un architecte ou une autre personne exerçant une profession analogue présentent aussi un caractère professionnel s'il s'agissait pour eux de procurer du travail à leur entreprise ou à leur bureau (RO 93 I 288, consid. 3 a, avec citation d'arrêts antérieurs). Une intense activité exercée en vue de mettre un terrain en valeur, en l'aménageant et en y construisant, sort de la simple administration de la fortune et elle a donc un caractère professionnel (cf. RO 96 I 655 ss.).
En l'espèce, il ne s'agissait en tout cas pas d'opérations isolées. Non seulement il y en eut quatre au cours des années 1959 et 1960, mais le préavis de l'Administration cantonale des impôts à la Commission cantonale de recours en mentionne trois autres, avec vente de la totalité du capital-actions, en 1957. Les recourants ont eu connaissance de ce préavis, qu'ils ne contestent pas sur ce point de fait.
S'agissant des sociétés immobilières A. et B. en tout cas, il est constant que, de concert avec un architecte et des maîtres d'état, fondateurs avec lui de ces sociétés, X. s'est employé à en mettre les immeubles en valeur, par la construction de bâtiments locatifs. Chacun y contribua dans le cadre de son activité professionnelle. Il fallut probablement de nombreuses démarches, notamment auprès des autorités chargées de la police des constructions, pour obtenir le permis de construire, et auprès des banques ou d'autres bailleurs de fonds, en vue du financement. Certes,juridiquement, toute cette activité incombait à la société. Mais, en fait, ce fut celle des actionnaires qui, détenant ensemble toutes les actions, pouvaient agir et agissaient comme s'ils avaient été propriétaires de l'immeuble. C'est ce que les recourants perdent de vue lorsqu'ils déclarent que le gain réalisé n'est pas dû à une activité quelconque. A vrai dire, la situation est moins claire pour les sociétés immobilières L. et C. Mais il eût appartenu aux recourants de faire valoir et de rendre pour le moins vraisemblable que leur auteur et ses
BGE 97 I 167 S. 175
associés n'avaient exercé aucune activité pour mettre en valeur les immeubles. En l'absence de toute allégation de leur part dans ce sens, il y a lieu de présumer que, dans ces deux cas aussi, les actionnaires ont contribué par leur activité à la mise en valeur de l'immeuble.
Il est en outre certain que dans les quatre cas, X. s'était assuré la gérance des immeubles appartenant aux sociétés dont il était actionnaire. Les recourants soutiennent à vrai dire que les deux choses n'étaient en réalité pas liées. Mais, ainsi qu'on l'a déjà dit plus haut à propos de l'art. 21 al. 1 lettre d AIN, on doit tout de même admettre que sa qualité d'actionnaire donnait pour le moins à X. des chances supplémentaires d'obtenir ces mandats de gérance, et on a tout lieu de penser que cela a joué un rôle dans sa décision de placer ses économies de cette façon.
Ces diverses circonstances conduisent à dire que X. a bien agi dans le cadre de son activité professionnelle de notaire et de gérant d'immeubles, tout en participant avec ses partenaires à une activité accessoire dans les affaires immobilières.
Pour le contester, les recourants soutiennent avant tout que leur auteur avait pour seule intention de placer ses économies. Il semble bien qu'il ait acheté les actions en cause de ses propres deniers, sans avoir à emprunter. Mais cela n'est aucunement décisif, car on peut fort bien placer ses économies de façon à développer ses affaires ou à en faire de nouvelles, à titre accessoire. A l'appui de leur thèse, les recourants relèvent notamment qu'en principe X. gardait ses actions de sociétés immobilières, et qu'il ne les vendait que sous la contrainte de ses partenaires ou pour saisir une occasion favorable. Mais, en fait, il en a vendu sept fois entre 1957 et 1960. D'autre part, il avait intérêt à les conserver indépendamment de toute idée de placement à long terme, car ce faisant il augmentait ses chances de rester longtemps le gérant des immeubles appartenant aux sociétés dont il était actionnaire. Et si son seul but avait été de placer ses économies, il ne les aurait pas ainsi réparties sur de très nombreuses sociétés, avec la position d'actionnaire minoritaire dontles recourants relèvent eux-mêmes combien elle est défavorable et aléatoire. Les recourants tirent aussi argument du fait que leur auteur avait après coup augmenté sa participation dans les sociétés A. B. et L.; ils voient là la preuve qu'il s'agissait pour lui d'un simple placement de fortune. Mais cet argument tombe à faux, si l'on considère que dans les trois cas c'est quelques mois seulement
BGE 97 I 167 S. 176
avant la vente que X. avait racheté un certain nombre d'actions à l'un de ses partenaires.
Ainsi, aucune de ces objections ne suffit à démentir le caractère professionnel des opérations aujourd'hui litigieuses. Ce caractère doit donc être reconnu et les gains réalisés par X. sont imposables en vertu de l'art. 21 al. 1 lettre a AIN.
5.
S'agissant des actions de la société C., les recourants font valoir à titre subsidiaire divers moyens qu'il faut encore examiner.
a) ...
b) Les recourants invoquent la prescription, en se fondant sur l'art. 128 AIN.
Selon cette disposition, les créances résultant de l'assujettissement à l'impôt pour la défense nationale se prescrivent par cinq ans dès leur échéance, la prescription étant interrompue par tout acte tendant au recouvrement, avec cette conséquence qu'un tel acte fait courir un nouveau délai de cinq ans (RO 79 I 250 en haut, 88 I 45/46). La jurisprudence considère comme actes tendant au recouvrement non seulement ceux qui concernent directement la perception, mais aussi les actes officiels qui interviennent dans les procédures de taxation, de réclamation et de recours (RO 88 I 46 ss., consid. 1 b; dans le même sens, KÄNZIG, note 8 ad art. 128 AIN). Normalement, c'est le terme général d'échéance de l'art. 114 al. 1 AIN qui fait pour la première fois courir le délai de prescription.
Pour les années fiscales 1961 et 1962 (11e période), qui sont ici en cause, les termes généraux d'échéance ont été fixés aux 1er mars 1962 et 1er mars 1963. C'est donc de ces dates que partait le délai de cinq ans. La prescription a été interrompue à temps, une première fois, par la décision de taxation du 3 mai 1963, puis une seconde fois par la décision sur réclamation du 23 septembre 1965. Le prononcé de la Commission cantonale de recours étant intervenu moins de cinq ans après cette date, la prescription n'était pas encore acquise, du moins pour la part d'impôt afférente aux gains réalisés sur les actions des sociétés A., B. et L., gains qui avaient été expressément pris en considération dans chacune des trois décisions successives.
La situation se présente en fait autrement pour le gain provenant de la vente des actions de la société C., car ce gain n'avait été retenu ni dans la taxation initiale, ni même dans la décision sur réclamation. C'est pourquoi les recourants soutiennent que
BGE 97 I 167 S. 177
pour cet élément-ci il y avait prescription lorsque la Commission de recours a statué, plus de cinq ans s'étant écoulés sans aucun acte interruptif depuis l'échéance la plus rapprochée du 1er mars 1963.
Ce moyen est mal fondé. Dans un arrêt Robusta AG (RO 75 I 174 ss., notamment 179), le Tribunal fédéral a posé le principe de l'unité de la taxation. La créance d'impôt, telle qu'elle naît en vertu de la loi par la réalisation des faits générateurs, forme un tout pour une période fiscale donnée. Toute interruption de la prescription vaut pour la totalité de la créance, sans qu'il soit nécessaire d'indiquer le montant de celle-ci, ni de relever les éléments qui, de l'avis du fisc, pourraient justifier une augmentation de ce montant. Il n'y a pas lieu de revenir sur cette jurisprudence. Sans doute l'interruption de la prescription résultait-elle, dans la cause Robusta AG, d'une taxation provisoire. Toutefois, du moment que la reformatio in pejus est admise (art. 110 AIN), la situation n'est pas essentiellement différente lorsqu'on se trouve en présence d'une taxation définitive, mais qui n'est pas entrée en force parce qu'elle fait l'objet d'un recours. En l'espèce, même si l'autorité de taxation avait renoncé à imposer le gain résultant de la vente des actions de la société C., les recourants pouvaient et devaient s'attendre que l'autorité de recours, elle, en tienne compte. Ils n'ont pas été surpris dans leur bonne foi. Or, c'est sur le principe de la bonne foi que repose l'institution de la prescription. Il est certes regrettable qu'en l'espèce la procédure de recours ait duré près de cinq ans. Mais on ne saurait pour autant porter atteinte aux principes clairs posés par l'arrêt précité en matière de prescription.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours en tant qu'il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d46d9ac3-3616-4d50-8b9c-6bda29f84c04 | Urteilskopf
82 I 288
41. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juli 1956 i.S. X.-AG gegen Y., Steuer-Rekurskommission. | Regeste
Wehrsteuer: Verdeckte Gewinnausschüttung:
a) Begriff (Berichtigung der Praxis).
b) Anwendung bei Partnerwerken der Elektrizitätswirtschaft. | Sachverhalt
ab Seite 289
BGE 82 I 288 S. 289
Die X.-AG ist von zwei Grosskonsumenten elektrischen Stromes gegründet worden mit dem Zweck, eine Wasserrechtskonzession gemeinsam auszunützen und hierfür ein Kraftwerk zu bauen und zu betreiben. Nach Gründungsvertrag und Statuten wird der aus dem Kraftwerk anfallende Strom nicht verkauft, sondern von den beiden Aktionären grundsätzlich im Verhältnis ihrer Aktienbeteiligung abgenommen, wogegen die beiden Partner im gleichen Verhältnis die gesamten Bau- und Betriebskosten für das Werk aufbringen mit Einschluss einer Dividende, die bei der Gründung im Jahre 1929 auf 6% bestimmt worden war. Nach Fertigstellung des Werkes wurden die Beitragsleistungen an die jährlichen Betriebskosten ("Jahreskosten") aufgenommen. Die Dividende auf das Aktienkapital wurde aber nicht, wie im Gründungsvertrag vorgesehen, zum Ansatze von 6% aufgebracht, sondern von Anfang an nur mit 4% berechnet. Im Jahre 1939 wurde der Gründungsvertrag dahin abgeändert, dass die von den Partnern aufzubringende Dividende jeweilen von Jahr zu Jahr festgesetzt wird. In der Folge betrug der jährliche Ansatz bis 1951 jeweilen 4%, von da an 4 1/2%. In den auf den 30. September 1941 und 1942 abgeschlossenen Geschäftsjahren entsprachen die von den beiden Aktionären aufgebrachten Jahreskosten einem durchschnittlichen Aufwand von 2,07 (1940/41) und 2,24 (1941/42) Rappen für die kWh erzeugter elektrischer Energie.
Bei der Einschätzung für die II. Periode der eidg. Wehrsteuer (1943 und 1944, Bemessungszeitraum 1941 und 1942) haben die kantonalen Wehrsteuerbehörden eine Gewinnaufrechnung wegen "verdeckter Gewinnausschüttung" vorgenommen mit der Begründung, mit den von den Aktionären in den Geschäftsjahren 1940/41 und 1941/42 aufgebrachten Jahreskosten habe die X.-AG aus dem den Aktionären zur Verfügung gestellten Strom keinen Verkaufserlös erzielt, wie er sich unter normalen Verhältnissen beim Verkaufe des Stroms im freien Wettbewerb mit der Konkurrenz ergeben hätte. Der Marktwert der von der X.-AG gelieferten
BGE 82 I 288 S. 290
Energie sei auf Grund billiger Schätzung unter Heranziehung von Vergleichszahlen mit 3 Rp. für die kWh anzusetzen. Der Unterschied zwischen diesem erzielbaren Verkaufserlös und der von den Aktionären geleisteten Vergütung sei zum Geschäftsergebnis hinzuzurechnen.
Die X.-AG erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, den angefochtenen Entscheid aufzuheben. Sie macht u.a. geltend, die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung sei ungerechtfertigt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
II.
- In der Sache selbst geht der Streit darum, ob es richtig ist, bei Bemessung des für die zweite Wehrsteuerperiode steuerbaren Reingewinns der Beschwerdeführerin das auf Grund der Buchabschlüsse errechnete und heute nicht mehr bestrittene Geschäftsergebnis zu erhöhen, weil, wie angenommen wird, der von der Gesellschaft vereinnahmte Erlös für den an die Aktionäre gelieferten Strom keinen normalen Verkaufserlös darstellt, wie er sich ergeben würde, wenn der Strom im freien Wettbewerb mit der Konkurrenz verkauft werden könnte. Die Frage ist auf Grund der in Art. 49 WStB für die Berechnung des steuerbaren Reingewinns getroffenen Ordnung zu beurteilen.
1.
Nach Art. 49 Abs. 1 lit. b WStB fallen für die Berechnung des steuerbaren Reingewinns einer Aktiengesellschaft alle vor Berechnung des Saldos der Gewinn- und Verlustrechnung ausgeschiedenen Teile des Geschäftsergebnisses in Betracht, die nicht zur Deckung geschäftsmässig begründeter Unkosten verwendet wurden; als Beispiele werden aufgeführt: Aufwendungen zur Anschaffung und Verbesserung von Vermögensobjekten, Einzahlungen auf das Gesellschaftskapital, freiwillige Zuwendungen an Dritte, letztere insoweit, als das Gesetz nicht Steuerfreiheit besonders anordnet (vgl. Art. 49 Abs. 2). Das Gesetz ordnet den Einbezug derartiger Verwendungen in den Reingewinn an, weil es grundsätzlich den ganzen Reingewinn einer Aktiengesellschaft der Besteuerung unterwerfen will (BGE
BGE 82 I 288 S. 291
71 I 406). Es kann, schon im Interesse der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen, auf die Erfassung der vor Buchabschluss vorgenommenen und das durch die Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesene Ergebnis vermindernden Ausscheidungen von Gesellschaftsmitteln nicht verzichten.
Zu den nach Gesetz anzurechnenden Verwendungen gehören vor allem, soweit sie sich nicht unter dem Gesichtspunkte geschäftsmässig begründeter Unkosten rechtfertigen lassen, das Geschäftsergebnis vermindernde Leistungen, die eine Aktiengesellschaft ihren Aktionären zukommen lässt. Unerheblich ist, ob die Leistungen offen als Bestandteile des Reingewinns ausgewiesen sind, wie es z.B. der Fall ist, wenn Vorschussdividenden ausgerichtet werden, oder ob die Zuwendung in einer Form erfolgt, in welcher der Charakter der Gewinnausschüttung nicht zum Ausdruck kommt. Die steuerliche Erfassung von vor Rechnungsabschluss vorgenommenen Gewinnausschüttungen kann nicht davon abhängen, ob die Zuwendungen als Gewinnverwendungen ausgewiesen sind, oder ob aus der für die Ausrichtung gewählten Form der die Steuerbarkeit bestimmende Charakter der Zuwendung als Gewinnvorwegnahme nicht hervorgeht, die steuerpflichtige Gesellschaft die Leistung unter einer Bezeichnung gewährt, die sie formell z.B. als eine Aufwendung für Unkosten erscheinen lässt, und damit die steuerlich erhebliche Seite des Geschäftsvorfalls, unbewusst oder bewusst, verdeckt ("verdeckte Gewinnausschüttung").
Nach Theorie und Praxis darf eine verdeckte Gewinnausschüttung dann angenommen werden, wenn
a) eine Leistung ausgerichtet worden ist, der keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht, so dass sich die Leistung, als eine Entnahme von Gesellschaftsmitteln, in einer Verminderung der durch die Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesenen Geschäftsergebnisse auswirkt;
b) mit der Leistung ein Mitglied der Gesellschaft (Aktionär) begünstigt wurde, die Leistung ihm direkt oder indirekt (z.B. über eine ihm nahestehende Person oder Unternehmung)
BGE 82 I 288 S. 292
zugehalten wurde, wobei anzunehmen ist, dass die Leistung unterblieben oder wesentlich geringer gewesen wäre, wenn der Begünstigte eine der Gesellschaft fernstehende Person gewesen wäre, die Leistung also insofern ungewöhnlich ist, sich mit sachgemässem Geschäftsgebaren nicht vereinbaren lässt;
c) das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung für die handelnden Gesellschaftsorgane erkennbar gewesen sein muss, so dass angenommen werden kann, es sei eine Begünstigung beabsichtigt gewesen. (BOSSHARDT, Die neue zürch. Einkommens- und Vermögenssteuer, S. 203; PESTALOZZI, Die verdeckte Gewinnausschüttung im Steuerrecht, S. 22 f.; WIDMER, Die verdeckte Gewinnausschüttung durch Verrechnung zu niedriger Verkaufspreise, ASA 20, S. 120).
Unerheblich ist, ob bei der Gestaltung der Zuwendung, Einkleidung in eine verdeckte Form, Gründe der Steuerersparnis massgebend oder mitbestimmend waren und ob eine Steuerumgehung beabsichtigt war. Steuerumgehungsabsicht wird, das ist feststehende Auffassung von Theorie und Praxis, dort, wo das Gesetz die steuerliche Erfassung verdeckter Gewinnzuwendungen vorschreibt oder zulässt, regelmässig nicht vorausgesetzt (
BGE 71 I 415
f.,
BGE 74 I 61
; nicht publ. Entscheide vom 1. März 1946 i.S. Schwob & Co., 13. Juni 1947 i.S. T.-AG, ASA 16 S. 173, und vom 19. Mai 1950 i.S. Dorfkäsereigenossenschaft U., ASA 19 S. 101, betr. Wehrsteuer; fernerBGE 72 I 184und 305,
BGE 79 I 166
betr. Couponabgabe; vom 28. Juni 1946 i.S. TW., ASA 15 S. 234 f., und vom 8. Dezember 1950 i.S. A., ASA 19 S. 404 betr. Kriegsgewinnsteuer; vgl. auch J. BLUMENSTEIN, Kommentar zum bern. StG, S. 321 ff.; BOSSHARDT, a.a.O., PERRET, Wehrsteuer 1951/54 S. 107). In zwei Entscheiden (
BGE 74 I 296
und Entscheid vom 2. Oktober 1953 i.S. Z., ASA 22, S. 390) wurde allerdings - abweichend von der erwähnten Praxis - auch die Absicht der Steuerumgehung gefordert. Doch handelt es sich dabei, wie der Vergleich mit den dafür angerufenen Praejudizien
BGE 82 I 288 S. 293
ohne weiteres ergibt, um ein Versehen. In den angerufenen früheren Entscheiden waren allerdings gelegentlich auch die Tatbestandsmerkmale, die die Steuerumgehung charakterisieren, neben andern Merkmalen mitaufgeführt, aber nicht wie in jenen beiden Entscheiden als kumulatives - also unbedingt notwendiges Erfordernis, sondern alternativ als ein gelegentlich vorkommendes Indiz. Die beiden Entscheide sind mit Recht beanstandet worden (WIDMER, Die verdeckte Gewinnausschüttung, in ASA 20 S. 121 ff.; ebenso die im vorliegenden Verfahren eingelegten Gutachten Imboden und H. Steiner). Sie sind im Sinne der überkommenen Praxis, auf die sie sich berufen, zu berichtigen.
2.
Hier soll die Gewinnvorwegnahme davon herrühren, dass die Aufwendungen der beiden Aktionäre für den Betrieb der X.-AG keine normale Entschädigung für den ihnen anfallenden Strom darstellen, wie sie ein unabhängiger Dritter unter im übrigen gleichen Verhältnissen für entsprechende Stromlieferungen zu zahlen hätte, dass sich also Leistung und Gegenleistung nicht die Wage halten, die Stromabgabe an die Aktionäre daher zu einer Verminderung des Gewinnes führt, der in der Gewinn- und Verlustrechnung normalerweise auszuweisen wäre.
a) Die X.-AG ist nach Gründungsvertrag und Statuten eine Unternehmung, deren Zweck nicht in der Erzielung von Handelsgewinnen besteht. Ihre Aufgabe erschöpft sich in der Herstellung elektrischer Energie. Sie ist ausschliesslich Produktionswerk. Der gewonnene Strom wird nicht an Dritte mit Gewinn (oder Verlust) verkauft, sondern von den beiden am Werke beteiligten Unternehmungen, den Partnern des Gründungsvertrages, am Werk abgenommen. Die Partner bezahlen keinen Kaufpreis, sondern sie kommen für die gesamten Kosten der Unternehmung auf, inbegriffen eine jährliche Dividende auf das Aktienkapital. Die dergestalt aufzubringenden Kosten werden unter den Partnern verteilt, wobei die allgemeinen Jahreskosten grundsätzlich im Verhältnis der Energiebezüge, gewisse näher umschriebene besondere Kosten nach der Inanspruchnahme
BGE 82 I 288 S. 294
der Werkeinrichtungen verlegt werden. (vgl. hierüber SAITZEW, Die Partnerwerke, S. 13 f., Ziff. 3, 4 und 5). Mit dieser Ordnung ist die X.-AG gegen Verluste nach menschlichem Ermessen gesichert. Sie hat keine Risiken zu tragen. Sie kann sodann, unbesehen aller dem Betriebe von Elektrizitätsunternehmungen inhärenten Risiken und ihrer Folgen, normalerweise über die in die Jahreskosten eingerechnete Dividende verfügen. Anderseits sind aber ihre Einnahmen und damit auch die jährlich ausgewiesenen Gewinne von vornherein mehr oder weniger festgelegt und beschränkt. Sie werden nicht durch die im Betriebe der X.-AG erzielte Produktion und deren Verwertung bestimmt, sondern durch von den Partnern im Gründungsvertrage und dessen spätern Abänderungen getroffene Anordnungen. Sie sind besonders allen Einflüssen entzogen, die wirksam wären, wenn die Produktion am Elektrizitätsmarkt abgesetzt werden müsste.
Für die Besteuerung stellt sich die Frage, ob der X.-AG mit dieser Ordnung nicht Werte entzogen werden, die in ihrem Betriebe geschaffen worden sind, richtigerweise als Erträgnisse ihrer Tätigkeit ausgewiesen werden sollten und deshalb der steuerlichen Erfassung zugeführt werden müssen. Dies wäre nach der Praxis anzunehmen, wenn die Aufwendungen der beiden Aktionäre keine normale Entschädigung für den aus dem Betriebe der X.-AG anfallenden Strom darstellen und daher zwischen Leistung und Gegenleistung ein offenbares Missverhältnis bestehen sollte. Dabei ist zunächst auf die Verhältnisse abzustellen, wie sie im Jahre 1929 bei Errichtung der Unternehmung, dem Abschluss des Gründungsvertrages bestanden. Sodann ist zu untersuchen, ob die nachträgliche Herabsetzung der jährlichen Dividende von 6% auf 4% geschäftsmässig begründet war.
b) Die im Untersuchungsverfahren vor Bundesgericht eingezogenen Gutachten zwei volkswirtschaftlicher und eines elektrizitätswirtschaftlichen Sachverständigen kommen im Ergebnis übereinstimmend eindeutig zum Schlusse,
BGE 82 I 288 S. 295
dass zwischen den beidseitigen Leistungen und Lasten, so wie sie im Gründungsvertrage bei Errichtung der X.-AG dieser überbunden und von den Gründern übernommen wurden, wirtschaftlich kein Missverhältnis besteht. Der Experte Müller im besondern stellt (S. 29) fest, dass die X.-AG einen dem tatsächlich abgeschlossenen Partnervertrag nachgebildeten Vertrag, der nur die Minimalrendite mit einem den Obligationenzinsfuss geringfügig überschreitenden Satz in die Jahreskosten einrechnet, mit einem unabhängigen Dritten hätte abschliessen können, ohne dabei ihre wohlverstandenen Interessen und diejenigen ihrer Aktionäre offensichtlich zu verletzen. Er legt mit überzeugender Begründung dar, dass angesichts der damaligen wirtschaftlichen Gegebenheiten ein für die X.-AG günstigerer Vertrag auch mit einem unabhängigen Vertragspartner nicht erzielbar gewesen wäre. Eine höhere Rendite hätte, nach Auffassung der Experten, unter Würdigung der in der Zeit des Baubeschlusses für die X.-AG gegebenen energiewirtschaftlichen Verhältnisse das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung für die Strombezüger gestört und die letzteren im damaligen Zeitpunkt zum Verzicht auf die Vertragsabschluss und zu einer Verschiebung der Erstellung des Kraftwerks führen müssen (S. 32). Es ist daher davon auszugehen, dass jedenfalls bei der 1929 im Gründungsvertrage getroffenen Ordnung das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gewahrt ist und dass deshalb im Rahmen der ursprünglichen Ordnung eine Gewinnvorwegnahme nicht in Frage kommen kann.
Nun ist aber, entgegen der im Jahre 1929 getroffenen Ordnung, die im Gründungsvertrage als zu vergütender Kostenbestandteil vorgesehene Dividende von 6% des Aktienkapitals nicht aufrechterhalten worden. Die Partner und Strombezüger haben der X.-AG, ungeachtet der Ordnung im Gründungsvertrag, von der Betriebseröffnung an nur 4% ausgerichtet, und bei der Revision des Gründungsvertrages im Jahre 1939 wurde die feste Dividende überhaupt aufgegeben. Im Verhältnis zwischen der X.-AG als
BGE 82 I 288 S. 296
Stromlieferant und den Partnern als Strombezügern, das die steuerliche Betrachtung bestimmt, ist die Änderung der Herabsetzung einer vertraglich festgesetzten Leistung gleichzuachten. Es kommt darauf an, ob die Änderung geschäftsmässig begründet war, d.h. ob sie die Strombezüger auch hätten durchsetzen können, wenn die Stromlieferantin X.-AG eine unabhängige Unternehmung gewesen wäre. Die Änderung des Ansatzes der Dividende, für die die Strombezüger aufzukommen haben, wird begründet mit dem Sinken der Obligationenzinse. Indessen kann hierin kein Grund für eine Änderung der Abmachung über einen fest zugesicherten Dividendensatz liegen. Wenn auch im Zeitpunkt der Gründung der Ansatz für die zugesicherte Dividende im Hinblick auf die damaligen Verhältnisse am Obligationenmarkt bestimmt wurde und diese Ordnung, wie mit den bundesgerichtlichen Experten anzunehmen ist, wirtschaftlich gerechtfertigt war, so erscheint es doch als unwahrscheinlich, ja als ausgeschlossen, dass ein Sinken der Obligationenzinse zwingend zu einer Änderung der zugesicherten Dividende führen musste. Einem mit dem Hinweis auf die Veränderungen am Obligationenmarkt begründeten Begehren der Strombezüger auf Dividendenherabsetzung hätte eine unabhängige Stromlieferantin mit Grund entgegengehalten, dass der Rückgang der Obligationenzinse eine Senkung der Produktionskosten bewirke, den Strombezügern bereits eine wesentliche Erleichterung bringe, und dass sich im übrigen eine Dividende von 6% durchaus im Rahmen der bei andern Unternehmungen der Elektrizitätswirtschaft erzielten Geschäftsergebnisse halte. Unter unabhängigen Vertragsparteien hätte sich unter diesen Umständen die Herabsetzung der Dividende nicht durchsetzen lassen. Sie war nur möglich, weil die Strombezüger als Partner des Gründungsvertrages und alleinige Aktionäre über die Verhältnisse der X.-AG einseitig bestimmen.
Dass bei den Partnerwerken der Elektrizitätswirtschaft die Beschränkung der von den Partnern in den Jahreskosten
BGE 82 I 288 S. 297
aufzubringenden Rendite auf einen geringfügig über dem Obligationenzinsfuss stehenden Minimalbetrag wirtschaftlich an sich gerechtfertigt ist und eine mögliche Ordnung des Verhältnisses zwischen den strombeziehenden Partnern und dem Werk als Stromlieferantin wäre, ist hier, entgegen den Darlegungen in den Gutachten, nicht entscheidend. Dies deshalb, weil die Partner durch die 1929 der X.-AG erteilte Dividendengarantie für die Dauer des Vertrages gebunden waren und die X.-AG diese Garantie nicht aufgeben konnte, ohne ihre wohlverstandenen Interessen offensichtlich zu verletzen. Die Aufgabe der Garantie zugunsten der Aktionäre war nur möglich, weil diese die X.-AG beherrschten. Einem Dritten wäre sie nicht gewährt worden. Zufolge Aufhebung der bei Errichtung der Unternehmung eingeräumten Garantie einer Dividende von 6% wird der X.-AG die ihr normalerweise zustehende Entschädigung für die Stromlieferungen an ihre Aktionäre entzogen, was dazu führt, dass die in den Berechnungsjahren für die II. Wehrsteuerperiode ausgewiesenen Reingewinne für die Steuerberechnung um die der X.-AG entgehenden Gewinnbeträge, also um die Differenz zwischen dem Betrage einer Dividende von 6% des Aktienkapitals und dem Betrage der tatsächlich vergüteten Dividenden, erhöht werden müssen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d470b1fc-c483-44c1-ae0a-96278d8e524d | Urteilskopf
118 Ib 269
34. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 3 août 1992 dans la cause M. contre Office fédéral de la police (recours de droit administratif). | Regeste
Übertragung der Strafverfolgung an das Ausland.
Die
Art. 88 und
Art. 89 IRSG
, welche die Übertragung der Strafverfolgung an einen ausländischen Staat regeln, sind in allen Fällen anwendbar, in denen die Schweiz ein Ersuchen in diesem Sinne stellt, selbst wenn der ersuchte Staat originäre Gerichtsbarkeit ausübt (E. 1).
Ein Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung durch den ausländischen Staat muss durch einen Entscheid des Bundesamtes für Polizeiwesen eingeleitet werden, der Gegenstand einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden kann; der Verfolgte ist grundsätzlich beschwerdelegitimiert (E. 2).
Übertragung der Strafverfolgung an die Bundesrepublik Deutschland: Die Voraussetzungen dafür sind in casu erfüllt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 269
BGE 118 Ib 269 S. 269
M., double national suisse et allemand résidant dans le canton de Genève, était à la tête de trois sociétés procédant à des opérations
BGE 118 Ib 269 S. 270
financières, dont la succursale genevoise d'une société allemande. En été 1988, plusieurs plaintes ont été déposées contre M. auprès du Procureur général du canton de Genève (ci-après: le Procureur général); il lui était en substance reproché d'avoir émis des chèques non couverts pour rembourser des crédits accordés à ses sociétés ou pour régler certaines factures. Le juge d'instruction genevois chargé de l'enquête n'a pas pu entendre M., qui avait abandonné entre-temps son domicile.
M. a été arrêté le 27 avril 1989 en République fédérale d'Allemagne. Placé en détention préventive, il a ensuite été condamné à une peine de réclusion par un tribunal de Francfort-sur-le-Main. Par ailleurs, le 17 novembre 1989, le Tribunal d'Augsbourg (RFA) a décerné un mandat d'arrêt contre lui, dans le cadre d'une enquête ouverte sur dénonciation des organes de la société allemande dont il dirigeait la succursale genevoise, qui lui reprochaient d'avoir prélevé des sommes importantes sur les comptes de cette succursale, à son propre profit ou au bénéfice de ses autres sociétés. Le 4 décembre 1989, M. a été inculpé d'abus de confiance ("Untreue", § 266 du code pénal allemand). Dans cette même affaire, le Parquet d'Augsbourg a adressé une commission rogatoire au Procureur général, aux fins d'obtenir des renseignements sur l'instruction dirigée en Suisse contre M. Le 3 mai 1990, le juge d'instruction genevois a répondu qu'une fois son enquête close, il proposerait au ministère public de dénoncer à l'autorité allemande les faits retenus contre M. Le 27 juin 1990, le Procureur général s'est adressé à l'Office fédéral de la police (ci-après: l'office fédéral) en requérant que la compétence de poursuivre et de juger M. pour les infractions commises en Suisse soit déléguée aux autorités allemandes. Le 16 juillet 1990, l'office fédéral a transmis au Ministère de la justice du Land de Hesse (RFA) une demande formelle de délégation de la poursuite pénale ("Strafübernahmebegehren") à l'Allemagne.
A plusieurs reprises, M. a écrit au juge d'instruction genevois pour obtenir que sa cause soit instruite en Suisse. Par lettre du 25 septembre 1990, l'office fédéral a informé M. que la demande de délégation de la poursuite pénale avait été acceptée par le Ministère de la justice du Land de Hesse. L'office fédéral a précisé que tant les autorités suisses que les autorités allemandes pouvaient exercer en l'espèce une compétence pénale originaire et qu'ainsi aucune voie de droit n'était ouverte, à défaut de procédure formelle de délégation et de décision attaquable. M. a écrit le 29 septembre 1990 à l'office fédéral, en déclarant néanmoins former un recours et en renouvelant
BGE 118 Ib 269 S. 271
sa demande d'être extradé à la Suisse pour être jugé à Genève. Le 8 octobre 1990, l'office fédéral lui a répondu que, pour ce qui le concernait, l'affaire était liquidée.
Le 3 janvier 1991, M. a adressé un recours à la Chambre d'accusation du canton de Genève, en contestant la délégation de la poursuite à l'Allemagne. Le 26 avril 1991, le Président de la Chambre d'accusation a classé le recours, au motif qu'une décision de dessaisissement du Procureur général ne pouvait faire l'objet d'un pourvoi devant cette juridiction. M. s'est adressé le 14 juin 1991 au Tribunal fédéral, en demandant que les autorités judiciaires genevoises soient astreintes à reprendre l'instruction de sa cause et en se plaignant d'un déni de justice ainsi que d'une violation, par les autorités genevoises, de son droit d'être entendu. Par décision du 3 septembre 1991, la Ire Cour de droit public lui a accordé l'assistance judiciaire et lui a désigné un avocat d'office.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours de droit administratif dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Dans les relations entre la République fédérale d'Allemagne et la Suisse, l'entraide judiciaire est régie par la Convention européenne d'entraide judiciaire (la Convention européenne, ou CEEJ; RS 0.351.1) et l'accord bilatéral complémentaire conclu le 13 novembre 1969 entre ces deux Etats (l'accord complémentaire, ou AC - entré en vigueur le 1er janvier 1977; RS 0.351.913.61). La loi fédérale du 20 mars 1981 sur l'entraide internationale en matière pénale (EIMP; RS 351.1) s'applique aux questions qui ne sont réglées ni expressément ni implicitement par le droit conventionnel (
ATF 117 Ib 55
consid. 1a,
ATF 116 Ib 91
consid. 1a).
b) Parmi les mesures que prévoit la Convention européenne figure la "dénonciation aux fins de poursuites", adressée par un Etat contractant à un autre Etat, en vue d'une poursuite devant les tribunaux de ce dernier Etat (titre VI,
art. 21 CEEJ
). Un autre accord multilatéral, la Convention européenne sur la transmission des procédures répressives, entrée en vigueur le 30 mars 1978, règle plus précisément la "transmission des poursuites" entre Etats contractants. Ni la Suisse, ni la République fédérale d'Allemagne n'ont cependant ratifié cette convention, mais ces deux Etats en ont repris les points essentiels et les principes fondamentaux dans l'accord complémentaire
BGE 118 Ib 269 S. 272
à la Convention européenne d'entraide judiciaire. L'art. XII AC, qui se rapporte à l'
art. 21 CEEJ
, précise que "l'Etat requis de poursuivre un de ses nationaux ou une personne résidant habituellement sur son territoire, à raison d'une infraction commise sur le territoire de l'Etat requérant, ne peut refuser de poursuivre en prenant motif exclusivement de ce que les faits ont été commis à l'étranger" (al. 1); cette disposition fixe aussi des conditions formelles (al. 4 et 5): la demande doit être accompagnée des actes, des moyens de preuve et d'une copie des dispositions pénales en vigueur; l'Etat requérant doit être informé de la suite donnée. L'art. XII AC prévoit encore que l'acceptation de la poursuite restreint l'exercice du pouvoir répressif de l'Etat requérant: lorsqu'une poursuite pénale a été ouverte dans l'Etat requis, les autorités de l'Etat requérant ne peuvent ni poursuivre le prévenu ni exécuter une décision rendue contre lui à raison des mêmes faits délictueux si la procédure a été définitivement suspendue pour des motifs de droit matériel (al. 6 let. a), si le prévenu a été acquitté par un jugement passé en force (al. 6 let. b), s'il a subi la peine prononcée, si cette peine a été remise ou si elle est prescrite (al. 6 let. c) et tant que l'exécution de la peine est partiellement ou totalement suspendue ou que le prononcé d'une peine est différé (al. 6 let. d). Cette disposition règle encore notamment les conséquences d'un retrait de la demande de poursuite (al. 7). Enfin, l'art. XII AC s'applique également aux procédures régies par l'art. 6 par. 2 de la Convention européenne d'extradition, soit lorsque l'Etat requis doit refuser l'extradition parce que la personne poursuivie est un de ses ressortissants (al. 9).
c) La quatrième partie de la loi fédérale sur l'entraide internationale en matière pénale est consacrée à la délégation de la poursuite pénale. Les
art. 85 ss EIMP
règlent l'acceptation par la Suisse et les
art. 88 et 89 EIMP
la délégation à l'étranger. Aux termes de l'
art. 88 EIMP
, un Etat étranger peut être invité à assumer la poursuite pénale d'une infraction relevant de la juridiction suisse si sa législation permet de poursuivre et de réprimer judiciairement cette infraction et si la personne poursuivie réside dans cet Etat, son extradition étant inopportune ou exclue (let. a) ou si elle est extradée à cet Etat et que le transfert de la poursuite pénale permette d'escompter un meilleur reclassement social (let. b). L'
art. 89 EIMP
décrit les effets de la délégation de poursuite; il précise en particulier que, lorsqu'un Etat étranger accepte la poursuite pénale, les autorités suisses s'abstiennent en principe de toute autre mesure à raison des mêmes faits contre la personne poursuivie.
BGE 118 Ib 269 S. 273
Selon le Message du Conseil fédéral à l'appui de la loi fédérale (FF 1976 II 430 ss), la délégation vise à prévenir l'inconvénient de plusieurs poursuites pénales ouvertes en raison d'infractions tombant sous la juridiction de plusieurs Etats et à améliorer les chances de reclassement social (FF 1976 II 454). Les
art. 85 ss EIMP
ne règlent l'acceptation par la Suisse de la poursuite pénale d'infractions commises à l'étranger que si la poursuite ne découle pas d'un pouvoir juridictionnel originaire (art. 4 à 6bis CP); il s'agit d'un pouvoir juridictionnel subsidiaire et qui ne peut être exercé que si l'Etat où l'infraction a été commise le demande (FF 1976 II 432). Contrairement aux dispositions sur l'acceptation, celles qui régissent la délégation de la poursuite pénale à un Etat étranger portent sur tous les cas où la Suisse peut être amenée à présenter une demande de ce genre; il importe peu que la poursuite pénale exercée par l'Etat requis à la suite de l'acceptation de la demande se fonde dans cet Etat sur une juridiction originaire propre, sur une juridiction supplétive découlant de la Convention européenne ou sur une juridiction nationale subsidiaire (FF 1976 II 455). L'
art. 88 EIMP
fixe donc, de manière générale, les conditions auxquelles est subordonnée la délégation par la Suisse de la poursuite pénale à un autre Etat, même lorsque l'Etat requis doit exercer une juridiction originaire pour donner suite à la demande qui lui a été adressée (cf. CURT MARKEES, Entraide internationale en matière pénale, la loi fédérale du 20 mars 1981, FJS 424a, p. 2 et 7).
d) Le Tribunal fédéral a jugé cependant, dans une espèce où la Suisse avait extradé une personne soupçonnée d'infractions en matière de stupéfiants, qu'il n'y avait pas lieu, dans ces conditions, d'inviter l'autre Etat à accepter une délégation de la poursuite pénale pour les faits qui s'étaient produits en Suisse (
ATF 112 Ib 152
consid. 5d). Le motif de cette exception à la règle (cf. consid. 1c in fine supra) réside dans le principe de l'"universalité" prévalant dans ce domaine du droit pénal spécial (cf.
art. 19 ch. 4 LStup
), la compétence répressive de l'autre Etat s'étendant, en vertu d'une convention internationale, à l'ensemble des faits délictueux (
ATF 116 IV 246
ss consid. 2; cf. aussi
art. 6bis CP
). Dans un autre arrêt, auquel se réfère d'ailleurs l'office fédéral dans sa lettre du 25 septembre 1990 au recourant, le Tribunal fédéral a confirmé cette jurisprudence, en précisant qu'elle s'appliquait en matière de stupéfiants, mais non en ce qui concerne les infractions contre le patrimoine, qui relèvent de la compétence des autorités suisses (en vertu des art. 3 à 6 CP); la poursuite à l'étranger
BGE 118 Ib 269 S. 274
est alors soumise aux conditions de l'
art. 88 EIMP
(arrêt du 19 novembre 1986 en la cause G., consid. 2 non publié aux
ATF 112 Ib 339
ss).
2.
a) La procédure applicable et les voies de droit en matière de délégation sont réglées dans la partie générale de la loi fédérale. Aux termes de l'
art. 30 al. 2 EIMP
, la demande suisse de délégation de poursuite pénale ressortit à l'office fédéral, qui agit sur requête de l'autorité cantonale. L'
art. 25 al. 2 EIMP
, sous le titre "recours de droit administratif", dispose ce qui suit:
"Le recours n'est recevable contre une demande suisse adressée à un Etat
étranger que si elle est présentée aux fins de lui faire assumer la
poursuite pénale ou l'exécution d'un jugement. Dans ce cas, seule la
personne poursuivie a le droit de recourir."
Il découle des deux dispositions précitées qu'une requête tendant au transfert de la poursuite pénale à un Etat étranger doit être introduite par une décision de l'Office fédéral de la police pouvant faire l'objet d'un recours de droit administratif (
ATF 112 Ib 142
consid. 3b).
b) La demande du 27 juin 1990 du Procureur général à l'office fédéral est donc une requête de l'autorité cantonale au sens de l'
art. 30 al. 2 EIMP
; le Procureur général s'est d'ailleurs expressément référé à l'
art. 88 EIMP
. L'office fédéral a alors formé le 16 juillet 1990 une demande de délégation, qui a abouti le 6 septembre 1990 à une décision d'acceptation de la part du Ministère de la justice du Land de Hesse, ce dont le recourant a été informé le 25 septembre 1990. Les autorités cantonales et fédérale, comme celles de l'Etat requis, ont manifestement suivi la procédure applicable à une délégation de la poursuite pénale; elles ne se sont pas contentées, pour donner suite à la commission rogatoire du Parquet d'Augsbourg, d'une communication de renseignements et d'actes de procédure au sens des
art. 63 ss EIMP
. Dans ces conditions, nonobstant l'opinion de l'office fédéral, sa demande du 16 juillet 1990 est une décision ouvrant la voie du recours de droit administratif.
Les autorités genevoises n'ont en revanche pas pris de décision au sens des
art. 21 ss EIMP
. Conformément à l'art. 36 de la loi genevoise d'application du code pénal, il appartient au Procureur général de proposer à l'office fédéral la délégation d'une poursuite à un Etat étranger. L'
art. 190 A CPP
gen. énumère les décisions du Procureur général susceptibles de recours à la Chambre d'accusation: la requête à l'office fédéral n'y est pas mentionnée. En outre, le droit fédéral n'impose pas aux cantons de prévoir à cet égard une procédure
BGE 118 Ib 269 S. 275
de décision et une voie de recours (cf.
ATF 112 Ib 141
consid. 3). Dans cette mesure, c'est à juste titre que le recours de M. à la Chambre d'accusation a été déclaré irrecevable.
c) La décision de l'office fédéral a été communiquée au recourant le 25 septembre 1990, après l'acceptation de la poursuite par les autorités allemandes, sans indication des voies de droit. Le 29 septembre 1990, M. a adressé un recours à l'office fédéral. Les décisions des autorités fédérales doivent indiquer les voies de droit (
art. 35 al. 1 PA
) et un défaut à cet égard ne peut entraîner aucun préjudice pour les parties (
art. 107 al. 3 OJ
). Au demeurant, le délai pour déposer un recours de droit administratif (
art. 106 OJ
) est observé lorsque l'acte est adressé non pas au Tribunal fédéral, mais à l'autorité qui a rendu la décision (
art. 107 al. 1 et 2 OJ
). Le recours a donc été formé en temps utile.
d) La personne poursuivie a en principe qualité pour recourir (
art. 25 al. 2 EIMP
). Quand bien même la délégation a déjà été acceptée par l'Allemagne et que M. y est détenu depuis le début de la procédure, ce dernier a un intérêt actuel et digne de protection à ce que le Tribunal fédéral contrôle si les conditions légales et conventionnelles ont été respectées (
art. 103 let. a OJ
; cf. arrêt du 23 avril 1986 en la cause X., consid. 1c non publié aux
ATF 112 Ib 137
ss, cité par MARKEES, op.cit., p. 7). On ne saurait soumettre la qualité pour recourir à l'exigence supplémentaire que la personne poursuivie ait sa résidence habituelle en Suisse. L'avant-projet de loi fédérale posait certes cette condition (art. 15 al. 4), mais la restriction n'a été reprise ni dans le projet du Conseil fédéral (art. 21 al. 2), ni dans l'
art. 25 al. 2 EIMP
en vigueur (cf. MARKEES, op.cit., p. 7/8); il suffit de constater que le texte légal est clair à cet égard. Vu l'issue de la cause, il ne se justifie pas d'examiner les conséquences éventuelles d'une annulation de la décision de l'office fédéral.
e) Le Tribunal fédéral examine librement si les conditions pour accorder une mesure d'entraide sont réunies et il n'est pas lié par les conclusions des parties (
art. 25 al. 6 EIMP
;
ATF 117 Ib 56
consid. 1c et les arrêts cités).
3.
a) Le recourant se plaint d'une violation de son droit d'être entendu dans la procédure de délégation qui a abouti à la décision de l'office fédéral: il n'aurait pas pu consulter le dossier et on lui aurait refusé à tort l'assistance d'un avocat et d'un interprète. Il n'est pas nécessaire d'examiner ces griefs, car le Tribunal fédéral a désigné au recourant un avocat d'office, qui a pu consulter le dossier et déposer des écritures complémentaires. En effet, les éventuels défauts de
BGE 118 Ib 269 S. 276
la procédure de décision à cet égard ont pu être réparés devant le Tribunal fédéral, qui jouit du même pouvoir d'examen que l'autorité intimée (
ATF 117 Ib 87
consid. 4, 116 Ib 44 consid. 4e et les arrêts cités). En outre, on doit remarquer que dans ses écritures au recourant ou à la Cour de céans, l'office fédéral s'est exprimé en allemand, langue que maîtrise le recourant.
b) Le recourant s'oppose à la délégation en invoquant sa nationalité suisse et le lieu de commission - Genève - des délits qui lui sont reprochés. Aux termes de l'
art. 88 EIMP
, la délégation de la poursuite pénale est subordonnée à la condition que la législation de l'Etat étranger permette de poursuivre et de réprimer judiciairement l'infraction en question; un tel examen ne peut se faire qu'in abstracto (cf. MARKEES, op.cit., p. 9). Le code pénal allemand connaît aussi le délit d'escroquerie (§ 263, "Betrug"), ce que le recourant ne conteste pas; le Ministère de la justice du Land de Hesse a du reste accepté la délégation sur la base d'un exposé des faits accompagné du dossier d'instruction et de la définition légale de l'escroquerie en droit suisse (
art. 148 CP
). Par ailleurs, la personne poursuivie peut avoir, comme M., à la fois la nationalité de l'Etat requis et la nationalité suisse (cf. MARKEES, op.cit., p. 8). En application de l'
art. 88 let. a EIMP
, la délégation est soumise à la condition que la personne poursuivie réside dans l'Etat requis, son extradition à la Suisse étant inopportune ou exclue (cf. consid. 1c supra). Depuis qu'il a été placé en détention en Allemagne le 27 avril 1989, dans le cadre d'une autre affaire, M. a sa résidence, au sens des art. XII al. 1 AC et
art. 88 let. a EIMP
, dans ce pays.
On peut se demander si, en l'occurrence, l'extradition est "exclue" au sens de l'
art. 88 let. a EIMP
. Une extradition imposée à l'intéressé par la République fédérale d'Allemagne n'entre pas en considération. L'office fédéral n'a présenté aucune demande dans ce sens et le recourant, qui réclame son extradition, n'a comme poursuivi pas qualité pour la demander (cf. par analogie
ATF 117 Ib 215
consid. 3b/cc) ni pour former à ce sujet un recours de droit administratif (art. 25 al, 3 EIMP a contrario). Au surplus, M. a la nationalité allemande; or, l'art. 6 de la Convention européenne d'extradition (RS 0.353.1) donne à chaque partie contractante la faculté de refuser l'extradition de ses ressortissants et la République fédérale d'Allemagne a émis une réserve en précisant que l'extradition de ressortissants allemands, interdite par sa Loi fondamentale, devait être refusée dans tous les cas. En outre, de toute manière, il faut considérer que l'opportunité, mentionnée comme condition alternative dans la
BGE 118 Ib 269 S. 277
loi, commandait en l'occurrence un rattachement de la cause avec celles jugées par les autorités allemandes, en raison de la nationalité allemande (à côté de la suisse) du poursuivi, de son absence de liens avec le canton de Genève, de sa méconnaissance de la langue française, de l'existence de poursuites en République fédérale d'Allemagne contre lui et de la connexité évidente entre les faits reprochés dans les procédures allemande et suisse. La décision attaquée échappe donc à la critique. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4759954-0cf1-40dc-8cfb-3af7dca5c481 | Urteilskopf
100 V 140
35. Urteil vom 5. September 1974 i.S. I. gegen Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 17 lit. c und
Art. 20 Abs. 3 AHVV
.
Beitragspflicht des Kommanditärs als Selbständigerwerbender (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 140
BGE 100 V 140 S. 140
A.-
Die Einzelfirma I. wurde gemäss letztwilliger Verfügung des Inhabers nach dessen Tode mit Wirkung ab 1. Januar 1970 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Unbeschränkt haftende Gesellschafter sind die beiden Schwiegersöhne des Verstorbenen, Kommanditäre deren Ehefrauen sowie die beiden andern Töchter des Verstorbenen. Gemäss Gesellschaftsvertrag beträgt die Kommandite der vier Töchter je Fr. 500 000.--. Sie partizipieren ferner zu gleichen Teilen an den stillen Reserven, welche am Todestag (8. März 1968) Fr. 1 828 000.-- betrugen. Die Kapitaleinlagen werden zu 6% verzinst. An Gewinn und Verlust sind die unbeschränkt haftenden Gesellschafter mit je 10% beteiligt, während die Kommanditärinnen am Gewinn mit 17,5% und am Verlust mit 20% beteiligt sind. Mit Verfügungen vom 1. Februar 1972 unterstellte die Ausgleichskasse die Kommanditärinnen der Beitragspflicht als Selbständigerwerbende und erhob für das Jahr 1970 Sozialversicherungsbeiträge von je Fr. 12 650.40 zuzüglich Verwaltungskostenbeitrag.
BGE 100 V 140 S. 141
B.-
Hiegegen liessen die Betroffenen gemeinsam Beschwerde erheben mit dem Antrag, die Beitragsverfügungen seien aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie als nichtmitarbeitende Kommanditärinnen nicht beitragspflichtig seien.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Entscheid vom 16. November 1973 ab. Nach ständiger Praxis seien Bezüge des Kommanditärs auf der Kommandite in der Regel als beitragsfreier Kapitalertrag zu betrachten. Vorbehalten blieben Fälle, in denen der Kommanditär in der Gesellschaft entgegen der zivilrechtlichen Regel eine wirtschaftlich dominierende Stellung einnehme. Im zu beurteilenden Fall sei davon auszugehen, dass die Kommanditärinnen im Berechnungsjahr einen Gewinnanteil bezogen hätten, welcher eine angemessene Kommanditenverzinsung bei weitem übersteige. Gemäss Gesellschaftsvertrag trügen die Kommanditärinnen ein erhebliches Geschäftsrisiko; der Vertrag sehe ferner für wichtige Geschäfte eine Dreiviertel-Mehrheit sämtlicher Gesellschafter vor. Schliesslich spreche auch die quotenmässige Beteiligung der Beschwerdeführerinnen an Gewinn und Verlust für die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit.
C.-
Namens der Kommanditärinnen führt die Treuhandgesellschaft X Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügun-. gen vom 1. Februar 1972 seien aufzuheben und die Ausgleichskasse anzuweisen, "die Beschwerdeführerinnen von der Beitragsleistung für ihre Gewinnanteile ... ab 1970 freizustellen". In der Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, nach den gesetzlichen Bestimmungen seien lediglich die unbeschränkt haftenden Teilhaber einer Kommanditgesellschaft beitragspflichtig. Soweit die Praxis hievon Ausnahmen vorgesehen habe, seien die Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Von einer wirtschaftlich dominierenden Stellung der einzelnen Kommanditärin könne nicht gesprochen werden. Zunächst erweise sich der im Jahre 1970 bezogene Gewinnanteil von Fr. 225 908.-- (wovon Fr. 50 908.-- Anteil an Baureserve, welcher der Verfügung der Beschwerdeführerinnen entzogen sei) bei einer Einlage von 1-1,2 Millionen Franken nicht als offensichtlich übersetzt. Sodann könne eine Verlustbeteiligung von je 20% nicht als besonders hohes Geschäftsrisiko bewertet werden. Schliesslich sei die Dreiviertel-
BGE 100 V 140 S. 142
Mehrheit für wichtige Geschäftsbeschlüsse aus praktischen Gründen notwendig, "damit nicht die beiden Kommanditärinnen, deren Ehemänner als Komplementäre bei der Gesellschaft agieren, bereits über eine Mehrheit verfügen". Die Geschäftsführung obliege jedoch ausschliesslich den unbeschränkt haftenden Gesellschaftern; faktisch sei der Einfluss der Beschwerdeführerinnen auf die Kommanditgesellschaft daher äusserst gering.
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. In seiner Vernehmlassung vertritt das Bundesamt die Auffassung, der Gewinnanteil des Kommanditärs sei "grundsätzlich und allgemein als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zu betrachten, und zwar als solches des Kommanditärs selbst". Die Begründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Urteilserwägungen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 9 Abs. 1 AHVG
gilt als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit jedes Erwerbseinkommen, das nicht Entgelt für in unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt. Eine gesetzliche Umschreibung des Begriffs der selbständigen Erwerbstätigkeit fehlt; die Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) enthält indessen nähere Bestimmungen hiezu. So gehören nach Art. 17 lit. c in Verbindung mit
Art. 20 Abs. 3 AHVV
zum beitragspflichtigen Einkommen auch die Anteile der unbeschränkt haftenden Teilhaber von Kommanditgesellschaften, soweit die Bezüge den vom rohen Einkommen abziehbaren Kapitalzins (
Art. 18 Abs. 2 AHVV
) übersteigen. Nach der sich aus der Verordnung ergebenden Regelung ist das Einkommen des Kommanditärs grundsätzlich als Kapitalertrag zu betrachten, welcher nicht der Beitragspflicht aus selbständiger Erwerbstätigkeit untersteht. Ausnahmen von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung jedoch in folgenden Fällen angenommen:
a) Ist der Kommanditär zugleich Arbeitnehmer der Kommanditgesellschaft, gilt das dafür bezogene Entgelt als Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass zwischen dieser Tätigkeit und dem Gewinnanteil
BGE 100 V 140 S. 143
des Kommanditärs ein so enger Zusammenhang besteht, dass auch der Gewinnanteil zum Einkommen aus der unselbständigen Erwerbstätigkeit bei der Gesellschaft gehört (EVGE 1950 S. 205, 1953 S. 121, 1968 S. 103).
b) Erscheinen die Gewinnanteile des Kommanditärs - ökonomisch gesehen - ausnahmsweise nicht als Kapitalertrag auf der Kommandite, sondern als blosse Gewinnverwendung des Komplementärs zu Gunsten des Kommanditärs, sind die Gewinnanteile beitragsrechtlich als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit des Komplementärs zu betrachten (
BGE 100 V 22
sowie nicht publiziertes Urteil vom 9. Juni 1969 i.S. Bäsler).
c) Nimmt der Kommanditär - entgegen dem Regelfall - eine wirtschaftlich dominierende Stellung in der Gesellschaft ein, so gilt er bezüglich seiner Einkünfte aus der Kommandite als Selbständigerwerbender. Als Kriterien hiefür nannte die Rechtsprechung: Dispositionsbefugnis und Kontrollrecht (ZAK 1959 S. 332), volle oder teilweise Tragung des Geschäftsrisikos in Verbindung mit der Befugnis, betriebliche Dispositionen zu treffen (EVGE 1967 S. 225) sowie - allgemein - den persönlichen Einsatz des Kommanditärs an der Personengesamtheit (EVGE 1967 S. 90, ZAK 1968 S. 624).
2.
Das Bundesamt für Sozialversicherung übt grundsätzliche Kritik an dieser Rechtsprechung und vertritt die Auffassung, der Gewinnanteil des Kommanditärs sei stets als dessen Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zu betrachten. Zur Begründung verweist das Bundesamt auf die obligationenrechtliche Regelung, wonach der Kommanditär wie der Komplementär Eigentümer und Gläubiger zu gesamter Hand der Gesellschaftsaktiven sei und - vorbehältlich der Beschränkung nach aussen - solidarisch mit dem Komplementär für die Schulden der Gesellschaft hafte. Es sei daher unzutreffend, ihn als reinen Kapitalgeber oder Kapitalbeteiligten zu bezeichnen. Der Kommanditär könne vertraglich mit der Geschäftsführung betraut werden und habe - im Gegensatz zum stillen Gesellschafter - nach
Art. 600 Abs. 2 OR
ein unentziehbares Recht auf Mitwirkung bei Handlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgingen. Die Beteiligung des Kommanditärs an Gewinn und Verlust richte sich in erster Linie nach der Vereinbarung unter den Gesellschaftern und ergebe sich nicht allein aus der Höhe der Kommandite.
BGE 100 V 140 S. 144
Es gehe daher nicht an, den Gewinnanteil, welcher nicht allein vom Gesellschaftskapital abhängig sei, als Kapitalertrag auf der Kommandite zu betrachten. Der Gewinnanteil des Kommanditärs könne aber auch nicht im Sinne einer Gewinnverteilung als selbständiges Erwerbseinkommen des Komplementärs angesehen werden.
a) Gemäss ständiger Rechtsprechung hat sich die ahvrechtliche Beitragspflicht grundsätzlich nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten im Einzelfall und nicht nach zivilrechtlichen Kriterien zu richten. Auf die zivilrechtliche Erscheinungsform wirtschaftlicher Tatbestände kann nur soweit abgestellt werden, als der zu beurteilende Sachverhalt unter ahvrechtlichen Gesichtspunkten keine vom Regelfall abweichende Beurteilung erfordert (ZAK 1971 S. 506 Erw. 2, EVGE 1967 S. 225, ZAK 1959 S. 334).
b) Der Kommanditär ist grundsätzlich wie der unbeschränkt haftende Gesellschafter Teilhaber der Personengesellschaft. Nach den Bestimmungen des Obligationenrechts wird seine Stellung in der Gesellschaft indessen weitgehend von dispositivem Recht bestimmt, insbesondere was das Verhältnis der Gesellschafter unter sich betrifft (
Art. 598 Abs. 1 OR
). Das Innenverhältnis kann zudem wesentlich anders gestaltet sein als das Aussenverhältnis der Gesellschaft. Eine aktive Beteiligung des Kommanditärs an der Geschäftsführung ist von Gesetzes wegen nicht vorgesehen.
Art. 600 Abs. 2 OR
räumt dem Kommanditär lediglich ein Widerspruchsrecht gegen Handlungen der Geschäftsführung ein, welche über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen. Im übrigen ist der Kommanditär zur Geschäftsführung weder berechtigt noch verpflichtet (
Art. 600 Abs. 1 OR
); der Umfang seiner allfälligen Mitwirkungsrechte bestimmt sich ausschliesslich nach den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen. Volle Vertragsfreiheit besteht auch bezüglich der Beteiligung des Kommanditärs an Gewinn und Verlust (
Art. 601 OR
). Gemäss interner Abrede kann der Kommanditär sogar von jeglicher Verlustbeteiligung befreit werden (HARTMANN, Kommentar zum Zivilgesetzbuch N. 9 zu
Art. 601 OR
).
Demzufolge kann die Stellung des Kommanditärs im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und - wirtschaftlich gesehen - von einer blossen Kapitalbeteiligung bis zu einer dem Komplementär entsprechenden Stellung reichen
BGE 100 V 140 S. 145
(vgl. hiezu auch HARTMANN, a.a.O., N. 8 zu
Art. 594 OR
). Allein auf Grund der obligationenrechtlichen Bestimmungen lässt sich daher nicht zwingend auf eine Beitragspflicht des Kommanditärs als Selbständigerwerbender schliessen.
c) Zu dem vom Bundesamt für Sozialversicherung erhobenen Einwand, die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Beitragspflicht des Kommanditärs lasse sich nicht vereinbaren mit der Praxis betreffend die beitragsrechtliche Erfassung der Gewinnanteile stiller Gesellschafter, ist festzuhalten, dass auch die Stellung stiller Gesellschafter im Einzelfall erhebliche Unterschiede aufweisen kann. Innerhalb derselben Kommanditgesellschaft kann sie wirtschaftlich derjenigen des Kommanditärs ähnlich sein oder sich hievon wesentlich unterscheiden. Es lässt sich daher nicht verallgemeinernd sagen, der Beitritt des stillen Gesellschafters als Kommanditär der Gesellschaft führe zu dessen Befreiung von der Beitragspflicht als Selbständigerwerbender. Vielmehr dürfte die Beitragspflicht regelmässig weiterbestehen, falls sich am Innenverhältnis - vorbehältlich der gesellschaftsrechtlich bedingten Anpassungen - nichts ändert.
3.
Wie das Gesamtgericht entschieden hat, ist aus diesen Gründen an der bisherigen Praxis der beitragsrechtlichen Erfassung der Gewinnanteile von Teilhabern an Kommanditgesellschaften grundsätzlich festzuhalten. Die Rechtsprechung bezüglich der ausnahmsweisen Beitragspflicht des Kommanditärs als Selbständigerwerbender ist in dem Sinne zu bestätigen und zu präzisieren, dass als massgebende Kriterien hiefür der Umfang der im Einzelfall bestehenden Dispositionsbefugnis und des Geschäftsrisikos zu gelten haben. Dem von der Rechtsprechung ebenfalls verwendeten Begriff des "Einsatzes mit der Person" kommt demgegenüber lediglich die Bedeutung eines zusätzlichen Abgrenzungskriteriums zu in Fällen, in welchen der Kommanditär ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung eine massgebende Stellung in der Gesellschaft einnimmt.
Das Gericht verkennt nicht, dass die bisherige Praxis mit Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden ist, die de lege ferenda eine einfachere Regelung als wünschenswert erscheinen lassen. Angesichts der sich aus den
Art. 17 lit. c und 20 Abs. 3 AHVV
ergebenden Ordnung, welche nicht als gesetzwidrig erachtet
BGE 100 V 140 S. 146
werden kann, ist es dem Richter indessen verwehrt, diesem Umstand durch Änderung der Rechtsprechung Rechnung zu tragen.
4.
Nach dem Gesagten ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens entscheidend, in welchem Umfange die Kommanditärinnen zu Dispositionen befugt sind und ein Geschäftsrisiko tragen. Zur Annahme einer Beitragspflicht aus selbständiger Erwerbstätigkeit müssen in der Regel beide Voraussetzungen erfüllt sein.
a) Laut Ziffer 8 des Gesellschaftsvertrages obliegt die Geschäftsführung den beiden unbeschränkt haftenden Gesellschaftern, welche nach Ziffer 9 des Vertrages auch sämtliche Gesellschaftsbeschlüsse zu fassen haben mit Ausnahme jener Beschlüsse, die kraft zwingenden Rechts von allen Gesellschaftern gemeinsam gefasst werden müssen. Eine Anzahl vertraglich genannter Geschäfte bedarf der Zustimmung von drei Vierteln sämtlicher Gesellschafter. Davon betroffen sind unter anderem finanziell bedeutsame Immobiliengeschäfte, Beteiligungen an anderen Unternehmungen, Neubauten, Ankauf von Maschinen und Betriebseinrichtungen, Aufnahme von Krediten, aber auch die Änderung der Saläre der Geschäftsführer. Da nach den gegebenen Verhältnissen zwei Stimmen genügen, um das Zustandekommen einer Dreiviertel-Mehrheit zu verhindern, ergibt sich hieraus für die Kommanditärinnen eine ins Gewicht fallende Dispositionsbefugnis. Die getroffene Regelung gestattet es insbesondere den zwei nicht mit einem der beiden Komplementäre verheirateten Kommanditärinnen, Geschäftsbeschlüsse im Rahmen der Vertragsbestimmung zu verhindern. Diese Befugnis geht wesentlich über das hinaus, was sich allein auf Grund der zwingenden gesetzlichen Bestimmungen ergibt. Die Voraussetzung einer besonderen Dispositionsbefugnis hat daher als erfüllt zu gelten. Hieran ändert nichts, dass die Kommanditärinnen nach den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ihren Einfluss auf die Geschäftsführung bisher kaum geltend gemacht haben; es genügt, dass sie auf Grund des Gesellschaftsvertrages hiezu in der Lage sind, falls sie es als notwendig erachten.
b) Die Kommanditärinnen sind laut Gesellschaftsvertrag vom 28. Mai 1971 mit einer Kommanditsumme von je Fr. 500 000.-- an der Gesellschaft beteiligt. Sie partizipieren ferner zu gleichen Teilen an den am Todestag des früheren
BGE 100 V 140 S. 147
Einzelinhabers vorhanden gewesenen stillen Reserven von Fr. 1 828 000.-- zuzüglich Goodwill im Betrage von Fr. 917 000.--. Am Gewinn sind die beiden unbeschränkt haftenden Gesellschafter mit je 10%, die Kommanditärinnen mit je 17,5% beteiligt; einen allfälligen Verlust haben sie mit je 20%, jedoch höchstens bis zum Betrage ihrer Kommanditsumme zu tragen (Ziffer 6 des Gesellschaftsvertrages). Die Kommanditärinnen sind somit quotenmässig zu einem erheblichen Teil an Gewinn und Verlust beteiligt. Ihr Geschäftsrisiko wird zwar durch die Beschränkung auf die Kommanditsumme, welche etwas weniger als die Hälfte der Kapitaleinlage ausmacht, gemildert, gewinnt jedoch insofern an Bedeutung, als die Beteiligungen der Kommanditärinnen einen wesentlichen Teil des Gesellschaftsvermögens ausmachen. Sie tragen nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung daher ein erhebliches Geschäftsrisiko, selbst wenn dieses auf die Kommanditsumme beschränkt bleibt.
Bei dieser Sachlage ist dem vorinstanzlichen Entscheid, wonach die Beschwerdeführerinnen für ihre Gewinnanteile der Beitragspflicht als Selbständigerwerbende unterstehen, beizupflichten. Die Kassenverfügungen vom 1. Februar 1972 bestehen daher zu Recht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d479647e-54ed-44eb-a848-4e6077b7ee4b | Urteilskopf
125 V 21
4. Arrêt du 4 février 1999 dans la cause Epoux F. contre CONCORDIA Assurance suisse de maladie et accidents et Tribunal des assurances du canton du Valais | Regeste
Art. 32,
Art. 33 Abs. 1 und 3 KVG
;
Art. 33 lit. a und c KVV
; Anhang 1 zur KLV: In-Vitro-Fertilisation (IVF) mit Embryotransfer (ET).
Laut Anhang 1 zur KLV gehört die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer nicht zu den obligatorisch zu Lasten der Versicherung gehenden Leistungen.
Richterliche Überprüfung, wenn der Gegenstand in einer Verordnung nach einem Listensystem geregelt ist.
In dieser Hinsicht besteht ein Unterschied gegenüber der unter der Herrschaft des KUVG gültig gewesenen Ordnung.
Im konkreten Fall haben der Bundesrat und das Eidg. Departement des Innern von der gesetzlich eingeräumten Befugnis korrekt Gebrauch gemacht, sodass kein Raum bleibt, die Würdigung durch die zuständige Behörde, welche sich im Übrigen auf die von Fachleuten vertretene Meinung stützt, durch eine andere zu ersetzen.
Daraus folgt, dass die In-Vitro-Fertilisation mit Embryotransfer keine zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehende Leistung darstellt. | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 125 V 21 S. 22
A.-
Les époux F. sont affiliés à la CONCORDIA, Assurance suisse de maladie et accidents, notamment pour l'assurance de soins médicaux et pharmaceutiques. Depuis 1992, l'époux souffre de stérilité (asthénozoospermie).
Par lettre du 29 avril 1996, les époux F. se sont adressés à leur caisse-maladie pour savoir dans quelle mesure et à quelles conditions celle-ci pourrait prendre en charge une fécondation in vitro et transfert d'embryons (FIVETE). Ils y exposaient avoir consulté le docteur G. de l'unité de stérilité du Département de gynécologie X où ils avaient entrepris, ambulatoirement, un tel traitement. Ils avaient en effet la volonté d'avoir un deuxième enfant.
La CONCORDIA leur a répondu qu'elle ne prenait pas en charge les frais liés à ce traitement, en expliquant qu'il ne s'agissait pas, au sens de la loi, d'un traitement d'une maladie. Après un échange de correspondance avec ses assurés, elle a rendu, le 13 août 1996, une décision formelle de refus de prise en charge, au motif principal que la FIVETE n'est pas un traitement scientifiquement reconnu. L'opposition formée par les époux F. a été rejetée par nouvelle décision, du 26 novembre 1996.
B.-
Par jugement du 9 mai 1997, le Tribunal des assurances du canton du Valais a rejeté le recours formé par les époux F. Il a retenu que, selon la jurisprudence, la FIVETE n'était toujours pas considérée comme une mesure scientifiquement reconnue.
C.-
Les époux F. interjettent un recours de droit administratif. Ils concluent à l'annulation du jugement cantonal et de la décision sur opposition du 26 novembre 1996, en demandant au tribunal de condamner la CONCORDIA à prendre en charge les frais de traitement de la FIVETE.
La CONCORDIA conclut au rejet du recours.
Dans ses observations du 16 septembre 1997, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) expose que la commission des spécialistes s'était prononcée
BGE 125 V 21 S. 23
dans le passé à deux reprises négativement sur la question de la prise en charge obligatoire par les caisses-maladie de ce traitement. La Commission fédérale des prestations générales (Commission des prestations) pourrait cependant être appelée à réexaminer, dans sa séance du mois de mars 1998, les deux questions controversées de l'efficacité et du caractère économique de la mesure, notamment sur la base d'une évaluation demandée à la Clinique gynécologique Z.
D.-
Par décision incidente du 22 octobre 1997, la cause a été suspendue jusqu'au 30 avril 1998, dans l'attente d'un préavis ou d'une décision éventuelle de la Commission des prestations.
Selon les renseignements donnés ultérieurement par l'OFAS (lettre du 29 juin 1998), la Commission des prestations a décidé, dans sa séance du 12 mars 1998, de s'adresser à la Commission fédérale des principes de l'assurance-maladie (Commission des principes) pour qu'elle se prononce sur la question de la justification sur le plan éthique et politico-social de la mise à contribution de l'assurance-maladie dans ce cas. A la majorité, cette commission avait conclu que, de ce point de vue, il n'y avait pas de raison de traiter différemment la FIVETE des autres méthodes de traitement de la stérilité. Mais il convenait de poser des conditions strictes pour son admission. Dès lors et au vu du débat en cours au Parlement sur la loi fédérale sur la procréation médicalement assistée, l'examen de cette question allait être repris par la Commission des prestations. Il n'y avait cependant pas à attendre de modifications de l'ordonnance avant l'an 2000.
Les parties n'ont pas fait usage de la possibilité qui leur a été donnée de prendre position sur cette écriture.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le Tribunal fédéral des assurances examine d'office les conditions dont dépend la qualité pour recourir et les conditions formelles de validité et de régularité de la procédure administrative, soit en particulier le point de savoir si c'est à juste titre que la juridiction cantonale est entrée en matière sur le recours ou sur l'action (
ATF 122 V 322
consid. 1).
Dans le cas particulier, se pose, à titre préalable, la question de savoir si la caisse-maladie était en droit de rendre une décision de constatation, susceptible de recours, sur le droit futur des assurés à des prestations de l'assurance-maladie.
BGE 125 V 21 S. 24
b) La recevabilité d'une demande en constatation suppose un intérêt digne de protection, qui n'existe que lorsque le requérant a un intérêt actuel, de droit ou de fait, à la constatation immédiate de son droit, sans que s'y opposent de notables intérêts publics ou privés, et à condition que cet intérêt digne de protection ne puisse pas être préservé au moyen d'une décision formatrice, c'est-à-dire constitutive de droits ou d'obligations (
ATF 121 V 317
sv. consid. 4a et les références). Il s'ensuit que l'intérêt digne de protection requis fait défaut, en règle ordinaire, lorsque la partie peut obtenir en sa faveur un jugement condamnatoire; en ce sens, le droit d'obtenir une décision en constatation est subsidiaire (
ATF 119 V 13
consid. 2a et les références citées).
En matière de prestations futures, l'existence d'un intérêt digne de protection est toutefois admise lorsque le justiciable serait enclin, en raison de l'ignorance de ses droits ou obligations, à prendre des dispositions ou au contraire à y renoncer, avec le risque de subir un préjudice de ce fait (
ATF 118 V 102
consid. 1).
Dans le domaine de l'assurance-maladie enfin, l'intérêt digne de protection à la constatation immédiate de l'étendue de prestations assurées fait généralement défaut s'agissant d'une demande d'un assuré formée dans l'abstrait, indépendamment de la nécessité, plus ou moins imminente, d'un traitement médical ou d'un séjour hospitalier (voir RAMA 1984 no K 579 p. 112; cf. aussi, dans un autre domaine: RCC 1980 p. 469 consid. 2).
Dans le cas d'espèce, les recourants auraient pu chercher à obtenir un jugement condamnatoire lorsqu'ils auraient été en mesure de faire valoir des prétentions découlant, à leurs yeux, de la loi et des statuts de la caisse. Toutefois, il existe actuellement déjà un intérêt digne de protection à la constatation immédiate de l'étendue des prestations assurées dès lors qu'ils ont entrepris un traitement de longue durée, onéreux, et qu'il ne se justifie pas, au regard d'autres intérêts opposés, d'y surseoir. C'est dès lors à juste titre que la juridiction cantonale est entrée en matière sur leur recours.
2.
Le 1er janvier 1996 est entrée en vigueur la LAMal, qui est applicable aux traitements effectués postérieurement à cette date (
art. 103 al. 1 LAMal
a contrario). C'est donc à la lumière de cette nouvelle loi qu'il faut trancher le présent litige (
ATF 124 V 197
consid. 1).
3.
Se fondant sur la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances, les juges cantonaux ont rejeté le recours, au motif principal que la FIVETE n'était pas une mesure scientifiquement reconnue.
BGE 125 V 21 S. 25
a) L'arrêt de principe du Tribunal fédéral des assurances, rendu le 2 février 1987 (
ATF 113 V 42
), se fonde en résumé sur les considérants suivants:
La stérilité et les troubles de la fertilité constituent une atteinte à la santé qui a la valeur d'une maladie au sens juridique du terme. Par traitement médical de la maladie, obligatoirement à la charge des caisses-maladie, il faut entendre, notamment, toute mesure diagnostique ou thérapeutique, reconnue scientifiquement, qui est appliquée par un médecin. La mesure doit en outre être appropriée à son but et économique.
Pour apprécier le caractère scientifique de la méthode de la FIVETE, le tribunal s'est référé à l'avis de la commission des spécialistes prévue par l'
art. 12 al. 5 LAMA
. Celle-ci était alors parvenue à la conclusion que ce traitement ne constituait pas un moyen scientifiquement reconnu de remédier aux effets de l'infertilité d'une femme en âge de procréer, étant donné que la technologie médicale restait encore à développer. Comme l'avis de cette commission relevait exclusivement de considérations d'ordre médical et qu'il n'apparaissait pas insoutenable, il n'y avait pas de raison de s'en écarter. Dès lors, la fécondation in vitro a été considérée comme revêtant, en Suisse tout au moins, un caractère essentiellement expérimental, ce qui, par définition, signifiait qu'elle n'était pas - ou pas encore - véritablement éprouvée par la science médicale. Au demeurant, le taux de réussite de la méthode était relativement faible (5 à 10 pour cent) et il existait par ailleurs, en cas de succès de la fertilisation, un risque non négligeable de grossesse anormale et une probabilité de naissances multiples, non souhaitées.
Dès lors que la FIVETE ne répondait pas à la définition jurisprudentielle de la mesure scientifiquement reconnue, une prise en charge des frais par la caisse-maladie était exclue. Dans ces conditions, les questions de savoir si la FIVETE représentait une mesure thérapeutique ou si la mesure satisfaisait à l'exigence du caractère économique ont été laissées indécises.
b) Dans son arrêt du 10 mars 1993 (
ATF 119 V 26
), le Tribunal fédéral des assurances a maintenu la jurisprudence précitée. Selon cet arrêt, le taux de succès de la méthode était certes en augmentation, mais ce critère ne saurait à lui seul être décisif. Du moment qu'en 1987 le tribunal s'était fondé sur l'avis négatif de la commission des spécialistes, il n'y avait, pour les mêmes raisons qu'alors, pas de motifs de s'écarter du nouvel avis de cette dernière. L'absence de résultats des travaux d'évaluation en cours ne permettait pas à la commission de se prononcer définitivement et, cas
BGE 125 V 21 S. 26
échéant, de réexaminer son point de vue. Dès lors, en l'état actuel des connaissances, il n'était pas possible d'affirmer que la FIVETE était une mesure scientifiquement reconnue, à la charge des caisses-maladie.
L'arrêt du 23 mai 1995 (RAMA 1995 no K 966 p. 133) a repris les principes exposés dans les arrêts susmentionnés pour conclure à nouveau que la FIVETE n'était pas à la charge de la caisse-maladie dès lors qu'elle ne constituait pas une mesure scientifiquement reconnue.
c) Il en va différemment pour l'insémination artificielle homologue, qui, suivant deux arrêts du 13 décembre 1995 (
ATF 121 V 289
et 302), constitue une mesure obligatoirement à la charge des caisses-maladie. Selon les considérants de ces arrêts, l'exclusion du domaine des prestations qui reposait sur le fait qu'il ne s'agissait pas d'une mesure thérapeutique parce qu'elle ne permettait pas de guérir les troubles existants de la stérilité, découlait de motifs juridiques inexacts dès lors que le traitement médical englobe aussi les thérapies symptomatiques de même que les mesures qui servent à l'élimination d'atteintes secondaires dues à la maladie. Il y avait ainsi lieu de s'écarter du préavis de la commission des spécialistes et de considérer que l'Ordonnance 9 du 18 décembre 1990 prise consécutivement par le Département fédéral de l'intérieur (DFI) ne se conciliait, sur ce point, ni avec la loi ni avec l'ordonnance (Ordonnance III sur l'assurance-maladie concernant les prestations des caisses-maladie et fédérations de réassurance reconnues par la Confédération [Ord. III], art. 21). Avec la reconnaissance du caractère thérapeutique de la mesure et la considération qu'il s'agissait d'un traitement scientifiquement reconnu, approprié à son but et économique, toutes les conditions d'une prise en charge obligatoire par les caisses-maladie étaient réunies. En revanche, le point de savoir si la FIVETE représente une mesure thérapeutique a été laissée ouverte (p. 297 consid. 6a et p. 307 consid. 6a).
4.
Avant d'examiner s'il y a lieu de procéder à un réexamen de cette jurisprudence comme le demandent les recourants, il importe de préciser le cadre légal dans lequel ces arrêts ont été rendus.
a) Jusqu'à la fin 1995, sous le régime de la LAMA, les caisses-maladie devaient prendre en charge, dans l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques, en cas de traitement ambulatoire, au moins les soins donnés par un médecin et les traitements scientifiquement reconnus auxquels procède le personnel paramédical sur prescription d'un médecin (art. 12 al. 2 ch. 1 let. a et b LAMA). Par soins donnés par un médecin obligatoirement à la
BGE 125 V 21 S. 27
charge des caisses conformément à la loi, il fallait entendre toute mesure diagnostique ou thérapeutique, reconnue scientifiquement, qui était appliquée par un médecin; ces mesures devaient être appropriées à leur but et économiques (art. 21 al. 1 Ord. III). Selon la jurisprudence, une méthode de traitement était considérée comme éprouvée par la science médicale - et, par conséquent, satisfaisait à l'exigence du caractère scientifiquement reconnu - si elle était largement reconnue par les chercheurs et les praticiens; l'élément décisif résidait dans l'expérience et le succès d'une thérapie déterminée (
ATF 123 V 58
consid. 2b/aa et les références). Si le caractère scientifique, la valeur diagnostique ou thérapeutique ou le caractère économique d'une mesure était contesté, le DFI, sur préavis de la commission des spécialistes, décidait si la mesure devait être prise en charge obligatoirement par les caisses (art. 21 al. 2 Ord. III). Il en allait de même pour les soins donnés par un médecin en cas d'hospitalisation au sens de l'
art. 12 al. 2 ch. 2 LAMA
.
Les décisions du DFI ont été publiées dans l'annexe à l'Ordonnance 9 de ce même département du 18 décembre 1990, concernant certaines mesures diagnostiques ou thérapeutiques à la charge des caisses-maladie reconnues (RO 1991 519). La liste ne contenait cependant pas une énumération exhaustive des mesures et traitements. Ces décisions reprenaient en général le texte des préavis de la commission des spécialistes.
b) La jurisprudence rendue à ce propos a admis que les avis de la commission ne liaient pas le juge. Toutefois, lorsqu'il s'agissait d'apprécier des situations qui relevaient exclusivement de considérations d'ordre médical, le juge n'était généralement pas en mesure de se prononcer sur la pertinence des conclusions auxquelles étaient arrivés les spécialistes en la matière. Aussi devait-il alors s'en remettre à l'opinion de ceux-ci, à moins qu'elle ne paraisse insoutenable (
ATF 120 V 123
consid. 1a,
ATF 119 V 31
consid. 4b et les références).
Avec l'Ordonnance 9 a été promulguée une réglementation qui reposait sur une subdélégation et qui liait en principe le juge, pour autant qu'elle fût conforme à la loi. En ce domaine, un certain pouvoir d'appréciation devait être réservé au département. Par conséquent, le juge ne déclarait contraire à la loi une décision du DFI et n'en censurerait l'application que si elle reposait sur une erreur d'appréciation évidente, en particulier en cas d'arbitraire dans l'appréciation du caractère scientifiquement reconnu de la mesure (
ATF 121 V 294
consid. 4a, 305 consid. 5a).
BGE 125 V 21 S. 28
Dans les cas cependant où une mesure médicale ou thérapeutique controversée ne figurait pas sur l'annexe à l'Ordonnance 9 et où il n'y avait pas de procédure d'évaluation en cours, il appartenait au juge, en vertu du principe inquisitoire, de mettre en oeuvre les expertises nécessaires en vue d'élucider la valeur thérapeutique du traitement litigieux (arrêt non publié G. du 23 mai 1996).
5.
a) Les
art. 32 ss LAMal
règlent dès le 1er janvier 1996 les conditions et l'étendue de la prise en charge des coûts par l'assurance obligatoire des soins. Selon l'
art. 32 LAMal
, les prestations doivent être efficaces, appropriées et économiques (al. 1). L'efficacité doit être démontrée par des méthodes scientifiques. L'efficacité, l'adéquation et le caractère économique sont réexaminés périodiquement (al. 2).
Dans la loi nouvelle, le critère d'efficacité a remplacé celui de la reconnaissance scientifique (
art. 23 LAMA
). Selon le message du Conseil fédéral concernant la révision de l'assurance-maladie du 6 novembre 1991, ce dernier critère est apparu inapproprié et imprécis, ce qui justifiait l'introduction à sa place du critère d'efficacité (FF 1992 I 140). Ce changement a donné lieu à des discussions nourries devant les Chambres, en relation avec les médecines complémentaires (voir à ce sujet, DUC, Médecines parallèles et assurances sociales, in : LAMal-KVG, Recueil de travaux en l'honneur de la Société suisse de droit des assurances, Lausanne 1997, p. 150 sv.). Il a été ainsi précisé, par rapport au projet du Conseil fédéral, que l'efficacité devait être établie par des méthodes scientifiques (voir
ATF 123 V 63
consid. 2c/bb). S'agissant de la médecine classique, le critère d'efficacité n'apporte pas fondamentalement de changement, la reconnaissance scientifique restant dans ce domaine le critère adéquat.
b) Aux termes de l'
art. 33 al. 1 LAMal
, le Conseil fédéral peut désigner les prestations fournies par un médecin ou un chiropraticien dont les coûts ne sont pas pris en charge par l'assurance obligatoire des soins ou le sont à certaines conditions. Cette disposition se fonde sur la présomption que médecins et chiropraticiens appliquent des traitements et mesures qui répondent aux conditions posées par l'
art. 32 al. 1 LAMal
(message, p. 141). Il incombe ainsi au Conseil fédéral de dresser une liste "négative" des prestations qui ne répondraient pas à ces critères ou qui n'y répondraient que partiellement ou sous condition.
Selon l'
art. 33 al. 3 LAMal
, le Conseil fédéral détermine d'autre part dans quelle mesure l'assurance obligatoire des soins prend en charge les coûts
BGE 125 V 21 S. 29
d'une prestation nouvelle ou controversée, dont l'efficacité, l'adéquation ou le caractère économique sont en cours d'évaluation.
A l'
art. 33 OAMal
et comme l'y autorise l'
art. 33 al. 5 LAMal
, le Conseil fédéral a délégué à son tour au DFI les compétences susmentionnées. Celui-ci a fait usage de cette sous-délégation en promulguant, le 29 septembre 1995, l'ordonnance sur les prestations dans l'assurance obligatoire des soins en cas de maladie (OPAS; RS 832.112.31). Cette ordonnance détermine notamment les prestations visées par l'art. 33 let. a et c OAMal - dispositions qui reprennent textuellement les règles posées aux al. 1 et 3 de l'
art. 33 LAMal
- dont l'assurance-maladie obligatoire des soins prend en charge les coûts, avec ou sans condition, ou ne les prend pas en charge.
La liste "négative" des prestations, soit de celles qui ne sont pas prises en charge par l'assurance-maladie, figure à l'annexe 1 OPAS (
art. 1er OPAS
); elle est constituée, pour une bonne part, par la reprise sans modification de la liste de l'annexe à l'Ordonnance 9 du 18 décembre 1990. On peut observer en passant que, contrairement apparemment au texte de l'
art. 33 al. 1 LAMal
et à l'idée du législateur (cf. message, p. 141) cette annexe contient également une liste positive des prestations prises en charge.
La réglementation nouvelle de la LAMal repose ainsi sur le principe de la liste. Ayant pour but de fixer précisément le catalogue légal des prestations, ce principe de la liste découle d'un système voulu par le législateur, selon l'
art. 34 LAMal
, comme complet et contraignant dès lors qu'il s'est agi d'une assurance obligatoire financée en principe par des primes égales (
art. 76 LAMal
). En dehors de ces listes, il n'y a pas d'obligation de prise en charge par la caisse-maladie (MAURER, Das neue Krankenversicherungsrecht, p. 50 ss).
6.
Il n'est pas contesté par les parties que, selon l'annexe 1 à l'OPAS, la fécondation in vitro et transfert d'embryon (FIVETE) est mentionnée comme n'étant pas obligatoirement à la charge de l'assurance, selon décision des 28 août 1986/1er avril 1994. La révision de l'OPAS et de son annexe, selon la novelle du 9 juillet 1998 (RO 1998 2923), n'a apporté aucune modification à cet égard. D'autre part, on a vu que la question faisait l'objet d'un réexamen approfondi par la Commission des prestations à l'intention du DFI, mais qu'une modification éventuelle de l'ordonnance n'était pas envisageable avant l'an 2000.
BGE 125 V 21 S. 30
Le litige porte dès lors sur le point de savoir si la prestation (FIVETE) peut néanmoins être mise à la charge de l'intimée au titre de l'assurance obligatoire des soins.
a) Le Tribunal fédéral des assurances examine en principe librement la légalité des dispositions d'application prises par le Conseil fédéral. Les dispositions adoptées par le DFI n'échappent pas au contrôle du juge, sous l'angle de leur légalité et de leur constitutionnalité. Lorsqu'il se prononce sur une ordonnance du Conseil fédéral fondée sur une délégation du Parlement (ou sur une ordonnance d'un département fédéral en cas de sous-délégation du Conseil fédéral), le Tribunal fédéral des assurances doit se borner à examiner si les dispositions incriminées sortent manifestement du cadre de la délégation de compétence donnée par le législateur à l'autorité exécutive ou si, pour d'autres motifs, elles sont contraires à la loi ou à la Constitution. Dans l'examen auquel il procède, le juge ne doit toutefois pas substituer sa propre appréciation à celle de l'autorité dont émane la réglementation en cause (
ATF 124 II 245
consid. 3, 124 V 15 consid. 2a, 123 II 44 consid. 2b, 476 consid. 4a).
Dans le cadre de ce contrôle, le Tribunal fédéral des assurances est en principe habilité à examiner le contenu d'une liste de maladies à prendre en considération ou de prestations. Néanmoins, il s'impose une grande retenue dans cet examen. En effet, l'ordonnance, souvent révisée, peut être corrigée à bref délai par le DFI (
ATF 124 V 195
consid. 6). D'autre part, dans ce système de la liste, le juge n'a pas la possibilité d'en étendre le contenu par un raisonnement analogique (cf. RAMA 1988 no U 61 p. 449 consid. 1; MAURER, op.cit., p. 50 sv.). Un complément reste en revanche possible, lorsque l'énumération donnée par la liste n'est pas exhaustive.
Dans ces conditions, la sécurité du droit, de même que l'égalité de traitement, postulent que l'annexe 1 à l'OPAS vaut comme liste complète des prestations non couvertes, du moins jusqu'à preuve concrète d'une lacune de la liste (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], ch. 197). Pour certaines prestations, la référence à une évaluation en cours a également pour but d'éviter l'insécurité lorsqu'il s'agit d'une mesure nouvelle ou controversée au sens de l'
art. 33 al. 3 LAMal
. L'établissement de cette liste requiert le concours de commissions consultatives de spécialistes (Commission fédérale des principes de l'assurance-maladie et Commission fédérale des prestations générales;
art. 37a OAMal
en corrélation avec l'
art. 33 al. 4 LAMal
). Le Tribunal fédéral des assurances, pour sa part, ne dispose pas des
BGE 125 V 21 S. 31
connaissances nécessaires pour se faire une opinion sur la question sans recourir à l'avis d'experts. Or, sous l'angle médical, les avis de la Commission des prestations sont propres à assurer au contenu de la liste une certaine homogénéité, qui ne serait donc plus garantie en cas de complètement de cette liste par le juge (
ATF 124 V 195
sv. consid. 6). On doit en déduire qu'il n'y a, en principe, plus de place pour un examen mené en parallèle par la voie judiciaire lorsque se pose la question des conditions d'admission dans des domaines médicaux complexes (EUGSTER, op.cit., ch. 197).
b) En l'espèce, quelles que soient les raisons qui ont poussé les auteurs de l'ordonnance à ne pas inclure la FIVETE parmi les mesures ou traitements à charge de l'assurance obligatoire des soins, on ne voit pas que cette solution sorte du cadre de la délégation du législateur ou soit contraire à l'
art. 4 Cst.
Au demeurant, l'annonce d'une procédure d'évaluation en cours, dans un domaine où les questions médicales sont extrêmement complexes, justifierait d'autant moins l'intervention du juge dans l'établissement de la liste sous le couvert d'un contrôle de la légalité.
L'argumentation des recourants repose sur une démonstration que la FIVETE répondrait aux critères de l'
art. 32 al. 1 LAMal
: efficacité, adéquation et caractère économique. Comme on l'a vu cependant, et contrairement au système en vigueur sous l'empire de la LAMA, l'examen par le juge, lorsque la matière est réglée par ordonnance et selon un système de listes, se limite au contrôle de la constitutionnalité et de la légalité. Or, le Conseil fédéral et le DFI ont fait un usage régulier de la compétence que leur confère la loi si bien qu'il n'y a pas place pour substituer une autre appréciation à celle de l'autorité compétente qui s'est fondée, au demeurant, sur l'avis de spécialistes. | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d47e7767-1bb2-47bd-97bc-e83d23629477 | Urteilskopf
88 IV 59
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Mai 1962 i.S. Puleo gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. | Regeste
Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB
.
Begriff der besondern Gefährlichkeit des Täters.
Es genügt, wenn mehrere Tatumstände gesamthaft betrachtet das qualifizierende Merkmal offenbaren. | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 88 IV 59 S. 59
Aus dem Tatbestand:
Puleo entschloss sich am Abend des 14. März 1961, als das Restaurant Warteck geschlossen und dessen Inhaber mit seiner Serviertochter zum Abendessen ausgegangen war, zusammen mit Speciali in der Wohnung des Wirtes einen Gelddiebstahl zu verüben. Während Stavola vor dem Restaurant Wache stand, kletterten sie von der Gartenseite her auf die Terrasse des Hauses, drückten die ins Parterre des Treppenhauses führende Türe ein, was ohne grossen Kraftaufwand gelang, und begaben sich im ersten Stock durch die Küche auf den Balkon, wo sie ohne besondere Mühe ein Fenster eindrückten und durch dieses in das Zimmer der Serviertochter einstiegen. Nachdem sie dort verschiedene Behältnisse durchsucht und eine Schranktüre leicht eingedrückt hatten, eigneten sie sich aus einer unter dem Bett befindlichen Schachtel einen Geldbetrag von rund hundert Franken an. Hierauf drangen sie mit Hilfe des am Türpfosten der Küche aufgehängten Schlüssels
BGE 88 IV 59 S. 60
in das Schlafzimmer des Wirtes, öffneten mit dem auf einem Schrank deponierten Schlüssel einen Wandtresor und stahlen daraus eine Geldsumme von ca. Fr. 7500.-- nebst einer Pistole samt Munition. Nach der Tat fuhren sie mit Stavola im Wagen des letztern an die Landesgrenze, worauf die beiden Haupttäter ins Ausland flüchteten.
Das Obergericht des Kantons Solothurn verurteilte am 7. November 1961 Puleo wegen qualifizierten Diebstahls im Sinne von
Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB
zu einer Zuchthausstrafe.
Der Verurteilte erblickt darin eine Gesetzesverletzung und beantragt mit der Nichtigkeitsbeschwerde, er sei in Anwendung von
Art. 137 Ziff. 1 StGB
nur wegen einfachen Diebstahls zu bestrafen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Diebstahl unterliegt der verschärften Strafandrohung des
Art. 137 Ziff. 2 StGB
, wenn die Tat die besondere Gefährlichkeit des Täters offenbart. Unter den Fällen, in denen dieser Qualifikationsgrund zutrifft, nennt das Gesetz als Beispiele den bandenmässig und den gewerbsmässig begangenen Diebstahl (Abs. 2 und 3). Alle übrigen Fälle, in denen das qualifizierende Merkmal der besonderen Gefährlichkeit des Täters in anderer Weise als durch die in Abs. 2 und 3 beschriebene Art der Begehung zum Ausdruck kommt, werden durch die allgemeine Bestimmung des Abs. 4 erfasst. Das Strafgesetzbuch anerkennt im Unterschied zu den früheren kantonalen Rechten besondere äussere Merkmale der Tat (Begehung zur Nachtzeit, Einschleichen, Einbrechen, Erbrechen von Behältnissen, Verwendung besonderer Werkzeuge usw.) nicht generell als Strafschärfungsgrund, aber sie können im Einzelfall die Anwendung von Ziff. 2 rechtfertigen (
BGE 71 IV 168
/9,
BGE 72 IV 116
), wenn sie den Schluss erlauben, dass die Gefährlichkeit des Täters einen überdurchschnittlichen, besondern Grad erreicht hat. Als besonders gefährrlich erscheint
BGE 88 IV 59 S. 61
der Dieb, wenn die Art seines Vorgehens, wobei auch der Tat vorausgehende und nachfolgende Umstände in Betracht fallen (
BGE 87 IV 115
Erw. c), Charaktereigenschaften aufdeckt, die in einem Masse auf eine asoziale Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit schliessen lassen, dass befürchtet werden muss, er werde auch bei anderen Gelegenheiten vor gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht zurückschrecken. Nicht nötig ist, dass schon ein einzelner Umstand für sich allein die besondere Gefährrlichkeit verrate; es genügt, wenn sie sich aus mehreren zusammen genommen ergibt (
BGE 77 IV 159
Erw. 3).
2.
Der Beschwerdeführer ist zu Recht wegen qualifizierten Diebstahls nach
Art. 137 Ziff. 2 Abs. 4 StGB
verurteilt worden. Er hat den Gelddiebstahl organisiert und geleitet, die Begehung in eine Zeit verlegt, während der die Bestohlenen zum Abendessen abwesend waren, und zu seiner eigenen Sicherung wie auch zur Gewährleistung des Erfolges besondere Massnahmen getroffen, indem er die Tat gemeinsam mit einem Helfer ausführte, einen Dritten vor dem Hause Wache stehen liess und am gleichen Abend im Auto des letztern an die Grenze fuhr, um sich durch Flucht ins Ausland der Verfolgung zu entziehen. Der Beschwerdeführer hat zudem, um in die abgeschlossene Wohnung zu gelangen und das dort vermutete Bargeld stehlen zu können, im Schutze der Dunkelheit eine Terrasse erklettert, im Parterre eine Türe und im ersten Stock einen Fensterflügel mit Gewalt eingedrückt und ungeachtet der Gefahr, durch die heimkehrenden Bewohner überrascht zu werden, verschiedene Räume und zahlreiche Behältnisse durchsucht. Dass keine besonderen Werkzeuge verwendet wurden und der Einbruchdiebstahl ohne grösseren Kraftaufwand und zum Teil mit vorgefundenen Schlüsseln möglich war, ist nicht entscheidend. Das zielstrebige und verwegene Vorgehen und die an den Tag gelegte Bereitschaft, Hindernisse mit Gewalt zu beseitigen, offenbaren - jedenfalls gesamthaft
BGE 88 IV 59 S. 62
gesehen - die besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers. Dies ist umsoweniger zweifelhaft, als der Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls bereits vorbestraft ist und er die neue Tat im Bestreben beging, ohne grosse Anstrengung Geldmittel zu erlangen, die ihm die Befriedigung unverhältnismässig hoher Lebensansprüche ermöglichen sollten. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d482aaaf-0e58-4e40-91e6-f986868cbc11 | Urteilskopf
82 II 477
65. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 13 septembre 1956 dans la cause Schlaeppi contre Schlaeppi. | Regeste
1. Innerhalb der durch
Art. 2 Abs. 2 ZGB
, betreffend Rechtsmissbrauch, gezogenen Schranken können die Ehegatten auf Grund von
Art. 214 Abs. 3 ZGB
durch Ehevertrag vereinbaren, dass der ganze Vorschlag des ehelichen Vermögens dem überlebenden Ehegatten zufalle. Eine solche Vereinbarung unterliegt keiner erbrechtlichen Herabsetzung. (Bestätigung der Rechtsprechung). (Erw. 1 und 2).
2. Übt der Ehemann während der Ehe als Eigentümer von Aktien ein mit diesen verbundenes Recht auf Zeichnung weiterer Aktien aus, so sind diese neu erworbenen Aktien mit dem ihnen beim Tode des Ehemannes zukommenden Werte in die Vorschlagsberechnung einzusetzen. (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 478
BGE 82 II 477 S. 478
A.-
Marc-Robert Schlaeppi, né le 2 janvier 1883, a eu deux enfants, Anne-Marie et Marc-René, du mariage qu'il a contracté avec Claire Müller le 5 avril 1909. Le divorce des époux Schlaeppi a été prononcé par jugement du 28 septembre 1932.
Le 27 février 1936, Marc-Robert Schlaeppi s'est remarié avec Alice-Joséphine Verdan, née le 27 janvier 1899. Aucun enfant n'est issu de cette union.
Marc-Robert Schlaeppi est décédé à Clarens le 16 janvier 1950. Il a laissé un testament olographe du 27 décembre 1948 qui contient notamment les dispositions suivantes:
"Article 2.
Je renvoie mes descendants à leur réserve légale et j'institue ma femme Alice Schlaeppi, née Verdan, comme mon héritière pour le maximum que la loi me permet de lui attribuer dans ma succession.
Ma femme aura en outre le droit de choisir ceux de mes biens qu'elle décidera pour constituer sa part successorale et sa part aux biens matrimoniaux; elle pourra également, comme il lui conviendra, exiger que parties de ses droits soient exercés en usufruit sa vie durant sur ceux de mes biens qu'elle décidera.
BGE 82 II 477 S. 479
Article 3.
Dans son lot, ma fille Anne-Marie aura le droit de demander l'attribution de la petite table à ouvrage venant de ma mère.
Article 4.
A titre de règle de partage, je prescris que ma femme Alice Schlaeppi, née Verdan, aura le droit, sa vie durant, d'habiter gratuitement l'appartement que nous occupons actuellement dans mon immeuble de Clarens; à cet effet, un droit d'habitation sera inscrit au Registre foncier pour lui garantir l'exercice de ses droits.
Article 5.
Je désigne comme mon exécuteur testamentaire Monsieur le notaire Georges Testaz à Montreux. .."
Le lendemain de la rédaction de son testament, le 28 décembre 1948, Marc-Robert Schlaeppi a conclu avec sa seconde femme un contrat de mariage ainsi conçu:
"Contrat de mariage
Par devant Georges Testaz, notaire à Montreux, pour le district de Vevey, comparaissent:
d'une part:
M. Marc-Robert fils de Marc Schlaeppi, de Boudry (Neuchâtel) et Gadmen (Berne), ingénieur, domicilié à Clarens, et
d'autre part:
son épouse Mme Alice Joséphine Schlaeppi, fille de François Verdan, des mêmes lieux d'origine et de domicile que le prénommé,
lesquels exposent préliminairement ce qui suit:
I. Ils se sont mariés à Montreux, le vingt-sept février mil neuf cent trente-six et n'ont jamais passé entre eux de contrat de mariage; ils se sont en conséquence soumis au régime matrimonial légal de l'union des biens (articles 178 et 194 suivants du code civil suisse).
II. Au moment du mariage, les apports des époux comparants étaient les suivants, ce que chacun d'eux accepte expressément, savoir:
pour l'époux: un capital net de quarante-sept mille francs (47 000 fr.)
pour l'épouse: une somme totale de six mille francs (6000 fr.) qu'elle a remise à son mari, ce dernier reconnaissant, par les présentes, devoir ladite somme à sa femme; la copie des présentes qui sera remise à l'épouse vaudra entre les mains de cette dernière comme reconnaissance de dette.
Jusqu'à ce jour, les époux comparants n'ont pas fait d'autres apports en mariage, en titres, valeurs ou espèces.
III. Les apports en mobilier des époux sont déterminés par les polices d'assurance contre l'incendie établies au nom de chacun des époux, les dites polices valant réciproquement comme reconnaissance d'apports entre les comparants.
Ceci exposé, les comparants conviennent de ce qui suit:
Article unique.
Le bénéfice prévu à l'article 214 du code civil suisse appartiendra en entier à l'époux survivant.
En paiement de ses apports et de sa part de bénéflce, l'époux
BGE 82 II 477 S. 480
survivant pourra demander l'attribution des biens matrimoniaux qu'il décidera.
En cas de dissolution de l'union conjugale pour une autre cause que le décès de l'un des époux, ledit bénéfice appartiendra en entier au mari.
Les comparants dispensent le notaire soussigné de faire inscrire le présent contrat au registre des régimes matrimoniaux."
Ce contrat a été approuvé par la Justice de paix du cercle de Montreux, en sa qualité d'autorité tutélaire, le 22 janvier 1949.
B.-
Le 3 mars 1951, Anne-Marie et Marc-René Schlaeppi ont ouvert action contre dame Alice Schlaeppi-Verdan pour faire reconnaître leur part réservataire dans la succession de leur père, prononcer la nullité, subsidiairement la réductibilité de la disposition du contrat de mariage du 28 décembre 1948 attribuant la totalité du bénéfice de l'union conjugale à l'époux survivant et fixer la consistance du patrimoine paternel. Dame Alice Schlaeppi-Verdan a conclu à ce que le partage des biens laissés par son mari fût opéré conformément aux clauses du contrat de mariage et du testament.
Par jugement du 7 avril 1956, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a notamment déterminé de quels biens se compose la succession et prononcé que les demandeurs sont héritiers réservataires de leur père, que leur part est, pour chacun d'eux, des 9/32 de la succession, que l'attribution à la défenderesse de la totalité du bénéfice de l'union conjugale constitue, à concurrence des 2/3 de ce bénéfice, une libéralité réductible, que l'attribution à la défenderesse des biens énumérés dans la police d'assurance incendie établie en son nom constitue une libéralité réductible, et que la défenderesse a le droit de prélever, dans la liquidation du régime matrimonial, ses apports en espèces par 6000 fr., les biens mobiliers dont elle établira qu'ils constituent ses apports et, réduction réservée, les biens énumérés dans la police d'assurance incendie à son nom et le bénéfice de l'union conjugale.
C.-
Contre ce jugement dame Alice Schlaeppi-Verdan a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut à
BGE 82 II 477 S. 481
ce qu'en modification de la décision attaquée il soit prononcé:
"1. L'attribution à la recourante par le contrat de mariage litigieux du 28 décembre 1948, de la totalité du bénéfice de l'union conjugale est valable et maintenue dans tous ses effets, dite attribution ne constituant pas une libéralité réductible.
2. Les droits des intimés, en leur qualité d'héritiers réservataires de feu Marc-Robert Schlaeppi, représentant pour chacun d'eux 9/32 (neuf trente-deuxièmes) de la succession, portent uniquement sur les apports du défunt, à l'exclusion du bénéfice réalisé au cours de l'union conjugale des époux Schlaeppi-Verdan, lequel bénéfice est attribué en entier à la recourante, avant tout partage.
3. Les apports de feu Marc-Robert Schlaeppi devant faire l'objet du partage entre parties ne comprennent pas les biens et valeurs ci-après:
a) 30 (trente) actions Ciba sur 60 (soixante) inventoriées au décès, ces trente actions rentrant dans le bénéfice de l'union conjugale.
b) ..."
Les intimés concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'arrêt RO 58 II 1, les époux mariés sous le régime de l'union des biens peuvent convenir par contrat de mariage, en vertu de l'art. 214 al. 3 CC, que tout le bénéfice reviendra au conjoint survivant, et cette disposition n'est pas réductible par application des règles du droit successoral.
Cette opinion est partagée par certains auteurs (GMÜR, Familienrecht, note 34 à l'art. 214, p. 612; ESCHER, Das Erbrecht, notes 6 à l'art. 462, p. 37/38, et 33 à l'art. 527, p. 459; ROSSEL et MENTHA, Manuel du droit civil suisse, vol. I, p. 374; LE FORT, Quotité disponible et réserve dans le code civil suisse, p. 118 et 121; DENZLER, Die Liquidation der Güterverbindung infolge Todes eines Ehegatten, p. 110/111; GUHL, Sicherung und Begünstigung der Ehegatten nach ehelichem Güterrecht und Erbrecht, Festschrift Tuor, p. 35) et combattue par d'autres (EGGER, Das Familienrecht, notes 18-20 à l'art. 214, p. 439; EGGER, Ehevertragliche Vereinbarungen über den Vorschlag, ZGB
BGE 82 II 477 S. 482
Art. 214 Abs. 3, Schweizerische Zeitschrift für Beurkundungs- und Grundbuchrecht, 33, 1952, p. 172/173; CAVIN, Régime matrimonial et droit de succession, Mélanges Guisan, p. 105 ss.; RÜSCH, Die Begünstigung des überlebenden Ehegatten, p. 24; SUTTER, Die Abgrenzung des Ehevertrages gegenüber dem Erbvertrag, p. 58 ss., 64, 74; DIENER, Vereinbarungen über Änderungen der Vorschlagsteilung, p. 76 ss.; MÜNCH, Die Ermittlung und Behandlung des Vor- und Rückschlages im ehelichen Güterrecht der Schweiz, p. 78/79; BLOCH, Vorschlagsverteilung der Ehegatten und Pflichtteilsrecht, Revue suisse de jurisprudence, 49, 1953, p. 1 ss.; VON AESCH, Zur Frage der Vorschlagsverteilung gemäss
Art. 214 Abs. 3 ZGB
, eod. loc., p. 189 ss.).
Pour sa part, la Cour cantonale ne s'est pas ralliée à la jurisprudence précitée: elle estime que le contrat de mariage litigieux est une disposition à cause de mort valable en la forme, mais soumise à réduction en conformité de l'art. 522 CC; elle fonde notamment son point de vue sur les travaux préparatoires du code civil au titre concernant les régimes matrimoniaux.
Les travaux préparatoires invoqués n'ont pas la portée ni le sens que leur attribue l'autorité cantonale, et l'on ne saurait en déduire que les dispositions du droit des successions sur l'action en réduction fussent applicables au contrat de mariage par lequel les époux conviennent d'une répartition du bénéfice de l'union conjugale différente de celle que prévoit l'art. 214 al. 1 CC. Certes, le projet de code civil du 28 mai 1904 contenait un article 204 ainsi conçu: "Les époux ne peuvent disposer par contrat de mariage, au préjudice de leurs descendants, de plus de la moitié des biens que chacun d'eux laissera au décès, et, sous le régime de la communauté universelle, de plus des trois quarts des biens communs existant à la même époque". Une disposition semblable figurait dans chacun des avantprojets (1893 art. 140, 1896 art. 222, 1900 art. 218, 1903 art. 218). Le Conseil national et le Conseil des Etats
BGE 82 II 477 S. 483
admirent le système du projet en ce qui concerne la communauté de biens et décidèrent en conséquence que les époux qui adopteraient ce régime devraient laisser aux descendants du conjoint prédécédé au moins le quart des biens formant la communauté au moment du décès; pour les autres régimes, ils modifièrent en revanche le projet et ajoutèrent à l'art. 204 un deuxième alinéa statuant que, hormis le cas de la communauté universelle, le droit des époux de disposer par contrat de mariage n'est limité que par les règles sur la réserve (Bulletin sténographique officiel de l'Assemblée fédérale 1905, Conseil national p. 691-695, Conseil des Etats p. 1103-1105). La disposition de ce deuxième alinéa ne figure cependant plus dans le texte définitif du code civil arrêté en vote final par les Chambres fédérales selon les propositions de la commission de rédaction, et le premier alinéa a passé au chapitre consacré à la communauté de biens où il est devenu le deuxième alinéa de l'art. 226 CC, les autres articles qui constituaient le chapitre sur le contrat de mariage étant placés dans les dispositions générales sur le régime matrimonial. La Cour cantonale considère que la disparition de ce deuxième alinéa de l'art. 204 du projet ne saurait signifier que la limitation du droit de disposer des époux eût été abandonnée. A son avis, comme le texte définitif de la loi se borne à fixer une réserve spéciale pour la communauté de biens, la réserve successorale ordinaire vaut pour les libéralités contenues dans des contrats de mariage conclus par des conjoints soumis à d'autres régimes. Elle estime en conséquence que, selon la genèse de la loi, les règles sur la réserve héréditaire doivent être considérées comme applicables aux contrats de mariage portant sur la répartition du bénéfice de l'union conjugale, conclus en conformité de l'art. 214 al. 3 CC.
Cette conclusion ne peut être admise. Il ne suffit pas en effet d'examiner les travaux législatifs qui concernent l'art. 204 du projet du Conseil fédéral, mais il faut encore se pencher sur la genèse de l'art. 214 CC, en particulier
BGE 82 II 477 S. 484
de son troisième alinéa. Le premier avant-projet partiel de 1893 ne contient aucune disposition sur le partage du bénéfice par convention passée entre les époux mariés sous le régime de l'union des biens; il prévoit uniquement à l'art. 162 qu'en cas de prédécès du mari, la moitié du bénéfice échoit à la femme outre son droit de succession. L'art. 241 de l'avant-projet de 1896 attribue le bénéfice au mari ou à ses héritiers, mais réserve le droit de la femme ou de ses descendants d'en réclamer une quote-part, s'il provient, pour un quart au moins, des apports ou du travail de la femme; selon l'art. 243, à défaut de convention entre les époux, il appartient au juge de statuer sur les contestations touchant la part du bénéfice ou du déficit attribuée à la femme ou à ses héritiers. L'avant-projet du Département fédéral de justice et police de 1900 prévoit, à l'art. 242, que le bénéfice appartient au mari ou à ses héritiers, mais que la femme ou ses descendants peuvent en réclamer une part proportionnelle si le bénéfice provient aussi du revenu des apports ou du travail de la femme; aux termes de l'art. 244, la part de la femme ou de ses héritiers au bénéfice ou au déficit peut être réglée par une convention entre les époux, faute de quoi le juge statue librement sur les contestations. Selon l'Exposé des motifs de cet avant-projet (p. 176) "la forme du contrat de mariage n'est pas nécessaire pour une convention de cette sorte"; le rapporteur s'est exprimé dans le même sens à la Commission d'experts lors de l'examen des
art. 240 à 244
de l'avant-projet (Commission d'experts 1901-1902, I p. 228). La Commission d'experts décida de revenir au système de la détermination fixe de la part au bénéfice de la femme ou de ses descendants et de celle du mari ou de ses héritiers, et supprima en conséquence l'art. 244 (loc. cit. p. 231, 232); à cette occasion, le rapporteur déclara que les conjoints pourraient modifier la répartition légale en observant la forme du contrat de mariage; la part du mari ou de ses ayants cause fut arrêtée aux deux tiers du bénéfice et celle de la femme ou de ses descendants,
BGE 82 II 477 S. 485
au tiers (loc. cit. p. 233). L'avant-projet de 1903 (art. 242) et le projet du Conseil fédéral (art. 230) adoptèrent cette proportion pour le partage du bénéfice, sans prévoir de disposition au sujet des modifications dont les époux pourraient convenir. Lors de la discussion du projet au Conseil national, il ne fuut pas question des stipulations passées entre époux au sujet de la répartition du bénéfice. C'est le Conseil des Etats qui ajouta à l'art. 230 du projet un troisième alinéa ainsi conçu: "On pourra convenir par contrat de mariage d'une autre répartition du bénéfice et du déficit". Le rapporteur de la commission exposa à ce propos que les règles de l'art. 230 n'étaient pas de droit impératif mais que les époux avaient la faculté de modifier par contrat de mariage, dans une proportion laissée à leur volonté ("in beliebigem Umfange"), la répartition du bénéfice ou du déficit (Bulletin sténographique officiel de l'Assemblée fédérale, 1905, Conseil des Etats, p. 1140). L'art. 230 du projet modifié par le Conseil des Etats est devenu, après des améliorations rédactionnelles, l'art. 214 CC. Si l'on rapproche cette déclaration reconnaissant la liberté des conjoints d'aménager à leur gré le partage du bénéfice de l'union conjugale du fait que les conventions portant sur cet objet ne sont jamais mentionnées dans les débats de la Commission d'experts ou des Chambres fédérales, ni dans l'Exposé des motifs ou le Message du Conseil fédéral, lorsqu'est traitée la question des limites fixées aux contrats de mariage par les règles sur la réserve, et qu'inversement il n'est fait aucune allusion à ces limites dans les discussions sur la répartition conventionnelle du bénéfice, on doit admettre que les travaux préparatoires ne permettent pas de conclure que l'attribution par contrat de mariage de la totalité du bénéfice à l'un ou l'autre conjoint soit soumise à réduction en vertu des dispositions sur la réserve.
Au demeurant, selon les principes généraux d'interprétation du droit suisse, les travaux préparatoires ne sont pas décisifs; le sens et la portée de la loi doivent être dégagés
BGE 82 II 477 S. 486
de son texte, de sa logique interne et de son but (RO 80 II 79, 79 I 20, 79 II 434, 78 I 29/30).
2.
L'art. 214 CC règle le partage du bénéfice ou du déficit pour le cas de la dissolution de l'union conjugale par suite du décès de l'un des époux, ainsi qu'il résulte de sa place sous la note marginale générale "F. Dissolution de l'union des biens" après les art. 212 et 213 qui déterminent le sort des apports de la femme à la mort du mari et au décès de la femme. Il dispose tout d'abord que le bénéfice restant après le prélèvement des apports de l'un et l'autre conjoint appartient pour un tiers à la femme ou à ses descendants et, pour le surplus, au mari ou à ses héritiers. A moins que les époux ne soient convenus d'un partage différent, cette règle s'impose à l'époux survivant et aux ayants cause du conjoint prédécédé: la part du mari est des deux tiers du bénéfice même si celui-ci provient des revenus des apports de la femme ou de son travail, et l'épouse ou ses descendants ne peuvent pas, par exemple, exiger plus que le tiers pour le motif que le bénéfice a son origine dans les biens qu'elle a apportés ou résulte de son activité; de même, le mari ou ses ayants cause ne peuvent contester à la femme ou à ses descendants le tiers du bénéfice, alors même qu'il est dû au seul travail du mari.
L'art. 214 al. 1 CC qui fixe la part de bénéfice revenant à chaque époux au décès de l'un d'eux n'est cependant pas de droit impératif. Il s'agit au contraire d'une règle de droit dispositif: aux termes de l'art. 214 al. 3 CC, les conjoints peuvent, par contrat de mariage, prévoir une autre répartition. Lorsque les époux ont fait usage de cette faculté, la répartition dont ils sont convenus fait seule règle et se substitue au mode légal de partage. La loi ne limite pas la liberté des époux et ne soumet la convention sur la répartition du bénéfice à aucune restriction. Par exemple, elle n'exige pas que les dispositions prises par les conjoints aient leur fondement dans telle ou telle circonstance particulière au regard de laquelle la répartition légale n'apparaîtrait pas justifiée. Elle ne s'occupe pas des
BGE 82 II 477 S. 487
mobiles qui peuvent amener les époux à régler conventionnellement le sort du bénéfice, mais elle leur confère le droit de conclure sur cet objet un contrat de mariage dont les dispositions prendront la place de la règle inscrite à l'art. 214 al. 1 CC. La réglementation conventionnelle établie par les époux en vertu des pouvoirs que la loi leur attribue expressément les lie, ainsi que leurs ayants cause, au même titre que la réglementation légale à laquelle elle est substituée.
Le bénéfice de l'union conjugale est le solde actif qui reste après déduction des dettes grevant les diverses masses de biens, attribution en nature des apports encore existants et règlement des récompenses pour les apports non représentés. Il est un résultat comptable établi au moment de la liquidation du régime matrimonial. Les termes employés par l'art. 214 al. 1 CC ne sont dès lors pas adéquats: le bénéfice, comme résultat comptable, ne peut pas appartenir à l'un ou l'autre époux. En réalité, la situation des conjoints ou de leurs ayants cause est la suivante: Le mari est propriétaire des biens matrimoniaux qui ne sont pas des apports de la femme (art. 195 al. 2 CC). Le bénéfice étant la valeur nette des biens matrimoniaux qui ne sont ni des apports ni des remplois, les dettes de l'union conjugale déduites, le mari n'acquiert aucun droit nouveau lors de la dissolution du régime; après la dissolution, il continue à être propriétaire des biens qui lui appartiennent conformément à l'art. 195 al. 2 CC. En revanche, un nouveau droit naît en faveur de l'épouse, savoir le droit à une part du bénéfice. Pendant le mariage, la femme n'a aucun droit au bénéfice, car celui-ci n'existe pas avant la dissolution du régime matrimonial. C'est dès lors seulement au moment de cette dissolution que le droit de l'épouse à une part du bénéfice prend naissance. Ce droit consiste dans une créance pécuniaire contre le mari. Bien que le cas de la dissolution de l'union des biens visée par l'art. 214 CC soit le décès de l'un des conjoints et que le droit de l'épouse à une part du bénéfice naisse ainsi à la mort du mari, la
BGE 82 II 477 S. 488
créance qui lui appartient de ce chef est de nature matrimoniale. Elle naît du calcul du bénéfice entrepris ensuite de la dissolution de l'union des biens et a sa cause dans le régime matrimonial. Le montant de la créance dépend de la part de bénéfice à laquelle chacun des conjoints peut prétendre. Cette part est fixée soit par la loi à raison d'un tiers à la femme et de deux tiers au mari, soit par l'acte juridique que les époux sont habilités à conclure pour la déterminer selon leur volonté. La répartition du bénéfice convenue par contrat de mariage, en conformité de l'art. 214 al. 3 CC, a sa cause juridique dans le régime matrimonial au même titre que celle qui est prévue par la loi. Alors même que la convention attribue le droit à la totalité du bénéfice à l'époux survivant, comme c'est le cas en l'espèce, elle ne constitue pas un acte à cause de mort mais reste un contrat entre vifs de droit matrimonial. La mort de l'un des époux n'est pas la cause de la convention, elle n'est qu'un terme d'exécution; la cause réside dans le régime matrimonial. C'est dès lors à tort que la Cour cantonale a considéré le contrat de mariage litigieux comme une libéralité à cause de mort réductible en vertu de l'art. 522 CC.
Par ailleurs, les libéralités à cause de mort ne peuvent être faites que par disposition pour cause de mort. Or, par disposition pour cause de mort le code civil entend exclusivement le testament et le pacte successoral (art. 481, 498, 512 CC; ESCHER, Das Erbrecht, p. 205, note 2). Il s'ensuit que l'attribution de la totalité du bénéfice à l'époux survivant par contrat de mariage ne saurait constituer une libéralité à cause de mort et qu'en conséquence les règles sur la réduction des dispositions pour cause de mort ne lui sont pas applicables.
Le contrat de mariage conclu par les époux Schlaeppi-Verdan ne tombe pas non plus sous le coup de l'art. 527 CC qui énumère les libéralités entre vifs sujettes à réduction. Les ch. 1 et 2 qui visent les libéralités faites à titre d'avancement d'hoirie ou de liquidation anticipée de droits hériditaires
BGE 82 II 477 S. 489
n'entrent pas en considération. Il en est de même du début du ch. 3 qui concerne les donations que le disposant pouvait librement révoquer. La seconde partie du ch. 3, qui se rapporte aux donations exécutées dans les cinq années antérieures au décès, n'est pas non plus applicable. De la part de la femme, la convention attribuant la totalité du bénéfice au mari ne peut être une donation, puisqu'au moment de la conclusion du contrat elle ne possède aucun droit au bénéfice et que, selon l'art. 239 al. 2 CO, le fait de renoncer à un droit avant de l'avoir acquis ne constitue pas une donation. Or, on ne saurait, d'une part, admettre l'application de l'art. 527 ch. 3 CC lorsqu'au décès du mari la totalité du bénéfice revient à la femme et, d'autre part, la rejeter lorsque c'est le mari qui a droit à tout le bénéfice à la mort de la femme. Il s'ensuit que la convention sur la répartition du bénéfice de l'union conjugale ne rentre pas dans les prévisions de l'art. 527 ch. 3 CC. L'art. 527 ch. 4 CC qui déclare sujettes à réduction les aliénations faites dans l'intention manifeste d'éluder les règles concernant la réserve ne saurait de même être appliqué à ce contrat. En le concluant, les époux ne font qu'user d'une faculté qui leur est expressément conférée par l'art. 214 al. 3 CC. L'exercice de ce droit n'est soumis à aucune restriction par la disposition qui l'institue, de sorte qu'il ne peut être assimilé à un acte accompli dans l'intention manifeste d'éluder des obligations légales.
Dans le régime de la communauté de biens, l'art. 226 CC confère aux époux le droit de prévoir par contrat de mariage un mode de partage autre que le partage par moitié; il ne limite leur liberté qu'en faveur des descendants du conjoint prédécédé, lesquels ont droit dans tous les cas au quart des biens communs existant lors du décès. Les contrats fixant seulement la répartition du bénéfice, conclus entre les époux mariés sous l'union des biens, ne sauraient être soumis à réduction et la liberté des conjoints, restreinte ainsi en cette matière au profit de tous
BGE 82 II 477 S. 490
les héritiers réservataires. Il y aurait en effet une contradiction, dont on ne peut admettre l'existence dans la loi, à n'assurer qu'aux descendants du conjoint prédécédé une part aux biens communs en cas de partage de l'ensemble des biens des époux et à considérer comme réductibles en faveur de tous les réservataires les conventions portant sur le seul bénéfice de l'union conjugale. Il suit de là que ces conventions ne tombent pas sous le coup des règles du droit successoral sur la réduction des dispositions du défunt.
On ne peut par ailleurs appliquer par analogie l'art. 226 al. 2 CC à la répartition conventionnelle du bénéfice réalisé par des époux mariés sous le régime de l'union des biens, car cette disposition vise une situation qui est différente de celle de l'art. 214 al. 3 CC: en particulier, dans la communauté universelle, le partage des biens communs épuise tout le patrimoine des époux, ce qui justifie la réserve d'un quart établie par l'art. 226 al. 2 CC en faveur des descendants du conjoint prédécédé, tandis que la répartition du bénéfice, dans l'union des biens, n'affecte que les économies faites par les époux et non pas tous les biens matrimoniaux.
La jurisprudence inaugurée par l'arrêt RO 58 II 1 doit dès lors être maintenue et le contrat de mariage attribuant la totalité du bénéfice à l'époux survivant, considéré comme un acte entre vifs de droit matrimonial qui n'est pas soumis à réduction en vertu des dispositions du droit successoral.
Selon la jurisprudence (RO 53 II 98/99, 81 II 423/425), les contrats de mariage sont soumis, comme les autres actes juridiques, aux limites établies par l'art. 2 al. 2 CC. L'exercice d'un droit est manifestement abusif lorsqu'il est contraire au but de ce droit. La liberté contractuelle prévue par l'art. 214 al. 3 CC tend à permettre aux époux d'aménager la répartition du bénéfice de l'union conjugale en considération de leurs intérêts réciproques, en particulier de corriger les effets du régime légal pour le conjoint survivant et d'assurer sa situation au point de vue matériel. Le fait que les époux avaient l'intention, en concluant le contrat
BGE 82 II 477 S. 491
de mariage, de se favoriser mutuellement ne suffit pas pour justifier l'application de l'art. 2 al. 2 CC. Pour qu'il y ait un abus manifeste de droit, il est nécessaire que la fin recherchée par les époux soit étrangère au but normal de la convention sur le partage du bénéfice prévue par l'art. 214 al. 3 CC, notamment que les conditions dans lesquelles le contrat a été conclu excluent qu'il ait été passé en vue de produire des effets conformes à la loi. En l'espèce, il ressort des constatations de la Cour cantonale que Marc-Robert Schlaeppi, dont le caractère autoritaire et emporté, les habitudes d'indépendance et les excès de boisson et de langage avaient rendu souvent la vie difficile à sa famille, avait su gré à la recourante de sa patience et de sa compréhension; il avait déclaré à ses amis qu'il se faisait du souci pour l'avenir de sa femme et qu'il voulait l'assurer au mieux; s'il avait eu certaines difficultés avec ses enfants, en particulier avec son fils, il n'exprima cependant jamais l'intention de les dépouiller au profit de sa seconde femme. En fait, il a laissé une fortune sur laquelle les intimés peuvent faire valoir leurs droits d'héritier. De plus, Marc-Robert Schlaeppi a épousé la recourante en 1936; en 1948, lorsque le contrat de mariage litigieux a été conclu, la vie commune avait duré douze ans, de sorte que l'on peut admettre que l'épouse a concouru à la réalisation du bénéfice de l'union conjugale. En outre, le contrat n'a pas été passé à la veille de la mort du mari; Marc-Robert Schlaeppi a vécu encore plus d'un an après sa conclusion et, au moment de la stipulation, il ignorait qu'il était atteint d'un cancer. Il résulte de ces faits que le contrat litigieux ne tombe en aucune façon sous le coup de l'art. 2 al. 2 CC et qu'il est valable. Le jugement attaqué doit en conséquence être réformé en ce sens que la créance résultant pour la recourante de l'attribution de la totalité du bénéfice de l'union conjugale n'est pas réductible, que ce bénéfice ne fait pas partie de la succession de Marc-Robert Schlaeppi dans laquelle la réserve de chacun des intimés est de 9/32, et qu'il revient en entier à la recourante.
BGE 82 II 477 S. 492
3.
Le troisième chef de conclusions du recours tend tout d'abord (litt. a) à faire prononcer que les apports de Marc-Robert Schlaeppi sur lesquels le partage doit porter ne comprennent pas trente actions Ciba sur les soixante qui ont été inventoriées au décès, ces trente action rentrant dans le bénéfice de l'union conjugale.
Selon les constatations de la Cour cantonale, Marc-Robert Schlaeppi était propriétaire de dix actions Ciba lors de son mariage et, à son décès, il en possédait soixante; en 1940 ou 1943, il avait souscrit dix actions nouvelles en utilisant le droit de souscription attaché à chacune des dix actions apportées en mariage; ce droit de souscription était alors coté en bourse 1045 fr.; Marc-Robert Schlaeppi avait payé, pour libérer ces nouvelles actions, 2010 fr. le 26 janvier 1943 et 8000 fr. le 28 janvier 1947; par la suite, la société Ciba a augmenté son capital au moyen de ses fonds propres, portant la valeur nominale de chaque action de 1000 fr. à 1500 fr. sans versement de la part des actionnaires, et divisé, en 1948, chaque titre de 1500 fr. en trois actions de 500 fr. Le jugement attaqué considère toutes les actions Ciba inventoriées au décès comme des apports de feu Schlaeppi tout en admettant à la charge de celui-ci une récompense de 10 000 fr. en faveur de la masse constituée par le bénéfice.
Cette opinion n'est pas fondée. Dans le régime de l'union des biens, le code civil distingue trois masses de biens: les apports, les biens matrimoniaux et les biens réservés. Ces derniers n'entrent pas en considération ici. Les apports de la femme sont les biens qui lui appartenaient lors de la conclusion du mariage ou qui lui échoient pendant le mariage par succession ou à quelque autre titre gratuit (art. 195 al. 1 CC) ainsi que les biens acquis à titre de remploi. Cette notion vaut également par analogie pour les apports du mari (RO 50 II 433). Les biens matrimoniaux sont constitués par les biens que les époux possédaient au moment de la célébration du mariage et ceux qu'ils acquièrent par la suite, les biens réservés exceptés (art. 194 CC). Le mari
BGE 82 II 477 S. 493
est propriétaire de ses apports et de tous les biens matrimoniaux qui ne sont pas des apports de la femme (art. 195 al. 2 CC).
Les trente actions Ciba litigieuses n'appartenaient pas au mari lors de la conclusion du mariage. Il les a acquises ultérieurement. Le droit de souscription qu'il a exercé à cet effet faisait cependant déjà partie de chacune des dix actions qu'il a apportées en mariage. Le droit de souscription d'actions nouvelles n'est en effet ni un fruit, ni un produit de l'action, mais il est une partie de l'action. C'est la compensation d'une perte pécuniaire et d'une perte d'influence éventuelle. Il permet à l'actionnaire de maintenir sa position financière et de conserver l'influence qu'il détient dans l'administration. L'action gratuite est également une partie du droit primitif de l'actionnaire (ROSSET, Du droit préférentiel de souscription d'actions, Recueil de travaux Neuchâtel, p. 229, 236, 238, 240). C'est la raison pour laquelle, en cas d'usufruit, les actions nouvelles gratuites appartiennent au propriétaire des actions anciennes et non à l'usufruitier (RO 46 II 473). Il n'en reste pas moins qu'une fois acquises, les nouvelles actions ont une existence indépendante des anciennes. En l'espèce, la propriété de dix actions apportées par Marc-Robert Schlaeppi lors la conclusion du mariage n'impliquait pas nécessairement la souscription et la libération de dix nouvelles actions. Celles-ci sont juridiquement autre chose que les dix anciennes actions.
Les dix actions nouvelles acquises en cours de mariage l'ont été non pas gratuitement mais à titre onéreux. Certes, le mari a pu user du droit de souscription attaché à chacune des dix actions constituant ses apports, mais pour obtenir les dix nouvelles il a dû verser 10 000 fr. et, selon les constatations de la Cour cantonale, son compte courant auprès du Crédit suisse a été débité de cette somme. Les nouvelles actions n'ont pas été acquises non plus à titre de remploi. Pour qu'il y ait remploi, il faut que, par la volonté des parties, les choses nouvelles aient remplacé dans la fortune de l'époux propriétaire d'autres valeurs du même
BGE 82 II 477 S. 494
genre vendues ou remboursées; le remploi est l'utilisation de deniers provenant de la réalisation d'un apport par l'achat de valeurs du même genre économique (RO 75 II 276/277). En l'espèce, les nouvelles actions n'ont pas remplacé d'autres titres du mari. Elles sont venues s'ajouter aux anciennes et n'ont pas été acquises avec des deniers appartenant aux apports, mais payées avec de l'argent frais que le mari s'est procuré par un emprunt. Il s'ensuit que les dix nouvelles actions Ciba souscrites et libérées en cours de mariage ne sont pas un apport de Marc-Robert Schlaeppi.
Ces dix nouvelles actions de 1000 fr. qui sont devenues par la suite trente actions de 500 fr. constituent des biens matrimoniaux; comme elles ne sont pas des apports de la femme, elles appartiennent au mari (art. 195 al. 2 CC). Elles doivent cependant être prises en considération pour le calcul du bénéfice de l'union conjugale. Dans les biens matrimoniaux qui sont la propriété du mari il faut distinguer en effet ses apports des autres biens. Seuls les apports sont soustraits pour le calcul du bénéfice; les autres biens, savoir les produits ou revenus des apports des deux époux et les choses acquises à titre onéreux, sont en revanche portés en compte à leur valeur à la dissolution du régime matrimonial. Le bénéfice représente en effet la valeur nette des biens matrimoniaux après reprise des apports et déduction des dettes de l'union conjugale. Les trente actions Ciba qui ont été acquises par Marc-Robert Schlaeppi en cours de mariage et qui étaient sa propriété font ainsi partie de sa succession, mais doivent être comprises, à leur valeur au moment du décès, dans les biens sur lesquels se calcule le bénéfice de l'union conjugale revenant à la recourante. La succession de Marc-Robert Schlaeppi n'a pas droit par ailleurs à une récompense en raison des droits de souscription utilisés pour acquérir les nouvelles actions. Ces droits sont en effet remplacés dans le patrimoine du mari par les actions qu'ils ont permis d'obtenir et qui font partie de la masse successorale. | public_law | nan | fr | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4833738-e0ab-4df3-8ff4-b91eb114c4ad | Urteilskopf
106 II 315
61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juni 1980 i.S. Dr. X. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Eintragung einer Dienstbarkeit in das Grundbuch.
Kann gestützt auf eine Vereinbarung, in der sich ein Stockwerkeigentümer gegenüber andern Stockwerkeigentümern verpflichtet, zur Verbesserung der Trittschallisolation in seiner Wohnung Plattenböden mit Spannteppichen belegen zu lassen, eine Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden? | Sachverhalt
ab Seite 315
BGE 106 II 315 S. 315
Dr. X. und Y. sind Stockwerkeigentümer je einer Wohnung im vierten Geschoss einer Liegenschaft mit Eigentumswohnungen (Stockwerkanteile Nr. 24 bzw. Nr. 23). Über ihnen befindet sich der Stockwerkanteil Nr. 27 der Eheleute Z., dessen Boden nicht mit Teppichen, sondern mit Platten belegt wurde.
Am 17. Juli 1977 schlossen Dr. X. und Y. mit den Eheleuten Z. eine "Vereinbarung... betreffend Errichtung einer Grunddienstbarkeit zu Gunsten der Stockwerkanteile Nr. 23 und 24 und zu Lasten des Stockwerkanteils Nr. 27". Darin wurde unter anderem festgehalten, in der Wohnung Nr. 27 seien gemäss einem Sonderwunsch der Eheleute Z. Bodenplatten anstelle der im Baubeschrieb vorgesehenen Teppiche verlegt worden; eine Abklärung habe ergeben, dass die Trittschallisolation zwischen dieser Wohnung und den darunter liegenden Wohnungen (Unterwohnungen) den Anforderungen für Eigentumswohnungen nicht entspreche (Ziff. 2); die Eigentümer der Unterwohnungen könnten sich mit diesem Zustand nicht abfinden, was zum Abschluss der Vereinbarung führe (Ziff. 3). Ziffer 4 der Vereinbarung hat folgenden Wortlaut:
BGE 106 II 315 S. 316
"Die Eheleute Z. verpflichten sich gegenüber den Eigentümern der Unterwohnungen 1 und 2, in ihrer Wohnung Nr. 27... den Plattenboden im
- Entrée
- Korridor
- Wohnzimmer und
- Abstellraum gegen die Terrasse und
Küche mit einem Spannteppich auf Filzunterlage bedecken zu lassen.
Am zu verlegenden Teppich werden sie Gesamteigentümer als einfache Gesellschaft.
Alle Parteien nehmen zur Kenntnis, dass Herr und Frau Z. die Kosten des Teppichs und dessen Verlegung vorschiessen. Die Eigentümer der Unterwohnungen treffen keine finanziellen Verpflichtungen. Der Bauunternehmer... wird die entstandenen Kosten im Rahmen der werkvertraglich übernommenen Pflichten letztinstanzlich tragen."
Mit Verfügung vom 23. Juni 1978 lehnte es das Grundbuchamt ab, gestützt auf die Vereinbarung vom 17. Juli 1977 eine Dienstbarkeit im Grundbuch einzutragen. Dieser Entscheid wurde am 5. März 1979 vom Regierungsrat und am 8. November 1979 vom kantonalen Verwaltungsgericht bestätigt, von diesem im wesentlichen mit der Begründung, die Pflicht zur Duldung eines Spannteppichs in einer Eigentumswohnung könne nicht Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein.
Das Bundesgericht heisst die von Dr. X. gegen den verwaltungsgerichtlichen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz führt aus, Ziffer 4 der Vereinbarung vom 17. Juli 1977 regle nur das einmalige Verlegen von Spannteppichen, statuiere aber keine dauernde Pflicht zur Duldung der Teppiche und sage auch nichts aus über deren Erneuerung. Sollte sie damit den Willen der Vertragsparteien zum Abschluss eines Grunddienstbarkeitsvertrages in Frage stellen wollen, könnte ihr nicht gefolgt werden. Wohl wurde in der Vereinbarung nicht ausdrücklich festgehalten, die Teppiche müssten dauernd in der Wohnung der Eheleute Z. bleiben. Der Sinn der Vereinbarung konnte aber kein anderer sein, war diese doch darauf gerichtet, inskünftig Schallimmissionen auszuschalten. Über den Unterhalt der Teppiche brauchten die Parteien keine besondere Vereinbarung zu treffen, zumal dafür eine gesetzliche Regelung besteht (Art. 741, allenfalls in Verbindung mit
Art. 737 ZGB
). Es ist nach dem Gesagten davon auszugehen,
BGE 106 II 315 S. 317
dass der Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet war, Schallimmissionen für eine unbegrenzte Zeit auszuschalten und dieses Ziel mittels einer Grunddienstbarkeit zu erreichen. So wurde es im Ingress der Vereinbarung denn auch ausdrücklich festgelegt.
2.
Ein Stockwerkeigentumsanteil kann zu Gunsten eines andern in der Weise mit einer Grunddienstbarkeit belastet werden, dass der Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des andern Stockwerkeigentümers gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen das ihm zustehende Recht nicht ausüben darf. Mit der Grunddienstbarkeit kann nebensächlich auch eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen verbunden sein (dazu Art. 730 in Verbindung mit
Art. 655 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB
).
a) Eine Grunddienstbarkeit im umschriebenen Sinne auferlegt dem Eigentümer des belasteten Grundstückes entweder eine Duldungs- oder eine Unterlassungspflicht. Ist der erwähnte Eigentümer zu einem Dulden verpflichtet, so ist der Eigentümer des berechtigten Grundstückes zu einem Tun befugt; man spricht von einer positiven oder affirmativen Dienstbarkeit. Ist jener zu einem Unterlassen verpflichtet, so steht diesem die Befugnis zu einem Verbieten zu; es liegt eine negative Dienstbarkeit vor (LIVER, N. 4 zu
Art. 730 ZGB
).
Die Eheleute Z. sind gemäss der Vereinbarung vom 17. Juli 1977 verpflichtet, die Böden ihrer Wohnung mit Teppichen belegen zu lassen. Daraus könnte abgeleitet werden, dass ihnen das Dulden von Spannteppichen vorgeschrieben werde. Einem solchen Dulden stünde aber keine Berechtigung der Begünstigten gegenüber, denn diese sind nicht (wie z.B. bei einer Wegdienstbarkeit) befugt, die Spannteppiche ihrerseits zu benützen. Ihrem eigentlichen Sinne nach bezweckt die Vereinbarung die Ausschaltung von Schallimmissionen. Die Eheleute Z. sind verpflichtet, das zu unterlassen, was zu solchen Immissionen führen kann. Konkret müssen sie es unterlassen, die Böden ihrer Wohnung mit nackten Platten belegt zu lassen, d.h. ihre Wohnung so auszustatten und in der Folge zu benützen, wie sie es ursprünglich gewünscht hatten. Sie müssen somit bezüglich der Gestaltung und Benützung der Wohnung auf eine Möglichkeit verzichten, von der sie ohne Vereinbarung im Rahmen von
Art. 684 ZGB
Gebrauch machen dürften. Die Berechtigten andererseits sind befugt, den Eheleuten Z. zu verbieten, in ihrer Wohnung
BGE 106 II 315 S. 318
Bodenplatten zu belassen, die nicht durch eine Filzauflage und Teppiche abgedeckt sind.
Es geht nach dem Gesagten nicht darum, dass die Eheleute Z. Teppiche zu dulden hätten. Die Feststellung der Vorinstanz, Spannteppiche seien bewegliche Sachen und die Duldungspflicht hinsichtlich solcher könne nicht Gegenstand einer Grunddienstbarkeit bilden, stösst deshalb ins Leere.
b) Die Vorinstanz führt demgegenüber zu Recht aus, die Schutzbedürftigkeit des Rechts und die Vorteile der Eigentümer der berechtigten Stockwerkeigentumseinheiten seien offensichtlich; die Berechtigten hätten ein Interesse an einem wirksamen Schutz gegen Schallimmissionen vom oberen Stockwerk her; die Spannteppiche erfüllten diesen Zweck; der Wert der unterliegenden Wohnungen steige, wenn kein Lärm von oben herabdringe. Wohl könnte die Pflicht, eine Eigentumswohnung mit Spannteppichen zu belegen, obligatorisch oder durch ein Stockwerkeigentümerreglement geordnet werden. Das ändert aber nichts daran, dass auch der Weg der Grunddienstbarkeit offen steht.
c) Nach Rechtsprechung und Lehre können Unterlassungspflichten, die dem Grundeigentümer schon durch gesetzliche Vorschriften auferlegt sind, nicht zum Gegenstand einer Dienstbarkeit gemacht werden, weil der Berechtigte kein Interesse daran haben kann, ein Recht, das ihm schon von Gesetzes wegen eindeutig zusteht, noch als Dienstbarkeit zu erwerben oder zu sichern (
BGE 99 II 33
E. 4 mit Verweisungen). Vielfach steht jedoch nicht von vornherein fest, dass die Anwendung der Gesetzesvorschriften zu dem Ergebnis führt, das mit der Dienstbarkeit erreicht werden will. Besonders im Nachbarrecht kann ein Interesse daran bestehen, bestimmte von einem Nachbargrundstück ausgehende Einwirkungen, die an sich zu den nach
Art. 684 ZGB
verbotenen Immissionen gehören, durch eine Dienstbarkeit auszuschliessen, weil ungewiss ist, ob der Richter die Einwirkungen als übermässig und ungerechtfertigt betrachten würde (LIVER, N. 93 und 95 zu
Art. 730 ZGB
).
Gewiss hat der Stockwerkeigentümer bei der Ausübung seines Eigentumsrechtes sich aller übermässigen Einwirkungen auf die Wohnungen seiner Nachbarn (neben, unter und über ihm) zu enthalten und alle nach Lage und Beschaffenheit der Wohnungen oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Lärmeinwirkungen zu unterlassen. In Fällen der vorliegenden
BGE 106 II 315 S. 319
Art ist jedoch ungewiss, ob der Lärm, der durch Herumgehen auf nackten, nicht durch Teppiche belegten Bodenplatten verursacht wird, bereits als übermässige und nach Lage und Beschaffenheit oder Ortsgebrauch ungerechtfertigte Einwirkung im Sinne von
Art. 684 ZGB
bezeichnet werden könne. Ein vertraglicher Schutz gegen Lärmeinwirkungen kann sodann weiter gehen als der gesetzliche. Die Parteien dürfen durch Dienstbarkeiten auch Lärmeinwirkungen ausschalten, die aufgrund der gesetzlichen Regelung noch geduldet werden müssten. Unter den angeführten Umständen kann nicht gesagt werden, dass im vorliegenden Fall das vertraglich angestrebte Ziel mit dem gesetzlichen Immissionenverbot des
Art. 684 ZGB
identisch sei.
d) Die Grunddienstbarkeit muss eine Beschränkung des Eigentums an der belasteten Stockwerkeinheit zum Inhalt haben. Bei der negativen Dienstbarkeit besteht jene darin, dass der Belastete eine Benutzung zu unterlassen hat, die ihm als Eigentümer zustünde, wenn seine Stockwerkeinheit nicht belastet wäre. Es geht dabei unter anderem um den körperlichen Zustand und die äussere Erscheinung der Stockwerkeinheit; es muss eine störende, belästigende oder schädigende Wirkung nach aussen gegeben sein. Eine Beschränkung in der persönlichen Betätigungsfreiheit (im Gegensatz zur Freiheit der Stockwerkeinheitsbenützung) kann dagegen nicht zum Inhalt einer Dienstbarkeit gemacht werden (LIVER, N. 106, 107 und 110 zu
Art. 730 ZGB
).
Die Vorinstanz bemerkt in diesem Zusammenhang, die bestimmungsgemässe Benutzung der Wohnung werde durch das Vorhandensein eines Spannteppichs nicht beeinträchtigt; der belastete Stockwerkeigentümer sei nur in der Gestaltungsfreiheit als Wohnungsbenützer eingeschränkt, indem er sich mit dem Vorhandensein eines bestimmten Ausrüstungsgegenstandes abfinden müsse; dies sei eine Beschränkung der persönlichen Betätigungsfreiheit, die sich nicht verdinglichen lasse.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Nach
Art. 712a Abs. 1 ZGB
ist der Stockwerkeigentümer berechtigt, seine Wohnung ausschliesslich zu benützen und innen auszustatten. Dazu gehört, dass er die Böden der Wohnung nach seinem Belieben gestalten und belegen darf. Durch die Verpflichtung, sie mit einer Filzunterlage und Spannteppichen abzudecken, wird er demnach in der Ausübung seines Eigentums beschränkt; er hat etwas zu unterlassen (das Anbringen von nackten
BGE 106 II 315 S. 320
Bodenplatten), wozu er als Eigentümer an sich berechtigt wäre. Die Unterlassungspflicht bezieht sich nicht auf die persönliche, sondern auf die mit der Eigentumsausübung zusammenhängende Betätigungsfreiheit, die den körperlichen Zustand und die äussere Erscheinungsform der Wohnung zum Gegenstand hat.
e) Die Dienstbarkeit kann den Eigentümer der belasteten Stockwerkeinheit grundsätzlich nur zu einem Dulden oder Unterlassen, nicht aber zu einer Leistung verpflichten. Eine Pflicht zur Vornahme von Handlungen darf mit der Dienstbarkeit nur verbunden werden, wenn jene im Verhältnis zur Dienstbarkeit sowohl dem Inhalt wie dem Umfang nach von nebensächlicher Bedeutung sind. Dem Inhalt nach ist eine Handlung dann von nebensächlicher Bedeutung, wenn sie lediglich dazu dient, die Ausübung der Dienstbarkeit zu ermöglichen, zu erleichtern oder zu sichern. Dem Umfang nach ist sie es, wenn die Leistungspflicht nicht die hauptsächliche Last darstellt (LIVER, N. 154, 194, 195, 202, 204 und 212 zu
Art. 730 ZGB
).
Die Vorinstanz erblickt in der Verpflichtung der Eheleute Z., die Böden ihrer Wohnung mit Spannteppichen belegen zu lassen, eine Handlung, die nicht mit einer Dienstbarkeit verbunden werden dürfe. Stellt man jedoch die Pflicht der Eheleute Z., in Zukunft während vieler Jahre etwas zu unterlassen, wozu sie als Wohnungseigentümer an sich berechtigt wären, ihrer einmaligen Pflicht gegenüber, die Böden der Wohnung mit Spannteppichen belegen zu lassen, so erscheint diese als nebensächlich. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d484cb8b-a72b-41d7-b15e-a28919194b4b | Urteilskopf
139 III 278
40. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_27/2013 vom 6. Mai 2013 | Regeste
Art. 15 ff. und 26 Abs. 1 LugÜ
; Art. 59 f. ZPO; Zuständigkeit bei Verbrauchersachen; Beweislast; Prüfung der Zuständigkeit von Amtes wegen.
Beweislast für das Vorliegen einer Verbrauchersache nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
(E. 3).
Bedeutung und Umfang der Prüfung der Zuständigkeit von Amtes wegen (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 278
BGE 139 III 278 S. 278
Aus den Erwägungen:
3.
Der in Deutschland wohnhafte A. (Beklagter, Beschwerdeführer) rügt eine Verletzung von Art. 15 Abs. 1 lit. c und Art. 16 f. des Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12).
3.1
Er bringt vor, die Vorinstanz habe bei der Anwendung der erwähnten Bestimmungen verkannt, dass nicht er für das Vorliegen der Voraussetzungen von
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
beweisbelastet sei, sondern die Bank X. (Klägerin, Beschwerdegegnerin) deren Nichtvorliegen zu beweisen habe. Für den Verbrauchergerichtsstand gelte, dass der Anbieter, der sich auf den für ihn günstigen prorogierten Gerichtsstand stützen wolle, zu beweisen habe, dass die Voraussetzungen der Verbrauchersache nicht gegeben seien. Mit ihrer gegenteiligen Ansicht verkenne die Vorinstanz die für die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen (
Art. 15 ff. LugÜ
) massgebenden Grundsätze und die dazu ergangene Rechtsprechung.
BGE 139 III 278 S. 279
3.2
Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl.
Art. 8 ZGB
) jede Partei die Beweislast für die Tatsachen trägt, welche die Voraussetzungen der Rechtsnorm bilden, die sie zu ihren Gunsten anführt. Den Kläger trifft die Beweislast für die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen. Gelingt dieser Beweis, ist es Sache des Beklagten, Ausnahmetatbestände zu beweisen, etwa dass eine Spezialzuständigkeit für Verbrauchersachen (
Art. 15 ff. LugÜ
) vorliegt (FURRER/GLARNER, in: Kommentar zum Lugano-Übereinkommen, Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl.2011, N. 17 zu
Art. 15 LugÜ
; ANDREA BONOMI, in: Commentaire romand, Convention de Lugano, 2011, N. 15 zu
Art. 15 LugÜ
; GEIMER/SCHÜTZE, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., München 2010, N. 273 f. zu Art. 2 und N. 12 zu Art. 26 EuGVO; PETER F. SCHLOSSER, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., München 2009, N. 3 a.E. zu Art. 15 EuGVO; vgl. auch das Urteil des EuGH vom 20. Januar 2005 C-464/01
Gruber/Bay Wa AG
, Slg. 2005 I-458 Randnr. 46; teilweise abweichend MYRIAM GEHRI, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 30 ff. zu
Art. 15 LugÜ
).
Damit trägt die Beschwerdegegnerin die Beweislast für den von ihr ins Feld geführten Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung (
Art. 23 LugÜ
) zugunsten der Zürcher Gerichte. Dass eine entsprechende Vereinbarung formgültig zustande gekommen ist, hat der Beschwerdeführer nie in Frage gestellt. Er wendet jedoch ein, es liege eine Verbrauchersache vor, weshalb eine Gerichtsstandsvereinbarung zu seinen Ungunsten nach Art. 17 Nr. 1 und 2 LugÜ lediglich dann wirksam sei, wenn sie nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen werde, was im zu beurteilenden Fall nicht zutreffe.
Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer für diejenigen Tatsachen beweisbelastet ist, auf die er seinen mit den teilzwingenden Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen (
Art. 15 ff. LugÜ
) begründeten Einwand gegen die ansonsten gültige Gerichtsstandsvereinbarung stützt. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der ebenfalls auf die üblichen Regeln zur Beweislast abstellt und vom Grundsatz ausgeht, dass die Voraussetzungen des Verbrauchergerichtsstands von derjenigen Person zu beweisen sind, die sich darauf berufen will (Urteil
Gruber/Bay Wa AG
, Randnr. 46). Eine Umkehr der Beweislast zieht der EuGH lediglich hinsichtlich der Verbrauchereigenschaft beim Abschluss eines gemischten Vertrags in Betracht, für den die Akten keine Schlussfolgerung auf
BGE 139 III 278 S. 280
eine nur ganz untergeordnete beruflich-gewerbliche Zweckverfolgung zulassen (Urteil
Gruber/Bay Wa AG
, Randnr. 50). Eine generelle Umkehr der Beweislast hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen des Verbrauchergerichtsstands, wie etwa die Ausübung einer beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit des Vertragspartners im Wohnsitzstaat des Verbrauchers oder das Ausrichten einer solchen Tätigkeit auf diesen Staat (vgl.
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
) lässt sich entgegen dem, was der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, daraus nicht ableiten (vgl. auch FURRER/GLARNER, a.a.O., N. 17 zu
Art. 15 LugÜ
). Ob der Beschwerdeführer die Kontobeziehung mit der Beschwerdegegnerin zu einem privaten oder einem beruflichen bzw. gewerblichen Zweck eingegangen war, hatte die Vorinstanz jedoch gar nicht zu prüfen, da sie einen Gerichtsstand nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
unabhängig von seiner Verbrauchereigenschaft verneinte.
Der Vorinstanz ist im Zusammenhang mit der Verteilung der Beweislast entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht keine Verletzung der Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens vorzuwerfen.
4.
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz im Zusammenhang mit ihrer Beurteilung der internationalen Zuständigkeit in verschiedener Hinsicht eine unrichtige und unvollständige Feststellung des Sachverhalts vor.
4.1
Die Vorinstanz stellte fest, es sei weder behauptet noch ersichtlich, dass die Zweigniederlassung der Beschwerdegegnerin in Deutschland bereits im Jahre 1987 bzw. spätestens im Jahre 1994, als der Beschwerdeführer das Dokument "Application for opening of an account and general conditions" unterzeichnete, bestanden habe. Dies ergebe sich denn auch nicht aus den von ihm im Berufungsverfahren neu eingereichten Unterlagen. Vielmehr werde aus dem Auszug aus dem Internetauftritt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ersichtlich, dass der Zweigniederlassung wohl erst im Jahre 2006 die notwendigen Zulassungen erteilt worden seien. Es sei mithin nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin im Jahre 1987 bzw. 1994 in Deutschland tätig gewesen sei.
Die Vorinstanz hielt sodann fest, der Beschwerdeführer wolle eine Ausrichtung der Tätigkeit der Beschwerdegegnerin auf Deutschland mittels Auszügen aus ihren Internetauftritten begründen. Es sei jedoch gerichtsnotorisch, dass sich das Internet erst nach 1994 zum Massenkommunikationsmittel entwickelt habe und entsprechend
BGE 139 III 278 S. 281
von den Unternehmungen zu Werbezwecken usw. verwendet worden sei. Der Beschwerdeführer behaupte denn auch nicht konkret, entsprechende Auftritte seien bereits 1994 vorhanden gewesen.
Gestützt darauf erwog die Vorinstanz, es sei nicht erstellt, dass die Beschwerdegegnerin im Jahre 1994 oder zuvor eine berufliche Tätigkeit in Deutschland ausgeübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf Deutschland ausgerichtet habe. Damit liege keine Verbrauchersache im Sinne von
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
vor.
4.2
Die Prüfung der Zuständigkeit von Amtes wegen nach
Art. 26 Abs. 1 LugÜ
bedeutet insbesondere, dass die von der klagenden Partei vorgetragenen Tatsachen, aus denen sich die Zuständigkeit ergeben soll, bei Säumnis der beklagten Partei nicht als zugestanden angesehen werden dürfen (KROPHOLLER/VON HEIN, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2011, N. 5 zu Art. 25 EuGVO; GEORG NÄGELI, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ], Kommentar, Dasser/Oberhammer [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 9 zu
Art. 25 LugÜ
). Die Bestimmung gibt jedoch nicht vor, ob das Gericht verpflichtet ist, zuständigkeitsrelevante Tatsachen selbst zu erforschen oder ob es den Parteien diesbezügliche Nachweise auferlegen kann. Wie auch der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, bestimmt sich das Verfahren, in dem sich das Gericht von seiner Zuständigkeit zu überzeugen hat, nach dem nationalen Recht, mithin insbesondere
Art. 59 Abs. 2 lit. b und
Art. 60 ZPO
(RAMON MABILLARD, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 18 zu
Art. 26 LugÜ
; ANDREAS BUCHER, in: Commentaire romand, Convention de Lugano, 2011, N. 5 zu
Art. 25 und 26 LugÜ
; vgl. CZERNICH UND ANDERE, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, 2. Aufl., Wien 2003, N. 5 zu Art. 26 EuGVO; PETER MANKOWSKI, in: Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Thomas Rauscher [Hrsg.], 3. Aufl., München 2011, N. 5 zu Art. 25 EuGVO; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 4 zu Art. 25 EuGVO; LIATOWITSCH/MEIER, in: Lugano-Übereinkommen [LugÜ] zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Anton K. Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 6 zu
Art. 25 LugÜ
).
4.3
Gemäss
Art. 60 ZPO
prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Prozessvoraussetzung der örtlichen Zuständigkeit (
Art. 59 Abs. 2 lit. b ZPO
) erfüllt ist. Dies enthebt die Parteien jedoch weder der Beweislast noch davon, an der Sammlung des Prozessstoffes aktiv mitzuwirken (vgl.
Art. 160 ZPO
) und dem Gericht das in Betracht fallende Tatsachenmaterial zu unterbreiten und die Beweismittel
BGE 139 III 278 S. 282
zu bezeichnen. Dabei hat die klagende Partei die Tatsachen vorzutragen und zu belegen, welche die Zulässigkeit ihrer Klage begründen, die beklagte Partei diejenigen Tatsachen, welche sie angreifen (ALEXANDER ZÜRCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 4 f. zu
Art. 60 ZPO
; SIMON ZINGG, in: Berner Kommentar, 2012, N. 4 f. zu
Art. 60 ZPO
). Entgegen dem, was der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, ist aus der Pflicht zur Prüfung der Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen nicht zu schliessen, das Gericht müsse in Verfahren, die der Verhandlungsmaxime folgen, von sich aus nach den Tatsachen forschen, welche die Zulässigkeit der Klage berühren (vgl. bereits Urteile 4P.197/2003 vom 16. Januar 2004 E. 3.2; 4P.239/2005 vom 21. November 2005 E. 4.3).
Der Vorinstanz ist daher keine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen, wenn sie dafürhielt, das Gericht sei im Bereich der Prozessvoraussetzungen nicht zu ausgedehnten Nachforschungen verpflichtet. Sie hat auch keineswegs unbesehen auf unbestrittene Behauptungen der Beschwerdegegnerin abgestellt, sondern hat die tatsächlichen Vorbringen und eingereichten Beweismittel des Beschwerdeführers, aus denen sich eine Verbrauchersache nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
ergeben soll, einzeln geprüft, jedoch als nicht stichhaltig erachtet. Der Beschwerdeführer, der während des gesamten Verfahrens rechtskundig vertreten war, verweist zwar in allgemeiner Weise auf die richterliche Fragepflicht (
Art. 56 ZPO
), zeigt jedoch nicht auf, welches seiner Vorbringen die gerichtliche Einräumung der Gelegenheit zur Klarstellung und zur Ergänzung erfordert hätte.
4.4
Der Beschwerdeführer stellt zu Recht nicht in Frage, dass der Verbrauchergerichtsstand nach
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
voraussetzt, dass die Ausübung der beruflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers oder die Ausrichtung einer solchen Tätigkeit auf diesen Staat dem jeweiligen Vertragsschluss vorausgegangen sein muss (GEHRI, a.a.O., N. 77 zu
Art. 15 LugÜ
; FURRER/GLARNER, a.a.O., N. 51 zu
Art. 15 LugÜ
; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 26 zu Art. 15 EuGVO; GEIMER/SCHÜTZE, a.a.O., N. 34 zu Art. 15 EuGVO; vgl. auch
BGE 133 III 295
E. 9.1 S. 303). Die Vorinstanz hat daher zutreffend erkannt, dass die Anwendung dieser Bestimmung nur in Frage kommt, wenn die Beschwerdegegnerin spätestens im Jahre 1994, als der Beschwerdeführer das Dokument "Application for opening of an account and General Conditions"
BGE 139 III 278 S. 283
unterzeichnete, eine Tätigkeit in Deutschland ausübte oder auf diesen Staat ausrichtete.
Obwohl der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren nicht behauptet hatte, die Beschwerdegegnerin habe bereits im Jahre 1994 über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügt, prüfte die Vorinstanz, ob sich aus den von ihm eingereichten Unterlagen Entsprechendes ergeben könnte. Dabei stellte sie fest, dass der Auszug der Internetseite der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vielmehr dafür spreche, dass der Zweigniederlassung die notwendigen Zulassungen erst im Jahre 2006 erteilt wurden. Der Vorinstanz ist unter diesen Umständen nicht vorzuwerfen, sie habe ihre Pflicht verletzt, das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen von Amtes wegen zu prüfen. Nachdem selbst die vom Beschwerdeführer eingereichten Beweismittel gegen eine Tätigkeit der Beschwerdegegnerin in Deutschland im massgebenden Zeitpunkt sprachen, war es nicht an der Vorinstanz, von sich aus danach zu fahnden, ob allenfalls andere Anhaltspunkte für die einredeweise vorgebrachte Verbraucherzuständigkeit vorliegen könnten.
Ebenso wenig ist der Vorinstanz im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer eingereichten Auszügen aus dem Internetauftritt der Beschwerdegegnerin eine Bundesrechtsverletzung vorzuwerfen. Obwohl der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren nicht konkret behauptet hatte, dass die entsprechenden Auftritte bereits 1994 vorhanden gewesen wären, hielt sie fest, es sei gerichtsnotorisch, dass sich das Internet erst nach 1994 zum Massenkommunikationsmittel entwickelt habe und entsprechend von den Unternehmungen zu Werbezwecken usw. verwendet worden sei. Die Vorinstanz war demnach in tatsächlicher Hinsicht davon überzeugt, dass die vorgebrachten Internetauftritte im konkret massgebenden Zeitpunkt noch nicht bestanden, sondern erst später erstellt wurden. Der Beschwerdeführer stellt dies zwar in Frage und behauptet vor Bundesgericht Gegenteiliges, zeigt jedoch nicht auf, inwiefern die Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid offensichtlich unrichtig sein soll (
Art. 97 Abs. 1 BGG
).
4.5
Hinsichtlich der Frage eines allfälligen Ausrichtens der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit der Beschwerdegegnerin auf Deutschland stellt im Übrigen auch der Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht in Frage, dass die zweite Alternative von
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
die territoriale Ausrichtung auf den
BGE 139 III 278 S. 284
Wohnsitzstaat des Verbrauchers voraussetzt (vgl. KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 23 zu Art. 15 EuGVO). Er behauptet zu Recht nicht etwa, das Betreiben eines Offshore-Geschäfts oder die Führung von DM-Konten für Bankkunden erfüllten für sich allein diese Voraussetzung. Die Vorinstanz hielt fest, es werde vom Beschwerdeführer nicht behauptet und sei auch nicht ersichtlich, dass die Beschwerdegegnerin spätestens im Jahre 1994 ihre Geschäfte mittels Werbung, anderweitiger absatzfördernder Marketingaktivitäten oder Vertriebsformen gezielt auf Deutschland ausgerichtet hätte. Nachdem das Gericht die vorgebrachten Umstände im Hinblick auf das Vorliegen einer Verbrauchersache als unerheblich erachten durfte und der Beschwerdeführer keine weiteren Tatsachen ins Feld führte, die eine territoriale Ausrichtung auf Deutschland - etwa durch gezielte Werbung oder anderweitige Marketingaktivitäten (vgl. FURRER/GLARNER, a.a.O., N. 56 ff. zu
Art. 15 LugÜ
; GEHRI, a.a.O., N. 70 ff. zu
Art. 15 LugÜ
; KROPHOLLER/VON HEIN, a.a.O., N. 23 f. zu Art. 15 EuGVO) - darstellen könnten, war es nicht verpflichtet, von sich aus weiter danach zu forschen, ob die Beschwerdegegnerin im massgebenden Zeitpunkt entsprechende Tätigkeiten ausgeübt hatte.
Im Übrigen verkennt der Beschwerdeführer mit seinen Vorbringen zur vorbestehenden Geschäftsbeziehung seines Bruders zur Beschwerdegegnerin, dass eine Empfehlung durch Verwandte keine Ausrichtung im Sinne von
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
zu begründen vermag (GEHRI, a.a.O., N. 71 zu
Art. 15 LugÜ
; ANSGAR STAUDINGER, in: Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Thomas Rauscher [Hrsg.], 3. Aufl., München 2011, N. 13 zu Art. 15 EuGVO).
4.6
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ist der Vorinstanz weder eine Verletzung bundesrechtlicher Verfahrensvorschriften bei der Sachverhaltsermittlung noch eine unzutreffende Anwendung der massgebenden Bestimmungen des Lugano-Übereinkommens vorzuwerfen, indem sie eine Verbrauchersache im Sinne von
Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ
verneinte und die Zürcher Gerichte gestützt auf die von den Parteien abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung für zuständig erachtete
. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d4857967-820b-4f4b-8a3a-8bebf0cca984 | Urteilskopf
114 Ib 301
45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. September 1988 i.S. Einwohnergemeinde Wohlen und Staat Bern gegen Bernische Kraftwerke AG und Verwaltungsgericht (I. Kammer) des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 5 Abs. 2 RPG
; materielle Enteignung.
1. Begriff der Nichteinzonung. Grundsätze der Entschädigungspflicht bei Nichteinzonungen (Bestätigung der Rechtsprechung, E. 3a-d).
2. Land, das keiner Bauzone zugewiesen ist, welche den verfassungsmässigen Anforderungen entspricht, und das auch nicht zum engeren Baugebiet gehört, ist im Regelfall nicht Bauland im enteignungsrechtlichen Sinne (E. 3e). | Sachverhalt
ab Seite 301
BGE 114 Ib 301 S. 301
Die Bernische Kraftwerke AG (BKW) ist Eigentümerin der Parzellen Nrn. 3133, 3478 und 3501 in der Gemeinde Wohlen. Die im Ortsteil Unterdettigen, nicht im engeren Baugebiet von Wohlen gelegenen Parzellen bilden einen zusammenhängenden Grundstückskomplex,
BGE 114 Ib 301 S. 302
der zwischen der Unterdettigenstrasse und dem Wohlensee gelegen ist. Die an den Wohlensee anstossenden Grundstücke Nrn. 3478 und 3501 sind seit den Jahren 1950 und 1953 mit Dienstbarkeiten zugunsten des Staates Bern belastet: Parzelle Nr. 3478 darf zum Schutze des Landschaftsbildes nicht überbaut und auf Parzelle Nr. 3501 dürfen bis zu einer Tiefe von 30 m ab Seeufer nur Bootshäuser errichtet werden.
Gemäss der Bauordnung der Gemeinde Wohlen für Unterdettigen vom 29. September 1962 war ein Streifen von 30 m Tiefe, gemessen von der entlang der Unterdettigenstrasse gezogenen Baulinie an, der Wohnzone W2 zugewiesen. Am 1. Januar 1971 trat das Berner Baugesetz vom 7. Juni 1970 (BauG) in Kraft, das die Gemeinden verpflichtete, innert drei Jahren ein Baureglement mit Zonenplan zu erlassen, welcher das Baugebiet vom übrigen Gemeindegebiet abgrenzt. Aufgrund des BMR wies der Regierungsrat des Kantons Bern den gesamten Geländestreifen südlich der Unterdettigenstrasse bis zum Wohlensee einem provisorischen Schutzgebiet I zu. Bei dem von der Gemeindeversammlung am 3. Dezember 1975 beschlossenen Zonenplan im Sinne des BauG gelangten die Grundstücke der BKW in das Landschaftsschutzgebiet, in dem nur eine landwirtschaftliche Nutzung erlaubt ist. Diese Zoneneinteilung wurde im Beschwerdeverfahren sowohl vom Regierungsrat des Kantons Bern als auch vom Bundesgericht geschützt.
Zufolge der Einweisung ihrer Parzellen in das Landschaftsschutzgebiet erhob die BKW eine Forderung wegen materieller Enteignung. Die Enteignungsschätzungskommission des Kreises II wies das Begehren ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangte hingegen mit dem angefochtenen Entscheid vom 15. September 1986 zur teilweisen Gutheissung des Entschädigungsbegehrens. Das Gericht verneinte eine enteignungsähnliche Wirkung für die beiden mit Dienstbarkeiten zugunsten des Staates Bern belasteten Parzellen Nrn. 3478 und 3501 sowie für den östlichen Teil der an die Unterdettigenstrasse anstossenden Parzelle Nr. 3133. Für den westlichen Teil der Parzelle Nr. 3133 gelangte das Gericht jedoch zum Ergebnis, dass er enteignungsrechtlich relevante Baulandqualität besessen habe, da er voll erschlossen sei.
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts haben der Staat Bern und die Einwohnergemeinde Wohlen mit getrennten Beschwerdeschriften Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie machen geltend, auch für den westlichen Teil des Grundstücks
BGE 114 Ib 301 S. 303
Nr. 3133 liege keine materielle Enteignung vor, weil der Eingriff kein enteignungsrechtlich relevantes Bauland getroffen habe. Das Bundesgericht heisst die beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden gut und weist die Klage der BKW aus materieller Enteignung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gemäss gefestigter bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann in der Regel, vom Entzug einer wesentlichen aus dem Eigentum fliessenden Befugnis zum vornherein nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der geltend gemachten Eigentumsbeschränkung eine raumplanerische Grundordnung galt, welche die Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück einschloss (
BGE 112 Ib 110
E. 3; 398 E. 5a, je mit Verweisungen). Eine solche Grundordnung liegt vor, wenn die Gemeinde über einen Nutzungsplan verfügt, der das gemäss den gesetzlichen Anforderungen festgelegte Baugebiet in zweckmässiger Weise rechtsverbindlich vom Nichtbaugebiet trennt, wie dies
Art. 22quater BV
verlangt. Gemäss den bundesrechtlichen Anforderungen ist das Baugebiet nach dem voraussichtlichen Bedarf der kommenden fünfzehn Jahre zu bemessen und innert dieser Zeit in Etappen zu erschliessen (
Art. 19 GschG
in Verbindung mit
Art. 15 AGSchV
,
Art. 4 ff. WEG
,
Art. 14 ff. RPG
).
b) Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung, welche den gesetzlichen Anforderungen entspricht, eine Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so liegt gemäss der von der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts seit 1983 zur Klarstellung der Rechtslage befolgten Terminologie eine Nichteinzonung vor (non-classement en zone à bâtir; non attribuzione alla zona edificabile); und zwar auch dann, wenn nach früherem Recht das entsprechende Areal überbaut werden konnte (
BGE 112 Ib 110
E. 3; 400 E. 5b; 487 E. 4a;
BGE 109 Ib 17
E. 4a sowie zahlreiche nicht publizierte Entscheide, u.a. Urteile vom 28. Jan. 1987 i.S. Klinge c. Sonvico, E. 3e, S. 12, vom 23. Februar 1983 i.S. Consolidated Trust c. Dully, E. 3b, S. 18f.).
c) Mit der gestützt auf
Art. 22quater BV
angeordneten Begrenzung des Baugebiets hat der Gesetzgeber für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft einheitlich den Inhalt des Grundeigentums ausserhalb der Bauzonen festgelegt. Wie das Bundesgericht wiederholt ausgeführt hat, löst diese Inhaltsbestimmung grundsätzlich keine Entschädigungspflicht aus (
BGE 112 Ib 398
E. 5a mit
BGE 114 Ib 301 S. 304
Hinweisen; Urteil vom 21. November 1984 i.S. Müller c. Davos, ZBl 86/1985 S. 212 E. 4a, je mit Hinweisen;
105 Ia 338
E. 3e; Urteil vom 23. Februar 1983 i.S. Consolidated Trust c. Dully, E. 3b, S. 9).
d) Durch eine Nichteinzonung, welche Folge der geforderten Baugebietsbegrenzung ist, wird dem von ihr betroffenen Eigentümer, wie dargelegt (E. 3a, c), in der Regel keine wesentliche aus seinem Eigentum fliessende Befugnis entzogen. Ausnahmsweise kann indessen die Nichteinzonung den Eigentümer enteignungsähnlich treffen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es um baureifes oder grob erschlossenes Land geht, das von einem gewässerschutzrechtskonformen generellen Kanalisationsprojekt (GKP) erfasst wird, und wenn der Eigentümer für die Erschliessung und Überbauung dieses Landes schon erhebliche Kosten aufgewendet hat (
BGE 105 Ia 338
E. 3d). In einem solchen Fall können Umstände vorliegen, welche die Einzonung geboten hätten. Trifft das zu, so ist anzunehmen, dass am massgebenden Stichtag mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Überbauung des betreffenden Landes hätte gerechnet werden dürfen (
BGE 112 Ib 491
E. 5 mit Hinweisen; siehe auch Urteil vom 10. November 1982 i.S. Wohlen c. Bergmann, E. 2b, S. 11 ff., publiziert in BVR 1983 S. 210 f.).
e) Diese Grundsätze gelten auch für erschlossenes oder erschliessbares Land. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der rechtlichen Gegebenheiten, auf die in erster Linie abzustellen ist (
BGE 112 Ib 109
E. 2b; 390 E. 3, je mit Hinweisen; Urteil vom 10. November 1982 i.S. Wohlen c. Bergmann E. 2a, S. 11, publiziert in BVR 1983, S. 209; Urteil vom 23. Februar 1983 i.S. Krattigen c. Thomann, E. 3, S. 7 ff.). Erste Voraussetzung der Überbaubarkeit einer Parzelle und damit deren Baulandqualität bildet die Zugehörigkeit des entsprechenden Landes zu einer Bauzone, welche den verfassungs- und gesetzmässigen Anforderungen entspricht und welche die Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück einschliesst. Ist ein Grundstück nicht in diesem Sinne eingezont, so ist es - wie einzelne kantonale Rechte sagen - planungsrechtlich nicht baureif, was zur Folge hat, dass es auch nicht Bauland im enteignungsrechtlichen Sinne ist, es sei denn, es liege ein Ausnahmefall vor.
(Folgt Prüfung, ob unter Zugrundelegung der in E. 3 dargelegten Grundsätze im zu beurteilenden Fall eine materielle Enteignung zu bejahen ist. Frage verneint.) | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d48ed77a-5cb3-4e1c-8b89-a3a7bc11e22a | Urteilskopf
93 I 38
5. Arrêt du 22 février 1967 dans la cause Fédération des syndicats patronaux et consorts contre Conseil d'Etat du canton de Genève. | Regeste
Art. 88 OG
. Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung. Welches sind die verletzten Interessen? (Erw. 3).
Erfordernis der gesetzlichen Grundlage für die Einführung eines direkten oder indirekten rechtlichen Monopols (Erw. 4a).
Wann bedarf es einer klaren und unzweideutigen gesetzlichen Grundlage? (Erw. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 93 I 38 S. 38
A.-
Le Conseil d'Etat du canton de Genève a adopté le 3 août 1966 un "règlement concernant les prestations aux élèves et étudiants victimes d'accidents" et un "règlement modifiant le règlement de l'enseignement primaire et le règle ment de l'enseignement secondaire".
BGE 93 I 38 S. 39
Le premier règlement traite de l'assurance obligatoire par l'Etat (art. 1er) et du caractère complémentaire de cette assurance pour les élèves soumis à la "loi sur l'assurance-maladie obligatoire des écoliers, des apprentis et des mineurs salariés", du 22 décembre 1924 (art. 2). Il fixe l'étendue de l'assurance (pendant les activités scolaires et sur le trajet direct pour s'y rendre et en revenir, art. 3) et les prestations garanties pour les frais de guérison, les cas de décès et d'invalidité (art. 6). Il désigne l'organe d'application du règlement (Office des assurances de l'Etat, art. 7) et crée un fonds spécial qui figurera au bilan de l'Etat et dont les mouvements seront mentionnés dans le rapport sur la gestion du Conseil d'Etat (art. 11). Il définit la notion de l'accident (art. 4), prévoit l'avis à donner aux autorités scolaires en cas d'accident (art. 5), le mode de paiement des indemnités (art. 9) et la subrogation de l'Etat aux droits de la victime contre les tiers responsables de l'accident (art. 8). Il fixe enfin le montant des primes annuelles à payer au maître de classe ou au secrétariat de l'école: 3 fr. pour l'enseignement primaire, 8 fr. pour l'enseignement secondaire et 10 fr. pour l'enseignement supérieur (art. 10).
Le second règlement modifie deux articles des règlements sur l'enseignement primaire et l'enseignement secondaire pour les adapter aux nouvelles dispositions.
Le texte des deux règlements a été publié dans la "Feuille d'avis officielle" du mercredi 10 août 1966.
B.-
Par acte du 15 septembre 1966, la Fédération des syndicats patronaux, la Chambre genevoise des agents généraux d'assurances et Fritz Lüscher, tous à Genève, forment un recours de droit public contre les deux règlements du 3 août 1966, dont ils demandent au Tribunal fédéral de prononcer l'annulation.
Les associations font valoir qu'elles défendent, selon leurs buts statutaires, les intérêts des assureurs et des agents généraux d'assurances qu'elles comptent parmi leurs membres. Fritz Lüscher déclare qu'il est père de deux enfants soumis à la réglementation attaquée, l'un suivant l'école supérieure des jeunes filles et l'autre le cycle d'orientation.
Les recourants reprochent au Conseil d'Etat d'avoir, en adoptant les deux règlements litigieux, violé le principe de la souveraineté populaire (art. 1er Cst. gen.), le principe de l'égalité des citoyens devant la loi (art. 4 Cst.) et le principe de la
BGE 93 I 38 S. 40
force dérogatoire du droit fédéral (art. 2 Disp. trans. Cst).
A leur avis, les dispositions réglementaires adoptées par le Conseil d'Etat manquent de base légale et sont en outre contraires à l'art. 96 al. 2 Cst. gen. en ce sens qu'aucune recette correspondante n'est prévue pour assurer la couverture financière des nouvelles dépenses. Les règlements attaqués créent aussi des inégalités de traitement entre les élèves qui sont assurés en totalité, mais de façon intermittente, et ceux qui ne le sont qu'à titre complémentaire, mais de manière continue. Il est également arbitraire d'obliger les parents qui ont déjà assuré leurs enfants à verser des primes à l'Etat.
Enfin, les recourants soutiennent que le premier règlement méconnaît l'art. 96 LCA en subrogeant l'Etat aux droits de la victime ou de ses ayants droit, et qu'il ne satisfait pas aux exigences du droit fédéral en négligeant de définir la notion d'invalidité.
C.-
Le Conseil d'Etat propose au Tribunal fédéral: 1) de déclarer irrecevable, pour défaut de motivation, le recours dirigé contre le second règlement du 3 août 1966; 2) de prononcer l'irrecevabilité du recours de la Fédération des syndicats patronaux et de la Chambre genevoise des agents généraux d'assurances, pour défaut de qualité pour recourir; 3) de rejeter, dans la mesure où il est recevable, le recours de Fritz Lüscher.
a) Le Conseil d'Etat rappelle tout d'abord la situation qui existait avant l'adoption des règlements attaqués et l'évolution des faits qui ont abouti à cette adoption.
Les élèves et étudiants de l'enseignement à tous les degrés.étaient déjà soumis antérieurement à l'assurance obligatoire contre les accidents: les étudiants de l'université depuis 1920 ou même précédemment (cf. art. A 135 du règlement de l'université, de 1953, qui a remplacé des textes antérieurs); les élèves de l'enseignement secondaire, depuis 1940 en tout cas, l'art. 51 de la loi sur l'instruction publique du 6 novembre 1940 prévoyant expressément l'assurance obligatoire; les élèves des classes enfantines, primaires et secondaires de degré inférieur, dès 1924 au moins pour la couverture des frais de guérison (cf. lois de 1924 sur l'assurance-maladie obligatoire, en particulier art. 1er, 2, 3), et dès 1955 au moins pour des prestations en cas de décès et d'invalidité.
Ces élèves et étudiants étaient aussi déjà assurés par les
BGE 93 I 38 S. 41
soins de l'Etat (cf. en particulier art. 18 du règlement de 1955 sur l'enseignement secondaire), qui avait conclu à cet effet des assurances collectives auprès de diverses compagnies d'assurances: avec l'Helvetia-Accidents pour les élèves de l'enseignement primaire, avec la Winterthur pour les élèves de l'enseignement secondaire et avec la Zurich pour les étudiants de l'université.
Il n'y a pas eu de recours contre les textes légaux ou réglementaires qui introduisaient l'assurance obligatoire en cas d'accidents et en prévoyaient la réalisation par les soins de l'Etat. D'ailleurs, les compagnies intéressées n'ont pas manqué de conclure, sur cette base, des assurances collectives avec l'Etat et d'en tirer bénéfice.
Constatant que les primes payées aux assureurs semblaient très élevées par rapport aux prestations versées et que d'autre part les garanties étaient insuffisantes, l'Etat entama avec les compagnies d'assurances des pourparlers qui n'aboutirent pas, étant donné les prétentions excessives de ces sociétés, dont les offres d'ailleurs furent extrêmement variables (de 13 fr. 40 à 21 fr. 50 de prime pour l'enseignement secondaire, de 16 fr. à 24 fr. 50 pour l'université). L'augmentation de charges pour l'Etat aurait été de 70 000 fr. par an, dans le cas des primes les plus avantageuses. Dans ces conditions, l'Etat décida d'assurer lui-même ses élèves et étudiants, fort de l'expérience acquise dans l'assurance-accidents des magistrats, fonctionnaires et employés de l'Etat. A cet effet, il adopta les deux règlements du 3 août 1966.
b) A l'encontre des griefs soulevés par les recourants, le Conseil d'Etat fait valoir principalement les arguments suivants: la prétendue création d'une "Caisse d'Etat" constitue un simple acte de gestion, qui ne nécessite nullement le vote d'une loi; il ne s'agit pas de la constitution d'un monopole, puisque l'assurance par l'Etat ne s'étend qu'aux activités scolaires et au trajet direct pour s'y rendre et en revenir; les risques financiers encourus ne sont pas plus graves qu'auparavant, et l'Office des assurances de l'Etat, qui s'occupe déjà de régler tous les cas d'accidents avec les assureurs, n'aura pas une surcharge excessive de travail en les liquidant directement lui-même à l'avenir. L'art. 96 al. 2 Cst. gen. n'ouvre pas la voie au recours de droit public. Il n'y a pas d'inégalité de traitement entre les élèves assujettis, les primes à payer étant différentes pour les
BGE 93 I 38 S. 42
diverses catégories. Les dispositions de la LCA ne s'appliquent qu'aux assurances privées; au surplus, la référence - contenue à l'art. 4 al. 3 - aux conditions générales pour l'assurance collective contre les accidents, selon la loi genevoise sur l'assurance obligatoire de certains salariés, permet de définir la notion d'invalidité.
