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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
d2f34b9e-65df-42e4-b17b-ea857cbb76b0 | Urteilskopf
125 IV 165
26. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 2. Juli 1999 i.S. R.S., T. Ltd., P.C., P.D., D. Trust, J.G. und N. Inc. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | Regeste
Art. 73 BStP
,
Art. 259 BStP
. Einziehung von angeblich aus dem Drogenhandel stammenden Vermögenswerten bei Einstellung des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens.
Die nach dem StGB und dem BetmG strafbaren Handlungen unterliegen grundsätzlich der kantonalen Gerichtsbarkeit; die Bundesgerichtsbarkeit bildet die Ausnahme (E. 5).
Die sich aus
Art. 259 BStP
ergebende Ausnahmebefugnis der Bundesanwaltschaft betrifft einzelne, dringend notwendige Ermittlungen (E. 6).
Art. 73 BStP
gilt nur für die Einstellung von Ermittlungen im Rahmen eines Bundesstrafverfahrens, d.h. für Straftaten, deren Verfolgung und Beurteilung in die Zuständigkeit des Bundes nach
Art. 340 StGB
fällt (E. 7).
Die Bundesanwaltschaft ist nicht zuständig, nach Einstellung der Ermittlungen wegen nicht unter die Bundesstrafgerichtsbarkeit fallender Geldwäscherei und Betäubungsmitteldelikte die Einziehung von Vermögenswerten zu verfügen (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 166
BGE 125 IV 165 S. 166
A.-
Durch einen Bericht der Drug Enforcement Administration/USA (DEA) vom August 1995 erhielt das Bundesamt für Polizeiwesen Kenntnis davon, dass verschiedene mexikanische Staatsangehörige, insbesondere J.G.G. (unter diesem sowie anderen Alias-Namen trat R.S. insbesondere gegenüber Banken auf) und M.N., im Rahmen eines grossen internationalen Drogenhandels auf mehreren Schweizer Banken bedeutende Vermögenswerte verwahren sollen, die aus dieser kriminellen Tätigkeit herrühren dürften.
BGE 125 IV 165 S. 167
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft eröffnete am 3. November 1995 auf Antrag des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 1. November 1995 (gestützt auf
Art. 29 Abs. 4 BetmG
in Verbindung mit
Art. 259 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege [BStP; SR 312.0]
) gegen die mexikanischen Staatsangehörigen R.S. (seit 28. Februar 1995 in Mexico in Haft und Bruder des früheren mexikanischen Staatspräsidenten C.S.), M.N., J.G. und S.G. sowie allfällige Mitbeteiligte ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der qualifizierten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel (
Art. 19 Ziff. 1 und 2 BetmG
; SR 812.121) und der Geldwäscherei (
Art. 305bis StGB
).
Am 15. November 1995 wurde das Ermittlungsverfahren auf die Ehefrau von R.S., P.C., sowie deren Bruder A.R. ausgedehnt.
Im November 1995 wurden Guthaben der Beschuldigten bei Banken in Zürich beschlagnahmt.
Am 12. bzw. 13. Februar 1997 wurden alle oder einzelne Bank-institute der Städte Zürich, Genf, Lugano, Schaffhausen und Lausanne aufgefordert, Angaben über Konti zu machen, an welchen 32 namentlich erwähnte mexikanische (14) bzw. kolumbianische Staatsangehörige berechtigt seien. Die Namen dieser Beschuldigten waren der Bundesanwaltschaft am 4. Februar 1997 durch die DEA übermittelt worden. Die gemeldeten Guthaben und Kontenunterlagen wurden durch die Bundesanwaltschaft beschlagnahmt und die Konten gesperrt.
B.-
Die mexikanischen Strafverfolgungsbehörden führen seit 1995 ebenfalls insbesondere gegen R.S. und dessen Ehefrau P.C. ein Strafverfahren wegen Geldwäscherei, illegalen Drogenhandels, Veruntreuung öffentlicher Gelder, ungerechtfertigter Bereicherung, Urkundenfälschung und falschen Zeugnisses. Die beiden sollen insbesondere von 1990 bis 1995 sehr hohe Geldsummen (über 100 Millionen US$) aus dem Drogenhandel über mexikanische und ausländische, namentlich auch über schweizerische Banken gewaschen haben. R.S. soll von weiteren Beschuldigten und allfälligen Dritten bei seinen illegalen Geschäften unterstützt worden sein.
Am 16./17. November 1995 richtete die Generalstaatsanwaltschaft Mexico ein Rechtshilfeersuchen in Sachen R.S. an die Schweiz. Ersucht wurde um die vorsorgliche Beschlagnahme und Übermittlung von Bankunterlagen zu Bankkonten in der Schweiz, an denen die mexikanischen Beschuldigten R.S. (alias J.G.G. oder J.G.C.), M.N., P.C. und A.R. (sowie weitere Personen) berechtigt seien. Die Guthaben seien zu beschlagnahmen.
BGE 125 IV 165 S. 168
Am 27. November 1995 übertrug das Bundesamt für Polizeiwesen die Durchführung des Rechtshilfeverfahrens - wegen des offensichtlichen Bezuges zu Betäubungsmitteldelikten und Amtsvergehen/-verbrechen (es handelt sich teilweise um Angehörige des früheren Staatspräsidenten von Mexico) und weil die Bundesanwaltschaft schon ein eigenes Verfahren eröffnet hatte - an die Bundesanwaltschaft.
Am 16. August 1996 erklärte die Bundesanwaltschaft gegenüber den mexikanischen Behörden, der Gegenstand des mexikanischen Rechtshilfeersuchens vom 17. November 1995 decke sich in weiten Teilen mit demjenigen ihres eigenen Ermittlungsverfahrens in Sachen R.S.; im Interesse des eigenen Verfahrens sei daher der Vollzug des mexikanischen Rechtshilfeersuchens einstweilen zurückgestellt worden.
C.-
Am 29. November/5. Dezember 1995 richtete die Bundesanwaltschaft ihrerseits ein Rechtshilfeersuchen an Mexico. Weitere Ersuchen gingen im Jahre 1996 an die USA, England (Grand Cayman), Spanien, Luxemburg, Deutschland, Belgien und Holland.
D.-
Mit Verfügung vom 10. Oktober 1996 erklärte die Bundesanwaltschaft die verlangte Rechtshilfe für zulässig und ordnete die Übermittlung der bereits im Rahmen des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens amtlich erhobenen Bank- und Kontenunterlagen an die mexikanischen Behörden an. Über die verlangte Beschlagnahme der Konten werde derzeit noch nicht entschieden.
Zwei durch R.S. und P.C. gegen diese Verfügung eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerden vom 13. November 1996 hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 30. September 1997 gut und hob die angefochtene Verfügung der Bundesanwaltschaft auf, weil es das Rechtshilfeersuchen als den Anforderungen an die Begründung gemäss
Art. 28 Abs. 3 lit. a des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG; SR 351.1)
nicht genügend erachtete. Die verlangte Rechtshilfe wurde vorläufig verweigert und die Bundesanwaltschaft eingeladen, bei den mexikanischen Behörden ein neues, den schweizerischen Rechtshilfebestimmungen entsprechendes Ersuchen anzufordern.
E.-
Die Behörden des Kantons Genf führen bereits seit 1994 gegen den (seit 23. September 1994 durch die mexikanischen Behörden zur Verhaftung ausgeschriebenen) mexikanischen Staatsangehörigen C.C., Direktor der Banca C. in Mexico City, eine Straf-untersuchung wegen Geldwäscherei. Dieser soll regelmässiger
BGE 125 IV 165 S. 169
Geschäftspartner von R.S. gewesen sein und sich auch wiederholt an dessen Domizil aufgehalten haben.
Auf Ersuchen des Generalstaatsanwalts von Mexico vom 1. Februar 1996 beschlagnahmten die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Genf, an die das Bundesamt für Polizeiwesen das Ersuchen offensichtlich weitergeleitet hatte, ein Konto von C.C. und Beteiligte bei der M. Bank in Genf. Da dieser mit der Familie S. nicht nur geschäftlich verbunden, sondern auch befreundet gewesen sein soll, wies der Generalprokurator des Kantons Genf den Genfer Untersuchungsrichter am 29. August 1996 an, die Untersuchung auf die dem durch die Bundesanwaltschaft eröffneten Ermittlungsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalte auszudehnen, soweit die durch die Bundesanwaltschaft (bereits im November 1995) beschlagnahmten Vermögenswerte auf Genfer Banken liegen, und diese auch kantonalrechtlich zu beschlagnahmen.
F.-
Mit Verfügung vom 19. Oktober 1998 stellte die Bundesanwaltschaft das gegen R.S., P.C., M.N., J.G. und S.G. wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (
Art. 19 BetmG
) und Geldwäscherei (
Art. 305bis StGB
) eröffnete gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren ein. Gleichzeitig wurden die auf verschiedenen Konten bei Banken in Genf und Zürich beschlagnahmten Vermögenswerte (im Betrag von über 118 Mio. US$, davon ca. 23 Mio. US$ bei einer Bank in London unter dem Vorbehalt der rechtshilfeweisen Gewährung) der Beschuldigten eingezogen.
Die Verfügung wurde den Beschuldigten mit Zustelldomizil in der Schweiz zugestellt und zudem im Bundesblatt veröffentlicht.
G.-
Gegen die Einziehungsverfügung der Bundesanwaltschaft haben verschiedene Personen bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde erhoben.
R.S. und T. Ltd., Grand Cayman, beantragen mit Beschwerde vom 29. Oktober 1998 der Anklagekammer zur Hauptsache, die Einstellungs- und Einziehungsverfügung der Bundesanwaltschaft aufzuheben, soweit mit dieser die definitive Einziehung der Guthaben auf fünf näher bezeichneten Konten bei Banken in Genf, Zürich und London verfügt werde und die beschlagnahmten Guthaben freizugeben. Eventuell sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zuständigkeitshalber an den Instruktionsrichter des Kantons Genf zu überweisen.
P.C., Mexico, P.D., Mexico, und der D. Trust beantragen mit Beschwerde vom 29. Oktober 1998 der Anklagekammer, Ziffer 2 der Einstellungs- und Einziehungsverfügung der Bundesanwaltschaft
BGE 125 IV 165 S. 170
vom 19. Oktober 1998 aufzuheben, soweit diese zwei näher bezeichnete Konten bei Banken in Zürich und Genf betreffe; die Beschlagnahme dieser Konten sei aufzuheben. Eventuell seien die Akten zur Vornahme weiterer Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
J.G. und N. Inc. beantragen der Anklagekammer mit Beschwerde vom 13. November 1998 zur Hauptsache, die Einstellungs- und Einziehungsverfügung der Bundesanwaltschaft aufzuheben, soweit mit dieser die Einziehung der Guthaben auf zwei näher bezeichneten Konten bei einer Bank in Zürich verfügt werde, und die beschlag- nahmten Guthaben freizugeben. Eventuell sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an die zuständige Strafuntersuchungsbehörde zu überweisen.
Die Schweizerische Bundesanwaltschaft beantragt, die Beschwerden abzuweisen.
Im zweiten Schriftenwechsel halten die Parteien an ihren Anträgen fest.
H.-
Am 4. November 1998 wies der Präsident der Anklagekammer des Bundesgerichts die Gesuche von R.S. und T. Ltd. sowie P.C., P.D. und D. Trust um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.
I.-
Am 23. Dezember 1998 teilte die Bundesanwaltschaft der Anklagekammer des Bundesgerichts mit, die Schweiz werde für R.S., M.N., J.G. und S.G. ein Strafübernahmebegehren an Mexico stellen. Die Bundesanwaltschaft werde dem Bundesamt für Polizeiwesen einen entsprechenden Antrag unterbreiten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Die Beschwerdeführer rügen zunächst, die Bundesanwaltschaft sei im Zusammenhang mit den ihnen zur Last gelegten Tatbeständen der Geldwäscherei und der BetmG-Widerhandlungen nicht zuständig zur Einziehung der in Frage stehenden Vermögenswerte. Zuständig seien vielmehr die kantonalen Behörden.
b) Die Bundesanwaltschaft begründet ihre Zuständigkeit für die in Frage stehende Einziehung mit ihrer Ermittlungszuständigkeit: In dem durch sie geführten polizeilichen Ermittlungsverfahren gehe es um in Mexico begangene Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 al. 3-5 in Verbindung mit
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
) sowie um in Mexico und in der Schweiz betriebene Wäscherei von Vermögenswerten, die aus ausländischem
BGE 125 IV 165 S. 171
Drogenhandel stammten (
Art. 305bis StGB
); die Haupttat sei in Mexico verübt worden. Für diese beiden - der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstehenden - Delikte ergebe sich ihre Ermittlungszuständigkeit aus
Art. 259 BStP
. Für die Betäubungsmitteldelikte ergebe sich dies direkt aus
Art. 29 Abs. 4 BetmG
in Verbindung mit
Art. 19 BetmG
. Die Geldwäscherei im Betäubungsmittelbereich sei zwar - anders als in einigen Ländern, in denen diese in den Strafbestimmungen des BetmG geregelt werde - im StGB geregelt, doch diese gesetzestechnische Lösung ändere nichts daran, dass dem Bund im Bereich der Drogen- und Drogengeldbekämpfung ein besonderes Oberaufsichtsrecht zustehe, was die Ermittlungskompetenz der Bundesanwaltschaft begründe. Dem Bund komme zudem nach dem 3. Kapitel des Geldwäschereigesetzes (SR 955.0; Art. 12-28) ein Aufsichtsrecht über die Finanzintermediäre auf dem Gebiet der Geldwäschereibekämpfung zu. In ihrer Vernehmlassung zur Beschwerde beruft sie sich zusätzlich auf das allgemeine Oberaufsichtsrecht des Bundes nach
Art. 102 Ziff. 2 BV
bzw.
Art. 392 StGB
. Aus dieser Ermittlungszuständigkeit ergebe sich nach
Art. 73 BStP
auch ihre Zuständigkeit zur Einziehung.
5.
a) Gemäss
Art. 343 StGB
verfolgen und beurteilen die Kantone die nach dem Schweizerischen Strafgesetzbuch strafbaren Handlungen, unter Vorbehalt der gemäss
Art. 340-342 StGB
ausdrücklich der Bundesgerichtsbarkeit unterliegenden Delikte. Dieser Grundsatz gilt auch für die in anderen Bundesgesetzen vorgesehenen strafbaren Handlungen, deren Verfolgung den Kantonen zugewiesen wird (
BGE 122 IV 91
E. 3a). Die Bundesgerichtsbarkeit bildet somit die Ausnahme vom Grundsatz der kantonalen Gerichtsbarkeit, weshalb sie nur dann gegeben ist, wenn eine Bestimmung des Bundesrechts sie ausdrücklich vorsieht (Markus Peter, Bundesstrafgerichtsbarkeit und kantonale Gerichtsbarkeit, ZStrR 87 [1971] 166 f.).
Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege (BStP) gilt mit Ausnahme seines dritten Teils (Art. 247-278bis) nur für Bundesstrafsachen, d.h. für Strafsachen, die durch ein Bundesgesetz (oder ausnahmsweise durch ein kantonales Gesetz: vgl.
Art. 8 BStP
) der Strafgerichtsbarkeit des Bundes zugewiesen sind, indem eine der eidgenössischen Strafgerichtsbehörden (
Art. 1 BStP
) zuständig erklärt wird.
b) In der angefochtenen Verfügung werden Vermögenswerte mit der Begründung eingezogen, sie stammten aus dem Drogenhandel. Den Beschuldigten wurden im eingestellten Ermittlungsverfahren
BGE 125 IV 165 S. 172
(die Einstellung wird damit begründet, dass in Mexico gegen die Beschuldigten wegen derselben Delikte eine Strafuntersuchung eröffnet worden ist) Betäubungsmitteldelikte und Geldwäscherei vorgeworfen.
Der Tatbestand der Geldwäscherei (
Art. 305bis StGB
) ist unter dem 17. Titel des StGB eingeordnet; die Delikte dieses Titels unterliegen nur dann der Bundesgerichtsbarkeit, wenn sie gegen den Bund, gegen die Behörden des Bundes etc. gerichtet sind (
Art. 340 Ziff. 1 StGB
). Dies ist bei der hier in Frage stehenden Geldwäscherei offensichtlich nicht der Fall. Auch die den Beschuldigten zur Last gelegten Betäubungsmitteldelikte wären durch die kantonalen Behörden zu verfolgen und zu beurteilen, wenn das Strafverfahren weitergeführt würde; gemäss
Art. 28 BetmG
ist die Strafverfolgung der BetmG-Widerhandlungen ausdrücklich Sache der Kantone. Bei beiden Straftatbeständen handelt es sich damit um Bundesstrafsachen, die nach Bundesgesetz (
Art. 343 StGB
bzw.
Art. 28 BetmG
) durch die kantonalen Behörden zu verfolgen und zu beurteilen sind.
6.
a) Gemäss
Art. 259 BStP
kann die Bundesanwaltschaft bei Widerhandlungen gegen die in
Art. 258 BStP
genannten Bundesgesetze, d.h. solche, die dem Bund ein besonderes Oberaufsichtsrecht einräumen (indem regelmässig besondere Bundesorgane mit dieser Oberaufsicht beauftragt werden), Ermittlungen anordnen oder anordnen lassen, wenn die strafbaren Handlungen ganz oder teilweise im Ausland oder in mehreren Kantonen begangen wurden.
b) Ob dem Bund im Zusammenhang mit der Geldwäscherei ein besonderes Oberaufsichtsrecht zukommt, welches ihn auf Grund von
Art. 259 BStP
ermächtigen würde, ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren zu eröffnen, erscheint zumindest fraglich, kann aber offen bleiben. Ein besonderes Aufsichtsrecht im Sinne von
Art. 259 BStP
ergibt sich aus
Art. 29 Abs. 4 BetmG
, sofern die in Frage stehenden strafbaren Handlungen - wie hier - im Ausland verübt wurden (
BGE 122 IV 91
E. 3c).
c) Die Ausnahmebefugnis der Bundesanwaltschaft gemäss
Art. 259 BStP
wurde damit begründet, es habe sich in der Praxis das Bedürfnis gezeigt, dass bei den Widerhandlungen, die dem Bund ein Oberaufsichtsrecht einräumen, vor der Anhandnahme der Verfolgung durch einen Kanton eine zentrale Amtsstelle Ermittlungen anordne; solche Ermittlungen (z.B. die Postsperre) hätten sich namentlich bei Widerhandlungen gegen die Bundesgesetze über Betäubungsmittel, betreffend Lotterien und gewerbsmässige Wetten, Frauen- und Kinderhandel sowie unzüchtige Veröffentlichungen
BGE 125 IV 165 S. 173
als notwendig erwiesen (Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1929 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege, BBl 1929 II 633f.). Das ändert indessen nichts daran, dass diese in Frage stehenden Widerhandlungen grundsätzlich durch die Kantone zu verfolgen und zu beurteilen sind. Denn der Grundsatz, dass im kantonalen Verfahren nur die kantonalen Behörden zu handeln haben, sollte dadurch nicht aufgehoben werden (BBl 1929 II 633). Auch die Anklagekammer hat betont, die sich aus
Art. 259 BStP
ergebende Ermittlungsbefugnis ändere nichts daran, dass die Zuständigkeit und das Verfahren grundsätzlich kantonal blieben (
BGE 122 IV 91
E. 3a).
Bei den in
Art. 259 BStP
erwähnten Ermittlungen handelt es sich um einzelne, dringend notwendige Erhebungen. Sobald das Vorliegen einer strafbaren Handlung und der schweizerische Gerichtsstand feststeht, haben die kantonalen Behörden die Strafverfolgung durchzuführen (FRANZ STÄMPFLI, Das Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934, Bern 1935, Art. 259 N. 2). Die praktische Bedeutung von
Art. 259 BStP
lag seit jeher fast ausschliesslich auf dem Gebiet der Betäubungsmitteldelikte. Hier führte die Bundesanwaltschaft vor allem dann eigene Ermittlungen durch, wenn die BetmG-Widerhandlung im Ausland verübt wurde und in der Schweiz noch kein Gerichtsstand feststand; sie beschränkten sich aber in aller Regel auf einzelne dringend notwendige Erhebungen. Sobald sich der Verdacht einer strafbaren Handlung bestätigte und der Gerichtsstand sich bestimmen liess, wurde das Verfahren der zuständigen kantonalen Behörde übertragen. Fälle, in denen die Bundesanwaltschaft unter Berufung auf
Art. 259 BStP
ermittelt, können denn auch nicht dem Bundesstrafgericht überwiesen werden, sondern sind durch die zuständigen kantonalen Behörden zu beurteilen (PETER HUBER, Einige Probleme aus dem Bereich des gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens im Bundesstrafprozess, ZBJV 1984, S. 396).
7.
a) Gemäss der Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1929 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (BBl 1929 II 575 ff.) wurde die Bundesanwaltschaft ermächtigt, vor Einleitung der Voruntersuchung Beschlagnahmen und Durchsuchungen durchzuführen (
Art. 75 BStP
). Im Entwurf des Bundesrates wurde die Einziehung - da nach der Aufhebung von Art. 202 aBStP eine bundesrechtliche Bestimmung über die Einziehung gefehlt hätte, solange das StGB mit den entsprechenden Bestimmungen über die Einziehung (Art. 55 und 56 des Entwurfes
BGE 125 IV 165 S. 174
StGB) noch nicht in Kraft getreten war - in Art. 174 geregelt und noch ausdrücklich dem Richter vorbehalten; es wurde lediglich gesagt, die Bestimmung finde «auch bei der Einstellung der Ermittlungen und der Voruntersuchung Anwendung». In den Beratungen wurde es hingegen als sachgerechter erachtet, diese sonst versteckte Bestimmung (über die Einziehung) von allgemeiner Bedeutung aufgrund einer gewissen Analogie anschliessend an die Durchsuchung und Beschlagnahme zu stellen. In Art. 75 Abs. 2 wurde zudem in Abweichung zum Entwurf des Bundesrates der Bundesanwalt zur Einziehung zuständig erklärt, sofern er die Ermittlungen einstellt. Sinngemäss wurde dies wie die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft zur Beschlagnahme und Durchsuchung auch damit begründet, dass im polizeilichen Ermittlungsverfahren kein Richter zur Verfügung stehe. Die Bestimmungen wurden daher in einem Titel: «IX. Beschlagnahme, Durchsuchung und Einziehung» zusammengefasst.
Mit dem Inkrafttreten des StGB wurden die Bestimmungen über die Einziehung (die damaligen
Art. 71 und 72 BStP
) durch die entsprechenden Bestimmungen des StGB ersetzt bzw. hinfällig (
Art. 343 BStP
;
Art. 398 Abs. 2 lit. o StGB
). Die selbständige Einziehungskompetenz der Bundesanwaltschaft (damaliger Art. 73 Abs. 2) blieb indessen mit dem Inkrafttreten des StGB unangetastet. Dem Beschuldigten blieb dagegen nach wie vor nur die (Aufsichts)-Beschwerde an den Bundesrat (Sten.Bull. 1934 SR 10).
Mit dem Bundesgesetz über den Schutz der Geheimsphäre vom 23. März 1979 wurde der bis dahin geltende
Art. 73 BStP
im Sinne einer blossen redaktionellen Verbesserung auf die
Art. 71-73 BStP
(die Art. 71 und 72 waren seit der Einführung von
Art. 58 und 59 StGB
frei) aufgegliedert. Dadurch sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass alle dem Bundesanwalt zugewiesenen Kompetenzen diesem «vor Einleitung der Voruntersuchung zustehen, also ausserhalb des Strafverfahrens, sei es zum Zwecke der Fahndung oder zum Zwecke der Prävention» (AB 1978 S 301). In Bezug auf die Einziehung wurde die bisherige Bestimmung übernommen, da dies mit der zu regelnden Materie nichts zu tun habe (AB 1978 S 302).
b) In
BGE 108 IV 154
erkannte das Bundesgericht, der Generalprokurator des Kantons Genf sei, da ihm als Ankläger die erforderliche Unabhängigkeit fehle, keine richterliche Instanz im Sinne von
Art. 59 StGB
; nur eine solche («le juge pénal du fond») könne über die Einziehung entscheiden; dies schon aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs. Als Folge dieses Urteils wurde als dringende
BGE 125 IV 165 S. 175
Anpassung des Bundesstrafprozesses an die EMRK im Zusammenhang mit der Änderung des OG u.a. - nachträglich, d.h. ohne dass dies Bestandteil der Vernehmlassungsvorlage gewesen wäre - mit dem neuen
Art. 73 Abs. 2 BStP
die Beschwerdemöglichkeit an die Anklagekammer eingeführt (in Kraft seit 15. Februar 1992). Dies wurde unter Hinweis auf
BGE 108 IV 154
damit begründet, dass Entscheide gemäss
Art. 58 und 59 StGB
von einer richterlichen Instanz zu fällen seien. Der bei Einstellung der Ermittlungen im Bundesstrafverfahren für die Einziehung zuständige Bundesanwalt - der im Bundesstrafverfahren von der Voruntersuchung an als Partei auftrete - verfüge indessen über keine richterähnliche Unabhängigkeit und sei damit kein unabhängiges Gericht im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Denn Sachrichter seien je nach Art des untersuchten Delikts die Bundesassisen oder das Bundesstrafgericht. Es wäre jedoch unökonomisch, für solche Entscheide, die in der Regel keine grosse Bedeutung hätten, diese Gerichte einzusetzen. Es erscheine daher angebracht, die Anklagekammer des Bundesgerichts auf Beschwerde hin entscheiden zu lassen. Die Änderung entspreche der Praxis des Bundesgerichts und liege im Interesse des von der Einziehung Betroffenen, weshalb auf die Durchführung eines zusätzlichen Vernehmlassungsverfahrens verzichtet werde (Botschaft des Bundesrates vom 29. Mai 1985 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, BBl 1985 II 867). Diese Begründung wird in der Botschaft des Bundesrates vom 18. März 1991 betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sowie die Änderung des Bundesbeschlusses über eine vorübergehende Erhöhung der Zahl der Ersatzrichter und der Urteilsredaktoren des Bundesgerichts im Zusammenhang mit
Art. 73 Abs. 2 BStP
wiederholt (BBl 1991 II 512f.). In den parlamentarischen Beratungen wurde diese Bestimmung diskussionslos angenommen.
Art. 73 BStP
gilt bereits wegen des auf Bundesstrafsachen beschränkten Geltungsbereichs dieses Gesetzes (E. 5a oben) nur für die Einstellung der Ermittlungen im Rahmen eines Bundesstrafverfahrens. Der Hinweis in der oben erwähnten Botschaft des Bundesrates (S. 512) auf den Sachrichter - Bundesassisen/Bundesstrafgericht - unter ausdrücklicher Verweisung auf die
Art. 341 und 342 StGB
macht ebenfalls deutlich, dass diese Bestimmung nur für Bundesstrafsachen anwendbar ist, d.h. wenn die Voraussetzung der Bundesgerichtsbarkeit gemäss
Art. 340 StGB
erfüllt ist; denn nur dann sind die erwähnten Gerichte der zuständige Sachrichter.
BGE 125 IV 165 S. 176
8.
Gilt nach dem Gesagten
Art. 73 BStP
nur für Ermittlungen bei Straftaten, deren Verfolgung und Beurteilung in die Zuständigkeit des Bundes nach
Art. 340 StGB
fällt, und begründet die Ermittlungsbefugnis der Bundesanwaltschaft keine solche Zuständigkeit (E. 6 oben), war die Bundesanwaltschaft nicht zuständig, nach Einstellung der Ermittlungen wegen nicht unter die Bundesstrafgerichtsbarkeit fallender Geldwäscherei und Betäubungsmitteldelikte die angefochtene Einziehung von Vermögenswerten zu verfügen. Daran ändert auch
Art. 29 Abs. 4 BetmG
nichts. Diese Bestimmung behält ausdrücklich allein Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gemäss
Art. 259 BStP
vor. Es handelt sich um einen Vorbehalt gegenüber
Art. 28 Abs. 1 BetmG
, der die Strafverfolgung als Sache der Kantone bezeichnet, der keine andere Bedeutung als der allgemeine Vorbehalt in
Art. 259 BStP
hat. Das BetmG statuiert denn auch ausdrücklich in Art. 24 die Einziehungszuständigkeit des Kantons, in dem die Vermögenswerte liegen, wenn die Straftat im Ausland begangen wurde, und enthält dazu keinen Vorbehalt.
Die Beschwerden sind daher insoweit gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuheben. Die Sache ist an die Bundesanwaltschaft zurückzuweisen, damit diese prüfe, ob und welchem Kanton die Akten im Sinne von
Art. 107 BStP
zu neuer Entscheidung über die Einziehung der in Frage stehenden Vermögenswerte zu überweisen sind. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d2f996d8-0fc6-40f3-ae89-709ff2071e45 | Urteilskopf
109 III 18
6. Estratto della sentenza 7 marzo 1983 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa X. (ricorso) | Regeste
Drittanspruch bei gepfändeten Sachen.
1. Die späte Geltendmachung des Eigentums an einer gepfändeten Sache ist nur dann offensichtlich rechtsmissbräuchlich und zieht die Verwirkung des Widerspruchsrechts nach sich, wenn der Eigentümer persönlich Kenntnis hatte von der Pfändung der einzelnen von ihm beanspruchten Vermögenswerte (E. 1).
2. Nachforschungen, welche die kantonale Aufsichtsbehörde durchführen muss, um im vorliegenden Fall auf einen offensichtlichen Missbrauch des Widerspruchsrechts schliessen zu können (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 109 III 18 S. 19
L'Ufficio di esecuzioni e fallimenti (UEF) ha effettuato contro Y. diversi pignoramenti, tra i quali quelli appartenenti al gruppo n. 26'572. Un primo incanto fissato per il 14 gennaio 1982 è stato annullato in seguito alla concessione di una moratoria concordataria da parte del Pretore, poi revocata il 21 luglio 1982. L'UEF ha quindi fissato il nuovo incanto per il 30 settembre 1982: la vendita riguardava tra l'altro i beni pignorati a favore del gruppo n. 26'572. Il 6 settembre 1982 X., moglie del debitore, ha rivendicato la proprietà di quasi tutti questi beni. Il medesimo giorno l'UEF ha dichiarato la rivendicazione tardiva, poiché la signora X. era a conoscenza dei pignoramenti eseguiti fin dal maggio 1979. La Camera di esecuzione e fallimenti ticinese ha respinto il reclamo presentato da X. con sentenza del 31 gennaio 1983.
La rivendicante insorge al Tribunale federale con ricorso del 15 febbraio 1983, con il quale chiede l'annullamento della decisione dell'autorità cantonale di vigilanza e, in sostanza, che sia avviata l'usuale procedura di rivendicazione. Il Tribunale federale ha accolto parzialmente il ricorso ed ha rinviato la causa all'autorità cantonale per completare l'istruzione nel senso dei considerandi e per nuovo giudizio.
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
L'apertura della procedura di rivendicazione presuppone che l'UEF sia informato della pretesa del terzo dal debitore o dal rivendicante medesimo. La legge non stabilisce un termine entro il quale quest'ultimo deve notificare la propria pretesa: l'
art. 107 cpv. 4 LEF
lascia tempo fino alla ripartizione. Prima di questo momento il diritto di rivendicazione può decadere soltanto se la notificazione tardiva delle pretese costituisca
BGE 109 III 18 S. 20
abuso manifesto di un diritto. Ciò può avvenire non solo quando il terzo ritarda la notificazione delle sue pretese con l'intenzione di ostacolare il decorso dell'esecuzione, ma anche quando egli, senza dolo, agisce in altro modo incompatibile con le regole della buonafede, in particolare quando il ritardo non è giustificato da alcun motivo legittimo e il rivendicante non può ignorare che il suo comportamento compromette il normale svolgimento della procedura esecutiva (
DTF 106 III 58
consid. 1).
Questa giurisprudenza è il frutto di successive rielaborazioni, dovute in buona parte alle critiche di KURT AMONN (ZBJV 1978 pag. 12 segg.; 1980 pag. 330 segg.), il quale ha deplorato l'istituzione di una perenzione del diritto di rivendicazione in assenza di esplicite disposizioni legali (cfr.
DTF 104 III 44
consid. 2, 3, 4 e rif.). Il medesimo autore ha in seguito approvato la nuova formulazione giurisprudenziale ed ha però auspicato che la malafede del terzo rivendicante non sia ammessa troppo facilmente (ZBJV 1982 pagg. 397/8). Comunque, in modo generale, la perenzione di un diritto a dipendenza del ritardo abusivo nel suo esercizio deve essere ammessa con grande riserva (DTF
DTF 94 II 41
consid. b e rif.). Quanto al diritto di rivendicazione, è ovvio ch'esso non può decadere per abuso del titolare fintanto ch'egli ignori l'esistenza del pignoramento (o del sequestro) dei beni sui quali vanta delle pretese (
DTF 102 III 144
e rif.); in linea di principio il terzo rivendicante deve avere personalmente conoscenza dei provvedimenti che colpiscono i suoi beni e questa conoscenza effettiva non può essere sostituita con il gioco delle norme che reggono determinati rapporti giuridici tra persone, norme che potrebbero consentire d'imputare a una parte ciò che il suo rappresentante ha saputo o ignorato (
DTF 106 III 60
).
In definitiva, non basta che l'interessato sia al corrente di esecuzioni promosse contro un debitore che detiene beni di sua proprietà. Solo qualora apprenda che uno di questi beni è stato pignorato il terzo può rendersi conto che l'oggetto rischia d'essere realizzato, con la conseguente possibile perdita dei suoi diritti, e che le regole della buonafede gli impongono di agire, poiché un'ingiustificata reazione tardiva ostacolerebbe il procedimento esecutivo. Prima di questo momento il proprietario può credere che gli oggetti non saranno pignorati, tanto più che l'
art. 95 cpv. 3 LEF
impone che i beni indicati come appartenenti a terzi o rivendicati siano pignorati da ultimo. D'altra parte la buonafede
BGE 109 III 18 S. 21
non richiede, di regola, che il proprietario, non appena conosca l'esistenza di procedure esecutive, s'informi se beni appartenenti a lui siano stati pignorati. Tale dovere può semmai incombere sull'interessato se i suoi beni si confondono con quelli del debitore e il rischio ch'essi siano pignorati al posto loro è quindi importante: questa circostanza si verifica ad esempio quando il debitore detiene molti oggetti appartenenti al terzo oppure quando entrambi vivono nei medesimi locali.
2.
Nella fattispecie l'autorità cantonale ha accertato che X. era al corrente delle esecuzioni pendenti contro suo marito perlomeno dal 23 aprile 1979, quando aveva sottoscritto l'atto di pignoramento del gruppo n. 23'515. In seguito numerosi atti esecutivi erano stati firmati da lei: l'atto di pignoramento 7 aprile 1981 nell'esecuzione n. 40'160, quello di data 27 aprile 1981 riguardante il gruppo n. 25'996 nonché i precetti esecutivi n. 32'811, 159'402 ed altri. Poiché la ricorrente era inoltre al corrente della procedura concordataria del marito, l'autorità cantonale di vigilanza ha concluso ch'essa ha ritardato in modo malizioso il procedimento esecutivo, rivendicando la proprietà dei beni messi all'incanto solo il 6 settembre 1982. Alla sentenza impugnata la ricorrente obietta che la LEF non prevede termini per la rivendicazione, che una casalinga non può conoscere la giurisprudenza, che l'autorità cantonale non ha accertato ch'essa ha firmato l'atto di pignoramento del gruppo n. 26'572, che la durata della moratoria concordataria non può essere computata e che neppure gli
art. 210 e 224 CC
prevedono termini per la rivendicazione degli apporti della moglie.
Il Tribunale federale è vincolato dagli accertamenti di fatto della sentenza impugnata (
art. 81 e 63 cpv. 2 OG
). Tra gli accertamenti menzionati sopra sono rilevanti quelli secondo cui X. ha firmato gli atti di pignoramento del 7 e 27 aprile 1981 e quello del 23 aprile 1979. L'autorità cantonale non ha però precisato quali fossero gli oggetti e i beni pignorati in quelle occasioni in presenza della ricorrente né se essi coincidessero con quelli rivendicati il 6 settembre 1982. Questi accertamenti sarebbero stati determinanti poiché, come s'è detto, per stabilire se il ritardo nella rivendicazione costituisca un abuso di diritto importa sapere in primo luogo il momento in cui il proprietario ha avuto conoscenza del pignoramento. La sentenza impugnata deve di conseguenza essere annullata affinché sia completata su questo punto, ai sensi dell'
art. 64 cpv. 1 OG
; il cpv. 2 della stessa norma impedisce al
BGE 109 III 18 S. 22
Tribunale federale di completare gli accertamenti, poiché non si tratta di punti puramente accessori.
L'autorità cantonale dovrà in primo luogo verificare l'identità tra i beni rivendicati da X. e quelli pignorati in sua presenza in diverse occasioni, non solo il 27 novembre 1981 in relazione con il gruppo n. 26'572. La firma dei verbali significa che la ricorrente ha assistito ai pignoramenti nella qualità di rappresentante del debitore ai sensi dell'
art. 91 cpv. 1 LEF
e che poteva quindi indicare ai funzionari dell'UEF quali oggetti appartenessero a lei e quali al marito (il 7 aprile 1981 la ricorrente ha ad esempio indicato che un tappeto cinese era proprietà sua). Se tra i beni rivendicati il 6 settembre 1982 ve ne fossero di quelli non pignorati in presenza della ricorrente, i giudici cantonali dovranno stabilire se essa non avesse appreso dal marito o dall'UEF l'esecuzione del pignoramento. Dopo aver accertato per ogni singolo oggetto il momento nel quale X. ha avuto conoscenza del pignoramento, l'autorità di vigilanza dovrà esaminare se eventuali motivi invocati per giustificare il ritardo nella rivendicazione siano compatibili con le regole della buonafede. A questo proposito è utile rammentare che l'ignoranza della legge e della giurisprudenza non è rilevante e che la ricorrente non può prevalersi neppure della moratoria concordataria concessa al marito il giorno precedente la data stabilita per la prima vendita (14 gennaio 1982), dal momento che non era ragionevolmente possibile fare affidamento su una dilazione concessa all'ultimo minuto. Infine, basti aggiungere che l'argomento tratto dagli
art. 210 e 224 CC
non è fondato, poiché queste norme non si applicano al regime della separazione dei beni vigente tra i coniugi (cfr.
art. 244 CC
). | null | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d305c6a7-a5e6-4b1f-9fe4-a4f2b384ca9f | Urteilskopf
109 Ia 171
31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Juni 1983 i.S. Frauchiger gegen Baugesellschaft Fuhrenäcker, Einwohnergemeinde Madiswil und Regierungsrat sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
; Legitimation des Nachbarn zur staatsrechtlichen Beschwerde.
1. Grundsatz (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 4a).
2. Der Nachbar ist unter den allgemeinen Voraussetzungen zur Anfechtung einer Baubewilligung im Sinne von
Art. 88 OG
legitimiert, wenn er geltend macht, sie sei unter Verletzung der Pflicht zur Aufstellung eines Detailerschliessungsplans nach bernischem Recht erteilt worden (E. 4b). | Erwägungen
ab Seite 172
BGE 109 Ia 171 S. 172
Aus den Erwägungen:
4.
a) Der Beschwerdeführer ficht die an die Beschwerdegegnerin erteilte Baubewilligung an. Es ist deshalb im weitern zu prüfen, ob hiefür die Legitimation im Sinne von
Art. 88 OG
gegeben ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind die Eigentümer benachbarter Grundstücke befugt, eine Baubewilligung mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten, soweit sie die Verletzung von Bauvorschriften geltend machen, die ausser den Interessen der Allgemeinheit auch oder in erster Linie dem Schutz des Nachbarn dienen. Zusätzlich müssen sie dartun, dass sie sich im Schutzbereich der Vorschriften befinden und durch die behaupteten widerrechtlichen Auswirkungen der Baute betroffen werden. Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde bestimmt sich dabei ausschliesslich nach
Art. 88 OG
. Der Umstand, dass ein Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren Parteistellung hatte, ist nicht entscheidend (
BGE 107 Ia 74
E. 2a mit Hinweisen).
b) Die Bestimmungen von Art. 73 ff. des Berner Baugesetzes vom 7. Juni 1970 (BauG) und Art. 34bis des Baureglements der Gemeinde Madiswil vom 19. März 1962, revidiert am 3. Juli 1973, (BauR) über die Detailplanpflicht liegen in erster Linie im Interesse der Allgemeinheit, dienen sie doch grundsätzlich planerischen sowie verkehrs- und strassenpolizeilichen Zwecken. Gegenstand der Detailerschliessungsplanung ist die Sicherung der zweckmässigen
BGE 109 Ia 171 S. 173
Verbindung der einzelnen Grundstücke mit den Hauptsträngen der Erschliessungsanlagen (vgl. ALDO ZAUGG, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, Bern 1971, Art. 73 N. 1, S. 264). Im Vordergrund steht namentlich das Ziel, die Zahl der Anschlüsse an die Basiserschliessung zu vermindern (Art. 73 Abs. 2 Satz 2 BauG). Seinem Wesen nach ist der Detailerschliessungsplan ein Teilquartierplan (vgl. ALDO ZAUGG, a.a.O., Art. 73 N. 4, S. 264/265, Art. 74 N. 1, S. 266). Schon daraus ergibt sich, dass die entsprechenden Vorschriften nicht ausschliesslich den Interessen der Allgemeinheit dienen, sondern auch jenen Privater, namentlich der Nachbarn. So bezweckt der Detailerschliessungsplan u.a. eine möglichst kostengünstige Gestaltung der privaten Erschliessungsanlagen (Art. 73 Abs. 2 Satz 2 BauG; vgl. auch ALDO ZAUGG, a.a.O., Art. 73 N. 3, S. 264). Insofern dienen die Vorschriften über die Detailerschliessungsplanung auch den Grundeigentümern von Parzellen, die dem Baugrundstück benachbart sind. Als unmittelbarer Nachbar befindet sich der Beschwerdeführer im Schutzbereich der genannten Vorschriften. Er wird zudem durch die Auswirkungen der Ausfahrt in die Staatsstrasse auf dem benachbarten Grundstück betroffen. Damit ist er gemäss
Art. 88 OG
zur Beschwerdeführung berechtigt. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d308fa74-3da6-48af-bc89-758bf2dda138 | Urteilskopf
81 III 144
40. Auszug aus dem Entscheid vom 18. Oktober 1955. i. S. Lanz. | Regeste
Lohnpfändung.
Art. 93 SchKG
.
Der Prämienaufwand für eine (private) Lebensversicherung gehört, auch wenn es sich um eine sog. Volksversicherung handelt, nicht zum Existenzminimum des Schuldners und seiner Familie. | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 81 III 144 S. 144
Aus dem Tatbestand:
In der Betreibung der Rekurrentin gegen Howald hielt das Betreibungsamt eine Lohnpfändung für unstatthaft, da der Verdienst des Schuldners sein Existenzminimum nicht erreiche. Auf Beschwerde der Gläubigerin ordnete dagegen die untere Aufsichtsbehörde eine monatliche Lohnpfändung von Fr. 110.-- an, wobei sie sich auf das Einkommen des Schuldners in den letzten Monaten (Sommersaison) stützte. Dagegen rekurrierte der Schuldner an die obere Aufsichtsbehörde mit dem Erfolg, dass infolge des veränderlichen Lohneinkommens nur der jeweilige Überschuss des Lohnes über das Existenzminimum von monatlich Fr. 497.40, auf die Zahltagsperiode von zwei Wochen berechnet je Fr. 232.10, als pfändbar erklärt wurde. Unter den das Existenzminimum ausmachenden Posten anerkennt der kantonale Entscheid eine monatliche Lebensversicherungsprämie von Fr. 4.30.
Mit ihrem Rekurs an das Bundesgericht hat die Gläubigerin unter anderm die Einbeziehung dieses Prämienaufwandes in das Existenzminimum beanstandet und verlangt, dass von einem um diesen Betrag niedrigeren Existenzminimum auszugehen sei. Der betreffende subeventuelle
BGE 81 III 144 S. 145
Rekursantrag 3 lautet: "Vom Nettolohn des Schuldners einer Zahltagsperiode von 14 Tagen sei der Fr. 230.10 übersteigende Lohn zu pfänden."
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer hat diesen Antrag geschützt, aus folgenden Gründen:
..... Mit dem Subeventualantrag 3 desRekurses wird für den Fall, dass sich die Notbedarfsberechnung der Vorinstanz grundsätzlich nicht mit Erfolg anfechten lässt, ein einzelner Posten des Notbedarfs angefochten: der monatliche Prämienaufwand von Fr. 4.30 des Schuldners für eine im Jahre 1938 von seiner Ehefrau auf eine Dauer von 25 Jahren abgeschlossene, im Jahre 1963 fällig werdende Lebensversicherung. Es handelt sich um eine sog. Volksversicherung der "VITA" mit einer Versicherungssumme von Fr. 1070.--. Nach der Rechtsprechung sind zwar Beträge, die der Arbeitgeber des Schuldners für diesen an eine Pensions- und Unterstützungskasse oder für eine Unfallversicherung zwangsweise abzieht, als verdienstmindernd bzw. notbedarferhöhend zu berücksichtigen (
BGE 51 III 68
ff.), nicht aber die Prämien einer freiwillig vom Schuldner (oder von einem Angehörigen seiner Familie) abgeschlossenen Lebensversicherung, selbst wenn die aus dieser hervorgehenden Ansprüche ihrerseits nach
Art. 80 VVG
unpfändbar sind (
BGE 52 III 193
ff.). In
BGE 71 III 49
wurde neuerdings ausgesprochen, die Prämien für die Lebensversicherung Angehöriger seien grundsätzlich nicht als notwendige, das Existenzminimum des Schuldners erhöhende Zwangsausgaben anzuerkennen. Die Vorinstanz hat dies nicht übersehen, sich aber der Ansicht von JAEGER-DAENIKER, N. 8 C am Ende zu
Art. 93 SchKG
, angeschlossen, wonach ein weitherzigerer Standpunkt eingenommen werden sollte. Sie hält mit der erwähnten Kommentarstelle dafür, Prämien für Volks- und Abonnentenversicherungen bis zum Betrage von Fr. 4000.-- bis 5000.-- sollten in den Notbedarf eingerechnet werden dürfen.
BGE 81 III 144 S. 146
Bei einer Lebensversicherung wie der vorliegenden handle es sich um eine minimale und nötige Sicherung bei einem Schuldner, der nur über ein geringes Einkommen verfüge und keiner Pensionskasse angehöre. Die von der Ehefrau (mit Begünstigung des Schuldners für den Fall ihres Todes) abgeschlossene Versicherung diene noch besonders ihr selbst, da sie unter gesundheitlichen Schädigungen leide, als "Rückhalt", was geschützt zu werden verdiene.
Das Gesetz bietet indessen keinen Anhalt zur Einbeziehung derartiger Prämienaufwendungen in den Notbedarf. Dieser umfasst nach allgemein anerkanntem Begriffe nur das für den laufenden Lebensunterhalt Notwendige, nicht auch die Fürsorge für eine mehr oder weniger entfernte ungewisse Zukunft. Was darüber in
BGE 52 III 194
/5 ausgeführt ist, bleibt durch die Ausführungen des hier angefochtenen Entscheides unwiderlegt. Dort wurde allerdings (Seite 195 unten /196) bereits die Frage vorbehalten, ob eine Lebensversicherung mit bescheidenem Prämienaufwand, so dass sie sich den Beiträgen an eine Sterbe- oder Krankenkasse (im Sinne von
Art. 92 Ziff. 9 SchKG
) gleichstellen liesse, dem Schutze des
Art. 93 SchKG
unterstellt zu werden verdiene. Das ist dann aber in
BGE 71 III 50
(im Unterschiede zu gewissen Unfallversicherungen, die bei Abonnentenversicherungen sozusagen ausschliesslich in Betracht fallen) aus zutreffenden Gründen verneint worden, insbesondere deshalb, weil "nicht ersichtlich wäre, wo mit Bezug auf die Höhe der Versicherung bzw. der Prämie die Grenze des Notwendigen und daher im Existenzminimum zu Berücksichtigenden zu ziehen wäre". Die vom Kommentator angegebene maximale Versicherungssumme von Fr. 4-5000.-- erscheint als willkürliche, der gesetzlichen Grundlage entbehrende Annahme. Es handelt sich um ein gesetzgeberisches Postulat, dessen Verwirklichung die rechtsanwendenden Behörden nicht vorwegnehmen dürfen. Insbesondere sind bisher keine Bestimmungen über die sog. Volksversicherungen (wozu vgl.
BGE 81 III 144 S. 147
JAEGER, N. 48 zu
Art. 101 VVG
) erlassen worden, wonach der Prämienaufwand innert festgelegten Grenzen zum Notbedarf gehörte.
Der Rekursantrag 3 ist somit gutzuheissen .... | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d30ad9c7-b421-41f5-b447-f91420aa548d | Urteilskopf
88 IV 72
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. Juni 1962 i.S. Staatsanwaltschaft Graubünden gegen Rudin. | Regeste
Art. 59 Abs. 2 MFG.
Die Bestimmungen der Art. 89 bis 99 StGB stehen der Annahme nicht im Wege, dass wegen Rückfalles bei Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustande auch strafbar ist, wer die frühere Verurteilung als Jugendlicher erlitt. | Sachverhalt
ab Seite 73
BGE 88 IV 72 S. 73
Aus dem Tatbestand:
A.-
Am 10. Juli 1961 gegen Mitternacht setzte sich Rudin in angetrunkenem Zustand ans Steuer seines Personenwagens und fuhr auf der Kantonsstrasse von Chur nach Rhäzüns. Da er sich plötzlich unpässlich und müde fühlte, hielt er sein Fahrzeug auf einem Abstellplatz hinter Rhäzüns an, erbrach sich und schlief ein. Ungefähr drei Stunden später wurde er dort von der Polizei aufgegriffen, die eine Blutentnahme anordnete und Anzeige erstattete.
Am 5. November 1955 war Rudin bereits als Jugendlicher vom Jugendgericht Hinterrhein wegen Widerhandlung gegen Art. 59 Abs. 1 MFG in eine bedingt aufgeschobene Strafe von fünf Tagen Einschliessung nach Art. 95 f. StGB verfällt worden.
B.-
Der Kreisgerichtsausschuss Rhäzüns erklärte Rudin am 28. Dezember 1961 des Führens eines Motorfahrzeuges im angetrunkenen Zustand im Sinne des Art. 59 Abs. 1 MFG schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Strafe von 14 Tagen Haft und zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 100.--. Das Gericht nahm an, es liege kein Rückfall vor.
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden bestätigte dieses Urteil am 19. Februar 1962.
C.-
Die Staatsanwaltschaft Graubünden führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung Rudins nach Art. 59 Abs. 2 MFG an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Rudin beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Wer in angetrunkenem Zustand ein Motorfahrzeug führt, wird nach Art. 59 Abs. 1 MFG in Verbindung mit
Art. 333 Abs. 2 StGB
mit Haft bis zu zwanzig Tagen oder mit Busse bis zu tausend Franken bestraft. In schweren Fällen oder "bei Rückfall" wird gemäss Art. 59 Abs. 2
BGE 88 IV 72 S. 74
MFG auf Gefängnis bis zu sechs Monaten oder auf Busse bis zu fünftausend Franken erkannt.
Der Rückfall ist hier nicht allgemeiner Strafschärfungsgrund im Sinne der
Art. 67 und 108 StGB
, sondern ein das Führen in angetrunkenem Zustande auszeichnendes Tatbestandsmerkmal. Er ist in Art. 59 Abs. 2 MFG zu einem besondern Straftatbestand erhoben und den (sonstigen) schweren Fällen gleichgestellt, welche nach dieser Bestimmung als Vergehen zu ahnden sind (
BGE 74 IV 78
,
BGE 77 IV 108
,
BGE 83 IV 174
). Mit Rückfall kann hier nur die Wiederholung der Tat nach einer wegen Führens in angetrunkenem Zustande erfolgten früheren Verurteilung gemeint sein (
BGE 77 IV 109
).
2.
Davon geht auch die Vorinstanz aus. Sie hält aber dafür, im Entscheid eines Jugendgerichtes sei keine strafrechtliche Verurteilung im Sinne dieser Rechtsprechung zu erblicken. Das Strafgesetzbuch spreche in den für Jugendliche geltenden Bestimmungen der Art. 89 bis 99 nirgends von einer Verurteilung, sondern bloss in Art. 90 von der Beurteilung des Jugendlichen. Dieser werde gemäss
Art. 95 StGB
nicht für schuldig, sondern für fehlbar befunden. Auch würden ihm Strafen in Aussicht gestellt, welche mit Ausnahme der Busse von denen für Erwachsene der Art nach verschieden seien (Verweis, Einschliessung, erzieherische Massnahme). Das Strafgesetzbuch - wie übrigens auch
Art. 220 StPO
- vermeide denn auch den strengen Ausdruck Urteil und gebrauche das farblosere Wort Entscheid. Dazu komme, dass das Bundesgericht in
BGE 79 IV 1
die Einschliessung nicht zu den Freiheitsstrafen zähle, die für den Fall, dass sie während der letzten fünf Jahre vor Verübung der Tat verbüsst wurden, den bedingten Strafvollzug nach
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ausschlössen. Sie sei wohl Strafe, dürfe aber mit den für das Erwachsenenstrafrecht vorgesehenen Sanktionen nicht auf eine Ebene gehoben werden.
Mit dieser Begründung lässt sich das angefochtene Urteil nicht aufrechterhalten. Es trifft zwar zu, dass in den
BGE 88 IV 72 S. 75
Art. 89 ff. StGB
nicht ausdrücklich von einer Verurteilung die Rede ist. Sachlich liegt aber nichtsdestoweniger eine solche immer vor, wenn die zuständige Behörde den Jugendlichen wegen einer vom Gesetz mit Strafe bedrohten Tat "fehlbar" findet und über ihn eine Massnahme verhängt oder ihn bestraft. Die Verhängung einer Massnahme setzt wie die Bestrafung voraus, dass der Betroffene wegen einer strafbaren Handlung schuldig befunden werde; auch wird die Massnahme wie die Strafe samt dem Schuldspruch ins Strafregister eingetragen (
Art. 361 StGB
) und unter den gleichen Voraussetzungen wie diese gelöscht (
Art. 99 StGB
). Es ist namentlich bei der Bestrafung nach Art. 95 nicht einzusehen, dass eine Einschliessung keine strafrechtliche Verurteilung sein soll. Art. 95 vermeidet zwar das Wort "schuldig" und weist stattdessen die zuständige Behörde an, den Jugendlichen mit Verweis, Busse oder Einschliessung zu strafen, wenn sie ihn "fehlbar" findet. Allein Fehlbarkeit ist nichts anderes als Schuld (vgl. HAFTER, Allg. Teil, S. 475; SCHWANDER, Das schweizerische StGB, S. 228 Nr. 497), die übrigens nach allgemeinem für das Schuldstrafrecht geltendem Grundsatz erst Strafe rechtfertigt. Von strafrechtlicher Verurteilung zu sprechen, ist umsomehr am Platz, als das Gesetz selbst den mit Einschliessung oder Busse bestraften Jugendlichen in Art. 96 Abs. 1 als Verurteilten bezeichnet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in Art. 97 das Wort Entscheid anstelle von Urteil verwendet wird. Jedenfalls kommt dem Entscheid dann der Charakter einer Verurteilung zu, wenn nachträglich eine Massnahme verhängt oder eine Strafe ausgefällt werden muss. Ebensowenig führt zu einem andern Schluss, dass Art. 90 von der Beurteilung des Jugendlichen spricht. Diese Bestimmung betrifft lediglich die Untersuchung, deren Aufgabe es ist, insbesondere den objektiven Sachverhalt festzustellen und die persönlichen Verhältnisse des Täters zu erforschen, soweit das der Entscheid über die zweckmässige Behandlung des Jugendlichen erfordert. Niemals kann es
BGE 88 IV 72 S. 76
aber Sache der Untersuchung sein, diesen Entscheid durch eine Verurteilung vorwegzunehmen (vgl. hiezu
Art. 344, 345 ff. und 349 StGB
).
Nicht einzusehen ist sodann, dass der Grundgedanke des Jugendstrafrechts der Berücksichtigung der früheren Verfehlung entgegenstehen und damit die Annahme eines Rückfalles im Sinne des Art. 59 Abs. 2 MFG verwehren sollte. Die schärfere Bestrafung des Rückfälligen hat ihren Grund einzig darin, dass der Täter sich durch die Vorstrafe nicht genügend abschrecken liess und neuerdings Schuld auf sich geladen hat (HAFTER, Allg. Teil, S. 368). Dies trifft unbekümmert darum zu, ob er die Tat als Jugendlicher oder als Erwachsener wiederholte.
Schliesslich lässt sich auch aus
BGE 79 IV 1
ff. nichts für eine andere Betrachtungsweise ableiten. Damals war die Frage zu beurteilen, ob die Einschliessung eine Freiheitsstrafe sei, die den bedingten Strafvollzug nach
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
ausschliesse. Darum geht es hier nicht. Zu entscheiden ist vielmehr, ob die Wiederholung einer gemäss Jugendstrafrecht geahndeten Tat nach Erreichung des 18. Altersjahrs den besondern Straftatbestand des Rückfalles im Sinne des Art. 59 Abs. 2 MFG begründe. Dies aber ist aus den angeführten Gründen zu bejahen. Zu Bedenken besteht umsoweniger Anlass, als der Strafrahmen des Art. 59 Abs. 2 MFG erlaubt, den Besonderheiten des Einzelfalles und auch Billigkeitsgründen, wo sich solche stellen (
BGE 77 IV 109
,
BGE 83 IV 175
), in weitem Masse Rechnung zu tragen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden vom 19. Februar 1962 aufgehoben und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners nach Art. 59 Abs. 2 MFG an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,962 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d30dabf2-37c5-45e5-bd2b-65127974bbff | Urteilskopf
81 II 180
32. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Juni 1955 i.S. Schmidiger gegen Schmidiger. | Regeste
In der Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Entscheid, der in einer vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeit ergangen ist, muss angegeben werden, dass und wieso der für die Berufung erforderliche Streitwert nicht erreicht sei, wenn der Streitgegenstand nicht in einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht (
Art. 71, 55 Abs. 1 lit. a OG
).
Anwendung dieses Grundsatzes im Falle eines Streits darüber, ob eine Erbschaftssache gemäss
Art. 612 Abs. 2 ZGB
zu verkaufen sei.
Ergibt sich aus dem Bundesrecht, welche Behörde zum Entscheid hierüber berufen ist? | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 81 II 180 S. 181
Zu dem noch unverteilten Nachlass des im Jahre 1942 verstorbenen Josef Schmidiger-Bitzi gehört die Liegenschaft "Unter Trübenbach" in Schüpfheim. Am 31. Juli 1954 ersuchten drei der sieben Erben unter Berufung auf
Art. 612 ZGB
den Gemeinderat von Schüpfheim, die Liegenschaft öffentlich, eventuell unter den Erben zu versteigern. Ein vierter Erbe schloss sich diesem Antrag an, während die drei übrigen Erben (die heutigen Beschwerdeführer) den Antrag stellten, auf das Gesuch nicht einzutreten, eventuell es abzuweisen. Sie machten geltend, der Gemeinderat sei zum Entscheid darüber, ob die Voraussetzungen für einen Verkauf erfüllt seien, nicht zuständig; hierüber habe der Richter zu befinden; eventuell sei das Gesuch abzuweisen, weil eine Teilung ohne Verkauf möglich sei.
Der Gemeinderat trat auf das Gesuch nicht ein. Auf Beschwerde der Gesuchsteller hat dagegen der Regierungsrat des Kantons Luzern am 3. Februar 1955 erkannt, der Gemeinderat werde angewiesen, "das Begehren um Anordnung einer Steigerung zu behandeln". Zur Begründung führte er aus, nach richtiger Auslegung von
Art. 612 ZGB
habe die in dessen drittem Absatz genannte "zuständige Behörde" nicht nur über die Versteigerungsart, sondern auch darüber zu entscheiden, ob überhaupt ein Verkauf stattzufinden habe. Diese Behörde sei nach § 8 des luzernischen EG zum ZGB der Gemeinderat.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nach
Art. 68 OG
nur zulässig in Zivilsachen, die nicht nach
Art. 44-46 OG
der Berufung unterliegen. In vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeiten,
BGE 81 II 180 S. 182
bei denen der Streitwert nach Massgabe der vor der letzten kantonalen Instanz noch streitigen Rechtsbegehren wenigstens Fr. 4000.-- beträgt (
Art. 46 OG
), ist sie also unzulässig.
Im vorliegenden Falle streiten die Parteien darüber, ob die zum Nachlass gehörende Liegenschaft als solche in die Teilung einbezogen (einem Lose zugewiesen) oder verkauft werden soll, und ist zwischen ihnen ein kontradiktorisches Verfahren eingeleitet worden, um einen endgültigen behördlichen Entscheid über diese zivilrechtliche Frage herbeizuführen. Bei einem solchen Verfahren handelt es sich um eine vermögensrechtliche Zivilrechtsstreitigkeit (vgl.
BGE 78 II 180
), und zwar gilt dies unabhängig davon, ob das Verfahren nach den einschlägigen Vorschriften vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde durchzuführen ist und welche kantonale Behörde sich tatsächlich damit befasst. Will ein daran Beteiligter geltend machen, dass ein darin ergangener Entscheid der obern kantonalen Behörde Bundesrecht verletze, so steht ihm also das Rechtsmittel der Berufung zu Gebote, wenn die Berufungssumme erreicht ist. Mit der Berufung kann in diesem Falle insbesondere auch die Rüge erhoben werden, dass sich eine nach eidgenössischem Recht nicht zuständige Behörde mit der Sache befasse. Falls über die Zuständigkeit ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 49 OG
ergeht, kann dieser - immer vorausgesetzt, dass der erforderliche Streitwert gegeben ist - wegen Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit unmittelbar (vor Erlass des Endentscheides) durch Berufung angefochten werden und lässt sich die erwähnte Rüge mit der Berufung gegen den Endentscheid nicht mehr erheben (
Art. 49 und 48 Abs. 3 OG
).
Mit einem solchen Zwischenentscheide hat man es hier zu tun. Dass die Vorinstanz damit eine aus
Art. 610 ff. ZGB
sich ergebende Vorschrift über die sachliche Zuständigkeit verletzt habe, könnte also nur dann durch Nichtigkeitsbeschwerde
BGE 81 II 180 S. 183
geltend gemacht werden, wenn feststünde, dass der Streitwert nach Massgabe der vor der Vorinstanz noch streitigen Rechtsbegehren Fr. 4000.-- nicht erreicht.