D.-
Les règlements attaqués ne contenant aucune motivation, les recourants ont été autorisés à prendre position, dans un mémoire complémentaire, à l'égard des arguments développés par le Conseil d'Etat dans sa réponse. Leurs objections seront reprises ci-après dans la mesure utile.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'élément nouveau introduit dans le droit genevois par le "règlement concernant les prestations aux élèves et étudiants victimes d'accidents" est l'institution d'un fonds d'assurance par l'Etat lui-même (art. 11 en relation avec l'art. 7). Il ressort en effet des faits rappelés ci-dessus, en particulier de la réponse du Conseil d'Etat, que c'est cette institution qui a été la raison d'être de la mise sur pied d'un tel règlement, à la suite de l'échec des pourparlers entamés par l'Etat avec les compagnies d'assurances. L'obligation de s'assurer contre les accidents résultait déjà, pour les élèves de tous les degrés, de textes antérieurs qui n'avaient pas fait l'objet de recours; il en était de même, en partie du moins, de l'obligation de passer par l'Etat pour une telle assurance; en tout cas, une telle obligation existait en fait depuis plusieurs années sans que personne n'en ait mis en doute la légalité et ne l'ait attaquée par la voie d'un recours de droit public.
Le déroulement des pourparlers entre l'Etat et les compagnies d'assurances montre également que c'est essentiellement la constitution du fonds public d'assurance, consécutive à l'échec de ces pourparlers, qui a incité les agents généraux d'assurances - par le canal de leur Chambre cantonale - à en contester la constitutionnalité par la voie du recours de droit public. C'est donc en fonction de l'institution de ce fonds public d'assurance qu'il importe de considérer les règlements attaqués et les griefs dont ils sont l'objet.
Si l'institution du fonds public d'assurance devait être déclarée inconstitutionnelle pour défaut de base légale, cela entraînerait l'annulation, non seulement des art. 7 et 11 qui ont trait
BGE 93 I 38 S. 43
directement à cette institution, mais également des dispositions sur les prestations (art. 6), lesquelles seraient désormais entièrement à la charge de l'Etat, et sur les primes (art. 10), calculées en fonction de ces prestations et de manière à réaliser l'équilibre entre les unes et les autres. Il en est de même de la disposition sur la subrogation en faveur de l'Etat (art. 8), qui n'a de raison d'être que dans un système d'assurance étatique.
Privé de ses éléments essentiels, le premier règlement n'aurait plus de sens ni d'utilité; il devrait dès lors être annulé entièrement. Quant au second règlement, qui se borne à adapter quelques dispositions réglementaires en vigueur à la nouvelle institution créée par le premier règlement, il devrait lui aussi suivre le même sort.
2.
Le Conseil d'Etat conclut à l'irrecevabilité du recours contre le second règlement, pour défaut de motivation.
Il est vrai que si, dans leurs conclusions, les recourants demandent l'annulation des deux règlements du 3 août 1966, ils ne s'en prennent qu'au premier dans l'exposé de leurs moyens, sans parler du second. Ce n'est cependant pas une raison suffisante de déclarer le recours irrecevable à l'égard de ce dernier.
On a vu ci-dessus que le second règlement se borne à adapter des dispositions en vigueur à la nouvelle institution créée par le premier règlement et qu'il est étroitement lié à celui-ci. Dès lors les arguments dirigés contre l'un s'adressent également à l'autre. Au surplus, le Conseil d'Etat aurait très bien pu introduire dans le premier un article qui apporte aux textes en vigueur les adaptations nécessitées par la nouvelle institution. Ce serait en tout cas faire preuve d'un formalisme exagéré que de refuser d'entrer en matière, faute de motifs, au sujet du second règlement.
3.
Il importe d'examiner, en fonction de l'institution du fonds public d'assurance, la question de la qualité pour recourir.
Les recourants invoquent d'abord les art. 1er, 78 et 116 de la constitution cantonale. Manifestement, ils ne peuvent déduire de ces dispositions, considérées en elles-mêmes, un droit individuel susceptible d'être protégé par un recours de droit public. L'art. 1er, qui attribue au peuple la souveraineté, énonce un principe trop général pour être directement applicable; quant aux art. 78 et 116, qui fixent les compétences du
BGE 93 I 38 S. 44
Grand Conseil et du Conseil d'Etat, leur caractère organique est incontestable (cf. RO 82 I 99). Toutefois, loin de se borner à citer ces dispositions, les recourants font grief au Conseil d'Etat de les avoir violées en édictant une réglementation sans base légale. Cet argument supplémentaire éclaire leurs intentions. Ce qu'ils reprochent en réalité au Conseil d'Etat, c'est de s'être substitué au législateur ou, comme ils le précisent dans leur mémoire supplétif, d'avoir méconnu le principe de la séparation des pouvoirs. Or, qu'il soit formulé ou non par la constitution, ce principe n'en a pas moins dans chaque canton un caractère constitutionnel qui résulte de la répartition des tâches étatiques entre divers organes (RO 70 I 7 s., 79 I 131, 80 I 4, 81 I 121 et 183, 83 I 115). Tel est le cas à Genève comme ailleurs (RO 82 I 99). Certes, un recourant ne peut s'appuyer sur le principe de séparation que s'il se prétend touché dans des intérêts juridiquement protégés qui correspondent à ce principe même (RO 86 I 102, 284
;
89 I 238
/9, 278/9
;
91 I 419
). Point n'est besoin cependant qu'il se plaigne d'une violation de ses droits d'électeur (RO 89 I 260); il suffit qu'il allègue la lésion de n'importe quel intérêt juridiquement protégé et correspondant au droit constitutionnel invoqué (RO 91 I 407). Il s'agit dès lors d'examiner, dans le cadre des arguments qu'ils fondent sur le principe de la séparation des pouvoirs, si les recourants se prévalent d'une atteinte à un intérêt de cette nature.
a) Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, les associations dont le but statutaire est de sauvegarder certains intérêts de leurs membres ont qualité pour former un recours de droit public, si leurs membres eux-mêmes sont touchés dans ces intérêts et sont lésés au sens de l'art. 88 OJ (RO 81 I 120, 88 I 175).
Les statuts de la Fédération des syndicats patronaux prévoient que cette dernière a notamment pour but de "s'opposer à toute mesure d'ordre politique, économique ou administratif qui serait de nature à porter atteinte aux intérêts généraux des associations affiliées ou de leurs membres". La Chambre genevoise des agents généraux d'assurances, ainsi que de nombreux assureurs, font partie de la Fédération. Les statuts de la Chambre prévoient qu'elle a notamment pour but "la sauvegarde des intérêts moraux et matériels de ses membres". Les deux associations ont dès lors qualité pour former un recours de droit public dans la mesure où les décisions attaquées
BGE 93 I 38 S. 45
lèsent les intérêts de leurs membres au sens de l'art. 88 OJ.
En vertu de la réglementation attaquée, les assureurs qui font partie de ces associations ne pourront pratiquement plus conclure d'assurance collective avec l'Etat contre les risques qu'il a décidé d'assurer lui-même. Ils ne sauraient pourtant s'en plaindre, rien n'obligeant l'Etat à contracter avec eux (cf. RO 89 I 279). Cependant, en s'instituant assureur, l'Etat s'est arrogé un monopole. Manifestement, les élèves ou leurs parents ne s'assureront pas à double, c'est-à-dire qu'ils renonceront à traiter avec des sociétés privées dans la mesure où ils sont protégés par l'Etat; ces sociétés sont donc victimes d'un monopole. Il ne s'agit pas d'un simple monopole de fait, en raison duquel l'activité de l'Etat est interdite aux tiers par des moyens sans rapport direct avec elle (cf. RO 82 I 228 et les arrêts cités; RUCK, Festgabe für Götzinger, p. 225; FAVRE, Droit constitutionnel suisse, p. 369; MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit, p. 208); en effet, le Conseil d'Etat ne s'est pas servi en l'espèce d'un procédé indirect pour arriver à ses fins. On n'a pas affaire non plus à un monopole de droit proprement dit, dont le détenteur a le droit exclusif d'exercer une activité déterminée (cf. MARTI et RUCK, loc.cit.): juridiquement, les assureurs privés conservent la faculté d'assurer les élèves de l'enseignement public. En réalité, on se trouve en présence d'un monopole de droit indirect, c'est-à-dire du cas où, en rendant obligatoire le recours à un service public auquel il attribue une certaine tâche, l'Etat empêche les particuliers de la remplir, faute de clientèle (GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht, p. 309; MARTI, op.cit., p. 209 et 211). Ces questions de terminologie sont d'ailleurs secondaires. Ce qu'il importe de constater, c'est que les assureurs privés seraient certainement atteints dans leurs intérêts professionnels par une interdiction de contracter et que ces intérêts, protégés par l'ordre juridique, correspondraient au droit constitutionnel invoqué. Mais la réglementation attaquée aboutit en fait à un résultat identique et lèse tout autant les assureurs privés. Ceux-ci ont dès lors qualité pour recourir dans le second comme dans le premier cas; il en est de même des associations recourantes, chargées de défendre les intérêts professionnels de leurs membres; si l'on n'admettait pas la qualité pour recourir dans le second cas, l'Etat aurait la possibilité de se soustraire au contrôle du Tribunal fédéral en adoptant telle forme de monopole
BGE 93 I 38 S. 46
plutôt que telle autre, par exemple en rendant pratiquement impossible l'exercice d'une profession au lieu de le prohiber par des textes.
Admettre, dans ce cas, la qualité pour agir, ce n'est pas aller à l'encontre d'un des buts principaux de la jurisprudence sur les recours de droit public: éviter l'action populaire. Ici, le cercle des intéressés habiles à agir est limité aux assureurs qui concluent des assurances dans le canton de Genève et aux associations dont ils font partie; il n'est donc pas question d'ouvrir à quiconque la voie du recours de droit public. Point n'est besoin de se demander si, en faisant concurrence aux particuliers sans exclure complètement leur activité dans un certain domaine, l'Etat affecte leurs intérêts juridiquement protégés, puisqu'en l'espèce les assureurs sont pratiquement éliminés d'un secteur déterminé. Au demeurant, il est inutile d'examiner si les sociétés d'assurances sont seules touchées dans leurs intérêts ou si les agents généraux se trouvent aussi dans la même situation. La Chambre genevoise des agents généraux d'assurances groupant des sociétés et des agents, cette question peut rester indécise.
b) Fritz Lüscher est le père de deux enfants qui suivent l'enseignement secondaire; il est dès lors astreint à payer des primes d'assurance à l'Etat; d'autre part, il n'est pas exclu qu'il soit astreint un jour à des versements en faveur d'élèves de l'école primaire ou d'étudiants de l'université. Sans doute ne soutient-il pas qu'une caisse publique soit moins solvable qu'une entreprise privée. En revanche, il prétend qu'en échange de primes inférieures, une compagnie d'assurances offre à telle catégorie d'assurés des prestations supérieures à celles de la caisse publique. Peu importe que ces allégations soient exactes ou non: c'est là une question de fond et non de recevabilité. Il suffit de constater que, sur la base des mémoires des recourants, Fritz Lüscher est atteint dans ses intérêts d'une manière effective ou virtuelle; ces intérêts sont protégés par le principe de la légalité et correspondent à celui de la séparation des pouvoirs. C'est dire que Fritz Lüscher est habile à recourir.
4.
Abordant l'examen du fond, la Cour de céans doit essentiellement se demander si l'institution d'une caisse publique d'assurance par le Conseil d'Etat ne constitue pas une atteinte au principe de la séapration des pouvoirs.
Ce principe est violé toutes les fois qu'un organe de l'Etat
BGE 93 I 38 S. 47
empiète sur la sphère d'activité d'un autre, telle que la détermine l'ordre juridique. En particulier, lorsqu'une mesure étatique est subordonnée à une base légale en vertu du principe de la légalité (cf. RO 83 I 115), l'autorité exécutive ne peut édicter des dispositions générales et abstraites qu'en se fondant sur une loi. Il s'agit dès lors d'examiner si, en créant une caisse publique pour l'assurance-accidents des élèves et étudiants, le Conseil d'Etat était soumis à l'exigence de la base légale et, dans l'affirmative, s'il s'y est conformé.
a) Il ressort des considérants précédents (consid. 3 a) qu'en instituant un fonds d'assurance public, le Conseil d'Etat a attribué à l'Etat un monopole de droit indirect. Or, selon la doctrine, un monopole doit en principe reposer sur une base légale (BURCKHARDT, Kommentar, 3e éd., p. 230). Cela est vrai en tout cas pour les monopoles de droit, directs ou indirects (MARTI, op.cit., p. 211, 229). Une base légale étant donc nécessaire en l'espèce, il reste à décider s'il faut en examiner l'existence sous l'angle restreint de l'arbitraire ou au contraire exiger une base claire et nette.
b) Comme il a eu l'occasion de le préciser à maintes reprises, en matière de garantie de la propriété notamment, le Tribunal fédéral revoit en principe sous l'angle de l'arbitraire seulement l'existence de la base légale cantonale sur laquelle l'autorité fonde ses décisions. Cependant, lorsqu'il s'agit d'atteinte particulièrement grave à la propriété et à la liberté individuelle, il a jugé qu'il devait abandonner la réserve dont il fait preuve habituellement (RO 90 I 39). Il en est de même ici. Sans doute ne lui incombe-t-il pas de se prononcer sur les avantages et les inconvénients d'une caisse d'assurance publique par rapport aux assurances collectives conclues auprès d'assureurs privés. Toutefois, l'atteinte causée à la liberté économique par la réglementation attaquée doit être considérée comme sensible, en particulier en raison du grand nombre d'élèves (près de 40 000) qui sont englobés dans l'assurance obligatoire de l'Etat et à propos desquels des compagnies d'assurances sont pratiquement privées de la possibilité de conclure des contrats dans la branche accidents. Supposé même que cette atteinte ne soit pas assez grave pour justifier à elle seule l'exigence d'une base claire et nette, d'autres considérations cependant plaident encore pour cette solution.
Tout d'abord l'institution d'une caisse publique expose
BGE 93 I 38 S. 48
l'Etat à des risques qui peuvent être importants; les indemnités pour invalidité permanente totale vont en effet jusqu'à 60 000 fr. par cas, même jusqu'à 100 000 fr. pour les étudiants de l'université. Ensuite, elle entraînera selon toute vraisemblance, et contrairement à l'avis de l'intimé, une extension plus ou moins considérable de l'appareil administratif; si l'Office cantonal des assurances compte actuellement un chef et deux commis pour s'occuper de tous les problèmes d'assurance dans l'administration, il semble exclu qu'un personnel si peu nombreux puisse régler en plus les conséquences financières de tous les accidents subis par les élèves de l'enseignement public, lequel en compte près de 40 000. Enfin, en tant qu'il porte sur l'assurance-accidents des élèves et étudiants, le monopole accordé à l'Etat apparaît comme une innovation, aussi bien dans le canton de Genève que dans les autres cantons.
De l'ensemble de ces circonstances, il faut conclure que le Conseil d'Etat ne pouvait créer une caisse d'assurance publique sans y être autorisé par la loi d'une façon claire et nette. Or ni les art. 2, 51 et 95 précités de la loi sur l'instruction publique, ni d'autres dispositions légales ne confèrent au Conseil d'Etat un tel pouvoir. Il s'ensuit que l'institution d'une caisse publique viole le principe de la légalité et, partant, celui de la séparation des pouvoirs.
Au demeurant, même s'il examinait la question sous l'angle restreint de l'arbitraire, le Tribunal fédéral aboutirait à un résultat identique. En effet, pour reconnaître au Conseil d'Etat la compétence de créer une caisse d'assurance publique, il faut s'écarter du texte légal d'une manière telle qu'un juge ne saurait s'y résoudre, fût-il confiné sur le terrain de l'arbitraire.
c) Les dispositions qui instituent la caisse publique d'assurance doivent donc être annulées parce qu'inconstitutionnelles; cette annulation entraîne celle des deux règlements du 3 août 1966, qui ont été adoptés essentiellement en fonction de cette institution et qui trouvent en elle leur raison d'être (cf. consid. 1 ci-dessus).
5.
Le recours devant être admis - et les règlements annulés - pour les motifs exposés ci-dessus, il n'est pas nécessaire d'examiner les autres griefs des recourants.
BGE 93 I 38 S. 49
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours dans la mesure où il est recevable; partant, annule: a) le règlement concernant les prestations aux élèves et étudiants victimes d'accidents, du 3 août 1966; b) le règlement, de même date, modifiant le règlement de l'enseignement primaire et le règlement de l'enseignement secondaire. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d48fc33a-de5d-4499-b2c9-178abab03571 | Urteilskopf
117 Ia 1
1. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 11 juin 1991 dans la cause X. contre Ministère public du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; Strafprozess; Begründung der Entscheidungen von Geschworenengerichten.
1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1b).
2. Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen der Geschworenengerichte (E. 3a).
Fall, in welchem das Geschworenengericht zu den ihm gestellten Fragen gesamthaft mit "ja" geantwortet hat. Die Anforderungen an die Begründungspflicht sind eingehalten worden (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 117 Ia 1 S. 1
A.-
Par arrêt du 20 mai 1988, la Cour correctionnelle avec jury du canton de Genève (la Cour correctionnelle) a acquitté Albert Vernon Wright de l'accusation de deux escroqueries qui lui étaient reprochées.
Sur pourvoi du Ministère public, la Cour de cassation du canton de Genève (la Cour de cassation) a, le 2 février 1989, renvoyé la cause à la Cour correctionnelle pour nouveau verdict concernant la première escroquerie, et confirmé l'arrêt pour le surplus. Pour
BGE 117 Ia 1 S. 2
cette première infraction, le jury avait répondu négativement, de manière générale, au début du questionnaire qui lui était soumis, sans se prononcer sur les questions de fait et de droit détaillées, de sorte que si l'on pouvait déduire du verdict qu'il n'y avait pas eu tromperie astucieuse, il n'était pas possible, à défaut de savoir sur quels faits le jury s'était basé pour arriver à cette conclusion, de contrôler l'application de cette notion de droit fédéral. Pour la seconde infraction en revanche, le jury avait répondu en détail à toutes les questions; il apparaissait que l'accusé avait agi sans intention, appréciation de fait que la Cour de cassation ne pouvait revoir.
B.-
Le 22 mars 1990, la Cour correctionnelle a reconnu Wright coupable du chef d'accusation d'escroquerie, encore litigieux, et elle l'a condamné à dix-huit mois d'emprisonnement avec sursis pendant deux ans, le jury ayant, dans son verdict, répondu globalement oui à la question qui lui était posée.
La Cour de cassation a confirmé cet arrêt le 28 novembre 1990.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, Wright demande au Tribunal fédéral d'annuler cet arrêt ainsi que celui du 2 février 1989, pour violation de l'
art. 4 Cst.
La Cour de cassation a renoncé à présenter des observations. Le Procureur général conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal fédéral examine d'office et avec une pleine cognition si et, le cas échéant, dans quelle mesure les recours qui lui sont soumis sont recevables (
ATF 116 Ia 79
consid. 1).
b) Selon l'
art. 84 al. 2 OJ
, le recours de droit public n'est notamment recevable que si la violation invoquée ne peut pas être soumise par un autre moyen de droit au Tribunal fédéral. En l'espèce, il conviendrait de rechercher si l'argumentation soulevée par le recourant ne pouvait l'être dans le cadre d'un pourvoi en nullité (
art. 268 ss PPF
). Selon l'
art. 277 PPF
, la Cour de cassation du Tribunal fédéral annule la décision attaquée lorsqu'elle est entachée de vices tels qu'il est impossible de constater de quelle façon la loi a été appliquée. Cette disposition ne fonde toutefois pas un moyen de nullité autonome, mais s'applique uniquement lorsque le recours est formé pour violation du droit pénal matériel (
ATF 101 IV 135
consid. 3b,
ATF 89 IV 10
). En l'espèce, le recourant soutient certes que la condition de l'astuce, élément constitutif
BGE 117 Ia 1 S. 3
subjectif de l'escroquerie, ne serait pas réalisé, mais il n'en fait pas un grief distinct à l'appui de son recours; celui-ci est entièrement fondé sur une violation du droit d'être entendu, tel qu'il est garanti par les dispositions cantonales de procédure dont l'application doit être exempte d'arbitraire et, à titre subsidiaire, par l'
art. 4 Cst.
Le recours de droit public apparaît donc recevable, la question souffrant néanmoins de demeurer indécise, vu le sort du recours sur le fond.
2.
La jurisprudence constante admet que les réponses du jury, données par oui ou par non aux questions qui lui sont soumises, constituent en règle générale une motivation suffisante quant à l'étendue de l'état de fait, pour autant que le questionnaire soit suffisamment précis et détaillé pour permettre, à la lecture du verdict ou de la décision judiciaire dans son ensemble, de discerner les faits constatés et les réquisitions de l'accusation ou les affirmations de la défense qui ont été écartées (
ATF 102 Ia 6
consid. 2e, arrêts du 22 novembre 1988 en la cause L., SJ 1989 p. 190, et du 3 octobre 1990 en la cause J.). Le recourant soutient que le système genevois, ou la motivation de l'arrêt résulte des réponses par oui ou par non aux questions posées au jury, ne serait, de manière générale, pas conforme aux exigences de motivation découlant de l'
art. 4 Cst.
Cette argumentation ne figure pas dans le mémoire déposé à l'appui de son pourvoi en cassation. Invoqué pour la première fois devant le Tribunal fédéral, l'argument est irrecevable (
art. 86 al. 2 OJ
), de sorte que c'est uniquement l'application au cas d'espèce des principes dégagés par la jurisprudence en matière de droit d'être entendu qu'il convient d'examiner.
3.
Le recourant critique la formulation de la question posée au jury, lui reprochant de mêler les faits et le droit. Consistant en une réponse globalement positive à cette question, le verdict du jury ne serait pas suffisamment motivé...
a) La jurisprudence a déduit du droit d'être entendu le droit d'obtenir une décision motivée. Cette exigence est rappelée à l'
art. 22 al. 1 CPP
gen., qui n'accorde pas une protection plus étendue que celle découlant de l'
art. 4 Cst.
(arrêt non publié du 10 novembre 1983 en la cause S.). Ainsi, lorsque le choix que le juge est amené à faire dépend de l'éclaircissement de certains points de fait ou de droit contestés par les parties, il lui appartient de dire, dans la motivation de son arrêt, pourquoi il a admis tel fait plutôt que tel autre, afin de permettre, d'une part, aux parties de
BGE 117 Ia 1 S. 4
comprendre les raisons pour lesquelles leur argumentation n'a pas été retenue et de décider, en toute connaissance de cause, s'il se justifie de porter l'affaire devant l'instance supérieure (
ATF 101 Ia 48
consid. 3) et, d'autre part, à cette dernière de contrôler que le droit a été correctement appliqué.
b) Le questionnaire soumis au jury lors de la première procédure était repris des réquisitions du Procureur général, figurant dans l'ordonnance de renvoi de la Chambre d'accusation. Y sont mentionnés, en tête, les éléments constitutifs de l'escroquerie, puis une description par paragraphes des faits reprochés au recourant. Le Président de la Cour correctionnelle avait toutefois, de sa propre initiative, séparé certains paragraphes, afin de faire ressortir des éléments distincts, concernant notamment la condition de l'astuce propre à l'escroquerie. Comme l'a retenu la Cour de cassation dans son premier arrêt, la réponse globale négative du jury ne permettait pas de savoir sur quels faits il s'était basé pour nier l'existence d'une tromperie astucieuse.
Lors de la seconde procédure, le questionnaire a été repris, sans changement, des réquisitions du Ministère public. Il contient un exposé chronologique des faits reprochés au recourant. Contrairement à ce qu'il prétend, les faits constitutifs de la condition de l'astuce y figurent en plusieurs endroits relativement au premier versement de la victime ("En se faisant passer pour un homme d'affaires très important (...), en affirmant qu'il avait la possibilité d'acheter les actions de deux sociétés (...), en prétendant à l'encontre de la vérité que sa société PTL devait investir 2 millions de dollars (...), l'incitant à accepter sa proposition avec l'argumentation fallacieuse que PTL avait déjà misé 2 millions de dollars (...), faisant miroiter un bénéfice de 55 millions de dollars (...), en obtenant ainsi astucieusement dans un premier temps de sa victime, par ses nombreux mensonges et pressions injustifiés, qu'elle signe et lui remette un chèque de 500'000 dollars"), ainsi qu'au second versement ("en déclarant ensuite, faussement (...), laissant miroiter à sa victime la possibilité de convertir ultérieurement sa part sociale en simple prêt devant lui rapporter un million de dollars en intérêts, en exerçant, par le biais de ses affirmations fallacieuses et mensongères, une nouvelle pression psychologique (...), en déterminant par ces moyens sa victime à verser (...) un montant de 1,5 million de dollars"). Le jury y a répondu par un "oui" global en fin de questionnaire, faisant ainsi sienne la version des faits retenue par la Chambre d'accusation.
BGE 117 Ia 1 S. 5
Contrairement à ce que prétend le recourant, une telle manière de répondre constitue, dans le cas particulier, une motivation suffisante. Elle signifie en effet que le jury a admis l'existence de tous les éléments constitutifs ressortant des différentes questions, et notamment de l'astuce, appréciation dépourvue de toute ambiguïté, contre laquelle les parties pouvaient recourir en toute connaissance de cause et dont l'autorité de recours pouvait examiner le bien-fondé.
Certes, plus détaillé, le premier questionnaire permettait mieux que le second d'attirer l'attention du jury sur certaines questions, relatives en particulier à l'astuce, susceptibles d'appeler une réponse distincte. Il n'en résulte pas, contrairement à ce que soutient le recourant, que la seconde formulation rendrait un acquittement "pratiquement impossible"; il aurait suffi au jury de préciser, en cas de répondre négative, quel élément faisait défaut, en usant, le cas échéant (si les parties n'ont pas proposé de sous-question comme le permet l'
art. 301 CPP
gen.), de la faculté réservée à l'
art. 308 al. 2 CPP
gen. de ne répondre négativement qu'à une partie d'une question.
L'arrêt attaqué ne viole donc pas le droit d'être entendu et le recours doit par conséquent être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d495bb92-d608-4279-853f-eaa4dd1bc131 | Urteilskopf
101 IV 314
72. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 2 octobre 1975 dans la cause Ministère public du canton de Vaud contre F. | Regeste
Art. 305 StGB
. Schützt der Täter sich selbst vor Verfolgung oder Strafvollzug, ist er nicht strafbar, selbst wenn er dadurch gleichzeitig andere begünstigt (Erw. 2).
Art. 32 StGB
. Unter "Gesetz" ist auch das Recht zu verstehen, das der Kanton im Rahmen seiner Zuständigkeit erlässt (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 315
BGE 101 IV 314 S. 315
Extrait des Considérants:
1.
Procédure.
2.
L'entrave à l'action pénale au sens de l'art. 305 CP implique que l'auteur a soustrait une personne à l'emprise de l'autorité pénale, que ce soit au cours de l'enquête (dès l'ouverture), du jugement ou de l'exécution de celui-ci (RO 99 IV 274/5 No II). Peu importe que le bénéficiaire de l'infraction soit en réalité coupable ou innocent, voire qu'il ne soit pas punissable. L'Etat a un intérêt primordial à ne pas être gêné dans l'administration de la justice pénale et à pouvoir faire toute la lumière nécessaire sur les points susceptibles d'en relever; sa fonction d'assurer l'ordre public en dépend. L'art. 305 CP n'a donc pas pour seul but de garantir le châtiment des délinquants (cf. RO 69 IV 120 et STRATENWERTH, tome 2, p. 260/1) mais encore, d'une façon plus générale, de permettre l'exercice même de la justice pénale (SCHWANDER, p. 504 No 771 ch. 1a). L'infraction réprimée par cette disposition peut être réalisée par une omission, lorsque celle-ci est contraire à un devoir particulier d'agir (RO 74 IV 166), mais le plus souvent elle consiste dans un comportement actif de l'auteur, par exemple lorsqu'il donne de fausses indications à l'autorité (STRATENWERTH, p. 622). La doctrine unanime, et d'ailleurs le texte même de la loi, admettent que la soustraction doit porter sur autrui, le fait de tenter d'échapper à la justice pénale n'étant pas punissable en soi (RO 73 IV 239, 96 IV 168; SCHWANDER, p. 504 No 771 ch. 1b et STRATENWERTH, p. 623). Ce même principe vaut évidemment - sans quoi il perdrait une bonne part de sa substance - lorsque la soustraction profite non seulement à l'auteur, mais en même temps à autrui (STRATENWERTH, p. 623 litt. c).
BGE 101 IV 314 S. 316
Savoir si une personne est l'objet d'une poursuite ou tout au moins si elle a de sérieuses raisons de considérer qu'elle y est exposée est une question de fait, tranchée souverainement par l'autorité cantonale (art. 275bis al. 1 PPF). Le recourant ne saurait donc revenir (cf. art. 273 al. 1 litt. b PPF) sur la constatation selon laquelle l'intimé, en raison d'inculpation et de condamnation antérieures pour des faits analogues, était fondé à estimer qu'il était, aux yeux de l'autorité pénale, suspect d'avoir participé peu ou prou à la pose du calicot, le 2 mars 1974, et cela nonobstant le fait qu'il n'a été inculpé d'entrave à la circulation publique que par la suite et qu'il a été finalement libéré - au bénéfice du doute - de cette accusation. Dans ces conditions, l'art. 305 CP ne pouvait trouver application in casu et c'est à juste titre que l'intimé n'a pas été reconnu coupable d'entrave à l'action pénale.
3.
Supposé au surplus que l'intimé n'ait pas dû être libéré en vertu de l'art. 305 CP même, il aurait dû l'être en application de l'art. 32 CP selon lequel l'acte permis par la loi ne constitue pas une infraction. La législation à laquelle se réfère cette disposition n'est pas seulement celle de la Confédération, mais également celle des cantons, dans la limite des compétences de ceux-ci. Lorsqu'il s'agit de l'administration de la justice pénale par les autorités cantonales, il ressort sans équivoque de l'art. 64bis al. 2 Cst. et de l'art. 365 al. 1 CP que la procédure est du domaine réservé des cantons. Or le devoir de témoigner relève de la procédure (RO 98 IV 215); in casu il est réglé par les art. 193 ss PP.
Aux termes de l'art. 269 al. 1 PPF, le pourvoi en nullité n'est ouvert que pour violation du droit fédéral. Le recourant n'est dès lors pas recevable (cf. art. 273 al. 1 litt. b PPF) à critiquer l'interprétation que l'autorité cantonale a donnée des dispositions cantonales de procédure en déclarant que celui qui a des motifs de penser, à tort ou à raison, que les faits par lui tus ou travestis seraient de nature à entraîner son inculpation ne peut se rendre coupable de faux témoignage. Cela posé, dès lors que l'intimé était autorisé par les art. 193 ss PP à refuser de témoigner, son silence ne peut constituer une infraction punissable en vertu de l'art. 305 CP.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4a040e9-ed0d-4af2-b28f-222b4a681873 | Urteilskopf
112 Ib 26
6. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 26 février 1986 dans la cause commune de Chiètres contre Conseil d'Etat du canton de Fribourg (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 24 RPG
, Bewilligung zur Ausbeutung eines Kiesvorkommens, Interessenabwägung.
Fehlt ein kantonaler Plan, der die Abbauzonen des Bodens zwingend festlegt, so ist im Rahmen der durch
Art. 24 RPG
vorgeschriebenen Interessenabwägung jedes Mal zu prüfen, ob der für die Kiesgrube vorgesehene Standort sich eher als ein anderer aufdrängt (E. 2c). Die Anerkennung der Zweckmässigkeit einer Kiesgrube an und für sich bedeutet noch nicht, dass das Projekt am beabsichtigten Ort tatsächlich bewilligt werden muss, zumal für Kiesgruben nur eine relative Standortgebundenheit besteht (E. 4b/bb).
Die Einwirkungen des zu erwartenden vermehrten Lastwagenverkehrs auf die Umwelt sind bei der Prüfung des sowohl gemäss
Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG
wie
Art. 11 UWG
geschützten öffentlichen Interesses zu berücksichtigen (E. 5d).
Im konkreten Fall überwogen die öffentlichen Interessen an der Erhaltung der Landschaft und der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens sowie am Umweltschutz; Aufhebung der strittigen Ausnahmebewilligung (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 112 Ib 26 S. 27
Gravabal S.A., à Avenches (Vaud), a déposé auprès de l'Office cantonal pour l'aménagement du territoire du canton de Fribourg une demande d'autorisation de construire en vue de l'ouverture d'une gravière aux lieux dits "Uf der Aebni" et "vor em Holz", sur le territoire de la commune de Kerzers (Chiètres), dans le district du Lac. La zone d'extraction prévue a une superficie de 184'810 m2, dont 179'640 m2 sont des terres agricoles, actuellement affectées à des cultures céréalières et maraîchères. Situé à l'intérieur du périmètre du remaniement parcellaire de Chiètres, ce territoire est classé dans une zone sans affectation du plan communal. Il se trouve au pied nord-ouest des collines d'Arnen et de Sunnenberg, qui figurent à l'Inventaire des sites naturels du canton. La partie sud-est de la zone d'extraction, soit environ le tiers de celle-ci, est englobée dans ce site. Le volume des graviers exploitables s'élèverait à environ 2'700'000 m3. Ces matériaux seraient évacués par la route de Bienne en direction d'Avenches, au moyen de camions qui devraient traverser du nord au sud tout le village de Chiètres. L'exploitation de la gravière s'échelonnerait sur 30 ans. La demande d'autorisation de construire se limite cependant à une première étape, qui se rapporte à la partie nord-est de la zone d'extraction, d'une surface de 95'030 m2 exploitables en 15 ans. Les terrains concernés sont la
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propriété de particuliers, dont la plupart ont passé avec Gravabal S.A. une promesse de vente exécutoire au moment de la délivrance des autorisations définitives. Les vendeurs seraient mis au bénéfice d'un droit de réméré qu'il leur serait loisible d'exercer au moment de la remise en état des lieux. Celle-ci comporterait le remblai partiel de l'excavation et la restitution à l'agriculture d'une surface de 148'000 m2.
Le 7 janvier 1983, l'Office cantonal des constructions et de l'aménagement du territoire a délivré à Gravabal S.A. l'autorisation exceptionnelle qui lui était nécessaire conformément à l'art. 24 al. 1 de la loi fédérale du 22 juin 1979 sur l'aménagement du territoire (LAT). Par arrêté (No 972) du 28 mai 1985, le Conseil d'Etat du canton de Fribourg a rejeté le recours formé par la commune de Chiètres contre cette décision. Tout en reconnaissant l'importance des intérêts publics allégués par la recourante, il a estimé que les intérêts publics et privés à l'exploitation de la gravière projetée l'emportaient.
Admettant le recours de droit administratif de la commune de Chiètres, le Tribunal fédéral a annulé l'arrêté du Conseil d'Etat du 28 mai 1985 ainsi que la décision de l'Office cantonal des constructions et de l'aménagement du territoire du 7 janvier 1983.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) L'exploitation d'une gravière constitue une construction ou une installation au sens des
art. 22 et 24 LAT
: elle implique un important bouleversement temporaire de la topographie et, du moins en l'espèce, une modification durable de celle-ci (
ATF 108 Ib 366
consid. 5b). Aux termes de l'
art. 22 al. 2 lettre a LAT
, une construction ou une installation ne peut être autorisée que si elle est conforme à l'affectation de la zone dans laquelle elle est prévue. S'agissant d'une gravière, cette condition n'est réalisée que si le terrain à exploiter se trouve dans une zone d'extraction minière ou d'exploitation du sous-sol (
ATF 111 Ib 87
et les références). De l'obligation générale instituée par l'
art. 2 LAT
, il résulte que les cantons doivent déterminer les zones d'exploitation de gravières, tout au moins celles d'une certaine étendue, par des plans contraignants (
ATF 111 Ib 86
,
ATF 103 Ib 61
consid. 3a; pour un exemple d'une telle planification, cf.
ATF 107 Ia 93
ss). En l'absence d'une planification cantonale, l'autorisation d'ouvrir une gravière implique une dérogation à l'
art. 22 al. 2 lettre a LAT
et ne peut donc
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être accordée que sur la base de l'
art. 24 LAT
(
ATF 111 Ib 87
,
ATF 108 Ib 366
consid. 5b).
b) La question de savoir si une construction ou une installation correspond à la destination de la zone doit être résolue à la lumière des plans d'affectation et des prescriptions y relatives. Contrairement à l'opinion émise par l'autorité intimée dans une remarque préliminaire de sa décision, les dispositions à considérer sont celles en vigueur au moment de la décision définitive sur la demande d'autorisation de construire et non celles qui étaient en vigueur quand cette demande a été déposée (
ATF 107 Ib 137
consid. 2a et les arrêts cités). La loi fribourgeoise du 9 mai 1983 sur l'aménagement du territoire et les constructions (LATC) est entrée en vigueur le 1er juillet 1984 et son règlement d'exécution, du 18 décembre 1984 (RE), le 1er février 1985. Ces textes étaient donc applicables le 28 mai 1985, date à laquelle l'autorité intimée, qui jouissait d'une libre cognition en fait et en droit, a statué définitivement sur la demande exceptionnelle d'autorisation de construire.
c) Dans le cas particulier, le périmètre d'extraction prévu englobe une surface d'environ 95'000 m2 pour la première étape et de quelque 185'000 m2 au total; il s'agit là d'une étendue comparable à celle d'une zone d'aménagement. Selon les principes de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, repris par la loi fribourgeoise, une exploitation d'une telle emprise n'est concevable que coordonnée à l'ensemble des autres activités qui ont des effets sur l'organisation du territoire et relève donc, en principe, du plan directeur cantonal (art. 6 à 8 LAT, 3 et 4 OAT, art. 19 LATC). Au demeurant, l'art. 16 al. 2 lettre k LATC prévoit que les études de base et les plans sectoriels concernent notamment les gisements importants.
Le 14 novembre 1984, le Grand Conseil du canton de Fribourg a adopté un décret définissant, conformément à l'art. 18 LATC, les objectifs d'aménagement du territoire, qui doivent servir de programme pour l'élaboration du plan directeur cantonal (art. 18 al. 3 LATC). Ce décret prévoit notamment un plan sectoriel pour l'exploitation du sous-sol (ch. 2.5, p. 5) et précise les objectifs déterminants dans ce domaine (ch. 69 et 70, p. 31). Au chapitre des mesures à prendre, il préconise l'élaboration à bref délai d'une carte cantonale inventoriant les gisements exploitables ainsi que d'un plan sectoriel des zones d'extraction (p. 32).
Ces travaux ne sont toutefois pas encore achevés. Le canton de Fribourg ne dispose donc pas, à ce jour, d'un plan déterminant de façon contraignante les zones d'exploitation du sous-sol et qui
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indiquerait, en particulier, les sites les plus appropriés pour l'extraction du gravier. Cela a notamment pour conséquence qu'il faut chaque fois examiner, dans le cadre de la pesée des intérêts prescrite par l'
art. 24 LAT
, si l'emplacement prévu pour une gravière s'impose plutôt que tout autre (
ATF 108 Ib 367
consid. 6a,
ATF 104 Ib 231
/232).
d) En l'espèce, la gravière projetée devrait s'ouvrir dans une zone sans affectation spéciale. Selon l'
art. 109 RE
, une telle zone est considérée provisoirement comme zone agricole au sens de l'art. 56 LATC. La conformité à l'affectation de la zone, selon l'
art. 22 al. 2 lettre a LAT
, n'est donc manifestement pas donnée, ce qu'admettent d'ailleurs tant les autorités cantonales que la société intimée. Comme on ne se trouve pas en présence d'un des cas énumérés à l'
art. 24 al. 2 LAT
, il faut examiner si le projet en cause réunit les deux conditions - cumulatives (
ATF 108 Ib 367
consid. 6) - auxquelles l'
art. 24 al. 1 LAT
subordonne l'octroi d'une autorisation exceptionnelle de construire hors de la zone à bâtir.
3.
Une autorisation exceptionnelle au sens de l'
art. 24 al. 1 LAT
ne peut être délivrée que si l'implantation de la construction ou de l'installation projetée hors de la zone à bâtir est imposée par sa destination (lettre a). Il faut, de surcroît, qu'aucun intérêt prépondérant ne s'oppose à la délivrance de l'autorisation requise (lettre b).
Il est constant que la première de ces conditions est remplie en l'espèce. L'exploitation d'une gravière, comme de toute autre source de matière première minérale, n'est en effet concevable qu'aux endroits où gisent les matériaux recherchés et où leur extraction est réalisable du point de vue technique et économique (cf.
ATF 108 Ib 367
/368 consid. 6a,
ATF 103 Ib 59
/60 consid. 2c). Le seul problème à résoudre en l'occurrence est donc celui de la pesée des intérêts en présence que postule l'
art. 24 al. 1 lettre b LAT
.
Il s'agit là d'une question de droit que, saisi d'un recours de droit administratif, le Tribunal fédéral doit en principe examiner librement. Il s'impose toutefois une certaine retenue au regard de la pesée des intérêts à laquelle l'autorité inférieure a procédé, lorsque sont en cause des circonstances locales que cette autorité maîtrise mieux ou lorsqu'il se pose des questions d'appréciation (
ATF 111 Ib 88
consid. 3,
ATF 107 Ib 336
consid. 2c et les arrêts cités).
4.
Les intérêts à l'exploitation de la gravière litigieuse ne sont guère contestables.
a) Il s'agit tout d'abord des intérêts privés de la société intimée, par quoi il faut entendre non pas ses intérêts purement financiers,
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mais ses intérêts liés à la poursuite d'une activité industrielle d'intérêt régional. Cette société est une filiale d'une entreprise qui joue un rôle important dans l'approvisionnement du pays en matériaux de base destinés au génie civil et à la construction de bâtiments.
Ces intérêts n'en doivent pas moins être relativisés dans la mesure où la société intimée n'allègue pas elle-même que ses activités seraient gravement compromises si l'autorisation exceptionnelle requise lui était refusée. A cet égard, les investissements qu'elle a consentis jusqu'ici en vue de l'ouverture de la gravière litigieuse sont relativement insignifiants, puisqu'elle s'est simplement réservé le droit d'acquérir les terrains nécessaires, en cas d'aboutissement favorable de ses démarches. Quoi qu'il en soit, ce dernier élément n'est d'ordinaire pas décisif. L'administré qui requiert une autorisation de police ne peut en effet placer l'autorité à laquelle il s'adresse devant un fait accompli et se prévaloir auprès d'elle de dépenses ou d'engagements financiers qui ne se seraient pas fondés sur des assurances formelles quant à l'octroi ultérieur du permis requis (cf.
ATF 105 Ia 343
/344 consid. 6,
ATF 101 Ib 196
consid. 2c).
b) Quant à l'intérêt public à l'exploitation de gisements de gravier, il est indéniable, compte tenu des procédés actuels utilisés en matière de génie civil et de construction (
ATF 111 Ib 90
et les références). Cet intérêt réside dans la possibilité de satisfaire le besoin de ces secteurs économiques, notamment en graviers à béton, en évitant autant que possible les longs transports, sources de nuisance, et les frais excessifs qui résulteraient de difficultés particulières d'exploitation engendrées par la situation géographique des terrains concernés, leur topographie ou leur structure géologique.
aa) Le Tribunal fédéral a eu l'occasion de constater que les bancs de gravier dont l'exploitation est avantageuse ne sont pas rares en Suisse, mais qu'ils ne sont disponibles que dans une mesure réduite sur le Plateau en raison notamment de l'intense occupation des sols (
ATF 104 Ib 224
consid. 4b,
ATF 103 Ib 59
consid. 2b, arrêt non publié Mauroux et consorts du 18 juin 1980, consid. 4). L'expertise aménagée à la demande de la société intimée a révélé la présence d'un banc de gravier considérable dans le territoire concerné, que le Syndicat d'améliorations foncières de Chiètres avait d'ailleurs défini, en 1974, comme un périmètre de gravier. La mise à découvert du gisement nécessite l'enlèvement d'une couche morainique d'une épaisseur moyenne de 5 à 6 m. Cette opération préalable n'affecte guère la rentabilité de l'exploitation, compte tenu de la profondeur du banc de gravier. Le volume extractible en 30 ans s'élèverait en
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effet, malgré les limites imposées par la nécessité de sauvegarder la nappe phréatique, à plus de 2,7 millions de m3. Selon les données fournies à l'autorité intimée en janvier 1984 par l'Association fribourgeoise des graviers, la consommation globale de gravier pour l'année 1983 s'est élevée, dans le canton de Fribourg, à 993'000 m3, dont 583'000 m3 de graviers à béton, 100'000 m3 de graviers cassés, utilisés à la fabrication de mortiers bitumineux, et 250'000 m3 environ de graviers tout-venant. Cette consommation est aujourd'hui couverte selon les régions, par les propres gisements de celles-ci, ou par des graviers importés des cantons voisins. Il n'est ainsi guère douteux que la gravière projetée réponde à un besoin objectif. Du moins les arguments contraires exposés à ce sujet par la commune recourante ne permettent-ils pas au Tribunal fédéral d'arriver, sur ce point, à d'autres conclusions que celles retenues par l'autorité intimée, étant donné la réserve qu'il se doit de garder dans un domaine ressortissant pour l'essentiel à la politique économique globale d'un canton. On ne saurait cependant perdre de vue que les autorités cantonales, la société intimée et les organismes spécialisés qui ont été consultés par les uns ou les autres, ne prétendent nullement que l'on se trouverait dans une situation de pénurie exigeant impérativement l'ouverture, à court ou moyen terme, de la gravière contestée (cf. arrêt non publié Sand A.G. Neuheim, du 27 juin 1984, consid. 5b/bb, p. 17).
bb) D'autre part, la reconnaissance de l'utilité objective d'une gravière ne signifie pas encore que le projet doive nécessairement être admis à l'endroit prévu, tant il est vrai que l'ouverture d'une gravière n'est, selon la jurisprudence, que relativement liée à un emplacement (
ATF 104 Ib 225
consid. 4b,
ATF 98 Ib 498
consid. 6). Le canton de Fribourg ne dispose encore, on l'a vu, ni d'un inventaire précis des réserves de gravier ni surtout d'un plan cantonal fixant les zones d'exploitation de gravières. Or, le dossier ne comporte aucune indication qui permette d'affirmer que l'emplacement prévu en l'espèce est véritablement le plus approprié. Il est possible qu'il le soit, mais on ne peut exclure que d'autres zones puissent s'avérer aussi propices à l'extraction de gravier tout en ménageant mieux les intérêts opposés, et cela quand bien même elles impliqueraient un éventuel défrichement (
ATF 104 Ib 225
consid. 4b, 103 Ib 60 consid. 2d). L'autorité - ou le juge - chargée d'opérer la pesée des intérêts postulée par l'
art. 24 LAT
doit examiner dans chaque cas si d'autres emplacements se prêteraient éventuellement mieux à l'exploitation envisagée (
ATF 108 Ib 367
). En l'occurrence, ni la
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décision attaquée ni le dossier ne permettent d'arriver à la conclusion que l'intérêt à l'exploitation d'une gravière à l'endroit prévu, plutôt qu'à tout autre, l'emporte sur les autres intérêts en présence.
Il n'est toutefois pas exclu que la nécessité d'une gravière à l'emplacement litigieux soit démontrée à l'issue des travaux actuellement entrepris dans le cadre de l'élaboration du plan directeur cantonal. Il y a donc lieu de réserver (cf. par exemple
ATF 104 Ib 232
consid. 8c) la possibilité pour l'autorité compétente de procéder éventuellement à un nouvel examen de cette question sur la base des futurs plan directeur cantonal et plan sectoriel des zones d'extraction.
5.
Aux intérêts qui parlent en faveur de l'octroi de l'autorisation contestée, la commune de Chiètres oppose les intérêts généraux à la protection du paysage, au maintien d'une agriculture prospère sur son territoire et à la préservation de l'habitat. A son avis, ces intérêts sont très largement prépondérants par rapport à ceux qui viennent d'être exposés. L'Office fédéral de l'aménagement du territoire propose l'admission du recours de droit administratif, en conclusion d'observations auxquelles est annexé un rapport établi à la suite d'une vision des lieux.
a) Les intérêts publics allégués par la recourante sont de ceux qu'énoncent les
art. 1er et 3 LAT
, et qu'il y a donc lieu de prendre en considération dans la pesée des intérêts prescrite à l'
art. 24 al. 1 lettre b LAT
. L'
art. 1er al. 2 LAT
contient une énumération, exemplaire, des buts que doivent poursuivre les mesures d'aménagement. Parmi ces buts figurent la protection du paysage (lettre a), la création et le maintien d'un milieu bâti harmonieusement aménagé et favorable notamment à l'habitat (lettre b) et la garantie de sources d'approvisionnement suffisantes dans le pays (lettre d). L'art. 3 définit les principes qui doivent régir un aménagement rationnel du territoire au sens de l'
art. 22quater Cst.
Ces principes consistent, entre autres, dans la préservation du paysage par une intégration optimale dans celui-ci des constructions et des installations (al. 2 lettre b), dans le maintien de bonnes terres cultivables réservées à l'agriculture (al. 2 lettre a) et dans la protection, aussi large que possible, des lieux d'habitation contre les atteintes nuisibles ou incommodantes, tels la pollution de l'air, le bruit et les trépidations (al. 3 lettre b).
L'art. 1er LATC rappelle simplement dans les grandes lignes ces objectifs et ces principes. En revanche, le droit cantonal ne contient pas de disposition qui préciserait, dans le cadre de ces objectifs et de ces principes, les intérêts particuliers à prendre en considération
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dans l'examen d'une autorisation d'exploiter une gravière (cf.
ATF 111 Ib 88
/89 consid. 3a et b).
Il y a lieu d'examiner successivement la valeur des objections formulées par la commune de Chiètres et par l'Office fédéral de l'aménagement du territoire contre l'autorisation exceptionnelle accordée par les autorités cantonales. S'agissant des intérêts agricoles, la levée de l'interdiction de désaffectation ordonnée par l'autorité intimée le 19 octobre 1982 ne dispense pas le Tribunal fédéral de les apprécier dans le cadre de l'
art. 24 al. 1 lettre b LAT
, ne serait-ce qu'en raison du fait que le Conseil d'Etat a examiné l'ensemble de cette question dans la décision entreprise.
b) Le 14 juin 1977, l'Office de l'aménagement du territoire du canton de Fribourg a présenté au Conseil d'Etat un inventaire des sites naturels dressé notamment avec la collaboration du Délégué fédéral à l'aménagement du territoire, de la Division fédérale de la protection de la nature et du paysage et de la Ligue suisse pour la protection de la nature. La préface de cet inventaire, rédigée par le conseiller d'Etat directeur des travaux publics, le définit comme un élément fondamental des études d'aménagement du territoire et comme une manifestation d'un souhait de la population fribourgeoise que des mesures soient prises en vue de la sauvegarde de son patrimoine. Aux termes de son avant-propos, cet inventaire est destiné à donner la base scientifique et technique indispensable aux mesures de sauvegarde à prendre pour le maintien, à long terme, des sites naturels inventoriés, éléments majeurs du patrimoine cantonal, à fournir aux autorités fédérales, cantonales et communales, ainsi qu'au public en général, une information aussi complète et aussi précise que possible dans ce domaine, et à définir une des composantes fondamentales des données de base d'un plan directeur cantonal. Cet inventaire fait donc partie des mesures de protection de la nature et du paysage, prises par les cantons, que la Confédération encourage conformément au chapitre 2 de la loi fédérale du 1er juillet 1966 sur la protection de la nature et du paysage (LPN; RS 451). Pour l'établir, les autorités cantonales ont procédé à une sélection objective des sites qu'elles ont délimités avec précision. Elles les ont classés en trois catégories, selon leur valeur et leur intérêt. La première catégorie concerne les sites méritant une protection intégrale de la nature, la deuxième les sites d'intérêt paysager du premier degré et la troisième les sites d'intérêt paysager du second degré. Les sites d'intérêt paysager du premier degré sont ceux dont les différents éléments constitutifs ont une forte valeur attractive en eux-mêmes et par
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rapport à l'homogénéité du paysage. Ce sont presque toujours des paysages dont l'aspect naturel et traditionnel est encore largement maintenu, dans des secteurs peu sollicités par l'urbanisation et qui n'ont pas été endommagés. Leur protection a pour but le maintien de la beauté particulière et du caractère intrinsèque du paysage dans son état actuel. Les sites d'intérêt paysager du second degré sont généralement des paysages ruraux harmonieux, équilibrés, et qui n'ont pas encore subi d'atteinte dégradante majeure, même si leur aspect est déjà altéré en certains secteurs. Leur protection tend à la sauvegarde d'un paysage rural caractérisé par des activités agricoles et sylvicoles et par une topographie particulière, ainsi qu'à la limitation des effets dus aux atteintes existantes.
La région au nord-est de la commune de Chiètres, soit essentiellement la colline de Sunnenberg et son environnement immédiat, est classée à l'inventaire cantonal, en partie comme site d'intérêt paysager du premier degré et en partie comme site d'intérêt paysager du second degré. Le secteur inclus dans le site d'intérêt paysager du second degré englobe la zone sud-orientale du périmètre d'extraction, soit le tiers environ de sa superficie totale. L'inventaire décrit le paysage d'Arnen et de Sunnenberg de la manière suivante: deux collines, la colline de Sunnenberg, formée de champs cultivés et de prés, et la colline boisée d'Arnen, dominant l'agglomération de Chiètres et constituant le rebord du Plateau sur les grands marais. Ce site est considéré comme intéressant en raison de sa végétation et de sa faune, mais aussi parce que la colline de Sunnenberg est un excellent point de vue. La protection désirée comporte notamment le maintien de l'exploitation agricole. L'inventaire fait état de menaces provenant notamment du projet de gravière en limite du site. Parmi les dommages existants, l'inventaire signale le stand de tir qui se trouve dans l'excavation de l'ancienne carrière à l'extrémité nord-ouest du périmètre d'extraction.
Comme le relèvent tant le Conseil d'Etat que la société intimée, l'inventaire des sites naturels du canton de Fribourg n'a pas force de loi et ses effets ne sauraient être comparés à celui d'un inventaire fédéral au sens de l'
art. 5 LPN
. Il a cependant la même portée que l'inventaire officieux CPN établi par diverses associations d'importance nationale. Il s'agit en effet d'un de ces inventaires dressés par des institutions d'Etat, dont parle l'art. 5 al. 1, 1re phrase, LPN. On doit en tout cas le considérer comme un indice de l'existence, dans le secteur considéré, d'un paysage sensible dont il convient autant que possible d'éviter l'enlaidissement, si l'on veut respecter les buts et les
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principes de l'aménagement du territoire énumérés aux
art. 1er et 3 LAT
. La délégation du Tribunal fédéral a pu constater la qualité du site de la colline de Sunnenberg en elle-même et du fait du dégagement visuel notamment en direction du lac de Morat. L'importance du rôle de délassement de ce paysage pour la population des environs serait sérieusement amenuisée par l'ouverture, en premier plan, d'une exploitation de gravier de longue durée sur une grande surface, amenant des nuisances industrielles dans un paysage qui n'a été modifié que pour les besoins de la rationalisation des activités agricoles. La division en étapes de l'exploitation de la gravière ne supprimera naturellement pas cette influence défavorable sur le paysage concerné. L'exclusion matérielle d'une remise en état intégrale des lieux à la fin de l'exploitation permet de retenir en outre l'existence d'un dommage résiduel permanent.
c) Le territoire compris dans le périmètre d'extraction de la gravière contestée a fait l'objet d'améliorations foncières et d'un remaniement parcellaire récent. La mise en culture du nouvel état est intervenue en 1978. A l'exception d'une surface de 5000 m2 correspondant à l'ancienne carrière, tous ces terrains sont aujourd'hui affectés à des cultures céréalières ou maraîchères. Les cartes des aptitudes climatiques pour l'agriculture en Suisse, établies en août 1977 et que l'Office fédéral de l'aménagement du territoire considère comme un élément de référence, classent toute cette région dans la zone A 2, particulièrement propice aux grandes cultures et aux cultures spéciales; il s'agit là de la zone agricole la plus favorable de tout le Plateau. La carte des aptitudes des sols de la Suisse, établie en mars 1980, et qui est aussi un élément de référence de l'aménagement du territoire, classe le secteur examiné dans la zone (I) H 5, définie notamment comme très apte aux céréales et apte à très apte aux cultures sarclées. Il s'agit, sous cet angle, des terres les mieux favorisées de l'ensemble du pays. Or ces terres seront désaffectées temporairement, pendant la durée de l'exploitation, ou définitivement en raison de celle-ci.
L'art. 183 LATC prescrit qu'au plus tard à la fin de l'exploitation, l'exploitant ou, à son défaut, le propriétaire est tenu de remettre le terrain en état dans un délai convenable, cette remise en état pouvant être ordonnée par étapes au cours de l'exploitation. L'obligation de remise en état des lieux au sens de cette disposition est une notion juridique indéterminée, pour l'application de laquelle les autorités disposent d'une certaine latitude de jugement. Les autorités cantonales n'ont certainement pas violé cette disposition en
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renonçant à exiger de la société intimée une remise en état intégrale des terres, mais seulement leur restitution à l'agriculture et leur aménagement en une cuvette dont la profondeur variera, du nord-est au sud-ouest, entre 20 et 4 m, la moyenne étant de 12,25 m. Il n'a pas été contesté que ce réaménagement en cuvette aura pour conséquence, quelle que soit la valeur des terres arables réinstallées, un appauvrissement de la productivité dû au refroidissement de surface (lac d'air froid). D'autre part, sur 179'640 m2 de terres actuellement cultivables, seuls 147'720 m2 seront restitués à la culture des champs. Cette modification des lieux compliquera enfin quelque peu les accès des exploitants agricoles à leurs parcelles.
En dépit des efforts consentis par la société intimée, force est ainsi de constater que l'ouverture de la gravière litigieuse porterait une atteinte non négligeable aux intérêts de l'agriculture, cette atteinte étant soit permanente, soit de longue durée. Au cours de l'inspection des lieux, l'autorité cantonale a certes déclaré que le canton de Fribourg disposait largement de la surface en assolement de 38'500 ha, mise à sa charge par le projet d'ordonnance du Conseil fédéral (cf. Aménagement du territoire, Bulletin d'information, 1985, fasc. 1, p. 18); mais cette considération n'a guère de poids. Les surfaces d'assolement que le projet d'ordonnance prévoit sont en effet des surfaces minimales et, quelle que soit leur situation à cet égard, les autorités cantonales n'en doivent pas moins, conformément à l'
art. 3 al. 2 lettre a LAT
, réserver à l'agriculture suffisamment de bonnes terres cultivables. Or on a vu que les terres ici mises à contribution sont particulièrement privilégiées du point de vue de la productivité agricole.
d) L'autorisation exceptionnelle accordée à la société intimée lui impose d'aménager un accès à la voie publique présentant toute sécurité. L'évacuation des matériaux extractibles se fera en effet par camions vers la route qui conduit à Bienne, puis en direction d'Avenches. Les camions chargés traverseront donc le village de Chiètres du nord au sud dans toute sa longueur. Ils reviendront, à vide, traversant la localité du sud au nord par la même voie. La recourante insiste sur la situation intolérable qui serait ainsi créée pour une commune dont la population s'élevait, au 31 décembre 1985, à 2875 habitants. L'autorité intimée estime que la nouvelle charge imposée au village de Chiètres serait nulle, voire imperceptible. La société intimée se serait en effet engagée à ne pas dépasser 60 passages par jour, alors que le village de Chiètres est parcouru aujourd'hui par environ 3500 véhicules.
BGE 112 Ib 26 S. 38
L'argumentation ici développée par l'autorité cantonale n'est pas soutenable. Il faut tout d'abord relever qu'il n'y a pas lieu de déterminer, en l'espèce, si le trafic automobile supplémentaire occasionné par l'exploitation de la gravière aurait pour conséquence un dépassement des normes auditives admissibles à l'intérieur d'une localité. En vertu de l'
art. 3 al. 3 lettre b LAT
, la préservation des lieux d'habitation des atteintes nuisibles ou incommodantes, telles que la pollution de l'air, le bruit et les trépidations, est en effet l'un des principes régissant un aménagement rationnel du territoire. Il s'agit là d'un intérêt public sur lequel le législateur fédéral a encore mis l'accent en adoptant la loi du 7 octobre 1983 sur la protection de l'environnement, entrée en vigueur le 1er janvier 1985 (LPE; RS 814.01). L'
art. 11 LPE
pose la règle de la limitation des émissions par des mesures prises à la source pour réduire notamment les pollutions atmosphériques, le bruit et les vibrations. L'al. 2 de cette disposition précise qu'indépendamment des nuisances existantes, il importe, à titre préventif, de limiter les émissions dans la mesure que permettent l'état de la technique et les conditions d'exploitation, et pour autant que cela soit économiquement supportable. Quant à l'al. 3, il commande de limiter plus sévèrement les émissions s'il appert ou s'il y a lieu de présumer que les atteintes, eu égard à la charge actuelle de l'environnement, seront nuisibles ou incommodantes. Cela étant, il importe peu que les camions de la gravière passent au nombre de 90 ou de 60 par jour. Quoi qu'il en soit, la population de Chiètres devrait en effet supporter le passage supplémentaire de cinq à dix véhicules lourds à l'heure, et cela pendant des journées pouvant s'étendre sur dix heures, comme la société intimée l'a admis au cours de l'audience d'inspection des lieux. A cela s'ajoutent le transport occasionnel de véhicules de chantier et de matériel, ainsi que les nuisances particulières que comporte le transport de gravier soit par temps pluvieux, soit par temps très sec. Il convient aussi de souligner que la route de Bienne est en pente à l'intérieur du village de Chiètres, qu'elle comporte plusieurs croisements ainsi qu'un passage à niveau gardé à l'intersection de la ligne de chemin de fer. Ce sont là autant d'éléments qui aggravent les inconvénients apportés par l'exploitation de la gravière aux habitants d'une localité relativement importante, et cela pendant une période initiale de 15 ans.
Avant l'entrée en vigueur de la loi fédérale sur l'environnement déjà, le Tribunal fédéral a posé des exigences strictes quant à l'équipement d'installations analogues à l'exploitation litigieuse
BGE 112 Ib 26 S. 39
(
ATF 110 Ia 166
). Compte tenu du système insatisfaisant d'évacuation des matériaux adopté en l'occurrence, on pourrait douter, si l'on se trouvait dans un cas d'application de l'
art. 22 al. 2 LAT
- c'est-à-dire si la gravière était projetée dans une zone d'exploitation du sous-sol -, que les terrains en cause soient suffisamment équipés pour une telle exploitation. Ce point n'a évidemment pas à être examiné en l'occurrence, où il ne se pose que la question de savoir si les intérêts qui militent en faveur de l'autorisation exceptionnelle se heurtent à d'autres intérêts qui leur seraient prépondérants, au sens de l'
art. 24 al. 1 lettre b LAT
.
6.
Les considérations qui précèdent conduisent à la conclusion qu'une autorisation exceptionnelle selon l'
art. 24 al. 1 LAT
ne peut être accordée à la société intimée parce que son projet ne respecte pas la seconde des conditions cumulatives posées par cette disposition. On se trouve en présence d'une convergence d'intérêts publics importants - la préservation du paysage, la sauvegarde des terres agricoles et la protection de l'environnement - qu'il faut opposer à un intérêt privé et à un intérêt public - l'approvisionnement en gravier - qui, pour être incontestables, n'en doivent pas moins être en l'occurrence relativisés. Sous réserve d'un réexamen sur la base du futur plan directeur cantonal (cf. consid. 4 in fine ci-dessus), cet intérêt privé et cet intérêt public doivent trouver leur satisfaction dans le cadre d'une exploitation moins dommageable pour les intérêts opposés qui ont été examinés. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4a069db-9f0d-4364-a74a-6ef68329b4a4 | Urteilskopf
135 II 430
43. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen SRG SSR idée suisse Schweizerische Radio-und Fernsehgesellschaft (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_190/2009 vom 30. September 2009 | Regeste
Art. 89 Abs. 1 BGG
;
Art. 86 Abs. 3 und
Art. 94 Abs. 1 RTVG
; Beschwerdebefugnis eines Mathematikers und Publizisten bei einem UBI-Entscheid, in dem eine Rundfunkrechtswidrigkeit bezüglich der Darstellung der Resultate einer Meinungsumfrage verneint wird ("Unternehmenssteuerreform").
Vor Bundesgericht besteht im Radio- und Fernsehbereich kein Popularbeschwerderecht; spezifische Kenntnisse zu einem bestimmten Thema verschaffen für sich allein keine legitimationsbegründende enge Beziehung zum Inhalt eines beanstandeten Beitrags; es steht in diesem Fall in der Sache selber ausschliesslich die Popularbeschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen offen (E. 1 und 2). Der Popularbeschwerdeführer ist befugt, vor Bundesgericht Verfahrensverletzungen geltend zu machen, deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 431
BGE 135 II 430 S. 431
A.
A.a
Das Schweizer Fernsehen DRS strahlte am 8. Februar 2008 in der "Tagesschau" einen Beitrag zu den auf den 24. Februar 2008 angesetzten Volksabstimmungen über die "Unternehmenssteuerreform" und die Volksinitiative "Gegen Kampfjetlärm in Tourismusgebieten" ("Kampfjetlärminitiative") aus. Dabei standen die neusten Ergebnisse von Meinungsumfragen des Instituts gfs.bern (D.O.) im Mittelpunkt. Auch die Nachrichtensendung "10 vor 10" nahm das Thema der "Unternehmenssteuerreform" auf und wies auf die Resultate der im Auftrag von SRG SSR idée suisse durch das Institut gfs.bern durchgeführten Meinungsumfrage hin.
A.b
Hiergegen wandte sich X. mit 24 Mitunterzeichnern am 13. Mai 2008 an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Er machte geltend, die beanstandeten Beiträge verletzten das Sachgerechtigkeitsgebot (
Art. 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen [RTVG 2006; SR 784.40]
): Die gfs-Umfrage sei zu Unrecht als repräsentativ bezeichnet worden; das Publikum habe sich keine eigene sachgerechte
BGE 135 II 430 S. 432
Meinung bilden können, weil die Beiträge den statistischen Fehlerbereich genügend zum Ausdruck gebracht hätten und die genauen Fragen an das Zielpublikum nicht dargelegt worden seien.
B.
Die Unabhängige Beschwerdeinstanz wies die Eingabe am 22. August 2008 mit 7:1 Stimme ab, soweit sie darauf eintrat; gleichzeitig stellte sie fest, "dass die in den Sendungen 'Tagesschau' und '10 vor 10' des Schweizer Fernsehens (SF 1) am 8. Februar 2008 ausgestrahlten Beiträge über die Ergebnisse von Meinungsumfragen zu den bevorstehenden Volksabstimmungen zur 'Unternehmenssteuerreform' und zur 'Kampfjetlärminitiative' keine Bestimmungen über den Inhalt redaktioneller Sendungen verletzt" hätten. Die UBI hielt fest, dass sich "über den Sinn und Unsinn der Veröffentlichung von Meinungsumfragen aufgrund ihrer beschränkten Aussagekraft streiten" lasse. Die in den beanstandeten Beiträgen dargestellten Ergebnisse hätten aber die programmrechtlichen Anforderungen "im Wesentlichen" erfüllt; diese bestünden darin, bei substanziellen Beiträgen über Ergebnisse von Meinungsumfragen das Publikum über den Auftraggeber, das beauftragte Institut, die Umfragemethode (z.B. Anzahl der Befragten, Fragestellung), den Zeitraum der Befragung und den der Umfrage innewohnenden Fehlerbereich explizit zu informieren und die Umfrageergebnisse korrekt wiederzugeben. Am entsprechenden Entscheid (b.584) wirkte der Präsident der UBI, Prof. M.R., mit, hingegen nicht das UBI-Mitglied E.I. (Ausstand). Gleich entschied die Beschwerdeinstanz am selben Tag bezüglich einer ebenfalls von X. und mehr als 20 Mitunterzeichnern eingereichten Eingabe (b.574): Sie wies die entsprechende Beschwerde mit 6:1 Stimme im Wesentlichen aus den gleichen Gründen wie den im Verfahren b.584 dargelegten ab. Bei diesem Entscheid befanden sich sowohl M.R. als auch E.I. im Ausstand.
C.
X. gelangte gegen beide Entscheide an das Bundesgericht. Auf die gegen den Entscheid "Wahlbarometer" (b.574) eingereichte Beschwerde ist dieses am 30. März 2009 nicht eingetreten (Urteil 2C_209/2008). Am 18. März 2009 beantragte X., den Entscheid b.584 der UBI aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; zudem sei festzustellen, dass er als Mathematiker und Statistikexperte eine enge Beziehung zum Gegenstand der beanstandeten Sendung "gemäss RTVG Art. 94 Abs. 1" habe.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
BGE 135 II 430 S. 433
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) über den Inhalt redaktioneller Sendungen können unmittelbar mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht angefochten werden (
Art. 86 Abs. 1 lit. c BGG
;
BGE 134 II 120
E. 2.1;
BGE 130 II 514
E. 1). Die Beschwerdebefugnis richtet sich dabei nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
und nicht nach
Art. 94 RTVG
bzw. Art. 63 des entsprechenden Gesetzes vom 21. Juni 1991 (RTVG 1991; AS 1992 601 ff.). Die Legitimation, um gegen einen Entscheid der UBI an das Bundesgericht gelangen zu können, ergibt sich deshalb nicht bereits aus der Beteiligung als Popularbeschwerdeführer am vorinstanzlichen Verfahren. Der Beschwerdeführer muss vielmehr durch die Streitsache stärker als jedermann betroffen sein und in einer besonderen, beachtenswert nahen Beziehung zu dieser stehen. Hierfür genügt ein bloss mittelbares oder ausschliesslich allgemeines öffentliches Interesse nicht (
BGE 134 II 120
E. 2.1;
BGE 130 II 514
E. 1 mit Hinweisen). Vor Bundesgericht besteht (auch) im Radio- und Fernsehbereich kein Popularbeschwerderecht (
BGE 130 II 514
E. 2.3). Hieran hat sich mit dem neuen Radio- und Fernsehgesetz nichts geändert (vgl.
Art. 99 RTVG
;
BGE 134 II 120
E. 2.1).
1.2
Nach der bundesgerichtlichen Praxis fehlt dem Stimmbürger die Legitimation, um allein gestützt auf seine politischen Rechte einen Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen über die Einhaltung rundfunkrechtlicher Vorschriften mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten anfechten zu können (
BGE 134 II 120
E. 2.2 mit Hinweisen). Auch wer sich engagiert zu einer Frage in der Öffentlichkeit äussert, ist nicht bereits deswegen befugt, Darstellungen zur entsprechenden Thematik in Radio und Fernsehen vor Bundesgericht zu beanstanden (
BGE 114 Ib 200
E. 2c S. 203). Ein besonderes persönliches oder berufliches Interesse an einem (oder spezifische Kenntnisse zu einem) bestimmten Thema verschaffen für sich allein keine legitimationsbegründende enge Beziehung zum Inhalt eines Beitrags (
BGE 134 II 120
E. 2.2;
BGE 130 II 514
E. 2.2.1 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Doktrin).
1.3
Der Beschwerdeführer verfügt als Mathematikprofessor und Publizist zur Problematik der Ungenauigkeit von
BGE 135 II 430 S. 434
Meinungsforschungsergebnissen zwar über ein besonderes Fachwissen. Er bildete indessen weder Gegenstand der umstrittenen Sendung, noch wurde in den beanstandeten Beiträgen in irgendeiner Form auf ihn oder seine Publikationen Bezug genommen. Zwar hat er ein besonderes persönliches wissenschaftliches Interesse an der (seiner Ansicht nach) richtigen Darstellung bzw. Durchführung von Meinungsumfragen. Durch den angefochtenen Entscheid wird er rundfunkrechtlich jedoch nicht anders betroffen als irgendein anderer politisch sensibilisierter, medienkritischer Zuschauer. Es fehlt ihm somit die nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
erforderliche Beziehungsnähe zum Sendethema, weshalb auf seine Beschwerde in der Sache selber nicht einzutreten ist. Inhaltlich steht ihm diesbezüglich nur die Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen offen (
BGE 134 II 120
E. 2.3 mit Hinweisen).
2.
2.1
Der Beschwerdeführer macht in formeller Hinsicht geltend, die UBI habe ihm zu Unrecht in ihrem Verfahren die enge Beziehung zum Gegenstand der beanstandeten Sendungen abgesprochen; hierdurch ist er zwar in einem eigenen Interessen betroffen, doch ist dieses nicht aktuell (vgl.
BGE 123 II 285
E. 4): Seine Beschwerde wurde durch die UBI materiell geprüft. Es ist deshalb nicht ersichtlich, welches schutzwürdige Interesse er daran hätte, dass sich das Bundesgericht abstrakt zur Frage äussert, ob die UBI in ihren Ausführungen zum Eintreten zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass er nicht als Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 94 Abs. 1 RTVG
("eine enge Beziehung zum Gegenstand der beanstandeten Sendung nachweist [...]") gelten könnte. Es kann insofern keine formelle Rechtsverweigerung vorliegen, da die UBI seine Eingabe inhaltlich gleich geprüft hat, wie wenn er als Betroffener an sie hätte gelangen können. Bei der UBI sind zudem noch weitere von ihm als Privatperson angestrengte Verfahren zu ähnlichen Themenkreisen hängig, sodass das Bundesgericht die Bundesrechtsmässigkeit der Auslegung von
Art. 94 Abs. 1 RTVG
auf Beschwerde gegen einen entsprechenden Nichteintretensentscheid hin prüfen könnte.
2.2
Das Bundesgericht verzichtet zwar auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, falls sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (
BGE 135 I 79
E. 1.1;
BGE 131 II 361
BGE 135 II 430 S. 435
E. 1.2;
BGE 111 Ib 56
E. 2b S. 59). Aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigt sich in diesem Rahmen vorliegend der Hinweis, dass die von der UBI im beanstandeten obiter dictum vertretene Auffassung der bisherigen Praxis entspricht (
BGE 123 II 115
E. 2b/cc mit Hinweisen; Urteile 2A.348/1997 vom 6. Februar 1998 E. 1; 2A.486/1996 vom 2. Dezember 1996 E. 2; 2A.11/1996 vom 23. August 1996 E. 2): Entscheidend ist, worauf die Vorinstanz zu Recht hinweist, nicht der Umfang des Wissens über das in einer Sendung behandelte Thema oder das Interesse an diesem, sondern der Umfang der damit verbundenen Betroffenheit. Aus den Materialien zu
Art. 94 Abs. 1 RTVG
ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber diesbezüglich eine Änderung gewollt hätte, im Gegenteil: Der Bundesrat wies in seiner Botschaft ausdrücklich darauf hin, dass die Hürden zur Einleitung des Verfahrens vor der UBI "bescheiden" blieben. Für die Einreichung einer Popularbeschwerde genügten weiterhin 20 Unterschriften, was den legitimen Bedürfnissen auch kleinerer Minderheiten entgegenkomme und die Programmveranstalter nicht übermässig belaste (BBl 2003 1569 ff., 1742 Ziff. 2.1.7.2.2). Gemäss der Botschaft zum RTVG 2006 sollte die Betroffenheitsbeschwerde "weiterhin", d.h. in der bisherigen Form, möglich bleiben; Parlament und Regierung verbanden damit nur insofern eine Änderung, als das Recht neu auch wieder juristischen Personen zustehen sollte (vgl.
BGE 123 II 69
ff.).
3.
Zu prüfen bleibt die Frage, ob und wieweit der Beschwerdeführer allenfalls als
Popularbeschwerdeführer
im vorinstanzlichen Verfahren legitimiert ist, geltend zu machen, die UBI habe seine Verfahrensrechte (Befangenheit) verletzt (vgl. 2A.172/2004 vom 8. März 2005 E. 3):
3.1
In
BGE 123 II 115
ff. hielt das Bundesgericht fest, dass der Popularbeschwerdeführer im Sinne von Art. 63 Abs. 1 lit. a RTVG 1991 trotz fehlender schutzwürdiger Interessen in der Sache selber befugt sei, einen Nichteintretensentscheid der UBI mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anzufechten. Zwar sei in der Rechtsprechung zum Bundesbeschluss vom 7. Oktober 1983 über die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (BB/UBI; AS 1984 153 ff.) davon ausgegangen worden, dass der Popularbeschwerdeführer über kein schutzwürdiges Interesse verfüge, um mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde Verfahrensmängel vor der UBI zu rügen, da ihm im Gegensatz zum beschwerdeführenden Betroffenen im Verfahren der Programmbeschwerde keine
BGE 135 II 430 S. 436
Verfahrensrechte zustünden, womit keine Notwendigkeit ersichtlich sei, eine Verletzung solcher geltend machen zu können (E. 2c/aa mit Hinweisen). Anders verhalte es sich indessen, wenn die UBI auf eine Popularbeschwerde nicht eintrete, weil sie das Vorliegen einer der spezialgesetzlich vorgesehenen Eintretensvoraussetzungen verneine; dadurch werde unter Umständen bundesrechtswidrig das vom Gesetzgeber gewollte Aufsichtsverfahren vereitelt, was eine Rechtsverweigerung hinsichtlich des entsprechenden, im RTVG 1991 garantierten Anspruchs der Popularbeschwerdeführer bilde (E. 2c/bb mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat diese Praxis in
BGE 134 II 120
ff. unter Hinweis auf die zitierte Rechtsprechung grundsätzlich bestätigt: Im Rahmen der im Radio- und Fernsehgesetz formalisierten Aufsichtsbeschwerde habe der Popularbeschwerdeführer lediglich einen spezialgesetzlichen Anspruch darauf, dass es die UBI nicht bundesrechtswidrig unterlasse, das durch ihn ausgelöste und ausschliesslich im öffentlichen Interesse liegende Verfahren (hierzu
BGE 134 II 260
ff.) durchzuführen. Allein diesen spezialgesetzlichen Erledigungsanspruch könne er gegebenenfalls mit Beschwerde vor Bundesgericht durchsetzen. Der Popularbeschwerdeführer sei dagegen nicht legitimiert, geltend zu machen, die UBI habe zu Unrecht Beweisanträgen nicht entsprochen, den Sachverhalt nicht hinreichend abgeklärt oder ihr Prüfungsprogramm in unzulässiger Weise beschränkt (
BGE 134 II 120
E. 2.4).
3.2
Diese Praxis ist mit Blick auf die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes vom 24. März 2006 zu präzisieren: Nach
Art. 86 Abs. 3 RTVG
sind - anders als unter dem alten Recht - die Bestimmungen des VwVG (SR 172.021) nunmehr auch auf das Verfahren vor der UBI anwendbar, soweit das Radio- und Fernsehgesetz nichts anderes vorsieht; Art. 3 lit. e
bis
VwVG ist mit dem neuen Recht aufgehoben worden (vgl. ROLF H. WEBER, Rundfunkrecht, 2008, N. 11 ff. zu
Art. 86 RTVG
; BBl 2003 1569 Ziff. 1.4.1 und Ziff. 2.1.7.1.1). Dies hat zur Folge, dass auch der Popularbeschwerdeführer von den entsprechenden Verfahrensgarantien profitieren und nunmehr entsprechende Rügen vor Bundesgericht erheben kann. Der Popularbeschwerdeführer hat vor der UBI - mangels einer abweichenden Regelung im RTVG 2006 - heute grundsätzlich die gleiche Rechtsstellung wie der Betroffenenbeschwerdeführer. Da er in der Regel in der Sache selber jedoch nicht legitimiert ist, kann er im Gegensatz zu diesem vor Bundesgericht im Rahmen von
Art. 89 BGG
nur solche Verfahrensverletzungen geltend machen, deren
BGE 135 II 430 S. 437
Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleichkommt ("Star-Praxis" analog; vgl.
BGE 133 I 185
E. 6.2 S. 198). Unzulässig sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des Programmentscheids abzielen, wie etwa der Vorwurf, die Begründung des angefochtenen Entscheids sei unvollständig oder zu wenig differenziert ausgefallen oder setze sich nicht mit sämtlichen von der Partei vorgetragenen Argumenten auseinander bzw. würdige die Parteivorbringen unzureichend. Ebenso wenig kann beanstandet werden, der Sachverhalt sei unvollständig abgeklärt oder sonstwie willkürlich ermittelt bzw. Beweisanträgen sei wegen willkürlicher antizipierter Beweiswürdigung keine Folge gegeben worden (vgl.
BGE 114 Ia 307
E. 3c S. 313;
BGE 129 I 217
E. 1.4 S. 222;
BGE 126 I 81
E. 7b S. 94;
BGE 118 Ia 232
E. 1c S. 236;
BGE 117 Ia 90
E. 4a S. 95).
3.3
3.3.1
Der Beschwerdeführer macht eine Befangenheit des Präsidenten der UBI im Sinne von
Art. 10 VwVG
geltend; er ist als Popularbeschwerdeführer hierzu befugt. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist seine Rüge indessen unbegründet: Die Tatsache, dass die Mitglieder einer milizmässig organisierten Fachbehörde Kontakte zu Personen in ihrem Zuständigkeitsbereich pflegen, lässt den Schluss noch nicht zu, es bestehe im Einzelfall der objektiv begründete Verdacht einer Befangenheit (vgl. BREITENMOSER/SPORI FEDAIL, in: VwVG, Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], 2009, N. 79 ff. zu
Art. 10 VwVG
).Dasselbe gilt für die Tatsache, dass der Präsident der UBI über - vom Beschwerdeführer inhaltlich bestrittenes - wissenschaftliches Vorwissen hinsichtlich der Markt- bzw. der Meinungsforschung verfügt. Zwar ist D.O. offenbar eines von über 30 Beiratsmitgliedern am Institut, an dem M.R. Medienwissenschaften lehrt, dies lässt ihn aber hinsichtlich der Streitfrage, unter welchen Voraussetzungen Meinungsumfragen in einer konkreten Sendung rundfunkrechtlich sachgerecht dargestellt wurden, nicht bereits als befangen erscheinen. Einzuräumen ist, dass es etwas befremdend anmutet, wenn der Präsident der UBI an der gleichen Sitzung bei einer analogen Fragestellung ohne weitere Erklärung im einen Fall in den Ausstand tritt (b.574), im anderen indessen mitwirkt (b.584); die Gründe hierfür wären - wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht - zumindest aktenmässig festzuhalten gewesen. Gemäss der Vernehmlassung der UBI war der Ausstand ihres Präsidenten darauf zurückzuführen, dass M.R. in jenem Verfahren konkret als Ersatzmann der Ombudsstelle tätig geworden war, weshalb die Gefahr eines
BGE 135 II 430 S. 438
Interessenkonflikts aus Vorbefassung(BREITENMOSER/SPORI FEDAIL, a.a.O.,N. 69 ff. zu
Art. 10 VwVG
) bestand, indessen nicht im Verfahrenb.584. Soweit der Beschwerdeführer darauf hinweist, dass M.R. trotz seiner früheren Funktion als Ersatzmann der Ombudsstelle inanderen Fällen der UBI mitgewirkt habe, ist nicht ersichtlich undwird nicht dargetan, dass er in diesen - wie im Verfahren b.574 -bereits
selber
im Ombudsverfahren beratend oder entscheidend tätiggewesen wäre.
3.3.2
Die Namen der Mitglieder der UBI sind im Staatskalender enthalten, weshalb es dem Beschwerdeführer im Übrigen möglich gewesen wäre, die von ihm geltend gemachten Befangenheitsgründe (berufliche/persönliche Beziehungen zwischen D.O. und M.R.) vor der Verhandlung vorzubringen und damit einen Entscheid über die Ausstandspflicht zu erwirken. Der Beschwerdeführer ersucht vor Bundesgericht indirekt um "Einsicht" in die Tonbandaufnahmen der Verhandlung vom 22. August 2008 sowie in das Referat der Instruktionsrichterin der UBI. Dabei handelt es sich indessen um interne Dokumente, die nicht dem Akteneinsichtsrecht unterliegen: Die Beratung wird durch das begründete Urteil ersetzt, allfällige schriftliche Argumente des Referats sind dem Beschwerdeführer nicht zugänglich. Es handelt sich dabei um die Meinung eines einzelnen Mitglieds des Kollegiums; die Entscheidgründe ergeben sich aus dem (Mehrheits-) Urteil als solchem. Die Aufzeichnung der Sitzung dient bloss zur Unterstützung der Protokollierung bzw. der Urteilsredaktion, soweit sie nicht von der UBI ihrerseits hinsichtlich eines bestimmten Punkts als Beweis angerufen und in das bundesgerichtliche Verfahren eingebracht wird. Der Beschwerdeführer will mit der Konsultation der Aufnahmen belegen, dass die Argumente des Präsidenten der UBI wissenschaftlich falsch gewesen seien, weshalb dieser als befangen gelten müsse; er verkennt damit aber erneut, dass es im Rechtsstreit vor der UBI inhaltlich ausschliesslich darum ging, ob die Darstellung der Meinungsumfragen geeignet war, das Publikum (rundfunkrechtlich) zu täuschen. Eine in den Augen des Betroffenen angeblich falsche Rechtsauffassung begründet objektiv für sich allein noch keinen Anschein der Befangenheit eines Richters.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 65 f. BGG). Bei der Festsetzung der Höhe der Gebühr kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass er erst vor Bundesgericht von den Gründen der
BGE 135 II 430 S. 439
unterschiedlichen Besetzung in den beiden Verfahren Kenntnis erhalten hat und er sich damit in guten Treuen zur Beschwerde veranlasst sehen konnte. Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (vgl.
Art. 68 BGG
). | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4a2e01a-8332-43bc-9857-714f515a8c5f | Urteilskopf
137 V 31
4. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Avenir gegen R. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_697/2010 vom 4. Januar 2011 | Regeste
Art. 25 KVG
;
Art. 20 und 20a KLV
; Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL; Anhang 2 KLV); ärztliche Behandlung mittels Michiganschiene.
Die direkt mit der Michiganschiene selbst und ihrer Herstellung verbundenen Leistungen sind nicht kostenvergütungspflichtig; nicht unter die obligatorische Leistungspflicht fallen namentlich sämtliche unter Ziff. L 4177 des Zahnarzttarifs abgerechneten Leistungen (Präzisierung der Rechtsprechung gemäss
BGE 136 V 84
; E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 137 V 31 S. 31
A.
Mit Verfügung vom 4. November 2009 und bestätigendem Einspracheentscheid vom 13. Januar 2010 verneinte die Avenir Versicherungen (nachfolgend: Avenir) im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung den Anspruch der R. auf Vergütung der Kosten einer Therapie mittels Michiganschiene (Aufbissbehelf zwecks Entlastung der Kiefermuskeln und -gelenke), soweit die Kosten von insgesamt Fr. 966.25 für die Michiganschiene als solche
BGE 137 V 31 S. 32
(Tarifposition Ziff. L 4177: "Michigan-Schiene" [Fr. 269.70]) und die damit in engem Zusammenhang stehenden medizinischen Massnahmen betreffend (Tarifpositionen Ziff. 4075: Zentrikregistrat [Fr. 34.10]; Ziff. 4090: Abformung des Kiefers Zahnarzt [Fr. 74.40]; Kosten Labor extern: Fr. 588.05). Hinsichtlich der in der zahnärztlichen Gesamtrechnung zusätzlich aufgeführten Kosten in der Höhe von Fr. 254.20 (Tarifpositionen Ziff. 4001: Befundaufnahme beim Recallpatienten [Fr. 43.40]; Ziff. 4160: MAP Anamnese und Aufklärung [Fr. 27.90]; Ziff. 4165: Muskelbefund [Fr. 49.60]; Ziff. 4186: Instruktion Physiotherapie [Fr. 83.70]; Ziff. 4190: MAP-Nachkontrolle [Fr. 49.60]) hatte die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit Abrechnung vom 27. Juli 2009 anerkannt.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde der R. mit dem Antrag auf Kostenübernahme in der Höhe von Fr. 966.25 (abzüglich 10 % Selbstbehalt) hiess das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid vom 30. Juni 2010 in dem Sinne teilweise gut, dass es den Einspracheentscheid vom 13. Januar 2010 aufhob und die Sache zum Erlass eines neuen Entscheids im Sinne der Erwägungen an die Avenir zurückwies; in der Begründung stellte das Gericht fest, die Krankenkasse habe "zusätzlich zu den bereits vergüteten Kosten von Fr. 254.20 noch Fr. 134.85 zu übernehmen".
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Avenir, in Aufhebung des kantonalen Entscheids vom 30. Juni 2010 sei der Einspracheentscheid vom 13. Januar 2010 zu bestätigen.
Die Versicherte und die Vorinstanz beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Unstrittig handelt es sich bei der Therapie mittels Michiganschiene nicht um eine zahnärztliche Behandlung im Sinne von
Art. 31 KVG
in Verbindung mit Art. 17 ff. der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31), sondern um eine von einem Zahnarzt durchgeführte ärztliche Behandlung im Sinne von
Art. 25 KVG
(
BGE 128 V 143
).
BGE 137 V 31 S. 33
Streitig und zu prüfen ist der Umfang der Leistungspflicht gemäss
Art. 25 KVG
, insbesondere die Kostenvergütungspflicht bezüglich der vom Zahnarzt unter der Tarifposition Ziff. L 4177 "Michigan-Schiene" (Tarifvertrag zwischen der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft SSO und dem Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer [heute: santésuisse]) berechneten Leistung (Rechnung vom 1. Juli 2009).
2.1
Gemäss
BGE 136 V 84
unterliegt die unter Ziff. L 4177 des Zahnarzttarifs erwähnte Michiganschiene, sofern ihre Verwendung - wie hier (E. 2 Ingress) - vom Zahnarzt im Rahmen einer ärztlichen Behandlung angeordnet wird, der Positivlistenpflicht gemäss
Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG
in Verbindung mit
Art. 20 und 20a Abs. 1 KLV
. Da sie in der abschliessenden Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL; Anhang 2 KLV i.V.m.
Art. 20a Abs. 1 KLV
) nicht aufgeführt ist, ist die Michiganschiene als solche samt Anfertigungskosten (Modelle, Gegenmodelle, Anfertigung der Schiene im Zahntechniklabor) nicht kassenpflichtig; die eigentlichen Behandlungskosten sind dagegen laut erwähntem Bundesgerichtsurteil gestützt auf
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
zu vergüten. Ob solche im konkreten Fall angefallen waren, hatte das Bundesgericht nicht zu prüfen (E. 5 in fine):
"Da der hier umstrittene Rechnungsbetrag in der Höhe von Fr. 563.20 nach Lage der Akten allein die spezifischen Kosten für Material und Herstellung der Schiene (Modelle, Gegenmodelle, Anfertigung der Schiene im Zahntechniklabor) umfasst, ist die Leistungspflicht insgesamt zu verneinen. Nicht weiter zu prüfen ist hier, ob und inwieweit im Rahmen der ärztlichen Therapie mittels Michiganschiene zusätzlich eigentliche Behandlungskosten beim Zahnarzt angefallen sind (Untersuchungen, Diagnostik, Anpassungen, Kontrollen, etc.), welche gestützt auf
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
von der Kasse zu vergüten wären."
Im Urteil 9C_827/2009 vom 25. Februar 2010 war ein für eine Michiganschiene in Rechnung gestellter Betrag von Fr. 592.70 streitig (Zahnarzt- und Zahntechnikerkosten). Das Bundesgericht verneinte - mit derselben Begründung wie im gleichentags ergangenen
BGE 136 V 84
- den Anspruch auf Übernahme der Kosten der Michiganschiene (gemäss Tarifposten Ziff. L 4177 "Michigan-Schiene") durch die obligatorische Krankenversicherung, wobei es präzisierend festhielt (E. 5):
"Dies betrifft die Kosten für die Schiene selbst und deren Anfertigung im Zahntechniklabor, welche sich gemäss den letztinstanzlich unbestritten gebliebenen, nicht offensichtlich unrichtigen Feststellungen der Vorinstanz auf Fr. 592.70 belaufen; dagegen ist die Beschwerdegegnerin
BGE 137 V 31 S. 34
zutreffend davon ausgegangen und ist unstrittig, dass die im Rahmen der ärztlichen Therapie mittels Michiganschiene angefallenen eigentlichen Behandlungskosten beim Zahnarzt (wie Untersuchungen, Diagnostik, Anpassungen und Kontrollen) gestützt auf
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
vergütungspflichtig sind."
2.2
Im Lichte der vorstehend dargelegten Rechtsprechung gehen das kantonale Gericht und die Beschwerdeführerin zutreffend davon aus, dass die im vor- und letztinstanzlich umstrittenen Rechnungsbetrag von Fr. 966.25 enthaltenen Kosten nur insoweit von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind, als sie nicht Material und Anfertigung der Michiganschiene selbst betreffen, sondern als "eigentliche Behandlungskosten" zu qualifizieren sind. Als nicht leistungspflichtige Anfertigungskosten werden übereinstimmend die in der Honorarrechnung des behandelnden Zahnarztes vom 1. Juli 2009 aufgeführten Tarifpositionen Ziff. 4075 (Zentrikregistrat [Bissnahme]: Fr. 34.10) und Ziff. 4090 (Abformung durch Zahnarzt: Fr. 74.40) sowie die Kosten für "Labor extern" in der Höhe von Fr. 588.05 eingestuft. Dies ist nicht zu beanstanden und mit Blick auf die Parteivorbringen nicht weiter erläuterungsbedürftig. Was den im umstrittenen Rechnungsbetrag verbleibenden, unter der Tarifposition Ziff. L 4177 "Michigan-Schiene" berechneten Betrag von Fr. 269.70 betrifft, verneint die Krankenkasse die Leistungspflicht integral mit der Begründung, es handle sich ausschliesslich um die - gemäss
BGE 136 V 84
nicht vergütungspflichtigen - Kosten für die Schiene selbst. Im angefochtenen Entscheid wird demgegenüber die Hälfte dieses Betrags (Fr. 134.85) als von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende Behandlungskosten eingestuft. Die Position Ziff. L 4177 sei - so die Begründung der Vorinstanz - in den Erläuterungen zum Zahnarzttarif 94 (Ausgabe 2001) unter "3. Schienentherapie" aufgeführt; gemäss Vorspann zu den Positionen 4175-4182 seien diese "ohne allfällige Bissnahme, inkl. Abdruck, Eingliederung und Instruktion" tarifiert. Der behandelnde Zahnarzt stufe die Leistungen unter der Position Ziff. L 4177 als "rein zahnärztliche Leistung ein" (im Rahmen einer amtlichen Erkundigung eingeholtes Schreiben vom 8. Juni 2006). Dem sei bezüglich "Eingliederung und Instruktion" (nicht aber "Abdruck") beizupflichten; bei Letzteren handle es sich um Kosten im Zusammenhang mit der "Anpassung" der Schiene und damit gemäss
BGE 136 V 84
E. 5 um eigentliche Behandlungskosten, welche der Vergütungspflicht nach
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
unterstünden.
BGE 137 V 31 S. 35
2.3
Es trifft zu, dass das Bundesgericht in den unter E. 2.1 hievor erwähnten Urteilen als vergütungspflichtige Behandlungskosten im Rahmen der Therapie mittels Michiganschiene beispielhaft auch die "Anpassungen" genannt hat (
BGE 135 V 84
[recte:
BGE 136 V 84
] E. 5 S. 95; 9C_827/2009 E. 5 in fine). Für sich betrachtet lässt die gewählte Formulierung Raum für die dargelegte vorinstanzliche Interpretation und Schlussfolgerung (E. 2.2 hievor). Aufgrund der Umschreibung des Streitgegenstands (
BGE 136 V 84
E. 3 S. 87 f.; Urteil 9C_827/2009 E. 3) und des Dispositivs in den erwähnten zwei Fällen erscheint jedoch klar, dass das Bundesgericht
sämtliche
unter der Tarifposition Ziff. L 4177 "Michigan-Schiene" berechneten Leistungen als
Nicht-Pflichtleistung
beurteilt hat. Analog war bereits im Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 101/03 vom 22. Juli 2004 betreffend Behandlung mittels Serenox-Schiene entschieden worden: Dort war Streitgegenstand "la confection et la mise en place" (a.a.O., E. 2. und 4.3) einer Serenox-Schiene im Gesamtbetrag von Fr. 1'700.-; das Eidg. Versicherungsgericht lehnte die Kostenübernahme mangels Erwähnung der Serenox-Schiene in der MiGeL integral ab. Zu verweisen ist zudem auf
BGE 136 V 84
E. 4.2.3 in fine, wonach angesichts der Subsumtion der Michiganschiene unter die listenpflichtigen Gegenstände nach
Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG
in Verbindung mit
Art. 20 KLV
eine obligatorische Kostenübernahme für dieses Produkt gestützt auf
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
ausser Betracht fällt, da die Tatbestände
Art. 25 Abs. 2 lit. a und b KVG
sich in Bezug auf ein- und dasselbe Leistungselement als Rechtsgrund der Leistungspflicht gegenseitig
ausschliessen
. Die Tarifposition Ziff. L 4177 "Michigan-Schiene" ist mit den darin enthaltenen Posten Abdruck, Eingliederung und Instruktion - wie grundsätzlich alle im Zahnarzttarif genannten Einzelpositionen resp. Ziffern (vgl. auch
www.sso.ch
-> Recht/Tarif -> Zahnarzt-Tarif) - sachlich als
eine
Einzelleistung zu qualifizieren; die Unterteilung in verschiedene, einerseits nach
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
kostenvergütungs- und andererseits nach
Art. 25 Abs. 2 lit. b KVG
nicht kostenvergütungspflichtige Leistungselemente ist systemwidrig. Im Übrigen entbehrt es auch der Logik, die
Anpassung
(samt "Eingliederung und Instruktion") eines Gegenstands der obligatorischen Kostenvergütung zu unterstellen, der
selbst
nicht leistungspflichtig ist. Es verhält sich (unter umgekehrten Vorzeichen) ähnlich wie bei Brillengläsern oder Kontaktlinsen, deren Anpassung nicht separat als ärztliche Leistung vergütet wird, sondern im Listenpreis der MiGeL inbegriffen ist (Ziff. 25.02
BGE 137 V 31 S. 36
MiGeL; vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 35/01 vom 25. März 2003).
BGE 136 V 84
ist nach dem Gesagten wie folgt zu präzisieren: Im Rahmen der Michiganschiene-Therapie gestützt auf
Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG
von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende ärztliche Leistungen sind nur diejenigen, die nicht direkt mit der Michiganschiene selbst und ihrer Herstellung verbunden sind. Darunter fallen z.B. die - auch in casu übernommenen (vgl. oben Sachverhalt, lit. A) - Diagnosen, die Befunderstellung sowie die Nachkontrollen;
nicht
dazu gehören dagegen namentlich die Leistungen gemäss Tarifpositionen Ziff. L 4177 ("Michigan-Schiene",
inkl
. Abdruck, Eingliederung und Instruktion), Ziff. 4075 (Zentrikregistrat) und Ziff. 4090 (Abformung durch den Zahnarzt) sowie die Kosten des Zahntechniklabors.
2.4
Aufgrund vorstehender Erwägung ist die vorinstanzlich bezüglich der Tarifposition Ziff. L 4177 bejahte Leistungspflicht als bundesrechtswidrig (
Art. 95 BGG
) einzustufen und die Beschwerde der Avenir gutzuheissen. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d4aa2c92-3c06-411b-b643-b7ef59bb33f4 | Urteilskopf
101 Ib 398
68. Sentenza del 3 ottobre 1975 nella causa X c. Camera di diritto tributario del Tribunale di appello del Cantone Ticino | Regeste
Wehrsteuer; Zwischenveranlagung, Art. 96 WStB.
1. Im Fall der Aufgabe einer Erwerbstätigkeit, die nicht durch eine andere ersetzt wurde, hängt die Beurteilung der Frage, ob es sich um Einkommen handle, dem im Sinne des Art. 96 WStB Rechnung zu tragen ist, nicht davon ab, ob die hauptsächliche oder nur eine Nebentätigkeit eingestellt wurde (Erw. 2a).
2. Beim Entscheid über ein Begehren um Vornahme einer Zwischenveranlagung ist der Umstand, dass eine Tantièmen eintragende Tätigkeit als Mitglied bestimmter Verwaltungsräte aufgegeben und nicht ersetzt wurde, zu berücksichtigen (Erw. 2a).
3. Normalerweise muss der für die Zwischenveranlagung erhebliche Berufswechsel mit einer beträchtlichen Änderung der Höhe des Einkommens verbunden sein; bei tiefgreifender Umstellung der Tätigkeit (z.B.: Übergang von unselbständiger zu selbständiger Tätigkeit) genügt indes irgendeine quantitative Änderung des Einkommens, welche die Steuerbemessung beeinflusst (Erw. 2b).
4. Ist bei Aufgabe einer Tätigkeit, die nicht durch eine andere ersetzt wurde, eine bedeutende Änderung des Einkommens erforderlich? Frage offengelassen (Erw. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 399
BGE 101 Ib 398 S. 399
X. ha svolto la sua carriera presso la banca Y., dove assumeva funzioni dirigenti a partire dal 1925. Ne era successivamente direttore, amministratore delegato, e infine, sino al 24 aprile 1974, presidente del consiglio d'amministrazione. Egli era ed è eventualmente tuttora membro del consiglio d'amministrazione anche di altre società.
In relazione con il suo pensionamento, avvenuto con effetto al 1o aprile 1966, X. otteneva una tassazione intermedia.
Nel maggio 1974 chiedeva una nuova tassazione intermedia, facendo valere d'aver rinunciato alle sue funzioni di presidente del consiglio d'amministrazione della banca Y., e di membro del consiglio d'amministrazione della banca Z. L'Ufficio circondariale di tassazione respingeva la domanda, ritenendo che
BGE 101 Ib 398 S. 400
non fosse dato alcuno dei presupposti previsti dall'art. 96 DIN.
La Camera di diritto tributario del Tribunale di appello del Cantone Ticino respingeva il gravame presentatogli da X.; essa rilevava che non poteva farsi luogo alla tassazione intermedia per non essere mutate nel caso concreto le fonti del reddito, bensì solo l'entità del medesimo, ciò che non poteva bastare, in difetto di espressa previsione della legge, a giustificare il richiesto provvedimento fiscale.
Con ricorso di diritto amministrativo X. è insorto avanti il Tribunale federale contro la sentenza della Corte cantonale. Egli chiede che tale decisione sia annullata e che sia ordinata la tassazione intermedia.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
L'imposta per la difesa nazionale dovuta dalle persone fisiche colpisce il reddito complessivo del contribuente che derivi da un'attività lucrativa, da rendita della sostanza o da altri cespiti (art. 21 DIN). Per il calcolo dell'imposta è determinante il reddito annuo medio dei due anni che precedono il periodo di tassazione (art. 41 cpv. 1 e 2 DIN). Se le condizioni d'assoggettamento si sono attuate soltanto nel corso del periodo di tassazione o se le stesse non sono adempiute durante tutto il periodo di computo, l'imposta è determinata in base al reddito conseguito dopo che si sono attuate le condizioni dell'assoggettamento e calcolato su un anno (art. 4 cpv. 4 DIN). Sotto la marginale "Modificazione del reddito durante il periodo di computo", l'art. 42 DIN dispone: "Se, in seguito all'inizio o alla cessazione di un'attività lucrativa, a mutamento della professione..., il reddito si è modificato durevolmente nel corso del periodo di computo, alla determinazione degli elementi del reddito colpiti dalla modificazione è applicabile per analogia l'art. 41 cpv. 4." Infine, l'art. 96 DIN, che disciplina la tassazione intermedia, dispone: "Se, per una persona fisica, le basi della tassazione si sono durevolmente modificate nel corso del periodo di tassazione in seguito all'inizio o alla cessazione dell'attività lucrativa, a mutamento della professione..., una nuova tassazione (tassazione intermedia) deve essere eseguita, per il resto di detto periodo, quanto agli elementi del reddito colpiti dalla modificazione. Alla determinazione
BGE 101 Ib 398 S. 401
del reddito è applicabile, per analogia, l'art. 41 cpv. 4" (cpv. 1). "La tassazione intermedia ha luogo d'ufficio oppure a richiesta del contribuente. Essa può essere fatta nel termine di tre anni dopo la scadenza del periodo di tassazione cui si riferisce" (cpv. 2).
2.
L'imposta a carico del ricorrente per il 17o periodo IDN (1973/1974) dovrebbe pertanto normalmente essere determinata in base al reddito medio conseguito nel 1971 e 1972, pari a fr. 247'489.--, di cui circa fr. 75'000.-- provenienti da quanto corrispostogli dalla banca Y. e dalla banca Z., ossia dagli istituti di cui egli ha cessato di far parte a fine marzo 1974. Prescindendo da un ultimo versamento di complessivamente fr. 29'886.40 effettuato per il 1974 dai menzionati due istituti, il ricorrente s'è quindi visto privato di una fonte di reddito che gli aveva procurato da ultimo un'entrata di circa fr. 75'000.--. Non trattavasi di una fonte di reddito occasionale; come risulta dagli atti, gli importi relativi gli sono stati versati regolarmente e la loro entità è aumentata progressivamente dal 1966 al 1971. Gli importi provenienti da tale fonte erano soggetti ad imposta quale reddito ai sensi dell'art. 21 DIN e vanno quindi considerati quali elementi del reddito anche ai sensi degli art. 42 e 96 DIN. Per decidere se possa farsi luogo alla tassazione intermedia richiesta dal contribuente e negata dall'autorità fiscale occorre accertare se la modificazione abbia avuto luogo per una delle cause enumerate esaurientemente dal legislatore (v.
DTF 92 I 57
consid. 2), e se essa sia intervenuta in misura rilevante.
a) Nel caso in esame la causa suscettibile di giustificare una tassazione intermedia è la cessazione dell'attività lucrativa, ai sensi dell'art. 96 DIN. L'indennità (tantièmes) che il ricorrente percepiva per la sua attività di presidente del consiglio d'amministrazione della banca Y. e di membro del consiglio d'amministrazione della banca Z. costituiva indubbiamente un cespite di reddito: una indennità di tal fatta è espressamente menzionata quale elemento del reddito dall'art. 21 cpv. 1 lett. a DIN. Che l'attività per la quale tale indennità era corrisposta fosse svolta a titolo principale od accessorio non è rilevante ai fini di determinare se si tratti o no di reddito di cui debba essere tenuto conto ai sensi dell'art. 96 DIN (parimenti sarebbe erroneo voler distinguere tra cespite di reddito proveniente da un'attività prevalentemente intellettuale e cespite di
BGE 101 Ib 398 S. 402
reddito proveniente da un'attività prevalentemente manuale). Il fatto, sottolineato dall'Amministrazione federale delle contribuzioni, che il ricorrente continui a fruire di altre fonti di reddito (addirittura provenienti da attività analoga) non può essere decisivo sotto questo profilo. In caso di più cespiti di reddito, la scomparsa di uno di essi, non sostituito da altro, è sufficiente perché possa parlarsi di una cessazione d'attività lucrativa eventualmente idonea a dar luogo ad una tassazione intermedia. L'incidenza che il cespite di reddito venuto meno aveva sul reddito complessivo va esaminata, per converso, sotto il profilo della rilevanza dell'avvenuta modificazione. In altri termini, anche la cessazione di una di varie attività lucrative può giustificare una tassazione intermedia, ove comporti una durevole e rilevante modifica delle basi di tassazione.
b) Perché la durevole modifica delle basi della tassazione possa giustificare una tassazione intermedia occorre che essa adempia certi requisiti. Dottrina e giurisprudenza sembrano oscillare su quello relativo alla rilevanza sotto l'aspetto quantitativo della modifica stessa, punto sul quale il DIN è silente. Con riferimento all'art. 42 DIN, MASSHARDT (Kommentar zur Eidg. Wehrsteuer 1971-1982, ad art. 42 n. 4) ritiene irrilevante l'aspetto quantitativo della modifica: il contribuente potrebbe esigere l'applicazione dell'art. 42 anche in caso di una modesta riduzione del reddito complessivo, purché essa si rifletta sull'ammontare dovuto dell'imposta. Trattandosi dell'applicazione dell'art. 96 DIN in un caso di mutamento di professione, il Tribunale federale ha invece deciso in una sentenza del 19 dicembre 1952 (ASA vol. 21, pag. 437) che la modifica del reddito, oltre che durevole, dovesse essere anche considerevole ("wesentlich"). Nella prassi delle autorità fiscali competenti per la riscossione dell'IDN, si reputa considerevole una modifica del reddito complessivo non inferiore al 20% (v. MASSHARDT, op.cit., ad art. 96 n. 21). Tale soluzione appare conforme a quanto espressamente previsto dalla legge in altre materie amministrative. L'art. 25 dell'Ordinanza sull'AVS, del 31 ottobre 1947, prevede, ai fini del calcolo straordinario del contributo AVS, che il reddito netto determinante sia accertato in modo straordinario laddove una durevole modificazione, tra l'altro, in seguito a cambiamento di professione, abbia "influito sensibilmente sull'importo del reddito". L'art. 87 dell'Ordinanza sull'assicurazione per l'invalidità, del
BGE 101 Ib 398 S. 403
17 gennaio 1961, ammette una revisione della rendita d'invalidità ove si dimostri che il grado d'invalidità sia "modificato in misura rilevante per il diritto alle prestazioni". L'art. 23 cpv. 4 dell'Ordinanza sulle prestazioni complementari all'AVS, del 15 gennaio 1971, prevede la possibilità di un accertamento straordinario del reddito determinante per una prestazione complementare, laddove il reddito sia divenuto "notevolmente inferiore" a quello che serve ordinariamente di base per il calcolo della prestazione complementare.
Nella sua sentenza non pubblicata dell'8 febbraio 1974 nella causa Hochreutener c. San Gallo, il Tribunale federale, in un caso di passaggio da un'attività dipendente (impiego in una società a nome collettivo) ad un'attività indipendente (l'interessato era divenuto socio della stessa società) ha peraltro ritenuto che il carattere considerevole della modifica fosse dato dalla natura del mutamento della professione e non dalla variazione quantitativa del reddito complessivo; esso ha dichiarato pertanto non applicabile in un caso siffatto l'esigenza di una variazione non inferiore al 20% del reddito complessivo.
Può inferirsi da questa giurisprudenza che il mutamento della professione suscettibile di dar luogo ad una tassazione intermedia (v. al proposito
DTF 92 I 58
consid. 4) non deve sempre essere caratterizzato da una variazione del reddito non inferiore ad una certa misura: il requisito di una variazione quantitativa considerevole dovrà essere normalmente adempiuto allorquando si tratti di un cambiamento profondo ma non radicale dal punto di vista della differenza concettuale tra l'attività precedente e quella successiva, mentre potrà prescindersene in caso contrario (ad es. passaggio da un'attività dipendente ad un'attività indipendente o viceversa).
c) Nella fattispecie non si tratta di un mutamento di professione, bensì della cessazione parziale di una determinata attività lucrativa (funzioni di presidente o di membro di consigli d'amministrazione), non sostituita da altra. Ci si può chiedere se in tale caso debba veramente esigersi una diminuzione considerevole (ad es. del 20% o di un terzo: v. sentenza non pubblicata 27 ottobre 1972 nella causa König c. Berna) del reddito complessivo, ossia una diminuzione sostanzialmente analoga a quella pretesa in un caso di normale mutamento di professione rilevante ai fini della tassazione intermedia,
BGE 101 Ib 398 S. 404
oppure se sia sufficiente una riduzione inferiore, tenendo conto di una certa somiglianza di questa situazione con quella di chi cambia radicalmente la propria attività (ad es. passaggio da attività dipendente ad attività indipendente) e in cui, come s'è visto, è sufficiente una differenza minima del reddito complessivo. La questione può tuttavia rimanere indecisa nella fattispecie, perché nel caso in esame il ricorrente, per effetto della cessazione della sua attività di presidente del consiglio d'amministrazione della banca Y. e di membro di quella della banca Z., ha visto diminuire il suo reddito complessivo (che nel 1971/1972 era di fr. 247'489.--) di un cespite di circa fr. 75'000.--, ossia di un importo comunque maggiore del 20% e vicino al 30%. Una variazione in meno di tale importanza giustifica comunque, nella situazione concreta, una tassazione intermedia.
3.
L'Amministrazione federale delle contribuzioni ha osservato che il cespite di reddito venuto meno al ricorrente altro non era che il corrispettivo di un'attività che egli già svolgeva accessoriamente a partire dal suo pensionamento; orbene, il pensionamento aveva già dato luogo alla tassazione intermedia disposta nel 1966. Detta autorità sottolinea altresì, come s'è menzionato sopra, che il ricorrente continua a svolgere in altre istituzioni le funzioni di membro del consiglio d'amministrazione. Ambedue i rilievi sono inconferenti. Già s'è visto che il carattere accessorio o principale di una determinata attività lucrativa è irrilevante ai fini di sapere se possa farsi luogo ad una tassazione intermedia, rilevante essendo invece la modifica (dal punto di vista qualitativo e quantitativo o, in caso di mutamento radicale di una situazione, eventualmente solo qualitativo) delle basi di tassazione, ossia dell'attività da cui scaturisce il reddito. L'effettuazione nel 1966 di una tassazione intermedia non impediva in alcuna guisa che nel 1974 potesse seguirne un'altra. Dandosene i presupposti, più tassazioni intermedie consecutive possono aver luogo (v. MASSHARDT, op.cit., ad art. 96 n. 7), anche se ciò soglia comportare per l'autorità fiscale un lavoro supplementare (s'intende che tale regola è applicabile tanto a favore, quanto a danno del contribuente). Per quanto concerne l'asserito proseguimento da parte del ricorrente delle proprie funzioni di membro del consiglio d'amministrazione di altre istituzioni, anche tale circostanza risulta irrilevante ai fini del
BGE 101 Ib 398 S. 405
giudizio già per il fatto che il reddito proveniente da questa attività residua (per la quale il ricorrente aveva percepito nel 1971 un importo di fr. 12'871.-- e nel 1972 uno di fr. 21'866.40) risulta di modesta entità se raffrontato con quello tratto dalle funzioni svolte in precedenza nel consiglio d'amministrazione della banca Y. e della banca Z. (circa fr. 75'000.--).
4.
Da quanto sopra discende che l'autorità fiscale, nel rifiutare la tassazione intermedia richiesta dal ricorrente in seguito alla cessazione delle funzioni da lui svolte nel consiglio d'amministrazione delle banche Y. e Z., ha violato l'art. 96 DIN. Poiché la Corte cantonale non ha posto riparo a tale violazione del diritto federale, la sua decisione deve essere annullata. Incomberà all'Amministrazione cantonale delle contribuzioni procedere alla tassazione intermedia, le basi per effettuare la quale non sembrano litigiose.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è accolto e la decisione impugnata è annullata. La causa è rinviata all'autorità cantonale competente per nuova decisione. | public_law | nan | it | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4adb1e6-d580-4d1f-828f-7d55819ee627 | Urteilskopf
141 I 124
12. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
6B_730/2014 vom 2. März 2015 | Regeste
Art. 27 und 29 Abs. 3 BV
;
Art. 132 und 135 Abs. 1 StPO
; Wirtschaftsfreiheit, Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, Entschädigung der amtlichen Verteidigung.
Die amtliche Verteidigung erfüllt eine staatliche Aufgabe und fällt nicht in den Geltungsbereich von
Art. 27 BV
(E. 4.1). Sie wird nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand besteht nur, soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist (E. 3.1).
Es ist in erster Linie Sache der kantonalen Behörden, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen. Ihnen steht bei der Festsetzung des Honorars ein weites Ermessen zu (E. 3.2).
Die Festsetzung des Honorars im Rahmen einer Pauschale ist zulässig und verletzt als solche das Recht auf wirksame Verteidigung nicht (E. 4.2 und 4.3). | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 141 I 124 S. 125
A.
Rechtsanwältin X. war seit 5. November 2011 amtliche Verteidigerin im Strafverfahren gegen A. Dieser wurde am 5. November 2011 festgenommen und befand sich bis 10. April 2012 in Untersuchungshaft. Das Kreisgericht St. Gallen sprach A. am 19. Dezember 2013 der versuchten schweren Körperverletzung und des Raufhandels schuldig und verurteilte ihn zu 3 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe. X. reichte an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eine Kostennote im Betrag von insgesamt Fr. 18'984.55 (Honorar Fr. 15'980.-, Barauslagen Fr. 1'598.25, Mehrwertsteuer Fr. 1'406.30) ein. Das Kreisgericht sprach ihr eine Entschädigung von insgesamt Fr. 12'094.10 zu.
Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen wies die von Rechtsanwältin X. gegen die Festsetzung der Entschädigung für die amtliche Verteidigung erhobene Beschwerde am 28. Mai 2014 ab.
B.
Rechtsanwältin X. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr für die amtliche Verteidigung im erstinstanzlichen Strafverfahren eine Entschädigung von Fr. 18'948.55 zuzusprechen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 141 I 124 S. 126
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Der amtliche Anwalt erfüllt eine staatliche Aufgabe, welche durch das kantonale öffentliche Recht geregelt wird. Mit seiner Einsetzung entsteht zwischen ihm und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat der Anwalt eine öffentlich-rechtliche Forderung gegen den Staat auf Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen (
BGE 131 I 217
E. 2.4;
BGE 122 I 1
E. 3a). Der amtliche Anwalt kann aus
Art. 29 Abs. 3 BV
einen Anspruch auf Entschädigung und Rückerstattung seiner Auslagen herleiten. Dieser umfasst aber nicht alles, was für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten von Bedeutung ist. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht nur, "soweit es zur Wahrung der Rechte notwendig ist". Nach diesem Massstab bestimmt sich der Anspruch sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, d.h. in Bezug auf den Umfang der Aufwendungen. Entschädigungspflichtig sind danach nur jene Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte im Strafverfahren stehen, und die notwendig und verhältnismässig sind (zu einer gewissen zusätzlichen persönlichen und sozialen Betreuung vgl. Urteil 6B_951/2013 vom 27. März 2014 E. 3.2). Das Honorar muss allerdings so festgesetzt werden, dass der unentgeltlichen Rechtsvertretung ein Handlungsspielraum verbleibt und sie das Mandat wirksam ausüben kann (Urteile 1B_96/2011 vom 6. Juni 2011 E. 2.2 und 6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.2).
3.2
Den Kantonen steht bei der Bemessung des Honorars des amtlichen Anwalts ein weites Ermessen zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Festsetzung des Honorars ausserhalb jeden vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst. Ausserdem übt es grosse Zurückhaltung, wenn das kantonale Sachgericht den Aufwand als übersetzt bezeichnet und entsprechend kürzt. Es ist Sache der kantonalen Behörden, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen (
BGE 122 I 1
E. 3a;
BGE 118 Ia 133
E. 2b und 2d; vgl. Urteile 6B_652/2014 vom 10. Dezember 2014 E. 2.3 und 6B_951/2013 vom 27. März 2014 E. 4.2).
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird es als zulässig erachtet, das Honorar für amtliche Mandate im Vergleich zu jenem der freien Mandate tiefer anzusetzen (
BGE 139 IV 261
E. 2.2.1;
BGE 141 I 124 S. 127
BGE 132 I 201
E. 7.3.4). Eine Verletzung des Willkürverbots - und mittelbar auch der Wirtschaftsfreiheit - liegt erst dann vor, wenn die zugesprochene Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken und einen zwar bescheidenen, nicht aber bloss symbolischen Verdienst nicht zu gewährleisten vermag. Im Sinne einer Faustregel hat das Bundesgericht festgehalten, dass sich die Entschädigung für einen amtlichen Anwalt im schweizerischen Durchschnitt in der Grössenordnung von 180 Franken pro Stunde (zuzüglich Mehrwertsteuer) bewegen muss, um vor der Verfassung standzuhalten (
BGE 132 I 201
E. 8.6 und 8.7).
3.3
Die amtliche Verteidigung wird nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde (
Art. 135 Abs. 1 StPO
). Massgebend ist somit die sankt-gallische Honorarordnung vom 22. April 1994 für Rechtsanwälte und Rechtsagenten (HonO; sGS 963.75). Nach Art. 10 HonO wird das Honorar des amtlichen Verteidigers grundsätzlich als Pauschale bemessen. In aussergewöhnlichen Fällen kann das Honorar um höchstens die Hälfte erhöht oder ausnahmsweise nach Zeitaufwand bemessen werden. Ist das Kreisgericht zuständig, beträgt die Pauschale im Strafprozess Fr. 1'500.- bis Fr. 12'000.- (Art. 21 Abs. 1 lit. c HonO). Innerhalb des für die Pauschale gesetzten Rahmens wird das Honorar nach den besonderen Umständen, namentlich nach Art und Umfang der Bemühungen und der Schwierigkeiten des Falles, bemessen; berücksichtigt werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten (Art. 19 HonO; Art. 31 Abs. 1 und 2 des Anwaltsgesetzes vom 11. November 1963 [AnwG; sGS 963.70]). Das Honorar wird bei unentgeltlicher Prozessführung oder amtlicher Verteidigung um einen Fünftel herabgesetzt (Art. 31 Abs. 3 AnwG).
4.
4.1
Art. 27 Abs. 2 BV
schützt ausdrücklich den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit. Dazu zählt auch die Anwaltstätigkeit im Monopolbereich (
BGE 138 II 440
E. 4;
BGE 130 II 87
E. 3). Nicht in den Geltungsbereich von
Art. 27 BV
fällt indessen die eigentliche Tätigkeit als amtlicher (unentgeltlicher) Verteidiger, weil es sich dabei um eine staatliche Aufgabe des betroffenen Rechtsanwalts handelt (
BGE 132 I 201
E. 7.1;
BGE 109 Ia 107
E. 2b; oben E. 3.1 und
BGE 139 IV 261
E. 2.2.1).
4.2
Die Festsetzung des Honorars im Rahmen einer Pauschale verletzt als solche das Recht auf effektive Verteidigung gemäss
BGE 141 I 124 S. 128
Art. 32 Abs. 2 BV
nicht. Bei diesem Recht handelt es sich um einen heute in
Art. 132 StPO
normierten, verfassungs- und konventionsrechtlich (
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
) gewährleisteten, Individualanspruch des Beschuldigten auf wirksame Verteidigung (
BGE 139 IV 113
E. 1.2 und 4.3; vgl. Urteile 1B_262/2014 vom 24. September 2014 E. 2.1; 6B_837/2013 vom 8. Mai 2014 E. 2.1 ff. sowie 1B_263/2013 vom 20. November 2013 E. 4.3). Auf dieses Recht kann sich die Beschwerdeführerin, die weder beschuldigte noch angeklagte Person ist, hier nicht berufen. Die Rechtsprechung übersieht im Übrigen nicht, dass die amtliche Vertretung nicht zu "Frondiensten" verpflichtet werden kann, indem sie für den Staat Leistungen zu erbringen hat, ohne dabei einen Verdienst zu erzielen (
BGE 132 I 201
E. 8.5). Sie verkennt auch nicht, dass die Honorierung sich mittelbar auf die wirksame Verteidigung auswirken kann (oben E. 3.1 am Ende). Die ebenfalls als verletzt gerügte Bestimmung von
Art. 128 StPO
betrifft die Interessenvertretung und nicht die Entschädigung der amtlichen Verteidigung (
Art. 135 Abs. 1 StPO
).
Die allgemein gehaltenen Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Entwicklung der Verteidigungsarbeit, der sankt-gallischen Honorarordnung und der Gerichtskostenverordnung sowie der von ihr vorgenommene Quervergleich mit anderen kantonalen Honorarordnungen sind nicht geeignet, im konkreten Anwendungsfall eine Verletzung von Bundesrecht (
Art. 95 Abs. 1 lit. a BGG
) bzw. von Grundrechten oder von kantonalem Recht (
Art. 106 Abs. 2 BGG
) zu begründen.
4.3
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zulässig, für das Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. Bei einer Honorarbemessung nach Pauschalbeträgen werden alle prozessualen Bemühungen zusammen als einheitliches Ganzes aufgefasst und der effektive Zeitaufwand lediglich im Rahmen des Tarifansatzes berücksichtigt. Pauschalen nach Rahmentarifen erweisen sich aber dann als verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise Rücksicht nehmen und im Einzelfall ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Diensten stehen (Urteil 6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.4 mit Hinweis).
4.4
Im zu beurteilenden Fall liegt es im Rahmen des der Vorinstanz zustehenden Ermessens, die Entschädigung der Beschwerdeführerin als Pauschale festzusetzen. Nach der Honorarordnung des Kantons St. Gallen kann das Honorar nur in aussergewöhnlichen Fällen
BGE 141 I 124 S. 129
und bei diesen nur ausnahmsweise nach Zeitaufwand bemessen werden. Ein aussergewöhnlich aufwändiger Fall wird von der kantonalen Praxis bejaht, wenn er ausserordentlich kompliziert oder umfangreich ist (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 482 S. 176). Gestützt auf diese Praxis nimmt die Vorinstanz zu Recht an, die von der Beschwerdeführerin vertretene Strafsache sei nicht aussergewöhnlich aufwändig gewesen. Sie verweist darauf, dass lediglich zwei, grundsätzlich übersichtliche, Sachverhalte zur Diskussion standen. Der Aktenumfang sei als durchschnittlich, jedenfalls nicht als ausserordentlich gross zu bezeichnen. Der Beschuldigte sei antragsgemäss schuldig erklärt worden. Das beim Kreisgericht eingereichte Plädoyer habe zehn Seiten umfasst, und die Gerichtsverhandlung habe knapp drei Stunden gedauert.
Ein ausserordentlich komplizierter oder umfangreicher Fall liegt nicht schon dann vor, wenn das Pauschalhonorar den vom amtlichen Anwalt betriebenen Zeitaufwand nicht vollumfänglich deckt. Dass das zugesprochene Honorar ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den von der Beschwerdeführerin erbrachten Bemühungen steht, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Die Vorinstanz überschreitet mithin das ihr zustehende weite Ermessen nicht.
4.5
Da die Ausrichtung eines Pauschalbetrages als Anwaltshonorar nicht zu beanstanden ist, sieht die Vorinstanz auch zutreffend von einer Beurteilung der einzelnen Positionen der eingereichten Honorarrechnung ab. Sie verletzt daher ihre Begründungspflicht gemäss
Art. 29 Abs. 2 BV
nicht (vgl.
BGE 136 I 229
E. 5.2), indem sie sich nicht im Einzelnen mit der Kostennote der Beschwerdeführerin auseinandersetzt und ausdrücklich begründet, weshalb sie allenfalls einzelne der in Rechnung gestellten Positionen für übersetzt hält. | public_law | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4b6fa52-60d2-4cd9-9cea-dc294ba716d8 | Urteilskopf
125 IV 237
37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. November 1999 i.S. P. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 100bis StGB
; Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt; Voraussetzungen.
Eine Einweisung ist auch nach schweren Anlasstaten möglich. In dem Masse aber, in dem der junge Erwachsene in Person und Tat dem Erwachsenenstrafrecht zugeordnet werden muss, erhöhen sich die Anforderungen für eine Einweisung. Gefährliche Gewalttäter gehören nicht in diese Anstalt (E. 6b; Konkretisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 237
BGE 125 IV 237 S. 237
Das Obergericht des Kantons Zürich fand am 27. November 1998 P. schuldig des Mordes, des mehrfachen Raubes gemäss
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
, des versuchten Raubes gemäss
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 StGB
und des versuchten Raubes gemäss
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
, der mehrfachen Nötigung usw. Es bestrafte ihn mit 16 Jahren Zuchthaus.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 30. August 1999 eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von P. ab, soweit es darauf eintrat.
P. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab.
BGE 125 IV 237 S. 238
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
a) Der Gutachter diagnostizierte beim Beschwerdeführer eine Störung der Persönlichkeitsentwicklung (unreife Persönlichkeit, krisenhafte Adoleszenzentwicklung). Er sei aber weder psychisch krank noch suchtkrank; er sei körperlich gesund. Auch die Begleitumstände der Tat und das Verhalten nach der Tat wiesen nicht auf eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit oder des Bewusstseins hin. Die Tat stehe letztlich in einem Zusammenhang mit der Störung seiner charakterlichen Entwicklung, wodurch er in eine Lebenssituation geraten sei, in der man ihn mit den Worten des Gesetzes als "verwahrlost" und "arbeitsscheu" bezeichnen könne. Der Gutachter hielt in der Fragebeantwortung eine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt für zweckmässig, denn der Beschwerdeführer sei in seiner charakterlichen Entwicklung erheblich gestört und weiterhin gefährdet. Seine Tat stehe damit im Zusammenhang. Es lasse sich durch pädagogische Massnahmen eine Nachreifung erreichen und dadurch zweifelsfrei die Gefahr künftiger Delikte vermindern.
Die Vorinstanz führt - das Gutachten zusammenfassend - aus, der Beschwerdeführer habe als Kleinkind die Trennung seiner Eltern erlebt, sei aber bei seinen Grosseltern in stabilen Verhältnissen aufgewachsen und habe sich dort wohl gefühlt. Der Vater habe in der Schweiz gearbeitet und durch jährliche Besuche den Kontakt aufrechterhalten. Die Mutter habe ihn regelmässig besucht. Er sei mit 13 Jahren in die Schweiz gekommen, habe aber eine herbe Enttäuschung erlebt, weil sich die Möglichkeit eines freien und kulturell weniger gebundenen Lebens nicht erfüllte. Der Vater habe sich als streng erwiesen und ihn zurück in die Türkei geschickt. Er sei aber bald wieder in die Schweiz gekommen, habe sich vom Vater getrennt, in einem Lehrlingswohnheim gelebt, verschiedene Jobs gefunden und die ersehnten Freiheiten geniessen können. Heute distanziere er sich von seiner "wilden" Jugend mit dem "Zukunftsentwurf": Arbeit, Heirat, Kinder, werde dazu aber noch anstrengende Jahre brauchen. Er habe jedoch eine gute Intelligenz und gute soziale Fähigkeiten, sei nicht grundsätzlich emotional oder erzieherisch verwahrlost und in seiner Persönlichkeitsstruktur nicht chaotisch oder dissozial. Es sei durchaus ein gutes Fundament vorhanden. Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis, aufgrund dieser Beurteilung des Gutachters - der durchaus gefolgt werden könne - liessen sich die Voraussetzungen einer Einweisung nicht dartun.
BGE 125 IV 237 S. 239
Wenn auch mit dem Gutachter von einer Störung der charakterlichen Entwicklung gesprochen werden müsse, könne diese nicht als erheblich im Sinne von
Art. 100bis StGB
angesehen werden.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Einweisung sei selbst bei einer Mordtat möglich. Nach dem Gutachten seien die Voraussetzungen erfüllt. Die Massnahme müsse angeordnet werden, wenn die Straftat mit der charakterlichen Störung zusammenhänge und anzunehmen sei, dadurch lasse sich die Gefahr künftiger Verbrechen oder Vergehen verhüten. Er hebt gestützt auf das Gutachten hervor, er habe zuwenig feste Normen für die Gestaltung seines Lebens und seiner Beziehungen verinnerlichen können; sein Bewusstsein für eine gesellschaftliche Verankerung seines Verhaltens bleibe unzureichend; die Ausbildung seines Gewissens sei unzureichend geblieben; auf diese Weise sei er rasch bereit gewesen, ohne Gewissensbisse schnell auf illegale Weise Geld zu besorgen; in einer emotionsgeladenen Stresssituation reagiere er impulsiv. Die Vorinstanz habe diese wichtigen Aussagen des Gutachtens in ihrer zusammenfassenden Darstellung unberücksichtigt gelassen. Sie gebe damit einen verfälschenden Eindruck. Entgegen ihrer unzutreffenden Annahme stelle das Gutachten klar fest, dass die vom Gesetz geforderten charakterlichen Defizite vorlägen und dass er zugleich über eine unreife Persönlichkeit verfüge. Damit sei er in hohem Masse der Therapieform zugänglich, wie sie in einer modernen Arbeitserziehungsanstalt praktiziert werde. Der Bericht des Jugendsekretärs, auf den sich die Vorinstanz berufe, lege nur wegen seiner beschönigenden Darstellung keine ausreichend schweren charakterlichen Defizite dar.
b) Das Strafgesetz enthält eine nach Alterskategorien abgestufte Annäherung an das Sanktionensystem des Erwachsenenstrafrechts. Für junge Erwachsene (achtzehn- bis fünfundzwanzigjährige Täter) gilt das ordentliche Sanktionensystem des Erwachsenenstrafrechts, es sei denn, sie erfüllen die Voraussetzungen für eine Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt (
Art. 100 Abs. 1 StGB
;
BGE 121 IV 155
E. 2a). Deshalb wird im Strafpunkt immer geprüft, ob diese Massnahme in Betracht kommt (
BGE 117 IV 251
E. 2b). Voraussetzungen und Zielsetzung (
Art. 100bis Ziff. 1 und 3 StGB
) lassen die Einweisung als eine Massnahme erscheinen, mit der eine erheblich gestörte oder gefährdete Entwicklung mit erzieherischen Mitteln noch behoben werden soll. Darauf weisen auch die (gleichsam vormundschaftsrechtlichen) Merkmale "verwahrlost, liederlich oder arbeitsscheu" hin. So kommt die Massnahme etwa in Betracht, wenn
BGE 125 IV 237 S. 240
sich der Betroffene infolge einer protrahierten Entwicklungskrise auch entwicklungsmässig noch in einem Übergangsalter befindet (
BGE 123 IV 113
E. 4c/bb).
Es sollen junge Erwachsene eingewiesen werden, deren Entwicklung sich noch wesentlich beeinflussen lässt und die dieser Erziehung zugänglich erscheinen (
BGE 123 IV 113
E. 4c;
BGE 118 IV 351
E. 2b und d). Die Einweisung wird daher um so weniger in Betracht kommen, je weniger der Betroffene beeinflussbar erscheint. Damit zusammenhängend sind um so höhere Anforderungen zu stellen, je länger die Strafe gegen einen jungen Erwachsenen zu bemessen wäre (
BGE 118 IV 351
E. 2d). Dies widerspricht nicht der Tatsache, dass sich die Frage der schuldangemessenen Strafe grundsätzlich nicht stellt (
BGE 118 IV 351
E. 2d und e). Diese Tatsache besagt nur, dass die Einweisung - die an Stelle einer Strafe angeordnet wird (
Art. 100bis Ziff. 1 StGB
) - mangels gesetzlicher Einschränkung im Einzelfall selbst bei schwersten Anlasstaten wie dem Mord möglich bleibt. Das Strafmass ist angesichts dieser monistischen Ausgestaltung der Massnahme in aller Regel offen zu lassen und bleibt bloss hypothetisch (
BGE 118 IV 351
E. 2e). Das erweist sich angesichts des Gleichheitssatzes solange als unbedenklich, als aufgrund des Alters unterschiedliche Sanktionssysteme Anwendung finden (
BGE 121 IV 155
E. 2c) und eben auch vergleichbare Verhältnisse vorliegen. Eine Einweisung darf in keinem Fall vier Jahre überschreiten (
Art. 100ter Ziff. 1 StGB
). Je mehr der junge Erwachsene in Person und Tat im konkreten Fall auf der Skala der erwähnten Annäherung an das Erwachsenenstrafrecht diesem zugeordnet werden muss, um so mehr weichen die noch aus dem Jugendstrafrecht hereinwirkenden Gesichtspunkte (
BGE 118 IV 351
E. 2e;
BGE 121 IV 155
E. 2a) zurück und kommt der Gleichheitssatz zum Tragen.
Das Gesetz ermöglicht die Einweisung nur für noch beeinfluss-bare (erziehbare) junge Erwachsene. Es trennt die Arbeitserziehungsanstalt von den übrigen Anstalten (
Art. 100bis Ziff. 2 StGB
). Diese gesetzliche Zielsetzung ist zu beachten. Arbeitserziehungsanstalten haben einen erzieherischen Auftrag. Sie dürfen nicht durch eine zu wenig differenzierte Einweisungspraxis mit Schwierigkeiten und Sicherheitsproblemen belastet werden, die sie nicht bewältigen können und die ihren Auftrag und damit den Sinn und Zweck der Anstalten in Frage stellen. Sicherungsaspekte müssen in den Hintergrund treten. Neben der Persönlichkeitsstruktur müssen daher Deliktskategorie und Begehungsweise der Tat
BGE 125 IV 237 S. 241
berücksichtigt werden. Erweist sich in dieser Prüfung ein Täter als gefährlich, wird diese Tatsache zum einen eher gegen eine Erziehbarkeit im Sinne von
Art. 100bis StGB
sprechen, zum andern aber sowohl wegen der Gefährdung der Anstaltssicherheit als auch wegen der Gefahr einer Beeinflussung der bereits Eingewiesenen einen Hinderungsgrund bilden. Eine Gefährlichkeit wird jedenfalls bei Gewaltdelikten mit zunehmender Höhe der Strafe indiziert sein. Entscheidend ist indessen die Gefährlichkeit des Täters, nicht der Tat. Gefährliche Täter gehören nicht in diese Anstalt.
Zusammenfassend ist zu berücksichtigen, dass die Massnahme mit ihren aus dem Jugendstrafrecht hereinwirkenden Gesichtspunkten nach ihrer Zielsetzung auf Täter zugeschnitten ist, die sich nach Persönlichkeitsstruktur und Begehungsweise noch in den weiteren Umkreis der Adoleszenzdelinquenz einordnen lassen. Die straftatrelevanten Entwicklungsdefizite müssen erzieherisch behebbar sein, jedenfalls insoweit, dass angenommen werden kann, dadurch lasse sich künftige Delinquenz verhüten. Schliesslich muss sich ebenfalls prognostisch eine Gefährlichkeit des Einzuweisenden verneinen lassen. Wesentliche Beurteilungskriterien für eine Einweisung bilden demnach Fehlentwicklung, Erziehbarkeit, Delinquenzverhütung und Ungefährlichkeit. Sind die Voraussetzungen von
Art. 100 und 100bis StGB
erfüllt, muss das Gericht die Massnahme anordnen (
BGE 118 IV 351
E. 2d).
c) Die Vorinstanz kann den gutachterlichen Ausführungen durchaus folgen. Sie übersieht die charakterlichen Defizite und die Unreife nicht, verneint indessen deren Erheblichkeit für eine Einweisung. An dieser Beurteilung können die als unberücksichtigt behaupteten Vorbringen nichts ändern. Die Vorinstanz beurteilt zu Recht selber, ob der Beschwerdeführer als "verwahrlost" und "arbeitsscheu" im Sinne des Straftatbestands zu gelten habe. Sie weist sodann darauf hin, dass der Beschwerdeführer nachgereift sei, wie sich anlässlich der Hauptverhandlung bestätigt habe. Es sei keineswegs abnorm, dass seine Persönlichkeitsentwicklung altersbedingt (Geburtsjahr 1975) noch nicht abgeschlossen sei. Eine als nötig erachtete pädagogisch geprägte Einflussnahme könne im Strafvollzug erfolgen. Dort bestehe namentlich die Möglichkeit, mit einer Berufsausbildung eine solidere Basis für die Zukunft zu schaffen.
Dagegen verkürzt der Beschwerdeführer in seinem Ausgangspunkt die rechtlichen Voraussetzungen. Erzieherische Hilfen haben einen günstigen Einfluss auf künftiges Verhalten, doch bildet eine nur altersbedingt unabgeschlossene Entwicklung keinen Einweisungsgrund.
BGE 125 IV 237 S. 242
Eine Berufsausbildung ist dem Beschwerdeführer auch im Vollzug möglich und damit verbunden eine gewisse sozialpädagogische Einflussnahme (vgl. auch
Art. 46 Ziff. 2 StGB
). Klar ist ohnehin, dass die Massnahme nicht dazu dienen darf, dem Vollzug einer Freiheitsstrafe zu entgehen. Für den Beschwerdeführer erhöhen sich aus den oben dargestellten Gründen die Anforderungen für eine Einweisung; insbesondere weckt seine offenkundige Gefährlichkeit sehr ernsthafte Bedenken. Kaum aus seiner Untersuchungshaft wegen Raubdelikten entlassen, schoss der Beschwerdeführer aus nichtigem Anlass völlig überraschend einem ahnungslosen Taxifahrer aus kürzester Distanz eine Kugel ins Herz, und dies anschliessend an den Abbruch des mit einem Kollegen durchgeführten bewaffneten Raubversuchs und der Abwehr des nachfolgenden Raubversuchs durch diesen Taxifahrer. Von diesen Vorwarnungen unbeeindruckt, ging der Beschwerdeführer hartnäckig und absolut rücksichtslos seinen Weg. Dieser Tätertypus gehört grundsätzlich nicht in eine Arbeitserziehungsanstalt. Überwiegende Gründe, den Beschwerdeführer trotzdem einzuweisen, sind nicht erkennbar. Die Vorinstanz beurteilt zu Recht die Voraussetzungen von
Art. 100bis StGB
als nicht erfüllt. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4b791b0-ba16-4180-bb34-ca63a0a131a8 | Urteilskopf
100 Ib 418
71. Extrait de l'arrêt du 27 novembre 1974 en la cause Bezençon et consorts contre Chemins de fer fédéraux et Commission fédérale d'estimation du 2e arrondissement. | Regeste
Art. 19bis, 76 EntG
.
Grundsätze über die Festsetzung der dem Enteigneten im Rahmen der Verfahren nach den
Art. 76 und 19bis EntG
geschuldeten Zahlungen. | Sachverhalt
ab Seite 418
BGE 100 Ib 418 S. 418
Les Chemins de fer fédéraux suisses, 1er arrondissement (ci-après: les CFF) ont ouvert une procédure d'expropriation
BGE 100 Ib 418 S. 419
contre Paul Bezençon et d'autres personnes, pour la construction d'un centre de service de la voie à Chavornay. Bien que les CFF n'aient pas un besoin immédiat des parcelles dont ils requièrent l'expropriation, ils ont convenu avec les expropriés de substituer à la procédure de paiement de l'indemnité provisoire prévue par l'art. 19bis de la loi fédérale sur l'expropriation celle de l'envoi en possession anticipé, avec paiement d'un acompte (art. 76 de ladite loi). Prenant acte de cet accord, la Commission fédérale d'estimation du 2e arrondissement a autorisé les expropriants à prendre possession des parcelles en cause dès le 1er novembre 1974 et les a condamnés à verser aux expropriés, lors de la prise en possession, des indemnités dont elle a fixé le montant.
Paul Bezençon et consorts requièrent le Tribunal fédéral de modifier la décision rendue le 11 septembre 1974 par la Commission fédérale d'estimation du 2e arrondissement, en augmentant le montant des indemnités qui doivent leur être versées. Ils admettent, avec la décision attaquée, que le montant des acomptes dus en cas d'envoi en possession anticipé doit correspondre le plus possible avec celui des indemnités définitives; ils contestent en revanche que les indemnités telles qu'elles ont été fixées dans la décision entreprise correspondent à la valeur vénale des parcelles expropriées.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La loi fédérale sur l'expropriation, du 20 juin 1930 (LEx.), envisage deux cas dans lesquels l'expropriant doit verser à l'exproprié des acomptes à valoir sur l'indemnité définitive, avant que celle-ci ne soit fixée; les art. 19bis et 76 s'y rapportent. Les procédures instituées par ces dispositions se différencient l'une de l'autre à plusieurs égards.
a) L'art. 76 LEx. constitue à lui seul le chapitre VIbis de la loi; il concerne l'envoi en possession anticipé. Celui-ci peut être requis par l'expropriant en tout temps, s'il prouve qu'à défaut l'entreprise serait exposée à un sérieux préjudice. Le président de la Commission d'estimation statue sur la demande au plus tôt durant l'audience de conciliation. L'exproprié peut demander que l'expropriant soit astreint à fournir au préalable des sûretés d'un montant convenable ou à
BGE 100 Ib 418 S. 420
verser des acomptes, ou à l'une et l'autre de ces prestations simultanément (art. 76 al. 5). L'indemnité définitive porte intérêt au taux usuel dès le jour de la prise de possession, et l'exproprié est indemnisé de tout autre dommage résultant pour lui de la prise de possession anticipée.
Après l'envoi en possession anticipé, l'exproprié, qui ne peut plus disposer de son bien, n'en continue pas moins à supporter les charges liées à la propriété (impôts fonciers, charges hypothécaires, etc.). Les acomptes qui lui sont versés ont notamment pour but de le dédommager de ce fait (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, p. 200; WIEDERKEHR, Die vorzeitige Benutzung des Abtretungsobjektes nach eidgenössischem und zürcherischem Enteignungsrecht, ZBl 68/1967, p. 57 ss., 58). Ils visent également à compenser financièrement tous les autres préjudices subis par l'exproprié, en tant qu'ils peuvent être prévus comme une conséquence de l'envoi en possession anticipé (cf. art. 19 lit. c LEx.). Le montant des acomptes n'est ainsi pas fixé en fonction de la valeur vénale de la parcelle expropriée. C'est au contraire l'importance des dommages financiers résultant de la prise en possession anticipée qui est à cet égard déterminante.
b) L'art. 19bis LEx., en vigueur depuis le er août 1972, donne à l'exproprié le droit de demander la fixation par la Commission d'estimation, d'un acompte dont le montant doit correspondre à celui de l'indemnité pour la valeur vénale, lorsque les parties ne peuvent pas s'entendre et s'il n'y a plus de demandes au sens des
art. 7 à 10
LEx. qui soient encore pendantes. Si l'indemnité définitive dépasse le montant déjà versé, la différence porte intérêt au taux usuel dès l'acquisition de la propriété jusqu'au moment du paiement. Un montant perçu en trop doit être remboursé. Selon l'art. 91 LEx., "par l'effet du paiement de l'indemnité ou du montant fixé selon l'art. 19bis al. 2, l'expropriant acquiert la propriété de l'immeuble exproprié ou le droit que l'expropriation constitue en sa faveur sur l'immeuble". | public_law | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4bcfe58-f938-4ce7-b10a-bbc0983ca144 | Urteilskopf
83 IV 55
14. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. März 1957 i.S. Statthalteramt des Bezirkes Zürich gegen Weber. | Regeste
Art. 1 Abs.1,2Abs. 1 lit. bAO.
Ankündigung besonderer, vom Verkäufer nur vorübergehend gewährter Vergünstigungen. | Sachverhalt
ab Seite 56
BGE 83 IV 55 S. 56
A.-
In der Zeit vom 9. Juni bis 14. Juli 1956 liess Walter Weber als verantwortlicher Vertreter der Firma Möbel Hummel, Zürich, in verschiedenen Schweizer Tages- und Wochenzeitungen Inserate erscheinen, in welchen er in schmalen, langgezogenen Spalten "infolge abgelaufener Lagerfrist", "infolge Umzugs (Geschäftsverlegung)", "infolge Räumung des Lagers" fabrikneue und ungebrauchte Aussteuern zu bestimmten Preisen und mit 10-jähriger Garantie zum Verkauf anbot. In einem Teil der Anzeigen wurden die Interessenten aufgefordert, sich in Eilofferten an die Firma Möbellagerhaus Hummel oder an eine bestimmte Chiffre zu wenden.
B.-
Mit Verfügung vom 10. Oktober 1956 verfällte das Statthalteramt des Bezirkes Zürich Weber wegen Übertretung der Art. 1, 2, 4 und 20 Abs. 1 lit. a der Verordnung über Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen (AO) vom 16. April 1947 in eine bedingt löschbare Busse von Fr. 120.-- mit der Begründung, die Inserate hätten beim Publikum den Eindruck erwecken müssen, die Firma Möbel Hummel verkaufe die angepriesenen Aussteuern vorübergehend billiger als üblich.
Weber verlangte gerichtliche Beurteilung.
Am 17. Januar 1957 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich Weber frei, weil den öffentlichen Ankündigungen das Merkmal der zeitlichen Begrenzung fehle.
C.-
Das Statthalteramt des Bezirkes Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Einzelrichters sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung Webers wegen Übertretung der AO an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es wird geltend gemacht, der Wortlaut der Inserate weise zwar nicht ausdrücklich auf eine bloss vorübergehend gewährte, besondere Vergünstigung hin. Diese ergebe sich jedoch zwangsläufig aus den Überschriften
BGE 83 IV 55 S. 57
der Anzeigen, insbesondere aus dem Wort Räumung. Dafür, dass es sich bei den angebotenen Möbeln um Neu-Occasionen handelte, sei den Inseraten nichts zu entnehmen.
D.-
Weber beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
.....
2.
Die Vorinstanz liess dahingestellt, ob das Publikum aus den angefochtenen Inseraten, in denen unbestrittenermassen Veranstaltungen des Detailverkaufes öffentlich angekündigt wurden, den Eindruck gewinnen musste, es würden ihm von der Firma Möbel Hummel besondere Vergünstigungen gewährt. Indessen kann die Frage auf Grund der Akten ohne weiteres bejaht werden. Wie der Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung selbst ausführt, wurden mit den Anzeigen "infolge bestimmter Umstände ganz bestimmte Aussteuern zu ganz bestimmten Vorzugspreisen" angeboten. Das wurde auch von der Käuferschaft nicht anders verstanden. Vielmehr musste der Hinweis darauf, dass die ausgeschriebenen Möbel infolge Ablaufs der Lagerfrist udgl. zum Verkaufe kämen, den Leser zur Annahme führen, die Inserentin befinde sich in einer Zwangslage und gewähre daher eine besondere Vergünstigung. Zugleich wurde damit der Veranstaltung das Gepräge des Einmaligen und Vorübergehenden gegeben. Denn wer, wie der Beschwerdegegner, infolge Räumung des Lagers oder Ablaufs der Lagerfrist Waren zum Verkauf anpreist, weist damit unmissverständlich auf die mengenmässige Beschränkung seines Angebotes hin und kündigt eine Sonderveranstaltung an. In diesem Eindruck musste vorliegend die Käuferschaft noch dadurch bestärkt werden, dass sie in den Anzeigen aufgefordert wurde, sich in Eilofferten an die Inserentin zu wenden. Demgegenüber vermag der Einwand des Beschwerdegegners nicht aufzukommen, die Firma Möbel Hummel sei dauernd in der
BGE 83 IV 55 S. 58
Lage, Aussteuern der angepriesenen Art zu liefern, weil die Vermittlung billiger Möbel einen wesentlichen Bestandteil ihres Geschäftsbereiches bilde.
Dem Beschwerdegegner kann auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als er behauptet, die angefochtenen Anzeigen hätten bloss Occasionen betroffen und seien daher nicht bewilligungspflichtig gewesen. Zwar ist einzuräumen, dass das schmale, langgezogene Format der Inserate dem für Occasionsanzeigen üblichen Bild entspricht. Indessen liesse sich der Einwand Webers nur hören, wenn seine Ankündigungen in der Presse auch nach ihrem Wortlaut dem Leser diesen Sinn hätten bewusst machen können. Das trifft nicht zu. Weisen sie doch ausdrücklich darauf hin, dass es sich um fabrikneue, ungebrauchte Möbel handle, die vom Verkäufer mit 10-jähriger Garantie abgegeben würden. Dass den angepriesenen Aussteuern irgendwelche Fehler anhafteten, wie das bei sog. Neu-Occasionen der Fall ist, behauptet der Beschwerdegegner selbst nicht und ist auch seinen Anzeigen nicht zu entnehmen.
Die von ihm angekündigten Verkäufe, welche nach dem Eindruck, den das Publikum auf Grund der Zeitungsreklame gewinnen musste, ausschliesslich der Räumung des Lagers dienten, zeigen daher alle objektiven Merkmale einer bewilligungspflichtigen Sonderveranstaltung im Sinne des
Art. 2 Abs. 1 lit. b AO
. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4be3173-a6ec-439c-8588-738ebb7dfbba | Urteilskopf
108 Ib 440
76. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 22 décembre 1982 dans la cause AMF Overseas Corporation contre Commission cantonale de recours en matière foncière du canton de Vaud (recours de droit administratif) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen mit Sitz im Ausland.
Art. 1 und 2 BewB
,
Art. 6 BewV
: Bewilligungspflicht bei Absorption einer Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft.
Jeder Erwerb von Grundstücken im Sinne von
Art. 1 und 2 BewB
ist bewilligungspflichtig, gleichgültig, ob er einen Grundbucheintrag verlangt oder nicht (E. 3b).
Von dieser Regel ist auch dann keine Ausnahme zu machen, wenn eine der Bewilligungspflicht unterstellte Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft durch Fusion im Sinne von
Art. 748 OR
absorbiert (
Art. 6 BewV
): Selbst wenn die Fusion keine Veränderung der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der betreffenden Grundstücke bewirkt, liegt in einem solchen Vorgang ein bewilligungspflichtiger Erwerb (E. 3d). | Sachverhalt
ab Seite 441
BGE 108 Ib 440 S. 441
Filiale d'une société américaine, AMF Overseas Corporation a, en 1959, créé à son tour une filiale immobilière dont le but statutaire était "l'achat, la vente, la construction, la possession et l'exploitation d'immeubles tant en Suisse qu'à l'étranger". Selon acte authentique du 23 mai 1980, AMF Overseas Corporation a déclaré absorber cette filiale, la société AMF Geneva S.A., par fusion au sens de l'
art. 748 CO
. Elle en reprenait ainsi tous les actifs et passifs, soit notamment une parcelle sur le territoire de la commune genevoise de Vernier et, sur le territoire de la commune vaudoise de Grens, une parcelle non bâtie no 117 d'une superficie de 21'497 m2, sise en zone communale sans affectation spéciale. L'une des clauses de l'acte authentique disposait que le transfert des immeubles était soumis à l'approbation des autorités compétentes, en application de l'AFAIE. En exécution de cette clause et en vue de l'acquisition des deux parcelles de Vernier et de Grens, la société AMF Overseas Corporation a adressé les requêtes nécessaires aux autorités cantonales, genevoise et vaudoise.
Par décision du 29 août 1980, le Département genevois de l'économie publique a autorisé la société requérante à acquérir la parcelle de Vernier, sur laquelle la société AMF Geneva S.A. exploitait un restaurant et une salle de jeu de boules. N'ayant fait l'objet d'aucun recours, cette autorisation est devenue définitive.
De son côté, considérant "qu'il s'agit d'une fusion de deux sociétés qui ont toutes deux leur siège à Genève et qui sont toutes deux contrôlées par la même société étrangère", la Commission foncière II (autorité de première instance compétente dans le canton de Vaud en matière d'acquisition d'immeubles par des
BGE 108 Ib 440 S. 442
personnes à l'étranger) a, par décision du 22 août 1980, accordé l'autorisation sollicitée d'acquérir la parcelle de Grens avec "obligation d'utiliser l'immeuble exclusivement pour abriter l'établissement stable d'une entreprise exploitée par l'acquéreur".
Toutefois, statuant sur recours de l'Office fédéral de la justice, la Commission cantonale de recours en matière foncière a annulé la décision de la Commission foncière II. Dans cette décision motivée du 8 avril 1981, la Commission a constaté "que le terrain de Grens n'est effectivement pas bâti, que la société AMF Overseas Corporation n'envisage pas d'y construire un bowling ou un restaurant pour le moment, qu'elle n'a donc pas d'intérêt légitime au sens de l'
art. 6 al. 2 lettre b AFAIE
et que, de plus, le terrain en question ne se trouve pas dans une zone à bâtir au sens de l'
art. 7 al. 1 AFAIE
, ce qui constitue un motif impératif de refus d'autorisation". En revanche, la Commission cantonale a considéré "que, dans le cas présent, on peut se demander s'il s'agit véritablement d'une acquisition au sens de l'arrêté fédéral, que la société requérante n'ayant pas présenté de requête en contestation d'assujettissement, la Commission n'a pas à trancher cette question, qu'il est loisible à l'intimée de présenter une telle requête à la Commission foncière".
Agissant par la voie d'un recours de droit administratif, la société AMF Overseas Corporation demande au Tribunal fédéral d'annuler la décision de la Commission cantonale de recours et, principalement, de dire que le transfert de la parcelle de Grens n'est pas assujetti à l'AFAIE ou, subsidiairement, de dire que ce transfert doit être autorisé en application de l'
art. 6 al. 2 lettre b AFAIE
.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) (pouvoir d'examen du TF).
b) Agissant par l'intermédiaire d'un notaire vaudois, la société AMF Overseas Corporation a, en date du 25 juillet 1980, adressé à la Commission foncière II une requête relative à l'acquisition de la parcelle no 117 de la commune de Grens, sans préciser si elle entendait faire constater le non-assujettissement au régime de l'autorisation ou si, admettant cet assujettissement, elle demandait l'autorisation d'acquérir l'immeuble. En effet, sous
BGE 108 Ib 440 S. 443
ch. 54 du formulaire de "requête pour personne morale", la société AMF Overseas Corporation avait mentionné ce qui suit:
"54. Motifs allégués pour échapper au régime de l'autorisation ou pour obtenir une autorisation:
Fusion des deux sociétés, comme mentionné sur les pièces produites avec les présentes."
Pratiquement, cela signifie que la requérante laissait à l'autorité de première instance le soin d'examiner si le transfert de la parcelle de Grens par suite de la fusion était soumis à autorisation et, en cas de réponse positive à cette première question, de lui délivrer l'autorisation nécessaire. Contrairement à l'opinion exprimée par la Commission cantonale de recours, tant dans la décision entreprise que dans ses observations du 14 octobre 1981, on ne peut pas dire que la société AMF Overseas Corporation, du seul fait qu'elle n'avait pas formellement présenté une requête en non-assujettissement, doit être considérée comme ayant seulement demandé l'autorisation d'acquérir l'immeuble.
c) Il est vrai que la Commission foncière II a décidé d'autoriser - à certaines conditions et avec des charges - le transfert de la propriété de la parcelle litigieuse. L'autorité de première instance a ainsi clairement - bien que de manière implicite - admis l'assujettissement en vertu des art. 1, 2 lettre c et 3 lettre c AFAIE. Mais, comme elle obtenait l'autorisation, la société AMF Overseas Corporation n'avait en réalité aucune raison d'attaquer cette décision. Elle ne se privait cependant pas pour autant de la possibilité - en cas de recours - de contester devant les instances supérieures l'assujettissement au régime de l'autorisation. D'ailleurs, c'est précisément ce qu'elle a fait puisque, en réponse au recours de l'Office fédéral de la justice, elle a pris des conclusions formelles en ce sens. Ces conclusions n'étaient pas irrecevables et la Commission cantonale de recours ne les a pas considérées comme telles. Dans ces conditions, l'autorité intimée ne pouvait pas se dispenser de statuer sur cette question.
En principe, lorsqu'elle est saisie d'une requête en autorisation ou d'un recours dirigé contre l'octroi d'une autorisation, l'autorité compétente en matière d'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger a le devoir d'examiner d'office non seulement si l'autorisation doit être accordée, mais déjà si une telle autorisation est nécessaire (
ATF 104 Ib 143
consid. 1), dans la mesure tout au moins où, dans la procédure en cours, l'assujettissement au régime de l'autorisation n'a pas été
BGE 108 Ib 440 S. 444
définitivement admis par les parties. C'est donc à tort que la Commission cantonale de recours a expressément laissé à la société AMF Overseas Corporation le soin de présenter une éventuelle requête en non-assujettissement à la Commission foncière II "qui aura à examiner si l'opération en question doit ou non être assimilée à une acquisition d'immeuble, vu les circonstances particulières de l'espèce". La Commission de recours devait elle-même statuer sur les conclusions de la société requérante ou, le cas échéant, renvoyer le dossier à l'autorité de première instance pour lui permettre de se prononcer sur cette question préjudicielle de l'assujettissement.
d) Ainsi, contrairement à l'opinion soutenue par l'Office fédéral de la justice, la recourante ne saurait être considérée comme déchue de son droit de contester le principe même de l'assujettissement puisque, dans sa requête à la Commission foncière II, elle n'avait pas limité expressément sa demande au seul octroi d'une autorisation. Les conclusions principales du présent recours ne sont donc pas en contradiction avec la requête présentée à l'autorité de première instance: on ne saurait dès lors les déclarer irrecevables.
2.
Selon le principe fondamental énoncé à l'
art. 1er AFAIE
, toute acquisition d'immeuble sis en Suisse, faite par une personne à l'étranger, est subordonnée à l'assentiment de l'autorité cantonale compétente. Autrement dit, une autorisation est nécessaire lorsque deux conditions - l'une objective et l'autre subjective - se trouvent réunies: il faut, d'une part, qu'une personne physique ou morale entende acquérir - ou acquière - le droit de propriété ou des droits analogues (énumérés à l'
art. 2 AFAIE
) sur un immeuble sis en Suisse et, d'autre part, que cette personne soit considérée (selon les dispositions des art. 3 à 5 AFAIE) comme domiciliée à l'étranger.
Or, en l'espèce, la société recourante reconnaît expressément être une filiale d'une société américaine, American Machine and Foundry (AMF), dont le siège social est à New York. Bien qu'elle soit inscrite au registre du commerce de Genève où elle a son siège social, la société recourante, AMF Overseas Corporation, est donc, saus aucun doute, assujettie au régime de l'autorisation en vertu de l'art. 3 lettre c AFAIE. La condition subjective est réalisée; cela n'est contesté par personne.
En revanche, la question est litigieuse de savoir si la condition objective se trouve, elle aussi, réalisée.
BGE 108 Ib 440 S. 445
3.
De manière implicite, l'autorité de première instance l'avait admis, puisqu'elle a décidé d'accorder l'autorisation et, tout en exprimant quelque doute à ce sujet, la Commission cantonale de recours et l'Office fédéral de la justice l'admettent aussi. Par contre, après avoir déclaré, dans le contrat de fusion, que le transfert de la propriété de la parcelle de Grens - résultant de la fusion - était soumis à autorisation, la société recourante soutient maintenant le contraire.
a) En droit suisse, la fusion implique la reprise, par la société absorbante, de tout le patrimoine (actifs et passifs) de la société absorbée. Il s'agit là d'un transfert universel, analogue à celui que connaît le droit des successions. La société absorbante succède à la société absorbée, tant activement que passivement, comme l'héritier succède au de cujus. Elle acquiert tous les droits et toutes les obligations qui sont transférés du seul fait de la fusion, sans que des formalités particulières soient nécessaires à la transmission de chaque droit ou obligation en particulier. C'est ainsi que, pour le transfert d'immeubles, l'inscription au registre foncier n'a qu'une valeur déclarative conformément à l'
art. 656 al. 2 CC
(voir ROBERT PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, vol. II p. 288; WOLFHART BÜRGI, Zürcher Kommentar, Vorbemerkungen zu den
Art. 748-750 OR
, n. 18; FRITZ VON STEIGER, Le droit des sociétés anonymes en Suisse, p. 384 et 386; ANDRÉ CUENDET, La fusion par absorption, en particulier le contrat de fusion dans le droit suisse de la société anonyme, thèse Lausanne 1973, p. 38 ss).
Ainsi, par l'exécution du contrat de fusion et indépendamment de toute inscription au registre foncier, la société absorbante, AMF Overseas Corporation, a acquis le droit de propriété sur deux immeubles, situés dans les communes genevoise de Vernier et vaudoise de Grens, qui appartenaient à la société absorbée, la société immobilière AMF Geneva S.A. Il y a donc bien eu acquisition d'immeubles au sens de l'
art. 1er AFAIE
.
b) Il est vrai que, sans le dire clairement, la recourante semble vouloir soutenir qu'en cas de fusion par absorption, le transfert - à titre universel - de la propriété d'immeubles faisant partie du patrimoine de la société absorbée ne saurait être assimilé à une acquisition immobilière soumise à autorisation selon l'
art. 1er AFAIE
.
En particulier, dans ses observations du 14 janvier 1981, la société AMF Overseas Corporation a insisté, devant la Commission cantonale de recours en matière foncière, sur la différence qu'elle tenait pour essentielle entre le transfert à titre
BGE 108 Ib 440 S. 446
universel résultant d'une fusion par absorption et la cession, à titre particulier, de biens faisant partie d'un patrimoine ou d'une entreprise. Mais cet argument est dénué de pertinence.
Contrairement à ce que le Conseil fédéral avait prévu dans son projet présenté le 15 novembre 1960 (voir FF 1960 II p. 1253 ss), l'arrêté fédéral sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger soumet à autorisation non pas les contrats ayant pour objet le transfert de la propriété foncière, mais le transfert lui-même du droit de propriété sur un immeuble sis en Suisse ou d'autres droits, réels ou personnels, permettant à l'acquéreur d'atteindre un but économique analogue. Dans le système de l'arrêté fédéral, toute acquisition d'immeuble (au sens des
art. 1 et 2 AFAIE
) est soumise à autorisation, quel que soit le mode de transfert, par inscription au registre foncier (selon le principe énoncé à l'
art. 656 al. 1 CC
) ou sans inscription (selon l'
art. 656 al. 2 CC
). C'est ainsi que le Tribunal fédéral a déjà eu l'occasion de soumettre à autorisation l'acquisition d'un immeuble réalisée par un adjudicataire étranger au cours d'enchères publiques (voir l'art. 11 al. 2 in fine AFAIE;
ATF 102 Ib 133
; voir aussi le Message du Conseil fédéral du 16 septembre 1981, FF 1981 III p. 603) comme aussi l'acquisition d'un immeuble réalisée dans la dévolution d'une succession par un héritier institué qui, comme tout héritier (
ATF 101 II 226
consid. 5a), acquiert de plein droit l'universalité de la succession dès qu'elle est ouverte (
art. 560 CC
;
ATF 101 Ib 381
consid. 1a). Logiquement, il en va de même en cas de fusion de sociétés (au sens propre du terme, selon les
art. 748 ou 749 CO
).
Il n'y a aucune raison de faire une exception à la règle générale énoncée à l'
art. 1er AFAIE
en faveur d'une société qui, dans le cadre d'une fusion, fait à titre universel l'acquisition d'immeubles ayant appartenu à la société qu'elle absorbe. L'application de cette règle générale est d'ailleurs expressément prévue à l'
art. 6 OAIE
.
c) Dans ses observations adressées à la Commission cantonale de recours en matière foncière et dans son mémoire de recours au Tribunal fédéral, la société AMF Overseas Corporation fait cependant valoir, à titre principal, que l'
art. 6 OAIE
ne vise pas les fusions de sociétés (au sens des
art. 748 ou 749 CO
) mais seulement ce qu'elle appelle les "fusions d'entreprises" (selon l'
art. 181 CO
). A titre subsidiaire et pour le cas où l'
art. 6 OAIE
serait déclaré applicable aux fusions de sociétés, la recourante
BGE 108 Ib 440 S. 447
invoque la prétendue illégalité de cette disposition réglementaire. Mais ces deux moyens sont manifestement mal fondés.
Le terme de fusion (en allemand: die Fusion) n'apparaît ni dans la note marginale, ni dans le texte de l'
art. 181 CO
où il est question de reprise (Übernahme) d'un patrimoine ou d'une entreprise, c'est-à-dire d'un transfert à titre singulier des divers éléments de ce patrimoine ou de cette entreprise; de plus, les auteurs n'emploient jamais ce terme de fusion dans leurs commentaires de cet article (voir OSER ET SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar ad
Art. 181 OR
; PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, p. 606 ss; EUGEN BUCHER, Schweiz. Obligationenrecht, Allg. Teil, p. 536 ss; VON TUHR/ESCHER, Allg. Teil des Schweiz. Obligationenrechts, par. 99 VII p. 395 ss). On ne saurait dès lors soutenir sérieusement que la mention entre parenthèses de l'
art. 181 CO
dans le texte de l'
art. 6 OAIE
se rapporte non seulement aux reprises de patrimoine ou d'entreprise (selon l'
art. 181 CO
) mais aussi à une sorte de "fusion" - opérant un transfert à titre singulier - autre que celle prévue aux
art. 748 ou 749 CO
. Que l'on se réfère au texte français ou allemand de l'
art. 6 OAIE
, il appert au contraire que le Conseil fédéral a voulu simplement constater que la fusion de sociétés (selon les
art. 748 ou 749 CO
) est une acquisition d'immeuble soumise à autorisation en vertu de l'
art. 1er AFAIE
. Ce faisant, il n'a d'ailleurs pas créé un cas nouveau d'acquisition d'immeuble, mais simplement confirmé une règle allant de soi. Dès lors, c'est à tort que la recourante lui reproche d'avoir introduit dans son ordonnance une disposition non conforme à l'AFAIE.
d) Dans la fusion de sociétés (au sens propre du terme, selon l'
art. 748 CO
), l'acquisition par la société absorbante d'un immeuble faisant partie du patrimoine de la société absorbée doit donc être considérée, en principe, comme une acquisition d'immeuble soumise à autorisation, au sens de l'
art. 1er AFAIE
. Toutefois, la question peut se poser de savoir s'il y a lieu de faire une exception à cette règle dans le cas particulier où, comme en l'espèce, une société mère absorbe sa filiale.
Il convient, en effet, de remarquer que, pour résoudre le problème de l'assujettissement au régime de l'autorisation, le législateur fédéral tient compte de la situation économique. Ainsi, selon l'art. 2 lettre e AFAIE, il assimile à une acquisition d'immeuble, soumise à autorisation, l'acquisition de droits - autres que le droit de propriété sur un immeuble - qui permettent
BGE 108 Ib 440 S. 448
à l'acquéreur d'atteindre un but analogue. De même, selon l'art. 3 lettre c AFAIE, une personne morale ou une société ayant son siège en Suisse - donc, en principe, considérée comme domiciliée en Suisse - est assujettie au régime de l'autorisation si elle est économiquement dominée par des personnes à l'étranger. Pratiquement, cela signifie que la notion de propriété économique joue un rôle important dans le cadre de la législation sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger. Or, de ce point de vue, il faut bien reconnaître que, dans le cas particulier, avant comme après la fusion, c'est la même personne à l'étranger - la société American Machine and Foundry à New York - qui doit être considérée comme le propriétaire économique de l'immeuble litigieux, sis à Grens. L'absorption de la société AMF Geneva S.A. par sa mère, la société AMF Overseas Corporation n'a fait que supprimer un intermédiaire entre la société américaine et l'immeuble lui-même. Il n'y a donc pas eu de changement de propriétaire économique de sorte que l'on pourrait être tenté de nier, dans ce cas particulier, l'existence d'une acquisition d'immeuble au sens de l'
art. 1er AFAIE
.
Récemment, le Tribunal fédéral a cependant rappelé que le droit positif suisse ignore la notion de groupe de sociétés (
ATF 108 Ib 37
consid. 4c). Dans la mesure où, ainsi formulée, cette affirmation peut paraître trop absolue, il convient de la nuancer en ce sens que le droit écrit suisse ne reconnaît ni ne définit officiellement la notion de groupe de sociétés, sous réserve de quelques exceptions que l'on peut trouver plus particulièrement en droit fiscal (voir notamment l'art. 59 AIN). Ce qui est en tout cas certain en l'espèce, c'est que la société AMF Geneva S.A. n'est pas, en droit suisse, un simple établissement, ni même une succursale de la recourante. Elle a été créée en tant que société anonyme indépendante de la société AMF Overseas Corporation dont elle est la filiale. On ne peut donc pas nier que, par suite de fusion, la propriété des immeubles (de Vernier et de Grens) a été transférée d'une personne - la société immobilière AMF Geneva S.A. - à une autre personne - la société AMF Overseas Corporation. Or, un tel transfert du droit de propriété constitue précisément une acquisition d'immeuble; en vertu de l'
art. 1er AFAIE
, il doit donc logiquement être soumis à autorisation (voir, dans une affaire un peu semblable, une décision de la Commission de recours du canton de Zurich, du 17 décembre 1963, in Revue suisse du notariat et du registre foncier, ZBGR vol. 45/1964 p. 137 ss).
BGE 108 Ib 440 S. 449
Dans le contrat de fusion, le mandataire de la recourante avait d'ailleurs expressément admis l'assujettissement au régime de l'autorisation. En l'admettant à leur tour, les autorités cantonales ont fait une application stricte mais correcte de l'
art. 1er AFAIE
. Il ne saurait donc être question de leur reprocher la violation d'une norme de droit public fédéral.
4.
Dans la mesure où le transfert du droit de propriété sur l'immeuble litigieux doit être considéré comme une acquisition d'immeuble soumise à autorisation, le recours doit être rejeté car il est évident que la société AMF Overseas Corporation ne peut pas obtenir une autorisation. Elle n'a certes pas absorbé sa filiale dans le but de tourner la loi, ni pour effectuer un placement de capitaux; en revanche, il faut constater, d'abord, que l'immeuble ne se trouve pas dans une zone de construction au sens du droit fédéral, de sorte que l'octroi d'une autorisation est exclu en vertu de l'
art. 7 al. 1 lettre a AFAIE
et, ensuite, que la parcelle n'étant pas bâtie (et ne pouvant l'être), elle ne saurait servir à abriter un établissement stable; de ce fait, la recourante ne peut donc pas justifier d'un intérêt légitime au sens de l'
art. 6 al. 2 lettre b AFAIE
(
ATF 106 Ib 291
consid. 4c).
A défaut d'être autorisée à acquérir l'immeuble sis sur le territoire de la commune de Grens, la société AMF Overseas Corporation ne peut pas être inscrite au Registre foncier à la place d'AMF Geneva S.A. Il n'appartient pas au Tribunal fédéral de dire si la recourante doit annuler la fusion et faire vivre à nouveau AMF Geneva S.A., ou si elle doit vendre l'immeuble (
ATF 101 Ib 381
ss consid. 2). | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4c65b6d-7bfe-4215-a177-f233de880b86 | Urteilskopf
137 III 145
26. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. und Mitb. gegen W. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_652/2010 vom 4. März 2011 | Regeste
Art. 738 und 737 Abs. 2 und 3 ZGB
; Ermittlung von Inhalt und Umfang eines Wegrechts, Gebot der schonenden Ausübung einer Dienstbarkeit.
Sind für die Ausübung einer Dienstbarkeit bauliche Anlagen erforderlich, bestimmen diese in der Regel auch den Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit, und zwar grundsätzlich mit voller Wirkung gegenüber dem Dritterwerber (E. 3 und 4). Das Gebot der schonenden Ausübung beziehungsweise Duldung vernachlässigbarer Beeinträchtigungen gemäss
Art. 737 Abs. 2 und 3 ZGB
bedeutet keine inhaltliche oder umfangmässige Beschränkung des Dienstbarkeitsrechts, sondern regelt die Ausübung der Dienstbarkeit nach Massgabe ihres feststehenden Inhalts und Umfangs (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 137 III 145 S. 146
A.
A.a
X., Y. und Z. (nachfolgend Beschwerdeführer) sind Stockwerkeigentümer des Grundstücks Nr. 61 (zuvor Nr. 432) auf dem Gebiet der Gemeinde V. In südlicher Richtung daran angrenzend befindet sich das im Eigentum von W. (nachfolgend Beschwerdegegner) stehende Grundstück Nr. 60 (zuvor Nr. 629). An der jeweils westlichen Grenze der beiden Grundstücke verläuft die öffentliche Strasse.
A.b
Mit Grunddienstbarkeitsvertrag vom 8. Mai 1957 räumten sich die damaligen Eigentümer A. (Grundstück Nr. 60) und B. (Grundstück Nr. 61) "gegenseitig zwischen den beiden Häusern, soweit die Grenzlinie GBNr. 432 (heute Nr. 61) B. verläuft, das
Fuss- und Fahrwegrecht
mit allen Fahrzeugen ein" (Hervorhebung im Original).
Entsprechend wurde diese Dienstbarkeit im Grundbuch mit dem Wortlaut "Fuss- und Fahrwegrecht mit allen Fahrzeugen" (nachfolgend als "Wegrecht" bezeichnet) sowohl als Recht und Last gegenseitig auf den Grundstücken Nr. 60 und 61 eingetragen. Dieser Weg befindet sich auf der Fläche zwischen der südlichen Hausfassade auf Grundstück Nr. 61 und der nördlichen Hausfassade auf Grundstück Nr. 60 und dient auf der westlichen Seite dem Zugang zur öffentlichen Strasse.
A.c
Im Juli 2006 erteilte der Gemeinderat den Beschwerdeführern die Baubewilligung für einen Erweiterungsbau und wies darin die vom Beschwerdegegner erhobene Einsprache ab. Die Beschwerdeführer errichteten daraufhin auf der südlichen Seite ihres Hauses auf
BGE 137 III 145 S. 147
dem Grundstück Nr. 61 einen Steg, der von der öffentlichen Strasse entlang der Südseite zum neuen Hauseingang auf der Ost- beziehungsweise Hinterseite des Gebäudes führt. Aufgrund des gegen Osten herabfallenden Terrains ist dieser Zugang (der sich im Bereich der öffentlichen Strasse noch auf dem gleichen Niveau wie diese befindet) zur Hinterseite gegenüber der Fläche zwischen den beiden Häusern der Parteien je länger desto mehr erhöht. Im hinteren Bereich (Ecke zwischen der Süd- und Ostfront) überragt der Steg die Fläche zwischen den beiden Häusern.
A.d
Mit Klage vom 7. September 2007 verlangte der Beschwerdegegner, die Beschwerdeführer seien zu verpflichten, sämtliche Bauteile auf ihrem Grundstück Nr. 61, die in eine (mit Koordinaten bestimmte) Fläche von 0,75 m
2
"hineinragen und das Strassenterrain überragen", zu entfernen, da sie damit das vereinbarte Wegrecht verletzten. Mit Urteil vom 8. Juni 2009 wies das Bezirksgericht C. die Klage ab.
B.
Auf Berufung des Beschwerdegegners hiess das Kantonsgericht Schwyz die Klage mit Urteil vom 19. Mai 2010 gut und verpflichtete die Beschwerdeführer, sämtliche Bauteile auf ihrem Grundstück Nr. 61, die in die fragliche Fläche hineinragen und die Strassenlinie überragen, ersatzlos und auf eigene Kosten, unter solidarischer Haftung, zu entfernen.
C.
Dem Bundesgericht beantragen die Beschwerdeführer in ihrer Beschwerde in Zivilsachen die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils im Umfang der Gutheissung der Berufung und sinngemäss die Abweisung der Klage. Sowohl das Kantonsgericht als auch der Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit gibt
Art. 738 ZGB
eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend (
Art. 738 Abs. 1 ZGB
). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen des Eintrags auf den Erwerbsgrund, das heisst den Begründungsakt, zurückgegriffen werden. Ist auch der Erwerbsgrund
BGE 137 III 145 S. 148
nicht schlüssig, kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit - im Rahmen des Eintrags - aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist (
Art. 738 Abs. 2 ZGB
;
BGE 132 III 651
E. 8 S. 655 f.;
BGE 131 III 345
E. 1.1 S. 347;
BGE 130 III 554
E. 3.1 S. 556 f.).
3.2
3.2.1
Die Auslegung des Begründungsakts (zweite Stufe der Auslegungsordnung gemäss
Art. 738 ZGB
) erfolgt in gleicher Weise wie die sonstiger Willenserklärungen. Gemäss
Art. 18 Abs. 1 OR
bestimmt sich der Inhalt des Vertrags nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Nur wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, ist der Vertrag nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen. Die empirische oder subjektive hat gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang (
BGE 130 III 554
E. 3.1 S. 557).
3.2.2
Stehen sich jedoch im Streit um den Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit nicht mehr die ursprünglichen Vertragsparteien, sondern Dritterwerber gegenüber (oder eine ursprüngliche Vertragspartei und ein Dritterwerber), werden die allgemeinen Grundsätze der Vertragsauslegung (E. 3.2.1 oben) durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs (
Art. 973 Abs. 1 ZGB
) begrenzt (HOHL, Le contrôle de l'interprétation des servitudes par le Tribunal fédéral, ZBGR 90/2009 S. 78).
3.3
3.3.1
Gemäss
Art. 973 Abs. 1 ZGB
ist im Erwerbe zu schützen, wer sich in gutem Glauben auf einen Eintrag im Grundbuch - wobei der Dienstbarkeitsvertrag als Beleg beim Grundbuchamt aufbewahrt wird (
Art. 948 Abs. 2 ZGB
) und ebenfalls einen Bestandteil des Grundbuchs bildet (
Art. 942 Abs. 2 ZGB
) - verlassen und daraufhin Eigentum oder andere dingliche Rechte erworben hat. Wo das Gesetz eine Rechtswirkung an den guten Glauben einer Person geknüpft hat, ist dessen Dasein zu vermuten (
Art. 3 Abs. 1 ZGB
).
Der öffentliche Glaube des Grundbuchs bedeutet nicht nur, dass der Inhalt des Grundbuchs als richtig fingiert wird (positive Seite des Publizitätsprinzips). Der Grundbucheintrag gilt vielmehr auch als vollständig (negative Seite des Publizitätsprinzips; Urteile 5C.232/2003 vom 2. März 2004 E. 2.1, nicht publ. in:
BGE 130 III 306
, aber in: ZBGR 86/2005 S. 41; 5C.301/2005 vom 17. Februar 2006 E. 3, in: ZBGR 89/2008 S. 292).
BGE 137 III 145 S. 149
3.3.2
Der gute Glaube ist jedoch nicht absolut geschützt. Vielmehr darf sich nicht auf seinen guten Glauben berufen, wer bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte (
Art. 3 Abs. 2 ZGB
). Selbst ein an sich gutgläubiger Erwerber muss daher nähere Erkundigungen einziehen, sofern besondere Umstände ihm Zweifel an der Genauigkeit des Eintrags aufkommen lassen (vgl.
BGE 127 III 440
E. 2c S. 443;
BGE 109 II 102
E. 2 S. 104). Der Entscheid darüber erfolgt aufgrund sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls nach gerichtlichem Ermessen (
Art. 4 ZGB
;
BGE 122 III 1
E. 2a/aa S. 3).
3.3.3
Den guten Glauben des Erwerbers in das Grundbuch zerstören kann namentlich die sog. natürliche Publizität, die darin besteht, dass der Rechtsbestand im physischen Zustand der Liegenschaft nach aussen sichtbar in Erscheinung tritt (vgl. dazu
BGE 137 III 153
E. 4.1.3 S. 156 mit Hinweisen).
Für Wegrechte bedeutet dies insbesondere, dass dort, wo für die Ausübung der Dienstbarkeit bauliche Anlagen erforderlich sind, diese in der Regel auch den Inhalt und den Umfang der Dienstbarkeit bestimmen, und zwar mit voller Wirkung gegenüber dem Dritterwerber, der sich grundsätzlich alles entgegenhalten lassen muss, was sich aus der Lage und der nach aussen in Erscheinung tretenden Beschaffenheit der Grundstücke ergibt (vgl. LIVER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1980, N. 31, 33 und 55 zu
Art. 738 ZGB
; SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, Sachenrecht, 3. Aufl. 2009, N. 1275c; allgemein zu baulichen Anlagen vgl. auch Urteile 5C.27/2006 vom 3. August 2006 E. 3.2; 5C.257/2001 vom 3. Dezember 2001 E. 2b/aa und 2b/bb).
In diesem Sinn hat das Bundesgericht festgehalten, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung niemand ein wegrechtsberechtigtes Grundstück kaufe, ohne es vorher zu besichtigen, und dass - Ausnahmefälle vorbehalten - kein Dritterwerber in gutem Glauben geltend machen könne, er habe die im Grundbucheintrag (wozu wie erwähnt auch der Dienstbarkeitsvertrag zählt) nicht erwähnten Besonderheiten des Wegrechts nicht gekannt, die für ihn bei einer Besichtigung erkennbar gewesen wären. Wird folglich der Inhalt und Umfang des Wegrechts durch die örtlichen Gegebenheiten für jedermann sichtbar beschränkt, hat sich der Erwerber dies grundsätzlich entgegenhalten zu lassen (vgl. Urteil 5C.71/2006 vom 19. Juli 2006 E. 2.3, in: ZBGR 88/2007 S. 467 ff.;
BGE 137 III 153
E. 4.2.3 S. 157; ähnlich Urteil 5A_846/2009 vom 12. März 2010 E. 4.2, in: ZBGR 92/2011 S. 116 f.; HOHL, a.a.O., S. 79; PIOTET, Le contenu d'une servitude, sa
BGE 137 III 145 S. 150
modification conventionnelle et la protection de la bonne foi, ZBGR 81/2000 S. 288; unklar ESCHMANN, Auslegung und Ergänzung von Dienstbarkeiten, 2005, S. 41 f. und 95 f.; teilweise abweichend und kritisch hingegen KOLLER, Bemerkungen zum zitierten Urteil 5C.71/2006, AJP 2008 S. 474 f.).
4.
4.1
Im vorliegend zu beurteilenden Fall lautet der Grundbucheintrag "Fuss- und Fahrwegrecht mit allen Fahrzeugen".
Das Kantonsgericht hat insoweit zutreffend erwogen (was die Beschwerdeführer zudem nicht bestreiten), dass sich aus dem Grundbucheintrag (
Art. 738 Abs. 1 ZGB
) keine Einzelheiten zum Inhalt und Umfang der Dienstbarkeit entnehmen lassen, so dass gemäss
Art. 738 Abs. 2 ZGB
der Erwerbsgrund zu befragen ist.
4.2
4.2.1
Im Dienstbarkeitsvertrag vom 8. Mai 1957 räumten sich die ursprünglichen Vertragsparteien "gegenseitig zwischen den beiden Häusern, soweit die Grenzlinie GBNr. 432 (heute Nr. 61) B. verläuft, das
Fuss- und Fahrwegrecht
mit allen Fahrzeugen ein".
4.2.2
In der vorliegenden Streitigkeit um den Umfang des Wegrechts stehen sich unbestrittenermassen nicht mehr die ursprünglichen Vertragsparteien gegenüber.
Sowohl das Bezirksgericht wie implizit auch das Kantonsgericht haben anhand der Fotografien des Beschwerdegegners vom April 1980 (Klagebeilagen 37 und 38) festgestellt, dass die strittige Fläche zwischen den beiden Häusern jedenfalls ab dem Jahr 1980 asphaltiert war und dieser Strassenbelag auf dem Grundstück der Beschwerdeführer durch einen Randstein (in Form von Pflastersteinen) abgegrenzt war und auch heute noch ist. Gegen diese Tatsachenfeststellungen erheben die Beschwerdeführer keine Rügen.
4.2.3
Der Beschwerdeführer 1 hat das Grundstück Nr. 61 am 25. März 1980 erworben (vgl. im Übrigen auch seinen "Antrag auf Bereinigung und Zusammenlegung" seiner damaligen Grundstücke Nr. 61 und 62 zum vergrösserten Grundstück Nr. 61 vom 30. August 1983, wo er ausdrücklich auch das fragliche Wegrecht - das damals wie erwähnt bereits asphaltiert und mit einem Randstein versehen war - aufführt). Am 28. September 2006 bildete er Miteigentumsanteile und gestaltete diese als Stockwerkeigentum aus. Die Beschwerdeführer 2 und 3 erwarben in der Folge Stockwerkeigentumsanteile.
BGE 137 III 145 S. 151
4.3
Steht damit fest, dass die bauliche Anlage (asphaltierte Strasse mit einem Randstein aus Pflastersteinen auf der Seite des Grundstücks der Beschwerdeführer) im Zeitpunkt des Dritterwerbs durch die Beschwerdeführer bereits bestand, müssen sie sich diese für jedermann sichtbaren örtlichen Begebenheiten (asphaltierter Weg mit Randstein als bauliche Anlage) entgegenhalten lassen. Der Inhalt und Umfang des Wegrechts bestimmt sich damit gegenüber den Beschwerdeführern aufgrund des asphaltierten Weges.
4.4
Soweit sie einwenden, es sei einzig der ursprüngliche Zustand zur Zeit der Begründung der Dienstbarkeit im Jahr 1957 massgebend und damals sei die Wegrechtsfläche nur gekiest gewesen und es habe keine bauliche Anlage bestanden, verkennen sie, dass für die Frage der Gutgläubigkeit der Dritterwerber auf die Verhältnisse zur Zeit ihres Erwerbs abzustellen ist (Urteil 5C.232/2003 vom 2. März 2004 E. 2.1 und 4.1, nicht publ. in:
BGE 130 III 306
, aber in: ZBGR 86/2005 S. 41 ff.).
4.5
Was die Breite betrifft, erstreckt sich damit das Wegrecht aufgrund der baulichen Anlage - jedenfalls gegenüber den Beschwerdeführern - von der Fassadengrenze des Hauses des Beschwerdegegners auf dem Grundstück Nr. 60 bis zum Randstein auf dem Grundstück Nr. 61 der Beschwerdeführer. Auf welcher Länge das Wegrecht verläuft, braucht nicht weiter thematisiert zu werden, da die asphaltierte Fläche mit dem Randstein jedenfalls weiter nach Osten reicht als der Steg und damit die fragliche Fläche von 0,75 m
2
auch mit Blick auf die Länge auf die Dienstbarkeitsfläche zu liegen kommt.
Im Ergebnis (
BGE 136 III 449
E. 4.2 S. 452) ist damit der kantonsgerichtliche Schluss, das Wegrecht erstrecke sich in der Breite auf der Seite der Beschwerdeführer bis zum Randstein, nicht zu beanstanden. Die fragliche Fläche von 0,75 m
2
des Stegs der Beschwerdeführer befindet sich auf der Dienstbarkeitsfläche.
5.
5.1
Art. 737 ZGB
verdeutlicht den Grundgedanken, wonach der belastete Grundeigentümer nicht hindern darf, was der Grunddienstbarkeitsberechtigte zu tun befugt ist. Währenddem der Berechtigte verpflichtet ist, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben (
Art. 737 Abs. 2 ZGB
; Grundsatz "servitus civiliter exercenda";
BGE 113 II 151
E. 4 S. 153), darf der Belastete nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert (
Art. 737 Abs. 3 ZGB
).
BGE 137 III 145 S. 152
5.2
Das Kantonsgericht gelangte zum Schluss, die fragliche Fläche von 0,75 m
2
behindere die Ausübung der Dienstbarkeit mit gängigen Lastwagen stark beziehungsweise es sei deren Ausübung ohne erhebliche Einschränkung nicht mehr möglich. Diese rechtliche Folgerung schloss es insbesondere aufgrund der Klagebeilagen 45 und 46. Diese zeigen einen Lastwagen, der den Weg zwischen den Häusern passiert.
5.3
Die Beschwerdeführer rügen insoweit eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Das Befahren des Weges sei auch mit heute gängigen Lastwagen noch möglich. Die verfügbare Fahrwegbreite betrage vier Meter und sei damit ausreichend für das Passieren mit gängigen Lastwagen. Die Würdigung der Fotografien in der Klagebeilage 45 und 46 erweise sich als willkürlich, da der dort abgebildete Lastwagen die Wegfläche gar nicht befahre, sondern sich in einem Wendemanöver befinde (der LKW sei am "Rangieren", um eine Mulde abzuladen).
5.4
Das Prinzip "servitus civiliter exercenda" bedeutet als Konkretisierung von
Art. 2 ZGB
, dass der Berechtigte auf eine den Belasteten beeinträchtigende Rechtsausübung verzichten muss, soweit diese Rechtsausübung unnütz ist oder sein Interesse daran jedenfalls in einem krassen Missverhältnis zum Interesse des Belasteten an der Unterlassung der Beeinträchtigung steht (
BGE 100 II 195
E. 4a S. 197). Mit Blick auf
Art. 737 Abs. 3 ZGB
folgt aus diesem Grundsatz spiegelbildlich, dass der Belastete dem Berechtigten in gewisser Hinsicht Beschränkungen auferlegen kann, solange dadurch die Ausübung der Dienstbarkeit nicht merklich beeinträchtigt wird (STEINAUER, Les droits réels, Bd. II, 3. Aufl. 2002, N. 2287).
5.5
Durch den Grundsatz "servitus civiliter exercenda" wird nicht der Umfang oder Inhalt der Dienstbarkeit eingeschränkt, sondern lediglich deren missbräuchliche Ausübung untersagt (
BGE 113 II 151
E. 4 S. 153; Urteile 5C.232/2003 vom 2. März 2004 E. 5.3, nicht publ. in:
BGE 130 III 306
, aber in: ZBGR 86/2005 S. 48 f.; 5A_833/2009 vom 11. März 2010 E. 4.3.1; 5A_617/2009 vom 26. Januar 2010 E. 2.3; a.M. und mit Hinweis auf die unterschiedlichen Lehrmeinungen ESCHMANN, a.a.O., S. 12 f.). Mit anderen Worten darf das Gebot der schonenden Ausübung (beziehungsweise der Duldung vernachlässigbarer Beeinträchtigungen) nicht zu einer inhaltlichen Verengung des Dienstbarkeitsrechts führen. Wer die Beseitigung von Bauten verlangt, welche die Dienstbarkeit verletzen, handelt
BGE 137 III 145 S. 153
nicht wider Treu und Glauben (STEINAUER, a.a.O., N. 2281a; LEEMANN, Berner Kommentar, 1925, N. 6 zu
Art. 737 ZGB
).
Wenn der Beschwerdegegner vorliegend gestützt auf
Art. 737 Abs. 3 ZGB
die Beseitigung eines Teils des Stegs der Beschwerdeführer (auf einer Fläche von 0,75 m
2
, die in die Dienstbarkeitsfläche hineinragt und damit deren Inhalt verletzt) verlangt, handelt er deshalb nicht treuwidrig, zumal er sich dem Ausbauprojekt der Beschwerdeführer von Anfang an widersetzt hat (
BGE 83 II 201
E. 2 und 3 S. 204 ff.; Urteil 5C.307/2005 vom 19. Mai 2006 E. 7.2 f. mit Hinweisen, in: ZBGR 88/2007 S. 134).
Die Beschwerdeführer sind damit verpflichtet, die mit der Dienstbarkeit unvereinbare Baute zu beseitigen (vgl.
BGE 83 II 201
E. 2 S. 204 f.). Das kantonsgerichtliche Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
5.6
Stellt sich die Frage nach der Missbräuchlichkeit der Ausübung gemäss
Art. 737 ZGB
gar nicht, erübrigen sich weitere Bemerkungen zu den von den Beschwerdeführern gerügten Sachverhaltsfeststellungen, die dieser Rechtsfrage zugrunde liegen würden. Damit kann ebenfalls offenbleiben, inwieweit die Vorbringen der Beschwerdeführer neue Tatsachen gemäss
Art. 99 Abs. 1 BGG
enthalten. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d4c82bc8-f430-40a9-b959-a04456f04f85 | Urteilskopf
116 II 73
11. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 6 février 1990 dans la cause G. contre S.I.Y. (recours en réforme) | Regeste
Herabsetzung des Mietzinses (
Art. 19 BMM
).
Der Vermieter kann sich einer Klage auf Herabsetzung des Mietzinses wegen Änderung der Berechnungsgrundlagen - in casu der Senkung des Hypothekarzinssatzes - entziehen, indem er nachweist, dass der Ertrag nicht übersetzt ist im Sinn von
Art. 14 BMM
. | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 116 II 73 S. 73
Par contrat du 1er octobre 1981, les S.I.Y. ont donné à bail à G. un studio de 26 m2, avec cave et galetas, dans un immeuble sis à Saint-Sulpice construit en 1980. Conclu pour une durée d'un an et renouvelable de six mois en six mois, ce bail fixait le loyer mensuel à 460 francs, plus 40 francs d'acompte de chauffage et d'eau chaude.
Se prévalant de la baisse du taux de l'intérêt hypothécaire entre le 1er octobre 1982 et le 1er octobre 1988 de 6 à 5%, compensée en partie par la hausse de l'indice suisse des prix à la consommation, G. a, le 6 mai 1988, demandé une baisse de loyer de 35 francs par mois. Aucune conciliation n'est intervenue entre les parties.
Par requête du 8 juillet 1988, G. a ouvert action contre les sociétés bailleresses devant le Tribunal des baux du canton de Vaud, concluant à la réduction de son loyer mensuel à 448 francs dès le 1er octobre 1988.
BGE 116 II 73 S. 74
Par jugement du 7 février 1989, le tribunal a admis une baisse de 8,49%; retenant cependant que le loyer non abusif de l'appartement loué était de 486 fr. 70 par mois, il a considéré que le loyer litigieux n'était pas abusif; il a rejeté l'action.
Par arrêt du 23 mai 1989, la Chambre des recours du Tribunal cantonal du canton de Vaud a rejeté un recours de G. et confirmé le jugement déféré.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en réforme de G.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Selon le recourant, la réduction du loyer doit s'opérer en application des
art. 19 et 15 al. 1 AMSL
exclusivement, le caractère abusif du loyer devant être déterminé au regard des facteurs de baisse intervenus depuis la dernière fixation du loyer et sans procéder au contrôle du rendement de l'immeuble en application de l'
art. 14 AMSL
.
a) L'
art. 19 AMSL
permet au locataire de contester le montant du loyer qu'il estime abusif s'il a une raison d'admettre que la chose louée procure au bailleur un rendement excessif au sens des art. 14 et 15 à cause d'une notable modification des bases de calcul, résultant en particulier d'une baisse des frais. Cette disposition subordonne l'admission d'une réduction à l'existence d'un rendement excessif après la modification des bases de calcul, la jurisprudence admettant l'application des
art. 14 et 15 AMSL
en cas de réduction du loyer (
ATF 106 II 359
consid. 3b, 167 consid. 3). Le bailleur peut ainsi opposer en compensation à une demande de baisse des facteurs de hausse au sens de l'
art. 15 AMSL
, survenus depuis la dernière fixation du loyer (méthode dite "relative";
ATF 107 II 271
consid. 2,
ATF 106 II 359
consid. 3b). Quant à savoir s'il peut également faire procéder à un contrôle général du rendement de l'immeuble compte tenu des coûts et des adaptations sur la base de l'
art. 14 AMSL
(méthode dite "absolue"), la question n'a pas été clairement tranchée par la jurisprudence; alors que certains arrêts paraissent l'exclure (voir
ATF 108 II 137
consid. 1b,
ATF 107 II 261
consid. 2), d'autres semblent l'admettre (voir
ATF 106 II 169
consid. 4c).
Récemment, le Tribunal fédéral a jugé que, dans le cadre de l'application de la méthode dite "relative", l'existence de motifs justifiant une hausse de loyer selon l'
art. 15 AMSL
ne prive pas le locataire d'apporter la preuve que le loyer majoré procure un
BGE 116 II 73 S. 75
rendement excessif et qu'il reste donc abusif au sens de l'
art. 14 AMSL
(
ATF 114 II 365
/366 consid. 5 et les arrêts cités); selon cet arrêt, la présomption de l'
art. 15 AMSL
peut être en effet renversée par le locataire, qui a la charge de la preuve. Suivant ces principes, le bailleur doit être autorisé à se prévaloir de ce que la modification des bases de calcul ne conduit pas à un rendement abusif au sens de l'
art. 14 AMSL
, rien ne justifiant un traitement différent entre locataire et bailleur. Ce dernier doit, en conséquence, pouvoir établir directement que les conditions posées par la disposition précitée sont remplies, soit que le loyer lui procure un rendement convenable. Plusieurs auteurs préconisent cette solution (BARBEY, L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, 1984, p. 35 ch. 2; EGLI, Aperçu de la jurisprudence récente du Tribunal fédéral en application de l'arrêté fédéral sur des mesures contre les abus dans le secteur locatif, in RJB 1988, p. 60/61; RAISSIG/SCHWANDER, Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen, 4e éd., 1984, p. 160). Car, limitée à la quotité de la variation des bases de calcul enregistrée depuis la dernière fixation du loyer, l'application stricte de la méthode dite "relative" ne va pas sans inconvénients (voir BARBEY, op.cit., p. 92 ch. 3 et 4). La mise en oeuvre de l'
art. 14 AMSL
permet précisément d'y apporter un correctif, non seulement en cas de hausse, mais aussi en cas de baisse.
Une telle interprétation de l'
art. 19 AMSL
apparaît d'ailleurs seule conforme à son texte. Ainsi, en présence de facteurs à la baisse, le bailleur doit pouvoir être admis à démontrer que le rendement n'est pas excessif. D'ailleurs, le Conseil fédéral a souligné dans son Message que conférer au locataire le droit d'exiger d'être mis sans restriction au bénéfice d'une baisse des frais battrait en brèche le système de l'arrêté (FF 1976 III 879). S'il fallait admettre une réduction automatique en présence de facteurs de baisse, un loyer même non abusif pourrait être modifié. Une pareille sanction excéderait le but immédiat visé par l'AMSL, qui se limite à lutter contre les loyers abusifs ou autres prétentions abusives des bailleurs (
art. 1er AMSL
,
art. 34septies al. 2 Cst
;
ATF 113 II 72
consid. 2).
Aussi, en jugeant que le bailleur pouvait se soustraire à une demande de baisse de loyer fondée sur la modification des bases de calcul en faisant la preuve d'un rendement convenable (
art. 14 AMSL
), le Tribunal cantonal n'a-t-il pas violé les
art. 19 et 15 AMSL
. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4cabb24-49f6-448f-8143-beda9f111c20 | Urteilskopf
83 IV 154
42. Urteil des Kassationshofes vom 15. Oktober 1957 i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen und R. | Regeste
Art. 186 StGB
.
Hausfriedensbruch.
Wer ist "Berechtigter" in einem Haus, das vom Vermieter und von Mietern bewohnt wird? Wann ist das Eindringen oder Verweilen "unrechtmässig"? | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 83 IV 154 S. 155
A.-
G. bezog am 1. November 1956 eine Vierzimmerwohnung, die sie im Hause des R. gemietet hatte. Entgegen ihrer ursprünglich geäusserten Absicht, dass sie zwei Frauen als Untermieterinnen mitbringen werde, nahm sie ihren Verlobten W. in die Wohnung auf, mit dem sie im gleichen Zimmer nächtigte. Als eine Anschuldigung wegen Konkubinats nichts änderte, liess R. am 13. November 1956 eine gemeindeamtliche Anzeige ergehen, mit der W. das Betreten des Hauses mit sofortiger Wirkung verboten und für den Fall der Zuwiderhandlung Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs angedroht wurde. Da W. trotzdem noch viermal die Wohnung seiner Verlobten betrat, stellte R. Strafantrag.
G. und W. heirateten am 24. November 1956. Das gegen sie angehobene Strafverfahren wegen Konkubinats wurde mangels Beweises eingestellt.
B.-
Die Gerichtskommission Oberrheintal erklärte am 12. März 1957 W. des Hausfriedensbruches schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 30.-.
Die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen bestätigte am 8. Juli 1957 das Urteil. Sie geht davon aus, der Mietvertrag habe die Berechtigung des Hauseigentümers nicht beschränkt, sondern bloss bewirkt, dass in Bezug auf die gemietete Wohnung die Mieterin G. neben R. berechtigt worden sei. Der Dritte, der gegen den Willen des Hauseigentümers das Haus betrete, handle unrechtmässig, selbst wenn er vom Mieter das Recht zum freien Zutritt erhalten habe, weil er damit nur einen gegen den Mieter, nicht aber auch gegen den Hauseigentümer gerichteten Anspruch auf Zulassung erlange. Immerhin sei die Rechtswidrigkeit auszuschliessen, wenn das Verbot des Hauseigentümers schützenswerte Interessen des Mieters
BGE 83 IV 154 S. 156
verletze, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hauseigentümer den Eltern eines alleinstehenden Wohnungsmieters, welcher deren Besuch wünsche, das Betreten des Hauses verbiete. Das Interesse der G., ihren Geliebten in ihre Wohnung aufzunehmen, entbehre jedoch jeder Schutzwürdigkeit, sodass das Hausverbot des Vermieters R. unrechtmässig missachtet worden sei.
C.-
W. beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, er sei freizusprechen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat innert der angesetzten Frist keine Gegenbemerkungen eingereicht.
E.-
R. verzichtet darauf, Antrag zu stellen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 186 StGB
macht sich wegen Hausfriedensbruchs strafbar, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung usw. unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt.
Der Hausfriedensbruch ist, wie dessen Einreihung unter den 4. Teil des Strafgesetzbuches zeigt, ein Vergehen gegen die Freiheit. Geschützt wird das Hausrecht, worunter die Befugnis zu verstehen ist, über einen bestimmten Raum ungestört zu herrschen und in ihm seinen eigenen Willen frei zu betätigen. Träger des Hausrechts ist derjenige, dem die Verfügungsgewalt über den Raum zusteht, gleichgültig, ob sie auf einem dinglichen oder obligatorischen Recht oder auf einem öffentlichrechtlichen Verhältnis beruht. Im Falle der Vermietung einer Wohnung ist es der Mieter, der die überlassenen Räume innehat und über sie unmittelbar verfugt, insbesondere darüber entscheidet, wer sich darin aufhalten darf; auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an. Das Hausrecht als Teil der Persönlichkeitsrechte des Inhabers eines Raums steht daher ausschliesslich dem Mieter zu, nicht zugleich dem Vermieter, der auf die tatsächliche Verfügungsmacht über
BGE 83 IV 154 S. 157
die vermieteten Räume verzichtet hat und darin seinen persönlichen Willen nicht mehr zur Geltung bringen kann. Deshalb handelt der Vermieter nicht in Ausübung des Hausrechts, sondern allein gestützt auf Miet- und Vertragsrecht, wenn er in die Wohnung des Mieters eindringt, um z.B. dringende Ausbesserungen vorzunehmen (
Art. 256 Abs. 1 OR
). Ebenso kann er sich nicht auf das Hausrecht berufen, wenn der Mieter die Wohnung vertragswidrig, z.B. zu unsittlichen Zwecken, gebraucht. Verletzungen des Mietvertrages durch den Mieter berühren die obligationenrechtlichen Beziehungen, greifen aber nicht in die Persönlichkeitssphäre ein, die das Hausrecht zum Gegenstand hat; der Vermieter bleibt in solchen Fällen auf die Rechtsbehelfe des Zivilrechts und gegebenenfalls des Polizeistrafrechts angewiesen.
R.
war zur Mitbenutzung der vermieteten Wohnung nicht befugt. Zur Ausübung des Hausrechts in diesen Räumen, d.h. berechtigt im Sinne des
Art. 186 StGB
war daher einzig die Mieterin G. Der Beschwerdeführer ist mit deren Einwilligung, also nicht gegen den Willen des Berechtigten und damit auch nicht unrechtmässig in die Wohnung eingedrungen. Denn unrechtmässiges Eindringen oder Verweilen setzt immer voraus, dass sich der Täter dem Willen des Inhabers des Hausrechts widersetzt; die Widerrechtlichkeit fehlt, wenn der Berechtigte einwilligt oder wenn der Täter ein Recht besitzt, kraft dessen er den entgegenstehenden Willen des Berechtigten nicht zu beachten braucht, wie das z.B. zutrifft, wenn ein Beamter mit öffentlichrechtlicher Befugnis eine Verhaftung, Beschlagnahme, Hausdurchsuchung in Verletzung des Hausrechts vornimmt.
2.
Das Hausrecht des Mieters erstreckt sich grundsätzlich auch auf die ausserhalb seiner Wohnung liegenden Räume, wie Hauseingang, Gänge, Treppenhaus, deren Benutzung Vermieter und Mietern gemeinsam zusteht. Der Anspruch des Mieters, die Zugänge zu seiner Wohnung zu benutzen, umfasst auch die Befugnis, sie Dritten zur
BGE 83 IV 154 S. 158
Verfügung zu halten, denen er den Zutritt zu seiner Wohnung gestattet, ansonst er sein Recht, Besuche zu empfangen, nicht ausüben könnte (BECKER N. 7 zu Art. 254/255 OR). So wie ein Mitberechtigter dem andern die Benutzung der zum gemeinschaftlichen Gebrauch bestimmten Teile des Hauses nicht verbieten kann, so wenig darf er einem Dritten, der einen Mitberechtigten mit dessen Einwilligung besuchen will, den Zutritt untersagen, jedenfalls solange nicht, als sich die Benutzung des Dritten auf die zum Betreten der Wohnung notwendigen Zugänge beschränkt und der Dritte die Benutzung nicht zu Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte anderer Mitberechtigter missbraucht.
Im vorliegenden Fall wird dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen, er habe auf den Zugängen zur Wohnung seiner Verlobten ein Verhalten an den Tag gelegt, durch das R. in seinen persönlichen Verhältnissen verletzt worden sei. R. verbot ihm das Haus, weil er am gemeinsamen Nächtigen der Verlobten Anstoss nahm, und auch die Vorinstanz hat nur in diesem Verhalten die Rechtswidrigkeit des Eindringens erblickt.
3.
Der Beschwerdeführer hat das Hausrecht des R. nicht verletzt, somit ihm gegenüber keinen Hausfriedensbruch begangen. Er ist daher freizusprechen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 8. Juli 1957 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4d07b7a-2a16-4e78-ae24-157aea42230e | Urteilskopf
90 I 212
33. Arrêt du 30 septembre 1964 dans la cause X. contre Canton de Fribourg. | Regeste
Art. 4 BV
.
Willkür.
Darf die Kapitalleistung, welche der Steuerpflichtige als Begünstigter einer von seinem Arbeitgeber für das Personal seiner Unternehmung abgeschlossenen Kollektivlebensversicherung erhält, als steuerbares Einkommen behandelt werden? | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 90 I 212 S. 212
A.-
En 1943, la maison Nordmann et Cie, Grands magasins, à Fribourg, a conclu avec La Genevoise une assurance collective en faveur de ses employés. Le 1er avril 1961, X., née en 1906, a reçu de La Genevoise, en qualité de vendeuse de l'entreprise prénommée, une somme de
BGE 90 I 212 S. 213
10 000 fr. à titre de capital assuré. Le fisc fribourgeois a imposé comme revenu la totalité de cette somme, mais seulement au taux d'imposition qui aurait été applicable si le versement en capital avait été remplacé par des prestations périodiques (par analogie avec la solution prescrite par l'art. 40 al. 2 AIN).
La contribuable a recouru contre cette imposition; elle alléguait notamment l'art. 20 al. 1 de la loi fribourgeoise du 11 mai 1950 sur les impôts cantonaux (en abrégé: LI). Sous le titre marginal: "Recettes non imposables", cette disposition, relative au calcul du revenu, prescrit: "Ne sont pas pris en considération... les capitaux provenant d'une police d'assurance".
Le 12 juin 1964, la Commission fribourgeoise de recours en matière d'impôt a rejeté le recours, en bref par les motifs suivants:
La loi fribourgeoise du 11 mai 1950 a institué l'imposition du revenu global, revenu qu'elle définit à son art. 17 et qui comprend toutes les recettes du contribuable, quels que soient leur caractère et leur origine. L'art. 17 lit. c y fait rentrer notamment les rentes, les pensions et les revenus acquis en compensation. A cet égard, il faut distinguer entre les assurances-vie ordinaires et l'assurancevie contractée par une entreprise ou une fondation de prévoyance en faveur du personnel. Le capital assuré, dans la seconde, est versé en raison d'un rapport de service pour tenir lieu de prestations périodiques (rente, pension) qui auraient dû être payées dans le cours normal des choses. Selon la doctrine et la jurisprudence, une telle prestation est, du point de vue fiscal, considérée comme un produit du travail imposable au titre du revenu. La recourante ne saurait dès lors exciper de l'art. 20 LI, disposition exceptionnelle et qui doit être interprétée restrictivement. Les particularités de l'assurance-vie contractée en faveur du personnel obligent à la distinguer de l'assurance-vie ordinaire, que seule le législateur a pu viser par l'art. 20 LI. Autrement il se produirait une
BGE 90 I 212 S. 214
inégalité de traitement inadmissible entre les bénéficiaires d'une telle assurance selon qu'ils touchent un capital ou des prestations périodiques, ceux-ci payant l'impôt sur ces prestations au titre du revenu, ceux-là étant exonérés de par l'art. 20 précité. Il est inconcevable que le législateur ait pu vouloir une telle inégalité. Toutefois, il convient de tempérer par l'application de l'art. 40 ch. 2 AIN la rigueur de l'imposition, au taux ordinaire, du versement d'un capital unique en lieu et place de prestations périodiques.
B.-
X. a formé un recours de droit public contre cette décision, qu'elle argue d'arbitraire. Elle reproche à l'autorité cantonale d'avoir violé le texte clair de l'art. 20 LI en imposant au titre du revenu le capital assuré, touché de l'assurance contractée par son employeur.
C.-
La Commission fribourgeoise de recours en matière d'impôt conclut au déboutement.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
C'est en qualité de bénéficiaire d'une police collective d'assurance sur la vie que la recourante a touché la somme de 10 000 fr. dont elle conteste l'imposition. Ce capital a donc manifestement sa source dans la police et en provient au sens de l'art. 20 LI. L'autorité cantonale refuse cependant de l'exonérer de l'impôt sur le revenu global en vertu de cette disposition, par le motif que celle-ci ne s'appliquerait pas aux capitaux touchés conformément à des contrats d'assurance-vie collectifs conclus en connexité avec des contrats de travail.
La distinction que l'autorité cantonale voudrait ainsi établir, loin de trouver un appui dans le texte clair de l'art. 20 LI, est en contradiction manifeste avec lui. Elle n'échapperait dès lors au grief d'arbitraire que s'il existait des raisons sérieuses d'admettre que l'interprétation conforme au texte ne correspond pas au sens véritable de la loi; de telles raisons peuvent résulter de la genèse du texte, de son fondement, de son but ou de ses rapports
BGE 90 I 212 S. 215
avec d'autres règles légales (RO 87 I 16). Tel n'est pas le cas.
En Suisse les versements en capital faits aux employés d'une entreprise par une institution de prévoyance ou une compagnie d'assurance sont fréquemment exonérés de l'impôt sur le revenu par les lois ou la jurisprudence (WIRZ, Die Personal-Wohlfahrtseinrichtungen der schweizerischen Privatwirtschaft und ihre Stellung im Steuerrecht, 1955, p. 399; PETERMANN, L'imposition des assurances de personnes en Suisse, Archives de droit fiscal suisse, t. 22, année 1953-1954, p. 155, no 47; LÄUBLIN, Die steuerrechtliche Behandlung der Lebensversicherung nach den Steuergesetzen des Bundes und der Kantone, Revue fiscale, 1960, p. 208). D'après les mêmes auteurs, cette franchise coexiste souvent avec l'imposition au titre du revenu des rentes versées aux bénéficiaires en vertu d'un contrat d'assurance collectif. Ce système n'est donc pas rare en droit positif et l'on ne saurait dès lors affirmer, eu égard au texte clair de l'art. 20 LI, que le législateur fribourgeois n'a pas pu le vouloir.
2.
Au reste, le versement d'un capital assuré et celui de rentes dans l'assurance collective liée à un contrat de travail diffèrent du point de vue économique aussi bien que juridique, même s'ils ont la même fonction sociale et il est pour le moins douteux que, du point de vue de l'impôt sur le revenu, l'exonération du premier avec assujettissement du second crée une inégalité de traitement aussi choquante que le croit l'autorité fribourgeoise. On peut au contraire considérer qu'elle prévient une certaine forme de double imposition, qui se produit nécessairement si le capital, tout d'abord imposé comme revenu, l'est une seconde fois dans le produit (intérêts, etc.) qu'en peut tirer le bénéficiaire.
Quoi qu'il en soit, ces considérations d'opportunité relèvent de l'appréciation du législateur; l'autorité chargée d'appliquer la loi n'a pas à se substituer à lui et doit s'en tenir au texte clair, qui la lie, sauf si des raisons sérieuses
BGE 90 I 212 S. 216
font apparaître - comme on l'a dit plus haut - que ce texte ne rend pas le véritable sens de la loi. Or de telles raisons n'existent pas en l'espèce.
3.
Par surabondance de droit, l'intimée a invoqué, à l'appui de sa thèse, l'art. 2 al. 2 de la loi fribourgeoise du 27 février 1959, loi qui a introduit la taxation bisannuelle pour l'impôt cantonal. Cet article prescrit le mode d'imposition pour la première période de taxation de deux ans (années 1959 et 1960). Il n'a donc qu'une portée limitée à cette période et rien ne permet d'admettre qu'il ait modifié le système légal et notamment l'art. 20 LI, touchant la définition des recettes non imposables au titre du revenu.
Selon sa teneur l'art. 2 al. 2 vise non pas les capitaux d'assurance, mais seulement leur revenu. On n'en peut donc tirer aucune conclusion quelconque touchant l'imposition de ces capitaux, pour laquelle l'art. 20 LI demeure seul déterminant.
4.
Il suit de là que l'application de l'art. 20 LI dans la décision entreprise est entachée d'arbitraire. Aussi bien son caractère artificiel et incompatible avec le système de la loi cantonale ressort-il du fait que l'intimée a reculé devant la rigueur des conséquences qu'aurait entraînées l'application du taux ordinaire d'imposition. Bien qu'aucune base légale ne le justifiât, elle a appliqué non pas ce taux, mais celui qui aurait été prescrit si la recourante avait touché, non un capital, mais des prestations périodiques, c'est-à-dire une rente correspondante. Elle a donc adopté la règle posée par l'art. 40 al. 2 AIN. Encore n'estce qu'en partie, car, si elle s'était entièrement conformée à cette disposition, elle n'aurait imposé que 4/5 du capital et calculé le taux en ne tenant compte que de la somme ainsi réduite (art. 21 bis al. 1 lit. a AIN, auquel renvoie l'art. 40 al. 2 AIN).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4d16407-9823-4154-9641-902b5d033375 | Urteilskopf
92 I 516
84. Urteil vom 25. Mai 1966 i.S. Altstadt-Versicherungs-Aktiengesellschaft gegen Kanton Bern. | Regeste
Direkter Prozess; Haftung des Kantons für widerrechtlich schuldhaftes Handeln seiner Beamten bei der Ausübung öffentlich-rechtlicher Funktionen.
1. Voraussetzungen des direkten Prozesses gemäss
Art. 42 OG
(Erw. 1, 2).
2. Sorgfaltspflicht der Behörde bei der Ausstellung des Fahrzeugausweises (Erw. 4) und der Erteilung des Lernfahrausweises (Erw. 5).
3. Wann ist die Behörde zum sofortigen Entzug des Führerausweises verpflichtet? (Erw. 6).
4. Adaequanz des Kausalzusammenhanges zwischen widerrechtlich schuldhaftem Handeln der Beamten und Schadeneintritt als Voraussetzung der Haftung des Kantons für den Schaden. Adaequanz verneint, weil die Versicherung, die für den Schaden aufzukommen hatte, diese Folge bei rechtzeitigem Vorgehen gegen den säumigen Prämienschuldner hätte vermeiden können (Erw. 7, 8). | Sachverhalt
ab Seite 517
BGE 92 I 516 S. 517
A.-
Der 1937 geborene Bruno Kohler durchlief von 1959 bis 1961 eine Lehre in Biel. Bis zum 5. November 1960 wohnte er in Grenchen (Kanton Solothurn), seither in Biel. Am 21. März 1961 kaufte er von einer Garage in Biel einen Occasions-Personenwagen Marke Studebaker Commander, Jahrgang 1954. Dieser Wagen war zum letzten Mal am 27. Januar 1958 auf seine Betriebssicherheit kontrolliert und am 26. März 1958 einer Nachprüfung unterzogen worden. Damals wurden das Stoplicht und das Rückfahrlicht beanstandet. Am 15. März 1961 stellte das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern den Fahrzeugausweis für den Wagen auf den Namen des neuen Halters Kohler aus.
Am 3. März 1961 hatte Kohler der Altstadt Versicherungs-Aktiengesellschaft (im Folgenden kurz mit Altstadt bezeichnet) den Antrag auf Abschluss einer Autohaftpflichtversicherung unterbreitet. Die Frage, ob ihm oder einem regelmässigen
BGE 92 I 516 S. 518
Lenker seines Automobils der Führerausweis je entzogen worden sei, beantwortete Kohler mit "nein". Er verschwieg, dass der Kanton Solothurn am 12. Oktober 1956 die unbefristete Ausweissperre über ihn verhängt hatte, weil er ohne Ausweise und mit gefälschtem Kontrollschild mit einem Motorrad gefahren war. Er war deswegen am 4. Dezember 1956 mit Fr. 100.-- gebüsst worden. In dem von der Altstadt bei der Auskunftei Dun eingeholten Bericht wurden die finanziellen Verhältnisse Kohlers als "bescheiden" bezeichnet; in persönlicher Beziehung wurde erklärt, Kohler geniesse einen guten Ruf und Leumund. Die Altstadt genehmigte den Versicherungsantrag mit Wirkung ab 15. März 1961.
Am 4. März 1961 hatte Kohler bei der Polizei in Biel das Gesuch um Erteilung eines Lernfahrausweises gestellt. Auf dem der Kantonalen Strafenkontrolle übermittelten Gesuchsformular vermerkte diese am 8. März 1961, dass sich im Strafregister des Heimatkantons Bern keine Eintragung über Kohler befinde. In Wirklichkeit waren im Strafregister drei Vorstrafen eingetragen: eine gelöschte Vorstrafe vom 22. Dezember 1954 wegen Unzucht mit Kindern, die oben genannte vom 4. Dezember 1956 und eine bedingte Gefängnisstrafe von drei Wochen vom 3. September 1959 wegen Betruges, Veruntreuung und Urkundenfälschung. Ausserdem wurden Leumundserhebungen über Kohler in Biel durchgeführt, die nichts Nachteiliges über ihn ergaben. Darauf stellte der Kanton Bern am 15. März 1961 einen Lernfahrausweis für Kohler aus. Das berechtigte ihn nur, mit einer verantwortlichen Begleitperson sein Auto zu führen (Art. 14 Abs. 1 MFG; jetzt
Art. 15 SVG
).
Am 13. April 1961 meldete der Filialleiter von Kohlers Arbeitgeberin, Münzenmeier, der Kantonspolizei in Biel, jener führe seinen Personenwagen öfters allein, obschon er nur einen Lernfahrausweis besitze. Am 10. Juli 1961 berichtete Münzenmeier der Polizei neuerdings, Kohler erscheine stets ohne Begleitperson im Wagen zur Arbeit und führe auch nachts Fahrten ohne Begleitperson aus. Diese Meldungen hatten lediglich zur Folge, dass die Mitglieder des Polizeikorps ersucht wurden, Kohler zu überwachen. Am 18. Juli 1961 traf die Polizei ihn beim Fahren ohne Begleitperson. Das Richteramt Biel büsste ihn deswegen am 7. August 1961 mit Fr. 30.-. Am 4. August 1961 wurde Kohler neuerdings von der Polizei bei der gleichen Übertretung betroffen und wiederum dem Gericht zur Bestrafung überwiesen.
BGE 92 I 516 S. 519
Nach der Haftpflichtversicherungs-Police hatte Kohler die Prämie vierteljährlich zu bezahlen. Die erste Vierteljahresrate von Fr. 144.70 war am Tage des Versicherungsbeginnes (15. März 1961) fällig und hätte innert zehn Tagen, also bis zum 25. März 1961 bezahlt werden sollen. Die Altstadt mahnte Kohler erst am 26. Juni 1961 zur Zahlung, als bereits die zweite Vierteljahresprämie fällig geworden war, und forderte ihn gemäss
Art. 20 Abs. 1 VVG
auf, innert 14 Tagen zu bezahlen. Nachdem Kohler auch innert dieser Nachfrist nicht bezahlt hatte, meldete die Altstadt gemäss
Art. 68 Abs. 2 SVG
dem Strassenverkehrsamt des Kantons Bern am 31. Juli 1961, dass die Haftpflichtversicherung erloschen sei. Darauf verfügte das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern den Entzug der Nummernschilder des Wagens von Kohler und übergab diese Anordnung am 4. August 1961 der Polizei in Biel zum Vollzug.
Vor dem Vollzug dieser Anordnung verursachte Kohler, der wiederum ohne die vorgeschriebene Begleitperson fuhr, am 5. August 1961 einen schweren Verkehrsunfall zwischen Biel und Pieterlen, bei dem vier Personen getötet, sechs Personen schwer und sieben weitere leicht verletzt wurden. Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern verurteilte Kohler am 18. September 1962 wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger schwerer Körperverletzung, Führens eines Motorfahrzeuges in nicht betriebsicherem Zustand und als Lernfahrer ohne verantwortliche Begleitperson, fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs und Nichtanhaltens auf Zeichenabgabe der uniformierten Polizei zu drei Jahren Gefängnis.
Auf Grund der Haftpflichtversicherung leistete die Altstadt an die Opfer des Unglücks bzw. an deren Hinterbliebene insgesamt Fr. 676'847.65.
B.-
Die Altstadt belangt in einer beim Bundesgericht angehobenen direkten Klage den Kanton Bern auf Ersatz dieses Betrages. Sie stützt die Klage auf Art. 15 Abs. 2 der bernischen KV und Art. 38 des kantonalen Gesetzes über das Dienstverhältnis der Behördemitglieder und des Personals der bernischen Staatsverwaltung (DVG).
Art. 15 KV bestimmt:
"Jede Behörde, jeder Beamte und Angestellte ist für seine Amtsverrichtungen verantwortlich.
Zivilansprüche, welche aus der Verantwortlichkeit fliessen,
BGE 92 I 516 S. 520
können unmittelbar gegen den Staat vor den Gerichten geltend gemacht werden. Das Gericht darf jedoch die Klage gegen den Staat nicht annehmen, bis der Kläger nachgewiesen, dass er sich diesfalls wenigstens dreissig Tage zuvor erfolglos an die oberste Vollziehungsbehörde gewendet hat. Dem Staat bleibt der Rückgriff gegen den Fehlbaren vorbehalten.
Dem Gesetze steht die weitere Ausführung dieser Grundsätze zu."
Art. 38 Abs. 1 und 4 DVG lauten:
"Der Beamte haftet dem Staat und Dritten für allen Schaden, den er ihnen bei Ausübung seines Amtes widerrechtlich, mit Absicht oder aus Fahrlässigkeit, zufügt.
...
...
Dritten gegenüber steht ausserdem der Staat unmittelbar für die Ansprüche ein, welche sich aus der Verantwortlichkeit seiner Beamten ergeben (Art. 15 der Staatsverfassung)."
Die Klägerin macht geltend, ohne das pflichtwidrige, schuldhafte Verhalten bernischer Beamter hätte sie den Versicherungsvertrag mit Kohler nicht abgeschlossen und hätte sich der Unfall vom 5. August 1961 nicht ereignet, so dasss sie die Versicherungsleistungen, deren Ersatz sie mit der Klage verlangt, nicht hätte erbringen müssen. Ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten kantonaler Beamter liege darin:
a) dass Kohler der Fahrzeugausweis für den gekauften Occasionswagen, dessen Bremsen und hintere Reifen zu beanstanden gewesen seien, ohne vorherige Prüfung des Betriebszustandes ausgestellt wurde;
b) dass die Kantonale Strafenkontrolle die Vorstrafen Kohlers nicht meldete und dass ihm der Lernfahrausweis erteilt wurde trotz seiner Vorstrafen sowie ungeachtet der vom Kanton Solothurn am 12. Oktober 1956 verhängten unbefristeten Ausweissperre;
c) dass am früheren Wohnort Grenchen keine Leumundserhebungen über Kohler durchgeführt wurden;
d) dass die Polizei trotz zweimaliger Anzeige des Fahrens ohne verantwortliche Begleitperson nichts unternommen habe und dass sie insbesondere Kohler nicht darüber verhört habe, nachdem sie ihn ein zweites Mal bei dieser Übertretung betroffen hatte.
Die Klägerin erhebt in erster Linie einen eigenen, direkten Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten, wobei sie sich auf den Standpunkt stellt, nach Art. 15 Abs. 2 KV und Art. 38 Abs. 4 DVG hafte der Kanton ihr unmittelbar für das rechtswidrige,
BGE 92 I 516 S. 521
schuldhafte Verhalten seiner Beamten. In zweiter Linie macht die Klägerin einen Regressanspruch geltend. Sie begründet diesen in der Klageschrift damit, dass Kohler, wenn er von den Geschädigten direkt belangt worden wäre, gestützt auf
Art. 50 ff. OR
auf den Beklagten als den ebenfalls aus Verschulden haftenden Mitverursacher hätte Rückgriff nehmen können und dass dieser Anspruch Kohlers in analoger Anwendung des
Art. 72 VVG
im Umfang der von ihr erbrachten Leistungen auf sie übergegangen sei. In der Replik begründet die Klägerin den Regressanspruch sodann damit, dass neben Kohler der Beklagte den Geschädigten aus Verschulden hafte und dass zwischen diesen Haftpflichtigen grundsätzlich echte Solidarität bestehe; gemäss
Art. 50, 51 und 149 OR
,
Art. 60 Abs. 2 und 3 SVG
und Art. 7 des mit Kohler abgeschlossenen Versicherungsvertrages könne deshalb derjenige, der geleistet hat, auf den Mitverpflichteten Regress nehmen. Ausserdem lägen Abtretungserklärungen von Geschädigten vor. Als Haftpflichtversicherer sei die Klägerin in alle gesetzlichen Ausgleichs- und Regressrechte des Versicherten (Kohler) gegen Dritte eingetreten, so dass ihr in dem vom Gericht gemäss
Art. 60 Abs. 3 SVG
festzulegenden Umfang das Rückgriffsrecht gegen den Beklagten zustehe.
C.-
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Er bestreitet, dass bernische Staatsbeamte in dieser Angelegenheit ihre Amtspflicht verletzt und dadurch der Klägerin widerrechtlich und schuldhaft Schaden zugefügt haben. Er verneint auch, dass der Klägerin ein Regressanspruch gegen ihn zustehe und dass
Art. 60 SVG
anwendbar sei, da diese Bestimmung im Jahre 1961 noch gar nicht in Kraft gestanden habe. Allfällige Ansprüche der Geschädigten gegen ihn seien im Zeitpunkt ihrer Abtretung an die Klägerin (26. und 27. August sowie 9. September 1965) verjährt gewesen. Zwischen dem beanstandeten Verhalten bernischer Beamter und dem Schaden bestehe zudem kein adaequater Kausalzusammenhang; der Schaden sei vielmehr weitgehend auf das schuldhafte, nachlässige Verhalten der Klägerin beim Abschluss des Versicherungsvertrages und anlässlich der Nichtbezahlung der Versicherungsprämien durch Kohler zurückzuführen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 42 OG
beurteilt das Bundesgericht als einzige Instanz "zivilrechtliche Streitigkeiten" zwischen einem
BGE 92 I 516 S. 522
Kanton einerseits und Privaten oder Korporationen andererseits, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert wenigstens Fr. 8000.-- beträgt. Hierbei begründet es keinen Unterschied, ob die Streitigkeiten nach der kantonalen Gesetzgebung im ordentlichen Prozessverfahren oder in einem besondern Verfahren vor besonderen Behörden auszutragen wären. Ausgenommen sind jedoch Enteignungssachen.
Im vorliegenden Fall ist die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit des Kantons Bern für ein angeblich schuldhaftes, rechtswidriges Verhalten seiner Organe bei der Ausübung öffentlich-rechtlicher Funktionen (Verkehrspolizei) streitig. Der eingeklagte Anspruch untersteht daher dem in
Art. 59 ZGB
vorbehaltenen öffentlichen Recht (
BGE 54 II 372
/73,
BGE 79 II 432
) Der in
Art. 42 OG
verwendete Begriff der "zivilrechtlichen" Streitigkeit hat indessen den Sinn behalten, den der historische Gesetzgeber ihm beilegte; er umfasst auch derartige Streitsachen öffentlich-rechtlichen Charakters (BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, S. 66;
BGE 79 II 432
,
BGE 89 I 488
Erw. 1). Die Klägerin hat das Bundesgericht im Sinne von
Art. 42 OG
"rechtzeitig" angerufen, das heisst bevor für den gleichen Streitgegenstand die kantonale Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen worden ist (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 70 N. 4;
BGE 81 I 271
Erw. 1). Der Streitwert übersteigt den Betrag von Fr. 8000.--. Das Bundesgericht kann mithin die Klage an Hand nehmen.
2.
Nach Art. 15 Abs. 2 KV und Art. 40 Abs. 3 DVG darf das Gericht der Klage gegen den Kanton Bern erst Folge geben, wenn der Kläger nachweist, dass er sich wenigstens dreissig Tage zuvor erfolglos an den Regierungsrat gewendet hat. Ob dieses kantonalrechtliche Erfordernis auch Voraussetzung für die direkte Klage beim Bundesgericht ist, kann hier wie in
BGE 32 II 184
offen bleiben, da die Klägerin es erfüllt hat.
3.
Die Klägerin stellt sich in erster Linie auf den Standpunkt, der Staat sei nicht nur der Öffentlichkeit und den einzelnen Verkehrsteilnehmern, sondern in besonderem Masse den Haftpflichtversicherern gegenüber zur Überwachung des motorisierten Verkehrs verpflichtet; der Schaden, für den sie als Haftpflichtversicherer aufgekommen sei, sei darauf zurückzuführen, dass der Beklagte diese Verpflichtungen nicht richtig erfüllt habe; er sei daher unmittelbar ihr gegenüber ersatzpflichtig geworden. Hilfsweise macht die Klägerin daneben
BGE 92 I 516 S. 523
gegen den Bekl agten Regressansprüche des Versicherten Kohler einerseits und der von ihr befriedigten Geschädigten andererseits geltend. Der Schadenersatzanspruch wie die Regressansprüche setzen voraus, dass der Beklagte durch ein widerrechtliches Verhalten bzw. durch ein ihm zuzurechnendes widerrechtliches Verhalten seiner Beamten eine adaequate Ursache für den Eintritt des Schade ns gesetzt hat. Der Beklagte bestreitet, dass diese Voraussetzung gegeben sei. Er wendet ein, abgesehen davon, dass die Strafenkontrolle dem Kantonalen Strassenverkehrsamt zwei Vorstrafen Kohlers nicht bekanntgegeben habe, hätten seine Beamten nicht fehlerhaft gehandelt; das Verhalten der Beamten sei überdies für den Eintritt des eingeklagten Schadens nicht adaequat kausal, weil die Klägerin selber sich durch ihre Nachlässigkeit beim Abschluss des Versicherungsvertrages mit Kohler und in der Behandlung des säumigen Prämienschuldners für den Schaden verantwortlich gemacht habe. Aus prozessökonomischen Gründen ist die Frage, ob den Beamten des Beklagten Fehler unterlaufen und ob diese für den eingetretenen Schaden adaequat kausal gewesen seien, vorweg zu prüfen.
4.
Der in der Strafuntersuchung beigezogene Gutachter hat festgestellt, dass sich die Bremsen und die Reifen der Hinterräder von Kohlers Wagen zur Zeit des Unfalls (am 5. August 1961) in nicht betriebssicherem Zustand befanden. Die Klägerin erblickt eine widerrechtliche Unterlassung des Beklagten darin, dass das Kantonale Strassenverkehrsamt am 15. März 1961 für den Wagen einen Fahrzeugausweis auf den Namen Kohlers ausstellte, ohne das Gefährt vorher auf seine Betriebssicherheit zu prüfen. Eine Widerrechtlichkeit läge darin bloss dann, wenn die Behörde zu einer solchen Prüfung verpflichtet gewesen wäre. Das traf nicht zu. Für die Prüfung der Motorfahrzeuge galten damals noch das MFG und die MFV. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MFG setzte die Erteilung des Fahrzeugausweises voraus, dass "die amtliche sachverständige Prüfung die Eignung des Motorfahrzeuges für den beabsichtigten Gebrauch ergeben hat". Diese Vorschrift galt aber, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, nur für die Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr (Art. 5 Abs. 1 MFG), nicht dagegen für die Übertragung des Ausweises auf einen andern Halter, die in Art. 8 MFG geregelt war, der seinerseits keine Prüfung vorsah. Wohl wurde am 15. März 1961 nicht einfach der bisherige
BGE 92 I 516 S. 524
Fahrzeugausweis auf Kohler überschrieben, sondern ein neuer Ausweis auf seinen Namen ausgestellt. Das ändert aber nichts daran, dass das Fahrzeug nicht erst damit zum Verkehr zugelassen wurde, sondern dass die neue Urkunde lediglich zu dem Zweck ausgefertigt wurde, um die bestehende Bewilligung auf den neuen Halter zu übertragen. Der Sache nach handelte es sich somit um eine Übertragung im Sinne des Art. 8 MFG, für die keine neue Prüfung vorgeschrieben ist.
Art. 8 MFV
räumte der Behörde die Befugnis ein - machte es ihr aber nicht zur Pflicht -, "die Motorfahrzeuge... jederzeit auf ihre Eignung zum Verkehr nachzuprüfen"; nach "Verkehrsunfällen" war hingegen "stets" eine Nachprüfung vorzunehmen. Die Klägerin behauptet nicht, dass der Wagen Kohlers (vor dem Unfall vom 5. August 1961) an einem Verkehrsunfall beteiligt gewesen sei, der die Pflicht zur Nachprüfung nach sich gezogen hätte. Zwar bestand damals im Kanton Bern die Übung, jeden Wagen alle drei bis fünf Jahre nachzuprüfen. Ob diese Verwaltungsübung eine Pflicht der Behörde begründet habe, deren Verletzung als Widerrechtlichkeit zu würdigen wäre, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass der von Kohler erworbene Wagen in den Monaten Januar/März 1958 letztmals geprüft worden war. Bei der Übertragung des Fahrzeugausweises am 15. März 1961 lag diese Kontrolle ungefähr drei Jahre, beim Unfall vom 5. August 1961 einige Monate mehr zurück. Die Frist, innerhalb derer jeder Wagen gemäss Verwaltungsübung einer Nachprüfung unterzogen wurde, war damit noch nicht überschritten.
Die Klägerin hält dem entgegen, der Sinn des Gesetzes sei der, dass die Betriebssicherheit eines Motorfahrzeuges immer dann nachzuprüfen sei, wenn die Behörde Zweifel haben müsse, ob es weiterhin zum Verkehr zuzulassen sei, wie das
Art. 13 Abs. 3 SVG
jetzt ausdrücklich vorschreibt. Das dürfte an sich zutreffen. Im vorliegenden Falle steht jedoch nicht fest, dass sich der Behörde solche Zweifel hätten aufdrängen müssen. Da Art. 8 MFG für die Übertragung des Fahrzeugausweises keine neue Prüfung des Fahrzeugs vorsah, war die Behörde nicht gehalten, sich bei der Anmeldung des Halterwechsels den Wagen vorführen zu lassen oder sich über dessen betrieblichen Zustand und die Anzahl der zurückgelegten Kilometer zu erkundigen. Auf welchem anderen Wege der Behörde zur Kenntnis gekommen wäre, dass Kohlers Wagen bereits etwa
BGE 92 I 516 S. 525
100'000 km zurückgelegt hatte und sein Zustand zu Beanstandungen Anlass gab, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Der vorausgegangene zweimalige Halterwechsel ist für sich allein genommen noch kein Anzeichen für eine mangelnde Betriebssicherheit. Der Beklagte macht zutreffend geltend, dass er nicht für die Perfektion seines Verwaltungsapparates einzustehen hat, sondern nur dafür, dass die gesetzlichen Obliegenheiten erfüllt werden. Eine Verletzung dieser Pflichten ist hinsichtlich der Prüfung der Betriebssicherheit von Kohlers Fahrzeug nicht nachgewiesen.
5.
Die Klägerin erblickt eine weitere Pflichtwidrigkeit darin, dass Kohler der Lernfahrausweis erteilt wurde. Bei der Vornahme dieser Amtshandlung standen hierfür noch die einschlägigen Bestimmungen des MFG und der MFV in Kraft. Laut
Art. 31 Abs. 2 Satz 2 MFV
konnte der Lernfahrausweis "aus den gleichen Gründen verweigert werden wie der Führerausweis". Dieser durfte nach Art. 9 Abs. 2 MFG nicht erteilt werden an Personen, die "aus (andern) durch die Bewilligungsbehörde zu überprüfenden Gründen nicht geeignet erscheinen". Bei dieser Prüfung konnte die Behörde nach
Art. 33 Abs. 3 MFV
"im Einzelfall die Beibringung eines Leumundszeugnisses und eines Strafregisterauszugs veranlassen".
a) Die Klägerin wirft den Polizeiorganen des Beklagten in erster Linie vor, die 1956 im Kanton Solothurn verhängte Ausweissperre missachtet zu haben. Der Entzug des Führerausweises ist für die ganze Schweiz wirksam (Art. 13 Abs. 5 MFG). Gleiches gilt für die Ausweissperre, welche die künftige Erteilung eines Ausweises ausschliesst. Die Polizeiorgane des Kantons Bern, die Kohler entgegen der vom Kanton Solothurn verhängten Ausweissperre einen Lernfahrausweis ausstellten, handelten objektiv widerrechtlich. Es fragt sich nur, ob ihnen in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei. Nach
Art. 80 MFV
hatten die Kantone der Polizeiabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes die Verfügungen über den Führerausweisentzug "fortlaufend" zu melden; war der Entzug für mehr als drei Monate ausgesprochen worden, so hatte die Polizeiabteilung die Massnahme allen Kantonen bekanntzugeben. Diese Vorschrift war auch auf die Ausweissperre anwendbar. Das Sperrkartenregister der Eidg. Polizeiabteilung enthält die Sperrkarte Kohlers, was zeigt, dass der Kanton Solothurn dieser Amtsstelle die über Kohler verhängte
BGE 92 I 516 S. 526
Sperre gemeldet hatte und dass die betreffende Karte an die Kantone versandt wurde. Der Beklagte bestreitet indessen, dass seine Organe diese Karte erhielten. Da die Sperrkarten den Kantonen uneingeschrieben und in Sammelsendungen zugestellt werden, ist es möglich, dass eine Sendung den Adressaten entweder gar nicht oder nur unvollständig erreicht, sei es, dass beim Versand nicht genügend Ausfertigungen einer Karte vorliegen und das bei der Verteilung nicht bemerkt wird, sei es, dass versehentlich zwei gleiche Sperrkarten in denselben Umschlag geraten und die entsprechende Karte deswegen in einem andern Umschlag fehlt. Mit den von der Klägerin genannten Beweismitteln lässt sich wohl aufzeigen, dass die Eidg. Polizeiabteilung die Kohler betreffende Sperrkarte an die Kantone versandte und dass keiner der andern Adressaten mehr als zwei Ausfertigungen erhielt; es lässt sich damit indessen nicht mit Sicherheit nachweisen, dass die Karte der bernischen Behörde tatsächlich zuging. Diese Beweise sind daher, weil unerheblich, nicht abzunehmen. Richtig ist, dass der Polizeidirektor des Kantons Bern in einem Brief vom 3. Mai 1962 an das Richteramt Büren neben andern Möglichkeiten auch jene nicht ausschloss, dass die Sperrkarte für Kohler beim bernischen Strassenverkehrsamt verloren gegangen oder irrtümlicherweise entfernt oder vernichtet worden sein könnte. Da er sich dabei auf nichts Bestimmtes festlegte, widersprechen seine Ausführungen der Prozessbehauptung des Beklagten nicht, wonach er die Sperrkarte nicht erhalten habe. Der Brief bildet jedenfalls keinen Grund zur Umkehrung der Beweislast.
b) Gestützt auf
Art. 33 Abs. 3 MFV
holte das Strassenverkehrsamt des Kantons Bern bei Behandlung von Kohlers Gesuch um Erteilung eines Lernfahrausweises einen Strafregisterauszug und einen Leumundsbericht ein. Die Klägerin legt den Organen des Beklagten zur Last, in fahrlässiger Weise einen unrichtigen Strafregisterauszug ausgestellt und die Leumundserhebungen auf einige wenige Monate beschränkt zu haben.
Der Auszug, den die Strafenkontrolle des Kantons Bern am 8. März 1961 ausstellte, meldet, dass das Strafregister des Heimatkantons Bern über Kohler keine Vorstrafen verzeichne. Diese Auskunft ist falsch: In Wirklichkeit waren damals drei Vorstrafen Kohlers eingetragen: 1954 war er wegen Unzucht mit Kindern zu vierzehn Tagen Einschliessung, bedingt mit
BGE 92 I 516 S. 527
einer Probezeit von einem Jahr, verurteilt worden; 1956 war er wegen Übertretung des MFG mit Fr. 100.-- gebüsst worden; 1959 war er wegen Betruges, Veruntreuung und Urkundenfälschung zu drei Wochen Gefängnis, bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. Die Eintragung der ersten Strafe war allerdings bereits am 25. April 1956 gelöscht worden. Gemäss
Art. 363 Abs. 3 StGB
durfte diese Vorstrafe daher dem Strassenverkehrsamt nicht gemeldet werden. Die Kantonale Strafenkontrolle handelte insoweit nicht pflichtwidrig. Anders verhält es sich hinsichtlich der zwei weiteren Vorstrafen aus den Jahren 1956 und 1959, die dem Strassenverkehrsamt hätten mitgeteilt werden müssen. Die Kantonale Strafenkontrolle hat in dieser Beziehung fahrlässig ihre Pflichten verletzt.
Zu untersuchen bleibt, ob die Meldung dieser Vorstrafen notwendigerweise zur Verweigerung des Lernfahrausweises geführt hätte. Der Beklagte bestreitet das. Die betreffenden Vorstrafen erfüllten keinen der zwingenden Ausschlussgründe des Art. 9 MFG (Urteilsunfähigkeit; körperliche oder geistige Gebrechen, welche die sichere Führung des Fahrzeuges behindern; Trunksucht). Es wäre lediglich zu prüfen gewesen, ob darin nicht im Sinne des zweiten Absatzes dieser Bestimmung ein "anderer Grund" liege, der den Gesuchsteller als zur Führung eines Motorfahrzeuges "nicht geeignet erscheinen" lasse. Die Bewilligungsbehörde hätte hierüber nach freiem Ermessen zu befinden gehabt. Bei der Handhabung dieses Ermessens wäre massgeblich in Betracht gefallen, dass nicht der in der strafbaren Handlung zum Ausdruck kommende sittliche Mangel als solcher, sondern nur die daraus zu ziehenden Rückschlüsse auf die Führereignung und die damit verbundenen Gefahren für die Verkehrssicherheit die Verweigerung des Ausweises zu rechtfertigen vermögen (STREBEL, N. 33 zu Art. 9 MFG; PFISTER, Die administrativen Bestimmungen und die Verkehrsregeln des Strassenverkehrsgesetzes, ZBl 1961 S. 286; VEBB 31 Nr. 101 Erw. 1; SJZ 61 S. 91 Nr. 45a; vgl. jetzt
Art. 14 Abs. 2 lit. d SVG
). Die im Jahre 1956 ausgefällte Busse von Fr. 100.-- betraf zwar eine Übertretung von Verkehrsvorschriften und liess darum an sich Rückschlüsse darauf zu, ob Kohler sich als Motorfahrzeugführer eigne. Die Zuwiderhandlung lag jedoch mehr als vier Jahre zurück und war von Kohler im Alter von 19 Jahren begangen worden. Wäre es bei
BGE 92 I 516 S. 528
dieser Vorstrafe geblieben, so hätte sich darum die Auffassung vertreten lassen, Kohler sei inzwischen reifer und verantwortungsbewusster geworden, so dass ihm der Lernfahrausweis erteilt werden dürfe. Bevor die Bewilligungsbehörde diesen Schluss zog, hätte sie sich allerdings mit der weiteren, im Jahre 1959 ausgesprochenen Strafe auseinanderzusetzen gehabt. Diese betraf Vermögensdelikte nicht sonderlich schwerer Art, die für sich allein genommen kaum Rückschlüsse auf die Eignung Kohlers als Motorfahrzeugführer zuliessen. Immerhin hätte die Tatsache der zweimaligen Verurteilung Kohlers innerhalb verhältnismässig kurzer Zeit Zweifel an seinen Charaktereigenschaften aufkommen lassen müssen. Die beiden Vorstrafen hätten deshalb zwar noch nicht ohne weiteres zur Verweigerung des Lernfahrausweises führen müssen; die Behörde hätte sich jedoch bei Kenntnis derselben veranlasst sehen müssen, vor der Erteilung der Bewilligung Vorleben und Charakter des Gesuchstellers durch Leumundserhebungen näher abzuklären.
c) Auch ohne die Vorstrafen zu kennen, holte das Kantonale Strassenverkehrsamt in Biel, dem damaligen Wohnort Kohlers, einen Leumundsbericht über ihn ein. Dieser wurde am 4. März 1961 erstattet und lautet: "Der Gesuchsteller hat bisher zu keinen Klagen Anlass gegeben. Sein Leumund kann nicht beanstandet werden." Da Kohler erst seit dem 5. November 1960, also seit vier Monaten, in Biel wohnte, vermochte dieser Bericht offensichtlich nicht viel zu besagen. Die Klägerin wirft deshalb dem Beklagten vor, das Kantonale Strassenverkehrsamt hätte sich nicht mit Leumundserhebungen in Biel begnügen dürfen, sondern solche "mindestens über die letzten sechs Jahre, das heisst vom 18. Altersjahr an" in Grenchen als dem früheren Wohnort Kohlers vornehmen müssen. Wäre das geschehen, so wären schon damals die nach dem Unglück vom 5. August 1961 erhaltenen Auskünfte erteilt worden, was zur Folge gehabt hätte, dass die Bewilligungsbehörde entweder den Lernfahrausweis verweigert oder weitere Nachforschungen angestellt hätte, die ihrerseits zur Verwelgerung geführt hätten.
Bei der Beurteilung dieses Einwandes ist davon auszugehen, dass die Behörde nach
Art. 33 Abs. 3 MFV
im Einzelfall die Beibringung von Leumundszeugnissen verlangen "kann". Das Gesetz stellte die Vornahme dieser Beweismassnahme somit in das Ermessen der Behörde. Missbraucht die Behörde ihr
BGE 92 I 516 S. 529
Ermessen, so stellt das eine Widerrechtlichkeit im Sinne des Art. 38 DVG dar, für welche der Kanton bei absichtlicher oder fahrlässiger Begehung einzustehen hat. Ein Ermessensmissbrauch ist auf diesem Gebiete allerdings nicht leichthin anzunehmen. Es ist zu berücksichtigen, dass die kantonalen Bewilligungsbehörden ausserordentlich zahlreiche Gesuche um Erteilung von Lernfahrausweisen zu behandeln haben. Hätten sie, wie die Klägerin voraussetzt, in jedem Falle ihre Leumundserhebungen über sechs Jahre auszudehnen, so würde der Verwaltungsapparat überfordert und die Ausstellung der Lernfahrausweise übermässig verzögert. Es kann deshalb nicht die Rede davon sein, dass die Bewilligungsbehörden allgemein derartig umfangreiche Leumundserhebungen zu veranlassen hätten. Ausnahmsweise kann sich das indessen dennoch als erforderlich erweisen. Hätte das Kantonale Strassenverkehrsamt die beiden Vorstrafen Kohlers gekannt, so hätte es nach dem in lit. b Gesagten sich ernstlich fragen müssen, ob er die Charaktereigenschaften besitze, die von einem Motorfahrzeugführer verlangt werden müssen. Der in Biel eingeholte, sich lediglich über vier Monate erstreckende Leumundsbericht wäre infolge seiner geringen Aussagekraft nicht geeignet gewesen, diese Bedenken zu zerstreuen. Das Strassenverkehrsamt hätte sich bei dieser Sachlage der Einsicht nicht verschliessen können, dass es angezeigt sei, die Leumundserhebungen wenn auch nicht auf sechs Jahre, so doch zumindest um einiges über die letzten vier Monate hinaus auszudehnen und in Grenchen, dem früheren Wohnort Kohlers, Erkundigungen einzuziehen. Dabei hätte das Strassenverkehrsamt aller Voraussicht nach die Auskunft erhalten, die in dem nach dem Unfall in Grenchen eingeholten Leumundsbericht vom 7. September 1961 enthalten sind. Der Bericht erwähnt die im Jahre 1956 verhängte Ausweissperre nicht, er weist aber auf eine neue Strafsache hin: Am 21. Dezember 1960 war Kohler vom Amtsgericht Solothurn-Lebern wegen Unzucht mit Kindern zu acht Monaten Gefängnis verurteilt worden. Dieses Urteil war anfangs März 1961 allerdings noch nicht rechtskräftig, da Kohler das Obergericht angerufen und seine Appellation erst am 18. September 1961 zurückgezogen hat. Die Tatsache der erstinstanzlichen Verurteilung allein genügte jedoch, um die gegen Kohler bestehenden Bedenken zu verstärken. Es hätte unter diesen Umständen nahe gelegen, mit der Erteilung des Lernfahrausweises
BGE 92 I 516 S. 530
bis zum Abschluss des neuen Strafverfahrens zuzuwarten.
d) Zusammengefasst ergibt sich, dass zwar nicht das Kantonale Strassenverkehrsamt, wohl aber die Kantonale Strafenkontrolle im Zusammenhang mit der Erteilung des Lernfahrausweises an Kohler fahrlässig widerrechtlich handelte. Der Beklagte hat nach Art. 15 KV und Art. 38 DVG für diese Fehlleistung einzustehen. Ob sie für den Eintritt des Schadens adaequat kausal gewesen sei, ist eine andere Frage, die in Erw. 7 und 8 zu behandeln sein wird.
6.
Die Klägerin wirft dem Beklagten ferner vor, seine Polizeiorgane seien nicht oder nicht zureichend dagegen eingeschritten, dass Kohler seinen Wagen ohne verantwortliche Begleitperson führte.
a) Nach Art. 14 MFG ist der Lernfahrausweis lediglich für "Fahrten zu Lernzwecken" gültig. Der Inhaber eines solchen Ausweises darf diese Fahrten nur in Begleitung einer Person ausführen, die den Führerausweis besitzt und damit die Verantwortlichkeit als Führer trägt. Gemäss Art. 13 MFG kann der Führerausweis zeitweilig oder dauernd entzogen werden, wenn der Führer in verkehrsgefährdender Weise Verkehrsvorschriften schwer verletzt oder wiederholt übertreten hat. Diese Vorschrift betrifft alle Arten von Ausweisen, insbesondere auch den Lernfahrausweis (STREBEL, N. 2 zu Art. 13 MFG).
Nach seinen eigenen, unbestrittenen Angaben fuhr Kohler ungefähr 10'000 km mit dem Wagen. Sehr oft hatte er dabei keine Begleitperson bei sich. Der Beklagte behauptet zu Unrecht, seinen Polizeiorganen sei das nicht bekannt gewesen: Der Filialleiter von Kohlers Arbeitgeberin, Münzenmeier, meldete der Polizei am 13. April 1961, jener führe seinen Wagen "öfters" ohne Begleitperson; er berichtete der Polizei sodann am 10. Juli 1961, Kohler komme "stets" mit dem Wagen ohne Begleitperson zur Arbeit und führe auch zur Nachtzeit Fahrten ohne verantwortlichen Begleiter aus. Die Polizei sah sich durch diese Meldungen einzig zur Anordnung einer Überwachung Kohlers veranlasst. Dieses Verhalten ist unverständlich und pflichtwidrig. Zweimal war der Polizei von Seiten eines Dritten, dessen Angaben Anspruch auf eine gewisse Glaubwürdigkeit erheben konnten, nicht bloss eine gelegentliche, sondern eine fortgesetzte Übertretung des Art. 14 MFG gemeldet worden, die nach Art. 58 MFG eine Busse bis zu Fr. 200.-- und, falls
BGE 92 I 516 S. 531
der Tatbestand als schwerer Fall zu bewerten war, eine Gefängnisstrafe bis zu zehn Tagen oder eine Busse bis zu Fr. 500.-- nach sich ziehen konnte. Die Polizei war daher gehalten, die von Kohlers Vorgesetztem erhaltenen Meldungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, insbesondere Kohler deswegen zur Rede zu stellen und ihn gegebenenfalls dem Untersuchungsrichter zu verzeigen (Art. 70 und 71 der bernischen StV). Der Einwand, Münzenmeier habe keine förmliche Anzeige im Sinne von
Art. 70 StV
einreichen, sondern die Polizei nur veranlassen wollen, Kohler zu überwachen, hält einer Prüfung nicht stand. Was Münzenmeier mit seinen Meldungen bezweckte, ist strafprozessual unerheblich; massgebend ist, dass seine Mitteilungen genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Straftatbestandes boten. Die Polizeibehörden hatten demzufolge von Amtes wegen im genannten Sinne einzuschreiten; sie durften sich nicht mit einer blossen Überwachung Kohlers begnügen.
b) Die Polizei scheint übrigens die Überwachung erst auf die zweite Meldung hin angeordnet oder anfänglich nachlässig durchgeführt zu haben, hätte es doch andernfalls kaum drei Monate gedauert, bis Kohler bei der angezeigten Übertretung betroffen wurde. Am 18. Juli 1961 betraf die Polizei ihn beim Fahren ohne verantwortliche Begleitperson und verzeigte ihn beim Untersuchungsrichter des Amtsbezirkes Biel. Das Richteramt II von Biel büsste Kohler deswegen am 7. August 1961, also nach dem Unfall, mit Fr. 30.-. Am 4. August 1961, dem Vortage des Unglücks, betraf die Polizei Kohler erneut beim Fahren ohne verantwortliche Begleitperson und verzeigte ihn deswegen beim Untersuchungsrichter. Wie schon beim ersten Mal, wurde Kohler der Lernfahrausweis nicht abgenommen. Der Beklagte versucht dies mit dem Hinweis auf Art. 13 Abs. 2 Satz 2 MFG zu rechtfertigen, wonach der Führerausweis entzogen werden kann, wenn dessen Inhaber "in verkehrsgefährdender Weise Verkehrsvorschriften schwer verletzt oder wiederholt übertreten hat"; diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt gewesen, da Kohler nach den Feststellungen der Polizei keine Verkehrsregeln verletzt und den Verkehr nicht gefährdet habe. Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden.
aa) Der Begriff der "Verkehrsvorschriften" (prescriptions sur la circulation, disposizioni sulla circolazione), den Art. 13
BGE 92 I 516 S. 532
Abs. 2 Satz 2 MFG verwendet, deckt sich nicht mit dem der "Verkehrsregeln" (règles de circulation, norme per la circolazione) des zweiten Abschnittes (Art. 17-36) des Gesetzes. Unter den "Verkehrsvorschriften" sind vielmehr alle Bestimmungen des MFG, der MFV und anderer Ausführungserlasse zu verstehen, die darauf abzielen, die Sicherheit des Motorfahrzeugverkehrs zu gewährleisten (STREBEL, N. 29 zu Art. 13 MFG). Dazu gehört auch das in Art. 14 MFG ausgesprochene Verbot, Lernfahrten ohne verantwortliche Begleitperson vorzunehmen.
bb) Eine "Verkehrsgefährdung" im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 2 MFG liegt nicht nur vor, wenn der Führer eine konkrete Unfallgefahr geschaffen, das heisst tatsächlich und unmittelbar eine Person oder Sache gefährdet hat; es genügt, dass nach den Umständen eine derartige Gefährdung möglich war (abstrakte Gefahr; STREBEL, N. 32 zu Art. 13 MFG; vgl. auch FRICK, Die Praxis in Administrativverfahren bei Führerausweisentzügen, SJZ 61 S. 53). Ein Motorfahrzeugführer, der noch keine Fahrprüfung bestanden hat und entgegen der gesetzlichen Vorschrift ständig ohne verantwortliche Begleitperson umherfährt, setzt die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs erheblich in Gefahr.
cc) Die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Satz 2 MFG waren mithin vollzählig gegeben. Richtig ist, dass diese Bestimmung als "Kann"-Vorschrift dem Ermessen der Behörden einen gewissen Spielraum belässt. Ergibt sich indessen, dass die Schwere oder die Wiederholung der Übertretung den Schluss rechtfertigen, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wäre, wenn dem fehlbaren Fahrzeugführer die Erlaubnis zum Fahren weiterhin belassen würde, so muss nach pflichtgemässem Ermessen der Entzug des Führerausweises angeordnet werden (STREBEL, N. 21 zu Art. 13 MFG). Das traf hier zu: Als die Polizei Kohler am 4. August 1961 zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit beim Fahren ohne Begleitperson betraf, stand fest, dass er sich durch eine polizeiliche Intervention und die Verzeigung beim Untersuchungsrichter nicht von der Missachtung des Gesetzes und einer Gefährdung des Verkehrs abhalten lasse; es war deshalb auch weiterhin mit einem solchen Verhalten zu rechnen (STREBEL, N. 28 zu Art. 13 MFG). Ein Entzug des Führerausweises war damit nicht mehr zu umgehen. Daran vermag nichts zu ändern, dass die Empfehlungen der
BGE 92 I 516 S. 533
Internationalen Kommission für den Strassenverkehr vom 9. Juli 1955 die wiederholte Übertretung der Vorschrift, dass Lernende von einer verantwortlichen Person begleitet sein müssen, nicht unter den Tatbeständen aufführt, die den sofortigen Entzug des Führerausweises zur Folge haben. Diese Richtlinien zählen die Fälle der sofortigen Beschlagnahme des Ausweises nicht erschöpfend, sondern nur beispielsweise ("namentlich") auf; sie entbinden die Behörde nicht von der Pflicht, den Entzug auch in andern Fällen auszusprechen, wenn das im Sinne des Gesetzes liegt. Die Polizeidirektion des Kantons Bern hat das später selber zum Ausdruck gebracht, indem sie in Ziff. 4 der Verfügung vom 22. Januar 1962 angeordnet hat, dass "Inhabern von Lernfahrausweisen, die ohne Begleitperson gefahren sind,... der Ausweis ausnahmslos für ein Jahr zu entziehen" ist. Diese Auslegung und Anwendung des Gesetzes drängte sich angesichts der Umstände schon im Falle Kohler auf.
7.
Die Organe der Beklagten haben nach dem in Erw. 5 und 6 Gesagten ihren Amtspflichten insofern fahrlässig nicht genügt, als die Kantonale Strafenkontrolle in ihrem Bericht an das Kantonale Strassenverkehrsamt zwei Vorstrafen Kohlers nicht erwähnte und die Polizei davon absah, ihm den Lernfahrausweis abzunehmen, als sie ihn am 4. August 1961 zum zweiten Mal beim Fahren ohne verantwortliche Begleitperson betraf. Zu prüfen ist, ob die Verwaltung mit diesen Fehlleistungen eine rechtserhebliche Ursache für den Eintritt des Schadens setzte, was die Klägerin behauptet, der Beklagte aber bestreitet.
Hätte das Kantonale Strassenverkehrsamt von den beiden im kantonalen Strafregister eingetragenen Vorstrafen Kohlers Kenntnis erhalten, so hätte es, wie in Erw. 5 dargelegt, sich zu eingehenderen Leumundserhebungen veranlasst gesehen. Das Ergebnis dieser Erkundigungen hätte es bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit veranlasst, mit der Erteilung des Lernfahrausweises bis zur Erledigung des neuen Strafverfahrens gegen Kohler zuzuwarten. Wäre das geschehen, so wäre Kohler am 5. August 1961, als sich der Unfall ereignete, noch nicht im Besitze des Ausweises gewesen. Entgegen der Darstellung der Klägerin hätte das allerdings nicht zur Folge gehabt, dass sie mit Kohler überhaupt keinen Versicherungsvertrag abgeschlossen hätte. Am 3. März 1961 stellte Kohler ihr den Versicherungsantrag.
BGE 92 I 516 S. 534
Am nächsten Tag kam er bei der Polizei um die Erteilung des Lernfahrausweises ein. Die Klägerin genehmigte den Versicherungsantrag am 29. März 1961 mit Wirkung ab 15. März. Sie begnügte sich dabei mit der im Versicherungsantrag enthaltenen Erklärung Kohlers, der Führerausweis sei ihm nie entzogen worden. Erkundigungen darüber, ob er überhaupt je einen solchen Ausweis erhalten habe, zog sie nicht ein. Am 15. März 1961 stellte das Kantonale Strassenverkehrsamt Kohler den Lernfahrausweis aus. Hätte es den Ausgang des neuen Strafverfahrens gegen Kohler abgewartet oder auch nur umfassendere Leumundserhebungen angeordnet, so hätte Ende März 1961 noch keine Verfügung über die Erteilung des Lernfahrausweises vorgelegen. Selbst unter der unwahrscheinlichen Voraussetzung, dass Kohler die Klägerin sofort von der Verweigerung der Bewilligung verständigt hätte, wäre es deshalb am 29. März 1961 zur Genehmigung des Versicherungsantrages gekommen.
Es kann sich somit lediglich fragen, ob Kohler im Falle der Verweigerung des Lernfahrausweises oder des Entzuges desselben die Unglücksfahrt unterlassen hätte. Wohl spricht die Lebenserfahrung im allgemeinen dafür, dass der Bürger die an ihn ergangenen behördlichen Verfügungen beachtet und dass er, wenn ihm der Führer- oder Lernfahrausweis verweigert oder entzogen worden ist, während der Dauer dieser Massnahme kein Motorfahrzeug mehr führt. Die Charaktereigenschaften Kohlers lassen jedoch Zweifel daran aufkommen, ob dieser Schluss auch für ihn gelte. Wie wenig er sich durch ein gesetzliches Verbot und durch das Einschreiten der Polizei beeindrucken lässt, bekundete er schon dadurch, dass er während fünf Monaten häufig Fahrten ohne verantwortliche Begleitperson ausführte und dass er sich auch durch die Verzeigung beim Untersuchungsrichteramt nicht hiervon abhalten liess; seine Rücksichtslosigkeit trat vollends in der Fahrt zutage, die zum Unglück vom 5. August 1961 führte. Es ist daher ungewiss, ob er sich nicht über die Verweigerung oder den Entzug des Lernfahrausweises hinweggesetzt und trotzdem an jenem Tag seinen Wagen geführt hätte. Aus den im Folgenden zu erörternden Gründen braucht indessen nicht näher auf diese Frage eingegangen zu werden.
8.
Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe den ihr entstandenen Schaden ausschliesslich ihrer eigenen Unvorsichtigkeit
BGE 92 I 516 S. 535
beim Abschluss des Versicherungsvertrages und ihrer Nachlässigkeit gegenüber dem in Verzug befindlichen Prämienschuldner Kohler zuzuschreiben; durch dieses Verhalten werde der Kausalzusammenhang zwischen allfälligen Fehlern bernischer Beamter und dem Schadenseintritt unterbrochen. Die Klägerin bestreitet, Fehler begangen zu haben; sie hält zudem dafür, dass das ihr zur Last gelegte Verhalten nicht geeignet wäre, den Kausalzusammenhang zu unterbrechen.
a) Wird die Prämie zur Verfallszeit oder während der im Vertrage eingeräumten Nachfrist nicht entrichtet, so ist der Schuldner laut
Art. 20 VVG
unter Anordnung der Säumnisfolgen schriftlich aufzufordern, binnen vierzehn Tagen, vom Versand der Mahnung an gerechnet, zu zahlen (Abs. 1); bleibt die Mahnung ohne Erfolg, so ruht die Leistungspflicht des Versicherers vom Ablauf der Mahnfrist an (Abs. 3). Nach
Art. 68 Abs. 2 SVG
(der am 1. Januar 1960 in Kraft getreten, auf den vorliegenden Fall also anwendbar ist) hat der Versicherer das Aussetzen und Aufhören der Versicherung der Behörde zu melden; die Wirkungen treten aber, sofern die Versicherung nicht vorher durch eine andere ersetzt wurde, gegenüber Geschädigten erst ein, wenn der Fahrzeugausweis und die Kontrollschilder abgegeben sind, spätestens jedoch sechzig Tage nach Eingang der Meldung des Versicherers. Die Behörde hat nach Eingang dieser Meldung den Fahrzeugsausweis und die Kontrollschilder "unverzüglich" einzuziehen (vgl. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung über Haftpflicht und Versicherungen im Strassenverkehr vom 20. November 1959). Der Versicherer hat es mithin in der Hand, durch rechtzeitiges Vorgehen gegen den mit der Prämienzahlung säumigen Versicherten und sofortige Meldung des Aussetzens oder Aufhörens der Versicherung seine Haftung gegenüber Geschädigten binnen längstens sechzig Tagen nach Ablauf der Mahnfrist dahinfallen zu lassen.
Nach dem Versicherungsvertrag, den Kohler mit der Klägerin schloss, war die Jahresprämie von Fr. 535.70 in vierteljährlichen Raten zu entrichten. Die erste Rate von Fr. 144.70 war bei Beginn der Versicherung am 15. März 1961 fällig und innert zehn Tagen, also bis zum 25. März 1961, zu bezahlen. Kohler blieb schon diese erste Rate schuldig. Die Klägerin hätte ihn daher vom 26. März 1961 an im Sinne von
Art. 20 VVG
(und Art. 27 der Police) mahnen und ihm eine Zahlungsfrist
BGE 92 I 516 S. 536
von vierzehn Tagen ansetzen sollen; wäre diese Frist unbenützt abgelaufen, so hätte sie das der Behörde zu melden gehabt, was zur Einziehung des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder geführt hätte. Die Klägerin hätte von der Einziehung des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder an, längstens aber nach Ablauf von sechzig Tagen von der Erstattung ihrer Meldung an, den Geschädigten nicht mehr gehaftet. Statt auf diese Weise vorzugehen, hat sie zugewartet, bis auch die zweite Vierteljahresrate fällig und die darauf bezügliche zehntägige Zahlungsfrist am 25. Juni 1961 unbenützt abgelaufen war. Erst jetzt, am 26. Juni 1961, mahnte sie Kohler erstmals, und zwar lediglich für die bereits im März 1961 verfallene erste Vierteljahresrate. Kohler schenkte dieser Mahnung keine Beachtung und liess die ihm im Sinne von
Art. 20 VVG
angesetzte vierzehntägige Frist unbenützt verstreichen. Als diese Frist am 10. Juli 1961 abgelaufen war, wartete die Klägerin bis zum 31. Juli, also weitere drei Wochen, zu, bis sie die ihr gemäss
Art. 68 Abs. 2 SVG
obliegende Meldung erstattete. Einen triftigen Grund für ihr übermässiges Zögern vermag sie nicht anzugeben. Da der von ihr eingeholte Bericht der Auskunftei Dun die finanziellen Verhältnisse Kohlers als "bescheiden" bezeichnet hatte, hätte die Klägerin allen Anlass gehabt, schon mit der Mahnung nicht bis nach dem Verfall der zweiten Vierteljahresrate zuzuwarten. (Den Einwand, die Behörde sei ihrerseits nach Erhalt der Meldung des Versicherers vom 31. Juli 1961 mit der Einziehung des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder säumig geworden, hat die Klägerin nach Einsicht in die Belege zu Recht fallen lassen).
b) Hätte die Klägerin sich nicht dermassen passiv verhalten und hätte sie insbesondere, nachdem sie Kohler endlich am 26. Juni 1961 gemahnt hatte und auch dieser Schritt fruchtlos geblieben war, nicht nochmals drei Wochen mit der Meldung an das Strassenverkehrsamt zugewartet, dann wären Kohler der Fahrzeugausweis und die Kontrollschilder lange vor dem 5. August 1961, an dem sich das Unglück ereignete, entzogen worden. Da die Klägerin der Ansicht ist, dass schon der Entzug des Lernfahrausweises Kohler von weiteren Fahrten abgehalten hätte, muss sie erst recht gelten lassen, dass die Einziehung des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder diesen Erfolg gehabt hätte. Es ist selbst für einen völlig verantwortungslosen, unverfrorenen Menschen wie Kohler nicht
BGE 92 I 516 S. 537
dasselbe, ob er ohne Fahrausweis oder ohne Kontrollschilder fährt. Im zweiten Falle sind die Hemmungen ungleich grösser; denn im Unterschied zum Fahren ohne Ausweis fällt es sofort auf, wenn einem Wagen die Kontrollschilder fehlen, so dass der Täter nicht damit rechnen kann, unentdeckt zu bleiben. Kohler fuhr am Unfalltag mit seinem Wagen nach Neuenburg. Auf der Rückfahrt nach Grenchen ereignete sich das Unglück zwischen Biel und Pieterlen. Wäre er ohne Kontrollschilder gefahren, so hätte die Polizei ihn zweifellos im Verlaufe dieser Fahrt gestellt, bevor sich auf der Rückfahrt der Unfall ereignete. Da Kohler fünf Jahre zuvor ein Motorrad mit gefälschten Kontrollschildern geführt hatte, wäre es allerdings nicht ganz ausgeschlossen gewesen, dass er erneut versucht hätte, die entzogenen Kontrollschilder durch gefälschte zu ersetzen. Hätte er das getan, so hätte die Polizei, als sie ihn am 4. August 1961 anhielt, zweifellos den Wagen sichergestellt, so dass es am folgenden Tage nicht zur Unglücksfahrt gekommen wäre. Ohne die Säumnis der Klägerin gegenüber dem in Verzug befindlichen Prämienschuldner Kohler wäre der Schaden demnach nicht eingetreten. Da dem so ist, braucht nicht untersucht zu werden, ob die Klägerin überdies schon durch ein unvorsichtiges Vorgehen beim Abschluss des Versicherungsvertrages mit Kohler an die Entstehung des Schadens beigetragen habe.
c) Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte haben somit durch ihre mangelnde Sorgfalt Ursachen gesetzt, ohne die sich der Unfall vom 5. August 1961 nicht ereignet hätte und kein Schaden eingetreten wäre. In Würdigung aller Umstände erscheint der Kausalzusammenhang zwischen der Säumigkeit der Klägerin und dem Schadenereignis aber viel unmittelbarer und enger als derjenige zwischen den Fehlleistungen der Behörde und dem Unfall, so dass diese letztere Kausalität in den Hintergrund tritt und als inadaequat erscheint (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Bd. I S. 94 ff.; KAUFMANN, Die Verantwortlichkeit der Beamten und die Schadenersatzpflicht des Staates in Bund und Kantonen, ZSR 72 S. 340 a). Besteht aber dergestalt ein adaequater Kausalzusammenhang zwischen dem eigenen Verhalten der Klägerin und dem Schadenereignis, so hat sie den Schaden schon aus diesem Grunde selber zu tragen und kann sie dafür nicht den Beklagten haftbar machen. Zum gleichen Ergebnis
BGE 92 I 516 S. 538
führt es, wenn zwar die Adaequanz des Kausalzusammenhanges zwischen dem Verhalten der Organe des Beklagten und dem Schadenfall bejaht, aber
Art. 44 Abs. 1 OR
zur Anwendung gebracht wird: Auch bei dieser Betrachtungsweise lässt das Übergewicht der Umstände, für welche die Klägerin einzustehen hat, die Ersatzpflicht des Beklagten entfallen.
Ob der Beklagte sich auch den Unfallgeschädigten gegenüber im vorgenannten Sinne auf die fehlende Adaequanz berufen könnte, kann dahingestellt bleiben. Es braucht ferner nicht geprüft zu werden, ob die Abtretung der Ansprüche dieser Geschädigten an die Klägerin mit der gesetzlichen Regressordnung vereinbar sei und ob sich der Beklagte demzufolge diese Ansprüche entgegenhalten lassen müsse (vgl. dazu
BGE 45 II 645
,
BGE 80 II 252
/53; OFTINGER, a.a.O., 329; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 288). Entscheidend ist, dass der Beklagte der Klägerin auch mit Bezug auf die ihr abgetretenen Ansprüche mit allen Einwendungen begegnen kann, die ihm ihr selber gegenüber zustehen. Dazu gehört auch der Einwand der mangelnden Adaequanz und des Entfallens der Ersatzpflicht nach
Art. 44 Abs. 1 OR
. Auf die Frage der Anspruchskonkurrenz (
Art. 50 und 51 OR
,
Art. 71 und 72 VVG
) sowie der Verjährung braucht bei dieser Sachlage nicht eingetreten zu werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Klage wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4d82113-15eb-48d8-9c50-702d4c206c22 | Urteilskopf
80 I 305
49. Urteil vom 1. Dezember 1954 i.S. K. gegen Justizkommission des Kantons Schwyz. | Regeste
Schutz der ehelichen Gemeinschaft.
1. Gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im Eheschutzverfahren ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
zulässig.
2. Der Eheschutzrichter begeht Willkür, wenn er die Ehefrau, um sie zur Aufnahme des grundlos verweigerten ehelichen Zusammenlebens zu zwingen, zum Ersatz der Mehrauslagen verpflichtet, die dem Ehemann infolge ihrer Pflichtvergessenheit entstehen. | Sachverhalt
ab Seite 305
BGE 80 I 305 S. 305
A.-
Die Eheleute K. leben seit Jahren getrennt. Eine Scheidungsklage der Ehefrau wurde abgewiesen, zuletzt
BGE 80 I 305 S. 306
vom Kantonsgericht Schwyz durch Urteil vom 21. Januar 1952, das nicht weitergezogen wurde. Als die in ihrem eigenen Hause wohnende Ehefrau sich trotzdem weigerte, den Ehemann wieder bei sich aufzunehmen, ersuchte dieser am 23. Mai 1952 den Bezirksgerichtspräsidenten von Schwyz um Anordnung "der gegebenen Massnahmen, um Frau K. zur Aufnahme der ehelichen Beziehungen zu verpflichten". Nach fruchtloser Mahnung verurteilte der Bezirksgerichtspräsident am 14. Juli 1953 Frau K. mit Wirkung vom 1. Juli 1952 an, dem Ehemann Fr. 100.-- monatlich zu zahlen, solange sie die Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft verweigere. Zur Begründung führte er aus: Da der Ehemann ein Recht auf einen eigenen Haushalt habe, sich aber die Anstellung einer Haushälterin nicht leisten könne, rechtfertige es sich, die Ehefrau, die ihm die Führung des Haushaltes zu Unrecht verweigere, zu verpflichten, ihm einen Unterhaltsbeitrag zu entrichten in der Höhe des Barlohnes, den er für eine Haushälterin auszulegen hätte.
Die Justizkommission des Kantons Schwyz hiess am 14. April 1954 eine Beschwerde der Frau K. teilweise gut, indem sie den vom Bezirksgerichtspräsidenten festgesetzten monatlichen Beitrag auf Fr. 60.- ermässigte, mit der Begründung: Die Weigerung der Beschwerdeführerin, das Zusammenleben mit dem Ehemann wieder aufzunehmen, sei eine
Art. 161 ZGB
verletzende Pflichtwidrigkeit, so dass der Gerichtspräsident nach
Art. 169 ZGB
befugt gewesen sei, nach fruchtloser Mahnung die zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft erforderlichen, vom Gesetz vorgesehenen Massnahmen zu treffen. Dazu gehörten nicht bloss die in
Art. 170 und 171 ZGB
ausdrücklich vorgesehenen Massregeln, sondern auch alle weiteren Anordnungen, welche die Lage erfordere, sofern sie in der Gesetzgebung überhaupt vorgesehen seien. Da die nach Art. 169 Abs. 2 ausgesprochene Mahnung, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, wegen der höchst persönlichen Natur der geschuldeten Leistung nicht vollstreckt werden könne,
BGE 80 I 305 S. 307
dürfe der Richter mit der Mahnung Anordnungen verbinden, die ihr den nötigen Nachdruck verliehen. Die der Frau K. auferlegte Verpflichtung, dem Ehemann für die Dauer ihres ehewidrigen Verhaltens Unterhaltsbeiträge zu zahlen, erweise sich daher als zulässig. Dieses Verhalten verursache dem Ehemann Mehrauslagen, da es ihn zwinge, für die Besorgung der Hausgeschäfte jemanden anzustellen oder aber, wie er es tatsächlich tue, Verpflegung und Unterkunft auswärts zu beziehen. Anderseits habe er für den Unterhalt der Ehefrau nicht aufzukommen, solange sie von ihm getrennt lebe, so dass der Beitrag herabzusetzen sei.
B.-
Gegen diesen Entscheid führt Frau K. staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, ihn und den zugrunde liegenden Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten wegen Verletzung des
Art. 4 BV
aufzuheben. Sie macht geltend, sie sei nach
Art. 170 Abs. 1 ZGB
berechtigt, das Zusammenleben mit dem Ehemann zu verweigern. Sie habe im kantonalen Verfahren die Gründe hiefür genannt, doch seien sie nicht geprüft worden, worin formelle Willkür und eine Missachtung klaren Rechtes liege. Willkürlich sei auch der Standpunkt, die angefochtene Massnahme sei im Sinne von
Art. 169 Abs. 2 ZGB
im Gesetz vorgesehen. Er verstosse gegen den allgemein anerkannten Grundsatz, dass die Befolgung der Mahnung, das eheliche Zusammenleben aufzunehmen oder weiterzuführen, nicht erzwungen werden könne, auch nicht durch Verurteilung zu einer Ersatzleistung. Die beanstandete Massregel diene zudem nicht dem Schutz der ehelichen Gemeinschaft, sondern schade ihr, was willkürlich ausser acht gelassen worden sei. Die Justizkommission habe den Einwand der Beschwerdeführerin, dass sie ausserstande sei, den Unterhaltsbeitrag aufzubringen, und dass der Ehemann ihn auch nicht benötige, nicht gewürdigt und dadurch eine formelle Rechtsverweigerung begangen. Die verfügte Rückwirkung auf das Datum der fruchtlosen Mahnung sei nicht vereinbar mit dem Wesen der Eheschutzmassnahmen,
BGE 80 I 305 S. 308
die ausschliesslich Anordnungen für die Zukunft seien.
C.-
Die Justizkommission und der Ehemann beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der in Anwendung von
Art. 170 Abs. 3 ZGB
getroffene Entscheid des Bezirksgerichtspräsidenten unterlag dem Rekurs an die Justizkommission (§§ 477 Abs. 1 und 398 schwyz. ZPO). Im Rekursverfahren hatte aber die Justizkommission die Angelegenheit frei zu überprüfen (
§
§ 434 ff. ZPO
). Ihr materieller Entscheid ist an die Stelle des an sie weitergezogenen Entscheides getreten, so dass das Beschwerdebegehren, auch diesen aufzuheben, gegenstandslos ist.
2.
Der angefochtene Entscheid der Justizkommission ist ergangen in einem Eheschutzverfahren nach
Art. 169 ZGB
. Da er keinen Endentscheid im Sinne des
Art. 48 OG
darstellt, konnte er nicht mit Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden (
BGE 72 II 57
). Auch die Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht (
Art. 68 OG
) kommt nicht in Betracht, so dass die staatsrechtliche Beschwerde gegen jenen Entscheid unter dem Gesichtspunkte von
Art. 84 Abs. 2 OG
zulässig ist. Sie ist es auch nach
Art. 87 OG
; denn der Entscheid der Justizkommission ist ein - letztinstanzlicher - Endentscheid im Sinne dieser Bestimmung, da er das in Frage stehende Eheschutzverfahren abschliesst.
3.
Im Urteil des Kantonsgerichtes Schwyz vom 21. Januar 1952 ist festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keinen Scheidungs- oder Trennungsgrund habe und ihr die Fortsetzung der Ehe zugemutet werden könne. Damit ist auch gesagt, dass keine Gründe vorhanden seien, welche die Beschwerdeführerin nach
Art. 170 Abs. 1 ZGB
zur Verweigerung des Zusammenlebens mit dem Ehemann berechtigen würden. Im Eheschutzverfahren, das vom Ehemann kurz nach diesem Urteil eingeleitet worden ist,
BGE 80 I 305 S. 309
hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht, dass seit der Abweisung ihrer Scheidungsklage Verhältnisse eingetreten seien, die sie zum Getrenntleben berechtigen, sondern sie hat dieses Recht aus den schon im Scheidungsprozess behaupteten, vom Kantonsgericht aber als unzureichend erachteten Gründen abgeleitet. Daher kann weder "formelle Willkür" noch "Missachtung klaren Rechts" darin erblickt werden, dass die Justizkommission aus den Feststellungen des Scheidungsrichters gefolgert hat, die Weigerung der Beschwerdeführerin, das eheliche Zusammenleben wieder aufzunehmen, sei eine Pflichtvergessenheit im Sinne des
Art. 169 ZGB
. Nachdem der Bezirksgerichtspräsident, was nicht bestritten ist, die pflichtvergessene Ehefrau fruchtlos gemahnt hatte, war das kantonale Gericht daher nach Abs. 2 dieser Bestimmung befugt, die zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft erforderlichen, vom Gesetz vorgesehenen Massregeln zu treffen.
4.
Die Massregel, um die es geht, wird zwar in den Erwägungen der Justizkommission - wie auch des Bezirksgerichtspräsidenten - als Festsetzung eines "Unterhaltsbeitrages" bezeichnet. Dass es sich aber in Wirklichkeit nicht um einen solchen handelt, ergibt sich aus der ganzen übrigen Begründung. Von einem Unterhaltsbeitrag der Ehefrau an den Ehemann kann nach der gesetzlichen Ordnung (
Art. 159 Abs. 3,
Art. 160 Abs. 2,
Art. 161 Abs. 2 ZGB
und Bestimmungen des ehelichen Güterrechts) nur die Rede sein, wenn der Mann einen solchen benötigt und die Frau in der Lage ist, die erforderlichen Mittel aus ihrem Einkommen oder Vermögen aufzubringen. Obschon die Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren das Vorhandensein dieser Voraussetzungen bestritt, wurden dort die finanziellen Verhältnisse der Ehegatten nicht näher geprüft, offensichtlich deswegen, weil gar kein Unterhaltsbeitrag, sondern Schadenersatz zugesprochen wurde. In der Tat wird im Entscheid der Justizkommission die Zahlungspflicht der Beschwerdeführerin damit begründet,
BGE 80 I 305 S. 310
dass dem Ehemann infolge ihres pflichtvergessenen Verhaltens "vermehrte Auslagen" entständen, die ihm die Ehefrau zu ersetzen habe. Diese Verpflichtung ist, wie die zu Schadenersatz überhaupt, grundsätzlich weder von der Bedürftigkeit des Berechtigten noch von der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen abhängig. Sie wurde auferlegt, um der ergangenen richterlichen Mahnung "den nötigen Nachdruck zu verleihen", ist also als Zwangsmittel gedacht.
Der Justizkommission ist zuzugeben, dass der Eheschutzrichter nicht auf die in
Art. 170 und 171 ZGB
ausdrücklich genannten Massnahmen beschränkt ist, sondern alle weiteren Anordnungen treffen kann, welche die Lage erfordert, vorausgesetzt, dass sie in der Gesetzgebung überhaupt vorgesehen sind (EGGER, N. 7, LEMP, N. 17 f. zu
Art. 169 ZGB
). Die Justizkommission nennt aber keine gesetzliche Vorschrift, wonach der Richter befugt wäre, im Eheschutzverfahren den Ehegatten, der die Wiederaufnahme des ehelichen Zusammenlebens grundlos verweigert, zum Ersatz der dem anderen Ehegatten daraus erwachsenden Mehrauslagen zu verpflichten. Eine solche Bestimmung gibt es auch nicht. Ob überhaupt ein Anspruch auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung familienrechtlicher Pflichten bestehe (vgl. VON TUHR-SIEGWART, Allg. Teil des Schweiz. Obligationenrechtes, S. 12 N. 26), kann offen gelassen werden. Es genügt, hier festzustellen, dass das Gesetz die von der kantonalen Behörde ergriffene Eheschutzmassnahme nicht vorsieht. Insbesondere lässt sich der vom Bezirksgerichtspräsidenten zitierte
Art. 170 Abs. 3 ZGB
nicht anrufen. Abgesehen davon, dass er den Fall betrifft, wo die Voraussetzungen zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes gegeben sind, ermächtigt er den Richter einzig zur Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen, nicht auch zur Zusprechung von Schadenersatz.
Wie die Justizkommission selbst feststellt, ist die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft wegen der höchst persönlichen Natur der geschuldeten
BGE 80 I 305 S. 311
Leistung nicht vollstreckbar (EGGER, N. 10, LEMP, N. 18 zu
Art. 169 ZGB
; ZR 28 Nr. 41). Dann geht es aber auch nicht an, den pflichtvergessenen Ehegatten mittelbar zur Wiederaufnahme des Zusammenlebens zwingen zu wollen, durch Verpflichtung zu Schadenersatz für solange, als er die Wiedervereinigung verweigert. Die Justizkommission und der Beschwerdegegner berufen sich für die Zulässigkeit der angefochtenen "Sanktion" offensichtlich zu Unrecht auf EGGER, N. 6, 7 und 10 zu
Art. 169 ZGB
; denn dort wird nirgends gesagt, dass andere als die im Gesetz vorgesehenen Massregeln zulässig seien, und insbesondere ist in N. 10 nicht die Rede von Schadenersatz-, sondern von Unterhaltsleistungen. Übrigens hat man es nicht nur mit einem unzulässigen, sondern auch mit einem untauglichen Zwangsmittel zu tun, weil für die zugesprochene Schadenersatzforderung, im Unterschied zu Unterhaltsbeiträgen, die Zwangsvollstreckung während der Dauer der Ehe nicht möglich ist (
Art. 173, 176 ZGB
).
Der Eheschutzrichter darf sich über
Art. 169 Abs. 2 ZGB
, der ihn - im Interesse der persönlichen Freiheit und damit auch der Aufrechterhaltung der Ehe - in der Wahl der Mittel zur Durchführung seiner Aufgabe beschränkt (
BGE 72 II 296
Erw. 5), nicht hinwegsetzen, wie es die Justizkommission getan hat. Ihr Entscheid ist mit der gesetzlichen Ordnung schlechterdings unvereinbar und daher willkürlich.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid der Justizkommission des Kantons Schwyz wird aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4d8fd26-9dd2-42bb-8089-77445313fdfc | Urteilskopf
114 Ib 204
32. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 25 novembre 1988 dans la cause Nessim Gaon contre Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 13 der Konzession 1964/1980 für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft.
Anforderungen an Fernsehsendungen, die nach Art. 13 der Konzession objektive, umfassende und rasche Information zu vermitteln haben; Besonderheiten täglicher Nachrichtensendungen. | Sachverhalt
ab Seite 204
BGE 114 Ib 204 S. 204
Lors de l'émission "Téléjournal" du 23 mai 1984 à 19 h 30, la Télévision suisse romande a consacré une séquence de quelques minutes à une rumeur persistante selon laquelle Nessim Gaon était sur le point de vendre l'hôtel Noga Hilton qu'il possède à Genève. Selon les bruits répercutés par la télévision - et catégoriquement démentis par le principal intéressé -, l'homme d'affaires aurait voulu se séparer de son hôtel pour faire face à un besoin urgent de liquidités prétendument provoqué par le refus des dirigeants du Nigéria de s'acquitter envers lui de 560 millions de francs de factures.
Le 14 septembre 1984, l'autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (ci-après l'autorité de plainte) a écarté la réclamation déposée par Nessim Gaon contre l'émission du 23 mai 1984. Cette décision a été annulée le 13 décembre 1985 pour violation du droit d'être entendu par le Tribunal fédéral qui a renvoyé l'affaire à l'autorité inférieure.
Se prononçant à nouveau le 1er décembre 1986, l'autorité de plainte a estimé que l'émission litigieuse n'avait pas violé le principe de l'objectivité garanti à l'art. 13 de la concession accordée par la Confédération à la Société suisse de radiodiffusion et télévision.
Par recours de droit administratif, Nessim Gaon a requis le Tribunal fédéral d'annuler cette décision. Invoquant une violation
BGE 114 Ib 204 S. 205
des art. 11 et 13 de la concession, le recourant soutient en substance que le non-respect des règles de diligence par le journaliste a conduit ce dernier à diffuser à l'antenne des renseignements faux et incomplets qui ont porté atteinte au crédit dont jouissent tant le financier lui-même que l'Etat du Nigéria.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Directement mis en cause par l'émission contestée, le recourant peut se prévaloir d'un intérêt digne de protection au sens de l'
art. 103 lettre a OJ
pour agir par la voie du recours de droit administratif contre la décision de l'autorité de plainte du 1er décembre 1986. Dans ce cadre, il ne saurait cependant s'ériger en défenseur de la réputation financière de l'Etat du Nigéria; même s'il est en relation d'affaires avec cet Etat, il ne dispose pas sur ce point d'un intérêt spécial, distinct de celui des autres téléspectateurs (cf.
ATF 109 Ib 200
).
La Société suisse de radiodiffusion et télévision, pour sa part, ne saurait prétendre participer à la procédure qu'à titre d'intéressée au sens de l'
art. 110 al. 1 OJ
. En effet, la qualité d'intimée ne dépend pas d'une déclaration de volonté de la personne concernée, mais de ses liens avec l'objet du litige; or, ayant produit l'émission contestée, le diffuseur est directement mis en cause par le recourant qui lui reproche une violation de la concession. Il ne peut, dans ces conditions, limiter son intervention en endossant la qualité de simple intéressé, qui lui permettrait d'éviter une éventuelle condamnation aux frais et dépens (cf. GRISEL, Traité de droit administratif, p. 851). Au surplus, ainsi qu'il ressort de l'
art. 110 al. 1 OJ
, il appartient au seul Tribunal fédéral de désigner les intéressés. En l'occurrence, le diffuseur, partie à la procédure devant l'autorité inférieure, jouit déjà de la qualité d'intimé; il est donc exclu de lui reconnaître un statut d'intéressé.
b) Sous ces quelques réserves et précisions, le Tribunal fédéral peut entrer en matière sur le recours de droit administratif.
2.
Selon l'art. 21 al. 1 de l'arrêté fédéral du 7 octobre 1983 (RS 784.45), l'autorité de plainte établit, dans sa décision, si l'émission ou les émissions incriminées ont violé les dispositions de la concession relatives aux programmes. Contrairement aux allégations du recourant, seul l'art. 13 de la concession peut faire l'objet d'un examen de la part de l'autorité de plainte. Les autres
BGE 114 Ib 204 S. 206
articles de la concession figurant dans le chapitre concernant le programme ne peuvent être attaqués par les destinataires des émissions.
En particulier, l'art. 11 al. 1 dont se prévaut le recourant pour obtenir un contrôle de la licéité des émissions détermine uniquement les tâches du directeur général de la SSR; il n'a pas pour mission de garantir un contenu licite des programmes. En imposant l'obligation de s'assurer que les productions diffusées sont licites et de pourvoir à l'exploitation rationnelle de l'entreprise, cette disposition se borne à fixer les compétences et responsabilités liées à la fonction de directeur général. Un justiciable ne saurait dès lors se plaindre du non-respect de cette règle, pas plus d'ailleurs qu'il n'est habilité à invoquer une violation de l'art. 14 de la concession relatif à la publicité ou de l'art. 15 concernant la publication des programmes. S'il estime que l'émission litigieuse est constitutive d'une infraction pénale ou civile, il lui incombe de recourir aux moyens de droit appropriés, que ce soit la plainte pénale ou l'action civile en protection de la personnalité (Message sur la création d'une autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision du 8 juillet 1981, FF 1981 III p. 114); il ne peut attendre de l'autorité de plainte qu'elle se prononce à titre préjudiciel sur l'existence des infractions alléguées.
Cela étant, il faut constater que, dans ses critiques relatives à une éventuelle violation de l'art. 11 al. 1 de la concession, le recourant reproche essentiellement au diffuseur d'avoir transmis des informations fausses, qui auraient porté atteinte à son crédit. Dans la mesure où l'examen de l'objectivité d'une émission selon l'art. 13 de la concession englobe également le contrôle du respect du principe de la véracité (arrêt du 17 octobre 1980, SJ 1982 p. 372), c'est dans ce cadre que seront examinés ci-après (cf. consid. 4) les moyens du recourant dénonçant la fausseté de l'information relative au non-paiement des factures par l'Etat du Nigéria.
3.
a) Elément central des principes régissant l'information, l'obligation d'objectivité énoncée à l'art. 13 al. 1 de la concession 1964/1980 (encore applicable à la présente affaire) astreint le diffuseur à respecter tout d'abord un devoir de vérité quant aux faits présentés et ensuite un devoir de diligence quant à la manière de présenter ces faits et les opinions qui les entourent (SJ 1982 p. 372). En d'autres termes, une information doit être tenue pour objective lorsque, grâce aux éléments reçus du diffuseur, le
BGE 114 Ib 204 S. 207
destinataire de l'émission peut se faire l'idée la plus fidèle possible de l'état de fait et se forger sa propre opinion en s'appuyant sur les avis et renseignements ainsi obtenus (BARRELET, Droit suisse des mass-média, Berne 1987, p. 320 No 1035; PONCET, La surveillance de l'Etat sur l'information télévisée en régime de monopole, Bâle 1985, p. 133; RIKLIN, Rechtsfragen der (externen) Programmaufsicht über Radio und Fernsehen in der Schweiz, in: Aspects du droit des médias II, Fribourg 1984, p. 45; ROSTAN, Le service public de radio et de télévision, p. 220). Cela suppose en particulier que, lorsque l'émission aborde des questions controversées, les différents points de vue antagonistes aient l'occasion de s'exprimer - peu importe la manière choisie par le réalisateur - sans qu'un accent inacceptable ne soit mis sur l'une des thèses en présence.
Par ailleurs, l'examen de ces différents aspects du devoir d'objectivité ne saurait être réduit à un contrôle successif des multiples faits et opinions contenus dans l'émission litigieuse. S'il est juste d'opérer une appréciation de chaque information prise isolément (SJ 1982 p. 373), il convient également d'examiner en plus l'impression générale qui se dégage de l'émission dans son ensemble, dès l'instant qu'un enchaînement de faits vrais ou vraisemblables selon un ordre établi n'aboutit pas forcément à une information objective.
b) L'objectivité absolue est un idéal difficile à atteindre et vouloir en sanctionner chaque entorse aboutirait à supprimer l'autonomie étendue dont jouit le diffuseur en matière de programmes et à lui dénier toute latitude dans l'application des principes qui lui sont imposés (SJ 1982 p. 377). Néanmoins, les exigences tenant à la protection du public ordonnent de n'admettre qu'avec prudence le fait qu'une violation marginale de l'objectivité ne s'avère pas en l'espèce contraire aux prescriptions de la concession. Avant de tirer cette conclusion, il appartient à l'autorité de plainte d'examiner avec soin si l'erreur mineure qu'elle constate, conjuguée avec d'autres maladresses et inadvertances secondaires, ne fausse pas en définitive l'objectivité de l'ensemble de l'émission d'une manière non négligeable.
c) Le devoir de véracité imposé au diffuseur lui commande de rapporter de manière exacte les faits objectifs ou ceux dont la réalité est patente. En revanche, s'il s'agit de faits douteux, le réalisateur doit donner, dans la mesure du possible, aux destinataires de l'émission des éléments adéquats leur permettant
BGE 114 Ib 204 S. 208
de se faire une opinion personnelle en connaissance suffisante de la cause (SJ 1982 p. 372); dans ce cas, l'objectivité de l'émission s'apprécie essentiellement en fonction de la diligence montrée par le journaliste dans la préparation et la présentation de son sujet.
d) Etroitement liée au devoir de vérité dont elle constitue un préalable nécessaire, l'obligation de diligence impose au journaliste une série de comportements destinés à favoriser la transmission d'une information objective. Cela implique en premier lieu que l'intéressé ne fasse pas passer pour vrais des faits qu'il ne considère pas lui-même comme tels. En sus de cette obligation générale découlant de la bonne foi, le journaliste doit satisfaire également aux requisits imposés par l'exercice correct de sa profession; il doit, à ce titre, effectuer des recherches approfondies, connaître la matière, vérifier dans la mesure du possible les faits repris de tiers, utiliser des moyens techniques adéquats, entendre et rendre équitablement l'opinion opposée et n'avoir aucune idée préconçue sur le résultat du travail journalistique.
L'ampleur de cette diligence varie toutefois en fonction de différents facteurs, parmi lesquels il faut souligner le degré de véracité des faits diffusés, les connaissances préalables des destinataires de l'émission, la gravité des accusations éventuellement contenues dans l'information et enfin le temps disponible pour les recherches et le développement à l'antenne.
En outre, la diligence journalistique impose au réalisateur d'une émission de séparer de manière reconnaissable les faits des opinions qui s'y rapportent, spécialement lorsque le journaliste fait valoir son propre point de vue ou adopte une position critique à l'égard du sujet traité (BARRELET, op.cit., p. 321; SCHÜRMANN, Medienrecht, Berne 1985 p. 142; ROSTAN, op.cit., p. 220).
e) Le contrôle du respect de ces principes et des devoirs qui en découlent n'implique pas seulement d'examiner l'émission du point de vue du téléspectateur, mais aussi de vérifier si le journaliste a effectivement présenté les faits et les opinions en satisfaisant aux critères de véracité et de diligence journalistique. Il ne peut dès lors être fait abstraction de la manière dont l'émission a été préparée. Dans ce cadre, il convient de procéder à une pesée des intérêts en présence compte tenu des impératifs souvent antagonistes de célérité et d'objectivité de l'information, ainsi que de la nature de cette dernière (SJ 1982 p. 373).
A cet égard, les émissions quotidiennes du journal télévisé présentent des particularités qui ne sauraient être ignorées. En
BGE 114 Ib 204 S. 209
effet, faute de temps, il est souvent très difficile aux journalistes de contrôler dans la mesure voulue l'objectivité des faits - récoltés à la hâte - qu'ils répercutent dans le public; plus que d'autres, ils dépendent de nouvelles reprises de tiers. C'est par leur canal, en outre, que doivent normalement être données les informations urgentes que l'intérêt public commande de communiquer immédiatement, même si toutes les garanties d'objectivité ne peuvent être réunies. Enfin, par nature, les informations transmises sont constituées essentiellement de dépêches et de séquences dont la brièveté interdit un développement à l'antenne apte à satisfaire à toutes les exigences décrites précédemment. La situation du journaliste confronté à l'actualité quotidienne s'avère ainsi notablement différente de celle du réalisateur d'une émission qui dispose de temps pour préparer son sujet. Toutefois, dans la mesure où le réalisateur d'une émission quotidienne d'information décide d'y intégrer un sujet plus fouillé, pour lequel il n'a pas subi la pression du temps, il ne peut plus se prévaloir de circonstances particulières pour ignorer certains aspects du devoir d'objectivité.
4.
Le recourant reproche principalement à l'émission litigieuse de contenir deux erreurs majeures; il conteste, d'une part, la vérité de l'information principale véhiculée par l'émission, soit sa volonté de vendre l'hôtel Noga Hilton; il s'insurge, par ailleurs, contre la nouvelle selon laquelle il éprouverait des problèmes de trésorerie en raison des difficultés rencontrées par l'Etat du Nigéria pour honorer certaines factures. Ces erreurs proviendraient, à son avis, du manque de qualification du journaliste chargé de l'émission, ainsi que du manque de rigueur ayant présidé à l'enquête menée par ce dernier.
a) Le diffuseur a choisi de se faire l'écho d'une simple rumeur et non pas de faits avérés. Eu égard à la vaste autonomie qui lui est reconnue en matière de programmes, il n'y a pas dans ce choix violation de la concession ou atteinte automatique au principe de l'objectivité (cf. BARRELET, op.cit., No 1042). Au surplus, compte tenu du rôle social et culturel joué à Genève par l'hôtel Noga Hilton et les salles de spectacle qu'il abrite, un tel reportage peut s'inscrire dans le cadre d'un journal télévisé. Dans la mesure où cette émission donne une large publicité à des bruits de couloir susceptibles de porter préjudice au crédit d'un particulier, la Télévision suisse romande devait cependant s'entourer des précautions indispensables imposées par ce sujet
BGE 114 Ib 204 S. 210
en accordant un poids particulier au respect des règles de diligence. Elle devait en priorité permettre à l'intéressé de faire valoir son point de vue.
En l'occurrence, les dénégations du financier concernant sa volonté de vendre l'hôtel ont été clairement rapportées par le journaliste. Ce dernier a en outre nettement séparé le démenti de Nessim Gaon et le reste du reportage en présentant au conditionnel les informations qu'il jugeait douteuses. Enfin, le diffuseur a offert à plusieurs reprises au recourant la possibilité d'expliquer en détail sa position en venant lui-même sur le plateau du Téléjournal apporter des informations complémentaires sur l'avenir du Noga Hilton ou sur sa situation personnelle; l'intéressé n'a pas donné suite à ces invitations. On ne saurait dans ces conditions reprocher au diffuseur de n'avoir pas présenté en détail les différents avis en lice.
Le contrôle du respect de l'objectivité ne se limite pas cependant à vérifier si tous les points de vue antagonistes ont pu s'exprimer sans qu'un accent inacceptable ne soit mis sur l'une des thèses en présence. La conformité de l'émission se juge également en fonction de chaque information prise isolément, étant entendu que l'impression générale se dégageant du reportage fera ensuite l'objet d'un examen particulier (cf. ci-dessus consid. 3a).
b) S'agissant tout d'abord de l'information centrale relative à la volonté supposée du financier de vendre son hôtel, il faut constater que le diffuseur n'a pas violé la concession en mettant en doute le démenti émanant du recourant.
Au cours de son enquête, le journaliste a pu apprendre que le groupe saoudien, éventuel acheteur, avait reçu une proposition d'achat de M. Gaon; il a su également que des personnes de l'entourage de M. Akrham Ojjeh s'étaient rendues à Berne au Département fédéral de justice et police pour se renseigner sur la licéité de la vente de l'hôtel au regard de la législation sur l'acquisition d'immeubles par des personnes à l'étranger. Enfin, Nessim Gaon lui-même reconnaît qu'il a, à plusieurs reprises, fait part de son intention de vendre. Il est vrai qu'il prétend actuellement que ses déclarations avaient pour seul but de lui permettre de déterminer la valeur de l'immeuble; ce faisant, il a toutefois lui-même donné naissance à une rumeur qui avait toutes les chances de finir sur la place publique. Il ne peut dès lors s'étonner de voir ses manoeuvres rapportées par la télévision. Compte tenu de ces éléments de fait, il n'était pas contraire à la
BGE 114 Ib 204 S. 211
diligence requise du journaliste et au principe de véracité de mettre en doute les affirmations du financier qui niait toute tractation.
Certes, la vente de l'hôtel n'allait pas sans difficultés pour les éventuels acheteurs et parmi les obstacles qu'il leur aurait fallu surmonter figurait le droit dont dispose la Ville de Genève de s'opposer à toute cession de l'immeuble en se fondant sur la convention de superficie. Rien toutefois n'indique que cette difficulté aurait rendu l'opération de vente impossible. Il n'y avait donc pas de nécessité absolue à l'indiquer dans le reportage de quelques minutes présenté lors du Téléjournal. Son absence ne modifiait pas de manière sensible les possibilités offertes aux téléspectateurs de se forger leur propre opinion sur la réalité de la vente.
Plus critiquable apparaît en revanche l'indication selon laquelle la crainte de licenciements provoquerait un vent d'inquiétude au sein de la société Aprofim, présentée à tort comme société de gestion de l'hôtel. Outre que cette société ne s'occupe pas de la gestion confiée à la chaîne Hilton, la rumeur sur le risque de licenciements provenait d'une seule personne, le journaliste n'ayant pas jugé bon de pousser son enquête auprès d'autres employés afin d'obtenir la confirmation de son renseignement. Parler dans ces circonstances d'un "vent d'inquiétude" dénote une certaine légèreté de la part du journaliste dans son travail de préparation et s'avère peu compatible avec le principe de l'objectivité.
Dans la mesure où cette information n'apparaît que très marginale par rapport au sujet abordé dans le reportage, on peut admettre, avec l'autorité intimée, que l'absence d'objectivité sur ce point précis n'est pas suffisante pour entraîner à elle seule la constatation d'une violation de la concession.
c) Les reproches les plus sérieux du recourant contre l'émission ne concernent pas directement la vente de l'hôtel. Ils ont trait bien plutôt aux explications données par le journaliste sur les motifs à l'origine de cette vente.
Cherchant à expliquer pourquoi Nessim Gaon désirait vendre son hôtel alors que celui-ci constitue une très bonne affaire, le journaliste a indiqué que, suite à un coup d'Etat intervenu en décembre 1983, les nouveaux dirigeants du Nigéria refuseraient de payer au financier genevois 560 millions de factures. Ce dernier serait dès lors contraint de réaliser certains de ses biens pour renflouer ses finances. Comme indice de la véracité de ses dires, le
BGE 114 Ib 204 S. 212
journaliste s'est référé à la tentative de Nessim Gaon de faire reprendre les créances nigérianes par le gouvernement français en échange d'une importante commande pour les Chantiers navals du nord de la France. Il a relevé également que le recourant avait vendu dans le même but un de ses avions personnels pour un montant de 24 millions de dollars.
L'intéressé s'oppose à cette description de sa situation financière; il soutient que l'Etat du Nigéria n'a jamais refusé de payer ses factures; selon lui, l'échelonnement du remboursement de la dette du Nigéria qu'il admet avoir accepté aurait été prévu au moment de la conclusion du contrat déjà, de sorte que son débiteur aurait toujours scrupuleusement rempli ses obligations envers lui. En propageant une nouvelle contraire, le journaliste - au demeurant non qualifié pour s'occuper des affaires internationales - aurait travesti la réalité et aurait ainsi porté atteinte à son crédit.
Contrairement à ce que soutient le recourant, la soi-disant faible expérience du journaliste en matière de commerce international ne lui interdisait pas d'emblée de traiter l'information litigieuse; n'étant pas un expert dans le domaine précis, il lui incombait cependant de se documenter auprès de sources dignes de foi afin d'acquérir une connaissance suffisante du sujet. Compte tenu de la discrétion qui entoure ce genre de transactions internationales - surtout en cas d'un éventuel refus d'un Etat d'honorer ses dettes -, on ne pouvait attendre du journaliste qu'il effectue lui-même une enquête en Afrique. En l'occurrence, il s'est fondé sur de nombreux articles de presse parfaitement convergents qui avaient paru dans des journaux différents de plusieurs pays et qui ne faisaient l'objet d'aucun démenti. Si une information provenant d'une seule source ne dispense pas le diffuseur de contrôler lui-même l'exactitude du renseignement, il faut admettre que lorsque - comme en l'espèce - plusieurs sources différentes annoncent la même nouvelle il existe alors des raisons suffisantes de considérer l'information comme vraie. Tout au moins, il n'y a pas violation de la diligence journalistique à s'en tenir aux faits ainsi rapportés. On observera d'ailleurs que Nessim Gaon n'a pas produit le contrat à l'appui de son démenti et que rien ne permet d'affirmer, aujourd'hui encore, que l'information donnée soit fausse.
d) En résumé, considérant l'émission d'un point de vue global, il apparaît que seules quelques inexactitudes mineures et un
BGE 114 Ib 204 S. 213
manque de contrôle de l'information relative au risque de licenciement à la société Aprofim ont émaillé le reportage litigieux. Ces entorses peu importantes au principe de l'objectivité - qui se sont produites au cours d'une séquence de quelques minutes programmée dans une émission quotidienne d'information colportant une rumeur - ne justifient pas de constater une violation de l'art. 13 de la concession. Elles n'ont pas empêché, en effet, les téléspectateurs de se forger une opinion non viciée sur la volonté supposée de Nessim Gaon de vendre son hôtel. Toutes les réserves nécessaires quant à l'éventualité de la vente ont été correctement énoncées et le démenti du propriétaire a clairement été rapporté. Aucun doute enfin n'a été permis sur la nature de l'information, limitée à une simple rumeur. Dans ces conditions, le recours ne peut être que rejeté. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d4da1407-06d3-477f-9266-62bc58ca3420 | Urteilskopf
107 II 306
47. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. November 1981 i.S. L. gegen H. (Berufung) | Regeste
Eheliches Güterrecht.
1. Für eingebrachtes Mannesgut, das durch Zufall oder aus Verschulden des Mannes untergegangen ist, steht diesem keine Ersatzforderung gegen die Errungenschaft zu (E. 4).
2. Kann nicht positiv festgestellt werden, wofür vom Mann eingebrachtes Geld verwendet worden ist, so muss angenommen werden, die Errungenschaft sei durch den eingebrachten Betrag vergrössert worden. Diese Vergrösserung ist durch Anerkennung einer Ersatzforderung zugunsten des eingebrachten Mannesgutes auszugleichen (E. 5). | Erwägungen
ab Seite 306
BGE 107 II 306 S. 306
Aus den Erwägungen:
2.
Es steht unbestrittenermassen fest, dass die Parteien unter dem Güterstand der Güterverbindung lebten und dass dem Beklagten im Verlauf der Ehe durch unentgeltliche Zuwendungen und durch Erbschaft Barbeträge von insgesamt Fr. 37'861.95 zugeflossen sind, die eingebrachtes Mannesgut darstellen. Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, der Beklagte habe hievon vielleicht etwa Fr. 19'000.-- für eine offensichtliche Liebhaberei, der er in grossem Umfang gefrönt habe und die über dem Rahmen des Üblichen hinausgegangen sei, verwendet, nämlich die Entwicklung und Herstellung von Felgen für Rennmotorräder; dabei habe es sich nicht um einen Nebenerwerb zur besseren Ernährung der Familie, sondern um eine verlustreiche und teilweise spekulative Freizeitbeschäftigung gehandelt, deren Ausübung angesichts der bescheidenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten an Verschwendung gegrenzt habe. Soweit aus diesem Geld
BGE 107 II 306 S. 307
Werkstatteinrichtungen und Vorräte angeschafft worden seien, behalte der Beklagte daran das Eigentum; soweit das Geld jedoch verloren gegangen sei, stehe ihm hiefür keine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaft zu. Eine solche Ersatzforderung sei nur insoweit anzuerkennen, als das Eigengut des Mannes für den Ausbau der ehelichen Liegenschaft verwendet worden sei, wofür die Beweislast den Beklagten treffe; nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens sei dies im Umfang von insgesamt Fr. 11'500.-- der Fall gewesen...
4.
Nach
Art. 209 Abs. 1 ZGB
besteht eine Ersatzforderung gegenüber dem andern Ehegatten insoweit, als Schulden, für die das eingebrachte Frauengut haftet, aus dem Mannesgut oder Schulden des Mannes aus dem eingebrachten Frauengut getilgt worden sind. Der Ehefrau steht sodann im Prinzip eine Ersatzforderung für das von ihr eingebrachte, bei Auflösung der Ehe aber nicht mehr vorhandene Frauengut zu (Art. 201 Abs. 1 und 3 sowie
Art. 210 Abs. 1 ZGB
). In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist dieser Grundsatz in dem Sinne eingeschränkt worden, dass der Ehefrau gestützt auf
Art. 201 Abs. 3 ZGB
eine Ersatzforderung für nicht mehr vorhandenes eingebrachtes Frauengut nicht zusteht, wenn sie die betreffenden Vermögenswerte nicht ihrem Ehemann abgeliefert, sondern für sich behalten hat (
BGE 95 II 599
ff., insbesondere 604/605, mit Hinweisen). Zu prüfen ist, wie es sich verhält, wenn eingebrachtes Mannesgut bei Auflösung der Ehe nicht mehr vorhanden ist.
a) In einem solchen Fall kann es sich in der Regel nicht darum handeln, dem Ehemann eine Ersatzforderung gegenüber der Frau zuzugestehen, es wäre denn, das eingebrachte Mannesgut sei im Sinne von
Art. 209 Abs. 1 ZGB
zur Bezahlung von Schulden verwendet worden, für die das eingebrachte Frauengut haftet. Hingegen besteht eine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaftsmasse, soweit Schulden, die zulasten der Errungenschaft gehen, wie insbesondere solche aus dem Unterhalt der Familie, aus eingebrachtem Mannesgut bezahlt worden sind. Ist das eingebrachte Mannesgut jedoch durch Zufall untergegangen oder durch Verschulden des Mannes verschleudert, vernichtet oder in seinem Wert vermindert worden, stellt sich die Frage, ob dem Ehemann auch in diesem Umfang eine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaftsmasse zustehe. Dies hätte bejahendenfalls zur Folge, dass der Wert des nicht mehr vorhandenen eingebrachten Mannesgutes bei der Vorschlagsberechnung generell als Passivum zu
BGE 107 II 306 S. 308
berücksichtigen wäre. Eine solche Lösung bezeichnet LEMP als unbillig, weil das Eingebrachte des Mannes in dieser Hinsicht anders behandelt würde als jenes der Ehefrau (N. 51 zu
Art. 214 ZGB
). Eine andere Meinung wird von EUGEN HUBER vertreten, der in den Erläuterungen davon ausging, das Mannesvermögen müsse, auch wenn es durch Zufall oder Schuld des Mannes untergegangen sei, voll gedeckt sein, bevor von einem Vorschlag gesprochen werden könne (Erläuterungen zum Vorentwurf des ZGB, 2. Ausgabe, S. 206; vgl. auch die Zitate aus dem französischen Text der Erläuterungen und deren Kommentierung in der 1946 erschienenen Lausanner Diss. von PH. DÉNÉRÉAZ, Le calcul du bénéfice de l'union conjugale dans le régime matrimonial légal, S. 104 ff.).
b) Wird vom Gesetzestext ausgegangen, so lässt sich die Frage nicht eindeutig beantworten. In
Art. 214 Abs. 1 ZGB
, der nach
Art. 154 Abs. 2 ZGB
auch im Falle der Auflösung der Ehe durch Scheidung Anwendung findet, heisst es einfach: "Ergibt sich nach der Ausscheidung des Mannes- und Frauengutes ein Vorschlag, so gehört er zu einem Drittel der Ehefrau oder ihren Nachkommen und im übrigen dem Ehemann oder seinen Erben." Der französische Text spricht vom "bénéfice restant après le prélèvement des apports", und die italienische Fassung entspricht ungefähr der deutschen ("Se, fatta la separazione dei beni apportati da ciascuno dei coniugi, risulta un aumento, ..."). Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich jedoch nicht, was unter Ausscheidung des Mannesgutes verstanden werden soll, insbesondere ob auch das durch Zufall oder Verschulden des Mannes untergegangene eingebrachte Gut dazu gerechnet werden muss. In diesem Sinn haben sich ausser EUGEN HUBER noch folgende Autoren ausgesprochen: ROSSEL/MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2. Aufl., Bd. I, S. 373; J. ROBOZ, De la liquidation du régime de l'union des biens, Genfer Diss. 1915, S. 122 f.; O. MÜLLER, Zur Berechnung des ehegüterrechtlichen Vorschlages, ZBJV 88/1952, S. 13 ff. Die gleiche Auffassung wie LEMP, der eine Ersatzforderung für das durch Verschulden des Ehemannes oder durch Zufall untergegangene eingebrachte Mannesgut wie erwähnt ablehnt, vertritt auch C. DROIN, Les effets généraux du mariage et le régime matrimonial. S. 585.
c) Das Bundesgericht hat sich zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nie aussprechen müssen. Hingegen hat es entschieden, dass im Falle der Veräusserung eingebrachten Mannesgutes der Ehemann keinen Anspruch darauf habe, bei der Vorschlagsberechnung einen Mindererlös im Vergleich zum Wert des betreffenden
BGE 107 II 306 S. 309
Gegenstandes zur Zeit des Einbringens in Anschlag zu bringen. Es führte aus, eine solche Besserstellung des Mannes im Vergleich zur Frau sei nicht gerechtfertigt (
BGE 62 II 338
ff. E. 2). Der Gedanke einer möglichsten Gleichbehandlung der von Mann und Frau eingebrachten Güter spricht auch dafür, bei der Berechnung des ehelichen Vorschlags jenes eingebrachte Mannesgut nicht zu berücksichtigen, das im Zeitpunkt der güterrechtlichen Auseinandersetzung infolge Zufalls oder Schuld des Mannes nicht mehr vorhanden ist. Der Haupteinwand der Vertreter der gegenteiligen Auffassung gegenüber einer solchen Art der Vorschlagsermittlung besteht darin, dass von einem Vorschlag schon rein begrifflich nur gesprochen werden könne, wenn bei Auflösung der Güterverbindung ein Überschuss über das in die Ehe eingebrachte Vermögen vorhanden sei. Diese Überlegung würde aber in gleicher Weise für das eingebrachtes Frauengut gelten. Auch die Vertreter der erwähnten Auffassung gehen indessen davon aus, dass eingebrachtes Frauengut, das durch Zufall oder aus Verschulden der Frau verloren ging, bei der Berechnung des Vorschlages nicht zu berücksichtigen ist (so EUGEN HUBER, a.a.O., S. 175). Aus dem Wesen des Vorschlags ergibt sich deshalb nicht zwingend, dass bei Auflösung der Güterverbindung dem Ehemann für nicht mehr vorhandenes eingebrachtes Gut in jedem Fall eine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaft zugestanden werden muss. Ein weiterer Einwand könnte allenfalls daraus abgeleitet werden, dass der Ehemann grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die Errungenschaft zu erhalten und einen Vorschlag zu erzielen. Selbst wenn aber davon ausgegangen wird, dass der Mann über die Errungenschaft frei verfügen und sie vermindern kann, ohne ersatzpflichtig zu werden, ist dies kein Grund dafür, ihm zulasten der Errungenschaftsmasse auch noch eine Ersatzforderung für jenes von ihm eingebrachte Gut zuzubilligen, das durch Zufall oder durch sein eigenes Verschulden untergegangen ist. Seine bevorzugte Stellung hinsichtlich der Verfügungsmöglichkeit über die Errungenschaft verlangt nicht zwangsläufig, dass er auch in bezug auf das untergegangene eingebrachte Gut besser behandelt werde als die Frau. Der Auffassung vom LEMP ist daher beizupflichten.
d) Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beklagte habe ungefähr Fr. 19'000.-- seines eingebrachten Gutes für seine Liebhaberei im Zusammenhang mit dem Motorradrennsport verbraucht. Darin ist eine Feststellung tatsächlicher Art zu erblicken, an die das Bundesgericht gebunden ist. Ist aber davon auszugehen, dass das
BGE 107 II 306 S. 310
eingebrachte Bargeld vom Beklagten im erwähnten Umfang für eine ausgesprochene Liebhaberei verbraucht worden ist, die an Verschwendung grenzte, verstösst es nicht gegen Bundesrecht, wenn dem Beklagten hiefür keine Ersatzforderung gegenüber der Errungenschaftsmasse zuerkannt wurde. Dagegen vermag auch die in der Berufungsschrift enthaltene Behauptung nicht aufzukommen, die dem Beklagten aus Erbschaft oder von seinem Vater zugeflossenen Barbeträge seien laufend für die Wohnliegenschaft, für Familienaufwendungen und für die Freizeitbeschäftigung gebraucht worden, ohne dass hierüber Buch geführt worden sei. Dieser Einwand richtet sich gegen die erwähnte tatsächliche Feststellung der Vorinstanz und ist daher unzulässig (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
5.
Von den insgesamt Fr. 37'861.95, die der Beklagte nach den Feststellungen der Vorinstanz in bar in die Ehe eingebracht hatte, wurde im angefochtenen Urteil nur ein Betrag von Fr. 11'500.-- als Ersatzforderung des Mannesgutes gegen die Errungenschaft anerkannt und bei der Vorschlagsberechnung als Passivum berücksichtigt. Diesen Betrag hatte der Beklagte, wie die Vorinstanz aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens festhielt, für den Ausbau der ehelichen Liegenschaft verwendet. Zieht man vom eingebrachten Mannesgut in der Höhe von Fr. 37'861.95 die zugelassene Ersatzforderung von Fr. 11'500.-- und die vom Beklagten für eine Liebhaberei verbrauchten Fr. 19'000.-- ab, so verbleibt ein Restbetrag von Fr. 7'361.95 oder aufgerundet Fr. 7'362.--, von dem nicht bekannt ist, wofür er verwendet worden ist. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, eine höhere Ersatzforderung als die von ihr zugelassene hätte nur im Falle des Nachweises durch den Beklagten anerkannt werden können, dass er noch weitere Mittel in die Liegenschaft investiert habe. Diesen Beweis hat der Beklagte nicht erbringen können. Fest steht einzig, dass auch der Rest des eingebrachten Bargeldes aufgebraucht worden ist, dass dies jedoch nicht für die Liebhaberei des Beklagten geschah. Letzteres ergibt sich aus der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, der Beklagte habe für seine aufwendige Freizeitbeschäftigung Mannesgut im Umfang von ungefähr Fr. 19'000.-- verbraucht. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die restlichen Bareinbringen für Bedürfnisse verwendet worden sind, die sonst aus Mitteln der Errungenschaft befriedigt worden wären. Insoweit stünde dem Beklagten eine Ersatzforderung gegen die Errungenschaftsmasse zu. Es fragt sich nun, ob die Unsicherheit über die
BGE 107 II 306 S. 311
Verwendung dieses Geldes zu Ungunsten des Beklagten ausschlägt, weil diesem grundsätzlich der Beweis für das Vorhandensein einer Ersatzforderung obliegt. Davon ist offensichtlich die Vorinstanz ausgegangen.
Diese Auffassung wird jedoch den Verhältnissen nicht gerecht. Die dem Beklagten aus den unentgeltlichen Zuwendungen zugeflossenen Gelder, die als eingebrachtes Mannesgut zu betrachten sind, haben sich im Verlauf der Ehe unweigerlich mit den Mitteln der Errungenschaft, insbesondere den Einkünften des Beklagten auf dem Arbeitserwerb, vermischt. Kann in einem solchen Fall nicht positiv festgehalten werden, dass die aus dem eingebrachten Mannesgut stammenden Mittel aus Verschulden des Mannes verloren gegangen sind, wie dies hier nach den Feststellungen der Vorinstanz für den Betrag von Fr. 19'000.-- zutrifft, so muss davon ausgegangen werden, die Errungenschaftsmasse sei um die eingebrachten Barbeträge vermehrt worden. Diese Vergrösserung der Errungenschaftsmasse ist daher durch Anerkennung einer Ersatzforderung zugunsten des eingebrachten Mannesgutes auszugleichen (vgl. LEMP, N. 47 zu
Art. 214 ZGB
). So wenig im übrigen der Ehemann für die Verwendung der Errungenschaft verantwortlich gemacht und dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann, so wenig ist dies grundsätzlich für die Verwendung der mit der Errungenschaft vermischten Mittel des eingebrachten Gutes möglich. Aus diesen Gründen ist dem Beklagten nicht nur für die von ihm in die eheliche Liegenschaft gesteckten Mittel, sondern auch für die weiteren in die Ehe eingebrachten Barmittel eine Ersatzforderung zuzugestehen, soweit diese nicht festgestelltermassen für den Motorradrennsport verbraucht worden sind.
Die bei der Vorschlagsberechnung als Passivum zu berücksichtigende Ersatzforderung des Beklagten ist daher um Fr. 7'362.-- zu erhöhen, während der eheliche Vorschlag gegenüber der vorinstanzlichen Berechnung um diesen Betrag herabzusetzen ist. Daraus ergibt sich eine Verminderung des Vorschlagsdrittels der Klägerin um Fr. 2'454.-- auf Fr. 41'765.30. Insoweit ist die Berufung gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4dad437-bc39-44e8-8e64-6f7c25ddde93 | Urteilskopf
94 I 412
56. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Mai 1968 i.S. Kull gegen Bräm. | Regeste
Verwaltungsgerichtliche Beschwerde, Zulässigkeit.
Mit der in
Art. 218 quater OR
vorgesehenen verwaltungsgerichtlichen Beschwerde können nur Entscheide kantonaler Verwaltungsbehörden angefochten werden. | Sachverhalt
ab Seite 412
BGE 94 I 412 S. 412
A.-
Frau Margrit Kull ist seit dem 2. August 1956 Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Grundstücks im Halte von ca. 10'370 m2 in der Gemeinde Egg (ZH). Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 19. Oktober 1960 räumte sie dem Kaufmann Walter Bräm an diesem Grundstück ein übertragbares und vererbliches, bis zum 31. Dezember 1966 befristetes Kaufsrecht zum Preise von Fr. 134'810.-- (Fr. 13.- pro m2) ein, das im Grundbuch vorgemerkt wurde.
Am 29. Dezember 1966 erklärte Bräm, dieses Kaufsrecht auszuüben. Frau Kull weigerte sich jedoch, zu der grundbuchlichen Übertragung der Liegenschaft Hand zu bieten. Sie machte geltend, der innerhalb der Sperrfrist von 10 Jahren gemäss
Art. 218 OR
abgeschlossene Kaufsrechtsvertrag sei nichtig.
B.-
Mit Eingabe vom 18. Januar 1967 stellte Bräm beim Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich das Begehren, Frau Kull sei zu befehlen, bei der grundbuchlichen Übertragung des Grundstückes auf ihn mitzuwirken. Zur Begründung machte er geltend, der Vertrag über die Einräumung eines Kaufsrechts sei keine Veräusserung im Sinne von
Art. 218 Abs. 1 OR
; als solche könne erst die Ausübung des Kaufsrechts gelten; diese sei aber nicht mehr in die Sperrfrist gefallen.
BGE 94 I 412 S. 413
C.-
Der Einzelrichter schützte das Begehren des Klägers mit Verfügung vom 9. Februar 1967.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies den von der Beklagten hiegegen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 7. Dezember 1967 ab.
D.-
Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die vom Kläger beim Einzelrichter gestellten Begehren endgültig abzuweisen.
Der Kläger beantragt, auf die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid einer gerichtlichen Instanz, der in einem Zivilrechtsstreit ergangen ist, nämlich im Streit darüber, ob die Beschwerdeführerin verpflichtet sei, den mit dem Beschwerdegegner abgeschlossenen Kaufsrechtsvertrag zu erfüllen, oder ob dieser gemäss der Auffassung der Beschwerdeführerin wegen Verstosses gegen
Art. 218 OR
nichtig sei.
Für solche zivilrechtliche Streitigkeiten, die vor dem Zivilrichter ausgetragen werden können, ist nach ständiger Rechtsprechung das Rechtsmittel der verwaltungsgerichtlichen Beschwerde gemäss
Art. 97 ff. OG
nicht gegeben. Mit dieser können nur Entscheide von Verwaltungsbehörden, nicht auch Entscheide von Zivilgerichten angefochten werden (
BGE 60 I 34
,
BGE 62 I 168
Erw. 2,
BGE 65 I 159
,
BGE 67 I 246
,
BGE 84 I 85
Erw. 2,
BGE 94 I 190
).
2.
Die Beschwerdeführerin glaubt, die Zulässigkeit des von ihr ergriffenen Rechtsmittels aus
Art. 218 quater OR
ableiten zu können, wonach gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Anwendung der
Art. 218, 218 bis und 218 ter OR
die verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist. Diese Auffassung ist irrtümlich.
Die heute geltende Fassung der Bestimmungen über den Verkehr mit landwirtschaftlichen Grundstücken (Art. 218 -
Art. 218 quinquies OR
) beruht auf dem Bundesgesetz vom 19. März 1965 über die Änderung der Vorschriften des ZGB und des OR betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr. Sie trat an die Stelle der Fassung, welche diese Vorschriften des OR durch Art. 50 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1951
BGE 94 I 412 S. 414
über die Entschuldung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) erhalten hatten.
Art. 218 bis OR
in der Fassung gemäss
Art. 50 EGG
bestimmte, die zuständige kantonale Behörde entscheide endgültig darüber, ob die zehnjährige Sperrfrist des
Art. 218 OR
aus wichtigen Gründen abzukürzen sei. In einem Gutachten über die Verfassungsmässigkeit der Sperrfrist, das im Laufe der parlamentarischen Beratung des Revisionsentwurfs bei Prof. Hans Huber, Bern, eingeholt wurde, wies dieser darauf hin, dass die Regelung des Art. 218 bis, die nach dem Entwurf des Bundesrates unverändert übernommen werden sollte, mangelhaft sei, da sie eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Sperrfristbestimmungen im ganzen Gebiete der Schweiz nicht gewährleiste; die allein mögliche staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür (
Art. 4 BV
) genüge wegen der nur beschränkten Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts nicht, um eine von Kanton zu Kanton verschiedene Auslegung und Handhabung der bundesrechtlichen Sperrfristvorschriften zu verhindern. Er schlug daher die Einführung eines eidgenössischen Rechtsmittels mit freier Kognitionsbefugnis vor.
Das Departement entsprach dieser Anregung und änderte in seinem Ergänzungsbericht vom 24. Oktober 1963 an die nationalrätliche Kommission den ursprünglichen
Art. 218 bis OR
dahin ab, dass die letztinstanzlichen kantonalen Entscheide über das Vorliegen wichtiger Gründe für eine Abkürzung der Sperrfrist durch verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht weiterziehbar sein sollten.
Der Nationalrat beschloss auf Antrag von Nationalrat Furgler, diese Weiterzugsmöglichkeit nicht in Art. 218 bis unterzubringen, sondern sie zum Gegenstand eines besonderen Gesetzesartikels in der Fassung des heutigen
Art. 218 quater OR
zu machen (StenBull Nationalrat 1964 S. 401 f.). Der Ständerat stimmte im Differenzbereinigungsverfahren diesem Beschluss zu (StenBull Ständerat 1965 S. 37). Dabei wurde jedoch ein Umstand übersehen: Nach dem Entwurf des Bundesrates, der die Weiterzugsmöglichkeit in Art. 218 bis Abs. 3 vorgesehen hatte, war es völlig klar, dass die verwaltungsgerichtliche Beschwerde nur zulässig sein sollte gegen Entscheide, die auf Grund von Abs. 1 des gleichen Artikels von kantonalen Verwaltungsbehörden über Begehren um Abkürzung der Sperrfrist für landwirtschaftliche Grundstücke getroffen worden waren. Als der Gesetzgeber beschloss, die Weiterzugsmöglichkeit in
BGE 94 I 412 S. 415
einem besonderen Artikel zu ordnen und sie gegen "letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Anwendung der Art. 218, 218 bis und 218 ter" zu gewähren, dachte er offensichtlich nicht daran, dass die Sperrfristbestimmungen nicht nur Gegenstand von Entscheiden der Verwaltungsbehörden bilden können, sondern auch von Zivilgerichten in Streitigkeiten über die Gültigkeit von Kaufgeschäften über landwirtschaftliche Grundstücke anzuwenden sind. Nach dem Wortlaut von
Art. 218 quater OR
, wie er in das Gesetz eingegangen ist, würde es sich aber auch bei solchen Urteilen von Zivilgerichten um "letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Anwendung von Art. 218, 218 bis und 218 ter" handeln, gegen welche die verwaltungsgerichtliche Beschwerde an das Bundesgericht zulässig wäre. Es ist jedoch völlig ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber eine derart umwälzende Änderung der herkömmlichen Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs der Verwaltungsbehörden und der Zivilgerichte habe vornehmen wollen. Eine solche Annahme liesse sich auch nicht etwa darauf stützen, dass der französische Text von
Art. 218 quater OR
von "jugements" spricht, während das OG für die Bezeichnung von Entscheiden der Verwaltungsbehörden sonst durchwegs den Ausdruck "décision" braucht; denn da im deutschen wie im italienischen Text von
Art. 218 quater OR
nicht von "Urteil", bzw. "giudizio", sondern von "Entscheid", "decisione" die Rede ist, handelt es sich beim französischen Text offensichtlich um einen Übersetzungsfehler.
Art. 218 quater OR
ist deshalb trotz seiner redaktionellen Unebenheiten so zu verstehen, dass er die verwaltungsgerichtliche Beschwerde nur gegen Entscheide der kantonalen Verwaltungsbehörden, nicht dagegen auch gegen Urteile der kantonalen Zivilgerichte gewährt. Auf die vorliegende verwaltungsgerichtliche Beschwerde ist daher nicht einzutreten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4e328d2-e687-43bf-81d6-52733e63818a | Urteilskopf
85 I 162
27. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Mai 1959 i.S. Eggen gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
1. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Formelle Legitimation und Sachlegitimation.
Art. 103 OG
.
2. Grundbuchführung. Spezielle Rechtsbeschwerde (
Art. 103 GBV
) und allgemeine Aufsichtsbeschwerde (
Art. 104 GBV
). Dem Käufer eines Grundstücks steht weder die eine noch die andereBeschwerde zu, um gegen die Weigerung des Grundbuchamtes, die vom Verkäufer nachgesuchte Eintragung zu vollziehen, aufzutreten. Anders, wenn der Käufer sich das Eigentum am Grundstück durch den Richter zusprechen liess und gestützt hierauf die Anmeldung selber vornahm. Art. 665 Abs. 1 und 2,
Art. 963 Abs. 1 und 2 ZGB
. | Sachverhalt
ab Seite 163
BGE 85 I 162 S. 163
A.-
Durch öffentlich beurkundeten Kaufvertrag vom 17. Oktober 1958 verkaufte Rey seine Liegenschaft in Brügg (Grundbuch Nr. 539) an Eggen. Der Vertrag wurde am 3. November 1958 beim Grundbuchamt Nidau zur Eintragung angemeldet. Das Amt schrieb die Anmeldung (nach Angabe des Beschwerdeführers sogleich) in das Tagebuch ein. Noch bevor es zur Eintragung in das Hauptbuch kam, am 15. November 1958, erhielt es eine superprovisorische richterliche Verfügung, wonach die Eintragung des Kaufvertrages sistiert wurde. Später folgte die richterliche Anordnung einer im Grundbuch vorzumerkenden Verfügungsbeschränkung im Sinne von
Art. 960 Ziff. 1 ZGB
. Sie stützte sich auf einen vom Verkäufer Rey in einem Eheschutzverfahren am 21. Dezember 1956 mit seiner Ehefrau abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich, wodurch er sich verpflichtet hatte, die in Frage stehende Liegenschaft während der Dauer der Trennung der Ehegatten bis zu einer allfälligen Scheidung (wozu es nicht
BGE 85 I 162 S. 164
gekommen ist) weder zu veräussern noch zu belasten noch in anderer Weise darüber zu verfügen.
B.-
Der Grundbuchverwalter vollzog die ihm aufgegebene Vormerkung und weigerte sich mit Berufung darauf, den Kaufvertrag zwischen Rey und Eggen im Hauptbuch einzutragen.
C.-
Gegen diese Weigerung führte Eggen bei der kantonalen Justizdirektion zuhanden des Regierungsrates Beschwerde. Der Verkäufer Rey ersuchte seinerseits die Justizdirektion um Aufhebung der vorgemerkten Verfügungsbeschränkung.
D.-
Mit Entscheid vom 17. Februar 1959 wies der Regierungsrat des Kantons Bern die Beschwerde des Käufers ab. Er erklärte, eine Rechtsbeschwerde gemäss Art. 103 der Grundbuchverordnung (GBV) wäre nur gegen die förmliche Abweisung einer Anmeldung zulässig. Eine derartige Verfügung habe das Grundbuchamt im vorliegenden Falle nicht getroffen. Im übrigen wäre zu einer solchen Beschwerde nur der Verkäufer befugt, nicht auch der Käufer, dem nur ein persönlicher Anspruch auf Erfüllung des Kaufvertrages zustehe. Somit könne die vorliegende Beschwerde nur als allgemeine Aufsichtsbeschwerde im Sinne von
Art. 104 GBV
berücksichtigt werden. Sie sei unbegründet, denn die richterliche Verfügungsbeschränkung gehe von einem sachlich zuständigen Richter aus und könne ihrem Inhalte nach den Gegenstand der vom Richter angeordneten Vormerkung bilden (HOMBERGER, N. 9 zu
Art. 960 ZGB
). Ob aber in der vertraglichen Unterlassungspflicht des Verkäufers gegenüber seiner Ehefrau ein gültiger Rechtsgrund einer solchen Verfügungsbeschränkung und der Vormerkung derselben liege, sei eine Frage des materiellen Rechtes, die im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht beurteilt werden könne. Somit habe der Grundbuchführer die dem richterlichen Verbot entgegenstehende positive Eintragung zu Recht abgelehnt und mit dieser Weigerung nicht gegen seine Amtspflicht verstossen.
Auf das Begehren des Verkäufers, die vollzogene Vormerkung
BGE 85 I 162 S. 165
sei zu löschen, könne nicht eingetreten werden. Da keine Zustimmung der Ehefrau des Verkäufers, zu deren Gunsten die Vormerkung bestehe, vorliege, könnte nur der Richter die Löschung verfügen. Dem Verkäufer bleibe vorbehalten, auf Löschung zu klagen, falls er behaupten wolle, durch die Vormerkung in seinen dinglichen Rechten verletzt zu sein (
Art. 975 Abs. 1 ZGB
, sog. Grundbuchberichtigungsklage).
E.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende, vom Käufer Eggen beim Bundesgericht erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Grundbuchverwalter von Nidau sei anzuweisen, den Eigentumsübergang auf den Beschwerdeführer durch die dazu nötigen Eintragungen in das Hauptbuch zu vollziehen.
F.-
Da die Beschwerde als zweifellos unbegründet erschien, wurde kein Schriftenwechsel nach Art. 93/107 OG angeordnet und auch von der Einholung einer Vernehmlassung des Bundesrates nach
Art. 108 Abs. 2 OG
abgesehen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vorliegende Beschwerde ist nach
Art. 99 Ziff. I lit. c und
Art. 102 lit. b OG
zulässig, und sie ist rechtzeitig und in gesetzlicher Form eingereicht worden. Indessen erhebt sich vorweg die Frage nach der Beschwerdebefugnis (Legitimation) des Beschwerdeführers. Fehlt sie in formeller Hinsicht, so ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, während das Fehlen der Sachlegitimation die Abweisung der Beschwerde eben wegen dieses Mangels, ohne nähere Prüfung der Rechtmässigkeit des angefochtenen Entscheides, nach sich zieht (vgl. KIRCHHOFER, Die Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, S. 35; GEERING, Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, Schweiz. jur. Kartothek Nr. 891, Bem. 3 lit. c); BIRCHMEIER, Ziff. II, 1 zu
Art. 103 OG
; aus der Rechtsprechung namentlich
BGE 75 I 381
,
BGE 77 I 17
Erw. 2,
BGE 78 I 83
,
BGE 84 I 84
Erw. 1).
2.
Angesichts der vom Beschwerdeführer Eggen in
BGE 85 I 162 S. 166
dem von ihm selbst angehobenen kantonalen Verfahren eingenommenen Parteistellung erscheint er formell zur verwaltungsgerichtlichen Beschwerde als legitimiert.
Was die Sachlegitimation betrifft, so ist von der Beschwerde auszugehen, wie sie bei der Vorinstanz - als spezielle Grundbuchbeschwerde gemäss
Art. 103 GBV
- geführt worden ist. Mit Recht erklärt der Regierungsrat, zu einer solchen Beschwerde sei der Käufer nicht legitimiert, da ihm der nicht eingetragene Kaufvertrag nur persönliche Rechte gebe.
Art. 103 GBV
sieht denn auch ausdrücklich nur ein Recht des Anmeldenden vor, sich über die Abweisung der Anmeldung zu beschweren, und die Anmeldung ging im vorliegenden Falle, wie es ordentlicherweise zu geschehen hat, vom Verkäufer als dem derzeit noch eingetragenen Eigentümer aus (
Art. 963 ZGB
), nicht vom Käufer, der die Anmeldung nur hätte vornehmen können, wenn ihm das Eigentum durch den Richter zugesprochen worden wäre (
Art. 665 Abs. 2 ZGB
). In jenem Normalfall ermangelt der Käufer daher auch der Sachlegitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (vgl.
BGE 60 I 139
, Inhaltsangabe zu Nr. 21, und S. 142 Erw. 1 am Ende). Ist die vorliegende Beschwerde somit aus diesem Grunde abzuweisen, so ist auf die Frage nicht einzugehen, ob der Grundbuchverwalter den vom Verkäufer angemeldeten, im Tagebuch eingeschriebenen Kaufvertrag nun infolge der von der Ehefrau des Verkäufers erwirkten richterlichen Verfügungen nicht mehr in das Hauptbuch eintragen durfte, ob er also diese Eintragung aus zutreffenden Gründen verweigert hat.
3.
Der Regierungsrat nimmt freilich einen andern Standpunkt ein. Er hält dafür, da keine förmliche Abweisung der Anmeldung durch das Grundbuchamt vorliege, komme eine Rechtsbeschwerde nach
Art. 103 GBV
nicht in Frage. Gerade deshalb bleibe nur die Anfechtung der Eintragungsverweigerung durch die allgemeine Aufsichtsbeschwerde nach
Art. 104 GBV
möglich, wozu dann aber nicht nur der Verkäufer, sondern auch der Käufer legitimiert sei.
BGE 85 I 162 S. 167
Dieser Betrachtungsweise kann nicht beigetreten werden. Der Grundbuchverwalter hatte allerdings seinerzeit die Anmeldung des Kaufvertrages durch den Verkäufer widerspruchslos entgegengenommen und in das Tagebuch eingeschrieben. Er gab dann aber dem richterlichen Eingriff Folge, indem er die Sistierung der bevorstehenden Eintragung beachtete und ferner die später vom Richter angeordnete Vormerkung einer Verfügungsbeschränkung vornahm. Und indem er gestützt auf diese Massnahmen nunmehr die Eintragung des Kaufvertrages in das Hauptbuch verweigerte, wies er, wenn auch nicht förmlich und ausdrücklich, so doch der Sache nach die Anmeldung des Kaufvertrages mit Rücksicht auf ein inzwischen eingetretenes Eintragungshindernis ab. Es mag dahingestellt bleiben, warum er sich auf eine unförmliche Weigerung beschränkte, und ob ihm dabei etwa bloss eine Abweisung zur Zeit, d.h. für die Dauer der Verfügungsbeschränkung, vorschwebte (was mit den grundbuchlichen Vorschriften kaum vereinbar wäre, vgl.
Art. 966 Abs. 1 ZGB
,
Art. 24 GBV
; ANDERMATT, Die grundbuchliche Anmeldung nach schweizerischem Recht, S. 206). Wie dem auch sein mag, war niemand anderes als der (unter Vorbehalt der Beachtlichkeit der richterlich angeordneten Verfügungsbeschränkung) nach materiellem Recht verfügungsberechtigte derzeitige Eigentümer, also der Verkäufer, befugt, seine Anmeldung auf dem Beschwerdeweg, und zwar nach
Art. 103 GBV
, zur Geltung zu bringen. Der nicht anmeldeberechtigte Käufer war durch die Weigerung des Grundbuchverwalters nicht in eigenen Rechten verletzt. Er kann daher auch nicht mit Hinweis auf
Art. 104 GBV
ein Beschwerderecht für sich in Anspruch nehmen. Weder können die beiden Beschwerdearten miteinander verbunden oder nebeneinander geltend gemacht werden (Entscheid des Bundesrates; ZBGR 14 S. 273 N. 78), noch lässt sich gegenüber der vorliegenden Verfügung des Grundbuchamtes etwas zu Gunsten des Käufers der Liegenschaft daraus herleiten, dass der Kreis der Beschwerdeberechtigten bei der allgemeinen Aufsichtsbeschwerde des
Art. 104 GBV
weiter zu
BGE 85 I 162 S. 168
ziehen ist als bei der speziellen Rechtsbeschwerde des
Art. 103 GBV
(vgl.
BGE 58 I 131
und 334/35 sowie
BGE 79 I 265
; ZBGR 35 S. 16). Einem Dritten steht eben nicht zu, mit allgemeiner Aufsichtsbeschwerde gegen die Abweisung (oder Zurückstellung) der vom derzeitigen Liegenschaftseigentümer ausgehenden Anmeldung aufzutreten. Wie dargetan, ist ausschliesslich der Anmeldende selbst berechtigt, die in der Anmeldung enthaltene grundbuchliche Verfügung über das Grundstück (der die blosse Anmerkung von Fahrnis als Zugehör, worauf sich
BGE 58 I 131
und 334/35 beziehen, nicht gleichzuachten ist) zu verfechten. So gut wie er die Anmeldung, solange der Vertrag nicht in das Hauptbuch eingetragen ist, noch zurückziehen kann (
BGE 83 II 15
), steht dem Verkäufer auch frei, es bei deren Abweisung bewenden zu lassen. Dem Käufer ist daher aus Gründen des materiellen Rechtes kein, auch nicht ein auf
Art. 104 GBV
zu stützendes Beschwerderecht zuzuerkennen. Dementsprechend ermangelt er auch der Sachlegitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegenüber dem die abweisende Verfügung des Grundbuchamtes schützenden Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4ec606a-37b4-4ffd-8efc-b5bc2c19dafb | Urteilskopf
136 III 365
54. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. (recours en matière civile)
5A_726/2009 du 30 avril 2010 | Regeste
Art. 318 Abs. 1 ZGB
; Abänderung des Unterhaltsbeitrages für ein aussereheliches Kind; Legitimation des Inhabers der elterlichen Sorge.
Der Grundsatz, wonach aufgrund von
Art. 318 Abs. 1 ZGB
der Inhaber der elterlichen Sorge die Rechte des minderjährigen Kindes in eigenem Namen ausüben und vor Gericht oder in einer Betreibung geltend machen kann, indem er persönlich als Partei handelt, gilt für alle Fragen vermögensrechtlicher Natur, einschliesslich diejenigen betreffend die Unterhaltsbeiträge. Die Aktiv- oder Passivlegitimation muss deshalb dem Inhaber der elterlichen Sorge ebenso wie dem minderjährigen Kind zuerkannt werden, auch wenn die Abänderung des Unterhaltsbeitrages für ein aussereheliches Kind streitig ist (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 366
BGE 136 III 365 S. 366
A.
X., né en 1970, et Y., née en 1973, ont fait ménage commun de 1994 à mai 2006. Un enfant est issu de leur union: A., née le 26 avril 2006 à Genève. La mère exerce l'autorité parentale et la garde de l'enfant.
Par convention du 30 janvier 2007, le père s'est engagé à verser mensuellement en faveur de sa fille, allocations familiales non comprises, la somme de 2'700 fr. du 1
er
janvier 2007 jusqu'aux 18 ans révolus de l'enfant et au-delà en cas d'études sérieuses et suivies.
Les parents ont, par convention du 18 juillet 2008 [recte: 2007], réduit le montant de la contribution d'entretien à 1'700 fr. par mois du 1
er
août 2007 jusqu'aux 18 ans révolus de l'enfant et au-delà en cas d'études sérieuses et suivies. Il était précisé que ladite contribution pourrait être revue si la situation d'une des parties devait se modifier de façon durable et importante.
Cette seconde convention a été approuvée par le Tribunal tutélaire du canton de Genève le 8 août 2007.
B.
Le 30 décembre 2008, le père a requis - en dirigeant son action exclusivement contre Y. - la modification de la contribution alimentaire, proposant de verser mensuellement en faveur de sa fille, dès le 1
er
janvier 2009, une contribution d'entretien de 1'000 fr. jusqu'à l'âge de 5 ans, 1'100 fr. jusqu'à l'âge de 10 ans, 1'200 fr. jusqu'à l'âge de 15 ans et 1'300 fr. jusqu'à la majorité, voire au-delà en cas d'études.
Le Tribunal de première instance de Genève l'a débouté de ses conclusions le 14 mai 2009. Ce jugement a été confirmé le 24 septembre suivant par la Cour de justice du canton de Genève, qui a cependant rectifié la dénomination des parties en ce sens que la défenderesse est l'enfant, A., représentée par sa mère, Y.
C.
Par arrêt du 30 avril 2010, le Tribunal fédéral a rejeté, dans la mesure de sa recevabilité, le recours en matière civile interjeté par le père contre l'arrêt de la Cour de justice du 24 septembre 2009.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En première instance cantonale, le recourant a dirigé sa "requête en fixation d'une pension alimentaire" contre la mère de l'enfant. Dans son mémoire de réponse, celle-ci a indiqué qu'elle s'en rapportait à justice quant à la légitimation passive, l'enfant étant en réalité le créancier de la contribution d'entretien et donc le titulaire des droits dont le
BGE 136 III 365 S. 367
demandeur souhaitait la modification. Le Tribunal de première instance ne s'est pas prononcé sur ce point. Quant à la Cour de justice, elle a, de son propre chef et sans aucune motivation, modifié la dénomination des parties, tant dans le rubrum que dans le corps de l'arrêt, en ce sens que la demande est dirigée contre l'enfant représenté par sa mère. Dans sa réponse au présent recours, l'enfant rappelle, à titre liminaire, que le Tribunal de première instance a été requis de se prononcer sur la question de la légitimation passive, dès lors que la demande a été déposée contre sa mère alors qu'elle-même est créancière de la contribution d'entretien et, partant, titulaire des droits dont le demandeur souhaite la modification.
2.1
La qualité pour agir et la qualité pour défendre appartiennent aux conditions matérielles de la prétention litigieuse. Elles se déterminent selon le droit au fond et leur défaut conduit au rejet de l'action, qui intervient indépendamment de la réalisation des éléments objectifs de la prétention litigieuse. Ainsi, l'admission de la qualité pour défendre signifie que le demandeur peut faire valoir sa prétention contre le défendeur, en tant que sujet passif de l'obligation en cause. Cette question, qui ressortit au droit fédéral (
ATF 130 III 417
consid. 3.1 p. 424), doit en particulier être examinée d'office et librement (
ATF 130 III 550
consid. 2 p. 551 s.;
ATF 126 III 59
consid. 1a p. 63).
2.2
Selon l'
art. 318 al. 1 CC
, les père et mère administrent les biens de l'enfant aussi longtemps qu'ils ont l'autorité parentale. La jurisprudence en a déduit que le détenteur de l'autorité parentale, qui a l'administration et la jouissance des biens de l'enfant mineur en vertu d'un droit propre, peut protéger en son nom les droits patrimoniaux de l'enfant et les faire valoir en justice en agissant personnellement comme partie (
ATF 84 II 241
p. 245, relatif à l'ancien
art. 290 al. 1 CC
, dont la teneur est identique à l'actuel
art. 318 al. 1 CC
;
ATF 90 II 351
consid. 3 p. 355/356). La doctrine partage majoritairement ce point de vue, considérant par exemple que la demande de modification de la contribution à l'entretien de l'enfant fixée par le jugement de divorce peut être dirigée contre le détenteur de l'autorité parentale en tant que "Prozessstandschafter", disposant de la faculté d'être poursuivi en justice pour le droit d'autrui (cf. par exemple BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar [3
e
éd. 1980] et Ergänzungsband, [1980], n
os
59 et 279 ad ancien
art. 156 CC
; HEGNAUER, Berner Kommentar, 3
e
éd. 1964, n° 63 ad
art. 286 CC
). Le Tribunal fédéral en a jugé de même dans le contexte d'une procédure de modification du jugement de divorce tendant également à la restitution de contributions d'entretien payées en
BGE 136 III 365 S. 368
trop, estimant que celles-ci faisaient partie de la fortune de l'enfant et que la faculté du détenteur de l'autorité parentale de conduire un procès en son propre nom et comme partie à la place de l'enfant obligé concerne la fortune de celui-ci considérée dans son ensemble (arrêt 5C.314/2001 du 20 juin 2002 consid. 7 et 9, non publiés in
ATF 128 III 305
).
Le principe selon lequel, en vertu de l'
art. 318 al. 1 CC
, le détenteur de l'autorité parentale a qualité pour exercer en son nom les droits de l'enfant mineur et pour les faire valoir en justice ou dans une poursuite en agissant personnellement comme partie doit finalement valoir pour toutes les questions de nature pécuniaire et, par conséquent aussi, d'une manière générale, pour celles relatives à des contributions d'entretien. Il s'ensuit que la légitimation active ou passive doit être reconnue aussi bien au détenteur de l'autorité parentale qu'à l'enfant mineur (cf.
ATF 90 II 351
précité). Tel est également le cas lorsque, comme en l'espèce, le litige porte sur la modification d'une contribution d'entretien fixée par convention approuvée par l'autorité tutélaire pour un enfant né hors mariage. Dès lors, la jurisprudence contraire de l'arrêt 5A_104/2009 du 19 mars 2009 ne saurait être maintenue. La légitimation passive de la mère, contre qui l'action a été dirigée, doit donc être admise. Il convient, par conséquent, de modifier dans ce sens la dénomination des parties telle qu'elle ressort de l'arrêt déféré. | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d4ee3750-bed5-4008-bd58-6b082ee180e8 | Urteilskopf
110 V 344
56. Auszug aus dem Urteil vom 18. Dezember 1984 i.S. Mordasini gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Zürich, und Kantonale Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung, Zürich | Regeste
Art. 43 Abs. 1 lit. a AVIG
,
Art. 65 Abs. 2 AVIV
.
- Das Erfordernis, wonach der Arbeitsausfall im Hinblick auf seine Anrechenbarkeit "zwingend" durch das Wetter verursacht sein muss, beinhaltet grundsätzlich nicht, dass Vorkehren zum Schutz der Arbeitnehmer bzw. technische Massnahmen zur Fortführung der Arbeit getroffen werden müssen, soweit aufwendige, kostspielige und insofern unzumutbare Massnahmen in Betracht fallen und soweit allfällige Vorkehren in einer bestimmten Branche nicht üblich sind (Erw. 3b).
- In casu Pflicht des Arbeitgebers, zur Ermöglichung von Gipserarbeiten die Fensteröffnungen mit Plastik abzudecken und ein Warmluftheizgerät einzusetzen, verneint (Erw. 3c). | Erwägungen
ab Seite 344
BGE 110 V 344 S. 344
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Anspruch auf Schlechtwetterentschädigung setzt u.a. einen anrechenbaren Arbeitsausfall voraus (
Art. 42 Abs. 1 lit. b AVIG
). Gemäss
Art. 43 Abs. 1 lit. a AVIG
ist der Arbeitsausfall anrechenbar, wenn er durch das Wetter zwingend verursacht ist. Laut
Art. 65 Abs. 2 AVIV
wird die Schlechtwetterentschädigung
BGE 110 V 344 S. 345
nur ausgerichtet, soweit die Arbeitnehmer unmittelbar dem Wetter (Regen, Schnee, Kälte) ausgesetzt sind und deswegen nicht arbeiten können.
Nach Auffassung der Vorinstanz ist das gesetzliche Erfordernis des zwingend durch das Wetter verursachten Arbeitsausfalls dahin auszulegen, dass die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer trotz zumutbarer Vorkehren selbst direkt vom Wetter betroffen, d. h. an der Arbeit verhindert werden. Nach den Abklärungen des Kantonalen Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) sollten Gipserarbeiten im Hinblick auf die Begrenzung der Risiken nicht unter 0 Grad Celsius ausgeführt werden. Diese temperaturmässig ausreichenden Verhältnisse zu schaffen, sei auch bei extremer Kälte möglich, auf der fraglichen Baustelle "Farb" in Wetzikon durch Abdecken der Fensteröffnungen mit Plastik und Einsetzen eines Warmluftheizgerätes. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten arbeiten können, sofern diese Vorkehren getroffen und damit die Temperatur am Arbeitsplatz (unter Dach) auf die nötige Höhe gebracht worden wäre.
b) Der Auffassung der Vorinstanz kann zumindest in dieser generellen Form nicht beigepflichtet werden. Unbestritten ist, dass der Arbeitsausfall nur als anrechenbar gilt, wenn er durch unmittelbare Witterungseinflüsse zwingend verursacht wird. Das bedeutet, dass die Arbeiten - wie im Kreisschreiben des BIGA über die Schlechtwetterentschädigung (provisorische Ausgabe, gültig ab 1. Januar 1984) zutreffend dargelegt - aus technischen oder aus in der Person der Arbeitnehmer liegenden, auf das Wetter zurückzuführenden Gründen nicht mehr ausgeführt werden können. Indessen fragt es sich, ob der Begriff "durch das Wetter zwingend verursacht" auch beinhaltet, dass Vorkehren zum Schutz der Arbeitnehmer bzw. technische Massnahmen im Hinblick auf die Fortführung der Arbeit getroffen werden müssen. Dies ist aufgrund der Ausführungen in der Botschaft des Bundesrates zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 (BBl 1980 III 489) grundsätzlich zu verneinen, soweit es sich um aufwendige, kostspielige und insofern unzumutbare Massnahmen handelt und soweit allfällige Vorkehren in einer bestimmten Branche nicht üblich sind. Der Bundesrat erklärt dazu (S. 533 f.):
"Die Tatsache der schlechten Witterung kann vom Betrieb nicht
beeinflusst werden. Er hat zwar unter Umständen die Möglichkeit, durch
vorsorgliche technische Massnahmen auch bei schlechter Witterung die
BGE 110 V 344 S. 346
Fortführung der Arbeit zu erleichtern; bei den klimatischen Verhältnissen
unseres Landes sind diese Möglichkeiten jedoch wesentlich bescheidener als
etwa in der Bundesrepublik Deutschland. Für unsere Verhältnisse scheint es
deshalb angemessener, gegebenenfalls Schlechtwetterentschädigung zu zahlen
als Einrichtungen zur Förderung der Winterarbeit auf Baustellen zu Lasten
der Arbeitslosenversicherung zu vergüten."
Diese Ausgestaltung der Schlechtwetterentschädigung ist vom Gesetzgeber stillschweigend akzeptiert worden und entspricht im wesentlichen der bisherigen Ordnung (vgl. dazu HOLZER, Kommentar zum AlVG, S. 182 ff., insbesondere S. 185).
c) Im vorliegenden Fall waren auf der Baustelle Liegenschaft "Farb" in Wetzikon die Fenster noch nicht eingesetzt, als mit den Gipserarbeiten hätte begonnen werden sollen. Aufgrund der Feststellungen des KIGA erlaubten die Lufttemperaturen in der fraglichen Zeit Gipserarbeiten nicht. Diese hätten durch in der Baubranche an sich übliche Vorkehren (Abdecken der Fensteröffnungen und Einrichten einer Heizung) zwar ermöglicht werden können. Indessen rechtfertigt sich gestützt auf die glaubwürdigen Angaben gegenüber dem KIGA die Annahme, dass es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar war, im Hinblick auf die Vornahme der Gipserarbeiten die notwendigen - recht kostspieligen - Installationen zu treffen, zumal der Bauherr solche ablehnte. Mithin liegt ein anrechenbarer Arbeitsausfall vor, sofern auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Dies ist gestützt auf die angefochtenen Verfügungen zu bejahen ... | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d4ee6682-2913-45d5-9131-d53c3f90f012 | Urteilskopf
95 II 344
47. Arrêt de la Ire Cour civile du 14 octobre 1969 dans la cause Hodel contre Schneiter et La Neuchâteloise, ainsi que Jaques et l'Assurance mutuelle vaudoise contre les accidents. | Regeste
Haftpflicht bei Unfall, an dem mehrere Motorfahrzeughalter beteiligt sind.
Art. 58 ff. SVG
.
1. Im Gegensatz zu Art. 38 MFG, der sich nur auf den Fall der Beteiligung mehrerer Halter an einem Unfall bezog, erfasst
Art. 60 Abs. 1 SVG
alle mit der Haftung eines Halters zusammentreffenden Fälle von Kausalhaftung und schafft keine vom gemeinen Recht abweichende Sonderregelung in dem Sinne, dass ohne Möglichkeit einer Entlastung auf den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsgefahr des Fahrzeugs und dem Schaden abzustellen wäre.
Art. 60 Abs. 1 SVG
beschränkt sich auf die Regelung der Natur der Haftung, indem er an Stelle der blossen Anspruchskonkurrenz, die sich nach dem gemeinen Recht ergäbe, eine Solidarhaft vorsieht (Erw. I 1-5).
2. Sind mehrere Halter an einem Unfall beteiligt, so muss
Art. 59 Abs. 1 SVG
in dem Sinne ausgelegt werden, dass das schwere und ausschliessliche Verschulden des einen Halters den schuldlosen Halter von jeder Haftung befreit (Erw. I 6 u. 7).
3. Schweres Verschulden des Lenkers, der in angetrunkenem Zustand nachts mit abgenutzten Reifen mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/St fährt und am Beginn einer wegen einer Hecke unübersichtlichen Kurve ein anderes Fahrzeug überholt (Erw. II).
4. Schuldlosigkeit des Lenkers, der nachts auf einer 9 m breiten Strasse nicht am äussersten rechten Fahrbahnrand fährt und nicht damit rechnen muss, in einer Kurve überholt zu werden (Erw. III). | Sachverhalt
ab Seite 346
BGE 95 II 344 S. 346
A.-
Le 12 novembre 1961, un accident de la circulation s'est produit vers 1 h. 45 du matin sur la route Lausanne-Renens, au lieu dit Sous-Roche. Jean-Daniel Schneiter conduisait son véhicule, circulant en direction de Renens. Dame Gertrude Hodel avait pris place à ses côtés. La voiture de Schneiter était suivie par celle de Hans Hodel, mari de Gertrude Hodel. Hodel conduisait, ayant la femme de Schneiter et deux autres passagers dans sa voiture.
A l'endroit de l'accident, la route, large de 9 m, était alors bordée à droite par un trottoir, à gauche par une voie de tramways non carrossable. Elle décrit une courbe à droite. Une haie, haute de 2 m., est plantée à l'intérieur de la courbe, à 3 m. 20 de la chaussée et restreint la visibilité. Une rangée de lampadaires est disposée à l'extérieur de la voie de tramways.
Avant la courbe, Schneiter, qui circulait à 80-90 km/h., fut rejoint par Hodel, dont la vitesse était supérieure à 100 km/h. A l'entrée du virage, Hodel entreprit de dépasser, ce dont dame Hodel avertit Schneiter. Pour cela, il emprunta, dans le virage, la partie gauche de la chaussée et, alors qu'il était à peu près à la hauteur de Schneiter, il entra en collision frontale avec une voiture circulant en sens inverse, conduite par André Jaques. Sous l'effet du choc, sa voiture heurta la voiture de Schneiter. Hodel fut tué et dame Hodel, éjectée de la voiture Schneiter, grièvement blessée.
Lors de l'accident, Hodel était pris de boisson. Une analyse de sang a révélé une alcoolémie de 1,05 g‰. Lors du dépassement, Schneiter circulait sur la partie droite de la chaussée, soit à 2 m. 50 du bord droit de la chaussée et à 0 m. 50 à droite de la ligne médiane idéale.
B.-
Par demande du 24 avril 1964, dame Gertrude Hodel a assigné Schneiter et son assureur contre la responsabilité civile, La Neuchâteloise, en paiement d'une indemnité de 226 000 fr. en principal. Les défendeurs ont conclu à libération. Ils ont appelé en cause et évoqué en garantie Jaques et son assureur contre la responsabilité civile, l'Assurance mutuelle vaudoise, aux fins d'être relevés par les appelés de toute somme qu'ils pourraient être condamnés à payer à la demanderesse.
BGE 95 II 344 S. 347
Selon jugement du 27 mai 1969, la Cour civile du canton de Vaud a rejeté la demande, pour le motif que l'accident était dû à la faute grave et exclusive de Hodel, ce qui entraînait la libération du défendeur.
Dame Hodel a formé contre ce jugement un recours en réforme dans lequel elle réduit sa prétention à 64 000 fr. Les défendeurs ont de leur côté formé un recours en réforme à titre éventuel, dirigé contre les appelés en cause et évoqués en garantie. Ils ont conclu au rejet du recours de la demanderesse.
Les appelés en cause et évoqués en garantie ont conclu au rejet du recours formé contre eux par les défendeurs et déclaré s'en remettre à justice quant au recours de la demanderesse.
Erwägungen
Considérant en droit:
I
1.
L'accident s'étant produit le 12 novembre 1961, la LCR est applicable à la responsabilité civile, tandis que les règles de circulation, au regard desquelles doivent être appréciées les fautes respectives, sont régies par la LA.
2.
Le présent recours pose une question de principe, que la cour cantonale a tranchée sans aucune discussion et que la recourante ne remet pas en cause, savoir si, contrairement à la pratique adoptée sous l'empire de la LA, un détenteur peut s'exonérer de toute responsabilité en invoquant la faute lourde et exclusive d'un autre détenteur.
Interprétant l'art. 38 LA, le Tribunal fédéral, en jurisprudence constante, a vu dans cette règle le fondement autonome d'une responsabilité solidaire purement causale. Le détenteur ne peut dès lors invoquer l'exonération instituée à l'art. 37 al. 2 LA, le détenteur d'un autre véhicule automobile qui a contribué à provoquer le dommage n'étant pas un tiers au sens de cette disposition (RO 62 II 309/310;
63 II 344
;
86 II 190
; arrêt Hirschberg c. Blanc, non publié en ce qui nous intéresse ici, du 20 février 1960). S'inspirant de STREBEL, Kommentar, n. 2 ad art. 38, cette pratique est critiquée par OFTINGER, Haftpflichtrecht, 1e éd., p. 958/9, 2e éd., p. 672 ss., et par G. GAROBBIO, RSJ 1961, p. 101.
La question est de savoir si cette jurisprudence peut être maintenue sous l'empire de la LCR.
3.
Le projet du Conseil fédéral opte pour la libération du
BGE 95 II 344 S. 348
détenteur non fautif en cas de faute grave d'un autre détenteur. Le texte de l'art. 55 al. 1 du projet est clair:
"Lorsqu'un accident est provoqué par plusieurs véhicules automobiles, les détenteurs tenus de réparer le dommage en vertu de l'art. 54 sont solidairement responsables envers le tiers lésé."
Selon ce texte, la condition de la responsabilité solidaire est ainsi une responsabilité, fondée sur l'art. 54 du projet, qui correspond à l'art. 59 de la loi. Qu'aux termes de cette disposition un autre détenteur dont le véhicule a contribué à provoquer l'accident soit un "tiers" résulte de façon évidente du Message du Conseil fédéral: "un détenteur libéré en vertu de l'art. 54, 2e alinéa, ne peut donc faire l'objet de prétentions fondées sur l'art. 55, 1er alinéa" (FF 1955 II p. 53) et plus haut, page 47, le Message donne l'exemple suivant d'exonération de la responsabilité du détenteur: "en cas de faute exclusive d'un tiers (un automobiliste circulant d'une manière correcte est entraîné dans un accident par la faute grave d'un autre automobiliste, qui par exemple le dépasse imprudemment)".