Wie es sich damit verhalte, geben die Beschwerdeführer nicht an. Dies ausfindig zu machen, kann aber nicht Sache des Bundesgerichtes sein. Zwar enthält
Art. 71 OG
, der den Inhalt der Beschwerdeschrift regelt, keine dem
Art. 55 Abs. 1 lit. a OG
entsprechende Vorschrift. Indessen versteht sich von selbst, dass in einem Falle, wo wie hier die Zulässigkeit der Beschwerde vom Streitwert abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht, der Beschwerdeführer angeben muss, dass und wieso der für die Berufung erforderliche Streitwert nicht erreicht sei. Man kann nicht etwa sagen, auf den Streitwert komme nichts an, weil eines der beiden Rechtsmittel ohnehin zulässig sei und eine als Beschwerde bezeichnete Rechtsschrift als Berufung behandelt wird, wenn dieses Rechtsmittel gegeben ist und die dafür geltenden Formvorschriften erfüllt sind. Denn abgesehen davon, dass letzteres hier mangels Streitwertangabe nicht der Fall wäre, ist eben immer nur das eine oder das andere Rechtsmittel zulässig und kann die Frage, mit welchem von beiden man es zu tun habe, nicht offen gelassen werden, weil das Berufungs- und das Beschwerdeverfahren in wesentlichen Punkten verschieden geregelt sind. Man muss z.B. wissen, ob der Eintritt der Rechtskraft gehemmt wird oder nicht (Art. 54 im Gegensatz zu
Art. 70 OG
) und ob eine Parteiverhandlung stattfinden muss oder nicht (
Art. 62 und 73 OG
).
Auf die vorliegende Beschwerde ist also nicht einzutreten, weil ihre Zulässigkeit nicht dargetan ist. (Sie hätte im übrigen auch aus materiellen Gründen keinen Erfolg haben können, weil das ZGB die hier streitige Zuständigkeitsfrage nicht regelt, sondern ihre Regelung den Kantonen überlässt, und die Vorinstanz mit ihren Ausführungen über
Art. 610 ff. ZGB
in Wirklichkeit auch nur sagen wollte, dass kein Anlass bestehe, "den Richter
BGE 81 II 180 S. 184
hier von Bundesrechts wegen einzuschalten", m.a.W. dass das Bundesrecht einer ausdehnenden Auslegung von § 8 des kantonalen EG zum ZGB nicht im Wege stehe.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d31123aa-c843-4d67-b0d2-9805beb32e82 | Urteilskopf
107 II 251
37. Arrêt de la Ire Cour civile du 31 août 1981 dans la cause S.I. La Glanay S.A. contre Etat de Vaud (recours en réforme) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen mit Wohnsitz im Ausland, Klage auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes.
Die Jahresfrist des
Art. 22 Abs. 1 BewB
(Art. 13 Abs. 1 vor der Revision von 1974) zur Klage auf Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes beginnt erst zu laufen, wenn die kantonale Behörde nicht nur Kenntnis vom Erwerb hat, sondern auch die Tatsachen kennt, die es erlauben, die Widerrechtlichkeit des Erwerbs zu erkennen. | Sachverhalt
ab Seite 252
BGE 107 II 251 S. 252
A.-
Le 23 juillet 1971, la S.I. La Glanay S.A. a acquis de Suzanne Gossweiler, pour le prix de 3'780'000 fr., la propriété de "La Bergerie", bien-fonds sis à Gland. En réalité, cette acquisition a été entièrement financée par Jean Métayer, domicilié en France.
Le 5 décembre 1973, l'avocat Claude Sandoz, conseil d'un tiers, a écrit au procureur général du canton de Vaud pour l'informer notamment que, selon renseignements obtenus du registre foncier, la S.I. La Glanay avait acquis la propriété de "La Bergerie" le 23 juillet 1971, que son client avait eu des difficultés avec cette société et son administrateur, "ce dernier agissant certainement pour le compte d'un tiers qui doit être vraisemblablement M. Marcel ...?, banquier?, de nationalité française, qui ne doit pas avoir de domicile en Suisse"; son client désirait savoir si cet achat de la propriété Gossweiler l'avait été conformément aux dispositions légales et si les arrêtés fédéraux concernant l'acquisition d'immeubles par les étrangers n'avaient pas été violés.
Par lettre du 10 décembre 1973, le procureur général a chargé la police de sûreté de rechercher qui détenait les actions de la S.I. La Glanay S.A. La police de sûreté a établi son rapport le 5 janvier 1974. Le procureur général a dénoncé les faits découlant de ce rapport au juge d'instruction cantonal le 7 janvier 1974.
B.-
Le Ministère public du canton de Vaud, au nom du Secrétariat du Département de l'agriculture et du commerce du canton de Vaud, représentant de l'Etat de Vaud, a ouvert action contre la S.I. La Glanay S.A. en rétablissement de l'état de droit primitif au sens de l'arrêté fédéral du 23 mars 1961 sur l'acquisition d'immeubles par des personnes domiciliées à l'étranger (ci-après: AFAIE ou arrêté fédéral). Cette action a été ouverte par requête de conciliation du 26 décembre 1974.
Par jugement du 25 mars 1981, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois a admis l'action, déclaré nul l'acte de vente conclu le 23 juillet 1971 et ordonné au conservateur du registre foncier de rétablir l'état de droit antérieur.
BGE 107 II 251 S. 253
C.-
La défenderesse recourt en réforme au Tribunal fédéral, en concluant au rejet de l'action du demandeur.
Le Tribunal fédéral rejette le recours et confirme le jugement attaqué.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La seule question qui se pose en l'espèce est de déterminer le point de départ du délai de péremption d'un an pour ouvrir action en rétablissement de l'état de droit primitif, délai prévu à l'art. 13 al. 1 AFAIE dans sa teneur du 30 septembre 1965 (RO 1965 p. 1254), et à l'art. 22 al. 1 dans la teneur actuelle, en vigueur depuis le 1er février 1974 (RS 211.412.41). Il n'est en effet pas contesté que l'acquisition litigieuse constituait un acte juridique nul, parce que destiné à éluder le régime de l'autorisation instauré par l'arrêté fédéral.
La cour cantonale considère que ce délai ne part que du moment où l'autorité compétente a connaissance non seulement de l'acquisition, mais aussi de son caractère illicite, soit en l'espèce, au plus tôt, de la réception du rapport de la police de sûreté, le 5 janvier 1974. La recourante soutient que, selon le texte clair de la loi, le délai d'une année court dès le jour où l'autorité a eu connaissance de l'acquisition, qui est ici le 5 décembre 1973, date de la lettre adressée au procureur général du canton de Vaud par l'avocat Sandoz.
2.
a) Lors de la dernière modification de l'arrêté fédéral, entrée en vigueur le 1er février 1974, l'art. 13 al. 1 AFAIE, devenu l'art. 22 al. 1, est resté inchangé quant à la formulation du point de départ du délai de péremption d'une année dans lequel doit être intentée l'action en rétablissement de l'état de droit primitif. Il n'est dès lors pas nécessaire de déterminer si l'arrêté doit être appliqué dans sa teneur du 30 septembre 1965, en vigueur au moment de l'acquisition litigieuse, ou dans sa nouvelle teneur.
b) Selon le texte français de l'art. 13 al. 1 ancien et 22 al. 1 nouveau AFAIE, l'autorité cantonale compétente peut intenter action en rétablissement de l'état de droit primitif, à la suite d'une acquisition nulle ou sans effet, dans le délai d'une année à compter du jour où elle "a eu connaissance de l'acquisition".
A lui seul, ce texte permettrait d'hésiter entre l'interprétation adoptée par la cour cantonale et celle que propose la recourante. A l'appui de la première, il paraît toutefois raisonnable d'admettre
BGE 107 II 251 S. 254
que s'agissant d'une acquisition opérée de manière illicite, la connaissance exigée de l'autorité cantonale pour que le délai annuel de péremption commence à courir est celle de l'acquisition illicite, et qu'elle ne peut exister que si l'autorité est renseignée aussi bien sur l'acquisition que sur les faits lui permettant de reconnaître le caractère illicite de celle-ci.
Quoi qu'il en soit, le texte allemand de la disposition en cause, de même que le texte italien, confirment clairement l'interprétation de la cour cantonale. En effet, dès le projet d'arrêté de 1960, puis lors des différentes modifications intervenues jusqu'en 1973, le texte allemand a toujours indiqué après avoir parlé de l'acquisition illicite, c'est-à-dire soumise à autorisation mais opérée sans celle-ci, que l'action en rétablissement de l'état de droit primitif pouvait être ouverte par l'autorité "innert Jahresfrist seit der Entdeckung". Or la découverte en question se rapporte manifestement à l'état de fait illicite mentionné au début de la disposition; elle vise non pas la seule acquisition, mais l'acquisition illicite telle que décrite par la loi. Il en va de même du texte italien, qui parle d'une action devant être ouverte "entro un anno da quando ne ha avuto conoscenza" (art. 13 ancien) ou "entro un anno dall'accertamento" (art. 22 nouveau) (cf. pour le texte allemand: BBl 1960 II p. 1293 s., AS 1961 p. 207 et 1965 p. 1241; pour le texte italien: FF 1960 p. 1652, RU 1961 p. 217 et 1965 p. 1242; pour le texte français: FF 1960 II p. 1286 s., RO 1961 p. 213 et 1965 p. 1254).
En ce qui concerne le délai de péremption d'une année, le texte allemand de l'art. 13 al. 1 ancien ou 22 al. 1 nouveau AFAIE - de même que le texte italien qui lui correspond - est déterminant, la version française n'étant que le résultat d'une traduction peu précise. Il est d'une part conforme à la logique du système légal, qui ne peut raisonnablement faire partir un délai de péremption relative que du moment où celui qui doit agir a connaissance des faits lui indiquant qu'il y a matière à action; or la seule connaissance de l'acquisition d'un immeuble ou de droits d'actionnaire ne suffit pas à cet égard. D'autre part, les rares interventions qu'a suscitées devant les Chambres l'art. 13 al. 1, en 1961, se sont fondées sur le texte allemand, relu par les rapporteurs en cours de débats; les amendements et modifications de ce texte ont tous été formulés en allemand, sans toucher la formule "innert Jahresfrist seit der Entdeckung" (cf. BO CN 1960 p. 766, CE 1961 p. 63).
L'interprétation que la cour cantonale a donnée de l'art. 13 al. 1 ancien ou 22 al. 1 nouveau AFAIE doit dès lors être confirmée.
BGE 107 II 251 S. 255
c) Le texte allemand de l'art. 22 al. 1 AFAIE comportant une lacune en ce qui concerne le délai de péremption absolue, le recueil systématique de langue allemande (SR 211.412.41) contient une note 3 à l'art. 22, relevant que c'est le texte français qui est exact. Cette note ne vise que le délai de 5 ans omis dans le texte allemand, à l'exclusion du délai d'une année.
3.
En l'espèce, la lettre du 5 décembre 1973 de l'avocat Sandoz est trop vague au sujet du caractère illicite de l'acquisition dont elle fait état pour marquer le point de départ du délai de péremption d'une année de l'action en rétablissement de l'état de droit primitif. Elle ne contient en effet aucun élément précis qui permette de constater que l'acquisition était vraiment soumise à autorisation. C'est au plus tôt à la réception du rapport de police du 5 janvier 1974, demandé à la suite de cette lettre, que l'autorité a pu avoir connaissance des éléments constitutifs de l'illicéité de l'opération. Le délai péremptoire d'un an n'était dès lors pas écoulé le 26 décembre 1974, lorsque l'action a été ouverte.
Le recours doit ainsi être rejeté. | public_law | nan | fr | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d315dd58-9ddd-477a-9111-b51a0d6c5de7 | Urteilskopf
138 IV 70
9. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause Procureur général du canton de Berne contre X. (recours en matière pénale)
6B_605/2011 du 30 janvier 2012 | Regeste
Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
; Wahlfälschung.
Wer nur Wahl- oder Stimmzettel für Dritte ausfüllt, aber nichts unternimmt, um sie an die Behörde weiterzuleiten, nimmt nicht unbefugt an einer Wahl oder Abstimmung im Sinne von
Art. 282 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
teil. Damit die richtige Feststellung des Volkswillens gefährdet wäre, müsste er die Wahl- oder Stimmzettel an die Behörde senden oder in die Urne werfen (E. 1.4). | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 138 IV 70 S. 70
A.
A l'occasion des élections au Grand Conseil du canton de Berne de 2006, le candidat X. a rempli de sa main, pour le compte d'électeurs, quarante-quatre bulletins de vote en y inscrivant son nom, conformément à la volonté des intéressés et en leur présence. Il n'a toutefois pas précisé à ces derniers qu'il ne s'agissait que d'exemples et qu'ils devaient remplir eux-mêmes leur bulletin de vote, mais il est parti de l'idée que les bulletins seraient utilisés tels quels, ou, du moins, il a accepté qu'ils le seraient. Les électeurs ont ensuite envoyé les bulletins ainsi remplis ou les ont déposés dans l'urne prévue à cet effet dans le bureau de vote, sans que X. ne participe d'aucune manière à ces démarches. Les quarante-quatre bulletins précités ont été comptabilisés, mais ils n'ont pas influé sur le résultat de l'élection.
B.
Par jugement du 11 novembre 2010, la Présidente 12 e.o. de l'ancien Arrondissement judiciaire II de Bienne-Nidau a reconnu X.
BGE 138 IV 70 S. 71
coupable de fraude électorale au sens de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
et l'a condamné à une peine pécuniaire de 10 jours-amende à 180 francs le jour - à titre de peine complémentaire à celle prononcée le 30 juillet 2007 -, avec sursis et délai d'épreuve de deux ans, ainsi qu'à une amende de 540 francs.
C.
Statuant sur appel du condamné le 18 mai 2011, la 2
e
Chambre pénale de la section pénale de la Cour suprême du canton de Berne a libéré X. de la prévention de fraude électorale (
art. 282 CP
). Elle a par ailleurs considéré que l'infraction de captation de suffrage (
art. 282
bis
CP
) n'entrait pas en considération pour cause de prescription.
D.
Le Ministère public du canton de Berne interjette un recours en matière pénale au Tribunal fédéral contre ce jugement. Il conclut à l'annulation de la décision attaquée et au renvoi de la cause à l'autorité précédente pour qu'elle statue à nouveau, subsidiairement à ce que X. soit reconnu coupable de fraude électorale et à ce que la peine prononcée par l'autorité de première instance soit confirmée.
Il n'a pas été ordonné d'échange d'écritures.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Le recourant invoque une violation de l'
art. 282 CP
. Il soutient que le seul fait de remplir des bulletins de vote tombe sous le coup de cette disposition, et non de l'
art. 282
bis
CP
, lorsqu'ils sont ensuite transmis à l'autorité, contrairement à ce que la cour cantonale a retenu.
1.1
1.1.1
L'
art. 282 CP
fait partie des délits contre la volonté populaire (
art. 279-284 CP
). Il vise à protéger l'exactitude de la constatation de la volonté populaire (STEFAN WEHRLE, in Basler Kommentar, Strafrecht, vol. II, 2
e
éd. 2007, n° 1 ad
art. 282 CP
; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 6
e
éd. 2008, § 48 n. 22). Il prévoit notamment que celui qui, sans en avoir le droit, aura pris part à une élection, à une votation ou signé une demande de référendum ou d'initiative sera puni d'une peine privative de liberté de trois ans au plus ou d'une peine pécuniaire (ch. 1 al. 2).
Cette disposition érige en fraude électorale les actes par lesquels l'auteur prend part à une votation ou à une élection à laquelle il n'est pas autorisé à participer selon les dispositions légales et qui ont pour
BGE 138 IV 70 S. 72
effet de modifier le résultat de l'opération électorale quant au nombre d'électeurs qui y ont pris part (PAUL LOGOZ, Commentaire du code pénal suisse, partie spéciale II, 1956, n° 3 ad
art. 282 CP
; THORMANN/VON OVERBECK, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, vol. II, 1941, n° 3 ad
art. 282 CP
). Tel est le cas lorsque l'auteur n'est pas titulaire du droit politique en cause en raison de son domicile, de son âge ou de sa nationalité (DONATSCH/WOHLERS, Delikte gegen die Allgemeinheit, 4
e
éd. 2011, § 89 p. 374; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, vol. II, 3
e
éd. 2010, n° 3 ad
art. 282 CP
) ou qu'il exerce une deuxième fois un droit qu'il avait déjà épuisé en faisant par exemple figurer le nom d'un autre, en plus de sa propre signature, sur la liste d'une initiative (
ATF 112 IV 82
consid 2b p. 84).
La doctrine considère également que l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
est applicable à la personne qui exerce un droit politique d'une manière autre que celle qui est prévue par la loi, sans modifier le nombre de participants. Il en va ainsi notamment lorsque le droit politique est exercé par un représentant, y compris avec l'accord du représenté (CORBOZ, op. cit., n° 3 ad
art. 282 CP
; STRATENWERTH/BOMMER, op. cit., § 48 n. 29; DONATSCH/WOHLERS, op. cit., § 89 p. 374). Les auteurs précités se réfèrent à ce propos à l'
ATF 112 IV 82
selon lequel celui qui signe une demande d'initiative pour un tiers se rend coupable d'infraction à l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
(consid. 2b p. 84 s). Ils n'affirment cependant pas qu'en ne faisant que remplir un bulletin de vote pour un tiers, la personne "prend part à une élection ou à une votation" et tombe ainsi sous le coup de l'
art. 282 CP
. Seul STEFAN WEHRLE semble l'admettre lorsqu'en vertu de la loi, l'électeur doit remplir de sa main le bulletin de vote (op. cit., n° 6 ad
art. 282 CP
). ERNST HAFTER considère pour sa part que le fait de remplir le bulletin de vote d'un tiers ne tombe pas sous le coup de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
(Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil, vol. II, 1943, § 112 p. 706 note 3), se référant à la décision du Regierungsrat du canton de Schaffhouse du 15 décembre 1924 (ZBl 1925 p. 95) selon laquelle un tel acte constitue tout au plus un acte préparatoire au vote lui-même, la volonté du citoyen ne s'exprimant véritablement qu'avec le dépôt du bulletin dans l'urne.
L'infraction à l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
est consommée avec la participation non autorisée, sans qu'il soit nécessaire que le résultat soit faussé (DONATSCH/WOHLERS, op. cit., § 89 p. 375; WEHRLE, op. cit., n° 8 ad
art. 282 CP
; THORMANN/VON OVERBECK, op. cit., n° 3 ad
art. 282 CP
; LOGOZ, op. cit., n° 3 ad
art. 282 CP
p. 650).
BGE 138 IV 70 S. 73
1.1.2
L'
art. 282
bis
CP
dispose que celui qui recueille, remplit ou modifie systématiquement des bulletins de vote ou qui distribue des bulletins ainsi remplis ou modifiés sera puni d'une amende. Il a été introduit par la loi fédérale du 17 décembre 1976 sur les droits politiques afin d'offrir une protection contre les abus possibles en relation avec le vote par correspondance (Message du 9 avril 1975 concernant une loi fédérale sur les droits politiques, FF 1975 I 1379 ad art. 86).
L'
art. 282
bis
CP
protège le droit du citoyen de former et exprimer librement sa volonté politique et prohibe des comportements qui peuvent influencer le vote individuel et fausser ainsi la décision populaire (CORBOZ, op. cit., n° 1 ad
art. 282
bis
CP
). Des bulletins de vote préparés à l'avance, hormis le cas où le droit cantonal autorise les forces politiques à émettre des bulletins de vote, font en effet craindre qu'on influence la décision de l'électeur (CORBOZ, op. cit., n° 2 ad
art. 282
bis
CP
). Le comportement doit être systématique, ce qui exclut le cas de celui qui aide ponctuellement un tiers à remplir son bulletin, en qualité de personne de confiance ou dans le cercle familial (DONATSCH/WOHLERS, op. cit., § 90 p. 377; CORBOZ, op. cit., n° 2 ad
art. 282
bis
CP
).
Etant d'avis que le fait de remplir un bulletin de vote pour un tiers est constitutif d'infraction à l'
art. 282 CP
(cf. supra consid. 1.1.1), STEFAN WEHRLE estime que l'
art. 282
bis
CP
n'a une signification propre qu'en ce qui concerne le fait de recueillir des bulletins de vote (op. cit., n° 3 ad
art. 282
bis
CP
).
L'infraction à l'
art. 282
bis
CP
est consommée par la seule réalisation de l'un des comportements visé par la norme, sans qu'il soit nécessaire que le bulletin parvienne au bureau de vote ou influence le résultat de la votation ou de l'élection (DONATSCH/WOHLERS, op. cit., § 90 p. 377; WEHRLE, op. cit., n° 2 ad
art. 282
bis
CP
).
1.1.3
Selon les dispositions du droit cantonal bernois relatives à l'exercice du droit de vote, l'électeur doit remplir son bulletin et l'envoyer par correspondance en respectant la marche à suivre décrite (
art. 23 ss de l'ordonnance du 10 décembre 1980 sur les droits politiques [ODP/BE; RSB 141.112]
). L'
art. 32 al. 1 ODP
/BE dispose en outre que si, pour cause de handicap, l'électeur ou l'électrice capable de discernement n'est pas en mesure d'accomplir lui-même ou elle-même les opérations de vote - parce que le local de vote n'est pas accessible ou qu'il ou elle n'est pas en mesure d'écrire de sa
BGE 138 IV 70 S. 74
propre main -, il est possible de demander l'aide d'un officiel ou d'un membre du bureau électoral.
1.2
La cour cantonale a considéré que les actes de l'intimé, qui se limitaient à avoir rempli des bulletins de vote, n'étaient pas constitutifs de fraude électorale, mais de captation de suffrage. Un tel comportement ne pouvait être assimilé à celui de la personne qui appose le nom d'un tiers sur la liste de signature d'une demande d'initiative ou de référendum. Si dans le second cas, la personne exerçait un droit politique qui s'épuisait par une seule et même démarche, dans le premier, il n'accomplissait qu'une étape d'un processus qui en comportait plusieurs jusqu'à ce que le bulletin de vote parvienne au bureau électoral et soit comptabilisé. L'
ATF 112 IV 82
, relatif à une demande d'initiative (cf. supra consid. 1.1.1), ne pouvait donc être repris tel quel en matière de votation et d'élection. Seul WEHRLE préconisait une telle interprétation extensive de l'
art. 282 CP
(cf. supra consid. 1.1.1), laquelle ne correspondait cependant pas à la volonté du législateur. Cela étant, l'infraction à l'
art. 282
bis
CP
était une contravention et la prescription de trois ans était acquise depuis plus de dix-neuf mois lorsque le jugement de première instance avait été rendu le 11 novembre 2010. L'intimé devait donc être libéré de toute prévention.
1.3
Le recourant fait valoir que le bulletin de vote a une fonction fondamentale dans la mesure où il constitue le support de la déclaration de volonté du citoyen. Il est erroné de soutenir que seul celui qui accomplit lui-même l'entier du processus menant à la comptabilisation du vote se rend coupable de fraude électorale. Ce qui est déterminant, c'est que le résultat voulu par l'auteur soit obtenu, à savoir que les bulletins de vote entachés d'un vice parviennent à l'autorité, mettant ainsi en danger la constatation de la volonté du citoyen. Il n'y a captation de suffrage que lorsque l'auteur peut exclure que les bulletins de vote qu'il a remplis ou modifiés seront comptabilisés, parce qu'il a indiqué clairement qu'il s'agissait d'exemples ou qu'il a coupé une partie du bulletin afin de le rendre nul. Lorsque tel n'est pas le cas, comme en l'espèce, c'est une infraction à l'
art. 282 CP
qui est réalisée. L'infraction à l'
art. 282
bis
CP
est alors "consommée" par l'
art. 282 CP
.
1.4
Il est constant que l'intimé a rempli des bulletins de vote pour le compte de tiers, ce qui n'est pas autorisé par le droit cantonal bernois, puisque seuls les officiels ou les membres du bureau électoral peuvent le faire. Il convient toutefois de déterminer en l'espèce si, en
BGE 138 IV 70 S. 75
agissant de la sorte, il s'est rendu coupable d'infraction à l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
comme le soutient le recourant et, en particulier, s'il a pris "part à une votation ou à une élection" au sens de cette disposition.
Le texte de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
réprime expressément le fait de signer sans droit une demande d'initiative ou de référendum. En matière de votation ou d'élection en revanche, ce n'est pas le fait de remplir un bulletin qui est sanctionné, mais celui d'y prendre part sans droit. En signant une demande d'initiative ou de référendum, le citoyen exerce un droit politique qu'il épuise puisqu'il ne pourra plus faire figurer son nom une seconde fois. Le caractère essentiel des signatures en matière de demande d'initiative ou de référendum résulte également du fait que l'aboutissement d'une telle demande dépend précisément du nombre de celles-ci. En revanche, le seul fait de remplir un bulletin de vote n'entraîne en lui-même aucune conséquence. Tant que le citoyen n'a pas fait usage du bulletin qu'il a rempli, il peut toujours modifier son choix ou décider de ne pas le faire valoir. Ce n'est que lorsqu'il aura déposé son bulletin dans l'urne ou qu'il l'aura envoyé par correspondance qu'il aura exprimé sa voix. Ce n'est en outre qu'à partir de ce moment que la constatation de la véritable volonté populaire est susceptible d'être mise en danger si le vote est intervenu sans droit.
Le caractère essentiel dans le processus de vote du dépôt du bulletin dans l'urne ou de son envoi par correspondance est attesté par les formes strictes prévues par la loi qui doivent être observées afin de s'assurer de la régularité du vote, lesquelles ne se limitent pas à prévoir la manière dont le bulletin de vote doit être rempli. Ainsi, le droit cantonal bernois applicable lors des élections au Grand Conseil de ce canton prévoit aux
art. 23 ss ODP
/BE des modalités pour l'exercice du droit de vote qui prescrivent la manière dont le bulletin doit être envoyé par correspondance. L'
art. 32 al. 1 ODP
/BE prévoit en outre des mesures tendant à assister les personnes qui ne sont pas en mesure d'accomplir elles-mêmes les opérations de vote, lesquelles visent également la manière dont le bulletin doit être déposé dans l'urne lorsque le local de vote n'est pas accessible.
Le Code pénal réprime par deux dispositions distinctes (
art. 282 et 282
bis
CP
) le fait, d'une part, de prendre part sans droit à une votation ou à une élection et, d'autre part, de remplir systématiquement des bulletins (le législateur ayant renoncé à l'
art. 282
bis
CP
à sanctionner
BGE 138 IV 70 S. 76
celui qui rempli un bulletin isolé dans le cercle familial). Il doit dès lors être admis que le législateur a considéré que ces deux notions ne se confondent pas. L'opinion isolée de WEHRLE (op. cit., n° 6 ad
art. 282 CP
et n° 3 ad
art. 282
bis
CP
; cf supra consid. 1.1.1 et 1.1.2) qui semble admettre que le seul fait de remplir un bulletin de vote pour des tiers tombe sous le coup de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
, qui primerait l'
art. 282
bis
CP
, ne saurait être suivie. Cet auteur n'explique pas en quoi celui qui ne fait que remplir un bulletin de vote pour le compte d'un tiers prend déjà part à une votation ou à une élection. Il n'invoque en outre aucune raison sérieuse - découlant des travaux préparatoires, du but et du sens de la disposition ou de la systématique de la loi - qui permettrait de considérer que l'
art. 282
bis
CP
ne refléterait pas la volonté réelle du législateur et que malgré son texte clair, il faudrait s'écarter de son interprétation littérale (cf.
ATF 135 II 78
consid. 2.2. p. 81;
ATF 135 V 153
consid. 4.1 p. 157 s). Il ne motive d'ailleurs son opinion par aucune décision ou avis de doctrine postérieur à l'adoption de cette norme sur lequel il pourrait s'appuyer.
Il doit donc être retenu, au vu de ce qui précède, que le simple fait de remplir des bulletins de vote pour le compte d'un tiers ne suffit pas pour prendre part sans droit à une votation ou à une élection au sens de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
. Il est encore nécessaire que l'auteur envoie le bulletin par correspondance ou le dépose dans l'urne.
Dès lors, en se limitant à remplir des bulletins de vote, sans prendre aucune autre mesure afin que ceux-ci soient transmis à l'autorité, l'intimé n'a pas pris part à l'élection au Grand Conseil du canton de Berne de 2006.
Contrairement à ce que soutient le recourant, il n'a par conséquent pas pu, par les seuls actes qui lui sont reprochés, mettre en danger la constatation de la volonté populaire, puisque celle-ci n'est susceptible d'être faussée qu'à partir du moment où un vote a été exprimé.
Le recourant ne peut davantage être suivi lorsqu'il soutient que les électeurs qui ont fait usage des bulletins remplis par l'intimé auraient agi comme auteurs médiats. L'auteur médiat est celui qui se sert d'une autre personne comme d'un instrument dénué de volonté ou du moins agissant sans intention coupable, afin de lui faire exécuter l'infraction projetée (
ATF 120 IV 17
consid. 2d p. 22 et 23; arrêts 6B_904/2010 du 16 juin 2011 consid. 3.4; 6B_8/2010 du 29 mars 2010 consid. 1.2.1). Seul l'intimé pourrait ainsi, le cas échéant, être qualifié d'auteur médiat. Il n'a cependant donné aucune instruction aux électeurs ni usé
BGE 138 IV 70 S. 77
d'un quelconque moyen afin qu'ils fassent parvenir au bureau de vote les bulletins qu'il avait remplis. Il ne s'est donc pas servi d'eux afin de commettre une infraction. Il ne peut être qualifié d'auteur médiat.
En outre, autant que le recourant soutient que l'intimé a pris part à une élection au sens de l'
art. 282 CP
au motif qu'il était candidat à l'élection au Grand Conseil bernois de 2006, il se méprend sur cette condition d'application de la disposition précitée, laquelle réprime le comportement de toute personne qui, sans droit, prend part à une élection ou à une votation, sans restriction.
Enfin, dans la mesure où l'intimé n'a pas pris part à l'élection en ne réalisant pas lui-même tous les actes du processus de vote, il n'est pas déterminant qu'il n'ait pas rendu nuls les bulletins qu'il a remplis ou qu'il les ait remplis au stylo plutôt qu'au crayon.
1.5
Ainsi, en définitive, en se limitant à remplir des bulletins de vote pour des tiers, l'intimé n'a pas pris part sans droit, au sens de l'
art. 282 ch. 1 al. 2 CP
, à l'élection au Grand Conseil du canton de Berne de 2006. Les conditions objectives d'application de la disposition précitée ne sont pas réunies. La cour cantonale n'a dès lors pas violé le droit fédéral en libérant l'intimé de la prévention de fraude électorale. Pour le surplus, il n'y a pas lieu d'examiner si les conditions d'application objectives et subjectives de l'
art. 282
bis
CP
sont remplies en l'espèce. En effet, comme l'a justement expliqué l'autorité précédente, sans que le recourant ne le conteste, cette infraction serait prescrite puisque le jugement de première instance a été rendu plus de trois ans après les faits. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d316f2b0-d043-4642-b4e7-e7c15da92c3f | Urteilskopf
98 Ia 326
52. Urteil vom 26. Mai 1972 i.S. Dr. X. gegen Staatsanwaltschaft und Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 87 OG
.
Gegen Überweisungsbeschlüsse in Strafsachen kann, da es an den in
Art. 87 OG
genannten Voraussetzungen fehlt, nicht wegen Verletzung von
Art. 4 BV
staatsrechtliche Beschwerde geführt werden (Bestätigung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 327
BGE 98 Ia 326 S. 327
1.
Gegen den Beschwerdeführer Dr. X. ist im Kanton Basel-Stadt wegen Verdachtes betrügerischer Handlungen ein Strafverfahren eingeleitet worden. Mit Beschluss vom 6. Mai 1971 kündigte die Staatsanwaltschaft an, dass sie wegen fortgesetzten Betruges, eventuell wegen Veruntreuung Anklage erheben werde; gleichzeitig stellte sie das Strafverfahren, soweit es die vom Sommer 1964 bis Mitte März 1965 begangenen Handlungen betraf, mangels Beweises ein, wobei sie dem Angeschuldigten hiefür eine Verfahrensgebühr von Fr. 2000.-- auferlegte.
Dr. X. erhob gegen die angekündigte Anklageerhebung bei der Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Stadt Einsprache, welche am 17. Februar 1972 abgewiesen wurde. Die Überweisungsbehörde wies die Staatsanwaltschaft überdies an, die Anklage wegen fortgesetzten Betruges über den angekündigten Umfang hinaus auf die ab Beginn des Jahres 1965 begangenen Handlungen auszudehnen. Ferner hiess sie einen Rekurs des Angeschuldigten gegen den mit der Teileinstellung verbundenen Kostenentscheid gut und hob diesen auf.
Gegen den Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft vom 6. Mai 1971 hatten auch drei Geschädigte Rekurs erhoben, welchen die Überweisungsbehörde in der gleichen Sitzung vom 17. Februar 1972 guthiess, indem sie eine Ausdehnung der Anklage im vorerwähnten Umfang anordnete.
2.
Gegen diese beiden Entscheide derÜberweisungsbehörde führt Dr. X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Er rügt, die angefochtenen Überweisungsbeschlüsse beruhten auf einer willkürlichen Beurteilung des Sachverhaltes; ausserdem sei ihm durch Nichtabnahme von beantragten Beweisen das rechtliche Gehör verweigert worden.
Eine Vernehmlassung der kantonalen Instanzen wurde nicht eingeholt (
Art. 93 OG
).
3.
Nach
Art. 87 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben.
Endentscheide sind Entscheide, welche ein Verfahren definitiv abschliessen. Das ist bei Überweisungsbeschlüssen in Strafsachen keineswegs der Fall. Sie leiten vielmehr nur zu einer
BGE 98 Ia 326 S. 328
andern, nämlich der gerichtlichen Phase des Verfahrens über, dessen Ziel als Ganzes darin besteht, Schuld oder Nichtschuld einer Person festzustellen und gegebenenfalls die nach Gesetz sich ergebende Strafe zu bestimmen. Beim angefochtenen Überweisungsbeschluss handelt es sich demnach um einen Zwischenentscheid, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
nur zulässig ist, wenn er für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat. SeitBGE 63 I 313hat das Bundesgericht stets die Auffassung vertreten, dass in der Überweisung eines Straffalles in das gerichtliche Verfahren kein solcher Nachteil liegt (vgl. auch BIRCHMEHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 357, sowie BGE 98 I a 240). Der Beurteilung der Schuldfrage wird nicht vorgegriffen; sie bleibt dem Strafrichter vorbehalten. Spricht er den Angeklagten frei, so ist dieser dadurch noch wirksamer rehabilitiert als durch einen Beschluss auf Einstellung des Verfahrens. Gegen ein verurteilendes Enderkenntnis wiederum stehen dem Betroffenen die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung. Die vom Beschwerdeführer angeführten Nachteile, welche einem Angeschuldigten durch die Anklageerhebung erwachsen, sind nicht rechtlicher, sondern tatsächlicher Art. Um einen Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechten zu können, ist indessen ein - nicht wiedergutzumachender - rechtlicher Nachteil erforderlich (
BGE 96 I 634
Erw. 2 b;
BGE 93 I 64
Erw. 3 b, 403 Erw. 2;
BGE 87 I 372
;
BGE 79 I 46
; BIRCHMEIER, a.a.O. S. 356 f.). Da es hieran fehlt, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
4.
Es wäre übrigens auch sachlich nicht gerechtfertigt, den Entscheid über die Anklageerhebung zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde zu machen. Die Zweiteilung des basel-städtischen Strafprozesses in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren ergibt sich nicht aus dem Bundesrecht; es wäre auch ein Verfahren zulässig, das ohne Zwischenentscheid über die Anklageerhebung in jedem Fall bis zum gerichtlichen Endurteil durchgeführt wird. Wesentlich ist unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
bloss, dass der Angeschuldigte vor Ausfällung eines Endurteils ausreichend Gelegenheit erhält, sich zu verteidigen. In dieser Hinsicht böte die Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt auch dann genügende Garantien, wenn dem
BGE 98 Ia 326 S. 329
Gerichtsverfahren kein gesondertes Ermittlungsverfahren mit einem Zwischenentscheid über die Anklageerhebung voranginge. Da für das Gerichtsverfahren der Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gilt (
§ 168 StPO
) und Beweisanträge noch bis zum Abschluss der Hauptverhandlung gestellt werden können (
§ 159 StPO
), lassen sich allfällige Mängel des Ermittlungsverfahrens in der Regel ohne weiteres beheben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d3175c15-ed00-4bc0-be6b-48a045f817bb | Urteilskopf
110 IV 108
33. Urteil des Kassationshofes vom 2. November 1984 i.S. R. gegen La Chemise Lacoste S.A. und S. S.A. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 lit. c MschG
. Transitverkehr.
Im Ausland (Philippinen) unrechtmässig mit einer Marke versehene Waren werden in Verkehr gesetzt, wenn sie in einem schweizerischen Zollfreilager umgepackt und mit Begleitpapieren und Rechnungen einer Schweizer Firma versehen zum Verkauf ins Ausland (Deutschland/Skandinavien) weiterspediert werden. Zollfreilager in der Schweiz sind markenrechtlich als Inland zu behandeln. | Sachverhalt
ab Seite 109
BGE 110 IV 108 S. 109
A.-
R. kaufte als verantwortlicher und einziger Verwaltungsrat der R. AG, Zürich, von auf den Philippinen domizilierten Gesellschaften insgesamt 65'562 T-Shirts, die widerrechtlich mit der Wortmarke "Chemise Lacoste" und der ein Krokodil darstellenden Bildmarke versehen waren. Die Ware liess er per Luftfracht an das Zollfreilager "Embraport" in Embrach liefern, wo 60'659 Stück der genannten T-Shirts umgepackt und mit auf den Namen der R. AG lautenden Begleitpapieren und Rechnungen zum Verkauf an Abnehmer in Deutschland und Skandinavien weiterspediert wurden.
B.-
Am 19. März 1984 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich R. wegen fortgesetzter Widerhandlung gegen
Art. 24 lit. c MSchG
(SR 232.11) zu zwei Monaten Gefängnis bedingt und zu einer Busse von Fr. 2'000.--.
C.-
R. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 24 lit. c MSchG
kann auf dem Wege des Zivil- oder Strafprozesses belangt werden, wer Erzeugnisse oder Waren, von denen er weiss, dass sie mit einer nachgemachten, nachgeahmten oder rechtswidrigerweise angebrachten Marke versehen sind, verkauft, feilhält oder in Verkehr bringt. Gemäss
Art. 25 Abs. 1 MSchG
werden solche Übertretungen mit einer Geldbusse von 30 - 2'000 Franken oder mit Gefängnis von drei Tagen bis zu einem Jahr oder mit diesen beiden Strafen zugleich geahndet.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, den Begriff des Inverkehrbringens verkannt zu haben. Die T-Shirts seien aus den Philippinen nach Kloten-Embraport gesandt worden und
BGE 110 IV 108 S. 110
"Embraport" sei ein Zollfreilager, welches nach
Art. 2 Abs. 3 ZG
(SR 631.0) als Zollausland behandelt werde. Da die Waren vom Zollfreilager direkt ins Ausland spediert worden seien, seien sie nie in die Schweiz eingeführt worden. Das Umpacken im Zollfreilager sei durch
Art. 96 ZV
(SR 631.01) gedeckt und habe nach der Fiktion des Gesetzes im Zollausland stattgefunden. Die Waren hätten somit die Schweiz nur "transitiert". Die blosse Durchfahrt durch die Schweiz aber erfülle den Tatbestand des
Art. 24 lit. c MSchG
nicht, da nur im Inland begangene Handlungen verfolgbar seien. Die T-Shirts seien nicht in den schweizerischen Wirtschaftsverkehr gelangt und hätten auch nicht in diesen gelangen sollen. Dazu komme, dass die Verletzungstatbestände von
Art. 24 lit. a-e MSchG
Täuschungsgefahr voraussetzten, "wobei die Irreführung des Publikums, d.h. des schweizerischen Publikums, Tatbestandselement" sei. Die Spedition oder die Fakturastellung von im Zollfreilager liegender Ware, welche nie in die Schweiz eingeführt worden sei, stelle deshalb kein Inverkehrbringen dar. Durch den Transit durch die Schweiz könne keine Täuschung erfolgen, nachdem die Ware bereits verkauft sei. Das Bundesgericht habe denn auch das Territorialitätsprinzip stets sehr hoch gehalten und in
BGE 109 IV 146
erklärt, dass die schweizerische Gesetzgebung nur für die schweizerischen Monopolrechte strafrechtlichen Schutz gewähren könne.
a) Die Argumentation des Beschwerdeführers geht im Ergebnis fehl. Wohl trifft es zu, dass der strafrechtliche Schutz des MSchG territorial an das Gebiet der Schweiz gebunden ist. Dennoch kann keine Rede davon sein, Zollfreilager markenrechtlich als Ausland zu behandeln. Nachdem das Bundesgericht Zollfreibezirke patentrechtlich als schweizerisches Gebiet betrachtet hat (BGE
BGE 92 II 297
; TROLLER, Immaterialgüterrecht II, 2. Aufl., S. 725), ist nicht ersichtlich, warum es sich markenrechtlich anders verhalten sollte. Soweit vom MSchG verpönte Handlungen in einem schweizerischen Zollfreibezirk begangen werden, gelten sie als auf schweizerischem Gebiet verübt, sofern die mit dem Markenzeichen versehene Ware in der Schweiz liegt (s.
BGE 92 II 298
).
b) Wie der Kassationshof in seiner neuesten Rechtsprechung ausgeführt hat, wird die unrechtmässig mit einer Marke versehene Ware bereits mit dem Verkauf im Sinne des
Art. 24 lit. c MSchG
in Verkehr gesetzt, wobei beim Distanzkauf der Tatbestand bereits mit dem Versand an den Käufer vollendet ist. Dabei macht es keinen Unterschied aus, ob die Ware an einen Käufer in der
BGE 110 IV 108 S. 111
Schweiz oder im Ausland versandt wird (
BGE 109 IV 146
); das Fernhalten der unbefugt mit einer fremden Marke versehenen Ware vom inländischen Wirtschaftsverkehr, d.h. vom schweizerischen Binnenmarkt, steht der Anwendung von
Art. 24 lit. c MSchG
nicht entgegen, ansonst müsste es auch als erlaubt gelten, ausschliesslich für den Export bestimmte Erzeugnisse in der Schweiz mit dem nachgemachten oder nachgeahmten Markenzeichen eines Dritten zu versehen, was nicht der Sinn des Gesetzes sein kann (vgl.
BGE 92 II 298
/9).
c) Im vorliegenden Fall steht nach dem angefochtenen Urteil fest, dass der Beschwerdeführer rechtswidrig mit der Wort- und Bildmarke der La Chemise Lacoste AG versehene T-Shirts in grossen Mengen von auf den Philippinen domizilierten Gesellschaften gekauft und von Asien in das Zollfreilager "Embraport" in Embrach hat einfliegen lassen, wo die Ware umgepackt, mit auf den Namen seiner Firma lautenden Papieren (Bank-, Zoll-, Speditions- und kaufmännischen Dokumenten) versehen und an ausländische Abnehmer in Deutschland und Skandinavien weiterverkauft und abgesandt wurde, wobei auch die Rechnungen den Namen seiner Firma und teilweise auch seine Unterschrift trugen, so dass jeder Hinweis auf die fernöstliche Herkunft der Ware abgestreift wurde. Geht man davon aus, steht ausser jedem Zweifel, dass der Beschwerdeführer gegen das MSchG verstossen hat. Die Ware war unbestrittenermassen rechtswidrigerweise mit der Marke Lacoste versehen; mit der Einfuhr der solcherweise gekennzeichneten Ware wurde die im Ausland angebrachte Marke von
Art. 24 lit. c MSchG
erfasst (
BGE 105 II 53
E. b; TROLLER, a.a.O., S. 762), zumal die fraglichen Erzeugnisse nicht bloss durch die Schweiz durchgeführt wurden. Vielmehr wurden sie im Zollfreilager Gegenstand von Massnahmen, durch welche ihre Herkunft aus Asien vertuscht wurde, und sodann vom "Embraport" aus weiterverkauft und ins Ausland versandt. Die Verurteilung von R. besteht deshalb zu Recht. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d31afa76-1cce-4fcf-9266-b18acd473c14 | Urteilskopf
107 III 7
3. Entscheid vom 6. März 1981 i.S. X. | Regeste
Zustellung der Betreibungsurkunden in der Betreibung gegen eine unverteilte Erbschaft (
Art. 65 Abs. 3 SchKG
).
1. Wer einen Zahlungsbefehl einem Miterben zustellen lässt, von dem er annimmt, dass dieser den Rechtsvorschlag unterlassen werde, während er den Miterben, von dem er mit Sicherheit einen Rechtsvorschlag zu gewärtigen hat, übergeht, handelt rechtsmissbräuchlich (E. 1).
2. Der durch den Betreibungsbeamten mündlich von der Pfändung in Kenntnis gesetzte Miterbe kann die Zustellung der Pfändungsurkunde abwarten, bevor er Beschwerde erhebt. Die Beschwerdefrist läuft vom Tag der Zustellung der Pfändungsurkunde an (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 107 III 7 S. 8
A.-
X. kaufte am 11. November 1974 von J. B.-H. Land zum Preis von Fr. 139'260.-. Nachdem dessen Sohn A. B.-F. das Vorkaufsrecht gemäss EGG beansprucht hatte, entschied das Bezirksgericht Münchwilen mit Urteil von 1. April 1980, der Eintrag von X. als Eigentümer der Parzelle Nr. 312 sei im Grundbuch St.Margarethen zu löschen und der Kläger A. B.-F. sei als Eigentümer im Grundbuch einzutragen.
Mit einem an die Erben von J. B.-H. gerichteten Schreiben vom 8. Juli 1980 forderte X. den bezahlten Kaufpreis von Fr. 139'260.- zurück. Zuzüglich Zinsen und abzüglich gehabten Nutzen bezeichnete er alle Erben solidarisch für den Betrag von Fr. 159'682.50 haftbar. Er führte an, dass er sich die Betreibung nach Gutdünken vorbehalte, sofern er nicht innert fünf Tagen im Besitz der geforderten Summe sei; insbesondere hafte ihm auch der Kläger A. B.-F. als Miterbe für den vollen Betrag.
B.-
Am 15. Juli 1980 stellte X. das Betreibungsbegehren. Er bezeichnete als Schuldner die "Erbschaft von J. B.-H., vertreten durch Frau M. B.-H." Der Betreibungsbeamte von S. stellte den Zahlungsbefehl Frau M. B.-H. zu, die keinen Rechtsvorschlag erhob. Am 12. August 1980 kam es zur Pfändung, in welche auch die Hausparzelle des väterlichen Betriebes einbezogen wurde.
C.-
In der Folge erfuhr A. B.-F. von der Betreibung und der Pfändung. Das Betreibungsamt S. stellte ihm und allen übrigen Miterben am 13. August 1980 eine Abschrift der Pfändungsurkunde zu.
Durch seinen Rechtsvertreter erhob A. B.-F. am 25. August 1980 beim Gerichtspräsidium Münchwilen Beschwerde mit
BGE 107 III 7 S. 9
dem Begehren, es sei festzustellen, dass die Pfändung vom 12. August 1980 wie die ihr zugrunde liegende Betreibung überhaupt nichtig seien; eventuell seien Pfändung und Betreibung aufzuheben, eventuell sei dem Beschwerdeführer unter entsprechender Fristansetzung ein nachträglicher Rechtsvorschlag zu bewilligen. Am gleichen Tag erhob A. B.-F. beim Betreibungsamt S. Rechtsvorschlag. Das Amt leitete diesen nachträglichen Rechtsvorschlag an das zuständige Gerichtspräsidium Münchwilen weiter.
D.-
Mit Entscheid vom 11. September 1980 schützte das Gerichtspräsidium Münchwilen als untere Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs die Beschwerde des A. B.-F. und erklärte Betreibung und Pfändung als nichtig.
E.-
X. focht den Entscheid des Gerichtspräsidiums Münchwilen bei der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau als oberer Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs an. Er stellte den Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und auf Feststellung der Gültigkeit der Betreibung sowie den Eventualantrag auf Rückweisung des Falles an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Die Rekurskommission wies die Beschwerde mit Entscheid vom 9. Januar 1981 ab.
Indem sie sich im wesentlichen den Überlegungen der Vorinstanz anschloss, begründete die Rekurskommission ihren Entscheid damit, dass X. im Prozess um das landwirtschaftliche Vorkaufsrecht A. B.-F. gegenübergestanden sei. Aufgrund dieses Prozesses habe X. gewusst, dass Frau M. B.-H. nicht als Vertreterin ihres Sohnes A. B.-F. auftreten könne. Es widerspreche Treu und Glauben, wenn X. den Zahlungsbefehl Frau M. B.-H. habe zustellen lassen, wo er doch genau gewusst habe, dass A. B.-F. sich einer Betreibung nicht einfach unterziehen und damit riskieren würde, die Hausparzelle, die er im Rahmen des ganzen landwirtschaftlichen Gewerbes mitübernehmen wolle, zu verlieren. Zufolge mangelhafter Schuldnerbezeichnung seien der Zahlungsbefehl ungültig und die Betreibung nichtig. Die darauf gestützte Pfändung falle somit dahin.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Ist die Betreibung gegen eine unverteilte Erbschaft gerichtet, so erfolgt die Zustellung der Betreibungsurkunden an
BGE 107 III 7 S. 10
den für die Erbschaft bestellten Vertreter oder, wenn ein solcher nicht bekannt ist, an einen der Erben (
Art. 65 Abs. 3 SchKG
).
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass grundsätzlich in einem Fall wie dem vorliegenden, wo Betreibung gegen eine unverteilte Erbschaft eingeleitet werden will, nach dem Wortlaut der zitierten Gesetzesbestimmung der Zahlungsbefehl gültig an einen der Erben zugestellt werden kann. Das Bundesgericht hat dies in seinem Kreisschreiben Nr. 16 vom 3. April 1925 bestätigt. Sache des Erben, der den Zahlungsbefehl entgegengenommen hat, ist es dann, den übrigen Erben Mitteilung zu machen oder die Interessen der Erbschaft selber zu wahren (
BGE 48 III 131
, 43 III 301).
Nun ist aber der Gläubiger seinerseits verpflichtet, sich nach dem Vorhandensein eines Willensvollstreckers, Erbschaftsverwalters oder Erbenvertreters zu erkundigen, bevor er eine Betreibung gegen eine unverteilte Erbschaft einleitet (
BGE 101 III 5
,
BGE 91 III 14
,
BGE 71 III 163
). Nach der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung der kantonalen Aufsichtsbehörde (Art. 81 i.V.m.
Art. 63 Abs. 2 OG
) wusste der rekurrierende Gläubiger, dass zwischen der von ihm bezeichneten Erbenvertreterin, Frau M. B.-H., und deren Miterbe A. B.-F. ein Interessengegensatz bestand. Wenn er trotzdem den Zahlungsbefehl Frau M. B.-H. zustellen liess, von der er annahm, dass sie den Rechtsvorschlag unterlassen würde, während er A. B.-F., von dem er mit Sicherheit einen Rechtsvorschlag zu gewärtigen hatte, überging, so handelte er rechtsmissbräuchlich. Zu Recht ist deshalb die kantonale Aufsichtsbehörde von der allgemein geltenden Regel abgewichen und hat verlangt, dass angesichts der besonderen Umstände ein Zahlungsbefehl auch an den Miterben A. B.-F. hätte zugestellt werden müssen. Mit der im Rekurs aufgestellten Behauptung, er habe annehmen dürfen, Frau M. B.-H. werde ihre Miterben über den Eingang des Zahlungsbefehls unterrichten, setzt sich der Rekurrent in Widerspruch zu den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Rekurskommission.
2.
Der Rekurrent bringt noch vor, dass die Beschwerde an das Gerichtspräsidium Münchwilen ohnehin verspätet, das heisst, nach Ablauf der zehntägigen Frist gemäss
Art. 17 Abs. 2 SchKG
, eingereicht worden sei. Bereits am 12. August 1980 sei nämlich A. B.-F. vom Betreibungsbeamten darüber informiert
BGE 107 III 7 S. 11
worden, dass die Pfändung vollzogen worden sei. Infolgedessen sei die Beschwerdefrist am 22. August 1980 abgelaufen, während die Beschwerde von A. B.-F. erst am 25. August 1980 der Post übergeben worden sei.
Damit bringt der Rekurrent ein im Verfahren vor Bundesgericht grundsätzlich nicht zulässiges Novum vor (
Art. 79 Abs. 1 Satz 2 OG
). Doch erscheint seine Darstellung, er habe von dieser Tatsache erst durch die Vernehmlassung des Betreibungsamtes S. erfahren, welche ihm gleichzeitig mit dem angefochtenen Entscheid zugestellt worden sei, glaubhaft. Auf das Vorbringen ist deshalb einzutreten.
Die Auffassung des Rekurrenten erweist sich allerdings als materiell nicht begründet. Für die Berechnung der Beschwerdefrist ist nicht auf die mündliche Mitteilung durch den Betreibungsbeamten abzustellen. Vielmehr durfte A. B.-F. die Zustellung der Pfändungsurkunde abwarten und hernach in voller Kenntnis der vollzogenen Pfändung Beschwerde erheben (
BGE 65 III 70
). Geht man davon aus, ist die Beschwerde rechtzeitig eingereicht worden. Eine Abschrift der Pfändungsurkunde wurde A. B.-F. nämlich am 13. August 1980 zugestellt. Die grundsätzlich am 23. August 1980 endende Beschwerdefrist von zehn Tagen lief, weil dies ein Samstag war, somit am Montag, den 25. August 1980, ab (BG über den Fristenlauf an Samstagen, SR 173.110.3). An diesem Tag reichte A. B.-F. seine Beschwerde an das Bezirksgerichtspräsidium Münchwilen ein.
3.
Der im Zusammenhang mit der Beschwerdefrist vom Rekurrenten verfochtene Standpunkt, die Betreibungshandlungen seien entgegen der Annahme der Vorinstanz nur anfechtbar (und nicht nichtig) gewesen, braucht - nachdem die Frist eingehalten ist - nicht auf seine Richtigkeit geprüft zu werden. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d31d960d-1d13-4c1a-a63c-258d15c542ea | Urteilskopf
83 III 92
25. Entscheid vom 5. Dezember 1957 i.S. BIMAG. | Regeste
Rekurs an das Bundesgericht. Beginn der Rekursfrist (
Art. 19 SchKG
,
Art. 77 Abs. 2 OG
) bei Zustellung des angefochtenen Entscheides an einen Postfachinhaber, der aus wichtigen Gründen verhindert ist, der Einladung zur Abholung der Sendung am Postschalter sogleich Folge zu leisten.
Grundpfandversteigerung. Der Titular einer ins Lastenverzeichnis aufgenommenen, von einem andern Gläubiger durch noch hängige Klage bestrittenen fälligen Pfandforderung kann (wenigstens für sich allein) nicht wirksam auf die Barzahlung verzichten (
Art. 47 VZG
). | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 83 III 92 S. 93
A.-
In einer Betreibung auf Grundpfandverwertung, die Corrodi als Pfandgläubiger im Rang I a gegen Bruno Lüthy führt, stellte das Betreibungsamt Olten-Gösgen den Beteiligten am 22. Juni 1957 das Lastenverzeichnis zu. Darin ist angegeben, dass Corrodi als Titular der Grundpfandverschreibung im Rang I a Fr. 268'304.70 und als Gläubiger mit Faustpfandrecht an dem im Rang I b stehenden Inhaberschuldbrief über Fr. 110'000.-- weitere Fr. 71'326.10 fordere (Gesamtforderung also Fr.339'630.80). Als Inhaber eines Nachpfandrechts für Fr. 102'218.20 an diesem Schuldbrief ist Rudolf Lüthy aufgeführt.
Mit Schreiben vom 1. Juli 1957 teilte Rudolf Lüthy dem Betreibungsamte mit, er anerkenne die Forderungen Corrodis nur bis zum Betrag von Fr. 307'290.05; für den Mehrbetrag von Fr. 32'340.75 bestreite er sie. Hierauf setzte ihm das Betreibungsamt Frist zur Klage gegen Corrodi auf Aberkennung des bestrittenen Forderungsbetrages. Am 9. Juli 1957 wurde diese Klage beim Richteramt Olten-Gösgen eingeleitet. Der Prozess ist heute noch hängig.
B.-
Am 18. Juli 1957 wurde die Pfandliegenschaft versteigert. Die Steigerungsbedingungen schrieben gemäss
Art. 156 und 135 SchKG
sowie
Art. 102 und 46 VZG
die Barzahlung der fälligen Pfandforderungen vor, zu denen die Forderungen Corrodis gemäss Lastenverzeichnis gehörten, und wiesen auf den von Rudolf Lüthy gegen Corrodi
BGE 83 III 92 S. 94
angehobenen Prozess hin. Den Zuschlag erhielt zu Fr. 515'000.-- die BIMAG Bau- und Immobilien-AG
C.-
Corrodi verzichtete auf die Barzahlung seiner Forderungen und stimmte der Schuldübernahme durch die Erwerberin der Pfandliegenschaft zu. Rudolf Lüthy verlangte dagegen, dass die Erwerberin aufgefordert werde, den streitigen Betrag von Fr. 32'340.75 beim Betreibungsamt zu hinterlegen. Als die Erwerberin das telephonische Ersuchen des Amtes, diesen Betrag bei ihm einzuzahlen, unter Berufung auf die Zustimmung Corrodis zur Überbindung der ganzen Schuld ablehnte, teilte das Amt der Erwerberin mit Schreiben vom 23. August 1957 mit, vor der Erledigung des hängigen Prozesses dürfe der streitige Betrag bei Gefahr der Doppelzahlung nur an das Amt ausbezahlt werden. Da Rudolf Lüthy sich damit nicht zufrieden gab, setzte es ihm am 10. September 1957 eine Frist von 10 Tagen zur Beschwerde. Innert dieser Frist führte Rudolf Lüthy Beschwerde mit dem Begehren, das Betreibungsamt sei anzuweisen, die Erwerberin unter Androhung der Aufhebung des Zuschlags aufzufordern, den bestrittenen Betrag von Fr. 32'340.75 beim Betreibungsamt zu hinterlegen.
D.-
Unter Hinweis auf diese Beschwerde forderte das Betreibungsamt die Erwerberin mit Schreiben vom 25. September 1957 "nochmals auf, den Betrag von Fr. 32'340.75 beim Betreibungsamt Olten innert 10 Tagen zu zahlen, um damit eine eventuelle Aufhebung des Steigerungszuschlags zu verhindern". Hierauf führte die Erwerberin ihrerseits Beschwerde mit dem Begehren, diese Aufforderung sei aufzuheben.
E.-
Am 11. Oktober 1957 hiess die kantonale Aufsichtsbehörde die Beschwerde Rudolf Lüthys gut. Auf die Beschwerde der Erwerberin trat sie nicht ein, weil das Schreiben des Amtes vom 25. September 1957 keine Verfügung enthalte, bemerkte aber in den Erwägungen, dass diese zweite Beschwerde abgewiesen werden müsste, wenn darauf einzutreten wäre.
BGE 83 III 92 S. 95
F.-
Mit ihrem am 11. November 1957 zur Post gegebenen Rekurs an das Bundesgericht beantragt die Erwerberin:
1. Es sei der Entscheid der Aufsichtsbehörde ... aufzuheben wegen Rechtsverweigerung gemass
Art. 4 BV
.
2. Es sei die Aufsichtsbehörde ... bezw. das Betreibungsamt Olten-Gösgen anzuweisen, die verlangte Deponierung der Fr. 32'340.75 aufzuheben.
Nach einem Berichte des Postamtes Zürich-Hauptbahnhof ist der gemäss Poststempel am 29. Oktober 1957 abgesandte eingeschriebene Brief, der den angefochtenen Entscheid enthielt, am 30. Oktober um 8 Uhr beim erwähnten Postamt eingetroffen. Der Rekurrentin wurde unverzüglich eine Einladung zur Abholung dieser Sendung ins Postfach gelegt. Dieser Einladung kam die Rekurrentin erst am 1. November 1957 um 9 Uhr nach. Als Grund hiefür gibt sie an, Geisser, ihr einziger Geschäftsführer, sei an Grippe erkrankt gewesen. Sie legt ein ärztliches Zeugnis vor, wonach Geisser wegen Grippe vom 29. bis 31. Oktober 1957 "streng bettlägerig" war.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 19 SchKG
kann ein gesetzwidriger Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde binnen zehn Tagen seit dessen Mitteilung an das Bundesgericht weitergezogen werden.
Art. 77 Abs. 2 OG
bestimmt, das Datum der Zustellung sei festzustellen und für den Beginn der Rekursfrist massgebend. Unter Mitteilung bezw. Zustellung ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch grundsätzlich die tatsächliche Aushändigung der den Entscheid enthaltenden Sendung an den Adressaten oder eine andere zu ihrer Entgegennahme berechtigte Person zu verstehen. Im Falle, dass eine eingeschriebene Postsendung in der Wohnung oder im Geschäft des Adressaten nicht abgegeben werden kann, weil bei den beiden vorgeschriebenen Zustellungsversuchen keine empfangsberechtigte Person
BGE 83 III 92 S. 96
angetroffen wird, und der Postbote deshalb eine Einladung zur Abholung der Sendung bei der Poststelle hinterlässt (vgl. hiezu heute Art. 104 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung I vom 23. Dezember 1955 zum Postverkehrsgesetz), stellt die Rechtsprechung denn auch nicht auf den Zeitpunkt ab, da die Einladung zur Abholung in den Briefkasten gelegt wird, sondern auf das Datum, an dem die Sendung tatsächlich abgeholt wird (
BGE 74 I 88
,
BGE 80 IV 204
). In
BGE 74 I 88
wurde ein Vorbehalt nur für den Fall gemacht, dass der Adressat es versäumt, die Sendung innert kurzer Frist abzuholen, und in
BGE 80 IV 204
wurde erklärt, die Rechtsmittelfrist werde jedenfalls dann erst durch die tatsächliche Abholung in Gang geset-zt, wenn der Empfänger der Sendung der Einladung hiezu rechtzeitig (d.h. innert der gemäss Postordnung geltenden, in der Einladung anzugebenden Frist von vier Tagen) Folge leiste. Ebenso betrachtet das Bundesgericht grundsätzlich die tatsächliche Aushändigung der Sendung als massgebend, wenn die Zustellung am Domizil wegen vorübergehender Abwesenheit des Adressaten erst beim zweiten Versuch gelingt (
BGE 78 I 129
).