Toutefois cette intention, si elle ressort clairement du projet, n'a pas trouvé son expression non équivoque dans le texte légal, qui ne diffère pas essentiellement de celui de l'art. 38 LA. Sans doute, lors des débats parlementaires, les rapporteurs des deux chambres ont-ils souligné que les modifications apportées au texte du projet par la commission du Conseil national ne touchaient pas au principe contenu dans le texte du projet et n'avaient qu'une portée rédactionnelle (voir GUINAND pour le Conseil national, Bull. stén. CN 1957 p. 230/231; MULLER pour le Conseil des Etats, Bull. stén. CE 1958 p. 121). Il n'en demeure pas moins que l'intention nettement affirmée du projet du Conseil fédéral, et que le législateur paraît avoir voulu faire sienne, n'a pas trouvé son expression claire dans le texte légal, dont le sens doit dès lors être dégagé par voie d'interprétation. Ainsi le professeur YUNG estime que le texte nouveau ne tranche pas la controverse, tout en semblant moins favorable à la thèse de la jurisprudence (La responsabilité civile d'après la loi sur la circulation routière, Genève 1962, p. 13 s. et 18).
4.
Aux termes de l'art. 60 al. 1 LCR, "lorsque plusieurs personnes répondent d'un dommage subi par un tiers dans un accident où est en cause un véhicule automobile, ces personnes sont solidairement responsables".
BGE 95 II 344 S. 349
La condition de la solidarité est ainsi que "plusieurs personnes répondent d'un dommage", c'est-à-dire qu'une responsabilité est établie à la charge de chacune d'elles. Or cette responsabilité, l'art. 60 n'en indique pas le fondement, il la suppose établie et elle ne peut l'être qu'en vertu des règles fondant la responsabilité - une responsabilité causale au vu de l'al. 3 - pour chacune des personnes impliquées dans l'accident. Il faudra donc se référer aux dispositions légales instituant la responsabilité soit des entreprises de chemins de fer, soit du détenteur d'animaux, soit du propriétaire d'ouvrage, soit enfin du détenteur d'un véhicule automobile, selon que les autres personnes impliquées le sont respectivement à l'un de ces titres. Cela conduit, lorsque plusieurs détenteurs sont en cause, à se référer aux art. 58 et 59 LCR (RO 95 II 337). Ainsi l'art 60 n'est pas une règle autonome instituant une responsabilité aggravée en cas d'accident où plusieurs véhicules sont en cause. Il se borne à régler la modalité de cette responsabilité, instituant une solidarité au lieu du simple concours d'actions qu'implique le droit commun.
Sous l'empire de la LA, la jurisprudence interprétait au contraire l'art. 38 comme instituant une responsabilité solidaire fondée sans exonération possible sur la causalité naturelle entre le risque inhérent à l'emploi du véhicule et le dommage. Une solution différente était contraire, selon cette pratique, au principe de la pure causalité, fondement de la responsabilité du détenteur.
5.
Cette thèse était soutenable sous l'empire de l'art. 38 LA, qui ne visait que l'hypothèse où plusieurs détenteurs - et personne d'autre - étaient impliqués. On pouvait alors voir dans l'art. 38 LA l'institution d'une responsabilité solidaire reposant sans exonération possible sur la pure causalité naturelle.
Toutefois, comme le relève OFTINGER, op.cit., 2e éd., p. 674, l'art. 60 al. 1 LCR - fondant dans un même alinéa les alinéas 1 et 3 du projet - ne vise pas seulement cette hypothèse. Il s'étend à tous les cas de pluralité de responsabilités causales en concours avec la responsabilité d'un détenteur. Or il est évident que s'agissant, par exemple, de la responsabilité d'un détenteur d'animal, du chef de famille, d'un propriétaire d'ouvrage - état de la route - l'art. 60 al. 1 n'entend pas créer un régime spécial, fondé sans exonération possible sur la causalité naturelle,
BGE 95 II 344 S. 350
dérogeant au droit commun. Il suppose au contraire que la responsabilité respective de chacune de ces catégories de personnes est établie, au vu des règles propres à chacune d'elles, avec les exculpations instituées par la loi. Or l'art. 60 ne fait aucune différence entre les responsabilités. Il ne prévoit pas un régime exceptionnel pour le détenteur d'un véhicule automobile. On peut dès lors affirmer, avec OFTINGER (loc. cit.), que le nouveau texte ne permet plus de fonder la responsabilité sur le seul art. 60 al. 1. Cette disposition ne s'applique que si, selon les règles propres à chaque catégorie de personnes impliquées, leur responsabilité est établie. Il faut donc, s'agissant de plusieurs détenteurs, se reporter aux art. 58 et 59 LCR.
6.
Selon l'art. 59 al. 1 LCR, le détenteur est libéré s'il prouve que le dommage a été causé par la force majeure ou par une faute grave du lésé ou d'un tiers sans que lui-même ait commis de faute.
La jurisprudence a posé que, selon la règle identique de l'art. 37 al. 2 LA, le détenteur d'un véhicule automobile qui a contribué à provoquer le dommage n'est pas un tiers. Cette proposition est le corollaire de l'interprétation qui était alors donnée de l'art. 38 LA. Elle n'est pas nécessairement incompatible avec l'interprétation proposée ci-dessus de l'art. 60 LCR. On peut en effet relever que l'art. 59 LCR, tout comme l'art. 37 LA, concerne le cas où le seul détenteur est impliqué, les autres cas étant régis par l'art. 60 LCR, respectivement 38 LA. Aussi bien le "tiers" visé par cette disposition ne peut-il pas être un autre détenteur. On ne saurait toutefois s'arrêter à un tel argument, purement exégétique. Si l'on admet que l'art. 60 LCR renvoie, quant aux conditions de la responsabilité, aux règles qui fondent cette responsabilité, ces règles doivent être comprises comme ayant une portée générale. Les art. 58, 59 LCR visent "le détenteur" abstrait, non pas nécessairement le détenteur unique.
L'art. 59 al. 1 LCR s'insère dans un système de responsabilité causale: la responsabilité du détenteur est engagée du seul fait que l'emploi du véhicule est en relation de causalité avec le dommage. C'est le principe posé par l'art. 58 al. 1 LCR. Ce lien de causalité doit être adéquat: ce n'est qu'autant que, selon le cours ordinaire des choses, l'emploi du véhicule était de nature à causer le dommage que la responsabilité du détenteur est engagée (RO 81 II 557;
83 II 409
; OFTINGER, op.cit., II/2, 2e éd., p. 521).
BGE 95 II 344 S. 351
L'art. 59 al. 1 LCR ne fait qu'appliquer ce principe de la causalité adéquate lorsqu'il exclut la responsabilité du détenteur en cas de force majeure ou de faute lourde et exclusive du lésé ou d'un tiers. Il suppose une circonstance, non imputable au détenteur, telle que la relation de causalité entre l'emploi du véhicule et le dommage n'est plus adéquate. Le dommage résulte directement d'un concours de circonstances dont l'une, la force majeure, la faute lourde et exclusive du lésé ou d'un tiers, apparaît à tel point prépondérante que les autres causes ne peuvent plus être considérées comme des causes adéquates du dommage (P. GIOVANNONI, La causalité dans la responsabilité civile extracontractuelle, RJB 1962, p. 276).
On ne voit dès lors pas ce qui autoriserait une distinction selon que le tiers dont la faute lourde et exclusive a causé le dommage est un détenteur ou une autre personne. Les raisons sur lesquelles est fondé l'art. 59 al. 1 LCR valent également dans ce cas. Et il n'y a pas de raison de ne pas exonérer le détenteur diligent, innocent, lorsque, par suite du comportement insensé d'un autre détenteur, il se trouve impliqué dans des circonstances telles que la relation de causalité entre son comportement et le dommage apparaît n'être plus adéquate.
7.
La solution reçue par la jurisprudence ne saurait d'autre part être justifiée par des raisons d'équité. Du point de vue des détenteurs, il n'est pas équitable de rendre responsable un conducteur impliqué dans un accident sans sa faute, par suite d'une faute d'un autre détenteur, faute d'une gravité telle que le risque inhérent à son propre véhicule n'entre plus en considération. Quant au lésé, le maintien de la solidarité ne présente pour lui un intérêt pratique que lorsqu'il rentre dans la catégorie des personnes exclues de l'assurance aux termes de l'art. 63 al. 3 litt. a et b LCR. Mais en les excluant de l'assurance obligatoire, la loi considère que les relations les liant au conducteur ou au détenteur fautif sont telles, s'agissant des proches notamment, que la responsabilité n'est pas invoquée. Le corollaire ne saurait être que le tiers détenteur, innocent par hypothèse, doive y suppléer.
Sans doute, la jurisprudence a fait valoir qu'il n'appartient pas au lésé de démêler entre les torts respectifs de deux conducteurs impliqués dans l'accident dont il est victime. Cet argument n'est pas sans valeur. C'est cette considération qui est à la base de l'art. 60 al. 1 LCR. Toutefois les conditions posées par l'art. 59 al. 1 LCR sont strictes. Dans tous les accidents d'une certaine
BGE 95 II 344 S. 352
gravité, les constats de police permettent au lésé d'apprécier en gros les responsabilités respectives et lorsqu'une faute manifeste apparaît à la charge d'un détenteur et que la faute de l'autre sera discutable, le lésé ne perdra rien en agissant contre le premier seulement. L'incertitude dans laquelle il peut se trouver sera exceptionnelle. Et d'ailleurs, à ce point de vue également, une différence ne se justifie pas selon que le tiers est un autre détenteur ou une personne répondant à un autre titre.
En conclusion, l'art. 59 al. 1 LCR doit être interprété en ce sens que la faute lourde et exclusive d'un détenteur exonère de toute responsabilité le détenteur non fautif.
II
La cour cantonale constate que, lors de l'accident, Hodel était pris de boisson et que cette circonstance ajoué un rôle important dans le comportement de ce conducteur. Il est de plus constant que les pneus des roues gauches de sa voiture présentaient une usure que l'on peut qualifier de totale, circonstance qui exerçait une influence sur la tenue de route. Hodel a entrepris un dépassement à l'entrée d'une courbe, sa visibilité étant masquée par une haie l'empêchant de voir à temps les véhicules arrivant en sens inverse. Enfin sa vitesse, supérieure à 100 km/h., dans ce virage pris au large, compte tenu du dévers de la route et de l'état des pneus, était excessive.
C'est en vain que la recourante prétend discuter ces constatations, qui ressortissent au fait. Il n'y a aucun doute que la cour cantonale a qualifié avec raison de "très lourdes" l'ensemble des fautes commises par Hodel.
III
Reste à examiner si le défendeur Schneiter a établi n'avoir commis aucune faute.
La cour cantonale constate que, lors du choc, la voiture du défendeur circulait sur la partie droite de la chaussée, à environ 2 m. 50 du bord droit et à environ 0 m. 50 à droite de la ligne médiane idéale.
Selon une jurisprudence bien établie, le conducteur n'est pas tenu de circuler toujours à l'extrême droite. Notamment de nuit, il est normal et prudent de ne pas circuler à l'extrême droite, afin d'éviter d'autres usagers, piétons ou cyclistes, ou un obstacle
BGE 95 II 344 S. 353
pouvant surgir de l'obscurité (RO 77 II 258;
87 IV 23
). L'art. 7 al. 2 OCR, loin de constituer une innovation, ne fait que consacrer une règle de prudence naturelle, valable déjà sous l'empire de la LA.
En l'espèce, la distance de 2 m. 50 peut paraître considérable, comme l'admet d'ailleurs la cour cantonale, ce d'autant plus que l'existence d'un trottoir et l'éclairage de la chaussée atténuaient les risques de la circulation nocturne. Cependant, Schneiter circulait sur la partie droite de la route. Il ne pouvait dans un tournant s'attendre à être dépassé. La position qu'il occupait lui permettait de croiser sans difficulté un véhicule même ne tenant pas l'extrême droite. Son comportement le prémunissait contre les dangers avec lesquels il devait compter: le croisement et la présence d'un usager ou d'un obstacle sur le bord droit de la route. Ce comportement était normal et ne saurait être qualifié en soi de fautif.
Le comportement du défendeur devrait être apprécié différemment s'il s'était rendu compte ou aurait dû se rendre compte suffisamment tôt du dépassement de Hodel. Il aurait dû alors, en vertu de l'art. 26 al. 4 LA, faciliter le dépassement. Mais la cour cantonale constate que Hodel, dont il n'est pas établi qu'il ait averti de son intention, a entrepris son dépassement à l'entrée du virage, alors que le défendeur, déjà engagé dans le virage, ne pouvait plus modifier sa trajectoire sans risquer un dérapage. Dame Hodel a bien averti Schneiter du dépassement, mais alors que celui-ci était entrepris et que Schneiter était déjà engagé dans le virage. Il est ainsi établi que le défendeur a constaté la manoeuvre de Hodel trop tard pour pouvoir tenter d'en atténuer le risque. Quant à lui faire grief de n'avoir pas prévu cette manoeuvre, il n'en saurait être question en raison du caractère insensé de ce dépassement qu'aucun avertissement, qu'aucune manoeuvre antérieure de Hodel ne permettait de prévoir selon les faits retenus par la cour cantonale. Le défendeur s'est trouvé placé subitement dans une position dangereuse imprévue et imprévisible.
La faute de Hodel est d'une gravité telle qu'elle constitue non seulement la cause initiale et primordiale de l'accident, mais une cause à tel point prépondérante que le comportement du défendeur et le risque inhérent à l'emploi de son véhicule passent tout à fait à l'arrière-plan et n'apparaissent plus en relation de causalité adéquate avec le dommage.
BGE 95 II 344 S. 354
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Rejette le recours de la demanderesse et confirme le jugement rendu le 27 mai 1969 par la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois;
2. Déclare le recours des défendeurs sans objet. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d4f3cd85-2f07-4d3c-9140-f527cd0c5261 | Urteilskopf
114 V 90
19. Extrait de l'arrêt du 13 mai 1988 dans la cause A. contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 21 IVG
, Ziff. 13.04*, 13.05* und 14.04 HVI Anhang: "Beiträge" der Invalidenversicherung an die Kosten von Hilfsmitteln.
Ist das von einem Versicherten verlangte Hilfsmittel zufolge Invalidität notwendig und ist seine Ausführung einfach und zweckmässig, so hat die Invalidenversicherung die gesamten Kosten zu übernehmen, und zwar unabhängig davon, dass gemäss Hilfsmittelliste im Anhang zur HVI die Leistungen der Invalidenversicherung von vornherein in "Beiträgen" an die Kosten des fraglichen Hilfsmittels bestehen. | Erwägungen
ab Seite 90
BGE 114 V 90 S. 90
Extrait des considérants:
2.
a) Le recourant fait valoir en substance que le ch. 13.05* de l'annexe de l'OMAI n'est pas conforme à l'
art. 21 al. 3 LAI
dans la mesure où il dispose que l'assurance-invalidité peut se borner à accorder une "participation" aux frais d'installation des moyens auxiliaires en cause. Selon lui, lorsque la nécessité d'un tel moyen
BGE 114 V 90 S. 91
auxiliaire est établie, il est contraire à la loi d'en faire supporter une partie des frais à l'assuré.
Se référant à deux arrêts rendus par le Tribunal fédéral des assurances (
ATF 111 V 209
et 105 V 257), la juridiction cantonale a pour sa part considéré que, dans la mesure où le Département fédéral de l'intérieur (DFI) - en vertu de la grande liberté que l'
art. 14 RAI
lui accorde - est compétent pour établir la liste des moyens auxiliaires, c'est-à-dire pour déterminer le principe même de la prise en charge d'un tel moyen, il lui est loisible également de limiter les prestations de l'assurance-invalidité à une simple contribution aux coûts de certains moyens auxiliaires.
b) Dans l'
ATF 105 V 257
précité, la Cour de céans - après avoir constaté que l'OMAI, avec la liste qui l'accompagne, reposait sur une délégation du législateur au Conseil fédéral et une subdélégation du Conseil fédéral au DFI - a reconnu que cette subdélégation était admissible, s'agissant de prescriptions dont le caractère technique prédominait et qui ne mettaient en cause aucun principe juridique. Elle a prononcé que, si la norme édictée restait dans les limites autorisées par la délégation, le juge n'avait pas à décider si la solution adoptée représentait la solution la meilleure pour atteindre le but visé par la loi, étant donné qu'il ne pouvait substituer sa propre appréciation à celle du Conseil fédéral ou d'un département. Elle a relevé que, l'
art. 21 LAI
n'ouvrant droit à la remise de moyens auxiliaires que dans le cadre d'une liste dressée par le Conseil fédéral, celui-ci ou à sa place le département pouvait faire un choix et limiter le nombre des moyens auxiliaires; qu'il disposait ce faisant d'une grande liberté, puisque la loi ne prescrivait pas expressément de quels points de vue ce choix devait s'inspirer; qu'il ne pouvait néanmoins agir d'une manière arbitraire, notamment procéder à des discriminations injustifiées ou adopter des critères insoutenables, ne reposant pas sur des motifs objectifs sérieux. Elle a aussi admis que, pouvant exclure un moyen auxiliaire, le Conseil fédéral ou à sa place le département avait également la faculté de l'inclure dans la liste tout en posant à son octroi des conditions restrictives (
ATF 105 V 258
s. consid. 2 et 3a; cf. aussi
ATF 105 V 23
).
Dans l'
ATF 111 V 209
également précité, la Cour de céans a admis qu'un assuré peut prétendre, à certaines conditions, une contribution aux frais d'installation d'un monte-rampes d'escalier par le biais d'une participation aux frais d'un fauteuil roulant pour
BGE 114 V 90 S. 92
monter les marches d'escalier, lorsqu'il satisfait uniquement aux exigences relatives à ce dernier moyen auxiliaire.
Dans les arrêts en question, le Tribunal fédéral des assurances a donc reconnu à l'administration une grande liberté de décision en ce qui concerne aussi bien le choix des moyens auxiliaires pris en charge que la fixation éventuelle de conditions d'octroi; en outre, il a admis implicitement que l'assurance-invalidité pouvait, dans le cadre du ch. 13.05* de l'annexe de l'OMAI, se limiter à verser une contribution aux frais d'installation d'un des moyens auxiliaires énumérés à cette disposition. Toutefois, contrairement à l'avis de la juridiction cantonale, on ne peut déduire de cette jurisprudence que l'administration est fondée à limiter à une simple contribution financière la prise en charge d'un moyen auxiliaire auquel un assuré a droit. En effet, dans l'
ATF 105 V 257
, la grande liberté de décision conférée à l'administration est motivée par le caractère technique prédominant des prescriptions dont l'élaboration est laissée au Conseil fédéral en vertu de l'
art. 21 LAI
. Or, la limitation des prestations de l'assurance-invalidité à une simple contribution aux frais d'un moyen auxiliaire ne relève aucunement de considérations fondées sur le caractère technique d'une telle prestation. Quant à l'
ATF 111 V 209
- où la Cour de céans a implicitement admis la légalité d'une simple contribution au coût d'un moyen auxiliaire - il concernait un cas particulier: l'assuré avait droit à un fauteuil roulant pour monter les marches d'escalier mais il avait préféré acquérir un monte-rampes d'escalier qui était nettement plus coûteux et dont les conditions d'octroi n'étaient en l'occurrence pas réalisées; la Cour de céans a alors admis que l'assuré pouvait prétendre, pour le monte-rampes d'escalier, une contribution correspondant au coût moins élevé d'un fauteuil roulant pour monter les marches d'escalier, à la condition que ledit monte-rampes assume effectivement et à longue échéance la fonction du fauteuil roulant. On ne saurait dès lors déduire de cet arrêt que le Tribunal fédéral des assurances a implicitement admis le principe selon lequel l'assurance-invalidité peut, dans le cadre du ch. 13.05* de l'annexe de l'OMAI, limiter ses prestations à une simple contribution au coût d'un moyen auxiliaire dont les conditions d'octroi sont en l'occurrence réalisées.
3.
a) Dans la liste des moyens auxiliaires annexée à l'OMAI (dans sa version valable dès le 1er janvier 1986) - en particulier aux ch. 13.04*, 13.05* et 14.04 - le DFI - faisant usage de la délégation de compétence prévue à l'
art. 14 let. b RAI
- a prévu
BGE 114 V 90 S. 93
a priori que les prestations de l'assurance-invalidité consistent en une "participation" ou des "contributions" aux coûts des moyens auxiliaires en cause. Cela signifie avant tout qu'un assuré peut prétendre uniquement le versement d'une prestation en espèces et non l'octroi d'un moyen auxiliaire en nature. En revanche, cette formulation n'a aucune portée en ce qui concerne le montant d'une telle prestation en espèces. Cette question doit donc être tranchée à la lumière des dispositions légales, en particulier l'
art. 21 al. 3 LAI
. Est dès lors déterminant le fait que le moyen auxiliaire sollicité est nécessité par l'invalidité et qu'il a le caractère d'un modèle simple et adéquat. Lorsque ces exigences sont remplies, l'assurance-invalidité doit prendre en charge la totalité des coûts d'un tel moyen auxiliaire. Mais il se peut aussi que le moyen auxiliaire sollicité par l'assuré serve, en partie, à des buts étrangers à l'invalidité ou qu'il entraîne des dépenses démesurées. Dans ce cas, il est loisible à l'assurance-invalidité de réduire le montant de sa prestation en se fondant sur le coût d'un moyen auxiliaire nécessité par l'invalidité et ayant le caractère d'un modèle simple et adéquat. L'administration est alors en mesure, si besoin est, d'opérer une réduction dépassant 10 ou 20% du coût du moyen auxiliaire sollicité. En revanche, on ne peut admettre que l'assurance-invalidité limite a priori ses prestations à une simple contribution forfaitaire.
C'est uniquement dans le sens de ce qui précède que l'on peut admettre la légalité du système de "participation" ou de "contributions" de l'assurance-invalidité instauré par le DFI aux chiffres précités de l'annexe de l'OMAI. En effet, cette forme d'octroi d'un moyen auxiliaire - consistant dans une prestation en espèces au lieu d'une remise en toute propriété ou en prêt - n'est expressément prévue ni à l'art. 21, ni à l'
art. 21bis LAI
.
b) En l'occurrence, le premier juge a considéré que, dans son appréciation du 18 décembre 1986 relative à la prise en charge de 90% des frais d'installation de la plate-forme élévatrice sollicitée par le recourant, l'Office fédéral des assurances sociales avait correctement appliqué le "ch. m. 14.04.3 des directives sur la remise des moyens auxiliaires, applicable en vertu du renvoi du ch. 13.05* de l'annexe de l'OMAI (en réalité le ch. m. 13.05.1* desdites directives), (lequel) prévoit expressément la compétence de l'Office fédéral des assurances sociales pour fixer la contribution de l'assurance-invalidité aux frais d'aménagement supérieurs à 1'000 fr.". Compte tenu de ce qui a été exposé précédemment, une
BGE 114 V 90 S. 94
telle directive - dont le Tribunal fédéral des assurances examine librement la légalité (cf.
ATF 112 V 178
consid. 4c,
ATF 111 V 395
consid. 4a, 284 consid. 5a,
ATF 110 V 256
consid. 4a et 328 consid. 2d, ainsi que les références citées dans ces arrêts) - limite d'une manière contraire à la loi le droit à l'octroi d'un moyen auxiliaire. Au surplus, elle ne saurait trouver un fondement à l'
art. 14 let. b RAI
, dès lors que cette disposition ne peut déroger au système légal. Dans le cas particulier, il est indéniable que la plate-forme élévatrice sollicitée par le recourant est nécessitée par l'invalidité et qu'elle a le caractère d'un modèle simple et adéquat. La directive précitée ne saurait donc être opposée à l'intéressé pour lui contester le droit d'obtenir la prise en charge de la totalité du coût du moyen auxiliaire en cause. Le recours de droit administratif se révèle ainsi bien fondé. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d4f642f9-75ea-4d54-949e-625bf4ba6621 | Urteilskopf
141 I 49
5. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public dans la cause A. et B. contre Service de la population du canton de Vaud (recours en matière de droit public)
2C_16/2014 du 12 février 2015 | Regeste
Art. 9 und 29 Abs. 1 BV
;
Art. 83 und 85 Abs. 7 AuG
;
Art. 74 VZAE
; vorläufige Aufnahme; Familiennachzug; Verbot der Rechtsverweigerung und der Willkür.
Beschwerde gegen die vom Kantonsgericht bestätigte Ablehnung der kantonalen Migrationsbehörde, die mit ihrer Einschätzung versehenen Akten der Beschwerdeführerinnen an das Staatssekretariat für Migration zur Prüfung und Entscheidung über das Gesuch um Familiennachzug zu ihrem Lebensgefährten bzw. Vater weiterzuleiten, der in der Schweiz vorläufig aufgenommen ist (E. 3.1-3.3). Pflicht der kantonalen Behörde, die mit ihrer Einschätzung versehenen Akten an die Bundesbehörde weiterzuleiten; Verletzung des Verbots der Rechtsverweigerung und der Willkür. Unterschiede zwischen dem Verfahren nach
Art. 85 Abs. 7 AuG
(in casu) und demjenigen nach
Art. 83 Abs. 6 AuG
(E. 3.4-3.7). Folgen der Verletzung (E. 3.8). | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 141 I 49 S. 50
A.
A.a
Ressortissante marocaine née en 1982, A. est entrée illégalement en Suisse à une date indéterminée et y réside sans droit depuis 2007. Elle est assistée financièrement depuis mai 2012.
C. est un ressortissant irakien né en 1980. Entré en Suisse en 2008, il a formé une requête d'asile qui a été rejetée le 3 juin 2010 par l'Office fédéral des migrations (ci-après: l'Office fédéral), devenu le Secrétariat d'Etat aux migrations le 1
er
janvier 2015, et son renvoi de Suisse a été ordonné. Compte tenu en particulier des conditions de sécurité dans la région de provenance du requérant, l'Office fédéral a toutefois remplacé ce renvoi par une admission provisoire, ce qu'a confirmé le Tribunal administratif fédéral par arrêt du 20 février 2013. Du 1
er
février 2011 au 31 janvier 2012, C. a travaillé auprès d'un palace lausannois. Après une période de chômage, il est assisté par l'Etablissement vaudois d'accueil des migrants (ci-après: l'EVAM).
BGE 141 I 49 S. 51
A.b
A. et C. se sont unis religieusement en 2011. En 2012, ils ont eu une fille, B., que le père a reconnue le 13 septembre 2012.
B.
B.a
Le 19 juin 2012, A. a demandé à pouvoir être incluse dans l'admission provisoire de C. Le 10 août 2012, le Service de la population du canton de Vaud (ci-après: le Service cantonal) a transmis cette requête à l'Office fédéral comme objet de sa compétence avec un préavis négatif. Après avoir permis aux intéressées de se prononcer, l'Office fédéral a, par courrier du 7 janvier 2013, prié celles-ci de s'adresser "à nouveau" aux services cantonaux compétents. Il a justifié cette démarche par le fait que, comme A. et B. se trouvaient déjà en Suisse, l'
art. 85 al. 7 LAsi
(recte: LEtr) ne s'appliquait pas, relevant que le droit d'être entendu leur avait été octroyé "par erreur".
B.b
Le 26 avril 2013, A. et sa fille B. se sont référées à leur demande d'extension de l'admission provisoire et ont demandé au Service cantonal de considérer que leur renvoi était inexigible et, partant, de proposer à l'Office fédéral leur admission provisoire en application de l'
art. 83 al. 6 LEtr
.
Après avoir donné aux intéressées le droit d'être entendues, le Service cantonal, par décision du 15 juillet 2013, a prononcé le renvoi de Suisse de A. et de sa fille B., toutes deux de nationalité marocaine. Il leur a également signifié qu'il n'entendait pas proposer à l'Office fédéral leur admission provisoire, car leur renvoi n'était pas inexigible et qu'il n'était pas non plus déraisonnable de s'attendre à ce que C. les suive au Maroc.
Contre cette décision A., en son propre nom et au nom de sa fille B., a formé un recours auprès de la Cour de droit administratif et public du Tribunal cantonal vaudois (ci-après: le Tribunal cantonal) qui, par arrêt du 6 décembre 2013, a rejeté le recours et confirmé la décision du 15 juillet 2013.
C.
Contre l'arrêt du 6 décembre 2013, A. et B. ont déposé un recours en matière de droit public au Tribunal fédéral. Elles concluent en particulier à l'annulation de l'arrêt attaqué.
Le Tribunal fédéral admet, dans la mesure où il est recevable, le recours, traité en tant que recours constitutionnel subsidiaire, annule l'arrêt du Tribunal cantonal du 6 décembre 2013 et ordonne au Service cantonal de transmettre la demande d'admission provisoire des recourantes, munie de son avis, au Secrétariat d'Etat aux migrations.
(résumé)
BGE 141 I 49 S. 52
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
3.1
L'arrêt attaqué a confirmé le refus du Service cantonal de transmettre à l'autorité fédérale la demande d'admission provisoire des recourantes, au motif qu'une telle démarche avait déjà été accomplie le 10 août 2012 et que les intéressées ne s'étaient alors pas opposées lorsque l'Office fédéral avait, le 7 janvier 2013, retourné la cause aux autorités cantonales. Les recourantes n'invoquaient du reste aucune raison pertinente justifiant d'interpeller une seconde fois l'Office fédéral. Au surplus, le refus de transmettre une demande d'admission provisoire n'était pas une décision ouvrant la voie du recours. Quant au renvoi des recourantes de Suisse, l'
art. 8 CEDH
n'y faisait pas obstacle. En effet, dans le cadre de la pesée des intérêts, le couple n'était pas financièrement indépendant, les intéressées n'avaient pas fait valoir qu'elles seraient exposées à une quelconque menace en cas de retour dans leur pays d'origine et il n'était pas exclu que leur compagnon et père puisse s'établir avec elles au Maroc.
3.2
Les recourantes ne sont pas représentées par un mandataire professionnel, mais par le Service d'Aide Juridique aux Exilé-e-s (SAJE), ce qui est admissible en matière de droit public (
art. 40 al. 1 LTF
a contrario). Il convient partant de ne pas se montrer trop formaliste quant aux exigences liées à la motivation (cf. arrêts 2C_637/2012 du 4 octobre 2012 consid. 2; 2C_610/2010 du 21 janvier 2011 consid. 2.1). En substance, il ressort de celle-ci que, parallèlement à une violation de l'
art. 8 CEDH
, les recourantes considèrent qu'il est manifestement contraire à leur intérêt prépondérant de les renvoyer sans que leur demande d'admission provisoire n'ait été transmise à l'autorité fédérale compétente pour en traiter. Ce faisant, elles se plaignent d'une application arbitraire du droit fédéral, grief qui sera vérifié ci-après.
3.3
Il s'ensuit que le recours porte sur le refus par le Service cantonal, confirmé par le Tribunal cantonal dans son arrêt du 6 décembre 2013, de transmettre le dossier des recourantes, muni de son avis, à l'Office fédéral pour examen et décision quant à leur demande de regroupement familial avec leur concubin et père, lequel bénéficie d'une admission provisoire en Suisse. En d'autres termes, la question qui se pose devant la Cour de céans n'est pas celle de savoir si, sur le fond, les recourantes ont droit à un regroupement familial au titre de l'admission provisoire de leur concubin et père, mais seulement si c'est de manière insoutenable que le Tribunal cantonal a refusé de
BGE 141 I 49 S. 53
transmettre leur requête en ce sens à l'Office fédéral pour qu'il se prononce à cet égard.
3.4
Une décision est arbitraire (cf.
art. 9 Cst.
) lorsqu'elle est manifestement insoutenable, méconnaît gravement une norme ou un principe juridique clair et indiscuté, ou heurte de manière choquante le sentiment de la justice et de l'équité; il ne suffit pas qu'une autre solution paraisse concevable, voire préférable. Pour que cette décision soit censurée, encore faut-il qu'elle s'avère arbitraire, non seulement dans ses motifs, mais aussi dans son résultat (
ATF 137 I 1
consid. 2.4 p. 5;
ATF 136 I 316
consid. 2.2.2 p. 318 s.; arrêts 5A_355/2012 du 21 décembre 2012 consid. 2, non publié in
ATF 139 III 135
; 5A_789/2010 du 29 juin 2011 consid. 5.1).
3.5
Les étrangers au bénéfice d'une admission provisoire en Suisse (
art. 83 al. 1 LEtr
[RS 142.20]) possèdent un statut précaire qui assure toutefois leur présence en Suisse aussi longtemps que l'exécution du renvoi n'est pas possible, n'est pas licite ou ne peut être raisonnablement exigée (
ATF 138 I 246
consid. 2.3 p. 249; arrêt 2C_639/2012 du 13 février 2013 consid. 1.2.1). L'admission provisoire constitue en d'autres termes une mesure qui se substitue, en principe pour une durée limitée, à la mise en oeuvre du renvoi lorsque celui-ci s'avère inexécutable. Elle coexiste donc avec la mesure de renvoi entrée en force, dont elle ne remet pas en cause la validité. L'admission provisoire n'équivaut pas à une autorisation de séjour, mais fonde un statut provisoire qui réglemente la présence en Suisse de l'étranger tant et aussi longtemps que l'exécution de son renvoi - c'est-à-dire la mesure exécutoire du renvoi visant à éliminer une situation contraire au droit - apparaîtra comme impossible, illicite ou non raisonnablement exigible (
ATF 138 I 246
consid. 2.3 p. 249;
ATF 137 II 305
consid. 3.1 p. 309).
3.5.1
Le droit fédéral reconnaît la particularité de ce statut, puisque, s'il dure plus de trois ans, il permet au conjoint et aux enfants, à certaines conditions énumérées à l'
art. 85 al. 7 LEtr
, de bénéficier du regroupement familial et du même statut. A teneur de cette dernière disposition:
"Le conjoint et les enfants célibataires de moins de 18 ans des personnes admises provisoirement, y compris les réfugiés admis provisoirement, peuvent bénéficier du regroupement familial et du même statut, au plus tôt trois ans après le prononcé de l'admission provisoire, aux conditions suivantes: a. ils vivent en ménage commun; b. ils disposent d'un logement approprié; c. la famille ne dépend pas de l'aide sociale."
BGE 141 I 49 S. 54
La doctrine admet que le concubinage durable est aussi visé par l'
art. 85 al. 7 LEtr
(cf. RUEDI ILLES, in Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], 2010, n° 25 ad
art. 85 LEtr
in fine p. 823 s.). La procédure permettant aux conjoints et enfants célibataires de moins de 18 ans d'un étranger admis provisoirement en Suisse d'obtenir le même statut sur la base de l'
art. 85 al. 7 LEtr
est réglée à l'art. 74 de l'ordonnance du 24 octobre 2007 relative à l'admission, au séjour et à l'exercice d'une activité lucrative (OASA; RS 142.201).
3.5.2
Selon l'
art. 74 al. 1 OASA
, les demandes visant à inclure des membres de la famille dans l'admission provisoire doivent être déposées auprès de l'autorité cantonale compétente en matière d'étrangers. Quant à l'al. 2,
il prévoit que l'autorité cantonale transmet la demande accompagnée de son avis à l'ODM. Ce dernier précise si les conditions légales de regroupement familial sont remplies.
Comme le confirment les textes allemand et italien de l'
art. 74 al. 2 OASA
, mis en évidence ci-dessous, les termes "ce dernier" ne visent pas l'Office fédéral (actuellement le Secrétariat d'Etat aux migrations), mais l'avis rendu par l'autorité cantonale:
"Die kantonale Ausländerbehörde
leitet
das Gesuch mit ihrer Stellungnahme an das BFM weiter.
Die Stellungnahme führt aus
, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Familiennachzug gegeben sind."
"L'autorità cantonale degli stranieri
trasmette
la domanda, con il suo parere, all'UFM.
Nel parere
è indicato se le condizioni legali per il ricongiungimento familiare sono date."
Il découle de cette procédure que les autorités cantonales ne sont pas compétentes pour statuer sur l'inclusion, dans l'admission provisoire d'un étranger déjà au bénéfice de ce statut, des membres de sa famille (admission provisoire dérivée). La demande doit toutefois leur être adressée et elles n'ont alors, selon l'
art. 74 OASA
, pas d'autre choix que de transmettre ("transmet", "leitet weiter", "trasmette") le dossier à l'Office fédéral, tout en restant libres du contenu de leur avis. La transmission de la demande ne consiste donc pas en une simple faculté, mais est obligatoire. Si, contrairement à ce que semblent croire les recourantes, les intéressés n'ont pas de droit à obtenir un avis positif ni ne peuvent recourir contre un avis négatif (PETER BOLZLI, in Migrationsrecht, Kommentar, 3
e
éd. 2012, n° 16 ad art. 85 AuG p. 246), une autorité cantonale ne saurait pour sa part refuser de transmettre une demande d'admission provisoire liée au regroupement familial (admission provisoire dérivée fondée sur l'
art. 85 al. 7 LEtr
)
BGE 141 I 49 S. 55
au motif que, de son point de vue, l'admission provisoire ne devrait pas être accordée.
3.5.3
Cette procédure, qui repose sur l'
art. 74 OASA
et qui concerne les demandes d'admission provisoire dérivée au sens de l'
art. 85 al. 7 LEtr
en lien avec un regroupement familial, doit être clairement distinguée de la possibilité offerte aux autorités cantonales à l'
art. 83 al. 6 LEtr
de proposer spontanément une admission provisoire. Cette dernière disposition vise avant tout la situation dans laquelle des autorités cantonales constatent des obstacles liés à l'exécution d'un renvoi (cf. MINH SON NGUYEN, Les renvois et leur exécution en droit suisse, Amarelle/Nguyen [éd.], in Les renvois et leur exécution, 2011, p. 115 ss, 156 s.). Elle n'est pas conditionnée à une demande de l'intéressé ni à ce qu'un membre de la famille se trouve déjà au bénéfice d'une admission provisoire. Contrairement à la formulation de l'
art. 74 OASA
, l'
art. 83 al. 6 LEtr
a un caractère facultatif et implique que l'Office fédéral n'est saisi que si l'avis de l'autorité cantonale s'avère positif. Les intéressés n'ont, pour leur part, aucun droit à ce que le canton demande une admission provisoire en leur faveur à l'Office fédéral sur la base de l'
art. 83 al. 6 LEtr
(
ATF 137 II 305
consid. 3.2 p. 310).
3.5.4
En l'espèce, les autorités cantonales mélangent les deux procédures susmentionnées, à savoir celle découlant de l'
art. 85 al. 7 LEtr
et celle relative à l'
art. 83 LEtr
. Elles commencent par refuser d'examiner les conditions de l'
art. 85 al. 7 LEtr
au motif qu'elles avaient déjà transmis le dossier à l'Office fédéral sans succès et que les recourantes ne s'étaient pas opposées à la position de cet office exprimée le 7 janvier 2013, de sorte qu'il n'y aurait pas lieu de répéter l'opération. Puis, se fondant sur l'
art. 83 al. 6 LEtr
, elles refusent de donner un avis (positif ou négatif) à l'Office fédéral au motif que les conditions de l'
art. 85 al. 7 LEtr
ne seraient pas réalisées.
En confirmant une telle démarche, les juges cantonaux perdent manifestement de vue que les recourantes fondent principalement leur demande d'admission provisoire sur leur relation familiale avec leur compagnon et père, lui-même au bénéfice d'une admission provisoire. On se trouve ainsi dans une situation caractéristique de l'
art. 85 al. 7 LEtr
. Le fait que les recourantes, induites en erreur par le courrier du Service cantonal, aient mentionné l'
art. 83 al. 6 LEtr
dans leur seconde requête n'y change rien. Il ne pouvait en effet échapper aux autorités cantonales que l'autorité compétente, soit l'Office fédéral,
BGE 141 I 49 S. 56
n'avait jamais statué sur la demande d'admission provisoire dérivée formée par les recourantes le 19 juin 2012. Celui-ci s'était contenté, par lettre du 7 janvier 2013, de prier les recourantes de s'adresser à nouveau aux services cantonaux compétents, ce qu'elles avaient de bonne foi (cf.
art. 9 Cst.
) fait le 26 avril 2013.
Il s'ensuit qu'en présence de cette nouvelle requête, les autorités cantonales ne pouvaient refuser de transmettre la cause à l'Office fédéral au motif que les recourantes n'avaient pas contesté l'avis du 7 janvier 2013, alors que cette lettre ne constituait à l'évidence pas une décision formelle. Elles ne pouvaient davantage refuser de transmettre la cause au motif que, selon elles, les recourantes ne pouvaient prétendre à un regroupement familial en application de l'
art. 85 al. 7 LEtr
. Dans un tel cas, elles n'avaient en effet d'autre choix que de respecter la procédure prévue à l'
art. 74 OASA
et de transmettre la cause à l'Office fédéral, avec un avis négatif. Il aurait alors appartenu à ce dernier de statuer en rendant une décision contre laquelle les recourantes auraient pu, le cas échéant, recourir auprès du Tribunal administratif fédéral (cf.
art. 31 et 33 let
. d LTAF [RS 173.32]).
3.5.5
Cette application erronée de la procédure conduit au résultat choquant, constitutif d'un déni de justice formel (
art. 29 Cst.
), selon lequel les autorités appelées à intervenir dans la procédure selon l'
art. 85 al. 7 LEtr
ont privé les recourantes de toute décision par rapport à leur requête à pouvoir bénéficier du même statut légal que leur compagnon et père au titre du regroupement familial, tandis qu'elles faisaient en parallèle l'objet d'une décision de renvoi de Suisse. Elles ont ainsi été privées de la possibilité de défendre leurs droits et de faire valoir leur point de vue dans une procédure équitable, pourtant expressément prévue par la loi.
3.5.6
Par conséquent, en confirmant le refus du Service cantonal de transmettre le dossier des recourantes, muni de son avis, à l'Office fédéral pour que ce dernier statue sur leur demande de regroupement familial, au sens des
art. 85 al. 7 LEtr
et 74 OASA, le Tribunal cantonal a procédé à une application arbitraire de ces dispositions de droit fédéral. Or, comme il a été vu auparavant (consid. 3.3 supra), il n'appartient pas au Tribunal fédéral de remédier à ce vice en se prononçant sur le fond du litige, soit la demande des recourantes à bénéficier du regroupement familial avec leur concubin et père. Cet examen relève en premier lieu de la compétence de l'Office fédéral, soit de l'actuel Secrétariat d'Etat aux migrations, auquel le Service cantonal devra partant transmettre le dossier, muni de son avis.
BGE 141 I 49 S. 57
3.6
La position du Tribunal cantonal, confirmant le refus du Service cantonal de transmettre le dossier des recourantes, muni de son avis, à l'Office fédéral au motif que le couple s'était formé postérieurement à l'arrivée de la recourante 1 et de son concubin en Suisse, ne saurait en tout état justifier que les recourantes se voient privées de toute décision à ce propos. D'une part, en effet, l'appréciation faite par le Service cantonal et confirmée par le Tribunal cantonal est étroitement liée à l'examen au fond des conditions de l'
art. 85 al. 7 LEtr
; elle compète partant (hormis pour l'avis que le Service cantonal est appelé à rendre) à l'Office fédéral et non pas aux autorités cantonales. D'autre part, les trois conditions énoncées par l'
art. 85 al. 7 LEtr
, en particulier celle relative à la vie en ménage commun (let. a: "ils vivent en ménage commun"), ne sont pas formulées de manière à exiger que la vie de couple ait commencé
avant
l'arrivée en Suisse de la personne admise provisoirement ou que le partenaire de celle-ci vive encore à l'étranger au moment du dépôt de la demande de regroupement familial avec une personne admise provisoirement dans notre pays.
Par ailleurs, il sera relevé que le présent cas ne soulève aucune question au regard de la loi sur l'asile du 26 juin 1998 (LAsi; RS 142.31), de sorte que les conditions spécifiques y afférentes (cf., notamment,
art. 44 et 51 LAsi
,
art. 74 al. 5 OASA
;
ATF 139 I 330
; RUEDI ILLES, Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, Asyl 2/2008 p. 3 ss; UEBERSAX/REFAEIL/BREITENMOSER, Die Familienvereinigung im internationalen und schweizerischen Flüchtlingsrecht, in Droit d'asile suisse, normes de l'UE et droit international des réfugiés, 2009, p. 471 ss, 520 ss) ne trouvent pas à s'appliquer.
3.7
Dans son arrêt du 6 décembre 2013, le Tribunal cantonal objecte que la situation des recourantes différerait de celle qui faisait l'objet de l'arrêt 2C_639/2012 (du 13 février 2013) invoqué à l'appui du présent recours, dès lors que la recourante 1 et son enfant, la recourante 2, sont "clandestines".
Cette objection ne revêt aucune pertinence s'agissant de savoir si le Service cantonal devait ou non retourner la cause à l'Office fédéral pour qu'il examine la requête de regroupement familial des recourantes à l'aune de l'
art. 85 al. 7 LEtr
. Au demeurant, contrairement à ce qu'ont soutenu les précédents juges, il résulte de l'arrêt 2C_639/2012 que la mère de la recourante était arrivée clandestinement en Suisse et que l'enfant requérant le regroupement familial y résidait
BGE 141 I 49 S. 58
illégalement (cf. let. B et consid. 4.5.2 non publié). Pour le surplus, il appartiendra si nécessaire à l'actuel Secrétariat d'Etat aux migrations, saisi par le Service cantonal, voire, sur recours, au Tribunal administratif fédéral de se prononcer sur les similitudes ou différences pouvant exister entre, d'une part, l'arrêt 2C_639/2012 précité, qui a été traité sous l'angle des
art. 44 LEtr
(regroupement familial potestatif) et 8 CEDH, et d'autre part, la présente affaire, pour la résolution de laquelle sont en particulier susceptibles d'entrer en ligne de compte les
art. 85 al. 7 LEtr
et 8 CEDH.
3.8
Il sied de s'interroger sur les conséquences que le précédent constat de violation entraîne par rapport à l'arrêt entrepris
.
3.8.1
Les considérants qui précèdent entraînent l'admission du recours et l'annulation de l'arrêt attaqué dans la mesure où le Tribunal cantonal a confirmé le refus par le Service cantonal de soumettre, accompagnée de son avis, la demande des recourantes à bénéficier du regroupement familial avec leur concubin et père à l'approbation de l'autorité fédérale. Il sera dès lors ordonné au Service cantonal de transmettre sans tarder la demande d'admission provisoire des recourantes au Secrétariat d'Etat aux migrations munie de son avis, en conformité avec l'
art. 74 OASA
, à charge pour ce dernier d'examiner matériellement la situation familiale des recourantes, en particulier si les conditions relatives au regroupement familial avec une personne admise provisoirement en Suisse sont réunies.
3.8.2
Reste le point de savoir s'il y a également lieu d'annuler l'arrêt querellé en tant qu'il porte sur la décision de renvoi prononcée à l'encontre des recourantes.
De façon générale, le prononcé d'une admission provisoire par l'autorité compétente présuppose l'existence d'une décision de renvoi. Loin de constituer une catégorie d'autorisations de séjour, l'admission provisoire se substitue en effet à la mise en oeuvre du renvoi lorsque celui-ci s'avère inexécutable, sans que soit pour autant remise en cause la validité même dudit renvoi (cf.
ATF 138 I 246
consid. 2.3 p. 249;
ATF 137 II 305
consid. 3.1 p. 309).
Cela dit, ce principe peut connaître une exception lorsqu'il est, comme en l'espèce, question d'une demande d'admission provisoire
dérivée
, à savoir par regroupement familial avec une personne qui est déjà admise provisoirement. Dans une telle configuration, en particulier lorsque l'étranger qui demande à bénéficier du regroupement familial réside encore à l'étranger, il ferait peu de sens que les autorités
BGE 141 I 49 S. 59
compétentes dussent, dans un premier temps, prononcer le renvoi du requérant pour ensuite, le cas échéant, lui permettre de venir s'installer en Suisse au bénéfice d'une admission provisoire par regroupement familial. Même quand la personne sollicitant son regroupement au titre de l'admission provisoire réside déjà en Suisse, comme c'est le cas en l'espèce, la procédure d'octroi de cette admission dérivée par regroupement se distingue de la procédure
originaire
, dans laquelle l'étranger qui s'est vu dénier un titre de séjour en Suisse et s'expose partant à une décision de renvoi (cf.
art. 64 al. 1 LEtr
), peut selon les cas bénéficier d'une admission provisoire si son renvoi s'avère (temporairement) impraticable.
Il s'ensuit qu'en cas de demande tendant à l'octroi d'une admission provisoire par regroupement familial au sens de l'
art. 85 al. 7 LEtr
, les autorités compétentes devront s'abstenir de notifier une décision de renvoi au requérant aussi longtemps que le Secrétariat d'Etat aux migrations n'aura pas statué sur cette requête. Demeure réservée la situation dans laquelle l'étranger requérant aurait, à un autre titre, fait l'objet d'une décision de renvoi
préalablement
au dépôt de sa demande de regroupement, de même que celle où l'admission provisoire du titulaire originaire aurait été révoquée entretemps (cf.
art. 84 LEtr
). Au vu de ce qui précède, c'est donc à tort que le Service cantonal a, par décision du 15 juillet 2013, prononcé le renvoi de Suisse des recourantes, qui devra donc également être annulé. | public_law | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4fd9358-139c-4f2b-a33f-42e65715f9cc | Urteilskopf
83 IV 42
10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. Februar 1957 i.S. Stump gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. | Regeste
Art.36 Abs.2MFG.
Wann ist jemand "verletzt"? | Erwägungen
ab Seite 42
BGE 83 IV 42 S. 42
Ist bei einem Motorfahrzeug- oder Fahrradunfall jemand verletzt worden, so ist der Führer des beteiligten Fahrzeugs einerseits zur Beistands- und Hilfeleistung an den Verletzten und anderseits zur Meldung des Unfalls an die nächste Polizeistelle und zur Angabe seiner Personalien verpflichtet (Art. 36 Abs. 2 MFG). Das Gesetz verwendet den Ausdruck Verletzung im Sinne von Personenschaden, was daraus hervorgeht, dass es ihn im Schlussatz des Art. 36 Abs. 2 dem Wort Sachschaden gegenüberstellt. Ebenso wird in Art. 37 Abs. 1 MFG von Tötung oder Verletzung eines Menschen und in Art. 39 MFG von körperlichem Schaden im Gegensatz zu Sachschaden gesprochen. Darnach ist unter dem Begriff Verletzung eine Schädigung der körperlichen Unversehrtheit oder des Gesundheitszustandes eines Menschen zu verstehen. Wie Art. 36 Abs.1 MFG den Begriff des Unfalls weit fasst und nicht eine Tragweite besonderer Art verlangt, so macht auch Abs. 2 keinen Unterschied, ob die Körperverletzung schwerer
BGE 83 IV 42 S. 43
oder leichterer Natur ist, und ebensowenig, ob der Sachschaden ein erhebliches oder geringes Ausmass erreicht. Die Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin geht daher fehl, wenn sie glaubt, unter Körperverletzung sei nur entweder eine Wunde mit Blutaustritt oder ein erkennbarer Bruch zu verstehen. Darunter fallen auch innere Verletzungen, die äusserlich nicht sichtbar sind, sowie Quetschungen und Schürfwunden, sofern es sich nicht bloss um geringfügige, praktisch bedeutungslose Schäden handelt. Nicht anders wird der Begriff der Körperverletzung im Haftpflichtrecht (vgl. STREBEL N. 23 zu Art. 37 MFG), in
Art. 123 StGB
(
BGE 72 IV 21
) und auch nach allgemeinem Sprachgebrauch verstanden. Eine Quetschung mit Bluterguss, zumal wenn sie eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 4 Tagen zur Folge hat, ist daher eine Verletzung im Sinne des Art. 36 Abs. 2 MFG. Im vorliegenden Fall bestand ausserdem eine ausgesprochene Druckempfindlichkeit in der Gegend der untern Kreuzwirbel, wo vom nachbehandelnden Arzt eine Schwellung festgestellt wurde. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4fda450-6fe8-4fce-9111-13a469ea5d5c | Urteilskopf
126 III 345
61. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Juni 2000 i.S. D. gegen Konkordia (Berufung) | Regeste
Übergangsrechtliche Bestandesgarantie (
Art. 102 Abs. 2 Satz 3 KVG
).
Die übergangsrechtliche Bestandesgarantie von
Art. 102 Abs. 2 Satz 3 KVG
verpflichtet die Krankenkasse nicht, einem Versicherten eine Zusatzversicherung anzubieten, die nebst den tarifmässigen Leistungen aus der Grundversicherung die ungedeckten Kosten der ambulanten Behandlung durch einen Kassenarzt bis zur Höhe des Privattarifs gegen Leistung einer Mehrprämie deckt, wie dies unter der Herrschaft des KUVG möglich war. | Sachverhalt
ab Seite 345
BGE 126 III 345 S. 345
A.-
D. ist Mitglied der Konkordia, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung, Luzern (nachfolgend Konkordia). Die Versicherten der Konkordia hatten unter der Geltung des KUVG die Möglichkeit,
BGE 126 III 345 S. 346
die durch die tarifmässigen Leistungen aus der Grundversicherung ungedeckten Kosten bis zur Höhe des Privattarifs gegen Leistung einer Mehrprämie abzudecken, um so vollen Versicherungsschutz zu erhalten. Dieses Risiko deckte bei der Konkordia die Privatpatientenversicherung (PPV) ab und zwar sowohl beim Entfallen des Tarifschutzes bei Versicherten in wirtschaftlich sehr guten Verhältnissen als auch bei Rechnungen von Nichtkassenärzten. D. war bis Ende 1995 u.a. durch die PPV versichert. Art. 34.1 des Reglementes Basisversicherung A (Ausgabe 1995) regelte den Privatpatientenstatus der Versicherten wie folgt:
"Entfällt der Tarifschutz bei Versicherten in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen gemäss den kantonalen Ansätzen sowie bei Rechnungen von Nichtkassenärzten, deckt die Privatpatienten-Versicherung PPV gegen einen Prämienzuschlag auf der Basisversicherung A die Kosten der ärztlichen Behandlung nach den von der Konkordia anerkannten Privattarifen" (Ziff. 1).
"In der Privatpatienten-Versicherung PPV gelten die gleichen Kostenbeteiligungen wie in der Basisversicherung A" (Ziff. 2).
Auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des KVG am 1. Januar 1996 hob die Konkordia die PPV auf. Dafür bot sie ihren Mitgliedern die Zusatzversicherung "DIVERSA plus" an und teilte D. in diese um. "DIVERSA plus" deckt - wie schon die frühere PPV - die Kosten der ambulanten Behandlung ab, nicht aber jene der stationären Behandlung, für deren Deckung eine Spitalzusatzversicherung separat abgeschlossen werden muss. Gemäss Art. 17 der Zusätzlichen Versicherungsbedingungen (Ausgabe 1997) deckt die Zusatzversicherung "DIVERSA plus" nur noch die Kosten von Ärzten, die es abgelehnt haben, ihre Leistungen nach dem Tarif der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringen (Ausstandsärzte), und zwar in der Höhe von 75% bzw. jährlich höchstens 2'000 Franken. Damit entfiel der Versicherungsschutz für Kosten von Kassenärzten, die den Patienten nach einem den vertraglich oder behördlich festgesetzten Tarif übersteigenden Privattarif Rechnungen stellen.
B.-
D. vertritt den Standpunkt, dass mit dieser Umteilung der bisherige Umfang des Versicherungsschutzes nicht mehr gewährleistet und die übergangsrechtliche Bestandesgarantie von
Art. 102 Abs. 2 KVG
verletzt worden sei. Da die Konkordia sich weigerte, ihr einen Versicherungsvertrag anzubieten, der weiterhin die Kosten nach dem Privattarif decken würde, erhob D. am 21. Januar 1997 beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gegen die Konkordia Klage mit folgendem Rechtsbegehren:
BGE 126 III 345 S. 347
"Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen Versicherungsvertrag anzubieten, welcher mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewährt, insbesondere die bisherigen sogenannten Privatpatientenzuschläge einschliesst".
Mit Beschluss vom 13. Mai 1997 trat das Sozialversicherungsgericht auf die Klage nicht ein. Dieser Nichteintretensbeschluss wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 13. November 1997 aufgehoben und die Sache zur materiellen Entscheidung ans Sozialversicherungsgericht zurückgewiesen (
BGE 124 III 44
ff.). In dem vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich in der Folge angeordneten Schriftenwechsel hielten die Parteien an ihren Anträgen auf Gutheissung bzw. Abweisung der Klage fest. Mit Urteil vom 25. Juni 1999 erkannte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich:
"1. In Gutheissung der Klage wird die Beklagte verpflichtet der Klägerin einen Versicherungsvertrag anzubieten, der mindestens den bis 31. Dezember 1995 bestandenen Umfang des Versicherungsschutzes im Sinne der Erwägungen gewährt."
C.-
Trotz Gutheissung ihrer Klage vertritt D. die Auffassung, dass ihrem Rechtsbegehren nicht vollständig entsprochen worden sei und stellt dem Bundesgericht mit Berufung vom 31. August 1999 folgende Anträge:
"1. Es sei das Urteil der Vorinstanz vom 25. Juni 1999 insoweit aufzuheben, als es den Privatpatientenstatus gemäss Art. 34 des Reglementes Basisversicherung A (Ausgabe 1995) nicht in den Besitzstand einschliesst.
2. Es sei insoweit die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen Versicherungsvertrag anzubieten, der - unter Einschluss des Privatpatientenstatus - den bis 31. Dezember 1995 bestandenen Umfang des Versicherungsschutzes gewährt."
Die Konkordia beantragt die Abweisung der Berufung. Das Sozialversicherungsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Nach dem Krankenversicherungsgesetz vom 13. Juni 1911 (KUVG), welches bis am 31. Dezember 1995 gültig gewesen war, durften Ärzte und Kassen einen nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Versicherten abgestuften Tarif und Tarifschutz vorsehen (
Art. 22-22ter KUVG
). Versicherte in sehr guten wirtschaftlichen
BGE 126 III 345 S. 348
Verhältnissen genossen keinen Tarifschutz, sofern in den Tarifverträgen zwischen den Kassen und Ärzten nichts anderes vereinbart war (
Art. 22 Abs. 2 KUVG
); allerdings hatten die Kassen ihnen mindestens die gleichen Leistungen zu gewähren wie den übrigen Versicherten (
Art. 22bis Abs. 6 Satz 2 KUVG
). Kein Tarifschutz bestand für Versicherte, die sich an einen Arzt wendeten, der jede Behandlung im Rahmen des KUVG abgelehnt hat (
Art. 22bis Abs. 5 KUVG
). Um dennoch volle Kostendeckung zu gewähren, führten die Krankenkassen in ihrem Angebot Privatpatientenversicherungen für den ambulanten Bereich (vgl. RKUV 1996 S. 129 ff.). Bei der Beklagten deckte die Privatpatientenversicherung (PPV) die (Zusatz-)Kosten ab, die sich bei Entfallen des Tarifschutzes für Versicherte in wirtschaftlich sehr guten Verhältnissen ergaben, aber auch die Kosten von Nichtkassenärzten.
b) Mit Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes über die Krankenversicherung am 1. Januar 1996 (KVG, SR 832.10) hoben die Krankenkassen diese Zusatzdeckung ersatzlos auf oder beschränkten sie auf die Behandlungskosten durch Ausstandsärzte. Das KVG kennt keinen nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Versicherten abgestuften Tarif mehr. Der Gesetzgeber hat vom früheren System bewusst Abstand genommen und mit dem KVG ein einheitliches System des Tarifschutzes unter Wahrung der Gleichbehandlung der Versicherten eingeführt (BBl 1992 I 175). Gemäss
Art. 44 Abs. 1 Satz 1 KVG
müssen die Leistungserbringer sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine weiteren Vergütungen berechnen (Tarifschutz). Lehnt ein Leistungserbringer es ab, Leistungen nach diesem Gesetz zu erbringen (Ausstand), hat er keinen Anspruch auf Vergütung nach diesem Gesetz, wobei er die Versicherten zuerst darauf hinzuweisen hat (
Art. 44 Abs. 2 KVG
). Die Kosten für die Leistungen von Ärzten, welche die Erbringung von Leistungen zu den gesetzlichen Tarifen abgelehnt haben (sog. Ausstandsärzte), müssen von den Versicherten als Selbstzahler bezahlt oder durch eine Zusatzversicherung abgedeckt werden (BBl 1992 I 177; RKUV 1996 S. 129 ff.).
c) Die Beklagte beschränkt ihre Zusatzversicherung "DIVERSA plus" auf die Behandlungskosten von Ausstandsärzten. Sie lehnt es ab, die von Kassenärzten für gesetzliche Leistungen in Rechnung gestellten höheren Privattarife zu versichern. Differenzen zwischen dem (vertraglich oder behördlich) festgelegten Tarif und von Kassenärzten in Rechnung gestellten Privattarifen werden nicht gedeckt.
BGE 126 III 345 S. 349
2.
Das Sozialversicherungsgericht Zürich hat die Klage der Versicherten gutgeheissen und die beklagte Versicherung verpflichtet, der Klägerin einen Vertrag anzubieten, der "mindestens den bis 31. Dezember 1995 bestandenen Umfang des Versicherungsschutzes im Sinne der Erwägungen gewährt". Die Gutheissung der Klage begründete das Sozialversicherungsgericht damit, dass mit der neurechtlichen Zusatzversicherung "DIVERSA plus" die Kosten für Behandlungen durch Ausstandsärzte nur in der Höhe von 75% bzw. höchstens Fr. 2'000.- pro Kalenderjahr versichert seien, während die altrechtliche Privatpatientenversicherung keine solche Beschränkung gekannt habe; damit sei
Art. 102 Abs. 2 Satz 3 KVG
verletzt, der die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten Versicherungsverträge anzubieten, die mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes gewährten. Dieser Schluss wird von den Parteien nicht beanstandet, doch war zwischen ihnen gar nicht die Entschädigung bei Behandlung durch Ausstandsärzte, sondern vielmehr die Frage umstritten, ob die Beklagte übergangsrechtlich verpflichtet sei, der Klägerin eine Zusatzversicherung anzubieten, die wie unter der Herrschaft des KUVG nebst den tarifmässigen Leistungen aus der Grundversicherung die ungedeckten Kosten der ambulanten Behandlung durch einen Kassenarzt bis zur Höhe des Privattarifs gegen Leistung einer Mehrprämie deckt. Im konkreten Fall geht es darum, ob ein Psychiater als Kassenarzt weiterhin den Privattarif verrechnen kann. Dies hat das Sozialversicherungsgericht sinngemäss abgelehnt und damit im Grunde genommen die Klage abgewiesen.
3.
Gemäss der übergangsrechtlichen Bestandesgarantie von
Art. 102 Abs. 2 Satz 3 KVG
haben die Kassen ihren Versicherten mindestens den bisherigen Umfang des Versicherungsschutzes zu gewähren. Zu beachten ist allerdings, dass gemäss
Art. 102 Abs. 2 Satz 1 KVG
nur "Bestimmungen der Krankenkassen über Leistungen bei Krankenpflege, die über den Leistungsumfang nach Artikel 34 Abs. 1 hinausgehen (statutarische Leistungen, Zusatzversicherungen)", Gegenstand der übergangsrechtlichen Regelung sind. Nur hinsichtlich solcher Leistungen ist der bisherige Versicherungsschutz garantiert.
Art. 34 Abs. 1 KVG
verweist hinsichtlich des Umfangs der Kostenübernahme auf die Leistungen nach den
Art. 25-35 KVG
, die den Leistungsbereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung umschreiben.
a) Nach Auffassung der Klägerin handelt es sich insoweit um über den Leistungsumfang nach
Art. 34 Abs. 1 KVG
hinaus gehende
BGE 126 III 345 S. 350
Leistungen, als der frühere Versicherungsschutz es den behandelnden Ärzten ermöglichte, Zuschläge zu den Grundtaxen vorzunehmen (in diesem Sinne UELI KIESER, Die Neuordnung der Zusatzversicherungen zur Krankenversicherung, in: AJP 1997 S. 14). Nach Auffassung der Beklagten deckten die unter der Herrschaft des KUVG von der PPV im Bereich der ambulanten Behandlung übernommenen Zuschläge keine Arztleistungen ab, die über die vom KVG garantierten Leistungen hinausgegangen sind. Anders sei dies nur im Bereich der stationären Behandlung, wo es um echte Mehrleistungen wie z.B. freie Wahl eines komfortableren Zimmers, des Chefarztes usw. gehe, die nicht zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung gehörten, infolgedessen nicht unter
Art. 44 Abs. 1 KVG
fielen und durch Zusatzversicherungen versicherbar seien.
b) Im stationären Bereich wird die Differenz zwischen den festgelegten Tarifen und den Privattarifen durch Spitalzusatzversicherungen abgedeckt. Die Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung erfassen nur den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung eines Spitals (
Art. 25 Abs. 2 lit. e KVG
), nicht aber den Aufenthalt in der privaten oder halbprivaten Abteilung. Bei diesem handelt es sich um über den Leistungsumfang von
Art. 34 Abs. 1 KVG
hinausgehende Leistungen, die demzufolge vom Tarifschutz nicht erfasst werden (vgl. dazu ALFRED MAURER, Verhältnis obligatorische Krankenversicherung und Zusatzversicherung, in: LAMal-KVG Recueil de travaux, Lausanne 1997, S. 726 f.; RAYMOND SPIRA, Le nouveau régime de l'assurance-maladie complémentaire, SVZ 63/1995 S. 197 f.).
Ebenso wenig steht im ambulanten Bereich einer Abrechnung ausserhalb des festgesetzten Tarifs etwas entgegen, wenn es um die Vergütung echter Mehrleistungen geht, die über den Leistungsumfang der obligatorischen Krankenpflegeversicherung hinaus gehen. Die Leistung muss aber ein "Plus" darstellen; es genügt nicht, wenn sie nur "an Stelle" der Leistungen im Sinn von
Art. 34 KVG
erbracht ist (SPIRA, a.a.O., S. 198). SPIRA nennt als Beispiele für Zusatzleistungen, die von Zusatzversicherungen übernommen werden können, etwa die von der Grundversicherung nicht übernommenen Kosten für Spitex, Badekuren, Transport- und Rettungskosten, Zahnbehandlung sowie für im Ausland durchgeführte Behandlungen (a.a.O., S. 198). Dagegen handelt es sich bei den von MAURER erwähnten Leistungen im ambulanten Bereich - der Arzt nehme sich für Privatpatienten bei der Erklärung der Krankheiten mehr Zeit, er studiere in Problemfällen über das übliche Mass Literatur, er statte
BGE 126 III 345 S. 351
vermehrt Hausbesuche ab, die Wartezeiten seien kürzer (a.a.O., S. 727) - nicht um echte Mehrleistungen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Patientengespräche bzw. Krankheitsabklärungen bei Privatpatienten generell länger dauern sollen als bei allgemein versicherten Patienten. Es handelte sich zudem um Differenzierungen, die im Einzelfall hinsichtlich der Angemessenheit eines Zusatzhonorars kaum überprüfbar wären.
c) Daran ändert auch der Hinweis von MAURER nichts, dass der Tarifschutz gemäss
Art. 44 Abs. 1 KVG
den Leistungserbringern lediglich untersage, einseitig Zusatzhonorare zu beanspruchen, dass diese Bestimmung aber nicht verbiete, Vereinbarungen mit den Versicherten über den Privatpatientenstatus und damit über die Festlegung eines Zusatzhonorars zu treffen (a.a.O., S. 227). Es steht der obligatorisch versicherten Person frei, statt einer Behandlung nach den Bedingungen der sozialen Krankenversicherung den Status eines Privatpatienten zu wählen. Eine andere Frage ist aber, ob der Patient in diesem Fall Leistungen aus der obligatorischen Krankenversicherung beanspruchen kann. Im stationären Bereich kann die betroffene Person in Anwendung der Austauschbefugnis (siehe dazu
BGE 120 V 280
E. 4a S. 285 f. m.w.H.) jene Leistung beanspruchen, welche der Versicherer hätte erbringen müssen, wenn sie sich als Kassenpatient hätte behandeln lassen (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: KOLLER/MÜLLER/RHINOW/ZIMMERLI, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel 1998, S. 109 Rz. 218 und S. 173 Rz. 325; MAURER, a.a.O., S. 714 f.). Im ambulanten Bereich dagegen steht die ratio legis von Art. 41 Abs. 1 Satz 1, aber auch von
Art. 44 KVG
einem solchen Vorgehen entgegen. Die beliebige Wahl zwischen Privat- und Kassentarif würde nicht nur den Zielen des Tarifschutzes zuwiderlaufen (vgl. E. 1b), sondern auch die freie Wahl der Leistungserbringer berühren. Ärzte mit besonderen medizinischen Spezialitäten hätten die Möglichkeit, sich auf die Behandlung von Privatpatienten zu konzentrieren, wodurch die übrigen Patienten Benachteiligungen erfahren könnten, indem der Zugang zu gesetzlichen Pflichtleistungen unter Tarifschutz erschwert oder gar verunmöglicht werden könnte. Eines der Ziele des KVG ist es aber, mit der Neuordnung im ambulanten Bereich die Zwei- oder Mehrklassentarife zur Vermeidung einer Zweiklassenmedizin zu eliminieren (GEBHARD EUGSTER, a.a.O., S. 173 Rz. 325).
4.
Von der Tatsache allein, dass unter der Herrschaft des KUVG im ambulanten Bereich auf dem normalen Tarif Zuschläge
BGE 126 III 345 S. 352
bis zur Höhe des Privattarifs von der Privatpatientenversicherung gedeckt wurden, kann nicht einfach darauf geschlossen werden, dass gegenüber den Patienten tatsächlich echte Mehrleistungen erbracht wurden. Die altrechtliche Privatpatientenversicherung machte ihre Leistungen nämlich gerade nicht von effektiven Mehrleistungen abhängig, und die Klägerin führt auch nicht aus, inwiefern es sich bei der ihr zuteil gewordenen Behandlung unter der Herrschaft des KUVG um echte Mehrleistungen im Vergleich mit dem durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung garantierten Leistungsumfang handelte. Bei dieser Sachlage hat die Beklagte kein Bundesrecht (namentlich
Art. 102 Abs. 2 KVG
) verletzt, indem sie es abgelehnt hat, der Klägerin eine Zusatzversicherung anzubieten, die wie unter der Herrschaft des KUVG die Privatpatientenversicherung Differenzen zwischen dem normalen Tarif bis zur Höhe des Privattarifes decken würde. Die Berufung ist daher abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d4ffe2d2-1d47-41fe-86a8-4509ce183eaf | Urteilskopf
139 II 28
3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Pro Natura, Schweizerischer Bund für Naturschutz, World Wide Fund for Nature (WWF) Schweiz, Stiftung für Natur und Umwelt sowie Schweizerischer Fischerei-Verband (SFV) gegen Misoxer Kraftwerke AG (MKW) und Regierung des Kantons Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_262/2011 vom 15. November 2012 | Regeste a
Restwassersanierung nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
.
Sanierungsmassnahmen sind Eigentumsbeschränkungen, die die Voraussetzungen von
Art. 36 BV
erfüllen, d.h. im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein müssen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
die Interessenabwägung in generell-abstrakter Weise vorgenommen und entschieden, dass Sanierungen bis zur Entschädigungsschwelle einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen und zumutbar sind (E. 2.7.1).
Sanierungen sind zulässig, soweit hierdurch nicht in die Substanz bestehender wohlerworbener Rechte eingegriffen wird. Ob ein staatlicher Eingriff die Substanz respektiert, beurteilt sich nach der verbleibenden oder fehlenden wirtschaftlichen Tragbarkeit des Eingriffs für den Träger des Rechts. Das Kriterium der wirtschaftlichen Tragbarkeit ist darauf gerichtet, den Wert rechtmässig getätigter Investitionen zu bewahren (E. 2.7.2).
Zur Bestimmung des Umfangs der Sanierungspflicht ist es sachgerecht, von der durchschnittlichen Produktion der Werkanlagen über einen genügend langen, repräsentativen Zeitraum auszugehen. Im Weiteren sind die möglichen Sanierungsmassnahmen und deren ökologisches Potenzial zu evaluieren und die auf die einzelnen Massnahmen entfallenden Produktionseinbussen und Erlösminderungen konkret zu ermitteln. Alsdann ist ein sinnvolles Massnahmenpaket zusammenzustellen und zu bestimmen, ob dieses den Rahmen der zulässigen Einschränkungen ausschöpft, ohne ihn zu überschreiten. Bei einer Sanierung im Sinne von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
ist diejenige Variante zu wählen, welche unter Berücksichtigung der Grenze der wirtschaftlichen Tragbarkeit das optimale ökologische Nutzenverhältnis bzw. ökologische Potenzial aufweist (E. 2.7.3).
Zur Ermittlung des Umfangs der trag- bzw. zumutbaren Einschränkungen ist auf die konkreten betrieblichen Verhältnisse des konzessionierten Werks abzustellen. Zu berücksichtigen sind insbesondere der Gewinn, die Konzessionsdauer und der Umfang der bereits erfolgten Abschreibungen. Bei guter bis sehr guter Ertragslage und entsprechend abgeschriebenen Anlagen können sich Sanierungsmassnahmen rechtfertigen, die Produktions- bzw. Erlösminderungen von über 5 % zur Folge haben (E. 2.7.4).
Regeste b
Restwassersanierung nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
.
Im Rahmen von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
ist für denjenigen Teil der Sanierung, welcher über das nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
Gebotene hinausgeht, eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ausgangspunkt bilden insbesondere die Schutzziele der Inventarobjekte. Sanierungsmassnahmen nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
sind nur so weit anzuordnen, als es zur dringend notwendigen Verbesserung der Situation geboten ist (E. 3.7). | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 139 II 28 S. 31
A.
Die Misoxer Kraftwerke AG (MKW) nutzt gestützt auf rechtsgültige Wasserrechtsverleihungen die Wasserkraft der Flüsse Calancasca und Moesa sowie deren Zuflüsse (insbesondere des Ri de Buffalora) im oberen Misox zur Erzeugung elektrischer Energie. Dazu betreibt sie insgesamt zehn Wasserentnahmen. Die bestehenden Konzessionsverhältnisse enden in den Jahren 2041 bis 2043.
Am 17. Mai 1992 hat das Schweizer Stimmvolk der Revision des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer (GSchG; SR 814.20) zugestimmt. Der Bundesrat hat diese auf den 1. November 1992 in Kraft gesetzt. Neue Wasserentnahmen aus einem Fliessgewässer sind seit dem lnkrafttreten des revidierten Gesetzes nur noch unter den Voraussetzungen von
Art. 29 ff. GSchG
möglich, sie bedürfen einer entsprechenden Bewilligung. Für bestehende Wasserentnahmen trifft das GSchG eine Übergangsregelung und verlangt, dass diese bis zum 31. Dezember 2012 saniert werden (
Art. 81 Abs. 2 GSchG
).
Am 16. Februar 1993 hat die Regierung des Kantons Graubünden das Sanierungsverfahren für die Restwassermengen der Wasserläufe des Kantons in die Wege geleitet. Betreffend die zehn
BGE 139 II 28 S. 32
Wasserentnahmen der MKW hat das Amt für Natur und Umwelt des Kantons Graubünden (ANU) zwei Berichte verfasst, den Bericht zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vom 24. März 2003, überarbeitet am 7. Mai und am 3. August 2009, und den Bericht zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009. Auf der Grundlage dieser beiden Berichte des ANU fasste die Regierung an ihrer Sitzung vom 24. November 2009 den folgenden Beschluss:
"1. (a) Die Misoxer Kraftwerke AG wird gestützt auf
Art. 80 Abs. 1 GSchG
verpflichtet, bei der Wasserentnahmestelle in Curina bis spätestens Ende 2012 eine Dotiereinrichtung zu erstellen und ab diesem Zeitpunkt Dotierwassermengen im Umfang einer Jahreswasserfracht von 4,734 Mio. m
3
nach folgender Regelung abzugeben:
Oktober und November: 230 bis 350 l/s, Mittel 290 I/s
Dezember bis März: 200 I/s
April bis September: 0 bis 150 l/s, Mittel 70,5 l/s
(b) Zudem hat die Misoxer Kraftwerke AG die Erhebungen in der Flusssohle zwischen der Fassung Curina und dem Grundwasseraufstoss Andrana maschinell abzutragen.
(c) Die Misoxer Kraftwerke AG wird verpflichtet, nach Angaben des Amtes für Natur und Umwelt und des Amtes für Jagd und Fischerei über einen Zeitraum von 5 Jahren ein Monitoring durchzuführen. Das Ergebnis des Monitorings ist der Regierung in Form eines Berichtes zu unterbreiten. Sofern das Monitoring das Erfordernis einer Umverteilung der Dotierwasserabgaben nachweist, stellen die Fachstellen der Regierung einen entsprechenden Antrag. Der Umfang der Jahreswasserfracht von 4,734 Mio. m
3
bleibt dabei unverändert.
2. Die Misoxer Kraftwerke AG wird bezüglich ihrer Wasserentnahmen von einer Sanierungspflicht nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
befreit.
(...)."
Diesen Beschluss fochten Pro Natura, der WWF und der SFV mit Beschwerde vom 11. Januar 2010 beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden an, welches die Beschwerde mit Urteil vom 12. November 2010 abwies.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 31. Mai 2011 beantragen Pro Natura, der WWF und der SFV, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. November 2010 sei aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz oder an die Regierung zurückzuweisen.
Die Vorinstanz beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit auf diese einzutreten sei. Die Regierung und die MKW stellen
BGE 139 II 28 S. 33
Antrag auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Energie BFE verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Bundesamt für Umwelt BAFU hat eine Stellungnahme zur Beschwerde eingereicht, ohne ausdrücklich Anträge zu stellen. Die betroffenen Gemeinden haben sich nicht geäussert. Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels halten die Verfahrensbeteiligten an ihren Standpunkten fest.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Gemäss
Art. 80 Abs. 1 GSchG
muss ein Fliessgewässer, welches durch Wasserentnahmen wesentlich beeinflusst wird, unterhalb der Entnahmestellen nach den Anordnungen der Behörde so weit saniert werden, als dies ohne entschädigungsbegründende Eingriffe in bestehende Wassernutzungsrechte möglich ist.
(...)
2.7
2.7.1
Sanierungsmassnahmen sind Eigentumsbeschränkungen, die die Voraussetzungen von
Art. 36 BV
erfüllen, d.h. im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein müssen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
die Interessenabwägung in generell-abstrakter Weise vorgenommen und entschieden, dass Sanierungen bis zur Entschädigungsschwelle einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen (vgl. ENRICO RIVA, Wohlerworbene Rechte - Eigentum - Vertrauen, 2007, S. 144). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist bei Gewässersanierungen jedoch im Einzelfall zu beachten. Es dürfen daher nur Massnahmen angeordnet werden, die effektiv geeignet sind, bestehende Beeinträchtigungen eines Fliessgewässers zu vermindern, und es darf keine Massnahme verlangt werden, wenn die gleiche Sanierungswirkung mit anderen, für die Inhaber der Wasserrechte weniger einschneidenden Vorkehren erreicht werden kann. Das weitere Kriterium der Zumutbarkeit (Verhältnismässigkeit im engeren Sinn) ist im Rahmen der Anwendung von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vom Gesetzgeber durch die Entschädigungsschwelle bereits weitgehend vorab entschieden worden (RIVA, a.a.O., S. 146 f.). Dies bedeutet mit anderen Worten: Kann mit einer Sanierung keine nennenswerte Verbesserung erreicht werden, fehlt ein öffentliches Interesse und sind die Sanierungsmassnahmen unverhältnismässig. Im Übrigen aber, soweit eine namhafte Verbesserung erreicht werden kann, besteht gemäss
Art. 80 Abs. 1 GSchG
BGE 139 II 28 S. 34
eine Sanierungspflicht bis zur Entschädigungsschwelle und entfällt eine weitere Interessenabwägung und Verhältnismässigkeitsprüfung.
Soweit die Vorinstanz in diesem Zusammenhang auf BGE 110 lb 160 und auf das Urteil des Bundesgerichts 1A.320/2000 /1P.786/2000 vom 20. September 2001 verweist, um zu begründen, dass eine weitergehende Interessenabwägung durchzuführen ist, ist ihre Argumentation nicht stichhaltig. In
BGE 110 Ib 160
stand nicht die Anwendung von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
, sondern jene von aArt. 26 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über die Fischerei (BGF; SR 923.0) zur Diskussion. Nach dieser Bestimmung waren Massnahmen für bestehende Anlagen zum Schutz oder zur Wiederherstellung von Fischgewässern vorzuschreiben, sofern die entstehende wirtschaftliche oder finanzielle Belastung nicht übermässig gross war. Im Gegensatz zu
Art. 80 Abs. 1 GSchG
sah aArt. 26 BGF somit eine Interessenabwägung ausdrücklich vor. Beim Entscheid 1A.320/2000/1P.786/2000 ging es in der Sache um eine weitergehende Sanierung nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
, weshalb sich aus den diesbezüglichen Ausführungen für den zu beurteilenden Fall nichts unmittelbar ableiten lässt (vgl. insoweit nachfolgend E. 3.7).
Das von der Vorinstanz angeführte Interesse an der verstärkten Förderung der Wasserkraft aufgrund des geplanten Ausstiegs aus der Kernenergie und die von ihr genannten Gefahren des Verlusts von Arbeitsplätzen und von Steuerausfällen bei zu einschneidenden Sanierungsmassnahmen sind deshalb im Rahmen von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
nicht zu berücksichtigen und können das gesetzlich umschriebene Interesse an der Sanierung der Wasserentnahmen nicht schmälern.
2.7.2
Sanierungen nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
sind nur zulässig, soweit hierdurch nicht in die Substanz bestehender wohlerworbener Rechte eingegriffen wird. Ob ein staatlicher Eingriff die Substanz respektiert, beurteilt sich nach der wirtschaftlichen Tragbarkeit des Eingriffs für den Träger des Rechts (vgl. RIVA, a.a.O., S. 156). Das Kriterium der wirtschaftlichen Tragbarkeit ist darauf gerichtet, den Wert rechtmässig getätigter Investitionen zu bewahren. Wer die aus dem wohlerworbenen Recht fliessenden Befugnisse umsetzt und zu diesem Zweck Investitionen tätigt, soll bezüglich der wirtschaftlichen Folgen, in deren Erwartung er seinen Investitionsentscheid fällte, vor staatlichen Beeinträchtigungen geschützt sein. Es muss möglich sein, während der angenommenen Existenzdauer des
BGE 139 II 28 S. 35
geschaffenen Werks die Investitionen zu amortisieren, fremdes und eigenes Kapital angemessen zu verzinsen, die laufenden Kosten zu decken und eine ausreichende Liquidität aufrechtzuerhalten. Um diese Ziele zu erreichen, muss das Werk den nötigen Ertrag abwerfen. Wirtschaftlich tragbar sind staatliche Eingriffe daher, wenn sie in ihren Auswirkungen diese Mindestrentabilität des Werks intakt lassen. Das Kriterium der wirtschaftlichen Tragbarkeit ist folglich auf die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit eines Werks und auf den Investitionsschutz ausgerichtet und basiert damit auf den gleichen Prinzipien, welche die Eigentumsgarantie und den Vertrauensschutz bestimmen (
BGE 138 II 575
E. 4.5 S. 582 f.; vgl. hierzu auch
BGE 127 II 69
E. 5a S. 75 f.;
BGE 126 II 171
E. 4b S. 181 f.;
BGE 125 II 591
E. 6a und b S. 600 f.; RIVA, a.a.O., S. 114 f.).
2.7.3
In der Botschaft vom 29. April 1987 zur Volksinitiative "zur Rettung unserer Gewässer" und zur Revision des GSchG hielt der Bundesrat fest, die zuständige Behörde werde verpflichtet, alle bis zur Grenze der Entschädigungspflicht bestehenden Sanierungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen (BBl 1987 II 1170 zu Art. 79 Abs. 1).
Zur Bestimmung des Umfangs der Sanierungspflicht ist es sachgerecht, von der durchschnittlichen Produktion der Werkanlagen über einen genügend langen, repräsentativen Zeitraum auszugehen. Im Weiteren sind die möglichen Sanierungsmassnahmen und deren ökologisches Potenzial zu evaluieren und die auf die einzelnen Massnahmen entfallenden Produktionseinbussen und Erlösminderungen konkret zu ermitteln. Alsdann ist ein sinnvolles Massnahmenpaket zusammenzustellen und zu bestimmen, ob dieses den Rahmen der zulässigen Einschränkungen ausschöpft, ohne ihn zu überschreiten. Bei einer Sanierung im Sinne von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
ist diejenige Variante zu wählen, welche unter Berücksichtigung der Grenze der wirtschaftlichen Tragbarkeit das optimalste ökologische Nutzenverhältnis bzw. ökologische Potenzial aufweist (MAURUS ECKERT, Rechtliche Aspekte der Sicherung angemessener Restwassermengen, 2002, S. 165). Die kantonalen Behörden verfügen über einen Ermessens- und Beurteilungsspielraum, was die Wahl des Sanierungskonzepts, die Auswahl der sanierungswürdigen Entnahmen und die im Einzelnen zu treffenden Massnahmen angeht. Bei der Bestimmung des Umfangs der Sanierungspflicht ist der Beurteilungsspielraum hingegen begrenzt, da die Möglichkeiten entschädigungslos hinzunehmender Sanierungsmassnahmen, wie erwähnt, auszuschöpfen sind und diese als zumutbar gelten.
BGE 139 II 28 S. 36
Sanierungsziel ist grundsätzlich, dass die Wasserführung den Vorschriften der
Art. 31-33 GSchG
über die Mindestrestwassermengen möglichst nahekommt bzw. dass der ökologische Zustand der Gewässer mit Entnahmen so optimiert wird, dass er den Verhältnissen bei ausreichender Mindestrestwassermenge möglichst weitgehend entspricht. Die Palette möglicher Sanierungsmassnahmen ist vielfältig. Im Vordergrund steht die gezielte Erhöhung der Dotierwassermenge. Aber auch andere Massnahmen zur Verbesserung der ökologischen Situation (aus gewässerökologischer, fischereilicher, naturschützerischer oder landschaftsschützerischer Sicht betrachtet) sind möglich, insbesondere bauliche und betriebliche. Die Massnahmen lassen sich auch kombinieren, um eine bessere Gesamtwirkung zu erzielen.
Sanierungsmassnahmen nach
Art. 80 GSchG
und solche nach Art. 39a bzw. 43a GSchG (betreffend Schwall/Sunk bzw. Geschiebehaushalt) müssen nicht zusammen angeordnet werden, was sich bereits aus den unterschiedlichen Sanierungsfristen ergibt (vgl. Art. 81 bzw. 83a GSchG). Es steht jedoch nichts entgegen, diese Massnahmen zu koordinieren und gemeinsam zu verfügen, wo dies sinnvoll erscheint oder zur Vermeidung entschädigungspflichtiger Eingriffe nötig ist. Das Gleiche gilt sinngemäss für Bewilligungen nach
Art. 40 GSchG
(Spülung und Entleerung von Stauräumen).
2.7.4
Zur Ermittlung des Umfangs der trag- bzw. zumutbaren Einschränkungen ist auf die konkreten Verhältnisse des konzessionierten Werks und nicht auf ein abstraktes Rechnungsmodell abzustellen. Der Rahmen des entschädigungslos Hinzunehmenden kann nicht ein für alle Mal, für alle Unternehmen gleich bzw. nach schematischen Kriterien festgelegt werden. Er bestimmt sich nach den betrieblichen Verhältnissen. Zu berücksichtigen sind insbesondere der Gewinn, die Konzessionsdauer und der Umfang der bereits erfolgten Abschreibungen (vgl. RIVA, a.a.O., S. 192). Eine Überwälzungsmöglichkeit von Massnahmekosten auf die Konsumenten darf angesichts der Liberalisierung des Strommarkts nur in beschränktem Umfang, nach Massgabe der Strompreisentwicklung, einbezogen werden.
Selbst bei relativ ungünstigen betrieblichen Verhältnissen dürften Produktions- bzw. Erlöseinbussen im Umfang von 1-2 % bei Ausschöpfung des Optimierungspotenzials in der Regel noch zumutbar sein. Bei durchschnittlichen Verhältnissen sind wohl Massnahmen
BGE 139 II 28 S. 37
mit Produktions- bzw. Erlöseinbussen bis zu 5 % zu erwägen. Bei guter bis sehr guter Ertragslage und entsprechend abgeschriebenen Anlagen können sich Sanierungsmassnahmen rechtfertigen, die noch weiter gehen und Produktions- bzw. Erlösminderungen von über 5 % zur Folge haben (vgl. hierzu RIVA, a.a.O., S. 179 ff., insb. 191 f. mit Hinweisen; vgl. ferner Mitteilung Nr. 25 des BAFU zum Gewässerschutz, Sanierungsbericht Wasserentnahmen, Sanierung nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
, S. 26).
2.8
2.8.1
Die Regierung ist von einem Gesamtkonzept zur Sanierung der Entnahmen im Konzessionsgebiet der Beschwerdegegnerin ausgegangen, mit Konzentration auf einzelne, möglichst nutzbringende Massnahmen (Vermeidung des sog. Giesskannenprinzips). Sie hat vorab alle zehn Wasserentnahmen erfasst und die Sanierungsmöglichkeiten evaluiert. Vier Entnahmen wurden als mögliche Sanierungsfälle ausgewählt und näher geprüft. Das Potenzial der übrigen Entnahmen wurde als von vornherein zu gering erachtet (keine ganzjährige oder durchgehende Wasserführung, keine Fischpopulation usw.). Diese Vorgehensweise, d.h. die Konzentration auf die Massnahmen mit dem grössten ökologischen Potenzial, ist sinnvoll und rechtlich zulässig (vgl. E. 2.7.3 hiervor). Die Beschwerdeführer üben am Sanierungskonzept an sich denn auch keine Kritik. Nicht rechtswidrig ist nach dem Ausgeführten (E. 2.7.3) auch der Verzicht auf eine Koordination mit weiteren dereinst erforderlichen Verbesserungen nach
Art. 39a GSchG
(Schwall/Sunk),
Art. 40 GSchG
(Spülung und Entleerung von Stauräumen) und
Art. 43a GSchG
(Geschiebehaushalt).
2.8.2
Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, die Bevorzugung der Sanierungsvariante bei der Fassung Curina (Moesa) in der beschlossenen Form sei ungenügend abgestützt. Dieser Einwand ist berechtigt:
In seinem Bericht zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vom 3. August 2009 kam das ANU bezogen auf die Fassung Curina (Moesa) zum Ergebnis, dass mit einer Reduktion der Dotierwassermenge auf eine Jahreswasserfracht von 4,734 Mio. m
3
das Erreichen der minimalen fischereilichen Zielsetzung ernsthaft in Frage gestellt würde. lm besten Falle lasse sich damit der flache Abschnitt der Moesa fischereilich so aufwerten, dass diese Strecke als Laichgebiet wieder aktiviert werden könne. Eine Verbesserung im
BGE 139 II 28 S. 38
steilen Bereich, welche mit einer Jahresdotierung von 6,3 Mio. m
3
denkbar wäre, lasse sich mit der vorliegenden Wassermenge nicht erreichen (Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vom 3. August 2009). Aus Sicht des ANU ist eine Dotierung mit einer Jahreswassermenge von 6,3 Mio. m
3
(in Verbindung mit der Absenkung der Flusssohle) als "absolut minimale" Sanierungsmassnahme anzusehen (vgl. Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vom 3. August 2009). Anderslautende Fachmeinungen finden sich in den Akten nicht.
Die angeordnete Massnahme ist damit aus ökologischer Sicht unbefriedigend. Zu beanstanden ist aber vor allem, dass die Regierung mit der Massnahme in Curina (Moesa) nicht diejenige Sanierungsvariante wählte, welche unter Berücksichtigung der Grenze der wirtschaftlichen Tragbarkeit das optimalste ökologische Nutzenverhältnis bzw. ökologische Potenzial aufweist. Bei einer jährlichen Dotierwassermenge von 4,734 Mio. m
3
in Curina (Moesa) wird der ökologische Gewinn auf 240 Punkte geschätzt, dies bei einer Minderproduktion von 3,17 %. Die Massnahme in Valbella (Calancasca), d.h. die Anordnung einer Dotierwassermenge von 60 l/s, brächte hingegen einen ökologischen Gewinn von 263 Punkten bei einer Minderproduktion von nur 1,5 % und erscheint damit an sich vorzugswürdig (vgl. auch die Tabelle in der nicht publ. E. 2.2). Das nicht weiter erklärte Vorgehen der Regierung, nur die konkreten wirtschaftlichen Folgen der Sanierungsmassnahme in Curina (Moesa) abzuklären, ist deshalb nicht haltbar. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, sind aber noch weitere
Art. 80 Abs. 1 GSchG
betreffende Rügen der Beschwerdeführer begründet, weshalb sich die Sanierungsvariante in Curina (Moesa) mit einer Jahreswasserfracht von 4,734 Mio. m
3
ohnehin als ungenügend erweist.
Die Beschwerdeführer beanstanden, wie erwähnt, einerseits die Beschränkung der wirtschaftlich tragbaren Erlösminderung auf 5 % (dazu nachfolgend E. 2.8.3) und andererseits das Abstellen auf eine 5-Jahres-Periode bei der Ermittlung der durchschnittlichen Jahresproduktion der Werke der Beschwerdegegnerin (nachfolgend E. 2.8.4).
2.8.3
Bei guter bis sehr guter Ertragslage können, wie dargelegt (E. 2.7.4 hiervor), Massnahmen angeordnet werden, die Produktions- oder Erlösminderungen von über 5 % zur Folge haben, ohne dass hierdurch die Grenze der wirtschaftlichen Tragbarkeit
BGE 139 II 28 S. 39
überschritten wird. Im zu beurteilenden Fall haben die Regierung und die Vorinstanz bei der Festlegung der Obergrenze von 5 % Erlösminderung zu Unrecht eine Interessenabwägung durchgeführt (vgl. E. 2.7.1 hiervor) und zu wenig berücksichtigt, dass sich die Ertragslage der Beschwerdegegnerin nach den vorhandenen Angaben als sehr günstig darstellt. Die Investitionen sind zu einem grossen Teil abgeschrieben und die Gestehungskosten liegen nach den Feststellungen der Regierung bei nur ca. 4,5 Rp./kWh. Geht man von einem Preisniveau von rund 11,5 Rp./kWh aus, so beträgt die Gewinnspanne ungefähr 7 Rp./kWh (vgl. nicht publ. E. 2.3 und den Beschluss der Regierung vom 24. November 2009). Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Konzessionen noch lange, nämlich bis 2041/2043 laufen. Bei dieser Ausgangslage ist die Schwelle der wirtschaftlichen Tragbarkeit bei einer Erlösminderung von 5 % noch nicht erreicht. Hiervon geht, wie ausgeführt, auch das BAFU aus, welches Produktionsminderungen von 8 % und mehr in solchen Fallkonstellationen als wirtschaftlich tragbar erachtet (vgl. nicht publ. E. 2.6).
2.8.4
Von der Menge an produzierter Energie hängt massgeblich ab, wie sich die Abgabe einer in absoluten Zahlen bestimmten Dotierwassermenge auf die Erlösminderung in Prozenten auswirkt, denn je kleiner die Energieproduktion, desto stärker fällt die Dotierwassermenge ins Gewicht.
Die von den kantonalen Behörden zur Ermittlung der jährlichen Durchschnittsproduktion herangezogene 5-Jahres-Periode erweist sich als nicht repräsentativ. Die Jahre 2003, 2005 und 2006 waren aussergewöhnlich niederschlagsarm, sodass die Menge des produzierten Stroms rund 20 % tiefer lag als im langjährigen Schnitt, d.h. bei 238,695 Mio. kWh verglichen mit 288,708 Mio. kWh beim Abstellen auf eine 10-Jahres-Periode. Auch weisen die Beschwerdeführer insoweit zu Recht auf die Bestimmung von
Art. 4 lit. h GSchG
hin, wonach die massgebliche (natürliche) Abflussmenge aufgrund einer 10-Jahres-Periode zu ermitteln ist. Ein 10-Jahres-Mittel bietet sich deshalb nach Meinung des Gesetzgebers als genügend repräsentativ an.
Soweit die Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung auf Art. 41f Abs. 2 lit. b der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV; SR 814.201) verweist, wonach die Abflussmengen über einen Zeitraum von fünf Jahren zu bestimmen sind, kann sie
BGE 139 II 28 S. 40
hieraus nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Art. 41f Abs. 2 lit. b GSchV
betrifft Massnahmen zur Sanierung bei Schwall und Sunk, d.h. durch die Turbinierung künstlich erzeugte Abflussmengen, und ist deshalb insoweit nicht einschlägig. Aus dieser mit der Restwassersanierung nicht direkt verwandten Thematik können mithin für die Frage der im zu beurteilenden Fall sachgerechterweise anzuwendenden Referenzperiode keine Rückschlüsse gezogen werden. Letztlich kann aber offengelassen werden, ob das Abstellen auf eine 5-Jahres-Periode in jedem Fall unzulässig ist. Vielmehr genügt es festzustellen, dass vorliegend eine nicht aussagekräftige bzw. nicht repräsentative, weil ausserordentlich trockene Periode von fünf Jahren gewählt wurde. Nach dem Gesagten hätte die Berechnung der Produktionseinbusse somit sachgerechterweise auf der Basis einer produzierten Strommenge von 288,708 Mio. kWh pro Jahr erfolgen sollen.
2.8.5
Aus dem Ausgeführten (E. 2.8.3 und 2.8.4) ergibt sich, dass die ausschliesslich angeordnete Dotierung der Entnahme Curina (Moesa) mit einer Jahreswassermenge von 4,734 Mio. m
3
als ungenügend zu bewerten ist. Angesichts der höheren jährlichen Durchschnittsproduktion (288,708 Mio. kWh statt 238,695 Mio. kWh) als von der Vorinstanz angenommen und der günstigen Ertragslage der Werke der Beschwerdegegnerin müssen deutlich weitergehende Sanierungsmassnahmen als zumutbar gelten.
Beim Abstellen auf eine durchschnittliche Jahresproduktion von 288,708 Mio. kWh resultieren verglichen mit einer solchen von 238,695 Mio. KWh geringere prozentuale Produktionseinbussen (vgl. hierzu und zum Nachfolgenden die Tabelle in der nicht publ. E. 2.2). Bei Anordnung einer jährlichen Dotierwassermenge von 6,30 Mio. m
3
bei der Fassung Curina (Moesa) würde die Produktion um 10,1 Mio. kWh sinken (vgl. nicht publ. E. 2.3), während die Sicherstellung durchschnittlicher jährlicher Dotierwassermengen von 60 l/s bei der Entnahme Valbella (Calancasca) und von 160 l/s bei der Entnahme Isola (Moesa) Produktionseinbussen von 3,58 Mio. kWh (1,5 % von 238,695 Mio. kWh) respektive 4,54 Mio. kWh (1,9 % von 238,695 Mio. kWh) bewirken würde. Auf der Basis einer durchschnittlichen Jahresproduktion von 288,708 Mio. kWh kommen Produktionseinbussen von 10,1 Mio. kWh, 3,58 Mio. kWh und 4,54 Mio. kWh Produktionsminderungen von 3,5 %, 1,21 % und 1,57 % gleich. Damit ergeben sich folgende Zahlen:
BGE 139 II 28 S. 41
Entnahmestelle (Fluss)
Ökologischer Gewinn
Dotierwassermenge Schnitt (l/s)
Einbusse Produktion in Mio kWh
Einbusse Produktion bei 238,695 Mio kWh in %
Einbusse Produktion bei 288,708 Mio kWh in %
Curina (Moesa) Variante 1
348
6,3 Mio m3
10,1
4,23
3,5
Valbella (Calancasca)
263
60
3,58
1,5
1,21
Isola (Moesa)
119
160
4,54
1,9
1,57
Auf der Grundlage einer durchschnittlichen Jahresproduktion von 288,708 Mio. kWh berechnet, führen die drei Massnahmen mithin zu einer Produktionseinbusse von insgesamt 6,28 % (3,5 + 1,21 + 1,57). Die Vorinstanz ihrerseits geht, wie dargelegt (nicht publ. E. 2.4 am Ende), insoweit von einer Erlösminderung von 6,3 % ("una diminuzione dei ricavi del 6,3 %") aus, wobei sich allerdings in diesem Zusammenhang die Frage stellt, ob die Vorinstanz nicht versehentlich von "Erlösminderung" statt von "Produktionsminderung" gesprochen hat. Ausgehend davon, dass Produktionseinbussen von 4,23 % und 3,17 % Erlöseinbussen von 6,25 % und 5,08 % bewirken (vgl. die Sanierungsvarianten 1 und 2 bei der Fassung Curina [Moesa] gemäss der Tabelle in der nicht publ. E. 2.2), könnte eine Produktionsminderung von 6,28 % vorliegend ungefähr eine Erlösminderung in der Grössenordnung von 9 % bedeuten. Würden die Sanierungsmassnahmen auf die Fassungen Curina (Moesa) und Valbella (Calancasca) beschränkt, da hier der höhere ökologische Gewinn als bei der Fassung Isola (Moesa) resultiert, so hätte dies bei einer durchschnittlichen Jahresproduktion von 288,708 Mio. kWh eine Produktionseinbusse von 4,71 % (3,5 + 1,21) zur Folge, was einer Erlösminderung von gegen 7 % entsprechen dürfte.
2.8.6
Ginge man in Übereinstimmung mit der Auffassung des BAFU davon aus, dass Produktionseinbussen von bis zu 8 % in aller Regel als zumutbar gelten, wären im zu beurteilenden Fall alle drei erwähnten Sanierungsmassnahmen für die Beschwerdegegnerin
BGE 139 II 28 S. 42
zumutbar. Gestützt auf die Akten erscheinen aber zumindest die Erhöhung der Jahresdotierwassermengebei der Entnahme Curina (Moesa)auf 6,312 Mio. m
3
und die Anordnung einer Dotierwassermenge von60 l/s bei der Entnahme Valbella (Calancasca) sowie der Bau einer Fischtreppe als für die Beschwerdegegnerin wirtschaftlich tragbar.
Für eine abschliessende Beurteilung fehlen allerdings die Grundlagen, da die Regierung und die Vorinstanz, wie erwähnt, darauf verzichtet haben, eine konkrete Evaluation der Auswirkungen der Sanierungsmassnahmen in Valbella (Calancasca) und in Isola (Moesa) vorzunehmen (vgl. nicht publ. E. 2.4). Die Regierung wird daher ausgehend von einer (auf aktuellen Produktionszahlen basierenden) 10-Jahres-Periode die jährliche Durchschnittsproduktion zu bestimmen und gestützt darauf die konkreten wirtschaftlichen Folgen der einzelnen Sanierungsmassnahmen für die Beschwerdegegnerin abzuklären, d.h. insbesondere die sich daraus ergebenden Erlöseinbussen zu errechnen haben. Auf dieser Grundlage wird sie die wirtschaftlich tragbaren Massnahmen anzuordnen haben. Dabei ist es der Regierung bei ihrer Neubeurteilung unbenommen, die verworfene Massnahme des Baus eines Ausgleichsbeckens in Cromaiò, welche einen ausserordentlich hohen ökologischen Gewinn von 1'210 Punkten brächte und zugleich als Sanierungsmassnahme für die Schwall/Sunk-Problematik (
Art. 39a GSchG
) gelten könnte, ohne dass damit eine Produktionsminderung verbunden wäre, als mögliche Alternative noch vertiefter abzuklären.
Die Beschwerde ist damit, soweit
Art. 80 Abs. 1 GSchG
betreffend, gutzuheissen, und die Angelegenheit ist zur neuen Beurteilung und zur Anordnung weitergehender Massnahmen an die Regierung zurückzuweisen.
3.
3.1
Gemäss
Art. 80 Abs. 2 GSchG
ordnet die Behörde über
Art. 80 Abs. 1 GSchG
hinausgehende Sanierungsmassnahmen an, wenn es sich um Fliessgewässer in Landschaften oder Lebensräumen handelt, die in nationalen oder kantonalen Inventaren aufgeführt sind, oder wenn dies andere überwiegende öffentliche Interessen fordern. Das Verfahren für die Feststellung der Entschädigungspflicht und die Festsetzung der Entschädigung richtet sich nach dem Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG; SR 711).
3.2
Grundlage des Beschlusses der Regierung und des bestätigenden Entscheids der Vorinstanz bildet der Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August
BGE 139 II 28 S. 43
2009 (vgl. auch Sachverhalt lit. A.). Darin untersuchte das ANU aus der Sicht des Landschaftsschutzes und der Wahrung der Lebensräume und Auengebiete die von Wasserfassungen beeinflussten Gewässerstrecken der Calancasca und der Moesa. Entlang der Calancasca sind das Auengebiet von nationaler Bedeutung A-166 Pian di Alné und das Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung AM-251 Pian di Alné betroffen. Im Weiteren liegen die regionalen Auengebiete A-2'502 Spülügh und A-2'506 Tandet und die regionalen Landschaftsschutzgebiete L-1'501 hinteres Calancascatal und L-1'503 Calancasca von Rossa bis Buseno im Einflussbereich der Restwasserstrecke. Entlang der Restwasserstrecke der Moesa handelt es sich um die Auengebiete von nationaler Bedeutung A-162 Pomareda und A-164 Canton. Ferner befinden sich in diesem Bereich die Auengebiete von regionaler Bedeutung A-2'401 Andrana und A-2'406 Mot de Creuc.
Das ANU hielt in seiner Gesamtbeurteilung bezüglich der Wasserentnahmen an der Calancasca fest, unter Sanierungsgesichtspunkten i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
relevant seien das Auengebiet und das Amphibienlaichgebiet Pian di Alné. Im Ergebnis sei jedoch insoweit auf eine weitergehende Sanierung der Fassung Valbella zu verzichten, weil zur nachhaltigen Verbesserung des Wasserhaushalts im Gebiet Pian di Alné nach heutiger Einschätzung eine um das 10- bis 20-fach höhere Dotierwassermenge erforderlich wäre als zur Erreichung der fischereilichen Sanierungsziele gemäss
Art. 80 Abs. 1 GSchG
. Ebenso sei in Bezug auf die Wasserentnahmen an der Moesa aus Prioritätsgründen von einer weitergehenden Sanierung der Fassungen Isola und Curina im Sinne von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
abzusehen. Das insoweit massgeblich tangierte Auengebiet A-2'401 Andrana habe zwar ein grosses Potenzial. Es sei jedoch nur von regionaler Bedeutung. Zudem könne mittels einer Optimierung des Spülregimes eine ökologische Verbesserung erzielt werden (vgl. zum Ganzen den Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009).
3.3
Die Regierung schloss sich in ihrem Beschluss vom 24. November 2009 der Einschätzung des ANU an, wonach die Wasserentnahmen der Beschwerdegegnerin keine Objekte tangieren würden, deren Sanierung kantonsweit höchste Dringlichkeit eingeräumt werden müsste. Eine Priorisierung der Objekte von nationaler gegenüber jenen von bloss regionaler Bedeutung (wie das Auengebiet A-2'401 Andrana) sei zulässig. Zudem betonte die Regierung, eine allfällige
BGE 139 II 28 S. 44
Änderung der Spülbewilligungen werde in einem separaten und zeitlich nachgeschalteten Verfahren geprüft. Dieses Vorgehen eröffne die Möglichkeit, die Spülungen nach Massgabe der konkreten Umstände festzusetzen und namentlich die von der Restwassersanierung bewirkten ökologischen Verbesserungen einzubeziehen. lm Anschluss an die Restwassersanierung werde somit zu klären sein, wie kraftwerksbedingte Defizite im Geschiebehaushalt durch eine Anpassung der Spülbewilligungen vermindert werden könnten.
3.4
Die Vorinstanz hat erwogen, da nach den Feststellungen des ANU zur Aufwertung des Auengebiets von nationaler Bedeutung A-166 Pian di Alné eine 10- bis 20-fach höhere Dotierung des Restwassers bei der Fassung Valbella (Calancasca) erforderlich wäre, sei diese Massnahme unverhältnismässig. Auch in Bezug auf die Wasserentnahmen an der Moesa sei auf eine Sanierung im Sinne von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
zu verzichten. Bezüglich der Auenlandschaft A-2'401 Andrana könne das Sanierungsziel bereits durch die Sanierungsmassnahme nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
erreicht werden, und bei den weiter talwärts gelegenen Auengebieten A-162 Pomareda und A-164 Canton erweise sich die aktuelle Situation als mit den Grundsätzen des Bundesrechts vereinbar. Entlang der von der Entnahme Isola betroffenen Gewässerstrecke befänden sich keine inventarisierten Objekte, welche Sanierungsmassnahmen gemäss
Art. 80 Abs. 2 GSchG
erfordern würden. Eine Koordination der Restwassersanierungen mit den Massnahmen für ein wirksameres Spülregime sei nicht zwingend, da das von der Regierung beschlossene 5-jährige Monitoring gewährleiste, dass das Spülregime im Hinblick auf den Schutz der Auengebiete gezielt korrigiert werden könne.
3.5
Die Beschwerdeführer bringen vor, im Rahmen von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
sei zu prüfen, inwieweit die Schutzziele der kantonalen und nationalen Inventare mit verhältnismässigem Aufwand erreicht werden könnten. Angesichts der zahlreichen inventarisierten Objekte in den Restwasserstrecken der Calancasca und der Moesa sei der Handlungsbedarf im Sinne von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
ausgewiesen. Die Beeinträchtigungen der Schutzgebiete und die möglichen Sanierungsmassnahmen hätten daher im Hinblick auf die Schutzziele aufgrund einer detaillierten ökologischen Beurteilung ermittelt werden müssen. Die kantonalen Behörden hätten es jedoch unterlassen zu untersuchen, welche Massnahmen in Frage kämen, um die dringendsten Verbesserungen der Situation herbeizuführen.
BGE 139 II 28 S. 45
Ebenso wenig seien die Kosten möglicher Sanierungsmassnahmen ausgewiesen worden. Die Argumentation der Vorinstanz, welche darauf hinauslaufe, dass nur Objekte von nationaler Bedeutung im Rahmen von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
saniert werden könnten, sei gesetzeswidrig. Ferner sei auch eine konkrete Prioritätensetzung des Kantons nicht erkennbar.
3.6
In seiner Stellungnahme führt das BAFU aus, zur Verbesserung der Situation bei den beeinträchtigten Auengebieten seien wesentlich grössere Dotierwassermengen nötig, als zur Sanierung nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
vorgeschlagen worden sei. Zu beanstanden sei, dass das Ausmass dieser zur Schutzzielerreichung höheren Dotierung von den kantonalen Behörden nicht hinreichend quantifiziert und nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Erforderlich sei daher eine Ergänzung des Sachverhalts in dem Sinne, dass für jede einzelne Fassung in den inventarisierten Gebieten festgestellt werde, ob und wie weit die Erreichung des Schutzziels eine Ausweitung des nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
bestimmten Sanierungsumfangs verlange. Damit die betreffenden Schutzziele wenigstens teilweise erreicht werden könnten, seien weitergehende Sanierungsmassnahmen aus Sicht des Biotop- und Artenschutzes geboten. Mangels quantitativer Angaben sei eine Beurteilung gemäss
Art. 80 Abs. 2 GSchG
jedoch nicht möglich.
3.7
Zwischen
Art. 80 Abs. 1 und
Art. 80 Abs. 2 GSchG
besteht ein enger Zusammenhang. Erst wenn der Rahmen von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
bestimmt ist, kann beurteilt werden, ob eine weitergehende Sanierung nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
notwendig ist und, wenn ja, welchen Umfang diese haben soll (vgl. hierzu Mitteilung Nr. 39 des BAFU zum Gewässerschutz, Wasserentnahmen, Vorgehen bei der Sanierung nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
, S. 12 f. und 66 f.).
Im Rahmen von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
ist für jenen Teil der Sanierung, welcher über das nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
Gebotene hinausgeht, eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ausgangspunkt bildet das Sanierungsziel. Massgebend sind vorliegend die Schutzziele der Inventarobjekte, welche sich für Auen namentlich aus Art. 4 der Verordnung vom 28. Oktober 1992 über den Schutz der Auengebiete von nationaler Bedeutung (Auenverordnung; SR 451.31) und für Amphibienlaichgebiete aus
Art. 6 der Verordnung vom 15. Juni 2001 über den Schutz der Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung (Amphibienlaichgebiete-Verordnung, AIgV; SR 451.34)
BGE 139 II 28 S. 46
ergeben. Wie weit das Schutzziel erreicht werden kann, ist in Berücksichtigung der verschiedenen privaten und öffentlichen Interessen und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit festzulegen (vgl. RIVA, a.a.O., S. 144 ff.). Unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit im engeren Sinn ist zu prüfen, ob sich der Eingriff angesichts seiner Schwere und des damit erreichbaren Nutzens lohnt. Wenn ein Missverhältnis zwischen dem Eingriffszweck und der Eingriffswirkung vorliegt, erweist sich die Massnahme als unverhältnismässig.
In der Botschaft des Bundesrats vom 29. April 1987 zur Volksinitiative "zur Rettung unserer Gewässer" und zur Revision des GSchG wurde in diesem Zusammenhang ausgeführt, Sanierungsmassnahmen nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
seien nur so weit anzuordnen, als es zur dringend notwendigen Verbesserung der Situation gerade noch geboten sei. Es dürfe deshalb angenommen werden, dass die Entschädigungen ein vertretbares Mass nicht überstiegen (BBl 1987 II 1171). Da die Massnahmen regelmässig in verliehene, wohlerworbene Rechte eingreifen und eine Enteignungsentschädigung auslösen, würde ein anderes Verständnis auch den Rahmen des finanziell Möglichen sprengen. Dementsprechend ist eine Fokussierung auf die wichtigsten Massnahmen unabdingbar. Eine Priorisierung von Objekten von nationaler Bedeutung ist dabei grundsätzlich zulässig, darf aber nicht dazu führen, dass Objekte von regionaler Bedeutung von vornherein aus dem Schutzbereich von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
herausfallen, da dies dem Wortlaut der Bestimmung zuwiderlaufen würde.
3.8
3.8.1
Für den Entscheid über Sanierungen gemäss
Art. 80 Abs. 2 GSchG
müssen in der Regel gründliche und umfassende Abklärungen getroffen werden. Die Regierung hat sich insoweit mit relativ summarischen und zum Teil zusammenfassenden Ausführungen begnügt. Dennoch hält das Vorgehen der bundesgerichtlichen Überprüfung stand, da der Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009 entgegen der Auffassung des BAFU eine verlässliche Beurteilung erlaubt (vgl. E. 3.8.2 und 3.8.3 hiernach). Dass das ANU dabei erklärte, es fühle sich an einen früheren Regierungsbeschluss aus dem Jahr 1995 betreffend die Wasserrechtsverleihung des (nicht realisierten) Saisonspeicherwerks Curciusa gebunden (vgl. den Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom
BGE 139 II 28 S. 47
6. August 2009), ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nichtentscheidend. Von Bedeutung ist vielmehr, ob die konkrete Beurteilung der heutigen Situation
Art. 80 Abs. 2 GSchG
verletzt. Ebenso wenig von Entscheidrelevanz ist entgegen den Ausführungen in der Beschwerde, dass die Vorinstanz in ihrer Entscheidbegründungzu Unrecht davon ausgegangen ist, Massnahmen nach Art. 80 Abs. 2GSchG müssten sich auf die längs der Wasserentnahmestrecken gelegenen Objekte begrenzen, die zeitlich
vor
der Wasserfassung inventarisiert wurden. Von den Beschwerdeführern wird nicht aufgezeigt und es ist auch nicht ersichtlich, dass sich diese Feststellungder Vorinstanz auf das Ergebnis ausgewirkt hätte.
Zu prüfen ist, ob der angefochtene Entscheid bezogen auf die inventarisierten Gebiete an der Calancasca (nachfolgend E. 3.8.2) und an der Moesa (nachfolgend E. 3.8.3) Bundesrecht verletzt.
3.8.2
Aus dem Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009 ergibt sich, dass die Möglichkeiten zur sinnvollen Einflussnahme beschränkt sind. Unterhalb der Fassung Valbella besteht aus der Sicht des Biotop- und Artenschutzes, aber auch des Landschaftsschutzes zwar ein hohes Sanierungsinteresse. Hier befinden sich verschiedene recht stark beeinträchtigte inventarisierte Gebiete, insbesondere das Auen- und das Amphibienlaichgebiet Pian di Alné (A-166 bzw. AM-251). Indessen würde eine Sanierung dieser Gebiete das 10- bis 20-Fache der fischereilich nötigen Dotierwassermenge von 60 l/s erfordern, was den Rahmen des Machbaren eindeutig sprengt. Genauere quantitative Angaben erscheinen entgegen der Auffassung des BAFU entbehrlich, da auch eine 10-fach höhere Dotierung unverhältnismässig wäre. Sodann kann eine Optimierung des Geschiebehaushalts nach der (von den Beschwerdeführern nicht substanziiert bestrittenen) Auffassung der kantonalen Behörden im Rahmen von Spülbewilligungen nach
Art. 40 GSchG
erreicht werden.
3.8.3
Bezüglich der Moesa durfte die Vorinstanz, ohne Bundesrecht zu verletzen, davon ausgehen, dass sich die nachgelagerten Auengebiete von nationaler Bedeutung A-162 Pomareda und A-164 Canton in einem Zustand befinden, der keine dringenden Massnahmen nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
erfordert. Mit einer Erhöhung der Dotierwassermenge bei der Entnahme Curina liesse sich aber ohnehin keine wesentliche Verbesserung der Standortbedingungen für die Auenvegetation in Pomareda und Canton erzielen (vgl. Bericht des
BGE 139 II 28 S. 48
ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009). Hingegen könnte mit einer solchen Massnahme das regionale Auengebiet (und Flachmoor) A-2'401 Andrana aufgewertet werden, was jedoch bereits durch die Sanierung nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
erreicht werden kann. So kann nach der Auffassung des ANU eine Jahresdotierwassermenge von 6,3 Mio. m
3
vor allem in den Übergangsmonaten vor Beginn der Schneeschmelze und ab Spätsommer einen substanziellen Beitrag an den Wasserhaushalt und damit an die Erhaltung dieses Auengebiets inklusive des Flachmoors leisten (vgl. Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009). Der mögliche Geschiebeeintrag im Auengebiet Andrana ist nur kurzzeitig und stossweise, weshalb sich die Regierung insoweit eine Regelung im Rahmen von Spülbewilligungen vorbehalten durfte (vgl. hierzu den Bericht des ANU zur Sanierung von Gewässern i.S. von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
vom 6. August 2009).
Schliesslich ist der obere Teil der Moesa vom Stausee Isola bis zur Entnahme Curina mit der Trockenlegung unterhalb der Staumauer zwar gravierend beeinträchtigt. Indessen sind hier keine inventarisierten Lebensräume betroffen, weshalb auf weitergehende Massnahmen nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
verzichtet werden durfte.
3.8.4
Zusammenfassend ist unter dem Blickwinkel von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
somit festzuhalten, dass bezüglich des Auengebiets von regionaler Bedeutung A-2'401 Andrana in der Restwasserstrecke der Moesa eine jährliche Dotierwassermenge von 6,3 Mio. m
3
als "absolut minimale" Sanierungsmassnahme anzusehen ist (vgl. auch E. 2.8.2 hiervor). Ordnet die Regierung gestützt auf die geänderten Grundlagen - zumutbare Erlösminderung von über 5 % und 10-Jahres-Periode zur Bestimmung der jährlichen Durchschnittsproduktion (vgl. E. 2.8.3 und 2.8.4 hiervor) - in ihrem neuen Beschluss im Rahmen von
Art. 80 Abs. 1 GSchG
die entsprechende jährliche Dotierwassermenge an, so verletzt es kein Bundesrecht, von Sanierungsmassnahmen im Sinne von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
abzusehen und das Geschiebeproblem mittels einer Optimierung des Spülregimes bei der Fassung Curina anzugehen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass die Regierung mit der von ihr vorgenommenen Beschränkung der Massnahmen nach
Art. 80 Abs. 1 GSchG
auf die Festsetzung einer Jahreswassermenge von (nur) 4,734 Mio. m
3
bei der Fassung Curina weitergehende
BGE 139 II 28 S. 49
Massnahmen nach
Art. 80 Abs. 2 GSchG
nicht von vornherein hätte verwerfen dürfen. Die Beschwerdeführer haben damit die Verletzung von
Art. 80 Abs. 2 GSchG
, soweit die Restwasserstrecke der Moesa betreffend, zu Recht mit beanstandet. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d505b62b-6139-48f2-b621-1a1535da1dfb | Urteilskopf
121 IV 353
57. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1995 i.S. Z. gegen Erbengemeinschaft K. und L. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 169 StGB
; Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte.
Die Verpflichtung des Schuldners, die mit Beschlag belegten Gegenstände zu erhalten, begründet weder gegenüber dem Gläubiger noch gegenüber den Betreibungs- und Konkursbehörden eine Garantenpflicht. Das blosse Untätigbleiben stellt daher keine eigenmächtige Verfügung im Sinne von
Art. 169 StGB
dar. | Sachverhalt
ab Seite 353
BGE 121 IV 353 S. 353
Der Gerichtspräsident VII von Bern sprach Z. mit Urteil vom 15. November 1994 von der Anschuldigung der Verfügung über amtlich aufgezeichnete Sachen ohne Entschädigung frei. Auf eine Appellation der Privatklägerin Erbengemeinschaft K. und L. hin erklärte das Obergericht des Kantons Bern Z. mit Urteil vom 2. Mai 1995 der Verfügung über amtlich aufgezeichnete
BGE 121 IV 353 S. 354
Sachen schuldig und verurteilte ihn zu 10 Tagen Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von zwei Jahren. Ferner hiess es die Zivilklage gut und verpflichtete Z. zur Zahlung von Fr. 1'650.-- nebst 5% Zins ab 2. Mai 1995 an die Privatklägerin.
Gegen dieses Urteil führt Z. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung und zur Abweisung der Zivilklage an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht er, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu verleihen.
Die Privatklägerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Vorinstanz legte dem Beschwerdeführer zur Last, er habe in seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident der Firma G. und Z. im Rahmen eines Mietzinsretentionsverfahrens zwei mit Beschlag belegte Gegenstände, ein Fotokopiergerät sowie einen Metallschrank, beiseite geschafft und dadurch seine Gläubiger im Umfang von ca. Fr. 1'650.-- geschädigt. Sie stellte für den Kassationshof verbindlich (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) fest, der Beschwerdeführer habe die fraglichen Gegenstände am 27. Oktober 1992 der Firma R. und Sohn verkauft. Der (noch weitere Gegenstände umfassende) Kaufpreis von insgesamt Fr. 35'000.-- sei am 4. November 1992 bezahlt worden. Der Verkauf sei somit vor dem 22. Dezember 1992, an welchem Tag die Retention erfolgt sei, abgewickelt worden. Die beiden mit Beschlag belegten Gegenstände seien noch bis vor Weihnachten im Büro des Beschwerdeführers zum Gebrauch stehen gelassen und sodann von R. nach dem 22. Dezember 1992 in Abwesenheit des Beschwerdeführers abgeholt worden.
Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, es sei ein gültiger Retentionsbeschlag zustande gekommen. Daran ändere der Umstand nichts, dass der Fotokopierer und der Metallschrank in das Eigentum der Firma R. und Sohn übergegangen sei. Auch habe die Vermieterin nicht annehmen müssen, die fraglichen Gegenstände hätten nicht der Mieterin gehört. Über die Retention sei der Beschwerdeführer mindestens summarisch von seiner Sekretärin in Kenntnis gesetzt worden. Er habe daher gewusst, dass alle Sachen auf Geheiss des Betreibungsamtes im Büro zu verbleiben hätten. Im übrigen habe die
BGE 121 IV 353 S. 355
Übernahme der Gegenstände mit R. noch besprochen werden müssen. Die Erfüllung des Kaufvertrages habe daher von ihm noch ein Handeln verlangt. Ob diese Regelung vor dem Retentionsbeschlag oder danach getroffen wurde, könne offengelassen werden. Auch wenn die Abholung der Gegenstände zum Zeitpunkt der Retention bereits geregelt gewesen wäre, wäre er noch in der Lage gewesen, durch entsprechende Benachrichtigung des Vertragspartners die Inbesitznahme der retinierten Sachen zu verhindern. Diese Pflicht zum Tätigwerden habe ihm von Gesetzes wegen obgelegen, habe ihn doch aufgrund seiner Schuldnerstellung im Retentionsverfahren gegenüber dem Betreibungsamt eine Garantenpflicht getroffen.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe den Besitz an den Gegenständen auf die Erwerberin übertragen, dieselben jedoch aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses zurückbehalten. Es fehle an der nachträglichen, eigenmächtigen Verfügung über eine amtlich aufgezeichnete Sache. Die Übertragung des Eigentums an den Sachen sei im Moment der Retention längst erfolgt. Danach habe er nur noch als Entlehner von den beiden geliehenen Gegenständen Gebrauch machen dürfen. Die Abholung derselben habe nicht mehr von seinem Willen abgehangen, sondern ausschliesslich von demjenigen des Verleihers. Er habe somit nach der Retention vom 22. Dezember 1992 nicht mehr über die fraglichen Gegenstände verfügen können. Zudem fehle es auch am subjektiven Tatbestand. Es sei ihm bewusst gewesen, dass die Gegenstände bereits im Eigentum der Firma R. und Sohn gestanden hätten. Die Behändigung derselben durch die Käufer und Verleiher hätten daher nach seinem Dafürhalten keine Schädigung der Gläubigerin bewirkt. Schliesslich sei er weder verpflichtet noch überhaupt in der Lage gewesen, die Wegnahme der Gegenstände zu verhindern.
2.
a) Gemäss Art. 169 aStGB wird mit Gefängnis bestraft, wer über eine amtlich gepfändete oder mit Arrest belegte Sache oder über eine Sache, die in einem Betreibungs-, Konkurs- oder Retentionsverfahren amtlich aufgezeichnet ist, eigenmächtig zum Nachteile der Gläubiger verfügt, oder eine solche Sache beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht. Im Zuge der Revision des Vermögensstrafrechts ist der Tatbestand des sogenannten Verstrickungsbruchs neu gefasst worden.
Art. 169 StGB
nF (in Kraft seit 1. Januar 1995) bringt indes hinsichtlich der Tathandlung materiell keine Änderungen; hinsichtlich des Tatobjekts ist die Bestimmung insoweit weiter gefasst worden, als sie nun auch das durch Liquidationsvergleich abgetretene Vermögen schützt.
BGE 121 IV 353 S. 356
b) Tathandlung des Verstrickungsbruchs ist die eigenmächtige Verfügung, Beschädigung, Zerstörung, Entwertung oder das Unbrauchbarmachen. Eigenmächtig ist die Verfügung, wenn sie ohne betreibungsrechtliche oder behördliche Ermächtigung getroffen wird (
BGE 100 IV 227
E. 2). Erfasst werden nicht bloss rechtsgeschäftliche, sondern auch rein tatsächliche Verfügungen (
BGE 75 IV 62
E. 3; ALBRECHT, Kommentar Strafrecht, Bes. Teil, 2. Band, Art. 169 N. 25; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl. 1995, § 23 N. 41).
Art. 268 OR
räumt den Vermietern von Geschäftsräumen zur Sicherung ihrer Zinsforderungen ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen ein, die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung oder Benutzung gehören (für die Pacht vgl.
Art. 299c OR
). Auf Gesuch des Retentionsgläubigers nimmt das Betreibungsamt ein Retentionsverzeichnis auf (
Art. 283 SchKG
). Die Aufnahme in das Verzeichnis begründet den Retentionsbeschlag. Die Schutzwirkung des Verzeichnisses besteht darin, dass der Schuldner die aufgezeichneten Gegenstände zwar gebrauchen, nicht aber über sie verfügen darf, sofern er nicht als Ersatz anderweitig Sicherheit leistet (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Aufl. 1993, § 34 N. 21; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibungs- und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, § 63 N. 22 und 24).
Die Vorinstanz liess offen, ob der Beschwerdeführer noch nach dem Retentionsbeschlag im Hinblick auf die Abholung der retinierten Gegenstände durch die Käuferin tätig geworden sei; jedenfalls habe er es unterlassen, dies zu verhindern. Entgegen ihrer Auffassung genügt indessen eine blosse Unterlassung als Tathandlung der eigenmächtigen Verfügung nicht. Der Schuldner hat gegenüber seinen Gläubigern, hier der Vermieterin von Geschäftsräumen, keine Garantenstellung (ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 26; STRATENWERTH, a.a.O., § 23 N. 6). Das Verbot, über die aufgezeichneten Gegenstände zu verfügen, schafft keine besondere Obhuts- oder Sorgepflicht und keine gesteigerte Verantwortung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger. Sie genügt daher nicht zur Begründung einer strafrechtlich relevanten besonderen Pflicht, zum Schutz der Vermögensinteressen des Gläubigers tätig zu werden (ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 26, vgl. auch Art. 163 N. 33). Dasselbe gilt für das Verhältnis des Schuldners zu den Betreibungs- und Konkursbehörden, auch wenn
Art. 169 StGB
neben den Gläubigerinteressen zusätzlich die staatliche Autorität schützt (REHBERG, Strafrecht III, 6.
BGE 121 IV 353 S. 357
Aufl. 1994, S. 265; vgl. ALBRECHT, a.a.O., Art. 169 N. 2). Das blosse Untätigbleiben stellt daher jedenfalls keine eigenmächtige Verfügung im Sinne von
Art. 169 Abs. 1 StGB
dar. Wie es sich bei den Tatbestandsalternativen des Beschädigens, Zerstörens, Entwertens oder des Unbrauchbarmachens verhält, kann hier offenbleiben. Indem der Beschwerdeführer gegen die Abholung der mit Beschlag belegten Gegenstände durch den Vertreter der Käuferin und neuen Eigentümerin derselben nichts unternommen hat, hat er den Tatbestand des Verstrickungsbruchs nicht erfüllt. Der Schuldspruch der Vorinstanz verletzt somit Bundesrecht.
c) Zum Vorsatz betreffend die Eigenmächtigkeit äusserte sich die Vorinstanz nicht. Sie prüfte auch nicht im einzelnen, ob der Beschwerdeführer mit dem Willen der Gläubigerbenachteiligung gehandelt, d.h. in Kauf genommen hat, die Beschwerdegegnerin zu schädigen, indem er nichts dagegen unternommen hat, dass die Käuferin, deren Eigentum an den Gegenständen nicht in Frage gestellt wurde, dieselben abholte (vgl. dazu
BGE 119 IV 134
E. 2b). Dies kann hier jedoch offenbleiben, da die Vorinstanz das tatbestandsmässige Verhalten zu Unrecht in einer Unterlassung erblickt hat.
3.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d50705a6-b904-47ac-9549-48206689bd42 | Urteilskopf
90 IV 206
42. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 25 septembre 1964 dans la cause Falcy contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Ungehorsam gegen eine richterliche Verfügung, mit der einem Ehegatten unter Hinweis auf die Strafandrohung gemäss
Art. 292 StGB
auferlegt wird, die eheliche Wohnung zu verlassen.
1.
Art. 292 StGB
ist nur dann anwendbar, wenn eine andere Bestimmung fehlt, die den Ungehorsam an sich bestraft. (Erw. 3)
2.
Art. 186 StGB
enthält keine solche Bestimmung (Erw. 3).
3.
Art. 292 StGB
ist sogar dann anwendbar, wenn die richterliche Verfügung der Zwangsvollstreckung fähig ist (Erw. 4).
4. Ist der Ehemann, den die Gattin trotz einer richterlichen Ausweisungsverfügung in der ehelichen Wohnung duldet, strafbar? Frage offen gelassen (Erw. 3).
5. Ist zwischen den nach
Art. 292 und 186 StGB
strafbaren Handlungen Real- oder Idealkonkurrenz möglich? Frage offen gelassen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 90 IV 206 S. 207
A.-
Le 24 octobre 1963, le président du Tribunal du district de Morges a autorisé Marie-Louise Falcy a avoir une demeure séparée jusqu'au 31 décembre de la même année et à garder l'appartement conjugal; il a enjoint au mari de quitter cet appartement le 31 octobre au plus tard, sous peine d'arrêts ou d'amende, conformément à l'
art. 292 CP
.
Le 5 décembre 1963, Falcy n'ayant pas encore quitté le domicile conjugal, le président ordonna son expulsion par la force. Le même jour, il le dénonça pour insoumission.
B.-
Le 29 avril 1964, le Tribunal de simple police du district de Morges a infligé à Falcy 15 jours d'emprisonnement, avec sursis pendant deux ans, notamment pour insoumission à une décision de l'autorité.
La Cour vaudoise de cassation a rejeté, le 8 juin, un recours du condamné.
C.-
Contre cet arrêt, Falcy se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral.
D.-
Le Ministère public conclut au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour que celle-ci examine si le recourant a enfreint l'
art. 186 CP
, qui serait seul applicable en l'espèce, à l'exclusion de l'art. 292.
Erwägungen
Considérant en droit:
1 et 2. - .....
3.
L'
art. 292 CP
ne s'applique que subsidiairement, à défaut d'une disposition spéciale de droit fédéral ou cantonal qui réprime l'insoumission elle-même (RO 69 IV 210;
70 IV 180
;
73 IV 129
;
75 III 110
;
78 I 178
, consid. 3). Le recourant voudrait inférer de ce principe que seul l'
art. 186 CP
(violation de domicile), à l'exclusion de l'
art. 292 CP
, lui serait applicable. Mais l'art. 186 ne réprime pas l'insoumission à l'ordre du juge d'avoir à quitter le domicile conjugal.
BGE 90 IV 206 S. 208
Il sanctionne l'infraction à la volonté manifestée par l'ayant droit (en l'espèce: la femme) de ne pas tolérer la présence d'un tiers (en l'espèce: le mari) dans les lieux que comprend son domicile. Il ne constitue donc pas une disposition spéciale par rapport à l'art. 292 et ne saurait dès lors s'appliquer en ses lieu et place selon le principe rappelé plus haut.
Ainsi c'est à bon droit que le juge cantonal a pris sa décision du 24 octobre 1963 en menaçant Falcy des peines prévues par l'
art. 292 CP
. Du seul fait qu'il ne quittait pas le domicile conjugal ou y revenait et sans qu'il fût besoin d'aucune intervention de sa femme (interdiction de rentrer, injonction de sortir, plainte pénale), le recourant contrevenait objectivement à l'
art. 292 CP
(insoumission). Sans doute sa femme aurait-elle pu l'autoriser, fût-ce tacitement, à rester au domicile conjugal nonobstant l'ordre du juge et faudrait-il se demander, dans ce cas, s'il serait encore punissable du fait qu'il n'aurait pas respecté cet ordre. Car celuici pourrait être tenu pour subordonné à la condition implicite que la femme veuille y donner suite; cette interprétation favorable au lien conjugal exclurait alors toute infraction à l'
art. 292 CP
. Il serait aussi possible d'admettre tout au moins que, vu l'attitude de sa femme, le mari avait eu des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir comme il l'a fait, c'est-à-dire des raisons suffisantes pour excuser le sentiment de ne commettre aucun acte illicite, auquel cas l'
art. 20 CP
(RO 81 IV 196, consid. 3) permettrait au juge d'atténuer librement la peine ou même de n'en prononcer aucune (cf. RO 70 IV 100, consid. 7), la transgression subsistant en principe. Quoi qu'il en soit, cette question peut rester indécise, car rien, dans l'arrêt attaqué, ne permet d'admettre, en l'espèce, que la femme ait entendu autoriser son mari, fût-ce tacitement, à demeurer au domicile conjugal après la date fixée par le juge.
L'autorité cantonale n'a pas non plus constaté que la femme aurait, à l'égard de son mari, manifesté l'intention de ne plus l'admettre au domicile conjugal ou lui aurait
BGE 90 IV 206 S. 209
enjoint d'en sortir, ni qu'elle aurait déposé contre lui une plainte fondée sur l'
art. 186 CP
. Il n'y a donc pas lieu de rechercher si le recourant aurait transgressé à la fois l'art. 292 et l'
art. 186 CP
et, dans l'affirmative, si ces deux infractions se trouveraient en concours réel ou idéal. Au surplus, la cour de céans n'aurait pu être saisie de cette question que par un pourvoi émanant du Ministère public (RO 70 IV 222;
73 IV 6
, no 1;
76 IV 81
, no 18).
4.
Selon le pourvoi, l'
art. 292 CP
serait encore subsidiaire à un second titre: il serait inapplicable quand l'injonction est susceptible d'exécution forcée. Il est exact qu'en l'espèce l'exécution forcée était non seulement possible, mais qu'elle a été ordonnée. Néanmoins la thèse soutenue par le recourant n'est pas fondée. Le rétablissement par la force d'un état de choses conforme à la loi ou à la décision transgressée ne supprime pas l'infraction précédemment consommée. Il serait choquant que celui qui, pendant des semaines, a enfreint une injonction qui lui a été régulièrement signifiée sous menace de peine, bénéficie de l'impunité parce que la force publique a fini par intervenir (arrêt Rosset et consorts du 13 décembre 1961, non publié).
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d50883f2-0a0a-48bd-b1b4-7dfcadeb8316 | Urteilskopf
98 Ia 50
9. Urteil vom 2. Februar 1972 i.S. Ernst Kunz AG gegen Einwohnergemeinde Olten und Regierungsrat des Kantons Solothurn. | Regeste
Gesetzliche Grundlage für Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit.
1. Für kantonale Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit ist von Bundesrechts wegen nur eine gesetzliche Grundlage im materiellen Sinn erforderlich. Die Kantone können jedoch vorsehen, dass derartige Eingriffe einer besonderen, formellen oder sonstwie qualifizierten Gesetzesgrundlage bedürfen (Erw. 2).
2. Nach der solothurnischen Verfassung (Art. 12 Ziff. 2 und 31 Ziff.11) müssen nicht nur die den ganzen Kanton betreffenden, sondern auch die im Bereiche der Gemeinden notwendig werdenden Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit in einer kantonsrätlichen Verordnung oder in einem kantonalen Gesetz vorgesehen sein (Erw. 3). Wieweit sind die solothurnischen Gemeinden befugt, die Ausführung von Hausinstallationen gewerbepolizeilichen Beschränkungen zu unterstellen ? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 51
BGE 98 Ia 50 S. 51
A.-
Am 25. August 1967 erliess der Gemeinderat der Stadt Olten ein "Reglement über die Erteilung von Bewilligungen für Elektrizitäts-, Gas-, Wasser- und Abwasserinstallationen" (im folgenden mit "Reglement" abgekürzt). Laut § 1 ist zur Ausführung derartiger Hausinstallationen eine Bewilligung des zuständigen städtischen Werkes erforderlich; die Werke haben überdies das Recht, bewilligungspflichtige Arbeiten durch ihre Installationsabteilungen selber ausführen zu lassen. § 2 nennt die Voraussetzungen, unter denen die Bewilligung an private Installationsbetriebe erteilt werden kann. Diese müssen u.a. ihren Sitz in der Gemeinde Olten oder in einer von den städtischen Werken mit Gas oder Wasser versorgten Gemeinde haben; an Firmen in "benachbarten Gemeinden" kann die Bewilligung erteilt werden, wenn sie sich bereit erklären, sich an einem in § 17 des Reglementes vorgesehenen Pikettdienst "angemessen" zu beteiligen.
B.-
Am 29. Juni 1970 stellte die Firma Ernst Kunz AG, Wohlen (Kanton Aargau), beim Wasserwerk der Stadt Olten das Gesuch, es sei ihr für einen Neubau in Olten die Bewilligung für die Ausführung der Sanitärinstallationen zu erteilen. Nachdem die zuständige Werkkommission am 1. Juli das Gesuch und am 12. August ein Wiedererwägungsgesuch der Firma abgelehnt hatte, führte diese beim Gemeinderat der Stadt Olten Beschwerde, welche am 2. Oktober 1970 abgewiesen wurde, im wesentlichen mit der Begründung, die Wegstrecke zwischen Wohlen und Olten sei zu gross und verunmögliche einen reibungslosen Reparaturdienst der Firma an den von ihr erstellten Wasser- und Abwasserinstallationen. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn, bei dem die Firma Ernst Kunz AG daraufhin Beschwerde eingereicht hatte, schützte mit Entscheid vom 16. Juli 1971 den Standpunkt des Gemeinderates der Stadt Olten.
C.-
Gegen den Entscheid des Regierungsrates führt die Firma Ernst Kunz AG rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde, mit der sie eine Verletzung von Art. 12 Ziff. 2 KV und
Art. 31 BV
rügt. Art. 12 Ziff. 2 KV bestimme, dass Verordnungen, welche die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkten, vom Kantonsrat auszugehen hätten. An einer derartigen
BGE 98 Ia 50 S. 52
speziellen Rechtsgrundlage fehle es im vorliegenden Fall. Ausserdem verletze der angefochtene Entscheid materiell die in
Art. 31 BV
gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit. Der Beschwerdeantrag lautet dahin, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, die nachgesuchte Bewilligung zu erteilen.
D.-
Unter Hinweis auf die Erwägungen des angefochtenen Entscheides beantragt der Regierungsrat Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Einwand, es fehle dem beanstandeten Reglement an der in Art. 12 Ziff. 2 KV geforderten besonderen rechtlichen Grundlage, wird erstmals in der staatsrechtlichen Beschwerde erhoben. Doch sind neue Vorbringen auch bei Beschwerden, welche die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzen, grundsätzlich zulässig, wenn die letzte kantonale Instanz, wie dies hier anzunehmen ist, freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte; eine Ausnahme gilt nur für Beschwerden wegen Willkür und solche, bei denen die Rüge, eine andere Verfassungsbestimmung sei verletzt, mit derjenigen der Willkür zusammenfällt (
BGE 94 I 132
Erw. 5, 655 oben, mit Hinweisen auf frühere Entscheide). Diese Ausnahme trifft hier, wie aus den folgenden Erwägungen hervorgeht, nicht zu, weshalb auf die erwähnte neue Rüge einzutreten ist.
2.
Nach dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung müssen die der Freiheit des Bürgers gezogenen Schranken auf gesetzlicher Grundlage beruhen, d.h. sich auf eine generellabstrakte Norm stützen, die ihrerseits verfassungsmässig ist (
BGE 91 I 462
Erw. 3 a,
BGE 90 I 323
Erw. 3). Für kantonale Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit verlangt
Art. 31 Abs. 2 BV
lediglich eine gesetzliche Grundlage im materiellen Sinn. Den Kantonen bleibt es aber unbenommen, weiterzugehen und vorzusehen, dass derartige Anordnungen einer besonderen, formellen oder sonstwie qualifizierten gesetzlichen Grundlage bedürfen (
BGE 91 I 463
,
BGE 87 I 453
Erw. 4).
Der Kanton Solothurn hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Art. 12 Ziff. 2 der Kantonsverfassung vom 23. Oktober 1887 (KV) lautet:
BGE 98 Ia 50 S. 53
"Art. 12 Nach Massgabe und in Ausführung der Bundesverfassung werden ausdrücklich gewährleistet:
2. Die Freiheit des Handels und der Gewerbe (
Art. 31 BV
).
Die dem Kanton diesfalls gestatteten beschränkten (richtig wohl: beschränkenden) Verordnungen haben vom Kantonsrat auszugehen. Einzelne Verfügungen des Regierungsrates sollen sich genau in den Schranken der Verfassung und dieser Verordnungen bewegen."
Dementsprechend wird in Art. 31 KV, welcher die Befugnisse und Obliegenheiten des Kantonsrates aufzählt, dieser u.a. als zuständig erklärt zum "Erlass der den Kantonen zustehenden beschränkenden Verordnungen betreffend die Ausübung von Handel und Gewerbe" (Ziff.11).
3.
Die Auslegung kantonalen Verfassungsrechts prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei (
BGE 97 I 32
Erw. 4 a, mit Hinweisen). Vorweg stellt sich die Frage, ob der Verfassungsgeber den Erlass sämtlicher die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkenden Vorschriften dem Kantonsrat übertragen wollte oder ob er in Art. 12 Ziff. 2 und Art. 31 Ziff. 11 KV lediglich die den ganzen Kanton betreffenden Beschränkungen im Auge hatte und die autonome Rechtssetzungsbefugnis der Gemeinden unberührt lassen wollte. Die übrigen Verfassungsbestimmungen geben hierüber keine Auskunft, insbesondere auch nicht Art. 54 KV, welcher die Gemeinden zur selbständigen Rechtssetzung "innerhalb der Schranken der Verfassung und der Gesetze" ermächtigt. Sinn und Wortlaut von Art. 12 Ziff. 2 KV sprechen gegen eine einschränkende Auslegung zugunsten der Gemeinden. Unmittelbar vor der fraglichen Vorschrift erwähnt die Kantonsverfassung die in
Art. 31 BV
gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit. Dies legt die Annahme nahe, dass der solothurnische Verfassungsgeber, wenn er anschliessend von den "dem Kanton" gestatteten Beschränkungen sprach, dabei nicht an eine innerkantonale Kompetenzabgrenzung gegenüber den Gemeinden dachte, sondern unter "Kanton" das kantonale Staatswesen in seiner Gesamtheit verstand; er wollte offenbar für sämtliche Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit, die die Bundesverfassung den Kantonen überhaupt gestattet, eine besondere gesetzliche Grundlage vorschreiben. Diese Auslegung wird bestätigt durch den Wortlaut der entsprechenden Kompetenzvorschrift in Art. 31 Ziff. 11 KV, wo von den den "Kantonen" zustehenden Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit die Rede ist.
BGE 98 Ia 50 S. 54
Demnach muss auch für die im Bereiche der Gemeinden notwendig werdenden Beschränkungen die in Art. 12 Ziff. 2 KV geforderte besondere Grundlage vorhanden sein.
Aus den erwähnten Verfassungsbestimmungen geht andererseits auch hervor, dass die Handels- und Gewerbefreiheit beschränkende Vorschriften nicht notwendigerweise auf dem Wege der formellen Gesetzgebung erlassen werden müssen, sondern dass der Kantonsrat auf diesem Gebiet ein selbständiges Verordnungsrecht besitzt.
4.
Das beanstandete Reglement der Einwohnergemeinde Olten, welches die Ausführung von Hausinstallationen durch private Installateure als bewilligungspflichtig erklärt und grundsätzlich nur einheimische Installateure zu solchen Arbeiten zulässt, berührt unmittelbar die Handels- und Gewerbefreiheit; es bedarf daher der Grundlage in einer kantonsrätlichen Verordnung (oder in einem formellen Gesetz). Ob eine derartige Grundlage vorhanden ist, prüft das Bundesgericht, da es um die Tragweite von Art. 12 Ziff. 2 und 31 Ziff. 11 KV geht, frei. Solothurnische Gemeindereglemente der vorliegenden Art bildeten im übrigen schon wiederholt Gegenstand von staatsrechtlichen Beschwerden (
BGE 94 I 18
ff; ZBl 1960, S. 242 ff; nicht veröffentl. Entscheid vom 5. Dezember 1956 i.S. Crivelli), doch ist eine Verletzung der soeben genannten Verfassungsbestimmungen bis anhin nie gerügt worden, so dass sich aus jenen Entscheiden für die hier zu beurteilende Frage nichts ableiten lässt.
Die Gemeindeordnung von Olten, auf die sich das Reglement formell stützt, reicht als Grundlage nicht aus. Auch das kantonale Gemeindegesetz vom 27. März 1949 und die dazugehörige, vom Kantonsrat genehmigte Vollziehungsverordnung vom 13. September 1949 enthalten keine, jedenfalls keine ausdrückliche Norm, auf die sich ein kommunales Hausinstallationsmonopol stützen liesse oder die die Gemeinden im Bereich der Hausinstallationen zu gewerbepolizeilichen Beschränkungen ermächtigen würde. Der Regierungsrat hat in seiner Vernehmlassung zu der in der staatsrechtlichen Beschwerde erstmals aufgeworfenen Frage der gesetzlichen Grundlage keine Stellung genommen. Hingegen hat er im angefochtenen Entscheid auf § 32 des kantonalen Wasserrechtsgesetzes vom 27. September 1959 verwiesen. Danach können die Einwohnergemeinden den Anschluss an die kommunale Wasserversorgung als obligatorisch
BGE 98 Ia 50 S. 55
erklären; eine gleichartige Regel, die sich auf Kanalisation und Wasserversorgung bezieht, findet sich in § 7 Ziff. 3 des kantonalen Baugesetzes vom 10. Juni 1906. Diese Bestimmungen verleihen den Gemeinden insoweit ein faktisches Monopol, als sie neben den kommunalen Anlagen keine privaten Wasserversorgungs- und Kanalisationsnetze zu dulden brauchen; ein solches Monopol besitzen sie übrigens weitgehend schon als Eigentümer des öffentlichen Grundes (
BGE 95 I 148
Erw. 3). Die genannten kantonalrechtlichen Vorschriften sagen jedoch nichts aus über die hier strittige Frage, wer die Erstellung und den Unterhalt der am kommunalen Verteilernetz angeschlossenen Leitungen und Anlagen im Innern der Häuser, d.h. die sogenannten Hausinstallationen, zu besorgen habe. Insbesondere räumen sie den Gemeinden keine Kompetenz ein, auch auf diesem Gebiet ein Monopol für sich zu beanspruchen oder die Ausführung von Hausinstallationen durch Private gewerbepolizeilichen Beschränkungen zu unterstellen. Würde die solothurnische Kantonsverfassung, wie dies in den meisten andern Kantonen zutrifft, für Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit keine besondere gesetzliche Grundlage verlangen, so liesse sich die Zuständigkeit der Gemeinden zum Erlass derartiger Vorschriften wohl aus ihrer autonomen Rechtssetzungsbefugnis ableiten. Nach solothurnischem Verfassungsrecht liegt jedoch diese Zuständigkeit ausschliesslich beim Kantonsrat (bzw. beim kantonalen Gesetzgeber), der auch die im Wirkungskreis der Gemeinden notwendig werdenden Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit ausdrücklich vorsehen muss. An einer solchen kantonalrechtlichen Norm fehlt es hier; jedenfalls ist ihr Vorhandensein weder von der Gemeinde noch vom Regierungsrat dargetan worden.
5.
Schon aus diesem vorgenannten Grunde ist der gestützt auf das fragliche Reglement ergangene Beschwerdeentscheid des Regierungsrates aufzuheben, ohne dass noch zu prüfen wäre, ob er materiell mit der in
Art. 31 BV
gewährleisteten Handels- und Gewerbefreiheit im Einklang steht. In diesem Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Beschwerde einzutreten ist, wird sie im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und der angefochtene Entscheid wird aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d508a3b2-7699-451c-b34e-6e42c551ca0c | Urteilskopf
107 V 207
48. Arrêt du 10 novembre 1981 dans la cause W. contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 9 Abs. 3 lit. a IVG
.
- Unter Vater und Mutter im Sinne dieser Bestimmung sind nicht Pflegevater und Pflegemutter zu verstehen.
- Ein ausländisches Pflegekind kann Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung von der Adoption durch einen Schweizer an beanspruchen, selbst wenn die Invalidität vor dieser Änderung des Zivilstandes eingetreten ist. | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 107 V 207 S. 207
A.-
Jacques W. et son épouse, de nationalité suisse, ont recueilli en vue d'adoption Agnès X, née le 3 janvier 1978 à Asunción (Paraguay). Il s'agissait d'une enfant, abandonnée dès la naissance par sa mère, que les époux précités avaient adoptée suivant le droit paraguayen en février 1978. L'intéressée est entrée en Suisse le 2 mars 1978; elle était au bénéfice des autorisations nécessaires.
Le 14 février 1980, le département cantonal compétent a prononcé l'adoption conjointe d'Agnès par les époux W. Aucun tuteur n'avait été désigné pendant la période ayant précédé cet
BGE 107 V 207 S. 208
acte, ce qui était conforme aux directives de la chambre des tutelles.
B.-
Un médecin ayant constaté que l'enfant souffrait d'une affection oculaire (strabisme) qui pouvait être attribuée à une infirmité congénitale, Jacques W. a requis pour elle, le 31 août 1979, des mesures médicales de réadaptation.
Par décision du 3 octobre 1979, la Caisse cantonale vaudoise de compensation a écarté la demande parce que, lors de la survenance de l'invalidité, l'intéressée n'avait pas encore le statut d'enfant adoptif selon le droit suisse et que, suivant la jurisprudence, les parents nourriciers ne peuvent être assimilés aux père et mère au sens de l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
.
C.-
Par jugement du 11 juin 1980, le Tribunal des assurances du canton de Vaud a rejeté le recours formé contre cette décision. Les premiers juges ont considéré en bref que, si l'on pouvait admettre que l'intéressée remplissait, au moment de la demande, la condition énoncée à l'
art. 9 al. 3 let. b LAI
, il n'en allait pas de même de celle prévue sous let. a de cette disposition légale. En effet, selon le droit suisse, seul applicable en l'espèce, les époux W. n'étaient pas, au moment déterminant, les parents adoptifs de l'enfant mais seulement ses parents nourriciers.
D.-
Agissant pour le compte de sa fille, Jacques W. interjette recours de droit administratif contre ce jugement, en concluant à la reconnaissance du droit de son enfant aux mesures de réadaptation pendant la période ayant précédé son adoption en Suisse. Il estime que la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances qui refuse d'assimiler les parents nourriciers aux père et mère au sens de la LAI n'est plus compatible avec l'évolution du droit de la famille dans les domaines de l'adoption et de la filiation.
La caisse intimée et l'Office fédéral des assurances sociales proposent le rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'
art. 6 al. 2 LAI
a la teneur suivante:
"Les étrangers et les apatrides n'ont droit aux prestations, sous
réserve de l'art. 9, 3e alinéa, qu'aussi longtemps qu'ils conservent leur
domicile civil en Suisse et que si, lors de la survenance de l'invalidité,
ils comptent au moins dix années entières de cotisations ou quinze années
ininterrompues de domicile en Suisse. Aucune prestation n'est allouée aux
proches de ces étrangers ou apatrides qui sont domiciliés hors de Suisse."
BGE 107 V 207 S. 209
Quant à l'
art. 9 al. 3 LAI
, il est conçu en ces termes:
"Les étrangers et apatrides, mineurs, qui ont leur domicile civil en
Suisse, ont droit aux mesures de réadaptation s'ils remplissent eux-mêmes
les conditions prévues à l'art. 6, 2e alinéa, ou si:
a) Leur père ou mère est assuré et, lorsqu'il s'agit d'étrangers ou
d'apatrides, compte au moins dix années entières de cotisations ou quinze
années ininterrompues de domicile civil en Suisse lors de la survenance de
l'invalidité, et si
b) Eux-mêmes, sont nés invalides en Suisse ou, lors de la survenance
de l'invalidité, résident en Suisse sans interruption depuis une année au
moins ou depuis leur naissance."
Il est évident qu'Agnès W. ne pouvait satisfaire aux exigences de l'
art. 6 al. 2 LAI
. Il faut donc examiner si elle remplissait, lors de la survenance de l'invalidité, les conditions posées à l'
art. 9 al. 3 LAI
. La Cour de céans commencera par vérifier si les père et mère de la prénommée étaient assurés, au moment déterminant (
art. 9 al. 3 let. a LAI
). Car, si tel n'est pas le cas, cela suffira pour rejeter le recours, sans qu'il soit nécessaire d'aborder le problème du domicile de la recourante.
Que doit-on entendre par père ou mère, à l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
? Avant de répondre à cette question, il sied de relever qu'au regard du droit suisse un lien de filiation n'a été créé entre l'enfant et ses parents nourriciers que le 14 février 1980, c'est-à-dire à la date de l'adoption dans notre pays.
En effet, celle qui a été prononcée le 24 février 1978 au Paraguay n'est pas reconnue en Suisse (
ATF 104 Ib 6
).
Il convient par conséquent de se demander si les père et mère nourriciers, ou à tout le moins les père et mère nourriciers d'un enfant recueilli en vue d'adoption, sont aussi visés par la disposition susmentionnée. Saisie de cette question, la Cour plénière l'a résolue par la négative, en décidant de s'en tenir à la jurisprudence suivant laquelle:
a) les parents nourriciers d'un enfant recueilli ne peuvent être assimilés aux père et mère au sens de l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
, le caractère de cette règle d'exception imposant de s'en tenir à une définition stricte du lien de filiation qui ne saurait, à cet égard, être plus large que celle du droit de la famille (ATFA 1969 p. 225 et les arrêts cités). Cela signifie, conformément aux nouvelles règles du droit de la filiation (
art. 252 CC
), qu'est réputé père de l'enfant le mari de la mère, ou celui dont la paternité est établie par reconnaissance ou par jugement, ainsi que le père adoptif, tandis que pour la mère la filiation résulte de la naissance, soit de l'adoption;
BGE 107 V 207 S. 210
b) lorsqu'un enfant de nationalité étrangère est adopté par un Suisse, il peut prétendre à des mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité dès le moment de l'adoption, et cela même si l'événement assuré est survenu avant cette adoption (
ATF 106 V 164
consid. 3).
En effet, un revirement de jurisprudence présuppose l'existence de motifs décisifs. En principe, la sécurité du droit exige qu'une pratique ne soit modifiée que si la nouvelle solution correspond mieux à la "ratio legis", à un changement des circonstances extérieures ou à l'évolution des conceptions juridiques (H. DUBS, Praxisänderungen, p. 138 ss.;
ATF 107 V 3
consid. 2, 105 Ib 60 consid. 5a,
ATF 100 Ib 71
consid. 2c). Or, aucune de ces conditions n'est réalisée en l'espèce, la révision du droit de la filiation et de celui de l'adoption n'ayant rien changé, dans le domaine ici en discussion, au statut des enfants recueillis, même si les placements en vue d'adoption et leurs conséquences sont aujourd'hui régis par des règles plus précises que cela n'était le cas auparavant.
Il s'ensuit qu'Agnès W. ne peut prétendre à des mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité, toutes autres conditions étant remplies, qu'à partir de son adoption en Suisse, même si l'invalidité est survenue avant le moment où ce changement d'état civil est intervenu.
2.
Il faut pourtant reconnaître que le père de la recourante avance des arguments non dépourvus d'intérêt et l'on peut comprendre qu'il ait entendu déférer au Tribunal fédéral des assurances le jugement du Tribunal des assurances du canton de Vaud. Force est de constater, en effet, que dans certains cas le législateur a assimilé les enfants recueillis aux enfants du sang ou adoptés, s'agissant de rentes (
art. 28 al. 3 LAVS
et 49 RAVS, 22ter al. 1 LAVS;
art. 35 al. 1 et 3 LAI
;
art. 85 al. 2 LAMA
;
art. 31 let
. d LAM), ce qu'il n'a pas fait en matière de mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité (voir aussi les
art. 6 al. 2 let
. d LAPG et 9 al. 2 let. a LFA). La Cour de céans doit pourtant constater que l'
art. 9 al. 3 let. a LAI
ne souffre pas de recevoir une interprétation autre que celle qui lui a été donnée dans la jurisprudence rappelée au considérant 1 ci-dessus, interprétation dont rien n'autorise à penser qu'elle ne corresponde pas à la véritable intention du législateur (voir par exemple
ATF 105 Ib 53
consid. 3a,
ATF 105 V 47
,
ATF 101 V 190
consid. 5 et les arrêts cités). Le silence de la loi sur la question examinée ici ne permet par ailleurs pas non plus de conclure à une lacune qu'il appartiendrait au Tribunal fédéral des assurances de
BGE 107 V 207 S. 211
combler (voir par exemple
ATF 99 V 19
), ce qui avait du reste déjà été relevé dans l'ATFA 1969 p. 225.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d50ae98a-6271-432b-9467-255a2111eb09 | Urteilskopf
88 IV 87
26. Urteil des Kassationshofes vom 6. Juli 1962 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Hagen und Martinelli. | Regeste
Art. 299 Abs. 2 und 3, 305 Abs. 1 BStP, 101 Abs. 3 und 110 Abs. 2 ZG: Ruhen der Verfolgungsverjährung bei Zollvergehen.
1. Die Verjährung ruht, wenn gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgabe beim Verwaltungsgericht Beschwerde geführt wird (Erw. 2).
2. Unter Verwaltungsgericht ist neben der verwaltungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts auch die Eidg. Zollrekurskommission zu verstehen (Erw. 3).
3. Bestreitet nur ein Beteiligter die Festsetzung der Abgabe beim Verwaltungsgericht, so ruht die Verjährung auch gegenüber dem Beschuldigten, der selber nicht Beschwerde führt (Erw. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 88
BGE 88 IV 87 S. 88
A.-
Hagen und Martinelli liessen vom 2. September 1956 bis 20. Februar 1957 insgesamt 4298 falsche Goldmünzen italienischer Herkunft in die Schweiz einführen, ohne sie zur Zollbehandlung anzumelden. Martinelli nahm die Münzen jeweils in Chiasso entgegen und leitete sie an Hagen weiter, der sie im In- und Ausland verkaufte.
Das Eidg. Finanz- und Zolldepartement büsste Martinelli und Hagen wegen Zollübertretung (
Art. 74 Ziff. 3 ZG
), Bannbruches (
Art. 76 Ziff. 2 ZG
) sowie Hinterziehung der Warenumsatz- und Luxussteuer (
Art. 52 WUStB
und Art. 41 LStB) mit Fr. 17'297.50 bzw. Fr. 11'525.80. Die Strafverfügung wurde Martinelli am 26. November, Hagen am 2. Dezember 1958 zugestellt. Beide verlangten gerichtliche Beurteilung.
BGE 88 IV 87 S. 89
B.-
Am 25. und 27. November 1958 wurden die Beschuldigten von den zuständigen Zollkreisdirektionen zur Bezahlung der durch die unangemeldete Einfuhr der Münzen hinterzogenen Abgaben (Zoll, Warenumsatz- und Luxussteuer) von insgesamt Fr. 13'627.05 aufgefordert. Hagen beschwerte sich dagegen bei der Eidg. Oberzolldirektion. Diese erklärte am 28. April 1959 die Beschwerde wegen Verspätung insoweit als unzulässig, als sie sich gegen die Festsetzung des Zoll- und Warenumsatzsteuerbetrages richtete. Hagen zog diesen Entscheid am 16. Mai an die Eidg. Zollrekurskommission weiter. Den Betrag der hinterzogenen Luxussteuer setzte die Oberzolldirektion in Anwendung von Art. 41 Abs. 5 LStB auf Fr. 8298.69 fest. Hagen erhob hiegegen Einsprache, die aber abgewiesen wurde, worauf er am 22. September 1959 auch mit dieser Sache an die Zollrekurskommission gelangte. Diese entschied am 30. Juni 1960, indem sie die Beschwerde mit Bezug auf die Luxussteuer dem Bundesgericht überwies, hinsichtlich der Einreihung der Münzen in die Tarif-Nr. 874a sowie in bezug auf die Zollzahlungs- und Warenumsatzsteuerpflicht dagegen abwies. Die Luxussteuerbeschwerde wurde am 6. September 1960 von Hagen zurückgezogen und am 7. September von der verwaltungsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts als erledigt abgeschrieben.
C.-
Am 12. Januar 1961 verfügte das Eidg. Finanz- und Zolldepartement, dass die Fiskalstrafsache den zuständigen kantonalen Behörden zur gerichtlichen Beurteilung zu überweisen sei. Dies hatte nach
Art. 97 ZG
durch die Bundesanwaltschaft zu geschehen, die die Sache am 2. Februar 1961 an die Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen weiterleitete mit dem Antrag, die Beschuldigten seien im Sinne der Strafverfügung der Verwaltung zu büssen.
Die Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen verurteilte Martinelli und Hagen am 18. Dezember 1961 zu den gleichen Bussen wie die Verwaltung.
BGE 88 IV 87 S. 90
D.-
Die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau sprach sie am 30. März 1962 wegen Verjährung frei.
Sie führte aus, die Verfolgungsverjährung habe am 20. Februar 1957, als die Beschuldigten die letzte Straftat verübten, begonnen; mit der Eröffnung der Strafverfügungen sei sie unterbrochen worden. Die neue Frist von zwei Jahren sei am 2. Dezember 1960 abgelaufen, sofern nicht die inzwischen gefällten Entscheide über die Leistungspflicht die Verjährung neuerdings unterbrachen oder die Verfolgungsverjährung während der Dauer des von Hagen veranlassten Beschwerdeverfahrens ruhte. Der Entscheid der Oberzolldirektion vom 28. April 1959, derjenige der Zollrekurskommission vom 30. Juni 1960 und die Abschreibungsverfügung des Bundesgerichts vom 7. September 1960 hätten sich zwar auf die Beschwerden bezogen, welche Hagen gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgaben geführt habe; da die geschuldeten Steuerbeträge gemäss
Art. 101 Abs. 3 ZG
vor Erlass der Strafverfügung festzusetzen seien, hätten die fraglichen Beschwerdeentscheide aber das Strafverfahren nicht beeinflussen und infolgedessen auch keine gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlungen sein können. Ein Ruhen der Verjährung sei zu verneinen, weil ein solches weder vom Zollgesetz oder vom Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege ausdrücklich vorgesehen werde, noch sich aus Art. 299 Abs. 2 oder 305 Abs. 1 BStP ableiten lasse.
E.-
Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil der Rekurs-Kommission sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung der Beschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie bestreitet, dass die Strafverfolgung verjährt sei.
F.-
Hagen und Martinelli schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
BGE 88 IV 87 S. 91
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 83 ZG
, der inhaltlich mit
Art. 284 BStP
übereinstimmt, verjähren Zollvergehen in zwei Jahren (Abs. 1). Die Verjährung wird durch jede gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung unterbrochen (Abs. 3). Da es für Übertretungen fiskalischer Bundesgesetze, zu denen auch das Zollgesetz zu zählen ist, keine absolute Verjährung gibt, kann die Verfolgungsverjährung ohne zeitliche Grenzen immer wieder unterbrochen werden (
BGE 74 IV 26
). Die Vorschriften des Zollgesetzes über die Verjährung finden auch auf die Hinterziehung der Warenumsatz- und Luxussteuer bei der Einfuhr Anwendung (
Art. 53 WUStB
, Art. 42 LStB).
2.
Dass die Verfolgungsverjährung ruhe, wenn gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgabe beim Verwaltungsgericht Beschwerde geführt wird, sagt weder das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege noch das Zollgesetz ausdrücklich. Fragen kann sich nur, ob dies nicht aus dem Sinn der Bestimmungen gefolgert werden muss, die das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeentscheid über die Leistungspflicht einerseits und der administrativen Strafverfügung oder dem Urteil des angerufenen Strafrichters anderseits regeln.
a) Der hinterzogene Zollbetrag bildet die Grundlage für die Strafzumessung und muss daher vorweg, jedenfalls vor Erlass der Strafverfügung ermittelt werden (
Art. 101 Abs. 3 ZG
). Das Gleiche gilt für die Hinterziehung der Warenumsatz- und Luxussteuer (
Art. 52 Abs. 1 WUStB
, Art. 41 Abs. 1 LStB). Ist der geschuldete Abgabebetrag festgesetzt, so steht der Bestrafung des Beschuldigten, allfällige Beschwerden gegen die Festsetzung der Abgabe vorbehalten, nichts mehr im Wege. Das Zollgesetz hält die Entscheide über die Strafe und die Abgabe, wie übrigens auch die Anfechtungsmittel gegen diese Verfügungen und die einzuhaltenden Fristen, besonders deutlich auseinander.
BGE 88 IV 87 S. 92
Es kann daher vorkommen, dass die Festsetzung des Abgabebetrages schon vor Erlass der Strafverfügung, aber auch erst nachher, unter Umständen sogar erst während des gerichtlichen Strafverfahrens durch Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten wird. Letzteres scheint vor allem deshalb möglich, weil nach
Art. 112 ZG
die Frist für die erstmalige Anbringung einer Beschwerde 60 Tage beträgt. Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege hat diese Möglichkeiten nicht übersehen.
Es enthält klare Regelungen für die Fälle, dass die Leistungspflicht beim Verwaltungsgericht vor Erlass der Strafverfügung oder während des gerichtlichen Strafverfahrens angefochten wird. Im ersten Falle hat die Verwaltungsbehörde den Entscheid über die Strafe aufzuschieben, bis über die Beschwerde entschieden ist (
Art. 299 Abs. 2 BStP
), im zweiten stellt der Richter das Strafverfahren bis zum gleichen Zeitpunkt ein (
Art. 305 Abs. 1 BStP
).
Was zu geschehen hat, wenn die Leistungspflicht nach Erlass der Strafverfügung, aber vor Eröffnung des gerichtlichen Strafverfahrens durch Beschwerde angefochten wird, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es ist indes offensichtlich, dass die Verwaltung auch in diesem Falle den Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts abzuwarten hat. Das folgt aus
Art. 299 Abs. 3 BStP
, wonach eine neue Strafverfügung zu erlassen ist, wenn das Verwaltungsgericht den Abgabeanspruch nur teilweise schützt. Eine vorgängige Überweisung zur gerichtlichen Beurteilung im Sinne von
Art. 300 Abs. 2 BStP
fällt damit ausser Betracht; denn nach Eröffnung des gerichtlichen Strafverfahrens bedarf es selbst für den Fall, dass das Verwaltungsgericht den hinterzogenen Abgabebetrag anders festsetzt als die Verwaltung, keiner neuen Strafverfügung mehr. Abgesehen hievon darf nicht übersehen werden, dass die Sache beim zuständigen Strafgericht durch Überweisung der Akten anhängig gemacht wird (
Art. 300 Abs. 1 und 2 BStP
). Diese Überweisung kann die Verwaltung aber
BGE 88 IV 87 S. 93
erst vornehmen, wenn die Akten dem Verwaltungsgericht nicht mehr zur Verfügung stehen müssen.
b) Bei einer Beschwerde gegen die Festsetzung des geschuldeten Abgabebetrages oder gegen die Leistungspflicht überhaupt ist somit die weitere Strafverfolgung jedenfalls vom Erlass der Strafverfügung an von Gesetzes wegen auszusetzen, bis das Verwaltungsgericht über die Beschwerde entschieden hat. Der gleiche Schluss ist übrigens auch aus
Art. 101 Abs. 3 ZG
zu ziehen, wonach der rechtskräftig gewordene Zollansatz als Grundlage für die administrative und die richterliche Strafbemessung dient. Diese Regelung kann anderseits aber nur dahin verstanden werden, dass die Verfolgungsverjährung während des Beschwerdeverfahrens ruht, eine Wirkung, die das Gesetz zwar nicht ausdrücklich vorsieht, die jedoch anerkannt werden muss. Denn sind die Strafbehörden von Gesetzes wegen daran verhindert, weitere Verfolgungshandlungen vorzunehmen und damit die Verjährung zu unterbrechen, so kann diese auch nicht weiterlaufen. Andernfalls würde der Eintritt der Verjährung weitgehend vom Verhalten desjenigen abhängig gemacht, der die Leistungspflicht oder den Abgabebetrag bestreitet; dieser könnte namentlich in grösseren oder rechtlich schwierigen Fällen durch Verzögerung des Beschwerdeverfahrens die Verfolgungsverjährung herbeiführen und damit eine Bestrafung vereiteln. Dass dies nicht der Sinn des Gesetzes sein kann, liegt auf der Hand. Das Ruhen der Verjährung für die Dauer des Beschwerdeverfahrens ergibt sich zwangsläufig aus dem Sinn und Zweck der Regelung, welche den Entscheid über die Strafe zwar stets nach demjenigen über die Leistungspflicht ausrichten, aber nicht dazu Hand bieten will, die Durchführung des Strafverfahrens zu gefährden oder gar zu verunmöglichen. Diese Auslegung ist, wenn sie auch weiter geht als der Wortlaut der Art. 299 Abs. 2 und 3 und
Art. 305 Abs. 1 BStP
, durchaus zulässig, da sie dem wahren Sinn der Bestimmungen entspricht (vgl. BGE 77
BGE 88 IV 87 S. 94
IV 167; ferner GERMANN, Kommentar zum StGB, N. 10 zu Art. 1 und dort angeführte Lehre und Rechtsprechung).
Ist im Einzelfall davon auszugehen, dass die Verjährung während des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ruht, so stellt sich die Frage nach einer Unterbrechung der Verjährung in dieser Zeit nicht mehr.
3.
Die Eidg. Zollrekurskommission ist eine für die Verwaltungsrechtspflege besonders eingesetzte Instanz (
Art. 101 lit. b OG
), die unter anderm Beschwerden gegen die Festsetzung des Zolles und der an der Grenze erhobenen Warenumsatzsteuer letztinstanzlich beurteilt, also gleiche Aufgaben erfüllt wie das Bundesgericht als Verwaltungsgerichtshof in bezug auf andere öffentlichrechtliche Abgaben; sie hat daher neben diesem als Verwaltungsgericht im Sinne des
Art. 299 BStP
zu gelten.
4.
a) Es ist unbestritten, dass die zweijährige Verjährungsfrist mit der Zustellung der Strafverfügung, welche gegenüber Hagen am 2. Dezember 1958 erfolgte, wegen Unterbrechung neu zu laufen begann. Da die Verjährung aber von der Einreichung der Beschwerde an die verwaltungsgerichtliche Instanz bis zu deren Entscheid ruhte, nämlich vom 16. Mai 195,,,9 bis 30. Juni 1960 in bezug auf Zoll und Warenumsatzsteuer, vom 22. September 1959 bis 7. September 1960 hinsichtlich der Luxussteuer, waren am 2. Februar 1961, als die Bundesanwaltschaft die Strafsache der Bezirksgerichtskommission Kreuzlingen überwies, von der Frist erst rund 12 1/2 bzw. 14 1/2 Monate verstrichen. Mit der Überweisung zur gerichtlichen Beurteilung wurde sie erneut unterbrochen und begann damit wieder von vorne zu laufen. Die Strafverfolgung gegen Hagen ist somit noch nicht verjährt.
b) Martinelli hat gegen die Festsetzung der hinterzogenen Abgaben keine Beschwerde erhoben, obschon er hiezu befugt gewesen wäre. Hätten indes die von Hagen angerufenen Beschwerdeinstanzen die objektive Abgabepflicht verneint, so wäre der Entscheid auch Martinelli zugute
BGE 88 IV 87 S. 95
gekommen, da nach
Art. 110 Abs. 2 ZG
die Beschwerde, die von einem dazu Berechtigten erhoben wird, auch für alle andern zur Beschwerde befugten Personen wirkt. Im Strafpunkt verhielte es sich nicht anders, weil gemäss
Art. 299 Abs. 3 BStP
die Strafverfügung für alle Beteiligten dahinfällt, wenn der Abgabeanspruch nach dem Beschwerdeentscheid des Verwaltungsgerichts objektiv nicht begründet ist (vgl. hiezu
Art. 305 Abs. 2 BStP
). Diese Wirkung hat ihren Grund darin, dass bei Fiskaldelikten, wie sie hier in Frage stehen, die Strafe stets von der Frage abhängt, ob und in welchem Betrage eine Abgabepflicht besteht (vgl. Botschaft zum BStP, BBl 1929 II 652 und 655; ferner STÄMPFLI, ZStR 43, S. 137 und 147 f.). Es entspricht dieser innern Abhängigkeit der Strafe vom Entscheid über die Leistungspflicht, die Verfolgungsverjährung für den Fall, dass ein Beteiligter die Festsetzung der Abgabe beim Verwaltungsgericht bestreitet, auch gegenüber dem Beschuldigten ruhen zu lassen, der selber nicht Beschwerde führt. Zu einer gegenteiligen Annahme besteht jedenfalls hier kein Anlass, wo Hagen und Martinelli gestützt auf denselben Sachverhalt als Mittäter verfolgt und überwiesen wurden und beide die gleiche objektive Abgabepflicht trifft.
Ruhte somit die Verfolgungsverjährung während der Dauer des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens auch gegenüber Martinelli, so war die Strafverfolgung gegen ihn ebenfalls nicht verjährt, als die Strafsache zur gerichtlichen Beurteilung überwiesen wurde. Die zweijährige Verjährungsfrist, welche mit der Zustellung der Strafverfügung vom 26. November 1958 wieder von vorne begann, war bis zur Überweisung lediglich um eine Woche länger gelaufen als gegenüber Hagen.
5.
Das angefochtene Urteil, das auf der Annahme beruht, die Strafverfolgung gegen Hagen und Martinelli sei verjährt, ist aus diesen Gründen aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 88 IV 87 S. 96
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der Rekurs-Kommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 30. März 1962 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d50d1b64-6fb6-44a1-9ab6-6c6625f91c90 | Urteilskopf
139 I 169
16. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Politische Gemeinde Amriswil gegen X. und Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
1D_2/2012 vom 13. Mai 2013 | Regeste
Art. 8 Abs. 2 und
Art. 50 Abs. 1 BV
,
Art. 14, 33 und 34 BüG
; Gemeindeautonomie bei der ordentlichen Einbürgerung einer geistig Behinderten.
Tragweite der Gemeindeautonomie bei der ordentlichen Einbürgerung (E. 6).
Diskriminierung bei der Einbürgerung aufgrund einer geistigen Behinderung: Geistig Behinderte mangels eigenen Willens zur Einbürgerung von derselben auszuschliessen, entspricht nicht der gesetzlichen Ordnung und erweist sich aufgrund der damit verbundenen generellen Wirkung als diskriminierend. Zu prüfen ist, ob es dafür eine qualifizierte Rechtfertigung gibt (E. 7).
Ist die Sache im Falle, dass die Nichteinbürgerung als unzulässig erkannt wird, an die Gemeinde oder an die kantonale Rechtsmittelinstanz zu neuem Entscheid über die Einbürgerung zurückzuweisen (E. 8)? | Sachverhalt
ab Seite 170
BGE 139 I 169 S. 170
A.
Im Juli 2009 stellten die Eltern der geistig behinderten serbischen Staatsangehörigen X., geb. 2. März 1993, für diese ein Gesuch um ordentliche Erteilung des Schweizer Bürgerrechts. Am 7. Januar 2010 ergab sich bei einem Gespräch auf der Wohnsitzgemeinde Amriswil, dass X. zwar die deutsche und albanische Sprache versteht, sich aber nur mit Hilfe eines speziellen Computers oder in Gebärdensprache ausdrücken kann und ein sehr tiefes Bildungsniveau aufweist. Der Stadtrat Amriswil beschloss am 23. Februar 2010, das Einbürgerungsgesuch nicht zu unterstützen. Im Wesentlichen wurde dies damit begründet, X. habe keinen eigenen Willen zur Erlangung des Schweizer Bürgerrechts, es dürfe bei behinderten Personen keinen Einbürgerungsautomatismus geben und es seien keine klaren Vorteile ersichtlich, die bei einer allfälligen Einbürgerung das Leben von X. erleichtern würden. Nachdem die
BGE 139 I 169 S. 171
gesetzliche Vertreterin am Einbürgerungsgesuch festgehalten hatte, wurde dieses dem Bundesamt für Migration weitergeleitet, das am 3. Mai 2011 die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung erteilte. Am 8. Dezember 2011 entschied die Gemeindeversammlung der Stadt Amriswil, das Gesuch gemäss der Empfehlung des Stadtrates abzulehnen.
B.
X., vertreten durch ihre Schwester und Vormundin, Y., erhob beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau Rekurs. Am 30. März 2012 hiess das Departement den Rekurs gut, hob den Entscheid der Gemeindeversammlung der Stadt Amriswil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Gemeindeversammlung zurück. Zur Begründung führte das Departement im Wesentlichen aus, bei Gesuchstellern mit Behinderung sei jeder Einbürgerungsfall besonders zu prüfen. Eine automatische Befreiung von den Einbürgerungskriterien sei ausgeschlossen. Zwar verfüge die Gesuchstellerin selbst aufgrund der geistigen Behinderung wohl über keinen eigenen Willen. Das genüge aber als Begründung der Nichterteilung des Bürgerrechts nicht, denn es müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Gesuchstellerin wie ihre Geschwister hätte einbürgern lassen wollen. Sodann müssten mit der Einbürgerung keine materiellen Vorteile verbunden sein, könnten doch bereits solche ideeller Natur eine Einbürgerung rechtfertigen. Insgesamt sei die Gesuchstellerin einzubürgern. Die reformatorische Erteilung des Gemeindebürgerrechts sei jedoch ausgeschlossen, da die Politische Gemeinde Trägerin desselben sei, weshalb die Sache an dieselbe zurückgewiesen werden müsse.
C.
Mit Urteil vom 5. September 2012 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau eine dagegen gerichtete Beschwerde der Politischen Gemeinde Amriswil ab. In den Erwägungen wird dazu ausgeführt, grundsätzlich bestehe kein Anspruch auf Einbürgerung, der entsprechende Entscheid der Gemeindebehörde dürfe aber nicht diskriminierend sein. Die Argumentation der Gemeindebehörden führe dazu, dass geistig behinderte Menschen ab einem bestimmten intellektuellen Defizit nie eingebürgert werden könnten, was diskriminierend sei. Es sei daher richtig, auf den mutmasslichen Willen abzustellen. Aus den konkreten Umständen sei abzuleiten, dass der Gesuchstellerin, die offensichtlich mit den schweizerischen Verhältnissen vertraut sei, ein solcher mutmasslicher Wille nicht abgesprochen werden könne.
BGE 139 I 169 S. 172
D.
Mit Beschwerde vom 26. November 2012 an das Bundesgericht beantragt die Politische Gemeinde Amriswil, den Entscheid des Thurgauer Verwaltungsgerichts aufzuheben und denjenigen der Amriswiler Gemeindeversammlung vom 8. Dezember 2011 zu bestätigen; eventuell sei das Departement anzuweisen, die Einbürgerung von X. ohne Rückweisung an die Gemeindeversammlung vorzunehmen. In der Begründung (...) wird ausgeführt, die Gemeinde Amriswil habe schon verschiedentlich Behinderte eingebürgert, weshalb der Vorwurf der Diskriminierung von Behinderten zurückgewiesen werde. Im zu beurteilenden Fall sei es unzulässig, bei der Gesuchstellerin auf einen mutmasslichen Einbürgerungswillen zu schliessen. Ihre Hauptbezugspersonen seien weiterhin die Eltern, die sich nie vollständig integriert und auch nie Anstrengungen unternommen hätten, die Schweizer Staatsangehörigkeit zu erlangen. Die Begründung des Verwaltungsgerichts führe zu einem Einbürgerungsautomatismus geistig behinderter Personen. Das ursprünglich von den Eltern eingereichte Gesuch sei lediglich damit begründet worden, dass eine "langfristige Sicherheit" für die behinderte Tochter angestrebt werde, was aber nicht für die Erteilung des Schweizer Bürgerrechts genüge.
E.
X. schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Departement für Justiz und Sicherheit und das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau stellen Antrag auf Abweisung der Beschwerde. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
6.1
Art. 50 Abs. 1 BV
gewährleistet die Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Gemeinden in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht diesen nicht abschliessend ordnet, sondern ihn ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt. Der geschützte Autonomiebereich kann sich auf die Befugnis zum Erlass oder Vollzug eigener kommunaler Vorschriften beziehen oder einen entsprechenden Spielraum bei der Anwendung kantonalen oder eidgenössischen Rechts betreffen. Der Schutz der Gemeindeautonomie setzt eine solche nicht in einem ganzen Aufgabengebiet,
BGE 139 I 169 S. 173
sondern lediglich im streitigen Bereich voraus. Im Einzelnen ergibt sich der Umfang der kommunalen Autonomie aus dem für den entsprechenden Bereich anwendbaren kantonalen Verfassungs- und Gesetzesrecht (
BGE 138 I 242
E. 5.2 S. 244 f. mit Hinweisen). Die Gemeinde kann sich dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Behörde ihre Prüfungsbefugnis überschreitet oder die einschlägigen Vorschriften unrichtig auslegt und anwendet. Sie kann überdies geltend machen, die kantonale Behörde habe die Tragweite von verfassungsmässigen Rechten missachtet. Schliesslich kann sie sich im Zusammenhang mit der behaupteten Autonomieverletzung auch auf das Willkürverbot und auf Verfahrensgarantien berufen (NICCOLÒ RASELLI, Die Einbürgerung zwischen Politik und Justiz - unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts, ZBl 112/2011 S. 587). Die Anwendung von eidgenössischem und kantonalem Verfassungsrecht prüft das Bundesgericht mit freier Kognition, die Handhabung von Gesetzes- und Verordnungsrecht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (
BGE 138 I 242
E. 5.2 S. 245 mit Hinweisen).
6.2
Gemäss der Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März 1987 (SR 131.228) sind die Gemeinden selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts (
§ 57 Abs. 1 KV/TG
). Die politischen Gemeinden sind Trägerinnen des Bürgerrechts (§ 57 Abs. 2 letzter Satz KV/TG; vgl. auch § 3 Abs. 1 des thurgauischen Gesetzes vom 14. August 1991 über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht [KBüG; RB 141.1] in der hier anwendbaren Fassung vom 5. Mai 1999). Sie erfüllen die Aufgaben im eigenen Bereich selbständig (
§ 59 Abs. 3 KV/TG
), sind mithin insoweit und insbesondere in Belangen des Bürgerrechts mit Autonomie ausgestattet.
6.3
Die Voraussetzungen an die Eignung einer Person zur Einbürgerung sind als Mindestvorschriften (vgl.
Art. 38 Abs. 2 BV
) in Art. 14 des Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 (BüG; SR 141.0) umschrieben. Die Kantone sind in der Ausgestaltung der Einbürgerungsvoraussetzungen insoweit frei, als sie hinsichtlich der Wohnsitzerfordernisse oder der Eignung Konkretisierungen vornehmen können (
BGE 138 I 242
E. 5.3 S. 245). Nach § 6 KBüG (in Umsetzung von
Art. 14 BüG
) setzt die Einbürgerung einer ausländischen Person voraus, dass sie dazu geeignet ist. Dabei ist durch die zuständige Gemeindebehörde insbesondere zu prüfen, ob die gesuchstellende Person in die örtlichen, kantonalen und schweizerischen Verhältnisse eingegliedert ist, mit den Lebensgewohnheiten,
BGE 139 I 169 S. 174
Sitten und Gebräuchen des Landes vertraut ist, die Rechtsordnung beachtet und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet sowie über eine ausreichende Existenzgrundlage verfügt.
7.
7.1
Die Beschwerdeführerin sieht sinngemäss darin eine Verletzung ihrer Autonomie, dass die Vorinstanz die rechtliche Tragweite des Diskriminierungsverbots falsch beurteilt habe.
7.2
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
darf niemand diskriminiert werden, namentlich nicht wegen seiner Herkunft und der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder ausdrücklich auch wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.
7.2.1
Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person ungleich behandelt wird allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, welche historisch oder in der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit tendenziell ausgegrenzt oder als minderwertig angesehen wird. Die Diskriminierung stellt eine qualifizierte Ungleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Situationen dar, indem sie eine Benachteiligung von Menschen bewirkt, die als Herabwürdigung oder Ausgrenzung einzustufen ist, weil sie an Unterscheidungsmerkmalen anknüpft, die einen wesentlichen und nicht oder nur schwer aufgebbaren Bestandteil der Identität der betroffenen Personen ausmachen; insofern beschlägt das Diskriminierungsverbot auch Aspekte der Menschenwürde nach
Art. 7 BV
. Eine indirekte oder mittelbare Diskriminierung liegt demgegenüber vor, wenn eine Regelung, die keine offensichtliche Benachteiligung von spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Gruppen enthält, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer solchen Gruppe besonders benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (
BGE 138 I 305
E. 3.3 S. 316 f.;
BGE 135 I 49
E. 4.1 S. 53 f. mit Hinweisen).
7.2.2
Auch wenn die Abgrenzung von direkter und indirekter Diskriminierung nicht leicht fällt, wird etwa von Letzterer ausgegangen, wenn ein Rechtsakt bzw. dessen Anwendung nicht der Form nach, sondern aufgrund der Auswirkungen für eine bestimmte geschützte Personengruppe eine qualifiziert rechtsungleiche Schlechterstellung zur Folge haben kann. Gleichermassen wird eine solche angenommen, wenn eine Norm neutrale Differenzierungen aufweist und besonders geschützte Personengruppen in spezifischer Weise rechtsungleich trifft oder aber wenn mangels erforderlicher
BGE 139 I 169 S. 175
Differenzierung eine des Schutzes bedürftige Gruppe besonders benachteiligt wird (
BGE 135 I 49
E. 4.3 S. 55).
7.2.3
Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
schliesst die Anknüpfung an ein verpöntes Merkmal nicht absolut aus. Eine solche begründet zunächst lediglich den blossen Verdacht einer unzulässigen Differenzierung. Dieser kann durch eine qualifizierte Rechtfertigung umgestossen werden (
BGE 138 I 305
E. 3.3 S. 316 f.;
BGE 135 I 49
E. 4.1 S. 53 f. mit Hinweisen).
7.2.4
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 BV
bilden Personen mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung eine spezifische Gruppe. Es zählen dazu Personen, die in ihren körperlichen, geistigen oder psychischen Fähigkeiten auf Dauer beeinträchtigt sind und für welche die Beeinträchtigung je nach ihrer Form schwerwiegende Auswirkungen auf elementare Aspekte der Lebensführung hat. Mit Blick auf die Einbürgerung von Behinderten ist mithin entscheidend, ob ihnen insgesamt oder einer bestimmten abgrenzbaren Untergruppe von ihnen durch eine anwendbare Regelung oder durch die Umsetzung derselben in der Praxis rechtlich oder faktisch dauernd verunmöglicht wird, sich einbürgern zu lassen. Trifft dies zu, ist zu prüfen, ob die Nichteinbürgerung ein gewichtiges und legitimes öffentliches Interesse verfolgt, als geeignet und erforderlich betrachtet werden kann und sich gesamthaft als verhältnismässig erweist (vgl.
BGE 135 I 49
E. 6.1 S. 58 f.). Für diese Prüfung der allfälligen Rechtfertigung einer nachteiligen Massnahme ist entscheidend auf die gesamten massgeblichen Umstände des Einzelfalles und die entsprechenden konkreten Schutzbedürfnisse abzustellen (vgl. MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 757 f.). Bei der Umsetzung der gesetzlichen Einbürgerungskriterien sind dabei die konkreten Fähigkeiten der behinderten Personen zu berücksichtigen bzw. die Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen ist in einer an den spezifischen Möglichkeiten ausgerichteten und diese angemessen würdigenden Art und Weise zu prüfen.
7.3
Die Beschwerdeführerin macht geltend, schon wiederholt Behinderte eingebürgert zu haben, weshalb sie den Vorwurf der Diskriminierung derselben zurückweise. Sie habe der Beschwerdegegnerin die Erteilung des Bürgerrechts im Wesentlichen deshalb verweigert, weil diese aufgrund ihrer geistigen Behinderung gar keinen Willen zur Einbürgerung habe. Die Vorinstanz beurteilte dies als diskriminierend. Während die Beschwerdeführerin darin einen
BGE 139 I 169 S. 176
Einbürgerungsautomatismus sieht, erachtete das Verwaltungsgericht das Kriterium der Beschwerdeführerin als undifferenzierten Ausschluss einer ganzen Gruppe von der Einbürgerung. Das Verwaltungsgericht leitete aus verschiedenen Umständen bei der Beschwerdegegnerin einen mutmasslichen Einbürgerungswillen ab.
7.3.1
Es ist erstellt und nicht strittig, dass die Beschwerdegegnerin in geistiger Hinsicht ein Niveau aufweist, das dem Stand eines Kleinkindes entspricht. Es ist daher davon auszugehen, dass sie die Tragweite einer Einbürgerung tatsächlich nicht bzw. jedenfalls nicht vollumfänglich erfasst. Wird gestützt darauf die Einbürgerung verweigert, wird indessen eine ganze Untergruppe von Behinderten, nämlich diejenige, die sich aus solchen Menschen zusammensetzt, denen es an der Urteilsfähigkeit hinsichtlich einer Einbürgerung fehlt, von der Erteilung des Bürgerrechts ausgeschlossen. Auch wenn sich die Praxis der Beschwerdeführerin an einem grundsätzlich objektiven Kriterium ausrichtet und nicht auf eine Benachteiligung abzielt, hat sie doch zumindest indirekt diesen diskriminierenden Effekt. Das wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass das Gesetz die Einbürgerung mangels Urteilsfähigkeit nicht nur nicht ausschliesst, sondern sogar ausdrücklich vorsieht. In diesem Sinne bestimmen die
Art. 33 und 34 BüG
, dass Unmündige durch ihren gesetzlichen Vertreter ein Gesuch um Einbürgerung zu stellen vermögen. In Konkretisierung des Bundesrechts regeln die §§ 8 und 9 KBüG die Einbürgerung unmündiger Kinder im Kanton Thurgau. Gemäss § 8 KBüG können ebenfalls entmündigte Personen über ihren gesetzlichen Vertreter um selbständige Einbürgerung ersuchen. § 8 Abs. 2 KBüG schreibt vor, dass Urteilsfähige das Gesuch mitzuunterzeichnen haben. Urteilsunfähige sind davon e contrario dispensiert, nicht aber von der Einbürgerung als solcher ausgeschlossen. Die Gesetzesordnung von Bund und Kanton stellt die Einbürgerung demnach nicht unter den Vorbehalt der entsprechenden Urteilsfähigkeit beim Einzubürgernden selbst. Diese gesetzliche Ordnung dient nicht zuletzt der Chancengleichheit von wegen geistiger Behinderung Urteilsunfähigen bei der Einbürgerung und ist in den Zusammenhang mit dem in
Art. 8 Abs. 4 BV
enthaltenen Gesetzgebungsauftrag zur Beseitigung von Benachteiligungen wegen Behinderung zu stellen (vgl. BERNHARD WALDMANN, Das Diskriminierungsverbot von
Art. 8 Abs. 2 BV
als besonderer Gleichheitssatz, 2003, S. 428 ff.). Der im Einzelfall gefällte Entscheid, die Beschwerdegegnerin als geistig Behinderte mangels eigenen Willens
BGE 139 I 169 S. 177
zur Einbürgerung von derselben auszuschliessen, entspricht mithin nicht der gesetzlichen Ordnung und erweist sich aufgrund seiner generellen Wirkung, die zumindest alle dem Kleinkindalter entwachsenen Personen trifft, denen die Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Einbürgerung abgeht, als diskriminierend.
7.3.2
Die Beurteilung der Praxis der Beschwerdeführerin als grundsätzlich diskriminierend führt entgegen deren Auffassung nicht zu einem Einbürgerungsautomatismus bei geistiger Behinderung ohne nähere Prüfung des Einzelfalles. Vielmehr ist in jedem Fall aufgrund der konkreten Umstände zu prüfen, ob die Nichteinbürgerung ein gewichtiges und legitimes öffentliches Interesse verfolgt, als geeignet und erforderlich betrachtet werden kann und sich gesamthaft als verhältnismässig erweist. Nicht das einzige, aber ein wichtiges Kriterium spielt dabei der mutmassliche Wille der betroffenen Person zur Einbürgerung.
7.3.3
Die Vorinstanz stellte fest, dass die Beschwerdegegnerin seit ihrem fünften Altersjahr in der Schweiz lebt und unter der Woche in einer geeigneten Institution untergebracht ist. Sie ist mit den schweizerischen Verhältnissen vertraut, versteht offenbar, soweit dies ihrem geistigen Niveau entspricht, Schweizer- und Hochdeutsch und kann sich unter Benutzung eines speziellen Computers auch in diesen Sprachen äussern. Diese Feststellungen sind unstrittig und für das Bundesgericht verbindlich (nicht publ. E. 5). Zwar haben die Eltern offenbar nie für sich selbst ein Einbürgerungsgesuch eingereicht. Dasjenige für die Beschwerdegegnerin wurde aber ursprünglich, als diese noch minderjährig war, von ihnen gestellt. Die Schwester und der Bruder der Beschwerdegegnerin sind bereits eingebürgert. Die Schwester, die bei Volljährigkeit der Beschwerdegegnerin als ihre Vormundin (heute: umfassende Beiständin) bestellt wurde, übernahm auch ihre Vertretung im Einbürgerungsverfahren und äusserte sich deutlich dazu, das Einbürgerungsgesuch zu befürworten. Dieser Willensäusserung kommt mit Blick auf
Art. 34 Abs. 1 BüG
sowie § 8 KBüG entscheidende Bedeutung zu. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die Beschwerdegegnerin unterhalte weiterhin zu ihren Eltern, wo sie sich insbesondere regelmässig am Wochenende aufhalte, die engere Beziehung als zur Schwester und der Umstand, dass sich die Eltern nicht hätten einbürgern lassen, spreche gegen den mutmasslichen Einbürgerungswillen bei der Beschwerdegegnerin. Dem ist entgegenzuhalten, dass es gerade die Eltern waren, die ursprünglich das
BGE 139 I 169 S. 178
Einbürgerungsgesuch für die Beschwerdegegnerin eingereicht und dabei vermutlich deren Situation von der eigenen sehr wohl unterschieden hatten. Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass urteilsfähige Personen in einer ähnlichen Lebenssituation mit vergleichbarem Lebenshintergrund selbst ebenfalls ein Einbürgerungsgesuch gestellt hätten.
7.3.4
Im Übrigen liegt es im Interesse der Beschwerdegegnerin, in der Schweiz, wo sie seit Kindheit lebt und wo sie höchstwahrscheinlich bleiben wird, diejenige wirtschaftliche, politische und soziale Stabilität und Sicherheit anzustreben, die ihr als Staatsbürgerin in besonderem Mass zuteil wird. Selbst wenn die soziale Sicherheit in materieller Hinsicht nicht von der Staatsangehörigkeit abhängt, hat die Beschwerdegegnerin nicht nur ein ideelles, sondern auch ein eigentlich rechtliches Interesse an der Einbürgerung. Eine solche würde ihr insbesondere - nur schon mit Blick auf den Ausweisungsschutz gemäss
Art. 25 Abs. 1 BV
- einen gesicherteren Status in der Schweiz einräumen als derjenige, über den sie bisher als Ausländerin verfügt (vgl.
BGE 135 I 49
E. 6.3 S. 62).
7.3.5
Die Beschwerdeführerin vermag keine Argumente gegen die Einbürgerung vorzubringen ausser demjenigen, dass es der Beschwerdegegnerin am Einbürgerungswillen fehle. Dass dies anhand der konkreten Umstände mutmasslich widerlegt werden kann und die Einbürgerung im klaren Interesse der Beschwerdegegnerin steht, wurde bereits dargelegt. Insgesamt verfolgt die Verweigerung des Bürgerrechts an die Beschwerdegegnerin weder ein gewichtiges und legitimes öffentliches Interesse noch erscheint sie als erforderlich sowie als gesamthaft verhältnismässig, um die erkannte Diskriminierung der Beschwerdegegnerin als geistig Behinderte zu rechtfertigen. Schliesslich gibt es keine Anhaltspunkte dafür und es ist auch nicht ersichtlich, dass der angefochtene Entscheid willkürlich wäre. Insbesondere stellte die Vorinstanz zumindest implizite fest, dass die Beschwerdegegnerin, soweit dies zugeschnitten auf ihre Situation beurteilt wird, durchaus in der Schweiz integriert ist. Das bestreitet auch die Beschwerdeführerin nicht. Analoges gilt grundsätzlich für die übrigen Voraussetzungen einer ordentlichen Einbürgerung.
7.4
Das Verwaltungsgericht verstiess mithin nicht gegen die Gemeindeautonomie der Beschwerdeführerin, indem es die Nichteinbürgerung der Beschwerdegegnerin wie das Departement als Verletzung des Diskriminierungsverbots beurteilte.
BGE 139 I 169 S. 179
8.
8.1
Schliesslich beantragt die Beschwerdeführerin, selbst bei Abweisung der Beschwerde in der Sache diese zumindest in dem Sinne gutzuheissen, dass die Angelegenheit an das kantonale Departement für Justiz und Sicherheit zurückzuweisen und dieses anzuweisen sei, die Erteilung des Gemeindebürgerrechts direkt zu verfügen. Eine Rückweisung an die Gemeindeversammlung, wie vom Departement angeordnet, sei wenig sinnvoll, da aufgrund der ursprünglich klaren Beschlussfassung derselben ein hohes Risiko bestehe, dass die Einbürgerung erneut abgelehnt werde.
8.2
Der Antrag der Beschwerdeführerin zielt darauf ab, einen möglichen Konflikt zwischen den Rechtsmittelentscheiden und der Gemeindeversammlung zu vermeiden. Das ist zwar nachvollziehbar. Die vom Departement verfügte und vom Verwaltungsgericht bestätigte Rückweisung an die Gemeindeversammlung bedeutet aber nicht einen Eingriff in die oder gar eine Verletzung der Gemeindeautonomie. Im Gegenteil beruht die Rückweisung darauf, dass im Kanton Thurgau die politischen Gemeinden Trägerinnen des Bürgerrechts sind (vgl. § 57 Abs. 2 letzter Satz KV/TG und § 3 Abs. 1 KBüG). Sie dient demnach gerade der Verwirklichung der Gemeindeautonomie und eine Ersatzvornahme durch den Kanton wäre besonders zu rechtfertigen, wie dies etwa bei mehrmaliger erfolgloser Rückweisung bzw. aufgrund der damit verbundenen wiederholten Verfassungsverletzungen zutreffen kann (vgl.
BGE 135 I 265
E. 4 S. 274 ff.). Hingegen ist die Rückweisung an die Gemeinde bei Gutheissung eines Rechtsmittels gegen einen erstmaligen kommunalen Nichteinbürgerungsentscheid durchaus üblich (vgl. etwa das Urteil des Bundesgerichts 1D_11/2007 vom 27. Februar 2008 E. 6, nicht publ. in:
BGE 134 I 56
).
8.3
Im vorliegenden Fall erging die Rückweisung erstmalig und sie wurde überdies nicht unmittelbar mit der Weisung zur Erteilung des Gemeindebürgerrechts verbunden; vielmehr erfolgte sie zur Neubeurteilung des Falles, womit sie auch insoweit die Autonomie der Beschwerdeführerin wahrt (vgl. dazu die Urteile des Bundesgerichts 1D_1/2011 vom 13. April 2011 E. 4, nicht publ. in:
BGE 137 I 235
; 1C_246/2008 vom 17. November 2008 E. 5), obwohl dieser aufgrund der Rechtslage kein grosser Spielraum mehr verbleiben dürfte, sofern sich die Sachlage nicht entscheidend verändert hat. Fehlt es mithin an einem Eingriff in die Gemeindeautonomie, steht von vornherein auch keine Verletzung von Verfassungsrecht in
BGE 139 I 169 S. 180
Frage, welche die Beschwerdeführerin mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde rügen und worauf sich ihr entsprechender Antrag stützen könnte. Dieser stösst mithin ins Leere, und es kann ihm mangels massgeblichen Verfassungsverstosses keine Folge geleistet werden. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d50d62de-40b4-4640-ab41-f240bca27ed7 | Urteilskopf
105 II 321
53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. November 1979 i.S. Stiftungsrat der Personalfürsorgestiftung der Firma X. AG gegen Regierungsrat des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Stiftungsaufsicht;
Art. 84 ZGB
.
1.
Art. 84 Abs. 1 ZGB
gilt nur für Stiftungen, die eindeutig einem einzigen Gemeinwesen angehören. Bezüglich jener Stiftungen, die sich ihrer Bestimmung nach auf mehrere Gemeinden erstrecken, wozu in der Regel die Personalfürsorgestiftungen gehören, enthält das Gesetz eine Lücke. Diese ist in dem Sinne auszufüllen, dass es Sache des kantonalen Rechts ist, die Aufsicht über diese Stiftungen dem Kanton, einem Bezirk oder einer Gemeinde zuzuweisen (E. 3).
2. Die Aufsichtsbehörde darf ein Stiftungsorgan in Anwendung von
Art. 84 Abs. 2 ZGB
nur abberufen, wenn die Zweckverwendung des Stiftungsvermögens beeinträchtigt oder gefährdet ist und andere, weniger einschneidende Massnahmen nicht zum Ziele führen. Ein Verschulden des Stiftungsorgans ist nicht notwendige Voraussetzung für die Abberufung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 322
BGE 105 II 321 S. 322
A.-
Die Firma X. AG, eine Familien-AG, errichtete mit öffentlicher Urkunde vom 15. November 1967 unter dem Namen "Personalfürsorgestiftung der Firma X. AG" eine Fürsorgestiftung für ihr Personal im Sinne von
Art. 80 ff. ZGB
mit Sitz in Y. Der Eintrag im Handelsregister erfolgte am 16. Januar 1968 mit dem Vermerk: "Aufsichtsbehörde: Gemeinderat Y.". Mit Beschluss des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 23. Januar 1968 wurde die Stiftung steuerfrei erklärt und der Stiftungsrat unter anderem verpflichtet, dem Finanzdepartement auf Verlangen alle Jahresabschlüsse sowie die sonstigen Belege zur Einsichtnahme vorzulegen. Dieser Beschluss wurde unter anderem dem Gemeinderat Y. "als Aufsichtsbehörde erster Instanz" zugestellt. Dem Stiftungsrat gehörten in letzter Zeit drei Mitglieder der Firmeninhaberfamilie an.
Wegen finanzieller Schwierigkeiten ersuchte die X. AG (im folgenden Stifterfirma genannt) im Jahre 1976 um Nachlassstundung. Es kam ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zustande, der am 30. Juli 1977 vom zuständigen Bezirksgericht bestätigt wurde. Am 11. August 1977 erfuhr das Finanzdepartement des Kantons Thurgau in seiner Eigenschaft als Stiftungsaufsichtsbehörde, dass der Stiftungsrat als Forderung gegenüber der Stifterfirma nur Fr. 178'657.55 geltend gemacht hatte. Auf seine Intervention hin wurde diese Forderung am 21. September 1977 auf Fr. 214'616.80 erhöht und in der 2. Klasse kolloziert.
B.-
Am 18. Oktober 1977 legte die Stiftungskontrolle der Steuerverwaltung des Kantons Thurgau dem Stiftungsrat schriftlich den freiwilligen Rücktritt nahe. Der Stiftungsrat reagierte auf dieses Schreiben nicht. Das Finanzdepartement berief darauf mit Verfügung vom 3. Mai 1978 den Stiftungsrat der Personalfürsorgestiftung ab und beauftragte den
BGE 105 II 321 S. 323
Gemeinderat Y., in seiner Funktion als örtliches Waisenamt der Stiftung einen Beistand zu bestellen.
Der Stiftungsrat erhob gegen seine Abberufung eine Beschwerde, die am 15. Mai 1979 vom Regierungsrat des Kantons Thurgau abgewiesen wurde.
Mit Beschluss vom 5. Juli 1978 errichtete das Waisenamt Y. für die Stiftung eine Beistandschaft im Sinne von
Art. 393 Abs. 4 ZGB
und bestellte die thurgauische Kantonalbank zum Beistand.
C.-
Mit Eingabe vom 18. Juni 1979 erhebt der Stiftungsrat Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 15. Mai 1979 und die Verfügung des Finanzdepartements vom 3. Mai 1978, durch die er abberufen worden war, seien aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach
Art. 84 Abs. 1 ZGB
unterstehen Stiftungen der Aufsicht des Gemeinwesens (Bund, Kanton oder Gemeinde), dem sie ihrer Bestimmung nach angehören. Es stellt sich daher die Frage, ob die Gemeinden mit Bezug auf die ihnen angehörenden Stiftungen ein unmittelbar auf
Art. 84 Abs. 1 ZGB
beruhendes Recht auf Übernahme der Stiftungsaufsicht besitzen oder ob die Kantone frei seien, abweichende Normen zu erlassen und derartige Stiftungen unter die Aufsicht der Bezirksbehörden oder der kantonalen Behörden zu stellen. In der Literatur werden diesbezüglich beide Meinungen vertreten (vgl. RIEMER, N. 28 zu
Art. 84 ZGB
).
b) Der klare Gesetzeswortlaut von
Art. 84 Abs. 1 ZGB
scheint gegen die Zulässigkeit abweichenden kantonalen Rechts zu sprechen. Die Gesetzesmaterialien sind indessen nicht eindeutig. Während Eugen Huber in den Eidgenössischen Räten bezüglich der einer Gemeinde angehörenden Stiftungen ohne weiteres von einer Gemeindeaufsicht ausging, wurde dort auch die Meinung vertreten, die Kantone könnten die Aufsicht nach ihrem Belieben organisieren und sie dem Regierungsrat oder einer andern Behörde übertragen (die ausführliche Darstellung findet sich bei RIEMER, N. 29 zu
Art. 84 ZGB
).
BGE 105 II 321 S. 324
In einem Gutachten vom 13. Januar 1921 gelangte Eugen Huber zum Schluss, es müsse in jedem Fall die soziale Willensrichtung der Stiftung festgestellt und dasjenige Gemeinwesen ausfindig gemacht werden, dem die Funktion eigne, in der gleichen Richtung tätig zu sein wie die Stiftung; diesem Gemeinwesen gehöre die Stiftung ihrer Bestimmung nach an und ihm komme die Aufsicht gemäss
Art. 84 ZGB
zu (zitiert in VEB 26 Nr. 43). Ähnlich führte das Eidgenössische Departement des Innern in seinem Kreisschreiben vom 17. März 1921 aus, grundsätzlich habe jenes Gemeinwesen die Stiftung zu beaufsichtigen, das in die Lücke springen müsste, wenn die Stiftung nicht bestünde oder ihren Zweck nicht erreichen könnte (BBl 1921 II 309).
Das Bundesamt für Sozialversicherung sowie das Eidgenössische Departement des Innern gingen in ihren Entscheiden vom 17. Dezember 1934 (VEB 8 Nr. 37) bzw. vom 11. März 1952 (VEB 22 Nr. 25) davon aus, dass der Kanton entscheiden könne, welchem Gemeinwesen die Aufsicht über die Fürsorgestiftungen zustehe. Demgegenüber vertrat das gleiche Departement in seinem Entscheid vom 6. Februar 1953 einen etwas abweichenden Standpunkt. Es führte aus, den Kantonen und Gemeinden stehe im Rahmen der von
Art. 84 ZGB
getroffenen Ordnung nicht nur ein abgeleitetes, sondern ein originäres Aufsichtsrecht zu. Als Kriterium für die Beurteilung der Frage, welchem Gemeinwesen eine Stiftung ihrer Bestimmung nach angehöre, falle in erster Linie die Natur des Stiftungszweckes in Betracht, d.h. dessen Verhältnis zum öffentlichen Recht des Bundes, der Kantone oder Gemeinden. Wo dieser Gesichtspunkt keine feste Handhabe biete, erscheine es im Hinblick auf den föderalistischen Aufbau unseres Staatswesens und das Subsidiaritätsprinzip als sinnvoll, die Aufsicht im Zweifel dem weniger umfassenden Gemeinwesen zu überlassen. Die Tatsache, dass der Kreis der Destinatäre einer Stiftung sich über das Gebiet mehrerer Kantone erstrecke, vermöge für sich allein die Zuständigkeit des Bundes zur Übernahme der Aufsicht nicht zu begründen (VEB 23 Nr. 34). Dieser Entscheid, namentlich die Bemerkung über das originäre Aufsichtsrecht der Gemeinden, scheint eher andeuten zu wollen, dass die Kantone nicht befugt seien, eine von
Art. 84 Abs. 1 ZGB
abweichende Zuständigkeitsordnung zu schaffen.
c) Das Bundesgericht befasste sich in
BGE 56 I 377
mit
BGE 105 II 321 S. 325
Stiftungen, die mehreren Gemeinden angehören, wozu insbesondere Personalfürsorgestiftungen zu zählen sind. Es führte in diesem Zusammenhang aus, die Destinatäre dieser Stiftungen rekrutierten sich meist nicht nur aus der Gemeinde, in der das Unternehmen Sitz und Tätigkeitsgebiet habe, sondern aus verschiedenen Gemeinden der Umgebung. Die Aufsicht müsse aber einheitlich ausgeübt werden. Das könne entweder durch eine Gemeinde oder durch den Kanton geschehen. Für beide Möglichkeiten liessen sich gewichtige Gründe anführen. Der Bundesgesetzgeber habe zwischen den beiden Möglichkeiten keine Wahl getroffen. Er habe in
Art. 84 ZGB
nur die Aufsicht über die einem einzigen Gemeinwesen angehörenden Stiftungen geregelt, aber für den Fall, dass die Stiftungen mehreren Gemeinden angehörten, auf eine Regelung verzichtet. In einem solchen Fall seien die Kantone frei, im Rahmen des Bundesrechts zwischen den genannten beiden Lösungen zu wählen (
BGE 56 I 382
/83).
Nach der vom Bundesgericht in diesem Entscheid vertretenen Auffassung sind demnach bei Fürsorgestiftungen, deren Destinatäre in mehreren Gemeinden wohnen, die Kantone frei, innerkantonal das zuständige Aufsichtsorgan zu bestimmen.
d) Es besteht auch heute kein Anlass, von dieser vom Bundesgericht in
BGE 56 I 377
geäusserten Ansicht, der sich RIEMER (N. 30 zu
Art. 84 ZGB
) angeschlossen hat, abzuweichen. Beim Erlass von
Art. 84 ZGB
waren einerseits Personalfürsorgestiftungen noch wenig bekannt und fielen anderseits Wohn- und Arbeitsort der Arbeitnehmer noch vielfach zusammen. Es kann deshalb angenommen werden,
Art. 84 Abs. 1 ZGB
habe nur für solche Stiftungen eine Regelung schaffen wollen, welche ihrer Bestimmung nach eindeutig einem einzigen Gemeinwesen angehören, und enthalte bezüglich jener Stiftungen, die ihrer Bestimmung nach sich auf mehrere Gemeinden erstrecken, eine Lücke. Diese ist in dem Sinne auszufüllen, dass es als Sache des kantonalen Rechts betrachtet werden muss, die Stiftungsaufsicht dem Kanton, einem Bezirk oder einer Gemeinde zuzuweisen. Für diese Lösung sprechen auch die Erwägungen des genannten Kreisschreibens des Eidg. Departementes des Innern vom 17. März 1921. Personalfürsorgestiftungen wollen die Destinatäre, d.h. in der Regel die Arbeitnehmer eines bestimmten Unternehmens, vor wirtschaftlicher Not bewahren. Besteht in einem Unternehmen keine
BGE 105 II 321 S. 326
solche Stiftung, haben bei einer Notlage der Arbeitnehmer deren Wohnortsgemeinden einzuspringen. Da die Arbeitnehmer eines Betriebs heute meist in verschiedenen Gemeinden wohnen, kann gesagt werden, dass Personalfürsorgestiftungen sich in der Regel auf mehrere Gemeinden erstrecken und insofern ihrer Bestimmung nach verschiedenen Gemeinden angehören. Unter diesen Umständen stellt es jedenfalls keine Verletzung von
Art. 84 Abs. 1 ZGB
dar, wenn ein Kanton die Aufsicht über seine Personalfürsorgestiftungen generell einer Kantons- oder Bezirksbehörde zuweist und nicht jener Gemeinde, in der die Stifterfirma oder die Stiftung ihren Sitz hat.
Nach dem Ausgeführten kann somit im vorliegenden Fall, entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Meinung, aus
Art. 84 Abs. 1 ZGB
nicht abgeleitet werden, die Aufsicht über die Stiftung müsse von Bundesrechts wegen notwendigerweise dem Gemeinderat von Y. zustehen. Die Ausübung des Aufsichtsrechts durch das kantonale Finanzdepartement als erste Instanz stellt demnach keine Verletzung der genannten bundesrechtlichen Bestimmung dar.
5.
Es bleibt zu prüfen, ob die Abberufung des Stiftungsrates materiell gerechtfertigt gewesen sei, nachdem eine Bundesrechtsverletzung verneint und ein Verstoss gegen
Art. 4 BV
durch willkürliche Anwendung kantonalen Rechts nicht ordnungsgemäss geltend gemacht worden ist.
a) Nach
Art. 84 Abs. 2 ZGB
hat die Aufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird. Zur Erfüllung dieser Aufgabe stehen ihr verschiedene präventive und repressive Massnahmen zur Verfügung, letztlich als schwerwiegendsten Eingriff die Abberufung des Stiftungsrates. Diese soll jedoch nur erfolgen, wenn das Verhalten des Stiftungsrates im Hinblick auf eine gesetzes- und stiftungsmässige Tätigkeit der Stiftung nicht mehr tragbar, die Zweckverwendung des Stiftungsvermögens beeinträchtigt oder gefährdet ist und andere, weniger einschneidende Massnahmen keinen Erfolg versprechen. Dass der Stiftungsrat schuldhaft gehandelt habe, ist nicht Voraussetzung für seine Abberufung (RIEMER, N. 55 ff., insbes. N. 98 f. zu
Art. 84 ZGB
). Bei der Ausübung des Aufsichtsrechts steht der damit beauftragten Behörde ein gewisser Ermessensspielraum zu. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zwischen Mittel und Zweck ist jedoch zu beachten (RIEMER, N. 37 zu
Art. 84 ZGB
).
BGE 105 II 321 S. 327
b) Der Regierungsrat begründete im angefochtenen Entscheid die Abberufung des Stiftungsrates vor allem damit, dass zwischen der Stiftung und der sich in Liquidation befindenden Stifterfirma die evidente Gefahr einer Interessenkollision bestehe, weil der Stiftungsrat aus dem Verwaltungsratspräsidenten, einem Verwaltungsrat und einem Prokuristen der Stifterfirma zusammengesetzt sei. Ferner wurde dem Stiftungsrat vorgeworfen, dass er im Nachlassverfahren für die Stiftung nur eine Forderung von Fr. 178'657.55 statt den der Stiftung zustehenden Betrag von Fr. 214'616.80 geltend gemacht habe. Auch sei die Jahresrechnung 1975 erst nach mehrfacher Aufforderung am 9. Mai 1977 zusammen mit der Jahresrechnung 1976 eingereicht worden. Zudem habe der Stiftungsrat seit seiner Abberufung am 3. Mai 1978, von der er wegen fehlerhafter Zustellung keine Kenntnis erhalten habe, nichts mehr getan; ja er habe bis zum 12. März 1979 nicht einmal gemerkt, dass er am 3. Mai 1978 abberufen worden sei.
Es ist im folgenden zu prüfen, ob diese vom Regierungsrat angeführten Umstände für sich allein oder in ihrer Gesamtheit einen hinreichenden Grund für die Abberufung des Stiftungsrates bilden.
c) Der Stiftungsrat bestreitet nicht, dass er sich aus dem Verwaltungsratspräsidenten, einem Verwaltungsrat und einem Prokuristen der Stifterfirma zusammensetzt. Bei dieser Sachlage ist offenkundig und braucht es, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers, keiner weiteren Begründung dafür, dass es zwischen der Stiftung und der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindenden Stifterfirma, die beide weitgehend durch dieselben Personen vertreten werden, zu Interessenkollisionen kommen kann. Der Umstand, dass sich die Stifterfirma bei der Abberufung des Stiftungsrates bereits in Nachlassliquidation befand, ändert daran nichts, weil der Schuldner bzw. dessen bisheriger Verwaltungsrat auch in diesem Verfahren noch gewisse Aufgaben zu erfüllen hat, welche die Gläubigerinteressen berühren; unter anderem hat er sich namentlich über die eingegebenen Forderungen auszusprechen und der Gläubigerversammlung auf deren Verlangen Aufschlüsse zu erteilen (
Art. 301 und 302 Abs. 2 SchKG
). Ob die Fünftklassgläubiger leer ausgehen werden und die Mitglieder des Stiftungsrates eine Forderung angemeldet haben oder nicht, ist unerheblich. Einerseits stand das Ergebnis der Liquidation bei der Abberufung
BGE 105 II 321 S. 328
des Stiftungsrates noch keineswegs sicher fest und anderseits kann eine Interessenkollision nicht nur zugunsten der Stiftung und deren Destinatäre, sondern auch zu deren Nachteil und zugunsten der Stifterfirma bzw. deren Gläubiger vorliegen.
Die mögliche Interessenkollision konnte nur durch die Abberufung des Stiftungsrates wirkungsvoll ausgeschaltet werden. Die vom Finanzdepartement verfügte Massnahme hält demnach vor dem Gesetz stand. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist durch sie nicht verletzt, weil weniger weitgehende Eingriffe das angestrebte Ziel nicht hätten erreichen können.
War die Abberufung des Stiftungsrates allein schon wegen der drohenden Interessenkollision gerechtfertigt und stellt demzufolge die angefochtene Massnahme keine Rechtsverletzung dar, dann ist die vorliegende Beschwerde schon deshalb als unbegründet abzuweisen. Es erübrigt sich damit zu prüfen, ob die weiteren vom Regierungsrat angeführten Gründe für die Abberufung des Stiftungsrates ebenfalls ausgereicht hätten. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d50f55e9-9b6a-4d3d-9f54-8d8dfc66e179 | Urteilskopf
94 II 297
46. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1968 i.S. Koerfer gegen Goldschmidt. | Regeste
Klage auf Herausgabe von Bildern, die der frühere Besitzer in Deutschland sicherungshalber einer Bank übereignet hatte und die später auf Veranlassung der nationalsozialistischen Behörden öffentlich versteigert wurden und sich heute in der Schweiz befinden. Ersitzung.
1. Für die Sicherungsübereignung der Bilder gilt grundsätzlich das deutsche Recht als das Recht der damaligen Ortslage. Ist das nach deutschem Recht gültig begründete Sicherungseigentum aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung in ein Pfandrecht umzudeuten? Fehlen einer Binnenbeziehung. Vereinbarkeit der Sicherungsübereignung mit der schweizerischen Rechtsordnung. (Erw. 3). Ungültigkeit der Versteigerung? (Erw. 4).
2. Für die Ersitzung gilt grundsätzlich das Recht der Ortslage (Erw. 5 a). Fall, dass die Sache in ein anderes Land verbracht wird, bevor die Ersitzung nach dem Recht der bisherigen Ortslage vollendet ist. Der am früheren Ort ausgeübte Besitz ist auf die vom Recht der neuen Ortslage geforderte Besitzdauer nicht anzurechnen, wenn die Ersitzung nach dem Recht der früheren Ortslage gehemmt war (Erw. 5 b, c).
3. Voraussetzungen der Ersitzung nach
Art. 728 ZGB
. Unangefochtener Eigenbesitz (Erw. 5 d). Guter Glaube. Erkundigungspflicht des Besitzers im Falle, dass der frühere Besitzer während der Ersitzungsfrist das Eigentum beansprucht. Auf den guten Glauben kann sich auch berufen, wer bei sehr schwierig zu beurteilenden Verhältnissen einer zwar unrichtigen, aber vertretbaren Ansicht folgt (Erw. 5 e, f, h). | Sachverhalt
ab Seite 298
BGE 94 II 297 S. 298
A.-
Jakob Goldschmidt in Berlin war unbeschränkt haftender Gesellschafter der 1922 gegründeten Darmstädter und
BGE 94 II 297 S. 299
Nationalbank (Danatbank). Er besass eine sehr bedeutende Kunstsammlung.
Am 13. Juli 1931 musste die Danatbank die Zahlungen einstellen. Die Verpflichtungen Goldschmidts ihr gegenüber beliefen sich damals auf rund 13 Millionen RM. Zur Sicherstellung dieser Verpflichtungen hinterlegte Goldschmidt u.a. Wertschriften aller Art. Ausserdem schloss er am 22. Dezember 1931 mit der Bank einen sog. Sicherungsübereignungsvertrag, durch den er ihr unter Beibehaltung des unmittelbaren Besitzes alle Kunstgegenstände in seinen Häusern Matthäikirchstrasse 31 in Berlin und Luisenstrasse 15 in Neubabelsberg übereignete.
Im März 1932 wurde die Danatbank von der Dresdner Bank übernommen. Mit Hilfe eines Kredites der August Thyssen-Hütte vermochte Goldschmidt die im Hause Matthäikirchstrasse untergebrachten Kunstgegenstände aus der Sicherungsübereignung auszulösen und zum grossen Teil ins Ausland zu verbringen. Im April 1933, wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtergreifung (30. Januar 1933), verliess er Deutschland wegen der dortigen Judenverfolgung endgültig. Einen Teil seines Vermögens, u.a. die Kunstsammlung im Hause Luisenstrasse 15 in Neubabelsberg, musste er zurücklassen. Als diese Villa im Jahre 1938 der Reichsjugendführung verkauft werden musste, nahm die Bank die darin befindlichen, vom Sicherungsübereignungsvertrag erfassten Gegenstände in Verwahrung.
Am 16. Februar 1940 wurde Goldschmidt die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Ein Jahr später (18. Februar 1941) wurde sein Vermögen als dem Reich verfallen erklärt. Diese Verfügung betraf auch die der Bank übereigneten Kunstgegenstände aus der Villa in Neubabelsberg. Das Finanzamt Moabit-West ging davon aus, diese Gegenstände seien nicht Eigentum der Bank, sondern ihr bloss verpfändet. Es liess sie, nachdem die Bank sie nach längerem Widerstand herausgegeben hatte, am 25. September 1941 durch den Auktionator Hans W. Lange in Berlin öffentlich versteigern.
Jakob Koerfer, der damals in Berlin wohnte, ersteigerte für 76 000 bzw. 28 000 RM die Bilder "Le premier tricot" und "Dans la loge" von Toulouse-Lautrec. Nach seiner Darstellung schenkte er sie seiner im Jahre 1938 mit dem Sohne Patrick nach Bolligen bei Bern übergesiedelten Ehefrau, einer gebürtigen Schweizerin, als diese ihn im Herbst 1942 in Berlin besuchte.
BGE 94 II 297 S. 300
Am 14. Dezember 1944 trafen die Bilder mit anderem Hausrat in Bolligen ein, wo sie sich heute noch befinden.
Am 17. Dezember 1944 starb Frau Koerfer. Ihr - von Jakob Koerfer ausgeschlagener - Nachlass fiel an ihre Kinder Patrick, Marlies-Helene und Thomas.
B.-
Mit Schreiben vom 1. September 1948 teilte Jakob Goldschmidt dem Jakob Koerfer mit, er sei rechtmässiger Eigentümer der von diesem am 25. September 1941 gekauften Bilder und habe seinen Herausgabeanspruch angemeldet. Von Koerfer angefragt, wieso er sich als rechtmässiger Eigentümer betrachte, antwortete er am 4. November 1948, die Bilder seien auf Veranlassung der nationalsozialistischen Behörden versteigert worden; die Handlungen dieser Behörden gegenüber jüdischen Staatsangehörigen seien im Sinne des menschlichen Rechts und menschlicher Gefühle als Diebstahl oder Raub zu kennzeichnen. Am 27. Januar 1949 liess er Koerfer durch einen Basler Anwalt schreiben, Koerfer habe die Bilder in bösem Glauben, d.h. in Kenntnis von Goldschmidts Eigentum sowie der Umstände der Wegnahme erworben; er fordere ihn daher auf, die Bilder bis zum 5. Februar 1949 zurückzugeben; sonst wäre er genötigt, unverzüglich gerichtliche Schritte einzuleiten. Koerfer liess dem Vertreter Goldschmidts am 4. Februar 1949 antworten, die streitigen Bilder seien bereits 1931 der Danatbank verpfändet und dann im ordentlichen Pfandverwertungsverfahren an öffentlicher Versteigerung zur Tilgung der Schulden Goldschmidts gegenüber der Bank verwertet worden. Das Finanzamt Berlin-Moabit habe den Erlös der Bank zur Deckung ihrer Forderung zur Verfügung gestellt. Es stimme also nicht, "dass die Bilder Herrn Dr. J. Goldschmidt wegen seiner Eigenschaft als Nicht-Arier durch die nationalsozialistischen Behörden entzogen" worden seien. Im übrigen verschaffe der Erwerb durch Zuschlag an einer öffentlichen Versteigerung nach § 935 des deutschen BGB unanfechtbares Eigentum. Aber auch nach schweizerischem Recht sei der Herausgabeanspruch unbegründet. Bösgläubiger Erwerb im Sinne von
Art. 936 ZGB
stehe ausser Frage.
Jakob Goldschmidt leitete die angekündigten gerichtlichen Schritte nicht ein. Vielmehr liess er Koerfer erst am 24. April 1952 unter Bezugnahme auf den früheren Briefwechsel mitteilen, er habe sich im Laufe verschiedener Rückerstattungsverfahren in Deutschland erneut von der Berechtigung seines
BGE 94 II 297 S. 301
Herausgabeanspruchs überzeugt und halte an diesem Anspruch fest. Koerfer lehnte diesen Anspruch von neuem ab.
Am 23. September 1955 starb Jakob Goldschmidt in New York.
C.-
Am 11. Dezember 1956 reichte Alfred Erwin Goldschmidt, der Sohn und Alleinerbe Jakob Goldschmidts, gegen Jakob Koerfer, eventuell gegen dessen Kinder, Klage auf Herausgabe der streitigen Bilder ein.
Mit Urteil vom 28. Januar 1959 behaftete der Gerichtspräsident III von Bern Jakob Koerfer bei der Erklärung, dass er an den streitigen Bildern keinerlei Rechte geltend mache, erklärte die Klage gegenüber Jakob Koerfer gestützt auf diese Erklärung als gegenstandslos und trat auf die Klage gegenüber den Kindern Koerfer mangels sachlicher Zuständigkeit nicht ein. Der Appellationshof des Kantons Bern wies die Sache am 23. November 1959 an den Gerichtspräsidenten zurück. Hierauf wies dieser die Klage am 28. August 1962 ab mit der Begründung, die Sicherungsübereignung von Jakob Goldschmidts Kunstbesitz an die Bank sei gültig zustande gekommen und bis zur Beschlagnahme von Goldschmidts Vermögen wirksam geblieben; durch die Beschlagnahme sei also Goldschmidt nur ein schuldrechtlicher Anspruch gegenüber der Bank auf Rückerstattung der übereigneten Gegenstände entzogen worden; der Kläger als Rechtsnachfolger von Jakob Goldschmidt sei daher zur Geltendmachung von Eigentumsansprüchen gegenüber den späteren Erwerbern solcher Gegenstände nicht legitimiert. Nachdem der Appellationshof am 17. Juli 1963 die Aktivlegitimation des Klägers bejaht und die Sache neuerdings an den Gerichtspräsidenten zurückgewiesen hatte, verpflichtete dieser mit Urteil vom 9. November 1964 die Beklagten zur Herausgabe der streitigen Bilder an den Kläger. Der Appellationshof bestätigte diesen Entscheid am 31. März 1967 und nahm "Akt" von der vom Vertreter des Klägers am 7. März 1967 "ohne jedes Präjudiz in Bezug auf Gut- und Bösgläubigkeit von Dr. Koerfer beim Erwerb der Bilder" abgegebenen Erklärung, die Erbschaft Goldschmidt sei bereit, "den Beklagten gegen Aushändigung der Bilder denjenigen Betrag in DM auszuzahlen, welchen Dr. Koerfer 1941 für die Bilder in RM ausgelegt hat ...".
D.-
Gegen das Urteil des Appellationshofes vom 31. März 1967 haben die Beklagten die Berufung an das Bundesgericht
BGE 94 II 297 S. 302
erklärt mit dem Antrag, die Klage sei abzuweisen; eventuell sei die Sache zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1., 2. - ... (Prozessuale Fragen).
3.
Der Appellationshof nimmt an, der Sicherungsübereignungsvertrag von 1931 sei gültig zustande gekommen; eine Rückübereignung an Goldschmidt sei nicht dargetan; die Dresdner Bank sei daher als Nachfolgerin der Danatbank nach deutschem Gewohnheitsrecht bis auf weiteres Eigentümerin der Bilder geblieben und habe sich bis zur Einziehung von Goldschmidts Vermögen ihrer Verwertung mit Erfolg widersetzt; diese Einziehung könne in der Schweiz nicht anerkannt werden; nach der schweizerischen öffentlichen Ordnung sei nicht zulässig, dass Goldschmidt bei seiner damaligen ungünstigen Rechtslage "behaftet", d.h. "sowohl seines fiduziarischen Rückübereignungsanspruchs als auch des fiduziarisch 1931 preisgegebenen Eigentumsrechts beraubt" werde; die Sicherungsübereignung sei daher ex tunc als weggefallen bzw. nichtig zu betrachten und mit Wirkung von der Besitzergreifung durch die Bank (1938) an in ein Pfandrechtsverhältnis umzudeuten; das III. Reich habe also nicht Eigentum der Bank, sondern Goldschmidts beschlagnahmt, so dass dessen Erbe zur Vindikationsklage legitimiert sei.
Die Beklagten machen demgegenüber geltend, es gehe nicht an, das gültig begründete Sicherungseigentum der Bank aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung nachträglich in ein Pfandrecht umzudeuten; Goldschmidt sei daher zur Zeit der Versteigerung weder Eigentümer noch Besitzer der Bilder gewesen, so dass dem Kläger die Aktivlegitimation für einen Herausgabeanspruch fehle.
a) Mit der Berufung an das Bundesgericht kann nur gerügt werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht (
Art. 43 OG
). Zum Bundesrecht gehören auch die Kollisionsregeln des schweizerischen internationalen Privatrechts und insbesondere der Vorbehalt der schweizerischen öffentlichen Ordnung (
BGE 72 II 410
mit Hinweisen,
BGE 76 III 65
E. 4,
BGE 77 II 275
E. 1 a.E.,
BGE 79 II 92
oben und 93,
BGE 93 II 381
/82). Das Bundesgericht prüft als Berufungsinstanz von Amtes wegen, ob die Sache nach schweizerischem oder nach ausländischem Recht zu beurteilen sei (
BGE 64 II 92
f.,
BGE 77 II 274
,
BGE 78 II 77
E. 1,
BGE 79 II 297
E. 1a,
BGE 94 II 297 S. 303
BGE 81 II 392
E. 1,
BGE 85 II 453
E. 2,
BGE 88 II 472
E. 1) und ob, wenn nach den schweizerischen Kollisionsnormen ausländisches Recht anwendbar ist, der erwähnte Vorbehalt eingreife (
BGE 76 III 66
).
b) Für die Rechte an beweglichen Sachen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wie für die Rechte an Liegenschaften grundsätzlich das Gesetz der Ortslage massgebend (
BGE 74 II 228
E. 4,
BGE 75 II 129
E. 6,
BGE 93 III 100
E. 2). Die streitigen Bilder befanden sich bei Abschluss des Sicherungsübereignungsvertrages (Dezember 1931) sowie während der darauf folgenden dreizehn Jahre in Deutschland. Die Vorinstanz hat daher richtigerweise nach deutschem Rechte beurteilt, ob die Danatbank und ihre Nachfolgerin auf Grund des erwähnten Vertrags Eigentümerinnen der Bilder wurden und es bis auf weiteres blieben. Ihre Annahme, die Dresdner Bank sei bis zur Inbesitznahme der Bilder (1938) deren Eigentümerin gewesen, ist deshalb der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen (
Art. 43 OG
).
c) Da sich die Bilder nicht bloss bis zur Inbesitznahme durch die Bank, sondern bis gegen Ende 1944 in Deutschland befanden, beurteilt sich auch die Frage, welche dinglichen Rechte nach dieser Inbesitznahme und nach der Einziehung von Goldschmidts Vermögen, insbesondere zur Zeit der Versteigerung vom 25. September 1941, daran bestanden, grundsätzlich nach deutschem Recht.
Die Vorinstanz stellt im angefochtenen Urteil nicht fest, die streitigen Bilder seien infolge der - nach ihrer Auffassung in der Schweiz nicht anzuerkennenden - Vermögenseinziehung schon allein nach deutschem Recht mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Besitzergreifung durch die Bank in das Eigentum Goldschmidts zurückgefallen. Vielmehr hat sie die Umdeutung des seinerzeit begründeten Sicherungseigentums in ein Pfandrecht, die nach ihrer Ansicht ohne weiteres zum Rückfall des Eigentums an Goldschmidt führt, aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung vorgenommen.
Nach schweizerischer Rechtsprechung und Lehre setzt die Anwendung des Vorbehalts der schweizerischen öffentlichen Ordnung im allgemeinen voraus, dass das zu beurteilende Rechtsverhältnis eine ernstlich ins Gewicht fallende Beziehung zur Schweiz (sog. Binnenbeziehung) aufweist (
BGE 78 II 249
; vgl. auch schonBGE 64 II 104,
BGE 67 II 221
E. 3; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Kommentar zum OR, Allg. Einleitung, N. 118-120 mit Hinweisen).
BGE 94 II 297 S. 304
Der Sicherungsübereignungsvertrag zwischen Goldschmidt und der Danatbank sowie die Rechtsverhältnisse, die vom Abschluss dieses Vertrages an bis zur Versteigerung vom 25. September 1941 mit Bezug auf die streitigen Bilder bestanden, haben zur Schweiz keinerlei Beziehung, da der Vertrag in Deutschland abgeschlossen wurde, dort befindliche Gegenstände betraf und seine Wirkungen dort entfalten sollte und da kein Beteiligter in der Schweiz niedergelassen war oder die schweizerische Staatsangehörigkeit besass. Schon deshalb kann nicht die Rede davon sein, dass die Sicherungsübereignung aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung in ein Pfandrechtsverhältnis umzudeuten sei.
Im übrigen ist nicht ersichtlich, wieso das nach deutschem Recht gültig begründete Sicherungseigentum der Bank hinterher vom Zeitpunkt der Inbesitznahme der übereigneten Gegenstände durch die Bank an oder sogar ex tunc, d.h. mit Wirkung vom Vertragsabschluss an, mit der schweizerischen Rechtsordnung schlechthin unvereinbar geworden sein sollte.Auch im schweizerischen Recht ist anerkannt, dass die Sicherungsübereignung zulässig ist und dem Erwerber das volle Eigentum verschafft (
BGE 86 II 226
unten mit Hinweisen). Die Sicherungsübereignung von Fahrnis ohne Übergabe der Sachen ist allerdings nach
Art. 717 ZGB
, der um der öffentlichen Ordnung willen erlassen wurde (
BGE 42 III 174
/175; OFTINGER N. 278 zu
Art. 884 ZGB
), Dritten (d.h. namentlich den Gläubigern) gegenüber unwirksam und gilt nur unter den Parteien (
BGE 78 II 415
E. 1 a.E.; OFTINGER a.a.O. N. 291-293). Im vorliegenden Falle kommt jedoch nichts darauf an, ob die Sicherungsübereignung vor der Inbesitznahme der übereigneten Gegenstände durch die Bank den Gläubigern Goldschmidts entgegengehalten werden konnte, und von diesem Zeitpunkt (1938) an war sie auch vom Standpunkt des schweizerischen Rechts aus voll wirksam.
Die Sicherungsübereignung aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung nachträglich mit Wirkung von 1938 oder gar von 1931 an als weggefallen oder nichtig zu betrachten und sie in eine Verpfändung umzudeuten, verbietet sich um so eher, als die Sicherungsübereignung der Bank besser als ein Pfandrecht erlaubte, den Forderungen der nationalsozialistischen Behörden auf Herausgabe und Verwertung der Goldschmidtschen Sammlung zu widerstehen und so die Interessen Goldschmidts zu wahren. Hätte der Bank nur ein Pfandrecht zugestanden, so
BGE 94 II 297 S. 305
wäre jeder Widerstand von vorneherein sinnlos gewesen, wogegen die Bank kraft ihres Eigentums die behördlichen Ansinnen wenigstens eine Zeitlang abzuwehren vermochte.
Der Umstand, dass Goldschmidt durch die Einziehung seines Vermögens die Möglichkeit verlor, im Falle der Tilgung seiner Schulden gegenüber der Bank seinen obligatorischen Anspruch auf Rückübertragung der sicherungshalber übereigneten Gegenstände geltend zu machen, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz ganz abgesehen davon, dass eine sog. Binnenbeziehung fehlt, kein zureichender Grund dafür, die seinerzeit ohne behördlichen Zwang gültig zustande gekommene und den Interessen Goldschmidts besser als eine Verpfändung dienende Sicherungsübereignung nachträglich als mit der schweizerischen Rechtsordnung schlechthin unvereinbar zu betrachten und demzufolge den Kläger ungeachtet der Veräusserung der streitigen Bilder durch seinen Rechtsvorgänger zur Vindikationsklage zuzulassen.
Greift der Vorbehalt der schweizerischen öffentlichen Ordnung in diesem Punkte nicht ein, so ist die Frage, ob der Kläger als Rechtsnachfolger Jakob Goldschmidts zur Klage auf Herausgabe der streitigen Bilder legitimiert sei, ausschliesslich nach deutschem Rechte zu beurteilen. Ob dabei auch die in Deutschland nach dem II. Weltkrieg erlassene Sondergesetzgebung über die Rückerstattung und Wiedergutmachung in Betracht komme, kann offen bleiben. Es erübrigt sich nämlich, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ausschliesslich nach deutschem Recht beurteile, ob der Kläger zur Klage auf Herausgabe legitimiert sei. Denn die Klage kann selbst bei Bejahung dieser Legitimation nicht geschützt werden.
4.
... (Es wird ausgeführt, die Versteigerung vom 25. September 1941 sei gemäss Feststellung der Vorinstanz wenigstens dann, wenn die seinerzeit der Bank übereigneten Gegenstände damals nach deutschem Recht wieder als Eigentum Goldschmidts zu gelten hatten, schon nach dem in diesem Punkte grundsätzlich anwendbaren deutschen Recht ungültig; diese Feststellung der Vorinstanz sei der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen.)
5.
Falls die Versteigerung vom 25. September 1941 nach dem massgebenden deutschen Rechte nichtig und folglich nicht geeignet war, Jakob Koerfer zum Eigentümer der streitigen Bilder zu machen, stellt sich die Frage, ob die Beklagten (oder einzelne
BGE 94 II 297 S. 306
von ihnen) seither durch Ersitzung Eigentümer dieser Bilder geworden sind.
a) Für die Ersitzung war, solange sich die Bilder bei Jakob Koerfer in Deutschland befanden (September 1941 bis Dezember 1944), das deutsche Recht als das Recht der damaligen Ortslage massgebend (vgl. E. 3 b hievor sowie - statt vieler - SCHNITZER, Handbuch des IPR, 4. A., Band II, 1958, S. 565, 578, und MEIER-HAYOZ, Kommentar zum Sachenrecht, 4. A., 1966, Systematischer Teil, N. 283). Der Appellationshof führt aus, während dieser Zeit sei die zehnjährige Ersitzungsfrist von § 937 BGB nicht abgelaufen; das "Korrelat zur Ersitzung" sei die Möglichkeit der Anfechtung des Besitzes nach § 941 BGB; diese Möglichkeit habe Goldschmidt damals als entrechteter Jude nicht gehabt. Die Vorinstanz nimmt also an, eine Ersitzung habe, solange die Bilder in Deutschland waren, schon nach dem als Recht der Ortslage anwendbaren deutschen Recht nicht stattfinden können. Diese Annahme ist ebenfalls der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen. Konnte Koerfer die Bilder zu jener Zeit nach deutschem Rechte nicht ersitzen, so ist unerheblich, ob, wie die Vorinstanz überdies meint, auch aus Gründen der schweizerischen öffentlichen Ordnung nicht angenommen werden dürfte, dass die Ersitzungsfrist lief, solange Goldschmidt den Besitz Koerfers nicht anfechten konnte.
b) Wechselt die Sache den Ort, bevor die Ersitzung nach dem Rechte der bisherigen Ortslage eingetreten ist, so beurteilt sich grundsätzlich nach dem Recht der neuen Ortslage, ob und wann die Ersitzung sich vollende (SCHNITZER a.a.O. S. 578, MEIER-HAYOZ a.a.O. N. 284). Nach diesem Recht bestimmt sich insbesondere auch, ob und wieweit der am frühern Ort ausgeübte Besitz auf die vom Recht der neuen Ortslage geforderte Besitzdauer anzurechnen ist und inwieweit bei der Würdigung der am früheren Ort eingetretenen Tatsachen das dort geltende Recht herangezogen werden soll (SCHNITZER S. 578; RAAPE, IPR, 5. A. 1961, S. 604). Gemäss diesen Grundsätzen entscheiden sich die erwähnten Fragen im vorliegenden Falle nach schweizerischem Recht, in dessen Geltungsbereich sich die streitigen Bilder seit Dezember 1944 befinden.
c) Der Erwerb des Eigentums an Fahrnis durch Ersitzung setzt nach
Art. 728 Abs. 1 ZGB
voraus, dass jemand eine fremde Sache ununterbrochen und unangefochten während fünf Jahren in gutem Glauben als Eigentümer in seinem Besitz hat.
BGE 94 II 297 S. 307
Für die Berechnung der Fristen, die Unterbrechung und den Stillstand der Ersitzung finden nach
Art. 728 Abs. 3 ZGB
die Vorschriften über die Verjährung entsprechende Anwendung.
Darüber, ob im Falle eines Ortswechsels der am frühern Ort ausgeübte Besitz auf die fünfjährige Frist des
Art. 728 Abs. 1 ZGB
anzurechnen und inwiefern bei Beurteilung der am frühern Ort eingetretenen Tatsachen das dort geltende Recht heranzuziehen sei, findet sich im schweizerischen Recht keine ausdrückliche Bestimmung. SCHNITZER verweist auf die verschiedenen Lösungen, welche diese Fragen in Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung des Auslandes erfahren haben, und bemerkt, am einfachsten sei es, "die Laufzeit nach eigenem Rechte zu berechnen, gleichgültig wo sich die Sache jeweils befunden hat, und auch die übrigen Voraussetzungen der Ersitzung, so den guten Glauben, nach dem Recht des Landes zu beurteilen, in dem der Erwerb durch Ersitzung eintreten soll"; eine entsprechende gesetzliche Bestimmung wäre zweckmässig. MEIER-HAYOZ (der diese Fragen nicht einlässlich behandelt) rechnet den gutgläubigen Besitz am frühern Ort vorbehaltlos auf die fünfjährige Frist des schweizerischen Rechts an (vgl. das in N. 284 angeführte Beispiel einer in Deutschland gestohlenen, dort während drei Jahren von einem Gutgläubigen besessenen und nachher in die Schweiz verbrachten Sache). Für das deutsche Recht, das diese Fragen ebenfalls nicht ausdrücklich regelt, erachtet WOLFF (Das IPR Deutschlands, 3. A. 1954, S. 181) als nahezu feststehend, dass die Erfordernisse des neuen Gebietsrechts erfüllt sein müssen, dass es aber genügt, wenn einige von ihnen sich schon unter dem alten Recht erfüllt haben; solche früher verwirklichten Tatbestandsstücke würden (nach einem Ausdruck ZITELMANNS) mit ihrem jetzigen "Rechtswert" eingesetzt, was offenbar heissen soll, sie seien nach dem neuen Gebietsrecht zu beurteilen. Deutlich in diesem letzten Sinne äussern sich WOLFF/RAISER (Sachenrecht, 10. Bearbeitung 1957, S. 366 f.), indem sie erklären, wenn der Erwerbstatbestand aus mehreren zeitlich folgenden Tatsachen bestehe und die Sache inzwischen den Ort wechsle, so komme es auf den Ort an, wo sich das letzte Tatbestandsstück verwirkliche; "nur nach dem letzten Ortsrecht werden auch die früheren Tatbestandsstücke gewürdigt"; befinde sich z.B. eine gestohlene Sache acht Jahre in einem Lande, das die "res furtivæ" für "inhabiles" (zur Ersitzung untauglich) erkläre, und bringe der (gutgläubige) Besitzer sie dann
BGE 94 II 297 S. 308
nach Deutschland, so ersitze er sie hier in zwei Jahren, weil sich jetzt alle Ersitzungsvoraussetzungen nach deutschem Recht beurteilten. RAAPE (a.a.O. S. 605 f.) will auf die Ersitzung von aus dem Ausland nach Deutschland verbrachten Sachen mit ZITELMANN die übergangsrechtlichen Vorschriften des Einführungsgesetzes zum BGB (Art. 185 in Verbindung mit Art. 169 EG) entsprechend anwenden, was u.a. dazu führt, dass der Beginn sowie die Hemmung und Unterbrechung der Ersitzung sich für die Zeit vor dem Ortswechsel nach dem Rechte der frühern Ortslage zu richten haben (vgl. Art. 185 in Verbindung mit Art. 169 Abs. 1 Satz 2 EG). Seine Ausführungen über die von einem ausländischen Staat in einen andern gelangten Sachen, deren Ersitzung nach seiner Auffassung mangels einschlägiger Vorschriften dieses andern Staates in Deutschland nach den dem Art. 185 EG entlehnten Grundsätzen zu beurteilen ist, schliessen mit der Bemerkung: "Der Weisheit Schluss ist auch hier wieder wie in allen Fällen eines Statutenwechsels, die Entscheidung möglichst, d.h. bis an die Grenze der Gerechtigkeit, dem neuen Statut zu überlassen."
Auf die vom Recht der neuen Ortslage geforderte Besitzdauer den am frühern Ort ausgeübten Besitz anzurechnen, ist nicht gerechtfertigt, wenn die Ersitzung nach dem dort geltenden Recht nicht beginnen konnte, sondern gehemmt war. Die Beklagten befürworten denn auch selber nicht die vorbehaltlose Anrechnung der am frühern Ort abgelaufenen Besitzdauer, sondern teilen die dem Gutachten Broggini zugrunde liegende Auffassung, die vor dem Ortswechsel abgelaufene Zeit sei dann vollständig anzurechnen, wenn der Lauf der Ersitzungsfrist nach dem Rechte der frühern Ortslage nicht gehemmt war. Indem die Vorinstanz unter Hinweis auf §§ 937 und 941 BGB ausführte, das Korrelat zur Ersitzung sei die Möglichkeit der Anfechtung des Besitzes, d.h. ein Besitz ohne Möglichkeit der Anfechtung durch den Berechtigten tauge nicht zur Ersitzung, und feststellte, diese Möglichkeit habe für Goldschmidt während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland nicht bestanden, bekannte sie sich zur Auffassung, nach deutschem Recht habe die Ersitzung nicht beginnen können, sondern sei gehemmt gewesen, solange die streitigen Bilder sich in Deutschland befanden. Diese im Berufungsverfahren nicht zu überprüfende Auffassung der Vorinstanz führt zum Schlusse, dass die in Deutschland abgelaufene Besitzdauer auf die fünfjährige Frist des
Art. 728 ZGB
BGE 94 II 297 S. 309
nicht angerechnet werden darf, sondern dass diese Frist erst mit der Überführung der Bilder nach der Schweiz im Dezember 1944 beginnt. Die vom Appellationshof festgestellte Tatsache, dass Jakob Koerfer die Bilder schon vorher seiner in der Schweiz wohnenden Frau geschenkt hatte, kann hieran nichts ändern, da für die Ersitzung das deutsche Recht massgebend blieb, solange die Bilder in Deutschland waren, und da eine Anfechtung mit Wirkung für den Geltungsbereich dieses Rechts auch nach der Schenkung an Frau Koerfer ausgeschlossen war.
d) Die Beklagten haben die streitigen Bilder vom Dezember 1944 an während mehr als fünf Jahren ununterbrochen besessen. Der Besitz hat im Sinne von Art. 728 (wie von Art. 661) ZGB als unangefochten zu gelten, solange der wahre Berechtigte sein Recht nicht durch Klage geltend macht (HAAB N. 10, MEIER-HAYOZ, 3. A. 1964, N. 23 zu
Art. 661 ZGB
). Jakob Goldschmidt hat nie, sein Erbe erst im Dezember 1956 geklagt. Die Beklagten haben also die Bilder mehr als fünf Jahre vom Dezember 1944 an unangefochten besessen.
Es steht auf Grund des von der Vorinstanz festgestellten Tatbestandes ausser Zweifel und ist unbestritten, dass die Kinder Koerfer die Bilder im Sinne von
Art. 728 ZGB
als Eigentum besassen, d.h. dass Jakob Koerfer als gesetzlicher Vertreter seiner in jenen Jahren noch minderjährigen Kinder den Willen hatte, die Bilder für seine Kinder, die Erben seiner Frau, als Eigentum zu besitzen (vgl. HAAB N. 10, MEIER-HAYOZ N. 17 zu
Art. 661 ZGB
).
Innert fünf Jahren vom Dezember 1944 an sind keine Tatsachen eingetreten, die nach
Art. 728 Abs. 3 ZGB
in Verbindung mit
Art. 134 ff. OR
die Unterbrechung oder den Stillstand der Ersitzung hätten bewirken können.
Die Kinder Koerfer wurden also gemäss
Art. 728 ZGB
fünf Jahre nach dem Dezember 1944, d.h. im Dezember 1949 durch Ersitzung Eigentümer der Bilder, wenn sie diese bis dahin in gutem Glauben besassen. Eine allfällige Bösgläubigkeit ihres Vaters, der damals ihr gesetzlicher Vertreter war, wäre ihnen anzurechnen (vgl. HOMBERGER N. 35 zu
Art. 933 ZGB
, JÄGGI N. 137 zu
Art. 3 ZGB
; DESCHENAUX in Schweiz. Privatrecht II, 1967, § 21A V 2a S. 225).
e) Die Vorinstanz stellt fest, der Kläger habe den von Gesetzes wegen zu vermutenden guten Glauben Jakob Koerfers zur Zeit der Inbesitznahme der Bilder durch ihn nicht zu widerlegen
BGE 94 II 297 S. 310
vermocht. Koerfer habe als Kunstfreund zwar gewusst, dass sich "hinter den Initialen J.G.", mit denen der Auktionskatalog die Herkunft des grössten Teils der am 25. September 1941 versteigerten Bilder bezeichnete (Titel des Katalogs: "Gemälde und Kunstgewerbe aus der ehemaligen Sammlung J.G. /Berlin - Verschiedener Kunstbesitz"), "der emigrierte Jude und berühmte Kunstsammler Jakob Goldschmidt verbarg"; er habe jedoch damals in guten Treuen annehmen können, die Versteigerung der "ehemaligen Sammlung J.G." hänge mit der damals allgemein bekannten Überschuldung Goldschmidts zusammen.
Die Annahme der Vorinstanz, Koerfer könne für den Zeitpunkt der Inbesitznahme der Bilder durch ihn den guten Glauben für sich beanspruchen, lässt sich auf Grund des von ihr festgestellten Sachverhalts nicht als bundesrechtswidrig beanstanden. Der Kläger wendet denn auch gegen diese Annahme nichts ein, sondern macht mit Bezug auf das Erfordernis des guten Glaubens nur noch geltend, Koerfer habe - wie das auch die Vorinstanz annimmt - seinen guten Glauben infolge der Mitteilungen Goldschmidts vom 1. September /4. November 1948 und 27. Januar 1949 vor Ablauf der Ersitzungsfrist verloren und die Ersitzung aus diesem Grunde nicht vollenden können.
Diese Mitteilungen waren jedoch für sich allein nicht geeignet, Koerfer für die Zukunft bösgläubig zu machen oder ihm doch nach
Art. 3 Abs. 2 ZGB
für die Zukunft das Recht zu entziehen, sich auf seinen guten Glauben zu berufen. Sie zeigten ihm zunächst nur, dass Goldschmidt sich als rechtmässigen Eigentümer der Bilder betrachtete, dem diese durch widerrechtliche Massnahmen der Nationalsozialisten weggenommen worden seien, und dass Goldschmidt ihn als bösgläubigen Erwerber ansah und die Bilder von ihm herausverlangte. Diesen Rechtsstandpunkt brauchte Koerfer nicht ohne weiteres anzuerkennen. Der Vorwurf Goldschmidts, er habe die Bilder in bösem Glauben, d.h. in Kenntnis der widerrechtlichen Wegnahme seines Eigentums erworben, war nach den eigenen Feststellungen der Vorinstanz ungerechtfertigt. Koerfer nahm darnach an und war zur Annahme berechtigt, die Versteigerung der Bilder sei eine normale, rechtmässige Folge der Überschuldung Goldschmidts. Die blosse Behauptung des Gegenteils zwang ihn nicht, die bis dahin in guten Treuen gehegte Überzeugung kurzerhand preiszugeben,
BGE 94 II 297 S. 311
sondern verpflichtete ihn zunächst nur, deren Begründetheit zu überprüfen. Dieser Pflicht kam er nach, indem er auf das erste Schreiben Goldschmidts hin von diesem nähere Auskunft verlangte und sich in der Folge mit den Vorbringen Goldschmidts und des von diesem beigezogenen Anwalts ernsthaft auseinandersetzte. Seine Erhebungen bestätigten, dass Goldschmidt die Bilder schon 1931, also vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, zur Sicherstellung seiner Schulden gegenüber der Bank hatte verwenden müssen und dass der Versteigerungserlös der Bank zur Tilgung ihrer Forderungen überlassen wurde. Dass Koerfer 1948/49 noch glaubte, Goldschmidt habe die Bilder im Jahre 1931 verpfändet, während es sich um eine Sicherungsübereignung gehandelt hatte, kann ihm nicht schaden. Auch unter der Voraussetzung, dass die Bilder der Bank bloss verpfändet und somit Eigentum Goldschmidts geblieben waren, durfte Koerfer trotz den Mitteilungen Goldschmidts - welche die Vorgänge des Jahres 1931 völlig übergingen - bei der Überzeugung bleiben, die Bilder seien zur Deckung der Schulden Goldschmidts gegenüber der Bank verwertet worden, und er habe sie daher rechtmässig erworben. Er durfte das um so eher, als Goldschmidt, nachdem der Anwalt Koerfers mit Schreiben vom 4. Februar 1949 das Herausgabebegehren unter Berufung auf den rechtmässigen Erwerb bei einer ordentlichen Pfandversteigerung zurückgewiesen hatte, die vorher angedrohten gerichtlichen Schritte nicht einleitete, sondern mehr als drei Jahre lang (bis zum 24. April 1952) stillschwieg.
f) Da die Bilder der Bank im Jahre 1931 in Wirklichkeit übereignet worden waren, erwarb Koerfer sie vom Eigentümer, der den von ihm bezahlten Preis erhielt, und stellt sich die Frage der Ersitzung durch gutgläubigen Besitz überhaupt nicht, wenn das Sicherungseigentum der Bank zur Zeit der Versteigerung (25. September 1941) noch bestand. Sollte aber nach dem massgebenden deutschen Recht anzunehmen sein, die Bilder hätten damals nicht mehr der Bank, sondern wieder Goldschmidt gehört, was dahinsteht (vgl. Erw. 3 lit. c hievor), so wäre Koerfer doch zuzubilligen, dass ihn die 1948/49 erhaltenen Mitteilungen Goldschmidts bei Kenntnis der seinerzeit erfolgten Übereignung der Bilder an die Bank erst recht nicht hätten veranlassen können, seinen Besitz für unrechtmässig zu halten. Er konnte bei Anwendung der ihm zumutbaren Aufmerksamkeit unmöglich voraussehen, dass die gültige Sicherungsübereignung
BGE 94 II 297 S. 312
hinterher in eine blosse Verpfändung umgedeutet werden könnte, um Goldschmidt bezw. dem Kläger die Legitimation zur Klage auf Herausgabe der Bilder zu verschaffen.
g) ...
h) Nach alledem ist anzunehmen, Koerfer habe trotz den Mitteilungen Goldschmidts die seinem Erwerb und Besitz allfällig anhaftenden rechtlichen Mängel nicht gekannt und es sei auch nicht dargetan, dass er sie bei Anwendung der ihm nach den Umständen zumutbaren Aufmerksamkeit hätte kennen sollen, sondern er habe auch nach Erhalt der erwähnten Mitteilungen in guten Treuen annehmen dürfen, er besitze die Bilder rechtmässig. Wenn das Sicherungseigentum zur Zeit der Versteigerung der Bilder noch bestand, war diese Annahme sogar richtig (vgl. lit. f hievor). Andernfalls war sie wegen der aussergewöhnlichen Umstände, die eine zutreffende Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sehr erschwerten, wenigstens vertretbar. Wer unter solchen Umständen einer zwar falschen, aber doch vertretbaren Ansicht folgt, kann den guten Glauben für sich in Anspruch nehmen (vgl. JÄGGI N. 41 und 112 zu
Art. 3 ZGB
). Die Kinder Koerfer sind also gegen Ende 1949 (lit. d hievor) durch Ersitzung Eigentümer der streitigen Bilder geworden, wenn sie es nicht infolge rechtmässigen Erwerbs dieser Bilder schon vorher waren.
Dass nach den Konfliktsregeln des schweizerischen internationalen Privatrechts die deutsche Sondergesetzgebung über Rückerstattung und Wiedergutmachung anzuwenden sei und zur Gutheissung der Klage führen könnte, obwohl nach schweizerischem Recht in der Schweiz die Ersitzung eingetreten ist, behauptet der Kläger mit Recht nicht.
6.
Ist die Klage aus diesen Gründen abzuweisen, so kann die von den Parteien erörterte Frage, ob die Verwirkung der Fahrnisklage nach
Art. 934 Abs. 1 ZGB
den gutgläubigen Besitzer einer abhandengekommenen Sache zum Eigentümer mache oder ob die Verwirkung jener Klage die Eigentumsklage unberührt lasse, offen bleiben; denn die Eigentumsklage geht auf jeden Fall mit dem Eintritt der Ersitzung durch den gutgläubigen Besitzer unter.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d50f9009-fee5-45c2-a69a-604532b0559c | Urteilskopf
85 III 193
40. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. November 1959 i. S. Konkursmasse Schilliger gegen Scheuch & Adler A. G. | Regeste
Anfechtungsklage nach
Art. 287 SchKG
.
Bei einer Abtretung zahlungshalber (
Art. 172 OR
) überwiegt unter Umständen der Zweck der Sicherstellung gegenüber dem Zweck der Tilgung. Alsdann ist in erster Linie Abs. 1 Ziff. 1 des
Art. 287 SchKG
anwendbar, daneben allenfalls auch Ziff. 2 daselbst (Erw.3).
Was ist unter einem üblichen Zahlungsmittel im Sinne der soeben erwähnten Ziff. 2 zu verstehen? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 193
BGE 85 III 193 S. 193
A.-
In dem am 14. Juni 1956 über den Möbelhändler Alois Schilliger in Zürich eröffneten Konkurs meldete
BGE 85 III 193 S. 194
seine Hauptlieferantin, die Firma Scheuch & Adler AG in Sirnach, einen Forderungssaldo von Fr. 9733.70 an. Sie legte einen Auszug über die "offenen Fakturen" an den Schuldner aus der Zeit vom 8. November 1955 bis zum 3. April 1956 im Gesamtbetrage von Fr. 45'835.50 bei, woran von dritter Seite Fr. 970.-- bezahlt worden waren, so dass die Forderung noch Fr. 44'865.50 betrug. Darauf rechnete sie den Betrag folgender ihr vom Schuldner abgetretenen Guthaben an:
a) das allfällig frei werdende Guthaben aus dem Depotkonto des Schuldners bei der Finanz AG, bis zum Betrage von Fr. 30 000.--
b) eine Forderung gegen Frau Margrit Brüderlin im Betrage von Fr. 1 000.--
c) eine Forderung gegen Franz Niederdorfer im Betrage von Fr. 2 091.--
Für den Fall der (nach dem Verlauf der ersten Gläubigerversammlung vorauszusehenden) Anfechtung dieser Abtretungen oder eines Teils derselben sollte der ganze betreffende Forderungsausstand als mitangemeldet gelten. Die Abtretungen a) und b) waren am 11. April 1956, die Abtretung c) am 14. desselben Monats erfolgt.
B.-
Die Geschäftsverbindung des Schuldners mit der Firma Scheuch & Adler AG bestand seit dem Sommer 1953. Er bezog von ihr vom 3. Juli 1953 bis Mitte Dezember 1955 Waren für etwa Fr. 220'000.--. Gewöhnlich leistete er jeden Monat Zahlungen, so dass die Rechnungen in der Regel binnen 60 Tagen beglichen waren, sei es durch Barzahlung oder Check, gelegentlich durch Wechselakzept oder (in der erwähnten Zeitspanne etwa für insgesamt Fr. 20'000.--) durch Abtretung von Kundenguthaben. Kredit beschaffte sich der Schuldner namentlich bei der Finanz AG, Zürich, durch Abtretung seiner Rechte aus den mit seinen Kunden abgeschlossenen Teilzahlungs-Kaufverträgen. Laut dem sog. Rahmenvertrag diskontierte ihm die Finanz AG in der Regel etwa 90% der ihr abgetretenen restlichen Kaufpreisforderungen, während die übrigen 10% zurückbehalten und ihm auf dem sog.
BGE 85 III 193 S. 195
Depotkonto gutgeschrieben wurden. Sie waren ihm auszuzahlen, "wenn die volle zedierte Restkaufpreisforderung inkl. aller Nebenkosten bei der AG eingegangen sind." Angesichts des angewachsenen Schuldkontos bei der Firma Scheuch & Adler AG trat ihr Schilliger am 23. Februar 1954 "als Sicherstellung" seine Ansprüche aus dem damals Fr. 6464.-- betragenden Depotkonto bei der Finanz AG ab. Diese Firma wies die Zessionarin darauf hin, dass jener Betrag zunächst ihr selbst hafte, und umschrieb die Wirkungen der Zession wie folgt:
"Allfällig in Zukunft frei werdende Beträge werden wir somit nicht ausbezahlen, sofern wir nicht im Besitz Ihrer Zustimmung hierfür sind."
Diese Zession blieb bestehen, bis sie am 11. April 1956 durch die oben erwähnte Abtretung a) ersetzt wurde, als deren Gegenstand man "Fr. 30 000.-- aus dem ... Depotkonto" bezeichnete. Die Finanz AG wies in einem Brief an die Zessionarin darauf hin, dass das Depot-Konto dieses Kreditnehmers bis zum Betrage von Fr. 30'000.-- als Sicherheit für den richtigen Eingang der Zahlungen aus den ihr selbst zedierten Kaufverträgen bestehen bleibe. "Allfällig, unter Vorbehalt des Rahmenvertrages, in Zukunft frei werdende Beträge werden somit direkt an Sie ausbezahlt."
Sowohl diese Abtretung wie auch die Abtretungen b) und c) waren dadurch veranlasst, dass die Firma Scheuch & Adler wegen des hohen Schuldsaldos Schilligers auf Zahlung gedrängt hatte. Der von Schilliger am 25. Januar 1956 auf den 1. März 1956 ausgestellte Check von Fr. 14'290.--, den die Firma Scheuch & Adler AG ein paar Tage nach Verfall einlösen konnte, saldierte die Rechnungen aus der Zeit vor dem 8. November 1955; die Begleichung der neueren Rechnungen stand aus. Nach Einlösung des Checks lieferte die Firma Scheuch & Adler AG dem Schuldner noch Waren für etwa Fr. 8000.-- auf Kredit, so gegen Ende März 1956 durch Vermittlung der UTO-Möbel G.m.b.H. einen Geschirrschrank, den sie
BGE 85 III 193 S. 196
dieser Zwischenlieferantin mit Fr. 863.90 gutschrieb. Nach dem 3. April 1956 lieferte sie dem Schuldner dagegen nur mehr gegen Bar- oder Vorauszahlung. Er erklärte, die für die beträchtliche Schuldsumme verlangte Zahlung zur Zeit nicht leisten zu können, da in seinen Lieferungen an die Kundschaft Verschiebungen und Verzögerungen eingetreten seien. Dafür bot er die Zessionen an. Als der Prokurist der Firma Scheuch & Adler AG, David Salis, in der zweiten Hälfte April bei ihm vorsprach und neuerdings Zahlungen für die ausstehenden Verbindlichkeiten verlangte, gab ihm Schilliger Einblick in Aufstellungen, die er als Unterlagen für ein Gesuch um Nachlassstundung zu verwenden gedachte: Wareninventare, Inventar des Betriebsmobiliars, Liste der "pendenten" Kaufverträge. Die Nachlassstundung wurde ihm verweigert, und es kam zur Konkurseröffnung. Nach den Feststellungen des Konkursamtes standen den Aktiven von Fr. 56'100.-- Passiven von Fr. 402'149.40 gegenüber.
C.-
Mit Vorstandsbegehren vom 22. November 1956 focht die Konkursmasse des Alois Schilliger die drei Abtretungen an und zwar die Abtretung a) gemäss Art. 287 Abs. 1 Ziff. 1, eventuell Ziff. 2, subventuell gemäss
Art. 288 SchKG
, die Abtretungen b) und c) gemäss Art. 287 Abs. 1 Ziff. 2, eventuell gemäss
Art. 288 SchKG
.
E.-
Die kantonalen Gerichte haben die Klage abgewiesen. Mit vorliegender Berufung hält die Konkursmasse an ihren Begehren fest.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.
Gegenüber allen drei Zessionen beruft sich die Klägerin in erster Linie auf
Art. 287 SchKG
. Die Zession a) fällt nach ihrer Ansicht unter Abs. 1 Ziff. 1 dieser Norm ("Begründung eines Pfandrechtes zur Sicherung bereits bestehender Verbindlichkeiten..."), eventuell unter die - gegenüber den Zessionen b) und c) einzig angerufene - Ziff. 2 daselbst ("Tilgung einer Geldschuld auf andere
BGE 85 III 193 S. 197
Weise als durch Barschaft oder durch anderweitige übliche Zahlungsmittel"). Es ist festgestellt, dass Schilliger, als er die angefochtenen Zessionen vornahm, bereits überschuldet war. Über den Anfechtungsgrund der soeben angeführten Ziff. 1 geht das Obergericht hinweg. Es beurteilt die Anfechtung aller drei Zessionen, soweit Art. 287 in Frage steht, nur nach der erwähnten Ziff. 2, also unter dem Gesichtspunkt von Tilgungsgeschäften. Diese Betrachtungsweise erweckt Bedenken. Von (erfolgter) Tilgung spricht man in der Regel nur bei Rechtshandlungen, die (sei es auch unter gewissen Vorbehalten) als Erfüllung oder vollwertiger Erfüllungsersatz gelten, so dass es (normalerweise) keiner weitern Leistung bedarf. Unter die erwähnte Ziff. 2 fallen daher Sachleistungen (Eigentumsübertragungen) wie auch Forderungszessionen "an Zahlungsstatt", dagegen nicht ohne weiteres auch Zessionen "zahlungshalber", die zwar einen zur Zahlung führenden Weg darstellen (vgl.
Art. 172 OR
), aber einstweilen nur als Tilgungsversuch gelten und daher dem Schuldner nicht sogleich, sondern nach Massgabe ihres künftigen Ertrages als Erfüllung gutgeschrieben zu werden pflegen. So ist denn auch die Beklagte vorgegangen. In der Literatur wird freilich, in Anlehnung an
BGE 38 II 724
= Sep.-Ausg. 15 S. 471, auch die Abtretung zahlungshalber der in Frage stehenden Ziff. 2 unterstellt (vgl. JAEGER/DAENIKER, N. 9 A zu Art. 287; BRAND, Anfechtungsklage, in der Schweizerischen juristischen Kartothek Nr. 742, III, B, 2, b). Das erwähnte Präjudiz will aber keinen allgemeinen dahingehenden Grundsatz aufstellen. Es hat nur die Übergabe von Wechseln im Auge, indem es (auf S. 727 der Amtlichen Sammlung = S. 474 der Separatausgabe) ausführt, bei der Annahme von Wechseln und wechselähnlichen Papieren pflege man im Geschäftsverkehr dem Unterschied zwischen einer Übergabe an Zahlungsstatt und einer Übergabe zahlungshalber entweder überhaupt keine Beachtung zu schenken oder doch keine wesentliche Bedeutung beizumessen, weil dem Nehmer eines solchen
BGE 85 III 193 S. 198
Papiers in beiden Fällen bei Nichtzahlung der Rückgriff auf den Aussteller oder den Remittenten zustehe. Diese Erwägungen lassen sich nicht auf die Abtretung irgendwelcher Forderungen zahlungshalber übertragen. Bei den vorliegenden Abtretungen an die Beklagte sollte übrigens wohl nicht einmal die mit einer Abtretung zahlungshalber gewöhnlich verbundene aufschiebende Einrede gegenüber persönlicher Belangung des Schuldners (vgl. VON TUHR, OR § 56, II) gelten. Es wurden eben erst in Zukunft fällige, ratenweise über einen längern Zeitraum hin zu tilgende Forderungen (so bei den Zessionen b) und c)) abgetreten, bzw. Gegenstand der Abtretung waren aufschiebend bedingte, ungewiss ob und wann frei werdende Guthaben (so bei der Zession a) aus dem vorerwähnten Depotkonto). Wie der Geschäftsführer der Finanz AG bezeugt hat, waren Auszahlungen aus diesem Konto weder am 11. April 1956 fällig noch auch nur in absehbarer Zeit zu erwarten. Dem entspricht es, dass die Beklagte sich durch die Zessionen vom 11. und 14. April 1956 nicht davon abhalten liess, gleich in der zweiten Hälfte des nämlichen Monats neuerdings auf Zahlung der Rückstände zu drängen. Derartige Zessionen unsicherer zukünftiger Guthaben als Tilgungen im Sinne von
Art. 287 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
zu betrachten, geht nicht wohl an. In erster Linie kam ihnen jedenfalls die Bedeutung einer Sicherstellung zu. Daher ist vorweg Ziff. 1 der in Frage stehenden Anfechtungsnorm anzuwenden, die, wie die Rechtsprechung längst anerkennt, nicht nur Pfandbestellungen, sondern auch andere auf dingliche Sicherstellung gerichtete Rechtshandlungen treffen will (vgl.
BGE 38 II 728
= Sep. Ausg. 15 S. 475,
BGE 57 III 142
). Da diese Zessionen neben der sofort zu bietenden Sicherheit allenfalls in Zukunft auch Tilgung verschaffen sollten, kann man sich allerdings fragen, ob von den Anfechtungsgründen des Art. 287 auch Ziff. 2 zutreffe. Es mag offen bleiben, ob dieser Anfechtungsgrund auch Rechtshandlungen erfasse, die in so unsicherer Weise wie die vorliegenden
BGE 85 III 193 S. 199
auf zukünftige Tilgung abzielen. Wird dies bejaht, so sind einfach die beiden Anfechtungsgründe zugleich (mit den für jeden von ihnen geltenden Vorbehalten) zu bejahen. Keineswegs liesse es sich rechtfertigen, deshalb, weil sich die angefochtenen Rechtshandlungen nicht eindeutig nur der einen der angerufenen Ziffern unterstellen lassen, Art. 287 nun überhaupt nicht anzuwenden. Diese Norm will (gegenüber der auf Rechtshandlungen jeder Art anwendbaren Vorschrift des Art. 288) die Anfechtung bestimmter Rechtshandlungen erleichtern: derjenigen Rechtshandlungen nämlich, die der Schuldner im Zustande der Überschuldung in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung vorgenommen hat und die auf eine von der ihm obliegenden Verbindlichkeit abweichende ("inkongruente") Deckung abzielen, sei es im Sinne der Sicherstellung (Ziff. 1) oder des Erfüllungsersatzes (Ziff. 2) oder der vorzeitigen Leistung (Ziff. 3). Liegt, wie hier, eine in doppelter Hinsicht, sowohl gemäss Ziff. 1 wie auch gemäss Ziff. 2, inkongruente Deckung vor, so muss die "Überschuldungspauliana" des
Art. 287 SchKG
(die sich nach der Eigenart der von ihr betroffenen Rechtshandlungen auch als "Deckungspauliana" benennen liesse) um so mehr Platz greifen.
4.
Angesichts des überwiegenden Sicherungscharakters der vorliegenden Zessionen kann der im Sinne von
Art. 287 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
erhobene Einwand, es habe sich um "übliche Zahlungsmittel" gehandelt, von vornherein nicht durchdringen. Er erweist sich im übrigen, auch wenn man diese Ziff. 2 allein ins Auge fasst, entgegen der vorinstanzlichen Entscheidung als unzutreffend. Auch wenn man nämlich einerseits dem Begriff der "Tilgung einer Geldschuld" blosse Tilgungsversuche, welche die Schuld nicht sogleich zum Erlöschen bringen, wie namentlich die Abtretung von Forderungen zahlungshalber, mitunterstellt, lässt sich anderseits grundsätzlich der Begriff des "üblichen Zahlungsmittels" nicht auf derartige nur auf mittelbare Tilgung angelegte Ersatzübertragungen
BGE 85 III 193 S. 200
ausdehnen. Vielmehr ist eine Abtretung zahlungshalber, sofern überhaupt "Tilgung", in aller Regel eben als Tilgung "auf andere Weise als durch Barschaft oder durch anderweitige übliche Zahlungsmittel" zu betrachten, also gemäss dieser Norm anfechtbar. Als "übliche Zahlungsmittel" ("valeurs usuelles", "mezzi usuali di pagamento") können nur Leistungen gelten, die üblicherweise barem Gelde gleichgeachtet werden. Freilich fällt nicht nur in Betracht, was jedermann wie bare Münze anzunehmen pflegt (namentlich Banknoten). Es genügt eine am betreffenden Ort oder in den Gewerbekreisen, denen die Beteiligten angehören, übliche Zahlungsweise, sofern nicht etwa in ihren persönlichen Geschäftsbeziehungen abweichende Gepflogenheiten bestehen ("Orts- und Brancheüblichkeit"; vgl. BLUMENSTEIN, Handbuch S. 882/3; JAEGER, N. 9 B zu Art. 287). Diese Auslegung nimmt Rücksicht auf den weit verbreiteten bargeldlosen Zahlungsverkehr (durch Postcheck- und Bankgiro) wie auch auf die besondern Gebräuche bestimmter Gewerbe, in denen üblicherweise gewisse Arten von Kundenguthaben an Zahlungsstatt angenommen werden. So pflegt manchenorts im Baugewerbe der Unternehmer seine Forderung an den Bauherrn den Handwerkern als "Zahlung" abzutreten (vgl. BRAND, SJK Nr. 742 S. 6: III B b; BlZR 33 Nr. 127; auch Übertragung leicht verkäuflicher Wertpapiere, allenfalls eines Schuldbriefs, kann als übliche "Zahlungsweise" in Betracht kommen; vgl.
BGE 74 III 58
/59). Einer blossen Abtretung oder Anweisung zahlungshalber ist dagegen der Charakter eines "üblichen Zahlungsmittels" in aller Regel nicht zuzuschreiben. Es handelt sich jedenfalls bei den vorliegenden Abtretungen - abgesehen vom Sicherungszweck, der die Beklagte nicht hinderte, weiterhin jederzeit eigentliche Zahlung zu verlangen, sobald der Schuldner dazu in der Lage wäre - um ein blosses Surrogat, dem nicht die Bedeutung einer präsenten Zahlung zukommen sollte. Dieser mit Rücksicht auf das Ausstehen eines beträchtlichen Schuldbetrages gewählte Notbehelf
BGE 85 III 193 S. 201
war keine ordentliche, gewöhnliche, im Möbelgrosshandel allgemein übliche oder unter den beteiligten Kaufleuten, also zwischen der Beklagten und Schilliger, in Brauch gekommene Zahlungsweise. Schon die frühere Abtretung eines Guthabens aus dem Depotkonto bei der Finanz AG hatte zur Sicherstellung einer stark angewachsenen Schuldsumme gedient, und nur ein geringer Bruchteil der Verbindlichkeiten war aus abgetretenen Kundenguthaben gedeckt worden.
Die von der Vorinstanz eingeholten Gutachten rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Was für Bräuche im Möbelhandel bestehen, ist zwar Tatfrage. Ob jedoch die Abtretung von Forderungen, wie sie nach Veranlassung und Häufigkeit in diesem Gewerbekreise vorkommt, als "übliches Zahlungsmittel" im Sinne von
Art. 287 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
zu gelten habe, ist eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage, nämlich Frage der Auslegung der erwähnten gesetzlichen Norm und der Beurteilung tatsächlicher Vorgänge unter dem Gesichtspunkt dieser Rechtsnorm, also "rechtliche Beurteilung einer Tatsache" im Sinne von
Art. 43 Abs. 4 OG
(vgl. im übrigen zur Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen bei Anwendung von
Art. 287 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG
: BRAND, SJK Nr. 743 S. 7: IV, 2 c, cc). Nun führt der Gutachter F. Moser aus, es seien weniger als 20 Prozent der Möbeldetaillisten, die ihre Teilzahlungs-Kaufverträge ganz oder teilweise als Zahlungsmittel an die Möbelfabrikanten zedieren. Ein Zürcher Grossunternehmen des Möbelhandels habe erklärt, es nehme solche Zessionen als Zahlungsmittel nur in Ausnahmefällen an, "wenn es absolut nicht anders gehe". Bisweilen verlange der Grosshändler oder Fabrikant die Abtretung von Teilzahlungs-Kaufverträgen, wenn ihm "die Zahlungsfähigkeit des Verkäufers nicht genügt bzw. keine Sicherheit vorhanden ist", somit als Notbehelf. Die Möbelfabrikanten und die Grossisten des Möbelhandels seien für die Übernahme von Abzahlungskaufverträgen "an Stelle von Bargeld"
BGE 85 III 193 S. 202
nicht vorbereitet. Auch im Betrieb der beklagten Firma dürfte es sich nach Ansicht des Experten "um Ausnahmen und Einzelfälle handelt", ansonst sie gezwungen wäre, sich bessere Deckungen und Sicherheiten geben zu lassen. Nach alldem können Abtretungen von Kundenguthaben keineswegs als "übliches Zahlungsmittel" zur Begleichung von Lieferantenschulden des Kleinhändlers gelten. Ohne sich auf andere tatsächliche Unterlagen zu stützen, hält freilich der andere Gutachter, J. Ströbel, dafür, "dass diese Zahlungsart ohne weiteres heute schon als üblich betrachtet werden darf". Seine Ausführungen - sein Hinweis auf die schwierige Lage der mittleren Möbelhändler, die danach trachten, die immer häufiger werdenden Abzahlungsverträge mit ihren Kunden "in flüssige Mittel umzuwandeln" - beruhen jedoch auf einer Verkennung des Begriffs des (der Barzahlung gleichzuachtenden) "üblichen Zahlungsmittels". Daraus, dass sich "schon heute verschiedene Möbelhändler vorstellen", der Fabrikant müsse (statt mit Hilfe einer Bank oder eines andern Finanzierungsinstitutes bar bezahlt zu werden) zu solcher Abwicklung der Verbindlichkeiten Hand bieten, und es seien "die Anfänge bereits in einem beachtlichen Umfange gemacht worden", folgt nichts, was es rechtfertigen würde, die Abtretung von Guthaben aus Abzahlungsverträgen des Charakters der "Tilgung einer Geldschuld auf andere Weise als durch Barschaft oder anderweitige übliche Zahlungsmittel" zu entkleiden und diese Rechtshandlung speziell im Verhältnis zwischen dem Fabrikanten oder Grosshändler und dem Kleinhändler des Möbelgewerbes als Zahlungsmittel, das üblicherweise wie Barschaft angenommen würde, zu betrachten. Vollends stellte die Abtretung des Guthabens aus dem Depotkonto bei der Finanz AG, woraus nur allenfalls in Zukunft irgendwelche nicht zum voraus bestimmbare Beträge frei werden konnten, keine präsente Zahlung dar.
5.
Der Entlastungbeweis nach
Art. 287 Abs. 2 SchKG
ist nicht erbracht....
BGE 85 III 193 S. 203
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, die Ziffern 1, 3 und 4 des Rechtsspruchs des Urteils des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 7. April 1959 werden aufgehoben, und folgende Rechtshandlungen des Gemeinschuldners Alois Schilliger werden gemäss
Art. 285 ff. SchKG
anfechtbar erklärt:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Beklagte wird verpflichtet, die ihr abgetretenen Rechte auf die Klägerin zu übertragen, dieser die darauf bezüglichen Urkunden, namentlich die Originalkaufverträge zwischen Alois Schilliger und den Drittschuldnern laut lit. b) und c) hievor, auszuhändigen und ihr die von den Drittschuldnern geleisteten Zahlungen zu erstatten. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d5130ddb-dfe2-4e8b-bbe9-e9e4d5c3498d | Urteilskopf
109 IV 121
33. Urteil des Kassationshofes vom 30. Mai 1983 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 204, 58 Abs. 4 StGB
; unzüchtige Veröffentlichung, Ersatzforderung des Staates.
1. Eine zurückhaltende Anwendung des
Art. 204 Ziff. 1 StGB
ist nur für diejenigen Fälle angezeigt, die nicht unter die eigentliche Pornographie fallen (E. 1).
2. Soweit die Einziehung der unzüchtigen Gegenstände nicht mehr möglich ist, steht dem Staat eine Ersatzforderung in der Höhe des Bruttoertrages aus dem "Pornohandel" zu (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 109 IV 121 S. 121
A.-
I. betreibt seit Ende Juni 1979 in S. ein und seit Anfang Oktober 1979 in Z. zwei weitere Geschäfte, in denen er Sexartikel, insbesondere pornographische Filme, Kassetten, Magazine und Bücher sowie künstliche Geschlechtsteile und andere Manipulierinstrumente zum Verkauf anbot. Auch wurden in seinen Ladenlokalen pornographische Filme vorgeführt. Die Erzeugnisse bezog I. grösstenteils aus dem Ausland und lagerte sie ausser in den drei Geschäften an seinem Wohnort in A. sowie vorübergehend in einem Lokal in B. Von Ende Juni 1979 bis Ende Dezember 1980 erzielte I. aus dem von ihm betriebenen Pornohandel einen Bruttoertrag
BGE 109 IV 121 S. 122
von Fr. 377'000.-- und einen Nettogewinn von mindestens Fr. 38'400.--.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte I. am 19. November 1982 wegen fortgesetzter unzüchtiger Veröffentlichung im Sinne von
Art. 204 Ziff. 1 StGB
zu einer Busse von Fr. 7'000.--. Es verpflichtete ihn überdies, vom deliktisch erlangten Vermögensvorteil den Betrag von Fr. 250'393.-- an den Kanton Zürich abzuliefern, und beschloss die Einziehung der von der Bezirksanwaltschaft am 1. Juli 1980 und 8. Januar 1982 sichergestellten Gegenstände sowie die Verwertung der Projektoren samt Zubehör und Zuleitung des Erlöses an die Staatskasse bzw. die Vernichtung des übrigen Materials.
C.-
I. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Urteil und Beschluss des Obergerichts Zürich seien aufzuheben und es sei die Sache zu seiner Freisprechung und zur Freigabe der beschlagnahmten Gegenstände an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Was I. auf den Seiten 6 bis 20 seiner Rechtsschrift vorbringt, ist nichts anderes als die wörtliche Wiedergabe der Ausführungen seines Verteidigers vor Obergericht. Das auf den Seiten 21 bis 24 als "persönliche und spontane Äusserungen des Beschwerdeführers zu einzelnen vorinstanzlichen Argumenten" Vorgetragene erschöpft sich teils in tatsächlichen Behauptungen oder Bestreitungen (z.B. den Vorsatz), wofür in der Nichtigkeitsbeschwerde kein Raum ist, teils in der Wiederholung vom Verteidiger in anderer Form schon im kantonalen Verfahren erhobener Einwendungen. Soweit sie rechtlicher Natur sind, betreffen sie zur Hauptsache die Begriffe des Unzüchtigen und des Öffentlichen. Mit allen diesbezüglichen Vorbringen haben sich jedoch die kantonalen Instanzen eingehend befasst. Da ihre Erwägungen den von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für die Auslegung jener Rechtsbegriffe ausgebildeten Kriterien folgen (insbes.
BGE 100 IV 236
,
BGE 96 IV 68
E. 2,
BGE 89 IV 134
E. 4) und kein Anlass besteht, von der bisherigen Praxis abzugehen, ist die Beschwerde insoweit unter Verweisung auf die Gründe der Vorinstanz zu verwerfen.
Ergänzend sei lediglich vermerkt, dass der im Gesetz enthaltene Begriff des Unzüchtigen ein normativer Begriff ist (
BGE 103 IV 97
E. 2b,
BGE 99 IV 59
E. 1b), der seiner Natur nach wertender Auslegung durch den Richter bedarf. Indem dieser einen solchen Begriff nach Sinn und Zweck der Norm auslegt, überschreitet er keineswegs
BGE 109 IV 121 S. 123
seine Kompetenz und masst sich nicht widerrechtlich Befugnisse des Gesetzgebers an (s.
BGE 98 Ib 481
).
Der Einwand, die Begriffe des Unzüchtigen und des Öffentlichen befänden sich nicht unter den Legaldefinitionen des
Art. 110 StGB
, ist unbehelflich. Es gibt im StGB zahlreiche Begriffe, die in
Art. 110 StGB
nicht umschrieben sind, dennoch aber zu ihrer Anwendung der Auslegung durch den Richter bedürfen. Gegen
Art. 1 StGB
verstösst der Richter nur, wenn er in freier Rechtsfindung einen neuen Straftatbestand schafft, nicht aber, wenn er einen im Strafgesetz enthaltenen Begriff auslegt, mag es sich dabei auch um extensive Auslegung handeln (
BGE 103 IV 129
,
BGE 95 IV 73
).
Im Rahmen des
Art. 204 StGB
hat der Kassationshof übrigens nicht schlechthin eine zurückhaltende Anwendung des Gesetzes nahegelegt, sondern dies nur für Fälle gefordert, "die nicht unter die eigentliche Pornographie fallen" (
BGE 96 IV 71
oben; s. auch
BGE 97 IV 101
). Entsprechend ist denn auch die Toleranzgrenze nur dort etwas weiter zu ziehen, wo es sich um Grenzfälle handelt (
BGE 100 IV 236
). Das jedoch trifft hier in keiner Weise zu. Geht man von den Beschreibungen der beschlagnahmten Bücher, Schriften, Filme und Gegenstände durch die Polizei aus, so kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, dass es sich um Pornographie, ja zum überwiegenden Teil um harte Pornographie handelt. Der Beschwerdeführer und seine Gehilfen hatten denn auch beispielsweise vor den Zollbehörden ohne weiteres anerkannt, dass sie pornographisches Material eingeführt hatten, und vor erster Instanz hatte sich I. ausdrücklich auf den Standpunkt gestellt, sogenannte Pornographika entsprächen einem menschlichen Urbedürfnis, das er mit seinem Handel befriedige (vgl. Urteil des Kassationshofes vom 16.12.1977 i.S. W. und Kons.).
2.
Bleibt es aber bei der Verurteilung des Beschwerdeführers nach
Art. 204 StGB
, dann war auch die Einziehung als notwendige Voraussetzung der in
Art. 204 Ziff. 3 StGB
obligatorisch vorgesehenen Vernichtung der unzüchtigen Gegenstände geboten (
BGE 97 IV 100
E. 2a). Soweit aber diese Einziehung nicht mehr möglich war, weil der Beschwerdeführer die unzüchtigen Schriften usw. bereits abgesetzt hatte, ist die Vorinstanz mit Recht gemäss
Art. 58 Abs. 4 StGB
verfahren; nach dieser Bestimmung steht nämlich dem Staat gegen denjenigen, der durch die einzuziehenden Gegenstände oder Vermögenswerte einen unrechtmässigen Vorteil erlangt hat und bei dem sie einzuziehen gewesen wären, eine Ersatzforderung in der Höhe des unrechtmässigen Vorteils zu. In
BGE 109 IV 121 S. 124
Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hat das Obergericht diesen Vorteil in casu im Bruttoertrag aus dem von I. in der fraglichen Zeit betriebenen "Pornohandel" gesehen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde mit dem Einwand, Vorteil könne nur sein, was aus Geschäften netto hervorgehe, und eine extensive Auslegung gegen den üblichen Sprachgebrauch sei unzulässig.
a) Der Gesetzestext ist wohl Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung. Selbst der klare Wortlaut bedarf aber der Auslegung, wenn er vernünftigerweise nicht den wirklichen Sinn des Gesetzes wiedergibt. Massgeblich ist nicht der Buchstabe, sondern der Sinn der Norm, wie er sich aus den ihr zugrundeliegenden Zwecken und Wertungen ergibt (
BGE 95 IV 73
E. 3a).
b) Wie der Kassationshof in
BGE 103 IV 143
grundsätzlich entschieden hat, erlaubt nichts die Annahme, es könnten von den nach
Art. 58 Abs. 1 StGB
einzuziehenden Vermögenswerten die Gewinnungskosten abgezogen werden. Da aber der Gesetzgeber mit dem Erlass von Absatz 4 der genannten Bestimmung denjenigen, der die an sich einzuziehenden Gegenstände nicht mehr besitzt, demjenigen gleichstellen wollte, der sie noch hat (
BGE 106 IV 337
E. 3b, 104 IV 5 E. 2), widerspräche es der ratio legis, dem ersteren bei Bemessung des an den Staat zu leistenden Ersatzes die Gewinnungskosten in Abzug zu bringen, dem letzteren aber den vollen Vermögenswert zu konfiszieren. So entscheiden hiesse den bevorzugen, welcher, schlau die Rechtslage ausnützend, den erlangten Vermögensvorteil möglichst schnell verbraucht, um dem Zugriff des Staates zuvorzukommen. Diese Folge kann nur vermieden werden, wenn die Einziehung unabhängig davon ausgesprochen wird, ob der Täter zur Zeit des Urteils noch bereichert ist oder nicht (SCHULTZ, ZBJV 112/1976 S. 441). Diese Lösung erscheint jedenfalls immer dann als unbedenklich, wenn der vom Täter erlangte Vorteil die Frucht einer unrechtmässigen Handlungsweise ist. Das aber war hier der Fall. I. hatte zugestandenermassen die pornographischen Schriften und Gegenstände gekauft, um sie entgegen dem Verbot des
Art. 204 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
in Verkehr zu bringen. Indem er mit deren Verkauf seine Auslagen wieder einbrachte, verschaffte er sich Deckung für einen Betrag, welchen er in Durchführung eines sittenwidrigen Geschäfts ausgegeben hatte.
Art. 58 StGB
verbaut ihm den Weg dazu, diesen Betrag erlaubterweise wieder zu erhalten (s. auch SCHULTZ, a.a.O. S. 440 unten). In der dennoch erlangten Deckung liegt der unrechtmässige Vorteil.
BGE 109 IV 121 S. 125
c) Dass die auf Fr. 250'393.-- bemessene Ersatzforderung des Staates (das Obergericht hatte diese aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht auf den erst in seiner Instanz ermittelten höheren Bruttoertrag von Fr. 337'000.-- festlegen können) seine Wiedereingliederung erheblich erschweren würde, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Es stellt sich deshalb die Frage nicht, ob allfällige Zahlungserleichterungen zu gewähren seien (
BGE 105 IV 22
E. 1a) oder die Ersatzforderung ermässigt werden müsse (
BGE 106 IV 10
). Schliesslich ist die Massnahme auch sonst nicht unverhältnismässig; denn abgesehen davon, dass
Art. 58 Ziff. 4 StGB
die Abschöpfung obligatorisch vorsieht und damit dem Ermessen des Richters ausser in den vorgenannten Fällen keinen Raum gibt, wurde die Ersatzforderung in casu aufgrund einer Buchexpertise bemessen, die einen Bruttoertrag von Fr. 337'000.-- ergab.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d51c34b6-c295-4347-8384-584c8aba7445 | Urteilskopf
123 III 129
22. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour civile du 13 février 1997 dans la cause dame D. contre L. AG (recours en réforme) | Regeste
Gesamtarbeitsvertrag (GAV): personeller Anwendungsbereich der normativen Bestimmungen; Tragweite einer Gleichbehandlungsklausel (
Art. 357 Abs. 1 OR
).
Eine Klausel eines GAV, welche die beteiligten Arbeitgeber verpflichtet, die normativen Bestimmungen auf alle Arbeitnehmer anzuwenden, unabhängig davon, ob diese Mitglieder einer dem GAV angeschlossenen Gewerkschaft sind, verleiht dem nicht organisierten Arbeitnehmer keine zivilrechtlichen Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3a, b und d). Möglichkeit, die normativen Bestimmungen eines GAV in den Einzelarbeitsvertrag aufzunehmen (E. 3c).
Schutz der Persönlichkeit des Arbeitnehmers (
Art. 328b OR
; Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz; DSG).
Der Arbeitgeber darf sich nach dem Abschluss des Arbeitsvertrags über die Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers erkundigen, um festzustellen, ob dessen Lohn nach den Vorschriften des vom Arbeitgeber unterzeichneten GAV festgesetzt werden muss (E. 3b/cc). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 123 III 129 S. 130
A.-
La société L. AG (ci-après: L.) a engagé D. pour travailler comme vendeuse qualifiée, dès le 1er décembre 1986, dans le magasin qu'elle exploite à Genève. Le dernier salaire mensuel brut, versé treize fois par an à l'employée, se montait à 2'725 fr. Le contrat de travail liant les parties prévoyait, entre autres stipulations, une participation à l'assurance maladie "selon convention collective". Il a été résilié par L. pour le 30 novembre 1994, mais son échéance a été reportée au 31 décembre 1994 après intervention de l'avocat de l'employée, qui avait invoqué les conditions générales de travail du commerce de détail non alimentaire applicables à Genève.
BGE 123 III 129 S. 131
B.-
Par demande du 1er décembre 1994, D. a assigné L. en paiement d'un montant total de 52'666 fr.65, intérêts en sus, représentant la différence entre le salaire minimum prévu par la convention collective de travail de la branche considérée et celui qu'elle avait effectivement perçu de 1989 à 1994. En cours de procès, elle a réduit ladite conclusion à 44'254 fr.20 et a réclamé, en outre, le paiement de 1'533 fr. à titre de perte sur l'indemnité de chômage.
Le Tribunal des prud'hommes du canton de Genève a rejeté la demande par jugement du 18 mai 1995 que la Chambre d'appel des prud'hommes a confirmé par arrêt du 2 avril 1996.
C.-
La demanderesse interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut, principalement, à l'annulation de l'arrêt de la Chambre d'appel et à la condamnation de la défenderesse au paiement de 44'254 fr.20, à titre d'arriérés de salaire pour la période allant de décembre 1989 à fin 1994, et de 1'195 fr.05, à titre de perte sur l'indemnité de chômage, le tout avec intérêts. Subsidiairement, la demanderesse sollicite le renvoi de la cause à la Chambre d'appel.
La défenderesse conclut principalement à l'irrecevabilité du recours et, subsidiairement, à la confirmation de l'arrêt attaqué.
Le Tribunal fédéral rejette le recours, dans la mesure où il est recevable, et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) Selon l'
art. 357 al. 1 CO
, les clauses normatives de la convention collective de travail n'ont en principe d'effet qu'envers les employeurs et travailleurs qu'elles lient, c'est-à-dire les employeurs qui sont personnellement parties à la convention, les employeurs et les travailleurs qui sont membres d'une association contractante (
art. 356 al. 1 CO
), ou encore les employeurs et les travailleurs qui ont déclaré se soumettre individuellement à la convention (
art. 356b al. 1 CO
). La convention peut toutefois être étendue aux tiers en vertu de la loi fédérale du 28 septembre 1956 permettant d'étendre le champ d'application de la convention collective de travail (RS 221.215.311); dans cette hypothèse, ses clauses s'appliquent également aux employeurs et travailleurs auxquels elle est étendue. En dehors de ces cas, les rapports entre parties sont régis par le contrat individuel et la loi, éventuellement par un contrat-type de travail, mais pas par la convention collective (
ATF 102 Ia 16
consid. 2c). La situation est-elle différente lorsque la convention collective de travail contient une clause faisant obligation aux employeurs liés par elle d'appliquer ses dispositions normatives à tous leurs
BGE 123 III 129 S. 132
employés, qu'ils soient membres d'une association de travailleurs ou non (clause d'égalité de traitement ou clause d'extension)? Dans son arrêt Stähli, du 2 mars 1955, le Tribunal fédéral a répondu à cette question par la négative, en précisant que les travailleurs non organisés ne sauraient déduire d'une telle clause aucune prétention civile à l'encontre de leur employeur, lequel n'engage sa responsabilité qu'envers les parties à la convention collective de travail s'il viole semblable clause (
ATF 81 I 1
consid. 4). L'opinion exprimée dans cet arrêt, qui est du reste toujours d'actualité (cf., par ex., la décision cantonale publiée in: Jahrbuch des schweizerischen Arbeitsrechts [JAR] 1996 p. 306 ss), est approuvée par la quasi-unanimité des auteurs qui se sont penchés sur le problème (voir, parmi d'autres: REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 13e éd., p. 210, ch. 2; le même, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Bâle [ci-après: Commentaire bâlois], Obligationenrecht I, 2e éd., p. 1885, n. 9 ad
art. 357 CO
; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, in: Schweizerisches Privatrecht, VII/1, iii, p. 276/277, ch. 4a; le même, in: Commentaire zurichois, n. 16 ad
art. 356b CO
; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5e éd., n. 4 ad
art. 356b CO
; KUHN, Aktuelles Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, vol. 6, part. 17, chap. 13, p. 3; TERCIER, Les contrats spéciaux, 2e éd., p. 398, n. 3220; SCHWEINGRUBER/BIGLER, Kommentar zum Gesamtarbeitsvertrag, 3e éd., p. 33, dernier §; BOIS, Le champ d'application des conventions collectives de travail, in: Stabilité et dynamisme du droit dans la jurisprudence du Tribunal Fédéral Suisse, 1975, p. 443 ss, 445 ch. 7 et 449 ch. 19 et 21; STÖCKLI, Der Inhalt des Gesamtarbeitsvertrages, p. 29/30, let. b; ZUMBRUNN, Die normativen Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages im System des schweizerischen Arbeitsrechts - ein Vergleich unter Berücksichtigung des deutschen Rechts, thèse Bâle 1983, p. 82; ANNAHEIM-BÜTTIKER, Die Stellung des Aussenseiter-Arbeitnehmers im System des Gesamtarbeitsvertragsrechts, thèse Bâle 1990, p. 11, let. d; KREIS, Der Anschluss eines Aussenseiters an den Gesamtarbeitsvertrag, thèse Berne 1973, p. 46/47, ch. 2).
b) Les différents arguments avancés par la demanderesse pour étayer sa requête visant à une modification du principe posé dans l'arrêt Stähli, précité, ne sont pas de nature à emporter la conviction du Tribunal fédéral quant à la nécessité d'un changement de sa jurisprudence en la matière.
aa) Pour l'essentiel, la demanderesse soutient que cette jurisprudence a vu le jour dans un contexte social différent de celui d'aujourd'hui et qu'elle n'est donc plus adaptée à la réalité économique
BGE 123 III 129 S. 133
contemporaine. Force est de souligner d'emblée qu'elle n'a pas soulevé pareil argument devant la Chambre d'appel. En soi, cette circonstance ne s'opposerait pas à l'examen de ce nouvel argument par la juridiction fédérale de réforme. Encore faudrait-il qu'il s'appuyât sur des faits ayant été constatés par la dernière autorité cantonale. En effet, selon une jurisprudence constante, le Tribunal fédéral ne revoit les moyens de droit nouveaux que s'ils déduisent des conséquences juridiques de faits régulièrement soumis à l'appréciation de la juridiction cantonale et constatés par elle dans la décision attaquée (
ATF 90 II 34
consid. 7; POUDRET, COJ, n. 1.5.2.5 ad art. 55 et les références). Il n'en va pas ainsi, dans le cas particulier, la cour cantonale n'ayant procédé à aucune constatation au sujet de l'évolution économique enregistrée dans le domaine du travail, et singulièrement dans les secteurs soumis au droit collectif du travail, depuis l'après-guerre jusqu'à l'époque contemporaine. Or, les allégations de la demanderesse à cet égard n'ont pas trait à des faits notoires, au sens juridique et restrictif de ce terme, et ne sont, dès lors, pas recevables dans la procédure du recours en réforme (
art. 55 al. 1 let
. c et 63 al. 2 OJ). Par conséquent, le Tribunal fédéral ne peut pas examiner la pertinence en droit du nouvel argument juridique que lui soumet la demanderesse, étant donné que ce moyen repose sur des prémisses de fait qui échappent à son contrôle.
Quoi qu'il en soit, les motifs d'ordre purement économique sur lesquels repose la thèse de la demanderesse ne sauraient justifier, à eux seuls, la modification d'une jurisprudence qui se fonde sur le texte légal et sur la volonté exprimée en son temps par le législateur fédéral (pour l'interprétation historique des dispositions topiques, cf. BOIS, op.cit., p. 445, ch. 7 et notes de pied 17 et 18), jurisprudence qui, même à l'heure actuelle, est approuvée par la plupart des auteurs.
bb) La demanderesse cite, en outre, l'avis exprimé par YVES DE ROUGEMONT sur la question controversée (L'application des conventions collectives, in: Journée 1991 du droit du travail et de la sécurité sociale, p. 38 ss, 56 let. A.) et déclare s'y rallier. Toutefois, le passage de l'article de cet auteur, qu'elle reproduit d'ailleurs de manière imparfaite dans son mémoire de recours, n'apporte pas d'eau à son moulin car il a trait à la question - différente - de savoir s'il ne conviendrait pas d'admettre un jour, par voie législative ou jurisprudentielle, que tout contrat de travail renferme une sorte de clause tacite voulant que la convention collective de travail de la profession en cause dans la région concernée lui soit applicable, à moins qu'il ne prévoie expressément le contraire. Or, une
BGE 123 III 129 S. 134
telle question ne se pose que dans l'hypothèse où le contrat de travail individuel n'est pas déjà régi par la convention collective de travail entrant en ligne de compte, hypothèse que la demanderesse entend précisément écarter au motif que la clause d'égalité de traitement figurant dans la convention collective de travail invoquée par elle entraînerait ipso facto la soumission du contrat de travail à ladite convention. Au demeurant, il est douteux que l'extension considérable du champ d'application des conventions collectives de travail évoquée par l'auteur précité puisse se faire par voie de jurisprudence, si tant est qu'un tel procédé soit encore admissible au regard des dispositions légales spécifiques réglant déjà la question.
cc) Enfin, l'argument tiré de la violation des
art. 328 et 328b CO
, relatifs à la protection de la personnalité du travailleur, ainsi que de la loi fédérale du 19 juin 1992 sur la protection des données (LPD; RS 235.1), tombe à faux. Selon l'art. 13 al. 1 de ladite loi, une atteinte à la personnalité peut être justifiée, notamment, par un intérêt prépondérant privé. Tel est, en particulier, le cas si le traitement des données personnelles est en relation directe avec la conclusion ou l'exécution d'un contrat et les données traitées concernent le cocontractant (
art. 13 al. 2 let. a LPD
). S'agissant du contrat de travail, l'
art. 328b CO
, qui est entré en vigueur le 1er juillet 1993 en même temps que la loi précitée, précise que l'employeur ne peut traiter - ce terme vise également la collecte (
art. 3 let
. e LPD) - des données concernant le travailleur que dans la mesure où ces données portent sur les aptitudes du travailleur à remplir son emploi ou sont nécessaires à l'exécution du contrat de travail (pour l'interprétation de cette disposition, cf., parmi d'autres, SCHWAIBOLD, in: Kommentar zum Schweizerischen Datenschutzgesetz, Bâle 1995, p. 459 ss; REHBINDER, Commentaire bâlois, p. 1769/1770; TERCIER, op.cit., p. 335, n. 2727 ss). Or, s'il est douteux que l'employeur puisse s'enquérir de l'affiliation syndicale d'un travailleur avant de l'engager, à moins que cette circonstance ne revête une importance décisive pour l'entreprise qu'il exploite ("Tendenzbetrieb"; cf. REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, p. 40), une telle demande apparaît, en revanche, admissible lorsqu'elle est posée après la conclusion du contrat de travail et vise à déterminer si le salaire du nouvel employé doit être fixé ou non en fonction des prescriptions de la convention collective de travail liant l'employeur (dans ce sens, cf. REHBINDER, Commentaire bernois, n. 36 ad
art. 320 CO
, p. 98). En effet, une information à ce sujet s'avère indispensable pour l'exécution du contrat de travail et entre, dès lors, dans les prévisions de l'
art. 328b
BGE 123 III 129 S. 135
CO
. Au demeurant, le travailleur est protégé par la loi s'il y répond par l'affirmative (cf. l'
art. 336 al. 2 let. a CO
).
c) La demanderesse soutient, par ailleurs, que la mention "assurance maladie: participation selon convention collective", figurant dans son contrat de travail, et le fait qu'une déduction salariale lui a été imposée à ce titre attestent que l'employeur a entendu insérer toutes les clauses normatives de la convention collective de travail dans le contrat individuel de travail, ce qu'elle-même a accepté en payant chaque mois sa part de cotisation à l'assurance maladie. Cette inclusion serait du reste confirmée par la référence explicite à cette convention que la défenderesse a faite à la fin des rapports de travail.
Il est certes possible pour un employeur qui est lié par une convention collective de travail de convenir avec un travailleur à qui elle ne s'applique pas de soumettre le contrat individuel aux dispositions de ladite convention. Sans doute, dans une telle hypothèse, la convention collective de travail ne produit-elle pas directement un effet normatif et l'employeur conserve, en principe, la faculté de résilier le contrat de travail et d'en conclure un nouveau qui déroge aux clauses normatives de la convention en défaveur du travailleur ("Änderungskündigung"). Celui-ci peut néanmoins en exiger indirectement le respect en réclamant l'exécution des clauses de son contrat individuel qui ne font que reprendre les dispositions de la convention collective de travail (sur ce type d'extension de facto de la CCT, cf., parmi d'autres, KREIS, op.cit., p. 47/48, ch. 3 et VISCHER, Commentaire zurichois, n. 20 ad
art. 356b CO
). Encore faut-il, pour que l'on puisse conclure à l'incorporation de la convention collective de travail dans le contrat individuel liant les parties que ces dernières aient manifesté, fût-ce tacitement, leur volonté réciproque et concordante de le faire (
art. 1er ss CO
). A cet égard, la référence, faite dans le contrat de travail, à la "convention collective" ne suffit pas à établir l'existence d'un accord des parties quant à l'application de toutes les clauses normatives de la convention collective de travail à leurs rapports de travail. Cette référence se limite, en effet, exclusivement à la question de l'assurance maladie. Pour le surplus, les autres stipulations du contrat règlent elles-mêmes les conditions spécifiques de l'engagement de la demanderesse (salaire mensuel, vacances, gratification, temps d'essai, etc.), sans faire référence à la convention collective de travail, et le contrat en question ne contient pas non plus une clause générale de renvoi à cette convention. Si donc l'employeur était effectivement lié par la clause topique du contrat de travail qui impliquait l'incorporation dans ce contrat de la réglementation conventionnelle
BGE 123 III 129 S. 136
au sujet de l'assurance maladie (cf. Aubert, Quatre cents arrêts sur le contrat de travail, no 336), la demanderesse ne pouvait, en revanche, pas inférer, de bonne foi, de ladite clause que la convention collective de travail ferait loi pour toutes les autres questions. Au reste, on ne comprendrait pas pourquoi elle a passé quelque huit ans au service de l'employeur sans se prévaloir de la clause conventionnelle relative au salaire minimum, laissant même prescrire ses prétentions de ce chef antérieures à 1989, si elle estimait avoir droit au salaire conventionnel en vertu de l'accord prétendument passé avec la défenderesse quant à l'applicabilité générale de la convention collective de travail à leurs rapports contractuels. La Chambre d'appel a refusé de déduire l'existence d'un tel accord de la référence à une clause particulière de la convention collective de travail que la défenderesse avait faite dans sa lettre reportant la fin du délai de congé. En d'autres termes, elle n'a pas vu dans cette circonstance postérieure à la conclusion du contrat de travail un indice suffisant pour établir la volonté interne des parties, et singulièrement celle de l'employeur, sur le point litigieux. Le Tribunal fédéral, statuant comme juridiction de réforme, ne peut pas revoir le bien-fondé de cette appréciation, car elle a trait à une question relevant du domaine des faits (
ATF 118 II 365
consid. 1,
ATF 115 II 264
consid. 5a p. 269 et les arrêts cités).
Le moyen pris de l'inclusion des clauses normatives de la convention collective de travail dans le contrat individuel de travail liant les parties n'est donc pas fondé.
d) Dans un dernier moyen, la demanderesse réclame l'application de l'
art. 112 al. 2 CO
concernant la stipulation pour autrui parfaite. A son avis, la nature et le but de l'accord conventionnel litigieux font nettement ressortir la volonté des partenaires sociaux d'octroyer à tout employé le droit d'agir directement contre son employeur afin d'obtenir le respect des conditions minimales négociées par eux. Cet ultime moyen ne saurait être admis car il ne consiste qu'en une présentation différente de l'argument principal touchant la portée des clauses d'égalité de traitement, lequel a déjà été examiné et réfuté plus haut (cf. les let. a et b du même considérant). De toute manière, il est généralement admis en doctrine que la stipulation pour autrui parfaite, qui n'est d'ailleurs pas à présumer, ne confère pas au travailleur le droit d'actionner directement son employeur, lequel n'est pas une "partie" au sens de l'
art. 112 al. 2 CO
, mais uniquement l'association patronale signataire de la convention collective de travail, afin qu'elle agisse auprès de son membre (cf., notamment, VISCHER, Commentaire zurichois, n. 16 ad
art. 356b CO
, et KREIS, op.cit., p. 46/47, ch. 2). | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d520e7d3-a356-4f93-8929-4a8f0beb0629 | Urteilskopf
117 IV 97
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Mai 1991 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
; leichter Fall.
Ein leichter Fall ist in der Regel bei Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten anzunehmen; Ausnahmen sind möglich bei besonderen (objektiven oder subjektiven) Umständen, die nicht bereits für den Schuldspruch oder die Bemessung der Strafe bestimmend waren (E. 3; Änderung der Rechtsprechung).
2.
Art. 277ter BStP
; Tragweite des Rückweisungsentscheids.
Nach Aufhebung und Rückweisung hat sich die kantonale Behörde bei der Neuentscheidung auf das zu beschränken, was sich aus den Erwägungen des Bundesgerichts als Gegenstand der neuen Entscheidung ergibt. In den Grenzen des Verbots der reformatio in peius kann sich dabei die neue Entscheidung auch auf Punkte beziehen, die vor Bundesgericht nicht angefochten waren, sofern dies der Sachzusammenhang erfordert (E. 4a und b; Änderung der Rechtsprechung).
Anwendungsfall eines Widerrufsentscheids, dessen Aufhebung Auswirkungen auf die - im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde unangefochtene - Frage des bedingten Strafvollzugs der neuen Freiheitsstrafe hat (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 117 IV 97 S. 98
A.-
Am 19. Juni 1988 entwendete H. das Fahrzeug seiner Ex-Freundin in Wädenswil, um damit herumzufahren, obwohl er mit ihr abgemacht hatte, das Auto nicht mehr zu benutzen. Er begab sich nach Zürich, von wo aus er nach 02.00 Uhr nach Wädenswil zurückkehren wollte. Während der Fahrt schlief er am Steuer ein. Das Fahrzeug geriet nach links, überquerte die dortige Sicherheitslinie und die anschliessende Fahrbahn sowie das Trottoir, worauf es gegen zwei Schutzbügel und einen Baum prallte. Obwohl Sachschaden entstanden war, unterliess es H., sofort den Geschädigten oder unverzüglich die Polizei zu verständigen. Er telefonierte seiner Ex-Freundin und legte sich in der Nähe des Sees zum Schlafen nieder. Als er um 06.00 Uhr erwachte und sah, dass das Fahrzeug wegtransportiert war, fuhr er mit dem Zug nach Wädenswil, ohne sich weiter um den Vorfall zu kümmern.
Die obenerwähnte und weitere Fahrten in der Zeit von Januar bis Mai 1988 hatte H. unternommen, obwohl ihm der Führerausweis mit Verfügung des Strassenverkehrsamtes des Kantons St. Gallen vom 14. Juli 1986 auf unbestimmte Zeit entzogen worden war.
Im übrigen kaufte und konsumierte er in der Zeit von Juli 1987 bis Juni 1988 verschiedene Male Heroin.
BGE 117 IV 97 S. 99
B.-
Am 29. Juni 1989 sprach das Obergericht des Kantons Zürich H. im Berufungsverfahren schuldig der groben Verletzung von Verkehrsregeln, des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall, des wiederholten Fahrens trotz Entzugs des Führerausweises und der wiederholten Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Das Obergericht bestrafte ihn mit 70 Tagen Gefängnis (bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren) sowie einer Busse von Fr. 400.-- und beschloss, eine mit Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 6. April 1984 ausgesprochene Strafe von 15 Monaten Gefängnis werde vollzogen.
Gegen dieses Urteil und den Beschluss richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des H. Er beantragt unter anderem die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses. Das Bundesgericht heisst das Rechtsmittel in diesem Punkt gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Auffassung der kantonalen Richter, wonach in subjektiver Hinsicht nicht mehr von einem leichten Fall im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 StGB
gesprochen werden könne, überzeuge nicht. Die Schwere des Verschuldens komme in der verhängten Strafe zum Ausdruck. Es sei daher widersprüchlich, objektiv einen leichten Fall zu bejahen, subjektiv aber zu verneinen. Bei Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten sei generell von einem leichten Fall auszugehen.
b) Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Horgen, auf dessen Urteil die Vorinstanz verweist, führte aus, bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten könne nach ständiger Praxis des Bundesgerichts in objektiver Hinsicht noch ein leichter Fall angenommen werden. In subjektiver Hinsicht falle aber der Umstand schwer ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer nicht wegen einer einmaligen Verfehlung habe verurteilt werden müssen, sondern wegen mehrerer unabhängiger Delikte, die er während einer längeren Zeitdauer zum Teil wiederholt begangen habe. So habe er während rund eines Jahres dem Betäubungsmittelgesetz zuwidergehandelt und sei während eines halben Jahres wiederholt Auto gefahren, ohne den erforderlichen Führerausweis zu besitzen. Der Beschwerdeführer habe den Selbstunfall vom 19. Juni 1988 zwar fahrlässig verursacht, doch erscheine bedenklich, dass er sich anschliessend überhaupt nicht um den Schaden und die damit verbundene Meldepflicht
BGE 117 IV 97 S. 100
gekümmert habe und sich auch nicht habe kümmern wollen. Auch damit habe er offenbart, wie gleichgültig ihm seine Verfehlungen gewesen seien.
c) Gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB
ist der bedingte Strafvollzug unter anderem zu widerrufen, wenn der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begeht; sofern begründete Aussicht auf Bewährung besteht, kann der Richter in leichten Fällen auf den Widerruf verzichten und statt dessen eine weniger einschneidende Massnahme anordnen.
Der Begriff des "leichten Falles" im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Interpretation durch die kantonale Instanz als Frage des Bundesrechts vom Bundesgericht grundsätzlich in freier Kognition überprüft wird. Ist die kantonale Instanz bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs von falschen rechtlichen Kriterien ausgegangen, so hat das Bundesgericht einzugreifen. Ein falsches rechtliches Kriterium liegt dann vor, wenn die kantonale Instanz die Qualifikation mit sachlich unzutreffenden Argumenten begründet oder rechtlich massgebende Gesichtspunkte unrichtig gewichtet. Einzig für Grenzfälle hat das Bundesgericht angenommen, dass es bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nur mit einer gewissen Zurückhaltung von der Auffassung der Vorinstanz abweiche (
BGE 116 IV 314
E. 2c).
aa) Nach der Rechtsprechung hängt die Frage, ob ein während der Probezeit begangenes Delikt als "leicht" zu bewerten ist, nicht allein von der Art und Dauer der ausgesprochenen Strafe ab; wenn diesem Kriterium auch eine erhebliche Bedeutung zukomme, sei daneben die Gesamtheit der Tatumstände zu berücksichtigen; der Richter müsse anhand aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles prüfen, ob der neuen Tat ein leichtes oder nicht mehr leicht zu nehmendes Verschulden zugrunde liege und ob allenfalls aussergewöhnliche Umstände in Betracht zu ziehen seien (
BGE 109 IV 90
, 105 IV 296 f.,
BGE 102 IV 232
,
BGE 101 IV 13
,
BGE 98 IV 251
E. c). Der Dauer der Freiheitsstrafe kommt danach zwar eine gewichtige Rolle zu, eine Schematisierung wird indessen abgelehnt. Insbesondere soll bei Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten nicht stets ein leichter Fall gegeben sein (vgl.
BGE 98 IV 250
E. 3b).
bb) In der Lehre ist diese Rechtsprechung auf Kritik gestossen. Hingewiesen wird auf das schwererträgliche Mass an Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit, welche die verschiedenartige Praxis
BGE 117 IV 97 S. 101
in den Kantonen mit sich bringe, und die Meinung vertreten, dass die Grenze, bis zu welcher noch ein leichter Fall angenommen werden könne, bei etwa drei Monaten Freiheitsstrafe liege (STRATENWERTH, AT II, Bern 1989,
§ 4 N 137
; SCHULTZ, AT II, 4. Aufl., S. 116; derselbe, SJK 1198 S. 9/10; TRECHSEL, Kurzkommentar, Zürich 1989,
Art. 41 N 55
; vgl. auch GERMANN, Grundzüge der Partialrevision des schweizerischen Strafgesetzbuches, ZStR 1971, S. 373/374; VAUTIER, Crime ou délit de peu de gravité?, SJZ 1982, S. 304; LOGOZ, Commentaire du Code pénal Suisse, Partie générale, deuxième édition, S. 242; KURT, Änderungen des Schweizerischen StGB, Kriminalistik 1972, S. 158). ALBRECHT (Der Widerruf des bedingten Strafvollzuges wegen neuer Delikte, BJM 1975, S. 65), welcher der Ansicht der übrigen Autoren grundsätzlich folgt, lehnt eine zu schematische Grenzziehung allerdings ab, weil es sich beim Begriff des leichten Falles um eine Generalklausel handle, welche die Besonderheiten des einzelnen Sachverhaltes zu berücksichtigen erlaube.
Abgelehnt als Kriterium wird das Mass des Verschuldens, da dieses bereits die Höhe der ausgesprochenen Strafe wesentlich bestimmt hat (ALBRECHT, Die "leichten Fälle" gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
, SJZ 1978, S. 140; STRATENWERTH, a.a.O.,
§ 4 N 137
; TRECHSEL, a.a.O.). Ob die neue Strafe unbedingt oder bedingt ausgesprochen wird, kann ebenfalls nicht ausschlaggebend sein, da die Frage der Bewährungsaussicht nichts über die Schwere der Straftat besagt (STRATENWERTH, a.a.O.,
§ 4 N 135
am Schluss; ALBRECHT, a.a.O., BJM 1975, S. 64; a. M. SCHULTZ, a.a.O.). Ebensowenig kann die Dauer der Strafe Beachtung finden, deren bedingter Vollzug widerrufen werden soll, sonst wären diejenigen Verurteilten privilegiert, die früher schwer straffällig geworden sind (ALBRECHT, a.a.O., BJM 1975, S. 67). Entgegen
BGE 86 IV 152
soll es keine Rolle spielen, ob die neue Tat im In- oder im Ausland begangen worden ist; zu prüfen ist bei einer Auslandstat vielmehr, ob es sich um eine Tat handelt, die nach schweizerischem Recht ein Verbrechen oder Vergehen ist, und ob das zu der Verurteilung im Ausland führende Verfahren den Grundsätzen des schweizerischen Rechts nicht widerspricht (SCHULTZ, SJK 1198, S. 3 lit. bb; derselbe, Der bedingte Strafvollzug nach dem Bundesgesetz vom 18. März 1971, ZStR 1973, S. 63 f.).
cc) Nach dem Gesagten kommt dem Strafmass bei der Frage, ob ein Delikt "leicht" ist, die massgebliche Bedeutung zu. Dem
BGE 117 IV 97 S. 102
Bedürfnis einerseits, keine fixe Grenze für die Bestimmung des leichten Falles festzulegen, andererseits die Gesamtheit der Tatumstände zu konkretisieren, ist in dem Sinne Rechnung zu tragen, dass eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Monaten in der Regel als leicht im Sinne von
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
bezeichnet wird. Für eine Grenzziehung bei drei Monaten spricht, dass der Gesetzgeber verschiedentlich eine besondere Behandlung der Freiheitsstrafen von bis zu drei Monaten vorsieht, wobei er insbesondere gemäss
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
den bedingten Vollzug einer Freiheitsstrafe gestattet, wenn in den fünf Jahren vor der Tat eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von nicht mehr als drei Monaten verbüsst worden war (SCHULTZ, SJK 1198, S. 9 mit Hinweisen; derselbe, a.a.O., ZStR S. 66). Für die hier vertretene Lösung spricht auch, dass bei Übertretungen (Haft bis zu drei Monaten) der Widerruf nicht zwingend vorgeschrieben ist (SCHULTZ, a.a.O., ZStR 1973, S. 66; ALBRECHT, a.a.O., BJM 1975, S. 65).
dd) Die Grenze von drei Monaten ist nicht eine starre Regel, von der im Einzelfall nicht abgewichen werden kann. Das Gebot der Gleichheit in der Rechtsanwendung erfordert aber, dass das Abweichen von einer solchen Regel durch besondere objektive oder subjektive Umstände gerechtfertigt (
BGE 115 II 11
E. 5a) und in diesem Sinn begründet sein muss (TRECHSEL, a.a.O.; derselbe, Die "Umstände des besonderen Falles" in der Strafrechtspraxis, in: Beiträge zur Methode des Rechts, St. Galler Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1981, S. 204).
So kann für die Annahme eines leichten Falles trotz einer Strafe von mehr als drei Monaten beispielsweise sprechen
- dass der nachträgliche Vollzug der aufgeschobenen Strafe für den Täter eine unverhältnismässige Härte bedeuten würde (ALBRECHT, a.a.O., SJZ 1978, S. 140; derselbe, a.a.O., BJM 1975, S. 67; anders
BGE 102 IV 233
);
- dass sich ein jugendlicher Straftäter bis zum Widerrufsentscheid ernsthaft bemüht hat, den Einstieg in die Gesellschaft zu finden (II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern in LGVE 1984 Nr. 37 S. 75);
- dass zwischen der früheren Verurteilung bzw. dem Ende der seinerzeit ausgesprochenen Probezeit und dem Entscheid über den Widerruf viel Zeit verstrichen ist (ALBRECHT, a.a.O., SJZ 1978, S. 140; derselbe, a.a.O., BJM 1975, S. 66; Appellationsgericht BS in BJM 1977, S. 310 ff.; anders
BGE 102 IV 233
);
BGE 117 IV 97 S. 103
- dass sich der Rückfall erst gegen Ende der Probezeit ereignet hat (vgl. ALBRECHT, a.a.O., BJM 1975, S. 63 oben, allerdings im Zusammenhang mit der Prognosestellung);
- dass seit der neuen Verfehlung verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist und der Verurteilte sich unterdessen wohl verhalten hat (
BGE 86 IV 8
);
- oder dass die Strafe auch Taten umfasst, die ausserhalb der Probezeit begangen wurden und deshalb für den Widerruf unerheblich sind (ALBRECHT, a.a.O., BJM 1975, S. 65 mit Hinweisen; vgl. auch SCHULTZ, SJK 1198, S. 10).
d) Bei einer Strafe von 70 Tagen Gefängnis und Fr. 400.-- Busse, wie im vorliegenden Fall ausgesprochen, ist danach in der Regel ein leichter Fall anzunehmen. Zu prüfen bleibt, ob davon aufgrund von besonderen objektiven oder subjektiven Umständen abgewichen werden kann.
Die kantonalen Richter stellten entscheidend darauf ab, (1) dass der Beschwerdeführer nicht wegen einer einmaligen Verfehlung habe verurteilt werden müssen, sondern wegen mehrerer unabhängiger Delikte, die er während einer längeren Zeitdauer zum Teil wiederholt begangen habe, sowie darauf, (2) dass er den Selbstunfall vom 19. Juni 1988 zwar fahrlässig verursacht habe, es aber bedenklich erscheine, dass er sich anschliessend überhaupt nicht um den Schaden und die damit verbundene Meldepflicht gekümmert habe und sich auch nicht habe kümmern wollen. Dies rechtfertigt (vgl. oben E. c/dd) kein Abweichen von der Regel, dass bei einer Freiheitsstrafe von unter drei Monaten ein leichter Fall vorliegt. Teilweise belegen die erwähnten Ausführungen nichts anderes, als dass und in welcher Weise sich der Beschwerdeführer überhaupt strafbar gemacht hat, und teilweise sind sie beim Verschulden zu berücksichtigen. Sie betreffen also den Schuld- sowie den Strafpunkt und können deshalb bei der Frage des leichten Falles nicht mehr ausschlaggebend sein. Demgegenüber haben die kantonalen Richter beispielsweise nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer die neuen Straftaten fast am Ende der Probezeit verübt hat.
Die Verneinung eines leichten Falles verletzt demnach Bundesrecht, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt gutzuheissen und die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen ist. Dieses wird bei der Neubeurteilung von einem leichten Fall auszugehen und sich darüber hinaus mit der Frage der begründeten Aussicht auf Bewährung gemäss
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
zu befassen haben.
BGE 117 IV 97 S. 104
4.
Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer für die wegen der neuen Taten ausgefällte Strafe den bedingten Strafvollzug vor allem mit der Begründung gewährt, die wegen des Widerrufs zu verbüssende 15monatige Gefängnisstrafe könne bei der Beurteilung des künftigen Wohlverhaltens nicht ausser acht gelassen werden; es sei anzunehmen, dass der Strafvollzug eine nachhaltige Wirkung auf den Beschwerdeführer hinterlassen werde. Da die Vorinstanz in bezug auf den Widerruf neu zu entscheiden hat, stellt sich die Frage, ob sie auf die im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde unangefochtene Gewährung des bedingten Strafvollzuges für die neue Strafe zurückkommen kann.
a) Gemäss Art. 277ter hebt der Kassationshof, wenn er die Beschwerde im Strafpunkt für begründet hält, den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die kantonale Behörde zurück. Diese hat ihrem Entscheid die rechtliche Begründung der Kassation zugrunde zu legen. Nach der Rechtsprechung ergibt sich aus dieser Regelung, dass die kantonale Behörde nach Aufhebung und Rückweisung nicht frei urteilen kann, als ob bisher überhaupt kein Urteil gefällt worden wäre. Sie hat sich vielmehr auf das zu beschränken, was sich aus den für sie verbindlichen Erwägungen des Kassationshofes als Gegenstand der neuen Entscheidung ergibt (dazu näher E. 4b hiernach). Entsprechend hat die Rechtsprechung angenommen, dass der neue Entscheid der kantonalen Instanz vor Bundesgericht nicht mehr angefochten werden kann, wenn die Anfechtung bereits in bezug auf das erste Urteil möglich gewesen wäre und nach Treu und Glauben für die betreffende Partei die Anfechtung zumutbar war (
BGE 111 II 95
f. mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 116 II 222
,
BGE 110 IV 116
f.,
BGE 106 IV 197
E. 1c).
Die Rechtsprechung zu
Art. 277ter BStP
beruht auf dem Grundgedanken, dass das Strafverfahren prinzipiell mit dem Urteil der (oberen) kantonalen Instanz abgeschlossen ist. Im Falle einer Kassation des Urteils aufgrund der Gutheissung einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde soll deshalb nicht das ganze Verfahren erneut in Gang gesetzt werden, sondern nur insoweit, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen.
b) In der Rechtsprechung ist allerdings das Ausmass der Bindungswirkung gemäss
Art. 277ter BStP
zu stark betont und dementsprechend der der kantonalen Behörde noch verbleibende Spielraum zu sehr eingeengt worden. So wurde in BGE 101 IV
BGE 117 IV 97 S. 105
103 ff. angenommen, es sei der kantonalen Behörde versagt, anstelle von 18 Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug und einer Busse von Fr. 1'000.-- neu 12 Monate Gefängnis unbedingt unter Verzicht auf die Geldbusse auszusprechen, wenn Gegenstand des Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens nur die Frage des bedingten Strafvollzuges gewesen sei. Die kantonale Behörde sei vielmehr aufgrund des Rückweisungsentscheides verpflichtet, den bedingten Strafvollzug zu verweigern und im übrigen das frühere Urteil unverändert zu belassen (a.a.O., 107).
Gegen diese Rechtsprechung wurde eingewandt, der in der Praxis bestehende nahe Zusammenhang zwischen Strafzumessung und bedingtem Strafvollzug sei dabei nicht beachtet worden (SCHULTZ, ZBJV 1976, S. 446). In seiner neueren Rechtsprechung zur Frage der Beschränkung der Appellation gemäss kantonalem Prozessrecht hat denn auch der Kassationshof angenommen, dass eine Rechtsmittelbeschränkung insoweit sachlich gerechtfertigt sein könne, als im konkreten Fall eine isolierte Überprüfung der aufgeworfenen Frage möglich sei (
BGE 115 Ia 107
ff.). Umgekehrt ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass eine Teilanfechtung dann abzulehnen ist, wenn damit Fragen auseinandergerissen werden, die in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Diesem Gesichtspunkt ist auch bei der Tragweite der Bindungswirkung gemäss
Art. 277ter BStP
Rechnung zu tragen.
Für den Bereich der Sanktionen ergibt sich daraus, dass die Gutheissung einer Nichtigkeitsbeschwerde, mit der stets die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung verbunden ist, folgendes bewirkt: Die Vorinstanz ist angewiesen, die Begründung des Bundesgerichts zu befolgen und entsprechend dieser das neue Urteil zu fällen. Das aufgehobene Urteil ist dabei nicht nur in dem Punkte abzuändern, der unmittelbar Gegenstand des durch das Bundesgericht auf Nichtigkeitsbeschwerde hin gefällten Urteils bildete. Gegebenenfalls sind auch weitere Urteilspunkte abzuändern, auf die sich die andere Beurteilung einer Rechtsfrage durch das Bundesgericht in der Weise auswirkt, dass sich in diesen sonst ein bundesrechtswidriger Entscheid der kantonalen Instanz ergäbe. Auch solche mittelbare Auswirkungen der rechtlichen Begründung der Kassation erlauben der kantonalen Instanz und verpflichten sie zugleich, ihren durch das Bundesgericht aufgehobenen Entscheid - bei Nichtigkeitsbeschwerden des Verurteilten in den Grenzen des Verbots der reformatio in peius - entsprechend zu ändern.
BGE 117 IV 97 S. 106
Wenn daher in einem angefochtenen Entscheid bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges eine längere Freiheitsstrafe, gegebenenfalls verbunden mit einer Busse, ausgesprochen wurde, als dies im Falle der Verweigerung des bedingten Strafvollzuges der Fall gewesen wäre, dann hat die Gutheissung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges entgegen
BGE 101 IV 103
ff. nicht zur Folge, dass die kantonale Instanz auf die Dauer der Freiheitsstrafe und die ausgesprochene Busse nicht mehr zurückkommen kann. Sie ist gezwungen, neu eine unbedingte Freiheitsstrafe auszusprechen. Die rechtliche Begründung der Kassation gestattet und verpflichtet jedoch, die Strafe - in bezug auf deren Dauer und die Ausfällung einer Busse - im neuen Urteil so festzusetzen, wie die kantonale Instanz dies bereits im ersten Urteil getan hätte, wenn sie den bedingten Strafvollzug verweigert hätte.
c) Entsprechend gilt im vorliegenden Fall folgendes: Sollte die Vorinstanz in ihrem neuen Urteil von einem Widerruf der früher ausgesprochenen 15monatigen Strafe absehen, hätte sie über die Gewährung des bedingten Strafvollzuges für die neu ausgesprochene Strafe ebenfalls neu zu entscheiden, da sie im aufgehobenen Urteil den bedingten Strafvollzug für die neue Strafe offenbar (auch) im Hinblick auf die zu erwartende Verbüssung der Widerrufsstrafe gewährt hat. Umgekehrt ist zu beachten, dass die Vorinstanz bei der Prognose in bezug auf die frühere Strafe gegebenenfalls zu berücksichtigen hat, ob der Vollzug der neuen Strafe von 70 Tagen dem Beschwerdeführer eine genügende Warnung ist (
BGE 116 IV 177
). Eine Einschränkung unter dem Gesichtswinkel des Verbots der reformatio in peius ergibt sich hier nicht, da das Gesamtergebnis der neuen, von der Vorinstanz zu fällenden Entscheidung für den Beschwerdeführer auf jeden Fall nicht schwerer sein wird als das heute vom Bundesgericht aufgehobene Urteil. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d5233276-c68a-4377-ae15-8fd6e08832f7 | Urteilskopf
100 Ia 189
27. Arrêt du 13 février 1974 en la cause Feuz c. Genève, Tribunal administratif et Département de justice et police. | Regeste
Persönliche Freiheit.
Art. 4 BV
und Art. 125 KV Genf.
1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 1).
2. Die Verweigerung eines Leumundszeugnisses beeinträchtigt das Recht auf persönliche Freiheit nicht (Erw. 2 und 3).
3. Untersteht das Verwaltungshandeln als Ganzes dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts? (Erw. 4 a).
4. Das Reglement über die Ausstellung der Leumundszeugnisse ist vom Staatsrat im Rahmen der ihm durch Art. 125 der Genfer Kantonsverfassung übertragenen Befugnisse erlassen worden. (Erw. 4 b).
5. Auf welche Tatsachen kann sich die Behörde berufen, um die Verweigerung eines Leumundszeugnisses zu begründen, ohne ihr Ermessen zu überschreiten? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 189
BGE 100 Ia 189 S. 189
A.-
Le Conseil d'Etat du canton de Genève a, en date du 29 septembre 1951, édicté un règlement relatif à la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs. Ceux-ci doivent contenir,
BGE 100 Ia 189 S. 190
avec les indications d'identité, l'appréciation relative à la conduite des requérants (art. 3). Ils sont refusés à ceux qui sont privés de leurs droits civiques ou dont le casier judiciaire contient une condamnation non radiée à une peine privative de liberté, ainsi qu'à ceux dont l'honorabilité peut être déniée avec certitude en raison d'une ou de plusieurs plaintes fondées concernant leur comportement, de contraventions encourues par eux à réitérées reprises ou de leur genre de vie (ivrognerie, inconduite, fainéantise, etc.), étant précisé que les faits de peu d'importance ou ceux qui sont contestés et non établis ne sont pas pris en considération (art. 4). L'art. 6 prévoit en outre que, sur demande écrite de celui à qui un certificat de bonne vie et moeurs a été refusé, l'autorité compétente peut lui délivrer une attestation rédigée selon une formule moins favorable, dont le contenu peut varier mais qui doit s'en tenir, dans la mesure du possible, aux faits tels qu'ils résultent du dossier. Les certificats de bonne vie et moeurs et l'attestation prévue à l'art. 6 sont délivrés par un officier de police (commissariat de police).
B.-
Alec Feuz demanda le 20 janvier 1972 au commissariat de police un certificat de bonne vie et moeurs. Il fut convoqué à ce commissariat, où lui furent signifiés les motifs du refus de l'octroi de ce certificat. Il résultait en effet des dossiers de police que le requérant avait commis de façon répétée, de 1967 à 1970, des contraventions pour bruit nocturne, participation à des manifestations interdites et refus d'obtempérer aux ordres des agents. De plus, il avait participé, le 14 décembre 1970, à la manifestation de soutien aux séparatistes basques, au cours de laquelle il avait lancé des pierres et des morceaux de hampes de calicot contre les vitrines et la porte d'entrée de l'Office national espagnol de tourisme, selon les constatations faites sur les lieux par un inspecteur de la sûreté genevoise. Feuz avait été inculpé d'émeute, de dommages à la propriété et d'opposition aux actes de l'autorité. Il avait contesté ce qui lui était reproché. Le Procureur général, en date du 2 avril 1973, avait en définitive classé provisoirement la procédure "vu le doute".
Feuz ayant réitéré sa demande d'un certificat de bonne vie et moeurs, l'officier de police lui confirma son refus le 15 mars 1973, tout en se déclarant prêt à délivrer une attestation au sens de l'art. 6 du règlement.
BGE 100 Ia 189 S. 191
C.-
Feuz recourut contre cette décision au Tribunal administratif le 2 avril 1973. Il faisait valoir qu'il avait obtenu, en juillet 1971, une licence en histoire à l'Institut des hautes études internationales et qu'il avait besoin d'un certificat de bonne vie et moeurs pour poursuivre sa carrière dans l'enseignement et obtenir un diplôme d'études pédagogiques pour l'enseignement secondaire.
Après avoir administré certains moyens de preuve, le Tribunal administratif a rejeté le recours le 16 juillet 1973 et confirmé la décision attaquée. Il relevait que le pouvoir d'appréciation laissé à l'administration n'avait pas été outrepassé par l'officier de police et que celui-ci, en estimant ne pas pouvoir considérer les contraventions commises et le comportement du recourant lors de la manifestation du 14 décembre 1970 comme des faits de peu d'importance, avait émis une appréciation conforme à l'esprit de l'art. 4 al. 2 du règlement. Sa décision, reposant sur une base réglementaire sérieuse et objective, ne portait pas atteinte au droit de travailler du recourant, celui-ci devant s'en prendre à lui-même de ne pas pouvoir obtenir actuellement la pièce nécessaire à son dossier de candidat à l'enseignement secondaire. Le Tribunal administratif soulignait en outre que, même si le droit atteint ne pouvait être déterminé avec précision (atteinte à la liberté personnelle ou à un autre droit constitutionnel écrit ou non écrit), la décision contestée devait respecter le principe de la légalité. A cet égard, après avoir procédé à l'examen historique du droit constitutionnel genevois de 1814 à 1958, sous l'angle de la compétence du Conseil d'Etat en matière de règlements de police, l'autorité de recours concluait que l'art. 125 de la constitution actuelle, prévoyant que "le Conseil d'Etat édicte les règlements de police dans les limites fixées par la loi", était une base légale suffisante pour le règlement de 1951 relatif à la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs. Elle considérait enfin que le recourant, comme candidat à une fonction publique, se trouvait dans un rapport spécial de dépendance avec l'Etat et que de ce fait sa liberté individuelle pouvait être soumise à des limitations plus importantes découlant précisément de ces relations spéciales avec la puissance publique.
D.-
Agissant par la voie du recours de droit public, Feuz demande au Tribunal fédéral principalement d'annuler l'arrêt
BGE 100 Ia 189 S. 192
du Tribunal administratif genevois du 16 juillet 1973 et la décision de l'officier de police du 15 mars 1973, pour violation de la liberté personnelle, subsidiairement d'annuler la décision de l'officier de police du 15 mars 1973 pour violation de la séparation des pouvoirs et excès de pouvoir, plus subsidiairement d'annuler la décision de l'officier de police du 15 mars 1973 pour violation de l'interdiction de l'arbitraire (art. 4 Cst.).
Le Département cantonal de justice et police conclut au rejet du recours. Le Tribunal administratif prend la même conclusion, dans la mesure où le recours est recevable.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Lorsque l'autorité cantonale de recours jouit d'un plein pouvoir d'examen, sa décision remplace celle de l'autorité inférieure et peut seule être attaquée par la voie du recours de droit public (RO 93 I 326
;
94 I 462
). Il n'est pas contesté que le Tribunal administratif du canton de Genève jouit d'un tel pouvoir. En matière de délivrance des certificats de bonne vie et moeurs, le Tribunal administratif statue en effet comme instance d'appel et revoit par conséquent librement les faits et le droit (cf. art. 8 ch. 15 de la loi sur le Tribunal administratif et le Tribunal des conflits du 29 mai 1970). Sa décision peut seule être attaquée par la voie du recours de droit public, à l'exclusion de la décision de l'officier de police du 15 mars 1973. Le présent recours doit donc être déclaré irrecevable en tant qu'il vise cette dernière décision.
2.
En l'espèce, le recourant s'est vu refuser un certificat de bonne vie et moeurs en vertu de l'art. 4 al. 1 lettre c du règlement du 29 septembre 1951, à la suite des contraventions qu'il a encourues à plusieurs reprises depuis 1967 et de son comportement lors de la manifestation du 14 décembre.1970. Il soutient que ce refus porte atteinte à sa dignité ainsi qu'à sa liberté de travailler qui, en tant que manifestation élémentaire de l'épanouissement de la personnalité humaine, serait garantie par la liberté individuelle. Il considère en outre que la décison attaquée est arbitraire et qu'elle a été ainsi rendue en violation de l'art. 4 Cst.
3.
A l'avis du recourant, la décision attaquée porte atteinte à sa faculté de choisir librement un travail, puisqu'elle aura pour effet de mettre en veilleuse pendant plusieurs
BGE 100 Ia 189 S. 193
années ses qualifications universitaires et son sens pédagogique déjà entraîné par plusieurs mois de suppléance dans l'enseignement secondaire. Le refus de lui délivrer le certificat requis doit donc être considéré comme une atteinte à sa liberté de travailler et, partant, à la liberté individuelle. Pour qu'une telle atteinte puisse être admise, il faut qu'elle repose sur une base légale. Celle-ci n'existerait pas en l'espèce.
a) La liberté dite individuelle ou personnelle est garantie tant par le droit genevois (art. 3 Cst. cant.) que par le droit fédéral non écrit (RO 99 Ia 266). Il suffit dès lors d'examiner quelle est l'étendue de la garantie accordée par le droit fédéral (cf. RO 90 I 38 consid. d).
b) La jurisprudence du Tribunal fédéral concernant la liberté personnelle a défini ce droit comme étant au premier chef la liberté physique. Le droit de disposer librement de son corps protège la liberté d'aller et de venir et l'intégrité corporelle. Cette première définition un peu étroite tient à ce que la plupart des affaires qui l'ont suscitée concernaient des atteintes à la liberté physique (cf. RO 90 I 35, avec citations). Dans son arrêt publié au RO 90 I 36, le Tribunal fédéral a toutefois étendu la notion de liberté personnelle en lui faisant garantir non seulement la liberté physique, mais encore la protection de l'homme contre les atteintes qui tendraient, par un moyen quelconque, à restreindre ou supprimer la faculté qui lui est propre de se déterminer d'après son appréciation de la situation. L'existence de cette faculté constitue en effet la condition d'exercice de nombreux droits constitutionnels (RO 97 I 49).
La jurisprudence a précisé par ailleurs que la liberté personnelle est un droit inaliénable et imprescriptible, destiné à garantir la dignité de l'homme (RO 97 I 50). Elle assure la protection générale des droits fondamentaux qui conditionnent de manière décisive le contenu et l'étendue des autres libertés constitutionnelles. Si elle ne s'identifie pas à ces dernières et ne peut donc être invoquée en elle-même comme moyen de protection contre les restrictions qui leur sont apportées, elle est toutefois la condition nécessaire de leur exercice et leur complément, en ce sens que le citoyen peut s'en prévaloir pour la défense de sa personnalité et de sa dignité, lorsque aucun autre droit écrit ou non écrit n'entre en considération (RO 97 I 49/50
;
90 I 37
/38).
BGE 100 Ia 189 S. 194
c) Le recourant allègue que le refus qui lui est opposé porte atteinte à sa liberté de travailler qui, en tant que manifestation élémentaire de la personnalité humaine, serait garantie par la liberté personnelle. Il aurait été plus exact de parler en l'espèce d'une atteinte au droit à la formation, la décision incriminée mettant obstacle, selon le recourant, à la constitution d'un dossier établi en vue de son admission à un cours de formation pédagogique. Quoi qu'il en soit, il y a lieu de remarquer que Feuz n'est pas recevable en l'état à faire valoir une atteinte à ce droit. Il pourrait tout au plus l'invoquer à l'encontre de la décision par laquelle l'autorité compétente refuserait son admission au cours pédagogique. Au surplus, on peut se demander s'il conviendrait de reconnaître au droit à la formation le caractère d'une garantie constitutionnelle non écrite, alors que l'inscription dans la constitution en a été refusée par votation populaire du 4 mars 1973 (cf. FF 1972 I 368 ss.
;
1973 I 1158
; E. GRISEL, Les droits sociaux, RDS vol. 92 II 73/74; J. P. MÜLLER, Soziale Grundrechte in der Verfassung, RDS vol. 92 II 872 ss.). Des motifs identiques font également apparaître le grief d'atteinte à un droit au travail comme mal fondé. Le recours doit donc être rejeté sur ce point.
d) Le recourant relève par ailleurs que le refus de lui délivrer un certificat de bonne vie et moeurs, fondé sur l'art. 4 al. 1 lettre c du règlement, porte atteinte à sa dignité et, par conséquent, à la liberté personnelle. Par son refus en effet, l'autorité dénie son honorabilité et refuse ainsi de le reconnaître comme un homme honorable, digne d'estime et de considération, en raison de son comportement antérieur.
On ne saurait admettre en l'espèce que la décision attaquée constitue une atteinte à la liberté personnelle du recourant pour le seul motif qu'elle heurterait le sentiment qu'il a de sa propre dignité. Le ferait-on que l'on accorderait alors à cette notion une portée si étendue que l'on ne voit pas quelles limites pourraient lui être fixées.
On peut en revanche se demander si la liberté personnelle, destinée à garantir la dignité humaine, n'assurerait pas plutôt la protection de la personnalité vue sous l'angle du droit public. Porteraient ainsi atteinte à ce droit constitutionnel non écrit toutes les mesures - actes ou omissions - que les organes de l'Etat prennent à l'égard d'un administré et qui
BGE 100 Ia 189 S. 195
sont de nature à mettre en cause sa réputation. Toutefois, même ainsi définie, la liberté personnelle aurait une portée trop large, qui conduirait à devoir examiner, par exemple, si le refus d'une promotion ou une déclaration de faillite ne sont pas des actes qui portent atteinte à la dignité humaine. Pareille conséquence est inacceptable. Cela reviendrait à doubler l'art. 4 Cst. d'une disposition constitutionnelle non écrite dont les limites de surcroît resteraient imprécises. La portée que le Tribunal fédéral a donnée à la disposition constitutionnelle précitée rend d'ailleurs superflue et inadéquate en l'espèce une telle extension de la liberté personnelle. Celle-ci, ainsi que cela a été rappelé précédemment, ne doit pas pouvoir être invoquée là où les droits constitutionnels écrits ou non écrits assurent déjà à l'individu une protection suffisante. Le recourant dispose, contre le refus de lui délivrer le certificat demandé, des moyens que lui offre l'art. 4 Cst. Il n'y a pas de raison d'admettre que ceux-ci n'assurent in casu qu'une protection insuffisante.
4.
a) L'institution du certificat de bonne vie et moeurs et de l'attestation ne constitue ainsi pas en soi une mesure de police portant atteinte aux libertés garanties par la constitution et n'est donc pas comme telle soumise au principe de la réserve de la loi (cf. RO 99 Ia 250, 267, 373/374). Toutefois, selon une opinion qui tend à se répandre, l'activité administrative tout entière serait subordonnée à ce principe, y compris l'exécution de prestations ("Leistungsverwaltung"). Le Tribunal fédéral n'a pas eu à se prononcer expressément sur cette question à propos de laquelle s'affrontent théorie traditionnelle et doctrine nouvelle (cf. GRISEL, L'administration et la loi, dans Regards sur le droit suisse, Lausanne 1964, p. 31 ss., 38 à 40). Il paraît d'ailleurs douteux que l'ordre juridique existant soumette à l'exigence d'une base légale toute activité administrative; car s'il autorise bien l'application du principe de réserve de la loi à certains domaines de la "Leistungsverwaltung", il semble s'y opposer dans d'autres (GRISEL, op.cit., p. 43). Ces questions n'auront cependant pas à être tranchées en l'espèce, si l'on peut admettre que le règlement relatif à la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs est un règlement de police qui est de la compétence du Conseil d'Etat en vertu de l'art. 125 Cst. cant.
b) L'art. 125 Cst. cant. dispose que "le Conseil d'Etat
BGE 100 Ia 189 S. 196
édicte des règlements de police dans les limites fixées par la loi". C'est dans cette disposition que l'autorité dont la décision est attaquée voit la base légale du règlement contesté. On peut hésiter à qualifier un règlement relatif à la délivrance de certificats de bonne vie et moeurs de règlement de police au sens étroit du terme; la police a en effet pour fonction essentielle de protéger la sécurité, la santé, la tranquillité et l'ordre publics, avec l'obligation en particulier de défendre les biens juridiques protégés des particuliers et de la collectivité tels qu'ils sont reconnus par la législation en vigueur (cf. FLEINER, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, § 24, chap. II). Une conception plus large du "règlement de police" n'est toutefois pas exclue.
L'art. 3 de la loi du 26 octobre 1957 sur l'organisation de la police attribue à celle-ci la police judiciaire, la police rurale et la police des étrangers. Cette disposition précise également que la police est chargée de "veiller à l'observation des lois et règlements de police (police administrative)" (art. 3 lettre b) et d'assurer la tranquillité, la sécurité et l'ordre publics, notamment en matière de circulation (art. 3 lettre c). Le règlement relatif à la délivrance des certificats de bonne vie et moeurs, qui ne fait aucune référence à une loi quelconque, est classé dans le groupe "F" du recueil systématique de la législation genevoise, sous le titre général de "Police". Il faut relever enfin que la loi sur le Tribunal administratif et le Tribunal des conflits, du 29 mai 1970, dispose que le Tribunal administratif eonnaît, en fait et en droit, des recours contre les déclarations de l'officier de police refusant un certificat de bonne vie et moeurs (art. 8 ch. 15). Ces divers éléments étaient l'opinion du Conseil d'Etat selon laquelle la notion de police doit être comprise très largement, le règlement litigieux en l'espèce étant en conséquence un règlement de police au sens de l'art. 125 Cst. cant. On peut admettre en effet que le terme de police a, dans ce contexte, un sens plus large que celui qui est compris dans la "clause générale de police", et que le Conseil d'Etat a ainsi édicté un règlement sur un objet qui est de sa compétence en vertu d'une délégation découlant directement de la constitution.
Il est vrai que l'art. 125 Cst. cant. dispose que les règlements de police doivent être édictés dans les limites de la loi. Le Tribunal administratif soutient à ce propos que le mot "loi"
BGE 100 Ia 189 S. 197
couvre, dans le contexte de cet article constitutionnel, aussi bien les dispositions législatives votées par le Grand Conseil que la constitution elle-même. Si cette interprétation paraît difficilement acceptable, cela n'emporte toutefois pas que l'on ne puisse soutenir que le canton n'a pas méconnu l'exigence d'une base matérielle (cf. RO 91 I 462/463, 87 I 453 avec citations). D'ailleurs, la loi au sens formel n'aurait pu que confirmer la compétence du Conseil d'Etat sans y apporter d'autres précisions. Le recours doit donc également être rejeté sur ce point, ce qui dispense d'examiner in casu si, comme le soutient le Conseil d'Etat, le règlement litigieux repose sur une coutume.
5.
Le recourant soutient enfin, à titre subsidiaire, que la décision incriminée constitue une violation du principe de la séparation des pouvoirs, l'autorité cantonale ayant excédé son pouvoir d'appréciation. Cette décision serait donc entachée d'arbitraire et violerait le principe d'égalité reconnu à l'art. 4 Cst. En réalité, le recourant reproche à l'autorité cantonale d'avoir excédé son pouvoir d'appréciation à deux égards: il en serait ainsi quant à l'interprétation de l'art. 4 du règlement relatif à la délivrance du certificat de bonne vie et moeurs d'une part, quant aux faits retenus à la base de la décision attaquée d'autre part. Le moyen fondé sur le principe de la séparation des pouvoirs se confond dès lors avec ceux que le recourant tire de l'art. 4 Cst.
a) En vertu des lettres a et b de l'art. 4 du règlement en cause, le certificat de bonne vie et moeurs est refusé à celui qui est privé de ses droits civiques par un jugement pénal ainsi qu'à celui dont le casier judiciaire contient une condamnation non radiée à une peine privative de liberté. Il y a lieu de remarquer que le juge pénal ne peut actuellement plus prononcer de peine accessoire de privation des droits civiques, l'art. 52 CP ayant été abrogé par la loi modifiant le Code pénal suisse du 18 mars 1971. Le motif relevant de l'art. 4 lettre a est dès lors devenu sans objet. Le cas visé par l'art. 4 lettre b n'est pas réalisé en l'espèce et n'a d'ailleurs pas été invoqué par l'autorité cantonale, qui a fait application de la clause générale de la lettre c de cette disposition, selon laquelle le certificat de bonne vie et moeurs est refusé à celui dont l'honorabilité peut être déniée avec certitude en raison d'une ou de plusieurs plaintes fondées concernant son comportement,
BGE 100 Ia 189 S. 198
de contraventions encourues par lui à réitérées reprises ou de son genre de vie. Dans un arrêt non publié du 7 octobre 1953 en la cause Guggisberg c. Genève, le Tribunal fédéral a souligné qu'à la différence des dispositions des lettres a et b de l'art. 4 du règlement, celle de la lettre c est conçue en termes généraux et laisse à l'autorité un pouvoir d'appréciation beaucoup plus étendu que ne le font les deux dispositions précédentes. Elle permet en effet à l'autorité de dénier l'honorabilité du requérant en raison de simples contraventions ou en raison même de son genre de vie, c'est-à-dire pour des faits qui peuvent être certainement moins graves que ceux qui auraient donné lieu à une condamnation à une peine privative de liberté suivie d'une inscription au casier judiciaire. Le Tribunal fédéral relève également que, du fait qu'une condamnation, une fois radiée, doit être tenue pour non avenue, il ne s'ensuit pas que l'autorité qui est appelée à délivrer un certificat de bonne vie et moeurs n'ait pas le droit, sous réserve de n'en pas faire état dans le certificat (art. 8 al. 1 du règlement), de tenir compte dans son for intérieur de ce qu'elle sait des antécédents de l'intéressé lorsqu'elle est requise d'attester son honorabilité. Il n'y a pas en l'espèce de motifs impérieux de se distancer de cette jurisprudence.
b) C'est d'ailleurs précisément sur cette jurisprudence que s'est fondé le Tribunal administratif pour soutenir que même une affaire classée par le Procureur général doit être prise en considération dans le cadre de la lettre c de l'art. 4 du règlement et, partant, pour tenir compte des agissements du recourant durant la manifestation du 14 décembre 1970, devant l'Office national espagnol de tourisme. La juridiction administrative cantonale de recours a en effet admis que le recourant avait causé des dégâts à la propriété d'autrui au cours de cette manifestation du 14 décembre 1970, en se fondant à cet égard sur les déclarations circonstanciées d'un inspecteur de police, malgré le classement provisoire de l'affaire par le Procureur général. On peut se demander si ce classement lie le Tribunal administratif. La question peut toutefois rester indécise, car le Tribunal administratif était dans tous les cas fondé, pour étayer ce refus du certificat, à tenir compte également des contraventions encourues par le recourant de 1967 á 1970, notamment pour avoir pris part à des manifestations non autorisées et pour refus d'obtempérer aux ordres de la police
BGE 100 Ia 189 S. 199
demandant aux manifestants d'évacuer.
c) De surcroît, l'autorité cantonale compétente a estimé ne pas pouvoir considérer les faits reprochés au recourant comme étant, dans leur ensemble, de peu d'importance au sens de l'art. 4 al. 2 du règlement. Ils lui ont paru suffisants pour justifier un refus d'attester l'honorabilité du recourant. Cette opinion n'est en tout cas pas insoutenable. En vertu de la clause générale de l'art. 4 al. 1 lettre c du règlement, l'organe administratif chargé de délivrer les certificats de bonne vie et moeurs jouit d'un large pouvoir d'appréciation et on ne saurait en l'espèce prétendre qu'il en a abusé. Il est vrai qu'il doit, dans la mesure du possible, tenir compte de l'usage que le requérant entend faire du certificat (art. 4 al. 2 du règlement). Mais l'application de cette disposition n'entraîne pas obligatoirement, en faveur du requérant, une dérogation aux exigences réglementaires. Ce certificat de bonne vie et moeurs doit en l'occurrence permettre l'admission du recourant aux études conduisant à l'obtention du certificat d'aptitude à l'enseignement secondaire. Or l'emprise des enseignants sur la jeunesse est telle que leur honorabilité doit être intacte. De ce fait, la juridiction cantonale pouvait soutenir, d'une manière plausible, qu'on ne saurait considérer les faits reprochés au recourant comme des faits de peu de gravité, s'agissant précisément d'un candidat à l'enseignement qui, en vertu de l'art. 4 de la loi genevoise sur l'instruction publique de 1940, aura pour mission de préparer la jeunesse à exercer une activité utile et à servir le pays et de développer chez elle le respect de ses institutions.
Il faut donc admettre, au vu des antécédents du recourant, du but pour lequel le certificat est requis et de toutes les circonstances du cas, que le Tribunal administratif n'est pas tombé dans l'arbitraire, en confirmant la décision de l'officier de police par laquelle celui-ci a refusé de délivrer au recourant un certificat de bonne vie et moeurs.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable. | public_law | nan | fr | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d523f7dd-ac91-4103-861f-2785e6049ecf | Urteilskopf
99 Ib 519
73. Auszug aus dem Urteil vom 15. Juni 1973 i.S. X.AG gegen Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | Regeste
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, Begriff der Endverfügung.
Ein Entscheid der Vorinstanz, durch den die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an eine untere Instanz zurückgewiesen wird, stellt insoweit, als er verbindliche Weisungen enthält, nicht eine blosse Zwischenverfügung, sondern eine Endverfügung dar. | Erwägungen
ab Seite 520
BGE 99 Ib 519 S. 520
Aus den Erwägungen:
1.
b) Wenn eine Berufungs- oder Beschwerdeinstanz den angefochtenen Entscheid aufhebt und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückweist, hat diese die Erwägungen, mit denen die Rückweisung begründet wird, ihrem neuen Entscheid zugrunde zu legen. Dieser Grundsatz ist in gewissen Gesetzesvorschriften ausdrücklich festgehalten, z.B. in
Art. 66 Abs. 1 OG
und
Art. 277ter Abs. 2 BStP
, ebenso in Art. 61 Abs. 1 VwG ("verbindliche Weisungen"). Er gilt aber allgemein, auch wo - wie in den Bestimmungen über die Verwaltungsrechtspflege durch das Bundesgericht - eine solche Vorschrift fehlt (
BGE 94 I 388
). In dem im Sinne der Motive zu verstehenden, durch sie ergänzten Dispositiv des Rückweisungsentscheids liegt die verbindliche Weisung an die Vorinstanz, sich in ihrem neuen Entscheid an diese Motive zu halten. Das Dispositiv nimmt richtigerweise auf die Erwägungen Bezug: "Rückweisung zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen" (KIRCHHOFER, Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, ZSR 49/1930, S. 69 mit Anm. 96). Wird der neue Entscheid der unteren Instanz wiederum an die Beschwerdeinstanz weitergezogen, welche den Fall zurückgewiesen hat, so ist dann auch diese selbst an die Erwägungen gebunden, mit denen sie die Rückweisung begründet hat (
BGE 94 I 389
E. 2 mit Hinweisen).
Daraus folgt, dass der Entscheid, mit dem eine letzte Instanz die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an eine untere Instanz zurückweist, das Verfahren in bezug auf die in den Erwägungen festgelegten Punkte beendet. Ist der Rückweisungsentscheid eine Verfügung gemäss Art. 5 VwG und
Art. 97 ff. OG
, so stellt er demnach insoweit, als er verbindliche Weisungen enthält, im Sinne dieser Bestimmungen nicht eine blosse Zwischenverfügung, sondern eine Endverfügung dar. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d52c09fe-68dd-4ecb-9cd5-18c1262bab2f | Urteilskopf
138 III 528
75. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z. und Betreibungsamt Oberland (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_288/2012 vom 13. Juli 2012 | Regeste
Art. 279 Abs. 1 und
Art. 280 Ziff. 1 SchKG
; Arrestprosequierung durch Betreibung.
Konnte der Zahlungsbefehl nicht zugestellt werden und hat sich der Gläubiger gegen die betreffende Mitteilung nicht gewehrt, wurde nie eine Betreibung hängig und fällt der Arrest mangels erfolgreicher Prosequierung dahin (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 528
BGE 138 III 528 S. 528
A.
Die X. AG stellte gegen Z. für eine Forderung von Fr. 26'500.25 nebst Zins zu 5 % seit 17. September 2010 insgesamt viermal ein Betreibungsbegehren beim Betreibungsamt Oberland, Dienststelle Obersimmental-Saanen, sowie beim Betreibungsamt Genf an die Adressen "Chalet A." bzw. "B." und "C.". In keiner dieser Betreibungen konnte dem Schuldner je ein Zahlungsbefehl zugestellt werden.
BGE 138 III 528 S. 529
Am 11. Juli 2011 erwirkte die Gläubigerin gegen den Schuldner für die nämliche Forderung gestützt auf
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG
einen Arrestbefehl mit der Liegenschaft "A." als Arrestgegenstand. Der Schuldner erhob im Zuge der vom Betreibungsamt Berner Oberland, Dienststelle Obersimmental-Saanen, ausgestellten Arresturkunde, welche der Gläubigerin am 2. August 2011 und dem Schuldner am 12. August 2011 zugestellt wurde, am 22. August 2011 eine Arresteinsprache, welche das Regionalgericht Oberland mit Entscheid von 11. November 2011 abwies.
B.
Auf ein entsprechendes Begehren des Schuldners vom 22. November 2011 hin stellte das Betreibungsamt Oberland, Dienststelle Obersimmental-Saanen, mit Verfügung vom 9. Dezember 2011 fest, dass der Arrest nicht fristgerecht prosequiert und deshalb dahingefallen sei. Dagegen erhob die Gläubigerin am 23. Dezember 2011 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Bern als Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen.
Im Rahmen der Vernehmlassung teilte das Betreibungsamt mit, dass es auf die angefochtene Verfügung zurückkomme. Mit Verfügung vom 9. Januar 2012 hob es diese auf und mit Verfügung vom 10. Januar 2012 liess es den Schuldner wissen, dass auf sein Begehren um Aufhebung des Arrestes nicht eingetreten werden könne.
Gegen diese beiden Verfügungen erhob der Schuldner am 20. Januar 2012 seinerseits eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde. Mit Entscheid vom 2. April 2012 vereinigte diese die beiden Beschwerdeverfahren, wies die Beschwerde der Gläubigerin ab und hob den Arrest in Gutheissung der Beschwerde des Schuldners auf.
C.
Gegen diesen Entscheid hat die X. AG am 20. April 2012 eine Beschwerde in Zivilsachen erhoben, mit welcher sie dessen Aufhebung und die Bestätigung des Arrestbefehls vom 11. Juli 2011, eventualiter die Rückweisung der Sache an die kantonale Aufsichtsbehörde verlangt. Am 7. Mai 2012 wurde der Beschwerde in dem Sinn die aufschiebende Wirkung erteilt, dass der Arrest für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens aufrechterhalten bleibe. In der Sache selbst wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Der Arrest ist entweder durch Betreibung oder durch Klage zu prosequieren, wobei die Betreibung oder Klage bereits vor der
BGE 138 III 528 S. 530
Bewilligung des Arrestes eingeleitet worden sein kann oder aber innert 10 Tagen nach Zustellung der Arresturkunde zu erfolgen hat (vgl.
Art. 279 Abs. 1 SchKG
). Vorliegend beruft sich die Beschwerdeführerin einerseits darauf, Betreibungen eingeleitet zu haben (dazu E. 4.1), und andererseits geht es darum, ob sie nach dem Arrest rechtzeitig Klage angehoben bzw. das Schlichtungsverfahren eingeleitet hat (dazu E. 4.2).
4.1
Mit "Einleiten der Betreibung" im Sinn von
Art. 279 Abs. 1 SchKG
ist gemeint, dass der Gläubiger spätestens 10 Tage ab Erhalt der Arresturkunde das Betreibungsbegehren stellen muss (AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl. 2008, § 51 Rz. 52). Damit hat er die ihm obliegende Handlung vollbracht, und im Übrigen lässt sich der Zahlungsbefehl oftmals erst erhebliche Zeit später zustellen. Im Unterschied zur Verjährungsunterbrechung hat aber die Gläubigerin vorliegend mit der Einleitung von Betreibungen keineswegs alles getan, was für die Rechtswahrung notwendig war. Der Erfolg der Arrestprosequierung hängt davon ab, dass auch alle weiteren Verfahrensschritte jeweils innerhalb der 10-tägigen Frist vorgenommen werden (vgl.