In Fällen der Zustellung einer eingeschriebenen Sendung an einen Postfachinhaber hat das Bundesgericht demgegenüber entschieden, die Sendung habe als an dem Tage zugestellt zu gelten, an welchem die Anzeige von ihrem Eingang ins Fach gelegt wird, vorausgesetzt, dass dies vor Schalterschluss geschieht und der Adressat so die Möglichkeit erhält, die Sendung noch am betreffenden Tage abzuholen (
BGE 46 I 63
,
BGE 55 III 170
,
BGE 61 II 134
,
BGE 74 I 15
und 88,
BGE 78 I 325
). In
BGE 78 I 325
wurde aber immerhin einschränkend bemerkt, bei Beurteilung der Frage, ob diese letzte Voraussetzung zutreffe, sei auf die ordentlichen Öffnungszeiten, die zur Bedienung geschäftlicher Unternehmungen vorgesehen sind, abzustellen; ausserordentliche Öffnungszeiten, mit denen etwa nachts oder an Feiertagen die Abholung dringlicher Sendungen ermöglicht wird, seien nicht in Betracht zu ziehen (vgl. auch schon
BGE 83 III 92 S. 97
BGE 74 I 16
, wo geprüft wurde, ob die Anzeige als noch während der üblichen Geschäftszeit erfolgt angesehen werden könne). Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Zustellung auch dann nicht als schon mit der Einlegung der Anzeige ins Postfach vollzogen gelten kann, wenn dessen Inhaber aus wichtigen Gründen verhindert war, die Sendung noch am gleichen Tage vor Ende der ordentlichen Öffnungszeit des Schalters abzuholen. In diesem Falle, mit dem sich die Rechtsprechung bisher noch nicht zu befassen hatte, entsteht die Möglichkeit zur Abholung der Sendung, auf die es nach der Praxis bei der Zustellung eingeschriebener Sendungen an Postfachinhaber ankommt, erst mit dem Wegfall des Hindernisses. Frühestens in diesem Zeitpunkte kann also die Zustellung als erfolgt angesehen werden. Ohne Rücksicht auf die für den Fachinhaber bestehende Abhaltung den Zeitpunkt der Einlegung der Anzeige ins Fach als massgebend zu betrachten, ist umso weniger angängig, als in den Fällen, wo der Adressat einer an die Wohn- oder Geschäftsadresse gerichteten Sendung bei beiden vorgeschriebenen Zustellungsversuchen oder beim ersten derselben nicht angetroffen wird, die Rechtsmittelfrist nach den im ersten Absatz dieser Erwägung angeführten Entscheiden in der Regel überhaupt erst mit der tatsächlichen Aushändigung der Sendung beginnt.
Im vorliegenden Falle ist hinlänglich dargetan, dass die Rekurrentin die Sendung, die den angefochtenen Entscheid enthielt, nicht vor dem 1. November 1957 am Schalter abholen konnte. Der am 11. November 1957 zur Post gegebene Rekurs ist daher als rechtzeitig zu betrachten.
2.
Der Rekurrentin ist darin Recht zu geben, dass das Schreiben des Betreibungsamtes vom 25. September 1957, das sie zur Einzahlung des Betrags von Fr. 32'340.75 aufforderte, eine Verfügung im Sinne von
Art. 17 Abs. 1 SchKG
darstellte, die durch Beschwerde angefochten werden konnte. Der Nichteintretensentscheid der Vorinstanz bedeutete eine Rechtsverweigerung im Sinne der - in
BGE 83 III 92 S. 98
Ausführung des von der Rekurrentin angerufenen
Art. 4 BV
erlassenen - Bestimmung von
Art. 19 Abs. 2 SchKG
(
BGE 80 III 96
,
BGE 82 III 151
). Die Sache zur materiellen Beurteilung der Beschwerde der Rekurrentin an die Vorinstanz zurückzuweisen, erübrigt sich jedoch, weil die Vorinstanz die durch diese Beschwerde aufgeworfene Frage bei Behandlung der Beschwerde Rudolf Lüthys materiell geprüft und unter Hinweis auf die betreffenden Erwägungen erklärt hat, die Beschwerde der Rekurrentin müsste im Falle des Eintretens als unbegründet abgewiesen werden, so dass in Wirklichkeit bereits ein materieller Entscheid über diese Beschwerde vorliegt.
3.
Nach dem Lastenverzeichnis und den Steigerungsbedingungen waren die von Corrodi angemeldeten Pfandforderungen der Ränge I a und I b innert 20 Tagen seit der Steigerung bar zu bezahlen. Will der Ersteigerer eine bar zu bezahlende Pfandforderung auf andere Weise tilgen (z.B. durch Schuldübernahme oder Novation), so darf das Betreibungsamt dies nach
Art. 47 VZG
nur berücksichtigen, wenn ihm innerhalb der in den Steigerungsbedingungen für die Zahlung festgesetzten oder durch Zustimmung sämtlicher Beteiligter verlängerten Frist eine Erklärung des Gläubigers über dessen anderweitige Befriedigung vorgelegt wird. Unter dem Gläubiger kann dabei nur die Person verstanden werden, deren Eigenschaft als Gläubiger der in Frage stehenden Pfandforderung für das im Gang befindliche Betreibungsverfahren endgültig feststeht. Wird eine ins Lastenverzeichnis aufgenommene Pfandforderung von einem andern Gläubiger bestritten, so kann derjenige, der sie angemeldet hat, die in
Art. 47 VZG
vorgesehene Erklärung nicht wirksam abgeben, bevor das Lastenbereinigungsverfahren zu seinen Gunsten erledigt ist. Auf jeden Fall kann er dies nicht ohne Zustimmung des Bestreitenden tun. Im vorliegenden Falle hat der Nachpfandgläubiger Rudolf Lüthy die Forderungen Corrodis für den Betrag von Fr. 32'340.75 bestritten und schwebt über diese Teilforderung heute noch ein Prozess. In den
BGE 83 III 92 S. 99
Steigerungsbedingungen, die vor der Steigerung verlesen wurden, waren diese Bestreitung und der hängige Prozess ausdrücklich erwähnt. Corrodi konnte daher die Rekurrentin von der Pflicht zur Barzahlung des erwähnten Betrages innert der in den Steigerungsbedingungen festgesetzten Frist nicht wirksam befreien, wovon sich die Rekurrentin bei gehöriger Aufmerksamkeit Rechenschaft geben konnte. Eine Erklärung des bestreitenden Nachpfandgläubigers Rudolf Lüthy, mit der dieser auch seinerseits auf die Barzahlung verzichtet hätte, liegt nicht vor. Die Vorinstanz hat daher mit Recht angenommen, dass die Rekurrentin den streitigen Betrag bei Gefahr der Aufhebung des Zuschlages einzuzahlen habe.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d31e649d-ff52-4713-b905-84b02bfde65f | Urteilskopf
115 Ib 411
58. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. November 1989 i.S. G. gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Zuständigkeit zur Beurteilung von Entschädigungsbegehren für materielle Enteignung.
Über Entschädigungsansprüche aus materieller Enteignung haben die Eidgenössischen Schätzungskommissionen nur zu entscheiden, wenn dies in der Bundesgesetzgebung ausdrücklich vorgesehen ist (E. 2). Besteht keine derartige Kompetenznorm und ist auch kein kantonaler Richter zuständig, so sind solche Begehren als Streitigkeiten über ausservertragliche Entschädigungen im Sinne von
Art. 116 lit. c OG
vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 411
BGE 115 Ib 411 S. 411
Die Eheleute G. sind Eigentümer eines rund 60 ha umfassenden Schlossgutes in B. Im August 1982 brannte eines ihrer Ökonomiegebäude, ein Kälbermaststall, vollständig nieder. G. ersuchte hierauf
BGE 115 Ib 411 S. 412
um Bewilligung für den Wiederaufbau eines Stalles für 250 Mastkälber. Dieses Gesuch wurde vom Bundesamt für Landwirtschaft abgewiesen, weil die Zahl der vorhandenen Tiere den nach der Landwirtschaftsgesetzgebung zulässigen Höchstbestand überschreite. Hiegegen erhobene Beschwerden blieben erfolglos.
Am 1. Juli 1987 reichten die Eheleute bei der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 11, Klage wegen materieller Enteignung ein und verlangten, dass ihnen der aus dem Verbot des Wiederaufbaus des Kälbermaststalles entstehende Schaden voll vergütet werde. Die Schätzungskommission gab der Schweizerischen Eidgenossenschaft Gelegenheit, sich zum Begehren zu äussern, und beschloss am 30. Oktober 1987, mangels Zuständigkeit auf die Klage nicht einzutreten. Gegen diesen Entscheid haben die Eheleute G. Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und den Antrag gestellt, die Schätzungskommission sei zu verpflichten, das Verfahren zu eröffnen und den Fall materiell zu behandeln.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Entscheide der Eidgenössischen Schätzungskommissionen können mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden (Art. 77 Abs. 1 und 2 sowie Art. 64 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Enteignung/EntG;
Art. 115 Abs. 1 OG
). Da die vorliegende Beschwerde rechtzeitig eingereicht worden ist (
Art. 106 OG
) und die in
Art. 108 Abs. 2 OG
umschriebenen Formerfordernisse erfüllt, kann grundsätzlich auf sie eingetreten werden.
2.
Im angefochtenen Entscheid hat sich die Eidgenössische Schätzungskommission zur Beurteilung des an die Eidgenossenschaft gerichteten Entschädigungsbegehrens sachlich unzuständig erklärt. Zu Recht.
a) Die Eidgenössischen Schätzungskommissionen sind Spezialverwaltungsgerichte ("Schiedskommissionen" im Sinne von
Art. 98 lit. e OG
; vgl.
BGE 112 Ib 421
), welche der Enteignungsgesetzgeber geschaffen und denen er insbesondere die erstinstanzliche Beurteilung der auf dieses Gesetz gestützten Entschädigungsbegehren übertragen hat (
Art. 59 und 64 EntG
). Gemäss dem im Enteignungsgesetz vorgezeichneten Verfahren können die Schätzungskommissionen allerdings nur vom Unternehmen, das über das Enteignungsrecht verfügt oder noch damit ausgestattet werden soll, um Eröffnung des Enteignungsverfahrens ersucht werden. Die Privaten sind erst dann befugt, sich mit ihren Entschädigungsansprüchen
BGE 115 Ib 411 S. 413
für formelle Enteignung direkt an die Schätzungskommission zu wenden, wenn das Verfahren durch eine öffentliche Planauflage im Sinne von
Art. 30 EntG
oder durch eine persönliche Anzeige gemäss Art. 33 f. EntG bereits eingeleitet worden ist (
BGE 114 Ib 145
mit Hinweisen auf frühere Urteile). Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so hat der Private, der eine Entschädigungsforderung geltend machen will, beim Enteigner die Eröffnung eines Enteignungsverfahrens zu verlangen oder - wenn das Enteignungsrecht dem Unternehmen erst noch verliehen werden muss (
Art. 3 Abs. 3 EntG
) - bei der dazu zuständigen Behörde vorstellig zu werden (
BGE 112 Ib 126
E. 2).
Im vorliegenden Fall machen die Beschwerdeführer indessen nicht geltend, von einer formellen Enteignung betroffen zu sein. Sie behaupten vielmehr, sie seien Opfer einer materiellen Enteignung, zu der das Verbot des Wiederaufbaus ihres Stalles geführt habe.
b) Über Entschädigungsansprüche aus materieller Enteignung haben die Eidgenössischen Schätzungskommissionen nur zu entscheiden, wenn dies in der Bundesgesetzgebung ausdrücklich vorgesehen ist, wie etwa in Art. 18 Abs. 2 und Art. 25 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960, in Art. 44 Abs. 1 und 4 des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 sowie in Art. 18i des revidierten Eisenbahngesetzes, vom 20. Dezember 1957 (
BGE 114 Ib 146
,
BGE 112 Ib 126
E. 2,
BGE 106 Ib 234
). In der eidgenössischen Landwirtschaftsgesetzgebung, auf die sich die Nichtbewilligung des Wiederaufbaus des Stalles stützte, ist eine derartige Vorschrift nicht zu finden. Auch fehlt in der Bundesgesetzgebung eine allgemeine - subsidiär anwendbare - Bestimmung, welche die Zuständigkeit der Schätzungskommissionen zur Behandlung von Begehren wie dem hier umstrittenen begründen würde. Die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 11, hat deshalb hier ihre Kompetenz zu Recht verneint. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die sich gegen den Nichteintretensentscheid richtet, muss daher abgewiesen werden.
c) Allerdings stellt sich die Frage, ob die Schätzungskommission die Sache nicht gemäss
Art. 8 Abs. 1 VwVG
an die zuständige Behörde hätte weiterleiten sollen. Zwar finden nach
Art. 2 Abs. 3 VwVG
nur die Artikel 20-24 dieses Gesetzes auf das Verfahren vor der Schätzungskommission Anwendung. Das Bundesgericht hat jedoch anlässlich der Revision des Enteignungsgesetzes im Jahre 1971 auch die Verordnung für die eidgenössischen Schätzungskommissionen ersetzt und in Art. 3 neu vorgesehen, dass für das
BGE 115 Ib 411 S. 414
Verfahren vor dem Präsidenten oder der Kommission die Vorschriften des zweiten Abschnittes des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren anwendbar seien. Wie dem auch sei, jedenfalls ist die Streitsache im Rahmen des Verwaltungsgerichtsverfahrens ans Bundesgericht gelangt, so dass sich - falls sich das Bundesgericht als zuständige Instanz erweist - eine förmliche Übermittlung der Akten ohnehin erübrigt.
3.
Zu prüfen bleibt somit, welche Behörde über das Entschädigungsgesuch der Beschwerdeführer zu entscheiden hat.
a) Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat in ihren der Schätzungskommission eingereichten Vernehmlassungen bestritten, dass eine materielle Enteignung vorliege und ein Schaden in der angegebenen Höhe entstanden sei. Diese Erklärungen gelten jedoch, sollte der Anspruch auf dem Klageweg zu verfolgen sein, nicht als anfechtbare Verfügung (
Art. 5 Abs. 3 VwVG
).
b) Nach
Art. 116 lit. c OG
werden, unter Vorbehalt von
Art. 117 OG
, Klagen in Streitigkeiten aus dem Verwaltungsrecht des Bundes über ausservertragliche Entschädigungen vom Bundesgericht als einziger Instanz beurteilt. Die dem vorliegenden Streitfall zugrundeliegende Weigerung der Behörden, den Wiederaufbau des abgebrannten Kälbermaststalles zu bewilligen, stützte sich auf Bundesverwaltungsrecht. Führt diese Weigerung - wie die Beschwerdeführer behaupten - tatsächlich zu einer materiellen Enteignung, so muss den Betroffenen eine Entschädigung geleistet werden, die ausservertraglicher Natur ist. Von den in
Art. 117 OG
aufgezählten Rechtsmitteln ist keines gegeben. Demnach ist das Bundesgericht zur Behandlung der hier umstrittenen Entschädigungsansprüche zuständig und hat die bei der Schätzungskommission eingereichte Klage als verwaltungsrechtliche entgegenzunehmen (s.a.
BGE 114 Ib 146
).
c) Eine solche Auslegung von
Art. 116 OG
drängt sich auch mit Blick auf
Art. 6 EMRK
auf, welcher jedermann Anspruch darauf gibt, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat. Gemäss der autonomen Auslegung der Strassburger Organe stellen die - nach schweizerischem Recht öffentlichrechtlichen - Streitigkeiten über die Zulässigkeit der Enteignung und über die Höhe der Enteignungsentschädigung ebenfalls "des contestations sur des droits et des obligations de caractère civil" im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
dar (BGE 115
BGE 115 Ib 411 S. 415
Ib 67 ff.;
BGE 112 Ib 178
E. 3a;
BGE 111 Ib 231
ff. E. 2e mit Hinweisen auf die entsprechenden Entscheide des Europäischen Gerichtshofes). Übrigens hat das Bundesgericht schon vor der Schaffung der EMRK und vor der Aufnahme von
Art. 22ter BV
in die Bundesverfassung die Kantone verpflichtet, ein gerichtliches Verfahren vorzusehen, in dem die von einer materiellen Enteignung Betroffenen ihre Ansprüche geltend machen könnten (
BGE 80 I 244
,
BGE 81 I 347
ff.; vgl. auch
BGE 101 Ib 283
,
BGE 98 Ia 33
). Dass hier die angebliche materielle Enteignung auf eine von Bundesbehörden erlassene bundesrechtliche Massnahme zurückgeht und kein kantonales Gericht zur Verfügung steht, kann am Anspruch auf Zugang zum Richter offensichtlich nichts ändern.
4.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die gegen den Nichteintretensentscheid der Schätzungskommission gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde zwar abzuweisen, die seinerzeit erhobene Klage indessen als verwaltungsrechtliche Klage im Sinne von
Art. 116 OG
entgegenzunehmen ist. Der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist als Beklagten Gelegenheit zur Einreichung einer Klageantwort und insbesondere zur Stellungnahme zum erst im bundesgerichtlichen Verfahren eingegangenen Gutachten einzuräumen. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d320b376-dae4-4aec-b01d-e554c9145383 | Urteilskopf
92 II 222
34. Estratto della sentenza 1. luglio 1966 della II Corte civile nella causa Christen e Altenburger contro Christen. | Regeste
Bäuerliches Erbrecht.
Art. 620 ZGB
.
1. Ein Erbe darf die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes auch dann verlangen, wenn er es bloss an andere zu verpachten oder durch einen Dritten verwalten zu lassen beabsichtigt. Voraussetzungen einer solchen Zuweisung (Erw. 4).
2. Innert welcher Schranken kann ein Herrschaftshaus als Bestandteil des Gewerbes gelten und dessen Schicksal teilen? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 223
BGE 92 II 222 S. 223
Riassunto dei fatti:
Maria Elisabeth Christen, morta a Zurigo nel 1959, ha lasciato quali eredi i figli Alessandro, Peter e Maria Luisa maritata Altenburger. I beni successorali sono stati tutti divisi, ad eccezione dell'azienda agricola denominata "La Prella", d'una superficie di mq 104 063, sita nei due comuni di Stabio e di Genestrerio e comprendente, oltre all'abitazione per il contadino e ai rustici, anche una casa padronale.
Nel dicembre del 1961 Alessandro Christen, architetto di professione, ha proposto devanti al Pretore di Lugano-Città una istanza con la quale domandava che gli venisse attribuita tale azienda, in applicazione dell'art. 620 CC. La domanda è stata respinta dal Pretore, ma accolta dal Tribunale di appello il quale ha constatato che "La Prella" adempiva i requisiti oggettivi cui l'art. 620 CC subordina l'attribuzione di un'azienda agricola e che, inoltre, il richiedente era idoneo ad assumerne l'esercizio.
Peter Christen e Maria Luisa Altenburger nata Christen hanno impugnato la sentenza della Corte cantonale mediante un tempestivo ricorso per riforma in cui chiedono l'annullamento dell'impugnato giudizio e la reiezione dell'istanza di Alessandro Christen; domandano inoltre che sia ordinata la vendita dell'azienda mediante un incanto tra i soli eredi.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso e confermato la sentenza impugnata.
Erwägungen
Considerando in diritto:
4.
Il requisito soggettivo per l'attribuzione dell'azienda agricola ai sensi dell'art. 620 CC è che l'erede richiedente
BGE 92 II 222 S. 224
sembri idoneo ad assumerne l'esercizio (art. 620 cpv. 1 CC). Nella fattispecie è pacifico che nessuno degli eredi fa il contadino. L'intimato è architetto ed ha esercitato tale professione per molti anni a Genova, ove abitava con la famiglia; in seguito ha trasferito il domicilio a Lugano.
Secondo l'art. 621 cpv. 2 CC, nel caso in cui più eredi domandino l'attribuzione, beneficiano di un diritto preferenziale quelli tra essi che intendono esercitare l'azienda personalmente. Questa norma permette di concludere che un erede è legittimato a chiedere l'attribuzione anche quando abbia soltanto l'intenzione di affittare l'azienda o di farla amministrare da un terzo. Se si volesse sostenere la tesi contraria, il secondo capoverso dell'art. 621 CC non avrebbe alcun significato.
La dottrina condivide questo punto di vista (TUOR-PICENONI, Kommentar, N. 20 all'art. 620 CC; ESCHER, Kommentar, N. 39 all'art. 620 CC; BOREL-NEUKOMM, Das bäuerliche Erbrecht des schweiz. Zivilgesetzbuches, 4a ed., p. 44 e segg.), anche se ESCHER vi ravvisa, a vero dire, una incongruenza (Grundsatzlosigkeit). Il Tribunale federale vi ha aderito implicitamente (BOREL-NEUKOMM, op.cit., p. 44).
Bisogna in realtà considerare che le disposizioni del diritto successorio rurale sono state emanate non soltanto al fine di conservare una classe agricola vitale (RU 75 II 31, 77 II 227, 79 II 272, 89 II 20 in alto), ma anche al fine di evitare lo smembramento delle proprietà rurali (TUOR-PICENONI, Kommentar, N. 20 all'art. 620 CC). È dunque preferibile attribuire un'azienda agricola ad un erede che non ha l'intenzione di esercitarla personalmente, piuttosto che provocare la divisione e lo smembramento del complesso, o la sua vendita a terzi.
In concreto, la circostanza che un solo erede chiede l'attribuzione della "Prella" permette di giudicare meno severamente il suo grado di idoneità. Basta ch'egli sappia scegliere il fattore e controllare la coltivazione dei poderi e lo sfruttamento dell'azienda (TUOR-PICENONI, Kommentar, N. 22 all'art. 620 CC; ESCHER, Kommentar, N. 39 all'art. 620 CC; BOREL-NEUKOMM, op.cit., p. 44).
La Corte cantonale ritiene e constata in fatto che Alessandro Christen possiede, da questo punto di vista, le qualità indispensabili e che le sue intenzioni sono serie. Quest'ultima constatazione vincola il Tribunale federale. Dalle due testimonianze citate nella sentenza impugnata risulta che l'intimato si è vivamente
BGE 92 II 222 S. 225
occupato dei problemi agricoli che interessano la "Prella", che vi ha lavorato personalmente durante l'estate, che vi ha fatto eseguire lavori di manutenzione e che ha acquistato macchine ed utensili. Il suo interesse per l'agricoltura in genere è manifesto. Egli sembra beneficiare, inoltre, di una situazione finanziaria eccellente, ciò che rappresenta una circostanza suscettibile d'essere tenuta in linea di conto (RU 83 II 118 consid. 6 e sentenze citate, 89 II 20 consid. 1b in fine). Pertanto, la Corte cantonale poteva ammettere l'idoneità dell'intimato ad assumere l'esercizio della "Prella" senza violare l'art. 620 CC.
La citazione di TUOR-PICENONI (Kommentar, N. 22 all'art. 620 CC) fatta dai ricorrenti conferma la validità di questa conclusione: i requisiti relativi all'idoneità ad assumere l'azienda devono essere esaminati in modo meno rigoroso quando gli altri eredi non domandano a loro volta l'attribuzione del complesso per uno sfruttamento diretto.
Non c'è nessuna ragione di applicare esigenze più severe per il fatto che i ricorrenti hanno proposto di vendere l'azienda all'incanto tra gli eredi, con esclusione di terzi (art. 625 bis combinato con l'art. 612 cpv. 3 CC). Da una parte, l'alienazione giusta l'art. 625 bis CC non entra in linea di conto che qualora nessuno degli eredi domandi l'attribuzione di tutta l'azienda agricola o qualora una simile richiesta sia respinta; d'altra parte, la vendita limitata agli eredi non impedirebbe affatto all'aggiudicatario di rivendere a breve scadenza tutto il complesso o alcune sue parcelle, rendendo illusorio uno degli scopi della legislazione agricola (il trapasso integrale delle aziende agricole per conservarle all'agricoltura) che ha ispirato anche l'art. 625 bis CC (TUOR-PICENONI, Kommentar, N. 2 all'art. 625 bis CC), e che è d'interesse pubblico.
5.
Nella fattispecie, all'azienda agricola è annessa una casa padronale. In principio, il richiedente può pretendere anche l'attribuzione di quest'ultima; occorre tuttavia ch'essa abbia un carattere accessorio rispetto all'azienda, che sia legata alla sorte della cosa principale e che rivesta soltanto un'importanza secondaria rispetto ai locali che sono necessari all'esercizio e all'abitazione del contadino e alle terre coltivate (RU 50 II 328, 58 II 202, 83 II 120 consid. 7; cfr. inoltre ESCHER, Kommentar, N. 20 all'art. 620 CC, TUOR-PICENONI, Kommentar, N. 5 all'art. 620 CC).
BGE 92 II 222 S. 226
Secondo le constatazioni dei periti riprodotte nella sentenza impugnata e che vincolano il Tribunale federale, la casa padronale alla "Prella" è contigua alle costruzioni rurali ed è anzi incorporata all'abitazione del fattore. Il perito giudiziale le attribuisce un valore che non può in ogni caso superare i 42 000 franchi (sulla base di un affitto annuo di Fr. 2800.--), mentre il valore di reddito della parte rimanente dell'azienda è di Fr. 78 000.-- e il valore venale dell'intero complesso può raggiungere il doppio di questo importo. Il perito giudiziale aggiunge, in particolare, che la casa padronale "appare così indissolubilmente legata al complesso fondiario agricolo da rendere necessaria la sua inclusione nel complesso fondiario della Prella".
I ricorrenti non hanno mai preteso, nemmeno a titolo eventuale, di separare il destino della casa padronale da quello dell'azienda agricola. Su questo punto nessuna critica è stata formulata nel ricorso per riforma. Va anche considerato che il valore della casa non sembra esagerato (contrariamente a quanto era il caso nelle sentenze RU 50 II 328 e 58 II 202) rispetto a quello dell'azienda agricola vera e propria. Esiste inoltre una certa disproporzione, per quanto concerne il loro reddito, tra la construzione non adibita all'agricoltura e l'oggetto medesimo dell'azienda.
Allo scopo evidente di salvaguardare gli interessi dei coeredi, la Corte cantonale ha ordinato l'attribuzione della villa padronale in base al suo valore venale, che sarebbe stato determinato dall'Ufficio cantonale di stima. Questo modo di procedere non è previsto dalla legge che all'art. 625 CC per le aziende accessorie. Ci si può tuttavia dispensare dall'esaminare se esso è giustificato nella fattispecie. Alessandro Christen l'ha infatti accettato. Questo modo di procedere si avvicina alla soluzione preconizzata da BOREL-NEUKOMM (op. cit., p. 28), secondo cui se il giudice pronuncia l'attribuzione di tutto il complesso, al valore dell'azienda dovrebbe aggiungersi un equo supplemento per la casa padronale.
Tutte queste circostanze giustificano, nel caso speciale d'una casa padronale (ciò che non si verificava nella sentenza RU 83 II 120 consid. 7) che fa parte di un'azienda agricola e che non può essere assimilata ad un'abitazione locativa vera e propria senza alcun legame con i fondi (cfr. la fattispecie della sentenza RU 58 II 202 e segg.), la decisione della Corte cantonale,
BGE 92 II 222 S. 227
la quale ha attribuito in blocco all'intimato la tenuta della "Prella". Questa decisione tiene inoltre conto della situazione locale, quale è stata vista e giudicata da tutti periti. | public_law | nan | it | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d329fccf-654a-451b-bdcd-fcf3ec3fe128 | Urteilskopf
84 IV 139
41. Arrêt de la Cour de cassation du 14 novembre 1958 dans la cause Ronc contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Art. 41 und 394 lit. b StGB
.
Aufschub des Vollzuges einer Freiheitsstrafe durch bedingte Begnadigung.
Kann der Richter gestützt auf
Art. 41 Ziff. 3 StGB
den durch die gesetzgebende Behörde als Begnadigungsinstanz gewährten Aufschub widerrufen? | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 84 IV 139 S. 139
A.-
Par jugement du 27 juin 1956, le Tribunal de simple police du district de Nyon a condamné Joseph Ronc pour violation d'une obligation d'entretien à vingt jours d'emprisonnement, avec sursis pendant trois ans moyennant paiement régulier de 30 fr. par mois à Rosa Ronc; cette condition a été supprimée par arrêt du 15 août 1956 de la Cour de cassation pénale vaudoise.
Le 24 juin 1957, cette autorité a confirmé la révocation du sursis ordonnée le 21 mai précédent par le Président du Tribunal du district de Nyon.
Par décret du 3 septembre de la même année, le Grand Conseil du canton de Vaud, sur recours en grâce du condamné, a remis partiellement la peine prononcée le 27 juin 1956 "en ce sens qu'il est sursis à son exécution pendant
BGE 84 IV 139 S. 140
un délai d'épreuve expirant le 27 juin 1959", date à laquelle aurait pris fin le premier sursis accordé par le juge pénal. L'exécution était confiée au Conseil d'Etat (art. 70 dernier al. de la loi sur le Grand Conseil du 17 décembre 1947 et 472 PP du 3 septembre 1940).
Le 30 janvier 1958, le Tribunal de police de Genève a condamné Ronc à un mois d'emprisonnement avec sursis pendant cinq ans et au paiement d'une amende de 250 fr. pour une infraction commise le 21 novembre 1957.
B.-
Le 28 mai 1958, le Président du Tribunal du district de Nyon a révoqué "le sursis accordé ... par jugement du 27 juin 1956, selon décret du Grand Conseil du 3 septembre 1957". Cette décision a été confirmée le 20 août suivant par la Cour de cassation vaudoise.
C.-
Ronc s'est pourvu en nullité à la cour de céans. Le Ministère public propose de rejeter le pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Des reproches fondés sur la violation de la constitution fédérale ne peuvent faire l'objet d'un pourvoi en nullité (art. 269 al. 2 PPF). Dans la mesure où le recourant se réfère aux art. 5, 64bis et 114 de la loi fondamentale, il n'y a pas lieu d'entrer en matière.
2.
Suivant l'arrêt attaqué, la suspension accordée par le Grand Conseil vaudois sur recours en grâce ne diffère pas de la mesure régie par l'art. 41 ch. 1 CP; l'autorité législative n'a donc fait, le 3 septembre 1957, que rétablir le sursis ordinaire révoqué le 21 mai; la grâce étant un moyen extraordinaire d'octroi du sursis, la révocation de la mesure de clémence reste toujours l'apanage du juge pénal en vertu du droit fédéral (art. 41 ch. 3 CP). L'opinion de la juridiction cantonale et les conséquences qu'elle en tire sont erronées.
3.
Il est faux, d'abord, qu'un sursis révoqué puisse renaître. Seule une nouvelle mesure de suspension est possible. Celle que le Grand Conseil a prise, le 3 septembre 1957, constituait-elle un sursis au sens de l'art. 41 ch. 1 CP?
BGE 84 IV 139 S. 141
Le texte même de cette disposition commande une réponse négative. En effet, elle habilite uniquement le juge à ordonner la suspension qu'elle prévoit. Par conséquent une mesure décidée par une autorité législative est nécessairement autre chose.
On objecterait à tort que, par sa nature et ses effets, la grâce est assimilable au sursis, de sorte que l'art. 41 CP s'applique par analogie à la première. Tout acte de grâce au sens large (grâce, abolition, amnistie) s'écarte de la fonction normale du droit pénal et rompt avec ses principes. En y procédant, la puissance publique se met en opposition consciente avec la loi ordinaire. Elle modère, par équité, la sanction pénale en accomplissant un acte qui se situe naturellement hors des lois qui la prévoient (HAFTER, Lehrbuch, Allgem. Teil, p. 441, 325; JZ 16, 144). Il suit de là que le souverain ne prend pas la mesure de clémence au cours d'une procédure de caractère pénal et qu'il exerce très généralement le droit de grâce par l'intermédiaire des autorités politiques, assemblées législatives ou gouvernement. Cette différence de nature ressort déjà d'un arrêt ancien (RO 29 I 316); dans une cause ressortissant à la juridiction de la Confédération et dont le Conseil fédéral avait délégué l'instruction et le jugement aux autorités cantonales en application de l'art. 125 de la loi d'organisation judiciaire du 22 mars 1893, la délégation "ne peut s'étendre", dit le Tribunal fédéral, à l'exercice du droit de grâce, réservé à l'Assemblée fédérale. Le Conseil fédéral a de même rappelé (FF 1921 II 369) que seule l'autorité fédérale compétente pouvait accorder la grâce dans les causes de droit fédéral jugées par les cantons, même lorsque l'exécution de la peine relevait des autorités cantonales en vertu de l'art. 146 OJ alors en vigueur; grâce et exécution, dit-il, sont deux notions contradictoires: celle-ci ne peut changer un "iota" au jugement; si cela paraît désirable, on a recours à la première institution qui est renoncement à la seconde; la grâce, c'est le pardon.
BGE 84 IV 139 S. 142
Au sens strict, en effet, la puissance publique, en exerçant le droit de grâce, renonce à l'exécution d'une peine prononcée par un jugement passé en force (art. 396 al. 1 CP; HAFTER, op.cit. p. 441). Il s'ensuit que la faveur ne peut s'appliquer, en règle générale, qu'à une peine non encore subie, que la rémission ainsi ordonnée équivaut à un accomplissement datant du jour où la grâce est prononcée (RO 49 I 207), et que l'infraction - et le jugement pénal qui l'a réprimée - subsistent intégralement (HAFTER, op.cit. p. 445 ch. 4; BOUZAT, Traité, 1951, p. 529). Selon l'arrêt RO 80 IV 11-12, la grâce, conditionnelle ou non, n'annule pas le jugement qui subsiste au casier judiciaire; elle signifie simplement qu'on renonce à son exécution (conditionnellement ou non) ... L'art. 396 CP, qui définit les effets de la grâce, dispose seulement que les peines prononcées par un jugement passé en force peuvent être remises, totalement ou partiellement, ou commuées en des peines plus douces; il ne prévoit pas que le jugement comme tel puisse être annulé en tout ou en partie ou modifié par l'autorité investie du droit de grâce. En vertu de l'art. 9 ch. 7o litt. d de l'ordonnance du 14 novembre 1941 sur le casier judiciaire, la grâce est inscrite comme une mesure concernant "l'exécution de la peine". Celui, enfin, qui commet une nouvelle infraction pour laquelle il est condamné à une peine d'emprisonnement ou de réclusion dans les cinq ans après avoir bénéficié d'une mesure de grâce est considéré comme un récidiviste, car la loi assimile, là encore, la remise par voie de grâce à l'exécution (art. 67 ch. 1 al. 2 et 81 al. 1 CP; voir CLERC, RPS 1958 p. 110-111, où la règle est appliquée au sursis).
Il est significatif qu'avant d'être réglée, dans ses grandes lignes et sous réserve des dispositions complémentaires fédérales et cantonales, par le Code pénal, l'institution était régie par la loi de procédure (
art. 169 à 174
PPF du 27 août 1851, abrogée par l'art. 342 PPF du 15 juin 1934 - un vide s'est produit, sur le plan fédéral, de 1935 à 1942). Si l'Etat fédéral, à qui compètent en principe le droit de
BGE 84 IV 139 S. 143
légiférer et le droit de grâce en matière de droit pénal, a édicté les
art. 394 à 396
CP, c'est qu'il voulait se décharger de certains cas de grâce mais entendait, néanmoins, fixer des règles essentielles et assurer une égalité minimum des justiciables. On ne peut en tirer la conséquence qu'il ait voulu transformer la grâce en une institution de droit pénal (contra: CLERC, op.cit. p. 112 sv.). Il paraît, au contraire, certain que la grâce, telle qu'elle vient d'être décrite dans sa nature et ses effets essentiels, est une mesure sui generis foncièrement différente de celles qui ressortissent normalement au juge de répression appliquant le droit pénal et dont fait partie la suspension de l'exécution prévue dans un jugement (art. 41 CP).
4.
A ces différences s'en ajoute une autre qui tient à la situation de l'autorité qui prend la mesure. Cette autorité peut fixer le contenu et la portée de la grâce d'une manière discrétionnaire (art. 396 al. 2 CP; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, p. 194). La loi, notamment, ne subordonne pas la mesure aux conditions fixées pour l'octroi du sursis (art. 41 CP). Certes, rien n'empêche l'autorité compétente, usant de son pouvoir discrétionnaire, d'accorder la grâce conditionnellement et d'impartir un délai d'épreuve (cf. la pratique des autorités fédérales, sporadique d'abord: FF 1897 IV 1, puis généralisée dès 1920: FF 1921 II 403, ..., 1952 II 13, 26, 34, 185, 187;
1953 III 452
, 465, 480, 651 - Rapports du Conseil fédéral 1922, 400; 1945, 245 - SJZ 18.12, 22. 65 - LÜTHI, SJZ 20.5). Le texte de la loi ne prévoit pas directement cette possibilité; elle n'est toutefois qu'une façon de rendre bénigne l'exécution de la peine; on ne voit pas pourquoi elle heurterait le droit puisque celui-ci permet une rémission totale. Un projet de loi fédérale du 3 juillet 1906 réglementait expressément la grâce conditionnelle en son art. 8 (FF 1906 IV 299); il est resté lettre morte. Cette mesure s'est néanmoins imposée à une époque où le sursis n'existait pas en droit fédéral (CP du 4 février 1853). L'art. 7 al. 1 de l'ordonnance sur le casier judiciaire la
BGE 84 IV 139 S. 144
mentionne. La doctrine dominante l'admet (SCHWANDER, p. 194; HAFTER, p. 444; THORMANN/OVERBECK, ad art. 396 note 5; CLERC, op.cit. p. 109 i.f.; BOUZAT, p. 531), même celle antérieure au code pénal (STOCKER, Das schweiz, Begnadigungsrecht, 1901, p. 43 ss.; BRUNNER, Die Begnadigung nach eidg. Recht und dem Entwurf eines schweiz. StrGB, p. 64 ss.). L'arrêt RO 80 IV 11, enfin, la consacre d'un mot.
Il arrive que les termes employés, la fixation d'un délai d'épreuve expirant le jour où eût dû prendre fin celui d'un premier sursis révoqué, et les conditions mises à l'octroi de la mesure de grâce (FF 1953 III 651) confèrent à cette dernière l'aspect du sursis. C'est le cas en l'espèce. Cette ressemblance extérieure favorise assurément les risques de confusion; mais elle n'affecte en rien la nature des deux institutions qui, on l'a vu, sont essentiellement différentes. Le législateur lui-même, à l'art. 7 al. 1 OCJ, précise qu'en cas de grâce l'autorité cantonale préposée au casier judiciaire doit aussi communiquer les crimes ou délits commis par négligence (qui pourraient entraîner la révocation de la mesure); cette règle spéciale suppose que les conditions de la révocation du sursis (art. 41 ch. 3 CP) ne valent pas en cas de grâce conditionnelle, seule l'infraction intentionnelle y étant prise en considération. D'ailleurs, si un expert a exprimé, au cours des travaux préparatoires, des réserves quant à cette modalité de la mesure de clémence, c'est précisément par peur qu'elle ne crée une confusion (erronée) avec des institutions telles que le sursis et la libération conditionnelle (ZÜRCHER, Procès-verbal de la IIe commission d'experts, vol. IX p. 296; BRUNNER, op.cit. p. 64). Le Conseil fédéral, enfin, ayant à traiter de la question, a tenu à distinguer rigoureusement grâce et sursis (Rapport de 1933, II 711-712).
5.
C'est donc à tort que la Cour cantonale a estimé que la révocation de la grâce conditionnelle - accordée par décret du Grand Conseil du 3 septembre 1957 - relevait exclusivement du juge pénal en vertu de l'art. 41
BGE 84 IV 139 S. 145
ch. 3 CP et qu'elle était réglée par cette disposition. L'art. 394 litt. b CP, d'ailleurs, selon lequel le droit cantonal prescrit l'autorité compétente pour "exercer" le droit de grâce, ne limite pas les mesures qui rentrent dans l'"exercice" de ce droit; la révocation en est une, incontestablement.
La juridiction vaudoise, à laquelle la cause doit être renvoyée, dira quelle est l'autorité compétente en vertu du droit cantonal. Même si elle décidait que c'est le juge, l'art. 41 ch. 3 CP n'entrerait pas en considération. Supposé que l'autorité compétente s'en tienne néanmoins aux conditions énoncées par cette disposition, elle ne saurait appliquer cette dernière qu'à titre de droit cantonal supplétif.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause à la juridiction cantonale pour qu'elle statue à nouveau. | null | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d32b2b78-cb92-4bd8-bc8f-52476210dd93 | Urteilskopf
125 II 56
6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. August 1998 i.S. André Thalmann gegen Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Berufsausübungsbewilligung für ausserkantonale Rechtsanwälte; Kosten des Zulassungsentscheids (Art. 2 ÜbBest. BV; Art. 4 Binnenmarktgesetz, BGBM).
Überblick über die interkantonale Freizügigkeit der Anwälte (E. 3).
Die ausserkantonale Anwaltstätigkeit ist auch unter der Herrschaft des Binnenmarktgesetzes bewilligungspflichtig. Der Freizügigkeitskanton kann ein formelles Bewilligungsverfahren (Zulassungsverfahren) vorsehen. Dieses muss jedoch von Bundesrechts wegen (vgl.
Art. 4 Abs. 2 BGBM
) in aller Regel einfach, rasch und kostenlos sein (E. 4-6). | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 125 II 56 S. 57
Die Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Luzern erteilte Rechtsanwalt André Thalmann mit Beschluss vom 29. Dezember 1997 auf Grund des Fähigkeitszeugnisses des Kantons Zürich die Berufsausübungsbewilligung für den Kanton Luzern. Sie erhob dafür eine "Verwaltungsgebühr" von Fr. 250.-. Das nachträgliche Gesuch, auf diese Gebühr zu verzichten, weil das Bewilligungsverfahren gemäss
Art. 4 Abs. 2 BGBM
(Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt, Binnenmarktgesetz; SR 943.02) kostenlos sein müsse, lehnte die Verwaltungskommission am 8. Januar 1998 ab.
André Thalmann hat staatsrechtliche Beschwerde erhoben und beantragt, den Beschluss vom 29. Dezember 1997 insoweit aufzuheben, als ihm eine Verwaltungsgebühr auferlegt werde. Er rügt eine Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV).
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, durch die angefochtene Verfügung habe ihm das Obergericht zwar den freien Zugang zum luzernischen Anwaltsmarkt gewährt, doch hätte dies gemäss
Art. 4 Abs. 2 BGBM
in einem kostenlosen Verfahren erfolgen müssen. Das Binnenmarktgesetz sehe keine Ausnahme von der Kostenlosigkeit vor; insbesondere sei auch die Erhebung von Kanzleigebühren oder die Belastung von Barauslagen bundesrechtswidrig. Das rechtfertige sich im vorliegenden Fall umso mehr, als das Erfordernis eines formellen Zulassungsverfahrens nach
Art. 4 Abs. 1 BGBM
ohnehin zweifelhaft erscheine. Bestehe ein Kanton auf einem solchen Verfahren, habe er auch die entsprechenden Kosten zu tragen. Die Bestimmungen des luzernischen Rechts, auf die sich die angefochtene
BGE 125 II 56 S. 58
Verfügung stütze, seien somit bundesrechtswidrig und verstiessen deshalb gegen Art. 2 ÜbBest. BV.
Das Obergericht hat in der Vernehmlassung vom 9. März 1998 seine (alte und neue) Praxis ausführlich dargelegt und begründet: Bis zum Bekanntwerden des bundesgerichtlichen Urteils vom 30. Mai 1997 i.S. Häberli (
BGE 123 I 313
ff.) sei es davon ausgegangen, beim kantonalen Feststellungsentscheid, dass sämtliche Voraussetzungen zur anwaltlichen Berufsausübung im Kanton Luzern erfüllt seien, handle es sich um eine gebührenpflichtige Polizeierlaubnis. Es habe deshalb die Gebühr jeweils unter Berücksichtigung der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Sache sowie der aufgewendeten Arbeit nach Ermessen festgesetzt; für eine allgemeine Berufsausübungsbewilligung habe es eine Gebühr von Fr. 500.-- als angemessen erachtet. Aus den Erwägungen in jenem Bundesgerichtsentscheid habe es dann schliessen müssen, dass eine solche Bewilligungsgebühr nach der höchstrichterlichen Auslegung des Binnenmarktgesetzes nicht mehr zulässig sei. Als Folge werde auf diese Gebühr fortan verzichtet. Dem Beschwerdeführer sei eine "reine Verwaltungsgebühr" von Fr. 250.-- als Entschädigung für das von ihm veranlasste staatliche Handeln in Rechnung gestellt worden. Ein derartiger Aufwandersatz habe vor der ratio legis des Binnenmarktgesetzes Bestand und widerspreche auch nicht dem erwähnten Bundesgerichtsurteil.
b) Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (
BGE 123 I 313
E. 2b S. 316 f., mit Hinweis).
c) Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass sich die umstrittene Verwaltungsgebühr auf das luzernische Anwaltsgesetz (vom 30. November 1981) und die Kostenverordnung des Obergerichts (vom 10. Juni 1991) stütze. Demgegenüber wird in der Vernehmlassung des Obergerichts das luzernische Gebührengesetz vom 14. September 1993, das nach seinem § 1 Abs. 2 auch auf die Verwaltungstätigkeit der Gerichte anwendbar ist, als formelle Grundlage für die erhobene Gebühr bezeichnet. Vorliegend geht es indessen nicht in erster Linie darum, die eine oder andere dieser kantonalen Normen (vorfrageweise) auf ihre Übereinstimmung mit dem Bundesrecht
BGE 125 II 56 S. 59
zu prüfen. Der Beschwerdeführer bestreitet vielmehr generell die Kostenpflicht für den Zulassungsentscheid und bezweifelt die Zulässigkeit des kantonalen Bewilligungsverfahrens überhaupt. Zu beantworten ist deshalb die Grundsatzfrage, ob ein formelles Bewilligungsverfahren für die Zulassung eines ausserkantonalen Anwalts und die Erhebung einer Verwaltungsgebühr für den entsprechenden Zulassungsentscheid mit dem Binnenmarktgesetz vereinbar sind.
3.
a) Die interkantonale Freizügigkeit der Anwälte wird, da eine spezielle bundesrechtliche Regelung bis heute fehlt (vgl.
Art. 33 Abs. 2 BV
), durch Art. 5 ÜbBest. BV garantiert. Danach berechtigt der in einem Kanton erlangte Fähigkeitsausweis den Inhaber, den Anwaltsberuf in der ganzen Eidgenossenschaft auszuüben; dazu muss der kantonale Fähigkeitsausweis allerdings den von der Rechtsprechung festgelegten Mindestanforderungen genügen (vgl.
BGE 111 Ia 108
E. 2 S. 111 f.). Diese Freizügigkeitsgarantie erstreckt sich nach der bundesgerichtlichen Praxis auf die beruflichen Fachkenntnisse, belässt den Kantonen aber die Kompetenz zu prüfen, ob die nach ihren Vorschriften erforderlichen weiteren Voraussetzungen für die Zulassung zum Anwaltsberuf erfüllt sind (
BGE 119 Ia 35
E. 1 S. 37, 374 E. 2 S. 375 f., je mit Hinweisen). Die persönlichen Voraussetzungen können von Kanton zu Kanton verschieden sein, sie dürfen jedoch auf Grund von Art. 5 ÜbBest. BV nicht zu einer diskriminierenden Behandlung ausserkantonaler Anwälte führen (
BGE 122 I 109
E. 4b S. 117, mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 112 Ia 318
ff.,
BGE 119 Ia 35
ff.). Die bundesverfassungsrechtliche Freizügigkeitsgarantie entbindet Anwälte, die in einem andern Kanton ihren Beruf ausüben wollen, nicht davon, dort um eine entsprechende Bewilligung nachzusuchen (
BGE 67 I 332
ff.). Dabei müssen sie anhand geeigneter Dokumente belegen, dass sie die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen des Aufnahmekantons (im folgenden auch: Freizügigkeitskanton) erfüllen. Für den Zulassungsentscheid können die Kantone eine angemessene Gebühr erheben (
BGE 75 I 114
ff.; vgl. zum ganzen: FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 76 ff.).
b) Die geltende bundesrechtliche Ordnung der (interkantonalen) Freizügigkeit für Anwälte, insbesondere das System der Bewilligungsverfahren, wird in der Praxis als bürokratisch und unbefriedigend empfunden (FRITZ ROTHENBÜHLER, Freizügigkeit für Anwälte, Diss. Freiburg 1995, S. 221 ff.; ROLF P. JETZER/GAUDENZ G. ZINDEL/SALVATORE PETRALIA, Freizügigkeit der Rechtsanwälte in der
BGE 125 II 56 S. 60
EU unter Berücksichtigung der Entwicklungen in der Schweiz, in: SJZ 93 (1997) S. 174; HANS NATER, Zur Freizügigkeit der Rechtsanwälte in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung des GATS, in: SJZ 91 (1995) S. 89 f.). Zurzeit wird ein Bundesgesetz vorbereitet, das die Freizügigkeit der Anwälte innerhalb der Schweiz erleichtern soll. Ein System mit kantonalen Anwaltsregistern soll die heutigen kantonalen Bewilligungsverfahren für die Berufsausübung ersetzen: Wer in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen ist, soll seinen Beruf (im Monopolbereich, d.h. als Parteivertreter vor Gerichtsbehörden) inskünftig ohne weitere Formalitäten oder Bewilligungen auf dem ganzen Gebiet der Schweiz ausüben können. Das Gesetz legt die minimalen fachlichen und persönlichen Anforderungen fest, die für den Eintrag in ein kantonales Anwaltsregister erforderlich sind und entsprechend von den Kantonen für die Anerkennung der Anwaltspatente anderer Kantone höchstens verlangt werden dürfen (vgl. im Einzelnen Vorentwurf des EJPD vom 16. April 1997 ["Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte", Anwaltsgesetz; BGFA] und dazugehörigen erläuternden Bericht, insbesondere Ziffn. 232.1, 232.2, 232.4 und 232.5).
c) Am 1. Juli 1996 ist das Binnenmarktgesetz in Kraft getreten. Dieses Gesetz, auf das sich auch Anwälte berufen können (
BGE 123 I 313
E. 4a S. 320; DOMINIQUE DREYER, L'avocat dans la société actuelle, in: ZSR 115 (1996), II. Halbband, S. 397 ff., insbesondere S. 422), gewährleistet für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz den freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt (
Art. 1 Abs. 1 BGBM
). TOMAS POLEDNA (Anwaltsmonopol und Zulassung zum Anwaltsberuf, in: Schweizerisches Anwaltsrecht, Festschrift SAV, Bern 1998, S. 89 ff., insbesondere S. 101) vertritt die Auffassung, das Binnenmarktgesetz garantiere nunmehr die Freizügigkeit für Anwälte in dem Sinn, dass zur Ausübung der Anwaltstätigkeit ausserhalb des Domizilkantons keine formelle Bewilligung mehr nötig sei; vielmehr dürften die Kantone lediglich noch eine "formlose Anzeigepflicht bei erstmaligem Tätigwerden" verlangen. Gemäss DREYER (a.a.O., S. 438 ff.) würde eine Überprüfung der Zulassungsvoraussetzungen durch den Aufnahmekanton ("une procédure de contrôle préalable", "un contrôle préventif") dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich widersprechen. Das Bundesgericht hat die Frage, ob der ausserkantonale Anwalt einer förmlichen Bewilligung bedürfe, bisher offen gelassen (
BGE 123 I 313
E. 4d S. 322).
BGE 125 II 56 S. 61
4.
a) Wer in einem Kanton zur Ausübung des Anwaltsberufs zugelassen ist, hat gemäss
Art. 2 Abs. 1 BGBM
das Recht, seine Dienstleistung auf dem gesamten Gebiet der Schweiz anzubieten. Das bedeutet indessen nicht, dass die ausserkantonale Anwaltstätigkeit damit nicht mehr bewilligungspflichtig wäre. Vielmehr liegt diese auch unter der Herrschaft des Binnenmarktgesetzes immer noch in der grundsätzlichen Bewilligungskompetenz des Freizügigkeitskantons: Der Freizügigkeitskanton erteilt die Bewilligung zur Berufsausübung auf seinem Gebiet. Er kann vorgängig überprüfen, ob der betreffende ausserkantonale Anwalt die Berufsausübungsbewilligung für den Domizilkanton - Grundvoraussetzung für die binnenmarktgesetzliche Freizügigkeit - (noch) besitzt. Er kann ferner prüfen, ob der betreffende ausserkantonale Fähigkeitsausweis den Mindestanforderungen an einen freizügigkeitstauglichen Ausweis (vgl.
BGE 111 Ia 108
ff.) und gegebenenfalls den nach seinem eigenen Recht geltenden, nach Massgabe von
Art. 3 BGBM
zulässigen Beschränkungen entspricht (vgl. unten E. 4b). Weiter kann er die Bewilligung davon abhängig machen, dass der ausserkantonale Anwalt auch die zusätzlichen persönlichen Voraussetzungen erfüllt, die der Domizilkanton allenfalls nicht kennt (vgl. unten E. 4b). Schliesslich entscheidet der Freizügigkeitskanton - im Rahmen seiner Disziplinarbefugnis - ebenfalls über die Verweigerung und den Entzug der Bewilligung (vgl.
BGE 123 I 313
E. 4d S. 322). Wenn der Aufnahmekanton die Zulassungsvoraussetzungen im umschriebenen Sinn überprüft, nimmt er also lediglich seine Bewilligungskompetenz wahr, und das widerspricht dem Willen des Gesetzgebers nicht.
b) In der Praxis dürfte freilich seit dem Inkrafttreten des Binnenmarktgesetzes nur noch in seltenen Fällen Anlass für eine umfassende Überprüfung der Zulassungsvoraussetzungen bestehen.
Betreffend die Anerkennung des ausserkantonalen Fähigkeitsausweises bestimmt
Art. 4 Abs. 1 BGBM
, dass der vom Zulassungskanton erteilte oder anerkannte Ausweis auch in andern Kantonen gilt, sofern er nicht Beschränkungen nach
Art. 3 BGBM
unterliegt. Solche Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie gleichermassen für ortsansässige Personen gelten, zur Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen unerlässlich und verhältnismässig sind (Abs. 1) und zudem kein verdecktes Handelshemmnis zu Gunsten einheimischer Wirtschaftsinteressen beinhalten (Abs. 4). Besondere Zugangsbeschränkungen bezüglich der Fähigkeitsausweise für Anwälte sind kaum noch denkbar, seitdem die
BGE 125 II 56 S. 62
Mindestanforderungen an einen nach Art. 5 ÜbBest. BV freizügigkeitstauglichen Ausweis vom Bundesgericht festgelegt wurden (
BGE 111 Ia 108
ff.; vgl. aber immerhin
Art. 3 Abs. 2 lit. e BGBM
: Anforderungen "zur Gewährleistung eines hinreichenden Ausbildungsstandes"). Nach der binnenmarktgesetzlichen Freizügigkeitskonzeption wird denn auch Gleichwertigkeit der kantonalen Fähigkeitsausweise vermutet (vgl. bundesrätliche Botschaft zum Binnenmarktgesetz, in: BBl 1995 I 1214 f., 1266 f.).
Diese Vermutung gilt ebenfalls in Bezug auf die persönlichen Voraussetzungen. Es darf angenommen werden, dass sich etwa die Anforderungen an die Ehrenhaftigkeit und Vertrauenswürdigkeit von Kanton zu Kanton nicht wesentlich unterscheiden (vgl. WOLFFERS, a.a.O., S. 72). So erklärte das Bundesgericht kürzlich das bernische Recht als mit dem Binnenmarktgesetz nicht vereinbar, soweit es die Zulassung ausserkantonaler Anwälte, die den entsprechenden Nachweis bereits in ihrem Domizilkanton erbracht haben, von der Einreichung eines Leumundszeugnisses und eines Strafregisterauszugs abhängig macht (
BGE 123 I 313
E. 4 S. 320 ff.). Der ausserkantonale Anwalt ist deshalb - nach der allgemeinen Regel des
Art. 2 BGBM
- ohne weitere Prüfung der persönlichen Voraussetzungen zur Berufsausübung zuzulassen, falls er die Anforderungen des Domizilkantons erfüllt und soweit diese mit jenen im Aufnahmekanton vergleichbar sind. Raum für eine Überprüfung bleibt somit nur ausnahmsweise, nämlich dort, wo der Aufnahmekanton abweichende oder zusätzliche Erfordernisse aufstellt. Spezielle Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs kennen beispielsweise der Kanton Waadt, der den Eintrag ins kantonale Anwaltsregister vorschreibt (vgl. Art. 6 Abs. 2 des waadtländischen Anwaltsgesetzes vom 22. November 1944), oder der Kanton Wallis, der den Abschluss einer "ausreichenden Haftpflichtversicherung" verlangt (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e des Walliser Anwaltsgesetzes vom 29. Januar 1988). Ob diese Zugangsbeschränkungen nach Massgabe von
Art. 3 BGBM
zulässig sind (kritisch dazu DREYER, a.a.O., Ziff. 3.2.2. S. 438 ff.), ist vorliegend nicht zu entscheiden.
5.
a) Die Regelung der Modalitäten für die Zulassung ausserkantonaler Anwälte liegt in der Kompetenz des Freizügigkeitskantons: er kann auf ein Bewilligungsverfahren überhaupt verzichten und lediglich eine Anzeigepflicht bei erstmaligem Tätigwerden vorschreiben; er kann die Berufsausübungsbewilligung formfrei erteilen oder aber in einem förmlichen Verfahren. An der grundsätzlichen
BGE 125 II 56 S. 63
Verfahrenshoheit der Kantone hat auch das Binnenmarktgesetz nichts geändert. Insbesondere verschafft
Art. 4 Abs. 1 BGBM
, entgegen der in der Beschwerdeschrift und von POLEDNA (a.a.O., S. 101) geäusserten Meinung, dem ausserkantonalen Anwalt keinen Rechtsanspruch darauf, seine Tätigkeit ohne formelle Bewilligung ausüben zu dürfen oder die benötigte Bewilligung ohne förmliches Verfahren zu erhalten. Die Bewilligungspraxis der Kantone kennt, wie die vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen zeigen, vielfältige und unterschiedliche Formen: sie reichen von ausformulierten Verfügungen oder Beschlüssen bis hin zu dem direkt auf dem Gesuch angebrachten schlichten Genehmigungsvermerk. Obschon sich der Freizügigkeitskanton auch mit einer blossen Anzeigepflicht begnügen könnte, ist doch nicht zu übersehen, dass das Bewilligungsverfahren, mag es auch von Anwälten bereits als Zugangsschranke empfunden werden, wenigstens de lege lata durchaus den Interessen der Beteiligten dient: so ermöglicht die förmliche Bewilligung dem ausserkantonalen Anwalt nicht zuletzt, sich - wo erforderlich - gegenüber Gerichts- und Verwaltungsbehörden des Aufnahmekantons auf einfache Weise (durch Vorlegen des Zulassungsentscheids) zu legitimieren.
b) Von Bundesrechts wegen eingeschränkt wird die umschriebene Verfahrenshoheit des Freizügigkeitskantons insofern, als bei Beschränkungen nach
Art. 3 BGBM
die betroffene Person Anspruch darauf hat, dass in einem einfachen, raschen und kostenlosen Verfahren geprüft wird, ob ihr aufgrund ihres Fähigkeitsausweises der freie Zugang zum Markt zu gewähren ist oder nicht (
Art. 4 Abs. 2 BGBM
). Dabei gelten diese bundesrechtlichen Vorgaben - über den Gesetzeswortlaut hinaus - für das Bewilligungsverfahren schlechthin. Der in der Vernehmlassung des Obergerichts vertretenen Auffassung, wonach ein kostenloses Verfahren nur für den Sondertatbestand vorgesehen sei, dass tatsächlich Beschränkungen des freien Zugangs zum Markt in Aussicht genommen würden und deshalb weitere Abklärungen erforderlich seien, kann nicht gefolgt werden: Zum einen widerspricht eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck des Binnenmarktgesetzes, das gewährleistet, dass die Berechtigten für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz "freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt" haben (
Art. 1 BGBM
). Zum andern würde sie zum unvernünftigen Ergebnis führen, dass einem ausserkantonalen Anwalt keine Verfahrenskosten auferlegt werden dürften, wenn seine Zulassung Anlass zu einem eigentlichen Überprüfungsverfahren
BGE 125 II 56 S. 64
gibt, er aber immer dann mit Kosten (sei es auch in Form einer Verwaltungs- oder Kanzleigebühr) rechnen muss, wenn die förmliche Bewilligung ohne weitere Abklärungen und damit ohne nennenswerten Aufwand für den Aufnahmekanton erteilt wird. Vom Grundsatz der Kostenlosigkeit kann deshalb nur ausnahmsweise abgewichen werden, etwa, wenn der betreffende Gesuchsteller rechtsmissbräuchlich handelt oder wegen mangelhafter Mitwirkung unnötige Kosten verursacht (
BGE 123 I 313
E. 5 S. 323 f.).
Die Bewilligungspraxis der Kantone entspricht schon heute grossmehrheitlich der vom Bundesgericht mit dem vorliegenden Urteil sanktionierten Rechtsauffassung: Neben den Berufsausübungsbewilligungen des Domizilkantons (Zürich) und des Kantons Luzern ("Verwaltungsgebühr" von Fr. 250.--) befinden sich noch weitere 18 Bewilligungen bei den Akten; diese wurden von 16 Kantonen kostenlos erteilt, während der Kanton Uri eine "Kanzleigebühr" (Fr. 20.--) erhob und der Kanton Wallis seine "Auslagen" (Fr. 7.60) in Rechnung stellte.
6.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die ausserkantonale Anwaltstätigkeit auch unter der Herrschaft des Binnenmarktgesetzes der Bewilligungspflicht untersteht und dass der Freizügigkeitskanton hierfür ein formelles Bewilligungsverfahren (Zulassungsverfahren) vorsehen kann. Dieses muss jedoch von Bundesrechts wegen in aller Regel einfach, rasch und kostenlos sein (vgl.
Art. 4 Abs. 2 BGBM
).
Aus dem Gesagten folgt, dass vorliegend die Verwaltungskommission des Luzerner Obergerichts für den Zulassungsentscheid keine Kosten hätte erheben dürfen, auch nicht unter dem Titel einer "reinen Verwaltungsgebühr". Dass der Beschwerdeführer rechtsmissbräuchlich gehandelt oder unnötige Kosten verursacht hätte, wird nicht geltend gemacht. Weil aber das Verfahren von Gesetzes wegen kostenlos sein muss, ist ohne Belang, dass die umstrittene Verwaltungsgebühr von Fr. 250.-- dem massgeblichen Aufwand der Behörde entsprochen hat, wie in der Vernehmlassung geltend gemacht wird. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d32f8101-9f5e-4db7-b539-a421aff68873 | Urteilskopf
102 Ib 21
5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1976 i.S. Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG gegen Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements des Kantons Wallis | Regeste
Handelsregister. Herabsetzung des Grundkapitals. Irrtum.
Ist die Erhöhung des Grundkapitals in das Handelsregister eingetragen worden, so sind die zur Liberierung der Aktien verwendeten Beträge auch Dritten gegenüber Teil des Grundkapitals und können daher nur im Verfahren gemäss Art. 732 f. OR wieder den Reserven zugeschlagen werden (Erw. 2).