Art. 279 Abs. 2 und 3 SchKG
). Kann der Zahlungsbefehl aber nicht zugestellt werden, kommt es gar nie zu einer hängigen Betreibung (vgl.
Art. 38 Abs. 2 SchKG
), welche in einen rechtskräftigen Zahlungsbefehl münden kann, auf dessen Grundlage das Fortsetzungsbegehren gestellt und alsdann im Rahmen der Pfändung auf die Arrestgegenstände zugegriffen werden kann. Mangels einer prosequierbaren Betreibung fällt der Arrest deshalb dahin, wenn der Zahlungsbefehl nicht zugestellt werden kann und der Gläubiger dagegen nichts unternimmt. In diesem Zusammenhang hat die Aufsichtsbehörde bemerkt, dass die Gläubigerin jedenfalls nach der zweiten erfolglosen Betreibung nicht einfach davon ausgehen durfte, alles Nötige veranlasst zu haben, sondern dass sie weitere Abklärungen zur Adresse des Schuldners hätte vornehmen und auch auf weiteren Nachforschungen seitens der Betreibungsämter insistieren und diesbezüglich allenfalls eine betreibungsrechtliche Beschwerde erheben müssen, um zu einer erfolgreichen Zustellung des Zahlungsbefehls zu gelangen.
4.2
Aufgrund der relevanten Daten, wie sie sich aus den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Entscheides ergeben, wurde der Arrest auch mit dem Gesuch um Einleitung des Schlichtungsverfahrens nicht erfolgreich prosequiert: Am 2. August
BGE 138 III 528 S. 531
2011 wurde der Gläubigerin die Arresturkunde zugestellt, was die 10-tägige Prosequierungsfrist gemäss
Art. 279 Abs. 1 SchKG
auslöste. Zwar läuft die Frist während des Arresteinspracheverfahrens nicht (
Art. 278 Abs. 5 SchKG
). Indes erhob der Schuldner, dem die Arresturkunde zu einem späteren Zeitpunkt zugestellt worden war, erst am 22. August 2011 Arresteinsprache, also zu einem Zeitpunkt als die 10-tägige Prosequierungsfrist für die Gläubigerin bereits abgelaufen war. Sie konnte deshalb durch das am 17. November 2011 und damit an sich weniger als 10 Tage nach dem am 11. November 2011 ergangenen Arresteinspracheentscheid gestellte Gesuch um Einleitung des Schlichtungsverfahrens nicht mehr gewahrt werden.
4.3
Wurde der Arrest weder durch Betreibung noch durch Klage erfolgreich prosequiert, so ist er dahingefallen (
Art. 280 Ziff. 1 SchKG
). Statt den ex lege erfolgten Dahinfall festzustellen (vgl.
BGE 106 III 92
E. 1 S. 93 f.), spricht der angefochtene Entscheid im Dispositiv von "Aufhebung" des Arrestes. Für den Ausgang des Verfahrens vor Bundesgericht bleibt dies aber ohne Belang, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Standpunkt nicht durchdringt und ihre Beschwerde deshalb abzuweisen ist. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d52e99fe-809f-4a1f-a247-d251772ff4d5 | Urteilskopf
98 Ib 400
59. Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1972 i.S. Nater gegen Eidgenösssiches Militärdepartement. | Regeste
1.
Art. 100 lit. f OG
, "Verfügungen auf dem Gebiete der Strafverfolgung". Solche sind Entscheide, mit denen die Militärbehörden gemäss
Art. 32 Ziff. 3 MStG
den bedingten Strafvollzug widerrufen (Erw. 1, 2).
2.
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG
. Begriff des besonders leichten Falles (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 400
BGE 98 Ib 400 S. 400
A.-
Hans Rudolf Nater wurde am 16. Dezember 1966 vom Divisionsgericht 11 wegen Dienstversäumnis und wiederholter Nichtbefolgung von Dienstvorschriften zu einer auf vier Jahre
BGE 98 Ib 400 S. 401
bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Am 12. November 1970 auferlegte ihm das Bezirksgericht Bülach wegen wiederholten Diebstahls, begangen in der Zeit vom November 1969 bis April 1970, eine Strafe von 28 Tagen Gefängnis.
Der Oberauditor widerrief daraufhin am 2. November 1971 den vom Divisionsgericht 11 gewährten bedingten Strafvollzug.
Nater focht diesen Entscheid mit der Beschwerde an das Eidgenössische Militärdepartement an, das sie am 19. September 1972 abwies. Das Departement fügte seinem Entscheid eine Rechtsmittelbelehrung bei, wonach dieser innert 30 Tagen mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden könne.
B.-
Nater führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Verfügung des Oberauditors vom 2. November 1971 sei aufzuheben und der Vollzug der am 16. Dezember 1966 vom Divisionsgericht 11 ausgesprochenen Strafe auf weitere zwei Jahre aufzuschieben. Ferner seien die Akten des Divisionsgerichts 11, des Bezirksgerichts Bülach und des Beschwerdeverfahrens vor dem Eidgenössischen Militärdepartement von Amtes wegen beizuziehen. Nater macht eine Verletzung von
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG
geltend.
Das Eidgenössische Militärdepartement beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG
lässt das Eidgenössische Militärdepartement die Strafe vollziehen, wenn der Verurteilte während der Probezeit vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen begeht, sich bei der Leistung eines Militärdienstes schlecht führt, wiederholt zu einer militärischen Disziplinarstrafe verurteilt wird, trotz förmlicher Mahnung der Schutzaufsichtsbehörde einer ihm erteilten Weisung zuwiderhandelt, sich beharrlich der Schutzaufsicht entzieht oder in anderer Weise das in ihn gesetzte Vertrauen täuscht. Nach Absatz 2 kann das Militärdepartement statt den Strafvollzug anzuordnen, in besonders leichten Fällen den Verurteilten verwarnen, ihm weitere Bedingungen auferlegen oder die Probezeit höchstens um die Hälfte ihrer ursprünglichen Dauer verlängern.
2.
In seiner Rechtsprechung zu
Art. 41 Ziff. 3 StGB
hat das Bundesgericht erkannt, dass der Richter, der darüber entscheidet,
BGE 98 Ib 400 S. 402
ob eine Strafe, für welche der Verurteilte den bedingten Strafvollzug genoss, gestützt auf
Art. 41 Ziff. 3 StGB
, zu vollziehen ist, nicht vollziehende, sondern richterliche Gewalt ausübt, da er darüber befindet, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, eine dem Verurteilten gewährte Rechtswohltat zu widerrufen. Sein Entscheid wird in Fortsetzung des Verfahrens getroffen, in welchem der bedingte Strafvollzug eingeräumt wurde (
BGE 68 IV 118
). Dasselbe gilt für den Widerruf nach
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG
. Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
in seiner Fassung von 1950. Ein Unterschied besteht bloss insoweit, als darin zusätzlich das Verhalten des Verurteilten während des Militärdienstes als eventueller Widerrufsgrund herangezogen und die Befugnis zum Widerruf statt dem Richter dem Eidgenössischen Militärdepartement zuerkannt wird. Das aber ändert nichts daran, dass der Widerruf des bedingten Strafvollzuges nach
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB
und derjenige nach
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG
gleicher rechtlicher Natur sind; denn richterliche Gewalt kann auch durch eine Verwaltungsbehörde ausgeübt werden (s.
Art. 268 Ziff. 3 BStP
), und dass die Behörde, welche den bedingten Strafvollzug gewährte, mit derjenigen nicht identisch ist, die ihn widerruft, tut ebenfalls nichts zur Sache, wie die 1971 revidierte Fassung des
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 3 StGB
deutlich macht. Handelt es sich demnach auch beim Widerruf gemäss
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 1 MStG
nicht um einen Akt des Strafvollzuges, so ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu seiner Anfechtung nicht gegeben. Nach
Art. 100 lit. f OG
ist dieses Rechtsmittel nämlich unzulässig gegenüber Verfügungen auf dem Gebiete der Strafverfolgung. Darunter fallen nach der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung alle Verfügungen auf dem Gebiet des Strafrechtes sowie des Strafverfahrens, die nicht den Strafvollzug betreffen (BBl 1965 II 1309ff; s. auch das nicht veröffentlichte Urteil des Kassationshofes vom 13. April 1970 i.S. Walther). Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.
Es mag bedauerlich erscheinen, dass Widerrufsentscheide der Militärbehörden nicht vor den Richter getragen werden können. Das liegt jedoch in der Zuständigkeitsordnung des
Art. 32 Ziff. 3 MStG
begründet, die hierfür den Weg der verwaltungsinternen Rechtspflege vorsieht. Es wird deshalb Sache des Eidgenössischen Militärdepartements sein, zu prüfen, ob sein Entscheid allenfalls an den Bundesrat weitergezogen werden kann. Falls
BGE 98 Ib 400 S. 403
dies zutreffen sollte, wäre dem Beschwerdeführer durch eine neue Rechtsmittelbelehrung der entsprechende Rechtsweg zu öffnen.
3.
Könnte auf die Beschwerde eingetreten werden, wäre sie übrigens als unbegründet abzuweisen. Die Auffassung des Beschwerdeführers und übrigens auch des Eidgenössischen Militärdepartements, wonach
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG
, der Ersatzmassnahmen nur bei Vorliegen eines "besonders leichten Falles" zulässt, im Sinne des revidierten
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
als des milderen Rechts auszulegen sei, geht fehl. Sie übersieht einerseits, dass das Militärstrafrecht gegenüber dem bürgerlichen Strafrecht selbständigen Charakter hat und dass insbesondere das MStG einen allgemeinen abschliessenden Teil besitzt und nicht zum Nebenstrafrecht des bürgerlichen StGB gehört (BENDEL, Das materielle Militärstrafrecht, ZStR 1972, S. 187; BBl 1918 V 341). Anderseits verkennt sie, dass die bestehende Ordnung des
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG
, deren Wortlaut unmissverständlich von "besonders leichten Fällen" spricht, nicht auf dem Weg der richterlichen Auslegung, sondern nur durch den Gesetzgeber selber geändert werden kann (s.
BGE 98 Ia 224
unten, sowie BBl 1949 II 137), wie das auch im Falle des
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
geschehen ist. Ist demnach von
Art. 32 Ziff. 3 Abs. 2 MStG
auszugehen, so kann keinem Zweifel unterliegen, dass die vom Beschwerdeführer während der Probezeit verübten Straftaten, für die er mit 28 Tagen Gefängnis bestraft werden musste, nicht mehr als besonders leichter Fall gewertet werden können.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d531ae71-c5ec-4c2f-b83e-72d46e413500 | Urteilskopf
88 IV 40
12. Arrêt de la Cour de cassation pénale, du 23 mars 1962 dans la cause Ray contre Ministère public du Canton de Vaud. | Regeste
Art. 272 Abs. 7 BStP
.
Der Vollzug des Sachurteils kann auf Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid über die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens vom Kassationshof nicht aufgeschoben werden. | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 88 IV 40 S. 40
A. - Le 29 juin 1961, le Tribunal de police correctionnelle du district d'Echallens a condamné Ray à vingt mois de réclusion pour vol, faux dans les titres, escroquerie et insoumission à une décision de l'autorité.
Le 23 novembre 1961, le condamné a requis la revision de ce jugement, mais la Cour plénière du Tribunal cantonal vaudois, statuant le 23 janvier 1962, a rejeté la demande.
B. - Le condamné s'est pourvu en nullité contre cet arrêt. Il demande à la cour de céans d'accorder l'effet suspensif à son pourvoi, c'est-à-dire d'ordonner que l'exécution de la peine soit suspendue.
Erwägungen
Considérant en droit:
La revision des jugements prononcés par les tribunaux cantonaux en matière pénale fédérale relève de la procédure et, partant, du droit cantonal. Le législateur fédéral s'est contenté de statuer, à l'art. 397 CP, que les cantons sont tenus d'ouvrir la voie de la revision en faveur du condamné, au moins dans certains cas. Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral
BGE 88 IV 40 S. 41
est recevable, en cette matière aussi, pour violation du droit fédéral, c'est-à-dire, principalement, de l'art. 397 CP (RO 69 IV 137, consid. 2). Mais cette disposition ne prévoit rien de plus. Ainsi, lorsqu'un jugement sur demande de revision fait l'objet d'un pourvoi en nullité, la seule règle de droit fédéral applicable à une requête d'effet suspensif est l'art. 272 al. 7 PPF, lequel ne permet de suspendre que "l'exécution de la décision". Ce dernier terme vise manifestement la décision intervenue dans la procédure cantonale dont le pourvoi est une suite; cette décision est la seule dont la force exécutoire puisse, à la forme et momentanément tout au moins, être tenue en échec par la cour de céans selon l'art. 272 al. 7 PPF. Or le jugement sur demande de revision et celui qui porte condamnation résultent de procédures distinctes, qui n'ont pas le même objet; le premier ne met en cause le second qu'indirectement et il en va de même du pourvoi qui l'attaque. Ainsi, en matière de revision, l'art. 272 al. 7 PPF n'autorise pas le juge fédéral à suspendre les effets de la condamnation; celle-ci conserve toute la force exécutoire que lui confère le droit cantonal. Seul ce droit, par conséquent, peut prescrire si et dans quels cas la procédure de revision suspend l'exécution de la peine. Mais la cour de céans, qui, saisie d'un pouvoi en nullité, ne connaît que de l'application du droit fédéral (art. 269 al. 1 PPF), ne saurait se prononcer sur ce point.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale
Déclare irrecevable la demande d'effet suspensif. | null | nan | fr | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d533126a-c6c6-40ff-8603-b9fc25fb0e0a | Urteilskopf
92 IV 201
50. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1966 i.S. Mattmann und Konsorten gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug. | Regeste
1. 1. Art. 64 letzter Abs. StGB. Strafmilderung wegen Ablaufs verhältnismässig langer Zeit.
a) Diese Bestimmung ist grundsätzlich nur anwendbar bei Tatbeständen, die den allgemeinen Verjährungsfristen, nicht den in der Regel bloss zweijährigen besonderen Fristen unterliegen (Erw. 1 b).
b) Als Verfolgungsverjährung, die Masstab für den Ablauf verhältnismässig langer Zeit ist, gilt die ordentliche nach Art. 70, nicht die absolute nach
Art. 72 StGB
(Erw. I c).
c) Dem einzelnen Angeklagten kann nur sein eigenes Verhalten (z.B. Uneinsichtigkeit) zur Last gelegt werden, nicht auch dasjenige der Mitangeklagten (Erw. I d).
2.
Art. 307 StGB
. Falsches Zeugnis.
a) Die Zeugnisfähigkeit Tatverdächtiger wird durch die kantonale Prozessgesetzgebung geordnet (Erw. III 2 a).
b) Vom Bundesrecht aus steht nichts entgegen, dass der Privatstrafkläger als Zeuge abgehört werde, selbst wenn er adhäsionsweise Zivilansprüche einklagt (Erw. III 2 b). | Sachverhalt
ab Seite 202
BGE 92 IV 201 S. 202
I
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
a) Nach Art. 64 letzter Absatz StGB kann der Richter die Strafe mildern, wenn seit der Tat verhältnismässig lange Zeit verstrichen ist und der Täter sich während dieser Zeit wohl verhalten hat. Verhältnismässig lange Zeit ist nach der Rechtsprechung des Kassationshofes verstrichen, wenn die Strafverfolgung der Verjährung nahe ist (
BGE 73 IV 159
,
BGE 89 IV 4
E. 1). Wie in dieser Rechtsprechung ausgeführt wurde, knüpft der Milderungsgrund des Ablaufs verhältnismässig langer Zeit an den Gedanken der Verjährung an. Die heilende Kraft der Zeit, die das Strafbedürfnis geringer werden lässt, soll auch berücksichtigt werden können, wenn die Verfolgungsverjährung noch nicht eingetreten ist, die Tat aber längere Zeit zurückliegt und der Täter sich inzwischen wohlverhalten hat (STOOSS, Motive, Allg. Teil S. 75, 82).
b) Das kann indessen grundsätzlich nur gelten mit bezug auf die allgemeinen Verjährungsfristen, nicht die in der Regel bloss zweijährigen besonderen Fristen (Art. 118 Abs. 2, 119 Ziff. 1 Abs. 4, 178 Abs. 1, 213 Abs. 4, 302 Abs. 3 StGB). Wie der Kassationshof in
BGE 89 IV 5
ausgeführt hat, können nach dem Sinn des Art. 64 letzter Absatz zwei bis drei Jahre nicht verhältnismässig lange Zeit darstellen, denn nach so kurzer Frist kann von einer heilenden Wirkung der Zeit, wozu es sonst bei Verbrechen und Vergehen zehn bzw. fünf Jahre
BGE 92 IV 201 S. 203
braucht, nicht gesprochen werden. Anders könnte es nur sein, wenn der Gesetzgeber die Verjährungsfrist deswegen verkürzt hat, weil sich bei den betreffenden Tatbeständen das Strafbedürfnis rascher abschwächt als bei andern Straftaten, womit der innere Grund für die Milderung der Strafe wieder gegeben wäre. Nicht der Fall ist dies, wie der Kassationshof bereits entschieden hat, bei den Abtreibungen gemäss
Art. 118 und 119 Ziff. 1 StGB
, wo die Verjährungsfrist herabgesetzt wurde, um der Schwierigkeit des Beweises Rechnung zu tragen (
BGE 89 IV 5
), und bei der Blutschande (Art. 213 Abs. 4), wo man die Unzukömmlichkeiten verringern wollte, die damit verbunden sind, dass Vorgänge des engsten Familienlebens, wie sie in der Blutschande liegen, durch ein gerichtliches Verfahren an die Öffentlichkeit gebracht werden (
BGE 72 IV 137
unten).
c) Als Verfolgungsverjährung gilt die ordentliche nach Art. 70, nicht die absolute nach
Art. 72 StGB
. In
BGE 89 IV 5
ist freilich neben der ordentlichen auch die absolute Verjährungsfrist herangezogen worden. Dies jedoch nur um, wie oben gezeigt, darzutun, dass bei der verkürzten Verjährung der
Art. 118 und 119 Ziff. 1 StGB
selbst unter Zugrundelegung der absoluten Frist die sinngemässen Voraussetzungen von Art. 64 letzter Absatz StGB nicht erfüllt sind.
Da die Strafmilderung die Ergänzung zur Verjährung bildet und Art. 70 diese abstuft nach der Schwere der gesetzlichen Tatbestände, ist es gegeben, dass an die verhältnismässig lange Zeit im Sinne von Art. 64 der gleiche Masstab angelegt wird. Der heilende Einfluss der Zeit, der in den Fristen des Art. 70 zur Verjährung führt, soll in den Fällen, wo die Verjährungsfrist nahezu abgelaufen ist, die Strafmilderung ermöglichen, wenn sich der Täter in dieser Zeit wohlverhalten hat. Neigt sich die ordentliche Verjährungsfrist ihrem Ende zu und ist dem Täter bis dahin nichts Nachteiliges mehr vorzuwerfen, so soll die Strafe gemildert werden können, auch wenn die Verjährung inzwischen nach Art. 72 unterbrochen worden ist. Hat der Täter durch sein eigenes Verhalten das Verfahren verlängert und damit Unterbrechungen herbeigeführt oder hat er sich nachträglich, seit Ablauf der ordentlichen Verjährungsfrist, nicht wohlverhalten, so kann dem beim Entscheid über die Strafmilderung immer noch Rechnung getragen werden. Denn auch wenn an sich eine der Voraussetzungen des Art. 64 zutrifft, so ist der Richter nicht schon verpflichtet, von der
BGE 92 IV 201 S. 204
Strafmilderung Gebrauch zu machen, vielmehr hat er nach seinem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die gesamten Umstände sie rechtfertigen (
BGE 71 IV 80
,
BGE 83 IV 189
oben und ständige Rechtsprechung).
Gleich wird es zu halten sein, wenn die Verjährung gemäss
Art. 72 Ziff. 1 StGB
ruht, weil der Täter im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüsst. Nur wird sich hier dann fragen, ob die gute Aufführung in der Strafanstalt als Wohlverhalten im Sinne von Art. 64 genügt und die Strafmilderung rechtfertigt.
d) Im vorliegenden Falle ist auf alle vom Beschwerdeführer begangenen Strafhandlungen (Betrug, Art. 148 Abs. 1; betrügerischer Konkurs, Art. 163 Ziff. 1; Erschleichung einer Falschbeurkundung, Art. 253) Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis angedroht. Die ordentlichen Verjährungsfristen betrugen daher nach Art. 70 Abs. 2 für sämtliche Handlungen zehn Jahre. Da sie im Sommer und Herbst 1956 verübt wurden, waren somit die Fristen am 16. November 1965, als die Vorinstanz urteilte, zu mehr als neun Zehnteln abgelaufen. Das heisst, dass die Strafverfolgung ordentlicherweise nahezu verjährt war.
Neue Verfehlungen oder eine sonstwie anfechtbare Aufführung werden dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen. Ebensowenig macht die Vorinstanz Tatumstände geltend, welche die Strafmilderung nicht rechtfertigen würden. Hingegen hält sie dem Beschwerdeführer vor, dass das langwierige Strafverfahren weitgehend auf die Uneinsichtigkeit aller Angeklagter zurückzuführen sei. Uneinsichtigkeit des Angeklagten im Verfahren kann in der Tat ein Grund sein, ihm die Strafmilderung nicht zu gewähren. Dem einzelnen Angeklagten kann aber nur sein eigenes Verhalten zur Last gelegt werden, nicht auch dasjenige der Mitangeklagten. Daher ist es dem Kassationshof nicht möglich zu prüfen, ob die Ablehnung der Strafmilderung im Rahmen des dem kantonalen Richter zustehenden Ermessens bleibt, ohne dass die Vorinstanz feststellt, inwieweit der Beschwerdeführer selber, sei es allein oder im Zusammenwirken mit den Mitangeklagten, für die ausserordentlich lange Dauer des Strafverfahrens verantwortlich ist (
Art. 277 BStP
).
Diese Feststellung ist umso notwendiger, als der Beschwerdeführer, der bei der Eröffnung der Strafuntersuchung im Dezember 1956 63 Jahre alt war, inzwischen 73 Jahre alt geworden
BGE 92 IV 201 S. 205
ist und der Vollzug der Strafe ihn heute bedeutend härter trifft, als es noch in seinen Sechzigerjahren der Fall gewesen wäre. Diese inzwischen erheblich erhöhte Strafempfindlichkeit wird die Vorinstanz, wenn sie nicht zur Milderung der Strafe gelangt, jedenfalls bei ihrer Zumessung im ordentlichen Rahmen zu berücksichtigen haben (vgl.
BGE 90 IV 154
E. 4).
Die Beschwerde ist somit dahin gutzuheissen, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
II
(Ausführungen, in denen, wie schon in
BGE 87 IV 50
, geprüft wird, ob es dem Sinn des Gesetzes nicht entspräche, Tatbestandsmerkmale vom Begriff der besondern persönlichen Verhältnisse gemäss
Art. 26 StGB
auszunehmen und diese Bestimmung lediglich auf persönliche Umstände anzuwenden, die jenseits des besondern gesetzlichen Tatbestandes liegen. Die Frage musste wiederum nicht entschieden werden.)
III
1.
Aus dem Sachverhalt:
Candid Mattmann und sein Sohn Adolf betrieben in Zug als Kollektivgesellschaft die Kinderwagenfabrik "Bernina", Adolf Mattmann ausserdem als Einzelfirma, in Wirklichkeit ebenfalls auf Rechnung der Gesellschaft, eine Metallveredlungsanstalt. Die Gesellschaft kaufte 1954 die Liegenschaft Kollermühle in Zug, in der fortab die beiden Unternehmungen betrieben wurden. Candid Mattmann war persönlich Eigentümer von zwei Liegenschaften, des Wohn- und Geschäftshauses Matthof in Cham und der Liegenschaft Kemmatten in der Gemeinde Hünenberg. Margrit Mattmann, Tochter von Candid und Schwester von Adolf Mattmann, von Beruf Büroangestellte, soll zeitweise als Laborgehilfin des Beschwerdeführers, des Arztes Dr. Edmund Schnider in Zug, tätig gewesen sein, mit dem sie befreundet ist. Sie gründete im Jahre 1954 die Hiatraima AG in Speicher AR, Institut für biologische Forschung. Sie hatte das gesamte Aktienkapital von Fr. 50'000.-- aufgebracht (ohne dass abgeklärt werden konnte, woher das Geld stammte) und wurde einziger Verwaltungsrat der Gesellschaft.
BGE 92 IV 201 S. 206
Die Geschäfte der Kinderwagenfabrik gingen seit 1955 infolge Unfähigkeit und Misswirtschaft zusehends schlechter und trieben immer mehr der Katastrophe zu. Nicht besser stand es um die Metallveredlungsanstalt. Buchhaltungen, die einen Überblick über den Stand der Unternehmungen geboten hätten, wurden nicht mehr geführt.
Im Frühjahr 1956 begann Margrit Mattmann sich nähern Einblick in die beiden Unternehmungen zu verschaffen und sich intensiv mit ihren Verhältnissen zu befassen. Im August 1956 trat mit ihr Dr. Schnider auf den Plan. Es fanden zahlreiche Erkundigungen, Besprechungen und Besichtigungen statt. Am 18. August 1956 verkaufte Candid Mattmann die Liegenschaft Matthof zum Preise von Fr. 265'000.-- seiner Tochter. Am gleichen Tag verkaufte er die Liegenschaft Kemmatten für Fr. 112'000.-- der durch seine Tochter handelnden Hiatraima AG.
Am 8. September 1956 kaufte Dr. Egli aus Sursee als Strohmann für Dr. Schnider von der Kollektivgesellschaft Mattmann die Liegenschaft Kollermühle und die Kinderwagenfabrik, von Adolf Mattmann den Metallveredlungsbetrieb, alles zusammen zum Preise von Fr. 340'000.--. Der Kaufpreis war zu leisten durch Übernahme der hypothekarischen Belastungen und durch einen Barbetrag von Fr. 115'000.--, von dem im Vertrage angegeben wurde, dass er bereits bezahlt sei.
Am 15. September 1956 wurde die Bernina-Werke AG Zug gegründet, in die Dr. Egli die Liegenschaft Kollermühle und die beiden Geschäftsbetriebe einbrachte und in der Dr. Schnider einziger Verwaltungsrat wurde.
Am 6. November 1956 brach über Adolf Mattmann und am folgenden Tage auch über die Kollektivgesellschaft und über Candid Mattmann der Konkurs aus. Die nicht gesicherten Forderungen im Betrage von Fr. 537'452.-- gegen die Kollektivgesellschaft blieben vollständig ungedeckt, ebenso gingen die Gläubiger von Candid und Adolf Mattmann gänzlich leer aus.
2.
Aus den Erwägungen:
a) Falsches Zeugnis im vorliegenden Verfahren.
Der Beschwerdeführer wurde in der vorliegenden Strafuntersuchung zunächst mehrmals als Zeuge einvernommen, in der Folge wurde die Untersuchung auch auf ihn ausgedehnt. Als Zeuge machte er nach den verbindlichen Feststellungen der
BGE 92 IV 201 S. 207
Vorinstanz eine Reihe bewusst falscher Aussagen über seine Beziehungen zur Kollektivgesellschaft Mattmann, über den Verkauf der Kollermühle an Dr. Egli und die Gründung der Berninawerke AG, über deren Aktionäre, über den Weiterverkauf der Liegenschaft Kemmatten an die Hiatraima AG, über die Auftraggeberschaft von Dr. Egli, über die finanzielle Lage von Margrit Mattmann.
Die erste Instanz sprach den Beschwerdeführer von der Anklage des falschen Zeugnisses frei, weil er von Anfang an als Angeschuldigter in die Untersuchung hätte einbezogen werden sollen. Die Vorinstanz verneinte das gestützt auf die kantonale Strafprozessordnung. Diese behandle Personen, deren Aussagen auf die an sie gestellten Fragen ihrer Ehre nachteilig wären oder sie persönlich verantwortlich machen würden, nicht als zeugnisunfähig, sondern schütze sie dadurch, dass sie ihnen das Recht einräume, das Zeugnis zu verweigern (§ 26 ff.).
Das ist Auslegung des kantonalen Rechts, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde nicht angefochten werden kann (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
); diese ist einzig wegen Verletzung von Bundesrecht zulässig (Art. 269 Abs. 1). Der Beschwerdeführer sieht das auch ein, macht aber geltend, dass der Begriff des Zeugen ein bundesrechtlicher sei und dass nach diesem ein der Tat Verdächtiger nicht Zeuge sein könne.
Der Natur der Sache nach und nach allgemein anerkanntem Prozessgrundsatz kann nicht gleichzeitig Zeuge sein, wer im Verfahren Partei, insbesondere wer Beschuldigter ist. Abgesehen hievon aber bestimmt das Verfahrensrecht, in eidgenössischen Verfahren also das eidgenössische, in kantonalen das kantonale, wer als Zeuge einvernommen werden kann. Das StGB, Art. 306, enthält darüber keine Vorschriften, auch nicht zu Gunsten von Personen, die der Tat oder der Beteiligung an der Tat verdächtig erscheinen; es bestimmt nur (Art. 308 Abs. 2), dass dann, wenn der Täter eine falsche Äusserung getan hat, weil er sich durch die wahre Aussage strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde, der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern könne. Das ist auch die nahezu einhellige Auffassung im Schrifttum: THORMANN/v. OVERBECK, N 2 zu Art. 307, HAFTER, Bes. T. S. 807, LOGOZ, N 3 a zu Art. 307, CLERC, Cours élémentaire, Partie spéc. II S. 257; ebenso die vom Beschwerdeführer selber zitierten, teilweise offenbar missverstandenen Autoren: WAIBLINGER, ZBJV 1958 S. 322, SCHULTZ, ZStrR 1960 S. 348 ff.,
BGE 92 IV 201 S. 208
PFENNINGER, SJZ 1958 S. 225 ff. Sache der kantonalen Prozessgesetzgebung ist es also, für ihr Gebiet die Zeugnisfähigkeit Tatverdächtiger zu ordnen. Wenn das Strafprozessrecht des Kantons Zug ihre Einvernahme unbeschränkt zulässt, verstösst es infolgedessen damit nicht gegen Bundesrecht.
Eine Strafmilderung nach
Art. 308 Abs. 2 StGB
verlangt der Beschwerdeführer nicht, und insbesondere versucht er nicht darzutun, inwiefern er sich mit den einzelnen wahren Aussagen einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt hätte.
b) Falsches Zeugnis im Ehrverletzungsprozess Seeholzer
Der Beschwerdeführer hatte gegen einen der Hauptgläubiger der Kollektivgesellschaft Mattmann, Clemens Seeholzer, Ehrverletzungs- und Kreditschädigungsklage erhoben wegen eines Zeitungsinserates, in welchem ihn Seeholzer skrupelloser Machenschaften in der Angelegenheit Mattmann bezichtigte. In diesem Prozess wurde der Beschwerdeführer am 24. April 1958 vom Verhörrichter als Zeuge einvernommen, wobei er nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanzen über die Rolle von Dr. Egli und diejenige von Margrit Mattmann bei den getätigten Transaktionen bewusst falsche Angaben machte. Er wurde deshalb mit Bezug auf diese Aussagen von beiden kantonalen Instanzen wegen falschen Zeugnisses verurteilt.
Nach § 26 der kantonalen StPO ist der Privatkläger unter den gleichen Strafandrohungen zur wahrheitsgemässen Aussage verpflichtet wie der Zeuge. So ist denn auch der Beschwerdeführer als Zeuge behandelt und beurteilt worden, was er zu Unrecht als bundesrechtswidrig bezeichnet. Zwar kann, wie oben ausgeführt, eine Partei nicht als Zeuge abgehört werden. Wie PFENNINGER (SJZ 1958 S. 226) ausführt, ist aber der Verletzte auch dann, wenn er im Strafverfahren als Privat- oder Nebenstrafkläger auftritt, materiell nicht Partei, weil der sog. Strafanspruch nicht ihm, sondern ausschliesslich dem Staate zusteht. Deshalb steht mindestens vom Bundesrechte aus nichts entgegen, dass der Privatstrafkläger als Zeuge abgehört werde.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er im Prozess gegen Seeholzer auch Zivilansprüche eingeklagt habe, was die Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung bestätigt. Daraus kann er indessen nichts zu seinen Gunsten herleiten. Da der Beschwerdeführer im Verfahren in erster Linie als Privatstrafkläger auftrat und das nach dem Gesagten seiner Einvernahme als Zeuge nach Art. 307 nicht entgegenstand, konnte der Umstand,
BGE 92 IV 201 S. 209
dass er adhäsionsweise auch Zivilansprüche eingeklagt hatte, diese Einvernahme jedenfalls bundesrechtlich nicht hindern. Dies umso weniger als er nicht zur Entschädigungsforderung, sondern zum Strafpunkt einvernommen wurde. Der Verletzte ist vielfach der für die Beurteilung der Strafsache wichtigste Zeuge, weshalb die Strafrechtspflege ein berechtigtes Interesse daran hat, dass er als solcher nicht durch seine Adhäsionsklage ausgeschaltet werde. Mit der Beweisaussage nach Art. 306 wäre ihr nicht geholfen, da diese ja nur für das Zivilrechtsverfahren gilt.
Ob der Beschwerdeführer nach dem kantonalen Prozessrecht das Zeugnis hätte verweigern können und ob und wie er darauf aufmerksam zu machen war, ist vom Kassationshof nicht zu prüfen. Darauf endlich, ob seine Aussagen beweisbildend gewesen wären, kommt es nach Art. 307 nicht an. Der Einwand aber, die falschen Äusserungen hätten sich auf unerhebliche Tatsachen im Sinne von Art. 307 Abs. 3 bezogen, ist mutwillig. | null | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d5357929-7c64-4fb8-a656-d69753919b90 | Urteilskopf
134 IV 82
10. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_109/2007 vom 17. März 2008 | Regeste
Art. 2 und
Art. 42 Abs. 4 StGB
; Anwendung des milderen Rechts im neuen Sanktionensystem; Sanktionierung im Rahmen der sogenannten Schnittstellenproblematik.
Darstellung der Grundzüge des neuen Sanktionensystems (E. 3-5). Bei der Wahl der Sanktionsart für Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr bildet die Zweckmässigkeit ein wichtiges Kriterium (E. 4.1).
Systematische Darstellung des intertemporalen Kollisionsrechts (E. 6 und 7).
Anwendung von
Art. 42 Abs. 4 StGB
im Sanktionsbereich der sogenannten Schnittstellenproblematik im Strassenverkehrsstrafrecht (E. 8). Bei unechter Gesetzeskonkurrenz sind konsumierte Übertretungen mit einer zusätzlichen Busse zu bestrafen (E. 8.3). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 134 IV 82 S. 82
A.
Die Autobahn A1 weist vor der Einfahrt Winterthur-Töss Richtung Zürich nur zwei Fahrstreifen auf. Der Einfahrstreifen wird in
BGE 134 IV 82 S. 83
der Folge weitergeführt, so dass die A1 mit diesem Einfahrstreifen nachher drei Fahrstreifen umfasst. Der Einfahrstreifen ist auf den ersten 180 m mit einer Sicherheitslinie abgetrennt. Als X. am 30. Juni 2004 mit seinem Sattelschlepper ungefähr 470 m nach dem Beginn des Einfahrstreifens vom mittleren auf den rechten Fahrstreifen wechseln wollte, kollidierte er mit einem aus der Einfahrt heranfahrenden Personenwagen, der im Begriffe war, ihn (verbotenerweise) rechts zu überholen. Er hätte indessen damit rechnen müssen, dass sich ein Fahrzeug im sichttoten Winkel befinden kann. Die Lenkerin des Personenwagens wurde bei der Kollision verletzt. Das Bezirksgericht Winterthur bestrafte ihn deshalb am 15. Mai 2006 wegen fahrlässiger Körperverletzung mit 1'500 Franken Busse.
B.
Auf seine Berufung hin fand ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 19. Januar 2007 ebenfalls der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von
Art. 125 Abs. 1 StGB
schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 8 Tagessätzen zu Fr. 100.- (Ziff. 2 des Dispositivs) und schob den Vollzug der Geldstrafe mit einer Probezeit von zwei Jahren auf (Ziff. 3). Die von der Staatsanwaltschaft zusätzlich beantragte Busse von 500 Franken sprach es nicht aus.
C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts in Ziff. 2 des Dispositivs wegen Verletzung von
Art. 42 Abs. 4 und
Art. 47 StGB
sowie
Art. 8 Abs. 1 BV
aufzuheben und den Beschwerdegegner mit einer Geldstrafe von 8 Tagessätzen zu Fr. 100.- und einer Busse von Fr. 500.- zu bestrafen, eventualiter die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
In der Vernehmlassung beantragt der Beschwerdegegner die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Änderungen vom 13. Dezember 2002 (AS 2006 S. 3459) sowie die Korrekturen am Sanktions- und Strafregisterrecht vom 24. März 2006 (AS 2006 S. 3539) des Schweizerischen Strafgesetzbuches wurden vom Bundesrat auf den 1. Januar 2007 in Kraft gesetzt. Der Beschwerdegegner hat die zu beurteilende Tat am 30. Juni 2004 begangen. Die Vorinstanz kommt zum Ergebnis, nach dem im Urteilszeitpunkt anwendbaren neuen Recht sei eine bedingte Geldstrafe festzusetzen, und diese erweise sich als mildere Sanktion
BGE 134 IV 82 S. 84
als die vom Bezirksgericht gemäss dem bisherigen Recht ausgefällte Busse. Daher sei das neue Recht anwendbar.
Der vorliegende Fall bietet Anlass, die Anwendung des milderen Rechts im neuen Sanktionensystem klarzustellen.
3.
Wie erwähnt, sind am 1. Januar 2007 der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches (erstes Buch) und die revidierten Bestimmungen über die Einführung und Anwendung des Gesetzes (drittes Buch) vom 13. Dezember 2002 in Kraft getreten. Die Revision brachte eine grundlegende Neuordnung des Sanktionensystems. Zentrales Anliegen waren die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe, die Einführung der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit als Alternativsanktionen zur Freiheitsstrafe sowie allgemein die Erhöhung der Flexibilität des Richters bei der Auswahl und Individualisierung der Sanktion (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [im Folgenden: Botschaft 1998], BBl 1999 S. 1979, 1984 ff., 2017 ff., 2024 ff.). Daneben wurde das Rechtsinstitut des bedingten Strafvollzuges angepasst, ausgebaut und ihm das neue Rechtsinstitut der teilbedingten Strafe zur Seite gestellt (Botschaft 1998 S. 2048 ff.). Schliesslich führte der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nachträglich die kombinierte Strafe ein, die es erlaubt, eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse zu verbinden (
Art. 42 Abs. 4 StGB
; Botschaft vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 und des Militärstrafgesetzes in der Fassung vom 21. März 2003 [im Folgenden: Botschaft 2005], BBl 2005 S. 4689, 4695, 4699 ff.).
4.
4.1
Der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches (erstes Buch) sieht für den Bereich der leichteren Kriminalität als Regelsanktion neu Geldstrafe (
Art. 34 StGB
) und gemeinnützige Arbeit (
Art. 37 StGB
), für den Bereich der mittleren Kriminalität Geldstrafe und Freiheitsstrafe (
Art. 40 StGB
) vor. Eine unbedingte Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Sie ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe im Sinne von
Art. 42 StGB
nicht gegeben sind und gleichzeitig zu erwarten ist, dass eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden können (
Art. 41 StGB
). Mit der Bestimmung von
Art. 41 StGB
hat der Gesetzgeber für Strafen bis zu sechs Monaten mithin eine gesetzliche Prioritätsordnung zugunsten nicht
BGE 134 IV 82 S. 85
freiheitsentziehender Sanktionen eingeführt (GORAN MAZZUCCHELLI, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007 [im Folgenden: Basler Kommentar],
Art. 41 StGB
N. 11/38).
Für Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr sieht das Gesetz Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor (vgl.
Art. 34 Abs. 1 und
Art. 40 Satz 1 StGB
). Im Vordergrund steht dabei die Geldstrafe. Das ergibt sich aus dem Prinzip der Verhältnismässigkeit, wonach bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden soll, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft. Bei der Wahl der Sanktionsart ist als wichtiges Kriterium die
Zweckmässigkeit
einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen (FRANZ RIKLIN, Neue Sanktionen und ihre Stellung im Sanktionensystem, in: Reform der strafrechtlichen Sanktionen, Stefan Bauhofer/Pierre-Henri Bolle [Hrsg.], Zürich 1994, S. 168;
ders
., Zur Revision des Systems der Hauptstrafen, ZStrR 117/1999 S. 259).
4.2
Alle Arten von Sanktionen können unter den gegebenen Voraussetzungen nunmehr bedingt (
Art. 42 StGB
), teilbedingt (
Art. 43 StGB
) oder unbedingt ausgesprochen werden. Es ist Grundvoraussetzung für den - ganz oder teilweise - gewährten Strafaufschub, dass nicht befürchtet werden muss, der Täter werde sich in Zukunft nicht bewähren. Der Grund für den Aufschub der (Freiheits-)Strafe liegt darin, dass auf die Vollstreckung der Strafe (vorerst) verzichtet werden soll, wenn dies unter spezialpräventiven Gesichtspunkten als sinnvoll erscheint (Botschaft 1998 S. 2048; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, 2. Aufl., Bern 2006, § 5 Rz. 19 S. 129). Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges für Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren ist die Regel (
Art. 42 Abs. 1 StGB
), von der grundsätzlich nur bei ungünstiger Legalprognose abgewichen werden darf. Im breiten Mittelfeld der Ungewissheit hat der Strafaufschub den Vorrang. Bleiben indes ganz erhebliche Bedenken an der Legalbewährung des Täters, ist zu prüfen, ob es spezialpräventiv ausreichend ist, die bedingte Strafe mit einer Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse (
Art. 42 Abs. 4 StGB
) zu kombinieren. Erst wenn die Strafenkombination nicht ausreicht und der teilweise Vollzug unumgänglich erscheint, ist die teilbedingte Strafe zulässig. Denn der blosse Teilaufschub (
Art. 43 StGB
) setzt voraus, dass der Aufschub wenigstens eines Teils der Strafe aus
BGE 134 IV 82 S. 86
spezialpräventiver Sicht erfordert, dass der andere Strafteil unbedingt ausgesprochen wird (
BGE 134 IV 1
E. 4.5 und 5.5.2).
5.
Die Strafdrohungen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches (zweites Buch) wurden an das revidierte Sanktionensystem angepasst. Von einer Ausnahme abgesehen (
Art. 294 StGB
) hat der Gesetzgeber die Strafdrohungen der Tatbestände lediglich neu umschrieben, ohne dass der damit verbundene Vorwurf erschwert bzw. der Strafrahmen erweitert worden wäre (Botschaft 1998 S. 2148 f.; siehe die Übersicht der Anpassungen in Ziff. II/1 Abs. 1-16 und Abs. 17 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Änderung des Strafgesetzbuches [AS 2006 S. 3502 ff.]). So wurden die Sanktionen Zuchthaus (für Verbrechen) und Gefängnis (für Vergehen) terminologisch vereinheitlicht und durch Freiheitsstrafe ersetzt (Botschaft 1998 S. 2000 f.). Die Freiheitsstrafe Haft (für Übertretungen) wurde in allen Strafdrohungen ersatzlos gestrichen. Die übrigen Anpassungen betreffen zur Hauptsache die Einführung der Geldstrafe, die sich nach dem Tagessatzsystem bemisst. Für die leichtere und mittlere Kriminalität steht die Geldstrafe neu überall dort zur Verfügung, wo die frühere Strafdrohung eine Freiheitsstrafe (bis zu drei Jahren) vorsah. Eine Minimal- oder Maximaldauer der Gefängnisstrafe wurde in eine minimale oder maximale Anzahl Tagessätze überführt nach dem festen Umrechnungsschlüssel, wonach ein Tag Freiheitsstrafe einem Tagessatz entspricht (z.B. Art. 139 Ziff. 3,
Art. 226 Abs. 2 und 3 StGB
; vgl. auch
Art. 36 Abs. 1 StGB
). Konsequenterweise ergaben sich zwei Einschränkungen. Wenn die Höchststrafe auf sechs Monate Gefängnis lautete, droht neu nur noch Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen (z.B.
Art. 173 Ziff. 1 StGB
), weil die kurze Freiheitsstrafe zurückgedrängt werden soll (
Art. 41 StGB
). Umgekehrt wird allein Freiheitsstrafe angedroht (z.B.
Art. 140 Ziff. 2 StGB
), wenn früher die Mindeststrafe auf ein Jahr Gefängnis lautete, weil die Geldstrafe von höchstens 360 Tagessätzen (
Art. 34 Abs. 1 StGB
) nicht an die Stelle einer Freiheitsstrafe von längerer Dauer treten kann. Die Geldstrafe ersetzt sodann die Busse für Vergehen und Verbrechen in all jenen Strafdrohungen, die vorsahen, dass neben der Freiheitsstrafe (alternativ oder kumulativ) eine Busse verhängt werden konnte bzw. musste, sowie - teilweise - in der Form als Verbindungsgeldstrafe (
Art. 42 Abs. 4,
Art. 172
bis
StGB
).
6.
6.1
Der "zeitliche Geltungsbereich" des Strafgesetzbuches in seiner revidierten Fassung bestimmt sich nach
Art. 2 StGB
, soweit nicht
BGE 134 IV 82 S. 87
besondere Anordnungen in den Übergangsbestimmungen (drittes Buch) bestehen. Die Vorschrift lautet:
1
Nach diesem Gesetz wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2
Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
Art. 2 StGB
ist eine Regel des intertemporalen Kollisionsrechts, die bestimmt, welches Gesetz zur Anwendung kommt, wenn das zur Tatzeit geltende Gesetz im Zeitpunkt der Entscheidung formell ausser Geltung steht. In solchen Fällen entsteht die Kollision des alten und des neuen Gesetzes und für den Richter die Frage, ob dem alten Gesetz fortwirkende Kraft oder dem neuen Gesetz rückwirkende Kraft innewohnt (PETER HALTER, Das zeitliche Geltungsgebiet des Schweizerischen Strafgesetzbuches, Luzern 1942, S. 5). Die Kollisionsregel ist auch auf altrechtliche Übertretungen anwendbar (
Art. 104 StGB
).
Die rückwirkende Anwendung der Gesetzesänderung ist unzulässig, wenn sie sich zu Lasten des Täters auswirken würde (
Art. 2 Abs. 1 StGB
). Daraus leitet sich ab, dass grundsätzlich jenes Gesetz anwendbar ist, das im Zeitpunkt der verübten Tat galt, es sei denn, dass das neue Gesetz das mildere ist (
Art. 2 Abs. 2 StGB
;
BGE 129 IV 49
E. 5.1 S. 51). Die Rückwirkung des milderen Gesetzes (lex mitior) folgt dem Gedanken, dass nicht mehr oder milder bestraft werden soll, weil die Tat zufolge Änderung der Rechtsanschauung nicht mehr bzw. weniger strafwürdig erscheint (
BGE 89 IV 113
E. I/1a S. 116).
6.2
Das Anknüpfungskriterium der lex mitior erfordert einen Vergleich der konkurrierenden Strafgesetze, der anhand der von der Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze vorzunehmen ist.
6.2.1
Ob das neue im Vergleich zum alten Gesetz milder ist, beurteilt sich nicht nach einer abstrakten Betrachtungsweise, sondern in Bezug auf den konkreten Fall (Grundsatz der konkreten Vergleichsmethode). Der Richter hat die Tat sowohl nach altem als auch nach neuem Recht (hypothetisch) zu prüfen und durch Vergleich der Ergebnisse festzustellen, nach welchem der beiden Rechte der Täter besser wegkommt (
BGE 126 IV 5
E. 2c S. 8 mit Hinweisen; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., Bern 2005 [im Folgenden: StGB AT I], § 4 Rz. 13 S. 84; STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl.,
BGE 134 IV 82 S. 88
Zürich 1997,
Art. 2 StGB
N. 11; ALFRED VON OVERBECK, Der zeitliche Geltungsbereich des Schweizerischen Strafgesetzbuches und die Behandlung der Übergangsfälle, ZStrR 56/1942 S. 359 ff.; HALTER, a.a.O., S. 32 f.).
Erst aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Vorschriften des Besonderen und Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches bestimmt sich, welches Recht anwendbar ist (VON OVERBECK, a.a.O., S. 359; HALTER, a.a.O., S. 32; GERHARD DANNECKER, Das intertemporale Strafrecht, Tübingen 1993, S. 501). Die in Frage stehende Tat kann nämlich sowohl hinsichtlich der Strafbarkeit im Allgemeinen wie auch hinsichtlich der einschlägigen Strafnorm von einer Gesetzesänderung betroffen sein. Für Änderungen der Verjährungsvorschriften (vgl. dazu
BGE 129 IV 49
E. 5.1 S. 51 mit Hinweisen) und nunmehr auch des Strafantragserfordernisses wird dies durch besondere Übergangsbestimmungen (
Art. 389 und
Art. 390 StGB
) klargestellt. Steht einmal fest, dass die Strafbarkeit des fraglichen Verhaltens unter neuem Recht fortbesteht, sind die gesetzlichen Strafrahmen bzw. Sanktionen zu vergleichen (siehe DANNECKER, a.a.O., S. 501).
Schwierigkeiten kann der Vergleich bereiten, wenn das Gesetz in mehrfacher Hinsicht geändert hat und sich im Ergebnis unterschiedliche Sanktionen gegenüberstehen. Die Unterschiede in den Rechtsfolgen sind alsdann nach Massgabe der gesetzlichen Bewertung in eine Rangfolge zu bringen, um die mildere Sanktion zu bestimmen. Nur in Grenzfällen ist es dem Richter gestattet, die Sanktionen in ihrer Gesamtheit einander gegenüberzustellen und für den Einzelfall eine Wertentscheidung zu treffen, welches Gesetz milder ist.
6.2.2
Der Gesetzesvergleich hat sich ausschliesslich nach einem objektiven Massstab zu richten (Grundsatz der Objektivität). Massgebend ist, welches die nach dem Gesetz gefundene, objektiv günstigere Rechtslage darstellt, nicht etwa der subjektive Gesichtspunkt, welche Sanktion dem Täter persönlich als vorteilhafter erscheint (HALTER, a.a.O., S. 33). Da die Schwere der Rechtsfolgen und der damit verbundene Vorwurf entscheiden, kann es bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht auf die tatsächlichen Auswirkungen auf den Täter ankommen (siehe DANNECKER, a.a.O., S. 528).
6.2.3
Anzuwenden ist in Bezug auf ein und dieselbe Tat nur entweder das alte oder das neue Recht (Grundsatz der Alternativität). Eine kombinierte Anwendung der beiden Rechte ist ausgeschlossen (
BGE 119 IV 145
E. 2c S. 151;
BGE 114 IV 1
E. 2a S. 4 f., je mit
BGE 134 IV 82 S. 89
Hinweisen), weil ein Gesetz, das nicht gilt und zu keiner Zeit gegolten hat, nicht anwendbar sein kann (HALTER, a.a.O., S. 334). Hat der Täter indessen mehrere selbständige strafbare Handlungen begangen, so ist in Bezug auf jede einzelne Handlung gesondert zu prüfen, ob das alte oder das neue Recht milder ist (
BGE 102 IV 196
). Gegebenenfalls ist eine Gesamtstrafe zu bilden (TRECHSEL, a.a.O.,
Art. 2 StGB
N. 5).
7.
7.1
Im Zusammenhang mit der Revision vom 13. Dezember 2002 beschränkt sich die Frage nach dem milderen Recht im Wesentlichen auf einen Vergleich der konkret ermittelten Sanktionen. Wie sich aus der Gesetzesystematik ergibt, können sie sich in Strafart (
Art. 34-41 StGB
), Strafvollzugsmodalität (
Art. 42-46 StGB
) und Strafmass (
Art. 47-48a StGB
) unterscheiden. In der Abstufung der Strafarten (Geldstrafe, gemeinnützige Arbeit, Freiheitsstrafe) wie auch der Strafvollzugsmodalitäten (bedingte, teilbedingte, unbedingte Strafe) kommt eine Rangfolge zum Ausdruck (E. 4.1 und 4.2). Darin liegt eine Bewertung des Gesetzgebers, die dem Vergleich zwischen altem und neuem Recht als verbindlicher Massstab zu Grunde zu legen ist. Auszugehen ist daher von einer eigentlichen Kaskadenanknüpfung: (1.) Die Sanktionen (Hauptstrafen) sind nach der Qualität der Strafart zu vergleichen. (2.) Bei gleicher Strafart entscheidet sich der Vergleich aufgrund der Strafvollzugsmodalität. (3.) Bei gleicher Strafart und Strafvollzugsmodalität kommt es auf das Strafmass an. (4.) Bei Gleichheit der Hauptstrafe sind allfällige Nebenstrafen zu berücksichtigen (
BGE 114 IV 81
E. 3b S. 82 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 118 IV 122
E. 2a). Erst wenn sich die Entscheidung auf einer Stufe nicht herbeiführen lässt, weil sich im konkreten Fall keine Veränderung der Rechtsfolgen ergibt, ist der Vergleich auf der nächsten Stufe fortzusetzen. Diese Grundregel ist nachfolgend zu konkretisieren.
7.2
Bei der Beurteilung altrechtlicher
Vergehen oder Verbrechen
können sich verschiedene Sanktionen oder Kombinationen einzelner Sanktionen gegenüberstehen. Im Einzelnen gilt, was folgt:
7.2.1
Freiheitsentziehende Strafen
des bisherigen Rechts (Gefängnis oder Zuchthaus) und des neuen Rechts (Freiheitsstrafe) sind gleichwertig, soweit sie unbedingt ausgesprochen werden. Das neue Recht ist für den Täter aber insofern günstiger, als kurze unbedingte Freiheitsstrafen von weniger als sechs Monaten nur noch
BGE 134 IV 82 S. 90
ausnahmsweise und unter besonderen restriktiven Voraussetzungen (
Art. 41 StGB
) verhängt werden können (FRANZ RIKLIN, Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches: Fragen des Übergangsrechts [im Folgenden: Revision des Allgemeinen Teils], AJP 2006 S. 1473). Im Übrigen entscheidet die Frage nach der Gewährung des bedingten Strafvollzuges über das anzuwendende Gesetz, wobei die Neuregelung der subjektiven und objektiven Voraussetzungen (
Art. 42 StGB
) für den Täter generell günstiger ist (
BGE 134 IV 1
E. 4.2-4.4; LAURENT MOREILLON, De l'ancien au nouveau droit des sanctions: Quelle lex mitior?, in: André Kuhn/Laurent Moreillon/Baptiste Viredaz/Aline Willi-Jayet [éd.], Droit des sanctions, De l'ancien au nouveau droit, Bern 2004, S. 307 und 309 oben). Eine Milderung des neuen Rechts liegt darin, dass eine früher unbedingt auszufällende Freiheitsstrafe teilweise aufgeschoben werden kann. Auf Freiheitsstrafen zwischen zwölf und achtzehn Monaten trifft das zu, wenn die Legalprognose nicht gerade günstig ist, aber noch keine eigentliche Schlechtprognose vorliegt.
7.2.2
Gegenüber Freiheitsstrafe ist Geldstrafe milder.
Das ergibt sich aus der Qualität der Strafe, weil die Geldstrafe als Vermögenssanktion prinzipiell weniger schwer wiegt als ein Eingriff in die persönliche Freiheit. Dabei kann es für die Bestimmung der milderen Rechtslage nicht mehr auf die Dauer der Freiheitsstrafe bzw. die Höhe des Geldstrafenbetrages ankommen. Ebenso wenig vermag die Frage nach der Strafvollzugsmodalität den Ausschlag zu geben, weil die Geldstrafe unter den gleichen Voraussetzungen wie die Freiheitsstrafe (teil-)bedingt anzuordnen ist, die unter neuem Recht tiefer liegen. Die Geldstrafe ist deshalb stets milder als eine freiheitsentziehende Strafe (HALTER, a.a.O., S. 36 f.; DANNECKER, a.a.O., S. 529; SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl., München 2006, § 2 N. 33).
7.2.3
Gegenüber Freiheitsstrafe ist gemeinnützige Arbeit milder.
Nach der gesetzlichen Rangordnung kann die gemeinnützige Arbeit nur an Stelle einer Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen angeordnet werden und ist daher mit dieser Sanktion zu vergleichen. Die Anordnung bedarf der Zustimmung des Täters (
Art. 37 Abs. 1 StGB
), was dafür spricht, dass das Gesetz die gemeinnützige Arbeit auch im Vergleich zur Busse des alten Rechts als mildere Sanktion wertet.
7.2.4
Busse (im Geldsummensystem) und Geldstrafe (im Tagessatzsystem)
sind qualitativ gleichwertig. Beide Sanktionen treffen den
BGE 134 IV 82 S. 91
Täter im Rechtsgut Vermögen. Sie unterscheiden sich jedoch im System ihrer Bemessung sowie dadurch, dass nur die Geldstrafe, nicht aber die Busse, bedingt oder teilbedingt verhängt werden kann.
Die Geldstrafenbemessung soll nicht etwa eine strengere Sanktion ermöglichen, sondern das bereits unter dem früheren Recht geltende Prinzip, dass der wirtschaftlich Starke nicht minder hart getroffen wird als der wirtschaftlich Schwache, besser verwirklichen (Botschaft 1998 S. 2019 unter Hinweis auf
BGE 92 IV 4
E. 1;
BGE 101 IV 16
E. 3c). Im Tagessatzsystem wird dies dadurch erreicht, dass in einem ersten Akt die Anzahl der Tagessätze nach dem Kriterium des Verschuldens des Täters (
Art. 34 Abs. 1 StGB
) und in einem zweiten Akt die Höhe der Tagessätze nach dem Kriterium seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bestimmen ist (
Art. 34 Abs. 2 StGB
). Die Geldstrafe errechnet sich als Multiplikation von Zahl und Höhe der Tagessätze. Sie kann höchstens 1'080'000 Franken betragen (
Art. 34 Abs. 1 und 2 StGB
; vgl. auch
Art. 333 Abs. 5 StGB
), während früher der Höchstbetrag der Busse für Vergehen und Verbrechen im Regelfall 40'000 Franken betrug (Art. 48 Ziff. 1 aStGB). Der Systemwechsel kann also bewirken, dass die Bemessung der beiden Vermögenssanktionen trotz ihrer Gleichwertigkeit zu sehr ungleichen Geldbeträgen führt.
Wenn eine unbedingt auszufällende Geldstrafe mit einer (unbedingten) Busse zu vergleichen ist, so entscheidet die konkret ermittelte Höhe des Geldbetrages. Ist die Geldstrafe jedoch bedingt auszusprechen (
Art. 42 StGB
), ist sie die mildere, weil weniger eingriffsintensive Sanktion. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der ermittelte Geldstrafenbetrag höher liegt als der Bussenbetrag, denn eine bedingte Strafe ist gegenüber einer gleichartigen unbedingten Strafe immer die mildere Sanktion. Nur ausnahmsweise, wenn die aufgeschobene Geldstrafe die Busse um ein Vielfaches übersteigt, kann die Busse im Einzelfall als mildere Sanktion erscheinen (ähnlich RIKLIN, Revision des Allgemeinen Teils, S. 1474). Wenn die Geldstrafe aus spezialpräventiven Gründen nur, aber immerhin teilweise aufzuschieben ist (
Art. 43 StGB
), was das alte Recht nicht zulässt, ist die teilbedingte Geldstrafe milder, wenn und soweit der unbedingt vollziehbare Teil der Geldstrafe niedriger als der Bussenbetrag ist.
7.2.5
Die obligatorische Verbindung von Freiheitsstrafe und pekuniärer Strafe (Kumulation)
wird unter altem und neuem Recht nur in besonderen Strafdrohungen vorgesehen (z.B.
Art. 182 Abs. 3 StGB
BGE 134 IV 82 S. 92
[Menschenhandel],
Art. 235 Ziff. 1 StGB
[gewerbsmässiges Herstellen von gesundheitsschädlichem Futter],
Art. 305
bis
Ziff. 2 StGB
[qualifizierte Geldwäscherei],
Art. 314 StGB
[ungetreue Amtsführung]). Die kumulativ zu verhängende Vermögenssanktion - die altrechtliche Busse bzw. die neurechtliche Geldstrafe - tritt hier selbständig neben die Freiheitsstrafe. Soweit nicht bereits diese über die mildere Rechtslage entscheidet (E. 7.2.1), sind für den Entscheid die Grundsätze für den Vergleich zwischen Busse und Geldstrafe heranzuziehen (E. 7.2.4).
7.2.6
Die fakultative Verbindung einer "bedingten" Freiheitsstrafe mit einer pekuniären Strafe (Kombination)
ist unter den Voraussetzungen des bisherigen
Art. 50 Abs. 2 StGB
und des neuen
Art. 42 Abs. 4 StGB
gegeben. Nach beiden Rechten soll die Strafenkombination nicht zu einer Straferhöhung führen oder eine zusätzliche Strafe ermöglichen, sondern lediglich innerhalb der schuldangemessenen Strafe eine täter- und tatangemessene Strafartenreaktion ermöglichen (
BGE 134 IV 1
E. 4.5;
BGE 124 IV 134
E. 2c/bb S. 136).
Die Verbindung der bedingten Freiheitsstrafe mit einer
Busse
nach
Art. 106 StGB
(Übertretungsbusse) ist unter neuem Recht jedoch aus zwei Gründen milder: Zum einen ist der Bussenhöchstbetrag im Regelfall neu auf 10'000 Franken (bisher 40'000 Franken, Art. 48 Ziff. 1 aStGB) beschränkt, woraus folgt, dass der Bussenbetrag (und die schuldangemessene Strafe insgesamt) vergleichsweise tiefer ausfallen muss. Zum anderen kann die Verbindungsbusse im Einzelfall eine bedingte Freiheitsstrafe ermöglichen, die sonst - ohne die spezialpräventive Denkzettelfunktion der Busse - teilbedingt bzw. unter altem Recht unbedingt auszusprechen wäre (
BGE 134 IV 1
E. 4.5.2 und 5.5.2).
Art. 42 Abs. 4 StGB
sieht an erster Stelle allerdings vor, dass die bedingte Freiheitsstrafe mit einer unbedingten
Geldstrafe
verbunden werden kann. Die Verbindungsgeldstrafe hat zwar dieselbe Funktion wie die Busse, doch richtet sich die Bemessung nach dem Tagessatzsystem (
Art. 34 StGB
), das sogar zu einem höheren Geldbetrag führen kann. Das neue Recht ist insoweit nicht milder.
Art. 50 Abs. 2 aStGB sah die Möglichkeit einer kombinierten Strafe einzig für Strafbestimmungen vor, die wahlweise Freiheitsstrafe oder Busse androhten. Das revidierte Gesetz verzichtet auf diese Voraussetzung, so dass die Strafenkombination neu auch für Tatbestände in Betracht kommt, die
ausschliesslich Freiheitsstrafe androhen
(z.B.
BGE 134 IV 82 S. 93
Art. 113 StGB
). Bei einer entsprechenden Vergleichskonstellation ist das neue Recht nur milder, wenn gerade erst die Berücksichtigung der Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse eine bedingte Freiheitsstrafe ermöglicht, die unter altem Recht unbedingt auszusprechen wäre.
7.2.7
Die Verbindung einer "unbedingten" Freiheitsstrafe mit einer Busse (Kombination)
sah das alte Recht auch für den Fall vor, dass die Freiheitsstrafe unbedingt ausgesprochen wird (Art. 50 Abs. 2 aStGB: "in jedem Fall"). Fehlt der Zusammenhang zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges, bekommt die mit der Freiheitsstrafe verbundene Busse den Charakter einer zusätzlichen Strafe. Unter neuem Recht ist diese Verbindungsmöglichkeit - ausserhalb des Vermögensstrafrechts - unzulässig, weshalb es das mildere ist.
Gestützt auf
Art. 172
bis
StGB
ist jedoch die Kombination einer unbedingten Freiheitsstrafe mit einer unbedingten pekuniären Strafe für Tatbestände des Vermögensstrafrechts, die ausschliesslich Freiheitsstrafe androhen, - wie bisher - zulässig. Die Freiheitsstrafe kann neu mit einer Geldstrafe (
Art. 172
bis
StGB
) oder einer Busse (
Art. 172
bis
StGB
i.V.m.
Art. 42 Abs. 4 StGB
) verbunden werden (Botschaft 2005 S. 4707; PHILIPPE WEISSENBERGER, Basler Kommentar,
Art. 172
bis
StGB
N. 6). Stehen sich eine unbedingte Freiheitsstrafe mit einer neurechtlichen Geldstrafe bzw. einer altrechtlichen Busse gegenüber, ergibt sich das anwendbare Recht aus der Höhe des konkret ermittelten Geldbetrages. Wird die Freiheitsstrafe mit einer Busse kombiniert, so ist das neue Recht als Folge des herabgesetzten Bussenrahmens (oben E. 7.2.6) das mildere.
7.3
Für die Vergleichsanordnung altrechtlicher
Übertretungen
ist entscheidend, dass mit der Revision Haft als freiheitsentziehende (Übertretungs-)Sanktion wegfiel, der Bussenhöchstbetrag von bisher 5'000 Franken (Art. 106 Abs. 1 aStGB) auf 10'000 Franken (Art. 106 Abs. 1 nStGB) angehoben und die Möglichkeit geschaffen wurde, mit Zustimmung des Täters an Stelle der ausgesprochenen Busse gemeinnützige Arbeit anzuordnen (Art. 107 nStGB). Wenn nach altem Recht auf eine (bedingte oder unbedingte) Haftstrafe zu erkennen wäre, stellt die Busse nach neuem Recht stets die mildere Sanktion dar (RIKLIN, Revision des Allgemeinen Teils, S. 1474). Wenn dagegen auch unter altem Recht eine Busse zu verhängen ist, ist das revidierte Recht wegen der Erweiterung des gesetzlichen Bussenrahmens strenger. Denn daraus folgt, dass die konkrete Bussenbemessung innerhalb des erweiterten Strafrahmens vergleichsweise zu einer -
BGE 134 IV 82 S. 94
wenn auch nur minimal - höheren Busse führt. Sind allerdings die Voraussetzungen für die Anordnung von gemeinnütziger Arbeit gegeben, so ist das neue Recht milder.
Eine Besonderheit ist für den Tatbestand von
Art. 294 StGB
(Übertretung eines Berufsverbotes) zu vermerken. Früher wurde die Tat mit Haft (bis zu drei Monaten, Art. 39 Ziff. 1 aStGB) oder Busse bedroht, neu mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
Art. 294 StGB
ist die einzige Bestimmung, die der Gesetzgeber anlässlich der Revision mit Absicht von einer blossen Übertretung zu einem Vergehen heraufstufte. Weil die Vergehensstrafe und der damit verbundene Vorwurf neu schwerer wiegen, liegt darin eine Verschärfung, die dem Rückwirkungsverbot untersteht (vgl.
BGE 114 IV 1
E. 2a S. 4), es sei denn, im konkreten Fall stünden sich eine Busse und eine bedingte Geldstrafe gegenüber.
7.4
Mit der Gesetzesrevision wurden die
Nebenstrafen
des bisherigen Rechts (Art. 51-56 aStGB) aufgehoben. Einzig das Berufsverbot besteht fort (
Art. 67 StGB
), das zusammen mit den übrigen Nebenfolgen der Straftat neu als "andere Massnahme" qualifiziert wird (
Art. 66-73 StGB
). Das neurechtliche Berufsverbot (
Art. 67 StGB
) ist gegenüber dem altrechtlichen Berufsverbot (Art. 54 aStGB) strenger gefasst. Der Verschärfung kommt bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts nach dem Gesagten jedoch erst Bedeutung zu, wenn sich das mildere Gesetz nicht auf dem Gebiet der Hauptstrafe bestimmen lässt. Gleiches gilt für die übrigen Nebenfolgen, soweit die Anordnung einer "anderen Massnahme" im Sinne von
Art. 66-73 StGB
überhaupt zur Diskussion steht.
7.5
Vorliegend stehen sich altrechtlich eine Busse von 1'500 Franken und neurechtlich eine bedingte Geldstrafe in Kombination mit einer Verbindungsbusse gegenüber. Aus dem Dargelegten (insbesondere E. 7.2.4) folgt, dass die nach neuem Recht auszufällende Sanktion die mildere ist, wie Vorinstanz und Staatsanwaltschaft zutreffend annehmen.
8.
8.1
Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz begründe die Fahrlässigkeit damit, dass der Beschwerdegegner gemäss
Art. 34 Abs. 3 SVG
bei einem Spurwechsel verpflichtet gewesen wäre, auf nachfolgende Fahrzeuge Rücksicht zu nehmen, und dass er als Vortrittsbelasteter gemäss
Art. 44 Abs. 1 SVG
seinen Fahrstreifen nur hätte verlassen dürfen, wenn er den übrigen Verkehr nicht gefährde.
BGE 134 IV 82 S. 95
Das seien Verkehrsregelverletzungen im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 und allenfalls von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
gewesen, welche vorliegend durch das Verletzungsdelikt von
Art. 125 Abs. 1 StGB
konsumiert würden (
BGE 91 IV 211
E. 4). Die blosse Verletzung von Verkehrsregeln würde aber gemäss
Art. 90 Ziff. 1 SVG
mindestens mit einer (unbedingten) Übertretungsbusse bestraft, während der Täter bei einem mit einer bedingten Geldstrafe geahndeten Vergehen eine weniger spürbare Strafe erfahre. Diesem Ergebnis habe der Gesetzgeber mit
Art. 42 Abs. 4 StGB
entgegentreten wollen. Die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie diese Problematik mit dem weder vom Gesetz noch von der Botschaft 2005 genannten sachfremden Verschuldenskriterium ausblende.
Art. 42 Abs. 4 StGB
bestimme nach seiner systematischen Stellung nur den Strafrahmen. Wäre die Busse hingegen nach dem Verschulden zuzumessen, hätte die Vorinstanz mit dem Verzicht auf eine Busse ihr Ermessen verletzt und überdies das Urteil ungenügend begründet.
8.2
Gemäss
Art. 42 Abs. 4 StGB
kann eine bedingte Strafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse nach
Art. 106 StGB
verbunden werden. Das Bundesgericht hat Voraussetzungen und Grundsätze der Bemessung von Verbindungsgeldstrafe und Verbindungsbusse in einem gleichzeitig ergangenen Entscheid dargelegt. Auf diese Entscheidung kann verwiesen werden (
BGE 134 IV 60
).
8.3
Gesondert zu prüfen ist die Anwendung von
Art. 42 Abs. 4 StGB
im Sanktionsbereich der sogenannten Schnittstellenproblematik namentlich beim Strassenverkehrsstrafrecht.
Diese Problematik besteht bei der gleichzeitigen Sanktionierung von Übertretungs- und Vergehenstatbeständen, die in unechter Gesetzeskonkurrenz stehen, wie das die vorliegende Fallkonstellation illustriert (oben E. 8.1). In solchen Fällen, in denen die Strafe für ein Vergehen eine Übertretung konsumiert, also sowohl ein Vergehen als auch eine Übertretung vorliegen, Letztere aber durch die Vergehensstrafe als abgegolten gilt, sprechen die gesetzgeberische Zielsetzung, der Normzweck und die Rechtsgleichheit dafür, einen Teil der schuldangemessenen Geldstrafe als unbedingte Geldstrafe oder als Busse auszuscheiden und zu verhängen. Wer das Vergehen begeht, soll nicht besser wegkommen als wer sich lediglich der konsumierten Übertretung strafbar macht.
Ein zusätzlicher Gesichtspunkt ergibt sich aus der Konsequenz der unechten Gesetzeskonkurrenz, dass nur die vorrangige Norm
BGE 134 IV 82 S. 96
anzuwenden ist. Entspricht das Verhältnis der Rechtsfolge jenem der Tatbestände nicht, sollte der verdrängten Norm eine "Sperrwirkung des milderen Gesetzes" zugesprochen werden, um zu verhindern, dass die Anwendung des vorrangigen Gesetzes den Täter ohne sachlichen Grund begünstigt (GÜNTER STRATENWERTH, StGB AT I, S. 485 f.; vgl.
BGE 117 IV 286
E. 4c).
Auch materiell erscheint es ungerecht, wenn im Ergebnis die Übertretung strenger bestraft wird als das auch noch die Übertretung konsumierende und damit enthaltende Vergehen. Angesichts der oben dargelegten konkreten Betrachtungsweise zur Bestimmung des milderen Rechts lässt sich diese Inkonsequenz auch nicht damit entkräften, dass die Geldstrafe (
Art. 34 StGB
) nach dem sozialethischen Vorwurf und in abstrakter Betrachtungsweise mit bis zu 360 Tagessätzen zu 3'000 Franken als härtere Sanktion als die Busse mit einem Höchstbetrag von 10'000 Franken (sofern es das Gesetz nicht anders bestimmt;
Art. 106 StGB
) erscheinen mag. Da die Geldstrafe in der Regel aufzuschieben ist (
Art. 42 Abs. 1 StGB
), kommt der Betroffene im Ergebnis besser weg, weil er sie nicht bezahlen muss, wenn er sich bis zum Ablauf der Probezeit bewährt (
Art. 45 StGB
). In sein Vermögen wird weniger eingegriffen als mit einer Busse, weil die Bestimmungen über die bedingte und die teilbedingte Strafe auf diese keine Anwendung finden (
Art. 105 Abs. 1 StGB
). Es wird zwar eine Zielsetzung des Gesetzes erreicht, wenn der Täter von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten wird. Materielle Strafgerechtigkeit ist damit aber nicht gewährleistet. Die neben der Primärstrafe praxisgemässe Sanktionierung einer zusätzlichen Übertretung mit einer Busse (
BGE 102 IV 242
E. 5) gilt daher auch im Anwendungsbereich von
Art. 42 Abs. 4 StGB
bei unechter Gesetzeskonkurrenz. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde.
9.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung der Sanktion zurückzuweisen. Dabei wird die Vorinstanz entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Rechtsauffassung zu beachten haben, dass auch eine Kombinationsstrafe gemäss
Art. 42 Abs. 4 StGB
insgesamt schuldangemessen sein muss und der Verbindungsbusse neben der bedingten Geldstrafe eine nur akzessorische und damit quantitativ untergeordnete Bedeutung zukommt (
BGE 134 IV 60
E. 7.3.2 und 7.3.3). | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d53bdfe2-c049-426f-8f61-46d16a055e1f | Urteilskopf
84 I 13
3. Auszug aus dem Urteil vom 22. Januar 1958 i.S. Rohner gegen Bezirksgericht Vorderland. | Regeste
Kantonaler Strafprozess; Willkür.
Unter welchen Voraussetzungen dürfen die Kosten einer wegen eines Offizialdelikts durchgeführten Strafuntersuchung im Falle der Freisprechung desAngeschuldigten dem Verzeiger oder Privatstrafkläger auferlegt werden? | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 84 I 13 S. 14
Aus dem Tatbestand:
Am 22. Januar 1957 fuhren der 1945 geborene Knabe Willi Rohner und ein 1952 geborenes Mädchen auf einem Schlitten aus einem steilen Seitenweg in die Staatsstrasse Rheineck-Wolfhalden, stiessen dort mit einem von Alfred Hausamann gesteuerten Automobil zusammen und wurden dabei erheblich verletzt. Das Untersuchungsamt Wolfhalden leitete gegen Hausamann eine Strafuntersuchung wegen Übertretung des MFG ein. Hans Rohner, der Vater des verletzten Knaben, beauftragte Rechtsanwalt Dr. J. Auer mit der Wahrung seiner Interessen. Dieser verlangte Einsicht in die Untersuchungsakten und stellte mit Eingaben vom 22. März, 25. März und 11. April 1957 Begehren um Aktenergänzung zur weiteren Abklärung des Tatbestandes.
Mit Urteil vom 29. Juni 1957 erklärte das Gemeindegericht Wolfhalden Hausamann der Nichtbeherrschung des Fahrzeuges (Art. 25 MFG) schuldig, büsste ihn mit Fr. 20.- und auferlegte ihm die Fr. 152.45 betragenden Rechtskosten sowie eine Staatsgebühr.
Hausamann appellierte hiegegen an das Bezirksgericht Vorderland. Dieses sprach ihn mit Urteil vom 7. Oktober 1957 von Schuld und Strafe frei und auferlegte die erstinstanzlichen Rechtskosten von Fr. 152.45 zu 2/3 dem Angeschuldigten Hausamann und zu 1/3 dem Kläger Rohner. Dieser Kostenentscheid wird im wesentlichen wie folgt begründet: Der Angeschuldigte habe durch die ganze Unfallsituation, wie sie sich vorerst bot (langsame Reaktion und langer Bremsweg) mindestens Verdachtsgründe
BGE 84 I 13 S. 15
gesetzt, was es nach
Art. 90 Abs. 1 StPO
rechtfertige, ihm 2/3 der Untersuchungskosten aufzuerlegen. Der Vertreter des verunfallten Knaben sei als Privatkläger im Strafpunkt zu betrachten. Da seine Beweisergänzungsbegehren, denen entsprochen worden sei, zu keinen neuen Ergebnissen geführt hätten, was im Freispruch des Angeklagten zum Ausdruck komme, sei er gemäss
Art. 90 Abs. 2 StPO
zur Tragung derjenigen Untersuchungskosten zu verurteilen, die er durch diese Anträge verursacht habe. Nach richterlichem Ermessen seien ihm daher 1/3 der Untersuchungskosten aufzuerlegen.
Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Hans Rohner, das Urteil des Bezirksgerichts Vorderland sei insoweit, als ihm Verfahrenskosten auferlegt werden, wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür) aufzuheben.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Prozessuales).
2.
(Ausführungen darüber, ob der Beschwerdeführer als "Privatkläger" im Sinne von Art. 90 Abs. 2 app. StPO betrachtet werden kann. Frage offen gelassen, da sich der angefochtene Entscheid selbst dann als unhaltbar erweist, wenn der Beschwerdeführer als Privatkläger zu gelten hätte).
3.
Nach
Art. 90 Abs. 2 StPO
"kann" der Privatkläger im Falle der Freisprechung des Angeklagten zur ganzen oder teilweisen Bezahlung der Kosten verurteilt werden. Damit wird der Entscheid jedoch, wie das Bundesgericht bereits im Urteil vom 16. März 1955 i.S. Allg. Konsumverein Herisau c. Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh. ausgeführt hat, nicht ins freie Belieben des Richters gestellt; dieser hat vielmehr nach pflichtgemässem Ermessen zu befinden und macht sich der Willkür schuldig, wenn er sein Ermessen missbraucht, sich von unsachlichen, unvernünftigen Gründen leiten lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er die Kosten dem "Privatkläger" aus
BGE 84 I 13 S. 16
Gründen auferlegt, die mit dem Wesen der Strafverfolgung als einer staatlichen Aufgabe (
Art. 10 StPO
) unvereinbar sind. Die nicht dem Angeschuldigten zu überbindenden Kosten können daher zwar dann dem "Privatkläger" auferlegt werden, wenn dieser anstelle der staatlichen Behörde die Anklage erhoben und den Prozess geführt hat, denn wenn ein Privater einen Strafprozess selbständig betreiben will, nachdem die staatliche Behörde auf die Durchführung verzichtet hat, ist es nur folgerichtig, dass er dann auch das Kostenrisiko trägt. Dagegen geht es nicht an, dem Verzeiger oder "Privatkläger", der neben dem staatlichen Ankläger am Strafverfahren teilgenommen hat, die nicht dem Freigesprochenen überbindbaren Kosten stets und ohne weiteres aufzuerlegen. Das würde darauf hinauslaufen, die Kosten der Erfüllung einer staatlichen Aufgabe in untragbarer Weise auf Private abzuwälzen. Die Kostenauflage an den Verzeiger oder Privatkläger bei Offizialdelikten lässt sich mit vernünftigen Gründen nur rechtfertigen, wenn sein Verhalten zu missbilligen ist, weil er die Einleitung des Verfahrens leichtfertig oder arglistig veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. Eine Reihe kantonaler Prozessordnungen (vgl. z.B. Zürich § 189 Abs. 2, Bern Art. 260/1) wie auch
Art. 177 BStP
machen denn auch die Kostenauflage an den Verzeiger ausdrücklich von Voraussetzungen solcher Art abhängig. Die app. StPO enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass im Gegensatz zu diesen Ordnungen ein "Privatkläger", der lediglich neben dem staatlichen Ankläger am Strafverfahren teilgenommen hat, die Verfahrenskosten tragen muss, soweit sie dem Angeschuldigten nicht auferlegt werden können.
Art. 90 Abs. 2 StPO
ist daher in solchen Fällen vernünftigerweise so auszulegen, dass dem "Privatkläger" Kosten nur dann auferlegt werden können, wenn sein Verhalten zu missbilligen ist.
Im vorliegenden Falle ist die Untersuchung nicht auf Verzeigung des Beschwerdeführers, sondern von Amtes wegen eingeleitet worden. Das Bezirksgericht hat den
BGE 84 I 13 S. 17
Beschwerdeführer mit 1/3 der erstinstanzlichen Kosten belastet, weil "alle seine Ergänzungsbegehren zu keinen neuen Ergebnissen führten" und er daher die durch diese Anträge selbst verursachten Kosten zu tragen habe. Nun bestanden die vom Beschwerdeführer beantragten und durchgeführten Aktenergänzungen in Erhebungen darüber, ob Hausamann zu langsam auf den Zusammenstoss reagiert und deswegen nicht rechtzeitig angehalten habe, über die Gründe hiefür sowie darüber, ob bei rascher Reaktion und schnellerem Anhalten die Unfallfolgen weniger schwer gewesen wären. Diese Begehren waren für die Beurteilung des Falles wesentlich und keineswegs überflüssig. Das Gemeindegericht betrachtete denn auch die Aufmerksamkeit und Bremsreaktion des Angeklagten als ungenügend, und das Bezirksgericht hat sich ebenfalls mit dieser Frage auseinandergesetzt. Dass es dabei im Gegensatz zum Gemeindegericht zum Freispruch kam, ändert nichts daran, dass die vom Beschwerdeführer beantragten Beweisergänzungen keineswegs leichtfertig oder gar verwerflich waren, die Untersuchung nicht erschwerten und daher nicht mit sachlichen Gründen missbilligt werden können. Allein schon die Tatsache, dass die beiden kantonalen Instanzen entgegengesetzte Schlüsse aus dem Untersuchungsergebnis zogen, zeigt klar, dass die fraglichen Aktenergänzungen sich sachlich durchaus rechtfertigen liessen. Dem Beschwerdeführer ihretwegen einen Teil der erstinstanzlichen Kosten aufzuerlegen, ist daher schlechthin unhaltbar. Andere Gründe für die beanstandete Kostenauflage nennt das angefochtene Urteil nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich, weshalb sie wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben ist. Das Bezirksgericht Vorderland wird über die dem Beschwerdeführer auferlegten Kosten neu zu entscheiden haben. Dabei wird es sich ernstlich überlegen müssen, ob dieser Kostenanteil nicht auf die Staatskasse zu nehmen sei, da schon die Belastung des freigesprochenen Hausamann mit 2/3 der Kosten als fragwürdig erscheint. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d5414da2-f0ae-458f-b337-9e46e8f9cea9 | Urteilskopf
109 Ia 169
30. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 1er mars 1983 dans la cause dlle X. contre Cour de justice du canton de Genève (recours de droit public) | Regeste
Art. 88 OG
, 397a ff. ZGB.
Wer zum fürsorgerischen Freiheitsentzug in eine Anstalt eingewiesen worden ist, kann diese Massnahme nach der Entlassung wegen fehlenden aktuellen Interesses nicht mehr mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechten. | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 109 Ia 169 S. 169
A.-
Le 13 juin 1982, dlle X. a été hospitalisée contre sa volonté, sur certificat du Dr Y., à la Clinique psychiatrique universitaire de Bel-Air, à Genève. Le 14 juin 1982, elle a adressé un recours contre son internement au Conseil de surveillance psychiatrique (CSP) qui, le 15 juin 1982, a dit que la mesure attaquée était justifiée. Dlle X. a pu quitter la Clinique de Bel-Air le 17 juin 1982. Le 25 juin 1982, elle a formé un recours auprès de la Cour de justice de Genève, autorité de recours contre les décisions du CSP, concluant à l'annulation de la décision du 15 juin 1982, en tant que le CSP avait rejeté le recours du 14 juin 1982, et demandant qu'il fût dit
BGE 109 Ia 169 S. 170
que l'admission non volontaire de la recourante à la Clinique de Bel-Air sur ordre du Dr Y. n'était justifiée par aucun des critères légaux en vigueur.
B.-
La Cour de justice a rejeté le recours par décision du 13 octobre 1982.
C.-
Dlle X. a formé un recours de droit public, concluant à l'annulation des décisions du Dr Y., du CSP et de la Cour de justice. Pour le recours en réforme, voir
ATF 109 II 4
e livraison.
Le Tribunal fédéral a déclaré le recours irrecevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) La qualité pour exercer un recours de droit public (
art. 88 OJ
) se détermine d'office. Peu importe que le recourant ait eu la qualité de partie devant l'autorité cantonale: ce qui est seul déterminant, c'est que soient réalisées les conditions posées par la loi fédérale d'organisation judiciaire (ATFa 106 Ia 152 consid. 1 et les références;
105 Ia 57
consid. b). En effet, le recours de droit public est une voie de droit indépendante de celle qui a été mise en oeuvre devant l'autorité cantonale, et il a un autre objet, à savoir de déterminer si la décision attaquée viole les droits ou les normes énumérés aux
art. 84 et 85 OJ
(cf. MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4e éd., pp. 26-28).
b) Il est de jurisprudence que le recours de droit public exige un intérêt actuel et pratique à ce que la décision attaquée soit annulée: le Tribunal fédéral doit trancher des questions concrètes, et non pas théoriques. L'intérêt actuel nécessaire fait défaut, en particulier lorsque l'acte de l'autorité a été exécuté ou est devenu sans objet (
ATF 106 Ia 152
/153 consid. 1a et les références; MARTI, op.cit., p. 67, no 97). Toutefois, le Tribunal fédéral renonce à faire d'un tel intérêt une condition de recevabilité du recours de droit public quand cette exigence empêcherait le contrôle de la constitutionnalité d'un acte qui peut se reproduire en tout temps et qui, en raison de sa brève durée, échapperait toujours à sa censure (
ATF 104 Ia 488
et les références; MARTI, op.cit., p. 68, no 98).
c) En l'espèce, l'internement de la recourante a duré du 13 au 17 juin 1982. La recourante n'a dès lors plus d'intérêt actuel, puisque la mesure critiquée a pris fin. Les circonstances exceptionnelles qui permettent de renoncer à cette exigence ne sont pas réalisées. En matière de privation de liberté à des fins d'assistance, le séjour dans un établissement approprié n'est pas
BGE 109 Ia 169 S. 171
légalement limité à un bref laps de temps; il peut se prolonger tant que l'assistance personnelle ne peut pas être fournie d'une autre manière aux personnes indiquées à l'
art. 397a CC
. L'intérêt actuel peut donc exister encore au moment où le Tribunal fédéral est saisi d'un recours de droit public.
On ne saurait dire que celui qui a été relaxé après une mesure de privation de liberté à des fins d'assistance a encore un intérêt actuel à former un recours de droit public parce qu'il peut se prévaloir de l'illégalité du placement pour réclamer une indemnité. L'
art. 429a CC
donne droit à une indemnité à titre de dommages-intérêts et de réparation morale en cas de privation illégale de liberté. Une protection complémentaire serait non seulement inutile, mais inefficace, car les motifs d'un arrêt annulant une décision ordonnant une privation de liberté ne sauraient lier le juge chargé de statuer sur l'action ouverte en vertu de l'
art. 429a CC
. Même la décision du juge au sens de l'
art. 397d CC
n'est pas contraignante quand il s'agit d'apprécier l'illégalité (Message concernant la modification du Code civil suisse (privation de liberté à des fins d'assistance) et le retrait de la réserve apportée à l'art. 5 de la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales, du 17 août 1977, FF 1977 III p. 46).
d) Dans l'arrêt X., du 29 avril 1982 (publié intégralement dans la Semaine judiciaire, 104, 1982, p. 552 ss), le Tribunal fédéral est entré en matière sur un recours de droit public formé par une personne dont l'internement avait pris fin lorsqu'elle s'était adressée à lui. Mais le litige portait sur la violation du droit d'être entendu par la Cour de justice, qui avait indûment restreint sa cognition à l'arbitraire, pratique à laquelle il s'imposait de mettre fin.
4.
Il résulte de ce qui précède que, faute d'intérêt actuel, dlle X. n'a pas qualité pour recourir au sens de l'
art. 88 OJ
.
Le recours est dès lors irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d5418761-87c6-480d-8ccb-1710d363e8aa | Urteilskopf
82 IV 86
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. März 1956 i.S. Schneider gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 113 StGB
, Totschlag.
Entschuldbar ist eine Gemütsbewegung, wenn sie sittlich gerechtfertigt erscheint. | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 82 IV 86 S. 86
A.-
Der 1934 geborene Hilfsarbeiter Schneider verlobte sich anfangs 1954 mit der ein Jahr älteren Bureauangestellten Margrit W. In der Folge kam es zwischen ihnen zu Auseinandersetzungen, die zusehends häufiger wurden. Seit dem Herbst 1954 fühlte Schneider, dass sich seine Braut von ihm lösen wollte. Am 14. Februar 1955 gab sie ihm den Verlobungsring zurück, weil sie genug davon hatte, ihn ständig bemuttern und in allem leiten zu müssen. Die Beziehungen brachen indessen nicht gänzlich ab. Margrit W. liess Schneider eine gewisse Hoffnung, dass sie wieder zusammenkommen könnten, wenn er sich ohne ihre Hilfe und Führung bewähre; sie flickte und glättete ihm weiterhin seine Wäsche und nahm später den Verlobungsring wieder zurück. Schneider wusste, dass sie schon vor Auflösung der Verlobung Stoll kennen gelernt hatte und mit diesem freundschaftliche Beziehungen unterhielt; er gab aber die Hoffnung nicht auf, Margrit W. wieder für sich zu gewinnen, und sperrte sich trotz der dafür sprechenden Anzeichen gegen die Annahme, dass Stoll an seine Stelle getreten sein könnte.
Am Abend des 19. April 1955 suchte Schneider Margrit W. in Wallisellen auf, um sie auf den folgenden Sonntag zu einem Ausflug einzuladen. Sie lehnte aber die Einladung unter einem offensichtlichen Vorwand ab. Anschliessend begleitete Schneider das Mädchen auf dem Wege nach
BGE 82 IV 86 S. 87
Opfikon, wo es an einer Übung des Handharmonikaklubs teilnahm. Unterwegs erklärte ihm Margrit W. unvermittelt, sie wolle nun allein weitergehen. Schneider erfasste sogleich, dass sie ihren neuen Liebhaber treffen wollte. Ohne sich zu verabschieden, kehrte er in Wut und enttäuscht nach Hause zurück. Er entschloss sich, seinen Nebenbuhler zu töten, nahm seinen Ordonnanz-Karabiner und 12 Patronen der Taschenmunition und passte an der Opfikonerstrasse Stoll ab. Gegen 23 Uhr fuhren dieser und Margrit W. auf ihren Fahrrädern nebeneinander Richtung Wallisellen. Schneider gab, nachdem die beiden an ihm vorbeigefahren waren, aus einer Entfernung von ca. 5 m aus dem Hüftanschlag einen Schuss auf Stoll ab, ohne ihn zu treffen. Er lud sofort nach und feuerte aus einer Entfernung von ca. 30 m stehend einen zweiten, nunmehr gezielten Schuss auf Stoll ab, der ebenfalls fehl ging. Schneider gab darauf seinen Plan auf und liess seinen Karabiner am Tatort zwischen Sträuchern zurück, wo er am folgenden Tag von einem Fussgänger gefunden wurde.
B.-
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte Schneider am 26. September 1955 des vollendeten Tötungsversuches (
Art. 22, 111 StGB
), der Nichtbefolgung von Dienstvorschriften (
Art. 72 MStG
) und des Missbrauchs und der Verschleuderung von Material (
Art. 73 MStG
) schuldig und verurteilte ihn unter Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis, abzüglich 156 Tagen Untersuchungshaft.
C.-
Die von Schneider gegen dieses Urteil wegen Nichtanwendung von
Art. 113 StGB
erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nicht eine Tötung nach
Art. 111 StGB
, sondern einen mit milderer Strafe bedrohten Totschlag begeht, wer einen Menschen in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung tötet (
Art. 113 StGB
). Der Totschlag ist wie nach früheren kantonalen Rechten
BGE 82 IV 86 S. 88
eine Affekthandlung (meurtre par passion, omicidio passionale). Nach
Art. 113 StGB
genügt es aber nicht, dass die Leidenschaft die Triebfeder des Täters ist und dass dessen Vernunft und Wille im Zeitpunkt der Tat in einem gewissen Grade beeinträchtigt sind; auch beim Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung kann der Täter in einem starken Affekt handeln. Der Grund für die mildere Bestrafung des Totschlages liegt darin, dass die heftige Gemütsbewegung, die den Täter zur Tat treibt, nach den Umständen "entschuldbar" ist.
Entschuldbar ist eine Gemütsbewegung nicht schon dann, wenn sie aus den gesamten objektiven und subjektiven Umständen heraus psychologisch erklärt werden kann. Der Begriff der Entschuldbarkeit verlangt vielmehr eine Bewertung nach ethischen Grundsätzen: Die Gemütsbewegung darf nicht ausschliesslich oder vorwiegend egoistischen, gemeinen Trieben entspringen, sondern sie muss durch die äussern Umstände, welche die Erregung ausgelöst haben, gerechtfertigt erscheinen. Der gleiche Sinn ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzestextes. In den Beratungen der 2. Expertenkommission wurde wiederholt betont, dass die Gemütsbewegung durch eine Provokation, eine ungerechte Kränkung oder durch eine Notlage verursacht worden sein müsse. Die auf Anträge von Hafter und Thormann zurückgehende erste Fassung sprach denn auch von einer nach den Umständen "gerechtfertigten" heftigen Gemütsbewegung (Prot. 2, 147-165). Dass durch den später gewählten Ausdruck "entschuldbar" der Inhalt der ursprünglichen Anforderungen geändert worden wäre, ist nicht ersichtlich.
2.
Dem Beschwerdeführer musste mit der Auflösung des Verlöbnisses klar geworden sein, dass Margrit W. nicht mehr an ihn gebunden war und es auch nicht mehr sein wollte, zumal er schon vorher erkannt hatte, dass sie sich von ihm lösen wollte und in freundschaftliche Beziehungen zu Stoll getreten war. Auch wenn sie den Beschwerdeführer in einer gewissen Hoffnung liess, dass sie im Falle seiner
BGE 82 IV 86 S. 89
Bewährung wieder zusammenkommen könnten, so lag darin noch keine bestimmte Zusicherung, die Auflösung des Verlöbnisses rückgängig zu machen, und auch keine Verpflichtung, das Verhältnis mit Stoll aufzugeben. Bei dieser Sachlage hätte sich der Beschwerdeführer sagen müssen, dass er Margrit W. nicht für sich allein beanspruchen durfte, sondern dass er gegenteils ihre Freiheit, die sie mit der Auflösung des Verlöbnisses wiedererlangt hatte, zu respektieren gehalten war, solange sie nicht auf ihren Entschluss zurückkam. Daher liegt in ihrem Verhalten am Abend des 19. April, insbesondere in der Ablehnung seiner Einladung und in der spätern Bemerkung, dass sie den letzten Teil des Weges nach Opfikon allein zu gehen wünsche, kein Rechtfertigungsgrund für seine Gemütsbewegung, in der er sich zur Tat entschloss. Sein Zorn war umso weniger gerechtfertigt, als er nicht gegen Margrit W., sondern gegen Stoll gerichtet war, der am Gespräch jenes Abends überhaupt nicht beteiligt war und auch sonst nichts unternommen hatte, was den Beschwerdeführer hätte reizen oder kränken können. Der Umstand allein, dass Stoll die Zuneigung von Margrit W. zu besitzen schien, macht die Gemütsbewegung des Beschwerdeführers nicht entschuldbar. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d547380a-f748-4ee9-a7c8-d576802b0194 | Urteilskopf
84 II 114
15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1958 i.S. Burgergemeinde Burgdorf und Ramseier gegen Einwohnergemeinde Eriz. | Regeste
Bundesgesetz über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG).
1. Art. 17: Vorkaufsrecht (nach kantonalem Recht) an Alpweiden. Begriff derselben. Subsumtion des Grenzfalles einer Alpweide, auf welcher die frühere Sennhütte zu einem ganzjährig bewirtschafteten und bewohnten Heimwesen ausgebaut wurde.
2. Art. 10 lit. b: Rechtsgeschäfte zum Ersatz von Liegenschaften, die für öffentliche usw. Aufgaben verkauft worden sind: Eine Alpweide kommt nicht als Ersatz für verkauftes städtisches Bauland in Betracht. | Sachverhalt
ab Seite 114
BGE 84 II 114 S. 114
A.-
Mit Vertrag vom 27. September 1954 verkaufte Fritz Ramseier der Burgergemeinde Burgdorf seine Liegenschaften in der Gemeinde Eriz, nämlich die Grundstücke Nr. 233 "oberer und unterer Scheidzaun" mit Wohnhaus,
BGE 84 II 114 S. 115
Scheune und Ställen (6183 Aren) und Nr. 246, hälftiger Anteil an der Besitzung Rotmoos (0,50 Aren), zum Preise von Fr. 220'000.--.
In der Folge machte die Einwohnergemeinde Eriz gegenüber den Kaufvertragsparteien das Vorkaufsrecht geltend, das gestützt auf Art. 17 des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG) Art. 6 Ziff. 2 des bernischen Einführungsgesetzes dazu mit Bezug auf Alpweiden zugunsten der Gemeinde der gelegenen Sache vorsieht. Da die Kaufsparteien das Vorkaufsrecht bestritten, erhob die Einwohnergemeinde Eriz binnen der ihr hiefür gesetzten Frist beim Amtsgericht Thun Klage mit dem Antrag, das von ihr geltend gemachte Vorkaufsrecht sei als zu Recht bestehend anzuerkennen, der Verkäufer Ramseier zu verurteilen, der Klägerin das Eigentum an den Liegenschaften zu den Bedingungen des Kaufvertrags zu übertragen, und die Klägerin zu ermächtigen, das Eigentum im Grundbuch auf ihren Namen eintragen zu lassen.
Die beklagten Vertragsparteien beantragten Abweisung der Klage. Sie wenden ein, die Scheidzaunbesitzung sei keine Alpweide im Sinne von
Art. 17 EGG
/Art. 6 EG, vielmehr ein landwirtschaftliches Bergheimwesen mit Alpweide, das einer Bauernfamilie ganzjährigen Wohnsitz und Existenz biete. Selbst wenn es sich aber um eine Alpweide handelte, könnte die Gemeinde Eriz ihr Vorkaufsrecht zufolge
Art. 10 lit. b EGG
nicht ausüben, weil die Burgergemeinde Burgdorf den Landerwerb zum Ersatz von Liegenschaften tätige, die sie seit 1931 in Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben abgegeben habe.
B.-
Sowohl das Amtsgericht Thun als der Appellationshof des Kantons Bern haben die Klage gutgeheissen und das Vorkaufsrecht der Gemeinde Eriz geschützt. Gestützt auf das durchgeführte Beweisverfahren mit Augenschein, namentlich in Würdigung dreier Gutachten (vom Amtsgericht eingeholtes Gutachten von Karrl Wyss, von
BGE 84 II 114 S. 116
der Klägerin eingelegtes privates Gutachten eines Viererkollegiums Dr. Tschumi/Kunz/Lanz/Rubin, Gegengutachten der Beklagten von Ing. agr. E. Lauener) sind die Vorinstanzen dazu gelangt, den Charakter der Scheidzaunliegenschaft als einer Alpweide zu bejahen. In tatsächlicher Hinsicht stellen sie darüber fest:
Das Hauptgrundstück von 61 ha, wovon ca. 54 ha Weideland, liegt im Alpgebiet der Gemeinde Eriz in mehreren Höhenlagen gestaffelt. Der "untere Scheidzaun" auf 1200 m ü.M. weist das aus der ursprünglichen Sennhütte allmählich ausgebaute Hauptgebäude auf, bestehend aus Küche (mit Plättliboden, Holzkochherd und Boiler), einer Wohnstube, fünf Schlafräumen, einem Stall und einer Heubühne; in der Nähe befinden sich noch ein Materialschopf (mit Garage und Waschküche) sowie ein Schattstall. Etwa 100 m höher stehen eine Sennhütte und ein Stall. Bis 1930 war der Scheidzaun als Alpweide (Vor- und Sömmerungsweide) zusammen mit dem Ramseierschen Talheimwesen in Thun bewirtschaftet worden. Bei der Erbteilung war das letztere vom Bruder, der Scheidzaun von Fritz Ramseier übernommen worden, der nun mangels eines andern Wohnsitzes mit der Familie das ganze Jahr auf dem Scheidzaun zu wohnen begann und zu diesem Zwecke die Sennhütte allmählich zum heutigen Stande ausbaute. Er hat in den letzten Jahren dort oben 15 bis 16 Stück eigenes Vieh überwintert und im Sommer neben diesem durchschnittlich 70 fremde Rinder gesömmert; daneben hielt er ein Pferd, Schafe, Schweine und Hühner. Im Lauf der Jahre hat Ramseier in der günstigsten Lage seiner Besitzung die Graseinschläge, wie sie regelmässig auf Alpbetrieben bestehen, bis auf ca. 20 Jucharten vergrössert, um Heu für die Überwinterung des eigenen Viehs zu gewinnen. Ausserdem baute er für die Selbstversorgung Kartoffeln und zeitweise auch etwas Getreide an. Die Scheidzaunbesitzung bildet eine Einheit.
Zur Entscheidung der Rechtsfrage, ob der Scheidzaun "im heutigen Zustand als Ganzes eine zweiteilige Alpweide
BGE 84 II 114 S. 117
oder ein selbständig existenzfähiger Ganzjahresbetrieb mit Alpweide" sei, ging die Vorinstanz angesichts des gemischten Charakters der Besitzung davon aus, was gesamthaft betrachtet überwiege. Gerade im Gebiet des Oberemmentals und der Voralpen seien die Übergänge zwischen Bergheimwesen und Alpbetrieben häufig verschwommen.
Bei der Beantwortung der Frage stellte der gerichtliche Experte Wyss auf Erfolgsberechnungen für den Ganzjahres- und den Sömmerungsbetrieb ab, mit dem Ergebnis, dass die Besitzung in Ansehung der Ertragsverhältnisse, der Höhenlage, der Oberflächengestaltung, der Absatz- und Verkehrsverhältnisse auch heute noch die typischen Merkmale eines Alpbetriebes aufweise; wenigstens sei er vorwiegend ein solcher.
In der Methode hievon abweichend ging das Gutachten Tschumi und Mitexperten von der Ermittlung der Möglichkeiten für den Besatz des Scheidzaunes nach Grossvieheinheiten aus, indem es eine ideelle Teilung nach Sömmerung und Winterung vornahm und feststellte, dass auf den Sömmerungsanteil (Alpbetrieb und Vorweide) wirtschaftlich betrachtet 2/3 bis 3/4 des Betriebserfolges entfallen. Nach Höhenlage, Oberflächengestaltung, Boden- und Klimabedingungen, Absatz- und Verkehrsverhältnissen zeige die Besitzung die typischen Merkmale einer Alpweide mit Vorweide.
Demgegenüber war der private Experte der Beklagten - aber, wie die Vorinstanz feststellt, ohne eingehendere Begründung - der Ansicht, der Scheidzaun habe den Charakter eines Heimwesens, das einer Bauernfamilie eine Jahresexistenz biete.
Die Vorinstanz hat sich den Schlussfolgerungen der beiden nach verschiedenen Methoden zum gleichen Resultat gelangenden Gutachten Tschumi und Wyss angeschlossen, den Scheidzaun als Alpweide betrachtet und das Vorkaufsrecht der Klägerin geschützt. Im weitern spricht die Vorinstanz dem Landerwerb der Burgergemeinde Burgdorf die Eigenschaft ab, als Ersatz für Landveräusserungen zu
BGE 84 II 114 S. 118
öffentlichen, gemeinnützigen oder kulturellen Zwecken zu dienen.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragen die beklagten Kaufparteien Aufhebung dieses Urteils und Abweisung der Klage der Gemeinde Eriz. Sie machen geltend, die Vorinstanz habe in zwei Punkten Bundesrecht verletzt, nämlich
a)
Art. 17 Abs. 1 EGG
durch Misskennung des Begriffes "Alpweiden",
b)
Art. 10 lit. b EGG
durch Misskennung des Begriffes der Rechtsgeschäfte, die dem Ersatz von zu den dort genannten Zwecken veräusserten Liegenschaften dienen.
Zum Hauptpunkte wird in der Berufung ausgeführt, der Begriff "Alpweide" im bernischen EG sei identisch mit dem gleichen bundesrechtlichen Begriff in
Art. 17 EGG
. Die unrichtige Subsumtion des Scheidzauns unter denselben bedeute daher eine Bundesrechtsverletzung. Mangels einer sicheren Begriffsumschreibung müsse man von der feststehenden Definition des "landwirtschaftlichen Heimwesens" und eines "Bergbauernbetriebes im Berner Oberland" (
BGE 81 I 107
ff., 255) ausgehen; was hierunter falle, könne e contrario keine Alpweide sein. Nun habe der gerichtliche Experte Wyss die Frage, ob der Scheidzaun ohne die Alpweiden einer Bauernfamilie eine genügende Existenzgrundlage biete, entschieden bejaht. Sei aber der Scheidzaun ohne Alpweiden ein landwirtschaftliches Heimwesen, so sei er es mit diesen erst recht, also könne er selber keine Alpweide sein. Der Experte habe offensichtlich, aber zu Unrecht Alpbetrieb mit Alpweide gleichgesetzt. Die Detailergebnisse des Beweisverfahrens bestätigten den Schluss auf ein landwirtschaftliches Heimwesen. Der Verkäufer Ramseier habe in 25jähriger Pionierarbeit und Überwindung der Natur aus einer früheren Alpweide einen Bauernhof geschaffen. Das Institut des Vorkaufsrechts an Alpweiden bilde eine Ausnahme vom Regelfall des Freiverkaufs und einen schweren Einbruch in die nach unserer Rechtsordnung grundsätzlich herrschende Vertrags- und
BGE 84 II 114 S. 119
Eigentumsfreiheit, weshalb von dem Recht sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen sei. Nur bei klaren Verhältnissen, wenn es sich zweifellos um eine Alpweide handle, solle das Vorkaufsrecht beansprucht werden können. Der Scheidzaun stelle nun auch nach Auffassung der Vorinstanz einen Grenzfall dar. Das Hauptziel des EGG sei die Erhaltung landwirtschaftlicher Betriebe; dieser agrarpolitischen ratio legis hätten sich allfällige andere Bestrebungen einzelner Nebenbestimmungen unterzuordnen. Die Zielsetzung des Art. 17, die Schaffung öffentlich-rechtlicher Alpweiden, müsse ihre Grenze finden an dem kategorischen Gebot, dass ohne zwingenden Grund kein Bauernbetrieb untergehen dürfe. Dieses Los aber wäre dem Scheidzaun beschieden, wenn die Gemeinde Eriz ihn bekäme, denn sie würde ihn wieder zu einer Alpweide degenerieren lassen, sodass die jahrzehntelange Aufbauarbeit Ramseiers zunichte gemacht würde, welcher Schildbürgerstreich allen Massnahmen für Bauernhilfe Hohn spräche.
D.-
Die Klägerin trägt auf Abweisung der Berufung an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Frage, ob der Scheidzaun eine Alpweide im Sinne des
Art. 17 EGG
und des Art. 6 des bernischen EG zu diesem sei, ist eine Rechtsfrage, da es sich um die Auslegung eines gesetzlichen Begriffes handelt; und zwar ist sie eine Rechtsfrage des Bundesrechts, da
Art. 17 EGG
, der die Rechtsgrundlage für den Erlass des Art. 6 EG bildet, den Begriff enthält, der im kantonalen Recht der gleiche sein muss. Insoweit das kantonale Recht über den ihm durch
Art. 17 EGG
gezogenen Rahmen hinausginge, wäre es durch diesen nicht gedeckt und könnte keine Geltung beanspruchen. Das EGG definiert den Begriff "Alpweide" nicht, und dieser lässt sich auch nicht aus andern Bundesgesetzen ableiten. Der Hauptbestandteil der Wortverbindung, das Wort "Weide", bedeutet zum Weiden des Viehs - im Gegensatz zur Heugewinnung für die
BGE 84 II 114 S. 120
Winterfütterung - bestimmtes Land, während das Bestimmungswort "Alp" voraussetzt, dass die Weide auf einer gewissen Meereshöhe liege (über den Begriff Alp vgl. A. STRÜBY, Die Alp- und Weidewirtschaft in der Schweiz, Solothurn 1914, S. 23 ff.; F. SCHNEITER, Alpwirtschaft, Graz 1948, S. 231 ff.). Zum Begriff "Weide" gehört an sich nur das Land, Gebäude sind nicht nötig. Dagegen wird man für den Begriff "Alp, Alpweide" im wirtschaftlichen Sinne die für den Alpbetrieb erforderlichen Baulichkeiten miterfordern, wozu die Alp- oder Sennhütte gehört. Auf jeden Fall aber gehört zur Alp oder Alpweide, da sie regelmässig nur im Sommer bewirtschaftet wird, nicht ein eigentliches Wohnhaus. Nun aber weist das Hauptgebäude des Scheidzaunes, namentlich auch angesichts seiner innern Einrichtung, zweifellos den Charakter eines Wohnhauses, nicht mehr den einer blossen Sennhütte auf, und Ramseier führte dort einen Ganzjahresbetrieb mit erheblichem eigenen Viehstand und entsprechender Heugewinnung, mit Kartoffel- und sogar Getreidebau, und wohnte mit seiner Familie das ganze Jahr dort. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass der untere Scheidzaun mit dem Hauptgebäude, dem eigenen Viehstand und den Nebenbetrieben (Getreide- und Kartoffelbau, Schaf-, Schweine- und Hühnerhaltung) für sich allein betrachtet, trotz der Berglage als landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 6 EGG
angesprochen werden müsste, während dem obern Teil, wäre er abgetrennt, der Charakter einer Alpweide nicht bestritten werden könnte. Es handelt sich mithin, wie die Vorinstanz zutreffend angenommen hat, um einen ausgesprochenen Grenzfall.
Wenn das Bundesgesetz solche Fälle gemischten Charakters nicht auch noch mit besonderen Bestimmungen berücksichtigt hat, so liegt darin keine Lücke des Gesetzes. Im Rahmen des bundesrechtlichen Begriffes der "Alpweide" können die besonderen regionalen Verhältnisse hinsichtlich der Besiedelungs- und Bewirtschaftungsformen der Berggebiete eine Rolle spielen und bei der
BGE 84 II 114 S. 121
Subsumtion eines Grenzfalles berücksichtigt werden. Der einheitliche Begriff schliesst nicht aus, dass in einem Kanton ein in eine von jeher als Alpweide betriebene Bergliegenschaft im Laufe der Jahre gleichsam hineingewachsenes Bergheimwesen die vorherrschende Eigenschaft des Ganzen als einer Alpweide unverändert lässt, ohne dass damit für einen andern Fall in einem andern Bergkanton mit vielleicht ganz anderen Formen der alpinen Siedlung und Landwirtschaft ein Präjudiz geschaffen würde.
Für die Beantwortung der Frage, unter welche der beiden in Betracht fallenden Kategorien, Alpweide oder landwirtschaftliches Gewerbe, der Grenzfall "Scheidzaun" zu subsumieren sei, hat die Vorinstanz darauf abgestellt, was nach der Meinung der Experten von Merkmalen der einen oder der andern Kategorie überwiege, und ist zum Ergebnis des Überwiegens der Alpweide-Komponente gelangt. Die Beklagten wenden demgegenüber ein, das Streitobjekt weise die typischen Merkmale eines landwirtschaftlichen Heimwesens bzw. eines bäuerlichen Gewerbes auf, wie sie in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung umschrieben wurden; was aber ein solches sei, könne keine Alpweide sein. Es erscheint indessen nicht ausser jedem Zweifel, ob diese Abgrenzung so exklusiv ist und ob sich nicht vielmehr Fälle denken lassen, wo sich die beiden Kategorien überschneiden. Art. 6 Abs. 2 des bernischen EG bestimmt, dass das Vorkaufsrecht (an Alpweiden) dahinfällt, wenn ein Verwandter sein Vorkaufsrecht ausübt. Da nach Art. 6 mit Bezug auf Alpweiden nur Körperschaften, keine natürlichen Personen vorkaufsberechtigt sind, kann es sich bei dem konkurrierenden Vorkaufsrecht des Verwandten nur um dasjenige gemäss
Art. 6 EGG
/Art. 3 EG an landwirtschaftlichen Gewerben handeln; es ist offenbar an den Fall gedacht, wo eine Alpweide einen wesentlichen Teil eines landwirtschaftlichen Gewerbes bildet und vermöge dieses Zusammenhanges in der Konkurrenz der beiden Vorkaufsrechte demjenigen des Verwandten am Heimwesen vor dem der Körperschaft an der Alpweide der
BGE 84 II 114 S. 122
Vorzug zukommt. Ähnlich ist aber auch denkbar, dass beim Verkauf eines gemischten Besitzes wie des Scheidzauns ein Verwandter das Vorkaufsrecht gemäss
Art. 6 EGG
gestützt auf die tatsächlich ja auch gegebene Eigenschaft eines landwirtschaftlichen Betriebes, anderseits eine Körperschaft dasjenige gemäss Art. 17 im Hinblick auf den vorwiegenden Alpweidecharakter des ganzen Besitzes geltend machen würden, sodass die beiden Vorkaufsrechte in Konkurrenz ständen. In diesem Falle kann sich fragen, ob das Überwiegen des Alpcharakters des Ganzen die Bevorzugung des Vorkaufsrechts an Alpweiden und die Verdrängung desjenigen am Heimwesen zu rechtfertigen vermöchte, oder ob nicht das letztere in Ansehung der ratio legis als das qualitativ stärkere geschützt werden müsste, wie es Art. 6 Abs. 2 des bern. EG tut.
So aber liegt die Sache hier nicht; es macht kein Verwandter das Vorkaufsrecht auf das Heimwesen geltend, und die Gemeinde Eriz steht mit ihrem Anspruch aus dem Titel der Alpweide allein den Kaufparteien gegenüber. Wenn bei dieser Situation die Vorinstanz gestützt auf die Gutachten auf den wirtschaftlich überwiegenden Betriebstypus abgestellt, den Alpweidecharakter bejaht und das Vorkaufsrecht der klagenden Gemeinde geschützt hat, kann von einer Verletzung von Bundesrecht nicht gesprochen werden. Bei der Auslegung eines aus dem praktischen Leben herausgewachsenen Rechtsbegriffes wird der Tatsachenrichter mit Recht nicht ohne Not von der Auffassung der Fachleute abweichen, ebensowenig die Berufungsinstanz vom Beweiswürdigungs- und Ermessensentscheid des kantonalen Gerichts. Bei dieser Subsumtion kommt es übrigens weniger auf die Ertragsberechnungen in Zahlen an, als auf den allgemeinen Charakter der ganzen Liegenschaft. Bis 1930 war der Scheidzaun zweifellos ein reiner Alpbetrieb. Seither ist er in seinem oberen Teil ein solcher geblieben, während im untern Teil ein Jahresbetrieb geschaffen wurde. Würden der obere und der untere Scheidzaun voneinander getrennt, so ist klar, dass der obere als
BGE 84 II 114 S. 123
Alpweide, der untere als Bergheimwesen betrachtet würden und bezüglich des obern das Vorkaufsrecht nach Art. 17, bezüglich des untern das - hier nicht geltend gemachte - nach
Art. 6 EGG
anwendbar wäre. Verkauft wurde aber in casu das ganze Besitztum, und mit Bezug auf dieses Ganze wird das Vorkaufsrecht geltend gemacht. Mit Bezug auf das ganze Besitztum aber ist der Charakter als Alp durch die seit 1930 im untern Teil eingetretene Änderung der Bewirtschaftung nicht geändert worden. Nach dem Gutachten Tschumi entspricht die ursprüngliche und die gegenwärtige Nutzungsart und Bewirtschaftungsweise derjenigen vieler hochgelegener Objekte des Oberemmentals, wo auf zahlreichen Alpweiden das ganze Jahr ein Hirt haust, der den Sommer über die fremden Sömmerungsrinder besorgt, daneben eigenes Vieh halten kann, für dessen Überwinterung Dürrfutter gewinnt und zur Selbstversorgung etwas Ackerbau betreibt. Auch wenn im Eriz und im angrenzenden Emmental hinsichtlich der Betriebsformen alle Übergänge vom eigentlichen Heimwesen zum Alpbetrieb vorkommen, so darf nach den Experten mit Fug angenommen werden, dass es sich beim Scheidzaun entsprechend den natürrlichen und betriebswirtschaftlichen Bedingungen um eine solche Alpweide mit Hirtsystem handelt.
Der Einwand der Beklagten, dass durch die Anwendung des Vorkaufsrechts nach
Art. 17 EGG
dem Hauptgedanken des Gesetzes, nämlich der Erhaltung bäuerlicher Betriebe, zuwidergehandelt würde, trifft auf den vorliegenden Fall nicht zu. Die klagende Gemeinde Eriz macht ihr Vorkaufsrecht nicht gegenüber einem bäuerlichen, sondern gegenüber einem ebenfalls kommunalen Käufer, nämlich der Burgergemeinde Burgdorf geltend; und da kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Bejahung des Vorkaufsrechts im Sinne der Landwirtschaftsgesetzgebung liegt, welche die Überführung privater Alpweiden in das Eigentum der Gemeinden fördern will (
Art. 17 Abs. 1 EGG
), aber - nach Art. 6 des bern. EG - nicht auswärtiger Gemeinden, sondern
BGE 84 II 114 S. 124
laut Ziff. 2 "der Gemeinde der gelegenen Sache" und gegenüber "ausserhalb des Berggebietes" wohnenden Käufern. Art. 17 bezweckt, den Bergbauern die für ihre Existenz unentbehrlichen Sömmerungsalpen dauernd zu erhalten, da ohne Alpbestossung ein Kleinbetrieb im Tal meist nicht wirtschaftlich existenzfähig wäre (JOST, Handkommentar zum EGG, Art. 17 N. 1). Die Schaffung von Gemeindealpen zur Nutzung der ortsansässigen kleinen Bergbauern, die sich nicht eigene private Alpweiden leisten, anderseits ihr Vieh nicht in die Ferne zur Sömmerung schicken könnten, verfolgt zweifellos auch ethische, die Erhaltung landwirtschaftlicher Heimwesen fördernde Zwecke. Die Gemeinde, in deren Gebiet die Alpweide liegt und die ihrer in diesem Sinne für ihre eigenen selbständigen Bauern bedarf, verdient nach Sinn und Geist des Gesetzes den Vorzug vor einer auswärtigen Stadt, die in erster Linie eine Kapitalanlage sucht.
Der Hinweis darauf, mit dem Schutz des Vorkaufsrechts der Gemeinde Eriz werde das Pionierwerk des Verkäufers Ramseier dem Untergang geweiht, ist unbehelflich. Die Frage, ob das Alpheimwesen auf dem untern Scheidzaun als solches weiter ganzjährig betrieben werde, ist durchaus offen; die Gemeinde Eriz kann es so gut wie die Gemeinde Burgdorf an einen Landwirt verpachten, der das Heimwesen in der bisherigen Weise betreibt und daneben das Vieh seiner Erizer Gemeindegenossen sömmert. Es steht keineswegs fest, dass der Scheidzaun in der Hand der Klägerin wieder zu einer ausschliesslichen Alpweide und das Wohnhaus zu einer Alphütte absinke.
Noch weniger ist der Einwand am Platze, der Beklagte Ramseier persönlich habe dieses Schicksal seines Werkes nicht verdient. Der Verkäufer wird durch die Ausübung des Vorkaufsrechts in seiner Freiheit und seinen Interessen nicht berührt. Er war frei zu entscheiden, ob er den Scheidzaun ungeteilt als Ganzes oder nur einen Teil oder beide Teile getrennt verkaufen wollte. Er hat nicht an eine ihm nahestehende Person verkauft, und keine solche macht ein
BGE 84 II 114 S. 125
Vorkaufsrecht nach
Art. 6 EGG
geltend. Er erhält von der Klägerin den Preis, den er von der Käuferin erhielte.
Es muss mithin bei der Subsumtion der Vorinstanz sein Bewenden haben.
2.
Nach
Art. 10 lit. b EGG
unterliegen dem Vorkaufsrecht nicht "Rechtsgeschäfte, die zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben abgeschlossen werden oder dem Ersatz von Liegenschaften dienen, die für solche Zwecke verkauft worden sind". Die Burgergemeinde Burgdorf ruft diese Bestimmung an mit dem Hinweis darauf, sie habe seit 1931 für die Erfüllung solcher Aufgaben 19,77 ha Land veräussert, ohne dafür Ersatz gefunden zu haben.
Die Vorinstanz hat die - unter den Parteien ebenfalls streitige - grundsätzliche Frage offen gelassen, ob diese Bestimmung des
Art. 10 EGG
in Ansehung ihrer Stellung im Gesetze - vor dem Art. 17 betreffend Alpweiden - und der Verweisung darauf in Art. 6 Abs. 3 lit. b überhaupt auf das Vorkaufsrecht gemäss Art. 17 anwendbar sei, weil selbst im Falle der Anwendbarkeit die Voraussetzung des Ersatzerwerbes hier fehle. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Bei der Auslegung der gleichlautenden Voraussetzungen in
Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG
betreffend Nichtanwendbarkeit des Einspruchsverfahrens hat das Bundesgericht entschieden, es genüge nicht, dass der Erwerb der öffentlichen Hand lediglich im Hinblick auf noch unbestimmte öffentliche Bedürfnisse, wie Schaffung einer Landreserve, getätigt werde, vielmehr sei eine Widmung für konkrete, bestimmte Zwecke gemeint (
BGE 80 I 413
E. 4,
BGE 83 I 70
E. 2). Ein solcher enger, konkreter Zusammenhang muss auch beim Ersatzerwerb im Sinne von Art. 10 verlangt werden. In der Tat liegt - unter Berücksichtigung des Zweckes des Gesetzes - im Sinn des Wortes Ersatz das Erfordernis, dass das Ersatzgrundstück seiner Natur nach gleiche oder mindestens ähnliche Eigenschaften aufweise und zu einem analogen kommunalen Zwecke verwendbar sei wie das zu ersetzende Land. Es leuchtet nun
BGE 84 II 114 S. 126
nicht ein, inwiefern die Erwerbung des Scheidzauns im Eriz im Bezirke Thun, in mehr als 40 km Entfernung von Burgdorf, dieser Burgergemeinde als Ersatz dienen könnte für Land, das sie im Laufe der letzten 25 Jahre für städtische Zwecke abgegeben haben mag, in der Hauptsache an die Einwohnergemeinde Burgdorf und an Burgdorfer Baugenossenschaften, also im Stadtgebiet gelegene Baugrundstücke. Die Exemptionsbestimmung des
Art. 10 EGG
kann keinesfalls den Sinn haben, dass den Gemeinden ein Privileg für die blosse Wiederinvestierung freigewordener Kapitalien in Liegenschaften verschafft werden soll. Als "Ersatz" für abgegebene Grundstücke können nur solche in Betracht kommen, die nach Lage und Beschaffenheit gerade das, was weggegeben werden musste, hinsichtlich der speziellen Funktionen desselben im Gemeindehaushalt zu ersetzen geeignet sind. Veräussertes Bauland im Stadtgebiet von Burgdorf kann in diesem funktionellen Sinne nicht durch eine Alpweide mit Bergheimwesen im hintersten Emmental auf 1200-1400 m ü.M. ersetzt werden. Und so weit die Burgergemeinde Burgdorf den Scheidzaun selber zu Weidzwecken zu verwenden beabsichtigen sollte, hat eben die Gemeinde der gelegenen Sache nach Art. 6 bern. EG das Vorrecht vor der Stadt im Unterland.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 3. Juli 1957 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d548c3c9-3b73-4bd2-af54-fe771e02fbb9 | Urteilskopf
137 IV 305
44. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_1000/2010 vom 22. August 2011 | Regeste
Art. 70 StGB
;
Art. 320 OR
;
Art. 14 und 15 BGSA
; Einziehung; Schwarzarbeit.
Vermögenswerte sind nicht einziehbar, wenn sie aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammen (E. 3.1).
Zivilrecht und öffentliches Recht schützen die Lohnansprüche ausländischer Arbeitnehmer ohne fremdenrechtliche Arbeitsbewilligung (E. 3.3 und 3.4). Solche Lohnansprüche bzw. der entsprechend ausbezahlte Lohn sind strafrechtlich nicht einziehbar (E. 3.5). | Sachverhalt
ab Seite 305
BGE 137 IV 305 S. 305
A.
X. wurde im Strafbefehl vom 18. September 2009 vorgeworfen, sich vom 4. März 1998 bis zu ihrer Verhaftung am 17. September 2009 in der Schweiz aufgehalten zu haben, obschon sie gewusst habe, dass mit Entscheid vom 29. Juni 2000 ihre Wegweisung aus der Schweiz mit einer Ausreisefrist bis zum 21. Februar 2001 verfügt worden sei. Sie habe nach Ablauf dieser Ausreisefrist bis zu
BGE 137 IV 305 S. 306
ihrer Verhaftung jeweils von Montag bis Freitag, während ca. 4 bis 6 Stunden pro Tag, für verschiedene Auftraggeber in Zürich als Raumpflegerin mit einem Stundenlohn von Fr. 25.- bis Fr. 30.- gearbeitet, obschon sie gewusst habe, dass sie über die nötigen Bewilligungen nicht verfügte. Sie habe während ca. 102 Monaten monatlich ca. Fr. 2'400.- durch rechtswidrigen Arbeitserwerb verdient.
X. wurde wegen vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 115 Abs. 1 lit. b (rechtswidriger Aufenthalt) und lit. c (nicht bewilligte Erwerbstätigkeit) des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20) mit einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 60.- und einer Busse von Fr. 500.- bestraft.
Das bei ihr sichergestellte Bargeld wurde im Betrag von Fr. 8'600.- beschlagnahmt, eingezogen und zur Deckung der Busse, der Verfahrenskosten und im Restbetrag zugunsten der Staatskasse verwendet.
B.
Das Bezirksgericht Zürich bestätigte auf Einsprache hin am 15. Januar 2010 den Schuldspruch. Es setzte eine bedingte Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30.- fest, verwendete das sichergestellte Bargeld zur Kostendeckung und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte im Berufungsverfahren am 9. September 2010 fest, das bezirksgerichtliche Urteil sei im Schuld- und Strafpunkt (mit Ausnahme der Höhe des Tagessatzes) in Rechtskraft erwachsen. Die Tagessatzhöhe setzte es (unter Hinweis auf
BGE 135 IV 180
E. 1.4) neu auf Fr. 10.- fest. Das sichergestellte Bargeld verwendete es zur Deckung der Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Strafverfahrens und zog es im Übrigen zugunsten der Staatskasse ein.
C.
X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das obergerichtliche Urteil in den Ziff. 2-6 des Dispositivs (betreffend Kostenfolgen und Einziehung) aufzuheben, von der Einziehung des sichergestellten Bargelds abzusehen und die kantonalen Kosten neu zu verteilen, eventualiter die Sache zur Neuregelung der Kosten und Entschädigungen bzw. zur neuen Entscheidung in der Sache selbst an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Obergericht und Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 137 IV 305 S. 307
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin richtet sich gegen die Einziehung des sichergestellten Bargeldbetrags. Ihr Erwerbseinkommen sei die Gegenleistung für eine vertragliche Arbeitsleistung. Wer ohne ausländerrechtliche Bewilligung erwerbstätig sei, habe einen klagbaren Anspruch auf den orts-, berufs- und branchenüblichen Lohn. Der Arbeitsvertrag sei nicht widerrechtlich (
Art. 20 OR
). Die strafrechtliche Einziehung sei mit der Zivilrechtsordnung nicht vereinbar. Das angefochtene Urteil verletze
Art. 70 StGB
.
2.
Die Vorinstanz führt aus, als Anlasstat der Einziehung gemäss
Art. 70 StGB
kämen sämtliche strafbaren Handlungen des eidgenössischen Rechts einschliesslich des Nebenstrafrechts in Betracht. Als unrechtmässiger Vorteil komme jeder geldwerte bzw. wirtschaftliche Vorteil in Frage. Vorausgesetzt sei lediglich der adäquate Kausalzusammenhang zwischen Straftat und unrechtmässigem Vorteil. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Argumentation der Beschwerdeführerin beschreibe lediglich die arbeitsrechtliche Situation und vermöge nicht zu überzeugen.
3.
Gemäss
Art. 70 Abs. 1 StGB
verfügt das Gericht die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine Straftat erlangt worden sind oder dazu bestimmt waren, eine Straftat zu veranlassen oder zu belohnen, sofern sie nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden.
3.1
Die so genannte Ausgleichseinziehung beruht vor allem auf dem grundlegenden sozialethischen Gedanken, dass sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf (
BGE 129 IV 107
E. 3.2). In
BGE 125 IV 4
E. 2a/bb S. 7 hielt das Bundesgericht fest, es sei unbeachtlich, ob der Vermögensvorteil rechtlich oder bloss tatsächlich, direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sei (ebenso
BGE 120 IV 365
E. 1d S. 367; Urteil 1S.5/2005 vom 26. September 2005 E. 7.4). Es führte weiter aus, auf die Unrechtmässigkeit der Vorteile dürfe aber nicht schon aufgrund der Tatbegehung selbst geschlossen werden. Der Vorteil müsse "in sich" unrechtmässig sein. Das sei beispielsweise nicht der Fall, wenn die fragliche Handlung objektiv nicht verboten sei, wie bei der Erlangung von Vermögenswerten durch vollendet untauglich versuchte Hehlerei. Soweit die Einnahmen aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammten, seien sie
BGE 137 IV 305 S. 308
nicht Produkt einer strafbaren Handlung und damit nicht unrechtmässig. In diesem Umfang bestehe keine Grundlage für die Einziehung (a.a.O., E. 2b/bb S. 8).
Nach dieser Rechtsprechung ist die Einziehung nicht zulässig, soweit die Einnahmen "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft stammen". Daher ist zunächst zu prüfen, ob die strafrechtliche Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge mit der Schweizerischen Rechtsordnung vereinbar ist. Die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs kann insoweit offenbleiben.
3.2
Die sichergestellten Beträge stellen Lohnbestandteile der Beschwerdeführerin aus Einzelarbeitsverträgen in der Schweiz dar. Sie hielt sich während dieser Arbeitsverhältnisse rechtswidrig und ohne Arbeitsbewilligung in der Schweiz auf. Es handelt sich somit um Entgelt aus "Schwarzarbeit" (zum Begriff NÄGELI/SCHOCH, in: Ausländerrecht, Übersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, S. 1121).
3.3
Nach konstanter Rechtsprechung bewirkt eine fehlende fremdenrechtliche Arbeitsbewilligung als solche nicht die Nichtigkeit des Arbeitsvertrags im Sinne von
Art. 20 Abs. 1 OR
(
BGE 122 III 110
E. 4e S. 116;
BGE 114 II 279
E. d/aa S. 283; zustimmend GABRIEL AUBERT, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 2003, N. 4 zu
Art. 320 OR
; ANDREAS ABEGG, in: Präjudizienbuch zum OR, Gauch/Aepli/Stöckli [Hrsg.], 7. Aufl. 2009, N. 9 zu
Art. 320 OR
). Obwohl keine Bewilligung vorliegt, ist der Arbeitsvertrag mit dem Ausländer gültig (FELIX KLAUS, in: Ausländerrecht, Übersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, S. 889).
Zivilrechtlich gilt eine gesetzliche Abschlussvermutung (
Art. 320 Abs. 2 OR
). Entscheidend für den Anspruch sind allein die objektiven Umstände, die im Interesse des sozialen Schutzes des Arbeitnehmers ipso iure zur Begründung des Einzelarbeitsvertrags mit allen seinen rechtlichen Konsequenzen führen, insbesondere der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (ADRIAN STAEHELIN, in: Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 2006, N. 7 zu
Art. 320 OR
). Selbst bei Annahme der Ungültigkeit eines Einzelarbeitsvertrages treten die Rechtsfolgen grundsätzlich erst ex nunc ein, sobald Arbeit geleistet worden ist.
Art. 320 Abs. 3 OR
erscheint als lex specialis zu
Art. 20 OR
(STAEHELIN, a.a.O., N. 27 zu
Art. 320 OR
). Bei gutgläubiger Arbeitsleistung haben beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen,
BGE 137 IV 305 S. 309
bis dieses wegen Ungültigkeit des Vertrags aufgehoben wird (
BGE 132 III 242
E. 4.2). Die Gutgläubigkeit wäre nur zu verneinen, wenn dem Arbeitnehmer positiv nachgewiesen werden könnte, dass er um die rechtliche Unverbindlichkeit des Vertrages wusste (
BGE 132 III 242
E. 4.2.5).
Art. 320 Abs. 3 OR
soll auch Ausländer schützen, die ohne gültige Arbeitsbewilligung gearbeitet haben und um den Mangel des Arbeitsvertrages wussten oder hätten wissen sollen (vgl.
BGE 132 III 242
E. 4.2.4 mit Hinweisen). Es würde dem Schutzgedanken widersprechen, wenn sich "Schwarzarbeiter" nicht auf diese Bestimmung berufen könnten (ABEGG, a.a.O.). Nach der Lehre soll
Art. 320 Abs. 3 OR
ebenso zur Anwendung kommen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermassen von der Ungültigkeit des Vertrages wussten. Der Arbeitgeber soll nicht den Einwand der Bösgläubigkeit erheben können (GEISER/MÜLLER, Arbeitsrecht in der Schweiz, 2009, S. 103).
Die Zivilrechtsordnung schützt somit den Lohnanspruch der Beschwerdeführerin (
Art. 319 OR
). Unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten stammen die sichergestellten Lohnbeträge "aus einem objektiv legalen Rechtsgeschäft" (oben E. 3.1). Damit erscheint deren strafrechtliche Einziehung als unzulässig. Es handelt sich nicht um das Entgelt für ein strafbares Verhalten wie beispielsweise den Transport von Betäubungsmitteln.
3.4
Auch das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (BGSA; SR 822.41) schützt die "Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Grund nicht bewilligter Erwerbstätigkeit". Nach diesem Gesetz sind die Behörden verpflichtet, im Rahmen eines Weg- oder Ausweisungsverfahrens die betroffenen Ausländerinnen und Ausländer insbesondere darauf hinzuweisen, dass sie auf Grund ihrer nicht bewilligten Erwerbstätigkeit gegebenenfalls Ansprüche gegenüber Arbeitgebern haben und dass sie zur Durchsetzung solcher Ansprüche eine Vertreterin oder einen Vertreter bezeichnen können (
Art. 14 BGSA
). Wird ein Fall von Verletzung der Bewilligungs- oder Meldepflicht aufgedeckt und hat die betroffene Person die Schweiz verlassen, so kommt den gewerkschaftlichen Organisationen, die nach ihren Statuten die sozialen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder wahren, ein Klagerecht auf Feststellung über die Ansprüche zu, die eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber geltend machen könnte (
Art. 15 Abs. 1 BGSA
).
BGE 137 IV 305 S. 310
Die
Art. 14 und 15 BGSA
wurden von den Räten in das BGSA eingefügt. Bei der Beratung des Gesetzes im Nationalrat wurde zunächst ein Artikel 15a vorgeschlagen, wonach ausländischen Arbeitnehmern, die ohne Aufenthaltsbewilligung entdeckt werden und seit mindestens einem Jahr in der Schweiz arbeiten, eine Aufenthaltsbewilligung ausgestellt werden soll, und zwar für eine Frist, innerhalb welcher sie ihre arbeitsvertraglichen und sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche geltend machen können. Dagegen wies der Kommissionssprecher darauf hin, die Arbeitnehmerseite habe mit der Feststellungsklage ein Instrument, um gegen illegal profitierende Arbeitgeber vorzugehen. Die Bestimmung wurde in der Abstimmung abgelehnt (AB 2004 N 1201 und 1204). Bei der Beratung des Klagerechts von gewerkschaftlichen Organisationen führte Bundesrat Deiss aus, dass dieses Institut im schweizerischen Recht weit verbreitet sei. Verliessen die Arbeiter das Land, seien sie nicht mehr in der Lage ihre Ansprüche geltend zu machen. Es sei aber ein wichtiges Element eines Gesetzes, das gegen die Schwarzarbeit kämpfen will (vgl.
Art. 1 BGSA
), jene Personen zu schützen, die durch solche Praktiken verletzt würden (AB 2004 N 1214 f.). Vom Ständerat wurden die Artikel 19a und 19b (entsprechend
Art. 14 und 15 BGSA
) in das Gesetz aufgenommen (AB 2004 S 933 f.). Der Nationalrat stimmte diesen Beschlüssen des Ständerates in der Folge zu (AB 2005 N 218).
Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich das Bestreben des Gesetzgebers, ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ohne Arbeitsbewilligung arbeiten, in ihren arbeitsrechtlichen Ansprüchen und vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit zu schützen. Dies ist denn auch nach dem Wortlaut Sinn und Zweck von
Art. 14 und 15 BGSA
.
3.5
Zivilrecht und öffentliches Recht schützen somit ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Arbeitsbewilligung in ihren arbeitsrechtlichen Ansprüchen.
Wie das Bundesgericht bereits in einem Entscheid aus dem Jahre 1985 ausgeführt hatte, ändert es nichts an der Gültigkeit des Arbeitsvertrags, dass Ausländer ohne Arbeitsbewilligung mit dem Abschluss eines Arbeitsvertrags verwaltungsstrafrechtlichen Normen zuwiderhandeln (
BGE 111 II 52
S. 54: "[...] expose une partie à une sanction de droit pénal administratif"). Allerdings ging es nach dieser Rechtsprechung nur um Ordnungsvorschriften mit relativ leichten
BGE 137 IV 305 S. 311
administrativrechtlichen Sanktionen. Das Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit sollte vor allem zu einer systematischeren Bestrafung der Arbeitgeber führen. Es müsse sichergestellt werden, dass die Schwarzarbeit nicht als rentabel angesehen werde (BBl 2002 3607 und 3643 f.). In der Botschaft vom 8. März 2002 zu Art. 112 E-AuG (heute
Art. 117 AuG
, Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern ohne Bewilligung) wird zwar die Möglichkeit der Einziehung von Vermögenswerten vorbehalten (BBl 2002 3833). Adressat der Strafnorm von
Art. 117 AuG
sind aber "Arbeitgeberin und Arbeitgeber", nicht die Arbeitnehmer. Ein ähnlicher Vorbehalt findet sich auch in der Botschaft zum BGSA (BBl 2002 3644). Diesen Hinweisen in den beiden Botschaften kommt keine weitergehende Tragweite zu. Sie verstehen sich von selbst.
Art. 70 StGB
über die Einziehung von Vermögenswerten ist immer anwendbar, wenn die Voraussetzungen dazu erfüllt sind.
In der vorliegenden Konstellation erweisen sich die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts sowie von
Art. 14 und 15 BGSA
als spezialgesetzliche Normen und gehen der strafrechtlichen Einziehung gemäss
Art. 70 StGB
grundsätzlich vor. Bundesgesetze sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (
Art. 190 BV
). Das BGSA erweitert mit den Mitteln des öffentlichen Rechts den zivilrechtlichen Schutz ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Arbeitsbewilligung als schwächeren Vertragsparteien vor der Ausbeutung durch Schwarzarbeit, indem es im Rahmen eines Weg- oder Ausweisungsverfahrens nicht nur die Behörden verpflichtet, sie über ihre Rechte zu informieren, sondern gewerkschaftlichen Organisationen zusätzlich noch ein Klagerecht zur Durchsetzung ihrer Ansprüche aus Arbeitsvertrag oder aus einem faktischen Arbeitsverhältnis einräumt. Es widerspräche Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Gesetzgebung, in der Folge die gegebenenfalls klageweise durchgesetzten Lohnansprüche einzuziehen. Hingegen unterliegen diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neben der Weg- oder Ausweisung insbesondere der Strafnorm von
Art. 115 AuG
, die Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe androht.
Neben zivil- und öffentlichrechtlichen Normen stehen somit auch Gesichtspunkte der Einheit der Rechtsordnung einer Einziehung entgegen. Es handelt sich demnach um eine bundesrechtlich normierte
BGE 137 IV 305 S. 312
sozialpolitische Einschränkung des strafrechtlichen Einziehungsrechts. Wo dieser Schutzgedanke der schwächeren Vertragspartei nicht zum Tragen kommt, steht einer Einziehung grundsätzlich nichts mehr im Wege. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d548d2e6-09e2-45e0-a1fd-19c0974a77d9 | Urteilskopf
140 IV 28
4. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
1B_231/2013 vom 25. November 2013 | Regeste
Art. 248 Abs. 1 StPO
; Berechtigung zum Siegelungsantrag.
Zum Zweck eines wirksamen Geheimnisschutzes ist das Recht auf Siegelung gemäss
Art. 248 Abs. 1 StPO
auf die Berechtigung, sich nach
Art. 264 Abs. 3 StPO
gegen eine Beschlagnahme zu wehren, abzustimmen. Berechtigt im Sinne von
Art. 248 Abs. 1 StPO
, die Siegelung zu beantragen, sind Personen, welche unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Aufzeichnungen haben (E. 4.3.4). Die Strafbehörde hat vor der Durchsuchung der Aufzeichnungen von Amtes wegen den geheimnisschutzberechtigten Personen die Möglichkeit einzuräumen, ein Siegelungsbegehren zu stellen (E. 4.3.5). | Sachverhalt
ab Seite 29
BGE 140 IV 28 S. 29
A.
Am 15. Dezember 2009 erhob die Staatsanwaltschaft St. Gallen beim Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland Anklage gegen Rechtsanwalt X. wegen mehrfacher Vergehen gegen das UWG (SR 241). X. wird verdächtigt, an der Kreation von Massenaussendungen mit unlauterem und betrügerischem Inhalt, dem Auf- und Ausbau eines Geschäftsmodells mit zahlreichen beteiligten Firmen zur Streuung solcher Massenaussendungen in mehreren Ländern sowie an der Verschleierung der Herkunft und des Mittelflusses der durch diese unlauteren und betrügerischen Massenaussendungen erlangten Gelder aktiv mitgewirkt zu haben. Mit Entscheid vom 7. Juni 2012 wies das Kreisgericht die Anklage an die Staatsanwaltschaft zurück. Diese dehnte in der Folge das Strafverfahren gegen X. auf die Tatbestände des gewerbsmässigen Betrugs und der qualifizierten Geldwäscherei aus.
Am 16. Oktober 2012 teilte Y., der ehemalige Chauffeur von X., der Staatsanwaltschaft telefonisch mit, er verfüge über Daten, welche er von seinem früheren Chef bekommen habe, um sie beiseitezuschaffen. Y. übermittelte daraufhin der Staatsanwaltschaft einen Internetlink, welcher den Zugriff auf die auf einem Server gespeicherten Daten erlaubte. Nach einer Grobsichtung und der Aussonderung der fallrelevant erscheinenden Daten eröffnete die Staatsanwaltschaft X. den kompletten Datensatz sowie die für die Eingliederung in die Akten vorgesehenen Daten. Mit Schreiben vom 22. Januar 2013 verlangte X., die Unterlagen seien vollständig aus den Untersuchungsakten zu entfernen und in Anwendung von
Art. 248 StPO
umgehend zu versiegeln. Am 5. Februar 2013 versiegelte die Staatsanwaltschaft die Datenträger und Ordner mit ausgedruckten Daten.
Am 7. Februar 2013 stellte die Staatsanwaltschaft beim Kantonalen Zwangsmassnahmengericht den Antrag auf Entsiegelung und Durchsuchung. Das Kantonale Zwangsmassnahmengericht gewährte X. das rechtliche Gehör und führte alsdann einen zweiten Schriftenwechsel durch. In tatsächlicher Hinsicht führte X. im Wesentlichen aus, er habe die Daten Y. nicht übergeben, sondern dieser habe sie deliktisch erworben, indem er heimlich Kopien von den auf CDs gesicherten Klientendaten seiner Anwaltskanzlei erstellt habe; die Original-CDs hätten sich jedoch immer in seinem Besitz befunden. Y. habe ihn in der Folge zu erpressen versucht und zur Bezahlung von Fr. 500'000.- aufgefordert, ansonsten er die Daten der Staatsanwaltschaft übermitteln werde. Gegen Y. laufe ein Strafverfahren.
BGE 140 IV 28 S. 30
Mit Entscheid vom 4. Juni 2013 lehnte das Kantonale Zwangsmassnahmengericht das Ersuchen der Staatsanwaltschaft ab und verfügte die Herausgabe der versiegelten Datenträger an X. und die Vernichtung der versiegelten Ordner mit ausgedruckten Daten. Das Gericht erwog, es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht bezüglich der Vorwürfe der Vergehen gegen das UWG, des gewerbsmässigen Betrugs und der qualifizierten Geldwäscherei.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 2. Juli 2013 beantragt die Staatsanwaltschaft, der Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts vom 4. Juni 2013 sei aufzuheben und die versiegelten Gegenstände (Datenträger und Ordner) seien zu entsiegeln und zur Aufnahme in die Akten freizugeben. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung des Entsiegelungsverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 246 StPO
dürfen Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen.
Art. 248 StPO
bestimmt, dass Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln sind und von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden dürfen (Abs. 1). Stellt die Strafbehörde nicht innert 20 Tagen ein Entsiegelungsgesuch, so werden die versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände der berechtigten Person zurückgegeben (Abs. 2). Stellt sie ein Entsiegelungsgesuch, so entscheidet darüber innerhalb eines Monats endgültig: a. im Vorverfahren: das Zwangsmassnahmengericht; b. in den anderen Fällen: das Gericht, bei dem der Fall hängig ist (Abs. 3). Das Gericht kann zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen und Gegenstände eine sachverständige Person beiziehen (Abs. 4).
Nach
Art. 248 Abs. 1 StPO
sind somit Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben des Inhabers nicht beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln. Gemeint sind damit die
BGE 140 IV 28 S. 31
Beschlagnahmeverbote im Sinne von
Art. 264 StPO
. Gemäss
Art. 264 Abs. 1 StPO
dürfen nicht beschlagnahmt werden, ungeachtet des Orts, wo sie sich befinden, und des Zeitpunkts, in welchem sie geschaffen worden sind: a. Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit ihrer Verteidigung; b. persönliche Aufzeichnungen und Korrespondenz der beschuldigten Person, wenn ihr Interesse am Schutz der Persönlichkeit das Strafverfolgungsinteresse überwiegt; c. Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr der beschuldigten Person mit Personen, die nach den Art. 170-173 das Zeugnis verweigern können und im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt sind; d. Gegenstände und Unterlagen aus dem Verkehr einer anderen Person mit ihrer Anwältin oder ihrem Anwalt, sofern die Anwältin oder der Anwalt nach dem Anwaltsgesetz vom 23. Juni 2000 (SR 935.61) zur Vertretung vor schweizerischen Gerichten berechtigt ist und im gleichen Sachzusammenhang nicht selber beschuldigt ist.
Art. 264 Abs. 3 StPO
bestimmt, dass die Strafbehörden nach den Vorschriften über die Siegelung vorzugehen haben, wenn eine berechtigte Person geltend macht, eine Beschlagnahme von Gegenständen und Vermögenswerten sei wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht zulässig.
Art. 264 Abs. 3 StPO
verweist somit auf
Art. 248 StPO
.
Gemäss
Art. 171 Abs. 1 StPO
, auf welchen
Art. 264 Abs. 1 lit. c StPO
Bezug nimmt, können (insbesondere) Rechtsanwälte und Verteidiger das Zeugnis über Geheimnisse verweigern, die ihnen aufgrund ihres Berufs anvertraut worden sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin bringt vor, Y. habe ihr die Unterlagen aus eigener Initiative und freiwillig zur Verfügung gestellt, sodass kein Zwangsmittel habe eingesetzt werden müssen. Demzufolge seien die Bestimmungen über die Zwangsmassnahmen von
Art. 196- 298 StPO
vorliegend nicht anwendbar. Indem die Vorinstanz die Anwendbarkeit von
Art. 248 Abs. 1 StPO
sowie von
Art. 264 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 StPO
auf den Bereich der "Nicht-Zwangsmassnahmen" ausgedehnt habe, habe sie Bundesrecht verletzt.
3.2
Die Vorinstanz hat erwogen, die Siegelung diene dem Schutz der Geheim- und Privatsphäre vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen. Ob die Beschwerdeführerin Zwangsmittel habe anwenden müssen, um auf die Unterlagen zugreifen zu können oder ob ihr diese ohne ihr Zutun zugestellt worden seien, spiele keine Rolle.
BGE 140 IV 28 S. 32
Massgebend sei einzig, dass die betroffene Person gemäss
Art. 248 Abs. 1 StPO
geltend mache, unter den Aufzeichnungen bzw. Gegenständen befänden sich solche, die nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürften. Dies sei vorliegend der Fall, da der Beschwerdegegner vorbringe, die der Beschwerdeführerin von Y. übermittelten Daten enthielten seine gesamte Anwaltskorrespondenz von sämtlichen Ende 2005 pendenten Mandaten. Es bestehe daher die begründete Möglichkeit, dass zumindest ein Teil der Unterlagen einem Beschlagnahmeverbot im Sinne von
Art. 264 StPO
unterliegen könnte. Die Beschwerdeführerin habe die Aufzeichnungen demnach zu Recht versiegelt. Ob diese tatsächlich nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürften, habe das Zwangsmassnahmengericht zu entscheiden.
3.3
Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in Grundrechte der Betroffenen eingreifen (vgl.
Art. 196 StPO
). Die Durchsuchung von privaten Aufzeichnungen berührt das Recht auf Privatsphäre gemäss
Art. 13 BV
; sind Berufsgeheimnisse betroffen, wird überdies die Wirtschaftsfreiheit nach
Art. 27 BV
tangiert. Grundrechtseingriffe sind gemäss
Art. 36 BV
nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sind und den Kerngehalt des Grundrechts wahren. Mit
Art. 197 StPO
werden diese verfassungsmässigen Voraussetzungen der Einschränkung von Freiheitsrechten wiederholt und für die strafprozessualen Zwangsmassnahmen in dem Sinn konkretisiert, dass diese einen hinreichenden Tatverdacht voraussetzen (vgl. JONAS WEBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 1 zu
Art. 197 StPO
).
3.4
Der Argumentation der Beschwerdeführerin, die Durchsuchung persönlicher Aufzeichnungen und Datenträger stelle keinen Grundrechtseingriff bzw. keine Zwangsmassnahme dar, wenn die Strafbehörde ohne Anwendung von Zwang in den Besitz der Unterlagen gelangt sei, kann nicht gefolgt werden.
Die Möglichkeit, Siegelung zu verlangen, besteht grundsätzlich bei jeglicher Form der Durchsuchung. Insbesondere kann sich auch diejenige Person auf
Art. 248 StPO
berufen, die Aufzeichnungen infolge einer Editionsaufforderung freiwillig herausgegeben hat (THORMANN/BRECHBÜHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 4 zu
Art. 248 StPO
). Entscheidend ist, dass sich der Beschwerdegegner gegen die Durchsuchung der Unterlagen zur Wehr
BGE 140 IV 28 S. 33
setzt und geltend macht, dass sich unter den Aufzeichnungen solche befinden, die nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen. Eine Durchsuchung von Aufzeichnungen gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen greift in dessen grundrechtlich geschützte Privatsphäre ein; dies gilt unabhängig von der Art und Weise, wie die Strafbehörde in den Besitz der Unterlagen gelangt ist. Anders entscheiden hiesse, den Grundrechtsschutz auszuhöhlen, da die Strafbehörde diesfalls sämtliche Unterlagen voraussetzungslos, d.h. insbesondere auch ohne Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, durchsuchen könnte und zwar selbst dann, wenn der Geheimnisträger Opfer einer deliktischen Wegnahme geworden sein sollte.
4.
4.1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, nach dem Wortlaut von
Art. 248 Abs. 1 StPO
sei einzig der Inhaber berechtigt, die Siegelung zu verlangen. Gewahrsamsinhaber sei Y. gewesen. Der Beschwerdegegner habe die tatsächliche Herrschaft über die Daten in dem Moment verloren, als er diese Y. übergeben habe, damit dieser sie dem Zugriff der Strafbehörden entziehe. Im Übrigen könne der Beschwerdegegner auch nicht als berechtigte Person im Sinne von
Art. 264 Abs. 3 StPO
gelten, da mutmasslich strafbare Handlungen vom anwaltlichen Berufsgeheimnis nicht geschützt seien. Die Vorinstanz habe den Beschwerdegegner daher zu Unrecht als zur Stellung eines selbstständigen Siegelungsantrags legitimiert erachtet.
4.2
Die Vorinstanz hat ausgeführt, nach dem Wortlaut von
Art. 248 Abs. 1 StPO
sei einzig der Inhaber zur Einreichung eines Siegelungsantrags legitimiert. Dies aber widerspreche
Art. 264 StPO
. Nach dieser Bestimmung bestehe für bestimmte Unterlagen ein Beschlagnahmeverbot, ungeachtet des Orts, wo sich diese befänden (Abs. 1). Die Unzulässigkeit der Beschlagnahme könne dabei von jeder berechtigten Person geltend gemacht werden mit der Folge, dass alsdann nach den Vorschriften über die Siegelung vorzugehen sei (Abs. 3). Legitimiert, die Siegelung zu verlangen, seien daher auch Personen wie der beschuldigte Beschwerdegegner, welche unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an den Unterlagen oder der Geheimhaltung des Inhalts hätten. Nur diese Auslegung werde dem Gedanken gerecht, dass zwischen
Art. 248 und
Art. 264 StPO
Deckungsgleichheit bestehen sollte.
4.3
Umstritten ist mithin die Auslegung von
Art. 248 Abs. 1 StPO
.
BGE 140 IV 28 S. 34
4.3.1
Ein Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode auszulegen. Anzuknüpfen hat die Auslegung an die ratio legis, die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach den subjektiven Wertvorstellungen der Richter aufgegeben ist, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers. Die Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut allein die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis mit Blick auf die ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben (statt vieler:
BGE 133 III 175
E. 3.3.1 S. 178).
4.3.2
Nach dem deutschen und italienischen Wortlaut von
Art. 248 Abs. 1 StPO
ist einzig der Inhaber (ital.: "detentore") berechtigt, sich gegen die Durchsuchung zu wehren. Inhaber ist, wer den Gewahrsam im Sinne der tatsächlichen Sachherrschaft über die Aufzeichnungen hat, bei elektronisch gespeicherten Daten ist bzw. sind Inhaber der Gewahrsamsträger der Datenverarbeitungsanlage und des elektronischen Speichermediums. In der französischen Fassung hingegen wird - anders als in
Art. 247 Abs. 1 und 3 StPO
- nicht von Inhaber (franz.: "détenteur") gesprochen, sondern der Begriff Interessierter (franz.: "intéressé") verwendet.
Ein Teil der Lehre erachtet unter Hinweis auf den deutschen Wortlaut der Bestimmung, allerdings ohne Bezugnahme auf andere Auslegungsmethoden, einzig den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft als legitimiert, die Siegelung zu verlangen (THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O., N. 6 zu
Art. 248 StPO
; NIKLAUS SCHMID,
BGE 140 IV 28 S. 35
Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 3 zu
Art. 248 StPO
; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 1081; KUHN/JEANNERET, Précis de procédure pénale, 2013, S. 272, mit Hinweis auf THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O.; vgl. ferner MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure pénale, 2013, N. 6 zu
Art. 248 StPO
; CATHERINE CHIRAZI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, Kuhn/Jeanneret [éd.], 2011, N. 3 zu
Art. 248 StPO
).
4.3.3
Die Botschaft des Bundesrats zu
Art. 248 Abs. 1 StPO
geht ähnlich dem französischen Gesetzestext von einem weiteren Verständnis des Begriffs "Inhaber" aus. Sie hält fest, dass die Person, in deren Händen sich die Aufzeichnungen oder Gegenstände tatsächlich befinden (bspw. die Bank) oder die
rechtlich berechtigt
ist (bspw. der Inhaber des Bankkontos), als Inhaber gilt und einzig vorzubringen hat, eine Durchsuchung oder Beschlagnahme sei wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen (beispielsweise die betreffenden Gegenstände enthielten Geheimnisse ohne Relevanz für das Verfahren) unzulässig (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1239). Die historische Auslegung spricht somit dafür, dass nicht nur der Inhaber im eng verstandenen Sinne, sondern auch derjenige, der "rechtlich berechtigt" ist, die Siegelung verlangen kann.
4.3.4
Unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten ist auf den Zusammenhang zwischen
Art. 248 Abs. 1 und
Art. 264 Abs. 3 StPO
sowie auf den Sinn und Zweck der Siegelung näher einzugehen.
Eine Durchsuchung erfolgt im Hinblick auf eine allfällige Beschlagnahme von relevanten Aufzeichnungen. Durch die Siegelung als Sofortmassnahme soll sichergestellt werden, dass von den Strafbehörden nichts durchsucht, zur Kenntnis genommen oder sonst wie verwendet wird, was gemäss
Art. 264 Abs. 1 StPO
aus Geheimnisschutzgründen nicht beschlagnahmt werden darf. Da derartige Beschlagnahmeverbote die Kenntnisnahme durch die Strafbehörde verhindern sollen, sollte der Schutzbereich der Siegelung nach
Art. 248 Abs. 1 StPO
auf jenen der Beschlagnahme nach den Anforderungen von
Art. 264 Abs. 3 StPO
möglichst abgestimmt sein (MÜLLER/GÄUMANN, Siegelung nach Schweizerischer StPO, Anwaltsrevue 6-7/2012 S. 290; THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O., N. 50 zu
Art. 248 StPO
;
BGE 140 IV 28 S. 36
ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 4 zu
Art. 248 StPO
). Dies aber wäre von vornherein nicht gewährleistet, wenn die Beschwerdeberechtigung im Rahmen von
Art. 248 Abs. 1 StPO
auf den Gewahrsamsinhaber der Aufzeichnungen beschränkt würde. In einem Fall wie dem zu beurteilenden, in dem der Inhaber kein Interesse an der Siegelung hat, würde so der berechtigten Person der wirksame Rechtsschutz verwehrt, da sie nicht legitimiert wäre, unter Hinweis auf ein Beschlagnahmeverbot nach
Art. 264 Abs. 1 StPO
die Siegelung zu verlangen. Sie könnte allenfalls erst später, bei der förmlichen Beschlagnahme, eine Siegelung erwirken, nachdem die Strafbehörde die Aufzeichnungen schon im Detail gesichtet hätte.
Art. 264 Abs. 1 StPO
wurde im Gesetzgebungsverfahren dahin gehend präzisiert, dass das Beschlagnahmeverbot ungeachtet des Orts gilt, wo sich die Unterlagen befinden (vgl. AB 2007 N 990). Gemäss
Art. 264 Abs. 3 StPO
kann jede (geheimnis-)berechtigte Person die Unzulässigkeit der Beschlagnahme geltend machen, womit die Strafbehörden nach den Vorschriften über die Siegelung, d.h. nach
Art. 248 StPO
, vorzugehen haben. Kommt es aber nicht auf den Auffindeort an und umfasst der Kreis der Antragssteller jede berechtigte Person, so können auch andere Personen als der Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft geheimnisschutz- und siegelungsberechtigt sein. Aus
Art. 264 Abs. 3 StPO
ergibt sich demnach, dass die Befugnis, sich gegen eine Durchsuchung von Aufzeichnungen zu wehren, über den Kreis der Gewahrsamsinhaber hinausgeht und auch Personen erfasst, die unabhängig der Besitzverhältnisse ein rechtlich geschütztes Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts der Unterlagen haben können. Zum Zweck eines wirksamen Geheimnisschutzes ist das Recht auf Siegelung gemäss
Art. 248 Abs. 1 StPO
daher auf die Berechtigung, sich nach
Art. 264 Abs. 3 StPO
gegen eine Beschlagnahme zu wehren, abzustimmen (KELLER, a.a.O., N. 6 zu
Art. 248 StPO
; gleicher Meinung MÜLLER/GÄUMANN, a.a.O., S. 291 f.; BURCKHARDT/RYSER, Die erweiterten Beschlagnahmeverbote zum Schutz des Anwaltsgeheimnisses insbesondere im neuen Strafverfahren, AJP 2013 S. 165; ISENRING/KESSLER, Strafprozessuale "Bank-Editionen": Die Rechtlosigkeit des Kontoinhabers und der beschuldigten Person, AJP 2012 S. 330 f.; in diesem Sinn auch JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse, Commentaire à l'usage des practiciens, 2012, N. 568; EDY MELY, in: Commentario, Codice svizzero di procedura penale, 2010, N. 4 zu
BGE 140 IV 28 S. 37
Art. 248 StPO
; vgl. zudem BOMMER/GOLDSCHMID, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 58 zu
Art. 264 StPO
, die festhalten, mit Blick auf den Sinn und Zweck des Siegelungserfordernisses könnten beschuldigte Personen auch dann die Siegelung verlangen, wenn die Beschlagnahme von Gegenständen nicht in ihrer Herrschaftssphäre erfolgt sei).
4.3.5
Sind nach dieser Auslegung auch Geheimnisschutzberechtigte, die nicht Gewahrsinhaber sind, legitimiert, einen Antrag auf Siegelung zu stellen, so obliegt es der Strafbehörde, dafür zu sorgen, dass die Berechtigten dieses Verfahrensrecht auch rechtzeitig und wirksam ausüben können. Wohl hat sie vor einer Sicherstellung bloss den Inhaber von Aufzeichnungen zum Inhalt und zu allfälligen Siegelungsgründen anzuhören (
Art. 247 Abs. 1 StPO
). Nach der Entgegennahme bzw. Sicherstellung, noch vor der Durchsuchung der Aufzeichnungen, hat sie aber von Amtes wegen weiteren Berechtigten zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (vgl.
Art. 107 StPO
) die Möglichkeit einzuräumen, ein Siegelungsbegehren zu stellen (MÜLLER/GÄUMANN, a.a.O., S. 292; KELLER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 248 StPO
). Als Geheimnisschutzberechtigte kommen, wie dargelegt, zur Hauptsache die beschuldigte Person und Zeugnisverweigerungsberechtigte im Sinne von
Art. 170-173 StPO
in Betracht (vgl.
Art. 264 Abs. 1 StPO
und E. 2 hiervor). Im zu beurteilenden Fall steht die Durchsuchung von Datenträgern aus der Anwaltskanzlei des beschuldigten Beschwerdegegners in Frage, weshalb offensichtlich ist, dass dieser ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse haben könnte.
4.3.6
Das vorstehend Erwogene erscheint auch aus weiteren Rechtsschutzüberlegungen sachgerecht. Bei Entsiegelungen wird definitiv darüber entschieden, ob die Geheimnisinteressen, welche von der berechtigten Person angerufen werden, einer Durchsuchung durch die Strafbehörde entgegenstehen. Insofern ist nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ein drohender nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
regelmässig gegeben; dies gilt insbesondere, wenn eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses zur Diskussion steht (Urteil 1B_27/2012 vom 27. Juni 2012 E. 1 mit zahlreichen Hinweisen). Zudem hat das Bundesgericht in anderem Zusammenhang festgehalten, dass es aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung von Doppelspurigkeiten und Abgrenzungsproblemen sinnvoll ist, den Anwendungsbereich des Siegelungsverfahrens weit zu fassen und sämtliche Einwände gegen die Durchsuchung im Entsiegelungsverfahren
BGE 140 IV 28 S. 38
zu prüfen, sofern es dem Berechtigten im Ergebnis darum geht, die Einsichtnahme der Strafbehörde in die Unterlagen und deren Verwertung zu verhindern. In allen diesen Fällen gewährleistet das Siegelungsverfahren einen adäquaten Rechtsschutz und eine möglichst frühzeitige Klärung der Rechtslage (Urteil 1B_117/2012 vom 26. März 2012 E. 3.3). Würde man die Befugnis, die Siegelung zu verlangen, auf den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft beschränken, so wäre - wenn es sich nicht zugleich um einen Geheimnisschutzberechtigten handelte - ein hinreichender Rechtsschutz kaum gewährleistet. Hätte der Inhaber kein Siegelungsinteresse, so käme es gar nicht bzw. erst im Zuge einer Beschlagnahme und damit möglicherweise zu spät (vgl. E. 4.3.4 hiervor) zu einem Entsiegelungsverfahren. Selbst wenn der Inhaber der Sachherrschaft aber die Siegelung verlangen würde, könnte er gegen eine Entsiegelung trotz nicht wieder gutzumachendem Nachteil für den Geheimnisschutzberechtigten nicht mit strafrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht gelangen, sofern ihm selbst nicht auch ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
drohen würde. Der Geheimnisschutzberechtigte wäre ebenfalls nicht beschwerdebefugt, da er am vorangehenden Verfahren nicht beteiligt gewesen wäre bzw. werden musste (
Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG
). Diese Konsequenzen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.
Zur Gewährleistung des Rechtsschutzes und aus prozessökonomischen Gründen ist es auch im vorliegenden Verfahren angezeigt, die berechtigte Person, welche nicht gleichzeitig Inhaberin der Aufzeichnungen ist, bereits im Siegelungsverfahren zu beteiligen und nicht auf das Beschlagnahmeverfahren zu verweisen. Dies liegt nicht nur im Interesse der berechtigten Person, sondern auch in demjenigen der Strafbehörde, da hierdurch verhindert wird, dass diese Unterlagen durchsucht, die sie möglicherweise aufgrund eines Beschlagnahmeverbots nicht beschlagnahmen und nicht als Beweis verwerten kann.
4.3.7
Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin steht diese Auslegung von
Art. 248 Abs. 1 StPO
nicht im Widerspruch zur bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung.
Das Bundesgericht hat die Legitimationsfrage bislang noch nicht ausdrücklich entschieden. Immerhin hat es aber im Urteil 1B_136/2012 vom 25. September 2012 E. 4.4 erwogen, dass sowohl
Art. 264 Abs. 3 StPO
als auch
Art. 248 Abs. 1 StPO
das Siegelungsverfahren vorsehen, wenn die betroffene
berechtigte Person
sich auf ein
BGE 140 IV 28 S. 39
Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht beruft. Im Urteil 1B_309/2012 E. 5.11 (in: Pra 2013 Nr. 19 S. 157) hat das Bundesgericht neben anderen Verfahrensbeteiligten auch einen Rechtsanwalt als legitimiert erachtet, für nicht in seiner Anwaltskanzlei, sondern in den Geschäftsräumlichkeiten zweier Firmen sichergestellte Anwaltskorrespondenz die Siegelung zu verlangen.
Aus den beiden in der Beschwerde angeführten Bundesgerichtsurteilen kann die Beschwerdeführerin demgegenüber nichts für ihre Position ableiten. In
BGE 139 IV 246
musste die Frage, ob auch ein Nicht-Inhaber berechtigt ist, die Siegelung zu verlangen, nicht entschieden werden. Im Urteil 1B_567/2012 vom 26. Februar 2013 hat das Bundesgericht erwogen, der Beschuldigte sei als Kontoinhaber von der beantragten Entsiegelung und Durchsuchung immerhin mittelbar betroffen. Soweit er eigene Geheimhaltungsinteressen, insbesondere Privat- und Berufsgeheimnisse anrufe, die einer Entsiegelung entgegenstehen könnten, sei sein schutzwürdiges Interesse an der Beschwerdeführung grundsätzlich zu bejahen (vgl. Urteil 1B_567/2012 vom 26. Februar 2013 E. 1.1). Da die Inhaberin (eine Bank) die Siegelung verlangt hatte und gestützt darauf das Entsiegelungsverfahren (unter Beteiligung des Beschuldigten) durchgeführt wurde, bildete die Frage, ob der Beschuldigte legitimiert gewesen wäre, selbstständig die Siegelung zu verlangen, nicht Streitgegenstand.
4.3.8
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat schliesslich die Tatsache, dass der Beschwerdegegner selbst beschuldigt ist und sich deshalb insoweit nicht mit Erfolg auf das Zeugnisverweigerungsrecht gemäss
Art. 171 Abs. 1 StPO
berufen kann, nicht zur Folge, dass ihm die Legitimation abzusprechen ist.
Eine beschuldigte Person kann nach dem Gesagten die Siegelung verlangen (vgl. BOMMER/GOLDSCHMID, a.a.O., und hierzu E. 4.3.4 hiervor) und das blosse Geltendmachen schutzwürdiger Geheimnisse genügt, dass die Strafbehörde die Unterlagen zu versiegeln hat, was vorliegend auch geschehen ist. Die Beschwerdeführerin ist mithin korrekt vorgegangen. Das Zwangsmassnahmengericht hat alsdann auf Gesuch der Strafbehörde hin im Entsiegelungsverfahren zu entscheiden, ob bzw. inwieweit einer Entsiegelung tatsächlich schützenswerte Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (vgl. THORMANN/BRECHBÜHL, a.a.O., N. 7 zu
Art. 248 StPO
, mit Hinweis auf
BGE 121 I 240
E. 1 S. 241 ff.; siehe auch nicht publ. E. 6.4). Einen
BGE 140 IV 28 S. 40
hinreichenden Tatverdacht vorausgesetzt, dürfen die Aufzeichnungen eines beschuldigten Rechtsanwalts so weit durchsucht werden, als dadurch das Berufsgeheimnis als gesetzlich geschütztes Klientengeheimnis unbeteiligter Dritter nicht verletzt wird. Die Durchsuchung ist mithin nur unter Wahrung der durch das Anwaltsgeheimnis geschützten Kundengeheimnisse zulässig, was zum Beispiel durch Unkenntlichmachen der Namen der Klienten oder Ersatz derselben durch Codes geschehen kann (KELLER, a.a.O., N. 35 f. zu
Art. 248 StPO
, mit Hinweis auf
BGE 132 IV 63
E. 4.6 S. 67 f.). | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d54c77a0-bf2e-4696-ba62-f05697ba81bf | Urteilskopf
105 IV 189
51. Urteil des Kassationshofes vom 25. Mai 1979 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen M. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1.
Art. 159 StGB
, ungetreue Geschäftsführung. Schädigungsvorsatz (Erw. 1).
2.
Art. 110 Ziff. 5 Abs. 1, 251 StGB
, Urkunde. Einer die Buchhaltung betreffenden und an die Revisionsstelle einer AG gerichteten sog. Vollständigkeitserklärung (hier: über Haftung für fremde Verbindlichkeiten) kommt nicht nur Beweisbestimmung, sondern auch Beweiseignung und damit Urkundencharakter zu (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 189
BGE 105 IV 189 S. 189
A.-
M., Prokuristin der X-Bank, besorgte zunächst selbständig das Kleinkreditgeschäft der Bank und befasste sich später auch mit Anlagegeschäften.
Vom Sommer 1972 bis November 1974 unterschrieb sie zusammen mit dem Bankdirektor und Delegierten des Verwaltungsrates S. laufend Bankgarantien und Bürgschaften der Bank zugunsten von privaten Geldgebern des S. bzw. der von diesem ebenfalls beherrschten P. AG Zürich, ohne dass der X-Bank für das eingegangene Risiko ein entsprechender Gegenwert zufloss.
Am 3. Januar 1974 unterschrieb sie zusammen mit S. im Namen der X-Bank eine Pfandbestellung an einem Guthaben der Bank auf einem Depotkonto von Fr. 300'000.- bei der Bank in Langenthal zur Sicherstellung eines Darlehens in gleicher Höhe, das S. privat am 28. Dezember 1973 bei der letztern Bank bezogen hatte.
BGE 105 IV 189 S. 190
Am 31. Mai 1974 bestätigte M. unterschriftlich in einer sogenannten Vollständigkeitserklärung zuhanden der Y-Treuhand, der Kontrollstelle und bankengesetzlichen Revisionsstelle der X-Bank, wahrheitswidrig, eine Haftung für fremde Verbindlichkeiten (z.B. aus der Begebung und Weitergabe von Wechseln und Checks, aus Bürgschaften und bürgschaftsähnlichen Rechtsverhältnissen sowie aus der Bestellung von Sicherheiten an Sachen oder Rechten der Bank für fremde Verbindlichkeiten) bestehe nicht und sei bis heute nicht eingegangen worden. Tatsächlich aber bestanden in diesem Zeitpunkt erhebliche Bürgschaften und Garantien für private Verbindlichkeiten des S. bzw. der P. AG.
B.-
Das Bezirksgericht Zürich sprach M. am 1. November 1977 der fortgesetzten ungetreuen Geschäftsführung und der Urkundenfälschung schuldig und verurteilte sie zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von vier Monaten.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach sie hingegen am 1. Dezember 1978 von Schuld und Strafe frei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Angeklagte wegen ungetreuer Geschäftsführung und Urkundenfälschung bestrafe. M. beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht hat M. von der Anklage der ungetreuen Geschäftsführung freigesprochen, weil ihr die Eigenschaft einer Geschäftsführerin im Sinne des Gesetzes gefehlt habe und ihr ein Schädigungsvorsatz nicht nachgewiesen werden könne.
a) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, das Obergericht habe den Begriff des Schädigungsvorsatzes falsch angewendet. Die Beschwerdegegnerin sei Organ der AG gewesen und habe als solches von 1972 bis 1974 Garantien für viele Millionen unterzeichnet, ohne dass der AG eine Gegenleistung zugekommen wäre. Es sei daher unzulässig, den Vorsatz im Hinblick auf künftige unbestimmte Gegenleistungen zu verneinen. Die Frage stelle sich zudem für jede Rechnungsperiode. Spätestens in der letzten Periode habe die Beschwerdegegnerin vernünftigerweise nicht mehr mit einer Gegenleistung rechnen können.
BGE 105 IV 189 S. 191
b) Auch die Vorinstanz stellt fest, dass die X-Bank für ihre Garantien keinen Gegenwert erhielt. Sie hält jedoch dafür, dass die Nichtleistung der üblichen Kommissionen nicht zu einer Schädigung der Bank geführt hätte, wenn S. anderswie einen Ausgleich geschaffen hätte. Sie stellt ausdrücklich fest, der Beschwerdegegnerin könne nicht widerlegt werden, dass sie dieser Meinung gewesen sei. Nach ihrer Auffassung habe S. beabsichtigt, die P. AG zu verkaufen und die Kunden der X-Bank zuzuführen. Darin habe sie ein "Bombenprojekt" gesehen und keinen Anlass gehabt, an den Angaben des S. zu zweifeln, zumal er seinen Sohn im Bankfach habe ausbilden lassen und in seine Bank habe aufnehmen wollen. Freilich wäre die Liquidation der P. AG nur möglich gewesen, wenn S. das Grundstück "R." teuer hätte verkaufen und mit dem Erlös die Schulden hätte bezahlen können. Wie es sich damit verhalten habe, gehe aus den Akten nicht klar hervor. Indes habe die Beschwerdegegnerin in der Berufungsverhandlung Kaufsinteressenten genannt, und es könne ihr auch nicht widerlegt werden, dass sie den Angaben des S. geglaubt habe. Sie habe S. als "Mordscheib" bezeichnet, der es vom "Blumenhengst" zu 80 Millionen gebracht habe. Die X-Bank sei seine Schöpfung gewesen, und in diese Bank habe die Beschwerdegegnerin volle Einsicht gehabt. Dass diese Gesellschaft an sich erfolgreich gearbeitet habe, sei unbestritten. Die weitere Tätigkeit des S. als Privatmann und als Inhaber der P. AG habe die Beschwerdegegnerin nicht überprüfen können. Habe sie aber auf die Richtigkeit seiner Angaben vertraut, dann habe sie nicht ohne weiteres von einer Schädigung der X-Bank ausgehen müssen, weil S. keine banküblichen Kommissionen entrichtet habe. Bei der Sachlage, wie sie M. gesehen haben wolle, habe ein Vorteil darin liegen können, dass die X-Bank ihr Geschäftsvolumen durch Übernahme der Kundschaft der P. AG hätte verdoppeln können, wie S. das in Aussicht gestellt habe.
Legt man diese tatsächlichen und daher für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen zugrunde (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), so ist die Verneinung des Schädigungsvorsatzes hinsichtlich des Ausfalls der banküblichen Kommissionen unanfechtbar. Denn wenn M. dem S. geglaubt hat, dass durch die Liquidation der P. AG der Kundenkreis der X-Bank verdoppelt werden könne, und sie auch an die Möglichkeit der Liquidation aufgrund der Angaben ihres Chefs geglaubt hat, dann kann nicht gesagt werden, sie habe einen Schaden der Bank
BGE 105 IV 189 S. 192
infolge Verlusts der Kommission, die nach dem angefochtenen Urteil nur den Bruchteil eines Prozents ausgemacht hätte, gewollt oder in Kauf genommen; durch die Verdoppelung des Kundenbestandes hätte nämlich jener Verlust nach der erneut verbindlichen Feststellung der Vorinstanz aufgewogen werden können. Dafür schliesslich, dass sie diesen Glauben in der letzten Rechnungsperiode nicht mehr gehabt hätte, ist dem angefochtenen Urteil nichts zu entnehmen.
c) Fragen könnte man sich allerdings, ob die Vorinstanz den möglichen Schaden zu Recht einzig im Verlust von Kommissionen erblickt hat oder ob er nicht auch darin hätte liegen können, dass mit der Gewährung der Garantien und Bürgschaften der X-Bank ein Risiko aufgebürdet wurde, das weit über das bei solchen Geschäften Übliche hinausging. Indessen kann die Frage offen bleiben, weil auch dann die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, dass die Beschwerdegegnerin auf die Richtigkeit der Angaben des S. vertraut hat, der Annahme des Schädigungsvorsatzes entgegenstände. Nach dem, was sie geglaubt hat, bestanden solche Risiken nicht, weshalb sie diese auch nicht gewollt oder in Kauf genommen haben kann.
d) Fehlt es am Vorsatz, braucht nicht untersucht zu werden, ob M. Geschäftsführerin im Sinne des Gesetzes war.
2.
a) Im Anklagepunkt der Urkundenfälschung hat die Vorinstanz die Beweisbestimmung und die inhaltliche Unwahrheit der sogenannten Vollständigkeitserklärung vom 31. Mai 1974 sowie das Wissen der Beschwerdegegnerin um diese Tatsachen festgestellt. Zu einem Freispruch gelangte sie, weil dieser Erklärung die Beweiseignung gefehlt habe. Die Verantwortung für die regelmässige Führung der Geschäftsbücher und die Aufstellung der Bilanzen und Erfolgsrechnungen trage bei der AG die Verwaltung (Art. 707 ff OR) bzw. der Verwaltungsrat (
Art. 712 OR
). Dabei handle es sich um nicht delegierbare Kompetenzen, d.h. um Rechte und Pflichten, für deren Einhaltung und Erfüllung die Verwaltung allein verantwortlich sei. Die X-Bank sei eine AG und die Beschwerdegegnerin als blosse Prokuristin nicht Trägerin der Buchführungspflicht gewesen. Sie habe denn auch mit der Buchführung nicht einmal praktisch zu tun gehabt, was der Kontrollstelle bekannt gewesen sei. Die einzig von M. unterzeichnete Vollständigkeitserklärung sei deshalb zum Beweis der beurkundeten Tatsachen nicht geeignet gewesen.
BGE 105 IV 189 S. 193
Die Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, die Beschwerdegegnerin habe in grossem Umfang Bankgarantien unterzeichnet, wofür sie bankintern von S. als die richtige und massgebliche Person betrachtet worden sei. Sie habe damit auch die Pflicht gehabt, gegenüber der Kontrollstelle in der Vollständigkeitserklärung wahrheitsgemässe Angaben zu machen. Es treffe nicht zu, dass die Verantwortung für die richtige Erstellung der Buchführung nur dem Verwaltungsrat obliege. Der Verwaltungsrat befasse sich bei vielen AG nicht mit der Buchhaltung, sondern überlasse das Direktoren oder sonstigen Geschäftsführern.
b) Der Begriff der Urkunde erfordert in allen Fällen, dass das Schriftstück zum Beweise geeignet sei. Die Beweiseignung kommt einer Schrift zu, wenn ihr diese Eigenschaft durch Gesetz oder Verkehrsübung zuerkannt wird. Sie setzt nicht voraus, dass die Urkunde im konkreten Fall beweiskräftig ist (
BGE 101 IV 279
;
102 IV 34
;
103 IV 25
, 38).
c) Die in Frage stehende Vollständigkeitserklärung ist gesetzlich nicht als Bestandteil der kaufmännischen Buchführung vorgeschrieben. Sie hat sich in der neueren Revisionspraxis als ein Revisionserfordernis formeller Art herausgebildet (G. BEHR/A. BUCK, Die Bilanzerklärung, in "Schweizer Treuhänder" 1976, Nr. 10 S. 26 ff.). In ihr bestätigt die Geschäftsleitung zuhanden der Revisionsinstanz, dass in den Büchern alle buchungspflichtigen Geschäftsvorfälle, insbesondere die Passiven festgehalten sind (Revisionshandbuch der Schweiz, I 4.13).
d) Wie die Vorinstanz feststellt, gehörte die Beschwerdegegnerin nicht dem Verwaltungsrat der X-Bank an. Sie war aber Prokuristin und besorgte selbständig das Kleinkreditgeschäft und befasste sich mit Anlagegeschäften. Sie unterschrieb während mehr als vier Jahren zusammen mit dem Delegierten des Verwaltungsrates S. Garantien und Bürgschaften der Bank in Millionenhöhe. S. arbeitete tagsüber nicht in der Bank, sondern pflegte dort erst nach Arbeitsschluss am Abend zu erscheinen. Die Beschwerdegegnerin hatte vollen Einblick in die X-Bank, B., der Sachbearbeiter der Y-Treuhand, hat denn auch die Erklärung ihr zur Unterschrift vorgelegt. Eine Vollständigkeitserklärung, die auf Verlangen der Revisionsinstanz von einer Person in einer solchen Stellung abgegeben wird, ist nicht einfach eine schriftliche Behauptung, sondern hat erhöhte Überzeugungskraft und eine besondere Funktion. Es geht um
BGE 105 IV 189 S. 194
ein Dokument, mit dem die Vollständigkeit der Buchhaltung bewiesen werden soll und bewiesen werden kann. Die Revisionsstelle ihrerseits hat in der Regel keine Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Vollständigkeitserklärung richtig ist; sie muss sich auf die verbindliche Äusserung der massgebenden Angestellten und Organe der Aktiengesellschaft verlassen. Die Beweiseignung der Vollständigkeitserklärung wurde von der Vorinstanz zu Unrecht verneint.
Das angefochtene Urteil ist daher in diesem Punkt aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Neubeurteilung unter Zugrundelegung des Urkundencharakters der Vollständigkeitserklärung.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. Dezember 1978 aufgehoben, soweit es die Beschwerdegegnerin betrifft, und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d54efb1d-b0c4-433d-93b2-a174cd2b2333 | Urteilskopf
99 V 97
32. Extrait de l'arrêt du 5 octobre 1973 dans la cause Georges contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Der Beginn des Rentenanspruchs in Härtefällen (
Art. 28 Abs. 1 IVG
) setzt voraus, dass der durchschnittliche Grad der Arbeitsunfähigkeit während der 360tägigen Wartezeit (Art. 29 Abs. 1 Variante 2 IVG) sowie der Invaliditätsgrad bei Ablauf derselben einen Drittel erreichen. | Erwägungen
ab Seite 97
BGE 99 V 97 S. 97
Extrait des considérants:
Dans un arrêt du 20 mars 1970 (RO 96 V 34), le Tribunal fédéral des assurances a jugé qu'en prescrivant un temps d'attente, en cas de longue maladie, l'art. 29 al. 1 LAI exige simplement, quant au point de départ de ce délai, l'existence d'une incapacité de travail, même d'un taux inférieur à la moitié; le taux de 50% au moins n'est exigé que pour l'incapacité de travail moyenne durant le laps de 360 jours et pour l'incapacité de gain qui subsiste à l'échéance du terme.
... l'art. 28 al. 1 LAI s'exprime en ces termes: "L'assuré a droit à une rente entière s'il est invalide pour les deux tiers au moins, et à une demi-rente s'il est invalide pour la moitié au moins. Dans les cas pénibles, cette demi-rente peut être allouée lorsque l'assuré est invalide pour le tiers au moins."
Le taux déterminant de l'invalidité est ainsi abaissé de la moitié au tiers dans les cas économiquement pénibles. L'est-il seulement en ce qui concerne l'incapacité de gain à l'expiration du temps d'attente de 360 jours ou également en ce qui concerne l'incapacité de travail moyenne pendant cette période? L'Office fédéral des assurances sociales se prononce pour le second terme de l'alternative, considérant que, dans le cas contraire, on risquerait de frustrer durant de longues années un assuré indigent. Le Tribunal fédéral des assurances est du même avis, qu'il a d'ailleurs déjà exprimé dans l'arrêt Yenny, du 13 mai 1970, non publié. | null | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d553997e-f077-4e55-8e2e-0d15e1e7e691 | Urteilskopf
92 III 55
9. Arrêt du 27 septembre 1966 dans la cause Kilchmann. | Regeste
Aberkennungsklage. Provisorische Pfändung.
Wenn der Schuldner eine Aberkennungsklage eingereicht und das Betreibungsamt zu Unrecht eine definitive Pfändung vorgenommen hat, so ist diese Massnahme als provisorische Pfändung aufrecht zu erhalten. | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 92 III 55 S. 55
Résumé des faits:
Kurt Kilchmann a poursuivi dame Lili Sandmeyer en paiement d'un billet à ordre de 10 578 fr. La débitrice a formé opposition. Le 15 février 1966, le Président du Tribunal II du district de Porrentruy a prononcé la mainlevée provisoire. Dame Sandmeyer a introduit une action en libération de dette qui est pendante devant la Cour d'appel du canton de Berne. Le créancier a adressé à l'office des poursuites de Porrentruy une réquisition de continuer la poursuite. L'office a procédé à une saisie au préjudice de la débitrice. Le créancier a requis la vente. La débitrice a versé un premier acompte et obtenu un sursis (art. 123 LP).
Dame Sandmeyer a déposé une plainte tendant à l'annulation de la saisie et à la restitution de l'acompte versé. L'autorité de surveillance du canton de Berne a admis la plainte et déclaré nuls tous les actes de la poursuite postérieurs au prononcé de mainlevée.
Saisie d'un recours de Kurt Kilchmann, la Chambre des poursuites. et des faillites du Tribunal fédéral a maintenu la saisie comme saisie provisoire et confirmé la décision attaquée pour le surplus.
BGE 92 III 55 S. 56
Erwägungen
Extrait des considérants:
La réquisition de continuer la poursuite selon la formule no 4 n'exige pas du créancier qu'il s'explique sur le caractère définitif ou provisoire de la saisie. Lorsque l'office, prenant à tort le prononcé de mainlevée provisoire pour une mainlevée définitive ou ignorant que le débiteur a introduit une action en libération de dette, procède à une saisie définitive alors qu'il aurait dû opérer seulement une saisie provisoire, on ne saurait annuler purement et simplement la saisie, comme l'a fait l'autorité cantonale. La jurisprudence citée dans la décision attaquée se rapporte au cas différent où la poursuite a continué malgré l'opposition (cf. RO 73 III 147, 85 III 15 et 168). Or l'opposition suspend la poursuite, en vertu de l'art. 78 al. 1 LP, aussi longtemps qu'elle n'est pas levée par le juge ou retirée par le débiteur. Il s'ensuit que les actes postérieurs de la poursuite qui ont été exécutés au mépris de cette règle sont nuls et que leur nullité doit être constatée en tout temps (arrêts cités). En revanche, le prononcé de mainlevée provisoire permet au créancier de requérir la continuation de la poursuite, mais seulement dans les limites que fixe la loi. Si la poursuite continue par voie de saisie, celle-ci sera provisoire et le créancier ne pourra requérir la vente. Si, comme en l'espèce, l'office a donné suite à la réquisition de continuer la poursuite en pratiquant une saisie définitive, il faut redresser l'erreur en prononçant que la saisie déjà exécutée n'a qu'un caractère provisoire. Il n'est même pas nécessaire d'appliquer le principe de la conversion des actes juridiques. Il suffit d'enjoindre à l'office de donner suite à la réquisition de saisie dans la mesure où la loi le permet. Aucune disposition légale impérative ne s'oppose à cette solution. Ni l'intérêt public, ni l'intérêt de tiers ne commandent de prononcer la nullité radicale de la saisie. Une pareille décision léserait gravement les droits du créancier qui a fait diligence en requérant la continuation de la poursuite.
Lorsqu'il y a doute sur la portée d'un prononcé de mainlevée ou sur le point de savoir si le débiteur a introduit une action en libération de dette, l'office doit inviter les parties à lui donner les renseignements utiles et, le cas échéant, à lui produire les preuves nécessaires. Selon le résultat de ses investigations, il déterminera le caractère définitif ou provisoire de la saisie. | null | nan | fr | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d554f3ef-1f0e-47a6-a81d-cc00c3330f99 | Urteilskopf
136 V 2
1. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen AXA Versicherungen AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_444/2009 vom 11. Januar 2010 | Regeste
Art. 32 ATSG
; Verwaltungshilfe unter Sozialversicherungen.
Ein Versicherungsträger hat auch während des Beschwerdeverfahrens Anspruch auf Einsicht in die im Einzelfall erforderlichen, bei einem anderen Versicherungsträger liegenden Akten (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 3
BGE 136 V 2 S. 3
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin macht zunächst in prozessualer Hinsicht geltend, die Vorinstanz habe die von der Beschwerdegegnerin im vorinstanzlichen Verfahren unzulässigerweise in eigener Regie eingeholten und dem kantonalen Gericht eingereichten Akten der Invalidenversicherung (nachfolgend: IV-Akten) zu Unrecht nicht aus dem Recht gewiesen.
2.1
Aus den Akten des kantonalen Verfahrens ergibt sich folgender Verfahrensablauf: Nachdem die Versicherte am 22. August 2007 Beschwerde vor kantonalem Gericht erhoben hatte, beantragte der Versicherungsträger in seiner Beschwerdeantwort vom 1. November 2007 unter anderem den Beizug der IV-Akten. Mit Verfügung vom 9. April 2008 schloss das kantonale Gericht den Schriftenwechsel, ohne diesen Antrag zu behandeln. Mit Gesuch vom 23. April 2008 beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels. Diesem Gesuch entsprach die Vorinstanz mit Verfügung vom 5. Mai 2008 sinngemäss. Am 15. Mai 2008 beantragte die Unfallversicherung daraufhin bei der IV-Stelle des Kantons Zürich die Zustellung der massgeblichen Akten. Die IV-Stelle entsprach dem Gesuch am 19. Mai 2008. Die Beschwerdegegnerin reichte die IV-Akten am 9. Juni 2008 beim kantonalen Gericht ein; dieses gab der Versicherten unverzüglich Kenntnis von den eingereichten Akten. Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin, die Akten aus dem Recht zu weisen. Diesem Antrag kam die Vorinstanz nicht nach, sondern entschied mit Endentscheid vom 25. März 2009 in der Sache unter Berücksichtigung der IV-Akten. Dabei erwog die Vorinstanz, sie wäre ohnehin aus eigenem Recht befugt gewesen, die Akten beizuziehen (vgl.
Art. 47 Abs. 1 lit. c ATSG
[SR 830.1]), weshalb die Frage, ob der Aktenbeizug durch die Unfallversicherung rechtmässig war, nicht näher geprüft zu werden brauche.
2.2
Die Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden des Bundes, der Kantone, Bezirke, Kreise und Gemeinden geben gemäss
Art. 32
BGE 136 V 2 S. 4
Abs. 1 ATSG
den Organen der einzelnen Sozialversicherungen auf schriftliche und begründete Anfrage im Einzelfall kostenlos diejenigen Daten bekannt, die erforderlich sind für: die Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen (lit. a); die Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge (lit. b); die Festsetzung und den Bezug der Beiträge (lit. c) und den Rückgriff auf haftpflichtige Dritte (lit. d). Nach
Art. 32 Abs. 2 ATSG
leisten unter den gleichen Bedingungen die Organe der einzelnen Sozialversicherungen einander Verwaltungshilfe. Die Regeln über die Amts- und Verwaltungshilfe stehen im ersten Abschnitt des vierten Kapitels des Gesetzes. Dieser erste Abschnitt ist grundsätzlich sowohl für das im zweiten Abschnitt geregelte erstinstanzliche Sozialversicherungsverfahren, als auch für das im dritten Abschnitt normierte Rechtspflegeverfahren anwendbar.
2.3
Die Beschwerdeführerin macht geltend,
Art. 32 ATSG
sei mit Blick auf den auch im Sozialversicherungsrecht geltenden Grundsatz des devolutiven Effektes der Beschwerde eng auszulegen. Mit der Beschwerdeerhebung sei die Herrschaft über den Streitgegenstand an das kantonale Gericht übergegangen; die Beschwerdegegnerin sei ab diesem Zeitpunkt nicht länger befugt, weitere Abklärungen zu tätigen. Keine der vier Bedingungen gemäss
Art. 32 Abs. 1 lit. a-d ATSG
sei gegeben gewesen, insbesondere sei die Beschwerdegegnerin nicht länger funktionell zuständig für die Festsetzung oder Änderung von Leistungen gewesen. Somit sei der Tatbestand von
Art. 32 ATSG
nicht mehr erfüllt, woraus wiederum folge, dass die Aktenherausgabe durch die IV-Stelle unzulässig gewesen sei.
2.4
Im Rahmen von
Art. 32 Abs. 2 ATSG
sind den Organen anderer Sozialversicherungsträger nur jene Daten bekannt zu geben, welche im Einzelfall für einen der in
Art. 32 Abs. 1 lit. a-d ATSG
aufgezählten Zwecke erforderlich sind. Materiell war vor Vorinstanz streitig und zu beurteilen, ob eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die Folgen des geltend gemachten Gesundheitsschadens besteht. Während dabei hauptsächlich umstritten war, ob das Ereignis vom 26. März 2005 den Unfallbegriff erfüllt, machte die Beschwerdeführerin auch geltend, eine unfallähnliche Körperschädigung erlitten zu haben. Zudem wurde der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 5. Mai 2008 eine Frist eingeräumt, damit sie sich unter anderem auch zur Kausalität des geklagten Gesundheitsschadens äussern konnte. Aus damaliger Sicht erschien es nicht abwegig, dass sich in den IV-Akten weitere relevante Dokumente
BGE 136 V 2 S. 5
insbesondere zur Frage, ob jemals eine medizinische Fachperson bei der Versicherten eine Verletzung im Sinne von
Art. 9 Abs. 2 UVV
(SR 832.202) diagnostizierte (sowie allenfalls auch zur Frage der Kausalität der Beschwerden), befinden könnten. Somit ist die Erforderlichkeit der Datenbekanntgabe im Sinne von
Art. 32 ATSG
bei gebotener prognostischer Sicht zu bejahen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass bei Vorliegen der IV-Akten aus diesen keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden konnten.
2.5
Als ordentlichem Rechtsmittel kommt der Beschwerde nach
Art. 56 ff. ATSG
Devolutiveffekt zu. Eingeschränkt wird dieser Effekt indessen durch
Art. 53 Abs. 3 ATSG
, welcher bestimmt, der Versicherungsträger könne eine Verfügung oder einen Einspracheentscheid, gegen den Beschwerde erhoben wurde, so lange wiedererwägen, bis er gegenüber der Beschwerdebehörde Stellung nimmt. Die formgültige Beschwerdeerhebung begründet (zusammen mit der Beschwerdeantwort des Versicherungsträgers) die alleinige Zuständigkeit des kantonalen Gerichts, über das in der angefochtenen Verfügung (bzw. im angefochtenen Einspracheentscheid) geregelte Rechtsverhältnis zu entscheiden. Somit verliert der Versicherungsträger die Herrschaft über den Streitgegenstand, und zwar insbesondere auch in Bezug auf die tatsächlichen Verfügungs- und Entscheidungsgrundlagen. Die Beschwerdeinstanz hat den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln (
Art. 61 lit. c ATSG
) und ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden (
Art. 61 lit. d ATSG
). Folgerichtig ist es der Verwaltung grundsätzlich verwehrt, nach Einreichung des Rechtsmittels weitere oder zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, soweit sie den Streitgegenstand betreffen und auf eine allfällige Änderung der angefochtenen Verfügung durch Erlass einer neuen abzielen (vgl.
BGE 127 V 228
E. 2 b/aa S. 231 f.).
2.6
Sinn und Zweck von
Art. 32 Abs. 2 ATSG
besteht darin, einen raschen Austausch von Informationen unter den verschiedenen Versicherungsträgern ohne ungerechtfertigte Barrieren sicherzustellen (vgl. BORIS RUBIN, Assurance-chômage, 2. Aufl. 2006, S. 249 mit weiteren Hinweisen). Dabei ist der Aktenaustausch nicht auf das Verfahren um Festsetzung, Änderung oder Rückforderung von Leistungen beschränkt (vgl.
Art. 32 Abs. 1 lit. a ATSG
), sondern kann auch der Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge dienen (vgl.
Art. 32 Abs. 1 lit. b ATSG
). Ein schützenswertes Bedürfnis nach einem solchen Informationsaustausch kann demnach nicht bloss im eigentlichen Verwaltungsverfahren bestehen, sondern auch dann,
BGE 136 V 2 S. 6
wenn die Sache bereits bei der Beschwerdeinstanz hängig ist und der Versicherungsträger zu den Vorbringen der Beschwerdeführerin Stellung nehmen darf und soll. Demgegenüber ist ein schützenswertes Interesse der versicherten Person, eine solche Aktenherausgabe zu verhindern, nicht ersichtlich, zumal die Beschwerdegegnerin unbestrittenermassen im Verwaltungsverfahren das Recht auf Verwaltungshilfe gehabt hätte, dem kantonalen Gericht ebenfalls ein Akteneinsichtsrecht zukommt (
Art. 47 Abs. 1 lit. c ATSG
) und das Gericht anschliessend beiden Parteien, mithin auch dem Unfallversicherungsträger, Kenntnis von den beigezogenen Akten geben müsste.
2.7
Das Verfahren vor kantonalem Versicherungsgericht muss gemäss
Art. 61 lit. a ATSG
einfach und rasch sein. Die anzustrebende Raschheit des Verfahrens schliesst es aus, dass die Verwaltung während dem kantonalen Verfahren umfangreiche und zeitraubende Zusatzabklärungen tätigt (
BGE 127 V 228
E. 2b/bb S. 232 ff.). Aufgrund der gebotenen Einfachheit des Prozesses kann der Versicherungsträger im Weiteren keine Abklärungsmassnahmen treffen, welche der Mitwirkung der versicherten Person bedürften (
BGE 127 V 228
E. 2b/aa S. 231 f.). Erlaubt sind der Verwaltung demgegenüber in aller Regel punktuelle Abklärungen (wie das Einholen von Bestätigungen, Bescheinigungen oder auch Rückfragen bei medizinischen Fachpersonen oder anderen Auskunftspersonen); wegleitende Gesichtspunkte für die Beantwortung der Frage, was im kantonalen Verfahren noch zulässiges Verwaltungshandeln darstellt, bilden die inhaltliche Bedeutung der Sachverhaltsvervollständigung und die zeitliche Intensität allfälliger weiterer Abklärungsmassnahmen (
BGE 127 V 228
E. 2b/bb S. 232 ff.). Ein Beizug der IV-Akten durch die Unfallversicherung bedarf keiner Mitwirkung der versicherten Person. Ein solcher ist auch nicht zeitintensiv; im vorliegenden Fall konnte die IV-Stelle dem Gesuch der Beschwerdegegnerin bereits am ersten Arbeitstag nach Gesuchseingang entsprechen.
2.8
Somit gebietet entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin weder der Devolutiveffekt der Beschwerde noch der Grundsatz des raschen und einfachen Verfahrens, dass
Art. 32 ATSG
eng auszulegen wäre.
Art. 32 Abs. 2 ATSG
ist grundsätzlich auch in jenen Fällen anwendbar, in denen die Sache bereits vor Beschwerdeinstanz hängig ist. Damit war der Beizug der IV-Akten durch die Unfallversicherung und deren Herausgabe durch die IV-Stelle zulässig; zu Recht hat demnach die Vorinstanz darauf verzichtet, die betreffenden Akten aus dem Recht zu weisen. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d5556b7d-4cb9-40fb-9e94-00306242e584 | Urteilskopf
110 V 99
16. Auszug aus dem Urteil vom 6. März 1984 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schwery und Kantonales Versicherungsgericht, Sitten | Regeste
Art. 9 Abs. 1 IVG
,
Art. 23bis Abs. 2 IVV
.
Wann liegen beachtliche Gründe für die Durchführung von Massnahmen im Ausland vor (Erw. 1)? In casu Kostengutsprache gewährt, nachdem die Epilepsiebehandlung in der Schweiz keinen Erfolg gebracht und der behandelnde Arzt Abklärung in einem deutschen Epilepsiezentrum befürwortet hatte (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 99
BGE 110 V 99 S. 99
A.-
Im Jahre 1979 gewährte die Invalidenversicherung dem 1973 geborenen Ivar Schwery Kostengutsprache für die Behandlung von Geburtsgebrechen. Vom 14. bis 23. Mai 1979 und vom 11. bis 13. Juli 1979 weilte er in der Neuropädiatrischen Abteilung des Kinderspitals Basel und vom 11. bis 31. Oktober 1980 im Neurologischen Spital von Lavigny. Da kein Erfolg eingetreten war, wurde auf Empfehlung des Kinderarztes Dr. med. K. vom 7. bis 20. August 1981 im Südwestdeutschen Epilepsiezentrum Kork (Chefarzt Prof. Matthes) eine Abklärung durchgeführt.
Mit Verfügung vom 22. Februar 1982 lehnte es die kantonale Ausgleichskasse des Wallis ab, Leistungen an den Aufenthalt im Epilepsiezentrum Kork zu erbringen.
B.-
Die Mutter des Versicherten erhob Beschwerde an das Versicherungsgericht des Kantons Wallis und beantragte, die
BGE 110 V 99 S. 100
Invalidenversicherung habe die Kosten für den Aufenthalt im Epilepsiezentrum Kork bis zum Betrage zu übernehmen, der in einer schweizerischen Universitätsklinik hätte aufgewendet werden müssen. Der kantonale Richter hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 29. Oktober 1982 gut.
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es beantragt die Wiederherstellung der Kassenverfügung, weil keines der in
Art. 23bis IVV
statuierten Erfordernisse für die Übernahme von im Ausland durchgeführten Eingliederungsmassnahmen erfüllt sei.
Die Mutter des Versicherten stellt für diesen den Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 9 Abs. 1 IVG
werden die Eingliederungsmassnahmen in der Schweiz und nur ausnahmsweise auch im Ausland gewährt. Abklärungsmassnahmen sind praxisgemäss den Eingliederungsmassnahmen gleichgestellt. Bis Ende 1976 war
Art. 9 Abs. 1 IVG
die einzige Norm, welche die Frage der Gewährung von Eingliederungsmassnahmen im Ausland regelte. Auf den 1. Januar 1977 ist der neue
Art. 23bis IVV
in Kraft getreten, dessen Abs. 1 wie folgt lautet:
"Erweist sich die Durchführung einer Eingliederungsmassnahme in der
Schweiz nicht als möglich, insbesondere weil die erforderlichen
Institutionen oder Fachpersonen fehlen, oder muss eine medizinische
Massnahme notfallmässig im Ausland durchgeführt werden, so übernimmt die
Versicherung die Kosten einer einfachen und zweckmässigen Durchführung im
Ausland."
Diese Ordnung entspricht in etwa der bis dahin aufgrund von
Art. 9 Abs. 1 IVG
gehandhabten Praxis (vgl. dazu
BGE 99 V 150
und
BGE 97 V 158
). Der Abs. 2 von
Art. 23bis IVV
bringt eine neue Leistungskategorie, indem er bestimmt:
"Wird eine Massnahme aus anderen beachtlichen Gründen im Ausland
durchgeführt, so vergütet die Versicherung die Kosten bis zu dem Umfang, in
welchem solche Leistungen in der Schweiz zu erbringen gewesen wären."
Hier wird der Begriff der "beachtlichen Gründe" eingeführt, bei deren Vorliegen die Invalidenversicherung ebenfalls für Massnahmen im Ausland leistungspflichtig wird. Es fragt sich, wie dieser
BGE 110 V 99 S. 101
unbestimmte Rechtsbegriff zu handhaben ist, auf den sich sowohl das kantonale Versicherungsgericht als auch der Beschwerdeführer berufen.
Die Voraussetzungen des Abs. 2 von
Art. 23bis IVV
gehen offensichtlich weniger weit als diejenigen des Abs. 1. Dies ergibt sich schon allein aus dem Wortlaut der beiden Bestimmungen und steht zudem im Einklang damit, dass die Leistungen nach Abs. 2 weniger umfassend sind als diejenigen nach Abs. 1. Während die Invalidenversicherung nach Abs. 1 die im Ausland entstehenden Durchführungskosten schlechthin übernimmt, hat sie gemäss Abs. 2 bloss bis zu dem Umfang Leistungen zu erbringen, in welchem die Leistungen in der Schweiz erbracht werden müssten; was die Transportkosten anbetrifft, werden sie nur so weit entschädigt, als sie für den Transport vom Wohnort des Versicherten bis zu einer entsprechenden Institution in der Schweiz vergütet würden. Die Invalidenversicherung gewährt also faktisch nur einen Beitrag an die effektiv entstandenen Kosten.
Es fragt sich, ob der im Abs. 2 enthaltene Begriff der beachtlichen Gründe eher einschränkend oder eher grosszügig zu interpretieren ist. Die übergeordnete Norm des
Art. 9 IVG
bestimmt, dass die Massnahmen bloss "ausnahmsweise" im Ausland übernommen werden. Daraus liesse sich eine enge Auslegung des Begriffs der beachtlichen Gründe ableiten. Anderseits aber dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden, weil sonst die Abgrenzung zu den Voraussetzungen von Abs. 1 schwierig würde. Ferner ist zu bedenken, dass der Bundesrat mit dem Abs. 2 bewusst eine neue Leistungsmöglichkeit einführen wollte. Wenn er hier also eine Leistungslücke schliessen wollte, dann darf dieser Abs. 2 nicht toter Buchstabe bleiben. Im weitern wäre eine enge Auslegung auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil die Invalidenversicherung mit dieser neuen Leistungsmöglichkeit ja nicht stärker belastet wird, als wenn die Massnahme in der Schweiz durchgeführt würde. Schliesslich kann es sich auch nicht darum handeln, die Invalidenversicherung zu entlasten aus dem einzigen Grunde, dass sich der Versicherte aus beachtlichen Gründen im Ausland hat behandeln lassen. Daher kann dem BSV nicht gefolgt werden, wenn es meint, dass nur "besonders qualifizierte Gründe" Leistungen aus Abs. 2 rechtfertigen würden.
2.
Im vorliegenden Fall kann zum vornherein keinen beachtlichen Grund der Umstand bilden, dass die im Epilepsiezentrum Kork durchgeführte Abklärungsmassnahme erfolgreich war.
BGE 110 V 99 S. 102
Denn die Frage einer Leistungsgewährung ist in der Invalidenversicherung prognostisch und nicht nach ihrem eingetretenen Erfolg zu beurteilen (
BGE 98 V 35
).
Das BSV weist in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde darauf hin, dass es in der Schweiz qualifizierte Epilepsiekliniken gibt, wo die Abklärung des Beschwerdegegners hätte durchgeführt werden können. Ob Prof. Matthes, wie der Beschwerdegegner behauptet, besondere persönliche Erfahrungen auf dem in Frage stehenden Gebiet besitzt, kann nicht entscheidend sein; denn die Invalidenversicherung hat nicht für die bestmögliche Massnahme aufzukommen, sondern nur für das, was im Einzelfall notwendig, aber auch genügend ist (
BGE 98 V 100
). Es fragt sich demnach, ob andere Umstände gegeben sind, welche als beachtlich bezeichnet werden müssen und als solche die Durchführung der Abklärungsmassnahme im Ausland gerechtfertigt haben.
Die Vorinstanz ging davon aus, dass die in der Schweiz während Jahren durchgeführten Massnahmen und Abklärungen keinen Erfolg gebracht haben. Es sei dringend gewesen, die immer häufiger auftretenden epileptischen Krampfanfälle so rasch wie möglich zum Stillstand zu bringen, um weitere Dauerschäden des bereits verhaltensgestörten Knaben zu verhindern, denn jeder neue Anfall führe zu grösseren körperlichen und geistigen Schäden. Den Eltern des Versicherten habe nicht zugemutet werden können, vorerst sämtliche oder auch nur einzelne Spezialanstalten in der Schweiz aufzusuchen. Es war dann der Kinderarzt Dr. K., der die Abklärung durch Prof. Matthes in Kork vorschlug und befürwortete. Dadurch habe Dr. K. das Vertrauen der Eltern des Versicherten in jenen ausländischen Spezialarzt begründet; dieses Vertrauen sei schützenswert.
Dieser vorinstanzlichen Auffassung ist beizupflichten, weshalb die Gründe, welche die Eltern des Versicherten veranlasst haben, die Abklärung im Ausland durchführen zu lassen, als beachtlich im Sinne von
Art. 23bis Abs. 2 IVV
bezeichnet werden müssen. Im materiellen Punkt erweist sich somit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d55e0a03-61ec-41fa-bf28-46b3b1c6bad1 | Urteilskopf
87 II 376
50. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1961 i.S. Witwe X. gegen "Helvetia"-Unfall. | Regeste
Kollektiv-Unfallversicherung.
1. Begriff des Unfalls. Merkmal der "Unfreiwilligkeit des Ereignisses": erforderlich ist, dass die Körperschädigung unfreiwillig, d.h. gegen den Willen des Betroffenen eingetreten sei.
2.
a) Die grobe Fahrlässigkeit des verunfallten Versicherten kann dessen Witwe entgegengehalten werden, da nicht diese, sondern der Verunfallte primär Anspruchsberechtigter im Sinne des
Art. 14 Abs. 2 VVG
ist (
Art. 87, 76 VVG
).
b) c) Grobe Fahrlässigkeit; Höhe des daherigen Abzugs. | Sachverhalt
ab Seite 377
BGE 87 II 376 S. 377
A.-
Gemäss einem Kollektivversicherungsvertrag zwischen der Firma U. und der "Helvetia"-Unfall war der Angestellte der erstern X. (geb. 1922) gegen Betriebsund Nichtbetriebsunfall versichert. Die Todesfallentschädigung beträgt den 500-fachen Taglohn. § 1 Abs. 4 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen definiert den Unfall als "direkte körperverletzende Einwirkung eines von aussen kommenden gewaltsamen Ereignisses, von welchem der Versicherte unfreiwillig und plötzlich betroffen wird". § 5 bestimmt:
"Hat der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt, so ist die "Helvetia" berechtigt, ihre Leistung in einem dem Grade des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen."
Nach § 13 lit. A. 1 zahlt die "Helvetia" bei Todesfall
1. "wenn ein Ehegatte oder minderjährige Kinder des Getöteten vorhanden sind, die volle ... Versicherungssumme ...
2. wenn kein bezugsberechtigter Ehegatte und keine bezugsberechtigten Kinder vorhanden sind, die Hälfte der genannten Summe an die Eltern ..."
BGE 87 II 376 S. 378
Am 16. Januar 1958 fand die von ihrer Arbeit gegen Mitternacht heimkehrende Ehefrau X. in der Stube ihrer Wohnung den Mann auf dem Fenstersims sitzend mit einer an der Vorhangkonsole befestigten Schnur erhängt vor; er hatte den Hosenschlitz geöffnet und die Geschlechtsteile entblösst. Das Gutachten des gerichtlich-medizinischen Instituts der Universität Zürich lautete dahin, die Frage, ob es sich um Suicid oder unfreiwilligen Erhängungstod im Zusammenhang mit autoerotischen Manipulationen (dosierte Strangulation bei gleichzeitiger Masturbation) handle, sei gerichtsmedizinisch nicht mit Sicherheit zu entscheiden; die zweite These sei aber wahrscheinlicher. Die Erfahrung lehre, dass gewisse Menschen bei Strangulation des Halses Wollustgefühle empfinden und sie sich absichtlich in solche Situationen begeben. Es bestehe dann die grosse Gefahr, dass durch Überdosierung der Strangulation (z.B. beim Orgasmus) eine Bewusstseinstrübung eintrete, der Körper bei entsprechender Stellung (z.B. beim Sitzen auf einem Gesimse) zu stark in den Strick falle und eine Selbstrettung wegen sofortiger Bewusstlosigkeit nicht mehr möglich sei.
B.-
Die Witwe machte Unfalltod geltend und klagte gegen die "Helvetia" die ganze Versicherungssumme von Fr. 17'671.25 ein. Die "Helvetia" beantragte Abweisung der Klage, weil es sich um Selbstmord handle; wenn aber die zweite These zutreffe, so sei X. von dem tödlichen Ereignis nicht unfreiwillig betroffen worden, denn er habe die Strangulationssituation absichtlich herbeigeführt.
C.-
Das Bezirksgericht Zürich pflichtete dem Standpunkt der Beklagten bei und wies die Klage ab. Es führte aus, unter "Ereignis" im Sinne des § 1 Abs. 4 AVB sei nicht das Erhängen, d.h. der Tod zu verstehen, vielmehr stelle dieser lediglich eine Folge der Strangulation dar, eine Folge, die ohne Dazwischentreten eines weiteren Ereignisses eingetreten sei. Als Ereignis im Sinne der AVB könne somit nur die Strangulation als solche verstanden werden. Diese aber habe X. selber und zwar freiwillig
BGE 87 II 376 S. 379
bewirkt. Selbst wenn mit der Klägerin angenommen werde, das Übermass der Strangulation sei nicht gewollt gewesen, so fehle es an einem "unfreiwilligen und plötzlichen Ereignis" im Sinne der AVB; es sei zu den Handlungen des X. nichts neues hinzugetreten. Müsse mithin die Klage schon aus diesem Grunde abgewiesen werden, so erübrige sich die Prüfung der Frage des Selbstmordes.
D.-
In teilweiser Gutheissung der Berufung der Witwe hat das Obergericht des Kantons Zürich die Klage im Betrage eines Drittels der Versicherungssumme gutgeheissen. Es untersuchte eingehend die Frage, ob X. Selbstmord begangen habe oder nicht, und gelangte zu ihrer Verneinung. Mit der Auffassung des Bezirksgerichts, wonach es am Unfallmerkmal der Unfreiwilligkeit des Ereignisses fehlt, setzte sich die Vorinstanz nicht auseinander, kam aber zum Schluss, X. habe mit der Veranstaltung des autoerotischen Experimentes seinen Tod grobfahrlässig herbeigeführt, weshalb gemäss
Art. 14 Abs. 2 VVG
und dem gleichlautenden § 5 AVB die Leistung der Beklagten um 2/3 zu kürzen sei.
E.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Witwe Zusprechung der vollen Versicherungssumme. Mit Anschlussberufung verlangt die "Helvetia" gegenteils gänzliche Abweisung der Klage.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die beklagte "Helvetia" hält in ihrer Anschlussberufung die Einwendung des Selbstmordes nicht mehr aufrecht. Mit Recht; denn bei der auf Beweiswürdigung beruhenden Schlussfolgerung der Vorinstanz, X. habe sich nicht vorsätzlich das Leben genommen, handelt es sich um eine tatsächliche Feststellung, die gemäss
Art. 63 Abs. 2 OG
das Bundesgericht bindet. Dagegen hält die Beklagte auch unter Zugrundelegung des nicht gewollten Todes an der vom Bezirksgericht geteilten Auffassung fest, es liege kein Unfall im Sinne von § 1 Abs. 4 AVB vor, weil es am Unfallmerkmal der Unfreiwilligkeit fehle. Die
BGE 87 II 376 S. 380
Unfreiwilligkeit beziehe sich nach der vertraglichen Unfalldefinition ganz unzweideutig auf das Ereignis und nicht etwa auf dessen körperverletzende Einwirkung. Wenn das Ereignis, das die Körperverletzung bewirkte, vom Versicherten gewollt sei, liege kein Unfall vor. Es sei unbestritten, dass X. sich der zum Tode führenden Strangulation nicht nur freiwillig unterworfen, sondern sie sogar selbst ins Werk gesetzt habe. Ein Unfall im Sinne von § 1 Abs. 4 AVB liege deshalb nicht vor. Auch nach der Doktrin sei es immer das Ereignis, das unfreiwillig sein müsse, nicht die Körperschädigung.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es rechtfertigt sich nicht, mit Bezug auf das Merkmal der Unfreiwilligkeit zwischen dem von aussen kommenden "Ereignis" und der durch dieses bewirkten Körperschädigung zu unterscheiden. In der vorliegenden Unfalldefinition selbst gehört übrigens das Wort "unfreiwillig" nicht als Adjektiv zum "Ereignis", sondern als Adverb zur passiven Verbalform "betroffen wird". Indessen kann es auf diese stilistischen Finessen der Formulierung nicht entscheidend ankommen. Nach der vom Bundesgericht schon früh angenommenen, heute in Doktrin und Praxis herrschenden Auffassung ist für das Vorliegen eines Unfalles irrelevant, ob die zu der schädigenden Einwirkung führende Handlung freiwillig oder unfreiwillig war; erforderlich ist, dass die Körperschädigung eine unfreiwillige, d.h. gegen den Willen des Betroffenen eingetreten sei (SCHOCH, Der Unfallbegriff in der schweizerischen privaten Einzel-Unfallversicherung [1930] S. 65; H. FARNER, Unfall- und Haftpflichtversicherung [1951] S. 4; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung [1954] S. 88, 109). Wenn sogut wie alle vertraglichen Unfalldefinitionen das Merkmal der Unfreiwilligkeit enthalten, so bezieht es sich bei den meisten nach dem Wortlaut nicht auf das die Körperschädigung bewirkende "Ereignis", sondern direkt auf dessen Folge selbst: "jede ... Körperschädigung, die der Versicherte ...
BGE 87 II 376 S. 381
unfreiwillig erleidet" oder von der er "unfreiwillig betroffen wird". Dementsprechend wird denn auch in einer Spezialuntersuchung über den Unfallbegriff die Vielheit der vorkommenden Unfalldefinitionen, worunter auch die in casu streitige figuriert, in folgende, bereinigte Begriffsumschreibung zusammengefasst: "Unfall ist eine Körperschädigung, die der Versicherte durch ein plötzlich von aussen gewaltsam auf ihn einwirkendes Ereignis unfreiwillig erleidet", und weiter präzisiert, das Requisit der Unfreiwilligkeit beziehe sich auf den Schadenserfolg (H. ROSENSTIEL, SJK, Karte Nr. 717, Der Unfallbegriff, S. 2 u. 5). Es wird hier mit Recht angenommen, dass der Unfallbegriff jedenfalls in der Privatversicherung ein einheitlicher ist ohne Rücksicht auf Nuancen eher stilistischer Art in den Definitionsversuchen der verschiedenen Policen.
Selbst wenn man indessen der Beklagten in diesem Punkte beipflichten und verlangen wollte, dass nicht nur die Körperschädigung, sondern schon das schädigende "Ereignis" unfreiwillig sei, würde dieses Merkmal in casu nicht entfallen. "Ereignis" kann nicht mit Handlung des Betroffenen gleichgesetzt werden. Im ganzen Ablauf können u.U. einzelne Phasen unterschieden werden; schliesst sich an eine freiwillige Anfangsphase eine unfreiwillige, die Schädigung bewirkende an, so stellt eben diese letztere Phase das entscheidende Ereignis dar. Im vorliegenden Falle hat X. sich wohl vorsätzlich stranguliert und dazu eine Vorrichtung verwendet, die sich auch zu vorsätzlichem Selbsterhängen eignete. Er wollte jedoch nach der Feststellung der Vorinstanz weder eine Bewusstlosigkeit, noch gar den Tod herbeiführen. Das Ereignis, das zunächst die eine und dann die andere Wirkung zeitigte, trat unabhängig von seinem Willen ein, weil er aus irgend welchen Ursachen die "Dosierung" der gewollten Strangulation nicht mehr beherrschte, sodass sich die um den Hals gelegte Schlinge mit tödlicher Wirkung zusammenzog. Es verhält sich vorliegend nicht anders als in zahlreichen andern Fällen, in denen sich jemand in eine gefährliche
BGE 87 II 376 S. 382
Lage begibt und dabei verunglückt. Der Fallschirmabspringer, der nach freiem Fall den Fallschirm nicht öffnen kann, der Felskletterer, der auf einem Eisband ausgleitet, der Rennfahrer, dessen Wagen sich überschlägt: sie alle haben den Sprung, den Tritt, die Geschwindigkeit gewollt; die gewollte Handlung ist aber derart gefährlich, dass es nur noch des Dazutritts eines kleinen Anstosses von aussen, eben des "Ereignisses" bedarf, um den Unfall zu bewirken. Das Moment der Unfreiwilligkeit darf infolgedessen in casu nicht deshalb verneint werden, weil sich der Versicherte mit einer Vorrichtung strangulierte, die er nicht sicher beherrschte, denn das "dosierte" Strangulieren hätte an und für sich keine Körperverletzung verursacht, wenn nicht ein vom Willen des Versicherten unabhängiger Umstand hinzugetreten wäre und das Zusammenziehen der Schlinge bewirkt hätte. An dieser Betrachtung ändert auch der Umstand nichts, dass X., um sich die mit Halskompression verbundenen erotischen Wollustgefühle zu verschaffen, auch deren physiologische Ursache, die Blutstauung, gewollt hat, mit der auch bereits der Beginn der Bewusstseinstrübung verbunden ist, die ihn dann in einer weitern Phase die Herrschaft über die Situation verlieren liess; offenbar kannte er die Untrennbarkeit der beiden Phänomene nicht, jedenfalls wollte er nur das eine und glaubte den Eintritt des andern vermeiden zu können. Dass ihm dies misslang, bildet eben das "Ereignis", von dem er unfreiwillig betroffen wurde. Liegt mithin Unfalltod vor, so ist die Anschlussberufung der Beklagten unbegründet.
2.
Die Klägerin hält aus mehreren Gründen ihren Anspruch auf Auszahlung der vollen Versicherungssumme - deren Höhe nicht streitig ist - aufrecht.
a) Gemäss § 5 AVB kann die "Helvetia", wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt hat, ihre Leistung entsprechend kürzen. Die Klägerin macht - im Berufungsverfahren neu - geltend, X. sei weder Versicherungsnehmer
BGE 87 II 376 S. 383
noch Anspruchsberechtigter; deshalb dürfe die Beklagte ihre Leistung selbst dann nicht kürzen, wenn den Verunfallten ein grobes Verschulden im Sinne des § 5 AVB treffe. Versicherungsnehmer sei die Arbeitgeberfirma gewesen; Anspruchsberechtigte sei die Witwe, die auf keinen Fall ein Verschulden treffe.
Bei diesen erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachten Argumenten handelt es sich nicht um unzulässige neue Vorbringen oder Einreden im Sinne von
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
, sondern um einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt, dessen Begründetheit zu prüfen ist.
Richtig ist, dass in § 5 AVB und dem wörtlich gleichlautenden
Art. 14 Abs. 2 VVG
nur vom Verschulden des Versicherungsnehmers oder des Anspruchsberechtigten, nicht aber des Versicherten die Rede ist. Daraus folgert die Klägerin, dass das Verhalten des Versicherten, der weder Versicherungsnehmer noch Anspruchsberechtigter ist, wie es bei der Versicherung auf fremdes Leben gemäss
Art. 74 VVG
zutreffen kann, unter dem Gesichtspunkt des
Art. 14 VVG
irrelevant sei und bleibe, abweichende Vereinbarung im Versicherungsvertrag vorbehalten (vgl. Komm. ROELLI S. 208; OSTERTAG-HIESTAND zu Art. 14 N. 2). Dies entspricht sowohl dem Wortlaut als der ratio des
Art. 14 VVG
. Der Hinweis der Beklagten auf die Voten des Berichterstatters Scherrer bei der Beratung des damaligen Art. 15 des Entwurfs zum VVG im Ständerat überzeugt nicht vom Gegenteil; denn Scherrer verwendete meistens nur den Ausdruck "der Versicherte", wenn er von den Personen sprach, die das befürchtete Ereignis schuldhaft herbeigeführt haben können, obwohl schon damals der Entwurf vom "Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigten" sprach. Es scheint sich demnach eher um eine ungenaue, vereinfachende Ausdrucksweise des Berichterstatters gehandelt zu haben, der für die Auslegung des anders lautenden Gesetzestextes keine Bedeutung zukommt.
Damit ist jedoch in casu die Einrede der "Helvetia"
BGE 87 II 376 S. 384
aus
Art. 14 Abs. 2 VVG
nicht erledigt. Es kommt darauf an, wer bei der vorliegenden Versicherung "Anspruchsberechtigter" ist. Gemäss
Art. 87 VVG
steht aus der kollektiven Unfallversicherung demjenigen, zu dessen Gunsten die Versicherung abgeschlossen ist, mit dem Eintritt des Unfalls ein eigenes Forderungsrecht gegen den Versicherer zu. Dabei handelt es sich, entgegen dem irreführenden Marginale zu Art. 87, nicht um eine Begünstigung im technischen Sinne des Art. 76 ff.; sondern der versicherte Dritte erwirbt mit dem Eintritt des Versicherungsfalles ipso iure einen eigenen, direkten Anspruch gegen den Versicherer, er wird damit Anspruchsberechtigter (vgl. JAEGER-ROELLI N. 31 und 33, OSTERTAG-HIESTAND N. 2 zu
Art. 87 VVG
; ferner CAFLISCH, Die Anspruchsberechtigung in der Kollektiv-Unfallversicherung [Diss. Bern 1947], S. 33 ff.). Diese Stellung des Versicherten als eines Anspruchsberechtigten wird dadurch nicht aufgehoben, dass der Unfall - der ihm diese Stellung verschafft - zugleich auch seinen Tod bewirkt. An seine Stelle treten im Todesfall kraft Erbrechts der Nachlass oder die im Versicherungsvertrag als bezugsberechtigt bezeichneten Personen (JAEGER-ROELLI N. 33; CAFLISCH S. 42). Deren Anspruchsberechtigung ist sekundärer, abgeleiteter Natur, was an und für sich nicht ausschliesst, sie im übrigen nach den Regeln über die Begünstigung (
Art. 76 ff. VVG
) zu behandeln. Es wäre indessen widersinnig, den Versicherten nur dann als Anspruchsberechtigten im Sinne der
Art. 87 und 14 VVG
zu betrachten und seine eigene grobe Fahrlässigkeit in Anrechnung zu bringen, wenn er den Unfall überlebt, dagegen dann nicht, wenn er an dessen Folgen stirbt, sodass je nach den Unfallfolgen
Art. 14 Abs. 2 VVG
anzuwenden wäre oder nicht, obschon alle übrigen tatbeständlichen Elemente in beiden Fällen die gleichen sind. Ganz unannehmbar wäre die Konsequenz, dass, wenn der grobfahrlässig Verunfallte zunächst den Unfall eine Zeitlang überlebt, ihm selber während dieser Zeit die Leistungen für Heilungskosten und Lohnausfall gekürzt werden könnten,
BGE 87 II 376 S. 385
dann aber, wenn er nachträglich stirbt, seinen Rechtsnachfolgern die Todesfallentschädigung nicht - und das für den gleichen Unfall. Gälte das für den grobfahrrlässigen Unfalltod, so könnte - angesichts der gleichen Umschreibung der schuldhaften Verursacher in
Art. 14 Abs. 1 VVG
- die absichtliche Herbeiführung des Todes durch den Verunfallten seinen Rechtsnachfolgern bzw. Hinterbliebenen auch nicht entgegengehalten werden, - sofern dann überhaupt Unfall vorläge.
Die in der Berufungsbegründung wiedergegebenen Zitate aus JAEGER-ROELLI (zu Art. 76 N. 27, zu Art. 78 N. 25) und KÖNIG (Schweiz. Privatversicherung [Bern 1951], S. 358, 361) vermögen an dieser Auslegung nichts zu ändern; denn sie beziehen sich samt und sonders auf eine primäre, von Anfang an unter Ausschluss eines andern Anspruchsberechtigten bestehende Begünstigung im technischen Sinne des
Art. 76 VVG
. Es besteht auch kein Anlass, sich mit dem von der Klägerin angerufenen Urteil des Bezirksgerichts Hinwil vom 7. Oktober 1954 (Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, Bd. XI Nr. 87 S. 513 ff.) näher auseinanderzusetzen; denn einmal handelte es sich bei dem dort beurteilten Fall um eine Einzel-Unfallversicherung, und zweitens ging das Gericht davon aus,
Art. 87 VVG
sei nicht - auch nicht analog - anwendbar, weil der tödlich Verunfallte nur Versicherter, seine Eltern dagegen primär Begünstigte seien. Es verhält sich im vorliegenden Falle auch nicht etwa so, dass beide Berechtigungen (des Verunfallten und der Witwe) gleichwertig nebeneinander ständen, sodass ein Verschulden des einen den Anspruch des andern nicht zu beeinträchtigen vermöchte; wie ausgeführt, ist die Anspruchsberechtigung der Klägerin sekundärer, abgeleiteter Natur, die Witwe ist Rechtsnachfolgerin des anspruchsberechtigten Versicherten. Bezeichnenderweise redet denn auch
§ 13 lit. A 1
AVB von "bezugsberechtigten" und nicht von anspruchsberechtigten Ehegatten und Kindern. Die Beklagte kann daher der Klägerin
BGE 87 II 376 S. 386
die grobe Fahrlässigkeit des Verunfallten entgegenhalten.
b) Zu Unrecht bestreitet die Klägerin, dass dem Verunfallten ein grobes Verschulden an seinem Tode zur Last falle. Es kann hiefür auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Was der Verunfallte getrieben hat, war ein Spiel mit dem Leben, von dem jeder vernünftige Mensch die Hände lassen würde. Selbst wenn ein gewisser pathologischer Trieb zu autoerotischer Betätigung und eine insoweit leicht verminderte Urteilsfähigkeit in Rechnung gestellt würde, so bildete das vom Verunfallten zu verantwortende Verhalten immer noch eine grobe Fahrlässigkeit, weil diese nach objektiven Massstäben zu bewerten ist. Dabei spielt die Immoralität der Handlung keine Rolle, sondern lediglich das evidente Unfallrisiko des Vorgehens.
c) Endlich beanstandet die Klägerin die Kürzung der Todesfallentschädigung um 2/3 als ungerechtfertigt hoch. Es handelt sich indessen hiebei im Wesentlichen um eine Frage des Ermessens. Von einer Überschreitung desselben in einem Masse, welches Bundesrecht verletzen würde, kann nicht gesprochen werden. Es kann keine Rede davon sein, dass beim Vorliegen grober Fahrlässigkeit in der Regel nur Kürzungen von 5-10% vorgenommen werden, sofern nicht eine geradezu "ungeheuerliche" Fahrlässigkeit vorliegt, wie die Klägerin meint. Grobe Fahrlässigkeit wäre nach allgemeinem Schuldrecht an und für sich ein Grund gewesen, überhaupt jede Versicherungsleistung zu versagen (wie es z.B. im Haftpflichtrecht geschieht, Art. 37 Abs. 2 MFG,
Art. 1, 6, 7 EHG
,
Art. 27 ElG
, usw.); wenn der Gesetzgeber - und ihm folgend der Versicherungsvertrag - aus sozialen Gründen davon abgesehen und nur Kürzung zugelassen hat, so bedeutet das nicht, dass nun innerhalb der groben Fahrlässigkeit wieder subtile Gradunterschiede von 1-99% gemacht werden sollen. Grobes Verschulden rechtfertigt auf jeden Fall zum vornherein einen kräftigen Abzug (vgl. z.B.
BGE 85 II 248
, 255 Erw. 4). Wurde a.a.O. wegen Autofahrens in übermüdetem
BGE 87 II 376 S. 387
und angetrunkenem Zustande und mit übersetzter Geschwindigkeit ein Abzug von mindestens 50% als angemessen erachtet, so erscheint im vorliegenden Falle, wo die grobe Fahrlässigkeit in einem Manipulieren mit einer eigentlichen Selbstmordvorrichtung besteht und daher von einem höchst gefährlichen Spiel mit dem Leben gesprochen werden muss, ein Abzug von 2/3 nicht als offensichtlich übersetzt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Sowohl die Haupt- als die Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 18. Mai 1961 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d55e7afb-b9f3-44c1-9849-c4c9b4a4eb17 | Urteilskopf
121 II 5
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. März 1995 i.S. R. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Aufenthaltsbewilligung (
Art. 17 Abs. 2 ANAG
).
Die Bewilligung kann verweigert werden, wenn mit der Ehe nicht eine Lebensgemeinschaft begründet werden soll (E. 3a). | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 121 II 5 S. 6
Die Behörden des Kantons Solothurn verweigerten dem aus Bosnien stammenden R. die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, obwohl er sich mit einer Frau verheiratet hatte, welche über die Niederlassungsbewilligung verfügt. Eine gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 9. August 1994 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt. In den Erwägungen lässt es dahingestellt, ob die Eheleute zusammen wohnen und insofern im Sinne von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
(SR 142.20) Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bestünde. Es gelangt zum Schluss, dass die kantonalen Behörden die Bewilligung verweigern durften, weil eine Scheinehe vorliege.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach
Art. 7 Abs. 2 ANAG
hat der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers dann keinen Anspruch auf die ihm nach Abs. 1 dieser Bestimmung grundsätzlich zustehende Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen. Eine entsprechende Bestimmung findet sich in
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, wo der Aufenthaltsanspruch des Ehegatten eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers geregelt wird, nicht.
Art. 7 Abs. 2 ANAG
wurde im Zusammenhang mit der Revision des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (SR 141.0) vom 23. März 1990 eingeführt und trat an die Stelle von
Art. 120 Ziff. 4 ZGB
betreffend die sogenannte Bürgerrechtsehe, der seine Grundlage verloren hatte (vgl.
BGE 119 Ib 417
E. 4a S. 419). Obwohl auch in
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, der bei dieser Gelegenheit ebenfalls revidiert wurde, die Heirat einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung vermittelt und die Gefahr der Gesetzesumgehung durch Eingehung einer Scheinehe in beiden Fällen in gleicher Weise besteht (vgl. zum Problem im allgemeinen KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher
BGE 121 II 5 S. 7
Sicht, ZBl 84/1983 S. 425 ff.), sah sich der Gesetzgeber nicht veranlasst, auch diese Bestimmung entsprechend anzupassen (vgl. demgegenüber Art. 49 Abs. 4 lit. b in Verbindung mit Art. 40 Abs. 2 des in der Volksabstimmung verworfenen Ausländergesetzes vom 19. Juni 1981, BBl 1981 II 579, 582). Diese Unterlassung kann indessen nicht zur Folge haben, dass ein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung im Falle von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
auch dann besteht, wenn die Ehe nur deswegen eingegangen worden ist, um die Vorschriften über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu umgehen.
Art. 7 Abs. 2 ANAG
stellt nichts anderes als eine konkrete Ausgestaltung des Rechtsmissbrauchsverbots dar, das auch im öffentlichen Recht ohne ausdrückliche Normierung allgemeine Geltung beansprucht und namentlich die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will, untersagt (
BGE 110 Ib 332
E. 3a S. 336, 94 I 659 E. 4 S. 667). Dazu kommt, dass die Eingehung einer Scheinehe zum Zweck des Erwerbs der Aufenthaltsbewilligung auch einen Widerrufsgrund gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. a, eventuell b ANAG bildet (vgl.
BGE 112 Ib 161
bezüglich der alten Fassung von
Art. 17 Abs. 2 ANAG
, wonach die mit einem Niedergelassenen verheiratete Ausländerin mit der Heirat Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung erwarb); kann die Aufenthaltsbewilligung in einem solchen Fall sogleich widerrufen werden, besteht zum vornherein kein Anspruch auf ihre Erteilung bzw. Verlängerung. Im übrigen besteht ohnehin keinerlei Anlass, den ausländischen Ehegatten eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers in dieser Hinsicht besser zu stellen als den ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers. Es ist daher davon auszugehen, dass der Anspruch aus
Art. 17 Abs. 2 ANAG
in gleicher Weise wie derjenige aus
Art. 7 Abs. 1 ANAG
dann nicht besteht, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die fremdenpolizeilichen Vorschriften zu umgehen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d55fb59f-b3e5-437d-b5e9-7b4b8513f1ae | Urteilskopf
83 IV 81
21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1957 i.S. Motta gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1StGB.
In der Absicht, sich einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, handelt auch, wer zum Beweis eines ihm zustehenden Rechtes eine falsche Urkunde anfertigt. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 83 IV 81 S. 81
Motta beauftragte seinen Anwalt, gegen H. eine Schadenersatzklage einzuleiten. Er übergab ihm zum Belege der Forderung drei Schreiben, die inhaltlich nicht den Tatsachen entsprachen und ausschliesslich zur Verwendung im Prozess angefertigt worden waren.
Das Schwurgericht des Kantons Zürich verurteilte Motta wegen Urkundenfälschung. Es legte ihm zur Last, einen unrechtmässigen Vorteil erstrebt zu haben; er habe mit den Falsifikaten seine Gewinnchancen im Prozess erhöhen wollen.
Motta führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er bestreitet die Unrechtmässigkeit des Vorteils.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
HAFTER, auf den sich die Beschwerde beruft, hält dafür, dass eine Fälschung, mit der die Befriedigung eines zu Recht bestehenden Anspruchs bewirrkt werden solle, straflos bleiben müsse (Lehrbuch, Bes. Teil, II S. 600, Anm. 3). Er stützt sich dabei auf ein in der I. Expertenkommission abgegebenes Votum (Prot. I. Exp.Kom. 2, 116, Votum v. Schumacher). Darauf kann jedoch nicht abgestellt werden, weil sich zwei weitere Votanten derselben Kommission in gegenteiligem Sinne äusserten, indem sie zum Ausdruck brachten, dass auch derjenige in rechtswidriger Absicht handle, der zum Beweis eines ihm zustehenden
BGE 83 IV 81 S. 82
Rechtes eine falsche Urkunde anfertige (Prot. I. Exp.Kom. 2, 118, Voten Weber und Stooss), was in der Folge unwidersprochen blieb. In der Tat hat, wer den ihm obliegenden Beweis im Zivilprozess mit erlaubten Mitteln nicht erbringen kann, die Folgen auf sich zu nehmen, selbst wenn dadurch sein materielles Recht verletzt wird. Es steht ihm nicht zu, durch Anfertigung falscher Urkunden die Beweislage zu seinen Gunsten zu verändern und seine Gewinnchancen im Prozess auf diese Weise zu erhöhen. Das widerspräche dem Interesse des Staates an einer zuverlässigen Rechtsprechung (vgl.
BGE 78 IV 90
). Wer solches unternimmt, erstrebt daher einen unrechtmässigen Vorteil, und zwar unbekümmert darum, ob der im Streite liegende Rechtsanspruch begründet ist oder nicht. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d55fcc0c-5654-466a-be9d-b56d1bd8b241 | Urteilskopf
82 II 84
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. März 1956 i. S. Stutz gegen Huber. | Regeste
Vaterschaftsklage.
Rechtfertigen der Reifegrad des Kindes bei der Geburt und das Verhalten der Mutter erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten? (
Art. 314 Abs. 2 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 82 II 84 S. 85
Aus dem Tatbestand:
Bei Beurteilung der vorliegenden Vaterschaftsklage fand das Obergericht des Kantons Aargau, die Vaterschaft des Beklagten müsse im Hinblick darauf, dass sein Geschlechtsverkehr mit der Erstklägerin am 16. März 1952, dem 223. Tag vor der am 25. Oktober 1952 erfolgten Geburt, stattgefunden habe und dass der Zweitkläger mit einer Länge von 47 cm geboren worden sei, als äusserst unwahrscheinlich angesehen werden.
Der Experte Dr. Wespi, Chefarzt der gynäkologischen Abteilung der Kantonsspitals Aarau, hatte über diesen Punkt u.a. ausgeführt, für einen Knaben von 47 Körperlänge betrage die mittlere Tragzeit nach den Tabellen von LABHARDT 269 Tage vom 1. Tag der letzten Menstruation an. Um die mittlere Schwangerschaftsdauer von der Konzeption an zu erhalten, seien von der mittleren Schwangerschaftsdauer seit der letzten Menstruation nach neueren Beobachtungen nicht 10, sondern 12 Tage abzuziehen. Für den Zweitkläger falle der wahrscheinlichste Konzeptionstermin demnach auf den 257. Tag vor der Geburt, d.h. auf den 11. Februar 1952. Die Geburt finde jedoch nur in rund 4% der Fälle gerade nach der mittleren Schwangerschaftsdauer statt. Die wirkliche Tragzeit schwanke bei jeder Kindslänge und jedem Geschlecht innert sehr weiter Grenzen. Wenn man mit LABHARDT den Schwankungsbereich in Abschnitte von 10 Tagen (Dekaden) einteile und den der mittleren Tragzeit entsprechenden Termin als 6. Tag der mittleren Dekade einsetze, sodass diese im vorliegenden Falle die Zeit vom 252.--261. Tag vor der Geburt (7.-16. Februar 1952) umfasse, liege der 16. März 1952 in der III. Dekade nach der mittleren (8.-17. März 1952). Die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption in dieser Dekade betrage nach LABHARDT 1,60%. Die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung
BGE 82 II 84 S. 86
gerade am 16. März 1952, dem zweitletzten Tag der in Frage stehenden Dekade, könne auf 0,11% geschätzt werden.
Im Anschluss an die Wiedergabe dieser Ausführungen sagt die Begründung des angefochtenen Urteils, die Mehrheit des Obergerichts halte dafür, in einem Grenzfall der vorliegenden Art sei auf die für den einzelnen Tag berechnete absolute Wahrscheinlichkeit abzustellen. Diese unterschreite hier eindeutig die Grenze von 1%, unter welcher das Bundesgericht zutreffenderweise die Möglichkeit der Vaterschaft des Beklagten als äusserst unwahrscheinlich und daher die Vaterschaftsvermutung als zerstört erachte. Den vorliegenden Grenzfall so zu beurteilen, liege auch deshalb nahe, weil in andern wissenschaftlichen Publikationen, auf die der Experte hinweise, die mittlere Schwangerschaftsdauer post menstruationem auf 270 und sogar 271 Tage beziffert werde (WICHMANN, STEIL), "was bei entsprechender Berechnung der mittleren Schwangerschaftsdauer post conceptionem zur Folge hätte, dass dann der 16. März 1952 auf den letzten Tag der III., bzw. auf den 1. Tag der IV. Dekade fiele, womit im ersten Falle die absolute, auf den einzelnen Tag berechnete Wahrscheinlichkeit der Zeugung durch den Beklagten noch geringer, bzw. im zweiten Falle die Dekadenwahrscheinlichkeit eindeutig unter 1% sinken würde" (Wahrscheinlichkeit für die IV. Dekade gemäss LABHARDT 0,58%). Sodann sei auch zu berücksichtigen, dass nach dem ganzen bisherigen Verhalten der Klägerin eben doch nicht ganz ausgeschlossen sei, dass sie in der kritischen Zeit noch einem andern Manne den Beischlaf gewährt habe. Merkwürdig sei auch, dass sie dem Beklagten erst nach der Geburt von der Schwangerschaft Kenntnis gegeben habe, was doch eher als Ausnahmefall zu werten und ein Indiz dafür sei, dass sie geschwankt haben möge, wen von mehreren Männern sie als Vater ansprechen wolle. Die Klage sei daher abzuweisen.
Das Bundesgericht schützt die Klage.
BGE 82 II 84 S. 87
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Schon bei der Gesetzesberatung wurde hervorgehoben, dass der Reifegrad des Kindes zu den Tatsachen gehöre, die erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten rechtfertigen (oder auch die durch Mehrverkehr der Mutter zunächst begründeten Zweifel beseitigen) können (Sten.Bull. 1905 S. 786, 1198; vgl.
BGE 51 II 113
). Dieser Auffassung folgt seit dem Jahre 1913 (
BGE 39 II 507
) auch das Bundesgericht. Der Beklagte wird zum Beweise zugelassen, dass er angesichts des Reifegrades des Kindes bei der Geburt und des Zeitabstandes zwischen seiner Beiwohnung und der Geburt nicht als Vater gelten könne. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die heute für die Widerlegung der Vaterschaftsvermutung durch das Mittel der Blutprobe gelten (vgl.
BGE 66 II 66
Erw. 1,
BGE 78 II 316
,
BGE 80 II 13
/14), fordert die neuere Rechtsprechung nicht mehr geradezu den Beweis, dass die Vaterschaft des Beklagten mit Rücksicht auf den Reifegrad und den Zeitpunkt des festgestellten Geschlechtsverkehrs schlechthin unmöglich sei oder dass sich im Falle der Zeugung durch den Beklagten eine Tragzeit ergäbe, die beim gegebenen Reifegrad des Kindes eine nie beobachtete Ausnahme darstellen würde, sondern betrachtet die Vermutung von Art. 314 Abs. 1 schon dann als zerstört, wenn nach dem Reifegrad des Kindes äusserst unwahrscheinlich, praktisch ausgeschlossen ist, dass es beim nachgewiesenen Verkehr mit dem Beklagten gezeugt wurde (
BGE 68 II 279
,
BGE 69 II 134
u. 137,
BGE 77 II 31
,
BGE 78 II 108
im Gegensatz zu
BGE 51 II 114
,
BGE 61 II 313
).
Die Vorinstanz glaubt, aus den Angaben über die Wahrscheinlichkeit der Zeugung des Zweitklägers am 16. März 1952 und über die durchschnittliche Tragzeit von 47 cm langen Neugeborenen, die sie den beiden Gutachten von Dr. Wespi entnommen hat, folgern zu dürfen, dass die Vaterschaft des Beklagten Huber äusserst unwahrscheinlich sei. Ihre Überlegungen enthalten jedoch einen offenkundigen
BGE 82 II 84 S. 88
Denkfehler. Die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung gerade am 16. März 1952 (Tageswahrscheinlichkeit), die der Experte - übrigens unter Betonung der Fragwürdigkeit solcher Berechnungen - durch Interpolation auf 0,11% bestimmt hat, darf selbstverständlich nicht auf die gleiche Linie gestellt werden wie die auf einen Zeitraum von 10 Tagen (eine Dekade) bezüglichen Wahrscheinlichkeiten von weniger als 1%, die in den von der Vorinstanz angezogenen, zugunsten der Beklagten entschiedenen Fällen
BGE 68 II 277
ff. (280) und
BGE 77 II 28
ff. (34/5) für die Zeugung durch die damaligen Beklagten gegeben waren (vgl.
BGE 78 II 109
/10; über den Ausschluss der Vaterschaft eines Dritten, welcher der Mutter in der kritischen Zeit beiwohnte, siehe nun
BGE 80 II 298
Erw. 2). Die Dekadenwahrscheinlichkeit entspricht der Summe von zehn Tageswahrscheinlichkeiten. Um die im vorliegenden Fall ermittelte Tageswahrscheinlichkeit einigermassen mit den Dekadenwahrscheinlichkeiten vergleichen zu können, die in den früher beurteilten Fällen festgestellt worden waren, müsste man sie also mit zehn multiplizieren, was 1,1%, also etwas mehr als den von der Vorinstanz angenommenen Grenzwert von 1%, ergäbe. Grundsätzlich verfehlt ist aber auch die Erwägung, dass der 16. März 1952 bei Zugrundelegung der mittleren Schwangerschaftsdauer post menstruationem von 270 oder 271 Tagen, die WICHMANN und STEIL nach den Angaben des Experten für Knaben von 47 cm Länge berechneten, nicht auf den zweitletzten, sondern auf den letzten Tag der III. bzw. auf den 1. Tag der IV. Dekade nach der mittleren fiele, womit die Tageswahrscheinlichkeit unter den vom Experten angegebenen Wert bzw. die Dekadenwahrscheinlichkeit eindeutig unter 1% sinken würde. Die Tabellen von LABHARDT, mit deren Hilfe die von der Vorinstanz verwerteten Zahlen bestimmt wurden, beruhen auf Beobachtungen dieses Forschers über die Dauer der Schwangerschaft von der letzten Menstruation an, aus denen sich für Neugeborene männlichen Geschlechts von 47 cm Körperlänge
BGE 82 II 84 S. 89
eine durchschnittliche Tragzeit post menstruationem von 269 Tagen ergibt. Wenn man die Labhardt'schen Tabellen verwenden will, um zu ermitteln, welche Wahrscheinlichkeit die Zeugung eines mit dieser Länge geborenen Knaben in einem bestimmten Zeitabschnitt für sich habe, darf man also die mittlere Schwangerschaftsdauer von der letzten Menstruation an, die den Ausgangspunkt für die Einreihung der bei solchen Kindern beobachteten Tragzeiten in die verschiedenen Dekaden gebildet hat (LABHARDT, Schweiz. Med. Wochenschrift 1944 S. 130 rechts, 1. Absatz), nur mit 269 Tagen einsetzen, nicht mit einem davon abweichenden Wert, den andere Forscher aus einem andern Beobachtungsmaterial gewonnen haben.
Nimmt man die Gutachten von Dr. Wespi, wie sie lauten, so vermögen sie die Vermutung der Vaterschaft des Beklagten nicht zu entkräften. Der Experte stellt fest, für die Zeugung in der III. Dekade nach der mittleren, die hier die Zeit vom 8.-17. März 1952 umfasse, betrage die Wahrscheinlichkeit nach LABHARDT 1,60%, für die Zeugung in dieser Dekade oder nachher 2,62% (Summe der Wahrscheinlichkeiten für die III.-VII. Dekade; sog. Summenwahrscheinlichkeit). Die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption am 16. März 1952 oder später gibt er mit 1,23% an. Diese Prozentzahlen beruhen u.a. darauf, dass LABHARDT auf Grund der Angaben der Mütter über die letzte Menstruation annahm, von 1370 mit einer Körperlänge von 47 cm geborenen Kindern seien 39 in der III. Dekade nach der mittleren und weitere 21 noch später gezeugt worden (Tabelle 6). Hält man sich an diese Feststellungen, so lässt sich nicht als äusserst unwahrscheinlich bezeichnen, dass der Zweitkläger am 16. März 1952 gezeugt wurde, auch wenn man berücksichtigt, dass dieser Tag der zweitletzte der III. Dekade war. (Dass der Experte sich bei der Erstellung des Dekadenschemas um einen Tag verrechnet habe und dass der 16. März 1952 bei richtiger Rechnung auf den letzten Tag der III. Dekade falle, wie der Beklagte heute behauptet hat, trifft nicht zu. Abgesehen davon, dass
BGE 82 II 84 S. 90
der Experte den mittleren Abstand zwischen dem ersten Tag der letzten Menstruation und der Konzeption auf 12 statt 10 Tage bemisst, was die Grundlagen der Labhardt'schen Statistik nicht berührt und daher ihre Verwendbarkeit nicht in Frage stellt, folgt seine Berechnungsweise den von LABHARDT (S. 130 und 131/32) mit Hilfe von Beispielen gegebenen Richtlinien, wonach die mittlere Dekade so zu umgrenzen ist, dass der Tag, auf den der Beginn der durchschnittlichen Schwangerschaftsdauer fällt, bei Zählung in Richtung von der Geburt aus rückwärts den 6. Tag dieser Dekade darstellt. Im Beispiel auf S. 131/32, das einen am 20. Dezember 1941 mit einer Länge von 49 cm geborenen Knaben betrifft, für den die mittlere Tragzeit post conceptionem nach der 5. Tabelle 268 Tage beträgt, hat LABHARDT allerdings auf Grund der Annahme, dass der 268. Tag vor der Geburt der 22. März 1941 sei, als Daten der vom 263.--272. Tag reichenden mittleren Dekade den 17.-26. März 1941 angegeben. Der 22. März ist der 6. Tag dieses Zeitabschnitts, wenn man die Tage vorwärts, in Richtung gegen die Geburt hin, zählt. Auf die Art, wie LABHARDT in diesem Beispiel die Daten bestimmt hat, ist aber nicht abzustellen, weil, wie die Vorinstanz in ihrem Schreiben an den Experten vom 3. März 1955 zutreffend bemerkt hat, schon der Ausgangspunkt dieser Datierungen falsch ist. Der 268. Tag vor dem 20. Dezember ist nämlich nicht der 22., sondern der 27. März. Im übrigen vermöchte eine Verschiebung der Dekadengrenzen um einen Tag das Ergebnis im vorliegenden Falle nicht entscheidend zu beeinflussen.)
Der Experte weist freilich darauf hin, dass die in den Statistiken berücksichtigten Beobachtungen über abnorm kurze (oder lange) Schwangerschaftsdauern auf verschiedenen Fehlern beruhen können, die vortäuschen, dass die Schwangerschaft kürzer (bzw. länger) gewesen sei, als der Wirklichkeit entspricht. Er glaubt, diesen Fehlermöglichkeiten werde damit, dass man die "Grenze der Unmöglichkeit" bei einer (Summen-)Wahrscheinlichkeit von 1%
BGE 82 II 84 S. 91
ansetze, noch eher zu wenig als zu stark Rechnung getragen. Dies ändert aber nichts daran, dass er im vorliegenden Falle auf Grund der Forschungen LABHARDTS zum Schlusse kommt, die Möglichkeit einer Konzeption am 16. März 1952 müsse bejaht werden; sie lasse sich nicht als praktisch ausgeschlossen bezeichnen. Diese Schlussfolgerung, die er auch durch die Angaben deutscher Autoren (WICHMANN, FOELLMER und KOENNINGER) bestätigt findet, widerruft er nicht, indem er beifügt, die Wahrscheinlichkeit sei aber doch "so gering, dass erhebliche Zweifel gerechtfertigt sind"; bei dieser Sachlage werde die endgültige Beurteilung weitgehend von andern Faktoren abhängig gemacht werden müssen; dabei scheine ihm wichtig, dass die Vaterschaft des Beklagten auch bei eingehender serologischer Untersuchung mit Berücksichtigung der Faktoren M, N, Duffy, Kell und der Rhesusfaktoren nicht habe ausgeschlossen werden können. Die Wendung, dass wegen der geringen Wahrscheinlichkeit erhebliche Zweifel gerechtfertigt seien, kann nach dem Zusammenhang nicht bedeuten, dass der Reifegrad eine Zeugung am Tage der Beiwohnung des Beklagten als äusserst unwahrscheinlich, praktisch ausgeschlossen erscheinen lasse, wie es nach der Rechtsprechung erforderlich wäre, um erhebliche Zweifel im Sinne von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
zu begründen. Vielmehr wollte der Experte offenbar nur sagen, dass man zwar im landläufigen Sinne erhebliche Zweifel darüber haben könne, ob die Konzeption auf den Verkehr vom 16. März 1952 zurückzuführen sei, dass sich diese Möglichkeit aber eben nicht mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliessen lasse. Die Bemerkung, dass die endgültige Beurteilung weitgehend von andern Faktoren abhängig gemacht werden müsse, dürfte nur den Sinn haben, dass hier das Reifegutachten für sich allein nicht prozessentscheidend sein könne. Im Ergebnis der Blutuntersuchung scheint der Experte ein Indiz für die Vaterschaft des Beklagten zu erblicken (vgl. hiezu HARD MEIER, Die Blutgruppenbestimmung, 1948, S. 35 und die
BGE 82 II 84 S. 92
Angaben HÄSSIGS über die Ausschlusschancen, die die Blutuntersuchung heute bietet, in SJZ 1954 S. 275 ff.). Auf jeden Fall aber wird in den Gutachten die entscheidende Frage, ob die Vaterschaft des Beklagten auf Grund des Reifegrades des Kindes als unmöglich oder doch äusserst unwahrscheinlich, praktisch ausgeschlossen bezeichnet werden könne, nicht bejaht, was zum Nachteil des beweispflichtigen Beklagten ausschlagen muss.
3.
Neben den von ihr missdeuteten Angaben des Experten zieht die Vorinstanz zur Begründung ihres Entscheides noch das "ganze bisherige Verhalten der Klägerin" sowie die Tatsache heran, dass sie dem Beklagten "erst nach der Geburt von der Schwangerschaft Kenntnis gegeben hat". Sie will damit offenbar an
BGE 77 II 28
ff. anknüpfen, wo (S. 32 lit. c) gesagt wurde: "Erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten können endlich auch dann bestehen, wenn weder der Beweis für den Verkehr mit einem bestimmten Dritten geleistet ist noch der Reifegrad des Kindes die Zeugung durch den Beklagten als ausgeschlossen oder äusserst unwahrscheinlich erscheinen lässt, aber die Vaterschaft des Beklagten nach dem Reifegrad und dem Datum der Beiwohnung doch wenig wahrscheinlich ist und die Mutter sich so verhalten hat, dass ihr nach der Lebenserfahrung intimer Verkehr mit andern Männern während der kritischen Zeit zuzutrauen ist." Allein abgesehen davon, dass im Falle
BGE 77 II 28
ff. die Dekadenwahrscheinlichkeit nach LABHARDT nur 0,58% und die sog. Summenwahrscheinlichkeit nur 1,02% betrug (gegenüber 1,60 bzw. 2,62% im vorliegenden Falle), war die Mutter in jenem Falle weit stärker belastet als hier. Der heutigen Klägerin konnte nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz an positiven Tatsachen aus der Zeit der Empfängnis und der Schwangerschaft nur nachgewiesen werden, dass sie "im Frühjahr 1952 Anlässe besuchte, von denen sie jeweilen erst am Sonntag-Morgen heimkehrte", dass sie von Tanzvergnügungen "selbst dann nicht lassen konnte, als sie sich bereits in andern Umständen
BGE 82 II 84 S. 93
befand" (wobei zu berücksichtigen ist, dass die Schwangerschaft nicht einmal für ihre Familienangehörigen erkennbar war), und dass der Zeuge B. (übrigens nach der kritischen Zeit) "eines Abends in der Nähe der Gebäulichkeiten des K. bei der Klägerin stund, wobei er sie um die Achsel hielt bzw. einen Arm auf ihrer Achsel hatte". Diese Tatsachen reichen, auch wenn man an dem in
BGE 77 II 32
lit. c aufgestellten Grundsatze festhalten will, keineswegs aus, um die aus dem Wahrscheinlichkeitsgrad sich ergebenden, für sich allein nicht als erheblich zu wertenden Zweifel so sehr zu verstärken, dass die Vaterschaftsvermutung dahinfallen müsste. Dabei bleibt es auch, wenn man daneben noch die späte Verständigung des Beklagten berücksichtigt. Die Vorinstanz wagte es selber nicht, aus diesem Umstande den bestimmten Schluss zu ziehen, dass die Klägerin über die Vaterschaft im Ungewissen gewesen sei, sondern betrachtet ihn nur als ein Indiz dafür, dass sie geschwankt haben "mag", wen sie als Vater ansprechen wolle. Eine so vage Vermutung kann die Anwendung von
Art. 314 Abs. 2 ZGB
nicht stützen; dies um so weniger, als die Klägerin für ihr Verhalten eine plausible Erklärung gegeben hat, worüber die Vorinstanz einfach hinweggegangen ist. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d568973f-7d5b-4c17-a147-9d76eaa20215 | Urteilskopf
97 II 360
50. Extraits de l'arrêt de la Ire Cour civile du 16 novembre 1971 dans la cause Zouboff contre Natural Lecoultre SA | Regeste
Art. 56 OG
, Gegenbemerkungen der kantonalen Behörde.
Die kantonale Behörde darf in ihren Gegenbemerkungen keine neuen Tatsachen feststellen, die zur Begründung ihres Urteils gehörten (Erw. 1).
Art. 97 Abs. 1, 472ff. OR.
Der Aufbewahrer, der die Sache nicht zurückgeben kann, hat den daraus entstehenden Schaden gemäss
Art. 97 Abs. 1 OR
zu ersetzen (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 360
BGE 97 II 360 S. 360
Considérant en droit:
1.
Bien que n'ayant pas elle-même la qualité de partie, dans le cadre d'un recours en réforme, l'autorité cantonale peut produire "s'il y a lieu, ses observations" ("allfällige Gegenbemerkungen"; "se è il caso, le sue osservazioni") en vertu de l'art. 56 OJ. La Cour de justice de Genève a usé de cette faculté en formulant des observations sur le recours principal, mais apparemment sans les communiquer aux parties.
La loi ne précise pas la portée de l'art. 56 OJ, mais le sens raisonnable en est que l'autorité cantonale doit pouvoir défendre son prononcé contre les attaques dont il est l'objet dans le recours en réforme. Les remarques qu'elle fait à cette fin sont destinées à s'opposer au recours; l'expression "Gegenbemerkungen" du texte légal allemand met du reste l'accent sur cette fonction. Le droit de réponse de l'autorité cantonale n'est cependant pas illimité; les principes fondamentaux qui régissent
BGE 97 II 360 S. 361
les voies de recours fédérales en général lui assignent ses limites.
Le contenu des observations ne saurait en effet entraver le jeu normal des recours, en restreignant les garanties que l'organisation judiciaire fédérale accorde aujusticiable. L'art. 51 al. 1 litt. d OJ notamment prescrit que les décisions qui peuvent être déférées à la juridiction fédérale doivent être communiquées d'office et par écrit. Son sens profond est d'assurer aux parties en procès la notification d'un jugement contenant tous les considérants déterminants de fait et de droit, de façon qu'elles puissent se faire une opinion sur l'opportunité d'un recours (RO 90 II 209/210). Il en découle logiquement que les observations selon l'art. 56 OJ ne doivent rien renfermer de nouveau, qui soit indispensable à la motivation du jugement. Ainsi, elles ne sauraient introduire des constatations de fait inédites qui auraient pour effet de priver le plaideur qui a succombé de la possibilité de les attaquer, par la voie d'un recours de droit public ou par celle d'un recours en réforme.
Les observations prévues à l'art. 56 OJ sont donc destinées à permettre à l'autorité cantonale de s'exprimer sur des aspects juridiques inédits soulevés dans le recours, mais surtout de rectifier des interprétations erronées ou tendancieuses de son jugement, d'en corriger les erreurs évidentes, de préciser des passages équivoques, de prendre position à l'égard de griefs d'inadvertance manifeste, ou de signaler des allégués de fait nouveaux, inadmissibles du recourant (cf. arrêt non publié Ever Ready Cy Ltd c. Galleria delle Novità du 12 octobre 1966, consid. 1).
En l'espèce, la Cour de justice n'est pas sortie du cadre fixé par la loi. Bien que ses observations aient servi à préciser une motivation sommaire, elles ont atteint leur but sans modifier la construction juridique de l'arrêt et sans introduire d'éléments nouveaux. Certes la recourante principale, en connaissance de ces observations, eût vraisemblablement modifié l'argumentation de son recours, mais elle n'aurait renoncé ni à celui-ci dans son ensemble, ni à l'un ou l'autre des moyens juridiques qu'elle soulève.
2.
...
3.
...
Il est constant que les parties sont liées par un contrat de dépôt régulier onéreux, caractérisé par le droit du déposant de réclamer la restitution de la chose et par le devoir du dépositaire
BGE 97 II 360 S. 362
de la rendre (art. 475 CO; RO 58 II 351; GAUTSCHI, Comm., n. 1 e, Vorb. ad art. 472 CO, n. 1 ad art. 475 CO). Bien qu'il s'agisse en l'occurrence d'une forme particulière de ce contrat, soit d'un contrat d'entrepôt au sens des art. 482 ss. CO (GAUTSCHI, n. 3 b 3 Vorb. ad art. 472 CO), l'obligation de restituer est la même (art. 486 CO).
Le dépositaire qui ne peut rendre la chose doit réparer le dommage qui en résulte, à moins de prouver qu'aucune faute ne lui est imputable, selon la règle générale de l'art. 97 al. 1 CO. L'obligation de rendre se transforme alors en celle d'indemniser (RO 43 II 646 consid. 1 i. f.; BECKER, Comm., n. 6 ad art. 486 CO). En l'occurrence, la faute de l'entrepositaire est patente, et n'est plus contestée.
En principe, l'indemnité comporte le dommage actuel (BECKER, Comm., n. 31 ad art. 97 CO; OSER/SCHÖNENBERGER, n. 19 ad art. 43 CO). En l'absence d'une règle particulière, le contrat de dépôt ne fait pas exception à ce principe; preuve en est d'ailleurs que l'art. 475 CO autorise le déposant à réclamer non seulement sa chose, mais encore les accroissements. Le montant déterminant, en cas de litige, est celui que le juge arrête, soit celui qui est fixé lors du jugement rendu en dernière instance cantonale (BECKER, Comm., n. 52 ad art. 97 CO; OFTINGER, Haftpflichtrecht I, p. 151 et 153). | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d56be778-54ac-450c-9ceb-44a51f38e262 | Urteilskopf
101 II 59
13. Arrêt de la IIe Cour civile du 20 mars 1975 dans la cause Vuignier contre Voide. | Regeste
Art. 681 ZGB
.
Die gemischte Schenkung stellt keinen Vorkaufsfall dar. | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 101 II 59 S. 59
Dame Ida Vuignier-Udrisard est copropriétaire, pour une demie, avec son frère Modeste Udrisard d'un bâtiment à Mase (Valais), construit en 1926. Cette copropriété est assortie de servitudes personnelles d'usage, perpétuelles et transmissibles, conférant à chacun des copropriétaires un droit d'usage exclusif sur certaines parties de l'immeuble.
Par acte authentique du 9 octobre 1971, passé en la forme du pacte successoral et intitulé "Vente et donation", Modeste Udrisard et sa femme Philomène ont convenu avec Jean Voide, petit-neveu du mari, de la vente de cette part de copropriété ainsi que d'une grange au village, d'un pré et d'une grange au mayen, ce pour le prix total de 51'355.-- fr. Ce prix est payable par annuités de 5'000.-- fr., en mains des vendeurs et, en cas de décès de l'un d'eux, à son survivant. Si le prix total n'est pas acquitté au décès du dernier survivant, l'acheteur sera libéré du solde, qui constituera une donation consentie par les vendeurs à l'acheteur. Les vendeurs se sont réservé l'usufruit sur la part de bâtiment et sur la grange au village.
Informée de cet acte, dame Vuignier a fait valoir son droit de préemption dans le délai prévu par l'art. 681 al. 3 CC, point qui n'est guère contesté.
Jean Voide ayant contesté qu'il y eût lieu à préemption, en raison de la libéralité que comporte l'acte de "vente et donation", dame Vuignier a ouvert action contre l'acheteur, concluant au transfert à son nom, au registre foncier, "de l'étage supérieur avec annexes et place" objet de la vente.
BGE 101 II 59 S. 60
Le 25 octobre 1974, le Tribunal cantonal du Valais a rejeté la demande, en bref pour le motif que l'on a affaire à une donation mixte, qui ne constitue pas un cas de préemption.
Dame Vuignier recourt en réforme, persistant dans ses conclusions. Elle les complète cependant, se disant "d'accord de verser le montant du prix de vente de 26'000.-- fr. ou à dire du Tribunal fédéral, soit par paiement comptant, soit en respectant les clauses du paiement de l'acte du 9.10.1971, pour autant que cela concerne l'immeuble".
L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'acte de "vente et donation" arrête le prix de vente à 30'000.-- fr. pour la part de bâtiment et une grange-écurie au village, à 2'000.-- fr. pour la grange du mayen et à 19'355.-- fr. pour le pré au mayen.
Ces deux derniers biens-fonds, de même que la grange-écurie, au village, étaient propriété exclusive du vendeur. La demande ne porte donc que sur la part de copropriété, comprise dans le montant de 30'000.-- fr.
Se fondant sur une expertise, le Tribunal cantonal a arrêté à 41'220.-- fr. la valeur de la part de bâtiment et à 6'000.-- fr. la valeur de la grange. Il considère que cette estimation correspond à la valeur lors de la vente et que l'usufruit réservé par les époux Udrisard ne représente pas un capital rentable: depuis la mort de sa femme, Modeste Udrisard ne l'exerce pas et l'habitation demeure inoccupée. A cela s'ajoute le témoignage de Modeste Udrisard, qui a déclaré que s'il avait vendu cette habitation à un autre, il aurait demandé 10'000.-- fr. de plus et qu'il a consenti ce prix à son petit-neveu pour le récompenser des services rendus ces dernières années.
Se fondant sur ces éléments, la cour cantonale admet que la différence entre le prix convenu et la valeur réelle est de l'ordre de 10'000.-- fr. et que cette différence, dont les parties avaient conscience, a été voulue par elles.
Ce sont là des constatations qui, ressortissant au fait, échappent à la censure du Tribunal fédéral. Il ne peut donc être entré en matière sur les objections de la recourante, qui soutient que seule la remise éventuelle du solde du prix renfermerait une donation, à défaut de quoi, déclare-t-elle, la vente
BGE 101 II 59 S. 61
serait nulle faute d'indication du prix exact. Il faut répondre à ce dernier argument que le contrat indique le prix réellement voulu par les parties, et cela quand bien même ce prix est délibérément fixé au-dessous de la valeur marchande de l'immeuble. La nullité de la vente ne pourrait être invoquée que si le prix stipulé était simulé, ne correspondant pas à celui que l'acheteur s'engageait effectivement à payer. D'ailleurs, le titulaire d'un droit de préemption n'a pas intérêt à invoquer la nullité de la vente, puisque son droit dépend de la validité de cette vente.
A cela s'ajoute, selon les constatations de la cour cantonale, que le prix de 51'355.-- fr. est payable par acomptes annuels de 5'000.-- fr. et que les vendeurs font remise du solde restant à leur décès. Le jugement constate que, même si, selon les tables de mortalité, l'espérance de vie des vendeurs était de 8,7 ans pour le mari et de près de 10 ans pour la femme, dans l'esprit des vendeurs, alors âgés de 76 ans, et malades, les choses ont dû apparaître autrement.
La cour cantonale constate que le but essentiel du contrat, pour les époux Udrisard, n'était pas de réaliser leur bien, sans égard à la personne de l'acheteur, mais de le céder à des conditions de faveur à leur petit-neveu, pour le récompenser de ses services et de ses égards.
2.
Le point de savoir si le negotium cum donatione mixtum (donation mixte, gemischte Schenkung) est un cas de préemption a été longtemps controversé, dans la doctrine allemande notamment. Alors que la doctrine ancienne l'admettait (DERNBURG, Das bürgerliche Recht, 4e éd., Halle 1915, par. 196 II, 5 p. 121), moyennant que le prix payé par le préempteur fût rajusté, la jurisprudence a adopté la solution contraire (RGZ - Reichsgericht in Zivilsachen - 101 p. 101; 125 P. 125), suivie par la doctrine récente, certains auteurs faisant cependant une distinction entre un "prix d'ami" (Freundschaftskauf) et la donation mixte (ainsi STAUDINGER, 11e éd. Berlin 1955 n. 8 ad par. 505; Grosskommentar der Praxis, par. 504 n. 20; ENNECCERUS-LEHMANN, 14e éd., Tübingen 1954, par. 117, 1, 6 et par. 124, 5).
En droit suisse, la question a été laissée indécise dans un arrêt de la Cour d'appel de Berne (ZBJV 1933 p. 445), ainsi que dans l'arrêt publié au RO 82 II 586. (Cf. également RO 84 II 252/253).
BGE 101 II 59 S. 62
MEIER-HAYOZ (n. 171 ad art. 681) soutient que la fixation d'un prix de faveur intervient en considération de la personne de l'acquéreur, à qui l'aliénateur entend faire une attribution à titre gratuit, dont il ne convient pas que le titulaire du droit de préemption tire profit. Il réserve les hypothèses, non réalisées en l'espèce, du recours à la donation mixte dans le but d'éluder la préemption et du cas où l'élément de libéralité apparaît comme tout à fait secondaire. Dans le même sens, en principe, mais non motivées, les opinions de HAAB, n. 32 ad art. 681/82 CC; BECKER, n. 11 ad art. 216 CO.
3.
L'opinion de la doctrine dominante est justifiée pour deux raisons:
a) Selon la jurisprudence, le droit de préemption ne peut être exercé qu'en cas de vente. Et encore faut-il qu'il n'y ait pas seulement une vente à la forme, mais que l'opération tende selon l'intention des parties au but économique de la vente, l'échange d'une chose contre un prix. C'est la prestation pécuniaire reçue par le vendeur qui est essentielle et non la personne de l'acquéreur (RO 89 II 446). Lorsque la considération de la personne de l'acquéreur est essentielle et détermine les conditions particulières du contrat, la substitution du préempteur ne saurait être imposée à l'aliénateur.
b) En cas de donation mixte, le marché comporte une libéralité en faveur de l'acquéreur. Le droit de préemption ne constitue pas une cause juridique qui justifierait que le préempteur soit mis au bénéfice de cette libéralité, où l'intuitus personae est un élément déterminant. On ne saurait éluder cet argument en conférant alors au préempteur le droit de se substituer à l'acquéreur à des conditions différentes, faisant abstraction de la libéralité, comme le postulent les conclusions subsidiaires du recours, qui tendent à la fixation d'un prix objectif. C'est là une construction incompatible avec le droit de préemption: l'exercice du droit a pour effet de substituer, dans le contrat de vente, le préempteur à l'acheteur, toutes les clauses et conditions de la vente demeurant inchangées. L'adaptation du prix aurait pour effet de substituer au contrat un nouveau contrat, à des conditions imposées judiciairement. Tel ne saurait être l'effet du droit de préemption. Dans ce sens, l'arrêt précité du Reichsgericht (RGZ 101 p. 101).
On ne peut davantage, comme le voudrait la recourante, scinder en deux éléments distincts, une vente et une donation,
BGE 101 II 59 S. 63
un acte juridique, qui, dans l'esprit des parties, constitue un tout.
4.
En l'espèce, l'intuitus personae est manifestement un élément essentiel du contrat passé entre Modeste et Philomène Udrisard, d'une part, et leur petit-neveu, d'autre part. L'abattement de prix est important et l'intention de libéralité évidente. Il s'ensuit que la prétention de la recourante à exercer son droit de préemption à l'occasion de la "Vente et donation" du 9 octobre 1971 doit être rejetée.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement attaqué. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d56f709b-7669-4136-be93-ac7798e413c9 | Urteilskopf
136 III 461
66. Estratto della sentenza della I Corte di diritto civile nella causa A.A. contro Banca B. SA (ricorso in materia civile)
4A_421/2009 del 26 luglio 2010 | Regeste a
Auskunftsrecht der Erben gegenüber einer Bank, die Vermögenswerte hält, an denen der Erblasser wirtschaftlich berechtigt war (
Art. 560 ZGB
).
Der wirtschaftlich Berechtigte steht mit der Bank in keiner direkten vertraglichen Beziehung; seine Erben sukzedieren daher in kein vertragliches Auskunftsrecht (E. 4); ein solches kann sich nur aus Erbrecht ergeben (E. 5.2).
Regeste b
Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrags zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868; sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich; Zulässigkeit einer professio iuris.
Die Norm gilt für alle erbrechtlichen Streitigkeiten zwischen den Erben untereinander und mit Dritten über den Nachlass eines in der Schweiz verstorbenen italienischen Staatsangehörigen (E. 5.2 und 5.3).
Eine professio iuris im Anwendungsbereich dieser Norm ist zulässig (E. 6.1 und 6.2). | Sachverhalt
ab Seite 462
BGE 136 III 461 S. 462
A.
C.A., cittadino italiano con ultimo domicilio a Collina d'Oro (Cantone Ticino), è deceduto a Milano il 14 settembre 2007, lasciando tre figli e la vedova di seconde nozze A.A. Il 19 ottobre 2007 è stato pubblicato davanti alla Pretura di Lugano, sezione 4, il testamento olografo datato 21 febbraio 1997 nel quale il defunto designava eredi i tre figli in parti uguali.
B.
Con precetto esecutivo civile del 13 marzo 2008 A.A. ha intimato alla banca B. SA di consegnarle entro 10 giorni la documentazione completa concernente il conto x e qualsiasi altra relazione diretta intestata o cointestata in qualunque forma al defunto, nonché di informarla sull'esistenza di qualsiasi altra relazione indiretta di rapporti fiduciari, società anonime, fondazioni e
Anstalt
del Liechtenstein,
trust
anglosassoni e altre entità giuridiche in Svizzera o all'estero delle quali il defunto fosse stato avente diritto economico, di darle se del caso tutte le informazioni necessarie per identificare e raggiungere le persone che gestiscono tali relazioni e di consegnarle anche a questo proposito la documentazione completa.
La banca si è opposta al precetto esecutivo civile.
C.
Statuendo il 5 giugno 2008 il Pretore del Distretto di Lugano, sezione 1, ha respinto l'opposizione limitatamente alle informazioni concernenti il conto x e altre relazioni bancarie, ma solo nella misura in cui fossero intestate o cointestate al defunto; per il resto ha mantenuto l'opposizione.
Entrambe le parti si sono aggravate contro il giudizio del Pretore: A.A. per ottenere la reiezione integrale dell'opposizione al precetto esecutivo; B. SA auspicando la conferma della propria opposizione. Con sentenza del 26 giugno 2009 la II Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino ha respinto le due appellazioni.
D.
A.A. insorge davanti al Tribunale federale con ricorso in materia civile del 4 settembre 2009, con il quale chiede che l'opposizione della banca sia respinta integralmente anche per le relazioni indirette del defunto.
BGE 136 III 461 S. 463
Con osservazioni del 16 ottobre 2009 B. SA propone di dichiarare il ricorso irricevibile, in via subordinata di respingerlo. L'autorità cantonale non ha presentato osservazioni.
Il Tribunale federale ha accolto il ricorso, annullato la sentenza impugnata e rinviato la causa all'autorità cantonale per nuovo giudizio.
Erwägungen
Dai considerandi:
4.
Nella successione a titolo universale gli eredi subentrano in tutti i diritti e in tutti gli obblighi patrimoniali del defunto, di conseguenza anche nel diritto di rendiconto relativo ai rapporti contrattuali, in quanto non avessero carattere strettamente personale (
art. 560 CC
). L'estensione di questo diritto degli eredi è la stessa che valeva per il defunto (
DTF 133 III 664
consid. 2.5 pag. 667). Il segreto bancario secondo l'art. 47 della legge sulle banche dell'8 novembre 1934 (LBCR; RS 952.0), che non esisteva evidentemente nei confronti del defunto, non è opponibile nemmeno agli eredi (
DTF 133 III 664
consid. 2.6 pag. 668).
Per quanto riguarda invece le relazioni bancarie di istituti quali
trust
o fondazioni del Liechtenstein, il Tribunale federale ha già avuto modo di chiarire che il beneficiario economico non è parte nel rapporto contrattuale, cosicché per la banca i rapporti ch'egli intrattiene con il titolare del conto sono
res inter alios acta
. In questo caso il segreto bancario è - di principio - opponibile all'avente diritto economico (sentenza 4C.108/2002 del 23 luglio 2002 consid. 3c/aa; cfr. anche
DTF 100 II 200
consid. 8a e 9 pag. 211 segg.; CARLO LOMBARDINI, Droit bancaire suisse, 2
o
ed. 2008, cap. XXXIV, n. 64 pag. 983; CLAUDIA GEIGER, Der wirtschaftlich Berechtigte im Sinne der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken [VSB], 2006, pag. 78).
Ne segue che la sentenza impugnata esclude con ragione che la ricorrente possa subentrare, in quanto erede di C.A., nel diritto contrattuale di essere informata su eventuali relazioni indirette presso la banca, del quale nemmeno il defunto fruiva.
5.
I giudici ticinesi, come detto, si sono in seguito chiesti se il diritto d'informazione della vedova possa nondimeno scaturire dal diritto successorio. Visto il carattere internazionale della lite - l'istante è domiciliata in Italia - era perciò necessario chiarire preliminarmente quale fosse la legge applicabile alla successione (italiana o svizzera). La questione, controversa tra le parti, è invece rimasta indecisa
BGE 136 III 461 S. 464
davanti alle due istanze cantonali. Il Tribunale federale la può esaminare d'ufficio e con pieno potere (
DTF 131 III 153
consid. 3 pag. 156).
5.1
Per la ricorrente la successione è retta dal diritto italiano in forza del rinvio dell'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato di domicilio e consolare tra Svizzera e l'Italia del 22 luglio 1868 (RS 0.142.114.541; in seguito: Trattato italo-svizzero). Se ne era in effetti prevalsa davanti al Pretore, ma solo per giustificare la propria qualità di erede legittima e per sostenere che la massa ereditaria comprende anche gli averi fiduciari e di altre società o strutture successorie delle quali il defunto fosse stato beneficiario economico; per il resto aveva dato per scontato di agire in rendiconto secondo il diritto svizzero (
art. 400 CO
). Anche il Pretore, di fronte alla
professio iuris
testamentaria eccepita dalla convenuta, aveva preso in considerazione il diritto italiano solo per appurare la qualità di erede legittima dell'istante. E il Tribunale di appello, infine, ha criticato la decisione del Pretore per non avere deciso quale fosse il diritto applicabile per la determinazione dell'asse successorio, ma ha rinunciato a sua volta a farlo, per il motivo, dedotto anch'esso dalla dottrina svizzera, che l'istante non aveva comunque reso verosimile l'esistenza di relazioni indirette tra la banca convenuta e il defunto.
5.2
L'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato italo-svizzero vuole che le controversie tra gli eredi di un italiano morto con ultimo domicilio in Svizzera riguardo all'eredità siano portate davanti al giudice dell'ultimo domicilio che l'italiano aveva in Italia. Questa norma disciplina allo stesso modo il diritto materiale applicabile, sebbene il testo menzioni solo il foro (
DTF 98 II 88
consid. 2 pag. 92 in fine).
La causa in esame riguarda l'eredità nel senso dell'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato italo-svizzero, dal momento che il diritto all'informazione della ricorrente può derivare solo dal diritto successorio. Nella
DTF 98 II 88
consid. 3 a pag. 94 il Tribunale federale, procedendo per analogia con la portata di un trattato simile che vigeva con la Francia, aveva stabilito che era determinante il vero oggetto del litigio (era giunto alla conclusione che in quella fattispecie la contestazione non avesse carattere successorio, perché i diritti delle parti sul bene in discussione dipendevano dal diritto matrimoniale, non da quello successorio).
5.3
Anche gli altri presupposti per l'applicazione dell'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato italo-svizzero sono adempiuti. La ricorrente agisce come erede di un italiano morto con ultimo domicilio in Svizzera. Convenuto è invero un terzo, non un altro erede. Tuttavia, benché il testo
BGE 136 III 461 S. 465
della disposizione si riferisca soltanto a controversie "tra gli eredi" di un italiano morto in Svizzera, non v'è dubbio che, in forza del principio dell'unità della successione, anche le liti tra eredi e terzi non eredi possano rientrare nel suo campo di applicazione materiale, purché il titolo dell'azione sia di natura successoria (cfr. HERBERT CHENEVARD, Le régime civil des successions dans les rapports italo-suisses, 1985, pag. 64; FRANCO MASPOLI, Le successioni e il Trattato italo-svizzero del 22 luglio 1868, 1934, pag. 99; DUTOIT ET AL., Répertoire de droit international privé suisse, vol. III, 1986, pag. 120).
Questa interpretazione è conforme alla giurisprudenza della Corte di cassazione italiana (menzionata anche dalla ricorrente) secondo la quale la normativa attribuisce "tutte le controversie relative alla successione
mortis causa
di un cittadino italiano o svizzero, defunto in uno qualsiasi dei paesi stipulanti, e comunque insorte fra gli eredi, i legatari o altri soggetti interessati alla successione, al giudice dell'ultimo domicilio che il
de cuius
aveva nel suo paese d'origine" (Cass. civ., sez. un., 1
o
luglio 1992, n. 8081, in: La nuova giurisprudenza civile commentata [NGCC] 1993 pag. 236, con rinvii).
5.4
Ne viene che, in forza dell'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato italo-svizzero, il diritto sostanziale applicabile alla successione sarebbe quello italiano. Anche il giudice competente sarebbe invero quello italiano, ma sulla questione non v'è contestazione, avendo la convenuta accettato di comparire davanti al Pretore senza nulla eccepire ed ammettendo l'
art. 17 del
Trattato italo-svizzero, per lo meno secondo l'interpretazione che ne dà la Svizzera, la proroga della giurisdizione (
DTF 91 III 19
consid. 2b pag. 25 in fine).
6.
Contestata è invece la
professio iuris
a favore del diritto svizzero contenuta nel testamento di C.A., della quale si prevale la convenuta. La ricorrente la ritiene "nulla" perché in contrasto con la norma internazionale. Essendo il diritto materiale applicabile alla successione determinante per l'esito della causa, l'efficacia della scelta testamentaria di C.A. non può rimanere indecisa.
6.1
Per CHENEVARD (op. cit., pagg. 58 e 60) l'
art. 17 del
Trattato italo-svizzero impedisce al defunto di scegliere per testamento una legge diversa da quella alla quale la norma rinvia, poiché gli Stati contraenti, nonostante il silenzio del testo adottato, si ponevano l'obiettivo principale di sottomettere i rapporti successori al diritto nazionale del defunto.
Questa interpretazione appare tuttavia desueta, soprattutto dopo che anche il diritto internazionale privato italiano ammette che il
BGE 136 III 461 S. 466
defunto possa sottoporre la propria successione alla legge dello Stato di residenza (art. 46 cpv. 2 della legge n. 218 del 31 maggio 1995). Sarebbe infatti insoddisfacente che, in un caso come quello in esame, la legge svizzera applicabile secondo il diritto internazionale privato vigente sia in Italia che in Svizzera (
art. 90 cpv. 1 LDIP
[RS 291]) venga accantonata in forza di un trattato ultra-centenario. Donde la necessità di ammettere deroghe all'
art. 17 cpv. 3 del
Trattato italo-svizzero, che si voglia attribuirgli un carattere non imperativo anche sotto questo profilo, al pari di quanto già avviene per la proroga del foro (
DTF 91 III 19
consid. 2b pag. 25 in fine), oppure considerando semplicemente che il rinvio al diritto italiano ch'esso prevede include la possibilità della
professio iuris
permessa dall'art. 46 cpv. 2 della citata legge italiana (in questo senso: BERNARD DUTOIT, Le droit international privé suisse de la famille et des successions à l'épreuve du temps: Dix ans de LDIP, RSDIE 2000 pag. 295 segg.; GERARDO BROGGINI, Rapporti patrimoniali fra coniugi e successioni per causa di morte nelle relazioni italo-svizzere, in: Raccolta di studi pubblicati in occasione delle giornate dei giuristi svizzeri, 1997, pag. 155 segg.; ANDREA BONOMI, La loi applicable aux successions dans le nouveau droit international privé italien et ses implications dans les relations italo-suisses, RSDIE 1996 pag. 503 segg.).
6.2
La
professio iuris
va di conseguenza ammessa anche nell'ambito del campo di applicazione del Trattato italo-svizzero. Il Tribunale federale non può però trarne conclusioni concrete nel caso specifico, poiché la sentenza impugnata non contiene accertamenti concernenti la volontà espressa dal defunto; esso può soltanto annullare il giudizio e rinviare la causa alla Corte cantonale, affinché completi gli accertamenti, determini il diritto che regge la controversia e statuisca di nuovo applicando quello svizzero o italiano, a seconda che ammetterà o no la
professio iuris
. | null | nan | it | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d57587ff-0586-4446-a383-0d3cc95ec16f | Urteilskopf
87 II 143
21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Mai 1961 i.S. Bauunternehmung Murer AG gegen Schnyder. | Regeste
Genugtuung wegen Verletzung in den persönlichen Verhältnissen durch Nichteinhaltung eines Dienstvertrages.
Art. 28 ZGB
,
Art. 49 OR
. | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 87 II 143 S. 144
Aus dem Tatbestand:
Die Bauunternehmung Murer A.-G. in Andermatt hat eine Niederlassung in Fiesch. Um Aufträge des Kantons und der Gemeinden zu erhalten, musste sie im kantonalen Berufsregister der Baumeister eingetragen sein. Sie trat daher an Ing. Schnyder in Sitten heran und stellte diesen nach längeren Verhandlungen mit Dienstvertrag vom 1. Februar 1955 als technischen Berater und Mitarbeiter für ihre Niederlassung Fiesch an. Schnyder verzichtete auf seinen Eintrag im Berufsregister, und an seiner Stelle wurde die Murer A.-G. eingetragen. Der Vertrag, der auf 4 Jahre fest abgeschlossen wurde, sah für die Mitwirkung Schnyders in der Geschäftsleitung der Niederlassung Fiesch ein jährliches Fixum von Fr. 2000.-- vor. Ferner sollten ihm besondere Aufgaben nach Besprechung von Fall zu Fall übertragen werden, die nach dem SIA-Tarif zu entschädigen waren.
Da die Murer A.-G. Schnyder solche besonderen Aufgaben nur in geringem Umfang zuwies und ab 1. September 1957 jede Arbeitsleistung Schnyders ablehnte, erhob dieser Klage auf Schadenersatz und Genugtuungsleistung wegen Verletzung des Dienstvertrages.
An Stelle Schnyders, der anfangs 1959 starb, traten seine Ehefrau und sein Sohn in den Prozess ein.
Das Kantonsgericht Wallis verpflichtete die Murer A.-G. zur Bezahlung von Fr. 10'000.-- Schadenersatz sowie einer Genugtuungssumme von Fr. 5000.--.
Das Bundesgericht weist die Berufung der Murer A.-G. ab, hinsichtlich der Frage der Genugtuung auf Grund der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
5.
a) Die Vorinstanz hat den Klägern eine Genugtuungssumme von Fr. 5'000.-- zugesprochen, weil die
BGE 87 II 143 S. 145
Beklagte durch die Nichteinhaltung des Vertrages Schnyder in seinen persönlichen Verhältnissen schwer verletzt habe.
Die Beklagte bestreitet, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Genugtuungsanspruches erfüllt seien.
b) Die Nichterfüllung eines Vertrages durch die eine Partei vermag für sich allein der andern noch keinen Genugtuungsanspruch zu verschaffen. Ein solcher kann vielmehr nur in Betracht kommen, wenn die Vertragsverletzung mit Rücksicht auf ihre Art und Weise oder wegen der besonderen Umstände, unter denen sie erfolgte, zugleich eine Verletzung des Betroffenen in seinen persönlichen Verhältnissen im Sinne des
Art. 28 ZGB
darstellt und darum eine unerlaubte Handlung gemäss
Art. 41 OR
bedeutet. Überdies ist gemäss
Art. 49 OR
eine besondere Schwere sowohl der Verletzung des Betroffenen als auch des Verschuldens auf seiten des Verletzers erforderlich (
BGE 76 II 108
f.).
Im vorliegenden Falle darf das Erfordernis der besonderen Schwere des Verschuldens der Beklagten ohne Bedenken bejaht werden. Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt, schloss die Beklagte den Dienstvertrag mit Schnyder einzig und allein ab, um an Stelle des letzteren im Berufsregister eingetragen zu werden. Als sie dieses Ziel erreicht hatte, schob sie Schnyder beiseite und setzte sich über die vertraglich übernommene Pflicht, diesem durch Übertragung besonders zu honorierender Aufträge einen seinem früheren Einkommen ungefähr entsprechenden Verdienst zu verschaffen, in rücksichtsloser Weise hinweg, indem sie Schnyder immer mehr ausschaltete. Die ganze Art ihres Vorgehens zeigt, dass sie von allem Anfang an die Absicht hatte, Schnyder lediglich als Werkzeug für die Erreichung des Ziels der Eintragung im Berufsregister zu benutzen, sich der Erbringung der vertraglich zugesicherten Gegenleistung aber so rasch als möglich zu entziehen. Dieses Vorgehen verrät
BGE 87 II 143 S. 146
eine gegen Treu und Glauben verstossende Gesinnung, die den Vorwurf der besonderen Schwere des Verschuldens rechtfertigt.
Für Schnyder bedeutete das Verhalten der Beklagten nicht bloss das Ausbleiben einer Vertragserfüllung, wie sie im Geschäftsleben etwa vorkommt, sondern dieses Verhalten wirkte sich bei ihm als eigentliche Verletzung in den persönlichen Verhältnissen von besonderer Schwere aus. Infolge seiner Löschung im Berufsregister war für ihn ein Rückgang der Aufträge von Dritten zu erwarten gewesen, zumal ihm von den Walliser Unternehmern verübelt wurde, dass er der Beklagten den Eintrag im Berufsregister ermöglicht hatte. Das Ausbleiben der von der Beklagten vertraglich zugesicherten Zuweisung von Aufträgen hatte deshalb praktisch die Vernichtung der geschäftlichen Existenz Schnyders und im Anschluss daran eine Schädigung seines persönlichen und beruflichen Ansehens zur Folge. Dies musste Schnyder um so härter treffen, als er vorher nach den Ausführungen der Vorinstanz in der Öffentlichkeit des Kantons Wallis als Kulturingenieur, als Fachmann und Projektverfasser für Strassenbauten und als Mitglied des Grossen Rates hohes Ansehen genossen hatte. Endlich führte gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz die erlittene Kränkung bei Schnyder zu einer Verschlechterung seines ohnehin geschwächten Gesundheitszustandes.
c) Die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuungssumme sind daher erfüllt. Die Höhe des von der Vorinstanz zugesprochenen Betrages wird von der Berufung mit Recht nicht angefochten; denn mit der Festsetzung der Genugtuungssumme auf Fr. 5'000.-- hat die Vorinstanz den Rahmen des ihr zustehenden Ermessens nicht überschritten. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d579d9ff-dba8-458a-99dd-db262a7c4a16 | Urteilskopf
99 Ia 104
13. Urteil vom 31. Januar 1973 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Justizdirektion des Kantons Zürich. | Regeste
Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde;
Art. 88 OG
.
Strafprozess; Legitimation des Geschädigten und des Anzeigers (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 99 Ia 104 S. 104
A.-
Um die Freilassung dreier in Zürich inhaftierter arabischer Attentäter zu erzwingen, entführten palästinensische Untergrundkämpfer am 6. September 1970 ein Passagierflugzeug der "Swissair" nach Zerqa (Jordanien). Nachdem sie die Insassen während einiger Zeit als Geiseln festgehalten und dabei bedroht hatten, zerstörten sie die Maschine mitsamt ihrer Zuladung. In der Folge wurden die erwähnten Attentäter unter Mitwirkung der zürcherischen Behörden auf freien Fuss gesetzt und ins Ausland geschafft.
Am 16. November 1970 reichte Rechtsanwalt Dr. Y. im Namen eines Journalisten bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eine Strafanzeige ein. Darin beschuldigte er den Führer der an der Flugzeugentführung beteiligten palästinensischen Organisation, Dr. Georges Habbash, und weitere unbekannte Gehilfen der Freiheitsberaubung, Drohung, Nötigung,
BGE 99 Ia 104 S. 105
des Raubes ev. Diebstahls, der qualifizierten Sachbeschädigung und der Aussetzung. Gegenüber den Mitgliedern des zürcherischen Regierungsrates, gegen den kantonalen Polizeikommandanten und gegen den Direktionspräsidenten der Swissair erhob er den Vorwurf der Gefangenenbefreiung, des Entweichenlassens von Gefangenen, der Begünstigung und des Amtsmissbrauchs.
Nachdem der Kantonsrat beschlossen hatte, von einer Strafuntersuchung gegen die Mitglieder des zürcherischen Regierungsrats abzusehen, entschied die Staatsanwaltschaft am 13. Juli 1971, dass die Strafverfolgung gegen die angeschuldigten Magistraten und Beamten sowie gegen den Direktionspräsidenten der Swissair nicht an die Hand genommen und dass jene gegen Dr. Habbash und weitere unbekannte Gehilfen einstweilen eingestellt werde.
Mit Schreiben vom 26. Februar 1972 gelangte Rechtsanwalt Dr. Y. erneut an die Staatsanwaltschaft, wobei er unter anderem beantragte, die Strafuntersuchung gegen Dr. Habbash und Konsorten weiterzuführen. Gleichzeitig legte er Vollmachten der Eheleute X. und von vier weiteren ehemaligen Passagieren des entführten Flugzeugs vor.
Am 23. März 1972 wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die in der erwähnten Eingabe vom 26. Februar 1972 gestellten Begehren ab. Sie führte aus, die noch über schweizerischem Gebiet begangene Nötigung und Bedrohung der Besatzung zum Flug nach Zerqa unterständen gemäss Art. 98 Abs. 1 des Luftfahrtgesetzes der Bundesgerichtsbarkeit. Eine Delegation im Sinne von
Art. 18 BStP
zur Verfolgung dieser Straftaten an den Kanton Zürich sei nicht erfolgt. Die zürcherischen Behörden seien daher nicht zuständig, diese strafbaren Handlungen zu verfolgen. Zur Verfolgung der Festnahme, Gefangenhaltung und grausamen Behandlung wäre gemäss
Art. 5 Abs. 1 StGB
schweizerische Gerichtsbarkeit insoweit gegeben, als die Geschädigten Schweizer waren, und zuständig wären nach
Art. 348 Abs. 1 StGB
die Behörden des Ortes, "wo der Täter betreten wurde". Da indessen noch keiner der Täter im Kanton Zürich "betreten" worden sei, fehle es mithin an der Zuständigkeit dieses Kantons zur Verfolgung der Freiheitsberaubung und der weiteren den Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen. Ob unter diesen Umständen überhaupt schweizerischerseits ein
BGE 99 Ia 104 S. 106
Auslieferungsbegehren gestellt werden könnte, möge daher offen bleiben. Die Annahme, Beamte oder Angestellte der Swissair könnten eventualvorsätzlich als Gehilfen Habbashs tätig gewesen sein, sei so absurd, dass sich weitere Untersuchungshandlungen in dieser Richtung erübrigten.
B.-
Gegen die erwähnte Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 23. März 1972 erhoben die Anzeiger Rekurs bei der zürcherischen Direktion der Justiz. Diese wies die Beschwerde jedoch am 13. November 1972 ab, soweit sie darauf eintrat.
C.-
Die Eheleute X. führen staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(Willkür) mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid der zürcherischen Justizdirektion vom 13. November 1972 aufzuheben. Zur Begründung machen sie im wesentlichen geltend, die Zuständigkeit des Kantons Zürich sei insbesondere gemäss
Art. 346 StGB
für die Delikte des Raubes, der Nötigung und der Sachbeschädigung im Sinne von
Art. 145 Abs. 2 StGB
gegeben, weil in diesen Fällen jedenfalls der Erfolg im Kanton Zürich eingetreten sei. Dies ergebe sich daraus, dass von den Entführern ein grosser Geldbetrag zum Nachteil der im Kanton Zürich domizilierten Swissair bzw. einer Grossbank bzw. einer Versicherungsgesellschaft geraubt worden sei, dass die zürcherischen Behörden genötigt worden seien, die im Kanton Zürich inhaftierten Attentäter freizulassen und die Entführer durch Sprengung der Swissair-Maschine eine Sachbeschädigung zum Nachteil der Swissair bzw. der Versicherungsgesellschaften begangen hätten, die im Kanton Zürich domiziliert seien.
D.-
Die Eheleute X. sowie die vier übrigen Anzeiger haben gegen den angefochtenen Entscheid ausserdem eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gemäss
Art. 268 BStP
erhoben. Mit Urteil vom 22. Dezember 1972 trat der Kassationshof des Bundesgerichts jedoch mangels Legitimation nicht darauf ein, im wesentlichen mit der Begründung, den Beschwerdeführern komme nicht die Eigenschaft von Antragstellern im Sinne von
Art. 270 Abs. 1 BStP
zu und sie könnten auch nicht als Privatstrafkläger im Sinne von
Art. 270 Abs. 3 BStP
angesehen werden, da sie nicht ohne Mitwirkung der öffentlichen Anklage über die in Frage stehende Strafklage verfügen könnten.
E.-
Am 2./4. Januar 1973 gelangten die Beschwerdeführer sodann an die Anklagekammer des Bundesgerichts mit dem
BGE 99 Ia 104 S. 107
Antrag, die Strafverfolgungsbehörden für berechtigt und verpflichtet zu erklären, für die erwähnten Straftaten eine Strafuntersuchung durchzuführen. Mit Urteil vom 25. Januar 1973 (erscheint im ersten Heft des Jahrgangs 99, IV. Teil) trat die Anklagekammer auf das Gesuch nicht ein.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde steht den Bürgern (Privaten) hinsichtlich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben (
Art. 88 OG
). Zur staatsrechtlichen Beschwerde ist demnach nur legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt ist.
Nachdem das Bundesgericht während Jahrzehnten auf staatsrechtliche Beschwerde eingetreten war, die der Geschädigte gegen die Nichteröffnung oder Einstellung eines Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil erhoben hatte, änderte es im Jahre 1943 seine Rechtsprechung und sprach dem Geschädigten die Legitimation zu solchen Beschwerden ab, ohne Rücksicht auf die Stellung, die ihm das kantonale Recht im Strafverfahren einräumte (
BGE 69 I 18
ff.). Im wesentlichen ist es bis heute bei dieser Rechtsprechung geblieben, und es ist auch weiterhin daran festzuhalten. Wie im Entscheid
BGE 96 I 600
ausgeführt wurde, steht der Strafanspruch ausschliesslich dem Staate zu. Das Interesse des Geschädigten, im Hinblick auf das ihm die Kantone einen mehr oder weniger weitgehenden Einfluss auf den Gang des Strafverfahrens einräumen, erscheint als bloss mittelbares. Die Durchführung des Strafverfahrens bis zur gerichtlichen Beurteilung erleichtert ihm vor allem die Verfolgung seiner privatrechtlichen Ansprüche gegen den Angeschuldigten, indem er entweder diese im Strafverfahren adhäsionsweise geltend machen oder aber sich in einem selbständigen Zivilprozess auf das Beweisergebnis der Strafuntersuchung berufen kann. Bei diesem Interesse des Geschädigten an der Erleichterung der Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche wie auch bei seinem Interesse an einer gerechten Bestrafung des Täters handelt es sich um bloss tatsächliche Interessen, nicht um rechtlich erhebliche Interessen oder "Rechte", zu deren Wahrung die
BGE 99 Ia 104 S. 108
staatsrechtliche Beschwerde nach Massgabe von
Art. 88 OG
allein offen steht (
BGE 96 I 600
mit Verweisungen).
Das bedeutet indessen nicht, dass der an einem Strafverfahren beteiligte Geschädigte überhaupt schutzlos bleibt. Wie das Bundesgericht im Entscheid
BGE 94 I 554
f. erkannt und seither wiederholt bestätigt hat, ist der Geschädigte unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung solcher Rechte zu rügen, die ihm das kantonale Recht wegen seiner Stellung als am Strafverfahren beteiligte Partei einräumt und deren Missachtung einer formellen Rechtsverweigerung gleich oder nahe kommt. Wer beispielsweise nach dem kantonalen Recht befugt ist, als Geschädigter oder Anzeiger in einem Strafprozess Beweisanträge zu stellen, kann daher mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, man habe ihm in Missachtung der entsprechenden kantonalen Vorschriften keine Gelegenheit zur Stellung solcher Anträge gegeben, nicht dagegen, sie seien zu Unrecht wegen Unerheblichkeit oder aufgrund antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen worden, und noch weniger, das Ergebnis der abgenommenen Beweise sei willkürlich gewürdigt worden (vgl.
BGE 94 I 555
/6).
Richtig ist freilich, dass das Bundesgericht in zwei neuesten Urteilen (
BGE 97 I 109
ff. und 772 ff.) erkannt hat, es komme einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleich oder nahe, wenn eine Strafklage aus einer Erwägung, die ganz klar und offensichtlich der Strafprozessordnung oder dem materiellen Strafrecht widerspricht, von der Hand gewiesen werde. Mit Rücksicht darauf führte das Bundesgericht aus, der an einem Strafverfahren beteiligte Geschädigte sei berechtigt, sich wegen einer Verletzung seines verfassungsmässigen Anspruchs auf rechtliches Gehör zu beschweren, wenn dem Verfahren wegen Fehlens eines hinreichenden Verdachts oder eines gültigen Strafantrags keine Folge gegeben worden sei. Diese Erweiterung der Beschwerdelegitimation des Geschädigten erweist sich jedoch bei näherer Prüfung als sachlich unbegründet. Kommt dem Anzeiger bzw. Geschädigten nach dem kantonalen Recht die Stellung einer am Strafverfahren beteiligten "Partei" zu, so hat er - wie oben ausgeführt - von Verfassungs wegen einen Anspruch darauf, dass seine Anzeige im gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren und unter Wahrung des rechtlichen Gehörs
BGE 99 Ia 104 S. 109
geprüft wird. Geschieht dies, so ist seinen prozessualen Rechten Genüge getan. Ob es die kantonale Behörde im konkreten Fall mit haltbaren Gründen abgelehnt hat, ein Strafverfahren zu eröffnen oder weiterzuführen, kann das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin nicht überprüfen. Denn würde es dies tun, so vermöchte sich der Anzeiger oder Geschädigte auf dem Umweg über die Behauptung einer angeblichen Gehörsverweigerung die Beschwerdelegitimation in der Sache selbst zu verschaffen. Wie oben ausgeführt, steht ihm diese jedoch nicht zu. Der Anzeiger oder Geschädigte kann sich mit staatsrechtlicher Beschwerde vielmehr nur wegen einer formellen Rechtsverweigerung, d.h. wegen einer Verletzung von prozessualen Vorschriften beschweren, die ihm bestimmte "Parteirechte" einräumen (
BGE 96 I 599
ff.). Er vermag demnach nur ganz bestimmte Verfahrensmängel zu rügen (
BGE 94 I 554
ff.), nicht aber geltend zu machen, die Begründung eines im vorgeschriebenen Verfahren zustandegekommenen Entscheids über die Nichtanhandnahme einer Strafanzeige oder über die Einstellung eines Strafverfahrens verstosse gegen
Art. 4 BV
. Soweit in den erwähnten Entscheiden
BGE 97 I 109
ff. und 772 ff. etwas anderes ausgeführt wurde, kann daran nicht festgehalten werden.
2.
Die Beschwerdeführer rügen keine Verletzung der ihnen nach den kantonalen Prozessvorschriften zustehenden Parteirechte, sondern machen geltend, die Nichteröffnung eines Strafverfahrens gegen Dr. Habbash und Konsorten verstosse klarerweise gegen Vorschriften des Strafgesetzbuches, weshalb der angefochtene Entscheid willkürlich sei. Zu diesem Vorwurf sind sie nach dem Gesagten nicht legitimiert. Auf die Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d57a996e-293d-4794-bebd-ec96a1936fe6 | Urteilskopf
97 I 450
60. Urteil vom 9. Juli 1971 i.S. X. AG gegen Eidg. Steuerverwaltung. | Regeste
Emissionsabgabe, Couponabgabe und Verrechnungssteuer.
Bei mittelfristigen Darlehen sind - unabhängig davon, ob es sich um Amortisationsdarlehen oder um getrennte Darlehen mit unterschiedlichen Laufzeiten handelt - nur jene Kapitalbeträge der Abgabe zu unterwerfen, deren Laufzeit die gesetzliche Mindestdauer von zwei Jahren übersteigt (
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
). | Sachverhalt
ab Seite 450
BGE 97 I 450 S. 450
A.-
Am 3. Juli 1966 offerierte eine Investment-Gesellschaft aus Kuwait der Beschwerdeführerin aufgrund eines Kreditgesuches in der Höhe von US $2'000,000 auf den 8. Juli 1966 500'000 Dollar für jede der folgenden Perioden von 12, 18, 24 und 30 Monaten zu einem Zins von 7,5%, 7'625%, 7,75% und 7'875% p.a. netto gegen unbedingte Garantieerklärung der Muttergesellschaft der X. AG in Deutschland. Die Beschwerdeführerin nahm die Offerte an; die Garantieerklärung wurde abgegeben.
In der Folge unterwarf die Eidg. Steuerverwaltung US $2'000,000 als langfristiges Darlehen im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
und die Zinsen gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. d CG und Art. 4 Abs. 1 lit. a VStB der Besteuerung. Die Beschwerdeführerin bestritt die Abgabepflicht vorerst mit dem Einwand, es handle sich bei den US $2'000,000 um ein jederzeit rückforderbares Darlehen; im Einspracheverfahren liess sie diese Einrede fallen, brachte dagegen vor, es lägen vier verschiedene Darlehen von je US $500'000 vor, wovon lediglich eines eine Laufzeit von
BGE 97 I 450 S. 451
mehr als zwei Jahren aufweise und demnach der Besteuerung unterworfen werden dürfe.
B.-
Die Eidg. Steuerverwaltung wies die Einsprache am 30. Dezember 1970 ab. Sie hielt in der Begründung daran fest, dass der dem Darlehensvertrag zugrunde liegende und daher allein massgebliche Parteiwille auf ein Darlehen (ein sogenanntes Amortisationsdarlehen) gerichtet gewesen sei. Die Emissionsabgabe sei daher, unabhängig von der Laufzeit der einzelnen Amortisationsbeträge, auf dem vollen Darlehensbetrag zu entrichten; analog unterlägen sämtliche bis Ende 1966 verfallenen Darlehenszinse der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer. Dagegen sei die Emissionsabgabe gemäss
Art. 14 Abs. 2 und 3 StV
im einzelnen nach der Anlagedauer der Kapitalbeträge zu berechnen.
C.-
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin verlangt die Feststellung, dass lediglich dasjenige Darlehen von US $500'000 der Besteuerung unterworfen werden könne, dessen Rückzahlung auf den 7. Januar 1969 vereinbart worden sei.
Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist unbestritten. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtes ergibt sich aus
Art. 8 Abs. 5 StG
in Verbindung mit
Art. 98 lit. c OG
; die Legitimation der Beschwerdeführerin ist nach
Art. 103 lit. a OG
gegeben; die Beschwerde ist rechtzeitig (
Art. 106 OG
) und den formellen Anforderungen des Gesetzes entsprechend (
Art. 108 OG
) eingereicht worden. Es ist somit darauf einzutreten.
2.
Nach
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
(in der hier massgeblichen Fassung vom 22. Dezember 1927) sind den Obligationen gleichgestellt - und unterliegen bei der Ausgabe der für Obligationen vorgesehenen Abgabe - Urkunden zum Nachweis oder zur Gutschrift von Darlehensguthaben im Betrage von mehr als Fr. 30'000.-- (seit dem Inkrafttreten des VStG Fr. 50'000.--),
"sofern die vertraglichen Bestimmungen dem Darlehen eine Mindestdauer von mehr als zwei Jahren gewährleisten und sofern mindestens eine der Parteien im Handelsregister eingetragen ist oder, ohne im Handelsregister eingetragen zu sein, ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt; mehrere einem Gläubiger gegen
BGE 97 I 450 S. 452
denselben Schuldner zustehende, auf länger als zwei Jahre gewährte Darlehen sind zusammenzuzählen".
Die Steuerbarkeit eines Darlehens hängt mithin u.a. von seiner vertraglichen Mindestlaufzeit ab. Massgebend für die Bestimmung der Laufzeit ist der der Darlehensvereinbarung zugrunde liegende Parteiwille.
3.
Im vorliegenden Fall wird darüber gestritten, ob die zwischen den Vertragsparteien bei Abschluss des Darlehensgeschäftes getroffene Vereinbarung auf die Gewährung eines einheitlichen Darlehens von US $2'000,000 oder von vier getrennten Darlehen von je US $500'000 mit unterschiedlicher Laufzeit gerichtet war. Vorinstanz und Beschwerdeführer sind bestrebt, dies durch Ergründung des Parteiwillens abzuklären.
Es bestehen Anzeichen sowohl für das Vorliegen eines einzigen wie von vier getrennten Darlehen. Die Akten erhellen indes deutlich - und die Beschwerdeführerin gibt dies schliesslich in ihrer Beschwerdeschrift auch zu - dass die Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Frage, ob formell ein einziges Darlehen von US $2'000,000 oder vier Einzeldarlehen von je US $500'000 vereinbart werden sollten, keine Bedeutung zugemessen haben. Unter diesen Umständen erscheint es verfehlt, der ursprünglichen Parteivereinbarung nachträglich einen Parteiwillen unterlegen zu wollen, der offenbar bei Vertragsabschluss gar nicht bestand. Der Frage nachzugehen, ob man ein einziges oder mehrere Darlehen vereinbart habe, erübrigt sich zudem, da ihr - wie die nachfolgenden Erwägungen ergeben - für die Entscheidung des vorliegenden Streites keine wesentliche Bedeutung zukommt.
4.
a) Dem Wortlaut des
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
gemäss ist für die Abgabepflicht nicht die tatsächliche Laufzeit, sondern die vertragliche Dauer des einzelnen Darlehensschuldverhältnisses entscheidend. Übersteigt diese zwei Jahre und sind die übrigen Voraussetzungen der Abgabepflicht erfüllt, ist das Darlehen zur Besteuerung heranzuziehen. Die Vorinstanz nimmt an, ein die Mindestdauer von 2 Jahren übersteigendes Darlehensschuldverhältnis liege vor, wenn vor Ablauf von zwei Jahren die gänzliche Rückzahlung nicht gefordert werden kann.
Rückzahlungsraten eines auf länger als zwei Jahre gewährten Amortisationsdarlehens, die in den ersten zwei Jahren fällig werden, sind ihrer Ansicht nach von der Abgabepflicht nicht ausgenommen.
BGE 97 I 450 S. 453
Eine derartige Auslegung liesse sich allenfalls bei isolierter Betrachtung der Bestimmung über die Mindestdauer bezüglich eines langfristigen, anleihensähnlichen Darlehens rechtfertigen, dessen Rückzahlungsraten während der ersten zwei Jahre des Darlehensschuldverhältnisses gemessen am Gesamtbetrag des Darlehens quantitativ nicht ins Gewicht fallen. Stellt man jedoch die auszulegende Regel über die Mindestdauer in den gesamten Zusammenhang des Art. 11 Abs. 1 lit. c, drängt sich bezüglich der mittelfristigen Darlehen, die nicht anleihensähnliche Geschäfte darstellen, sondern der Überbrückung eines vorübergehenden Kreditbedürfnisses dienen, ein anderes Ergebnis auf.
b) Nach dem Wortlaut des
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
sind mehrere einem Gläubiger gegen denselben Schuldner zustehende, auf länger als zwei Jahre gewährte Darlehen zusammenzuzählen. Nicht notwendig ist dabei, dass die verschiedenen Darlehen gleichzeitig abgeschlossen wurden und dass sie auf den nämlichen Zeitpunkt rückzahlbar sind; zusammenzuzählen sind alle Beträge der im Zeitpunkt des Abgabeverfalls zwischen denselben Parteien bestehenden Darlehen, vorausgesetzt, dass die Mindestdauer der Laufzeit durchweg zwei Jahre übersteigt (AMSTUTZ/WYSS, Kommentar zum StG, N. 10 zu Art. 1 l'S. 44).
Damit hat der Gesetzgeber für die Bestimmung der Abgabepflicht bei einer Mehrheit von Darlehen eines Gläubigers gegen denselben Schuldner ausdrücklich die Berücksichtigung der Laufzeit der einzelnen Darlehen verlangt. Es ist nun nicht einzusehen, weshalb dies dann unzulässig sein sollte, wenn die einzelnen Darlehensbeträge Teile eines Amortisationsdarlehens bilden. Die Regelung des Art. 11 Abs. 1 lit. c bezweckt keine Bevorzugung jener Personen, die in Kenntnis der abgaberechtlichen Auswirkungen eines Darlehensgeschäftes statt eines Amortisationsdarlehens mit Rückzahlungsraten in den ersten zwei Jahren des Darlehensschuldverhältnisses mehrere Einzeldarlehen mit zum Teil unter, zum Teil über zwei Jahren liegenden Laufzeiten vereinbaren. Die Einführung dieser Bestimmung in das StG im Jahre 1927 verfolgte den Zweck, durch Besteuerung der langfristigen Darlehen der bei der damaligen Rechtslage möglichen Umgehung der Stempelabgabe einen Riegel zu schieben (Botschaft des Bundesrates vom 28. Mai 1926 über die Abänderung des StG und des CG, BBl 1926 I 742; Sten Bull 1927, NR S. 826 f., StR S. 219). Die Umgehungsmöglichkeit bestand darin,
BGE 97 I 450 S. 454
dass normalerweise in Obligationen angelegte und daher der Emissionsabgabe unterworfene Beträge auf lange Frist gegen gewöhnliche Schuldscheine "angeliehen" wurden. Nicht beabsichtigt war dagegen, mit der Erfassung der langfristigen Darlehen auch den normalen Handelsverkehr durch die Abgabe zu treffen. Jene Darlehensformen, die nicht Anleihen ersetzen, sollten auch nicht zur Steuerentrichtung herangezogen werden (Sten Bull 1927, NR S. 826, StR S. 219).
c) Daraus erhellt, dass nach
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
bei mittelfristigen Darlehen - unabhängig davon, ob es sich um Amortisationsdarlehen oder um getrennte Darlehen mit unterschiedlichen Laufzeiten handelt - nur jene Kapitalbeträge der Abgabe zu unterwerfen sind, deren Laufzeit die gesetzliche Mindestdauer von zwei Jahren übersteigt. Einzig diese Auslegung wird dem mit der Bestimmung des
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
angestrebten Zweck - Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten - gerecht.
5.
Der Darlehensvertrag ist nach der Regelung im Obligationenrecht (Art. 312-318) von Gesetzes wegen an keine besondere Form gebunden; eine solche wurde im vorliegenden Fall von den Parteien nicht vorbehalten; der Vertrag kam durch Annahme der Offerte des Kreditgebers seitens der Beschwerdeführerin zustande. Die Offerte enthielt die nach
Art. 11 Abs. 1 lit. c StG
massgeblichen vertraglichen Bestimmungen über die Dauer der einzelnen Darlehensbeträge. Von diesen Beträgen überstieg nur jener, dessen Rückzahlung auf den 7. Januar 1969 vereinbart worden war, mit seiner Laufzeit von 30 Monaten die für die Abgabepflicht erhebliche Mindestdauer von zwei Jahren. Nur er ist daher - und weil für ihn unbestrittenermassen auch die übrigen Voraussetzungen der Abgabepflicht erfüllt sind - zur Besteuerung heranzuziehen.
Dass er vor Ablauf des in der ursprünglichen Vereinbarung festgesetzten Rückzahlungstermins zurückerstattet wurde, vermag an der Abgabepflicht nichts zu ändern, da - wie vorne dargelegt wurde - die ursprünglich vereinbarte Dauer des Darlehensschuldverhältnisses und nicht die tatsächliche bzw. nachträglich vereinbarte die Abgabepflicht bestimmt. Die vorzeitige Rückzahlung lässt jedoch darauf schliessen, dass der Parteiwille nicht auf den Abschluss eines langfristigen, anleihensähnlichen Darlehensgeschäftes gerichtet war, sondern auf die Vereinbarung eines kurz- bis mittelfristigen Überbrückungskredites.
BGE 97 I 450 S. 455
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass die Emissionsabgabe, die Couponabgabe und die Verrechnungssteuer nur soweit zu bezahlen sind, als sie sich auf den Darlehensbetrag von 500'000 Dollar beziehen, dessen Rückzahlung auf den 7. Januar 1969 vereinbart wurde. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d57c4266-7cbc-4a7f-b644-26ab0c80fed4 | Urteilskopf
82 II 94
14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. April 1956 i.S. Ryffel gegen Bosshard und Ringier. | Regeste
Mitarbeit der Ehefrau in der Arztpraxis des Mannes. Lohnanspruch? (
Art. 320 Abs. 2 OR
,
Art. 161 ZGB
).
Eheliches Güterrecht. Ist im Falle der Auflösung der Ehe durch den Tod des Ehemannes bei der Ermittlung des Vorschlags im Sinne von
Art. 214 ZGB
der Rückkaufswert von Lebensversicherungen in Rechnung zu stellen,
a) wenn der Ehemann sie auf sein Leben abgeschlossen und die Ehefrau als Begünstigte bezeichnet hat? (
Art. 78 VVG
),
b) wenn die Ehefrau Versicherungsnehmerin ist, die Prämien aber vom Ehemann bezahlt worden sind?
Nutzniessung des überlebenden Ehegatten. Dieser hat den Miterben, vom Falle der Wiederverheiratung abgesehen, nur bei Gefährdung ihres Eigentums Sicherstellung zu leisten, auch wenn die Nutzniessung verbrauchbare Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat (Art. 464, 760 Abs. 2, 761 Abs. 2 ZGB). | Sachverhalt
ab Seite 95
BGE 82 II 94 S. 95
Aus dem Tatbestand:
Im Erbteilungsprozess zwischen der Witwe und den Schwestern des am 17. März 1950 kinderlos gestorbenen Arztes Dr. Ryffel erhob die Witwe, die als Laborantin ausgebildet ist und seit dem Jahre 1936 in der Praxis des Erblassers mitgearbeitet hatte, Anspruch auf eine Entschädigung hiefür. Die Schwestern des Erblassers verlangten ihrerseits, dass bei der Ermittlung des Vorschlags im Sinne von
Art. 214 ZGB
die Rückkaufswerte der von den Eheleuten Ryffel abgeschlossenen Lebensversicherungen in Rechnung zu stellen seien und dass die Witwe zu verpflichten sei, ihnen für den Teil der Erbschaft, den sie gemäss
Art. 462 Abs. 2 ZGB
zur Nutzniessung erhalte, Sicherheit zu leisten. In Übereinstimmung mit dem Obergerichte des Kantons Zürich weist das Bundesgericht alle diese Begehren ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
... Der Anspruch der Klägerin auf eine Arbeitsentschädigung setzt das Bestehen eines Dienstvertrags voraus. Das Gesetz hat zugunsten der Ehefrau keine dem
Art. 633 ZGB
entsprechende Bestimmung aufgestellt.
Eine ausdrückliche (mündliche oder schriftliche) Abmachung, durch die sich die Klägerin zur Leistung von Diensten auf bestimmte oder unbestimmte Zeit und der Erblasser zur Entrichtung eines Lohns verpflichtet hätte, ist nach dem angefochtenen Urteil nicht dargetan. Die Vorinstanz sagt nicht nur, eine solche Vereinbarung sei nicht behauptet worden, sondern schliesst aus Indizien, dass eine solche Vereinbarung nicht geschlossen worden sei. Darin liegt eine tatsächliche Feststellung, die gemäss
BGE 82 II 94 S. 96
Art. 63 Abs. 2 OG
für das Bundesgericht verbindlich ist. Der Lohnanspruch der Klägerin könnte also nur dann geschützt werden, wenn
Art. 320 Abs. 2 OR
anwendbar wäre, wonach ein Dienstvertrag auch dann als vereinbart gilt, wenn Dienste auf Zeit entgegengenommen werden, deren Leistung nach den Umständen nur gegen Lohn zu erwarten ist. Diese letzte Voraussetzung ist, wie die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 74 II 208
,
BGE 79 II 168
) angenommen hat, mit Bezug auf die von der Klägerin geleistete Arbeit nicht erfüllt. Wenn die Klägerin, wie sie behauptet, ihrem Mann in ganz aussergewöhnlichem Masse beim Aufbau und bei der Führung seiner Praxis half und ihm jahrelang eine gutbezahlte Laborantin-Arztgehilfin ersetzte, so hat sie diese anerkennenswerte Mitarbeit nicht als Angestellte, sondern als Ehefrau geleistet, und zwar auch insoweit, als ihre Tätigkeit über den Rahmen ihrer Beistandspflicht gemäss
Art. 161 Abs. 2 ZGB
hinausging. Eine derartige Mithilfe, wie sie gerade bei Arztfrauen, namentlich auf dem Lande, nicht selten vorkommt, wird üblicherweise nicht gegen Lohn geleistet, sondern es handelt sich dabei um einen wenn auch aussergewöhnlichen Beitrag der Ehefrau an die Existenz der Familie, zu der in solchen Fällen aber immerhin doch der Ehemann den Hauptteil beisteuert. Abgesehen davon, dass die Ehefrau bei so intensiver beruflicher Mitarbeit von ihrer Pflicht zur Führung des Haushalts weitgehend entlastet wird, kommt sie dadurch in den Genuss der Früchte ihrer Tätigkeit, dass die Lebenshaltung der Familie sich hebt und das eheliche Vermögen einen Zuwachs erfährt, an dem sie unter dem gesetzlichen Güterstand im Falle der Auflösung der Ehe beteiligt ist. Der Ehefrau schon deswegen, weil sie dem Manne aus freien Stücken mehr als durch ihre Beistandspflicht geboten in seinem Berufe hilft, auf Grund von
Art. 320 Abs. 2 OR
einen Lohnanspruch zu geben, entspräche einer kommerziellen Betrachtungsweise, die bei der Würdigung des persönlichen Einsatzes der Ehegatten für die Familie nicht
BGE 82 II 94 S. 97
am Platze ist. Um die Annahme zu rechtfertigen, dass die berufliche Mithilfe der Ehefrau nur gegen Lohn zu erwarten sei, müssten ganz besondere Umstände vorliegen. Es liesse sich sich z.B. an den Fall denken, dass eine Ehefrau, die eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, um Verwandte unterstützen zu können, diese Tätigkeit trotz fortdauernder Unterstützungspflicht aufgibt, um eine Angestellte ihres Ehemanns zu ersetzen. (In einem solchen Falle würde dann aber natürlich der Lohn nicht jahrelang gestundet, sondern fortlaufend bezogen.) Besondere Verhältnisse dieser oder ähnlicher Art waren bei der Klägerin nicht gegeben. Wenn der Erblasser die Errichtung eines Testamentes versäumte, weil er glaubte, dass seine Ehefrau, von einem allfälligen Pflichtteil der Verwandten abgesehen, ohnehin das ganze Erbe erhalte, und wenn er einige Zeit vor seinem Tode (namentlich im Hinblick auf die AHV) die Einrichtung eines "Lohnkontos" für seine Ehefrau in Aussicht nahm (aber nicht durchführte), so lässt sich daraus nicht schliessen, dass die seit dem Jahre 1936 geleisteten Dienste nur gegen Lohn zu erwarten gewesen seien. Die Klägerin hat denn auch selber nicht behauptet, dass sie in dieser langen Zeit jemals von ihrem Manne einen Lohn verlangt habe. Die Vorinstanz hat also ihre Lohnforderung für die Zeit von 1936 bis zum Tode des Erblassers mit Recht abgewiesen. In der Zeit zwischen dem Tode des Erblassers und der Übergabe der Praxis an Dr. T., für welche die Vorinstanz ihr eine Entschädigung zugesprochen hat, lagen ganz andere Verhältnisse vor. Hier war sie nicht mehr die Gehilfin ihres Ehemanns, sondern leistete ihre Arbeit in der von Dr. H. weitergeführten Praxis im Interesse der Erbengemeinschaft. Dass sie dies unentgeltlich tue, war nicht zu erwarten.
4.
Bei Prüfung der Frage, ob die Rückkaufswerte der Lebensversicherungen für die Berechnung des Vorschlags im Sinne des
Art. 214 ZGB
von Bedeutung seien, sind die vom Erblasser und die von der Klägerin abgeschlossenen Verträge auseinanderzuhalten.
BGE 82 II 94 S. 98
a) Bei den Lebensversicherungen, die der Erblasser als Versicherungsnehmer abgeschlossen hat, ist die Klägerin durch Verfügung unter Lebenden als Begünstigte bezeichnet worden. Dadurch hat die Klägerin gemäss
Art. 78 VVG
ein eigenes Recht auf die mit dem Tode des Erblassers fällig gewordenen Versicherungssummen erlangt. Diese Summen gehören also, wie beide kantonalen Gerichte zutreffend angenommen haben, nicht zum Nachlass des Erblassers, auch nicht etwa bis zur Höhe des Rückkaufswerts. Solche Versicherungsansprüche sind erbrechtlich nur insofern von Bedeutung, als ihr Rückkaufswert im Zeitpunkte des Todes des Erblassers gemäss
Art. 476 ZGB
für die Berechnung des verfügbaren Teils (vgl. die Randnote zu Art. 474-476) zu dessen Vermögen gerechnet wird und als sie gemäss
Art. 529 ZGB
mit ihrem Rückkaufswert der Herabsetzung unterliegen, wenn der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten hat und die Herabsetzung der Verfügungen von Todes wegen und der später erfolgten Zuwendungen unter Lebenden zur Herstellung des Pflichtteils der die Herabsetzung verlangenden Erben nicht genügt (vgl.
Art. 532 ZGB
). Diese Bestimmungen spielen im vorliegenden Falle keine Rolle, weil die Beklagten mit Recht nicht geltend machen, dass der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten habe.
Gehören die Ansprüche aus den vom Erblasser zugunsten der Klägerin abgeschlossenen Versicherungen weder ganz noch auch nur teilweise zu dem der Teilung unterliegenden Nachlass, so müssen sie auch bei der Vorschlagsberechnung ausser Betracht bleiben. Die gegenteilige Annahme hätte zur Folge, dass ein Teil der Versicherungssummen oder wenigstens des Rückkaufswertes, nämlich die dem Vorschlagsanteil des verstorbenen Versicherungsnehmers bezw. seiner Erben entsprechende Quote, in den zu teilenden Nachlass fiele. Dies will das Gesetz eben gerade verhüten. Es gewährt den Erben gegenüber dem Begünstigten keinen andern Anspruch als das Recht, die Herabsetzung nach
Art. 529 ZGB
zu verlangen, falls sie durch die Begünstigung in ihrem Pflichtteil verletzt worden sind.
BGE 82 II 94 S. 99
In diesem Punkte ist die Anschlussberufung also unbegründet.
b) Hinsichtlich der beiden Versicherungen, die auf die Klägerin als Versicherungsnehmerin lauten und wie die beiden andern während der Ehe abgeschlossen wurden, stellt die Vorinstanz in Übereinstimmung mit dem Bezirksgerichte fest, der Erblasser habe auch dafür die Prämien bezahlt. Ihre weitern Ausführungen befassen sich im wesentlichen nur mit den Versicherungen, die der Erblasser zugunsten der Klägerin eingegangen war. Für ihre Annahme, dass auch die von der Klägerin abgeschlossenen Versicherungen bei der Berechnung des Vorschlags ausser Betracht zu lassen seien, gibt sie keine nähere Begründung.
Werden unter dem ordentlichen Güterstand die Prämien für eine von der Ehefrau während der Ehe abgeschlossene Lebensversicherung vom Manne bezahlt, sei es aus seinem Erwerbseinkommen oder aus seinem Vermögen oder dessen Ertrag oder auch aus den Einkünften des Frauengutes, die gemäss
Art. 195 Abs. 3 ZGB
ihm zukommen (vgl.
BGE 81 II 92
), so gehören die während der Ehe daraus entstehenden Ansprüche nach einhelliger Auffassung der Lehre nicht zum eingebrachten Frauengut im Sinne von
Art. 195 Abs. 1 ZGB
, sondern zu dem Teil des ehelichen Vermögens, der nach
Art. 195 Abs. 2 ZGB
im Eigentum des Mannes steht, und sind demgemäss bei der Vorschlagsberechnung, wenn die güterrechtliche Auseinandersetzung wie hier infolge Todes des Mannes vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfolgen hat, mit ihrem Rückkaufswert in Rechnung zu stellen (KULLMANN, Die Lebensversicherung im ehelichen Güterrecht, 1919, S. 62 ff., 76 ff.; GMÜR, 2. Aufl. 1923, N. 8 e zu
Art. 195 ZGB
; GUHL, ZSR 1931 S. 19, 28 ff.; EGGER, 2. Aufl. 1936, N. 12 zu Art. 195 und N. 7 zu
Art. 214 ZGB
; HELFENSTEIN, Die Stellung der Ehefrau im Lebensversicherungsvertrag, 1942, S. 20/21). Zur Begründung wird ausgeführt, eingebrachtes Frauengut sei gemäss
Art. 195 Abs. 1 ZGB
nur, was vom ehelichen Vermögen zur Zeit der Eheschliessung der Ehefrau gehört oder ihr während der Ehe infolge von Erbgang oder auf andere
BGE 82 II 94 S. 100
Weise unentgeltlich zufällt; das treffe für den Vermögenswert von Versicherungen der in Frage stehenden Art nicht zu, weil er die Frucht der Prämienzahlung sei; diese gehöre nicht zu den gemäss
Art. 200 Abs. 2 ZGB
vom Manne zu tragenden Kosten der Verwaltung des ehelichen Vermögens, weil sie nicht der Erhaltung, sondern der Schaffung von Vermögenswerten diene; der durch das Zutun des Mannes entstandene Wert falle gemäss
Art. 195 Abs. 2 ZGB
in dessen Eigentum (KULLMANN S. 62/63; EGGER N. 12 zu Art. 195; HELFENSTEIN S. 20/21). Diese Auffassung mag für den Regelfall im Ergebnis richtig sein. Wenn der Ehemann aus seinen Mitteln die Prämien der Lebensversicherung der Ehefrau zahlt, die in der Tat nicht zu den von ihm zu tragenden Verwaltungskosten gerechnet werden können, so wird er damit in der Regel nicht der Ehefrau eine unentgeltliche Zuwendung machen, sondern einfach dafür sorgen wollen, dass die - im Interesse der Familie liegende - Versicherung bestehen bleibt. Der dadurch geschaffene Vermögenswert kann daher, obwohl die Versicherung auf den Namen der Frau lautet, kaum als Frauengut im Sinne von
Art. 195 Abs. 1 ZGB
gelten, das bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung vorweg auszuscheiden ist, sondern muss wohl ähnlich wie der Wert einer Liegenschaft, die während der Ehe weder zum Ersatz eingebrachten Frauenguts (vgl.
Art. 196 Abs. 2 ZGB
undBGE 75 II 276/77) noch als Sondergut auf den Namen Frau gekauft wurde (vgl.
BGE 74 II 145
ff.), bei Ermittlung des Vorschlags in Rechnung gestellt werden. Wie es sich damit verhalte, braucht jedoch im vorliegenden Falle nicht abschliessend beurteilt zu werden. Auch wenn man nämlich davon ausgeht, dass der Rückkaufswert einer vom Manne finanzierten Versicherung auf den Namen der Frau beim Tode des Mannes in der Regel in die Vorschlagsberechnung einzubeziehen sei, muss doch auf jeden Fall dann anders entschieden werden, wenn der Mann die Prämien bezahlt hat, um der Frau eine unentgeltliche Zuwendung zu machen (was ohne weiteres zulässig ist).
BGE 82 II 94 S. 101
Trifft dies zu, so fällt der Vermögenswert der Versicherung, obschon er die Frucht einer Prämienzahlung ist, der Ehefrau unentgeltlich (ohne Leistung eines Entgelts durch sie) zu und stellt daher gemäss
Art. 195 Abs. 1 ZGB
eingebrachtes Gut dar. Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun. Wenn einerseits anzunehmen ist, dass die Klägerin ihre ungewöhnlich intensive Mitarbeit in der Praxis des Erblassers unentgeltlich geleistet habe, so darf auf der andern Seite auch angenommen werden, dass der Erblasser die Prämien für die Lebensversicherungen seiner Frau (deren Rückkaufswerte zur Zeit seines Todes übrigens erst Fr. 2677.35 ausmachten) nicht bloss zwecks Äufnung des Familienvermögens, sondern in der Absicht bezahlt habe, ihr seinerseits unentgeltlich einen Vermögensvorteil zuzuwenden. Aus diesem Grunde ist der angefochtene Entscheid auch mit Bezug auf die Policen der Klägerin zu bestätigen.
5.
Gemäss
Art. 464 ZGB
, der sich nach dem Zusammenhang auf den Fall der Nutzniessung im Sinne von
Art. 462 ZGB
bezieht, hat der überlebende Ehegatte den Miterben bei Wiederverheiratung sowie bei Gefährdung ihres Eigentums auf ihr Begehren Sicherheit zu leisten.
Art. 760 ZGB
, der im Abschnitt über die Rechte des Eigentümers bei der Nutzniessung steht, bestimmt in Abs. 1, der Eigentümer sei befugt, vom Nutzniesser Sicherheit zu verlangen, sobald er eine Gefährdung seiner Rechte nachweise, und fügt in Abs. 2 bei, ohne diesen Nachweis und schon vor Übergabe der Sache könne er Sicherheit verlangen, wenn verbrauchbare Sachen oder Wertpapiere den Gegenstand der Nutzniessung bilden. In Lehre und Rechtsprechung ist umstritten, ob diese letzte Bestimmung auch für die Nutzniessung im Sinne von
Art. 462 ZGB
gelte (vgl. die Angaben bei TUOR, 2. Aufl. 1952, N. 4 und 4 a au
Art. 464 ZGB
). Die Frage ist mit der Vorinstanz zu verneinen. Nach
Art. 761 Abs. 2 ZGB
steht der Anspruch auf Sicherstellung bei der gesetzlichen Nutzniessung unter der besondern Ordnung des Rechtsverhältnisses. Das kann nur heissen, dass der
BGE 82 II 94 S. 102
Sicherstellungsanspruch bei der gesetzlichen Nutzniessung nicht nach Art. 760, sondern nach den Vorschriften über das in Frage stehende Nutzniessungsverhältnis zu beurteilen ist. Die in den Bestimmungen über die gesetzliche Erbfolge vorgesehene Nutzniessung des überlebenden Ehegatten ist zweifellos eine gesetzliche Nutzniessung. Also kann vom überlebenden Ehegatten nur unter den Voraussetzungen von
Art. 464 ZGB
Sicherheit verlangt werden. Den Schluss, der sich hienach aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ergibt, vermag die Entstehungsgeschichte des Art. 464, auf welche das Bezirksgericht seine abweichende Ansicht vor allem gestützt hat, nicht zu entkräften; dies um so weniger, als hier die Materialien über die Auffassung der Urheber des Gesetzes keinen klaren Aufschluss geben (vgl. TUOR N. 3 und 4 a und BlZR 35 Nr. 125 S. 261). Es kann auch keine Rede davon sein, dass die wörtliche Auslegung des Gesetzes zu einem unsinnigen Ergebnis führe. Vielmehr lassen sich für eine gewisse Privilegierung des überlebenden Ehegatten gegenüber vertraglichen Nutzniessern sachliche Gründe anführen (TUOR N. 4 a). Die Ausübung des Aufsichtsrechts im Sinne von
Art. 759 ZGB
(vgl. die Randnote hiezu), das dem Eigentümer auch im Falle der gesetzlichen Nutzniessung zusteht, kann diesem gegebenenfalls den Nachweis einer Gefährdung seiner Rechte im Sinne von
Art. 464 ZGB
erleichtern.
Im vorliegenden Falle fehlt dieser Nachweis. Was die Beklagten in der Anschlussberufung vorbringen, um eine Gefährdung ihres Eigentums darzutun, ist bereits vom Bezirksgericht, dessen einschlägige Erwägungen das Obergericht übernommen hat, widerlegt worden. Die tatsächlichen Feststellungen, die dabei getroffen wurden, sind für das Bundesgericht verbindlich. Angesichts dieser Feststellungen kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin irgendwie darnach trachte, das Nutzniessungsgut zu schädigen oder verschwinden zu lassen, wie die Beklagten glauben machen wollen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d57e2b59-4257-4f01-bece-2f886456651b | Urteilskopf
98 II 346
51. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. September 1972 i.S. Ebe gegen Zubler. | Regeste
Vaterschaftsklage; negativer Abstammungsbeweis (
Art. 314 ZGB
).
Dem Beklagten steht von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf die Einholung eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens zur Erbringung des negativen Abstammungsbeweises zu, auch wenn er keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag, sofern er alle andern Beweismittel, die ihm gegenüber der Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen, erschöpft hat. Dieser Grundsatz erfährt insofern eine Einschränkung, als er nicht gelten kann, wenn Mutter und Beklagter verschiedenen Rassen angehören und als mutmassliche Erzeuger des Kindes nur Angehörige der noch nicht erforschten Rasse in Frage kommen. | Sachverhalt
ab Seite 347
BGE 98 II 346 S. 347
A.-
Die im Jahre 1950 geborene Judith Zubler, wohnhaft in Brugg, schenkte am 2. Januar 1969 einem ausserehelichen Sohn Roger das Leben. Als Vater bezeichnete sie den im Jahre 1942 geborenen Pierre Ebe, einen Schwarzen aus Kamerun, mit welchem sie im Jahre 1968 in einem Spital in Fribourg zusammengearbeitet hatte. Sie gab an, Mitte April 1968 sich einmal im Zimmer von Ebe aufgehalten zu haben, wobei dieser sie zum Geschlechtsverkehr genötigt habe. Pierre Ebe anerkannte, dass Judith Zubler ihn einmal in seinem Zimmer besucht habe, doch bestritt er, dass sie dabei mit ihm allein gewesen und es zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Zur gleichen Zeit unterhielt die Kindsmutter ein Liebesverhältnis mit einem Jordanier namens Naji Awad.
B.-
Mutter und Kind machten am 24. Dezember 1969 beim Bezirksgericht Brugg die Vaterschaftsklage anhängig. Pierre Ebe widersetzte sich der Klage. Im Laufe des Verfahrens vereinbarten die Parteien, eine Blutgruppenexpertise und ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten (AEG) einzuholen, weshalb der Prozess bis zum 15. Oktober 1970 sistiert wurde. Das Blutgruppengutachten ergab keinen Ausschluss der Vaterschaft
BGE 98 II 346 S. 348
des Beklagten. Im AEG wurde nur die Frage behandelt, ob das Kind Roger Zubler der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises oder mit einem Jordanier entstamme. Der Experte Dr. Sieg vom gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Bern stellte fest, dass das Kind ein Mischling (Mulatte) sei, welches aus der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises hervorgegangen sei, und dass als Erzeuger ein Vertreter des mediterran-orientaliden Rassenkreises ausscheide.
Das Bezirksgericht Brugg hiess die Klage am 16. April 1971 gut und erklärte Pierre Ebe zum ausserehelichen Vater des Kindes Roger Zubler. Es verpflichtete den Beklagten zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 120.-- bis zum vollendeten 7. Altersjahr, von Fr. 150.-- bis zum vollendeten 12. Altersjahr und von Fr. 200.-- bis zum vollendeten 18. Altersjahr des Kindes. Ferner wurde der Beklagte verpflichtet, der Klägerin gestützt auf
Art. 317 Ziff. 2 ZGB
den Betrag von Fr. 560.-- zu bezahlen. Die Genugtuungsforderung der Klägerin wurde hingegen vollumfänglich abgewiesen.
C.-
Gegen das Urteil des Bezirksgerichtes erklärte der Beklagte Appellation an das Obergericht des Kantons Aargau. Er beantragte, das angefochtene Urteil aufzuheben, ein vollständiges AEG einzuholen und den Entscheid bis zur Vorlage des Gutachtens auszusetzen.
Das Obergericht wies die Appellation mit Urteil vom 5. November 1971 ab und bestätigte den Entscheid des Bezirksgerichtes. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der Beweis, dass der Beklagte der Klägerin während der kritischen Zeit beigewohnt habe, sei erbracht und damit die Vaterschaftsvermutung im Sinne von
Art. 314 Abs. 1 ZGB
erstellt. Die formelle Parteiversicherung der Klägerin, wonach sie mit dem Beklagten einmal Geschlechtsverkehr gepflogen habe, werde durch entscheidende Indizien gestützt. In erster Linie sei der Brief der Klägerin an ihren Freund Awad vom 10. Juli 1968 zu erwähnen, in welchem sie diesem die Schwangerschaft gestanden und den Beklagten als Schwängerer angegeben habe. Dazu komme die durch das vorläufige AEG erstellte Tatsache, dass der Knabe Roger ein Mischlingskind aus der Verbindung mit einem Angehörigen des negriden Rassenkreises sei; die Zahl der möglichen Schwängerer sei dadurch äusserst gering. Es sei nicht anzunehmen, dass der Beklagte oder Awad es nicht
BGE 98 II 346 S. 349
bemerkt hätten, wenn sich die Klägerin mit einem weiteren Neger eingelassen hätte. Sie hätten aber nichts dergleichen vorgebracht. Es erübrige sich daher, dem vom Beklagten erhobenen Antrag auf Durchführung eines vollständigen AEG stattzugeben. Dasselbe gelte für den erst vor Obergericht gestellten Antrag auf Anordnung einer serostatistischen Begutachtung. Ausserdem sei die serologische Struktur der afrikanischen Bevölkerung zu wenig bekannt, als dass ein solches Gutachten mit Erfolg eingeholt werden könnte.
D.-
Der Beklagte erhob Berufung an das Bundesgericht, in welcher er beantragte, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 5. November 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell die Sache gestützt auf
Art. 64 OG
an die Vorinstanz zur Einholung eines vollständigen AEG und zur neuen Entscheidung zurückzuweisen.
Die Kläger stellen den Antag auf Abweisung der Berufung.
E.-
Das Bundesgericht holte von Prof. Ritter, dem Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Tübingen, einen Bericht ein über die Frage, ob die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung die Vaterschaft eines dem negriden Rassenkreis angehörenden Beklagten mit hinlänglicher Sicherheit auszuschliessen vermöge, wenn die Mutter eine Weisse und das Kind ein Mischling ist und als weitere Schwängerer nur Neger in Frage kommen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
erstellte Vaterschaftsvermutung fällt gemäss Abs. 2 dieser Bestimmung weg, wenn gegenüber der Vaterschaft des Beklagten erhebliche Zweifelsgründe nachgewiesen werden. Statt jedoch Zweifelsgründe geltend zu machen, und ebenso beim Scheitern einer dahingehenden Einrede, kann der Beklagte den direkten Beweis führen, dass das Kind nicht von ihm stamme (
BGE 91 II 162
). Dieser negative Abstammungsbeweis kann nur mit naturwissenschaftlichen Gutachten erbracht werden (HEGNAUER, N. 40 zu Art. 314/15 ZGB).
a) Das Obergericht hat den Antrag des Beklagten auf Anordnung einer serostatistischen Begutachtung abgelehnt mit der Begründung, dass die serostatistische Auswertung nur möglich sei, wenn die Beteiligten einer Bevölkerung angehören, deren serologische Struktur bekannt sei, was bei einem Angehörigen
BGE 98 II 346 S. 350
des negriden Rassenkreises nicht zutreffen dürfte (HEGNAUER, N. 157 zu Art. 314/15 ZGB). Im Berufungsverfahren wird das kantonale Urteil in dieser Beziehung nicht angefochten. Die Frage, ob der Beklagte die Anordnung einer derartigen Untersuchung verlangen könne, braucht daher nicht geprüft zu werden.
b) Hingegen macht der Beklagte geltend, die Vorinstanz habe ihm verunmöglicht, den direkten Beweis seiner Nichtvaterschaft zu erbringen, indem sie seinen Antrag auf Anordnung eines vollständigen AEG abgelehnt habe. Sie habe dadurch Bundesrecht verletzt, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Vornahme dieser Aktenergänzung an das Obergericht zurückzuweisen sei. Der Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang auf
BGE 91 II 159
ff. In diesem Urteil hat das Bundesgericht festgehalten, dass dem Beklagten im Vaterschaftsprozess von Bundesrechts wegen ein Anspruch auf die Einholung eines AEG zur Erbringung des negativen Abstammungsbeweises zusteht, auch wenn er keine Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter in der kritischen Zeit nachzuweisen vermag, sofern er alle anderen Beweismittel, die ihm gegenüber der Vermutung seiner Vaterschaft zur Verfügung standen, erschöpft hat (insbesondere S. 168). In seinem Entscheid
BGE 96 II 320
Erw. 6 a hat das Bundesgericht allerdings eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem AEG als Beweismittel an den Tag gelegt, ohne indessen auf seine Rechtsprechung im Urteil
BGE 91 II 164
, worin dem AEG der Rang eines vollwertigen Beweismittels zuerkannt wurde, zurückzukommen.
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung, wonach der Beklagte grundsätzlich Anspruch auf die Anordnung eines AEG erheben kann, gelangte das Bundesgericht an Prof. Ritter, Direktor des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Universität Tübingen, mit der Frage, ob ein AEG auch dann über die Vaterschaft Klarheit verschaffen könne, wenn der Beklagte dem negriden Rassenkreis angehört und das Kind ein Mulatte ist. Dem von Prof. Ritter am 7. September 1972 erstatteten Bericht ist zu entnehmen, dass die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung nicht den genügenden Sicherheitsgrad vermittelt im Falle, dass als Erzeuger des Kindes einer weissen Mutter nur Neger in Frage kommen. Der Experte führt aus, unter diesen Umständen sei die Variabilität zwischen den Männern sehr viel kleiner als die Variabilität zwischen der weissen Mutter
BGE 98 II 346 S. 351
und einem jeden der Männer. Da das Kind eine Mittelstellung zwischen dem europiden und dem negriden Rassenkreis einnehme, könne es wegen dieser grossen Variabilität zwischen den Erwachsenen nicht eindeutig nur einem der Männer zugeordnet werden. Eine zusätzliche Schwierigkeit bestehe darin, dass die Gültigkeit der erbbiologischen Gutachten weitgehend abhänge von der Erfahrung des Experten, heute aber unter den Sachverständigen bezüglich des negriden Rassenkreises die nötige Erfahrung fehle. Auch sei wissenschaftlich nicht geprüft, inwieweit Mulattenkinder bei definierter Neger-Weissen-Kombination überhaupt variieren können. Prof. Ritter vertrat daher die Ansicht, dass das AEG als Beweismittel abgelehnt werden sollte, wenn zwei oder mehr Neger als Erzeuger des Kindes einer weissen Mutter in Betracht kommen.
Demgegenüber reichte der Beklagte ein Schreiben von Prof. Läuppi vom gerichtlich-medizinischen Institut der Universität Bern vom 5. Juni 1972 zu den Akten ein, in welchem eine Stellungnahme von Dr. Sieg, der die vorläufige anthropologisch-erbbiologische Begutachtung vorgenommen hatte, wiedergegeben wurde. Dr. Sieg vertrat die Meinung, es sei nicht von Belang, dass es sich beim Beklagten um einen Afrikaner handle, da für die im Ähnlichkeitsvergleich zu berücksichtigenden Merkmale die gleichen Erbgesetzmässigkeiten für die gesamte Menschheit gelten würden. Es bestehe daher eine reelle Chance, dass sich mittels eines AEG feststellen lasse, ob der Beklagte der Erzeuger des Kindes Roger sei oder nicht.
Diese nicht weiter begründete Meinungsäusserung von Prof. Läuppi bzw. Dr. Sieg vermag aber im Hinblick auf den detaillierten und fundierten Bericht von Prof. Ritter nicht zu überzeugen. Wird in Betracht gezogen, dass Erblichkeit und Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung die wichtigsten Bewertungsgrundlagen für die anthropologisch-erbbiologische Begutachtung darstellen (BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, 2. Aufl., S. 158), so muss es in Übereinstimmung mit dem Bericht von Prof. Ritter als fraglich erscheinen, ob die Experten in Vaterschaftsgutachten über genügende Erfahrung verfügen, um den Ähnlichkeitsvergleich zwischen einem Mulattenkind und einem Angehörigen des negriden Rassenkreises als mutmasslichen Erzeuger vorzunehmen. Sie werden kaum in der Lage sein, die spezifischen, individuellen Kennzeichen von den Rassenmerkmalen
BGE 98 II 346 S. 352
zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist aber nach BEITZKE/HOSEMANN/DAHR/SCHADE, a.a.O., wesentlich, was Dr. Sieg übersehen hat; denn dem Vergleich zwischen dem Kind und dem mutmasslichen Vater kommt nur dann Beweiskraft zu, wenn er sich auf die spezifischen und nicht nur auf die rassischen Merkmale bezieht.
Nach dem Ausgeführten steht zum vornherein fest, dass das Ergebnis der anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung des Beklagten ungewiss sein wird. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Regeln, wonach ein Beklagter im Vaterschaftsprozess grundsätzlich den Beizug eines AEG verlangen kann, beziehen sich nur auf den Normalfall, in dem sämtliche Beteiligten zur gleichen Rasse gehören und die Begutachtung weitgehend sichere Resultate verspricht; sie haben jedoch keine Geltung für den vorliegenden Fall, wo Mutter und Erzeuger verschiedenen Rassen angehören und als mutmassliche Erzeuger nur Angehörige der unbekannten Rasse in Frage kommen. Wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen den Antrag des Beklagten auf Einholung eines vollständigen AEG auf dem Wege der antizipierten Beweiswürdigung abgelehnt hat, so kann ihr keine Verletzung von Bundesrecht zur Last gelegt werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau (1. Zivilabteilung) vom 5. November 1971 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d58032a7-a04e-4c52-a107-384dc186732f | Urteilskopf
118 Ia 223
30. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. Juni 1992 i.S. A. gegen H., Gemeinderat Wynau und Regierungsrat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde). | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; Anspruch auf gerichtliche Überprüfung von Nutzungsplänen, mit deren Genehmigung das Enteignungsrecht erteilt wird.
Der von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verlangte gerichtliche Rechtsschutz zählt zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesrechts, denen die Kantone Rechnung zu tragen haben. Anspruch auf Zugang zu einem Gericht, dem eine umfassende Rechtskontrolle zusteht, bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit einer Enteignung, wenn die Anfechtung der Erteilung des Enteignungsrechtes im Schätzungsverfahren ausgeschlossen ist (E. 1).
Art. 4 BV
; mangelhafte Rechtsmittelbelehrung, Überweisung einer Streitsache an das Verwaltungsgericht zur weiteren Behandlung.
Da in einer staatsrechtlichen Beschwerde nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend gemacht werden kann, hat das Verwaltungsgericht, sofern das kantonale Recht hiefür keine Grundlage bietet, dem Betroffenen gestützt auf
Art. 4 BV
eine angemessene Frist anzusetzen, innert welcher dieser eine Beschwerdeergänzung einreichen kann (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 224
BGE 118 Ia 223 S. 224
Vom 26. Februar bis 27. März 1990 lag in Wynau die Überbauungsordnung "Ausbau Schulhausstrasse" öffentlich auf. Als vom Plan betroffener Eigentümer erhob A. dagegen Einsprache. Nach der Festsetzung des Plans durch die Gemeinde wurde dieser von der Baudirektion des Kantons Bern unter Abweisung der Einsprache von A. genehmigt, wobei der Gemeinde Wynau mit der Plangenehmigung
BGE 118 Ia 223 S. 225
das Enteignungsrecht für die vom Plan erfassten Liegenschaften erteilt wurde. Eine von A. gegen den Genehmigungsentscheid geführte Beschwerde wies der Regierungsrat des Kantons Bern ab.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt A. die Aufhebung des Entscheides des Regierungsrates. Er beruft sich auf eine Verletzung von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 22ter BV
.
Im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens beantragt die Justizdirektion des Kantons Bern, es sei auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten, weil im vorliegenden Fall mit Blick auf die Erteilung des Enteignungsrechtes ausnahmsweise die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gewesen wäre.
Das Verwaltungsgericht hat dem Bundesgericht mitgeteilt, es sei in Beachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesgerichtes zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
bereit, die staatsrechtliche Beschwerde als kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde an die Hand zu nehmen.
Mangels Letztinstanzlichkeit ist das Bundesgericht auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten, und es hat die Streitsache dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen überwiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 86 Abs. 2 OG
in der Fassung vom 16. Dezember 1943, der vorliegend noch anwendbar ist (Schlussbestimmungen OG Ziff. 3 Abs. 1), sind staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte erst zulässig, wenn von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist. Der Beschwerdeführer beruft sich auf eine Verletzung von
Art. 22ter BV
sowie von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; die in
Art. 86 Abs. 2 OG
vorgesehenen Ausnahmen vom Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges greifen somit nicht. Auch nach dem seit dem 15. Februar 1992 in Kraft stehenden
Art. 86 OG
in der Fassung vom 4. Oktober 1991 sind staatsrechtliche Beschwerden nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig.
Die Justizdirektion des Kantons Bern führt aus, nach der Praxis habe über Enteignungsstreitigkeiten mindestens ein unabhängiges kantonales Gericht zu befinden. Für solche Fälle stehe die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Berner Verwaltungsgericht offen. Es sei damit möglich, in gewissen Fällen Beschwerdeentscheide des
BGE 118 Ia 223 S. 226
Regierungsrates im Rahmen von Plangenehmigungen beim Berner Verwaltungsgericht anzufechten, und zwar insbesondere dann, wenn ein Plan als Enteignungstitel diene, eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werde und die zu enteignende Person Beschwerde führe. In diesem Sonderfall sei der Regierungsratsbeschluss nicht der kantonal letztinstanzliche Entscheid. A. habe jedoch im kantonalen Verfahren nicht geltend gemacht, die angefochtene Planung verletze seine Eigentumsrechte. Der Regierungsrat habe sich deshalb nicht veranlasst gesehen, in der Rechtsmittelbelehrung auf die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinzuweisen.
Das Verwaltungsgericht anerkennt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Bundesgerichtes zu
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
die Kantone gehalten seien, zur Überprüfung von Plänen, mit denen das Enteignungsrecht verbunden ist, eine Gerichtsinstanz offenzuhalten, die zumindest den Sachverhalt und das anwendbare Recht frei prüfen könne. Die bernische Gesetzgebung entspreche dieser Rechtsprechung nicht (vgl. Art. 61 Abs. 4 des Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG) in Verbindung mit Art. 77 Abs. 1 lit. d und h des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 3. Mai 1989 (VRPG)), doch zeige der vorliegende Fall, dass das Verwaltungsgericht künftig nicht darum herumkommen werde, auf Beschwerden gegen Genehmigungsbeschlüsse betreffend Pläne mit Enteignungswirkung einzutreten, wenn das Enteignungsrecht bestritten werde.
b) Wie beide kantonalen Behörden darlegen, wird mit der Genehmigung der vorliegend umstrittenen Überbauungsordnung der Gemeinde Wynau das Enteignungsrecht erteilt. Art. 128 Abs. 1 lit. c BauG bestätigt dies. Der Beschwerdeführer hat nach dem Landerwerbsplan 1:500, mit Änderungen von der Baudirektion am 1. Juli 1991 genehmigt, ca. 93 m2 Land abzutreten und ist daher vom angefochtenen Plan betroffen. Das enteignungsrechtliche Schätzungsverfahren ist im wesentlichen auf die Bestimmung der Höhe und der Art der Entschädigung beschränkt (vgl. Art. 44 ff. des Gesetzes über die Enteignung vom 3. Oktober 1965 (EntG)). Eine Anfechtung der Erteilung des Enteignungsrechtes ist im Schätzungsverfahren ausgeschlossen (Art. 36 ff., insbesondere
Art. 41 und 47 EntG
in Verbindung mit Art. 128 BauG). Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Bundesrecht geltend (
Art. 22ter BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
). Die von den kantonalen Behörden angeführten Voraussetzungen für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Berner Verwaltungsgericht sind somit gegeben (
BGE 118 Ib 13
E. 1b und 3).
BGE 118 Ia 223 S. 227
c) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht erkannt, dass
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat verschiedentlich festgehalten, dass Enteignungsverfahren in den Anwendungsbereich von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fallen (Urteil Bodén vom 27. Oktober 1987, Ziff. 29 und 32, Série A vol. 125-B = EuGRZ 1988 S. 452, 454 f.; Urteil Zimmermann und Steiner vom 13. Juli 1983, Ziff. 22, Série A vol. 66 = EuGRZ 1983 S. 482; Urteil Sporrong und Lönnroth vom 23. September 1982, Ziff. 79-83, Série A vol. 52 = EuGRZ 1983 S. 523, 527 f.). Die Anwendbarkeit von
Art. 6 EMRK
hat zur Folge, dass der Betroffene bei Streitigkeiten über die Zulässigkeit der Enteignung Anspruch auf Zugang zu einem Gericht hat, dem eine umfassende Rechtskontrolle zusteht, wie dies für das Verwaltungsgericht zutrifft (Art. 80 VRPG;
BGE 116 Ib 56
E. 3b;
BGE 115 Ia 190
f. E. 4b;
BGE 115 Ib 414
f. E. 3c;
BGE 114 Ia 127
E. 4c, ch). Dass das Verwaltungsgericht die Angemessenheit des angefochtenen Hoheitsaktes grundsätzlich nicht überprüfen kann (Art. 80 lit. b VRPG), widerspricht
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht (
BGE 115 Ia 191
;
BGE 117 Ia 502
E. 2e).
Der von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
verlangte gerichtliche Rechtsschutz zählt zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesrechts, denen die Kantone Rechnung zu tragen haben. Zu Recht erklären sich daher sowohl die Justizdirektion im Namen des Regierungsrates als auch das Verwaltungsgericht bereit, die kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Beschwerdeentscheide im Zusammenhang mit der Genehmigung von Plänen, mit denen die Erteilung des Enteignungsrechts verbunden ist, zuzulassen. Es ergibt sich hieraus, dass auf die staatsrechtliche Beschwerde mangels Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheides nicht eingetreten werden kann.
2.
Der Regierungsrat hat dem angefochtenen Entscheid keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt in der Meinung, einzig die staatsrechtliche Beschwerde sei zulässig. Nach dem Gesagten hat sich diese Auffassung als unzutreffend erwiesen. Die Justizdirektion führt in ihrer Vernehmlassung zwar an, es habe für den Regierungsrat kein Anlass bestanden, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hinzuweisen, da der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht habe, er werde in seinen Eigentumsrechten verletzt. Dieser Meinung kann nicht beigepflichtet werden. In seiner Beschwerde vom 19. Juli 1991 an den Regierungsrat erklärte der Beschwerdeführer, er "sei nicht bereit, Land zur Verfügung zu stellen". In seinen Schlussbemerkungen vom 19. November 1991 hielt er fest, die Voraussetzungen für die Erteilung des Enteignungsrechtes seien nicht gegeben.
BGE 118 Ia 223 S. 228
Gemäss Art. 52 lit. d VRPG muss eine Verfügung unter anderem den Hinweis auf das zulässige ordentliche Rechtsmittel mit Angabe von Frist und Instanz enthalten. Eine zu Unrecht unterlassene Rechtsmittelbelehrung stellt eine mangelhafte Eröffnung dar. Niemandem darf hieraus ein Rechtsnachteil erwachsen (Art. 44 Abs. 5 VRPG). Dieser Grundsatz entspricht dem unter dem Schutz von
Art. 4 BV
stehenden Gebot des Verhaltens nach Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes (Verfassungsprinzip der Fairness,
BGE 115 Ia 18
f. E. 4a mit Hinweisen; vgl.
Art. 107 Abs. 3 OG
und
Art. 38 VwVG
; GEORG MÜLLER, Kommentar BV, Art. 4 Rz. 60 und 71).
Das Verwaltungsgericht hat sich bereit erklärt, die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde als kantonale Verwaltungsgerichtsbeschwerde an die Hand zu nehmen, doch weist es darauf hin, dass es ihm aufgrund von Art. 33 Abs. 3 VRPG nicht möglich sei, eine Frist zur Ergänzung der Beschwerde anzusetzen, da der Beschwerdeführer die staatsrechtliche Beschwerde am Ende der dreissigtägigen Rechtsmittelfrist gemäss Art. 81 Abs. 1 VRPG eingereicht habe. Darin liegt für den Beschwerdeführer ein Nachteil, kann er sich doch in einer staatsrechtlichen Beschwerde nur auf die Verletzung verfassungsmässiger Rechte berufen, während mit einer kantonalen Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch die mangelhafte Sachverhaltsfeststellung und die unrichtige Rechtsanwendung geltend gemacht werden kann (Art. 80 VRPG). Da die Unterlassung der Rechtsmittelbelehrung der verfügenden Behörde anzulasten ist, wird das Verwaltungsgericht - falls ihm dies aufgrund des kantonalen Verfahrensrechts nicht möglich sein sollte - unmittelbar gestützt auf
Art. 4 BV
dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist ansetzen, damit dieser eine Art. 80 VRPG entsprechende Beschwerdeergänzung einreichen kann. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d589c072-980c-4084-8b71-76db929efb9e | Urteilskopf
108 Ia 13
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Januar 1982 i.S. D. gegen Obergericht und Generalprokurator des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
;
Art. 346 ff. StGB
.
1. Der Anspruch des Beschuldigten auf Entschädigung für Nachteile aus an sich rechtmässigen strafprozessualen Massnahmen folgt weder aus dem Bundesstrafrecht noch aus dem Bundesstrafprozessrecht, sondern aus dem kantonalen öffentlichen Recht.
2. Der Kanton, dessen Behörden strafprozessuale Zwangsmassnahmen angeordnet und durchgeführt hatten, bleibt auch dann zum Entscheid über eine allfällige Entschädigung zuständig und zu deren Bezahlung verpflichtet, wenn das Strafverfahren in der Folge von einem andern Kanton übernommen und durch Einstellungsverfügung oder ein freisprechendes Urteil abgeschlossen wurde. | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 108 Ia 13 S. 14
A.-
Frau D. war im Dezember 1976 in eine gegen ihren Ehemann und einen Dritten wegen Betrugs, Urkundenfälschung, betrügerischen und leichtsinnigen Konkurses und Bevorzugung eines Gläubigers angehobene Voruntersuchung einbezogen worden. Aufgrund eines Haftbefehls des Untersuchungsrichteramtes Bern wurde sie am 17. Dezember 1976 in Untersuchungshaft gesetzt, die bis zum 19. Januar 1977 dauerte. Am 10. April 1978 anerkannte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt die Zuständigkeit der Basler Behörden und übernahm das Verfahren gegen Frau D. gemäss
Art. 346 Abs. 1 Satz 1 StGB
. Am 9. Juli 1980 stellte diese Behörde das Verfahren gegen Frau D. ein, weil die durchgeführten Ermittlungen keinen Anhaltspunkt für ein deliktisches Verhalten ergeben hatten.
B.-
Mit Eingabe vom 14. August 1980 meldete Frau D. beim Generalprokurator des Kantons Bern eine Entschädigungsforderung von Fr. 659'108.-- an. Der Generalprokurator-Stellvertreter vertrat mit Schreiben vom 19. August 1980 den Standpunkt, mit der Übernahme des Strafverfahrens durch die Behörden des Kantons Basel-Stadt seien sämtliche Rechte und Pflichten aus diesem Verfahren auf die Basler Behörden übergegangen, so dass sich die Gesuchstellerin ausschliesslich an diese Behörden zu halten
BGE 108 Ia 13 S. 15
habe. Der Generalprokurator-Stellvertreter bestätigte seine Stellungnahme am 2. Juli 1981 unter Hinweis darauf, dass der Geschädigten zur Verfolgung widerrechtlicher Amtshandlungen nach bernischem Recht a) die Beschwerde an die Anklagekammer des Obergerichts zustehe, wobei in diesem Verfahren (Art. 64 bern. StrV) Schadenersatzansprüche nicht geltend gemacht werden könnten, b) die Zivilklage gegen den Kanton Bern gemäss Art. 38 des kantonalen Beamtengesetzes zur Verfügung stehe.
Gegen dieses als "Rückweisungsverfügung" verstandene Schreiben des Generalprokurator-Stellvertreters reichte Frau D. "Beschwerde und Gesuch" ein. Die Anklagekammer sowie die Abberufungskammer des bernischen Obergerichts vertraten in ihren Entscheiden vom 7. Juli bzw. 25. August 1981 den Standpunkt, der Kanton Bern sei nicht zuständig, über die von Frau D. geltend gemachten Entschädigungsansprüche für die von bernischen Behörden angeordneten und durchgeführten Strafverfolgungsmassnahmen zu befinden.
C.-
In einer Eingabe vom 18. September 1981 ficht Frau D. die Entscheide der Anklagekammer und der Abberufungskammer des bernischen Obergerichts vom 7. Juli bzw. 25. August 1981 "wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und wegen Verletzung der in Art. 345 f. StGB geregelten bundesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften" an. Sie beantragt die Aufhebung dieser Entscheide und die Rückweisung der Sache an die bernischen Behörden im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen.