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
. Der Irrtum der Aktionäre über die Besteuerung von Gratisaktien als Einkommen betrifft nur den Beweggrund (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 102 Ib 21 S. 22
A.-
Die Aktionäre der Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG beschlossen am 5. September 1975 in einer Universalversammlung, das Grundkapital der Gesellschaft von Fr. 185'000.-- durch Ausgabe von 315 Namenaktien zu Fr. 1'000.-- auf Fr. 500'000.-- zu erhöhen und die neuen Aktien aus offenen Reserven zu liberieren. Der Beschluss wurde am 19. September 1975 in das Handelsregister eingetragen und am 30. September 1975 im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlicht.
Der Berater der Aktionäre soll kurz nachher festgestellt haben, dass sie die gratis übernommenen neuen Aktien als Einkommen versteuern müssten. Eine Universalversammlung vom 2. Dezember 1975 liess daher öffentlich beurkunden, die Kapitalerhöhung vom 5. September sei für die Aktionäre in Unkenntnis der steuerrechtlichen Folgen beschlossen worden;, sie werde rückgängig gemacht und das Grundkapital bleibe auf der Höhe von Fr. 185'000.--.
B.-
Das Handelsregisteramt Oberwallis lehnte die Eintragung dieses Beschlusses am 22. Dezember 1975 mit der Begründung ab, das Grundkapital könne nur im Verfahren gemäss
Art. 732 ff. OR
auf den früheren Betrag von Fr. 185'000.-- herabgesetzt werden.
Eine von der Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG geführte Beschwerde wurde vom Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes des Kantons Wallis am 30. Januar 1976 abgewiesen.
C.-
Die Schnydrig Hoch- und Tiefbau AG führt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, ihn aufzuheben und den Handelsregisterführer anzuweisen, den Widerruf des Beschlusses auf Kapitalerhöhung einzutragen.
Der Vorsteher des kantonalen Justiz- und Polizeidepartementes und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerdeführerin betrachtet den Beschluss vom 5. September 1975 als gültig angemeldet und eingetragen. Sie hat ihn am 2. Dezember 1975 durch einen neuen Beschluss förmlich "rückgängig gemacht", Art. 3 der Statuten entsprechend geändert und den neuen Beschluss zur Eintragung angemeldet.
BGE 102 Ib 21 S. 23
Die vom Bundesgericht am 11. Februar 1975 i.S. Höchst Aktiengesellschaft gegen Amt für geistiges Eigentum offengelassene Frage, ob eine gegenüber einer Registerbehörde abgegebene Erklärung - es handelte sich um den Rückzug eines Patentgesuches - unter Berufung auf Irrtum widerrufen werden könne, stellt sich daher nicht. Vielmehr ist zu entscheiden, ob die
Art. 732-735 OR
und
Art. 84 HRegV
nicht beachtet zu werden brauchen, wenn das Grundkapital einer Aktiengesellschaft nur deshalb herabgesetzt wird, weil eine vorausgegangene Erhöhung um den gleichen Betrag unter wesentlichem Irrtum zustande gekommen ist.
2.
Der Wortlaut der erwähnten Bestimmungen spricht für die Verneinung dieser Frage. Nach
Art. 732 Abs. 1 OR
braucht das für die Herabsetzung vorgesehene Verfahren nicht eingehalten zu werden, wenn eine Gesellschaft das Grundkapital herabsetzt und es gleichzeitig durch neues und voll einzubezahlendes Kapital ersetzt. Das ist zulässig, weil die Interessen der bisherigen Gläubiger nicht beeinträchtigt werden.
Die
Art. 732 ff. OR
bezwecken den Schutz der Gläubiger. Das ergibt sich nicht nur aus Abs. 1 des
Art. 732 OR
, sondern auch aus Abs. 2, wonach der Beschluss auf Herabsetzung des Grundkapitals nur gefasst werden darf, wenn durch einen besonderen Revisionsbericht festgestellt ist, dass die Forderungen der Gläubiger trotz der Herabsetzung des Kapitals voll gedeckt sind. Der gleiche Gedanke spricht aus Art. 732 Abs. 4, wonach ein aus der Kapitalherabsetzung allfällig sich ergebender Buchgewinn ausschliesslich zu Abschreibungen zu verwenden ist. Der Zweck des Gläubigerschutzes erhellt sodann namentlich aus Art. 733, der die Verwaltung verpflichtet, den Herabsetzungsbeschluss dreimal im Schweizerischen Handelsamtsblatt zu veröffentlichen und den Gläubigern bekanntzugeben, dass sie unter Anmeldung ihrer Forderungen Befriedigung oder Sicherstellung verlangen können, sowie aus
Art. 734 OR
, wonach die Herabsetzung des Grundkapitals erst nach Ablauf der den Gläubigern gesetzten Frist von zwei Monaten und nach der Befriedigung oder Sicherstellung der angemeldeten Gläubiger durchgeführt und erst dann in das Handelsregister eingetragen werden darf, wenn durch öffentliche Urkunde festgestellt ist, dass die Vorschriften der Art. 732 ff. erfüllt worden sind.
Art. 735 OR
sieht eine Vereinfachung des Verfahrens nur vor, wenn das Grundkapital zur
BGE 102 Ib 21 S. 24
Beseitigung einer durch Verluste entstandenen Unterbilanz herabgesetzt wird und der Betrag der Herabsetzung nicht grösser ist als der Fehlbetrag der Unterbilanz; in einem solchen Falle können die Aufforderung an die Gläubiger und deren Befriedigung oder Sicherstellung unterbleiben. Die Voraussetzung dieser Vereinfachung bestätigt den erwähnten Zweck der
Art. 732 ff. OR
.
Art. 84 HRegV
sodann enthält nichts, was ihn zu widerlegen vermöchte.
Ein Irrtum, in dem die Aktionäre befangen waren, als sie einen der Herabsetzung vorausgegangenen Beschluss auf Erhöhung des Grundkapitals fassten, kann daher nicht von der Einhaltung dieser Bestimmungen entbinden. Er ändert nichts daran, dass die Gläubiger sich seit der Eintragung der Statutenänderung über die Erhöhung des Grundkapitals auf dieses verlassen durften (
Art. 647 Abs. 3, 653 OR
) und durch dasselbe bestimmt worden sein können, ihre Forderungen zu erwerben oder stehen zu lassen. Das Bundesgericht hat denn auch schon öfters entschieden, dass die Zeichnung von Aktien nicht mehr wegen Willensmängeln angefochten werden kann, sobald die Gesellschaft bzw. die Erhöhung ihres Grundkapitals in das Handelsregister eingetragen worden ist (
BGE 32 II 102
Erw. 6,
BGE 39 II 533
Erw. 3,
BGE 41 II 726
Erw. 10,
BGE 41 III 147
Erw. 3,
BGE 49 II 497
, 51 II 181,
BGE 64 II 281
). Auf dem gleichen Boden steht das Schrifttum (z.B. GUHL, SAG 7 165 ff., 185 ff.; SIEGWART, Vorbemerkungen zu Art. 629-639 N. 33; F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 107, 302). Was aber der Zeichner von Aktien nicht tun kann, muss auch der Aktiengesellschaft verwehrt sein, wenn sie die neuen Aktien aus Reserven liberiert und sie den Aktionären gratis abgibt. Sobald die Erhöhung des Grundkapitals in das Handelsregister eingetragen worden ist, sind die zur Liberierung verwendeten Beträge auch Dritten gegenüber Teil des Grundkapitals und können daher nicht ohne Beachtung des Verfahrens nach
Art. 732 OR
wieder den Reserven zugeschlagen werden.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Interessen der Gläubiger würden dadurch nicht verletzt, hält nicht stand, denn die Gesellschaft kann über ihr Grundkapital - das den Gläubigern als Garantie gilt (
BGE 65 I 148
f.) - nicht frei verfügen, wohl aber über ihre Reserven, soweit deren Verwendung nicht durch
Art. 671 Abs. 3 OR
beschränkt ist (F. VON
BGE 102 Ib 21 S. 25
STEIGER, a.a.O. 293). Die Beschwerdeführerin und ihre Aktionäre haben kein schutzwürdiges Interesse, das Verfahren nach
Art. 732 ff. OR
zu umgehen. Das Interesse, Kosten einzusparen, kann nicht berücksichtigt werden, und ebensowenig kommt auf das allfällige fiskalische Interesse der Aktionäre an der rückwirkenden Aufhebung der Kapitalerhöhung etwas an.
3.
Die Beschwerdeführerin hat das Verfahren nach
Art. 732 ff. OR
nicht eingehalten. Die vorgelegten Erklärungen einiger Hauptgläubiger, sie hätten gegen die Aufhebung der Kapitalerhöhung nichts einzuwenden, und das Angebot der Beschwerdeführerin, auch von den übrigen Gläubigern solche Erklärungen beizubringen, vermögen die vom Gesetz vorgeschriebenen Massnahmen nicht zu ersetzen. Die Beschwerdeführerin verkennt insbesondere, dass eine Anfrage an Personen, die sie als Gläubiger betrachtet, nicht genügt. Durch öffentliche Bekanntmachung muss jedermann Gelegenheit erhalten, auch allfällige der Beschwerdeführerin nicht bekannte Forderungen anzumelden und deren Befriedigung oder Sicherstellung zu verlangen.
4.
Die Beschwerde wäre übrigens auch abzuweisen, wenn an sich ein Beschluss auf Kapitalerhöhung unter Berufung auf
Art. 24 OR
ohne Beachtung des vorgeschriebenen Verfahrens rückgängig gemacht werden könnte. Der behauptete Irrtum der Aktionäre betraf nur den Beweggrund, was auch die Beschwerdeführerin annimmt, beruft sie sich doch nur auf
Art. 24 Ziff. 1 Abs. 4 OR
. Nach dieser Bestimmung wäre der Irrtum nur wesentlich, wenn die Irrenden den Sachverhalt, den sie sich vorstellten, nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des "Vertrages" betrachten durften (
BGE 97 II 45
mit Hinweisen auf frühere Urteile). Wollte man den Beschluss auf Erhöhung des Kapitals einem Vertrag gleichsetzen, so wären die Gesellschaftsgläubiger die Gegenpartei der Beschwerdeführerin oder der sich irrenden Aktionäre. Nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr ist aber die Nichtbesteuerung von Gratisaktien als Einkommen der Aktionäre nicht eine notwendige Grundlage der Kapitalerhöhung. Die Gesellschaftsgläubiger dürfen gegenteils voraussetzen, die Kapitalerhöhung werde nicht wegen des Interesses der Aktionäre, für die Gratisaktien nicht besteuert zu werden, ohne Beachtung des Verfahrens nach
Art. 732 ff. OR
zu Fall gebracht. Da nur die Gesellschaft ihre
BGE 102 Ib 21 S. 26
Schuldnerin ist, können private Interessen der Aktionäre ihnen gegenüber keine Rolle spielen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d3310e71-a2a7-4082-ae71-9cbc2f046cf8 | Urteilskopf
135 V 324
41. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause SwissLife contre A. et B. ainsi que A. contre B. et SwissLife (recours en matière de droit public)
9C_1051/2008 / 9C_10/2009 du 3 septembre 2009 | Regeste
Art. 30c Abs. 6 BVG
;
Art. 22 und 25a FZG
;
Art. 122 ZGB
; Berücksichtigung des Vorbezugs im Rahmen der Teilung der Austrittsleistungen bei Scheidung.
Hat der geschiedene Ehegatte als Schuldner der Ausgleichsforderung im Sinne von
Art. 122 ZGB
einen Vorbezug getätigt und reicht sein Guthaben bei der Vorsorge- oder Freizügigkeitseinrichtung nicht mehr aus, um die Ausgleichsforderung zu bedienen, so kann die Vorsorgeeinrichtung nur zur Übertragung der bei ihr noch vorhandenen Mittel verpflichtet werden. Die Differenz ist durch den geschiedenen Ehegatten als Schuldner zu begleichen (E. 5.2). | Sachverhalt
ab Seite 325
BGE 135 V 324 S. 325
A.
Par jugement du 5 avril 2006, le Juge I du Tribunal du district de X. a prononcé le divorce des époux A. et B., mariés depuis le mois de janvier 1992. Il a par ailleurs ordonné la vente aux enchères de leur immeuble en copropriété commune (parcelle n° x; commune de Y.) et le partage par moitié des prestations de sortie acquises pendant la durée du mariage ("y compris le capital LPP placé sur le chalet de Y., pour autant qu'il ait été accumulé pendant le mariage"). A. a déféré ce jugement au Tribunal cantonal valaisan, tandis que B. a par la suite formé un appel-joint. Au cours de la procédure en appel, les ex-époux ont passé une transaction judiciaire, le 8 janvier 2008, selon laquelle la part de copropriété du chalet de Y. de B. est attribuée à A. moyennant le versement, au plus tard le 29 février 2008, d'une soulte de 132'000 fr. pour solde de tout compte, et les avoirs LPP accumulés par les parties pendant le mariage, y compris le capital LPP placé sur le chalet de Y., sont partagés par moitié entre les époux à la valeur du 28 mai 2006 (date d'entrée en force du jugement de divorce). Conformément au ch. 3 in fine de la transaction judiciaire approuvée par le Tribunal, le dossier a été transmis à la Cour des assurances sociales du Tribunal cantonal valaisan.
B.
Sur requête de ce Tribunal, les institutions de prévoyance concernées ont indiqué le montant des prestations de sortie respectives des ex-époux. SwissLife, Société suisse d'assurances générales sur la vie humaine (ci-après: SwissLife), a fixé à 18'084 fr. le montant de la prestation de sortie de B., en date de l'entrée en force du jugement de divorce, et à 7'541 fr. celui de la prestation de sortie de A.
BGE 135 V 324 S. 326
Selon une attestation de la Société suisse d'assurances sur la vie Providentia (ci-après: Providentia), le prénommé avait par ailleurs bénéficié d'un versement anticipé de 55'859 fr., le 20 septembre 2000, à titre d'encouragement à la propriété du logement pour financer l'acquisition du chalet à Y., dont les époux étaient devenus co-propriétaires (à raison d'une moitié chacun). A cette occasion, la restriction du droit d'aliéner selon la LPP avait été mentionnée au Registre foncier de X.
Statuant le 13 novembre 2008, le Tribunal cantonal valaisan a condamné SwissLife à transférer du compte de A. (police de libre passage y) au compte de libre passage de B. le montant de 22'658 fr., plus intérêts de 2,5 % du 28 mai 2006 au 31 décembre 2007, de 2,75 % du 1
er
janvier 2008 jusqu'au moment du transfert et, le cas échéant, d'un intérêt moratoire de 3,75 % dès le 31
e
jour suivant l'entrée en force du jugement cantonal.
C.
A. et SwissLife (ci-après: le recourant / la recourante) interjettent chacun un recours en matière de droit public contre ce jugement. A. en demande l'annulation, tandis que SwissLife conclut à sa modification, en ce sens qu'elle soit tenue de transférer un montant de 7'541 fr. sur le compte de libre passage de B.
Invitée à se prononcer, celle-ci s'en remet à justice, tout en demandant qu'en cas d'admission du recours de SwissLife, le dossier soit renvoyé au Tribunal cantonal pour qu'il ordonne le remboursement par A. d'un montant de 15'117 fr. avec intérêts soit à la société, soit à elle-même directement. De son côté, A. conclut implicitement au rejet du recours de SwissLife, tandis que celle-ci renonce à se déterminer sur le recours de celui-là. L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose l'admission des recours de SwissLife et de A. en ce sens que SwissLife est tenue de transférer la somme de 7'541 fr.
Le recours de A. (cause 9C_10/2009) a été rejeté. Le recours de SwissLife (cause 9C_1051/2008) a été admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
Le recourant soutient que le versement anticipé n'aurait pas dû être pris en compte à hauteur de 55'859 fr., dès lors qu'il n'était pas "totalement composé de fonds LPP", et que seuls les "avoirs LPP" selon les termes de la transaction judiciaire pouvaient être
BGE 135 V 324 S. 327
partagés par moitié. Ainsi, seul un montant de 19'503 fr. ("partie LPP", selon l'attestation de Providentia du 5 octobre 2000) aurait dû être porté en compte au titre du versement anticipé.
4.2
Contrairement à ce que semble croire le recourant, le partage des prestations de sortie en cas de divorce porte sur toutes les prétentions issues de rapports de prévoyance soumis à la LFLP (RS 831.42), ce qui comprend tant les avoirs de la prévoyance obligatoire - qu'il désigne par "fonds LPP" - que ceux de la prévoyance surobligatoire, ainsi que les prestations de prévoyance maintenues au moyen d'une police de libre passage ou d'un compte de libre passage ("avoirs de libre passage" [
art. 22 al. 2 LFLP
]) au sens de l'
art. 10 OLP
(RS 831.425), soit l'ensemble des prétentions issues des piliers 2a et 2b (
ATF 130 V 111
consid. 3.2.2 p. 114 et les références). En font donc aussi partie les avoirs de la prévoyance professionnelle obligatoire et plus étendue (ou surobligatoire) ou les "avoirs de libre passage" utilisés pour acquérir un logement à titre d'encouragement à l'accession de la propriété aux conditions prévues par les
art. 30c ss LPP
(RS 831.40) et l'ordonnance, du 3 octobre 1994, sur l'encouragement à la propriété du logement au moyen de la prévoyance professionnelle (OEPL; RS 831.411). C'est donc bien le montant total indiqué par Providentia, à savoir 55'859 fr. (total de la valeur de rachat de deux polices de libre passage), dont il y avait lieu de tenir compte au titre du versement anticipé.
Quoi qu'en dise par ailleurs le recourant, les moyens utilisés pour acquérir un logement aux conditions des
art. 30c ss LPP
demeurent liés à un but de prévoyance (
ATF 132 V 332
consid. 4.1 p. 333;
ATF 128 V 230
consid. 2c p. 234 et la référence), même si le versement anticipé et le logement au financement duquel il a servi sortent des avoirs de prévoyance (
ATF 132 V 332
consid. 4.1 p. 333 avec référence à l'
ATF 124 III 211
consid. 2 p. 214 s. cité par le recourant). En cas de divorce, et si aucun cas de prévoyance n'est encore survenu pour le preneur d'assurance, ces fonds liés investis dans le logement doivent être partagés selon les
art. 122 et 123 CC
(
art. 30c al. 6 LPP
;
art. 331e al. 6 CO
;
ATF 128 V 230
consid. 2c p. 234 et la référence).
5.
De son côté, sans contester le calcul de la juridiction cantonale en tant que tel, la recourante fait valoir que le seul avoir dont dispose A. auprès d'elle correspond à la valeur de rachat de la police de libre passage, soit 7'541 fr., ce qu'elle avait indiqué en procédure administrative cantonale en confirmant le caractère réalisable
BGE 135 V 324 S. 328
du partage de ce (seul) montant au sens de l'
art. 141 al. 1 CC
. Dans la mesure où la juridiction cantonale l'a condamnée à transférer un montant excédant de 15'117 fr. la prestation de sortie effectivement à disposition, elle aurait violé les
art. 141 et 142 CC
. Les premiers juges auraient dû prendre en considération que le versement anticipé de 55'859 fr. n'a pas été remboursé par A., de sorte qu'elle ne pouvait être astreinte à verser un avoir inexistant.
5.1
Le versement anticipé reçu de l'institution de prévoyance et investi dans un bien immobilier pendant le mariage est considéré comme une prestation de libre passage et doit être partagé conformément aux
art. 122 ss CC
et 22 LFLP (
art. 30c al. 6 LPP
et
art. 331e al. 6 CO
, dont la nouvelle teneur selon le ch. 29 de l'annexe à la loi fédérale du 18 juin 2004 sur le partenariat enregistré entre personnes du même sexe [loi sur le partenariat, LPart; RS 211.231], en vigueur depuis le 1
er
janvier 2007, n'a pas d'incidence en l'espèce;
ATF 132 V 332
consid. 3 et les arrêts cités). Pour déterminer le montant de la prestation de sortie à partager au moment du divorce, il y a donc lieu d'ajouter le montant du versement anticipé, qui conserve sa valeur nominale jusqu'au divorce. Toutefois, seuls sont pris en considération les montants qui font l'objet, au moment du divorce, d'une obligation de remboursement au sens de l'
art. 30d LPP
(
ATF 132 V 347
consid. 3.3 p. 350 s.; voir aussi
ATF 128 V 230
consid. 3b et 3c p. 235 et les références). Il en va ainsi même si lors de la libération du versement anticipé, le montant a été (en partie) détourné de son but (l'accès à la propriété d'un logement pour les propres besoins du bénéficiaire) et a servi à l'acquisition de biens de consommation (
ATF 133 V 25
consid. 3.3.1 p. 29).
Il est constant qu'aucune des éventualités dans lesquelles l'
art. 30d al. 1 LPP
prévoit une obligation de remboursement du versement anticipé perçu à l'institution de prévoyance n'était réalisée en l'espèce. En particulier, le logement en cause n'a pas été vendu par le bénéficiaire du versement anticipé (cf.
art. 30d al. 1 let. a et
art. 30e al. 1 LPP
) et celui-ci n'a pas non plus choisi de le rembourser (cf.
art. 30d al. 2 LPP
). Le versement anticipé en question fait donc l'objet d'une obligation de remboursement. C'est dès lors à bon droit que la juridiction cantonale en a tenu compte dans le calcul des prestations de sortie à partager.
5.2
Cela étant, le montant de la créance de compensation au sens de l'
art. 122 CC
reconnue par la juridiction cantonale à B. (à
BGE 135 V 324 S. 329
hauteur de 22'658 fr.) est supérieure à la prestation restante de sortie (de 7'541 fr.) de A. auprès de la recourante. Il se pose donc la question de savoir de quelle manière cette créance doit être exécutée, singulièrement si la recourante peut être tenue de verser la différence entre les deux montants déterminés sur le compte de libre passage de l'intimée, comme l'a ordonné l'autorité cantonale.
5.2.1
Dans la situation où, comme en l'espèce, l'ex-conjoint débiteur est le bénéficiaire d'un versement anticipé investi dans le logement et les avoirs auprès de l'institution de prévoyance ou de libre passage ne suffisent pas à couvrir la créance de compensation de l'autre ex-conjoint, la doctrine envisage différentes solutions (sur l'ensemble de la question, ANDREA BÄDER FEDERSPIEL, Wohneigentumsförderung und Scheidung, 2008, p. 302-316). D'une part, dans la pratique, il est généralement prévu qu'au moment du divorce l'époux qui a profité du versement anticipé rembourse au moyen de son patrimoine le montant nécessaire à l'institution de prévoyance, pour que celle-ci puisse verser au conjoint créancier la somme nécessaire sous forme de prestation de libre passage (PICHONNAZ/RUMO-JUNGO, Prévoyance et droit patrimonial de la famille, in Droit patrimonial de la famille, 2004, p. 18; BÄDER FEDERSPIEL, op. cit., p. 306 n. 625; dans ce sens, DANIEL TRACHSEL, Spezialfragen im Umfeld des scheidungsrechtlichen Vorsorgeausgleiches: Vorbezüge für den Erwerb selbstbenutzten Wohneigentums und Barauszahlungen nach Art. 5 FZG, FamPra.ch 2002 p. 537). Pour certains auteurs, lors de l'entrée en force du jugement de divorce, le conjoint débiteur doit verser intégralement et immédiatement à l'institution de prévoyance de son conjoint la part du versement anticipé revenant à son conjoint en application de l'
art. 122 al. 1 CC
(SCHNEIDER/BRUCHEZ, La prévoyance professionnelle et le divorce, in Le nouveau droit du divorce, 2000, p. 231).
D'autre part, certains auteurs mentionnent la possibilité de transférer à l'institution de prévoyance du conjoint créancier, en tout ou partie, la créance conditionnelle en remboursement du versement anticipé, qui figure dans les actifs de l'institution de prévoyance du bénéficiaire de celui-ci. Ce transfert serait opéré par un jugement formateur (que ce soit par la ratification judiciaire de la convention de divorce entre les époux ou par décision du juge du divorce en cas de désaccord) et ferait passer le droit au remboursement garanti par la restriction du droit d'aliéner mentionnée au registre foncier (
art. 33d et 33e LPP
) de l'institution de prévoyance de l'assuré
BGE 135 V 324 S. 330
qui a bénéficié du versement anticipé à l'institution de prévoyance de l'autre conjoint. La créance de celui-ci au sens de l'
art. 122 CC
serait dès lors réalisée dans la mesure du transfert (PETER EGGENBERGER, Wenn Vorbezüge ein Nachspiel haben - oder: Die Behandlung von Vorbezügen der beruflichen Vorsorge für Wohneigentum im Rahmen von Scheidungsverfahren, In dubio 2005 p. 80). Il s'agirait d'une cession de créance (partielle) qui présente l'inconvénient, d'une part, que la créance n'est que conditionnelle et, d'autre part, que ce mode d'exécution ne met pas fin aux relations entre les ex-époux (PICHONNAZ/RUMO-JUNGO, op. cit., p. 18; BÄDER FEDERSPIEL, op. cit., p. 307 s.; voir aussi MARKUS MOSER, Aktuelle Anwendungsfragen im Zusammenhang mit dem Wohneigentumsförderungsrecht der beruflichen Vorsorge, RSJ 94/1998 p. 16 s.). Dans le cas où un tel transfert est envisagé, EGGENBERGER (loc. cit.) met l'accent sur l'importance de la confirmation des institutions de prévoyance concernées du caractère réalisable d'un tel accord, afin d'éviter des problèmes au moment de l'exécution.
La doctrine envisage ensuite une solution conventionnelle au sens de l'
art. 123 CC
pour faciliter le paiement du partage de la prévoyance professionnelle. Le conjoint créancier, respectivement son institution de prévoyance, disposerait d'une créance contre le propriétaire-débiteur en paiement de la part de la prestation de sortie due, dont l'exigibilité serait suspendue pour une période déterminée. Cette créance serait cependant garantie par un gage immobilier sur l'immeuble en faveur du conjoint créancier, respectivement son institution de prévoyance (PICHONNAZ/RUMO-JUNGO, op. cit., p. 18; dans ce sens, MARTA TRIGO TRINDADE, Prévoyance professionnelle, divorce et succession, SJ 2000 II p. 488). Dans le cas où le conjoint débiteur ne dispose pas des moyens financiers pour exécuter immédiatement le paiement intégral, sans réaliser le logement, SCHNEIDER/BRUCHEZ (op. cit., p. 231) proposent de faire application des
art. 123 et 124 CC
en renonçant au partage de la part de la prestation de sortie investie dans le logement et en le remplaçant par le versement d'une indemnité équitable d'un montant correspondant, mais payable sous forme d'acomptes. Selon eux, cette solution évite au conjoint débiteur de vendre son logement en propriété pour désintéresser le conjoint créancier, tandis que celui-ci bénéficie, sous forme de prestations périodiques, d'un montant équivalant à celui qu'il aurait reçu dans le cadre du partage. Pour une telle situation, ces auteurs précisent qu'avant de transférer l'affaire au juge des
BGE 135 V 324 S. 331
assurances, le juge du divorce doit s'assurer que le conjoint débiteur sera en mesure de payer immédiatement à l'institution du conjoint bénéficiaire l'intégralité du montant devant être payé au moyen de son patrimoine. Si tel n'est pas le cas, le juge du divorce devra refuser le partage de cette partie des avoirs de prévoyance, réduire en conséquence les proportions du partage que le juge des assurances devra effectuer et fixer, en remplacement, une indemnité équitable d'un montant correspondant, payable sous forme d'acomptes (SCHNEIDER/BRUCHEZ, op. cit., p. 252).
5.2.2
En l'occurrence, la transaction judiciaire passée en seconde instance cantonale au cours de la procédure de divorce ne prévoit aucune des solutions mentionnées ci-avant. En dehors de la clé de répartition, elle ne comporte aucune indication quant au partage des prestations de sortie et les modalités de son exécution, ce qui aurait alors requis du juge du divorce qu'il demandât aux institutions de prévoyance concernées des attestations portant sur le caractère réalisable du partage, à défaut de quoi celles-ci ne sont pas liées par l'accord (
art. 141 al. 1 CC
a contrario;
ATF 132 V 337
consid. 1.1 p. 339;
ATF 129 V 444
consid. 5 p. 446).
Cela étant, le juge compétent en matière de prévoyance professionnelle auquel l'affaire est transférée après l'entrée en force de la décision relative au partage des prestations de sortie est chargé d'exécuter d'office ce partage sur la base de la clé de répartition déterminée par le juge du divorce (
art. 25a al. 1 LFLP
). Il lui appartient alors de déterminer les prestations de sortie à partager et d'en fixer le montant conformément à l'
art. 22 LFLP
, ce que la juridiction cantonale de première instance a fait en incluant à juste titre le montant du versement anticipé dans les prestations de sortie à partager (consid. 4.2 et 5.1 supra) et en fixant à 22'658 fr. le montant à transférer de la prévoyance professionnelle de A. à celle de son ex-épouse. Le transfert à la charge de l'institution de prévoyance du conjoint débiteur suppose toutefois que les prestations en cause, respectivement les fonds nécessaires pour exécuter la créance compensatoire en partage, se trouvent en mains de l'institution de prévoyance ou de libre passage concernée. Tel n'est pas le cas en l'espèce puisque la prestation de libre passage de A. auprès de la recourante s'élève à 7'541 fr. seulement, tandis que celui-ci a bénéficié directement du versement anticipé en vue de l'acquisition d'un logement. Dès lors, si le partage des prestations de sortie est en soi possible et réalisable, le versement de la créance
BGE 135 V 324 S. 332
en compensation dévolue à l'intimée ne peut cependant être exécuté à la charge de l'institution de prévoyance de l'époux débiteur que dans les limites des fonds effectivement à disposition de celle-ci (à savoir 7'541 fr). Pour le reste, il incombe à l'ex-conjoint débiteur, qui a profité du versement anticipé, de s'acquitter du solde restant en faveur de son ex-épouse (soit 15'117 fr.) auprès de l'institution de prévoyance ou de libre passage de la créancière.
5.3
En conséquence de ce qui précède, la juridiction cantonale n'était pas en droit d'ordonner le paiement par la recourante d'un montant dépassant les avoirs de prévoyance effectivement à sa disposition, mais aurait dû faire supporter la différence entre ces avoirs et la créance en compensation directement au recourant, en le condamnant à verser 15'117 fr. sur le compte de libre passage de son ex-épouse. Compte tenu des conclusions des parties (cf.
art. 107 al. 1 LTF
), le Tribunal fédéral ne peut pas d'office condamner le recourant à ce faire. Il convient bien plutôt de renvoyer la cause à l'autorité cantonale de première instance pour qu'elle procède en ce sens et fixe les modalités du transfert du solde de la créance de compensation à la charge du recourant.
6.
Il résulte de ce qui précède que le recours de A. doit être rejeté, tandis que celui de son institution de libre passage doit être admis. Le jugement entrepris doit être réformé dans la mesure où la recourante est condamnée à verser un montant de plus de 7'541 fr., le versement des intérêts compensatoires et moratoires n'étant pas litigieux en l'espèce. La cause doit par ailleurs être renvoyée aux premiers juges pour qu'ils procèdent conformément aux considérations qui précèdent. | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d3321fe4-4088-4d65-8203-92c8fa7949d9 | Urteilskopf
99 V 19
5. Urteil vom 3. April 1973 i.S. Omlin gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Grenzen der Zuständigkeit des Richters zur Lückenfüllung.
Art. 85 KUVG
gibt den Pflegekindern keinen Anspruch auf Hinterlassenenrente. | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 99 V 19 S. 19
A.-
Der 1962 geborene Michael Omlin ist seit Geburt in Pflege bei seinem Grossonkel und seiner Grosstante väterlicherseits, den Ehegatten Anton Omlin-Ruffiner, welche wegen eigener Kinder Michael nicht adoptieren konnten; dagegen wurde dem Pflegekind vom Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt die Führung des Familiennamens Omlin bewilligt.
Am 5. September 1971 verunglückte Anton Omlin tödlich. Mit Verfügung vom 21. Oktober 1971 gewährte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) der Witwe und der Mutter des Versicherten eine Hinterlassenenrente, lehnte jedoch die Ausrichtung einer solchen Rente an das Pflegekind ab (Verfügung vom 14. Januar 1972).
BGE 99 V 19 S. 20
B.-
Durch Entscheid vom 22. August 1972 wies das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt eine von Michael Omlin gegen die Verfügung vom 14. Januar 1972 erhobene Klage ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Michael Omlin beantragen, in Aufhebung des kantonalen Urteils sei ihm eine SUVA-Waisenrente zuzuerkennen... Es wird im wesentlichen geltend gemacht, an der bisherigen Rechtsprechung (EVGE 1969 S. 85) könne nicht mehr festgehalten werden. Die Auslegung von
Art. 85 KUVG
führe zum Ergebnis, dass diese Bestimmung eine echte Lücke aufweise, die vom Eidg. Versicherungsgericht, das dazu kompetent sei, ausgefüllt werden müsse. Die Nichterwähnung der Pflege- und Stiefkinder stelle kein qualifiziertes Schweigen des Gesetzes dar. Mit den Hinterlassenenrenten werde bezweckt, den Unterhalt derjenigen Familienangehörigen des Getöteten sicherzustellen, für die er bis anhin gesorgt habe; das treffe auch für Pflegekinder zu.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Hinterlassenenrenten-Ordnung des zweiten Titels des KUVG (Unfallversicherung) sieht Renten für den Ehegatten (Art. 84), die Kinder (Art. 85) und die Eltern, Grosseltern sowie die Geschwister (Art. 86) des Versicherten vor.
Art. 85 KUVG
lautet:
"1. Ausserdem erhält jedes hinterbliebene oder nachgeborene eheliche Kind eine Rente von fünfzehn Prozent des Jahresverdienstes des Versicherten, und wenn es den andern Elternteil bereits verloren hat oder später verliert, eine solche von fünfundzwanzig Prozent. Die Rente läuft bis zum zurückgelegten achtzehnten Altersjahr des Kindes oder, sofern es beim Erreichen dieses Alters dauernd erwerbsunfähig ist, bis siebzig Jahre nach der Geburt des Versicherten. Für Kinder, die noch in Ausbildung begriffen sind, besteht der Anspruch bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens aber bis zum vollendeten 20. Altersjahr.
2. Kinder, die bereits zur Zeit des Unfalles in gesetzlicher Weise angenommen oder ehelich erklärt waren, sind den ehelichen gleichzuhalten.
3. Dasselbe gilt für aussereheliche Kinder bezüglich der Ansprüche, die aus dem Tode der Mutter hergeleitet werden.
4. Ein aussereheliches Kind wird bezüglich der Ansprüche aus dem Tode des Vaters gehalten wie ein eheliches Kind, sofern die Vaterschaft
BGE 99 V 19 S. 21
durch einen rechtskräftigen Entscheid oder durch eine glaubwürdige, schriftliche Anerkennung des Versicherten festgestellt ist."
Das Eidg. Versicherungsgericht hat in EVGE 1943 S. 70 erkannt, die Pflegekinder seien in
Art. 85 KUVG
nicht aufgeführt und gehörten deshalb nicht zu den rentenberechtigten Kindern. An dieser Rechtsprechung hat es in EVGE 1969 S. 85 mit folgender Begründung festgehalten: Pflegekinder erhielten in der Unfallversicherung keine Hinterlassenenrente, weil sie nach dem klaren Wortlaut des
Art. 85 KUVG
nicht zum dort umschriebenen Kreis der rentenberechtigten Kinder zählten.
Art. 85 KUVG
enthalte keine Lücke. Er bezeichne die Kinder, die beim Tode ihres Versorgers eine Rente erhalten sollen, abschliessend und sei von der Verwaltung und vom Richter so, wie er laute, anzuwenden. Die Tatsache, dass das AHVG, das MVG und das IVG Renten für Pflegekinder vorsehen, berechtige nicht, den
Art. 85 KUVG
für lückenhaft zu halten. Ob diese Norm eine entsprechende Ergänzung verdiene, habe darum nicht der Richter, sondern der Gesetzgeber zu entscheiden.
Namentlich mit Rücksicht auf die in letzter Zeit geäusserten Auffassungen (vgl. z.B. SZS 1972 S. 193 ff.) rechtfertigt es sich, diese Rechtsprechung zu überprüfen.
2.
Der Umstand, dass
Art. 85 KUVG
die Pflegekinder nicht erwähnt, bedeutet noch nicht, dass das Gesetz insoweit eine Lücke aufweist, die vom Richter ausgefüllt werden darf. Hat der Gesetzgeber gewollt darauf verzichtet, die Pflegekinder vom Anspruch auf Hinterlassenenrenten auszunehmen, so liegt ein qualifiziertes Schweigen vor. Bieten jedoch das Gesetz und die Materialien keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine negative Entscheidung in der betreffenden Frage gewollt war, so ist auch damit noch nicht eine Lücke des Gesetzes dargetan. Denn die Annahme einer Lücke ist nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Richter das Fehlen einer Vorschrift als unbefriedigend empfindet. Eine vom Richter auszufüllende Lücke im Gesetz darf nach dem allgemeinen Grundsatz des
Art. 1 Abs. 2 ZGB
nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz eine sich unvermeidlicherweise stellende Rechtsfrage nicht beantwortet (
BGE 97 I 355
; EVGE 1969 S. 85, 1968 S. 108; MEIER-HAYOZ, N. 271 zu
Art. 1 ZGB
; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 4. Aufl., Nr. 241, S. 122). Ferner ist entgegen der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach die neuere Praxis im allgemeinen dahin tendiere, "die Verwaltungsgesetze
BGE 99 V 19 S. 22
in stärkerem Masse als nicht vollständig zu betrachten, d.h. im Rahmen des sachlich Gebotenen wenn möglich das Vorliegen einer echten Lücke zu bejahen" (IMBODEN, a.a.O., Nr. 241, S. 123 f.), in der Sozialversicherung, deren Rechtsgebiete häufig Revisionen unterworfen sind, mit der Annahme echter Lücken Zurückhaltung geboten.
Ob eine zwingende Notwendigkeit zur Aufnahme einer Bestimmung über die Pflegekinderrente besteht und wie bei Annahme einer echten Lücke diese zu füllen sei, hat der Richter nach anerkannten Auslegungsregeln zu prüfen (MEIER-HAYOZ, N. 255 ff. zu
Art. 1 ZGB
).
3.
a) Die Erforschung der Umstände, unter denen
Art. 85 KUVG
vor dem ersten Weltkrieg entstanden ist, weist auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzes hin. Sie zeigt nämlich, dass die Bestimmung der damals herrschenden Ansicht über das Pflegekinderverhältnis entsprach (vgl. WEISS H., Das Pflegekinderverhältnis in der Schweiz, Diss. iur. Bosna-Leipzig, 1920, S. 77 ff.). Expertenbericht und Botschaft lassen denn auch jeden Hinweis auf die Frage der Pflegekinder vermissen; diese wurde ebensowenig in den parlamentarischen Beratungen erörtert. Der Wortlaut des
Art. 85 KUVG
war von Anfang an so detailliert gefasst, dass nicht gesagt werden kann, der Gesetzgeber habe bei der Regelung der Hinterlassenenrenten die Pflegekinder übersehen. Wegen der beim Erlass des KUVG bestehenden sozialen Voraussetzungen konnte nämlich von einer gesetzlichen Diskriminierung der Pflegekinder keine Rede sein. Dies bedeutet indessen nicht, dass allein auf die damaligen Verhältnisse abzustellen wäre. Vielmehr bleibt zu prüfen, ob die veränderten tatsächlichen Gegebenheiten - und die damit verbundene gewandelte Anschauung über das Pflegekinderverhältnis, das heute zumeist von humanitären Erwägungen getragen wird und zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern oft Beziehungen schafft, die sich von solchen zwischen Eltern und leiblichen Kindern nicht mehr unterscheiden - die Annahme einer vom Richter auszufüllenden Lücke rechtfertigen.
b) Im Gegensatz zum KUVG stellen heute die andern Sozialversicherungsgesetze des Bundes die Pflegekinder hinsichtlich des Anspruchs auf Hinterlassenenrenten grundsätzlich den leiblichen gleich (vgl.
Art. 28 Abs. 3 AHVG
in Verbindung mit
Art. 49 AHVV
,
Art. 35 IVG
,
Art. 31 MVG
.
Art. 9 Abs. 1 lit. c FLG
, Art. 31 Abs. 2 Al VG und
Art. 6 Abs. 2 lit. d EOG
).
BGE 99 V 19 S. 23
Diese Tatsache lässt indessen nicht auf das Bestehen einer echten Lücke im KUVG schliessen. Vielmehr ist der Umstand, dass im Jahre 1952
Art. 85 KUVG
revidiert wurde (BG betreffend Abänderung des KUVG vom 19. September 1952, AS 1952 S. 1019), ohne dass die Pflegekinderrente eingeführt worden wäre, als eine negative Stellungnahme des Gesetzgebers zu werten (vgl.
BGE 88 II 483
, 76 II 62). Da verhältnismässig kurze Zeit zuvor im MVG die Pflegekinderrente (BG vom 20. September 1949 über die MV, AS 1949 S. 1671) und im AHVG die Ermächtigungsnorm (BG vom 20. Dezember 1946 über die AHV, BS 8 S. 447), von welcher der Bundesrat in
Art. 49 AHVV
Gebrauch machte (BRB vom 20. April 1951, AS 1951 S. 394), aufgenommen worden waren, hätte nämlich Gelegenheit bestanden, auch im KUVG den Pflegekindern einen Rentenanspruch zuzuerkennen; dies um so eher, als in der bundesrätlichen Botschaft auf die fortschrittlichere Regelung im AHVG und im MVG hingewiesen wurde (BBl 1952 I S. 679).
4.
Das Gericht verkennt allerdings nicht, dass der geltende Rechtszustand nicht zu befriedigen vermag. Es handelt sich dabei jedoch um einen rechtspolitischen Mangel und damit um eine unechte Gesetzeslücke (MEIER-HAYOZ, N. 273, 293 und 294 zu
Art. 1 ZGB
). Im allgemeinen hat der Richter solche Lücken hinzunehmen (IMBODEN, a.a.O., Nr. 241, S. 122 f., Ziff. II lit. b). Sie auszufüllen, steht ihm nur dort zu, wo der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass eines Gesetzes in einem solchen Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht bzw. nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (MEIER-HAYOZ, N. 296 zu
Art. 1 ZGB
; EVGE 1968 S. 108 mit Hinweisen;
BGE 93 I 405
).
Der vorliegende Fall erfüllt indessen auch keine der beiden letzterwähnten Voraussetzungen richterlichen Eingreifens. Denn der Charakter der obligatorischen Unfallversicherung als Sozialinstitut bedeutet nicht, dass die SUVA ihre Leistungen im Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen auszurichten hätte. Vielmehr wird die Sozialversicherung durch den Grundsatz der Gesetzesmässigkeit beherrscht. Wenn es auch bedauerlich erscheint, dass das KUVG den Pflegekindern keinen Anspruch auf eine Hinterlassenenrente zuerkennt, so handelt es sich hier nicht um eine Lücke im Gesetz, welche der Sozialversicherungsrichter allenfalls auszufüllen hätte, sondern um nachzuholende
BGE 99 V 19 S. 24
Koordination der Gesetzgebung über die Hinterlassenenrenten. Der Richter würde die Grenzen zwischen Justiz und Legislative verwischen, wenn er einen Anspruch auf Pflegekinderrente aus
Art. 85 KUVG
herleiten wollte. Ob diese Norm eine entsprechende Ergänzung verdiene, ist darum - wie bereits in EVGE 1969 S. 85 ausgeführt wurde - nicht durch die richterliche, sondern die gesetzgeberische Gewalt zu entscheiden. Diese hat sich übrigens gestützt auf eine Motion aus dem Jahre 1972 der Sache angenommen (vgl. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, 1972, NR S. 1693 f., SR S. 901 f.).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d33688bb-7cb6-422a-9173-2ee22ee5c147 | Urteilskopf
94 I 669
91. Urteil vom 22. November 1968 i.S. Frigerio gegen das Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. | Regeste
Abkommen vom 10. Mai 1879 zwischen der Schweiz und dem Grossherzogtum Baden betreffend den Wasserverkehr auf dem Rhein; Postverkehrsgesetz vom 2. Oktober 1924; Verhältnis von Staatsvertrag und Landesrecht.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gemäss
Art. 99 Ziff. XI lit. a und b OG
(Erw. 1).
2. Landesrechtliche Wirkung eines Staatsvertrages (Erw. 2).
3. Auslegung von Staatsverträgen (Erw. 4); diesbezügliche Bedeutung der Präambel (Erw. 4 b) und der Praxis administrativer Behörden (Erw. 5).
4. Völkerrechtskonforme Auslegung des Landesrechtes im Falle abweichender Regelungen (Erw. 6 a); Anwendung dieses Grundsatzes auf das Postverkehrsgesetz (Erw. 6 b.).
5. Bedeutung der in Erw. 2-6 erläuterten Grundsätze für gewerbsmässige Personentransporte auf der Rheinstrecke zwischen Neuhausen und Basel (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 670
BGE 94 I 669 S. 670
Aus dem Tatbestand:
A.-
Am 10. Mai 1879 hat die Schweiz mit dem Grossherzogtum Baden eine Übereinkunft betreffend den Wasserverkehr auf dem Rhein von Neuhausen bis unterhalb Basels geschlossen (BS 13 S. 482). Art. 1 und 2 dieser Übereinkunft lauten:
"Art. 1:
Die Schiffahrt und Flossfahrt auf dem Rheine von Neuhausen bis unterhalb Basels soll jedermann gestattet sein; sie unterliegt nur denjenigen Beschränkungen, welche durch die Steuer- und Zollvorschriften sowie durch die polizeilichen Rücksichten auf die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs geboten sind.
Sämtliche Alleinrechte zur Ausübung der Schiff- und Flossfahrt auf obiger Rheinstrecke, namentlich die durch Ziff. 4 des Staatsvertrags zwischen dem Grossherzogtum Baden und dem Kanton Aargau vom 2./17. September 1808 bestätigten ausschliesslichen Schiffahrts-und Flössereibefugnisse der vereinigten Schiffmeisterschaft zu Gross- und Kleinlaufenburg und der Rheingenossen zwischen Säckingen und Grenzach sind aufgehoben.
BGE 94 I 669 S. 671
Art. 2:
Die beiden Regierungen werden, jede für ihr Hoheitsgebiet, die zur Sicherheit und Ordnung der Schiffahrt und Flösserei erforderlichen polizeilichen Bestimmungen erlassen..."
Diese Übereinkunft wurde am 19. Dezember 1879 von der Bundesversammlung genehmigt. Nach Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes (BG) betreffend den Postverkehr (Postverkehrsgesetz = PVG; BS 7 S. 755) vom 2. Oktober 1924 können für die gewerbsmässige Reisendenbeförderung mit regelmässigen Fahrten Konzessionen erteilt werden.
B.-
Der Bootsunternehmer Max Frigerio erhielt am 10. Januar 1962 eine Konzession für die gewerbsmässige Personenbeförderung mit Schiffen auf dem Rhein zwischen Tössegg (Kanton Zürich) und Rüdlingen (Kanton Schaffhausen). Später wurde die Konzession auf Fahrten zwischen Eglisau und Tössegg erweitert.
Frigerio reichte am 31. Oktober 1967 ein Feststellungsbegehren ein, wonach die gewerbsmässige Beförderung von Reisenden mit Schiffen auf der Rheinstrecke zwischen Neuhausen und Basel überhaupt nicht konzessionspflichtig sei.
Das EVED wies das Feststellungsgesuch am 13. Mai 1968 ab.
C.-
Diesen Entscheid ficht Frigerio mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. Er beantragt, es sei festzustellen, dass für die regelmässige und gewerbsmässige Beförderung von Reisenden mit Schiffen auf der Rheinstrecke zwischen Basel und Neuhausen keine Konzessionspflicht bestehe; ferner sei die ihm am 17. Dezember 1964 und am 22. März 1968 erteilte Konzession, da sie mit der Übereinkunft zwischen der Schweiz und dem Grossherzogtum Baden vom 10. Mai 1879 in Widerspruch stehe, aufzuheben. Zwar anerkennt der Beschwerdeführer, dass grundsätzlich die gewerbsmässige regelmässige Personenbeförderung auf Schiffen unter das Postregal fällt. Er macht jedoch geltend, die Übereinkunft von 1879 gehe dem PVG vor.
D.-
Das Departement beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 99 Ziff. XI lit. a und b OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Entscheide des Eidg. Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartements über Ansprüche,
BGE 94 I 669 S. 672
die sich auf das Postverkehrsgesetz und die zugehörigen VOIlziehungsverordnungen stützen.
In dem hier angefochtenen Entscheide hat das Departement festgestellt, dass für die gewerbsmässige Beförderung von Reisenden mit Schiffen auf der Rheinstrecke zwischen Neuhausen und Basel eine Konzessionspflicht bestehe. Der Feststellungsentscheid betrifft den Anspruch der Postverwaltung auf das Monopol für solche Fahrten und den entgegenstehenden Anspruch des Beschwerdeführers, die Fahrten ohne Konzession unternehmen zu dürfen. Das sind Rechtsansprüche, die sich auf das Postverkehrsgesetz vom 2. Oktober 1924 (BS 7 S. 754) und zugehörige Vollziehungsverordnungen stützen. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.
2.
Unbestritten ist, dass die vom Beschwerdeführer vorgesehenen gewerbsmässigen Personentransporte nach dem internen schweizerischen Recht (
Art. 1 PVG
) dem Postregal unterstehen und einer Konzession bedürfen. Der Streit geht allein darum, ob die vom EVED behauptete Konzessionspflicht auch nach der schweizerisch-badischen Übereinkunft vom 10. Mai 1879 bestehe. Diese Übereinkunft ist ein vom Bundesrat abgeschlossener und von der Bundesversammlung genehmigter bilateraler Staatsvertrag.
Ein von der Bundesversammlung genehmigter Staatsvertrag wird mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden für die Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlich; er erlangt zusammen mit der völkerrechtlichen auch landesrechtliche Wirkung, sofern er entsprechende Rechtsregeln zugunsten oder zu Lasten der Bürger aufstellt. Dies trifft im vorliegenden Falle zu, da Art. 1 der Übereinkunft grundsätzlich "jedermann" die Schiffahrt auf dem betreffenden Rheinstück gestattet. Einer Umsetzung von Verträgen in ein besonderes Bundesgesetz bedarf es nicht (
BGE 88 I 90
/1). Dann aber stehen die Normen des von der Bundesversammlung genehmigten Staatsvertrages von 1879 in ihren Wirkungen grundsätzlich denen des Postverkehrsgesetzes von 1924 gleich; sie sind wie diese von den schweizerischen Behörden zu vollziehen. Der Staatsvertrag ist für die ganze Schweiz verbindlich, auch wenn in erster Linie der Kanton Aargau am Abschluss interessiert war.
3.
Weiter fragt es sich, ob die nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch klare Formulierung von Art. 1 der Übereinkunft von 1879, dass nämlich die Schiffahrt jedermann gestattet
BGE 94 I 669 S. 673
sein und nur polizeilichen Beschränkungen unterliegen soll, sich auch auf gewerbsmässige Personentransporte beziehe. Die Übereinkunft erwähnt das Postregal nicht; sie hat es also weder ausdrücklich vorbehalten noch als ungültig erklärt. Das Departement macht sinngemäss geltend, der schweizerische Vertragspartner habe das Postregal trotzdem vorbehalten; dies ergebe sich aus der von der Schweiz verfolgten Absicht und aus dem Zweck des Staatsvertrages; schliesslich könne nicht übersehen werden, dass die Bundesverwaltung seit dem Aufkommen von Motorbooten und von regelmässigen Schiffahrten unangefochten Konzessionen erteilt habe, was die Konzessionspflicht voraussetze.
4.
Ist der Wortlaut nicht eindeutig oder erscheint die durch den klaren Wortlaut vermittelte Bedeutung sinnwidrig, so ist der Staatsvertrag auszulegen (SCHULTZ, Das schweiz. Auslieferungsrecht, S. 110/11). Verhandlungen, die zum Abschluss des Vertrages geführt haben, sind als Quelle zur Auslegung des Staatsvertrages heranzuziehen, soweit sie den Willen der vertragschliessenden Staaten klar erkennen lassen (
BGE 90 II 125
; CARRY, SJZ 1960 S. 354, linke Spalte). Staatsverträge sind so auszulegen, dass der von beiden Parteien angestrebte Vertragszweck erreicht wird (SCHULTZ, a.a.O., S. 111). Eine über den Wortlaut hinausgehende, ausdehnende Auslegung einer Bestimmung des Staatsvertrages kommt nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende, darin versehentlich ungenau zum Ausdruck gebrachte Willensmeinung zu schliessen ist (
BGE 77 I 47
,
BGE 90 I 47
). Die Staatsverträge sind ihrer Natur nach "bonae fidei negotia" (
BGE 38 I 585
); für die Auslegung gilt allgemein die Vertrauenstheorie (vgl. FAVRE, L'interprétation objective des traités internationaux, in Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht 1960 S. 86).
a) Das Departement erblickt einen Hinweis für einen vom Wortlaut abweichenden Vorbehalt des schweizerischen Postregals darin, dass die bundesrätliche Botschaft festhalte, die Übereinkunft widerspreche keinen Bundesvorschriften. Die Absicht, das Postregal vorzubehalten, ergebe sich auch aus der Aufzählung der in Art. 6 der Übereinkunft aufgehobenen Vorschriften.
Die Ausweitung des Postregals auf gewerbsmässige Personentransporte ist eine schweizerische Eigentümlichkeit (vgl.
BGE 94 I 669 S. 674
Botschaft des Bundesrates vom 13. März 1849 zu dem Vorschlage eines BG über das Postregale, in BBl 1849 I - Beilage nach S. 174 - S. 2-5; F. MEILI, Die Rechtsstellung der Dampfschiffunternehmungen in der Schweiz, Bern 1888, S. 6). Badischerseits bestand keine Konzessionspflicht auf Grund eines Postregals. Somit wird vermutlich nur der Wille des schweizerischen Vertragspartners auf einen Vorbehalt des Postregals gerichtet gewesen sein. In der Lehre wird die Meinung vertreten, ein unvollständiger Wortlaut sei nach dem beiden Vertragspartnern gemeinsamen Willen auszulegen (SCHULTZ, a.a.O., S. 110/11; GUGGENHEIM, Traité de Droit international public, Bd. I, 2. Aufl. 1967, S. 252). Trifft diese Ansicht zu, wäre der Einwand des Departementes schon aus diesem Grunde nicht zu beachten. Die Frage kann aber offen bleiben.
Weder in der Botschaft des Bundesrates noch während der Verhandlungen der eidgenössischen Räte ist die Anwendung des Postregals ausdrücklich vorbehalten worden (vgl. BBl 1879 III S. 1116). Die gleiche Feststellung gilt hinsichtlich Art. 6 der Übereinkunft. Das Departement kann seinen Einwand nur auf eine Wendung in der Botschaft stützen, wonach der Vertrag "keinen Bundesvorschriften widerspreche". Darin liegt jedoch kein klar ausgedrückter, vom Wortlaut abweichender Wille des schweizerischen Vertragspartners. Es gebricht somit an einer entscheidenden Voraussetzung, um nach der erwähnten Rechtsprechung eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung zu rechtfertigen.
Das Departement macht in diesem Zusammenhang noch geltend, der schweizerische "ordre public" verlange diesen Vorbehalt; die Aufhebung der Alleinrechte der Schiffahrtsinnungen könne unmöglich "die Aufhebung von verfassungsmässigen Grundrechten" eines der vertragschliessenden Länder gewollt haben. Die schweizerische öffentliche Ordnung verlangt jedoch höchstens eine polizeiliche Aufsicht über die (regelmässige und nicht regelmässige) Personenbeförderung, aber kein Bundesmonopol.
Art. 36 BV
besagt lediglich, dass das Post- und Telegraphenwesen im ganzen Umfang der Eidgenossenschaft Bundessache sei: Wie weit die regelmässige Personenbeförderung auf Schiffen darunter falle, hat ausschliesslich der Bundesgesetzgeber zu bestimmen. Wenn aber der Bundesgesetzgeber den gewerblichen regelmässigen Personenverkehr auf dem Rhein zwischen Neuhausen und Basel vom Postregal
BGE 94 I 669 S. 675
ausnehmen wollte, konnte er dies ohne weiteres tun. Eine solche Ordnung schränkt zwar den Bereich des Postregals ein, widerspricht aber keinen fundamentalen Verfassungsvorschriften des Bundes.
b) Nach FAVRE (L'interprétation objective des traités internationaux, in Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht 1960 S. 98) und nach GUGGENHEIM (Traité de Droit international public, Bd. I, 2. Aufl., S. 253) ist zur Auslegung besonders auf den Zweck abzustellen, den ein zwischenstaatlicher Vertrag verfolgt. Zur Ermittlung des Zwecks eignet sich zuweilen die Präambel (vgl.
BGE 62 I 227
), die dem Vertragstext richtungsweisend vorangestellt ist (SCHULTZ, a.a.O., S. 111).
Die Präambel bezeichnet als Zweck des Staatsvertrages die Herbeiführung einer Ordnung, welche der gegenwärtigen Gesetzgebung, namentlich im Gewerbewesen, und den Bedürfnissen des Verkehrs entspreche. Unzweifelhaft ging es den Vertragsparteien in erster Linie um die Aufhebung der vorher gültigen "Neuen Ordnung" von 1808, die mit ihren Sondervorschriften als mit der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar betrachtet wurde. Zu dieser Deutung führt auch die Bemerkung des Bundesrates, die Regierung des Kantons Aargau habe anlässlich der Beschwerde eines Privaten über Beschränkung des freien Verkehrs durch die Rheinschiffahrtsordnung angeregt, die bezüglichen Verhältnisse umzugestalten (BBl 1875 II S. 553). Die Übereinkunft sichert nun gerade die Handels- und Gewerbefreiheit auf der Rheinstrecke zwischen Neuhausen und Basel; der Wortlaut entspricht diesem angestrebten Zweck. Freilich existierten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch keine Motorboote und fanden keine Schiffahrten mit regelmässiger Personenbeförderung statt. Der Bundesrat anerkannte jedoch auch am 25. April 1949 - als längst Schiffahrten mit regelmässiger Personenbeförderung auf dem Rhein oberhalb Basels möglich waren - in einem Schreiben an die französische Regierung die freie Schiffahrt, ohne einen Vorbehalt hinsichtlich des Postregals anzubringen.
Das Departement schliesst überdies aus dem Zusammenhang, dass die Übereinkunft von 1879 den Ausschluss des Postregals auf dem Rhein nicht bezweckte. Es beruft sich insbesondere auf die zur Zeit des Vertragsschlusses geltende Bundesgesetzgebung. In der Tat deckt sich der Inhalt von Art. 1 und 2 des BG vom 30. Mai 1849 betreffend den freien Verkehr an der Wasserstrasse
BGE 94 I 669 S. 676
von Luzern nach Flüelen (OS 1848-1849, S. 178) weitgehend mit dem von Art. 1 des Übereinkommens von 1879. Nach diesem 30 Jahre älteren Bundesgesetz war es "jedermann erlaubt, Personentransporte zwischen Flüelen und Luzern durchzuführen", und es blieben lediglich Vorschriften der Sicherheitspolizei vorbehalten. Trotz dieses Wortlautes war indes nicht beabsichtigt, das Postregal, welches erst kurz vorher (am 4. Brachmonat 1849 durch das BG über das Postregale für den regelmässigen Schiffsverkehr) eingeführt worden war, auf dem Vierwaldstättersee auszuschliessen (vgl. Art. 2 c und 4). Das Regulativ über die Erteilung von Postkonzessionen vom 28. Wintermonat 1851 (OS 1850-1851 S. 601) sieht in Art. 11 für Dampfschiffe eine Konzessionsgebühr vor, ohne dass für den Vierwaldstättersee ein Vorbehalt angebracht worden wäre. Bei dieser Ordnung ist es im folgenden geblieben (vgl. die Verordnung vom 27. März 1874, OS 1872-1874 S. 549; vom 24. November 1882, AS 1882 S. 593; vom 19. Dezember 1910, BS 7 S. 347 und den jetzt gültigen BRB über die regelmässige Beförderung von Personen mit Schiffen vom 27. April 1959 Art. 1, AS 1959 S. 378).
Indessen handelt es sich beim Vierwaldstättersee um ein Gewässer im Landesinnern mit einer darauf zugeschnittenen schweizerischen Ordnung, beim Rhein zwischen Neuhausen und Basel dagegen um einen Grenzfluss mit einer staatsvertraglichen Regelung. Die Schweiz hat für den Reisendenverkehr auf dem Rhein von Basel bis zur Mündung auch für schweizerische Unternehmen nie das Postregal beansprucht (FAVRE/WICK, Das schweizerische Transportrecht für Eisenbahnen und Schiffe, Komm. zum Transportreglement vom 24. Juni 1949, Art. 1 N. 7); für den unter die Mannheimer Rheinschiffahrts- Akte vom 17. Oktober 1868/20. November 1963 (BS 13 S. 489; AS 1967 S. 1591) fallenden Teil des Rheins anerkennt also die Schweiz die Verkehrsfreiheit auch für die schweizerischen Unternehmen (vgl. zur Schiffahrtsfreiheit auf Grund der Mannheimer Akte: KRAUS und SCHEUNER, Rechtsfragen der Rheinschiffahrt, zwei Rechtsgutachten, Frankurt 1956).
Beim Abschluss der Übereinkunft von 1879 bestand zudem bereits eine staatsvertragliche Ordnung sowohl für die Rheinschiffahrt unterhalb Basels als auch für diejenige oberhalb von Neuhausen: die Mannheimer Akte von 1868 einerseits, der Vertrag von 1867 zwischen der Schweiz und dem Grossherzogtum
BGE 94 I 669 S. 677
Baden betreffend die Schiffahrts- und Hafenordnung für den Untersee und den Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen (BS 13 S. 442) anderseits. Die Übereinkunft von 1879 stellt gleich wie die beiden früher abgeschlossenen Staatsverträge den Grundsatz der freien Schiffahrt an die Spitze, unterscheidet sich dann aber vom Vertrag von 1867 betreffend den Untersee und den Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen dadurch, dass sie dessen Art. 6 Abs. 1 und 2, welche die Schiffahrtsfreiheit wieder einschränken, nicht übernimmt; diese Art. 6 Abs. 1 und 2 des Vertrages von 1867 erlauben dem Uferstaat nicht nur, die Ausübung der Schiffahrt vom Besitz eines Schifferpatentes abhängig zu machen; der Wortlaut gestattet auch, eine echte Konzessionspflicht vorzusehen. Die deutschen Behörden haben diese Konzessionspflicht anerkannt und der Verlängerung der schweizerischen Konzessionen jeweils zugestimmt. Die Übereinkunft von 1879 betreffend den Schifffahrtsverkehr zwischen Neuhausen und Basel enthält dagegen keine entsprechenden Bestimmungen.
5.
Das Departement beruft sich überdies auf die Tatsache, dass die Bundesverwaltung spätestens seit 1910 unangefochten an deutsche Schiffahrtsunternehmungen mit Sitz in Deutschland und an schweizerische Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz Konzessionen erteilt hat (vgl. Konzession vom 22. August 1910 an die Müllheimer Dampfschiffahrtsgesellschaft in Müllheim am Rhein für die Strecke Basel-Augst; Konzession vom 23. September 1912 an die Köln-Müllheimer-Dampfschiffahrtsgesellschaft in Müllheim am Rhein für die Strecke Basel-Rheinfelden; Konzession vom 16. April 1952 an die Basler Rheinschifffahrt AG für die Strecke Basel-Rheinfelden).
Bei der Auslegung staatsvertraglicher Abmachungen ist die Praxis der politischen und administrativen Behörden für die Gerichte nicht verbindlich. Sie ist aber für die eigene Meinungsbildung des Richters nicht unbeachtlich. Das gilt besonders dann, wenn es sich wie hier um ein internationales Abkommen handelt, dessen Anwendung zum weitaus grössten Teil in den Händen der genannten Behörden liegt. In einem solchen Falle lässt sich ein Abweichen von der Praxis dieser Behörden nur rechtfertigen, wenn zwingende Gründe ihre Übernahme verbieten (
BGE 81 II 330
,
BGE 93 II 361
/2). Im vorliegenden Fall wurde durch Bundesratsbeschluss vom 29. April 1960 die regelmässige gewerbsmässige Beförderung von Reisenden auf der Rheinstrecke
BGE 94 I 669 S. 678
zwischen Basel und Rheinfelden mit Schiffen bis auf weiteres vom Postregal ausgenommen (AS 1960 S. 437). Damit hat der Bundesrat selbst die bisherige Verwaltungspraxis durchlöchert.
6.
Gewährleistet die Übereinkunft von 1879 - im Gegensatz zum schweizerischen Postverkehrsgesetz aus dem Jahre 1924 - die freie Schiffahrt auf dem Rhein zwischen Neuhausen und Basel, so ist weiter zu untersuchen, ob das später erlassene Postverkehrsgesetz dem älteren Staatsvertrag vorgehe oder umgekehrt.
a) Ob späteres Landesrecht dem früheren Staatsvertragsrecht vorgehe, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum streitig. In Sachen Steenworden (
BGE 59 II 337
/8) entschied das Bundesgericht am 17. Juli 1933, dass in einem Konflikt zwischen der älteren internationalen Urheberrechts-Konvention und einem neueren schweizerischen Urhebergesetz das interne Recht vorgehe. In
BGE 93 II 197
Erw. 4 wird dagegen ausgeführt, dass dem Art. 1 des Gerichtsstandsabkommens mit Frankreich vom 15. Juni 1869 in bezug auf das aus dem Jahre 1962 stammende Kartellgesetz der Vorrang zukomme. GIACOMETTI (Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, 1960, S. 168 Anm. Nr. 107), FAVRE (Cours de droit des gens, S. 154) und AUBERT (Traité de droit constitutionnel suisse, Bd. 2, 1967, Nr. 1326) vertreten die Ansicht, ein neues Bundesgesetz könne einem bestehenden Staatsvertrag derogieren; auch ein völkerrechtswidriges Gesetz sei dementsprechend anzuwenden. GUGGENHEIM (Völkerrechtliche Schranken im Landesrecht, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 16, 1955, S. 10/11) lehnt diese Meinung dagegen ab.
Zu diesen Fragen muss nicht abschliessend Stellung genommen werden. Es genügt festzuhalten, dass der Bundesgesetzgeber gültig abgeschlossene Staatsverträge gelten lassen will, sofern er nicht ausdrücklich in Kauf nimmt, dass völkerrechtswidriges Landesrecht zustande komme. Im Zweifel muss innerstaatliches Recht völkerrechtskonform ausgelegt werden; d.h. so, dass ein Widerspruch mit dem Völkerrecht nicht besteht. Diese Auslegungsregel erlaubt es, Konflikte zwischen den beiden Rechtsordnungen meistens zu vermeiden; sie entspricht den neuen Strömungen in Frankreich, in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden (bezüglich Frankreichs: s. Art. 55 der Verfassung vom 4. Oktober 1958 sowie Encyclopédie
BGE 94 I 669 S. 679
Dalloz, Droit international II F-Z, 1969, S. 932 N. 209-211; bezüglich der Bundesrepublik Deutschland: s. MAUNZ-DÜRING, Komm. zum Grundgesetz, 2. Aufl., N. 2 und 30 zu Art. 25 sowie WENGLER, Völkerrecht I, 1964, S. 95; bezüglich der Niederlande: s. CONSTANTINESCO, Droit communautaire et droit constitutionnel néerlandais, in Revue générale de droit international public 1969 S. 405). Zum gleichen Ergebnis kommt grundsätzlich auch der Bundesrat, wenn er ausführt, dass im Falle von Widersprüchen der völkerrechtliche Vertrag in der Regel der landesrechtlichen Gesetzgebung vorgehe (vgl. Botschaft an die Bundesversammlung vom 1. März 1965 über die Genehmigung von acht Übereinkommen des Europarates, BBl 1965 I S. 439; Bericht vom 15. Mai 1968 an die Bundesversammlung über die Richtlinien für die Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1968-1971, BBl 1968 I S. 1218).
b) Das Postverkehrsgesetz hat abweichendes Staatsvertragsrecht nicht ausdrücklich vorbehalten. Weder der Wortlaut noch die Vorarbeiten deuten darauf hin, dass der Bundesgesetzgeber eine Ordnung schaffen wollte, die nicht im Einklang mit dem vorher von der Eidgenossenschaft abgeschlossenen Staatsvertrag stehen sollte. Der Bundesratsbeschluss vom 27. April 1959 über die regelmässige Beförderung von Personen mit Schiffen (AS 1959 S. 378) führt in Art. 1 Abs. 2 aus:
"Vorbehalten bleiben (hinsichtlich der Konzessionspflicht) die Bestimmungen internationaler Vereinbarungen über die Schiffahrt auf Grenzgewässern."
Zum Erlass von Art. 1 Abs. 2 dieses Beschlusses war der Bundesrat ermächtigt.
Art. 2 Abs. 2 PVG
ordnet die Ausnahmen vom Postregal nicht abschliessend, sondern überlässt es dem Bundesrat, weitere Ausnahmen zu gestatten (Botschaft des Bundesrates vom 28. Oktober 1921, BBl 1921 IV S. 698; Sten.Bull. StR 1922 S. 267, Votum Baumann; Sten.Bull. NR 1923 S. 6, Votum Obrecht). Damit ermächtigt das Postverkehrsgesetz den Bundesrat insbesondere, die staatsvertraglich vereinbarten Befreiungen vom Postregal vorzubehalten.
c) Schon nach dem gesetzten (innerstaatlichen) Recht ist demzufolge Staatsvertragsrecht auf den vorliegenden Streitfall anzuwenden. Zum gleichen Ergebnis führt auch die Annahme, dass der Bundesgesetzgeber durch den Erlass des Postverkehrsgesetzes die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die ihm
BGE 94 I 669 S. 680
aus dem Vertrag von 1879 erwachsen sind, nicht verletzen und die freie Schiffahrt auf dem Rhein zwischen Neuhausen und Basel stillschweigend vorbehalten wollte.
7.
Art. 1 der Übereinkunft von 1879 gewährleistet jedermann die freie Schiffahrt auf der Rheinstrecke zwischen Neuhausen und Basel. Demnach sind die deutschen Schiffer der Konzessionspflicht nicht unterworfen; es besteht aber auch kein Hinweis dafür, dass die Eidgenossenschaft mit dem Vertragsabschluss ihre Einwohner habe schlechter behandeln wollen. Das Feststellungsbegehren des Beschwerdeführers ist deshalb begründet und seine Beschwerde gutzuheissen. Der Beschwerdeführer wird damit von verschiedenen Auflagen (wie Fahrplan- und Tarifpflicht) befreit. Doch ist er nicht davon entbunden, die polizeilichen Vorschriften zu beachten, welche das eidgenössische und kantonale Recht für die nicht konzessionspflichtige Schiffahrt aufgestellt haben (z.B. über den Gewässerschutz, die Sicherheit der Passagiere und die Verminderung des durch seinen Betrieb bedingten Lärms).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3378999-364b-42ac-a481-d79d29920b43 | Urteilskopf
94 I 562
78. Arrêt de la Ire Cour civile du 25 juin 1968 dans la cause Dilbo SA contre Chambre du registre du commerce du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg. | Regeste
Handelsregister.
1. Voraussetzungen für die Löschung einer Aktiengesellschaft, die tatsächlich aufgelöst worden sein soll (Erw. 1). Verfahren, das in einem solchen Fall einzuschlagen ist (Erw. 2).
2. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei Verwaltungsgerichtsbeschwerden in Handelsregistersachen (Erw. 3).
3. Anwendbarkeit des Verfahrens gemäss
Art. 86 HRegV
auf eine Aktiengesellschaft, deren gestützt auf
Art. 42 Abs. 2 oder
Art. 43 Abs. 1 HRegV
im Handelsregister eingetragene Adresse nicht mehr der Wahrheit entspricht (Erw. 4 u. 5). | Sachverhalt
ab Seite 562
BGE 94 I 562 S. 562
A.-
La société Dilbo SA a toujours eu pour seul administrateur Henri Bollin, qui est domicilié à St-Gall. Elle a été constituée le 17 janvier 1947 sous la raison sociale Allraum SA et avait son siège dans la même ville. Son but était notamment la fabrication et la vente de meubles construits selon un procédé original, l'octroi de licences et la participation à des entreprises du même genre (FOSC 1947 p. 514). Le 31 juillet 1958, elle a adopté sa dénomination actuelle et s'est fixé pour but "l'exploitation de constructions nouvelles dans la branche de la photo, du cinéma et de la télévision, la participation à des entreprises en Suisse et à l'étranger ainsi qu'à
BGE 94 I 562 S. 563
des transactions financières et d'autres affaires affiliées". Elle a aussi changé d'adresse et établi son domicile à l'étude de Me Léon Strässle à St-Gall (FOSC 1958 p. 2120).
Le 26 septembre 1962, Dilbo SA a décidé de déplacer son siège à Fribourg. Plus d'un an après, le 26 février 1964, elle a requis son inscription au registre du commerce de la Sarine en indiquant comme adresse l'étude de Me Stephan Poffet dans l'immeuble no 34 de la place de la Gare à Fribourg (FOSC 1964 p. 717).
Par lettre du 29 avril 1965, Me Poffet a informé Bollin et le préposé au registre du commerce de la Sarine qu'il n'acceptait plus que la société Dilbo SA fût domiciliée à son étude. Le 5 mai, le préposé invita Bollin à lui communiquer la nouvelle adresse de la société. De juin 1965 à novembre 1967, il lui adressa, mais en vain, cinq sommations dans ce sens. Puis il transmit le cas à son autorité de surveillance.
B.-
Par lettre du 5 décembre 1967, la Chambre du registre du commerce du Tribunal cantonal fribourgeois impartit à Bollin, sous menace de radiation et d'amende, un délai de 15 jours, qu'elle prolongea jusqu'au 2 janvier 1968, pour qu'il lui indique le nouveau domicile de Dilbo SA Bollin n'obtempéra pas. Le 30 janvier 1968, elle prit la décision suivante:
"1. Le préposé du registre du commerce de la Sarine, à Fribourg, procédera à la radiation de la société Dilbo SA dont le siège est à Fribourg.
2. Une amende de 100 fr. est infligée à Henri Bollin.
3. Les frais sont mis à la charge de la société Dilbo SA, à Fribourg".
Selon les motifs de cette décision, le fait que Bollin n'a pas été en mesure pendant près de trois ans d'indiquer la nouvelle adresse de Dilbo SA au préposé, en conformité de l'art. 42 ou 43 ORC, laisse supposer que la société a cessé son activité. Cela justifierait une application par analogie de l'art. 89 ORC.
C.-
Agissant au nom de Dilbo SA, Bollin a formé un recours de droit administratif devant le Tribunal fédéral. Il conclut à l'annulation de la radiation ordonnée. Il fait valoir que la société poursuit son activité et qu'elle s'est constitué un domicile à l'étude de Me Oberson, notaire à Fribourg.
La Chambre du registre du commerce du Tribunal cantonal fribourgeois s'est référée aux considérants de sa décision.
BGE 94 I 562 S. 564
Le Département de justice et police a présenté des observations et produit la photocopie d'un acte de défaut de biens après saisie que l'Office des poursuites de la Sarine avait délivré à la Confédération le 9 décembre 1966 dans une poursuite dirigée contre Dilbo SA en recouvrement d'une amende de 500 fr. Il suppose que Dilbo SA est dépourvue de biens et estime que son administrateur unique s'en désintéresse. Dans ces circonstances et du moment que les sommations adressées à Bollin sont demeurées sans effet, il considère que la société devrait être dissoute et invitée à prouver qu'elle possède des biens. Sa radiation interviendrait ultérieurement. Le Département fédéral de justice et police conclut dans ce sens au rejet du recours.
D.-
Le Juge délégué a procédé à une enquête complémentaire en application de l'art. 105 OJ.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 746 CO oblige les liquidateurs d'une société anonyme juridiquement dissoute pour une cause autre que la faillite d'aviser le préposé au registre du commerce, après la fin de la liquidation, que la raison sociale est éteinte. Le préposé recourt à la procédure prévue par l'art. 122 AIN et, suivant son issue, radie la société anonyme.
Selon l'art. 939 al. 3 CO, la société anonyme dissoute ensuite de faillite est radiée au registre du commerce après la clôture de celle-ci. En cas de concordat judiciaire par abandon d'actif ou de suspension de faillite faute d'actif, la radiation n'est effectuée qu'une fois la liquidation terminée (art. 66 al. 2 et 3 ORC; RO 90 II 256; cf. Circulaire du Département fédéral de justice et police aux autorités cantonales de surveillance du registre du commerce des 20 août 1937 et 15 mars 1940, FF 1937 II 813/814 et 1940 p. 347).
Aux termes de l'art. 938 CO, la radiation de la raison de commerce d'une maison qui cesse d'exister doit être requise par les anciens chefs de la maison. Et la jurisprudence précise que la société anonyme qui n'est pas juridiquement dissoute doit néanmoins être radiée lorsqu'elle est complètement liquidée et définitivement abandonnée par les intéressés (RO 55 I 136, 64 II 363 consid. 1, 67 I 38, 80 I 62 consid. 2 a).
Il s'ensuit que, hormis les cas visés par les art. 748 ch. 7, 751 al. 3 CO, 49 al. 3 et 51 ORC, la société anonyme ne peut
BGE 94 I 562 S. 565
être radiée aussi longtemps qu'elle n'est pas liquidée (cf. art. 739 al. 1 CO).
2.
La radiation d'une société anonyme ne peut avoir lieu même si ses organes et représentants ont disparu et qu'aucune personne disposant des pouvoirs nécessaires ne pourvoit à l'administration de ses biens. Dans une telle hypothèse en effet, l'autorité tutélaire la place sous curatelle conformément à l'art. 393 ch. 4 CC. Suivant les circonstances, le curateur désigné est chargé de la liquider.
L'art. 89 al. 1 ORC, qui prescrit la radiation d'office de toute société anonyme dont l'activité a cessé et dont les organes et représentants en Suisse ont disparu, suppose par conséquent que la société soit liquidée.
En outre, la procédure de radiation d'office, instituée par l'art. 89 al. 2 et 3 ORC, n'est applicable que si les organes et représentants de la société ont disparu. Si cette condition n'est pas remplie, la radiation d'une société anonyme complètement liquidée et définitivement abandonnée ne peut intervenir, à moins qu'elle ne soit requise d'emblée, que dans le cadre de la procédure réglée par l'art. 60 ORC (arrêts non publiés Ramstein c. Conseil d'Etat du canton de Bâle-Campagne, du 13 juillet 1948, consid. 1, Spinner c. Direction de la justice du canton de Zurich, du 14 novembre 1961, consid. 1). Ainsi, lorsque des indices suffisants lui permettent de considérer qu'une société anonyme a réellement cessé d'exister, le préposé, dont l'une des tâches consiste à rechercher si les inscriptions sont encore conformes aux faits (art. 63 al. 2 ORC), doit sommer les personnes qui y sont tenues de requérir dans un délai convenable la radiation de la société. Si la réquisition demandée lui parvient, il procède selon l'art. 122 AIN puis radie la société. Sinon il transmet le cas à son autorité de surveillance. Celle-ci examine la situation et lui ordonne, s'il y a lieu, de radier la société (cf. art. 60 al. 1 et 2 ORC).
En l'espèce, ni le préposé ni l'autorité de surveillance n'ont invité Bollin à requérir la radiation de Dilbo SA L'autorité cantonale n'a pas non plus cherché à savoir si la société était complètement liquidée et si son administrateur unique l'avait définitivement abandonnée. Dès lors, elle ne pouvait ordonner sa radiation au registre du commerce.
3.
Le Tribunal fédéral n'est pas une autorité de surveillance du registre du commerce (RO 57 I 149). Saisi en cette
BGE 94 I 562 S. 566
matière d'un recours de droit administratif, il ne peut statuer que sur les points qui ont formé l'objet du litige devant l'instance cantonale (RO 65 I 145 consid. 2).
En l'espèce, l'incapacité de Bollin de procurer un nouveau domicile à Dilbo S. A. et d'autres circonstances révélées par l'enquête complémentaire, notamment la délivrance contre cette société d'actes de défaut de biens au cours des années 1965 à 1967 et le fait qu'elle n'a pas remis certaines déclarations à l'autorité fiscale pendant plusieurs années, donnent à penser qu'elle est complètement liquidée et définitivement abandonnée. Dès lors, le préposé aurait eu quelques raisons de sommer Bollin de requérir la radiation de la recourante. Mais il n'a pas agi dans ce sens. L'autorité cantonale de surveillance, quant à elle, s'est uniquement souciée de la décision qu'il convenait de prendre à l'égard d'une société anonyme dont l'adresse indiquée au registre ne correspond plus à la réalité. Elle n'a pas songé, malgré la carence de l'administrateur unique, à provoquer l'ouverture de la procédure de radiation prévue par l'art. 60 ORC.
Cela étant, le Tribunal fédéral ne peut enjoindre au préposé d'engager la procédure de l'art. 60 ORC en vue de la radiation de Dilbo SA Il lui incombe tout au plus d'attirer son attention sur les faits précités (art. 63 al. 3 ORC).
Il reste à savoir si l'incurie de l'administrateur de la recourante entraîne d'autres conséquences que le prononcé d'une amende, lequel n'est pas remis en cause dans le présent recours.
4.
Selon l'art. 23 al. 1 CC, la personne physique a son domicile au lieu où elle réside avec l'intention de s'y établir. L'art. 56 CC confère aussi un domicile à la personne morale (RO 53 I 130). Celui-ci se trouve au lieu où elle a son siège.
En vertu des art. 626 ch. 1 et 641 ch. 2 CO, le siège de la société anonyme doit figurer dans les statuts et être inscrit sur le registre du commerce. On admet généralement que les statuts satisfont à cette exigence s'ils indiquent comme siège statutaire le nom d'une commune politique (F. VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 3e éd., p. 45; cf. RO 56 I 67). Pour le registre du commerce, en revanche, l'inscription du siège doit être plus complète. Selon les art. 42 al. 2 et 43 al. 1 ORC, elle doit mentionner le local de l'entreprise ou le bureau de la direction, en précisant si possible la rue et le numéro de l'immeuble, ou indiquer chez qui la personne
BGE 94 I 562 S. 567
morale a son domicile au siège statutaire, lorsque celle-ci n'a pas de bureau à ce siège.
Le siège de la société anonyme crée le for de la poursuite et le for ordinaire des actions dirigées contre elle (cf. art. 46 al 2. LP et 642 al. 3 CO). Il est aisé de déterminer l'un et l'autre si l'on connaît uniquement le nom de la commune politique où elle a son siège. D'autre part, le domicile des administrateurs à qui les actes de procédure et de poursuite doivent être notifiés est inscrit sur le registre du commerce (art. 641 ch. 8 CO). Enfin, il résulte de la jurisprudence que l'adresse de celui chez qui la société anonyme a pris domicile conformément à l'art. 43 al. 1 ORC ne constitue pas de par la loi le bureau au sens de l'art. 65 al. 2 LP, où la notification des actes de poursuite peut être faite à l'une des personnes visées par cette disposition (RO 88 III 17/18; cf. RO 44 III 22, 72 III 73; JAEGER, n. 6 et 16 ad art. 65 LP). L'inobservation des prescriptions contenues aux art. 42 al. 2 et 43 al. 1 ORC n'empêche donc pas le déroulement d'un procès ou d'une poursuite contre la société anonyme.
Il n'en reste pas moins que la réquisition de l'inscription d'une société anonyme qui n'a pas de bureau au siège statutaire ne réunit pas les conditions nécessaires et ne peut dès lors être opérée si elle n'indique pas chez qui la société a son domicile à ce siège. Or, selon l'art. 643 al. 1 CO, la société n'acquiert la personnalité que par son inscription sur le registre du commerce. De même, sous réserve de l'art. 932 CO, le transfert du siège de la société anonyme ne déploie pas d'effet à l'égard des actionnaires et des tiers avant d'être inscrit sur le registre du commerce (RO 84 II 42). Il s'ensuit que la loi subordonne l'existence du domicile de la société anonyme, que cette dernière peut librement choisir sur le territoire de la Confédération lorsqu'elle est créée conformément au droit suisse (RO 76 I 159), à l'indication au registre du commerce du bureau qu'elle possède à son siège statutaire ou de la personne chez qui elle est domiciliée.
En l'espèce, il est constant que Dilbo SA n'a pas de bureau à son siège statutaire, qu'elle n'est plus domiciliée à l'étude de Me Stephan Poffet, à Fribourg et que, malgré les nombreuses sommations du préposé, elle n'a pas été en mesure durant trois ans environ de se créer un nouveau domicile.
Certes la recourante conserve pour l'instant son siège dans la commune de Fribourg en vertu de l'art. 24 al. 1 CC, qui est
BGE 94 I 562 S. 568
applicable aux personnes morales (EGGER, n. 13 ad art. 24 CC). Seule la mention de la personne chez qui elle fut domiciliée devrait être radiée, afin que, sans préjudice de ce qui a été exposé au considérant 3, son inscription sur le registre du commerce soit conforme à la vérité. D'autre part, l'inobservation de la règle contenue à l'art. 43 al. 1 ORC ne figure pas parmi les motifs de dissolution prévus par l'art. 736 CO. Cependant, ainsi qu'on l'a vu, la société anonyme ne peut être inscrite sur le registre du commerce et, partant, acquérir un domicile sans indiquer, conformément aux règles des art. 42 al. 2 ou 43 al. 1 ORC, l'endroit où celui-ci se rattache. Elle ne saurait dès lors subsister indéfiniment et doit donc être dissoute, lorsque les dispositions auxquelles l'existence de son domicile est subordonnée ne sont plus observées. La dissolution d'une société anonyme, prononcée d'office pour cause d'inobservation de certaines prescriptions ou de rénitence, est spécialement prévue par l'art. 711 al. 4 CO. La procédure à suivre en pareil cas est régie par l'art. 86 ORC. Aussi se justifie-t-il d'appliquer la même procédure à l'égard de la société qui ne respecte plus les règles énoncées à l'art. 42 al. 2 ou 43 al. 1 ORC.
5.
Il résulte de ce qui précède que le préposé au registre du commerce de la Sarine devra agir selon l'art. 86 ORC. Il lui incombera notamment de sommer la recourante, sous menace de dissolution, de rétablir la situation légale, à moins que dans l'intervalle elle ait fait inscrire son nouveau domicile.
Le préposé pourra également engager la procédure prévue par l'art. 60 ORC en vue de la radiation de Dilbo SA, s'il le juge opportun.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule le chiffre 1 du dispositif de la décision prise le 30 janvier 1968 par la Chambre du registre du commerce du Tribunal cantonal de l'Etat de Fribourg et renvoie la cause à l'autorité cantonale dans le sens des motifs. | public_law | nan | fr | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d33cebc5-5dc9-4b3a-96e4-bceed3156400 | Urteilskopf
107 IV 3
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Januar 1981 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A. Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde). | Regeste
Art. 10 f. StGB.
Nicht jede durch den Konsum von Alkohol oder andern bewusstseins- und willensbeeinflussenden Drogen bewirkte kurzfristige Enthemmung oder Verdummung genügt, um die Zurechnungsfähigkeit herabzusetzen. Berücksichtigung des Verhaltens des Täters vor, während und nach seiner Tat. | Sachverhalt
ab Seite 3
BGE 107 IV 3 S. 3
A.-
K. hielt sich am Abend des 3. Mai 1980 (Samstag) zusammen mit seiner Freundin zunächst in einem Restaurant in Gossau und anschliessend im Restaurant A. in Herisau auf. Er konsumierte verschiedene alkoholische Getränke (Bier, Wein, Café Lutz, Whisky) in nicht mehr genau feststellbarer Menge. Nachdem er um ca. 1 Uhr nachts mit dem Taxi nach St. Gallen gefahren war und sich dort von seiner Freundin verabschiedet hatte, bestellte er erneut ein Taxi und fuhr in diesem um 1.40 Uhr zum Restaurant A. nach Herisau zurück. Da das Lokal inzwischen geschlossen hatte und ihm auf sein Klopfen niemand öffnete, begab er sich zum ca. 50 m. daneben gelegenen Restaurant B., das ebenfalls geschlossen war. An der Hinterfront des Gebäudes schlug er ein Fenster ein, drang ins Haus ein und stieg die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf, öffnete eine Tür und schaltete das Licht ein. Das Zimmer, das er betrat, war das Schlafzimmer des allein im Haus wohnenden 80jährigen Wirts Z., der durch den Lärm und das Licht geweckt worden war. K. verlangte von Z. die Herausgabe von Geld, andernfalls er ihn zusammenschlage. Nach einer kurzen Rauferei zwischen den beiden gelang es Z. in einem günstigen Augenblick, aus dem Zimmer zu fliehen. Während Z. im Freien um Hilfe rief, konnte K. unbemerkt entkommen.
BGE 107 IV 3 S. 4
B.-
Die kantonalen Gerichte qualifizierten diese Tat als vollendeten Raubversuch, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch und verurteilten K. deswegen und wegen verschiedener anderer Straftaten zu 18 Monaten Gefängnis unbedingt.
C.-
K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er rügt die Verletzung von
Art. 263,
Art. 11,
Art. 66 und
Art. 13 StGB
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei bei der in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai 1980 begangenen Tat infolge des von ihm zuvor genossenen Alkohols unzurechnungsfähig oder jedenfalls vermindert zurechnungsfähig gewesen. Er sei daher insoweit wegen Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (
Art. 263 StGB
) zu verurteilen, beziehungsweise es sei die Strafe gemäss Art. 11 in Verbindung mit
Art. 66 StGB
nach freiem Ermessen zu mildern.
a) In welchem Zustand sich K. zur Zeit der Tat befand, ist Tatfrage, die im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Entscheidung gestellt werden kann (
Art. 273 Abs. 1 lit. b,
Art. 277bis BStP
). Rechtsfrage und vom Kassationshof zu prüfen (
Art. 269 Abs. 1 BStP
) ist, ob die Vorinstanz von zutreffenden Begriffen der (Un-)Zurechnungsfähigkeit und der verminderten Zurechnungsfähigkeit ausgegangen sei und ob sie diese im konkreten Fall richtig angewendet habe. Beides trifft zu.
Auch wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass K. in völlig nüchternem Zustand zu einem raffinierteren Vorgehen imstande gewesen wäre, so lässt sich daraus noch nicht auf eine Verminderung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit im bezug auf die konkrete Tat schliessen. Das Vorgehen des Beschwerdeführers war durchaus folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass er nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz am Abend erfolglos versucht hatte, von der Serviertochter Geld zu borgen. Als er bei seiner Rückkehr das Restaurant A. verschlossen vorfand und ihm auch auf sein Klopfen und Poltern hin nicht Einlass gewährt wurde, versuchte er das Geld auf anderem Wege zu beschaffen und drang zu diesem
BGE 107 IV 3 S. 5
Zweck in das Nachbargebäude ein. Als sich der 80jährige Z. durch die Drohungen des K. nicht einschüchtern liess, ergriff dieser, da er das Risiko der Verwirklichung seiner Absicht als zu gross erkannte, die Flucht. Es kann unter diesen Umständen keine Rede davon sein, dass das Vorgehen des K. "geradezu stupide" und persönlichkeitsfremd (K. ist schon mehrmals wegen Diebstahls, Entwendung und Betruges verurteilt worden) gewesen sei, wie in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Begründung der Unzurechnungsfähigkeit behauptet wird.
Dass der Alkohol womöglich eine gewisse Enthemmung und Verdummung des Beschwerdeführers bewirkte, reicht zur Bejahung einer Verminderung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit bezüglich der konkreten Tat nicht aus. Wie der Kassationshof bereits in bezug auf neurotische Fehlentwicklungen entschieden hat, genügt nicht jede Abweichung von der Norm zur Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit (
BGE 102 IV 226
E. 7b mit Hinweisen). Gleiches muss für die Wirkung von Alkohol und andern bewusstseins- und willensbeeinflussenden Drogen angenommen werden. K. war auch in seinem angetrunkenen Zustand in seiner Fähigkeit zur Erkenntnis des Unrechts seiner Tat und zu einsichtsgemässem Handeln nicht stärker eingeschränkt als viele andere Straftäter, die auch in nüchternem Zustand mit einer für den nicht kriminellen Rechtsgenossen unverständlichen Bedenken- und Hemmungslosigkeit fremde Rechtsgüter missachten.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat die Vorinstanz nicht nur die Einsichtsfähigkeit des K., sondern, wie aus S. 15 vor E. 4 des angefochtenen Urteils hervorgeht, auch seine Fähigkeit zu einsichtsgemässem Handeln bejaht; dies völlig zu Recht, wenn in Betracht gezogen wird, dass K. auf den Widerstand des Z. hin die Risiken seines Tuns sofort als zu gross erkannte und sich daher zur Flucht entschloss, die ihm auch gelang.
Das Obergericht ist demnach von einem richtigen Begriff der Zurechnungsfähigkeit ausgegangen und hat diese angesichts des Zustands des Beschwerdeführers, wie er von verschiedenen Zeugen übereinstimmend beschrieben wurde, und seines Tatvorgehens mit Recht bejaht.
b) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht behauptet, K. sei in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt, geisteskrank oder -schwach. Die Beschwerde geht im Gegenteil davon aus,
BGE 107 IV 3 S. 6
er sei in nüchternem Zustand ein normal handelnder, intelligenter Mensch. Auch die Akten ergeben keine Anhaltspunkte für konstitutionnelle oder krankhafte Beeinträchtigungen seines Geisteszustandes. Unter diesem Gesichtspunkt bestand somit kein Anlass zu einer Begutachtung.
c) Im Appellationsverfahren hatte der Beschwerdeführer die Einholung eines medizinischen Gutachtens über die Wirkungen des gleichzeitigen Konsums von Alkohol und Medikamenten beantragt. Das Obergericht lehnte den Antrag ab unter anderem mit der Begründung, die Behauptung des K. betreffend die Einnahme von Tabletten am fraglichen Abend sei unglaubwürdig. Der Kassationshof hat auf staatsrechtliche Beschwerde hin den Verzicht auf eine Begutachtung im konkreten Fall als mit
Art. 4 BV
vereinbar erkannt, weil das Obergericht ohne Willkür den Tablettenkonsum als nicht erwiesen erachten durfte. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird lediglich ausgeführt, es sei "nicht einzusehen, wie die Vorinstanz in Anbetracht der geschilderten Umstände (gemeint sind Alkoholkonsum und Tatvorgehen) frei von Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers sein konnte". Da indessen angesichts der übereinstimmenden Aussagen mehrerer Zeugen betreffend den Zustand des K. am fraglichen Abend und aufgrund seines Tatvorgehens kein Anlass zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers bestand, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Art. 13 StGB
auf die Einholung einer Expertise mit der gegebenen Begründung verzichten. Ein solches Gutachten wäre zudem mangels genügend gesicherter Grundlagen über Art und Menge der genossenen alkoholischen Getränke etc. ohnehin untauglich gewesen, die Beweiswürdigung zu beeinflussen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3426260-7ac7-443b-98d9-c783674c76cd | Urteilskopf
110 Ia 30
4. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 2 mai 1984 dans la cause Paroisse réformée d'Estavayer-le-Lac contre Conseil d'Etat du canton de Fribourg (recours de droit public) | Regeste
Art. 22ter BV
; Umzonung einer Parzelle in eine Zone mit Bauverbot, Verhältnismässigkeit.
Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage und des öffentlichen Interesses im konkreten Fall erfüllt (E. 3).
Berücksichtigung der Natur der von der Beschwerdeführerin als öffentlichrechtlicher Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit geltend gemachten Interessen bei der Interessenabwägung. Unverhältnismässigkeit der geplanten Massnahme, weil die sich gegenüberstehenden öffentlichen Interessen durch eine andere Massnahme in Einklang gebracht werden können (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 110 Ia 30 S. 30
La paroisse réformée d'Estavayer-le-Lac est propriétaire des parcelles Nos 1168 et 2098 du registre foncier de la commune d'Estavayer-le-Lac, sises dans la vieille ville, et dont la surface
BGE 110 Ia 30 S. 31
s'élève respectivement à 1372 m2 et à 1481 m2. Ces parcelles, formant ensemble approximativement un trapèze régulier, constituent l'esplanade comprise dans l'angle nord d'un promontoire qui s'élève immédiatement au-dessus des falaises d'Estavayer et d'où l'on domine le lac de Neuchâtel, le port de plaisance local et une partie de la vieille ville. La parcelle No 2098 a été acquise en 1965, avec l'aide de la Fédération des Eglises protestantes de Suisse, en vue de l'édification d'un centre paroissial à proximité du temple protestant sis sur la parcelle No 1168. En vertu d'une convention passée, en 1972, entre la paroisse réformée et la commune d'Estavayer-le-Lac, l'usage de la parcelle No 2098 est réservé à une place publique et un jardin d'enfants et un passage public est maintenu pour les piétons sur l'espace non bâti de la parcelle No 1168.
Le plan d'aménagement de la vieille ville d'Estavayer-le-Lac, mis à l'enquête publique en 1978, comporte un plan de zones qui prévoit un classement diversifié pour les parcelles Nos 1168 et 2098 (cf. consid. 3 ci-après) ainsi que, à titre indicatif, la réalisation de deux accès piétonniers à l'esplanade. La paroisse réformée a fait opposition à ce plan en invoquant la nécessité dans laquelle elle se trouve de construire son centre paroissial sur la parcelle No 2098, que le plan litigieux interdit à la construction. La procédure de conciliation ayant échoué, le plan d'aménagement a été transmis au Conseil d'Etat du canton de Fribourg, conformément à la loi fribourgeoise du 15 mai 1962 sur les constructions (LC). Par arrêté du 15 juillet 1983, le Conseil d'Etat a approuvé le plan des zones de la vieille ville ainsi que le règlement particulier y relatif et a rejeté l'opposition de la paroisse réformée.
Agissant par la voie du recours de droit public, la paroisse réformée d'Estavayer-le-Lac demande au Tribunal fédéral d'annuler l'arrêté du Conseil d'Etat du canton de Fribourg du 15 juillet 1983 et de renvoyer l'affaire à l'autorité intimée pour nouvelle décision. Elle invoque une violation des
art. 4 et 22ter Cst.
, soutenant, pour l'essentiel, que le classement de la parcelle No 2098 dans une zone interdite à la construction n'est pas justifié par un intérêt public et viole le principe de la proportionnalité.
Une délégation du Tribunal fédéral a procédé à une inspection locale. En tant que fondé sur l'
art. 22ter Cst.
, le recours de droit public a été admis pour les
BGE 110 Ia 30 S. 32
Erwägungen
motifs suivants:
3.
Dans le plan d'aménagement local de la commune d'Estavayer-le-Lac, adopté par le Conseil communal le 21 juin 1977 et approuvé par le Conseil d'Etat le 11 juillet 1978, la vieille ville constituait une zone d'affectation uniforme. Le plan litigieux a pour objectif général d'affiner la planification de ce secteur de la localité en vue d'assurer la conservation de sa substance historique et de son caractère, tout en permettant son intégration dans le développement de l'ensemble du territoire communal et en facilitant la restauration et le renouvellement des constructions (cf. art. 1er du règlement particulier du plan d'aménagement de la vieille ville). Il n'est pas contesté que, sous l'empire de l'ancienne réglementation, la recourante pouvait édifier sur la parcelle No 2098 le centre paroissial que, depuis de nombreuses années, elle projette de bâtir à proximité du temple construit sur sa parcelle voisine No 1168. Or le nouveau plan transfère la parcelle No 1168 dans une zone de bâtiments publics (zone bleue) et la parcelle No 2098 dans une zone verte d'aménagements publics (zone vert foncé). L'affectation de ces zones est définie par les art. 18 et 19 du règlement particulier du plan d'aménagement de la vieille ville, dispositions qui ont la teneur suivante:
"Art. 18 Zone de bâtiments publics
a) Destination
Cette zone est destinée exclusivement aux constructions d'utilité publique. On peut également y aménager des îlots de verdure, des places de jeux et de sport.
b) Plan d'îlot
Tout projet modifiant l'état actuel doit faire l'objet d'un plan spécial englobant l'ensemble de l'îlot en question.
Art. 19 Zone verte d'aménagements publics
a) Destination
Cette zone est destinée à l'aménagement de zones de verdure accessibles au public (parcs publics, jeux, etc.).
b) Interdiction de bâtir
La zone verte d'aménagements publics est frappée d'une interdiction de bâtir, à l'exception de constructions de minime importance et dont l'aménagement est imposé par la destination."
Selon ces nouvelles dispositions, la parcelle No 1168 est désormais réservée aux constructions d'utilité publique, alors que la parcelle No 2098 est en principe interdite à la construction. Pour
BGE 110 Ia 30 S. 33
justifier cette importante restriction au droit de propriété de la recourante, l'autorité intimée a fait sienne l'argumentation développée au cours de la procédure de conciliation par l'autorité communale, qui l'a exposée à nouveau devant la délégation du Tribunal fédéral. Il s'agit, d'une part, de sauvegarder l'un des rares îlots de verdure qui subsistent à l'intérieur du périmètre de la vieille ville et, d'autre part, de maintenir l'affectation au délassement collectif consentie par la paroisse réformée selon convention du 1er octobre 1972. L'inspection des lieux a en effet révélé que les espaces verts sont pratiquement inexistants dans la vieille ville, sous la seule réserve de deux petites zones dont l'une est, au demeurant, généralement occupée par les élèves d'un jardin d'enfants. Il en va de même des lieux de promenade, ce qui explique l'intention de la commune de créer deux chemins piétonniers permettant d'accéder à l'esplanade du temple. Les buts poursuivis par l'affectation projetée des parcelles de la recourante ressortissent donc, de toute évidence, à un intérêt public, tel qu'il est d'ailleurs défini par le législateur fédéral soit à l'art. 1er al. 2 lettres a et b, soit à l'art. 3 al. 3 lettres c et e LAT. On ne saurait en effet suivre la recourante lorsqu'elle prétend que la planification critiquée est une manoeuvre inadmissible pour procurer un avantage financier indu à la collectivité. On ne saurait davantage reprocher à l'autorité locale de se prévaloir incorrectement d'une situation créée par la générosité dont la recourante a fait preuve envers la population locale en souscrivant "à titre gracieux" la convention du 1er octobre 1972. Si l'on a à l'esprit la situation très particulière, qui vient d'être décrite, de l'ensemble bâti de la vieille ville, on conçoit sans autre que la planification litigieuse se serait aujourd'hui imposée à l'autorité communale indépendamment de la convention antérieure, et il n'est pas possible de la soupçonner d'avoir, en souscrivant cette dernière, voulu d'ores et déjà créer une situation préjudicielle en vue d'une planification définitive du secteur.
4.
L'existence d'une base légale et celle d'un intérêt public ne justifient toutefois pas, à elles seules, n'importe quelle restriction de droit public à la propriété privée. Il faut encore que soit respecté le principe de la proportionnalité. La restriction ne doit donc pas seulement être nécessaire, mais doit en outre ne pas aller au-delà de ce qu'il faut pour atteindre le but d'intérêt public recherché, l'autorité concernée ayant l'obligation d'adopter la mesure la moins incisive, c'est-à-dire celle qui est la moins préjudiciable aux
BGE 110 Ia 30 S. 34
particuliers pour parvenir au but d'intérêt public visé (
ATF 108 Ia 219
/220 consid. d).
L'inspection locale a démontré que la recourante ne dispose pas de locaux satisfaisants pour l'exécution des tâches sociales auxquelles elle se voue. On peut dès lors admettre avec elle que la construction d'un centre paroissial à proximité immédiate du temple est nécessaire à la réalisation de ses tâches, inhérentes aux fonctions collectives qu'elle assume, et en raison desquelles le législateur cantonal lui a accordé la personnalité juridique de droit public. Il ne s'agit donc guère, en l'espèce, de comparer l'intérêt public de la collectivité à l'intérêt privé d'un particulier, mais bien plutôt de peser deux intérêts publics, dont l'un a été sacrifié à l'autre par la planification litigieuse. Or une conciliation de ces intérêts n'apparaît pas exclue en l'occurrence. Les précisions abondantes données par les parties à la délégation du Tribunal fédéral, lors de l'inspection des lieux, ont en effet démontré qu'une construction rationnelle du centre paroissial projeté par la recourante n'est matériellement pas réalisable sur la seule parcelle No 1168. Elle le serait pourtant du point de vue juridique, si l'on met en parallèle l'art. 18 du règlement particulier de la vieille ville et l'art. 51 al. 2 de la nouvelle loi cantonale sur les constructions et l'aménagement du territoire du 9 mai 1983, qui entrera en vigueur le 1er juillet 1984. Le centre paroissial projeté pourrait en effet être considéré comme une construction d'intérêt général au sens de cette dernière disposition et, partant, comme une construction conforme à l'affectation de la zone de bâtiments publics. Le responsable cantonal de l'aménagement du territoire l'a confirmé sur interpellation du juge délégué lors de l'inspection des lieux. L'examen des lieux a révélé également que cette construction était par contre réalisable matériellement à la condition d'empiéter sur la parcelle No 2098, ce qu'ont reconnu clairement les représentants des parties. Un tel empiétement n'empêcherait manifestement pas d'emblée toute affectation du solde non bâti des parcelles litigieuses aux fins d'intérêt public pour lesquelles le classement discuté a été projeté. L'art. 18 du règlement précité prévoit d'ailleurs expressément qu'une zone de bâtiments publics permet l'aménagement d'îlots de verdure, de places de jeux et de sports, les détails d'un tel aménagement devant être précisés dans un plan d'îlot. Or le plan litigieux exclut, sans équivoque, une solution qui reviendrait à harmoniser ainsi les intérêts en jeu. Force est donc de retenir que l'étendue - excessive - de la restriction
BGE 110 Ia 30 S. 35
critiquée est en contradiction avec le principe de la proportionnalité et qu'elle viole par conséquent l'
art. 22ter Cst. | public_law | nan | fr | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d34763b1-2ac6-43bb-8617-6dcb533ac3bc | Urteilskopf
118 Ia 92
11. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 13 mars 1992 dans la cause X. c. Ministère public du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 73 KV/VD
; Garantie des Geschworenengerichts in Strafsachen.
Art. 73 KV/VD
, der für die Beurteilung politischer Delikte und in Strafsachen mit Ausnahme von Polizeiübertretungen die Geschworenengerichtsbarkeit gewährleistet, schliesst nicht jede Möglichkeit für das Kantonsgericht aus, das Urteil eines Geschworenengerichts durch eigenen Entscheid in der Sache selbst abzuändern (E. 2). | Erwägungen
ab Seite 92
BGE 118 Ia 92 S. 92
Extrait des considérants:
2.
Le recourant soutient que la réforme de la peine par la Cour de cassation cantonale, composée de juges professionnels, alors même qu'elle est prévue expressément par le code cantonal de procédure pénale (ci-après CPP vaud.) violerait l'art. 73 Cst. vaud. qui garantit le jury en matière criminelle.
Selon l'art. 73 Cst. vaud., "l'institution du jury est garantie pour les délits politiques et en matière pénale, sauf pour les délits de police".
BGE 118 Ia 92 S. 93
Le recourant a été condamné, en première instance, par un tribunal comprenant des jurés (art. 12 ch. 2 CPP vaud.). Dans la conception suisse, le tribunal siégeant avec jury constitue une autorité de première instance (cf. HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2e éd., p. 79), dont le rôle essentiel est de statuer, selon son intime conviction, sur la question de savoir si l'accusé a commis ou non les actes qui lui sont reprochés (HAUSER, op.cit., p. 53). La garantie du jury doit donc être comprise en ce sens qu'elle s'attache à l'autorité de première instance et n'exclut pas un recours auprès d'un tribunal constitué de juges exclusivement, chargés de contrôler le respect du droit. Certes, cette garantie serait sans doute éludée si le droit cantonal prévoyait un appel avec effet dévolutif total; il n'est cependant pas nécessaire de trancher définitivement cette question, puisque le droit vaudois ne connaît pas un tel système. On ne peut donc pas interpréter l'art. 73 Cst. vaud. comme impliquant le droit à la présence d'un jury à tous les niveaux cantonaux de juridiction. Cela apparaît d'autant plus clairement que la constitution cantonale elle-même prévoit l'existence d'un tribunal cantonal, compétent pour tout le canton (art. 72 Cst. vaud.), composé de juges (art. 74 Cst. vaud.), dont la loi détermine les attributions et les compétences (art. 77 al. 1 Cst. vaud.). La possibilité d'un recours auprès du tribunal cantonal, même en matière criminelle, n'apparaît pas exclue par la constitution cantonale.
Le recourant se demande toutefois s'il est compatible avec l'art. 73 Cst. vaud. que le Tribunal cantonal, comme le prévoit l'art. 448 CPP vaud., puisse réformer la décision du tribunal siégeant avec jury, plutôt que de se borner à l'annuler. On doit tout d'abord observer sur ce point que la loi cantonale semble respectueuse du rôle traditionnel du jury, puisqu'elle ne prévoit que la cassation dans les hypothèses où le Tribunal cantonal intervient en matière d'appréciation des preuves et d'établissement des faits (art. 411 let. h et i, 444 CPP vaud.). L'art. 73 Cst. vaud., tel qu'il est libellé, ne permet pas de répondre de fa on certaine à la question de savoir si un recours contre la décision rendue avec jury ne peut avoir qu'un effet cassatoire. En effet, il n'est pas douteux que le jury est tenu d'appliquer la loi; si l'autorité supérieure constate une violation de la loi et annule le jugement attaqué, le tribunal avec jury siégeant à nouveau se trouvera naturellement lié et verra donc sa marge de manoeuvre réduite d'autant. Dans la mesure où une peine est exagérément lourde ou clémente au point de violer la loi pénale, on ne voit pas ce qui empêcherait l'autorité supérieure, par économie de procédure, de
BGE 118 Ia 92 S. 94
ramener la peine au niveau admissible, plutôt que de renvoyer la cause à l'autorité inférieure pour qu'elle le fasse à sa place.
Dès lors que l'on ne peut pas déduire de l'art. 73 Cst. vaud. qu'un recours ne peut avoir qu'un effet cassatoire, il n'y a pas lieu de s'écarter de la position prise par le législateur cantonal (ANDREAS AUER, La juridiction constitutionnelle en Suisse, Bâle 1983, p. 249, No 486).
On ne peut donc pas dire que la décision rendue en l'espèce, qui est conforme à la loi de procédure applicable, viole l'art. 73 Cst. vaud. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d34f2a53-9d43-4144-8ca1-61c6e252db71 | Urteilskopf
137 IV 105
15. Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_592/2010 vom 17. März 2011 | Regeste
Art. 54 StGB
; Umfang der Strafbefreiung, wenn der Täter mehrere Delikte verübt hat.
Fall eines Autofahrers, der mangels angepasster Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse fahrlässig den Tod seines besten Freundes verursachte und auf der Unfallfahrt weitere Delikte verübte. Gelangt
Art. 54 StGB
zur Anwendung, ist allein die Tathandlung massgebend, die unmittelbar zur Beeinträchtigung des Täters führt. Die Umstände, dass dieser unter dem Einfluss von Marihuana, ohne Tragen des Sicherheitsgurtes und mit Reifen ohne genügende Profiltiefe fuhr, haben keinen offensichtlich direkten Zusammenhang zur fahrlässigen Tötung und zur schweren Betroffenheit. Diese Delikte fallen nicht unter
Art. 54 StGB
(E. 2.3.4). | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 137 IV 105 S. 106
A.
Das Bezirksgericht Hinwil sprach X. mit Urteil vom 4. Juni 2009 schuldig der fahrlässigen Tötung, des fahrlässigen, mehrfachen Fahrens in fahrunfähigem Zustand, des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs, der mehrfachen Verletzung der Verkehrsregeln sowie der mehrfachen Übertretung des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel. Mit Ausnahme der Übertretungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, für welche es eine Busse von Fr. 500.- aussprach, sah es von einer Bestrafung in Anwendung von
Art. 54 StGB
ab.
Eine von der Staatsanwaltschaft See/Oberland dagegen erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 17. Juni 2010 teilweise gut. Es stellte fest, dass der erstinstanzliche Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen war. X. bestrafte es wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und Fahrens in fahrunfähigem Zustand mit einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 130.- bei einer Probezeit von zwei Jahren und einer Busse von Fr. 500.-. Im Übrigen sah es von einer Bestrafung ab.
B.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben, und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
C.
X. und das Obergericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
D.
Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 17. März 2011 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
BGE 137 IV 105 S. 107
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdegegner vor, mehrfach in fahrunfähigem Zustand gefahren zu sein. Der Beschwerdegegner lenkte sein Fahrzeug am 7. Januar 2008 morgens von Turbenthal nach Hittnau zur Arbeit. Am Abend fuhr er zurück nach Turbenthal, anschliessend - nachdem er A. und B. abgeholt hatte - nach Gibswil und von dort in Richtung Turbenthal zurück. Am Vorabend hatte er einen Joint Marihuana geraucht. In seinem Blut konnte Tetrahydrocannabinol (THC) nachgewiesen werden. Die Konzentration betrug mindestens 4,5 μg/L.
Weiter werden dem Beschwerdegegner eine fahrlässige Tötung sowie mehrfache Verletzungen der Verkehrsregeln zur Last gelegt. Der Beschwerdegegner fuhr am Abend des 7. Januar 2008 in Begleitung von A. und B. mit seinem Personenwagen von Turbenthal nach Gibswil. Wenige Minuten nach dem Eintreffen in Gibswil lenkte er sein Fahrzeug in Richtung Turbenthal zurück. Dabei verlor er mangels angepasster Geschwindigkeit an die Strassenverhältnisse die Herrschaft über sein Fahrzeug. Dieses wurde an den rechten Fahrbahnrand geschleudert und kam schliesslich auf dem Dach liegend auf der Tösstalstrasse zum Stillstand. Durch die Wucht der Kollision wurde A. aus dem Fahrzeug geschleudert und erlitt teils schwere Verletzungen. Er verstarb zwei Tage später an ihren Folgen. Der Beschwerdegegner und seine Mitfahrer waren nicht angegurtet.
Die Vorinstanz lastet dem Beschwerdegegner an, auf der Unfallfahrt ein nicht betriebssicheres Fahrzeug geführt zu haben. Sämtliche Reifen wiesen eine ungenügende Profiltiefe auf. Bereits im November 2007 habe der Beschwerdegegner festgestellt, dass die vorderen Reifen nur noch Profilrillen von zirka 1,9 mm aufgewiesen hätten. Er habe es unterlassen, die Pneus periodisch zu überprüfen.
Schliesslich konsumierte der Beschwerdegegner seit Ende Juli 2005 regelmässig Marihuana, welches er von verschiedenen Verkäufern bezog. Am 7. Januar 2008 kaufte er in Gibswil für sich und A. vier Minigripsäckchen Marihuana.
2.
2.1
Die Vorinstanz sieht betreffend die fahrlässige Tötung, das fahrlässige Fahren in fahrunfähigem Zustand am Abend des 7. Januar 2008, das Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs und die mehrfache Verletzung der Verkehrsregeln von einer Bestrafung in
BGE 137 IV 105 S. 108
Anwendung von
Art. 54 StGB
ab. Das Nichttragen der Sicherheitsgurte werde dem Beschwerdegegner nur betreffend die abendliche Fahrt von Turbenthal nach Gibswil und zurück zur Last gelegt. Dieser Vorwurf bilde mit der fahrlässigen Tötung einen Lebenssachverhalt im prozessrechtlichen Sinne. Dasselbe treffe auf die ungenügende Bereifung seines Fahrzeugs zu. Auch dieser Vorwurf beziehe sich einzig auf die Unfallfahrt. Insbesondere gehe aus der Anklageschrift nicht hervor, ab welchem Zeitpunkt das Fahrzeug mit mangelhaften Reifen unterwegs gewesen sein soll. Zudem werde dem Beschwerdegegner keine mehrfache Begehung vorgeworfen. Schliesslich habe er vier Fahrten nach dem Konsum von Cannabis unternommen. Die drei abendlichen Fahrten würden (im Gegensatz zur morgendlichen Fahrt) als ein Lebenssachverhalt erscheinen. Die verletzten Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes stünden zur fahrlässigen Tötung in Idealkonkurrenz.
2.2
Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung von
Art. 54 StGB
geltend. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Vorinstanz diese Bestimmung auf sämtliche Anklagepunkte angewendet habe. Der Unfall sei nicht geschehen, weil der Beschwerdegegner unter Drogeneinfluss oder mit ungenügender Bereifung gefahren sei. Vielmehr sei die alleinige Ursache darin zu sehen, dass er die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs nicht den prekären Strassenverhältnissen angepasst habe. Ebenso wenig sei ausschlaggebend gewesen, dass der Beschwerdegegner den Sicherheitsgurt nicht getragen habe. Diese Straftaten stünden nicht in direktem und kausalem Zusammenhang mit dem Unfall, weshalb es unangemessen wäre, den Beschwerdegegner diesbezüglich völlig straffrei ausgehen zu lassen.
2.3
Nach
Art. 54 StGB
, der im Wesentlichen Art. 66
bis
aStGB entspricht, sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre. Die Bestimmung richtet sich somit an Untersuchungs-, Anklage- und Gerichtsbehörden. In klaren Fällen erlaubt sie, bereits von einer Strafverfolgung abzusehen, um dem Betroffenen ein langes und aufwendiges Verfahren zu ersparen, das unter Umständen ebenso belastend sein kann wie die Verurteilung selbst. Eine Strafbefreiung hat zu erfolgen, wenn er schon genug bestraft erscheint und die Ausgleichsfunktion der Strafe bereits erfüllt ist (Botschaft vom 24. April 1991 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes,
BGE 137 IV 105 S. 109
BBl 1985 II 1019 f. Ziff. 211). Nach den vorinstanzlichen Feststellungen verlor der Beschwerdegegner durch den Verkehrsunfall seinen besten und jahrelangen Freund. Er führte im Rahmen einer untersuchungsrichterlichen Einvernahme aus, mehr habe er eigentlich gar nicht verlieren können. Die Eltern des Opfers, welche den Beschwerdegegner alle drei Wochen sehen, ersuchten im erstinstanzlichen Verfahren ebenfalls darum, von einer Strafe abzusehen. Von der Beschwerdeführerin nicht gerügt wird das Absehen von einer Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung.
Zu prüfen ist, ob die Strafbefreiung durch die Vorinstanz betreffend das Fahren nach dem Konsum von Marihuana, ohne genügende Bereifung und ohne Tragen des Sicherheitsgurtes Bundesrecht verletzt.
2.3.1
Es stellt sich mit Blick auf die Lehre (E. 2.3.2) und Rechtsprechung (E. 2.3.3) die Frage, inwieweit
Art. 54 StGB
zur Anwendung gelangt, wenn der Täter mehrere Delikte verwirkt hat.
2.3.2
Vorausgesetzt ist eine unmittelbare Betroffenheit des Täters durch seine Tat. Nach der Lehre ist kein teilweiser Verfolgungsverzicht respektive keine teilweise Strafbefreiung möglich, wenn im prozessrechtlichen Sinne ein einziger Lebenssachverhalt vorliegt und die mehreren Taten durch Idealkonkurrenz verbunden sind. Hat der Täter hingegen mehrere voneinander unabhängige Delikte verübt, so ist er nur für jenes Delikt von der Strafe zu befreien, gestützt auf dessen Begehung ihm unmittelbar ein schwerer Nachteil erwachsen ist. Dieser "Unmittelbarkeit" kommt eine einschränkende Funktion zu (FRANZ RIKLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 13 zu
Art. 54 StGB
). Als Beispiel wird in der Literatur die Beurteilung einer Autofahrt mit tödlichem Ausgang sowie eines anschliessenden Betrugs angeführt. Ebenso wenig findet
Art. 54 StGB
auf allfällige Urkundendelikte Anwendung, wenn der Täter bei einem Verkehrsunfall ein Kind tötet und seit mehreren Monaten mit einer gefälschten Autobahnvignette fährt (RIKLIN, a.a.O., N. 37 vor Art. 52 ff. und N. 63 zu
Art. 54 StGB
; HANS WIPRÄCHTIGER, Der Verzicht auf Weiterverfolgung und Strafbefreiung nach Artikel 66
bis
StGB - ein Weg zu mehr Einzelfallgerechtigkeit-, ZStrR 121/2003 S. 166 f.; GUNTHER ARZT, Verfolgungsverzicht und Unterlassung der Nothilfe, ZBJV 127/1991 S. 456 f.; SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 72; TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2008, N. 8 zu
Art. 54 StGB
; vgl. auch SILVAN FLÜCKIGER,
Art. 66
bis
StGB
/ Art. 54 f.
BGE 137 IV 105 S. 110
StGB - Betroffenheit durch Tatfolgen, 2006, S. 278 ff.). Es geht mithin um die direkt durch die Tat bewirkten, den Täter treffenden Folgen (HANS SCHULTZ, Die Delikte gegen Leib und Leben nach der Novelle 1989, ZStrR 108/1991 S. 399). Gemäss ARZT ist die Anwendung von
Art. 54 StGB
unklar, wenn eine Tat im prozessrechtlichen Sinne zu beurteilen ist, materiellrechtlich hingegen Realkonkurrenz vorliegt. Zweifelhaft sei, ob in einem solchen Fall die Strafbefreiung nur gesamthaft anzuwenden oder nicht anzuwenden oder ob materiellrechtlich je nach Ideal- respektive Realkonkurrenz zu differenzieren sei. Er führt das Beispiel eines angetrunkenen Täters an, der beim Verkehrsunfall sein eigenes Kind tötet und in der Folge Führerflucht begeht (Realkonkurrenz). Das Verhalten, welches die Haupttat begleite oder ihr nachfolge, sei als schuldrelevant auch für die Tat anzusehen, durch welche der Täter betroffen sei (ARZT, a.a.O., S. 456 f.). STRATENWERTH stellt auf das Vorliegen einer natürlichen Geschehenseinheit ab. Beispielsweise lasse sich nach seiner Ansicht der Strafverzicht bei einer Strolchenfahrt mit tödlichem Ausgang nicht auf die fahrlässige Tötung beschränken, sondern müsse sich auch auf die Gebrauchsentwendung erstrecken. Anders liege es bei mehreren selbständigen Tatkomplexen, die gleichzeitig verfolgt oder beurteilt würden, beispielsweise, wenn der Strolchenfahrer in anderem Zusammenhang noch einen Betrug begangen haben soll (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Teil 2: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 7 N. 19 Fn. 31). Nach DUPUIS ist im Falle einer Deliktskonkurrenz einzig die Tat massgebend, welche den Täter unmittelbar und schwer tangiert (MICHEL DUPUIS UND ANDERE, Code pénal I: partie générale, Art. 1-110, 2008, N. 13 zu
Art. 54 StGB
).
2.3.3
Das Bundesgericht hielt in
BGE 117 IV 245
E. 2a S. 247 unter Hinweis auf die Botschaft des Bundesrates (a.a.O.) fest, dass die Betroffenheit des Täters schwer und diese direkte Folge seiner Tat, mit anderen Worten des verübten Deliktes, sein müsse. Zahlreiche Fälle in der Rechtsprechung, in denen die Bestimmung von
Art. 54 StGB
respektive von Art. 66
bis
aStGB zur Anwendung gelangt, betreffen schwere körperliche Beeinträchtigungen als Folge selbstverschuldeter Verkehrsunfälle sowie fahrlässige Tötungen, die beim Täter eine schwere (physische oder psychische) Betroffenheit auslösten. Das Bundesgericht erwog, dass ein enger Zusammenhang gegeben sein müsse zwischen dem verletzten Rechtsgut und der vom Täter erlittenen Betroffenheit (Urteil 6S.46/2002 vom 24. Mai 2002 E. 5b).
BGE 137 IV 105 S. 111
In
BGE 121 IV 162
E. 2 S. 174 ff. bejahte es die Möglichkeit einer Strafbefreiung oder Strafmilderung in Anwendung von
Art. 54 StGB
bei Vorsatzdelikten.
In
BGE 119 IV 280
äusserte sich das Bundesgericht zur Anwendung von Art. 66
bis
aStGB bei einer fahrlässigen Tötung auf Grund einer Verkehrsregelverletzung. Täterin war eine Mutter von vier minderjährigen Kindern, welche durch ein fehlerhaftes Überholmanöver den Tod ihres Ehemannes verschuldet hatte. Das Bundesgericht erwog, dass diese Gesetzesbestimmung zwar nicht einzig bei Extremfällen zum Zuge komme und keine reine Ausnahmebestimmung sei, aber auch nicht Teil der alltäglichen Strafrechtspraxis sein könne. Auch bei der Beratung im Parlament sei festgehalten worden, die Regel solle nicht extensiv interpretiert werden. Die schwere Betrofenheit der Täterin sei die unmittelbare Folge einer Handlung, die allerdings mehrere Tatbestände erfülle. Das Überholmanöver mit tödlichem Ausgang sei unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens ein einheitliches Tatgeschehen (
BGE 119 IV 280
E. 1b und 2 S. 283 f.).
2.3.4
Der Gesetzeswortlaut von
Art. 54 StGB
setzt voraus, dass der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat (schwer) betroffen ist. Es geht somit nur um diejenige Tathandlung, die unmittelbar zur physischen respektive psychischen Beeinträchtigung führt. Mithin ist wesentlich, ob eine einzelne Tat direkt die Betroffenheit beim Täter auslöst.