D.-
Der Generalprokurator-Stellvertreter und die Abberufungskammer des Obergerichts des Kantons Bern beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Anklagekammer und Abberufungskammer des bernischen Obergerichts führen zur Begründung ihrer Entscheide aus, es bestehe keine bernische Gesetzesvorschrift, welche die bernischen Überweisungsbehörden oder sonst irgendeine Behörde ermächtigen oder gar verpflichten würde, nach erfolgter Abtretung eines Strafverfahrens an einen andern Kanton gestützt auf dessen spätere Einstellungsverfügung im nachhinein noch über Entschädigungsansprüche des Angeschuldigten für Nachteile wegen der von bernischen Behörden vor der Abtretung angeordneten und durchgeführten Strafverfolgungsmassnahmen zu befinden.
BGE 108 Ia 13 S. 16
Gemäss Art. 199 Abs. 2 und 202 Abs. 1 StrV/BE wird im Aufhebungsbeschluss auch entschieden, ob dem Angeschuldigten für die durch die Untersuchung entstandenen Nachteile, insbesondere im Falle der Festnahme und Verhaftung, eine Entschädigung gebührt. Die zur Aufhebung der Untersuchung zuständigen Behörden (Untersuchungsrichter/Bezirksprokurator, Art. 184 ff. oder Anklagekammer des Obergerichts, Art. 192 ff.) entscheiden über Grundsatz und Höhe der Entschädigung nach Billigkeitsgründen (Art. 202 Abs. 1 i.f.).
Die Vorschrift, dass "im Aufhebungsbeschluss" und somit von den Überweisungsbehörden über eine Entschädigung zu befinden ist, regelt lediglich die innerkantonale Zuständigkeit zum Entscheid und ist bloss organisationsrechtlicher Natur. Das bernische Strafverfahren bestimmt nur, welche Behörde zum Entscheid über eine allfällige Entschädigung des Angeschuldigten für die ihm durch die von bernischen Behörden veranlassten Strafverfolgungsmassnahmen erwachsenen Nachteile zuständig ist, wenn die Untersuchung im Kanton Bern aufgehoben wird; es bestimmt aber nicht abschliessend, wann bernische Behörden überhaupt zum Entscheid zuständig sind. Das Fehlen einer Bestimmung, welche die innerkantonal zuständige Behörde bezeichnet für den Fall, dass das Verfahren schliesslich von einem andern Kanton übernommen und in der Folge eingestellt wird, ist kein haltbarer Grund, die Zuständigkeit der bernischen Behörden zum Entscheid in einem solchen Fall überhaupt zu verneinen. Es ist willkürlich, die organisationsrechtliche Bestimmung, wonach "im Aufhebungsbeschluss" über eine Entschädigung zu befinden ist, dahin auszulegen, dass der Kanton Bern nur dann über die Entschädigung für die von seinen Behörden angeordneten und durchgeführten Strafverfolgungsmassnahmen zu entscheiden habe, wenn das Verfahren im Kanton Bern aufgehoben wurde.
Die Auffassung des Obergerichts, die Unzuständigkeit der bernischen Behörden in Fällen der vorliegenden Art ergebe sich aus dem bernischen Strafverfahrensrecht, ist demnach willkürlich.
3.
Die bernischen Behörden halten dafür, mit der Übernahme des Strafverfahrens durch die Behörden des Kantons Basel-Stadt sei dasselbe mit sämtlichen Wirkungen, mit allen Rechten und Pflichten, auf den Kanton Basel-Stadt übergegangen. Zur Begründung berufen sie sich auf die Regeln des Strafgesetzbuches über die örtliche Zuständigkeit und auf
Art. 351 StGB
, wonach bei streitigem Gerichtsstand das Bundesgericht den Kanton bezeichnet,
BGE 108 Ia 13 S. 17
"der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt und verpflichtet ist".
Wie der Kassationshof schon in seinen Urteilen vom 6. und 18. November 1981 zu den von Frau D. gegen die Basler Behörden eingereichten Rechtsmitteln (Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) erkannt hat, finden die Gerichtsstandsbestimmungen der
Art. 346 ff. StGB
, welche die interkantonale Zuständigkeit zur "Verfolgung und Beurteilung" von der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstellten strafbaren Handlungen regeln, auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Der Anspruch auf Entschädigung für Nachteile aus an sich rechtmässigen strafprozessualen Massnahmen folgt weder aus Bundesstrafrecht noch aus Bundesstrafprozessrecht, sondern aus dem kantonalen öffentlichen Recht, und das Verfahren, in welchem dieser Anspruch durchzusetzen ist, ist kein eigentliches Strafverfahren. Die Berechtigung und Verpflichtung zur Verfolgung und Beurteilung (
Art. 351 StGB
,
Art. 264 BStP
) umfasst nicht auch den Entscheid über die Entschädigung für Nachteile infolge strafprozessualer Massnahmen.
4.
a) Sowohl der Kanton Bern wie auch der Kanton Basel-Stadt sehen in ihren Strafprozessordnungen grundsätzlich eine Entschädigung für die dem Beschuldigten durch gewisse Untersuchungshandlungen erwachsenen Nachteile vor; Voraussetzungen und Umfang der Entschädigung sind verschieden geregelt (Art. 202 StrV/BE,
§ 82 ff. StPO
/BS). Es ist selbstverständlich, dass in Fällen, in denen sowohl das Recht des für die Untersuchungshandlung verantwortlichen Kantons wie das Recht des das Verfahren übernehmenden und in der Folge einstellenden Kantons eine Entschädigung vorsieht, auf jeden Fall der eine oder der andere Kanton über die Entschädigung befinden muss. Der Wechsel des Gerichtsstandes darf nicht zur Folge haben, dass die Entschädigungsfrage überhaupt nicht entschieden wird.
b) Der Kassationshof erkannte in seinem bereits erwähnten Urteil vom 18. November 1981, dass die Auffassung des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, wonach derjenige Kanton dem Beschuldigten gegenüber für die von diesem wegen strafprozessualer Massnahmen erlittenen Nachteile verantwortlich sein soll, welcher die fraglichen Massnahmen angeordnet und durchgeführt hat, nicht willkürlich sei. Der Kassationshof führte weiter aus, es liege nahe, dass der für die Anordnung von Zwangsmassnahmen verantwortliche Kanton entscheide, ob und inwieweit für
BGE 108 Ia 13 S. 18
deren allfällige nachteilige Folgen nach seinem eigenen Recht eine Entschädigung zu zahlen sei. Diese Lösung entspricht der vom Bundesgericht im Verhältnis Bund/Kanton in Delegationsstrafsachen getroffenen Regelung (
BGE 69 IV 187
, 67 I 156) und wird auch in der spärlichen Literatur zu dieser Frage vertreten (FISCHLI, Die Entschädigung unschuldig Verfolgter, ZSR n.F. 79/1960 II S. 385a ff.). Es ist in der Tat schlechterdings nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Kanton, welcher ein Strafverfahren als letzter übernommen und in der Folge durch Einstellungsverfügung oder durch ein freisprechendes Urteil zum Abschluss gebracht hat, für die von andern Kantonen angeordneten und durchgeführten strafprozessualen Zwangsmassnahmen verantwortlich sein soll. Ebensowenig ist einzusehen, aufgrund welcher Rechtsgrundsätze im vorliegenden Fall der Kanton Basel-Stadt den Kanton Bern - gestützt auf baslerisches oder bernisches Recht - gegebenenfalls zur Bezahlung einer Entschädigung an die Beschuldigte sollte verpflichten können. Der Kanton, dessen Behörden Zwangsmassnahmen anordneten, hat nach Massgabe seines Rechts die allfällige Entschädigung zu bezahlen und darf und muss daher auch darüber befinden. In dieser Beziehung besteht kein Unterschied zur Verantwortlichkeit für rechtswidrige Schädigung.
c) Auch praktische Überlegungen sprechen für diese Lösung. Aus welchen Gründen eine bestimmte Zwangsmassnahme angeordnet wurde und ob und inwiefern der Beschuldigte das Strafverfahren bzw. die Anordnung und Aufrechterhaltung einer prozessualen Massnahme durch sein Verhalten zu verantworten habe (was für die Ausrichtung einer Entschädigung und deren Höhe regelmässig von Bedeutung ist), können die Behörden des Kantons, in dem die Untersuchungshandlung angeordnet wurde, zuverlässiger ermitteln als die Behörden des das Verfahren einstellenden Kantons. Dasselbe gilt hinsichtlich der Frage, ob die tatsächlichen Voraussetzungen einer allfälligen Regresspflicht Dritter, etwa des Anzeigers oder des Privatklägers (Art. 202 Abs. 2 StrV/BE) oder eines öffentlichen Bediensteten (
§ 84 StPO
/BS), erfüllt seien. Hinzu kommt, dass die Behörden des das Verfahren einstellenden Kantons die Praxis der Behörden des für die Zwangsmassnahmen verantwortlichen Kantons zur Entschädigungsfrage in der Regel nicht kennen und auch nicht ohne Schwierigkeiten in Erfahrung bringen können.
d) Was in den angefochtenen Entscheiden zur Begründung der Unzuständigkeit der bernischen Behörden ausgeführt wird,
BGE 108 Ia 13 S. 19
vermag offensichtlich nicht zu überzeugen. Dass der Beschuldigte nach der Einstellung des Verfahrens bzw. nach dem Freispruch sich an den (oder die) ursprünglich mit der Sache befassten Kanton(e) wenden muss, ist kein erheblicher Nachteil (s. schon
BGE 69 IV 189
). Entgegen der Auffassung des bernischen Obergerichts kann keine Rede davon sein, dass der Kanton, der das Verfahren abgetreten hatte, bei der Behandlung des Entschädigungsbegehrens vorfrageweise prüfen könne, ob unter Anwendung der nach seinem Recht geltenden Prozessgrundsätze die Aufhebung des Verfahrens bzw. der Freispruch überhaupt vertretbar sei; die mit der Behandlung des Entschädigungsbegehrens befasste Behörde ist selbstverständlich an die dem Aufhebungsbeschluss bzw. dem freisprechenden Urteil zugrunde liegende Beweiswürdigung gebunden. Ob die im Beschluss bzw. Urteil genannten Gründe für die Einstellung des Verfahrens bzw. den Freispruch für den Entscheid über die Entschädigung von Bedeutung sind, bestimmt sich nach dem anwendbaren kantonalen Prozessrecht. Der Hinweis des bernischen Obergerichts auf die vom Strafgesetzbuch angestrebte Einheit der Rechtsverfolgung schliesslich geht schon deshalb fehl, weil der Anspruch auf Entschädigung für durch prozessuale Massnahmen erlittene Nachteile wie erwähnt dem kantonalen Recht entspringt.
Der Kanton Bern ist demnach zuständig zum Entscheid über das von Frau D. eingereichte Begehren um Entschädigung für Nachteile, die sie angeblich durch die von den bernischen Behörden angeordneten und durchgeführten strafprozessualen Massnahmen erlitten hat. Über die innerkantonale Zuständigkeit und die Ausgestaltung des Verfahrens braucht hier nicht entschieden zu werden. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d58f9e8f-946e-487f-9219-4c5ad0a30579 | Urteilskopf
125 I 347
32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. Juni 1999 i.S. X. und Mitbeteiligte gegen Staatsrat des Kantons Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 27 BV
und
Art. 49 BV
;
Art. 9 EMRK
; Konfessionelle Neutralität der Schule.
Art. 27 Abs. 3 und
Art. 49 BV
verlangen eine konfessionelle Neutralität der öffentlichen Schule. Der Zugang zu einer öffentlichen Schule darf nicht von der Konfessionszugehörigkeit abhängig gemacht werden (E. 4).
Selbst wenn konfessionelle Schulen zulässig wären, wäre es verfassungswidrig, nur den Angehörigen einer bestimmten Konfession den Unterricht in einer Minderheitensprache anzubieten (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 347
BGE 125 I 347 S. 347
1836 wurde die «Freie Primar- und Sekundarschule Freiburg» als reformierte Privatschule gegründet. Der Besuch war reformierten Kindern vorbehalten. Der Unterricht erfolgte zunächst auf Deutsch, später auch auf Französisch. 1870 wurde die Schule staatlich anerkannt.
BGE 125 I 347 S. 348
Am 17. Mai 1884 erliess der Kanton Freiburg ein Gesetz über das Primarschulwesen. Nach den Art. 115-119 dieses Gesetzes waren nebst den öffentlichen Schulen, welche jede Gemeinde unterhalten musste, auch freie Schulen zulässig; diese konnten unter bestimmten Voraussetzungen mit Genehmigung des Staatsrates den Status einer öffentlichen Schule erhalten. Gestützt darauf genehmigte der Staatsrat des Kantons Freiburg am 1. Mai 1885 das Organisationsreglement für die öffentliche Primarschule des freien Schulkreises Freiburg. Nach diesem Reglement war der Zweck der Schule, Kindern protestantischer Bewohner des freien Schulkreises Freiburg Unterricht und Erziehung in christlichem Sinne zuteil werden zu lassen. Zum freien Schulkreis Freiburg gehörten die Pfarrgemeinde Freiburg sowie eine Anzahl weiterer Pfarrgemeinden und Ortschaften. Seit 1970 bzw. 1974 werden in der Freien Öffentlichen Schule Freiburg auch Kinder aus den freien öffentlichen Schulkreisen Ferpicloz und Corjolens unterrichtet. Seit Jahrzehnten werden auch nicht-reformierte Kinder aufgenommen, namentlich deutschsprachige katholische Kinder aus den mehrheitlich französischsprachigen Gemeinden rund um Freiburg.
Mit Gesetz vom 10. Mai 1972 über das Statut der freien Schulen und der freien öffentlichen Schulen wurden die Art. 115-119 des Gesetzes von 1884 durch neue Art. 115-119quater ersetzt, welche später durch Gesetz vom 19. November 1975 geändert wurden. Die neuen Art. 116, 118 Abs. 1, Art. 119 und 119bis lauten wie folgt:
Art. 116
1 Die freien Schulen können dem Staatsrat beantragen, in den Genuss des Status der öffentlichen Schulen zu gelangen. Diesem Antrag wird nur Folge gegeben, wenn das öffentliche Interesse es rechtfertigt. In diesem Falle müssen die Schulstatuten die örtliche und personelle Begrenzung des freien öffentlichen Schulkreises festlegen. Die Statuten unterliegen der Genehmigung des Staatsrates.
2 Die freien öffentlichen Schulen sind den Gesetzen und übrigen Vorschriften unterworfen, die für die öffentlichen Schulen gelten, insbesondere bezüglich der Ernennung und Besoldung des Lehrpersonals, des Unterrichts, der Disziplin, des Schulbesuches und der Schulzusammenlegungen.
3 Die freien öffentlichen Schulen unterstehen ausserdem der Gesetzgebung über die Gemeinden, insofern ihre besondere rechtliche Situation dem nicht widerspricht.
Art. 118 Abs. 1
1 Die Gehälter und die Sozialzulagen der Lehrerschaft der freien öffentlichen Schulen gehen gemäss den für die öffentlichen Schulen geltenden Bestimmungen zu Lasten der Gemeinden und des Staates.
BGE 125 I 347 S. 349
Art. 119
1 Alle übrigen Schullasten der freien öffentlichen Schulen der Primar- und der Orientierungsstufe werden vom Departement der Gemeinden und Pfarreien auf die Gemeinden des Schulkreises verteilt, und zwar zur einen Hälfte im Verhältnis zur Anzahl Schüler, die in jeder Gemeinde wohnhaft sind und die freie öffentliche Schule besuchen, zur anderen Hälfte im Verhältnis zur Anzahl Einwohner, die gleichen Bekenntnisses sind wie die Mitglieder des Schulkreises und die gemäss der letzten eidgenössischen oder kantonalen Volkszählung in diesen Gemeinden wohnen.
2 Der Staatsrat regelt die Verteilung der Lasten betreffend die Schüler, welche in einer Gemeinde wohnhaft sind, die nicht zum Schulkreis einer freien öffentlichen Schule gehört.
Art. 119bis
1 Der Bau oder Umbau eines Schulgebäudes und alle andern Investitionsausgaben sind einerseits vom freien öffentlichen Schulkreis und andrerseits von den Gemeindeversammlungen der den Schulkreis bildenden Gemeinden zu beschliessen.
2 Erfolgt keine Einigung, entscheidet der Staatsrat, nach Anhören der Vertreter des Schulkreises und der Gemeinden.
3 Die Kosten werden nach Abzug des Staatsbeitrages gemäss den Bestimmungen des Artikels 119 aufgeteilt.
Am 18. Juni 1973 erliess der Staatsrat des Kantons Freiburg einen Ausführungsbeschluss zum genannten Gesetz, welcher vorsieht, dass auch bereits bestehende freie öffentliche Schulen, welche in der Stellung einer öffentlichen Schule verbleiben wollen, ihre Statuten dem Staatsrat zur Genehmigung zu unterbreiten haben.
Gestützt darauf genehmigte der Staatsrat am 29. November 1976 die revidierten Statuten der Freien Öffentlichen Primar- und Sekun- darschule Freiburg vom 20. September 1974.
Die Schule ist nach Art. 1 dieser Statuten eine öffentliche Körperschaft im Sinne von
Art. 59 ZGB
. Sie bezweckt gemäss Art. 2 die Führung einer Primar- und Sekundarschule auf christlicher Grundlage. Art. 6 der Statuten lautet:
Artikel 6
Mitglied der Freien Öffentlichen Primar- und Sekundarschule Freiburg werden:
a) Im Prinzip alle Personen, die der evangelisch-reformierten Kirche angehören und im Schulkreis wohnhaft sind, mit Ausnahme jener Eltern, welche ihre Kinder in die öffentliche Primarschule schicken.
b) Andersgläubige oder religionslose Eltern, welche ihre Kinder auf
Gesuch oder auf eine spezielle Abmachung hin in der Freien Öffentlichen Schule unterrichten lassen.
BGE 125 I 347 S. 350
Gemäss Art. 18 der Statuten werden sämtliche Lasten des Unterrichts, des Betriebes und des Unterhaltes vom Staat und den Gemeinden getragen. Alle übrigen Kosten sind vom Schulkreis direkt zu tragen, welcher sich die dazu erforderlichen Mittel durch Mitgliederbeiträge, Zinsen, Spenden usw. beschafft (Art. 19). Das Budget wird den betroffenen politischen Gemeinden jeweils rechtzeitig vorgelegt und die Rechnung mit den Elementen für die zu verteilenden Schullasten dem Departement der Gemeinden und Pfarreien unterbreitet (Art. 20). Eine Statutenänderung kann nur von der Mitgliederversammlung vorgenommen werden (Art. 21). Für alle in den Statuten nicht speziell geregelten Punkte gelten die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (Art. 23).
Am 23. Mai 1985 erliess der Kanton Freiburg ein neues Schulgesetz. Dessen Art. 7-11 lauten wie folgt:
Art. 7
1 Der Unterricht wird in den Schulkreisen, deren Amtssprache Französisch ist, auf französisch und in den Schulkreisen, deren Amtssprache Deutsch ist, auf deutsch erteilt.
2 Gehören einem Schulkreis entweder eine Gemeinde mit französischer und eine Gemeinde mit deutscher Amtssprache oder eine zweisprachige Gemeinde an, so gewährleisten die Gemeinden des Schulkreises den unentgeltlichen Besuch der öffentlichen Schule in beiden Sprachen.
Art. 8
Die Schüler besuchen die Schule des Schulkreises, dem ihr Wohnsitzort oder ihr vom Erziehungsdepartement (nachfolgend: das Departement) anerkannter ständiger Aufenthaltsort angehört.
Art. 9
1 Der Schulinspektor kann aus sprachlichen Gründen einem Schüler erlauben, die Schule eines anderen Schulkreises zu besuchen.
2 Der Schulinspektor kann in anderen Fällen einen Schüler ermächtigen oder verpflichten, die Schule eines anderen Schulkreises zu besuchen, wenn es dessen Interesse erfordert.
3 Im Entscheid wird vermerkt, welcher Schulkreis den Schüler aufzunehmen hat.
Art. 10
Im Falle eines Schulkreiswechsels können die Gemeinden, die einen Schüler in ihren Schulkreis aufnehmen, von den Gemeinden des Schulkreises, in dem der Schüler seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort hat, eine angemessene Beteiligung an den Kosten für die Errichtung und den Betrieb ihrer Schule, mit Ausnahme ihres Anteils an den gemeinsamen Schulkosten, verlangen.
BGE 125 I 347 S. 351
Art. 11
Wird der Besuch der Schule eines anderen Kreises aus sprachlichen Gründen erlaubt, entscheiden die Gemeinden des Schulkreises, in dem der Schüler seinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort hat, über die Unentgeltlichkeit.
Art. 132 des Schulgesetzes lautet sodann:
Für die freien öffentlichen Schulen, die bei Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes bestehen, gelten nach wie vor die Art. 116, 117, 118 Abs. 1 und 119 bis 119quater des Gesetzes vom 17. Mai 1884 über das Primarschulwesen und die Art. 49 Abs. 2 bis 4 des Gesetzes vom 14. Februar 1951 über den Mittelschul- und Sekundarunterricht.
In der Folge forderte der Staatsrat des Kantons Freiburg wiederholt die Freie Öffentliche Schule Freiburg auf, Art. 6 lit. b ihrer Statuten dahin zu ändern, dass andersgläubige oder religionslose Eltern in Zukunft nur noch Mitglied der Schule werden können, wenn sie im Schulkreis wohnhaft sind und die Kinder gemäss Schulgesetz in die Schule aufgenommen werden. Die Schulversammlung der Schule lehnte jedoch am 4. Februar 1991 eine entsprechende Statutenänderung ab.
Mit Beschluss vom 3. September 1991 erwog der Staatsrat des Kantons Freiburg, die freien öffentlichen Schulen dienten in erster Linie den religiösen Minderheiten. Die Mitgliedschaft in einer solchen Schule bestimme sich daher gemäss Art. 116 Abs. 1 des Primarschulgesetzes nach einem örtlichen und einem persönlichen Kriterium. Da die freien öffentlichen Schulen konfessionell seien, sei das persönliche Kriterium für die Zugehörigkeit zur Schule die Angehörigkeit zur betreffenden Konfession. Kinder einer anderen Konfession könnten nur ausnahmsweise in eine solche Schule zugelassen werden, wenn besondere Gründe dies rechtfertigten. Der Wechsel von der öffentlichen in eine freie öffentliche Schule stelle für diese Kinder einen Schulkreiswechsel dar. Dieser sei in den Art. 8-11 des Schulgesetzes von 1985 geregelt, welche Bestimmungen gemäss Art. 116 Abs. 2 des Primarschulgesetzes von 1884 auch für die freien öffentlichen Schulen gälten. Danach unterliege der Wechsel des Schulkreises der Genehmigung durch den Schulinspektor. Der Wechsel könne aus sprachlichen Gründen oder wenn das Interesse des Kindes es gebiete, bewilligt werden. Werde der Wechsel aus sprachlichen Gründen bewilligt, so könne die Wohnsitzgemeinde darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang sie die Kosten des Schulbesuchs in einem andern Kreis den Eltern auferlegen wolle. Diese den Gemeinden zustehende Kompetenz, über die Unentgeltlichkeit
BGE 125 I 347 S. 352
des Besuchs einer anderen Schule zu entscheiden, sei ein wesentliches Element des neuen Schulgesetzes. Die Aufnahmebedingungen der Freien Öffentlichen Schule Freiburg seien daher nicht gesetzeskonform: Es könne nicht den freien öffentlichen Schulen zustehen, selber bzw. durch Vereinbarung mit den Gemeinderäten über die Aufnahme von Kindern zu entscheiden, weil dadurch den Gemeindelegislativen die Möglichkeit genommen werde, über die Unentgeltlichkeit zu entscheiden. Der Genehmigungsbeschluss des Staatsrates von 1976 sei daher dahin zu ändern, dass die Statuten in Übereinstimmung mit der geänderten Gesetzeslage zu bringen seien. Demgemäss beschloss der Staatsrat in Art. 1 seines Beschlusses, Art. 6 lit. b der Statuten der Freien Öffentlichen Schule Freiburg wie folgt abzuändern:
«Andersgläubige oder religionslose Eltern, die im Schulkreis wohnhaft sind und deren Kinder in die freie öffentliche Schule gemäss dem Schulgesetz aufgenommen werden.»
X. und 137 Mitbeteiligte erhoben am 11. Oktober 1991 staatsrechtliche Beschwerde (2P.271/1991) an das Bundesgericht mit dem Antrag, Art. 1 des Staatsratsbeschlusses vom 3. September 1991 aufzuheben. Sie rügen eine Verletzung von
Art. 4, 49 und 116 BV
,
Art. 9 EMRK
,
Art. 2 und 21 KV/FR
, der Gemeindeautonomie sowie der politischen Rechte.
Parallel dazu erhoben sie Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat wegen Verletzung von
Art. 27 Abs. 2 und 3 BV
mit dem Rechtsbegehren, Art. 1 des Staatsratsbeschlusses vom 3. September 1991 aufzuheben und festzustellen, dass für Schüler, welche die Freie Öffentliche Schule Freiburg besuchen und im Schulkreis dieser Schule wohnhaft sind, kein Schulgeld erhoben werden dürfe. Mit Meinungsaustausch gemäss
Art. 96 Abs. 2 OG
bzw.
Art. 8 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021)
kamen das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und das Bundesgericht überein, dass das Bundesgericht auch die beim Bundesrat erhobenen Rügen zu beurteilen habe.
Mit Verfügung des Präsidenten der II. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 15. April 1993 wurde das Verfahren mit Rücksicht auf laufende Verhandlungen zwischen den Parteien und weiteren Beteiligten sistiert. Die Sistierung wurde in der Folge mehrmals verlängert.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
BGE 125 I 347 S. 353
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach Art. 6 lit. a der Statuten der Freien Öffentlichen Schule Freiburg haben Evangelisch-Reformierte, die im Schulkreis der Freien Öffentlichen Schule Freiburg wohnhaft sind, Wahlfreiheit zwischen dem Besuch dieser Schule und der ordentlichen öffentlichen Schule. Gemäss den Ausführungen der Beschwerdeführer wurden aber nach der Praxis, wie sie vor dem angefochtenen Beschluss bestand, auch Angehörige anderer Konfessionen auf blosses Gesuch hin aufgenommen. Der Staatsrat gesteht zu, dass sich die Freie Öffentliche Schule Freiburg mehr und mehr den Schülern nicht-reformierter Eltern geöffnet habe und das Aufnahmeverfahren in die Nähe der ordentlichen öffentlichen Schule gebracht worden sei. Faktisch bestand somit auch für nicht-reformierte Kinder, die im örtlichen Schulkreis der Freien Öffentlichen Schule Freiburg wohnten, weitgehend Wahlfreiheit zwischen dem Besuch dieser Schule und der öffentlichen Schule. Davon machten namentlich deutschsprachige Eltern in den mehrheitlich französischsprachigen Gemeinden Gebrauch, in denen die öffentliche Schule auf Französisch geführt wird. Sie konnten dadurch ohne Kostenfolgen ihre Kinder auf Deutsch unterrichten lassen.
b) Der Staatsrat geht im angefochtenen Entscheid davon aus, die freien öffentlichen Schulen seien grundsätzlich konfessionell. Nicht-reformierte Kinder könnten diese Schulen daher nur ausnahmsweise besuchen. Dementsprechend bezweckt und bewirkt die vom Staatsrat angeordnete Statutenänderung, dass das praktisch freie Wahlrecht zwischen den beiden Schulen nur noch für Reformierte besteht. Für Angehörige anderer Konfessionen oder Konfessionslose ist der Besuch der Freien Öffentlichen Schule Freiburg nur mit Genehmigung des Schulinspektors zulässig. Wird diese Genehmigung aus sprachlichen Gründen erteilt, können die Wohngemeinden zudem gemäss Art. 11 des Schulgesetzes von den Eltern die Bezahlung eines Schulgeldes verlangen. Das hat insbesondere zur Folge, dass nicht-reformierte Angehörige der deutschsprachigen Minderheiten in den mehrheitlich französischsprachigen Gemeinden ihre Kinder nicht mehr ohne weiteres und nicht mehr unbedingt unentgeltlich auf Deutsch unterrichten lassen können. Die Beschwerdeführer erblicken darin eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Sprachenfreiheit, der Rechtsgleichheit sowie von
Art. 27 Abs. 2 und 3 BV
. Ferner rügen sie die Sachverhaltsfeststellung des Staatsrates, wonach die Freie Öffentliche Schule Freiburg
BGE 125 I 347 S. 354
konfessionell sei, als willkürlich. Zudem beanstanden sie eine Verletzung der Gemeindeautonomie der Freien Öffentlichen Schule Freiburg, eine Verletzung des Stimmrechts der Mitglieder dieser Schule und eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts.
3.
a) Die in
Art. 49 Abs. 1 BV
und
Art. 9 EMRK
gewährleistete Glaubens- und Gewissensfreiheit schützt das Recht, eine religiöse Überzeugung zu haben, zu äussern, zu verbreiten oder zu praktizieren oder gemäss einer religiösen Überzeugung zu handeln (
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 300;
BGE 119 Ia 178
E. 4c S. 184;
BGE 118 Ia 46
E. 4c S. 56). Dazu gehört auch das Recht, einer bestimmten Konfession oder Religionsgemeinschaft anzugehören oder nicht anzugehören, ebenso die Freiheit, die Konfession oder Religionsgemeinschaft zu wechseln (
BGE 123 I 296
E. 2b/aa S. 301;
BGE 116 Ia 252
E. 5a S. 257 f.;
BGE 104 Ia 79
E. 3 S. 84; FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1949, S. 317; ULRICH HÄFELIN, Kommentar BV, Rz. 52-54 zu Art. 49; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 4. Aufl., Zürich 1998, S. 412; PETER KARLEN, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 213 f.; vgl. auch Art. 15 Abs. 3 und 4 der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999, nBV). Die Glaubens- und Gewissensfreiheit schützt in erster Linie vor staatlichem Zwang. Darüber hinaus enthält sie aber auch eine Verpflichtung des Staates zu religiöser und konfessioneller Neutralität (
BGE 124 I 247
E. 7b S. 253;
BGE 123 I 296
E. 4b/bb S. 308;
BGE 118 Ia 46
E. 4e/aa S. 58;
BGE 116 Ia 252
E. 5e S. 260;
BGE 113 Ia 304
E. 3c S. 307; Urteil des Bundesgerichts vom 2. September 1997 i.S. U., publiziert in RDAF 1998 I 162, E. 4; KARLEN, a.a.O., S. 188; KARL SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1994, S. 120). Diese Neutralitätspflicht ist zwar nicht absolut. Namentlich ist es nach schweizerischem Staatsrecht zulässig, dass die Kantone einzelne Religionsgemeinschaften öffentlichrechtlich anerkennen und insoweit in der Wahrnehmung religiöser Tätigkeiten staatlich unterstützen (
BGE 116 Ia 252
E. 5d S. 258 f.;
BGE 103 Ia 242
E. 3b S. 245;
BGE 102 Ia 468
E. 3b S. 473 ff.; Urteil des Bundesgerichts vom 24. Oktober 1994 i.S. B., publiziert in RDAT 1995 I n. 48 S. 119, E. 2b; HÄFELIN, a.a.O., Rz. 38-41 zu Art. 49; KARLEN, a.a.O., S. 328 f.). Im Übrigen ergibt sich jedoch unmittelbar aus
Art. 49 BV
die Pflicht des Staates, alle religiösen Bekenntnisse gleich zu behandeln. Der Staat darf niemanden aufgrund seiner Konfession oder sonst wie aus religiösen Motiven bevorzugen bzw. benachteiligen oder die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte von einer Konfessionszugehörigkeit abhängig machen (
BGE 123 I 296
E. 4b/bb
BGE 125 I 347 S. 355
S. 308 f.;
BGE 116 Ia 252
E. 5e S. 260;
BGE 113 Ia 304
E. 3c S. 307; RDAF 1998 S. 162, E. 4; ZBl 96/1995 S. 570, E. 2c; KARLEN, a.a.O., S. 191, 195 f.). Namentlich hat er, unter Vorbehalt der begründeten Sonderregelung für die Landeskirchen, bei der Gewährung staatlicher Leistungen die religiöse Neutralität zu beachten und darf nicht Angehörigen bestimmter Konfessionen Sonderrechte gewähren, die er anderen Konfessionen verweigert (
BGE 125 I 300
E. 3c S. 310;
BGE 123 I 296
E. 4b/bb S. 308;
BGE 118 Ia 46
E. 4e/aa S. 58).
b) Dieser allgemeine Grundsatz hat eine besondere Bedeutung und verfassungsrechtliche Verankerung im Bereich der öffentlichen Schule: Nach
Art. 27 Abs. 2 BV
müssen Primarschulen unter staatlicher Leitung stehen. Gemäss
Art. 27 Abs. 3 BV
sollen ferner die öffentlichen Schulen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können. Dies gilt - anders als
Art. 27 Abs. 2 BV
- nicht nur für die Primarschulen, sondern für alle öffentlichen Schulen (
BGE 107 Ia 261
E. 2b S. 264, mit Hinweisen; HÄFELIN, a.a.O., Rz. 55 zu Art. 49). Als öffentliche Schulen im Sinne von
Art. 27 Abs. 3 BV
gelten jedenfalls alle Schulen, die von einem öffentlichen Gemeinwesen getragen werden (BORGHI, Kommentar BV, Rz. 65 zu Art. 27; HÄFELIN, a.a.O., Rz. 55 zu Art. 49; HERBERT PLOTKE, Schweizerisches Schulrecht, Bern 1979, S. 55), allenfalls auch Schulen mit privater Trägerschaft, die eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen und von Rechts wegen allen Interessenten offen stehen (PLOTKE, a.a.O., S. 55 f.; ders., Bildung und Schule in den kantonalen Verfassungen, ZSR Beiheft Nr. 17, 1994, S. 5-118, 57 ff.). Als öffentlich müssen formal private Schulen namentlich dann gelten, wenn sie im Wesentlichen vom Staat finanziert werden, da sonst ein Kanton die Bestimmung von
Art. 27 Abs. 3 BV
umgehen könnte (HILDEGARD MAERKI, Das Prinzip des obligatorischen, unentgeltlichen und genügenden Primarunterrichts gemäss Artikel 27 der Bundesverfassung, Diss. Zürich 1947, S. 70; vgl. auch BORGHI, a.a.O., Rz. 67 zu Art. 27, sowie den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 8. November 1935, ZBl 39/1938 S. 239 f.).
c) Die Freie Öffentliche Schule Freiburg wurde zwar ursprünglich als Privatschule gegründet, ist aber seit mehr als hundert Jahren öffentlich anerkannt. Sie wird von einer öffentlichrechtlichen Körperschaft getragen und praktisch vollumfänglich vom Staat und den politischen Gemeinden finanziert. Sie ist sodann den Gesetzen und übrigen Vorschriften unterworfen, die für die öffentlichen Schulen
BGE 125 I 347 S. 356
gelten. Ausserdem untersteht sie der Gesetzgebung über die Gemeinden. Sie ist daher eine öffentliche Schule im Sinne von
Art. 27 Abs. 3 BV
und hat die daraus und aus
Art. 49 BV
fliessenden Anforderungen zu beachten.
4.
a)
Art. 27 Abs. 3 und
Art. 49 BV
verlangen eine konfessionelle Neutralität der öffentlichen Schulen (
BGE 123 I 296
E. 4b/bb S. 308 f.;
BGE 116 Ia 252
E. 6 S. 260; BORGHI, a.a.O., Rz. 64 ff. zu
Art. 27 BV
; HÄFELIN, a.a.O., Rz. 55 ff. zu Art. 49; HÄFELIN/HALLER, a.a.O., S. 420; PETER KARLEN, Umstrittene Religionsfreiheit: zu aktuellen Streitfällen und den Richtpunkten ihrer Beurteilung, ZSR 116/1997 I S. 193-211, 205). Im Einzelnen ist streitig, was das bedeutet. Als verfassungswidrig gelten Lehrinhalte und -methoden oder Organisationsformen, die konfessionell ausgerichtet sind (
BGE 123 I 296
E. 4b/bb S. 309;
BGE 119 Ia 178
E. 1c S. 180;
BGE 116 Ia 252
E. 6b S. 261; BORGHI, a.a.O., Rz. 68 zu Art. 27; WALTHER BURCKHARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, 3. Aufl., Bern 1931, S. 200; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 329; Häfelin, a.a.O., Rz. 56 zu Art. 49).
b) Umstritten ist, ob darüber hinaus
Art. 27 Abs. 3 BV
ein Verbot konfessioneller öffentlicher Schulen enthält. Die Lehre geht mehrheitlich davon aus, dass aufgrund von
Art. 27 Abs. 3 BV
die öffentlichen Schulen den Angehörigen aller Konfessionen offen stehen sollen und konfessionelle bzw. nach Konfessionen getrennte öffentliche Schulen daher verfassungswidrig sind (BURCKHARDT, a.a.O., S. 201; FLEINER/GIACOMETTI, a.a.O., S. 352 f.; HÄFELIN, a.a.O., Rz. 56 f. zu Art. 49; KARLEN, a.a.O. [1988], S. 149, 390 f.; JOSEF MARSCHALL, Das Prinzip der Konfessionslosigkeit der öffentlichen Schulen in der Bundesverfassung, Diss. Zürich 1948, S. 213 ff.; JÖRG PAUL MÜLLER, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, 2. Aufl. Bern 1991, S. 56; HERBERT PLOTKE, a.a.O. [1979], S. 155, 158 f.; JAKOB SCHOLLENBERGER, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Berlin 1905, S. 259).
Andere Autoren sind demgegenüber der Ansicht, dass sich aus
Art. 27 Abs. 3 BV
nicht ein Verbot konfessioneller Schulen, sondern nur ein Diskriminierungsverbot Andersgläubiger ergebe (ANTOINE FAVRE, Droit constitutionnel suisse, 2. Aufl., Fribourg 1970, S. 299 f.; THOMAS HOLENSTEIN, Die konfessionellen Artikel und der Schulartikel der schweizerischen Bundesverfassung, Olten 1931, S. 281; ULRICH LAMPERT, Staat und Kirche in der Schweiz, II. Band, Freiburg 1938, S. 460 ff.; GERALD PETITJEAN, Die christliche Grundlegung der Schule, Diss. Basel 1972, S. 86 ff. WERNER A. RECHSTEINER,
BGE 125 I 347 S. 357
Die Volksschule im Bundesstaat, Diss. Zürich 1978, S. 655 f.). Soweit konfessionelle Schulen bestehen, müssten dann jedoch aus Gründen der Rechtsgleichheit für jede Religionsgemeinschaft besondere konfessionelle Schulen zur Verfügung gestellt werden (ULRICH LAMPERT, Das schweizerische Bundesstaatsrecht, Zürich 1918, S. 164 f.; PETITJEAN, a.a.O., S. 88 f.).
c) In verschiedenen Kantonen - unter anderem im Kanton Freiburg - bestanden von alters her konfessionell getrennte Schulen für Katholiken und Reformierte (vgl. BGE 2 188; BBl 1871 III 391; Salis, Schweizerisches Bundesrecht, 2. Aufl., Bd. III [1903] Nr. 996, Bd. V [1904] Nr. 2478). Der Bundesrat hat schon in seiner frühen Praxis ein solches System regelmässig als verfassungswidrig erklärt (SALIS, a.a.O., Bd. V Nr. 2480, 2486-2489; ebenso VEB 29 (1959/60) Nr. 51 [Justizabteilung]), doch scheint dies in der Praxis nicht überall durchgesetzt worden zu sein (PLOTKE, a.a.O. [1979], S. 158 f.).
d) Das Bundesgericht hatte bisher nicht ausdrücklich zu entscheiden, ob ein System mit konfessionell getrennten öffentlichen Schulen zulässig ist. Seine Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass gestützt auf
Art. 49 und 27 BV
die öffentlichen Schulen das Gebot der konfessionellen Neutralität zu beachten haben; diese soll den Respekt der verschiedenen Überzeugungen garantieren und die Kinder bzw. die Eltern, die über deren religiöse Erziehung entscheiden (
Art. 303 ZGB
), vor unerwünschten konfessionellen Beeinflussungen bewahren. Zudem dient das Gebot der konfessionellen Neutralität der Schule auch dem religiösen Frieden (
BGE 123 I 296
E. 4b/bb S. 309;
BGE 116 Ia 252
E. 6 S. 260). Öffentliche Schulen müssen Angehörige sämtlicher Konfessionen ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit aufnehmen (
BGE 116 Ia 252
E. 6a S. 260).
e) Ein System mit konfessionell getrennten öffentlichen Schulen ist mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar. Es negiert das Gebot der konfessionellen Neutralität und verhindert den im Lichte des religiösen Friedens erwünschten Kontakt zwischen Kindern verschiedener Konfessionen. Zudem müssten aus Gründen der Gleichbehandlung sämtlichen Bekenntnissen je eigene, gleichwertige Schulen angeboten werden, denn es wäre mit der konfessionellen Neutralität des Staates nicht vereinbar, einzelnen Glaubensrichtungen den Besuch einer konfessionellen öffentlichen Schule zu ermöglichen, anderen aber nicht (vorne E. 3a und 4b; BORGHI, a.a.O., Rz. 72 zu Art. 27). Da die Glaubens- und Gewissensfreiheit auch die Freiheit enthält, keine religiösen Überzeugungen zu haben, müssten
BGE 125 I 347 S. 358
zudem auch konfessionslose öffentliche Schulen angeboten werden. Nachdem selbst in früher konfessionell homogenen Regionen heute eine religiöse Durchmischung festzustellen ist und zunehmend Angehörige von anderen als den traditionellen Bekenntnissen in der Schweiz leben, müsste insgesamt eine Vielzahl von Schulen geführt werden, was schon aus finanziellen Gründen kaum denkbar erscheint. Zumindest wäre es in der Realität nicht vermeidbar, dass zwischen den verschiedenen Schulen qualitative Unterschiede bestünden, sei es in fachlicher Hinsicht, sei es bezüglich äusserer Umstände des Schulbesuchs (Schulweg usw.). Wenn auch solche Unterschiede zwischen verschiedenen Schulen aus praktischen Gründen nie völlig vermeidbar sind und insoweit als unausweichlich in Kauf genommen werden müssen, so ist es doch mit dem Gebot der konfessionellen Neutralität nicht vereinbar, derartige Ungleichheiten im Schulunterricht von einem konfessionellen Kriterium abhängig zu machen (KARLEN, a.a.O. [1988], S. 390 f.).
f) Die Beschwerdeführer behaupten nicht, die ordentlichen öffentlichen Schulen im Kanton Freiburg seien konfessionell (katholisch) geprägt oder ihr Besuch sei infolge einer konfessionellen Prägung nicht zumutbar. Ebenso wenig wird geltend gemacht, der Unterricht an der Freien Öffentlichen Schule Freiburg sei auf eine unzulässige Weise reformiert geprägt. Insofern steht nicht ein eigentliches konfessionelles Schulsystem zur Diskussion. Hingegen geht es darum, dass nach dem angefochtenen Entscheid der Zugang zu einer öffentlichen Schule, welche von zahlreichen Eltern offenbar als qualitativ höherwertig betrachtet wird, nur oder primär den Angehörigen einer bestimmten Konfession offen steht. Der Staatsrat geht im angefochtenen Entscheid von einer Konzeption aus, wonach die Freie Öffentliche Schule Freiburg eine wenn auch nicht inhaltlich, so doch von ihrem Benützerkreis her konfessionelle, reformierte Schule sei.
g) Eine solche Konzeption steht in Widerspruch zu den genannten Grundsätzen. Als öffentliche Schule darf die Freie Öffentliche Schule Freiburg den Zugang nicht von der Konfessionszugehörigkeit abhängig machen. Indem der angefochtene Entscheid zur Folge hat, dass reformierte Schüler ohne weiteres, andere aber nur unter einschränkenden Voraussetzungen aufgenommen werden können, wird der Grundsatz der konfessionellen Neutralität der öffentlichen Schulen verletzt.
5.
a) Selbst wenn davon ausgegangen würde, konfessionelle öffentliche Schulen seien zulässig, wäre der angefochtene Entscheid verfassungswidrig: Denn auch in diesem Falle dürften nicht nach
BGE 125 I 347 S. 359
konfessionellen Kriterien bestimmte Kategorien von Schülern bevorzugt oder benachteiligt werden, sondern es müsste für alle Konfessionen eine gleichwertige Regelung zur Verfügung gestellt werden. Aufgrund der Akten ist davon auszugehen, dass die Freie Öffentliche Schule Freiburg besondere Strukturen und Schulkonzepte kennt, die sie für einen Teil der Eltern zu einer gegenüber der öffentlichen Schule bevorzugten Lehranstalt werden lassen. Unterhält der Staat eine derartige Bildungseinrichtung, darf er ihren Besuch nicht den Angehörigen einer bestimmten Konfession vorbehalten.
b) Der angefochtene Beschluss hat unter den gegebenen Umständen insbesondere zur Folge, dass reformierte deutschsprachige Kinder aus den mehrheitlich französischsprachigen Gemeinden ohne weiteres einen Unterricht in deutscher Sprache besuchen können, andere deutschsprachige Kinder jedoch nicht oder nur unter einschränkenden Voraussetzungen (Genehmigung durch Schulinspektor, allenfalls Kostenpflicht). Die Konfession wird dadurch im Ergebnis zum Kriterium dafür, ob deutschsprachige Kinder einen (unentgeltlichen) Unterricht in ihrer Muttersprache besuchen können oder nicht. Das Schulangebot ist damit für reformierte Kinder nicht gleichwertig wie dasjenige für nicht-reformierte. Das widerspricht
Art. 27 Abs. 3 und
Art. 49 BV
und auch
Art. 4 BV
.
c) Dabei ist nicht entscheidend, ob und unter welchen Voraussetzungen der Kanton verfassungsrechtlich verpflichtet ist, sprachlichen Minderheiten einen Unterricht in ihrer Muttersprache anzubieten. Aufgrund des Territorialitätsprinzips entspricht die Unterrichtssprache in der öffentlichen Schule der Amtssprache des Einzugsgebiets; die Sprachenfreiheit gibt sprachlichen Minderheiten grundsätzlich keinen Anspruch darauf, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden (
BGE 122 I 236
E. 2d S. 239;
BGE 100 Ia 462
E. 2 S. 466; VPB 40 (1976) Nr. 37 E. 4 S. 46 f.). Hingegen kann sich in traditionell zwei- oder mehrsprachigen Gebieten aus der Sprachenfreiheit ein Anspruch darauf ergeben, in einer der mehreren traditionellen Sprachen unterrichtet zu werden, sofern dies nicht zu einer unverhältnismässigen Belastung des Gemeinwesens führt (
BGE 122 I 236
E. 2d S. 240;
BGE 106 Ia 299
E. 2b/cc S. 306).
In welchen der hier zur Diskussion stehenden Gemeinden ein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltlichen Unterricht in deutscher Sprache besteht, ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Auszugehen ist davon, dass der Kanton im örtlichen Umfang des freien öffentlichen Schulkreises Freiburg einen solchen Anspruch gewährt, dies aber nur für reformierte Kinder. Er macht damit sein
BGE 125 I 347 S. 360
Leistungsangebot von einem konfessionellen Kriterium abhängig, was nach dem Gesagten nicht zulässig ist. Sofern der Kanton einen solchen Unterricht anbietet, muss er ihn allen Schülern in den betreffenden Gemeinden zu gleichen Bedingungen und unabhängig von der Konfessionszugehörigkeit zugänglich machen.
6.
Der angefochtene Entscheid verstösst somit gegen
Art. 4, 27 und 49 BV
und ist aufzuheben. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführer einzugehen. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, zu entscheiden, wo die Kinder der Beschwerdeführer die Schule besuchen können. Aus
Art. 27 BV
folgt kein Anspruch auf unentgeltlichen Besuch einer Schule nach freier Wahl (vgl.
BGE 122 I 236
E. 4d S. 245;
BGE 117 Ia 27
E. 6). Das Gemeinwesen ist (unter Vorbehalt besonderer örtlicher Situationen oder anderer Verhältnisse) nicht verpflichtet, den unentgeltlichen Schulbesuch an einem anderen als dem Wohn- bzw. Aufenthaltsort zu ermöglichen (VPB 59/1995 Nr. 58; 44/1980 Nr. 19, E. 6; BORGHI, a.a.O., Rz. 57 f. zu Art. 27, mit Hinweisen). Auch soweit innerhalb einer Gemeinde mehrere Schulen bestehen, sind die Kantone bzw. Gemeinden befugt, im Interesse einer ökonomischen Planung die Kinder nach sachlichen Kriterien einer bestimmten Schule zuzuweisen. Insofern haben die Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch darauf, dass ihre Kinder unentgeltlich die Freie Öffentliche Schule Freiburg besuchen können. Wenn und solange jedoch der Kanton diese Möglichkeit den Reformierten zugesteht, kann er sie nicht ohne Verfassungsverletzung anderen Schülern verweigern. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d5900df1-5a74-46a9-90ac-4c766f016a68 | Urteilskopf
110 III 49
14. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 12. Dezember 1984 i.S. H. G. | Regeste
Art. 8 Abs. 2 SchKG
.
Recht auf Einsicht in die Protokolle und auf Auszüge. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 110 III 49 S. 49
A.-
Über H. G. wurde am 14. Februar 1977 der Konkurs eröffnet und im ordentlichen Verfahren durchgeführt. Am 7. März 1983 wurde der Konkurs widerrufen; die Publikation des Widerrufs erfolgte am 7. Juli 1983. Die Gebühren- und Auslagenrechnung wurde Anfang Januar 1984 erstellt und am 15. Januar 1984 vom Präsidenten der Aufsichtsbehörde geprüft.
Am 21. April 1984 sandte das Konkursamt dem Rechtsvertreter von H. G. die "Schlussabrechnung zur Verwaltung der Liegenschaft Parz. ...", worin das Total der "Netto-Erträgnisse 1977-1983" sowie der Aufwand angegeben und daraus ein Saldo zugunsten von H. G. im Betrag von Fr. 6'948.60 errechnet wird. Eine weitere Aufstellung, welche das Konkursamt dem Rechtsvertreter von H. G. am 24. April 1984 zukommen liess, nennt für die beweglichen Gegenstände den "Verwertungserlös brutto" und, nach Abzug der Verwertungskosten sowie der Konkurskosten gemäss der Gebühren- und Auslagenrechnung, einen Saldo zugunsten von H. G. von Fr. 5'733.25.
Mit Schreiben vom 25. April 1984 verlangte der Rechtsvertreter von H. G. vom Konkursamt detaillierte Auskunft zur "Schlussabrechnung" und Einsichtnahme in die Belege. Hierauf reagierte das Konkursamt am 15. Juni 1984 mit einer Aufstellung, in welcher die Totalbeträge von Aufwand und Ertrag aus der Liegenschaftsverwaltung angegeben werden, sowie mit einer ergänzenden Detailaufstellung und den Belegen hiezu.
BGE 110 III 49 S. 50
Am 18. Juli 1984 begehrte der Rechtsvertreter von H. G. vom Konkursamt weitere Auskünfte über die Liegenschaftsverwaltung. Sodann forderte er "eine detaillierte Abrechnung über die Verwertung von Gegenständen, deren Schlussergebnis Sie mir am 24. April 1984 bekanntgegeben haben". Schliesslich wollte er vom Konkursamt wissen, "wieso unter anderem Goldmünzen mit Börsenwert vorzeitig verwertet wurden". Nachdem der Rechtsvertreter das Konkursamt am 6. September 1984 an jenes Schreiben erinnert hatte, antwortete ihm das Konkursamt am 27. September 1984, dass es "die Abrechnung über Liegenschaftsverwaltung und Verwertung umfassend dokumentiert" habe. Bezüglich eines vom Rechtsvertreter erwähnten Durchleitungsrechtes verwies das Konkursamt auf
BGE 108 III 1
ff. Schliesslich führte es aus, dass die von der Aufsichtsbehörde geprüften Akten im Konkurs des H. G. archiviert seien und dass es deshalb auf die Sache nicht mehr eintreten könne.
B.-
H. G. liess am 8. Oktober 1984 durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gegen das Konkursamt erheben mit dem Begehren:
"Es sei festzustellen, dass eine Rechtsverweigerung vorliegt, das
Konkursamt anzuweisen, innert einer Frist von 5 Tagen die im Schreiben vom
18. Juli 1984 aufgeworfenen Fragen zu beantworten und insbesondere eine
vollständige detaillierte Aufstellung und Abrechnung über die vom Amt im
zwischenzeitlich widerrufenen Konkursverfahren verwahrten und verwalteten
Sachen zu erstellen unter Bekanntgabe, wo diese abgeholt werden können."
Die Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs wies die Beschwerde am 9. November 1984 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte, was H. G. zum Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts veranlasste. Sein Antrag lautet:
"Es sei in Aufhebung des angefochtenen Entscheides festzustellen, dass
eine Rechtsverweigerung vorliegt.
Das Konkursamt sei anzuweisen, innert einer Frist von 5 Tagen die im
Schreiben namens des Rekurrenten vom 18. Juli 1984 aufgeworfenen Fragen zu
beantworten und insbesondere eine vollständige detaillierte Aufstellung und
Abrechnung über die vom Amt im zwischenzeitlich widerrufenen
Konkursverfahren verwahrten und verwalteten Sachen zu erstellen unter
Bekanntgabe, wo diese abgeholt werden können."
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Gemäss
Art. 8 Abs. 2 SchKG
kann jedermann, der ein Interesse nachweist, die Protokolle der Betreibungs- und Konkursämter
BGE 110 III 49 S. 51
einsehen und sich Auszüge daraus geben lassen. Dass der Rekurrent ein berechtigtes Interesse hat, Einsicht in die Akten des über ihn eröffneten und in der Folge widerrufenen Konkurses zu nehmen, steht ausser Zweifel. Sein Anspruch auf Akteneinsicht wird weder vom Konkursamt, welches den Begehren des Rekurrenten teilweise stattgegeben hat, noch von der kantonalen Aufsichtsbehörde grundsätzlich in Abrede gestellt.
Die kantonale Aufsichtsbehörde ist jedoch der Ansicht, es bestehe kein Anspruch des Konkursiten auf nachträgliche Amtshandlungen und Auskünfte nach abgeschlossenem Konkurs. Indessen lässt sich diese Meinung nicht aufrechterhalten. Das Recht, die Akten einzusehen und sich daraus Auszüge geben zu lassen, besteht - unter der Voraussetzung eines ausgewiesenen Interesses - so lange, als die Betreibungs- und Konkursämter nach Massgabe der Verordnung des Bundesgerichts über die Aufbewahrung der Betreibungs- und Konkursakten (vom 14. März 1938; SR 281.33) verpflichtet sind, die Register und Protokolle aufzubewahren (
BGE 99 III 44
mit Hinweis). Der Umstand, dass die Akten aus dem Konkurs des Rekurrenten archiviert sind und dass der damit befasste Konkursbeamte jetzt im Ruhestand lebt, vermag die Verweigerung der Akteneinsicht nicht zu begründen.
Das in
Art. 8 Abs. 2 SchKG
verankerte Recht, die Protokolle einzusehen und sich Auszüge daraus geben zu lassen, beinhaltet auch den Anspruch auf Einsicht in die entsprechenden Aktenstücke und Belege (
BGE 93 III 7
).
Das Recht auf Erstellung eines Auszuges geht in der Regel ebenso weit wie das Einsichtsrecht. Es stösst dort auf seine Grenze, wo die Erstellung eines Auszuges dem Betreibungs- oder Konkursamt einen unzumutbaren Arbeitsaufwand verursacht, so dass ihm das Recht zuzugestehen ist, den Gesuchsteller auf die persönliche Einsichtnahme zu verweisen (
BGE 102 III 62
).
Auf Fragen, die nicht durch die Zustellung von Auszügen aus den Akten oder durch die persönliche Einsichtnahme des Gesuchstellers in die Akten beantwortet werden, sondern auf eine Würdigung der Protokolle und Belege hinauslaufen, brauchen die Betreibungs- und Konkursämter keine Antwort zu erteilen.
5.
Aus den vorstehend entwickelten Leitgedanken zur Akteneinsicht aufgrund von
Art. 8 Abs. 2 SchKG
ergibt sich für den vorliegenden Fall das Folgende:
a) Das Konkursamt schuldet dem Rekurrenten keine Antwort auf die Frage, aus welchen Gründen bei der Verwaltung der Liegenschaften
BGE 110 III 49 S. 52
bestimmte Rechnungen bezahlt wurden. Der Rekurrent ist sehr wohl in der Lage, die Gründe hiefür selber zu erkennen und aus den Rechtsvorgängen jene Folgerungen zu ziehen, die ihm richtig erscheinen.
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat im angefochtenen Entscheid festgestellt, dass der Rekurrent seit dem 5. Dezember 1981 im Besitz von Fotokopien der beiden mit den St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerken abgeschlossenen Verträge ist. Dass diese Feststellung auf offensichtlichem Versehen beruhe, behauptet der Rekurrent nicht. Das Konkursamt ist gegenüber dem Rekurrenten zu keiner Erklärung der Gründe verpflichtet, die es zum Abschluss dieser Verträge bewogen haben. Welche Rechte und Pflichten ihm daraus erwachsen, vermag der Rekurrent selber zu erkennen.
Ebenso mag der Rekurrent seine eigenen Überlegungen zur Verwertung der Goldmünzen durch das Konkursamt anstellen. Er kann aus den Konkursakten ersehen, wann sie verwertet wurden.
b) Was die im Konkurs verwerteten Gegenstände anbetrifft, steht fest, dass das Konkursamt dem Rekurrenten am 24. April 1984 eine summarische Aufstellung gegeben hat. Doch sind dem Rekurrenten die Details hiezu nicht bekanntgegeben worden, noch hat er - anders als bezüglich der Liegenschaftenverwaltung - die Belege zu Gesicht bekommen. Insofern hat das Konkursamt dem Ersuchen des Rekurrenten in seinem Schreiben vom 18. Juli 1984 zu Unrecht nicht stattgegeben und dadurch
Art. 8 Abs. 2 SchKG
verletzt.
Es lässt sich dem nicht entgegenhalten, wie die kantonale Aufsichtsbehörde es tut, dass Begehren und Beschwerden "einen praktischen, noch realisierbaren Verfahrenszweck verfolgen" müssten. Der von der Aufsichtsbehörde in diesem Zusammenhang angerufene
BGE 105 III 35
ff. grenzt das Beschwerde- und Rekursverfahren gegen die Verantwortlichkeitsklage (und Rekurse, die zur Unterstützung einer solchen angehoben werden) ab, welches Problem in dem hier zu beurteilenden Fall nicht zur Diskussion steht. Wie oben (E. 4) dargelegt, räumt
Art. 8 Abs. 2 SchKG
dem durch ein berechtigtes Interesse ausgewiesenen Gesuchsteller unabhängig von einem laufenden Betreibungs- oder Konkursverfahren das Recht auf Akteneinsicht ein.
c) Der vorliegende Rekurs ist somit in dem Sinne teilweise gutzuheissen, dass das Konkursamt angewiesen wird, dem Rekurrenten eine detaillierte Aufstellung über die im Konkursverfahren verwalteten und verwerteten beweglichen Gegenstände sowie die
BGE 110 III 49 S. 53
diesbezüglichen Belege zur Verfügung zu halten. Die vom Rekurrenten gewünschten Auskünfte können aufgrund der Konkursprotokolle erteilt werden (vgl.
Art. 8 ff. KOV
). Allerdings vermag das Bundesgericht nicht zu beurteilen, ob die Erstellung von Auszügen dem Konkursamt allenfalls einen unzumutbaren Aufwand im Sinne von
BGE 102 III 62
verursachen würde. Angesichts der langen Dauer des Konkursverfahrens - 14. Februar 1977 bis 7. März 1983 - liegt die Vermutung nahe, dass dies der Fall sein könnte. Zweckmässigerweise wird deshalb das Konkursamt dem Rekurrenten die Akten des Konkurses zur Verfügung halten, damit er persönlich Einsicht nehmen kann. Der Rekurrent hat alsdann Gelegenheit, die Akten zu bezeichnen, von denen er gegen Entrichtung der Gebühr gemäss Art. 10 GebTSchKG Fotokopien zu erhalten wünscht. Dem Konkursamt ist eine kurze Frist anzusetzen, damit es dem Rekurrenten bzw. seinem Rechtsvertreter mitteilen kann, an welchem Ort und ab welchem Zeitpunkt Einsicht in die Akten genommen werden kann. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d591c25c-4250-4a58-87d1-4637399de62f | Urteilskopf
136 II 329
29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Mitb. gegen Migrationsamt Kanton Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_558/2009 vom 26. April 2010 | Regeste
Art. 4 und 16 FZA
;
Art. 2 und 12 Anhang I FZA
;
Art. 6 VEP
;
Art. 13 ANAV
; Begriff der "automatischen" Verlängerung einer EG/EFTA-Bewilligung.
Das Freizügigkeitsabkommen schliesst ergänzende nationale Verfahrensregeln bei der Verlängerung von EG/EFTA-Aufenthaltsbewilligungen bzw. -papieren nicht aus. Zwar hat die Bewilligung keine rechtsbegründende, sondern bloss deklaratorische Bedeutung; dies entbindet die aus dem FZA Berechtigten indessen nicht davon, sich bei den Behörden zu melden und das erforderliche Ausweispapier zu beschaffen bzw. die hierfür nötigen Angaben zu liefern. Die Vorgabe, zwei Wochen vor Ablauf den EG-Ausländerausweis mit der Verfallsanzeige bei der zuständigen Behörde einzureichen, wenn ein weiterer Aufenthalt oder eine weitere Erwerbstätigkeit in der Schweiz beabsichtigt wird, ist nicht diskriminierend und mit dem Freizügigkeitsrecht vereinbar (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 330
BGE 136 II 329 S. 330
Der deutsche Staatsbürger X. (geb. 1947) trat am 1. August 2001 eine Stelle in der Schweiz an. Am 25. September 2002 stellte das Migrationsamt des Kantons Aargau ihm eine EG/EFTA-Aufenthaltsbewilligung aus, deren Gültigkeit ursprünglich bis zum 30. September 2006 beschränkt war, auf Wunsch von X. jedoch bis zum 30. September 2007 verlängert wurde. Seit dem 1. August 2006 ist X. bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau (SVA) als Selbständigerwerbender gemeldet.
X. ersuchte am 17. August 2007 die Einwohnerkontrolle darum, seine Aufenthaltsbewilligung und jene seiner Frau und seines Sohns zu verlängern. Er wurde eingeladen, hierfür das Formular "Verfallsanzeige" und die entsprechenden Ausländerausweise einzureichen. X. weigerte sich, dies zu tun, da er und seine Angehörigen gestützt auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) einen Anspruch auf eine "automatische" Verlängerung hätten.
Nach verschiedenen Briefwechseln trat das Migrationsamt des Kantons Aargau am 23. April 2008 auf sein Gesuch nicht ein. Der hiergegen erhobenen Einsprache gab der Rechtsdienst des Migrationsamts am 25. September 2008 keine Folge. Das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau befand am 9. Juli 2009, dass das Freizügigkeitsabkommen den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum belasse, um das Verlängerungsverfahren zu gestalten, weshalb es grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, dass das Migrationsamt auch Personen, die unter das Freizügigkeitsabkommen fielen, vor der Verlängerung des Ausländerausweises auffordere, das
BGE 136 II 329 S. 331
Formular "Verfallsanzeige" auszufüllen und mit diesem einzureichen, soweit dies nicht überspitzt formalistisch erscheine.
X. und seine Frau bzw. sein Sohn beantragen vor Bundesgericht, das Urteil des Rekursgerichts aufzuheben und ihnen in (automatischer) Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ohne weiteres Zutun die Ausländerausweise für EG/EFTA-Bürger aus- und zuzustellen bzw. ihre EG/EFTA-Aufenthaltsbewilligungen zu verlängern.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Nach dem Freizügigkeitsabkommen wird das Recht auf grenzüberschreitenden Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit nach Massgabe des Anhangs I gewährt (
Art. 4 FZA
). Dieser sieht in Art. 2 Abs. 3 vor, dass die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder Sonderbescheinigung kostenlos oder gegen Entrichtung eines Betrags erfolgt, der die Ausstellungsgebühr für Personalausweise von Inländern nicht übersteigen darf (Satz 1). Die Vertragsparteien treffen "alle erforderlichen Massnahmen, um die Formalitäten und Verfahren für die Beschaffung dieser Dokumente so weit wie möglich zu vereinfachen" (Satz 2). Sie können von den Staatsangehörigen der anderen Vertragsparteien verlangen, ihre Anwesenheit anzuzeigen (
Art. 2 Abs. 4 Anhang I FZA
). Nach
Art. 12 Abs. 1 Anhang I FZA
erhält der Staatsangehörige einer Vertragspartei, der sich zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei niederlassen will ("Selbständiger"), eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Gültigkeitsdauer von mindestens fünf Jahren, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung, sofern er den zuständigen nationalen Behörden nachweist, dass er zu diesem Zweck niedergelassen ist oder sich niederlassen will. Seine Aufenthaltserlaubnis wird "automatisch" um mindestens fünf Jahre verlängert, sofern er den zuständigen nationalen Behörden belegt, dass er (weiter) eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (
Art. 12 Abs. 2 Anhang I FZA
). Für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis dürfen die Vertragsparteien von ihm nur den Ausweis, mit dem er in ihr Hoheitsgebiet eingereist ist (Art. 12 Abs. 3 lit. a Anhang I FZA), und den Nachweis der Niederlassung zur selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. deren (weiteren) Ausübung verlangen (Art. 12 Abs. 3 lit. b Anhang I FZA).
BGE 136 II 329 S. 332
2.2
Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers schliessen diese Bestimmungen - wie das Rekursgericht zu Recht festgestellt hat - ergänzende nationale Verfahrensregeln im Zusammenhang mit der Verlängerung von EG/EFTA-Aufenthaltsbewilligungen bzw. den entsprechenden Papieren nicht aus (vgl. auch KAY HAILBRONNER, Asyl- und Ausländerrecht, Stuttgart 2008, N. 786): Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) Bewilligungen in der EU keine rechtsbegründende, sondern bloss deklaratorische Bedeutung haben (vgl. Urteile vom 5. Februar 1991 C-363/89
Roux
, Slg. 1991 I-273 Randnr. 12 sowie vom 25. Juli 2002 C-459/99
Mouvement contre le racisme, l'antisémitisme et la xénophobie
[MRAX], Slg. 2002 I-6591 Randnr. 74). Dies gilt grundsätzlich auch für das FZA (vgl.
BGE 134 IV 57
E. 4), was den betroffenen Wanderarbeiter, seine Angehörigen oder - wie hier - den Selbständigerwerbenden und seine Familienmitglieder jedoch nicht davon entbindet, sich bei den Behörden zu melden und das erforderliche Ausweispapier zu beschaffen bzw. die hierfür nötigen Angaben zu machen (vgl. MARCEL DIETRICH, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union, 1995, S. 479 f.). Dies ergibt sich bereits aus der allgemeinen Bestimmung, wonach sich die Signatarstaaten verpflichten, "die Formalitäten und Verfahren für die Beschaffung dieser Dokumente so weit wie möglich zu vereinfachen". Wären nationale Formalitäten und Verfahren überhaupt unzulässig und bestünde - wie die Beschwerdeführer behaupten - ein Bewilligungsautomatismus, erübrigte sich diese Regelung. Der jeweilige Ausweis bestätigt, dass der Betroffene die Voraussetzungen des FZA tatsächlich erfüllt. Er attestiert das Anwesenheitsrecht im konkreten Fall (allgemein zum Ausländerausweis: PETER UEBERSAX, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 7.282). Das Verfahren dient dazu, die "individuelle Situation eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedsstaats im Hinblick auf die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts festzustellen" (vgl. das Urteil
MRAX
, Randnr. 74; vgl. UEBERSAX, a.a.O., N. 7.85; ALVARO BORGHI, La libre circulation des personnes entre la Suisse et l'UE, 2010, N. 158 ff.; HAILBRONNER, a.a.O., N. 790 ff. und 810; HUBER/GÖBEL-ZIMMERMANN, Ausländer- und Asylrecht, München 2008, N. 1428 ff.; DIETRICH, a.a.O., S. 475). Die Bewilligung muss erteilt werden, falls die staatsvertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind; durch den fehlenden Ausweis allein wird der Aufenthalt nicht illegal. Das Erneuerungsverfahren bildet regelmässig Anlass, das Fortbestehen der Freizügigkeitsvoraussetzungen zu prüfen und den Aufenthaltstyp zu präzisieren
BGE 136 II 329 S. 333
bzw. den Ausweis anzupassen (Wechsel von selbständiger zu unselbständiger Erwerbstätigkeit usw.; BORGHI, a.a.O., N. 167 ff.; DIETRICH, a.a.O., S. 475; zur Nichtverlängerung einer Bewilligung:
BGE 130 II 176
E. 3.1 S. 180 letzter Halbsatz; zu den Bewilligungsvoraussetzungen bei Familiennachzug eines EU-Bürgers:
BGE 136 II 177
E. 3.2.2 und 3.2.3 S. 185). Die Unterzeichnerstaaten sind befugt, das Verfahren über Ordnungsvorschriften sicherzustellen. Diese sollen nicht weiter gehen, als das für den Zweck der Verlängerung notwendig erscheint (vgl. DIETRICH, a.a.O., S. 477). Ihre Verletzung allein darf nicht damit sanktioniert werden, dass dem Betroffenen sein Anwesenheitsrecht abgesprochen wird bzw. dieses von sich aus dahinfällt (vgl. BORGHI, a.a.O., N. 159; HUBER/GÖBEL-ZIMMERMANN, a.a.O., N. 1465; Urteil
MRAX
, Randnr. 78). Der Entzug bzw. die Nichtverlängerung der (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis ist nur bei einem vorherigen Wegfall des (konstitutiven) Aufenthaltsrechts möglich (vgl. DIETRICH, a.a.O., S. 478), etwa aufgrund des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemäss
Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA
. In diesem Sinn ist in systematischer und teleologischer Auslegung der Begriff "automatisch" von
Art. 12 Abs. 2 Anhang I FZA
zu verstehen.
2.3
Nach
Art. 16 Abs. 2 FZA
ist die Rechtsprechung des EuGH bis zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens am 21. Juni 1999 in Bezug auf gemeinschaftsrechtliche Begriffe für deren Auslegung verbindlich. Das Freizügigkeitsabkommen strebt im Bereich des durch die Schweiz übernommenen "Acquis communautaire" eine möglichst kongruente Rechtslage zwischen dem FZA und dem Gemeinschaftsrecht an (vgl.
Art. 16 Abs. 1 FZA
;
BGE 136 II 5
E. 3.6.2 S. 16,
BGE 136 II 65
E. 3.1 S. 71). In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass auch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 ff.), in Art. 5 Abs. 5 vorsieht, dass der Mitgliedstaat vom Betroffenen verlangen darf, seine Anwesenheit innerhalb eines angemessenen und nicht diskriminierenden Zeitraums zu melden. Die Nichterfüllung der Meldepflicht kann mit verhältnismässigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden. Art. 8 der Richtlinie 2004/38/EG regelt die zulässigen Verwaltungsformalitäten und lässt bei deren Verletzung ebenfalls verhältnismässige und nicht diskriminierende Sanktionen zu (Abs. 2). Nach Art. 25 Abs. 1 dürfen die Ausübung eines Rechts und die Erledigung von Verwaltungsformalitäten jedoch nicht vom Besitz einer
BGE 136 II 329 S. 334
Anmeldebescheinigung, eines Dokuments zur Bescheinigung des Daueraufenthalts, einer Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltskarte, einer Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige, einer Aufenthaltskarte oder einer Daueraufenthaltskarte abhängig gemacht werden, "wenn das Recht durch andere Beweismittel nachgewiesen werden kann"; dies setzt konsequenterweise wiederum die Zulässigkeit eines entsprechenden (einfachen) Verfahrens voraus. Sind im Rahmen der Richtlinie 2004/38/EG nationale ordnungsrechtliche Verfahrensvorschriften damit zulässig und darf deren Verletzung sanktioniert werden, ist nicht anzunehmen, entsprechende nationale Vorschriften hätten im Rahmen des FZA, das seinerseits nicht auf die Unionsbürgerschaft im innergemeinschaftlichen Verhältnis abstellt, ausgeschlossen werden sollen. Das deutsche Gesetz vom 30. Juli 2004 über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) sieht in § 8 Abs. 1 Ziff. 3 seinerseits ebenfalls vor, dass Unionsbürger und ihre Familienangehörigen verpflichtet sind, den Pass oder Passersatz sowie die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht, die Aufenthaltskarte, die Bescheinigung des Daueraufenthalts und die Daueraufenthaltskarte den mit der Ausführung des Gesetzes betrauten Behörden "vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Massnahmen" erforderlich ist (vgl. KAY HAILBRONNER, Ausländer- und Asylrecht, Vorschriftensammlung, 3. Aufl., Heidelberg 2007, D 1).
3.
Der angefochtene Entscheid ist damit weder ausländer- noch FZA-rechtlich zu beanstanden:
3.1
Die Migrationsbehörden haben die Beschwerdeführer ersucht, eine sogenannte "Verfallsanzeige" und ihre Ausländerausweise einzureichen. Das war nach den - hier noch anwendbaren (vgl.
Art. 126 AuG
[SR 142.20]) - alt- wie nach den neurechtlichen nationalen Rechtsgrundlagen zulässig: Nach
Art. 6 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten sowie unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (VEP; SR 142. 203)
erhalten EG- und EFTA-Angehörige und ihre Familienmitglieder, die eine Bewilligung gestützt auf das FZA oder das EFTA-Übereinkommen besitzen, einen Ausländerausweis (Abs. 1). Dieser wird für den Nachweis der Niederlassungsbewilligung EG/EFTA zur
BGE 136 II 329 S. 335
Kontrolle mit einer Laufzeit von fünf Jahren ausgestellt und ist "zwei Wochen vor Ende der Laufzeit der zuständigen Behörde zur Verlängerung vorzulegen". Im Übrigen gilt Art. 13 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAV [AS 1949 228]) sinngemäss, der sich seinerseits auf
Art. 25 Abs. 1 lit. b ANAG
[AS 49 279] stützt (vgl. SPESCHA/STRÄULI, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2004, S. 139 zu Abs. 1 von
Art. 25 ANAG
). Danach erhält der Ausländer über die ihm erteilte Bewilligung einen Ausländerausweis, der über seine fremdenpolizeiliche Rechtslage gemäss den Weisungen des Bundesamts erschöpfend Auskunft gibt (Abs. 1 und 2). Jeder Ausländer ist verpflichtet, seinen Ausländerausweis den Behörden auf Verlangen vorzuweisen (
Art. 13 Abs. 3 ANAV
). Nach
Art. 9 VEP
gelten für das Melde- und Bewilligungsverfahren die allgemeinen ausländerrechtlichen Verpflichtungen und Fristen (
Art. 2 und 3 ANAG
und
Art. 1 und 2 ANAV
). Das neue Recht verweist in
Art. 9 VEP
(Fassung vom 13. März 2009 [AS 2009 1825]) auf
Art. 10-15 AuG
sowie gewisse Bestimmungen der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201).
3.2
Zwar erwähnt
Art. 6 Abs. 2 VEP
den Ausländerausweis nur im Zusammenhang mit dem "Nachweis der Niederlassungsbewilligung EG/EFTA", doch gilt die Pflicht, die zur Verlängerung anstehenden Ausländerausweise zwei Wochen vor deren Ablauf bei der zuständigen Behörde einzureichen, für die anderen Bewilligungsarten analog ("a maiore minus"). Dies ergibt sich aus den Weisungen und Erläuterungen des Bundesamts über die schrittweise Einführung des freien Personenverkehrs (Weisungen VEP sowohl mit Stand vom 1. April 2006 als auch vom 1. Juni 2009): Nach deren Ziffer 2.3.5 sind die EG-Ausländerausweise "zwei Wochen vor Ende der Laufzeit der zuständigen Behörde zur Verlängerung vorzulegen, wenn ein weiterer Aufenthalt oder eine weitere Erwerbstätigkeit in der Schweiz vorgesehen ist". Hiermit stand das anwendbare aargauische Recht im Einklang, das in § 8 der (im Jahr 2007 geltenden) kantonalen Vollziehungsverordnung zum freien Personenverkehr (VBFP; SAR 122.821) bestimmte, dass die Ausländerausweise zwei Wochen vor Ende der Laufzeit zusammen mit einem schriftlichen Verlängerungsgesuch auf der Einwohnerkontrolle der Wohngemeinde abzugeben waren.
3.3
Bei der von den Beschwerdeführern einverlangten Verfallsanzeige handelt es sich um ein Formular, mit dem einige wenige
BGE 136 II 329 S. 336
Angaben zum Zivilstand, zur Adresse der Ehegatten, der Staatsangehörigkeit und der Gültigkeitsdauer des Passes bzw. zur ausgeübten Tätigkeit erhoben werden. Die entsprechenden Angaben waren für das Ausstellen der Bewilligungsverlängerung bzw. der entsprechenden Ausweispapiere relevant. Zwar verfügten die Beschwerdeführer hiervon unabhängig über einen Bewilligungsanspruch, sie waren jedoch verpflichtet, sich an die verfahrensrechtlichen Vorgaben zu halten, in deren Rahmen der Fortbestand des Anspruchs ausweisrechtlich verurkundet bzw. aktualisiert werden sollte. Der damit verbundene Aufwand beschränkte sich auf einige wenige Minuten. Das Rekursgericht hat zu Recht den Einwand verworfen, dass es sich dabei um ein umfangreiches Gesuch mit einem "inquisitorischen Ausfragen" der Betroffenen handle. Es werden im Verlängerungsverfahren in etwa Angaben und eine Mitwirkung im selben Umfang wie für Schweizer Bürger und Bürgerinnen verlangt, die sich einen Personalausweis oder eine Identitätskarte beschaffen wollen. Das Rekursgericht ist zugunsten der Beschwerdeführer davon ausgegangen, dass im konkreten Fall auf die Verfallsanzeige hätte verzichtet werden müssen, da das Migrationsamt anderweitig über die nötigen Informationen und Bestätigungen verfügt habe, um den Ausländerausweis zu verlängern. Dies ist im Einzelfall vertretbar, kann indessen nicht als Regel gelten: Richtig ist, dass keine formelle Bestimmung die Verwendung des Verfallformulars für das Verlängerungsersuchen vorschreibt, implizit ergibt sich die Verwendung des entsprechenden Formulars aber bereits aus dem Ausweissystem als solchem, nachdem das Bundesamt für Migration dessen Ausgestaltung schweizweit regeln und das Formular "Verfallsanzeige" mit Blick auf das mit dem FZA verbundene Massenverfahren einheitlich gestalten kann, um dem Gebot eines möglichst einfachen, diskriminierungsfreien Verlängerungsverfahrens im Sinne von Art. 2 Abs. 3 des Anhangs I FZA nachzukommen.
3.4
Da die Beschwerdeführer - trotz wiederholter und begründeter Aufforderung - weder das Verfallsformular noch ihre Ausweise eingereicht haben, war das Migrationsamt berechtigt, das hängige Verfahren abzuschliessen, da und solange sie nicht bereit waren, ihren verfahrensrechtlichen Pflichten nachzukommen. Sollten sie die von ihnen geforderten Unterlagen nachreichen, wäre das Verfahren - wie das Rekursgericht zu Recht festgestellt hat - wieder aufzunehmen und könnten ihre Bewilligungen verlängert werden, falls sämtliche Voraussetzungen hierfür gegeben sind. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d5945898-9288-4a82-92ab-dc6f88a9c330 | Urteilskopf
97 V 187
45. Auszug aus dem Urteil vom 3. September 1971 i.S. Schweizerische Krankenkasse Artisana gegen Anzalone und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 30 Abs. 2 KUVG
,
Art. 107 Abs. 3 OG
und Art. 38 VwG.
Mangelhafte Eröffnung: unrichtige Rechtsmittelbelehrung. Auswirkungen einer ungesetzlichen Erstreckung der Rechtsmittelfrist (Erw. 2 und 3).
Art. 30bis Abs. 3 lit. a KUVG
und
Art. 159 OG
.
Zusprechung von Parteientschädigungen im erstinstanzlichen Verfahren (Erw. 4). | Erwägungen
ab Seite 187
BGE 97 V 187 S. 187
Aus den Erwägungen:
1.
...
2.
Nach der Rechtsprechung darf dem Rechtsuchenden, der sich auf eine von der zuständigen Behörde erteilte, sachlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen hat und verlassen durfte, daraus kein Nachteil erwachsen (EVGE 1964 S. 68,
BGE 78 I 297
mit Verweisungen). Dieser Grundsatz ist in Art. 107 Abs. 3 rev. OG im Hinblick auf die in Art. 35 Abs. 1 und 2 VwG vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege gesetzlich verankert worden.
Auf eine von der zuständigen Behörde erteilte, sachlich unrichtige Rechtsmittelbelehrung darf sich die Partei, an welche die Belehrung sich richtet, nur dann nicht verlassen, wenn sie die Voraussetzungen des in Frage stehenden Rechtsmittels tatsächlich kannte, so dass sie durch die falsche Belehrung
BGE 97 V 187 S. 188
nicht irregeführt werden konnte, oder wenn die Unrichtigkeit der Belehrung für sie ohne weiteres klar erkennbar war (
BGE 96 II 72
).
3.
Im vorliegenden Fall hat die Kasse der Verfügung eine korrekte Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist hat sie indessen dem Sinne nach nicht nur eine falsche Auskunft über die Bedeutung der Rechtsmittelfrist erteilt, sondern sie hat erklärt, dass sie diese "sine die" verlängere. Die ursprünglich richtige Rechtsmittelbelehrung und ihre Abänderung innerhalb der Rechtsmittelfrist sind als Einheit und demzufolge als unrichtige Rechtsmittelbelehrung zu behandeln. Der Vertreter des Versicherten ist daher in seinem Vertrauen auf die Erklärung der Kasse, dass die Rechtsmittelfrist einstweilen "sine die" weiterlaufe, grundsätzlich zu schützen.
Zwar hat das Eidg. Versicherungsgericht in einem Urteil i.S. Helsa Watch AG vom 11. September 1959 entschieden (ZAK 1959 S. 498), die Erklärung der Ausgleichskasse, sie erstrecke die 30tägige Beschwerdefrist, sei unerheblich; auf die nach Ablauf der Frist eingereichte Beschwerde könne nicht eingetreten werden; es würde gegen das öffentliche Interesse verstossen, wenn man zuliesse, dass eine Kasse die Rechtskraftwirkung der von ihr formgerecht erlassenen Verfügung nachträglich beliebig hinauszögern könnte; auch die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben dürfe den Richter nicht dazu verleiten, derartige Rechtswidrigkeiten zu decken und auf solche Art den Verwirkungscharakter der Beschwerdefrist zu untergraben.
Auf Grund eines Beschlusses des Gesamtgerichts, dem diese Frage unterbreitet wurde, kann an dieser Auffassung heute indessen nach dem in Erwägung 2 Gesagten nicht mehr festgehalten werden. Sie widerspricht dem heutigen Bestreben, unnötigen prozessualen Formalismus zu Gunsten wirklichkeitsnaher, dem materiellen Recht zum Durchbruch verhelfender Rechtsprechung zu überwinden (
BGE 97 I 105
).
Da dem Rechtsuchenden auch aus einer unklaren oder zweideutigen Belehrung ein Nachteil nicht erwachsen darf (
BGE 77 I 274
), muss dafür gesorgt werden, dass aus einer solchen Rechtsmittelbelehrung nicht Konsequenzen gezogen werden, welche die bei richtiger Belehrung gewährleistete Rechtsgleichheit aller Parteien und die Rechtssicherheit hinsichtlich
BGE 97 V 187 S. 189
der Eröffnung des Rechtsmittels beeinträchtigen könnten. Diesem Erfordernis kann in der Regel nur in der Weise ausreichend Rechnung getragen werden, dass eine mit unrichtiger, unvollständiger, unklarer oder zweideutiger Rechtsmittelbelehrung versehene Verfügung als formell unrichtig eröffnet und damit als nicht rechtsgenüglich eröffnet gilt. Die Verfügung kann also auch nicht in Rechtskraft erwachsen, sondern bedarf vorerst noch der formrichtigen Eröffnung. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben darf einer solchen Verfügung jedoch nicht ohne jede zeitliche Befristung der Mangel der formell unrichtigen Eröffnung entgegengehalten werden (vgl. auch ZAK 1970 S. 277, 1966 S. 437). Das trifft im vorliegenden Fall allerdings nicht zu.
Nachdem die Kasse am 21. Juli 1967 die Rechtsmittelfrist "sine die" verlängert hatte, teilte sie am 20. Mai 1969 dem Patronato ACLI mit, sie betrachte die Verfügung vom 13. Juli 1967 als rechtskräftig. Damit hatte die Kasse erstmals dem Versicherten zu erkennen gegeben, dass sie entgegen der Rechtsmittelbelehrung vom 21. Juli 1967 die Verfügung nicht mehr für anfechtbar halte. Diese Mitteilung stellt indessen nicht eine nachgeholte richtige Eröffnung der Rechtsmittelbelehrung dar, weil nur festgestellt wurde, die Verfügung vom 13. Juli 1967 sei bereits rechtskräftig. Vielmehr wurde die Rechtslage noch dadurch verwischt, dass die Kasse Verhandlungen über freiwillige und unverbindliche Leistungen in Aussicht stellte. Erst aus dem Schreiben vom 21. August 1969 konnte der Vertreter des Versicherten ersehen, dass die Kasse ihre Leistungen mit der Begründung verweigern wollte, die Verfügung vom 13. Juli 1967 sei mangels rechtzeitiger Anfechtung in Rechtskraft erwachsen. Seine Beschwerde vom 20. September 1969, welche trotz des unzutreffenden Antrages mit ausreichender Klarheit zum Ausdruck bringt, dass die allein massgebende Verfügung vom 13. Juli 1967 angefochten werden soll, ist daher rechtzeitig eingereicht.
Aus prozessökonomischen Gründen ist es nicht notwendig, die Kasse vorerst zu formrichtiger Eröffnung und umfassender Begründung dieser Verfügung zu veranlassen. Die Vorinstanz, an welche die Akten zurückgewiesen werden, hat materiell auf die rechtzeitige Beschwerde einzutreten. Es bleibt ihr indessen unbenommen, den Parteien nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
BGE 97 V 187 S. 190
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der vorinstanzliche Kostenspruch aufzuheben und dem Entscheid in der Sache selbst vorzubehalten (Art. 135 in Verbindung mit
Art. 159 Abs. 6 OG
). Die Beschwerdeführerin irrt allerdings, wenn sie glaubt,
Art. 30bis Abs. 3 lit. a KUVG
finde auch auf die Parteientschädigung Anwendung. Diese Bestimmung stellt lediglich fest, dass das Verfahren für die Parteien grundsätzlich kostenlos sein muss. Die Zusprechung einer Prozesskostenentschädigung an den obsiegenden Versicherten im kantonalen Verfahren ist dagegen zulässig (EVGE 1967 S. 64 Erw. 5, S. 193 Erw. 5). Im übrigen kann die Höhe der von der Vorinstanz zugesprochenen Entschädigung nicht beanstandet werden... | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d59c6c2c-3f5c-4a2e-81be-dd486232f864 | Urteilskopf
109 III 14
5. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 20. April 1983 i.S. Bär (Rekurs) | Regeste
Pfändungsankündigung.
1. Beginn der Beschwerdefrist gegen die Pfändungsankündigung bei Widerruf des Rückzugs des Rechtsvorschlages (E. 1 und 2).
2. Wurde dem Schuldner in einer Verfügung unmissverständlich die Fortsetzung der Betreibung angekündigt, löst auch die mehrmalige Verschiebung der angekündigten Pfändung keine neue Beschwerdefrist aus (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 109 III 14 S. 14
In der Betreibung Nr. 64705 des Betreibungsamtes Zürich 11 machte die Banque de Dépôts et de Gestion (BDG) am 27. August 1981 gegen Werner Bär einen Betrag von Fr. 770'000.-- geltend. Sie berief sich auf zwei Solidarbürgschaften vom 30. Januar und vom 30. Juli 1980. Gegen den Zahlungsbefehl erhob Kurt Bär namens und auftrags seines Vaters vollständigen Rechtsvorschlag. Am 5. November 1981 sandte die BDG dem Betreibungsamt Zürich 11 ein mit "Vereinbarung" bezeichnetes und von Werner und Kurt Bär am 4. November 1981 unterzeichnetes Schriftstück, wonach die Unterzeichneten den Rechtsvorschlag gegen die BDG zurückziehen, ohne aber zu präzisieren, um welche Betreibung es sich dabei handelt. Im Begleitschreiben vom 5. November 1981 erklärte die BDG, dass der Rückzug des Rechtsvorschlags die Betreibung Nr. 64705 betreffe. Sie verlangte deshalb am 17. Februar 1982 die Fortsetzung der Betreibung. Das Betreibungsamt sandte Werner Bär noch am gleichen Tage die Pfändungsanzeige. Am 18. Februar 1982, um 13.00 Uhr, gab Kurt Bär bei der Post einen
BGE 109 III 14 S. 15
am 15. Februar 1982 datierten Expressbrief auf, welcher am gleichen Tage um 15.55 Uhr beim Betreibungsamt eintraf. Darin verwies er darauf, dass er namens und auftrags seines Vaters gegen den Zahlungsbefehl der BDG Rechtsvorschlag erhoben hatte. Weiter fügte er bei: "Nun hat sich die Bank mit unwahren Angaben einen Rückzug des Rechtsvorschlages erschlichen. Dieser ist ungültig. Wir halten nach wie vor den Rechtsvorschlag aufrecht. Wir bitten um Kenntnisnahme..." Noch am gleichen 18. Februar 1982 antwortete das Betreibungsamt Kurt Bär mittels eingeschriebenem Brief, dass die Betreibende ihm am 6. November den Rückzug des Rechtsvorschlags habe zukommen lassen. Es könne nunmehr den Widerruf dieses Rückzugs nicht mehr berücksichtigen (BGE 62 III N. 38). Um geltend zu machen, dass die Betreibende ihn mit unwahren Angaben zum Rückzug des Rechtsvorschlags bewogen habe, müsse er sich an die Strafbehörde wenden (BGE 75 III N. 111). Demzufolge müsse an der auf den 22. Februar 1982 angesetzten Pfändung festgehalten werden.
In der Folge liess Kurt Bär in mehreren Telefongesprächen mit dem Betreibungsamt durchblicken, dass das Fortsetzungsbegehren wegen Zahlungen an die Gläubigerin zurückgezogen würde. Das Betreibungsamt schritt deshalb nicht zur Pfändung, verfügte aber am 12. März 1982 die Eintragung einer Verfügungsbeschränkung für eine Liegenschaft von Werner Bär, welcher vom Grundbuchführer von Oerlikon-Zürich Folge gegeben wurde. Am 16. März 1982 liess Kurt Bär dem Betreibungsamt einen Brief der BDG zukommen, worin sich diese mit der Einstellung des Betreibungsvollzugs bis zum 25. März 1982 einverstanden erklärte. Ende Nachmittag dieses Tages teilte das Betreibungsamt Kurt Bär mit, dass die Pfändung am 26. März 1982 vollzogen werde, wenn die versprochene Zahlung nicht getätigt werde. Kurt Bär antwortete, der Rückzug des Fortsetzungsbegehrens werde am nächsten Tag bei ihm eintreffen. Dies traf dann nicht zu.
Mit Beschwerde vom 29. März 1982 bei der unteren kantonalen Aufsichtsbehörde beantragte Werner Bär, die Fortsetzung der Betreibung Nr. 64705 mit der Pfändungsankündigung vom 17. Februar 1982 sei für ungültig zu erklären. Mit Beschluss vom 25. Juni 1982 hiess das Bezirksgericht Zürich als untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut und lud das Betreibungsamt ein, die Betreibung Nr. 64705 einzustellen. Die Pfändungsanzeige vom 17. Februar 1982 und die im Grundbuch eingetragene Verfügungsbeschränkung wurden aufgehoben.
BGE 109 III 14 S. 16
Gegen diesen Beschluss rekurrierte die BDG bei der oberen Aufsichtsbehörde, die der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilte. Mit Beschluss vom 18. März 1983 hiess die obere Aufsichtsbehörde die Beschwerde gut und erklärte die Beschwerde Werner Bärs an die untere Aufsichtsbehörde als unzulässig. Sie wies das Betreibungsamt an, die Betreibung Nr. 64705 fortzusetzen und bestätigte die provisorisch im Grundbuch eingetragene Verfügungsbeschränkung.
Mit Rekurs vom 6. April an das Bundesgericht beantragt Werner Bär, den Entscheid der oberen Aufsichtsbehörde aufzuheben, die Beschwerde vom 29. März 1982 an das Bezirksgericht Zürich als rechtzeitig erhoben zu qualifizieren und demgemäss das Obergericht anzuweisen, einen materiellen Entscheid zu fällen.
Das Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
a) Der Streit geht um die Frage, ob die Beschwerde Bärs vom 29. März 1982 rechtzeitig erhoben wurde. Diese Frage fällt zusammen mit der Frage, wann die Beschwerdefrist gegen die Pfändungsankündigung zu laufen begann. Nach Meinung des Obergerichts und des Betreibungsamtes Zürich 11 war die Mitteilung des Betreibungsamtes vom 18. Februar 1982, worin dem Schuldner unmissverständlich gesagt worden sei, die Betreibung nehme ihren Fortgang, die für die Auslösung der Beschwerdefrist massgebliche Verfügung. Der Rekurrent vertritt demgegenüber die Auffassung, diese Frist habe erst mit der Zustellung der Pfändungsurkunde begonnen. Er beruft sich dabei auf die Rechtsprechung in den
BGE 75 III 88
,
BGE 85 III 18
und
BGE 101 III 10
, wonach die Beschwerde zwar nach der Pfändungsankündigung erhoben werden könne, aber auch noch während den zehn der Zustellung der Pfändungsurkunde folgenden Tagen zulässig sei.
b) Nach der Rechtsprechung beginnt die Frist für die Beschwerde, mit der geltend gemacht wird, das Betreibungsamt habe das Vorliegen eines gültigen Rechtsvorschlags zu Unrecht verneint, erst mit der Zustellung der Pfändungsurkunde zu laufen, es sei denn, das Betreibungsamt habe dem Schuldner seinen Entscheid über die Gültigkeit des Rechtsvorschlags schon vor der Fortsetzung der Betreibung durch eine formelle Verfügung eröffnet (
BGE 101 III 10
mit Verweisen). Im vorliegenden Fall hat das Betreibungsamt dem Schuldner mit eingeschriebenem Brief vom
BGE 109 III 14 S. 17
18. Februar 1982 mitgeteilt, dass es den Widerruf des Rückzugs des Rechtsvorschlags nicht beachten und an der für den 22. Februar 1982 angekündigten Pfändung festhalten werde. Es stellt sich die Frage, ob dieser Brief des Betreibungsamtes als eine Verfügung über die Frage der Gültigkeit des Rechtsvorschlags zu betrachten sei.
2.
Als Verfügungen des Betreibungsamtes, die gemäss
Art. 17 SchKG
binnen zehn Tagen seit Kenntnisnahme angefochten werden müssen, sofern sie nicht in Rechtskraft treten sollen, sind nicht bloss die vom Betreibungsamt getroffenen Anordnungen und Massnahmen anzusehen, sondern es gilt als Verfügung auch die Ablehnung einer von Beteiligten verlangten oder sonstwie in Betracht kommenden Anordnung oder Massnahme, sofern die Ablehnung ausdrücklich ausgesprochen wird oder sich aus dem Vorgehen des Betreibungsamtes unzweifelhaft ergibt (
BGE 85 III 9
mit Hinweisen, vgl. auch
BGE 96 III 44
E. 2c,
BGE 94 III 88
E. 2).
Das Schreiben des Betreibungsamtes vom 18. Februar 1982 fällt ganz offensichtlich unter diese Umschreibung der beschwerdefähigen Verfügung. Auf das Schreiben Kurt Bärs, worin dieser den Rückzug des Rechtsvorschlags als durch die Bank mit unwahren Angaben erschlichen und deshalb ungültig bezeichnete und worin er ausdrücklich den Rechtsvorschlag aufrecht hielt, antwortete das Betreibungsamt unverzüglich, es könne diesen Widerruf des Rückzugs nicht beachten. Es wies damit die von Kurt Bär implizit verlangte Anwendung von
Art. 78 SchKG
, die Einstellung der Betreibung, unmissverständlich ab. Dieser Entscheid wurde dem Gesuchsteller durch eingeschriebenen Brief zugestellt, wie es
Art. 34 SchKG
verlangt. Soweit der Betriebene diese Entscheidung anfechten wollte, musste er es innert der in
Art. 17 Abs. 2 SchKG
vorgeschriebenen zehntägigen Frist tun (vgl. AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, S. 115, Ziff. VI). Angesichts des ihm am gleichen Tage zugestellten Entscheids des Betreibungsamtes musste es dem Betriebenen klar sein, dass das Betreibungsamt die Betreibung nicht als durch einen gültigen Rechtsvorschlag eingestellt betrachtete. Er durfte sich deshalb nicht darauf verlassen, das Betreibungsamt werde diese Mitteilung nochmals zusammen mit der Zustellung der Pfändungsurkunde wiederholen, damit er sie dann allenfalls anfechten könne.
5.
Der Rekurrent wendet weiter ein, das Betreibungsamt sei auf seinen Entscheid vom 17./18. Februar 1982, die Pfändung am 22. Februar 1982 zu vollziehen, zurückgekommen und habe auf
BGE 109 III 14 S. 18
Intervention der Parteien die Pfändung immer wieder verschoben und erst am 25. März 1982 auf den folgenden Tag angesetzt, aber auch dann nicht vollzogen. Die Folgerung, welche der Rekurrent aus diesen Verschiebungen der Pfändung zieht, nämlich dass er keine endgültige Klarheit gehabt habe, ob die Betreibung überhaupt fortgesetzt werde und die Beschwerdefrist deshalb noch nicht ausgelöst worden sei, ist nicht schlüssig. Zwar trifft es zu, dass das Betreibungsamt aufgrund einer fragwürdigen Praxis (vgl. dazu
BGE 85 III 70
, 94 III 79/80 E. 2) die Pfändung nicht an dem dafür angekündigten Tag vollzog, sondern dem Begehren des Schuldners auf Verschiebung entsprach, weil das Fortsetzungsbegehren demnächst zurückgezogen werde. Damit gab das Betreibungsamt aber in keiner Weise zu erkennen, dass es über die Gültigkeit des Rückzugs des Rechtsvorschlags irgendwelche Zweifel hege und dass es deshalb die Einstellung der Betreibung in Erwägung ziehe. Was den Pfändungsvollzug verzögerte, war einzig der von beiden Parteien in Aussicht gestellte allfällige Rückzug eines an sich gültigen Fortsetzungsbegehrens.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen, soweit auf ihn einzutreten ist. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d5a6014b-3ee7-4116-a471-897c68fbc7ee | Urteilskopf
113 Ia 1
1. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28. Januar 1987 i.S. M. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Akteneinsicht.
1. Anspruch auf Akteneinsicht nach kantonalem Recht und
Art. 4 BV
; Kognition des Bundesgerichts (E. 2).
2.
Art. 4 BV
garantiert einen Anspruch auf Akteneinsicht auch ausserhalb eines hängigen Verfahrens, sofern der Rechtssuchende ein schutzwürdiges Interesse geltend machen kann und sofern der Akteneinsicht keine privaten oder öffentlichen Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (E. 4a).
3. Die Interessenabwägung im vorliegenden Fall ergibt, dass ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in die Eintragungen betreffend die eigene Person in einem Polizeiregister besteht. Über das allgemeine Interesse an der Kenntnisnahme hinaus sprechen hierfür der enge Bezug zur persönlichen Freiheit und das Bedürfnis nach einer allfälligen Korrektur; der Akteneinsicht stehen weder der Verwaltungsaufwand noch generelle polizeiliche Geheimhaltungsinteressen entgegen (E. 4b-4e). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 113 Ia 1 S. 2
M. hielt sich an einem Abend im Jahre 1984 an einem Ort in Zürich auf, der als Treffpunkt von Homosexuellen bekannt ist und an dem es schon mehrfach zu Überfällen gekommen sein soll. Die Kantonspolizei hielt M. an diesem Abend anlässlich einer Routinekontrolle an und befragte ihn nach seiner Identität. Da dieser sich nicht sofort ausweisen konnte, wurde er auf den nahen Polizeiposten verbracht. Nachdem die Identität von M. festgestellt werden konnte, wurde er ohne weitern Verdacht entlassen.
Auf eine entsprechende Anfrage hin bekam M. von der Kantonspolizei die Auskunft, die ihn betreffende Vornahme einer Routinekontrolle zur Identitätsabklärung sei bei der Polizei vermerkt worden; ebenso sei festgehalten, dass er nach der Feststellung der Identität wieder entlassen worden sei, ohne dass ein Verdacht gegen ihn bestanden hätte.
In der Folge ersuchte M. um Einsicht in die ihn betreffende Personalakte oder um Zustellung einer Kopie. Der Kommandant der Kantonspolizei wies dieses Gesuch ab. Auf Beschwerde hin bestätigte der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Entscheid vom 16. April 1986, dass M. keinen Anspruch auf Akteneinsicht habe. Zur Begründung seines Entscheides führte der Regierungsrat aus, nach kantonalem Verfahrensrecht komme M. kein Anspruch auf Akteneinsicht zu. Ein solcher könne im vorliegenden Fall auch nicht aus
Art. 4 BV
abgeleitet werden. M. habe kein schutzwürdiges Interesse an der Einsichtnahme, weil kein Verfahren bevorstehe und die Unkorrektheit des Registereintrages nicht dargetan sei. Die Akteneinsicht sei auch deshalb zu verweigern,
BGE 113 Ia 1 S. 3
weil sie die Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe durch die Verwaltung in einer nicht verantwortbaren Weise beeinträchtigen würde.
Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates reichte M. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er macht eine Verletzung des aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Anspruchs auf Akteneinsicht geltend. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht mit seiner staatsrechtlichen Beschwerde nicht geltend, die von der Kantonspolizei vorgenommene Personenkontrolle und Identifizierung auf dem Polizeiposten sei unrechtmässig. Er beanstandet auch nicht, dass der Vorfall registriert worden ist und die Registrierung etwa einer gesetzlichen Grundlage entbehre oder unverhältnismässig sei. Er rügt mit seiner staatsrechtlichen Beschwerde ausschliesslich, dass ihm keine Einsicht in die über ihn registrierten Daten gewährt worden ist.
Das Recht auf Akteneinsicht als Teil des Anspruchs auf rechtliches Gehör wird in erster Linie durch die kantonalen Verfahrensvorschriften umschrieben, deren Anwendung das Bundesgericht lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür überprüft. Wo sich indessen der kantonale Rechtsschutz als ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgenden bundesrechtlichen Verfahrensregeln zur Sicherung des Akteneinsichtsrechts ein. Ob der unmittelbar aus
Art. 4 BV
fliessend Anspruch auf Akteneinsicht verletzt ist, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (
BGE 112 Ia 100
E. 5b;
BGE 111 Ia 166
E. a;
BGE 110 Ia 81
E. 5b, 85 E. 3b, 101 E. 4a;
BGE 108 Ia 6
, mit Hinweisen).
3.
Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid aus, angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nach seiner Identifizierung ohne weitere Folgen und ohne Verdacht entlassen worden ist, sei das Verfahren abgeschlossen, so dass weder die Bestimmungen der Strafprozessordnung über die Akteneinsicht noch diejenigen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes zum rechtlichen Gehör zur Anwendung kämen. Gegen diese Sicht liesse sich allenfalls einwenden, dass die polizeiliche Personenkontrolle gerade mit dem Registereintrag ihren Abschluss fand, in welchen der Beschwerdeführer unmittelbar danach Einsicht verlangte; es ist auch zu beachten, dass der Polizeirapport vom 20. Mai 1984 erst einige Zeit nach der am 4. Mai 1984 durchgeführten Polizeikontrolle erstellt worden ist. Wie es sich damit verhält, braucht indessen
BGE 113 Ia 1 S. 4
im vorliegenden Fall nicht näher geprüft zu werden, da der Beschwerdeführer nicht oder zumindest nicht in genügender Weise geltend macht, er habe sein Gesuch um Akteneinsicht in einem laufenden Verfahren gestellt und das kantonale Verfahrensrecht sei in dieser Hinsicht willkürlich angewendet worden. Es ist daher im folgenden ausschliesslich aufgrund von
Art. 4 BV
zu untersuchen, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Einsicht in den Registereintrag zusteht.
4.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird aus
Art. 4 BV
direkt ein Anspruch auf Akteneinsicht als Teil des rechtlichen Gehörs abgeleitet (vgl.
BGE 110 Ia 85
E. 3b;
BGE 100 Ia 10
). Dieser verfassungsmässige Anspruch gilt nicht nur in einem hängigen Verfahren, sondern darüber hinaus auch ausserhalb eines formellen Verfahrens. Eine umfassende Wahrung der Rechte kann es gebieten, dass der Bürger etwa die Akten eines abgeschlossenen Verfahrens einsehe. Allerdings ist dieser verfassungsrechtliche Anspruch - im Gegensatz zu demjenigen eines Beteiligten auf Einsicht in die Akten eines hängigen Verfahrens - davon abhängig, dass der Rechtssuchende ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann (
BGE 95 I 108
;
BGE 112 Ia 100
E. 5b;
BGE 110 Ia 85
E. 4a; unveröffentlichtes Urteil i.S. Jobin vom 22. Oktober 1982, E. 2b). Ein solcher Anspruch kann ausnahmsweise auch einem am abgeschlossenen Verfahren nicht beteiligten Dritten zukommen (
BGE 95 I 108
;
BGE 110 Ia 85
E. 4a). Unabhängig von einem abgeschlossenen oder bevorstehenden Verfahren ergibt sich aus
Art. 4 BV
ein Anspruch auf Akteneinsicht für den unmittelbar Betroffenen grundsätzlich auch ausserhalb jeglichen Verfahrens. Das Akteneinsichtsrecht findet indessen seine Grenzen am öffentlichen Interesse des Staates oder an berechtigten Geheimhaltungsinteressen Dritter (
BGE 95 I 109
;
BGE 112 Ia 100
E. 5b;
BGE 110 Ia 85
E. 4a;
BGE 103 Ia 492
f.). Öffentliche Geheimhaltungsinteressen können etwa bei Fragen der Landesverteidigung oder der Staatssicherheit vorliegen (
BGE 100 Ia 102
E. 5b); dem Akteneinsichtsrecht können ferner berechtigte Geheimhaltungsinteressen von Dritten vorgehen, beispielsweise soweit Familienangehörige, Auskunftspersonen oder Geschäftsgeheimnisse betroffen sind (
BGE 112 Ia 102
E. 6;
BGE 103 Ia 493
;
BGE 100 Ia 102
E. 5b;
BGE 95 I 109
E. 4, 445 f.); schliesslich hat die Rechtsprechung auch eine Verweigerung der Akteneinsicht des Betroffenen selber nicht ausgeschlossen, soweit Krankengeschichten oder ärztliche und psychiatrische Gutachten in Frage stehen (
BGE 100 Ia 102
E. 5b). Die einander entgegenstehenden Interessen
BGE 113 Ia 1 S. 5
an der Akteneinsicht auf der einen Seite und an deren Verweigerung auf der andern Seite sind im Einzelfall sorgfältig gegeneinander abzuwägen (
BGE 110 Ia 86
E. 4b, mit Hinweisen). Für diese Interessenabwägung zieht das Bundesgericht bisweilen die Akten, in die Einsicht verlangt wird, bei (
BGE 95 I 109
E. 2b;
BGE 112 Ia 102
); im vorliegenden Fall erweist sich der Beizug des streitigen Registereintrages nicht als notwendig.
Im folgenden ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer aufgrund einer Abwägung der entgegenstehenden Interessen nach
Art. 4 BV
ein Anspruch auf Einsicht in den ihn betreffenden Registereintrag zukommt.
b) aa) Der Beschwerdeführer begründet sein Begehren um Einsicht in den streitigen Registereintrag vorerst mit seinem Interesse an der Kenntnis der über ihn festgehaltenen Daten und dem Bedürfnis, prüfen zu können, ob diese korrekt registriert worden seien. Dieses allgemeine Interesse kann heute angesichts der technischen Möglichkeiten der Datenbearbeitung nicht mehr als unerheblich bezeichnet werden. Der einzelne Bürger kann es durchaus als Unbehagen und als Beeinträchtigung seiner Privatsphäre empfinden, wenn die Verwaltung personenbezogene Daten über längere Zeit hinweg aufbewahrt und allenfalls weitere Verwaltungsstellen zu diesen Daten auf unbestimmte Zeit hinaus Zugang haben (vgl. RAINER J. SCHWEIZER, Die Grundlagen der schweizerischen Datenschutzgesetzgebung, in: WuR 34/1982 S. 27 und 29 f.; THOMAS W. SCHREPFER, Datenschutz und Verfassung, Bern 1985, S. 21 f. und 161). Um so verständlicher erscheint es, dass der Bürger in den Fällen, in denen er wie hier der Beschwerdeführer von einer Registrierung Kenntnis hat, den Eintrag einsehen und dessen Richtigkeit überprüfen möchte. Diesem Bedürfnis wird nicht schon dadurch Rechnung getragen, dass ihm vom wesentlichen Inhalt des Eintrages Kenntnis gegeben wird. Es kann auch nicht gesagt werden, die Einsicht werde ausschliesslich aus Neugierde verlangt. Bei dieser Sachlage ist bereits unter diesem Gesichtswinkel ein erhebliches Interesse an der Einsicht in den streitigen Registereintrag zu bejahen.
bb) Die Einsicht in den streitigen Registereintrag hat darüber hinaus einen engen Bezug zu den verfassungsmässigen Rechten, insbesondere zum ungeschriebenen Grundrecht der persönlichen Freiheit. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schützt die persönliche Freiheit als zentrales Freiheitsrecht nicht nur die Bewegungsfreiheit und die körperliche Integrität, sondern darüber
BGE 113 Ia 1 S. 6
hinaus alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung darstellen (
BGE 112 Ia 100
E. 5b;
BGE 111 Ia 345
E. b;
BGE 109 Ia 279
, mit Hinweisen); es umfasst auch "le droit d'apprécier une situation et de se déterminer en conséquence" (
BGE 106 Ia 280
E. 3b;
BGE 111 Ia 232
E. 3a, mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat indessen wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass nicht jeder beliebige Eingriff in das Recht der Persönlichkeit die Berufung auf ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Recht rechtfertige; namentlich habe die persönliche Freiheit nicht die Funktion einer allgemeinen Handlungsfreiheit, auf die sich der Einzelne gegenüber jedem staatlichen Akt, der sich auf seine persönliche Lebensgestaltung auswirkt, berufen könne (
BGE 112 Ia 100
E. 5b;
BGE 111 Ia 345
E. b;
BGE 108 Ia 61
;
BGE 107 Ia 56
, mit Hinweisen).
Das Bundesgericht hat entschieden, dass die Erhebung erkennungsdienstlicher Daten wie das Fotografieren des Gesichts und die Abnahme von Fingerabdrücken einen Eingriff in die persönliche Freiheit darstelle (
BGE 109 Ia 155
E. 6a;
107 Ia 145
E. 5a, mit Hinweisen). Das Bundesgericht hatte indessen bisher nicht dazu Stellung zu nehmen, ob auch das Aufbewahren von erkennungsdienstlichen Daten einen Eingriff in die persönliche Freiheit darstelle, da deren Vernichtung in den zu beurteilenden Fällen sichergestellt war (
BGE 109 Ia 157
E. 6b;
BGE 107 Ia 145
E. 5a). Auch im vorliegenden Fall braucht mangels einer entsprechenden Rüge nicht geprüft zu werden, ob das Aufbewahren der anlässlich der Personenkontrolle registrierten Daten in die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers eingreift und vor der Verfassung standhält (vgl. zu dieser Frage SCHREPFER, a.a.O., S. 70; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte - Besonderer Teil, Bern 1985, S. 24 Fn. 90). Gerade der vorliegende Fall zeigt indessen den engen Bezug der Registrierung zum Grundrecht der persönlichen Freiheit: Soweit der Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass er an einem Ort kontrolliert worden ist, an dem sich angeblich häufig Homosexuelle aufhalten sollen, allenfalls mit dem Kreis von Homosexuellen in Verbindung gebracht werden sollte, kann der Registereintrag für ihn von nicht geringer Tragweite sein und ihn aus diesem Grunde allenfalls davon abhalten, sich völlig frei zu bewegen. Diesen Gedanken hat denn auch das Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Zensus-Urteil angesichts der modernen Datenbearbeitungsmöglichkeiten unterstrichen (BVerfGE 65 Nr. 1 S. 41 ff. E. 1a = EuGRZ 1983 S. 577 ff., insbesondere S. 588). Über die persönliche Freiheit hinaus zeigt sich, dass die Speicherung von
BGE 113 Ia 1 S. 7
Daten auch einen Bezug zu
Art. 8 EMRK
hat. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat zum Ausdruck gebracht, dass die geheime Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten einen Eingriff in das durch
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
garantierte Recht darstellen kann (Bericht i.S. Leander c. Schweden vom 17. Mai 1985, Ziff. 53 ff.; Entscheid i.S. X. c. Grossbritannien vom 6. Oktober 1982 betreffend britische Volkszählung, DR 30, 239/241 = EuGRZ 1983 S. 410; vgl. ferner Bericht der Kommission i.S. Mc Veigh et al. c. Grossbritannien vom 18. März 1981, DR 25, 15/60, Ziff. 226 ff. = EuGRZ 1983 S. 430 f.; vgl. auch den Überblick bei STEPHAN BREITENMOSER, Der Schutz der Privatsphäre gemäss
Art. 8 EMRK
, Basel/Frankfurt 1986, S. 239 ff.; SCHREPFER, a.a.O., S. 52 ff.). Kein Zusammenhang besteht zwischen der hier streitigen Registrierung und der Wahrnehmung anderer Grundrechte oder politischer Rechte (vgl. hierzu SCHWEIZER, a.a.O., S. 42 f.; SCHREPFER, a.a.O., S. 100 ff. und 106 ff.).
Diese Überlegungen zeigen, dass das Aufbewahren von Daten, wie sie im vorliegenden Fall anlässlich der beim Beschwerdeführer vorgenommenen Personenkontrolle registriert worden sind, einen engen Bezug insbesondere zum Grundrecht der persönlichen Freiheit hat. Der Beschwerdeführer hat daher auch unter diesem Gesichtswinkel ein erhebliches Interesse daran, Einsicht in den umstrittenen Registereintrag zu nehmen und dessen Richtigkeit persönlich zu überprüfen.
cc) Schliesslich ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer Einsicht in den Registereintrag gerade auch deshalb verlangt, um allfällige Unstimmigkeiten korrigieren lassen zu können; er erachtet das Einsichtsrecht als unerlässliche Voraussetzung für eine allfällige Korrektur. Er führt denn auch aus, die Angaben über die Geschehnisse vom 4. Mai 1984, wie sie sich aus dem angefochtenen Entscheid ergeben, stimmten nicht mit der Wirklichkeit überein.
Aus den Akten ergeben sich keine Hinweise darauf, ob das kantonale Recht ein Verfahren zur Korrektur von Registereinträgen kennt; in der Vernehmlassung zur vorliegenden Beschwerde wird hierzu nichts ausgeführt. Es liesse sich fragen, ob von Verfassungs wegen eine Möglichkeit einzuräumen ist, Registereinträge berichtigen oder allenfalls löschen zu lassen, oder ob sich ein solcher Anspruch aus
Art. 13 EMRK
ergebe (vgl.
BGE 109 Ia 299
f.; Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. Leander c. Schweden vom 17. Mai 1985, Ziff. 88 ff. und
BGE 113 Ia 1 S. 8
Auffassung der Minderheit). Die Frage braucht mangels einer entsprechenden Rüge nicht näher geprüft zu werden. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass gesetzliche Grundlagen zum Datenschutz, wie sie sowohl auf Bundesebene als auch in den Kantonen in Vorbereitung sind, ein entsprechendes Verfahren zur Korrektur von personenbezogenen Daten vorsehen (vgl. Entwurf zu einem Bundesgesetz über den Schutz von Personendaten vom Dezember 1983, Art. 36 f.; Kantonales Muster-Datenschutzgesetz für den öffentlichen Bereich, Art. 24; Richtlinien für die Bearbeitung von Personendaten in der Bundesverwaltung vom 16. März 1981, Ziff. 44 (BBl 1981 I 1298). Unabhängig von solchen Bestimmungen ist dem Beschwerdeführer auf jeden Fall einzuräumen, dass die Absicht, allenfalls ein entsprechendes Berichtigungs- oder Löschungsverfahren anzustrengen, einem schutzwürdigen Interesse entspricht. Hierfür ist aber Voraussetzung, dass vorerst tatsächlich Einsicht gewährt wird (vgl. PAUL-HENRI STEINAUER, Le droit d'accès, in: Informatique et protection de la personnalité, Freiburg 1981, S. 82 und 99 f.). Entgegen der Auffassung des Regierungsrates kann vom Beschwerdeführer vor Einsichtgewährung in das streitige Register nicht verlangt werden, dass dieser glaubhaft macht, der Registereintrag sei falsch. Demnach ergibt sich auch unter diesem Gesichtswinkel, dass der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht hat.
c) aa) Im folgenden ist zu prüfen, welche Interessen einer Einsichtnahme in den streitigen Registereintrag entgegenstehen. In dieser Hinsicht gilt es vorerst zu beachten, dass keine öffentlichen Geheimhaltungsinteressen etwa zur Wahrung der innern oder äussern staatlichen Sicherheit vorgebracht werden oder ersichtlich sind. Angesichts des Umstandes, dass gegen den Beschwerdeführer kein Verfahren eingeleitet worden ist, kann die Einsicht in den Registereintrag auch nicht aus Gründen der Sicherung eines Verfahrens verweigert werden (vgl. unveröffentlichte E. 2 von
BGE 112 Ia 161
). Der Regierungsrat macht denn auch keine konkreten öffentlichen Geheimhaltungsinteressen geltend.
bb) Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, ein uneingeschränktes Einsichtsrecht würde die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verwaltung in einer nicht verantwortbaren Weise beeinträchtigen; mit der Verweigerung der Akteneinsicht werde eine potentielle Behinderung der Erfüllung der polizeilichen Aufgaben abgewehrt, was im öffentlichen Interesse liege. Worin diese Beeinträchtigung im einzelnen liegen soll, führt der Regierungsrat
BGE 113 Ia 1 S. 9
indessen nicht näher aus. Soweit sie lediglich in einem gewissen Mehraufwand der Verwaltung begründet sein sollte, kommt dem Einwand kaum Bedeutung zu; die Gewährung der Einsicht am Ort der Verwaltung oder die Herstellung einer entsprechenden Kopie stellt im vorliegenden Fall keinen wesentlichen Aufwand dar. Darüber hinaus fragt sich allgemein, inwiefern der mit der Akteneinsicht verbundene Verwaltungsaufwand überhaupt von Bedeutung sein kann (vgl. SCHREPFER, a.a.O., S. 174). In dieser Hinsicht gilt es zum einen zu beachten, dass dem Aufwand bei der Form der Gewährung von Akteneinsicht Rechnung getragen werden darf (vgl.
BGE 108 Ia 7
E. b und c). Zum andern sehen in Kraft oder in Vorbereitung stehende Regelungen zum Datenschutz in der einen oder andern Form Ansprüche auf Akteneinsicht vor und erachten demnach den Verwaltungsaufwand angesichts der auf dem Spiele stehenden Interessen als nicht übermässig (vgl. Entwurf zu einem Bundesgesetz über den Schutz von Personendaten vom Dezember 1983, Art. 31 und 32; Kantonales Muster-Datenschutzgesetz für den öffentlichen Bereich, Art. 21 und 22; Richtlinien für die Bearbeitung von Personendaten in der Bundesverwaltung vom 16. März 1981 (BBl 1981 I 1298), Ziff. 43; vgl. ferner Verordnung des Bundesrates über den Erkennungsdienst der Bundesanwaltschaft vom 1. Dezember 1986 (AS 1986 S. 2346), Art. 15 und 16). Bei dieser Sachlage kommt dem Einwand des Regierungsrates keine entscheidende Bedeutung zu.
cc) Nach der Rechtsprechung ist die Verwaltungstätigkeit grundsätzlich nicht öffentlich. Verwaltungsinterne Akten wie Auskünfte und Notizen, Mitberichte und schriftliche Mitteilungen und ähnliches mehr fallen nicht unter das Akteneinsichtsrecht nach
Art. 4 BV
(
BGE 108 Ia 7
E. b;
BGE 104 Ia 70
E. 3b;
103 Ia 492
E. 8;
BGE 101 Ia 311
E. a;
BGE 100 Ia 103
E. b;
BGE 96 I 609
E. b, mit Hinweisen; vgl. aus der Literatur ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 144; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel 1976, S. 519; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Neuenburg 1984, S. 384; kritisch THOMAS COTTIER, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, in: Recht, 1984 S. 122; JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, a.a.O., S. 247, mit Hinweisen auf die Arbeiten von Rolf Tinner, Klaus Reinhardt und Willy Huber; vgl. ferner BERTIL COTTIER, La publicité des documents administratifs, Diss. Lausanne 1982). Mit dieser Einschränkung des Akteneinsichtsrechts soll verhindert werden, dass die ganze Meinungsbildung der Verwaltung über die entscheidenden
BGE 113 Ia 1 S. 10
Aktenstücke und die getroffenen, begründeten Verfügungen hinaus vollständig vor der Öffentlichkeit ausgebreitet wird.
Angesichts dieser Rechtsprechung fragt sich, ob der streitige Registereintrag über den Beschwerdeführer zu diesen, von der Akteneinsicht ausgeschlossenen Akten gehört. Diese Auffassung wird vom Regierungsrat im angefochtenen Entscheid nicht vertreten und wäre abzulehnen. Der Registereintrag stellt keine interne Stellungnahme oder Wertung im Hinblick auf eine Entscheidfindung dar; er kann auch nicht als blosse Notiz verstanden werden. Die Registrierung hat vielmehr Bedeutung für einen späteren Zeitpunkt, andernfalls sie keinen Sinn hätte und ohne weiteres gelöscht werden könnte; dann soll auf diese Aufzeichnung der Geschehnisse zurückgegriffen und - unter Wahrung des aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Einsichtsrechts - darauf abgestellt werden können. Bei dieser Sachlage kann der streitige Registereintrag nicht als verwaltungsinternes Aktenstück bezeichnet werden, in welches aufgrund von
Art. 4 BV
zum vornherein keine Einsicht gewährt werden müsste.
dd) Der Regierungsrat führt im angefochtenen Entscheid schliesslich aus, die von der Verwaltung rechtmässig erhobenen Informationen könnten die durch
Art. 8 EMRK
geschützte Privatsphäre der Bürger betreffen und seien allein schon deshalb vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen. Dem Hinweis auf den Schutzbereich von
Art. 8 EMRK
kommt zwar grundsätzlich eine wesentliche Bedeutung zu, doch betrifft er die im vorliegenden Fall streitige Frage nicht. Denn der Beschwerdeführer verlangt in keiner Weise Einsicht in Daten, welche andere Personen betreffen, sondern ersucht ausschliesslich um Einsicht in den ihn allein betreffenden Registereintrag. Die Einsichtsnahme betrifft damit keine schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen von Dritten und kann demnach nicht mit dieser Begründung verweigert werden.
d) Die Darstellung der Interessenlage zeigt, dass der Beschwerdeführer ein erhebliches schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in den streitigen Registereintrag nachweisen kann. Der Eintrag hat einen engen Bezug zum Grundrecht der persönlichen Freiheit. Das Interesse an der Einsichtnahme ist um so gewichtiger, als der Beschwerdeführer nicht darüber informiert worden ist, in welche Art von Register der Eintrag erfolgt ist und welche Stellen für wie lange Zeit dazu Zugang haben. Mit zunehmender Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit des Registereintrages wächst aber auch die Betroffenheit in den persönlichen Verhältnissen, und von der
BGE 113 Ia 1 S. 11
Dauer der Aufrechterhaltung hängt das "Festschreiben" einer Person ab (vgl. das sog. Zensus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 65 Nr. 1 S. 44 ff. E. 2 = EuGRZ 1983 S. 577 ff., insbes. S. 589; SCHREPFER, a.a.O., S. 76; vgl. ferner
BGE 106 Ia 36
E. b). Die entgegenstehenden Interessen sind demgegenüber nicht genügend gewichtig, um im vorliegenden Fall die Einsicht zu verweigern. Der Einsichtnahme stehen keine privaten und keine öffentlichen Interessen entgegen. Die Polizei kann keine Geheimhaltung in Anspruch nehmen, welche grundsätzlich weiter ginge als diejenige der allgemeinen Verwaltung (vgl. Verordnung des Bundesrates über den Erkennungsdienst der Bundesanwaltschaft vom 1. Dezember 1986 (AS 1986 S. 2346), Art. 15 ff.); wie das Bundesgericht in anderem Zusammenhang festgestellt hat, können sich Polizeiorgane grundsätzlich keinen Freiraum verschaffen, der jeglicher Rechtskontrolle und Aufsicht entzogen ist (ZBl 82/1981 S. 39). Die Möglichkeit der Akteneinsicht als solche vermag die Tätigkeit der Verwaltung nicht in relevanter Weise zu beeinträchtigen; die Polizei hat vielmehr darauf zu achten, dass sie keine unnötigen und keine unkorrekten Personendaten aufbewahrt (vgl.
BGE 109 Ia 299
oben). Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Fall sich nicht mit jenen Urteilen des Bundesgerichts vergleichen lässt, in denen die Einsicht in amtliche Register in Frage stand (
BGE 111 II 48
betreffend Grundbuchregister,
BGE 107 Ia 234
betreffend Steuerregister).
Angesichts der Tragweite der auf dem Spiele stehenden privaten Interessen kann es im vorliegenden Fall nicht genügen, wenn der Beschwerdeführer lediglich über den Inhalt des Registereintrages unterrichtet wird; vielmehr hat dieser ein Interesse daran, durch Akteneinsicht - sei es in Form der Gewährung der Einsicht, sei es durch Zustellung einer entsprechenden Kopie - vom Inhalt des Eintrages selbst Kenntnis zu nehmen.
e) Die Interessenabwägung ergibt demnach, dass der Beschwerdeführer ein überwiegendes schützenswertes Interesse an der Akteneinsicht im Sinne der zu
Art. 4 BV
entwickelten Rechtsprechung hat. Demnach ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d5a8a19b-5bdd-466b-ab0e-7feefaceb3e0 | Urteilskopf
112 Ia 75
13. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. März 1986 i.S. Inländische Mission der Schweizer Katholiken gegen Kanton Nidwalden und Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Befreiung einer ausserkantonalen kirchlichen Institution von der Erbschaftssteuer auf Grund einer Gegenrechtserklärung.
Unter welchen Umständen kann sich ein Kanton darauf berufen, die für ihn handelnde Behörde sei zum Abschluss eines Konkordates bzw. zur Abgabe einer Gegenrechtserklärung nicht zuständig gewesen? Beurteilung dieser Frage nach Völkergewohnheitsrecht. | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 112 Ia 75 S. 75
Frau X., die zum Zeitpunkt ihres Todes ihren Wohnsitz im Kanton Nidwalden hatte, vermachte der Inländischen Mission der Schweizer Katholiken, einem Verein mit Sitz im Kanton Zug, ein Legat, auf dem das Kantonale Steueramt Nidwalden eine Erbschaftssteuer von 20% erhob. Das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden wies einen Rekurs der Bedachten gegen den entsprechenden Einsprache-Entscheid im wesentlichen mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf die von der Kantonalen Steuerverwaltung am 15. Juni 1954 dem Kanton Zug gegenüber abgegebene Gegenrechtserklärung über die Befreiung kirchlicher und gemeinnütziger Institutionen von der Erbschaftssteuer berufen, weil die Kantonale Steuerverwaltung nicht zur Abgabe solcher Gegenrechtserklärungen zuständig sei. Das Bundesgericht heisst eine gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
BGE 112 Ia 75 S. 76
des Kantons Nidwalden geführte staatsrechtliche Beschwerde gut aus den folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Vereinbarungen der Kantone über die gegenseitige Befreiung bestimmter im anderen Kanton ansässiger Institutionen von Erbschafts- und Schenkungssteuern (Gegenrechtserklärungen) stellen Konkordate dar, die den betroffenen Steuerpflichtigen unmittelbare Rechte einräumen und deren Verletzung mit der staatsrechtlichen Beschwerde nach
Art. 84 Abs. 1 lit. b OG
gerügt werden kann (
BGE 109 Ia 338
E. 1;
BGE 90 I 46
ff. E. 3, mit weiteren Nachweisen). Die Beschwerdeführerin, die ihren Sitz im Kanton Zug hat und von einer Erblasserin mit letztem Wohnsitz im Kanton Nidwalden testamentarisch begünstigt wurde, ist somit legitimiert, mit der sogenannten Konkordatsbeschwerde eine Verletzung der zwischen diesen beiden Kantonen ausgetauschten Gegenrechtserklärung geltend zu machen.
b) Bei staatsrechtlichen Beschwerden nach
Art. 84 Abs. 1 lit. b OG
ist die Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges nicht Prozessvoraussetzung (
Art. 86 Abs. 2 und 3 OG
). Dementsprechend sind neue Vorbringen unbeschränkt zulässig (
BGE 107 Ia 191
E. 2b, mit Nachweisen). Ausserdem prüft das Bundesgericht die Auslegung und die Anwendung der Konkordatsbestimmungen durch die kantonalen Behörden frei (
BGE 109 Ia 339
E. 5). Bloss unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür dagegen prüft das Bundesgericht Gegenrechtserklärungen, soweit die Kantone nur die Anwendung bestimmter Normen des kantonalen Rechts auf im anderen Kanton ansässige Steuersubjekte zusichern (
BGE 109 Ia 341
/2 E. 5c).
Demnach prüft das Bundesgericht frei, ob sich der Kanton Nidwalden auf die Ungültigkeit der Gegenrechtserklärung vom 15. Juni 1954 berufen kann oder nicht. Falls diese Frage verneint würde, könnten die weiteren Voraussetzungen für die Steuerbefreiung, die vom kantonalen Recht geregelt werden, an sich nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür geprüft werden. Dies spielt allerdings im vorliegenden Fall keine Rolle, da weder das Verwaltungsgericht noch das Kantonale Steueramt Nidwalden bestreiten, dass die Beschwerdeführerin von der Erbschaftssteuer befreit wäre, wenn sie ihren Sitz im Kanton hätte.
c) Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Entstehungsgeschichte der streitigen Gegenrechtserklärung sind, wegen der
BGE 112 Ia 75 S. 77
grundsätzlichen Zulässigkeit von Noven bei der Konkordatsbeschwerde, unabhängig davon beachtlich, wie weit sie bereits im kantonalen Verfahren vorgebracht wurden.
2.
a) Am 15. Juni 1954 gab die Kantonale Steuerverwaltung Nidwalden gegenüber der Kantonalen Finanzkanzlei Zug folgende schriftliche Gegenrechtserklärung ab:
"Die Kant. Steuerverwaltung Nidwalden hat in der Sitzung vom 11.
Juni 1954 von Ihrer Zuschrift vom 9. Juni 54 Kenntnis genommen. Wie aus
diesem Schreiben hervorgeht, verzichtet der Kanton Zug auf eine
Erbschafts- oder Schenkungssteuer auf Legaten zugunsten gemeinnütziger
oder kirchlicher Zwecke, wenn der Kanton, in welchem der Empfänger sich
befindet, Gegenrecht hält.
Im Interesse der Sache beschliesst die Kant. Steuerverwaltung
Nidwalden mit dem Kanton Zug in ein Gegenrechts-Verhältnis einzutreten,
nach welchem der Kanton Nidwalden auf eine Erbschafts- oder
Schenkungssteuer zu Gunsten gemeinnütziger oder kirchlicher Institutionen
verzichtet, wenn die Empfänger im Kanton Zug domiziliert sind."
Diese Erklärung wurde vom als damaligem Präsidenten der Steuerverwaltung amtierenden Regierungsrat Wyrsch sowie vom Sekretär der Steuerverwaltung unterzeichnet. Anlass für die Abgabe dieser Erklärung war ein konkreter Fall, bei dem der Kanton Zug unter Vorbehalt des Gegenrechts auf die Besteuerung eines Legates zugunsten des Klosters Maria Rickenbach verzichtete. Der vorliegende Fall ist der erste, bei dem die Anwendung der Gegenrechtserklärung zulasten des Kantons Nidwalden in Frage steht.
b) Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Urteil aus, gestützt auf die Kantonsverfassung vom 27. April 1913 und 11. Oktober 1936 sei es gemäss Art. 57 einzig dem Landrat überlassen gewesen, nach
Art. 7 und 9 VG
(recte: BV) mit anderen Kantonen Verträge und Konkordate abzuschliessen, insofern durch dieselben nicht eine Abänderung bestehender Gesetze bewirkt worden sei oder dieselben wegen ihrer Wichtigkeit nicht der Landsgemeinde vorzulegen gewesen wären. Die Kantonale Steuerverwaltung selber sei lediglich kompetent gewesen, aus besonderen Gründen die Steuerleistungen durch Verträge mit den Steuerpflichtigen zu bestimmen. Zweifelsohne seien die Unterzeichner der Gegenrechtserklärung vom 15. Juni 1954 dazu nicht berechtigt gewesen. Aufgrund dieser Rechtslage sei daher das Steuergesetz vom 25. April 1982 anwendbar.
c) Die Beschwerdeführerin wirft dem Verwaltungsgericht vor, die Berufung auf die Formnichtigkeit der Gegenrechtserklärung sei rechtsmissbräuchlich. Den Formmangel habe einzig und allein
BGE 112 Ia 75 S. 78
der Beschwerdegegner - d.h. die Kantonale Steuerverwaltung - zu vertreten. Die angeblich mangelnde Zuständigkeit der Kantonalen Steuerverwaltung Nidwalden sei für den Vertragspartner, d.h. den Kanton Zug, nicht erkennbar gewesen. Der Kanton Zug habe um so weniger Zweifel an der Zuständigkeit hegen müssen, als der Austausch von Gegenrechtserklärungen im Steuerrecht häufig nach innerkantonalem Recht auf Departementsstufe erfolgen dürfe. Im Vertrauen auf den rechtsgültigen Abschluss des Konkordats habe der Kanton Zug sodann unmittelbar nach dem Vertragsschluss rückwirkend bei einem hängigen Fall auf die Erhebung der ihm zustehenden Erbschaftssteuer verzichtet und damit freiwillig seine Vertragsleistung zugunsten eines Nidwaldner Steuersubjektes erbracht. Die (heutige) Auffassung der Nidwaldner Behörden verstosse gegen Treu und Glauben.
3.
Fest steht, dass sich die Beschwerdeführerin selbst nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben und den Vertrauensschutz gegenüber dem Kanton Nidwalden berufen kann. Eine Rüge, der Kanton Nidwalden habe ihr gegenüber gegen diese Grundsätze verstossen, wäre offensichtlich unbegründet.
Die Beschwerdeführerin erhebt indessen gar keine solche Rüge. Sie macht vielmehr klar geltend, dass sich der Kanton Nidwalden nicht auf die Ungültigkeit der Gegenrechtserklärung vom 15. Juni 1954 berufen dürfe und dass der Kanton Nidwalden diese Gegenrechtserklärung daher zu Unrecht nicht auf sie angewandt habe. Ihre Ausführungen zum Rechtsmissbrauch, zum Grundsatz von Treu und Glauben und zum Vertrauensschutz dienen der substantiierten Begründung der Konkordatsbeschwerde. Dazu ist die Beschwerdeführerin berechtigt und verpflichtet (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). Gegenstand der Beschwerde ist somit die Frage, ob die Gegenrechtserklärung vom 15. Juni 1954 Bestand hat oder nicht. Wird diese Frage bejaht, so steht unbestrittenermassen fest, dass die Beschwerdeführerin auf dem empfangenen Legat keine Erbschaftssteuern zu bezahlen hat.
4.
Zu untersuchen ist zunächst, ob und allenfalls unter welchen Umständen sich ein Kanton darauf berufen kann, die für ihn handelnde Behörde sei zum Abschluss des in Frage stehenden Konkordates nicht zuständig gewesen und das Konkordat sei demnach nicht gültig zustande gekommen.
a) Auf die interkantonalen Verträge sind, soweit nicht nach Bundesrecht, Gewohnheitsrecht oder Vereinbarung etwas anderes gilt, die Grundsätze des Völkerrechts anwendbar. Diese Prinzipien gelten
BGE 112 Ia 75 S. 79
dabei nicht nur für die Auslegung interkantonaler Verträge, sondern auch, wenn durch Auslegung von Willensäusserungen zu ermitteln ist, ob überhaupt ein Konkordat abgeschlossen wurde (
BGE 96 I 648
E. 4c, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Mangels besonderer Grundsätze im Landesrecht über das Zustandekommen interkantonaler Verträge und über die Situation bei behaupteten Formmängeln ist daher die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge nach völkerrechtlichen Regeln zu beurteilen.
b) Die völkerrechtlichen Regeln über das Vertragsrecht beruhen weitgehend auf Gewohnheitsrecht. Zahlreiche dieser Regeln wurden in der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (VRK) vom 23. Mai 1969 kodifiziert (vgl. dazu MÜLLER/WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., S. 91 ff.). Die Schweiz ist zwar dieser Konvention nicht beigetreten. Dies hat seinen Grund indessen nicht darin, dass sie die kodifizierten materiellrechtlichen Regeln nicht anerkennen würde; vielmehr erachtete sie die - im vorliegenden Fall nicht relevante - Regelung über die Streiterledigung als unbefriedigend (vgl. MÜLLER/WILDHABER, a.a.O., S. 91). Soweit die Regeln der Konvention nicht offensichtlich vom anerkannten Völkergewohnheitsrecht abweichen, können sie somit ohne weiteres auf interkantonale Verträge angewandt werden.
c) Gemäss
Art. 46 VRK
kann sich ein Staat nicht auf den Umstand berufen, dass seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Vertragsabschlusskompetenz erfolgt und somit seine Zustimmung ungültig ist, es sei denn, dass die Verletzung offenkundig ist und eine Regel seines innerstaatlichen Rechts von grundlegender Bedeutung betrifft. Nach Ziff. 2 dieser Bestimmung ist eine Verletzung offensichtlich, wenn sie allen Staaten, die sich diesbezüglich an die normale Praxis halten und nach Treu und Glauben handeln, objektiv einsehbar ist (vgl. zum Text von
Art. 46 VRK
u.a. MÜLLER/WILDHABER, a.a.O., S. 593/4).
Diese Regel entspricht der sich im Völkerrecht seit einigen Jahrzehnten durchsetzenden Ansicht, wonach die fehlende innerstaatliche Vertragsabschlusskompetenz im internationalen Recht nur unter einschränkenden Bedingungen relevant ist (vgl. dazu ausführlich WILDHABER, Treaty-Making Power and Constitution, S. 146 ff.). Die Schweiz hat sich grundsätzlich zu dieser Regel bekannt, vertraten doch der Bundesrat (vgl. den Savoyer Frei-Zonen-Fall und die Zustimmung der Schweiz zur Resolution XI der Washingtoner Konferenz von 1922/3, beide zitiert bei WILDHABER, a.a.O., S. 156 f. und S. 160 f.),
BGE 112 Ia 75 S. 80
das Eidgenössische Politische Departement (heute: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; vgl. das Kreisschreiben vom 8. Februar 1950, in Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht XI [1954] S. 229 f.) und die Eidgenössische Justizabteilung (heute: Bundesamt für Justiz; vgl. die "Aufzeichnung" vom 5. August 1950, in Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht VIII [1951] S. 201 ff.) die Meinung, dass die Schweiz durch einen völkerrechtlichen Vertrag auch dann gebunden sei, wenn die innerstaatliche Zustimmung zum Vertragsschluss fehle.
Die Bestimmung von
Art. 46 VRK
kann sodann für den Teilbereich des Völkervertragsrechts auch als Kodifikation der sogenannten "estoppel"-Doktrin betrachtet werden, die in der Rechtsprechung internationaler Schiedsgerichte in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Im wesentlichen liegt dieser Doktrin der Gedanke des Vertrauensschutzes zugrunde; eine Partei ist gebunden an die Erwartungen, die die andere nach Treu und Glauben in ausdrückliche oder sogar im Verhalten implizierte Äusserungen der ersten setzen durfte. In diesem Rahmen besteht auch im Völkerrecht eine Gebundenheit an das eigene Verhalten, ein Verbot des venire contra factum proprium (MÜLLER, Vertrauensschutz im Völkerrecht, S. 5 ff., speziell S. 9/10, mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch
BGE 106 Ib 169
). Dieser Grundgedanke fand in der Rechtsprechung internationaler Gerichte sogar dann Anwendung, wenn nicht ein Vertrag, sondern bloss einseitige Erklärungen - etwa eines Aussenministers (vgl. den bei MÜLLER, a.a.O., S. 13 ff., zitierten Ostgrönland-Fall) - zu beurteilen waren.
d) Im Lichte dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob sich das Kantonale Steueramt Nidwalden und das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden auf die fehlende Kompetenz der damaligen Unterzeichner der Gegenrechtserklärung berufen dürfen.
5.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden äussert sich im angefochtenen Urteil nicht zur Frage, welche innerkantonale Behörde zur Abgabe der streitigen Gegenrechtserklärung im Jahre 1954 zuständig gewesen wäre. Es unterscheidet in seinem Urteil auch nicht zwischen der Befugnis, eine solche Vereinbarung mit einem anderen Kanton abzuschliessen, und der Kompetenz, das zuständige (Exekutiv-)Organ zur Abgabe einer solchen Erklärung zu ermächtigen. Diese Unterscheidung ist jedoch im Völkerrecht wesentlich, werden doch üblicherweise völkerrechtliche Verträge
BGE 112 Ia 75 S. 81
von irgendwelchen Exekutivorganen - Regierungen oder Verwaltungsabteilungen - im Namen des von ihnen vertretenen Staates geschlossen, wobei diese Organe je nach innerstaatlichem Recht und Bedeutung der Sache von weiteren Entscheidträgern - Parlament oder Volk - die Genehmigung zum Vertragsabschluss erhalten müssen.
a) Wie es sich in dieser Hinsicht im Kanton Nidwalden verhalten hat, ist nicht ohne weiteres klar. Das Verwaltungsgericht verweist zwar auf Art. 57 der Kantonsverfassung von 1913/1936, wonach der Landrat Konkordate mit anderen Kantonen "abschliesst", insofern durch dieselben nicht eine Abänderung bestehender Gesetze bewirkt wird oder dieselben wegen ihrer Wichtigkeit nicht der Landsgemeinde vorzulegen sind (vgl. auch Art. 60 Abs. 3 der KV 1965). Ob damit der Landrat selbst von der kantonalen Verfassung als eigentliches Vertragsabschlussorgan bestimmt wird oder ob er nur die Kompetenz erhält, die Regierung oder einzelne Verwaltungsabteilungen zum Konkordatsabschluss zu ermächtigen, scheint selbst im Kanton Nidwalden nicht klar zu sein, wurde doch die in der Gesetzessammlung des Kantons publizierte Gegenrechtserklärung gegenüber Deutschland vom 24. November 1926/30. Juli 1927 nach deren Wortlaut vom Landrat selbst abgegeben (GS 522.2), während die ebenfalls in der kantonalen Gesetzessammlung publizierte Gegenrechtserklärung gegenüber dem Kanton Graubünden vom 19. Dezember 1955/23. Januar 1956 vom Regierungsrat ausging (GS 522.3). Moderner Auffassung dürfte es wohl entsprechen anzunehmen, dass dem Landrat gemäss Art. 57 KV 1913/1936 und Art. 60 Abs. 3 KV 1965 nicht die eigentliche Vertragsabschlusskompetenz, sondern nur die Ermächtigungskompetenz zustand bzw. zusteht.
b) Nicht ohne weiteres klar ist sodann, ob 1954 Regierung oder Verwaltung überhaupt einer Ermächtigung für die Abgabe der Gegenrechtserklärung bedurft hätten und wer zur Erteilung einer solchen Ermächtigung zuständig gewesen wäre. Soweit eine Gegenrechtserklärung über die Befreiung ausserkantonaler Begünstigter von Erbschaftssteuern nicht weiter geht als das kantonale Steuerrecht, hat sie im wesentlichen nur deklaratorische Bedeutung. Diesfalls fällt es schwer anzunehmen, Regierung oder Verwaltung bedürften für die Abgabe einer solchen Erklärung einer Ermächtigung z.B. durch den Landrat. Soweit aber eine Gegenrechtsvereinbarung weiter geht als das kantonale Steuerrecht, wäre nach dem Wortlaut von Art. 57 Ziff. 4 KV 1913/1936 nicht einmal
BGE 112 Ia 75 S. 82
der Landrat zur Ermächtigung zuständig gewesen (vgl. heute ebenso Art. 60 Abs. 3 KV 1965); das könnte wohl nur bedeuten, dass eine derartige Ermächtigung von der Landsgemeinde als der höchsten souveränen gesetzgebenden Behörde des Kantons (Art. 43 KV 1913/1936) hätte ausgehen müssen. Zieht man in Betracht, dass Gegenrechtserklärungen im allgemeinen für einen Kanton nicht von erheblicher Bedeutung sind und dass sie recht häufig abgegeben werden, so erschiene eine derartige Zuständigkeitsordnung allerdings als merkwürdig.
Soweit ersichtlich, lässt sich aus dem Verhalten der politischen Instanzen des Kantons Nidwalden zur Frage der Zuständigkeit zur Abgabe einer Gegenrechtserklärung über die Befreiung gemeinnütziger oder kirchlicher Institutionen von der Erbschaftssteuer nichts ableiten. Von den beiden einzigen in der systematischen Gesetzessammlung des Kantons Nidwalden publizierten Gegenrechtserklärungen wurde diejenige gegenüber Deutschland vom Landrat ohne Ermächtigung der Landsgemeinde (GS 522.2) und diejenige gegenüber dem Kanton Graubünden vom Regierungsrat ohne Ermächtigung des Landrates oder der Landsgemeinde (GS 522.3) abgegeben. Für den vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Regierungsrat im Jahre 1955/56 - also nur ca. eineinhalb Jahre nach der Erklärung gegenüber dem Kanton Zug - der Ansicht war, er könne ohne Ermächtigung durch den Landrat oder gar durch die Landsgemeinde mit einem anderen Schweizer Kanton eine Gegenrechtsvereinbarung abschliessen.
6.
a) Gegenrechtsvereinbarungen über die Befreiung bestimmter Institutionen von den Erbschaftssteuern sind im interkantonalen Steuerrecht häufig (vgl. z.B. die Übersichten bei GRÜNINGER/STUDER, Kommentar zum Basler Steuergesetz, 2. Aufl., S. 58 ff., und im Zürcher Steuerbuch, Interkantonales und Internationales Steuerrecht, Nr. 75/10 ff.). Ihre Bedeutung für die beteiligten Kantone ist jedoch gering; sie können am ehesten mit Verwaltungsvereinbarungen (vgl. dazu
BGE 97 I 244
ff.) verglichen werden, die meist auf Regierungs- oder Verwaltungsebene abgeschlossen werden. Wohl werden Gegenrechtserklärungen meist von den Regierungsräten der betroffenen Kantone abgegeben (vgl. dazu z.B. Zürcher Steuerbuch, a.a.O., Nr. 75/10 ff.), doch erscheint es angesichts ihrer untergeordneten Bedeutung und der höchst unterschiedlich ausgestalteten kantonalen Kompetenzordnungen hinsichtlich der Vertragsschlussbefugnis und der Ermächtigung
BGE 112 Ia 75 S. 83
zum Vertragsabschluss (vgl. dazu etwa SCHWEIZER, Kantonale Kompetenzordnung und interkantonale Vereinbarungen, in Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1973, S. 131 ff., besonders S. 146) nicht aussergewöhnlich, dass eine Gegenrechtserklärung durch ein einzelnes Regierungsratsmitglied in seiner Eigenschaft als Vorsteher eines Finanzdepartements oder einer Steuerverwaltung ausgesprochen wird. Jedenfalls kann nicht leichthin angenommen werden, dass der eine solche Gegenrechtserklärung entgegennehmende Kanton hätte merken müssen, dass das für den erklärenden Kanton handelnde Regierungsratsmitglied dazu nicht befugt war oder vorerst einer Ermächtigung durch eine andere Behörde seines Kantons bedurft hätte.
b) Unter diesen Umständen kann sich der Kanton Nidwalden nicht darauf berufen, der damalige Regierungsrat Wyrsch als Präsident der Kantonalen Steuerverwaltung sei zur Abgabe der fraglichen Gegenrechtserklärung nicht befugt oder nicht ermächtigt gewesen. Angesichts der untergeordneten Bedeutung dieser Erklärung durfte der Kanton Zug darauf vertrauen, dass sie von einem Nidwaldner Regierungsmitglied in amtlicher Funktion und im Zusammenhang mit einem konkreten Anwendungsfall abgegeben werden durfte. Vom Kanton Zug konnte auch nicht erwartet werden, dass er abgeklärt hätte, ob diese Erklärung allenfalls gegen Nidwaldner Steuerrecht verstossen könnte - was das Verwaltungsgericht des Kantons Nidwalden erst ca. 31 Jahre später durch eine extensive Auslegung des inzwischen mehrfach geänderten Steuergesetzes in einem konkreten Anwendungsfall annahm - und welches Staatsorgan im Kanton Nidwalden daher zur Ermächtigung zum Vertragsschluss zuständig gewesen wäre. Derartige Abklärungen, die der Kanton Zug notgedrungenermassen bei den Behörden des Kantons Nidwalden hätte vornehmen müssen, wären von diesen wohl als Verstoss gegen die zwischen den Behörden verschiedener Kantone geübten Gepflogenheiten gewertet worden und hätten angesichts der komplexen Rechtslage (vgl. dazu vorne E. 5) ohnehin kaum zu einem zweifelsfreien Ergebnis geführt.
Der Kanton Zug war zudem auch deshalb nicht zu besonderen Abklärungen über die Zuständigkeitsfrage verpflichtet, weil die streitige Gegenrechtserklärung im Jahre 1954 keineswegs dem damals geltenden Nidwaldner Erbschaftssteuerrecht in offensichtlicher Weise widersprach. Die ganze Erbschaftssteuer des Kantons Nidwalden war damals in einem einzigen Paragraphen
BGE 112 Ia 75 S. 84
(§ 30 des Armengesetzes vom 28. April 1912) äusserst rudimentär geregelt. Bestimmungen über die subjektive Steuerpflicht - und über die Befreiung davon - fehlten vollkommen. Das ganze Erbschaftssteuerrecht beruhte offensichtlich weitgehend auf der Praxis der Steuerbehörden, weshalb Erklärungen dieser Behörden naturgemäss ein besonderes Gewicht zukam.
c) Die Auffassung des Verwaltungsgerichts des Kantons Nidwalden und des Kantonalen Steueramtes verstösst somit gegen die in
Art. 46 VRK
kodifizierte Regel des von der Schweiz anerkannten und auch im Konkordatsrecht anwendbaren Völkergewohnheitsrechts. Der Kanton Nidwalden kann sich nicht auf die Ungültigkeit der Gegenrechtserklärung vom 15. Juni 1954 berufen. Das Verwaltungsgericht hat daher den Bestand dieser Gegenrechtserklärung zu Unrecht verneint. Damit erweist sich die Konkordatsbeschwerde als begründet. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d5acad08-4ad6-4280-9603-bbe63158482d | Urteilskopf
134 III 667
102. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_585/2008 vom 21. Oktober 2008 | Regeste
Art. 177 ZGB
; Art. 98 i.V.m.
Art. 46 Abs. 2 BGG
; Anweisungen an die Schuldner; Fristenlauf.
Die Schuldneranweisung gemäss den Bestimmungen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft ist eine vorsorgliche Massnahme, so dass der gesetzliche Fristenstillstand für die Beschwerdeführung beim Bundesgericht nicht gilt (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 667
BGE 134 III 667 S. 667
Im Rahmen eines Eheschutzverfahrens genehmigte der Einzelrichter eine Parteivereinbarung, wonach der Ehemann (Beschwerdeführer) seiner Ehefrau (Beschwerdegegnerin) monatlich Fr. 600.- Unterhalt zu bezahlen hat. Diese Verfügung ist rechtskräftig. Mit Eingabe vom 25. Juli 2007 stellte die Beschwerdegegnerin gestützt auf
Art. 177 ZGB
das Begehren, dass der jeweilige Arbeitgeber des Beschwerdeführers zu verpflichten sei, die Unterhaltsbeiträge in genannter Höhe jeweils direkt der Beschwerdegegnerin zu überweisen. Der Beschwerdeführer beantragte die Abweisung. Mit Verfügung vom 22. November 2007 hiess der Einzelrichter das Massnahmebegehren der Beschwerdegegnerin gut. Den vom Beschwerdeführer erhobenen Rekurs wies das Kantonsgericht am 1. Juli 2008 ab. Gegen diesen Beschluss hat
BGE 134 III 667 S. 668
der Beschwerdeführer am 4. September 2008 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Bei der Schuldneranweisung gemäss
Art. 177 ZGB
handelt es sich nicht um eine Zivilsache, sondern um eine privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahme sui generis (
BGE 110 II 9
E. 1 und 2 S. 12 ff.;
BGE 130 III 489
E. 1 S. 491), welche allerdings in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zivilrecht steht, so dass die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich gegeben ist (
Art. 72 Abs. 2 lit. b BGG
). Als Zwangsvollstreckungsmassnahme ist die Schuldneranweisung ein Endentscheid (
Art. 90 BGG
). Wie die andern Massnahmen zum Schutz der Ehe gemäss
Art. 172 ff. ZGB
ist auch die Anweisung an den Schuldner gemäss
Art. 177 ZGB
eine vorsorgliche Massnahme im Sinne von
Art. 98 BGG
, gegen welche ausschliesslich die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden kann (
BGE 133 III 393
E. 5 S. 396).
1.2
Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen (
Art. 100 Abs. 1 BGG
). Der angefochtene Entscheid wurde dem Anwalt des Beschwerdeführers gemäss Zustellcouvert des Kantonsgerichts mit Empfangsvermerk und gemäss Beschwerdeschrift am 4. Juli 2008 zugestellt. Die Beschwerdefrist lief daher am 4. August 2008 aus. Die am 4. September 2008 der schweizerischen Post übergebene Beschwerdeschrift, welche am 5. September 2008 beim Bundesgericht einlangte, ist daher verspätet (
Art. 44 Abs. 1,
Art. 45 Abs. 1 und
Art. 48 Abs. 1 BGG
).
1.3
Der Beschwerdeführer beruft sich auf
Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG
, wonach gesetzliche und richterliche Fristen vom 15. Juli bis und mit dem 15. August stillstehen. Gemäss Absatz 2 derselben Bestimmung gilt diese Vorschrift nicht in Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen. Diese werden vom Gesetz als dringliche Streitsachen eingestuft und daher vom Fristenstillstand ausgenommen. Die in
Art. 46 Abs. 2 und
Art. 98 BGG
verwendeten Begriffe der vorsorglichen Massnahme sind gleichbedeutend (Urteile 5A_169/2007 vom 21. Juni 2007 E. 3, in: Fampra.ch 2007 S. 953, und 5A_218/2007 vom 7. August 2007 E. 3.2, in: Pra 96/2007 Nr. 138 S. 946; vgl. auch
BGE 133 I 270
E. 1.2 S. 273). Gelangt demnach der Fristenstillstand gemäss
Art. 46 Abs. 2 BGG
nicht zur Anwendung, ist die Beschwerde verspätet und es kann darauf nicht eingetreten werden. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d5ad55da-9bc6-4136-8aa0-78d2899ce68d | Urteilskopf
109 III 37
10. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 25 janvier 1983 dans la cause Xavier & Nicolas Mo-Costabella et Regina Martin-Huep (recours LP) | Regeste
Art. 143 Abs. 1 SchKG
; Art. 47 Abs. 2 und 63 Abs. 1 VZG.
Zusätzliche Frist von 10 Tagen, welche dem Ersteigerer im Gefolge eines Beschwerdeverfahrens von der kantonalen Aufsichtsbehörde eingeräumt wird, damit er den Zuschlagspreis bezahlen kann; soweit diese zusätzliche Frist die Verlängerung der der Beschwerde erteilten aufschiebenden Wirkung bezweckt, ist sie aus praktischen Gründen gerechtfertigt und mit der Rechtsprechung vereinbar. | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 109 III 37 S. 38
A.-
Le 16 juin 1982, l'Office des poursuites du canton de Genève a adjugé à dame Adrienne Szokoloczy la parcelle no 3836, ainsi que la part de copropriété pour 79/1000 de la parcelle 3849, sises toutes deux sur la commune de Veyrier, sans la servitude d'usufruit grevant les parcelles au profit de sieur Jean-Claude Mo-Costabella et de son ex-épouse, dame Regina Martin-Huep, pour le prix de 381'000 francs. Lesdites parcelles, appartenant en copropriété aux enfants mineurs Xavier et Nicolas Mo-Costabella, avaient été estimées à 480'000 francs par l'Office.
Selon les conditions de vente, les immeubles étaient vendus sans aucune garantie de la part de l'Office. En outre, il était spécifié que le paiement devait avoir lieu en espèces, immédiatement avant l'enchère, mais que moyennant le versement de la somme de 150'000 francs en espèces, l'Office pourrait accorder à l'adjudicataire un délai de paiement de deux mois. Un tel délai a été accordé à dame Szokoloczy, qui disait se trouver encore en pourparlers au sujet du financement du prix d'adjudication, déduction faite d'un acompte de 150'000 francs déjà versé.
Jusqu'à l'échéance du délai de paiement, à savoir le 16 août 1982, l'adjudicataire est intervenue à plusieurs reprises auprès de l'Office pour obtenir notamment la perception d'un éventuel loyer à payer par sieur Mo-Costabella, codébiteur dans la poursuite en réalisation du gage. L'Office a proposé à dame Szokoloczy de faire l'avance des frais en vue d'une gérance plus active. En particulier, dans une lettre du 15 juillet 1982, l'Office écrivait à l'adjudicataire: "Sans réaction de votre part, je considérerai que vous renoncez à vos prétentions." Dame Szokoloczy n'a pas effectué l'avance demandée.
B.-
N'admettant pas les réclamations de l'adjudicataire relatives à l'état des lieux, l'Office des poursuites est intervenu auprès du notaire chargé par l'adjudicataire de requérir l'inscription au Registre foncier, en lui assignant un premier délai au 13 septembre 1982 pour le paiement du solde du prix de vente. Cette mise en demeure étant restée sans effet, l'Office a signifié, en
BGE 109 III 37 S. 39
date du 14 septembre 1982, à dame Szokoloczy que l'adjudication serait révoquée si, d'ici le 30 septembre 1982, elle n'avait pas réglé le solde de sa dette.
Au lieu de donner suite à l'injonction qui précède, dame Szokoloczy a porté plainte contre la décision de l'Office du 14 septembre 1982 auprès de l'Autorité de surveillance du canton de Genève. Par décision du 1er décembre 1982, notifiée le 9 du même mois aux parties, celle-ci a rejeté la plainte et fixé à l'adjudicataire un ultime délai de paiement de dix jours, compte tenu de l'effet suspensif accordé à la plainte, sous peine de caducité de la vente de l'immeuble.
C.-
En temps utile, les deux enfants mineurs Xavier et Nicolas Mo-Costabella, débiteurs solidaires dans la poursuite en réalisation du gage, représentés par leur curateur, d'une part, la mère des deux enfants prénommés, dame Martin-Huep, d'autre part, recourent contre la décision de l'Autorité de surveillance précitée. Ils concluent à l'annulation de cette dernière, en tant qu'elle a accordé un nouveau et ultime délai de dix jours à dame Szokoloczy pour acquitter le bordereau de vente immobilière, et à ce que la vente aux enchères du 16 juin 1982 soit déclarée caduque et annulée, de nouvelles enchères étant ordonnées et organisées par l'Office des poursuites de Genève. Ils demandent en outre que l'effet suspensif soit octroyé au recours, en ce sens que le délai supplémentaire accordé par l'Autorité cantonale de surveillance n'aura aucun effet et qu'un versement éventuel par dame Szokoloczy avant l'expiration de ce délai n'emportera aucune conséquence sur la question de la validité ou de la caducité de la vente du 16 juin 1982.
Dans leurs observations respectives, tant la Banque hypothécaire du canton de Genève (créancière dans la poursuite en réalisation du gage) que dame Szokoloczy (adjudicataire) concluent au rejet des recours, tandis que l'Office des poursuites s'en remet à justice.
Erwägungen
Extrait des motifs:
2.
Le seul point litigieux, en l'espèce, est celui de savoir si, dans le cas où l'adjudicataire se trouve en demeure pour le paiement du prix, ce dernier peut se voir octroyer un, voire plusieurs délais supplémentaires, ou si, au contraire, l'Office doit immédiatement ordonner une deuxième enchère.
BGE 109 III 37 S. 40
a) La loi, et plus encore l'ordonnance sur la réalisation forcée des immeubles qui élargit - en les explicitant - les dispositions légales, sont à cet égard strictes: l'
art. 156 LP
, applicable aux enchères consécutives à la poursuite en réalisation du gage, renvoie aux dispositions correspondantes régissant les enchères consécutives à la poursuite par voie de saisie (
art. 122-143 LP
). L'
art. 143 al. 1 LP
dispose que, faute pour l'adjudicataire de payer dans le délai, la mutation est révoquée et l'Office ordonne immédiatement de nouvelles enchères. Selon l'
art. 136 LP
, la vente elle-même doit se faire au comptant ou à terme, lequel ne peut excéder six mois. De même, il découle des prescriptions de l'ORI, en particulier des art. 47 al. 2 et 63 en relation avec l'art. 102, qu'en cas d'inobservation des conditions de vente ou des conditions fixées par l'Office et de non-respect du délai de paiement, l'Office doit "sitôt après l'expiration du délai de paiement, ordonner de nouvelles enchères" (art. 47 al. 2), respectivement "révoquer l'adjudication et ordonner immédiatement la deuxième enchère (...), à moins que tous les intéressés (débiteur, créanciers gagistes impayés, créanciers poursuivants) ne donnent leur consentement à une prolongation du délai de paiement" (art. 63 al. 1).
b) Au regard de ces dispositions légales et réglementaires, il apparaît déjà douteux, en l'occurrence, que l'Office, en accordant par deux fois un délai supplémentaire de paiement à l'adjudicataire, ait agi correctement (cf. à ce propos
ATF 75 III 13
). Ce point peut cependant rester indécis, du moment que les décisions de l'Office y relatives n'ont pas été attaquées en son temps par les actuels recourants. Quant à la fixation d'un nouveau délai par l'Autorité cantonale de surveillance, elle n'était en soi plus possible, même si l'on considère ce dernier comme un délai "technique", en dépit de ce qu'en pense le mandataire de l'adjudicataire dans ses observations. Toutefois, la jurisprudence atténue en quelque sorte la rigueur de la loi, en réservant la possibilité à l'adjudicataire de payer tant et aussi longtemps que la décision de révoquer la vente n'a pas été prise ou, dans le cas contraire, tant que dure l'effet suspensif octroyé à un recours interjeté contre une telle décision en application de l'
art. 36 LP
(
ATF 75 III 14
).
Une telle limitation jurisprudentielle à la réglementation légale est applicable par analogie au cas présent. En effet, l'idée selon laquelle, lorsque l'effet suspensif est accordé à un recours dirigé contre une décision révoquant l'adjudication, l'adjudicataire doit
BGE 109 III 37 S. 41
encore avoir la possibilité de "rattraper" le paiement qu'il a omis de faire auparavant, se trouve également à la base de la décision attaquée. L'autorité cantonale a notamment ajouté, en complément à ses considérants par lesquels elle rejetait la plainte de l'adjudicataire, que si cette dernière entendait conserver le bénéfice de ses enchères, il lui faudrait payer dans les dix jours à compter de sa décision; elle précisait qu'il s'agissait là d'un "délai supplémentaire, vu l'effet suspensif accordé à la plainte".
c) La question peut rester ouverte de savoir si une telle prolongation, au-delà du moment où la décision attaquée a été rendue, de l'effet suspensif accordé à la plainte par l'autorité précédente pour la durée de la procédure devant elle, est conforme au droit fédéral. Certes, on doit convenir avec les recourants qu'en principe l'effet suspensif a une portée qui se limite à la durée de la procédure de plainte, jusques et y compris la décision statuant sur celle-ci, et qu'il ne se prolonge pas au-delà. A cet égard, il est faux d'affirmer, comme le prétend le mandataire de l'adjudicataire dans ses observations, que le délai de quinze jours accordé par l'Office des poursuites (du 14 au 30 septembre) ne commencerait à courir, au cas où l'effet suspensif serait accordé au présent recours, qu'à la date de la notification de la présente décision, ou qu'en cas de refus d'un tel effet suspensif, ledit délai aurait commencé à courir le 10 décembre 1982 pour arriver à échéance le 5 janvier 1983. S'il est bien vrai que le délai supplémentaire de dix jours accordé par l'autorité cantonale, pour autant que sa validité soit reconnue, arrive à expiration le 5 janvier 1983, cela découle de la seule application des règles prescrites aux
art. 56 ch. 3 et 63 LP
.
En réalité, le délai supplémentaire octroyé par l'autorité cantonale trouve son fondement ailleurs. En effet, selon une pratique constante, les offices de poursuites ont l'habitude, pendant la durée d'un délai de plainte ou de recours, de différer d'eux-mêmes l'exécution d'une décision jusqu'à l'expiration du délai de plainte ou de recours ou jusqu'à droit connu sur la question de l'octroi de l'effet suspensif (cf.
ATF 78 III 59
; AMONN, p. 61). En fixant comme elle l'a fait un délai supplémentaire de dix jours - qui coïncide avec le délai de recours au Tribunal fédéral - à l'adjudicataire pour exécuter la décision de l'Office, soit pour payer son dû, l'autorité cantonale n'a rien fait d'autre que de se conformer à cette pratique. On ne saurait, au demeurant, voir dans sa façon de procéder une quelconque violation du droit fédéral:
BGE 109 III 37 S. 42
d'une part, le recours au Tribunal fédéral était ouvert contre sa décision et une éventuelle requête d'effet suspensif visant à empêcher l'adjudicataire d'exécuter son obligation de paiement dans le délai qui lui avait été fixé par l'autorité cantonale restait possible; d'autre part, la décision de l'Office des poursuites du 14 septembre 1982 ne révoquait elle-même pas définitivement l'adjudication, mais soumettait l'éventuelle révocation à une condition suspensive, à savoir que l'adjudicataire ne règle pas le solde de son dû dans le délai qui lui avait été imparti et qui s'est trouvé prolongé par l'effet suspensif que l'autorité cantonale a accordé à sa plainte le 29 septembre 1982. Aussi, les règles jurisprudentielles précitées se trouvaient-elles, en l'occurrence, respectées.
d) L'autorité cantonale s'en étant ainsi tenue à une pratique reconnue par le Tribunal fédéral comme justifiée pour des raisons d'ordre pratique, on ne saurait lui adresser le moindre reproche. Le recours s'avère dès lors mal fondé et doit être rejeté. | null | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d5afca72-6ee6-4af7-a87a-d2b33ecf65ab | Urteilskopf
126 II 258
27. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour de droit public du 19 juin 2000 dans la cause Forus et consorts contre Ministère public de la Confédération (recours de droit administratif) | Regeste
Art. 64 und 80h lit. b IRSG
; Beschwerdelegitimation; Grundsatz der Verhältnismässigkeit; Teilnahme an der Ausscheidung der zu übermittelnden Unterlagen.
Legitimation von juristischen Personen und Zeugen Beschwerde zu führen und insbesondere
Art. 2 IRSG
anzurufen (E. 2d).
Von der Rechtshilfe Betroffene haben eine Obliegenheit, schon anlässlich der Ausführung des Rechtshilfeersuchens an der Ausscheidung der beschlagnahmten Unterlagen teilzunehmen und ihre Einwände gegen eine Übermittlung genau zu begründen (E. 9b und c). | Sachverhalt
ab Seite 258
BGE 126 II 258 S. 258
La Fédération de Russie a demandé l'entraide judiciaire à la Suisse pour les besoins de la procédure pénale ouverte contre les ressortissants russes Boris Abramovitch Berezovski, Nikolai Alexeievitch
BGE 126 II 258 S. 259
Glouchkov et Alexander Semionovitch Krasnenker, pour fraude et blanchiment d'argent, délits réprimés par les art. 159 et 174 du Code pénal russe (CPR).
Selon l'exposé des faits joints à la demande, Berezovski, Glouchkov et Krasnenker sont soupçonnés d'avoir détourné, à leur profit, une partie des bénéfices de la société Aeroflot. Le butin aurait été acheminé sur des comptes ouverts au nom de sociétés du groupe Forus. Berezovski et Glouchkov avaient été l'actionnaire et les administrateurs de sociétés du groupe Forus et les ayant droits des comptes en question.
La demande tendait à la remise de toute la documentation relative aux activités des sociétés Forus au sujet des faits décrits dans la demande, ainsi qu'à la remise de la documentation concernant les comptes bancaires évoqués dans la demande et dont les suspects seraient les bénéficiaires. Les autorités russes ont demandé aussi que soient interrogés des témoins.
Le Ministère public de la Confédération, auquel l'Office fédéral de la police avait délégué l'exécution de la demande, a procédé à la saisie de documents et à l'audition des témoins. Il a ordonné la transmission à l'Etat requérant des documents saisis et des procès-verbaux de l'audition des témoins.
Les sociétés Forus, ainsi que trois témoins, ont formé contre les décisions du Ministère public un recours de droit administratif que le Tribunal fédéral a rejeté dans la mesure où il était recevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
d) Selon l'art. 80h let. b de la loi fédérale du 20 mars 1981 sur l'entraide internationale en matière pénale (EIMP; RS 351.1), a qualité pour agir quiconque est personnellement et directement touché par une mesure d'entraide et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit modifiée ou annulée. Dans le domaine de la coopération judiciaire internationale en matière pénale, cette disposition reprend - ainsi que l'
art. 21 al. 3 EIMP
pour ce qui concerne la personne poursuivie dans la procédure étrangère - la règle de l'
art. 103 let. a OJ
. L'intérêt fondant la qualité pour agir peut être juridique ou de fait; il ne doit pas nécessairement correspondre à celui protégé par la norme invoquée. Il faut toutefois que le recourant soit touché plus que quiconque ou la généralité des administrés dans un intérêt important, résultant de sa situation par rapport à l'objet litigieux. Un intérêt digne de protection existe lorsque la situation de fait ou de droit
BGE 126 II 258 S. 260
du recourant peut être influencée par le sort de la cause; il faut que l'admission du recours procure au recourant un avantage de nature économique, matérielle ou idéale (
ATF 125 II 356
consid. 3b/aa p. 361/362;
ATF 124 II 409
consid. 1e/bb p. 417/418, 499 consid. 3b p. 504;
ATF 123 II 115
consid. 2a p. 117, 376 consid. 4a p. 376). Le recours formé dans le seul intérêt de la loi ou d'un tiers est en revanche irrecevable (
ATF 125 II 356
consid. 3b/aa p. 361/362;
124 II 499
consid. 3b p. 504;
ATF 123 II 542
consid. 2e p. 545, et les arrêts cités).
aa) Forus Services a qualité pour agir, selon l'
art. 80h let. b EIMP
, mis en relation avec l'art. 9a let. b de l'Ordonnance du 24 février 1982 sur l'entraide internationale en matière pénale (OEIMP; RS 351.11), contre la transmission de la documentation relative à son activité commerciale, saisie lors de la perquisition du 1er juillet 1999. Forus Cyprus, Forus Investment, Forus Leasing et Forus Holding ont aussi qualité pour agir sous cet aspect, en tant que la documentation saisie les concerne. En outre, Forus Cyprus, Forus Services, Forus Holding, Forus Leasing et Forus Investment ont qualité pour agir, selon l'
art. 80h let. b EIMP
, mis en relation avec l'
art. 9a let. a OEIMP
, contre la transmission de la documentation relative aux comptes bancaires dont elles sont titulaires (
ATF 125 II 356
consid. 3b/bb p. 362;
123 II 161
consid. 1d/aa p. 164;
ATF 122 II 130
consid. 2a p. 132/133). Toutefois, en tant que personnes morales, les sociétés recourantes n'ont pas qualité pour invoquer l'
art. 2 let. a EIMP
, excluant l'entraide lorsque la procédure étrangère n'est pas conforme aux principes de procédure garantis par la CEDH et le Pacte ONU II (RS 0.103.2) (
ATF 125 II 356
consid. 3b/bb p. 362;
ATF 115 Ib 68
consid. 6 p. 86/87). Cette restriction à la qualité pour agir doit être étendue aux autres cas visés par l'
art. 2 EIMP
, notamment ceux des let. c et d de cette disposition invoquées par les sociétés recourantes. En effet, il ne se justifie pas de reconnaître la qualité pour agir sous l'angle de l'
art. 2 EIMP
à des personnes morales qui ne peuvent alléguer aucun intérêt digne de protection, lié à leur situation concrète, pour se prévaloir d'une norme destinée avant tout à protéger l'accusé dans la procédure étrangère. On ne voit pas en effet en quoi la situation des droits de l'homme en Russie serait de nature à toucher, d'une quelconque manière, des sociétés de Chypre, des Iles Vierges britanniques, de Suisse ou du Luxembourg. L'intervention des sociétés recourantes tend à défendre la loi, l'ordre public ou les droits de Berezovski; cela ne fonde pas cependant leur qualité pour agir au regard de l'
art. 80h let. b EIMP
, mis en relation avec l'
art. 103 let. a OJ
(
ATF 125 II 356
consid. 3b/bb p. 362/363).
BGE 126 II 258 S. 261
bb) Le témoin a qualité pour agir, au sens de l'
art. 80h let. b EIMP
, dans une mesure limitée. Il peut s'opposer à la transmission des procès-verbaux de son audition mais uniquement dans la mesure où les renseignements communiqués le concernent personnellement ou lorsqu'il se prévaut de son droit de témoigner; il n'a pas qualité pour agir, en revanche, lorsque sa déposition porte sur des comptes bancaires dont il n'est pas juridiquement titulaire (
ATF 122 II 130
consid. 2b p. 133;
121 II 459
consid. 2c p. 462). Enfin, le témoin ne peut s'opposer qu'à la transmission de ses propres déclarations, mais non à la communication de pièces saisies lors d'une perquisition (arrêt non publié C. du 27 février 1998, cité par ROBERT ZIMMERMANN, La coopération judiciaire internationale en matière pénale, Berne, 1999, no308, n. 1309).
Sur le vu de ces principes, les recourants J., P. et K., contrairement à ce qu'ils soutiennent, ne sont pas habilités à s'opposer à la transmission de la documentation, y compris bancaire, relative aux sociétés Forus. Pour ce qui concerne les procès-verbaux de leurs auditions, il ressort du dossier que les recourants J., P. et K. ont été entendus sur leur rôle dans la gestion des sociétés mentionnées dans la demande et notamment sur l'utilisation des comptes bancaires qui auraient été ouverts en faveur de Berezovski, Glouchkov et Krasnenker, sur les relations entre ceux-ci et les sociétés impliquées, notamment celles du groupe Forus, ainsi que sur les opérations concernant Aeroflot. P. a répondu à une question touchant à l'un de ses comptes bancaires. A cet égard, les recourants prétendent qu'ils seraient recevables à s'opposer à la transmission des procès-verbaux relatant leurs déclarations parce que le dévoilement de ces documents dans la procédure pénale russe pourrait entraîner des poursuites contre eux du chef de blanchiment d'argent au sens de l'
art. 305bis CP
et serait de nature à compromettre leurs activités financières en Russie, dans d'autres affaires. Il est douteux que la qualité pour agir des recourants J., P. et K. doive être admise pour ces raisons hypothétiques. Même à supposer que le danger redouté se produise, les besoins de l'entraide l'emporteraient, sur le vu des intérêts en présence. Cette question souffre cependant de rester indécise, la qualité pour agir des autres recourants devant être admise sur ce point. Cela étant, il faut préciser que les recourants J., P. et K. sont recevables à recourir seulement dans la mesure où la décision attaquée les concerne. Cela exclut pour eux de soulever le grief tiré de l'
art. 2 EIMP
, qui ne protège que l'inculpé dans la procédure pénale étrangère.
BGE 126 II 258 S. 262
Sous ces réserves, il y a lieu d'entrer en matière.
9.
b) Dans un premier moyen, les recourants reprochent au Ministère public de ne pas avoir procédé au tri des pièces à transmettre à l'Etat requérant.
aa) La participation du détenteur au tri des pièces à remettre à l'Etat requérant découle, au premier chef, de son droit d'être entendu (
ATF 116 Ib 190
consid. 5b p. 191/192). Cette participation doit aussi être conçue comme un corollaire de la règle de la bonne foi régissant les rapports mutuels entre l'Etat et les particuliers (
art. 5 al. 3 Cst.
), en ce sens que ceux-ci sont tenus de collaborer à l'application correcte du droit par l'autorité. En matière d'entraide judiciaire, cela implique pour la personne soumise à des mesures de contrainte d'aider l'autorité d'exécution, notamment pour éviter que celle-ci n'ordonne des mesures disproportionnées, partant inconstitutionnelles. Ainsi, la personne touchée par la perquisition et la saisie de documents lui appartenant est tenue, à peine de forclusion, d'indiquer à l'autorité d'exécution quels documents ne devraient pas, selon elle, être transmis et pour quels motifs. Ce devoir de collaboration découle du fait que le détenteur des documents en connaît mieux le contenu que l'autorité; il facilite et simplifie la tâche de celle-ci et concourt ainsi au respect du principe de la célérité de la procédure ancré à l'
art. 17a al. 1 EIMP
. Cette obligation est applicable non seulement dans la procédure du recours de droit administratif (
ATF 122 II 367
consid. 2d p. 371/372), mais aussi au stade de l'exécution de la demande. Sous l'angle de la bonne foi, il ne serait en effet pas admissible que le détenteur de documents saisis laisse l'autorité d'exécution procéder seule au tri des pièces, sans lui prêter aucun concours, pour lui reprocher après coup, dans le cadre d'un recours, d'avoir méconnu le principe de la proportionnalité. Dans ce sens, contrairement à ce que prétendent les recourants, le tri des pièces n'est pas l'affaire exclusive de l'autorité d'exécution. Encore faut-il que celle-ci donne au détenteur l'occasion, concrète et effective, de se déterminer à ce sujet, afin de permettre au détenteur d'exercer son droit d'être entendu et de satisfaire à son obligation de coopérer à l'exécution de la demande.
bb) En l'occurrence, les recourants se plaignent de ne pas avoir disposé du temps suffisant pour exercer pleinement leur droit d'être entendus. Cet argument n'est pas sérieux: le Ministère public a autorisé les recourants à consulter les pièces saisies, sans restrictions, du 13 septembre au 8 octobre 1999, puis du 11 octobre au 10 novembre 1999. Ce délai de près de deux mois pleins doit être tenu pour largement
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suffisant, quand bien même les séquestres ont porté sur une très grande quantité de pièces.
cc) Le 27 août 1999, le Ministère public a autorisé la consultation du dossier et invité les recourants à se déterminer, dans un délai expirant le 15 octobre 1999, sur l'entraide et la possibilité d'une exécution simplifiée de la demande selon l'
art. 80c EIMP
. Le 10 novembre 1999, le Ministère public a invité le mandataire des recourants à un entretien, au cours duquel ceux-ci ont été derechef invités à se prononcer sur la transmission des pièces saisies à l'Etat requérant. Les recourants n'ont pas donné suite à ces invitations et ne se sont pas déterminés sur le tri des pièces. Tout au plus ont-ils requis le Ministère public, le 10 décembre 1999, de lever le séquestre des fonds, en échange de quoi ils étaient prêts à consentir à la remise des documents concernant les transactions menées avec Aeroflot, à l'exclusion de tout document bancaire ou ne concernant pas les rapports avec Aeroflot. Cette prise de position, utilisant un critère incertain (cf. consid. 9c ci-dessous), ne permettait pas au Ministère public de discerner les raisons précises pour lesquelles les recourants entendaient s'opposer à la remise de telle ou telle pièce. En agissant comme ils l'ont fait, les recourants ont renoncé à exercer pleinement leur droit de participer au tri des pièces et négligé leur devoir de coopération avec le Ministère public. Ce n'est que le 1er février 2000, après le prononcé de la décision attaquée et le dépôt du recours, que les recourants ont communiqué au Ministère public une détermination - insuffisante (cf. consid. 9c ci-dessous) - pour chaque pièce de l'inventaire des pièces saisies.
Tolérer un tel comportement procédural reviendrait à donner au détenteur de documents et de fonds saisis le moyen d'empêcher l'autorité d'exécution de statuer rapidement, comme l'exige l'
art. 17a al. 1 EIMP
. En omettant sciemment de se déterminer devant l'autorité d'exécution - ou, du moins, en retardant indûment leur réponse à ce sujet - les recourants ont entravé la tâche du Ministère public, lequel aurait eu intérêt, avant de prononcer la décision attaquée, à connaître les arguments des recourants, exposés de manière claire et précise. Le particulier qui, à tort ou à raison, redoute une violation, à son détriment, du principe de la proportionnalité, ne peut cacher ses observations à l'autorité d'exécution pour les réserver exclusivement à l'autorité de recours. Cela aurait pour conséquence, en l'espèce, de faire du Tribunal fédéral l'instance unique du tri des pièces, ce qui n'est pas compatible avec le système de l'EIMP.
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Les recourants ayant pris le risque de ne pas se déterminer devant le Ministère public comme ils auraient dû le faire, ils doivent en assumer les conséquences.
c) Même à supposer que la prise de position du 1er février 2000 n'ait pas été tardive, elle serait de toute manière insuffisamment motivée.
Lorsque les recourants entendent s'opposer à la transmission d'une pièce déterminée, c'est toujours pour la raison que, selon les recourants, elle ne concernerait pas les transactions avec Aeroflot. Ce critère est inopérant, car il ne permet pas de déterminer de manière claire quels documents pourraient être transmis et lesquels ne pourraient l'être. D'un côté, la seule mention du nom d'Aeroflot dans un document ne signifie pas encore qu'il concerne les relations entre le groupe Forus et Aeroflot. A l'inverse, des documents ne citant aucun de ces noms pourraient remplir le critère préconisé par les recourants.
Ceux-ci semblent partir de la prémisse - erronée - que la demande porterait exclusivement sur les informations et documents concernant, de près ou de loin, les relations entre les sociétés Forus et Aeroflot. Une telle conception méconnaît le principe dit de l'"utilité potentielle", qui vient d'être rappelé, et conformément auquel le Ministère public doit transmettre des documents concernant d'autres personnes, sociétés ou comptes, même s'ils ne sont pas mentionnés dans la demande, pourvu que ces renseignements puissent être utiles à la procédure ouverte dans l'Etat requérant et que les conditions de l'entraide soient remplies. Il ne suffit donc pas de dire, de manière générale et indifférenciée, que les documents ne concernent pas la procédure étrangère, mais bien de l'indiquer précisément, pièce par pièce. Or, les recourants ne l'ont pas fait. Il n'appartient pas au Tribunal fédéral de remédier d'office aux défauts du recours sur ce point (cf.
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consid. 2d p. 371/372) et de défendre à leur place les intérêts des recourants. | public_law | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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