Dem Beschwerdegegner werden nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz das (einmalige) Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs sowie das Nichttragen des Sicherheitsgurtes einzig in Bezug auf die Unfallfahrt zur Last gelegt. Ebenso wird ihm vorgeworfen, sein Fahrzeug u.a. unmittelbar vor dem Unfall (auf dem Weg von seinem Arbeits- zu seinem Wohnort sowie von dort via Gibswil bis zum Unfallort) in fahrunfähigem Zustand gelenkt zu haben. Der Beschwerdegegner legte von seinem Arbeitsort (Hittnau) zu seinem Wohnort (Turbenthal) rund 10 Kilometer zurück, holte dort um ca. 19.30 Uhr seine Kollegen ab und verunfallte um etwa 19.55 Uhr.
Die relevante Handlung ist hier die fahrlässige Tötung im Sinne von
Art. 117 StGB
. Der Beschwerdegegner ist durch die unmittelbare Konsequenz dieses Delikts, mithin durch den Tod von A., unbestrittenermassen schwer beeinträchtigt. Der Umstand, dass er die abendlichen Fahrten unter dem Einfluss von am Vortag konsumiertem Marihuana, ohne genügende Bereifung und ohne Tragen des
BGE 137 IV 105 S. 112
Sicherheitsgurtes unternahm, führte hingegen zu keiner seelischen Beeinträchtigung. Diese Taten haben
keinen offensichtlich direkten Zusammenhang
zum Unfallgeschehen respektive zur fahrlässigen Tötung und sind unabhängig davon zu beurteilen. Sie zeitigen keine Folgen im Sinne einer schweren Betroffenheit des Täters, und es ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdegegner aus ihrer Verübung unmittelbar ein schwerer Nachteil erwachsen wäre. Es fehlt damit an dem vom Gesetz verlangten Zusammenhang zwischen den Folgen der Tat und der dadurch erlittenen Beeinträchtigung. Hier liegen (anders als in
BGE 119 IV 280
) verschiedene Handlungen vor, wobei nur eine (nämlich die fahrlässige Tötung) den Beschwerdegegner unmittelbar beeinträchtigt. Damit im untrennbaren, offensichtlichen Zusammenhang steht einzig die einfache Verkehrsregelverletzung wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die konkreten Umstände im Sinne von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
in Verbindung mit
Art. 32 Abs. 1 SVG
und Art. 4 Abs. 2 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11). Diese Verletzung wird durch das Tötungsdelikt konsumiert (HANS GIGER, SVG-Strassenverkehrsgesetz, 7. Aufl. 2008, N. 18 ff. zu
Art. 90 SVG
).
2.3.5
Indem die Vorinstanz - mit Ausnahme des Fahrens in fahrunfähigem Zustand am Morgen des 7. Januar 2008 und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes - von einer Bestrafung des Beschwerdegegners absieht, wendet sie
Art. 54 StGB
zu weitgehend an. Der von ihr gewährte Umfang der Strafbefreiung in Bezug auf die abendliche Fahrt von Hittnau nach Turbenthal und von dort via Gibswil bis zum Unfallort (in Bezug auf den Vorwurf des Fahrens in fahrunfähigem Zustand, des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeugs und des Nichttragens des Sicherheitsgurtes) verletzt deshalb Bundesrecht.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt (
Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG
). Der Beschwerdegegner stellte keine Anträge und beteiligte sich nicht am Verfahren, weshalb ihm praxisgemäss keine Kosten aufzuerlegen sind. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d350b847-4061-4356-b35a-faaa0f93bbc6 | Urteilskopf
105 II 104
19. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1979 i.S. A. gegen Y. (Berufung) | Regeste
Schenkung durch Anweisung.
1. Art. 466 f. OR. Anweisungsverhältnis und Grundverhältnis. (E. 2).
2.
Art. 242 Abs. 1 OR
. Schenkung von Hand zu Hand durch Anweisung (E. 3a)?
3.
Art. 243 Abs. 1 OR
. Erfordernis der Schriftform für das Schenkungsversprechen (E. 3b).
4.
Art. 243 Abs. 3 OR
. Nach dem Tode des Schenkers kann ein formungültiges Schenkungsversprechen nicht mehr vollzogen werden (E. 3c).
5.
Art. 470 Abs. 1 und 2 OR
. Vollzug eines Schenkungsversprechens durch Anweisung (E. 3c und d). | Sachverhalt
ab Seite 105
BGE 105 II 104 S. 105
A.-
Durch letztwillige Verfügung vom 11. April 1974 regelte Frau X. ihren Nachlass und setzte Rechtsanwalt A. als Willensvollstrecker ein. Sie starb am 28. August 1974. Tags darauf, am 29. August 1974, traf bei der B.-Bank in Zürich ein vom 26. August 1974 datierter und von Frau X. an diesem Tage unterschriebener Zahlungsauftrag ein, wonach ihr "gekündigtes ... Festgeldkonto" aufzulösen, Fr. 100'000.- davon auf ein Konto des Y. und der Restbetrag auf ein weiteres Konto, das Frau X. bei der Zürcher Kantonalbank unterhielt, zu überweisen seien. Dieser Zahlungsauftrag war von Y., der Taxichauffeur in Zürich ist und Frau X. seit Jahren gekannt hatte, aufgesetzt worden.
Bei der Sichtung des Nachlasses von Frau X. durch die Erben und den Willensvollstrecker war auch Y. zugegen. Die an ihn gelangte Zahlung von Fr. 100'000.- erwähnte er dabei aber nicht. Hievon erfuhren die Erben und der Willensvollstrecker erst am 16. September 1974. Dazu befragt, antwortete Y., die Summe sei ihm von Frau X. geschenkt worden. Die vom Willensvollstrecker geforderte Rückerstattung lehnte er ab.
B.-
Als Willensvollstrecker der Frau X. erhob A. im Februar 1976 gegen Y. Klage auf Zahlung von Fr. 100'000.- nebst Zins. Diese wurde am 29. Oktober 1976 vom Bezirksgericht Zürich gutgeheissen, auf Appellation des Beklagten hin vom Obergericht (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich mit Urteil vom 3. März 1978 hingegen abgewiesen. Auf eine vom Kläger gegen das obergerichtliche Erkenntnis erhobene Nichtigkeitsbeschwerde trat das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 19. September 1978 nicht ein.
C.-
Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Beklagte stellt den Antrag, es sei die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Fr. 100'000.- gestützt auf
Art. 62 OR
zurück, weil sie diesem ohne gültigen Grund zugekommen seien. Demgegenüber macht der Beklagte geltend, die Fr. 100'000.- seien ihm von Frau X. geschenkt
BGE 105 II 104 S. 106
worden; hilfsweise stellt er sich auf den Standpunkt, Fr. 50'000.- beträfen die Vergütung für geleistete Dienste und lediglich die weiteren Fr. 50'000.- seien ihm von Frau X. zum Geschenk gemacht worden. Das Obergericht bejaht eine gültige Schenkung hinsichtlich der ganzen Fr. 100'000.- und weist deshalb die Klage ab.
2.
Mit der am 26. August 1974 unterzeichneten Erklärung ersuchte Frau X. die B.-Bank, dem Beklagten "zu Lasten meiner Rechnung" Fr. 100'000.- zu überweisen. Eine solche Erklärung begründet ein Anweisungsverhältnis im Sinne der
Art. 466 ff. OR
. Dadurch wurde die Bank als Angewiesene ermächtigt, den Betrag dem Beklagten als Anweisungsempfänger auszubezahlen, während dieser ermächtigt wurde, die Summe im eigenen Namen zu erheben (
Art. 466 OR
). Indes liegt in der Anweisung der blosse Versuch (
BGE 95 II 183
E. 5) des Anweisenden, dem Anweisungsempfänger über den Angewiesenen Geld, Wertpapiere oder andere vertretbare Sachen zu verschaffen. Sie kann deshalb als Mittel herangezogen werden, um eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen, beschlägt aber in einem solchen Fall weder deren Zweck noch deren Grund (GUHL/MERZ/KUMMER, Schweizerisches Obligationenrecht, 6. Auflage, S. 475). So ergibt sich aus der Anweisung an sich noch nicht das Recht des Anweisungsempfängers, auf den Anweisenden zurückzugreifen, wenn der Angewiesene die Leistung verweigert; vielmehr bleibt ihm in einem solchen Falle nur die Möglichkeit, seine Ansprüche aus dem Grundverhältnis geltend zu machen (
BGE 95 II 182
E. 5,
BGE 80 II 87
E. 4,
BGE 40 II 408
). Umgekehrt findet die gestützt auf eine Anweisung empfangene Leistung ihren Rechtsgrund nicht im blossen Anweisungsverhältnis, sondern ausschliesslich in einem gültigen Grundverhältnis. Der Ausgang des Prozesses hängt somit davon ab, ob der Beklagte einen gültigen Grund im Sinne von
Art. 62 Abs. 2 OR
nachzuweisen vermag.
3.
Der Beklagte macht in erster Linie geltend, Frau X. habe ihm die Fr. 100'000.- geschenkt. Das einzige Schriftstück, auf das er sich in diesem Zusammenhang beruft, ist der Zahlungsauftrag der Frau X. an die Bank vom 26. August 1974. Dass die Vollziehbarkeit dieser Schenkung im Sinne von
Art. 245 Abs. 2 OR
auf den Tod der Schenkerin gestellt worden wäre, behauptet keine der Parteien. Zu prüfen ist deshalb nur,
BGE 105 II 104 S. 107
ob vorliegend eine unentgeltliche Zuwendung unter Lebenden angenommen werden kann.
a) Nach
Art. 242 Abs. 1 OR
erfolgt eine Schenkung von Hand zu Hand durch die Übergabe der Sache vom Schenker an den Beschenkten. In diesem Vorgang liegt ein Vertrag, dessen Abschluss mit seiner Erfüllung zusammenfällt (CAVIN, in: Schweizerisches Privatrecht, Band VII/1, S. 187) und bei dem die "Wertbewegung durch den Schenkungsakt selbst vorgenommen" wird (BECKER, N. 1 zu
Art. 242 OR
). Indem Frau X. dem Beklagten den an die Bank gerichteten Zahlungsauftrag übergab, erfüllte sie eine allfällig mündlich vereinbarte Schenkungsverpflichtung indes noch nicht, da die Zuwendung an den Beklagten davon abhing, ob die Bank die Anweisung annehmen und die Zahlung ausführen werde (
Art. 468 Abs. 1 und
Art. 469 OR
). Das war vorliegend erst am 5. September 1974 der Fall, während Frau X. die Schenkung bereits am 26. August 1974 versprochen haben soll. Ein Zusammenfallen von Vertragsschluss und Erfüllung, wie das für eine Schenkung von Hand zu Hand erforderlich wäre, scheidet unter diesen Umständen aus. Nach der Rechtsprechung ist zwar eine Schenkung von Hand zu Hand durch Besitzeskonstitut oder Besitzesanweisung möglich (
BGE 63 II 395
,
BGE 52 II 368
). Diesen Formen der Übertragung einer Sache darf jene durch obligationenrechtliche Anweisung aber nicht gleichgestellt werden, weil hier der Anweisende seiner Zahlungspflicht nicht schon mit seiner blossen Erklärung an den Angewiesenen nachkommt;, vielmehr wird er davon erst dann entbunden, wenn der Angewiesene auf Grund der Anweisung die Zahlung tatsächlich vornimmt (
Art. 467 Abs. 1 und 2 OR
).
b) Es fragt sich alsdann, ob Frau X. mit dem Zahlungsauftrag vom 26. August 1974 an die Bank gleichzeitig ein Schenkungsversprechen zugunsten des Beklagten im Sinne von
Art. 243 Abs. 1 OR
abgegeben hat. Nach dieser Vorschrift bedarf ein solches zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form. Dergestalt soll der Schenker von unbedachtem Handeln abgehalten werden (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu
Art. 243 OR
; CAVIN, a.a.O., S. 188; VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, Zürich 1972, S. 270). Von diesem Zweck der Formvorschrift ausgegangen, erscheint es als zwingend, dass die Schriftform jedenfalls das Versprechen des Schenkers erfasst, dem Beschenkten eine Zuwendung zu
BGE 105 II 104 S. 108
machen (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu
Art. 243 OR
). Aus der auf einem Formular der Bank abgegebenen schriftlichen Erklärung der Frau X. vom 26. August 1974 ergibt sich nun aber kein derartiger Hinweis; vielmehr beschränkt sie sich auf einen blossen Auftrag an die Bank, dem Beklagten Fr. 100'000.- zu vergüten. Das ist nicht mehr als eine Anweisung im Sinne von
Art. 466 OR
, aus der allein sich ein Anspruch des Beklagten auf die angewiesene Summe noch nicht herleiten lässt. Ein nach
Art. 243 Abs. 1 OR
gültiges Schenkungsversprechen liegt deshalb nicht vor.
c) Die Anweisung ist ein Mittel, um eine Zahlungsverpflichtung, so auch eine Schenkungsverpflichtung, zu erfüllen. Das der Anweisung zugrundeliegende Verhältnis ist diesfalls der Schenkungsvertrag zwischen Anweisendem und Anweisungsempfänger (vgl. VON BÜREN, a.a.O., S. 272 und 310). Auf Grund der Anweisung der Frau X. wurden dem Beklagten von der Bank die Fr. 100'000.- am 5. September 1974, d.h. etwa eine Woche nach dem Tode der Anweisenden, gutgeschrieben. Dazu war die Bank befugt, denn der Tod der Frau X. führte noch nicht zum Dahinfallen des in der Anweisung enthaltenen Auftrages an die Angewiesene (GAUTSCHI, N. 6a zu
Art. 470 OR
). In gleicher Weise blieb auch der Beklagte über den Tod der Frau X. hinaus im Sinne von
Art. 466 OR
ermächtigt, von der Bank die Fr. 100'000.- zu erheben. Zu prüfen bleibt aber, ob ein allfälliges formungültiges Schenkungsversprechen auch nach dem Tode der Schenkerin auf diese Weise noch vollzogen werden konnte und ob das Verhältnis daher gestützt auf
Art. 243 Abs. 3 OR
als Schenkung von Hand zu Hand zu beurteilen ist.
Bei der Schenkung von Hand zu Hand sieht das Gesetz von einer Formvorschrift ab, weil hier die eigentliche Zuwendung der Vermögenswerte an die Stelle einer besonderen Form tritt und daher dem Schenker die Tragweite seines Handelns genügend vor Augen zu führen vermag (CAVIN, a.a.O., S. 187). Ganz ähnlich verhält es sich, wenn der Schenker ein formungültiges Schenkungsversprechen vollzieht; indem er dem Beschenkten die Vermögenswerte zukommen lässt, anerkennt und bestätigt er sein früheres Schenkungsversprechen (BECKER, N. 5 zu
Art. 243 OR
; vgl. VON BÜREN, a.a.O., S. 270). Eine Schenkung von Hand zu Hand nach dem Tode des Schenkers ist undenkbar, weil hier Abschluss und Erfüllung des
BGE 105 II 104 S. 109
Vertrages zusammenfallen. Entsprechendes muss auch in dieser Hinsicht für den als Schenkung von Hand zu Hand geltenden Vollzug eines formungültigen Schenkungsversprechens gelten, bei dem, wie bei jener, eine die Form ersetzende Bekräftigung der Schenkungsabsicht in der tatsächlichen Zuwendung der Vermögenswerte liegt. Wenn der Vollzug aber diese Bedeutung hat, setzt das voraus, dass es der Schenker ist, der ihn eintreten lässt, was dann nicht der Fall sein kann, wenn er im Zeitpunkt des Vollzuges nicht mehr lebt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Schenkung - von dem in
Art. 245 Abs. 2 OR
erwähnten, hier aber nicht vorliegenden Sonderfall abgesehen - ein Rechtsgeschäft unter Lebenden ist (
Art. 239 Abs. 1 OR
). Wird ein formungültiges Schenkungsversprechen gemäss
Art. 243 Abs. 3 OR
aber erst nach dem Tode des Schenkers vollzogen, so kann von einem Rechtsgeschäft unter Lebenden nicht mehr gesprochen werden, weil erst im Vollzug des Schenkungsversprechens der Wille des Schenkers rechtsgenügend zum Ausdruck kommt.
d) Hat der Anweisende die Anweisung zum Vorteil des Empfängers erteilt, so kann er sie ihm gegenüber nicht widerrufen (
Art. 470 Abs. 1 OR
). Bei einer schenkungshalber erteilten Anweisung ist ein Widerruf gegenüber dem begünstigten Anweisungsempfänger jedoch solange möglich, als nicht ein Schenkungsversprechen vorliegt, das den Erfordernissen des
Art. 243 Abs. 1 OR
genügt, da andernfalls die zum Schutze des Schenkers aufgestellte Formvorschrift durch Erteilung einer einfachen Anweisung umgangen werden könnte (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu
Art. 470 OR
; GAUTSCHI, N. 3b zu
Art. 470 OR
). Lag hier aber ein formgültiges Schenkungsversprechen nicht vor, so hätte Frau X. die zugunsten des Beklagten erteilte Anweisung widerrufen können, bis die Bank diesem gegenüber die Annahme erklärte (
Art. 470 Abs. 2 OR
). Das geschah vorliegend durch schlüssiges Handeln erst nach dem Tode der Frau X., am 5. September 1974, indem dem Beklagten der Betrag von Fr. 100'000.- gutgeschrieben wurde (vgl.
Art. 468 Abs. 3 OR
). Frühestens in diesem Zeitpunkt kann somit das allfällige formungültige Schenkungsversprechen der Frau X. als vollzogen gelten. War das aber erst nach ihrem Tode der Fall, so bleibt nach dem Gesagten kein Raum, um diesen Vorgang im Sinne von
Art. 243 Abs. 3 OR
als Schenkung von Hand zu Hand zu beurteilen.
BGE 105 II 104 S. 110
4.
Schenkung kommt unter diesen Umständen für die dem Beklagten zugekommene Zahlung nicht als gültiger Grund im Sinne von
Art. 62 Abs. 2 OR
in Betracht. Seiner Zahlungspflicht hielt der Beklagte im kantonalen Verfahren darüber hinaus auch entgegen, er sei mit den Fr. 100'000.- von Frau X. wenigstens zum Teil für geleistete Dienste entschädigt worden. In der Berufungsantwort nimmt er darauf nicht mehr Bezug; indes sind beide Parteien an der heutigen Berufungsverhandlung davon ausgegangen, dass der Beklagte an dieser Darstellung festhält. Da das angefochtene Urteil jedoch keine tatsächlichen Feststellungen enthält, die eine Beurteilung in dieser Hinsicht erlaubten, ist es gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird alsdann auch zu prüfen haben, ob die weiteren, vom Beklagten bestrittenen rechtlichen Voraussetzungen für eine Zahlungspflicht gegeben sind (
Art. 64 OR
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 3. März 1978 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d35b7f92-b35e-4d7f-811e-cb242494b892 | Urteilskopf
133 III 539
69. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. contre Y. et dame Z. (recours en matière civile)
4A_107/2007 du 22 juin 2007 | Regeste
Zivilgerichtsbarkeit. Immunität der internationalen Bediensteten von der Gerichtsbarkeit (Art. 31 des Wiener Übereinkommens vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen).
Die Zivilgerichtsbarkeit über eine Person bildet eine Prozessvoraussetzung, welche von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (E. 4.2).
Die Bestimmung des für die Prüfung der Prozessvoraussetzungen massgeblichen Zeitpunkts ist eine Frage des Bundesrechts, wenn sich die zu beachtende Prozessvoraussetzung selbst aus Bundesrecht ergibt. Um eine einheitliche Anwendung von Art. 31 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen zu gewährleisten, ist der massgebliche Zeitpunkt, in welchem die Zivilgerichtsbarkeit über eine Person gegeben sein muss, das Datum, an welchem das Sachurteil gefällt wird (E. 4.3-4.5).
Anwendung dieses Grundsatzes im zu beurteilenden Fall (E. 4.6). | Sachverhalt
ab Seite 540
BGE 133 III 539 S. 540
A.
Y. et dame Z. ont pris à bail depuis l'été 1997 un appartement de sept pièces à Genève, plus une place de parc dans un garage souterrain attenant, dont les loyers annuels, sans les charges, se montaient respectivement à 51'600 fr. et 2'400 fr. Le 17 octobre 2002, X. (bailleur) a résilié les baux pour le 31 août 2003.
Y. et dame Z. ont contesté la validité de la résiliation des baux. Par jugement du 27 novembre 2003, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève a déclaré les congés valables et accordé aux locataires une première prolongation des baux jusqu'au 31 août 2005. Sur appel des deux parties, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève, par arrêt du 4 octobre 2004, a confirmé la validité des congés et octroyé aux locataires une unique prolongation des baux jusqu'au 31 décembre 2004. Par arrêt du 9 mars 2005 (4C.425/2004), le Tribunal fédéral a rejeté dans la mesure de sa recevabilité le recours en réforme interjeté par Y. et dame Z. contre l'arrêt de la cour cantonale.
B.
Comme les locataires n'ont pas libéré les locaux, le bailleur a sollicité leur évacuation par requête du 17 mai 2005 déposée devant la Commission genevoise de conciliation en matière de baux et loyers.
La conciliation ayant échoué, le bailleur a introduit sa demande en évacuation le 8 juillet 2005 auprès du Tribunal des baux et loyers.
BGE 133 III 539 S. 541
Devant cette autorité, les locataires ont invoqué le statut diplomatique de dame Z. en sa qualité de haut fonctionnaire de l'Organisation mondiale de la santé (OMS).
Dans son jugement du 28 mars 2006, le Tribunal des baux et loyers a admis qu'en principe les locataires sont au bénéfice d'une immunité de juridiction civile. Mais dès l'instant où l'immunité de dame Z. avait été levée par décision du 22 décembre 2005 prise par le Directeur général de l'OMS, le tribunal a jugé que cette circonstance, intervenue en cours d'instance, permettait de reconnaître la recevabilité de la requête en évacuation. Les locataires ne disposant plus d'aucun titre juridique les autorisant à rester dans les locaux du bailleur, le tribunal les a condamnés à évacuer immédiatement l'appartement de ce dernier.
Saisie d'un appel des locataires, la Chambre d'appel, par arrêt du 5 mars 2007, a annulé le jugement attaqué et débouté le bailleur de ses conclusions. L'autorité cantonale a retenu que les locataires avaient excipé de l'exception d'immunité de juridiction civile en conformité avec les dispositions de procédure applicables. Elle a ensuite estimé que les conditions de la compétence du juge saisi s'examinent au jour de la création de la litispendance, c'est-à-dire lors de l'ouverture d'instance, et que la modification ultérieure des faits à la base de la compétence du tribunal n'affecte pas celle-ci. Elle en a déduit que le Tribunal des baux et loyers n'était pas compétent lorsque les locataires ont été assignés, car ceux-ci bénéficiaient alors de l'immunité de juridiction à ce moment. Enfin, l'art. 31 al. 1 let. a de la Convention de Vienne du 18 avril 1961 sur les relations diplomatiques (RS 0.191.01; ci-après: la Convention de Vienne), qui exclut l'immunité de juridiction civile lorsqu'il s'agit d'une action réelle concernant un immeuble privé situé sur le territoire de l'Etat accréditaire, ne saurait trouver application, étant donné la nature personnelle de l'action dirigée contre les locataires qui tend à obtenir leur évacuation des locaux loués.
C.
X. exerce un recours en matière civile au Tribunal fédéral contre l'arrêt précité, dont il conclut à l'annulation et, cela fait, à ce que Y. et dame Z. soient condamnés à évacuer l'appartement de sept pièces à Genève et à le laisser en bon état.
Les intimés proposent de déclarer le recours irrecevable, subsidiairement de le rejeter dans la mesure de sa recevabilité.
BGE 133 III 539 S. 542
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
D'après l'art. 31 al. 1 in principio de la Convention de Vienne, l'agent diplomatique jouit de l'immunité de juridiction civile et administrative de l'Etat accréditaire. Des exceptions sont prévues singulièrement pour les actions réelles ayant pour objet un immeuble privé sis sur le territoire de l'Etat accréditaire, à moins que l'agent diplomatique ne le possède pour le compte de l'Etat accréditant aux fins de sa mission (art. 31 al. 1 let. a).
4.2
Le pouvoir de juridiction civile sur une personne est une condition de recevabilité de l'instance, laquelle doit être examinée d'office à chaque stade du procès (
ATF 130 III 430
consid. 3.1; OSKAR VOGEL/KARL SPÜHLER, Grundriss des Zivilprozessrechts und des internationalen Zivilprozessrechts der Schweiz, 8
e
éd., chap. 7, ch. 73, p. 203; FABIENNE HOHL, Procédure civile, tome I, ch. 309; MAX KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4
e
éd., p. 86; WALTHER J. HABSCHEID, Schweizeriches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2
e
éd., ch. 126 et 363;
le même
, Droit judiciaire privé suisse, 2
e
éd., p. 83, ch. 3a).
4.3
Selon les principes généraux de la procédure civile, les conditions de recevabilité du procès doivent encore être réunies au moment du jugement au fond. En d'autres termes, il suffit qu'elles se réalisent jusqu'à ce terme (
ATF 116 II 209
consid. 2b/bb,
ATF 116 II 9
consid. 5 p. 13; HOHL, op. cit., ch. 321; VOGEL/SPÜHLER, op. cit., chap. 7, ch. 85, p. 206; KUMMER, op. cit., p. 87; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3
e
éd., p. 229). S'il se révèle au moment du jugement que toutes les conditions de recevabilité n'étaient pas encore remplies au début de la litispendance, mais qu'elles se sont réalisées en cours d'instance, le juge doit entrer en matière sur l'action (HOHL, op. cit., ch. 321).
4.4
Le point de savoir si le principe général de la procédure civile susrappelé relève, par sa nature, du droit fédéral n'a pour l'heure jamais été tranché explicitement par le Tribunal fédéral. Il faut notamment admettre que ce principe ressortit au droit fédéral si la condition de recevabilité du procès qu'il y a lieu d'observer en vertu dudit principe découle du droit fédéral, comme c'est le cas pour l'immunité de juridiction civile, quand bien même elle est réglée à l'art. 31 de la Convention de Vienne. L'application sûre et uniforme
BGE 133 III 539 S. 543
de cette norme exige que ce principe de droit fédéral embrasse également le moment déterminant où le pouvoir de juridiction sur une personne doit être donné (cf. à propos de la reconnaissance de principes de droit fédéral non écrits de la procédure civile, ISAAK MEIER/ RUDOLF OTTOMANN, Prinzipiennormen und Verfahrensmaximen, Zurich 1993, p. 35 ss). La situation inverse des données de l'espèce, où, par hypothèse, les locataires ne pourraient pas se prévaloir de l'immunité de juridiction au début de la litispendance, mais seraient à même d'en bénéficier en cours de procès à la suite de l'obtention du statut diplomatique, démontre avec encore plus d'évidence la nécessité d'adopter cette conception. Pour que l'art. 31 de la Convention reçoive une application univoque, le moment déterminant en question doit correspondre dans tous les cantons à la date de la reddition du jugement au fond.
4.5
Le moyen du recourant est donc une critique recevable du droit fédéral (
art. 95 let. a LTF
[RS 173.110]). Dans cette mesure, rien ne s'oppose à ce qu'il soit entré en matière sur le présent recours.
4.6
Le grief de la partie recourante doit sans conteste être admis.
La question de l'existence d'une immunité de la partie défenderesse doit être tranchée préjudiciellement dans le cadre de l'examen des conditions de recevabilité de la demande. En effet, celui qui invoque son immunité de juridiction ne doit pas être contraint à procéder sur le fond (
ATF 124 III 382
consid. 3b). C'est bien ce qu'a fait la cour cantonale en l'occurrence en statuant d'entrée de cause sur l'immunité prétendue des locataires.
Comme on l'a vu ci-dessus (cf. consid. 4.2 à 4.4), il suffisait que le pouvoir de juridiction sur les intimés existât lorsque le jugement sur le fond a été rendu. Or c'était bien le cas, du moment qu'après que le demandeur a ouvert action le 8 juillet 2005 devant le Tribunal des baux et loyers, l'immunité de juridiction civile de dame Z. a été levée par décision du 22 décembre 2005. Autrement dit, les défendeurs ne pouvaient plus se prévaloir d'une quelconque immunité à la date déterminante du 28 mars 2006, à savoir quand l'autorité judiciaire précitée a statué au fond et prononcé leur évacuation immédiate des locaux qu'ils occupent (cf. BERNARD BERTOSSA/LOUIS GAILLARD/JACQUES GUYET/ANDRÉ SCHMIDT, Commentaire de la loi de procédure civile du canton de Genève du 10 avril 1987, n. 2bb ad
art. 97 LPC
). L'arrêt cantonal sur lequel la Chambre d'appel a fondé son opinion divergente (SJ 1968 p. 264 ss) repose sur un état de fait différent, en
BGE 133 III 539 S. 544
ce sens que, dans ce précédent, l'immunité était donnée lorsque le jugement de première instance a été rendu, alors qu'elle n'existait précisément plus à ce moment précis dans la présente querelle.
Les intimés ne font pas valoir qu'à considérer l'exception d'immunité de juridiction dont ils se sont prévalus devant le Tribunal des baux et loyers, ils n'ont pas été en mesure de s'exprimer sur le fond, c'est-à-dire sur le mérite de la requête d'évacuation formée par le recourant.
Au vu de ce qui précède, il est déterminant qu'au moment où les premiers juges ont statué, le pouvoir de juridiction sur les intimés était réalisé. C'était donc à bon droit que ces magistrats avaient déclaré recevable la demande en évacuation déposée contre les locataires. Pour l'avoir méconnu, la cour cantonale a violé le droit fédéral. Il se justifie en conséquence d'annuler l'arrêt déféré et de lui retourner la cause pour qu'elle se prononce sur la demande d'évacuation. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d3623a3c-09f1-4adb-ab33-5b3d73fdcd2d | Urteilskopf
140 I 353
29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Kantonsrat des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_653/2012 vom 1. Oktober 2014 | Regeste
Art. 13 Abs. 1 und
Art. 123 Abs. 1 BV
,
Art. 8 EMRK
; Polizeigesetz des Kantons Zürich; verdeckte Vorermittlung, Chatroom-Überwachung, Schutz des Post- und Fernmeldeverkehrs.
Zuständigkeit der Kantone zur Regelung der präventiven Polizeitätigkeit, die nicht an einen Tatverdacht anknüpft und sich nicht auf die Strafprozessordnung des Bundes stützt (E. 5).
Übersicht über die Regelung der verdeckten Vorermittlung und der Informationsbeschaffung im Internet gemäss dem Polizeigesetz (E. 6).
Verdeckte Vorermittlung: Die kantonale Bestimmung (§ 32e PolG/ZH) bezieht sich auf schwere Delikte im Sinne von
Art. 286 Abs. 2 StPO
. Für die Durchführung wird auf die
Art. 151 und 287-298 StPO
verwiesen. Damit wird verhindert, dass die verdeckten Vorermittler als "agents provocateurs" tätig werden. Die Regelung entspricht den rechtsstaatlichen Anforderungen in Bezug auf die richterliche Genehmigung sowie die Verfahrensrechte und den Rechtsschutz der betroffenen Personen (E. 7).
Chatroom-Überwachung: § 32f Abs. 2 PolG/ZH lässt die Überwachung der Kommunikation auf virtuellen Kommunikationsplattformen zu, die nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich sind (sog. Closed User Groups). Eine solche Informationsbeschaffung kann mit einem Eingriff in die Privatsphäre und in das Fernmeldegeheimnis verbunden sein (E. 8.4). Sie betrifft grundsätzlich alle Benutzer dieser Kommunikationsmittel. Es handelt sich um eine sehr weit gehende Überwachungsmethode, die das Sammeln und Auswerten von Informationen aus den Privatbereichen einer Vielzahl von Personen erlaubt, gegen die überhaupt kein Verdacht für rechtswidriges Verhalten vorliegt (E. 8.7.2.1). Die Bestimmung ist mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht vereinbar, weil keine richterliche Genehmigung der Überwachung vorgeschrieben ist, keine nachträgliche Mitteilung an die Betroffenen erfolgt und ihnen auch kein Rechtsschutz gewährt wird (E. 8.7.2.4). Hinweis auf die Bestimmungen der StPO zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (E. 8.8). | Sachverhalt
ab Seite 355
BGE 140 I 353 S. 355
A.
Der Regierungsrat des Kantons Zürich unterbreitete dem Kantonsrat des Kantons Zürich am 28. März 2012 einen Antrag für die Änderung des Polizeigesetzes vom 23. April 2007 (PolG/ZH; LS 550. 1). Mit der Gesetzesänderung sollten die Schnittstelle zwischen Kriminalprävention und Strafverfolgung klarer geregelt und die gesetzlichen Grundlagen für das polizeiliche Vorgehen zur Verhinderung und Erkennung von Straftaten vervollständigt werden. Der Kantonsrat beschloss die Gesetzesänderung am 5. November 2012. In § 4 des geänderten Polizeigesetzes verankerte er ausdrücklich das Vorermittlungsverfahren. Die Bestimmungen über die Überwachungsmassnahmen wurden präzisiert und ergänzt (§ 32 ff.), wobei neu auch die verdeckte Vorermittlung (§ 32e), die Informationsbeschaffung im Internet (§ 32f) und die verdeckte Registrierung (§ 32g) geregelt sind. (...)
Gegen die Änderung des Polizeigesetzes wurde nach der Veröffentlichung im kantonalen Amtsblatt vom 16. November 2012 kein Referendum ergriffen. Die neuen Bestimmungen traten am 1. März 2013 in Kraft.
BGE 140 I 353 S. 356
B.
A. hat beim Bundesgericht am 17. Dezember 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben. Er beantragt, das Polizeigesetz in der Fassung vom 5. November 2012 sei aufzuheben. Eventualiter seien die §§ 32e und 32f PolG/ZH aufzuheben. Im Wesentlichen macht der Beschwerdeführer geltend, mit dem Inkrafttreten der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312) am 1. Januar 2011, sei die Kompetenz der Kantone zum Erlass von Normen auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts erloschen. Namentlich seien Instrumente wie die verdeckte Ermittlung oder die verdeckte Fahndung abschliessend in der StPO geregelt.
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich beantragt im Namen des Regierungsrates die Abweisung der Beschwerde. Sie vertritt die Auffassung, die Polizeihoheit liege bei den Kantonen und diese seien deshalb zuständig zum Erlass des Polizeirechts. Das Vorermittlungsverfahren der Polizei sei vom Vorverfahren nach
Art. 299 Abs. 1 StPO
abzugrenzen. Vorermittlungen sollten klären, ob strafprozessuale Sachverhalte vorliegen oder nicht. Sie seien im kantonalen Polizeirecht zu regeln.
Der Beschwerdeführer hält in seiner Beschwerdeergänzung an seinem Hauptantrag und an seinen Eventualanträgen betreffend die §§ 32e und 32f PolG/ZH fest. (...)
C.
Das Bundesgericht führte am 18. Juni 2014 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und der Kantonspolizei Zürich eine Instruktionsverhandlung durch, an welcher Fragen zur Anwendung der neuen Bestimmungen des Polizeigesetzes zur Sprache kamen. Der Beschwerdeführer und die Kantonspolizei haben zum Protokoll der Instruktionsverhandlung Stellung genommen.
D.
Am 1. Oktober 2014 hat das Bundesgericht die Angelegenheit öffentlich beraten.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die vom Beschwerdeführer beanstandeten polizeilichen Tätigkeiten sind im Wesentlichen in den §§ 32d bis 32f des geänderten Polizeigesetzes geregelt. Diese Bestimmungen lauten:
§ 32d Kontaktnahme
1
Zur Verhinderung und Erkennung von Straftaten können Angehörige der Polizei oder von ihr beauftragte oder mit ihr kooperierende Dritte mit anderen Personen Kontakt aufnehmen, ohne ihre wahre Identität und Funktion bekannt zu geben.
BGE 140 I 353 S. 357
2
Als Kontaktnahmen nach Abs. 1 gelten auch die Vorbereitung und der Abschluss von Scheingeschäften und Testkäufen.
3
Das Polizeikommando kann die eingesetzte Person mit einer Legende ausstatten. Herstellung, Veränderung und Gebrauch von amtlichen Dokumenten wie Pässe, Identitätskarten und Führerausweise bedürfen der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht.
§ 32e Verdeckte Vorermittlung
1
Zur Verhinderung und Erkennung von Straftaten kann das Polizeikommando mit Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts ausserhalb eines Strafverfahrens verdeckte Vorermittlerinnen und Vorermittler einsetzen, die unter einer auf Dauer angelegten falschen Identität durch aktives und zielgerichtetes Verhalten versuchen, zu anderen Personen Kontakte zu knüpfen und zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
2
Eine verdeckte Vorermittlung kann angeordnet werden, wenn
a. hinreichende Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass es zu Straftaten im Sinne von
Art. 286 Abs. 2 StPO
kommen könnte,
b. die Schwere dieser Straftaten eine verdeckte Vorermittlung rechtfertigt und
c. andere Massnahmen erfolglos geblieben sind oder die Vorermittlung sonst aussichtslos oder unverhältnismässig erschwert wäre.
3
Als verdeckte Vorermittlerinnen und Vorermittler können Angehörige der Polizei oder von ihr beauftragte Personen eingesetzt werden.
4
Für die Durchführung der verdeckten Vorermittlung sind im Übrigen
Art. 151 und 287-298 StPO
sinngemäss anwendbar, wobei an die Stelle der Staatsanwaltschaft das Polizeikommando tritt.
§ 32f Informationsbeschaffung im Internet
1
Die Polizei kann zur Erfüllung ihrer Aufgaben mit technischen Mitteln im Internet fahnden.
2
Eine Polizeioffizierin oder ein Polizeioffizier kann den Einsatz von technischen Mitteln zur Feststellung von verdächtigen Inhalten in einer einem beschränkten Benutzerkreis zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattform anordnen, wenn die Abwehr einer drohenden Gefahr oder die Erkennung von Straftaten sonst aussichtslos wäre oder unverhältnismässig erschwert würde. Dies gilt namentlich zur Erkennung folgender Gefahren und Straftaten:
a. Amokläufe,
b. Hooliganismus und schwere Ausschreitungen bei öffentlich zugänglichen Grossveranstaltungen und Kundgebungen,
c. Aufrufe zu Gewalt, zu schweren Sachbeschädigungen mit erheblichem Schadenspotenzial oder zu anderen schweren Rechtsgutverletzungen,
d. schwere Sexualdelikte,
e. Verhinderung drohender Verbrechen oder Vergehen an Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen und die wegen ihrer Verletzlichkeit besonders gefährdet sind.
BGE 140 I 353 S. 358
3.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der mit den angerufenen Verfassungs- oder EMRK-Garantien vereinbar ist. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt. Es ist grundsätzlich vom Wortlaut der Gesetzesbestimmung auszugehen und der Sinn nach den überkommenen Auslegungsmethoden zu bestimmen. Eine verfassungs- und konventionskonforme Auslegung ist namentlich zulässig, wenn der Normtext lückenhaft, zweideutig oder unklar ist. Der klare und eindeutige Wortsinn darf indes nicht durch eine verfassungskonforme Interpretation beiseitegeschoben werden. Im Einzelnen wird auf die Tragweite des Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit eines hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutzes bei einer späteren Normenkontrolle, die konkreten Umstände der Anwendung und die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit abgestellt. Der blosse Umstand, dass die angefochtene Norm in einzelnen Fällen in verfassungswidriger Weise angewendet werden könnte, führt für sich allein noch nicht zu deren Aufhebung (vgl.
BGE 140 I 2
E. 4 S. 14;
BGE 137 I 31
E. 2 S. 39 f.).
4.
4.1
Nach
Art. 190 BV
sind Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Damit kann Bundesgesetzen weder im Rahmen der abstrakten noch der konkreten Normenkontrolle die Anwendung versagt werden. Zwar handelt es sich dabei um ein Anwendungsgebot und kein Prüfungsverbot (
BGE 131 II 710
E. 5.4 S. 721;
BGE 129 II 249
E. 5.4 S. 263, mit Hinweisen; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Bd. II, Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 8 zu
Art. 190 BV
), und es kann sich rechtfertigen, vorfrageweise die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes zu prüfen. Wird eine solche festgestellt, muss das Gesetz aber angewandt werden, und das Bundesgericht kann lediglich gegebenenfalls den Gesetzgeber einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern. Freilich besteht nicht in jedem Fall die Veranlassung, die bundesgesetzliche Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht hin zu prüfen. Vielmehr hängt es von den
BGE 140 I 353 S. 359
Umständen des Einzelfalles ab, ob sich dies rechtfertigt. Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle ist dafür entscheidend, ob ein genügendes allgemeines Interesse an der Feststellung einer allfälligen Verfassungswidrigkeit besteht.
4.2
Im vorliegenden Fall sind kantonale Gesetzesbestimmungen angefochten. Dafür gilt das Anwendungsgebot von
Art. 190 BV
grundsätzlich nicht. Auch der Umstand, dass der Bundesgesetzgeber eine bestimmte Materie für seinen Kompetenzbereich, hier die verdeckte Fahndung und die verdeckte Ermittlung nach den
Art. 285a ff. und 298a ff. StPO
, bereits geordnet hat, schränkt die Befugnis des Bundesgerichts zur Überprüfung eines kantonalen Erlasses nicht ein. Dabei ist sogar in Kauf zu nehmen, dass sich bei einer solchen Prüfung allenfalls Zweifel an der Verfassungsmässigkeit eines Bundesgesetzes ergeben können (vgl.
BGE 136 I 49
E. 3 S. 55;
BGE 109 Ia 273
E. 2b S. 277 f.). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Zulässigkeit der umstrittenen kantonalen Bestimmungen vor dem Hintergrund der Zuständigkeit des Bundes zur Rechtssetzung im Bereich des Strafprozesses (
Art. 123 Abs. 1 BV
). Die vom Bund geschaffenen strafprozessualen Normen sind bei der Beurteilung der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Kantone zu berücksichtigen.
5.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die verdeckte Ermittlung sei abschliessend in
Art. 286 ff. StPO
geregelt. Damit habe der Bund von seiner Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts gemäss
Art. 123 Abs. 1 und 3 BV
Gebrauch gemacht. Den Kantonen verbleibe kein Spielraum zur Einführung einer verdeckten Vorermittlung (§ 32e PolG/ZH) mit den Instrumenten der Kontaktaufnahme (§ 32d PolG/ZH) und der automatisierten, technischen Fahndung im Internet (§ 32f PolG/ZH). Die beanstandete Regelung verstosse gegen den Vorrang des Bundesrechts im Sinne von
Art. 49 Abs. 1 BV
.
5.1
Die Zuständigkeit der Kantone, auf ihrem Hoheitsgebiet für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sorgen, gilt als originäre Kompetenz der Kantone (Botschaft des Bundesrats vom 20. November 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 236 f. zu Art. 53;
BGE 140 I 2
E. 10.2.1 S. 29 f.). Die Kantone verfügen auf ihrem Territorium über die Polizeihoheit und damit über die entsprechende Rechtsetzungskompetenz im Hinblick auf die Wahrnehmung des umfassenden Auftrags zur
BGE 140 I 353 S. 360
Gefahrenabwehr. Der Grundsatz der primären Verantwortung der Kantone für die Sicherheit auf ihrem Territorium ist in der Lehre wie auch in der Rechtsprechung unbestritten (
Art. 57 BV
;
BGE 117 Ia 292
; Bericht des Bundesrats vom 2. März 2012 in Erfüllung des Postulats Malama [...] "Innere Sicherheit. Klärung der Kompetenzen", BBl 2012 4459, 4479 f. mit weiteren Hinweisen; RAINER J. SCHWEIZER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, a.a.O., N. 5 zu
Art. 57 BV
; ALEXANDER RUCH, Äussere und innere Sicherheit, in: Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, S. 898 Rz. 33).
Der Bund ist aufgrund von
Art. 123 Abs. 1 BV
zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafprozessrechts befugt. Ausgangspunkt eines jeden Strafverfahrens ist der Verdacht, eine strafbare Handlung sei begangen worden. Das Strafprozessrecht regelt somit die Vorkehrungen und die Schritte des Verfahrens, mit welchem die Richtigkeit dieses Verdachts überprüft und gegebenenfalls die Straftat beurteilt wird. Soweit dagegen zu regeln ist, mit welchen Mitteln Straftaten verhindert werden können oder ihre erst mögliche Begehung festgestellt werden kann, beschlägt dies das Polizeirecht, zu dessen Erlass grundsätzlich die Kantone zuständig sind (vgl. Stellungnahme des Bundesrats vom 23. Mai 2012 zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Februar 2012 zur Parlamentarischen Initiative "Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung", BBl 2012 5609, 5611 mit Hinweisen).
5.2
Das Polizeirecht ist grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur. Tätigkeiten und Aufgaben der Polizei, wie insbesondere die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. §§ 3 ff. PolG/ZH und §§ 7 ff. des Polizeiorganisationsgesetzes des Kantons Zürich vom 29. November 2004 [POG/ZH; LS 551.1]), werden von den für das Verwaltungsrecht massgebenden materiellen Grundsätzen beherrscht. Das Polizeirecht weist in verschiedener Hinsicht Bezüge zum Straf- und Strafprozessrecht auf, da die Polizei auch im Dienst der Strafverfolgung tätig ist. Sie nimmt nach § 2 Abs. 2 PolG/ZH und
§ 8 POG
/ZH im Rahmen des kantonalen Gesetzes vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG/ZH; LS 211.1) und der Strafprozessordnung des Bundes kriminalpolizeiliche Aufgaben wahr wie die Verhütung strafbarer Handlungen oder die Feststellung und die Aufklärung von Straftaten. Die verwaltungsrechtliche Polizeitätigkeit lässt sich nicht leicht vom strafprozessualen, im Dienst der Strafverfolgung
BGE 140 I 353 S. 361
stehenden Aufgabenbereich unterscheiden. Die beiden Bereiche können sich überschneiden oder fliessend ineinander übergehen, etwa wenn ein Polizist in Ausübung einer rein polizeilichen Tätigkeit, die keinen Tatverdacht voraussetzt, auf strafrechtlich relevante Sachverhalte trifft und entsprechende Massnahmen mit Blick auf die Strafverfolgung vorkehrt (vgl.
Art. 306 StPO
). Gemeinsam ist den Bereichen, dass bei gegebenen Voraussetzungen in vergleichbarer Weise in Grundrechte von Personen eingegriffen werden kann. Es kommen im Wesentlichen auch die gleichen verfassungsrechtlichen Garantien zum Schutz der Grundrechte zum Zug, insbesondere die Erfordernisse der gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interesses und der Verhältnismässigkeit (
Art. 5 und 36 BV
; E. 8.5 hiernach;
BGE 136 I 87
E. 3.4 S. 93 f.).
5.3
Nach Inkrafttreten der StPO des Bundes am 1. Januar 2011 und im Nachgang zum Urteil des Bundesgerichts
BGE 134 IV 266
bejahten die Eidgenössischen Räte einen Revisionsbedarf in Bezug auf die gesetzliche Regelung der verdeckten Ermittlung und der verdeckten Fahndung (Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats vom 3. Februar 2012 zur Parlamentarischen Initiative "Präzisierung des Anwendungsbereichs der Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung", BBl 2012 5591; Stellungnahme des Bundesrats vom 23. Mai 2012, BBl 2012 5609). Die parlamentarischen Beratungen führten zur Änderung der StPO vom 14. Dezember 2012, welche am 1. Mai 2013 in Kraft trat (AS 2013 1051). Mit dieser Gesetzesänderung wurden die Bestimmungen über die verdeckte Ermittlung präzisiert (
Art. 285a und 288 Abs. 1 und 2 StPO
) und eine neue gesetzliche Grundlage für die verdeckte Fahndung geschaffen (
Art. 298a ff. StPO
).
5.4
Die gesetzliche Grundlage für die verdeckte Fahndung in
Art. 298a ff. StPO
lehnt sich an die Regelung der Observation nach Art. 282 f. StPO an und unterscheidet sich von der verdeckten Ermittlung. So bedarf die verdeckte Fahndung nach
Art. 298a ff. StPO
im Unterschied zur verdeckten Ermittlung (
Art. 285a ff. StPO
) keiner gerichtlichen Genehmigung. Hingegen ist in beiden Fällen die Mitteilung an die betroffenen Personen und der nachträgliche Rechtsschutz gewährleistet (
Art. 298 und 298d StPO
). Gleich wie die Observation wird die verdeckte Fahndung von der Polizei angeordnet und muss nach einer Dauer von einem Monat von der Staatsanwaltschaft genehmigt werden. Die neuen Bestimmungen der StPO erfassen ausschliesslich jene Fälle, in denen ein Verdacht auf eine
BGE 140 I 353 S. 362
strafbare Handlung besteht. Dieser Verdacht kann auch ein bloss vager sein (BBl 2012 5596; LANDSHUT/BOSSHARD, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 26 zu
Art. 309 StPO
).
5.5
In gewissen Fällen erscheinen im Interesse der Prävention gegen Straftaten Ermittlungen erforderlich, selbst wenn zu Beginn der verdeckten Ermittlungstätigkeit kein Tatverdacht vorliegt. Entsprechende Vorermittlungen können sich gegen jede Art von schwerwiegenden Straftaten richten. Betroffen sein können unter anderem kriminelle Organisationen (
Art. 260
ter
StGB
), Straftaten gegen die Freiheit wie der Menschenhandel (
Art. 182 StGB
), die Kommunikation in Chat-Räumen zur Verhinderung von sexuellen Handlungen mit Kindern (
BGE 134 IV 266
), die Vorbeugung gegen den Missbrauch von Betäubungsmitteln (vgl. Art. 23 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 1951 [BetmG; SR 812.121]) oder sogenannte Alkoholtestkäufe (Urteil des Bundesgerichts 6B_334/2011 vom 10. Januar 2012; Art. 13 des Entwurfs zu einem Bundesgesetz über den Handel mit alkoholischen Getränken [...], BBl 2012 1493, 1497 zu Art. 13).
5.5.1
Das geltende Bundesrecht enthält auch nach der Neuregelung der verdeckten Ermittlung und verdeckten Fahndung in den
Art. 285a und 298a ff. StPO
keine Bestimmungen zur
präventiven
Vorermittlung im Sinne eines polizeilichen Tätigwerdens zur Verhinderung oder Erkennung zukünftiger möglicher Delikte (vgl. § 4 Abs. 1 und 2 sowie § 32e PolG/ZH). Bei der Beratung der
Art. 298a ff. StPO
in den Eidgenössischen Räten vertrat eine Minderheit der Rechtskommission des Nationalrats die Ansicht, dass im Bundesrecht auch eine Grundlage für die präventive verdeckte Vorermittlung zu schaffen sei, wie eine solche auch bereits in Art. 4 Abs. 1 lit. a des (mit Inkrafttreten der StPO aufgehobenen) Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über die verdeckte Ermittlung (BVE; AS 2004 1409) bestanden habe (vgl. hierzu
BGE 134 IV 266
E. 4.1.1 und 4.2.1 S. 280). Damit sollte sichergestellt werden, dass in der ganzen Schweiz die gleiche Regelung gelte. Die Kommissionsmehrheit lehnte diesen Antrag mit dem Hinweis auf die dafür fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes sowie die laufenden bzw. bereits abgeschlossenen Arbeiten der Kantone ab (BBl 2012 5599 f. Ziff. 3.2). Der Bundesrat lehnte den Antrag ebenfalls ab, weil er im Widerspruch zur verfassungsmässigen Kompetenzordnung stehe und eine solche Regelung nicht in das der StPO zugrunde liegende System passe.
BGE 140 I 353 S. 363
Es gehöre nicht zu den Aufgaben der Strafbehörden, präventive Massnahmen anzuordnen (BBl 2012 5611). In der parlamentarischen Beratung stimmten die Räte dem Vorschlag der Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats zu (AB 2012 N 1263, 2012 S 1152, 2012 N 2278, 2012 S 1258). Die neuen
Art. 285a, 288 Abs. 1 und 2 und 298a ff. StPO
sind am 1. Mai 2013 in Kraft getreten (AS 2013 1051).
5.5.2
Nach der Debatte in den Eidgenössischen Räten bei Erlass der geltenden Vorschriften zur verdeckten Ermittlung und verdeckten Fahndung in der StPO besteht kein Zweifel, dass der Gesetzgeber die
präventive
verdeckte Vorermittlung in der StPO nicht normierte, sondern der Regelung durch die Kantone überliess. Nach der Auffassung der Rechtskommission des Nationalrats könnte der Bund auch gar keine Gesetzesgrundlagen für die präventive verdeckte Vorermittlung schaffen, da es sich dabei nicht um Massnahmen des Strafprozessrechts handle, zu dessen Regelung der Bund nach
Art. 123 Abs. 1 BV
befugt ist (BBl 2012 5596 Ziff. 2.2.2).
Bei der
präventiven
verdeckten Vorermittlung und Informationsbeschaffung im Internet im Sinne der §§ 32e und 32f PolG/ZH geht es um Handlungen von Polizeiorganen vor einem Strafverfahren, welche der Verhinderung oder Erkennung einer möglichen Straftat dienen. Dafür ist eine gesetzliche Grundlage im kantonalen Polizeirecht nötig. Diese Situation ist auch dem Strafprozessrecht nicht fremd: Die Observation, die mit der verdeckten Vorermittlung gewisse Ähnlichkeiten aufweist, ist in der Strafprozessordnung nur insoweit geregelt, als die Massnahme der Aufklärung eines Tatverdachts dient.
Art. 282 Abs. 1 lit. a StPO
setzt für die Anordnung der Observation die Annahme voraus, dass "Verbrechen oder Vergehen begangen worden sind". Erfolgt eine Observation hingegen zur Verhinderung oder Erkennung von künftigen Straftaten, die begangen werden könnten, ohne dass bereits ein Tatverdacht vorliegt, lässt sie sich nicht auf Art. 282 f. StPO stützen. Eine solche Observation bedarf einer Grundlage im kantonalen Polizeirecht (BBl 2012 5596 f. Ziff. 2.2.2). Eine entsprechende gesetzliche Grundlage hat der Kantonsrat mit dem Erlass von § 32 PolG/ZH geschaffen. Der Beschwerdeführer erhebt gegen diese Bestimmung keine spezifischen Rügen (vgl. nicht publ. E. 1.2).
5.5.3
Im Hinblick auf die präventive verdeckte Vorermittlung ohne konkreten Tatverdacht ist weiter zu beachten, dass viele Kantone die notwendigen gesetzlichen Grundlagen bereits erlassen haben oder
BGE 140 I 353 S. 364
solche vorbereiten. Damit sich nicht Schwierigkeiten ergeben, wenn Erkenntnisse aus präventiven polizeilichen Massnahmen in einem Strafverfahren verwertet werden sollen, ist sicherzustellen, dass die Regelungen im Strafprozessrecht und im Polizeirecht aufeinander abgestimmt sind. Zu diesem Zweck koordinierte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats ihre Arbeiten mit jenen der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), welche zuhanden der Kantone eine Musterregelung erarbeitet hat (BBl 2012 5597 Ziff. 2.2.2; THOMAS HANSJAKOB, Die neuen Bestimmungen zu verdeckter Fahndung und Ermittlung, forumpoenale 2013 S. 214 ff., 220 f.). Dieses Vorgehen entspricht der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung und dient der angemessenen Kriminalitätsbekämpfung unter Gewährleistung der verfassungsmässigen Rechte der Bürger.
5.6
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zu Unrecht geltend macht, die verdeckte Ermittlung sei abschliessend in den
Art. 285a ff. StPO
geregelt und den Kantonen verbleibe kein Raum zur Einführung präventiver verdeckter Vorermittlungsmassnahmen. Die Rüge der Missachtung des Vorrangs des Bundesrechts im Sinne von
Art. 49 Abs. 1 BV
dringt nicht durch.
6.
Inhaltlich umstritten sind im Einzelnen die §§ 32e und 32f PolG/ZH. Beiden Bestimmungen ist gemeinsam, dass sie die präventive Polizeitätigkeit im Interesse der Verbrechensvermeidung betreffen und das polizeiliche Tätigwerden keinen Anfangsverdacht voraussetzt.
Die Vorschriften knüpfen an die Grundsatzbestimmung über die Vorermittlung und das Vorverfahren in § 4 Abs. 1 PolG/ZH an. Danach tätigt die Polizei ausgehend von Hinweisen oder eigenen Wahrnehmungen Vorermittlungen, um festzustellen, ob strafbare Handlungen zu verhindern (lit. a) oder aufzuklären (lit. b) sind. Die Aufklärung der Straftaten durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage der StPO (§ 4 Abs. 3 PolG/ZH). Dem strafprozessualen Vorverfahren (
Art. 299 ff. StPO
) kann ein polizeirechtliches Vorermittlungsverfahren im Sinne von § 4 Abs. 1 lit. b PolG/ZH vorgelagert sein, welches wie erwähnt keinen Tatverdacht voraussetzt. Die vorliegend zu beurteilenden §§ 32e und 32f PolG/ZH beziehen sich insbesondere auf die präventive Polizeitätigkeit im Interesse der Verhinderung strafbarer Handlungen (vgl. E. 5.5.2 hiervor).
BGE 140 I 353 S. 365
6.1
In § 32e PolG/ZH wird die verdeckte Vorermittlung geregelt. Die Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit der Regelung der Vorermittlung in § 4 Abs. 1 PolG/ZH. Dieses Vorermittlungsverfahren betrifft die polizeiliche Tätigkeit ohne konkreten Tatverdacht vor einem strafprozessualen Vorverfahren im Sinne von
Art. 299 ff. StPO
. Unter Vorermittlungen sind Abklärungen und Massnahmen der Polizei zu verstehen, die auf Verdachtsbegründung ausgerichtet sind oder die auf einem bloss vagen, noch unbestimmten Anfangsverdacht, kriminalistischen Erfahrungswerten oder auf einer blossen Vermutung oder Hypothese gründen, die ohne vorgängige Konkretisierung und Verdichtung (oder Entkräftung) für die Einleitung eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens gemäss
Art. 306 StPO
nicht genügen. Typisch ist solches Handeln, wenn die Polizei Meldungen aus der Bevölkerung über verdächtige Wahrnehmungen nachgeht. Vorermittlungen ermöglichen der Polizei das Erkennen, dass bestimmte Straftaten begangen worden sind oder gestützt auf einen bereits gefassten Tatentschluss kurz vor der Ausführung stehen könnten. Vorermittlungen bezwecken die Feststellung, ob überhaupt strafprozessual abzuklärende Sachverhalte vorliegen oder nicht, und im bejahenden Fall eine möglichst gute Ausgangslage für das nachfolgende Vorverfahren gemäss StPO zu schaffen oder auch (weitere) Straftaten zu verhindern (vgl. Antrag des Regierungsrats an den Kantonsrat vom 28. März 2012 zur Änderung des Polizeigesetzes, S. 15 f.; s. auch E. 5.2 und 5.5.2 hiervor).
In § 32e PolG/ZH ist in Ergänzung zu § 4 Abs. 1 PolG/ZH vorgesehen, dass das Polizeikommando mit Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts ausserhalb eines Strafverfahrens verdeckte Vorermittlerinnen und Vorermittler einsetzen kann, die unter falscher Identität durch aktives und zielgerichtetes Verhalten versuchen, zu anderen Personen Kontakte zu knüpfen und zu ihnen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Eine solche persönliche Kontaktnahme kann unter anderem auch über das Internet in sog. Chatrooms erfolgen (vgl.
BGE 134 IV 266
).
6.2
Darüber hinaus wurde in § 32f PolG/ZH eine gesetzliche Grundlage für die Informationsbeschaffung im Internet geschaffen. Nach Abs. 2 soll die Bestimmung unter anderem auch als gesetzliche Grundlage zur verdeckten Feststellung von verdächtigen Inhalten in geschlossenen Bereichen auf virtuellen Kommunikationsplattformen (z.B. Chatrooms) im Internet dienen. Diese Vorermittlungstätigkeit soll auf Computerprogrammen basieren, welche die Beobachtung
BGE 140 I 353 S. 366
der Kommunikation ohne direkte Kontaktnahme der beobachtenden Person mit den beobachteten Kommunikationsteilnehmern ermöglichen (vgl. E. 8 hiernach;
BGE 134 IV 266
E. 3.8.2 und 3.9).
7.
Der Beschwerdeführer beanstandet die Bestimmung über die verdeckte Vorermittlung (§ 32e PolG/ZH) insofern, als sie die Kontaktaufnahme mit möglichen Tätern von sexuellen Handlungen mit Kindern (
Art. 187 Ziff. 1 StGB
) auf virtuellen Kommunikationsplattformen (sog. Chatrooms) betrifft. Solche verdeckten Vorermittlungen richteten sich gegen Personen, die unter Pädophilie, einer Störung der sexuellen Präferenz und damit einer psychischen Krankheit litten. Mit der Anknüpfung der verdeckten Vorermittlung an einer psychischen Krankheit verstosse sie gegen das Diskriminierungsverbot (
Art. 8 Abs. 2 BV
). Zudem träten die verdeckten Vorermittler nicht bloss als unbeteiligte Beobachter auf, sondern sie betätigten sich als "agent provocateur", was mit
Art. 293 StPO
und verschiedenen Verfassungs- und Konventionsgarantien nicht vereinbar sei.
§ 32e PolG/ZH betrifft ausschliesslich die Verhinderung und Erkennung von Straftaten, bevor eine solche begangen wird. In Abs. 2 lit. b dieser Bestimmung wird dabei ausdrücklich festgehalten, dass eine verdeckte Vorermittlung nur zulässig ist, wenn die Schwere der Straftat dies rechtfertigt. Insoweit ist die verdeckte Vorermittlung nicht auf die Kontaktaufnahme in Chatrooms mit möglichen Tätern von sexuellen Handlungen mit Kindern (
Art. 187 Ziff. 1 StGB
; vgl.
BGE 134 IV 266
) beschränkt, sondern erstreckt sich zum Beispiel auch auf mögliche Täter einer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 ff. i.V.m.
Art. 23 BetmG
). Dabei ist in Anwendung von § 32e Abs. 2 PolG/ZH sichergestellt, dass die verdeckte Vorermittlung vom Zwangsmassnahmengericht nur genehmigt wird, wenn ein schweres Delikt im Sinne von
Art. 286 Abs. 2 StPO
droht, die Schwere der Straftat eine verdeckte Vorermittlung rechtfertigt und andere Massnahmen erfolglos geblieben sind oder die Vorermittlung sonst aussichtslos oder unverhältnismässig erschwert wäre. Die verdeckte Vorermittlung ist damit auf die Verhinderung zahlreicher, sehr unterschiedlicher, schwerer Straftaten ausgerichtet. Es kann somit keine Rede davon sein, die beanstandete Bestimmung stelle eine gegen
Art. 8 Abs. 2 BV
verstossende Diskriminierung von Personen mit pädophilen Neigungen dar.
Auch die Befürchtung des Beschwerdeführers, die verdeckten Vorermittler würden als "agents provocateurs" bestimmte Personen zur
BGE 140 I 353 S. 367
Begehung von Straftaten veranlassen, erscheint als unbegründet. In § 32e Abs. 4 PolG/ZH wird ausdrücklich festgehalten, dass für die Durchführung der verdeckten Vorermittlung die
Art. 151 und 287-298 StPO
sinngemäss anwendbar sind.
Art. 293 StPO
gibt das Mass der zulässigen Einwirkung von verdeckten Vorermittlerinnen und -ermittlern vor. Mit dieser Regelung wird verhindert, dass die verdeckte Vorermittlung zu einem unzulässigen Einsatz eines "agent provocateur" führt. Ausserdem entspricht § 32e PolG/ZH kraft der Verweisung in Abs. 4 weiteren rechtsstaatlichen Anforderungen namentlich in Bezug auf die richterliche Genehmigung der verdeckten Vorermittlung (
Art. 289 StPO
) sowie die Verfahrensrechte und den Rechtsschutz der betroffenen Personen (
Art. 298 StPO
). Die gegen § 32e PolG/ZH erhobenen Einwände erweisen sich somit als nicht stichhaltig. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
8.
8.1
In Bezug auf § 32f PolG/ZH bringt der Beschwerdeführer unter anderem vor, die Bestimmung verletze das Fernmeldegeheimnis (
Art. 13 Abs. 1 BV
,
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 17 Abs. 1 UNO-Pakt II
[SR 0.103.2]). Mit der nach § 32f PolG/ZH zulässigen verdeckten Überwachung vonvirtuellen Kommunikationsplattformen, die nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich seien, werde der grundrechtlich geschützte Fernmeldeverkehr und damit die Privatsphäre der Betroffenen tangiert. Dies sei nur unter Einhaltung der hohen Anforderungen des Bundesverfassungs- und -gesetzesrechts zulässig. Nach
Art. 179
octies
StGB
erfordere die Überwachung des Fernmeldeverkehrs eine richterliche Genehmigung, anderenfalls sich der Überwachende strafbar mache. Diene die Überwachung der Strafrechtspflege, so müssten zudem die Schranken der StPO eingehalten werden. In Anwendung von
Art. 269 Abs. 1 lit. a StPO
dürfe eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs nur dann angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht bestehe. Sie bedürfe zudem gemäss
Art. 272 Abs. 1 StPO
der Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht. Würden zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs technische Überwachungsgeräte verwendet, so dürften diese nur gegenüber dem Beschuldigten eingesetzt werden (
Art. 281 StPO
), was den Verdacht einer strafbaren Handlung voraussetze.
§ 32f PolG/ZH erfülle diese Voraussetzungen nicht. Die Überwachung könne von jedem Polizeioffizier angeordnet werden. Eine richterliche Genehmigung werde nicht verlangt. Ebensowenig werde ein konkreter Tatverdacht vorausgesetzt. Es dürfe nach allen
BGE 140 I 353 S. 368
verdächtigen Inhalten gefahndet werden, die in irgendeiner Art und Weise mit den in § 32f Abs. 2 lit. a-e PolG/ZH genannten, unbestimmten Handlungen zusammenhängen könnten. Auch müssten nicht erst andere, weniger grundrechtsintensive Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sein, wie dies
Art. 269 Abs. 1 lit. c StPO
für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs vorschreibe. Eine derart umfassende Überwachung des Internets, insbesondere von Chat-Protokollen und privaten Nachrichten in Internetforen, stehe im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die Überwachung von E-Mails nur zur Verfolgung einer Straftat im Rahmen der Regeln von
Art. 179
octies
StGB
sowie der Strafprozessordnung zulässig sei (
BGE 126 I 50
E. 6a S. 65 f.). Ausserdem würden in § 32f Abs. 2 lit. a-e PolG/ZH Gefahren und Straftaten aufgelistet, die im Tatbestandskatalog des StGB nicht existierten. Mangels einer klaren Definition des Überwachungsumfangs könne nicht festgestellt werden, ob es sich überhaupt um schwerwiegende Straftaten handle. Insofern sei keine Verhältnismässigkeitsprüfung von § 32f PolG/ZH möglich.
8.2
Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Regelung der Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in
Art. 269 ff. StPO
beruft, ist zu beachten, dass die StPO entsprechend der Kompetenznorm von
Art. 123 BV
lediglich die Verfolgung und Beurteilung bereits verübter Straftaten regelt (
Art. 1 Abs. 1 StPO
). Die Gesetzgebung zur Vermeidung von Straftaten ist Sache der Kantone (vgl. E. 5 hiervor). In diesem Bereich kann die StPO nur insoweit angewendet werden, als das kantonale Recht wie zum Beispiel in § 32e Abs. 2 und 4 PolG/ZH auf die sinngemässe Anwendung der StPO verweist und die StPO in diesem Umfang als kantonales Recht anwendbar ist (vgl.
BGE 118 Ia 137
E. 2a S. 140). § 32f PolG/ZH enthält keine entsprechende Verweisung auf die StPO.
In
Art. 179
octies
StGB
hingegen, nach welcher Bestimmung die zur Überwachung befugte Person straflos bleibt, wenn die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs auf richterlicher Genehmigung beruht, wird nicht unterschieden, ob die amtliche Überwachung im Rahmen eines strafprozessualen Vorverfahrens (
Art. 299 ff. StPO
) oder präventiv
vor
einem polizeilichen Ermittlungsverfahren (Art. 306 f. StPO) erfolgt. In Bezug auf den vorliegend umstrittenen § 32f PolG/ZH ist indessen zumindest fraglich, inwieweit
Art. 179
octies
StGB
auf die Überwachung mittels Computerprogrammen anwendbar ist (vgl. VON INS/WYDER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl.
BGE 140 I 353 S. 369
2013, N. 15 ff. zu
Art. 179
octies
StGB
). Zu prüfen ist im Folgenden, ob die nach § 32f PolG/ZH vorgesehene Informationsbeschaffung im Internet einen unzulässigen Eingriff in den verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldeverkehrs nach
Art. 13 Abs. 1 BV
darstellt.
8.3
Nach
Art. 13 Abs. 1 BV
hat jede Person Anspruch auf die Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Im Wesentlichen derselbe Schutz ergibt sich aus
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
, wobei dort lediglich die Korrespondenz, nicht aber der Fernmeldeverkehr ausdrücklich genannt wird. Der Schutzbereich von
Art. 13 Abs. 1 BV
und der EMRK erstreckt sich jedoch auch auf den Briefverkehr, Telefongespräche und Telefax-Übermittlungen, die Kommunikation per E-Mail, SMS, MMS, Pager oder durch einen Kurier sowie das Telefonieren über das Internet, während Homepages und öffentlich zugängliche Newsgroups nicht durch die Korrespondenzfreiheit geschützt sind (GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, S. 240 f.; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 275 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 203; STEPHAN BREITENMOSER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 33 zu
Art. 13 BV
). Geschützt ist nicht nur der Inhalt der Kommunikation; erfasst werden auch die Randdaten wie die von einem privaten Telefonanschluss aus angewählten Nummern sowie Zeitpunkt, Dauer und Teilnehmer der geführten Gespräche (Hinweise bei MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 203).
Mit dem Verfassungsanspruch gemäss
Art. 13 Abs. 1 BV
soll gewährleistet werden, dass die Kommunikation mit fremden Mitteln gegenüber Drittpersonen geheim erfolgen kann, auch wenn technische Mittel zur Kommunikationsüberwachung bestehen. Immer dann, wenn die Kommunikation durch eine Organisation wie die Post oder einen Fernmeldeverkehrsanbieter erfolgt, soll sie im Vertrauen auf die Respektierung der Geheimsphäre vertraulich geführt werden können, ohne dass das Gemeinwesen Kenntnis und Einblick erhält und daraus gewonnene Erkenntnisse gegen den Betroffenen verwenden kann. Dieser Geheimbereich ist unabhängig davon zu wahren, ob die Kommunikation durch eine staatliche Organisation (wie die früheren PTT-Betriebe) oder wie heute durch private Anbieter von Fernmeldedienstleistungen vermittelt wird (
BGE 126 I 50
E. 6a S. 65). Staatliche Behörden bleiben auch dann unmittelbar an das Brief-,
BGE 140 I 353 S. 370
Post- und Fernmeldegeheimnis gebunden, wenn ein Privater in ihrem Auftrag die konkreten elektronischen Durchsuchungs- und Abhörmassnahmen oder Briefkontrollen durchführt. In solchen Situationen nehmen die privaten Anbieter eine staatliche Aufgabe wahr und sind nach
Art. 35 Abs. 2 BV
an die Grundrechte, konkret an das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, gebunden. Dem entsprechend ist in Art. 43 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (FMG; SR 784.10) eine umfassende Geheimhaltungspflicht verankert (MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 208).
Die genannten Überlegungen gelten nach der Rechtsprechung namentlich auch für den E-Mail-Verkehr über Internet. Auszugehen ist von der Achtung des umfassend zu verstehenden Fernmeldeverkehrs. Das FMG regelt die fernmeldetechnische Übertragung von Informationen, die nicht als Radio- oder Fernsehprogramme gelten (
Art. 2 FMG
). Als fernmeldetechnische Übertragung gilt elektrisches, magnetisches, optisches oder anderes elektromagnetisches Senden oder Empfangen von Informationen über Leitungen oder Funk (
Art. 3 lit. c FMG
). Auch die Dienste von Internet-Providern werden den Fernmeldediensten zugeordnet; sie fallen unter das Fernmeldegesetz mit der Verpflichtung zur Geheimniswahrung (
Art. 43 FMG
). Die Geheimsphäre der E-Mail-Benützer ist im Rahmen des technisch Möglichen verfassungsmässig zu wahren, und die staatlichen Behörden sollen über die normale Verwendung des Internets hinaus keinen besondern Zugriff zum E-Mail-Verkehr haben (
BGE 126 I 50
E. 6a S. 66; zur Beschlagnahme von E-Mails vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_19/2014 vom 28. Mai 2014).
8.4
8.4.1
Aus § 32f Abs. 2 PolG/ZH ergibt sich die Ermächtigung der Polizei zur Ermittlung von verdächtigen Inhalten in virtuellen Kommunikationsplattformen, die nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich sind. Solche Informationsbeschaffungen können die durch
Art. 13 Abs. 1 BV
geschützte Privatsphäre von Personen tangieren, die auf solchen Plattformen kommunizieren. Davon geht nicht nur der Beschwerdeführer, sondern auch der Regierungsrat in seinem Antrag an den Kantonsrat vom 28. März 2012 aus. Der Regierungsrat legt dar, dass das Internet unter anderem auch bei der Vorbereitung und Planung von schweren Störungen der öffentlichen Sicherheit genutzt werde und Informationen enthalte, die zur Früherkennung und Verhinderung von schweren Sicherheitsrisiken von entscheidender Bedeutung sein könnten. Nach der polizeilichen
BGE 140 I 353 S. 371
Erfahrung, etwa im Zusammenhang mit der Früherkennung und Bekämpfung der Pädophilie im Internet, zeige sich allerdings, dass die polizeilich bedeutsamen Informationen im Internet zumeist nicht im allgemein zugänglichen Bereich, sondern in geschlossenen Foren bzw. "Closed User Groups" ausgetauscht werden (vgl.
BGE 134 IV 266
E. 3.9 S. 278 f.). Diese geschlossenen Plattformen könnten teilweise der Privatsphäre zugerechnet werden, auch wenn im Handel für jedermann Programme erhältlich seien, die eine gezielte Suche nach bestimmten Schlüsselwörtern in an sich geschlossenen Foren ermöglichten. Solche Programme, die auch polizeilich eingesetzt werden könnten, seien ein geeignetes Mittel, um frühzeitig Informationen über die Vorbereitung von Ausschreitungen, Gewaltstraftaten und allgemein über schwere Rechtsgutsverletzungen zu gewinnen und die rechtzeitige Vorbereitung der erforderlichen Gegenmassnahmen zu ermöglichen. § 32f Abs. 2 PolG/ZH erlaube den Einsatz solcher Suchprogramme in geschlossenen Internetforen. Dabei werde namentlich durch die Aufzählung der Rechtsgutsgefährdungen und Straftaten, die nach den lit. a bis e Anlass zu einem solchen Internetmonitoring geben könnten, klargestellt, dass die Hürden für diese Überwachungsmassnahmen hoch seien.
8.4.2
An der im Rahmen des bundesgerichtlichen Verfahrens durchgeführten Instruktionsverhandlung hat die Kantonspolizei darauf hingewiesen, dass die Informationsbeschaffung nach § 32f PolG/ZH der Kenntnisnahme von im Privatbereich bereits vorhandenen Informationen diene und keine zeitechte Informationsbeschaffung erfolge. Dies im Unterschied zur direkten Beteiligung an der Kommunikation nach den §§ 32d und 32e PolG/ZH oder der Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäss
Art. 269 ff. StPO
. Weiter ergab sich, dass die Kantonspolizei die Anschaffung eines Automatisierungsprogramms für die Informationsbeschaffung im Internet plant, das auch Informationen in einem zeitlich sehr nahen Kontext zur tatsächlichen Kommunikation erfassen könnte, womit bevorstehende Rechtsverstösse sofort sichtbar gemacht würden.
8.4.3
§ 32f Abs. 2 PolG/ZH beschränkt die nach dem Wortlaut dieser Bestimmung zulässige Informationsbeschaffung nicht auf abgeschlossene Kommunikationsvorgänge. Dass heute ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen der tatsächlichen Kommunikation auf der Internetplattform und der Kenntnisnahme durch die Polizeiorgane besteht, hängt insbesondere mit den zurzeit verfügbaren beschränkten technischen Mitteln zusammen. Indessen wird auch bei der
BGE 140 I 353 S. 372
Anwendung von § 32f Abs. 2 PolG/ZH beabsichtigt, die Information über den Inhalt der Kommunikation möglichst zeitnah zu erlangen, um bevorstehende Rechtsverstösse sofort sichtbar zu machen. Dies läuft auf eine Kontrolle der Kommunikation auf den betroffenen Internet-Plattformen hinaus, welche sich von einer zeitgleichen Überwachung der Telekommunikation kaum unterscheiden lässt. Auf jeden Fall schliesst § 32f Abs. 2 PolG/ZH eine direkte Überwachung der Kommunikation auf einer Kommunikationsplattform im Internet nicht aus. Es handelt sich somit um eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung der genannten Kommunikationsplattformen, die mit entsprechenden technischen Mitteln eine zeitgleiche Überwachung der Kommunikation zulässt. In ihrer Wirkung kommt eine solche Informationsbeschaffung einer Überwachung des E-Mail-Verkehrs oder eines Telefongesprächs gleich, welche eine Einschränkung des nach
Art. 13 Abs. 1 BV
geschützten Fernmeldeverkehrs darstellt (vgl. E. 8.3 hiervor).
8.5
Der in
Art. 13 Abs. 1 BV
verankerte Schutz des Fernmeldegeheimnisses gilt nicht unbeschränkt. Eine Beschränkung im Interesse der Verhütung von Straftaten ist in
Art. 8 Abs. 2 EMRK
ausdrücklich vorgesehen. Doch stellen die Überwachung des Fernmeldeverkehrs und damit auch die Durchsuchung informationstechnischer Systeme, auf denen dem Privatbereich zuzuordnende Angaben gespeichert sind, schwere Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis der betroffenen Personen dar (vgl.
BGE 125 I 96
E. 3e S. 103;
BGE 122 I 182
E. 5 S. 193). Solche Eingriffe bedürfen einer Regelung im Gesetz selbst (
Art. 36 Abs. 1 BV
).
§ 32f Abs. 2 PolG/ZH dient der Ermittlung von verdächtigen Inhalten in geschlossenen Bereichen auf virtuellen Kommunikationsplattformen im Internet. Soweit damit in den Bereich persönlicher Kommunikation und somit in die im Rahmen des Fernmeldegeheimnisses geschützte Privatsphäre eingegriffen wird, muss die kantonale Gesetzgebung den weiteren Anforderungen für einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis genügen (Art. 13 Abs. 1 i.V.m.
Art. 36 BV
). Grundrechtsbeschränkungen müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt und mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit vereinbar sein (
Art. 36 Abs. 2 und 3 BV
). Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar (
Art. 36 Abs. 4 BV
). Ob das kantonale Recht diesen bundesrechtlichen Anforderungen genügt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (vgl.
BGE 136 I 87
E. 3.3 S. 93;
BGE 125 I 46
E. 3c S. 49,
BGE 125 I 96
E. 2a S. 98).
BGE 140 I 353 S. 373
8.6
Wie bereits der Regierungsrat in seinem Antrag an den Kantonsrat darlegte, besteht an der Vorbeugung gegen sexuelle Übergriffe auf Kinder mittels einer Kontaktnahme im Internet ein grosses öffentliches Interesse (E. 8.4 hiervor). Die mit § 32f Abs. 2 PolG/ZH ermöglichte Überwachung virtueller Kommunikationsplattformen im Internet erlaubt den Polizeibehörden unter anderem, im Rahmen ihrer Präventionstätigkeit gegen die Gefahr sexueller Handlungen mit Kindern (
Art. 187 Ziff. 1 StGB
) und der Kinderpornografie (
Art. 197 Ziff. 3 und 3
bis
StGB
) vorzugehen. Das öffentliche Interesse an einer solchen polizeilichen Verbrechensbekämpfung mittels angemessener verdeckter Ermittlungen ergibt sich auch aus Art. 23 i.V.m. Art. 30 Ziff. 5 des Übereinkommens des Europarats vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (SR 0.311.40; in der Schweiz in Kraft seit 1. Juli 2014). Art. 23 des Übereinkommens nennt ausdrücklich die Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien als Mittel der Kontaktanbahnung mit Kindern, welche nach Art. 30 Ziff. 5 des Übereinkommens Gegenstand von angemessenen verdeckten Ermittlungen bilden können.
Auch in Bezug auf die übrigen in § 32f Abs. 2 lit. a-e PolG/ZH genannten Gefahren besteht grundsätzlich ein grosses öffentliches Interesse an einer verdeckten Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden in beschränkt zugänglichen Kommunikationsplattformen. Damit können die für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden frühzeitig Informationen über die Vorbereitung von Ausschreitungen und Gewalttaten sowie allgemein über bevorstehende schwere Rechtsgutsverletzungen gewinnen und rechtzeitig die erforderlichen Gegenmassnahmen einleiten. In diesem Sinne erfolgt die Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses auch im Interesse des Grundrechtsschutzes Dritter gemäss Art. 36 Abs. 2 i.V.m. Art. 10 f. BV.
8.7
Mit Blick auf
Art. 36 Abs. 3 BV
müssen Einschränkungen von Grundrechten verhältnismässig sein. Im Polizeirecht, welches das staatliche Handeln im Bereich des staatlichen Gewaltmonopols regelt (vgl.
BGE 140 I 2
E. 10.2.2 S. 30), kommt dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit auch gestützt auf
Art. 5 Abs. 2 BV
besonderes Gewicht zu. Der Grundsatz verlangt, dass eine Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der Grundrechtseinschränkung zumutbar
BGE 140 I 353 S. 374
erweist. Es muss eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation vorliegen. Eine Massnahme ist unverhältnismässig, wenn das angestrebte Ziel mit einem weniger schweren Grundrechtseingriff erreicht werden kann (
BGE 140 I 2
E. 9.2.2 S. 24 mit Hinweisen).
8.7.1
Angesichts der weiten Verbreitung des Internets und der damit bestehenden vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten, die auch zur Vorbereitung der in § 32f Abs. 2 PolG/ZH genannten Störungen von Sicherheit und Ordnung verwendet werden können, besteht an der Eignung der Verwendung technischer Mittel zur Feststellung von verdächtigen Inhalten in einer einem beschränkten Benutzerkreis zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattform kein Zweifel. Insoweit kann auf die Ausführungen des Regierungsrats zuhanden des Kantonsrats verwiesen werden (E. 8.4 hiervor).
8.7.2
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt weiter, dass die Einschränkung eines Grundrechts, hier des durch
Art. 13 Abs. 1 BV
und
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
geschützten Fernmeldegeheimnisses, zur polizeilichen Gefahrenabwehr erforderlich ist. Der Eingriff darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht über das Notwendige hinausgehen. Ausserdem gebietet das Verhältnismässigkeitsprinzip eine Abwägung der einander entgegengesetzten Interessen (
BGE 132 I 181
E. 4.2 S. 191; s. auch
BGE 138 II 346
E. 9.3 S. 363; HÄFELIN/HALLER/KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. Aufl. 2012, S. 105).
8.7.2.1
Die Überwachung der einem beschränkten Benutzerkreis zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattformen im Sinne von § 32f Abs. 2 PolG/ZH erfolgt wie erwähnt ohne Anfangsverdacht und betrifft grundsätzlich alle Benutzer dieser Kommunikationsmittel. Die Massnahme richtet sich somit nicht nur gegen einzelne potenzielle Störer der öffentlichen Ordnung oder künftige Straftäter. Sie kann sämtliche Teilnehmer einer auf einen beschränkten Benutzerkreis begrenzten Kommunikation im Internet erfassen, welche für den Benutzerkreis bestimmte Informationen austauschen. Es handelt sich somit um eine sehr weit gehende Überwachungsmethode, die das Sammeln und Auswerten von Informationen aus den Privatbereichen einer Vielzahl von Personen erlaubt, gegen die überhaupt kein Anhaltspunkt oder ein Verdacht für ein rechtswidriges Verhalten vorliegt.
8.7.2.2
Nach § 32f Abs. 2 PolG/ZH dürfen die einem beschränkten Benutzerkreis zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattformen
BGE 140 I 353 S. 375
nur mit technischen Mitteln überwacht werden, wenn die Abwehr einer drohenden Gefahr sonst aussichtslos wäre oder unverhältnismässig erschwert würde. Dies gilt nach der nicht abschliessenden Aufzählung in § 32f Abs. 2 lit. a-e PolG/ZH namentlich zur Erkennung von Gefahren und Straftaten wie Amokläufen, schweren Sexualdelikten, schweren Ausschreitungen bei Grossveranstaltungen und Kundgebungen, Aufrufen zu Gewalt mit erheblichem Schadenpotenzial und anderen schweren Rechtsgutsverletzungen etc.
Mit diesen Einschränkungen wird aufgezeigt, dass sich die Überwachung der Kommunikation im Internet auf schwerwiegende Gefahren beziehen muss, an deren Bekämpfung ein grosses öffentliches Interesse besteht. Die gestützt auf § 32f Abs. 2 PolG/ZH zulässige Informationsbeschaffung setzt zunächst voraus, dass die Gefahrenabwehr ohne eine solche Internetüberwachung nicht möglich oder unverhältnismässig erschwert wäre. Weiter geben die in § 32f Abs. 2 lit. a-e PolG/ZH genannten Gefahren und Straftaten klar vor, dass die Überwachung nur bei der Gefahr schwerer Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt sein kann. Diese Einschränkungen schliessen die präventive Überwachung beschränkt zugänglicher virtueller Kommunikationsplattformen im Internet bei weniger gravierenden Gefahren mit geringerem Schädigungspotenzial grundsätzlich aus. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erscheint es indessen kaum möglich, im Bereich der polizeilichen Gewaltprävention ausserhalb strafrechtlicher Verfahren den Anwendungsbereich der Bestimmungen wesentlich genauer zu fassen, da die konkreten Gefahren und Präventionsbedürfnisse sehr unterschiedliche Formen annehmen und nicht präzis vorhergesehen werden können. Im Anwendungsfall erscheint es grundsätzlich möglich, eine konkrete Überwachungsanordnung anhand der genannten einschränkenden Kriterien auf ihre Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen.
8.7.2.3
§ 32f Abs. 2 PolG/ZH enthält anders als die Bestimmung über die verdeckte Vorermittlung in § 32e PolG/ZH keine Vorschriften über die Gewährleistung des Rechtsschutzes bei der Informationsbeschaffung im Internet. Es ist keine gerichtliche Genehmigung der Überwachung der Privatsphäre bei der polizeilichen Ermittlungstätigkeit in beschränkt zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattformen vorgeschrieben. Ausserdem ist keine nachträgliche Mitteilung an die Betroffenen und auch keine Beschwerdemöglichkeit vorgesehen. Dies obwohl die Überwachung einer einem beschränkten
BGE 140 I 353 S. 376
Benutzerkreis zugänglichen virtuellen Kommunikationsplattform einen schweren Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis darstellt und eine Vielzahl von Personen betrifft, gegen die überhaupt kein Anhaltspunkt oder ein Verdacht für ein rechtswidriges Verhalten vorliegt (s. vorne E. 8.5 und 8.7.2.1).
In Bezug auf die Telefonüberwachung, bei der ebenfalls ein schwerer Eingriff in das Fernmeldegeheimnis erfolgt, hat das Bundesgericht bereits in
BGE 109 Ia 273
darauf hingewiesen, dass bei der Anwendung von Normen, welche die verdeckte polizeiliche Überwachung von Telefongesprächen näher regeln und einschränken, Missbräuche nicht ausgeschlossen sind. Missbräuche, die im präventiven Bereich noch weit mehr als bei der repressiven Überwachung schädliche Folgen für die freiheitliche, demokratische Ordnung haben könnten. Der anordnenden Behörde sowie der richterlichen Instanz, welche die Überwachungsmassnahmen zu genehmigen habe, komme daher eine grosse Verantwortung zu (
BGE 109 Ia 273
E. 9c S. 295). Das Bundesgericht bezog sich im genannten Urteil auf einen Entscheid des EGMR
Klass gegen Deutschland
vom 6. September 1978 §§ 48 ff. Darin anerkannte der Gerichtshof vor dem Hintergrund drohender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Spionage und Terrorismus, dass die geheime Überwachung des Post- und Telefonverkehrs in einer demokratischen Gesellschaft bei einer ausserordentlichen Situation zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Sicherung der Ordnung sowie zur Verhütung von strafbaren Handlungen notwendig sein kann. Der EGMR betonte indessen, die Demokratie dürfe nicht mit der Begründung, sie zu verteidigen, untergraben oder zerstört werden. Es müssten daher angemessene und wirksame Garantien gegen Missbräuche vorhanden sein. Der Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts verlange, dass Eingriffe in die Rechte des Einzelnen einer wirksamen Kontrolle unterliegen, die normalerweise von der rechtsprechenden Gewalt sichergestellt werden müsse. Aus diesen Gründen sei es wünschenswert, dass auf einem Gebiet, in dem Missbräuche in Einzelfällen so leicht möglich sind und derart schädliche Folgen für die demokratische Gesellschaft haben können, ein Richter mit der Kontrolle betraut werde (vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 10 S. 295).
Unter Berücksichtigung der genannten Erwägungen des EGMR entschied das Bundesgericht, dass eine Bestimmung im kantonalen Recht, welche die Überwachung des Post- und Telefonverkehrs mit richterlicher Genehmigung zwecks präventiver Vermeidung
BGE 140 I 353 S. 377
schwerer Delikte gegen die Öffentlichkeit zulässt, mit dem verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses vereinbar ist (vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 10 S. 295 f.).
8.7.2.4
Die grundsätzlichen Erwägungen des Bundesgerichts in
BGE 109 Ia 273
sind trotz der heute teilweise geänderten Rechtsgrundlagen weiterhin gültig. Nach wie vor besteht angesichts der weiten Verbreitung und der leichten Zugänglichkeit technischer Mittel zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs eine erhebliche Gefahr von Missbräuchen (vgl. MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 212 mit Hinweisen auf die Strassburger Rechtsprechung). Die hohe Missbrauchsgefahr besteht insbesondere auch für den Fernmeldeverkehr über das Internet. Der Verhinderung solcher Missbräuche kommt vor dem Hintergrund des durch
Art. 13 Abs. 1 BV
geschützten Fernmeldeverkehrs eine grosse Bedeutung zu. § 32f Abs. 2 PolG/ZH enthält keine Vorschrift, die geeignet wäre, den bestehenden Missbrauchsgefahren wirksam zu begegnen.
So besteht zunächst keine unabhängige Kontrollinstanz, die eine konkrete Anordnung der verdeckten Überwachung von virtuellen Kommunikationsplattformen, die nur einem beschränkten Benutzerkreis zugänglich sind, genehmigt und dabei im einzelnen Anwendungsfall überprüft, ob die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Art der Informationsbeschaffung im Internet erfüllt sind. Eine solche Genehmigungsinstanz, bei der es sich grundsätzlich um eine unabhängige richterliche Behörde handeln sollte (s. E. 8.7.2.3 hiervor), hat bei der Überprüfung der Überwachungsanordnung unter anderem die Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und das öffentliche Interesse zu prüfen sowie die Verhältnismässigkeit der Massnahme zu gewährleisten.
Weiter hat der kantonale Gesetzgeber darauf verzichtet, die nachträgliche Mitteilung an die von der Überwachung ihrer Privatsphäre Betroffenen und die Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes zu regeln. Ein nachträglicher wirksamer Rechtsschutz erscheint indessen im Hinblick auf die Wahrung der Verhältnismässigkeit des schweren Grundrechtseingriffs notwendig, um zu verhindern, dass staatliche Eingriffe in die Privatsphäre auf Dauer geheim bleiben. Die grundsätzlich notwendige Mitteilung stellt sicher, dass die Anordnung der Überwachung zumindest nachträglich unter Anhörung der Betroffenen einer Kontrolle unterzogen werden kann. Sie steht auch im Dienste eines wirksamen Beschwerderechts im Sinne von
BGE 140 I 353 S. 378
Art. 29a BV
und
Art. 13 EMRK
, auf welches in der Mitteilung hinzuweisen ist. Auf die nachträgliche Benachrichtigung der Betroffenen kann nach der Rechtsprechung nur verzichtet werden, soweit und solange eine solche den Zweck der durchgeführten Überwachungsmassnahmen gefährden oder ihr ein dauerndes öffentliches Interesse entgegenstehen würde (vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 12 S. 299 ff.; Urteil des Bundesgerichts P.543/1983 vom 9. Mai 1984, in: ZBl 86/1985 S. 19 E. 12). Schliesslich bleibt zu beachten, dass die Mitteilungspflicht und die Beschwerdemöglichkeit dazu beitragen, dass bei der richterlichen Genehmigung der Anordnung der verdeckten Überwachung die gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen eingehalten werden.
8.7.2.5
Angesichts des schweren Grundrechtseingriffs, den die amtliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach gefestigter Rechtsprechung darstellt (
BGE 122 I 182
E. 4c S. 190), sind sämtliche Voraussetzungen der präventiven polizeilichen Überwachung und damit auch die unverzügliche richterliche Genehmigung und die Gewährleistung des nachträglichen Rechtsschutzes im Polizeigesetz selbst zu regeln (vgl.
Art. 36 Abs. 1 BV
; E. 8.5 hiervor). Da § 32f Abs. 2 PolG/ZH keine Genehmigung des Eingriffs in den nach
Art. 13 Abs. 1 BV
geschützten Fernmeldeverkehr durch eine unabhängige richterliche Instanz und keinen nachträglichen Rechtsschutz vorsieht, besteht keine hinreichende Gewähr für die Verhinderung von Missbräuchen und eine mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz vereinbare Anwendung von § 32f Abs. 2 PolG/ZH. Die Bestimmung ist deshalb aufzuheben.
8.8
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Regelung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs bei Straftaten ebenfalls an die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zur Beschränkung des Fernmeldegeheimnisses gebunden ist. Bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Rahmen einer Strafuntersuchung, deren Durchführung einen Anfangsverdacht voraussetzt (
Art. 299 Abs. 2 StPO
), ist das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung ausdrücklich in
Art. 274 StPO
geregelt. Ausserdem wird die Überwachung den betroffenen Personen nachträglich mitgeteilt, und diese können gegen die Überwachung Beschwerde erheben (
Art. 279 StPO
; vgl. für die verdeckte Vorermittlung § 32e PolG/ZH mit der Verweisung auf die StPO [E. 7 hiervor]). Für die Überwachung des Post- und
BGE 140 I 353 S. 379
Fernmeldeverkehrs sowie tatbestandsmässiges Verhalten im Sinne der
Art. 179
bis
ff. StGB
setzt auch
Art. 179
octies
StGB
die unverzügliche Einholung der Genehmigung des zuständigen Richters voraus, damit die zur Überwachung befugte Person straflos bleibt. Dabei wird nicht unterschieden, ob die amtliche Überwachung im Rahmen eines strafprozessualen Vorverfahrens (
Art. 299 ff. StPO
) oder präventiv
vor
einem polizeilichen Ermittlungsverfahren (Art. 306 f. StPO) erfolgt. Diese Bestimmungen in der StPO und im StGB entsprechen den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Bundesrat schlägt im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF; BBl 2013 2683, 2701 f. Ziff. 1.4.15, 2771 ff. zu Art. 269
ter
) vor, die Verwendung von Computerprogrammen zur Überwachung von Verdächtigen in der Strafuntersuchung näher zu regeln und verlangt dabei ebenfalls die Einhaltung der genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Im Unterschied zu den bundesrechtlichen Regelungen setzt die kantonale Polizeigesetzgebung für die präventiven Ermittlungs- und Fahndungsmassnahmen keinen Anfangsverdacht voraus. Die Kantone haben aber bei der Rechtsetzung in ihrem Kompetenzbereich mindestens dieselben verfassungsrechtlichen Anforderungen zu respektieren wie der Bund.
9.
Nachdem § 32f Abs. 2 PolG/ZH aufzuheben ist, stellt sich noch die Frage nach dem verbleibenden Gehalt von § 32f Abs. 1 PolG/ZH. Die Bestimmung beschränkt die Verwendung des Internets als Informationsquelle nicht allein auf die allgemein zugänglichen Inhalte, sondern nennt ausdrücklich die Zulässigkeit der Verwendung technischer Mittel zur Informationsbeschaffung im Internet, ohne diese zu präzisieren. Insoweit wird der Inhalt von § 32f Abs. 2 PolG/ZH mit Abs. 1 eingeleitet. Die beiden Absätze sind untrennbar miteinander verknüpft. Ohne die Präzisierungen in § 32f Abs. 2 PolG/ZH fehlt jede Angabe, welche technischen Hilfsmittel zur Informationsbeschaffung im Internet in welchen Fällen zu welchem Zweck angewendet werden sollen. Dies ist, wie vorne dargelegt, mit dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz nicht vereinbar.
§ 32f Abs. 1 PolG/ZH allein enthielte als Blankettnorm keine verbindlichen inhaltlichen Einschränkungen der Verwendung technischer Mittel zur Ermittlung im Internet, welche eine verfassungskonforme, insbesondere verhältnismässige Anwendung der Bestimmung erst ermöglichen würden. Aus den vorliegenden Ausführungen zur
BGE 140 I 353 S. 380
Verhältnismässigkeit eines Eingriffs in den verfassungsrechtlich geschützten Fernmeldeverkehr folgt, dass die Verwendung technischer Mittel zur Informationsbeschaffung im Internet detaillierter Regelung bedarf. Eine Blankettnorm wie sie § 32f Abs. 1 PolG/ZH allein darstellen würde, vermag keine verhältnismässige Handhabung von technischen Mitteln zu gewährleisten. Ohne präzisierende Regelung zulässig ist dagegen die reine Beobachtung von öffentlich zugänglichen Bereichen im Internet (THOMAS HANSJAKOB, Verdeckte polizeiliche Tätigkeit im Internet, forumpoenale 4/2014 S. 247). Es ergibt sich, dass Abs. 1 von § 32f PolG/ZH ebenfalls aufzuheben ist.
10.
Zusammenfassend ergibt sich, dass § 32f PolG/ZH mit dem Schutz des Fernmeldeverkehrs im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 BV
nicht vereinbar ist, soweit er die Überwachung der Kommunikation in geschlossenen Internetforen bzw. "Closed User Groups", die der Privatsphäre zuzurechnen sind, ohne Genehmigung und nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit durch eine unabhängige richterliche Instanz zulässt. Die Beschwerde ist in diesem Sinn gutzuheissen und § 32f PolG/ZH aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. (...) | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3647236-afd5-4c36-ac23-682a69df1d13 | Urteilskopf
101 Ia 102
19. Auszug aus dem Urteil vom 25. Juni 1975 i.S. Konkursmasse Naef gegen Dorfkorporation Oberbüren und Kantons- und Kassationsgericht des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 4 BV
Willkür, Rechtsverweigerung.
Bundesrechtlicher Anspruch auf Beweisabnahme im Zivilprozess.
Beweis muss im kantonalen Verfahren nach den massgeblichen Prozessvorschriften formrichtig und rechtzeitig angeboten worden sein (E. 3).
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtabnahme einer Expertise, welche als taugliches Beweismittel erscheint (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 102
BGE 101 Ia 102 S. 102
Mit Schreiben vom 22. Juli 1968 teilte die Dorfkorporation Oberbüren Naef mit, es werde im Laufe des Sommers eine Wasserleitung von Bürerwald zur neuen Siedlung Ledergerber erstellt und sie gedenke, seine Liegenschaft ebenfalls an diese Leitung anzuschliessen. Wörtlich fuhr sie fort: "Auf unsere Kosten wird Ihre Privatleitung an die neu zu erstellende Hydrantenleitung angeschlossen. Auf Ihre Kosten gehen alle Anpassungsarbeiten innerhalb der Gebäude."
Die Liegenschaft Naefs wurde darauf an die neue Leitung angeschlossen, wobei die Dorfkorporation die notwendigen Arbeiten dem Ingenieurbüro Neukomm übertrug, das seinerseits Jakob Mitteldorf damit betraute. Da die aus Plastikmaterial bestehende bisherige Hauszuleitung Naefs dem erhöhten Druck der neuen Hauptleitung nicht standhielt, platzte sie. Die Dorfkorporation lehnte es ab, Naef die daraus entstandenen Kosten von Fr. 1191.90 zu vergüten. Daraufhin erhob Naef Klage gegen sie, welche das Bezirksgericht Wil indes abwies.
BGE 101 Ia 102 S. 103
Nachdem über Naef der Konkurs eröffnet worden war, beschloss die zweite Gläubigerversammlung, den Prozess durch die Masse weiterführen zu lassen, und legte beim Kantonsgericht St. Gallen Berufung gegen das bezirksgerichtliche Urteil ein. Diese wurde abgewiesen.
Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Kassationsgericht des Kantons St. Gallen abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
Gestützt auf
Art. 4 BV
beantragt die Konkursmasse Naefs in ihrer staatsrechtlichen Beschwerde sinngemäss die Aufhebung des Urteils des Kassationsgerichts und die Rückweisung der Streitsache zur Neubeurteilung an das Kassationsgericht und das Kantonsgericht.
Das Kantonsgericht beantragt Nichteintreten, die Dorfkorporation Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass es das Kantonsgericht unterlassen hat, Fässler als Zeugen einzuvernehmen. Naef hat diesen Zeugen in der Replik zum Beweis dafür angerufen, dass die Beklagte im Gegensatz zu ihm genau gewusst habe, dass seine Leitung den erhöhten Druck nicht aushalten würde. Das Bezirksgericht hat diesen Beweis ohne Begründung nicht abgenommen. Die Beschwerdeführerin hat dies in ihrer Berufung an das Kantonsgericht nicht beanstandet und den Beweisantrag nicht erneuert. Fässler wurde dann vom Kantonsgericht nicht einvernommen. In der Kassationsbeschwerde hat die Beschwerdeführerin die Nichtberücksichtigung des Zeugen Fässler nicht ausdrücklich und substantiiert beanstandet, sondern nur allgemein geltend gemacht, das Kantonsgericht habe relevante Beweisanträge nicht abgenommen, weshalb das Kassationsgericht in diesem Punkt auf die Beschwerde nicht eintrat.
Auf die Beanstandung der Verweigerung des Zeugen Fässler wäre nur dann einzutreten, wenn die Beschwerdeführerin sie auch bei der Vorinstanz in prozessual genügender Form vorgebracht hätte. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall, weshalb sich eine materielle Überprüfung der Rüge erübrigt. Selbst wenn aber das Kantonsgericht auf den Zeugen Fässler
BGE 101 Ia 102 S. 104
auf Grund einer antizipierten Beweiswürdigung verzichtet hätte - was allerdings der Begründung seines Urteils nicht zu entnehmen ist - und damit das kantonsgerichtliche Urteil in diesem Punkte selbst der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegen würde, so müsste die Beschwerde abgewiesen werden. Der bundesrechtliche Anspruch, im Zivilprozess mit den erheblichen Beweisen zugelassen zu werden, steht unter dem Vorbehalt, dass der Beweis im kantonalen Verfahren nach den massgeblichen prozessualen Vorschriften formrichtig und rechtzeitig angeboten worden ist. Denn die Modalitäten des Beweisverfahrens sind, wo keine Vorschriften des Bundesrechts eingreifen, vom kantonalen Prozessrecht beherrscht.
Die Beschwerdeführerin hat nicht behauptet, das Kantonsgericht sei nach den Bestimmungen der st. gallischen ZPO im Berufungsverfahren gehalten gewesen, den Zeugen Fässler ohne ausdrücklichen Berufungsantrag abzuhören und sie macht auch keine dahingehende Gesetzesvorschrift namhaft. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darzutun. Auch wenn auf die Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts bezüglich der Zeugeneinvernahme Fässlers eingetreten werden könnte, müsste sie deshalb abgewiesen werden.
4.
Die Beschwerdeführerin bzw. Naef hat vor allen kantonalen Instanzen die Anordnung einer Expertise beantragt und deren Verweigerung beanstandet. Da die Expertise auf Grund einer antizipierten Beweiswürdigung abgelehnt worden ist, welche das Kassationsgericht nur auf Willkür überprüft hat, ist abzuklären, ob die Verweigerung dieses Beweises durch das Kantonsgericht vor
Art. 4 BV
standhält.
Die Beschwerdeführerin wollte mit der beantragten Expertise beweisen, dass sich die Installation eines Druckreduzierventils beim Anschluss an die Plastikleitung für jeden Fachmann aufgedrängt hätte, weil durch diese wenig kostspielige Vorkehr der eingetretene Schaden hätte vermieden werden können, und dass deren Unterlassung angesichts der offensichtlich ungenügenden Druckfestigkeit der Leitung Naefs eine grobe Fahrlässigkeit dargestellt habe. Das Kantonsgericht hat diesen Beweisantrag abgelehnt mit der Begründung, angesichts der Tatsache, dass Naef selbst erklärt habe, bei seiner Plastikleitung handle es sich um einen Hochdruckschlauch, seien weder die Beklagte noch die beigezogenen
BGE 101 Ia 102 S. 105
Dritten verpflichtet gewesen, die Plastikleitung näher auf ihre Druckfestigkeit zu untersuchen, weshalb dahingestellt bleiben könne, ob sich die Installation eines Druckreduzierventils beim Anschlusschieber aufgedrängt habe. Damit hat das Kantonsgericht der von der Beschwerdeführerin beantragten Expertise von vorneherein jede Erheblichkeit abgesprochen. Es hat aus den Zeugenaussagen Iten und Mitteldorf abgeleitet, Naef sei auf das Risiko des erhöhten Wasserdrucks für seine Plastikleitung aufmerksam gemacht worden, habe aber die Bedenken der Beklagten und der Unternehmer mit dem Hinweis zerstreut, es handle sich um einen Hochdruckschlauch. Damit habe er das Risiko selbst übernommen und die Beklagte und die für sie tätigen Unternehmer und Handwerker hätten keine Verpflichtung mehr gehabt, die Leitung Naefs auf ihre Druckfestigkeit zu überprüfen und allfällige Vorkehrungen zu ergreifen.
Iten hat als Zeuge ausgesagt, Naef habe ihm erklärt, die Leitung halte den neuen Druck aus, es handle sich um einen Hochdruckschlauch, er habe Garantie dafür. Anderseits hat Mitteldorf bezeugt, er erinnere sich nicht mehr genau, wie Naef auf seinen Hinweis, die alte Plastikleitung werde den neuen Druck nicht aushalten, reagiert habe. Er glaube aber, Naef habe auf einen gewissen Rossi hingewiesen, "der ihm gesagt haben soll, diese Plastikleitung halte einen gewissen Druck schon aus". Berücksichtigt man, dass Iten als Vizepräsident der Beklagten in dieser Funktion mit Naef verhandelt hat, so kann seinen Aussagen kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Aus den Aussagen Mitteldorfs allein kann aber angesichts ihrer Unbestimmtheit kaum der Schluss gezogen werden, Naef habe bewusst die Gefahr des erhöhten Drucks für seine Plastikleitung in Kauf genommen. Es ist deshalb fraglich, ob sich die Feststellung des Kantonsgerichts über den Willen Naefs im Rahmen einer willkürfreien Beweiswürdigung hält. Selbst wenn aber die von Iten bezeugte Äusserung Naefs der Beurteilung zugrunde gelegt wird, so kann daraus doch nur geschlossen werden, Naef habe irrtümlicherweise geglaubt, seine Plastikleitung werde dem erhöhten Druck standhalten, nicht aber, es sei ihm gleichgültig gewesen, ob dies der Fall sein werde oder nicht. Jedenfalls durften die Beklagte und die von ihr beauftragten Handwerker der Äusserung Naefs nach Treu und Glauben keine weitergehende Bedeutung
BGE 101 Ia 102 S. 106
beimessen. Gerade wenn sie der Meinung waren, die Privatleitung Naefs sei seine Angelegenheit, so durften sie nicht voraussetzen, Naef wolle sich der Gefahr eines zu seinen Lasten gehenden Schadens aussetzen. Da es sich bei Naef, wie ihnen bekannt war, um keinen Fachmann auf dem Gebiet der Rohrleitungen handelte, durften sie sich auf seine Erklärungen jedenfalls insoweit nicht verlassen, als sie als Fachleute deren Unrichtigkeit erkennen konnten.
Die kantonalen Gerichte haben es unterlassen, abzuklären, ob für einen Fachmann ohne weiteres erkennbar war, dass die Plastikleitung Naefs dem erhöhten Druck nicht standhalten konnte, weil sie diese Frage rechtsirrtümlicherweise als für den Prozessausgang unerheblich hielten. Ihre Auffassung lässt sich mit sachlichen Gründen nicht halten: Wenn ein Fachmann einen Leitungsanschluss vornimmt, von dem er mit Sicherheit weiss, dass er zur Zerstörung der angeschlossenen Leitung führen wird, auch wenn ihm bekannt ist, dass dieser Schaden mit geringen Kosten (z.B. durch Einbau eines Druckreduzierventils) vermieden werden kann, so handelt er schuldhaft, und dies selbst dann, wenn ihm der Eigentümer der Leitung versichert hat, die Leitung werde standhalten: Der Fachmann wird durch die für ihn erkennbar falsche Erklärung eines Laien nicht seiner Verantwortung enthoben.
Die von der Beklagten beauftragten Unternehmer und Handwerker (Ingenieurbüro Neukomm und Schmiedemeister Mitteldorf) haben den Leitungsanschluss in Ausführung des Vertrags zwischen Naef und der Beklagten als deren Hilfspersonen ausgeführt. Die Beklagte haftet deshalb gemäss
Art. 101 OR
für deren allfälliges Verschulden ohne Entlastungsmöglichkeit.
Die Beschwerdeführerin hat den Beweis dafür, dass für einen Fachmann das Ungenügen der Plastikleitung Naefs ohne weiteres erkennbar war, mit einer Expertise führen wollen. Dieses Beweismittel erscheint als tauglich und die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf dessen Abnahme durch die kantonalen Gerichte. Seine Verweigerung durch die angefochtenen Entscheide wegen einer sachlich nicht haltbaren Rechtsauffassung stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Dies muss zur Aufhebung sowohl des Urteils des Kantonsgerichts wie auch desjenigen des Kassationsgerichts führen (
BGE 100 Ia 130
). | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d364f4c9-4607-49ef-b13b-95a0c52dc62f | Urteilskopf
121 IV 340
55. Urteil des Kassationshofes vom 28. August 1995 i.S. R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 268 Ziff. 1 BStP
; Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen Abwesenheitsurteile.
Ein Abwesenheitsurteil, dessen Aufhebung der Verurteilte verlangen kann, kann der Verurteilte nicht mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechten. Ausnahme (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 341
BGE 121 IV 340 S. 341
A.-
Das Kantonsgericht Graubünden verurteilte R. am 30. Januar 1995 im Verfahren gegen Abwesende wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 4 1/2 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 78 Tagen. Es verwies ihn für die Dauer von 10 Jahren des Landes. Den sichergestellten Erlös aus dem Drogenhandel in Höhe von Fr. 17'004.40 sowie von DM 100'000.-- zog es ein. Die geleistete Fluchtkaution von Fr. 180'000.-- wurde für verfallen erklärt.
B.-
R. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur Mitbeurteilung der vom Angeklagten in Italien verübten Delikte zurückzuweisen, eventualiter das Urteil aufzuheben und die Sache an das Kantonsgericht zur Neubeurteilung des Strafmasses zurückzuweisen.
C.-
Das Kantonsgericht führt in seinen Gegenbemerkungen aus, es handle sich beim angefochtenen Urteil um ein Abwesenheitsurteil. Das Gesuch von R. vom 8. Juni 1995 um Wiederaufnahme des Verfahrens sei noch nicht behandelt worden. Da in der Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werde, die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens vor Kantonsgericht verletze übergeordnetes Recht, erscheine es angezeigt, dass zumindest diese Frage vorab durch das Bundesgericht entschieden werde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichtes ist zulässig gegen Urteile der Gerichte, die nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen Rechtes angefochten werden können (
Art. 268 Ziff. 1 BStP
). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn der Beschwerdeführer vorher alle kantonalen Rechtsmittel, die eine freie Überprüfung des Bundesrechts ermöglichen, erschöpft hat. Wer im Abwesenheitsverfahren verurteilt wurde, kann eine Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht nicht erheben, wenn er nicht vorher ein zulässiges Wiederaufnahmebegehren gestellt hat und im gewöhnlichen Verfahren
BGE 121 IV 340 S. 342
verurteilt worden ist (
BGE 102 IV 59
E. 1,
BGE 103 IV 60
E. 1,
BGE 107 Ia 325
E. 3).
b) Der Beschwerdeführer wurde unbestrittenermassen im Verfahren gegen Abwesende gemäss Art. 123 des Gesetzes über die Strafrechtspflege des Kantons Graubünden (StPO/GR) vom 8. Juni 1958 beurteilt. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
"Erscheint ein Angeklagter, ohne dass die Voraussetzungen von Art. 122 erfüllt sind, trotz gehöriger Vorladung nicht zur Hauptverhandlung und kann er auch nicht vorgeführt werden, so fällt das Gericht auf Grund der Akten und der Parteivorträge ein Abwesenheitsurteil.
Der Beurteilte kann innert sechzig Tagen, seit er von dem gegen ihn ausgefällten Urteil Kenntnis erhalten hat und in der Lage ist, sich zu stellen, beim urteilenden Gericht die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Gerichtsverfahrens verlangen. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben, so setzt der Präsident eine neue Gerichtsverhandlung an. Er kann die Durchführung des ordentlichen Verfahrens von einer angemessenen Vorschussleistung für die bisher ergangenen Verfahrenskosten abhängig machen, wenn der Gesuchsteller der Vorladung zur ersten Hauptverhandlung schuldhaft keine Folge geleistet hat. Leistet der Angeklagte der Vorladung zur neuen Hauptverhandlung unentschuldigt keine Folge, so wird das Wiederaufnahmegesuch als erledigt abgeschrieben.
Mit der Berufung gegen ein Abwesenheitsurteil kann der Beurteilte lediglich die Durchführung des Abwesenheitsverfahrens anfechten."
Der Beschwerdeführer hatte somit die Möglichkeit, die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zu verlangen. Er hat dies auch getan. Die Vorinstanz wartet jedoch, wie sich aus ihren Gegenbemerkungen ergibt, mit der Durchführung des ordentlichen Verfahrens zu, bis das Bundesgericht über die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Abwesenheitsurteil entschieden hat.
2.
Im Lichte der bisherigen, in E. 1a dargelegten Rechtsprechung ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde grundsätzlich nicht einzutreten. Zu untersuchen ist, ob die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände eine Überprüfung und Änderung dieser Rechtsprechung rechtfertigen.
a) Der im Abwesenheitsverfahren Verurteilte muss, wenn er gültig die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangt hat, zur neuen Verhandlung persönlich vor Gericht erscheinen. Tut er dies unentschuldigt nicht, so wird das Wiederaufnahmegesuch als erledigt abgeschrieben
BGE 121 IV 340 S. 343
(
Art. 123 Abs. 4 StPO
/GR). Dies hat zur Folge, dass das Kontumazurteil rechtskräftig wird.
Ein Abwesenheitsurteil, dessen Aufhebung der Beschwerdeführer verlangen kann, ist offensichtlich kein letztinstanzliches Urteil, und zwar auch dann nicht, wenn es, wie vorliegend vom Kantonsgericht, mithin der an sich letzten kantonalen Instanz, gefällt wurde. Auch die Lehre nimmt an, ein Kontumazurteil sei in der Regel kein letztinstanzlicher Entscheid, weil dem Verurteilten nach den meisten kantonalen Prozessordnungen das Recht zusteht, ein Wiederaufnahmegesuch zu stellen und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zu verlangen. Wenn der Verurteilte dieses Gesuch nicht oder nicht rechtzeitig stellt, erschöpft er den kantonalen Instanzenzug nicht. Das Kontumazurteil ist in diesem Falle mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht anfechtbar (SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, Bern 1993, N. 126; vgl. auch CORBOZ, Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral, SJ 1991, S. 66). Das Kontumazurteil ist nur dann ein letztinstanzlicher kantonaler, mit Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbarer Entscheid, wenn das kantonale Recht die Durchführung des ordentlichen Verfahrens vom Nachweis abhängig macht, dass der Verurteilte unverschuldet der ersten Gerichtsverhandlung ferngeblieben ist und wenn er diesen Nachweis nicht erbringen kann (SCHWERI, a.a.O., N. 127). Allerdings räumen Doktrin und Praxis ein, dass der öffentliche Ankläger und der Geschädigte gegen ein Kontumazurteil Nichtigkeitsbeschwerde erheben können, weil sie nicht voraussehen können, ob der Kontumax das Urteil anerkennen oder dessen Aufhebung verlangen werde (
BGE 106 IV 227
E. 2,
BGE 103 IV 60
E. 1; SCHWERI, a.a.O., N. 128).
b) Was der Beschwerdeführer gegen diese Auffassung vorbringt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Dass in der Wiederaufnahmeprozedur die gleiche kantonale Instanz urteilt, liegt in der Natur dieses Verfahrens und ist kein Grund, die Nichtigkeitsbeschwerde bereits gegen das erste Urteil zuzulassen. Weiter kann aus der EMRK nicht das Recht eines Angeklagten abgeleitet werden, der Verhandlung fernzubleiben. Das Risiko, verhaftet zu werden, stellt keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte dar. Dem Beschwerdeführer wird auch nicht das durch Art. 2 Abs. 1 des siebten Zusatzprotokolles garantierte Recht abgeschnitten, das Urteil von einem übergeordneten Gericht überprüfen zu lassen; es steht ihm ja frei, im Wiederaufnahmeverfahren korrekt vor der Vorinstanz zu erscheinen und dann gegebenenfalls das neue Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten. Im
BGE 121 IV 340 S. 344
übrigen wird der Anspruch auf einen unbefangenen und unparteiischen Richter (
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
) nicht verletzt, wenn diejenigen Richter, die ein Abwesenheitsurteil gefällt haben, später bei der Neubeurteilung im ordentlichen Verfahren mitwirken (
BGE 116 Ia 32
).
c) Für die bisherige Praxis spricht im übrigen die folgende Überlegung: Würde auf die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde eingetreten und würde sie abgewiesen, so könnte der Beschwerdeführer dennoch auf der Durchführung des bereits eingeleiteten Wiederaufnahmeverfahrens beharren und gegebenenfalls das neue Endurteil wiederum mit Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht anfechten. Eine solche doppelte Belastung des Bundesgerichtes mit der gleichen Angelegenheit soll jedoch durch das in
Art. 268 Ziff. 1 BStP
festgelegte Subsidiaritätsprinzip verhindert werden. Würde das Bundesgericht die Nichtigkeitsbeschwerde ganz oder teilweise gutheissen und damit das Abwesenheitsurteil aufheben, müsste die kantonale Instanz zunächst ein neues Urteil fällen, das möglicherweise erneut als Kontumazurteil ausgefällt werden muss. Gegen dieses neue Urteil könnte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme verlangen und dann gegebenenfalls das im Wiederaufnahmeverfahren ergangene neue Urteil noch einmal beim Bundesgericht anfechten. Diese Konsequenzen zeigen mit aller Deutlichkeit, dass die Pflicht, das Wiederaufnahmeverfahren zu beantragen, und die Beschränkung, die Nichtigkeitsbeschwerde nur in bezug auf das neue kantonale Urteil zuzulassen, auf guten Gründen beruht.
3.
Nach dem Gesagten ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, da sie sich nicht gegen ein letztinstanzliches kantonales Urteil richtet. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3654f38-5160-4dd8-a36e-7e1bb75f8fe3 | Urteilskopf
120 Ia 14
2. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1994 i.S. Dragan S. gegen Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung.
Die Praxis der Justizkommission des Obergerichts des Kantons Luzern, wonach die Wirkungen der unentgeltlichen Verbeiständung in der Regel erst ab dem Zeitpunkt eintreten, in dem sie den gutheissenden Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten bestätigt, verletzt
Art. 4 BV
. | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 120 Ia 14 S. 14
Dragan S. wurde im Juli 1991 Opfer eines Arbeitsunfalles, aus welchem er Schadenersatzansprüche gegen seinen Arbeitgeber und einen Mitarbeiter ableitet. Am 28. Mai 1993 liess er durch Rechtsanwalt T. beim Amtsgericht Luzern-Stadt die Klage einreichen und gleichzeitig um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. Ein anschliessender Sühneversuch blieb erfolglos. Der Präsident des Amtsgerichts gab dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege erst am 8. November 1993 statt. Die Gutheissung des Gesuchs bedurfte nach kantonalem Recht der Bestätigung durch das Obergericht, dem auch die Ernennung des Rechtsbeistandes oblag. Antragsgemäss betraute die Justizkommission des Obergerichts Rechtsanwalt T. mit dieser Funktion. Der Entscheid der Justizkommission vom 15. Dezember 1993 enthält folgenden Schlusspassus:
"Zur Klarheit wird festgehalten, dass die Bemühungen von Rechtsanwalt T. vor dem Datum dieses Bestätigungsentscheids (15.12.1993) nicht vom Staat zu entschädigen sind, da deren Dringlichkeit weder behauptet noch ausgewiesen ist (vgl. LGVE 1987 I Nr. 38)."
Dragan S. hat den Entscheid der Justizkommission mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.
BGE 120 Ia 14 S. 15
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Umfang des Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung bestimmt sich zunächst nach den Vorschriften des kantonalen Rechts. Sichert dieses der bedürftigen Partei nicht in ausreichendem Masse die Möglichkeit, ihre Rechte zu wahren, so greifen die unmittelbar aus
Art. 4 BV
hergeleiteten Regeln ein, die ein Mindestmass an Rechtsschutz gewährleisten (
BGE 116 Ia 102
E. 4a S. 104 mit Hinweisen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verschafft
Art. 4 BV
einer bedürftigen Partei in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und auf Ernennung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, sofern sie eines solchen zur gehörigen Wahrung ihrer Interessen bedarf (
BGE 119 Ia 251
E. 3 S. 253 und 264 E. 3a S. 265 mit Hinweisen).
b) Gemäss
§ 306 ZPO
/LU sind Armenrechtsgesuche seitens des Klägers "in der Regel so rechtzeitig zu stellen, dass vor Einreichung der Klage ... darüber entschieden werden kann", spätestens aber mit der Klage (Abs. 1). Ein nach diesem Zeitpunkt eingereichtes Gesuch kann nach Absatz 2 nur noch mit seither eingetretenen Tatsachen begründet werden. Erteilt der zuständige Gerichtspräsident das Armenrecht, so sendet er seinen Entscheid mit den Akten an das Obergericht, das den Entscheid bestätigt oder abändert (
§ 307 Abs. 4 ZPO
/LU). Wird dem Gesuchsteller das Armenrecht auch für die Anwaltskosten gewährt, "so weist ihm das Obergericht ... aus der Zahl der praktizierenden Anwälte des Kantons einen Anwalt an" (
§ 309 Abs. 1 ZPO
/LU).
Nach veröffentlichter Praxis der Justizkommission des Obergerichts besteht vor ihrem Entscheid zwischen Armenanwalt und Gesuchsteller ein rein privatrechtliches Mandatsverhältnis. Für Bemühungen des Anwalts im Rahmen dieses Verhältnisses habe der Staat nicht aufzukommen, weshalb der Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege grundsätzlich keine rückwirkende Kraft zukomme. Ausnahmen sind nach dieser Praxis dann zu machen, wenn die Handlungen des Anwaltes dringlich waren, seine Bemühungen keinen Aufschub zu dulden schienen (LGVE 1987 I Nr. 38 und 39).
c) Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die Justizkommission habe kantonales Prozessrecht willkürlich angewendet. Der angefochtene Entscheid ist daher unter diesem Gesichtspunkt nicht zu prüfen. Beansprucht werden lediglich die aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Minimalrechte. Das Kriterium der amtlichen Ernennung
BGE 120 Ia 14 S. 16
des Anwaltes zu einem vom Staat besoldeten Rechtsbeistand ist nach Auffassung des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang sachfremd; die Gutheissung des Gesuches durch beide kantonalen Instanzen bestätige, dass die auf eigenes Risiko der Partei zuvor erbrachten Aufwendungen notwendig gewesen seien. Auch habe die Verbindung des Gesuches mit der Klage die für seinen Erfolg entscheidende Beurteilung der Prozessaussichten überhaupt erst ermöglicht. Nach einem den Kanton Luzern betreffenden Entscheid des Bundesgerichts (
BGE 61 I 234
ff.) könne zwar verlangt werden, dass der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung schon zu Beginn des Prozesses angemeldet werde. Jedoch genüge zur Erreichung ihres Genusses bereits vom Beginn des Rechtsschriftenwechsels an ein zusammen mit der Klage eingereichtes Gesuch. Es sei nicht einzusehen, welches schutzwürdige Interesse das Gericht an einer früheren Einreichung haben könne.
d) Da der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung dem Ziel dient, auch der bedürftigen Partei den Zugang zum Gericht und die zweckdienliche Wahrung ihrer Parteirechte zu ermöglichen, kann er nach Vorliegen eines Antrages nicht davon abhängen, wann der Kanton dem Anwalt ein öffentlichrechtliches Mandat verleiht. Sind die Voraussetzungen erfüllt, so hat der Kanton ab sofort für die Kosten der Verbeiständung aufzukommen. War das Gesuch des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Einreichung, am 28. Mai 1993, aber begründet, der Anspruch also auf diesen Zeitpunkt hin nachgewiesen, so bestand kein sachlicher Grund, ihn erst mit Wirkung ab dem 8. November 1993 anzuerkennen.
e) Die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ihre Wirkungen entfalten soll, ist in den meisten kantonalen Zivilprozessordnungen nicht ausdrücklich geregelt. In Lehre und Rechtsprechung zu den kantonalen Regelungen wird jedoch überwiegend die Meinung vertreten, die Wirkungen müssten mit der Gesuchseinreichung eintreten. Eine Rückwirkung über diesen Zeitpunkt hinaus, wie sie zum Beispiel in Art. 286 Abs. 2 ZPG/SG und
Art. 89 Abs. 2 ZPO
/AR als Ausnahme vorgesehen ist, wird dagegen nur vereinzelt und unter einschränkenden Voraussetzungen befürwortet (STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 2 zu
§ 90 ZPO
; STAEHELIN/SUTTER, Zivilprozessrecht, S. 195 f.; CHRISTIAN FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. Lausanne 1989, S. 118; BEAT RIES, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Diss.
BGE 120 Ia 14 S. 17
Zürich 1990, S. 154 f.; ZEN-RUFFINEN, Assistance judiciaire et administrative: les règles minima imposées par l'article 4 de la Constitution fédérale, Jdt 137 (1989) I, S. 56; PATRICK WAMISTER, Die unentgeltliche Rechtspflege, die unentgeltliche Verteidigung und der unentgeltliche Dolmetscher unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
, Diss. Basel 1983, S. 76 f.; CHARLES GUGGENHEIM, Die unentgeltliche Verbeiständung in den kantonalen Zivilprozessrechten, Diss. Zürich 1944, S. 83 f.). Nach einem neueren, nicht veröffentlichten Entscheid des Bundesgerichts (vom 11. Februar 1993 i.S. N.) ergibt sich unmittelbar aus
Art. 4 BV
, dass ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung jederzeit während des Verfahrens gestellt werden kann. Zudem erscheint es nach diesem Entscheid naheliegend, schon allein gestützt auf
Art. 4 BV
- das heisst unabhängig von der im konkreten Fall anwendbaren kantonalen Regelung - einen Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung auch bei nachträglicher Gesuchsstellung und bezüglich bereits geleisteter Arbeit anzuerkennen.
f) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Rückwirkung lediglich in beschränkter Form. Verlangt wird vom Beschwerdeführer nämlich die gerichtliche Anerkennung, dass ihm die unentgeltliche Verbeiständung auch für die Bemühungen seines Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit der Forderungsklage zustehe, die er gleichzeitig mit dem Armenrechtsgesuch eingereicht hat. Soweit es aber um die Gewährung des Anspruchs mit Wirkung ab diesem Zeitpunkt geht, handelt es sich nach allgemeinem Verständnis, wie es in der zitierten Literatur zum Ausdruck kommt, nicht eigentlich um eine Frage der Rückwirkung. Massgebend ist in diesem Zusammenhang vielmehr der Grundsatz, dass die Wirkungen der unentgeltlichen Rechtspflege mit der Gesuchseinreichung eintreten. Das lässt sich aber, wie vorne festgehalten worden ist, unmittelbar aus dem Armenrechtsanspruch gemäss
Art. 4 BV
ableiten. Aus den dort (E. 3d) bereits erwähnten Gründen ist es sodann gestützt auf diese Verfassungsbestimmung gerechtfertigt, die Wirkungen der unentgeltlichen Verbeiständung auf das Verfassen der Klageschrift und die dafür nötigen Vorarbeiten auszudehnen. Die Annahme, eine solche beschränkte Rückwirkung verstehe sich von selbst, liegt im übrigen der ständigen Praxis des Bundesgerichts zu
Art. 152 Abs. 2 OG
zugrunde.
Anzufügen ist schliesslich, dass - wie schon in
BGE 61 I 234
ff. ausgeführt wurde - nicht ersichtlich ist, warum ein Gesuch des Klägers um unentgeltliche Verbeiständung mit beantragter Wirkung
BGE 120 Ia 14 S. 18
für das gesamte Verfahren vor einem luzernischen Amtsgericht schon vor Klageeinreichung sollte gestellt werden müssen. Daran ist unverändert festzuhalten. Das in jenem Zeitpunkt gestellte Gesuch schränkt den Entscheidungsspielraum des Amtsgerichtspräsidenten und der Justizkommission des Obergerichts in keiner Weise ein. Erweist sich das Gesuch als unbegründet oder kann ausnahmsweise der von der Partei getroffenen Anwaltswahl nicht beigepflichtet werden (dazu HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 161 f.), so darf es in gleicher Weise abgewiesen werden, wie wenn es schon früher gestellt gewesen wäre. Das Risiko, für erwachsenen Aufwand eventuell nicht entschädigt zu werden, tragen Partei und Anwalt. Ist aber das Gesuch begründet, so tut die nachträgliche Bewilligung den Interessen des Staates keinen Abbruch. Dazu kommt, dass sowohl nach dem Verfassungsrecht des Bundes (vgl. E. 3a) wie nach dem kantonalen Prozessrecht (
§ 307 Abs. 3 ZPO
/LU) die Erlangung des Anspruchs voraussetzt, dass die Rechtsbegehren des Klägers nicht als aussichtslos erscheinen. Um dies dartun und die Interessen der Partei bereits bei der entsprechenden Untersuchung wirkungsvoll wahren zu können, ist der Anwalt auf vorgängige Abklärungen tatsächlicher und rechtlicher Natur angewiesen, die für das Gesuch allein kaum geringer sind als für die ausgearbeitete Klage. Die Zusammenfassung beider Arbeiten ist letztlich das wirtschaftlich sinnvollste Vorgehen. Würde aber die unentgeltliche Verbeiständung für das Gesuch und die entsprechenden Vorarbeiten schlechthin verweigert, so liefe dies für die bedürftige Partei auf eine gegen
Art. 4 BV
verstossende Behinderung bei der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Rechte hinaus. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d366145e-2ed4-4bee-9f36-24b4bbb9b70b | Urteilskopf
90 IV 126
26. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juli 1964 i.S. Eggler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 43 Ziff. 1, 2, 4 und 5 Abs. 2 StGB; Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt und Strafvollzug.
1. Ob ein Verurteilter, der vom Richter in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen, dann aber von der Verwaltungsbehörde in eine Strafanstalt versetzt wurde, hier seine Strafe verbüsste, hängt von der Natur seines Aufenthaltes in dieser Anstalt ab (Erw. 1).
2. Befindet sich der Verurteilte während der ganzen Dauer der Arbeitserziehungsmassnahme in der Strafanstalt, so kommt ein solcher Aufenthalt einer Strafverbüssung gleich (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 126
BGE 90 IV 126 S. 126
A.-
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte Eggler am 11. Februar 1954 wegen wiederholten Betruges, Hehlerei, Urkundenfälschung und weiterer Straftaten zu einem Jahr Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafe auf und wies den Verurteilten in Anwendung von
Art. 43 Ziff. 1 StGB
auf unbestimmte Zeit in eine Arbeitserziehungsanstalt ein. Auf Anordnung der Justizdirektion des Kantons Zürich kam Eggler am 20. April 1954 in die Anstalt Uitikon. Da er hier passiven Widerstand leistete und sich einer erzieherischen Beeinflussung als unzugänglich erwies, wurde er am 17. Juni des gleichen Jahres in die Strafanstalt Regensdorf versetzt.
BGE 90 IV 126 S. 127
Am 19. April 1955 bestrafte das Obergericht des Kantons Zürich Eggler wegen zahlreicher Straftaten, die er nach dem 11. Februar 1954 begangen hatte, mit 15 Monaten Gefängnis. Auch es schob den Strafvollzug auf und ordnete die Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt an. Die Massnahme wurde zusammen mit der bereits vom Bezirksgericht verhängten in der Strafanstalt Regensdorf vollzogen.
Am 21. Juli 1956 wurde Eggler bedingt aus der Anstalt entlassen. Während der Probezeit verübte er neue Verbrechen und Vergehen. Das Schwurgericht des Kantons Zürich verurteilte ihn deswegen am 1. Juni 1960 zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus und Fr. 100.-- Busse; zudem stellte es ihn für fünf Jahre in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.
B.-
Angesichts dieser Straftaten stellte sich die Frage, ob und inwieweit die am 11. Februar 1954 und 19. April 1955 ausgefällten Strafen zu vollziehen seien.
Das Bezirksgericht verzichtete mit Beschluss vom 5. Dezember 1963 zufolge Vollstreckungsverjährung auf den Vollzug der Gefängnisstrafe von einem Jahr.
Das Obergericht seinerseits entschied am 13. Dezember 1963, dass Eggler von den 15 Monaten Gefängnis, die es gegen ihn verhängt hatte, noch fünf Monate zu verbüssen habe.
C.-
Eggler führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Es ist unbestritten, dass Eggler während der Probezeit vorsätzliche Verbrechen und Vergehen begangen hat. Das Obergericht hatte deshalb gemäss
Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB
darüber zu entscheiden, ob und in welchem Masse die am 19. April 1955 ausgesprochene Gefängnisstrafe noch zu vollziehen sei.
BGE 90 IV 126 S. 128
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er sich seit dem 17. Juni 1954 in der Strafanstalt Regensdorf aufgehalten habe, die keine Arbeitserziehungsanstalt sei. In Wirklichkeit habe er dort nicht nur die am 11. Februar 1954, sondern auch die am 19. April 1955 gegen ihn ausgefällte Gefängnisstrafe verbüsst. Sei die Strafe aber schon getilgt, so könne sie nicht mehr vollstreckt werden. Ob dieser Einwand zutrifft, hängt von der Natur des Aufenthaltes in der Anstalt ab.
2.
Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass die Strafanstalt Regensdorf den Anforderungen des
Art. 43 Ziff. 2 StGB
nicht genügt, weil sie keine Abteilung enthält, die einer Arbeitserziehungsanstalt gleichgesetzt werden könnte. Das Obergericht ist nichtsdestoweniger der Auffassung, Eggler habe sich dort nicht in Strafverhaft befunden, denn dies hätte vorausgesetzt, dass der Richter den Vollzug der Strafe anordnete (
Art. 43 Ziff. 4 StGB
). Es ist richtig, dass der Verurteilte auf Veranlassung der Justizdirektion von Uitikon nach Regensdorf versetzt worden ist. Es ging dieser Verwaltungsbehörde auch nicht darum, den Versuch, Eggler zur Arbeit zu erziehen, aufzugeben. Wie das Obergericht feststellt, hatte die Versetzung in die Strafanstalt bloss den Sinn einer Disziplinarmassnahme, womit der Widerstand des Verurteilten, der sich weigerte zu arbeiten, gebrochen werden sollte. So gesehen hat daher der Beschwerdeführer in Regensdorf keine Gefängnisstrafe verbüsst.
Fragen kann sich nur, wie es sich damit tatsächlich verhielt. Das Obergericht führt aus, dass die von ihm angeordnete Massnahme ausschliesslich in der Strafanstalt vollzogen worden sei. Auch habe sich der Vollzug nicht oder jedenfalls nicht wesentlich von demjenigen einer Strafe unterschieden. Diese Erwägungen können nur dahin verstanden werden, dass der Verurteilte sich in Regensdorf tatsächlich eben doch in Strafverhaft befand. Mag es auch an der hiefür notwendigen richterlichen Verfügung im Sinne von
Art. 43 Ziff. 4 StGB
gefehlt haben, so bleibt
BGE 90 IV 126 S. 129
es nichtsdestoweniger dabei, dass sich die Dinge gleich abwickelten, wie bei der Verbüssung einer Gefängnisstrafe.
Zwar weist das Obergericht mit Recht darauf hin, dass die Arbeitserziehungsmassnahme keineswegs sogleich abgebrochen und die Strafe gestützt auf
Art. 43 Ziff. 4 StGB
vollzogen werden muss, wenn der Verurteilte sich weigert zu arbeiten; denn damit würde dieser für den Fall, dass er den Strafvollzug für vorteilhafter hält, von Anfang an in die Lage versetzt, den Zweck der Massnahme zu vereiteln und die Anordnung des Strafvollzuges zu erzwingen. Das kann nicht der Sinn des Gesetzes sein. Die Vollzugsbehörde muss geeignete Vorkehren treffen können, um den Widerstand eines arbeitsscheuen Verurteilten zu brechen. Im vorliegenden Falle ist ihr dies misslungen, weshalb sie Eggler in die Strafanstalt versetzen liess. Das Obergericht sieht darin eine blosse Disziplinarmassnahme, die sich mit der Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt jedenfalls dann vertrage, wenn sie nur vorübergehenden Charakter habe. Die Notwendigkeit einer solchen Versetzung kann freilich auch der Beweis dafür sein, dass der Verurteilte nicht mehr zur Arbeit erzogen werden kann. Das gilt namentlich dann, wenn er sich selbst nach wiederholten oder empfindlichen Ordnungsstrafen nicht zur Arbeit anhalten lässt oder dazu aufraffen kann. Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhielt, braucht indes nicht untersucht zu werden; denn nach dem angefochtenen Urteil verblieb Eggler nicht nur vorübergehend, sondern während der ganzen Dauer der Arbeitserziehungsmassnahme in der Strafanstalt. Dass dies mit
Art. 43 Ziff. 2 StGB
nicht vereinbar war, anerkennt auch das Obergericht. Auch aus diesem Grunde muss angenommen werden, dass der Beschwerdeführer in Regensdorf in Wirklichkeit eine Freiheitsstrafe verbüsste.
Vom 19. April 1955 bis zu seiner bedingten Entlassung vom 21. Juli 1956 verbrachte der Beschwerdeführer fünfzehn Monate und zwei Tage im Gefängnis. Er hat somit die vom Obergericht ausgefällte Strafe verbüsst.
BGE 90 IV 126 S. 130
Für die Anwendung des
Art. 43 Ziff. 5 Abs. 2 StGB
bleibt folglich kein Raum mehr.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Dezember 1963 aufgehoben. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3698f9d-c99e-4acc-b18d-eed5e016ebf0 | Urteilskopf
136 I 229
21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Universität Bern und Rekurskommission der Universität Bern (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
2D_76/2009 vom 14. Mai 2010 | Regeste
Art. 83 lit. t,
Art. 113 und 115 lit. b BGG
,
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV
; Anfechtung eines Prüfungsergebnisses (hier: Masterabschluss im Studium der Rechtswissenschaften) beim Bundesgericht.
Ein Prüfungsergebnis (bzw. eine Note) kann mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde angefochten werden, wenn das Nichtbestehen, eine andere Rechtsfolge (wie der Ausschluss von der Weiterbildung) oder ein Prädikat in Frage steht, für das die Prüfungsordnung vorgibt, wie es zu bestimmen ist, bzw. dessen Festlegung nicht im Ermessen der Prüfungsbehörde liegt (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 1-3).
Verfahrensfragen, insbesondere rechtliches Gehör und Kognition der kantonalen richterlichen Behörde (E. 4 und 5).
Überprüfung eines Examensentscheides durch das Bundesgericht (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 136 I 229 S. 230
A.
X. studierte an der Universität Bern Rechtswissenschaften. Im Frühjahrssemester 2008 verfasste sie bei Prof. Y. eine Masterarbeit mit dem Titel "Das Verbot des Rechtsmissbrauchs im europäischen Gemeinschaftsrecht - Eine Studie zum Fallrecht des EuGH", die sie am 29. Mai 2008 abschloss. Am 11. November 2008 erteilte die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bern X. für ihre Masterarbeit die Note 5,0 und eröffnete ihr, dass sie bei einem Notendurchschnitt von 5,43 den Titel "Master of Law of the University of Bern (MLaw)" mit dem Schwerpunkt internationales und europäisches Recht und dem Prädikat "magna cum laude" erworben habe.
B.
Dagegen führte X. Beschwerde bei der Rekurskommission der Universität Bern mit dem Antrag, die Note für ihre Masterarbeit sei auf 6,0 bzw. mindestens auf 5,5 festzusetzen und das Notenblatt sei entsprechend zu ändern. Eventuell sei ihre Masterarbeit durch eine "unbefangene Fachperson" begutachten zu lassen. Die Rekurskommission wies die Beschwerde am 20. März 2009 ab.
C.
Am 30. Oktober 2009 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern eine dagegen gerichtete Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
D.
Mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 3. Dezember 2009 an das Bundesgericht beantragt X., das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Note ihrer Masterarbeit unter Anpassung
BGE 136 I 229 S. 231
des Notenblattes auf 6,0, mindestens aber auf 5,5 festzusetzen; eventuell sei die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
E.
Das Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern und das Verwaltungsgericht des Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Die Rekurskommission hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
F.
Mit Eingabe vom 12. Februar 2010 äusserte sich die Beschwerdeführerin unter Beilage eines Kurzgutachtens nochmals zur Sache. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 83 lit. t BGG ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig gegen Entscheide über das Ergebnis von Prüfungen und anderen Fähigkeitsbewertungen, namentlich auf den Gebieten der Schule, der Weiterbildung und der Berufsausübung. Diese Ausschlussbestimmung zielt auf Prüfungsergebnisse im eigentlichen Sinn sowie auf alle Entscheide ab, die auf einer Bewertung der intellektuellen oder physischen Fähigkeiten eines Kandidaten beruhen, nicht aber auf andere Entscheide im Zusammenhang mit Prüfungen wie insbesondere solche organisatorischer Natur (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 2C_577/2009 vom 6. Januar 2010 E. 1.1 mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall ist die Benotung der Masterarbeit bzw. das unter anderem darauf gestützte Gesamtprädikat der Beschwerdeführerin strittig. Es geht mithin um das eigentliche Prüfungsergebnis, weshalb die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen ist, wovon auch die Beschwerdeführerin ausgeht.
2.
2.1
Soweit wie hier ein kantonaler Endentscheid angefochten wird, ist bei Ausschluss der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Zulässigkeit der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach
Art. 113 ff. BGG
zu prüfen.
2.2
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts zur staatsrechtlichen Beschwerde war dieses Rechtsmittel nur beschränkt gegen Prüfungsentscheide zulässig. Rechtlich wird mit einem Prüfungsentscheid in erster Linie ausgedrückt, ob der Kandidat die Prüfung bestanden hat. Dabei handelt es sich um einen Gesamtentscheid, und
BGE 136 I 229 S. 232
Anfechtungsobjekt ist das Prüfungsergebnis als solches. Der Entscheid über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Prüfung beeinflusst regelmässig die Rechtsstellung des Prüfungskandidaten. Nur bei einem positiven Prüfungsergebnis wird ihm beispielsweise das Recht eingeräumt, in eine höhere Schule einzutreten, einen bestimmten Beruf auszuüben oder einen Titel zu tragen. Die Noten der einzelnen Fächer bilden demgegenüber lediglich die Elemente, die zur Gesamtbeurteilung führen. Einzelnoten sind daher grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar. Dies ist nur ausnahmsweise möglich, nämlich dann, wenn an die Höhe der einzelnen Noten bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, zum Beispiel die Möglichkeit, bestimmte zusätzliche Kurse oder Weiterbildungen zu absolvieren oder besondere Qualifikationen zu erwerben (etwa Zulassung zum Doktorat), oder wenn sich die Noten später als Erfahrungsnoten in weiteren Prüfungen auswirken. Einzelne Noten, die für das Bestehen der Prüfung und den Erwerb des Diploms nicht ausschlaggebend sind, beeinflussen ebenso wie der Notendurchschnitt die Rechtslage des Prüfungskandidaten bei positivem Examensergebnis grundsätzlich nicht. Die Prüfungsnoten geben regelmässig allein die Qualität der Leistung bei der Prüfung wieder. Bestehen in diesem Sinne keine weitergehenden rechtlichen Nachteile, stellt die einzelne Note oder das Zeugnis für sich allein keine anfechtbare Verfügung dar (vgl. die Urteile des Bundesgerichts 2P.177/2002 vom 7. November 2002 E. 5.2.2; 2P.210/2001 vom 19. November 2001 E. 1b/aa und 2P.21/1996 vom 21. November 1996 E. 2a).
2.3
Es fragt sich, wieweit diese Rechtsprechung zur früheren staatsrechtlichen Beschwerde auch bei der subsidiären Verfassungsbeschwerde nach
Art. 113 ff. BGG
weiterzuführen ist. Grundsätzlich ist das neue Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde nachgebildet. Als Anfechtungsobjekt setzt auch die subsidiäre Verfassungsbeschwerde einen Hoheitsakt voraus, der Rechtswirkungen entfaltet. Mit der Revision der Bundesrechtspflege, die gleichzeitig die subsidiäre Verfassungsbeschwerde mit sich brachte, wurde der Rechtsmittelzugang im Vergleich zu früher tendenziell erweitert (vgl. etwa
Art. 29a BV
,
Art. 82 BGG
oder
Art. 25a VwVG
). Das spricht dafür, die Bestimmungen über die mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde anfechtbaren Hoheitsakte jedenfalls nicht einschränkend auszulegen.
2.4
Die Beschwerdeführerin macht keine besonderen Rechtsfolgen wie den Ausschluss von einer Weiterbildung geltend. Sie behauptet jedoch, die Bewertung der Masterarbeit mit einer 5,0 führe dazu, dass
BGE 136 I 229 S. 233
sie insgesamt das Prädikat "magna cum laude" erhalten habe; eine Note 6,0 oder 5,5 hätte insgesamt das Prädikat "summa cum laude" zur Folge, was eine bessere Ausgangslage für die berufliche Tätigkeit oder für eine akademische Laufbahn mit sich bringe. Dabei handelt es sich zwar grundsätzlich um tatsächliche Vorteile, und abgesehen davon scheint die Beschwerdeführerin inzwischen durchaus eine angemessene Stelle gefunden zu haben. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Benotung auf das Gesamtprädikat auswirkt. Es fragt sich, ob dies mit rechtlichen Wirkungen verbunden ist, die dem Entscheid über das Prädikat den Charakter eines anfechtbaren Hoheitsakts geben.
2.5
Zwar mag der Notendurchschnitt für sich allein keine eigenständige rechtliche Bedeutung haben. Der Gesamtbewertung, d.h. nicht dem Notendurchschnitt als solchem, sondern dem darauf gestützten Prädikat, jegliche Tragweite abzusprechen, selbst wenn sich daraus keine konkreten materiellen Rechtsfolgen wie das Nichtbestehen des Examens oder das Erreichen einer Mindestqualifikation für die Weiterbildung (namentlich die Zulassung zum Doktorexamen) ergeben, überzeugt aber nicht.
2.5.1
Im vorliegenden Fall ist noch das Reglement vom 24. April 2003 über den Studiengang und die Prüfungen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern (RSP RW) anwendbar, das inzwischen vom Reglement vom 14. Mai 2009 über das Bachelor- und Masterstudium und die Leistungskontrollen an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern (RSL RW) abgelöst wurde. Im hier massgeblichen Zusammenhang unterscheiden sich die beiden Studienreglemente allerdings nicht wesentlich. Nach Art. 27 Abs. 1 RSP RW setzt der Erwerb des Grads eines Masters in Rechtswissenschaft der Universität Bern unter anderem voraus, dass die erforderlichen Leistungsnachweise und Prüfungen abgelegt und ein genügender Notendurchschnitt erreicht worden ist. Gemäss Art. 27 Abs. 2 RSP RW wird die Masterurkunde in Würdigung der Gesamtleistung mit folgenden Prädikaten ausgestellt:
4,00 bis 4,49
rite
4,50 bis 4,99
cum laude
5,00 bis 5,49
magna cum laude
5,50 bis 6,00
summa cum laude
2.5.2
Die im Reglement vorgesehene Würdigung der Gesamtleistung, die über das Prädikat bestimmt, steht nicht im Ermessen der
BGE 136 I 229 S. 234
Fakultät, sondern ergibt sich rechnerisch aus den vergebenen Noten. Mit dem Prädikat wird die Gesamtleistung des Kandidaten beurteilt. Die Gesamtbeurteilung mündet in diesem Sinne in einen Feststellungsentscheid über die fachliche Prüfungsleistung, der nach rechtlichen Kriterien ergeht, die sich aus dem Reglement und den darauf gestützten weiteren Bestimmungen wie Richtlinien der Fakultät ergeben (vgl. insbes. Art. 23 Abs. 4 und Art. 24 Abs. 3 RSP RW). Dem Entscheid über das Prädikat kann ein hoheitlicher Charakter mithin nicht abgesprochen werden, und es besteht ein massgebliches Rechtsschutzinteresse an dessen Überprüfung.
2.6
Die bisherige Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit von Prüfungsnoten ist demnach für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wie folgt zu präzisieren: Weiterhin nicht anfechtbar sind einzelne Noten einer Gesamtprüfung, die nicht mit einer weitergehenden Wirkung wie dem Nichtbestehen verbunden sind und auch keinen Einfluss auf ein Prädikat zeitigen. Steht jedoch das Nichtbestehen, eine andere Folge - wie der Ausschluss von der Weiterbildung - oder ein Prädikat in Frage, für das die Prüfungsordnung vorgibt, wie es zu bestimmen ist, gibt es ein Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung des Gesamtergebnisses und damit auch an einer diesem zugrunde liegenden Einzelnote. Wohl kann das unter Umständen dazu führen, dass, nicht anders als beim Nichtbestehen, mit Blick auf das Prädikat auch mehrere Einzelnoten angefochten werden. Das ist aber in Kauf zu nehmen, denn letztlich obliegt es dem Rechtsschutz suchenden Kandidaten, aufzuzeigen, weshalb nachgerade verschiedene Einzelbewertungen in massgeblicher Weise rechtswidrig erfolgt sein sollten.
2.7
Die Beschwerdeführerin erhielt für ihre Masterarbeit die Note 5,0, was zum Gesamtprädikat "magna cum laude" führte. Sie hätte unbestrittenermassen ab einer Bewertung der Masterarbeit mit der Note 5,5 das Prädikat "summa cum laude" erzielt. Die von ihr angefochtene Note wirkt sich daher auf das Gesamtergebnis aus. Der Entscheid darüber als Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet damit einen anfechtbaren Hoheitsakt.
3.
3.1
Nach
Art. 115 lit. b BGG
setzt die Legitimation zur subsidiären Verfassungsbeschwerde ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids voraus. Das rechtlich geschützte Interesse nach
Art. 115 lit. b BGG
entspricht nicht dem allgemeinen Rechtsschutzinteresse an der
BGE 136 I 229 S. 235
Überprüfung eines staatlichen Entscheids. Die Anfechtbarkeit des Examensentscheids vor dem Bundesgericht unterliegt in diesem Sinne besonderen, grundsätzlich strengeren Voraussetzungen als diejenige vor allenfalls eingesetzten kantonalen Rechtsmittelinstanzen.
3.2
Die massgeblichen rechtlich geschützten Interessen können entweder durch kantonales oder eidgenössisches Gesetzesrecht oder aber unmittelbar durch ein angerufenes spezielles Grundrecht geschützt sein, sofern sie auf dem Gebiet liegen, das die betreffende Verfassungsbestimmung beschlägt (vgl.
BGE 133 I 185
E. 4 S. 191). Das Willkürverbot nach
Art. 9 BV
verschafft für sich allein das erforderliche rechtlich geschützte Interesse jedoch nicht (vgl.
BGE 133 I 185
E. 5 und 6 S. 193 ff.). Vorausgesetzt ist hier daher eine Rechtsnorm, welche die Beschwerdeführerin hinsichtlich des strittigen Prädikats schützt.
3.3
Wie bereits dargelegt (E. 2.5.2), steht das Prädikat nicht im Ermessen der Fakultät, sondern es ergibt sich rechnerisch aus den vergebenen Einzelnoten. Die Kandidaten haben insofern einen Rechtsanspruch auf Erteilung desjenigen Prädikats, das ihrem Notendurchschnitt entspricht. Damit haben sie nicht nur ein rechtlich geschütztes Interesse an der Berechnung des Prädikats, sondern auch an der Ermittlung der diesem zugrunde liegenden Noten. Die Beschwerdeführerin ist daher zur subsidiären Verfassungsbeschwerde legitimiert. Zulässig ist insbesondere auch die Willkürrüge gemäss
Art. 9 BV
.
4.
4.1
Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an, prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber nur auf Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht werden (vgl.
Art. 42 Abs. 2 BGG
). Dabei gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten, insbesondere des Willkürverbots, eine qualifizierte Rügepflicht (
Art. 106 Abs. 2 BGG
; vgl.
BGE 133 II 249
E. 1.4.2 S. 254,
BGE 133 II 396
E. 3.1 S. 399).
4.2
Die Beschwerdeführerin reichte dem Bundesgericht ein Kurzgutachten ein. Dieses ist aus zwei Gründen aus dem Recht zu weisen: Erstens handelt es sich um ein unzulässiges Novum, denn es bestand nicht erst gestützt auf das angefochtene Urteil Anlass zur Einreichung desselben (vgl.
Art. 99 BGG
). Zweitens wurde das Gutachten längst nach Ablauf der Beschwerdefrist (vgl. Art. 117 in Verbindung mit
Art. 100 BGG
) und damit verspätet nachgereicht.
BGE 136 I 229 S. 236
5.
5.1
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, der angefochtene Entscheid sei ungenügend begründet, der Sachverhalt sei unvollständig abgeklärt worden, wobei insbesondere ein ergänzendes Expertengutachten hätte eingeholt werden müssen, und das Verwaltungsgericht habe seine Kognition nicht ausgeschöpft. Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift zu diesen das Verfahren und die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz betreffenden Rügen sind freilich eher rudimentär. Dass kantonales Verfahrensrecht in verfassungswidriger, insbesondere willkürlicher Weise angewendet worden sei, macht die Beschwerdeführerin ohnehin nicht geltend. Sie behauptet jedoch eine Verletzung von
Art. 29 BV
.
5.2
Das rechtliche Gehör nach
Art. 29 Abs. 2 BV
verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt (
BGE 124 I 49
E. 3a,
BGE 124 I 241
E. 2; je mit Hinweisen). Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (vgl.
BGE 134 I 83
E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
Inwiefern der angefochtene Entscheid ungenügend begründet sein sollte, ist nicht ersichtlich. Es ergibt sich daraus mit genügender Klarheit, weshalb die Vorinstanz in der Beurteilung der Masterarbeit keine Rechtsverletzung erkannte. Die Beschwerdeführerin vermochte das verwaltungsgerichtliche Urteil denn auch durchaus sachgerecht anzufechten.
5.3
Weiter liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil es auf Grund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (
BGE 134 I 140
E. 5.3
BGE 136 I 229 S. 237
S. 148;
BGE 131 I 153
E. 3 S. 157 mit Hinweisen). Auch insoweit ist nicht erkennbar, weshalb das Verwaltungsgericht den Sachverhalt unvollständig abgeklärt haben sollte. Auf die Frage der eventuellen Einholung eines Gutachtens ist immerhin noch besonders einzugehen (vgl. E. 5.5).
5.4
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz sodann ihre Kognition nicht ausgeschöpft.
5.4.1
Das Verwaltungsgericht setzte sich inhaltlich ausführlich mit der Beschwerde auseinander, auferlegte sich dabei aber eine gewisse Zurückhaltung bei der Überprüfung der strittigen Note. Es ist üblich und verletzt Verfassungsrecht grundsätzlich nicht, wenn Gerichtsbehörden bei der Kontrolle von Examensentscheiden Zurückhaltung üben (vgl. etwa für das Bundesgericht
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 mit Hinweisen sowie nachfolgende E. 6.2). Eine volle Rechtskontrolle rechtfertigt sich insofern in erster Linie für allfällige formelle Fehler. Bei der inhaltlichen Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit bestehen hingegen regelmässig Beurteilungsspielräume, die es zwangsläufig mit sich bringen, dass dieselbe Arbeit verschiedenen Einschätzungen auch von Fachleuten unterliegen kann. Gerichtsbehörden dürfen sich insoweit Zurückhaltung auferlegen, solange es keine Hinweise auf krasse Fehleinschätzungen gibt.
5.4.2
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern muss während des Masterstudiums eine Masterarbeit verfasst werden, die eine Fragestellung aus dem Gebiet eines juristischen Faches zum Gegenstand hat. Die Fakultät erlässt Richtlinien über die Anforderungen an Umfang und Form der Masterarbeit (Art. 23 RSP RW). Gemäss den hier anwendbaren Richtlinien vom 26. Juni 2003 sind die Dozentinnen und Dozenten sowie die Departemente für ihr Fachgebiet bezüglich Themenwahl, Betreuung, inhaltlichen Anforderungen an die Masterarbeiten und Einhaltung der Fristen verantwortlich (vgl. Ziff. 4 der Richtlinien). Den Dozierenden kommt demnach bei der Betreuung und Bewertung einer Masterarbeit ein weiter Beurteilungsspielraum zu, was eine entsprechende Zurückhaltung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt. Anhaltspunkte für eine krasse Fehleinschätzung liegen hier nicht vor (vgl. auch E. 6). Die Vorinstanz hat daher ihre Kognition nicht unterschritten, und dass dies die erste Rechtsmittelinstanz getan hätte, behauptet die Beschwerdeführerin vor dem Bundesgericht, anders als noch vor dem Verwaltungsgericht, nicht mehr.
BGE 136 I 229 S. 238
5.5
Analoges gilt für die Frage der Einholung einer Expertise. Das Verwaltungsgericht legt in seinem Urteil dar, dass der Sachverhalt rechtsgenüglich abgeklärt wurde und für eine Expertise kein Beweisinteresse bestand. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin widerlegen diese Argumentation nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, welche neuen Erkenntnisse ein Gutachten hätte bringen sollen. Die Masterarbeit der Beschwerdeführerin wurde nicht als ungenügend, sondern mit der Note 5,0 als gut bewertet. Die bereits erwähnten Beurteilungsspielräume bei der Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit rechtfertigen für sich allein nicht den Beizug eines Experten. Im Übrigen war der Beschwerdeführerin das Profil des Examinators bereits zum Zeitpunkt bekannt, als sie sich entschloss, bei ihm eine Masterarbeit zu verfassen. Weshalb er nunmehr nachträglich für eine sachgerechte Bewertung nicht mehr geeignet gewesen sein sollte und deren Richtigkeit durch einen Gutachter hätte bestätigt bzw. widerlegt werden müssen, legt die Beschwerdeführerin nicht in nachvollziehbarer Weise dar. Schliesslich kann durchaus mitberücksichtigt werden, dass eine rechtswissenschaftliche Masterarbeit zur Diskussion steht und davon auszugehen ist, dass auch das Verwaltungsgericht des Kantons Bern über entsprechende Fachkenntnisse verfügt. Der Beizug eines Gutachters drängte sich daher weniger auf, als dies allenfalls zutreffen mag, wenn es um die Prüfung in einer der kantonalen Rechtsmittelinstanz gänzlich fachfremden Materie ginge.
6.
6.1
Zu prüfen bleibt, ob der angefochtene Entscheid als willkürlich aufgehoben werden muss, weil die Bewertung der Masterarbeit der Beschwerdeführerin unhaltbar ist.
6.2
Das Bundesgericht auferlegt sich eine besondere Zurückhaltung bei der materiellen Beurteilung von Prüfungsentscheiden, indem es erst einschreitet, wenn sich die Behörde von sachfremden oder sonst wie ganz offensichtlich unhaltbaren Erwägungen hat leiten lassen, so dass ihr Entscheid unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als nicht mehr vertretbar und damit als willkürlich erscheint. Diese Zurückhaltung übt das Bundesgericht selbst dann, wenn es, wie hier, aufgrund seiner Fachkenntnisse sachlich zu einer weitergehenden Überprüfung befähigt wäre (wie beispielsweise auch bei Rechtsanwalts- oder Notariatsprüfungen;
BGE 131 I 467
E. 3.1 S. 473 mit Hinweisen).
6.3
Der Examinator ging davon aus, in der fraglichen Masterarbeit fehle der erforderliche Bezug zum Völkerrecht und die Literatur zur
BGE 136 I 229 S. 239
Rechtsvergleichung werde ungenügend ausgewertet. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen hauptsächlich ein, das Völkerrecht sei bei dem von ihr bearbeiteten Thema nicht massgeblich, weshalb sie darauf auch nicht näher habe eingehen müssen. Welche Auffassung zutrifft, ist hier nicht zu entscheiden. Den Ausschlag gibt vielmehr, dass die Beurteilung des Examinators objektiv vertretbar erscheint. Selbst wenn dazu möglicherweise unterschiedliche Lehrmeinungen bestehen, ist es für die Vergabe einer Höchstnote nicht unhaltbar, zu verlangen, dass sich die Kandidatin mit der Abgrenzung des Themas vertieft auseinandersetzt und wenigstens darlegt, weshalb sie einen bestimmten Gesichtspunkt als nicht wesentlich erachtet. Bei der Überprüfung der vom Dozenten vorgenommenen und von der Fakultät bestätigten Beurteilung hat sich auch das Verwaltungsgericht nicht von sachfremden oder sonstigen ganz offensichtlich unhaltbaren Erwägungen leiten lassen. Mit dem Examinator und der Fakultät hat das Verwaltungsgericht anerkannt, dass es sich um eine gute Masterarbeit handelt, die aber nicht zwingend mit einer besseren Note als 5,0 bewertet werden musste. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass an der fachlichen Qualifikation des Examinators kein Zweifel bestehen könne, dass er seine Beurteilung schriftlich festgehalten und im Einzelnen begründet habe, dass seine Argumentation nachvollziehbar sei, dass er aufgrund des ihm von der Fakultät übertragenen Beurteilungsspielraums für Höchstbewertungen eine vertiefte Auseinandersetzung auch mit dem Völkerrecht verlangen durfte und dass die Aufnahme der Arbeit in einer internationalen Fachzeitschrift keine präzisen Rückschlüsse auf die inhaltliche Qualität der Arbeit zulasse. Selbst wenn im Übrigen davon ausgegangen würde, dass Fachperiodika in der Regel nur Arbeiten von gewisser Güte publizieren, hiesse das nicht, dass die Bewertung mit der Note 5,0 offensichtlich unhaltbar wäre, handelt es sich doch um eine gute Benotung. Der angefochtene Entscheid beruht mithin nicht auf einer krassen Fehlbeurteilung. Dass die Vorinstanzen das einschlägige Studienreglement willkürlich ausgelegt und angewendet hätten, tut die Beschwerdeführerin ohnehin nicht dar.
6.4
Schliesslich sieht die Beschwerdeführerin darin einen Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach
Art. 9 BV
, dass der Examinator zu ihrem ihm vorweg zugestellten Gliederungsvorschlag keinen Vorbehalt bzw. Hinweis betreffend Einarbeitung des Völkerrechts und Erwägungen zur Rechtsvergleichung angebracht habe. Es ist aber nicht zwingend, die Kandidaten bei der
BGE 136 I 229 S. 240
Rückmeldung zu einer vorläufigen Disposition auf sämtliche möglichen Lücken hinzuweisen, sondern es geht insoweit lediglich im Sinne einer Dienstleistung darum, ihnen eine grundsätzliche Hilfestellung zu gewähren, damit sie nicht völlig in eine falsche Richtung hinarbeiten. Letztlich liegt es aber an ihnen und nicht am Examinator, die übertragene bzw. übernommene Aufgabe zu erfüllen. Gerade für die Erteilung von Höchstnoten gehört es zum Leistungsausweis, das gesamte Spektrum des Themas selbständig auszuloten und aufzuarbeiten. Ein Vertrauensverstoss könnte in diesem Sinne allenfalls vorliegen, wenn der Examinator Ergänzungen anregt und diese später als Fehler bewertet, nicht aber, wenn er gerade prüfen will, ob ein Kandidat, dessen Disposition grundsätzlich zu befriedigen vermag, selbständig fähig ist, das Gesamtspektrum seines Themas zu erfassen.
6.5
Der angefochtene Entscheid verletzt somit
Art. 9 BV
nicht. | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d36bcad0-8704-41c6-bc87-d88fe5bbbe27 | Urteilskopf
120 Ia 74
11. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 14 mars 1994 dans la cause Société des encaveurs de vins suisses, l'Union des négociants en vins du Valais et consorts contre Conseil d'Etat du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Art. 31 und 4 BV
; Art. 2 ÜbBest. BV; Art. 11 Abs. 7 des Beschlusses vom 7. Juli 1993 über die Ursprungsbezeichnungen der Walliser Weine (AOC-Beschluss); Verbot des Verschnitts ohne Angabe im Sinne von
Art. 337 LMV
und des Auffüllens der Fässer im Sinne von
Art. 343 LMV
.
Art. 11 des AOC-Beschlusses, der den Verschnitt ohne Angabe und das Auffüllen der Fässer für Weine mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung verbietet, beruht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage und verletzt Art. 2 ÜbBest. BV nicht (E. 4).
Das Verbot des Auffüllens der Fässer beruht auf einem genügenden öffentlichen Interesse und verletzt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit gemäss
Art. 31 BV
nicht (E. 5); auch bewirkt es keine ungleiche Behandlung im Vergleich zu andern Weinbaukantonen (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 120 Ia 74 S. 75
A.-
L'art. 18 de l'arrêté fédéral du 19 juin 1992 sur la viticulture (RS 916.140.1; ci-après: arrêté fédéral) traite de l'appellation d'origine contrôlée et prévoit à son alinéa 1:
"L'appellation d'origine contrôlée désigne un vin dont la qualité répond
aux normes fixées par les cantons. Celles-ci concernent:
a. la délimitation des zones de production;
b. l'encépagement;
c. les méthodes de culture;
d. les teneurs naturelles minimales en sucre;
e. les rendements à l'unité de surface;
f. les procédés de vinification;
g. l'analyse et l'examen organoleptique."
A son art. 22, la loi valaisanne du 26 mars 1980 sur la viticulture dispose:
"1 Par la voie d'un arrêté, le Conseil d'Etat peut, les organisation professionnelles entendues:
a) édicter des prescriptions relatives aux pratiques vinicoles et commerciales, en vue de favoriser la qualité;
b) arrêter les modalités du paiement différencié des apports de vendanges:
- selon la qualité, notamment la teneur en sucre naturel (degré OEchslé);
- à titre complémentaire, selon les régions et les zones de provenance, en ne s'écartant pas d'une différence maximale de prix de 4% entre la première et la dernière zone;
c) prendre des mesures pour protéger les appellations spécifiques ou régionales réservées aux vins du Valais et fixer les exigences minimales auxquelles doivent répondre les vendanges et les vins pour avoir droit à ces appellations."
B.-
Fondé notamment sur l'arrêté fédéral du 19 juin 1992 et sur la loi cantonale du 26 mars 1980, le Conseil d'Etat du canton du Valais a pris le 7 juillet 1993 un arrêté sur les appellations des vins du Valais (arrêté AOC). Les vins produits en Valais sont, d'après l'art. 3 de cet arrêté, classés en trois catégories. Dans la catégorie I, on trouve les vins à appellation d'origine contrôlée (AOC). L'art. 6 de l'arrêté AOC fixe les limites qualitatives de rendement à l'unité de surface pour les différentes catégories de vins. L'art. 8 de l'arrêté
BGE 120 Ia 74 S. 76
AOC prévoit qu'un plafond limite de classement est fixé pour chaque catégorie à 0,1 kg/m2 ou à 0,08 l/m2 au-dessus des limites qualitatives de rendement de l'art. 6 (al. 1); les quantités comprises entre la limite qualitative et le plafond limite de classement sont admises en totalité dans la catégorie concernée (al. 2).
L'art. 11 de l'arrêté AOC comprend diverses prescriptions relatives aux vins d'appellation d'origine contrôlée et notamment à l'alinéa 7 la règle suivante:
"Le coupage sans déclaration au sens de l'
art. 337 ODA
et le ouillage au sens de l'
art. 343 ODA
sont prohibés pour les vins AOC."
Le droit cantonal fait ici référence à l'ordonnance du Conseil fédéral du 26 mai 1936 sur les denrées alimentaires et les objets usuels (ODA; RS 817.02). L'
art. 337 al. 6 ODA
prévoit:
"Pour les années de récoltes qualitativement défavorables, les cantons peuvent autoriser un coupage sans déclaration de tous les vins ou de certains vins de leur territoire avec désignation d'origine, de provenance ou d'ensemble. Le vin ajouté ne doit pas dépasser 15 pour cent en volume du mélange. Le coupage doit se faire avec des vins de même couleur et de qualité au moins équivalente; seuls peuvent être utilisés des vins indigènes avec désignation d'origine, de provenance ou d'ensemble, le coupage avec des vins étrangers avec désignation d'origine étant cependant autorisé pour les vins rouges."
Quant à l'
art. 343 ODA
, il dispose:
"1 Pour compenser l'évaporation, pour l'ouillage ou pour le traitement améliorant en cave, un vin encavé peut être additionné, dans la proportion de 8 pour cent au maximum et au total, d'un vin répondant à cette fin (art. 334, 6e al. excepté). Cette addition peut se faire en une ou plusieurs fois. La quantité autorisée pour les coupages par les articles 337 et 338 en est diminuée d'autant.
2 Le traitement d'un vin blanc indigène, dans le sens de cet article, ne peut être fait qu'avec du vin blanc indigène (art. 337)."
Lors de la procédure d'adoption de l'arrêté AOC, la majorité de la commission désignée pour examiner les mesures d'application de l'arrêté fédéral sur la viticulture s'était prononcée en faveur de la suppression du coupage sans déclaration et de l'ouillage. L'Office cantonal de la viticulture avait ensuite proposé au Conseil d'Etat un délai transitoire de 5 ans avant la mise en vigueur de cette mesure; ledit office avait envisagé que, pour la Dôle, la proportion de vins issus de cépages valaisans autres que le Pinot et le Gamay pouvait aller jusqu'à 15%. Le Conseil d'Etat a supprimé immédiatement le
BGE 120 Ia 74 S. 77
coupage sans déclaration et l'ouillage mais a admis que la proportion d'autres vins pouvait s'élever à 20% (art. 18 de l'arrêté AOC).
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, la Société des encaveurs de vins suisses et l'Union des négociants en vins du Valais notamment ont conclu à l'annulation de l'art. 11 al. 7 de l'arrêté du 7 juillet 1993 sur les appellations des vins du Valais (arrêté AOC). Invoquant les
art. 4 et 31 Cst.
, ainsi que l'art. 2 Disp. trans. Cst., les recourantes font valoir, en substance, que la disposition critiquée est dépourvue de base légale, celle-ci ne pouvant se trouver ni dans l'arrêté fédéral sur la viticulture, ni dans la loi cantonale sur la viticulture; de plus, la prescription critiquée serait contraire à l'ordonnance sur les denrées alimentaires, car elle interdirait un procédé autorisé par le droit fédéral, sans que celui-ci laisse place à une réglementation cantonale plus restrictive. L'art. 11 al. 7 de l'arrêté AOC ne répondrait pas à un intérêt public suffisant, car il interdit un procédé qui a pour but d'améliorer la qualité du vin. A tout le moins, la mesure incriminée serait contraire au principe de proportionnalité, en ce sens qu'un délai transitoire aurait dû être laissé aux intéressés pour qu'ils puissent planter les cépages de remplacement, permettant lors de l'assemblage des vins d'en assurer l'équilibre et la coloration voulue.
Le Tribunal fédéral a rejeté les recours dans la mesure où ils étaient recevables.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
a) Les recourantes soutiennent d'abord que, sur le point incriminé, l'arrêté cantonal attaqué ne repose pas sur une base légale suffisante.
Contrairement à cette affirmation, l'art. 11 al. 7 de l'arrêté AOC peut se fonder sur l'art. 18 al. 1 lettre f de l'arrêté fédéral sur la viticulture, car le coupage et l'ouillage, soit ici leur interdiction, rentrent dans les procédés de vinification au sens de cette dernière disposition. Il est exact que le système des appellations d'origine contrôlée a notamment pour but d'améliorer la qualité des vins. Toutefois, il est inutile d'examiner si les procédés en cause sont propres à promouvoir la qualité; les recourantes prétendent à cet égard que l'interdiction incriminée irait à l'encontre du but recherché, sans pour autant nier que les autres mesures adoptées par ailleurs aillent dans le sens d'une amélioration de la qualité (limitation du rendement à la surface, teneurs minimales en sucre naturel, ...). En
BGE 120 Ia 74 S. 78
effet, l'art. 18 de l'arrêté fédéral sur la viticulture se trouve dans la section 5 consacré à la récolte, à la promotion de la qualité et aux appellations. Il rentre tout à fait dans le but visé par les appellations d'origine contrôlée, soit la promotion de produits de qualité d'une région déterminée. Cette disposition permet donc aux cantons de fixer des exigences relatives à la seule utilisation de raisins cultivés dans une certaine région pour garantir l'authenticité du produit (ou de préciser les cépages qui peuvent être utilisés pour produire un vin d'une certaine dénomination). L'art. 22 al. 1 lettres a et c de la loi valaisanne sur la viticulture peut également être interprété dans le même sens. On peut encore relever que l'interdiction critiquée s'insère aussi dans le système de limitation quantitative de la production (au maximum 1,4 kg/m2 pour les raisins blancs et 1,2 kg/m2 pour les raisons rouges destinés à l'élaboration de moûts de la catégorie I selon l'art. 20 al. 1 de l'arrêté fédéral, étant précisé que le Valais s'en est pratiquement tenu à ce maximum selon les art. 6 et 8 de l'arrêté AOC). En effet, les vins ajoutés en cave lors du coupage ou de l'ouillage contribueraient à augmenter les quantités mises sur le marché, alors même que la production à la vigne est limitée.
Il est dès lors inutile de rechercher si la disposition attaquée trouve ou non une base légale dans l'ordonnance fédérale sur les denrées alimentaires, ce que contestent les recourantes.
b) En revanche, il convient d'examiner si, comme elles le soutiennent, l'art. 11 al. 7 de l'arrêté cantonal AOC viole l'art. 2 Disp. trans. Cst. parce qu'il serait contraire au droit fédéral, et plus spécialement aux
art. 337 al. 6 et 343 ODA
. Selon les recourantes, ces dernières dispositions autoriseraient le coupage sans déclaration et l'ouillage, sans que les cantons puissent interdire ces procédés. A tout le moins, ce raisonnement devrait être suivi pour l'ouillage, la possibilité d'autoriser le coupage sans déclaration devant cependant être conservée, mais uniquement pour les années de récolte qualitativement défavorable selon l'
art. 337 al. 6 ODA
.
La question posée ne saurait être résolue en examinant le droit cantonal uniquement sous l'angle de l'ordonnance sur les denrées alimentaires puisque, comme on l'a vu, une autre règle de droit fédéral, soit l'art. 18 de l'arrêté fédéral sur la viticulture, permet aux cantons d'ordonner des mesures restrictives propres à promouvoir l'authenticité des vins d'appellation d'origine contrôlée et qu'on peut en principe y ranger l'interdiction du coupage sans déclaration et de l'ouillage. En fait, selon l'art. 54 al. 1 de la loi fédérale du 8 décembre 1905 sur le commerce des denrées alimentaires et de divers objets
BGE 120 Ia 74 S. 79
usuels (LCDA; RS 817.0), le Conseil fédéral édicte les dispositions propres à sauvegarder la santé publique et à prévenir toute fraude dans le commerce des marchandises et objets soumis au contrôle institué par la loi. C'est sur cette base notamment qu'a été édictée l'ordonnance sur les denrées alimentaires, qui fixe les exigences propres à garantir la santé du consommateur et à éviter qu'il ne soit trompé. Dès lors, dans le domaine des appellations d'origine contrôlée, les cantons peuvent (et parfois même doivent) aller au-delà pour améliorer la qualité du produit ou faire en sorte qu'il soit complètement issu du terroir. Il s'agit de buts particuliers découlant de l'arrêté fédéral sur la viticulture, qui ne sont pas en contradiction avec l'ordonnance sur les denrées alimentaires. La disposition incriminée n'est en conséquence pas contraire à ladite ordonnance et repose du reste sur d'autres bases que celle-ci. Le grief que les recourantes voudraient tirer du fait que l'arrêté cantonal n'a pas été approuvé par le Conseil fédéral conformément à l'ordonnance sur les denrées alimentaires tombe donc à faux, indépendamment du fait que ce moyen n'est pas motivé conformément aux exigences de l'
art. 90 al. 1 lettre b OJ
.
5.
Les recourantes soutiennent ensuite que l'interdiction de l'ouillage ne répond pas à un intérêt public suffisant et violerait le principe de proportionnalité (le grief n'est pas suffisamment motivé au regard de l'
art. 90 al. 1 lettre b OJ
pour ce qui concerne le coupage sans déclaration, de sorte qu'il est irrecevable). Le Tribunal fédéral examine librement si une limitation à la liberté du commerce et de l'industrie remplit ces deux conditions; il s'impose toutefois une certaine retenue lorsqu'il s'agit de tenir compte de circonstances locales ou de trancher de pures questions d'appréciation (
ATF 118 Ia 175
consid. 3a p. 181;
ATF 116 Ia 118
consid. 5 p. 123).
a) Selon les recourantes, l'interdiction de l'ouillage viserait à favoriser l'utilisation exclusive de produits du pays au détriment de la qualité. En effet, l'ouillage permettrait une amélioration qualitative et serait nécessaire pour obtenir une coloration suffisante du vin, tout en abaissant son prix. Il faut d'abord relever que l'ouillage n'assure pas en lui-même une amélioration de la qualité. Les recourantes reconnaissent que ce procédé doit de toute façon être utilisé avec mesure et discernement. Sauf à en contrôler la mise en oeuvre, il pourrait même selon les circonstances aller à l'encontre d'une amélioration qualitative. L'autorité cantonale remarque que cette recherche de la qualité peut déjà être atteinte par les autres mesures
BGE 120 Ia 74 S. 80
adoptées, qui ne sont du reste pas contestées par les recourants (limitation du rendement à la surface, teneurs minimales en sucre naturel...). Par ailleurs, une coloration convenable devrait être également atteinte grâce aux progrès des méthodes de vinification. L'authenticité du produit peut aussi être considérée comme un élément positif à prendre en considération dans l'appréciation d'ensemble de la situation; ce facteur est du reste maintenant mis en évidence par certains producteurs comme élément de publicité. Le Conseil d'Etat relève encore que l'équilibre de la Dôle pourra être assuré par la possibilité d'y inclure jusqu'à 20% de cépages cultivés en Valais autres que le Pinot noir et le Gamay. Compte tenu de la marge qui doit être reconnue au Conseil d'Etat sur une question qui relève en partie en tout cas de l'appréciation, la condition d'un intérêt public suffisant est remplie.
b) Les recourantes prétendent que le principe de proportionnalité serait en tout cas violé dans la mesure où l'interdiction de l'ouillage a été introduite sans délai transitoire. Pour l'équilibre et la coloration des vins rouges et notamment de la Dôle, il est certes concevable de recourir à d'autres cépages. Ceux-ci ne sont cependant actuellement cultivés qu'en faible quantité et un délai de 5 ans serait indispensable pour atteindre une production suffisante.
Le Conseil d'Etat peut cependant invoquer la nécessité de mettre en place rapidement un ensemble de mesures cohérentes. Le secteur vini-viticole a connu ces dernières années des difficultés certaines et l'on peut comprendre que le Conseil d'Etat ne veuille pas attendre pour appliquer les dispositions propres à prévenir des problèmes. Comme le relève l'autorité intimée, les mesures concernant les vignerons, notamment la limitation quantitative du rendement, sont déjà applicables. Il y a une certaine logique à mettre simultanément en oeuvre les prescriptions applicables à la cave. Il faut relever que les avis étaient partagés sur l'application immédiate de l'art. 11 al. 7 de l'arrêté AOC. La majorité de la commission consultée par le Conseil d'Etat allait dans ce sens, alors que l'Office de la viticulture avait admis une période transitoire. Compte tenu de la marge d'appréciation qui doit être reconnue au Conseil d'Etat, l'application immédiate de l'interdiction de l'ouillage ne viole pas le principe de proportionnalité, d'autant que les autres mesures en vigueur sont de nature à permettre de résoudre les problèmes évoqués par les recourants. En ce qui concerne notamment la coloration des vins, le consommateur devrait admettre certaines variations selon les années de production.
BGE 120 Ia 74 S. 81
6.
Même si d'autres cantons n'ont apparemment pas adopté une règle comparable à l'art. 11 al. 7 de l'arrêté attaqué, les recourants ne sont pas victimes d'une inégalité de traitement. Cette différence est due à la marge laissée aux cantons par le droit fédéral. Il faut du reste relever que d'autres cantons ont parfois pris des mesures de limitation de rendement à la surface plus restrictives que celles retenues par le canton du Valais. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d36ddb70-80c1-4bfb-97eb-f8c1b4dd17cf | Urteilskopf
120 III 79
25. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 2 juin 1994 dans la cause X. et Y. (recours LP) | Regeste
Art. 97 Abs. 1 SchKG
und 9 VZG; Schätzung des Verkaufswerts eines Grundstücks, auf dem ein Gebäude errichtet wird.
Zulässigkeit des Rekurses an das Bundesgericht im Bereich der Schätzung gepfändeter Vermögensstücke (E. 1).
Das Grundstück, dessen mutmasslicher Verkaufswert nach
Art. 9 Abs. 1 VZG
zu bestimmen ist, umfasst nicht nur die Bodenfläche, sondern auch die darauf befindlichen Gebäude, gleichgültig ob sie fertiggestellt sind oder nicht (E. 2a).
Liegen voneinander abweichende Schätzungen zweier gleich kompetenter Sachverständiger vor, so ist es zulässig, sich für einen Mittelwert zu entscheiden (E. 2b). Berechnungsgrundlagen dieses Mittels (E. 2c).
Bedeutung der Schätzung namentlich für allfällige Bieter und Baupfandgläubiger. Frage offengelassen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 79
BGE 120 III 79 S. 79
Dans le cadre de poursuites en réalisation d'un gage immobilier intentées contre X. et Y., débiteurs solidaires, la banque Z. a requis la
BGE 120 III 79 S. 80
réalisation de l'objet du gage, savoir une parcelle de 6078 m2 sur laquelle une importante construction de style méditerranéen est en cours de réalisation. Pour procéder à l'estimation de l'immeuble en question, l'office des poursuites s'est adjoint le concours de l'architecte C. Dans son rapport, celui-ci a dégagé deux valeurs, l'une de 3'400'000 fr., tenant compte du projet de construction en cours de réalisation (villa individuelle de haut standing avec logement de service) dans son état actuel, et l'autre de 2'222'000 fr., tenant compte des travaux de démolition des constructions déjà réalisées et de remise en état de la parcelle en vue d'une nouvelle mise en valeur. Dans ses procès-verbaux d'estimation, l'office a retenu comme valeur d'estimation du gage un montant de 2'200'000 fr.
Par la voie d'une plainte, les débiteurs ont requis l'annulation de l'estimation ainsi qu'une nouvelle expertise. En cours de procédure, les parties sont convenues de confier celle-ci à l'architecte J., qui a estimé à 6'880'000 fr. la valeur totale du terrain et des constructions existantes, déduction faite des moins-values et compte non tenu de l'intérêt d'un repreneur éventuel des constructions en l'état.
L'autorité cantonale inférieure de surveillance a admis la plainte en ce sens que l'immeuble litigieux devait être estimé à 4'500'000 fr., moyen terme entre les montants avancés par les experts. X. et Y. ont recouru à l'autorité cantonale supérieure de surveillance en lui demandant d'arrêter la valeur estimative du gage à 6'880'000 fr. La Cour cantonale a rejeté leur recours et confirmé le prononcé entrepris.
X. et Y. ont déféré l'arrêt cantonal à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Ils reprochaient à l'autorité cantonale d'avoir commis un excès ou un abus de son pouvoir d'appréciation, et d'avoir violé les art. 9 et 11 al. 1 ORI (RS 281.42). Ils ont conclu principalement à la réforme de l'arrêt attaqué, leur immeuble devant être estimé à 6'880'000 fr., subsidiairement à son annulation, la cause étant renvoyée à l'autorité cantonale pour nouvelle instruction et nouveau jugement. La Chambre des poursuites et des faillites a admis partiellement le recours dans la mesure où il était recevable et a réformé l'arrêt attaqué en ce sens que l'immeuble des recourants devait être estimé à 5'140'000 fr. et les procès-verbaux d'estimation du gage corrigés en conséquence.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Les autorités cantonales de surveillance tranchent en principe définitivement les litiges qui ont trait à l'estimation des biens saisis,
BGE 120 III 79 S. 81
car il s'agit là de questions d'appréciation (art. 9 al. 2 in fine ORI;
ATF 101 III 32
consid. 1 p. 33). Toutefois, l'abus ou l'excès du pouvoir d'appréciation étant assimilé à une violation de la loi au sens des
art. 19 LP
et 78 ss OJ (
ATF 106 III 75
consid. 2 p. 78,
ATF 103 III 79
consid. 2 p. 82; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 58), le Tribunal fédéral peut être requis d'intervenir, notamment si l'autorité a retenu des critères inappropriés ou n'a pas tenu compte de circonstances pertinentes (
ATF 110 III 17
consid. 2 p. 18 et arrêts cités; SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, Berne 1990, p. 721). Il peut également revoir une décision rendue en matière d'estimation de biens saisis lorsque l'autorité cantonale viole des règles fédérales de procédure (
ATF 101 III 32
consid. 1 p. 33).
2.
Aux termes de l'art. 9 al. 1 ORI, l'estimation doit déterminer la valeur vénale présumée de l'immeuble.
a) Les constructions érigées sur un fonds constituent des parties intégrantes de celui-ci en vertu de la loi (
art. 667 al. 2 et 671 CC
), indépendamment de la réalisation des trois conditions de l'
art. 642 al. 2 CC
qui sont: le lien matériel, le lien intellectuel et la reconnaissance par l'usage local (STEINAUER, Les droits réels, tome I, 2e éd. 1990, n. 1047 ss et tome II, 2e éd. 1994, n. 1622 ss).
L'immeuble dont la valeur vénale présumée doit être déterminée selon l'art. 9 al. 1 ORI comprend donc, de par la loi, non seulement le terrain mais aussi les constructions qui s'y trouvent, qu'elles soient achevées ou non (cf. STEINAUER, op.cit., t. II, n. 1623). Il suit de là que les recourants ne peuvent se plaindre que de la violation de la disposition précitée; ils ne sauraient se prévaloir en outre de l'art. 11 al. 1 ORI, disposition relative aux choses qui sont parties intégrantes (ou accessoires) d'après l'usage local et non pas, comme les constructions érigées sur un fonds, en vertu de la loi.
b) En l'espèce, les experts désignés en conformité des
art. 97 al. 1 LP
et 9 al. 2 ORI, aussi compétents l'un que l'autre selon les constatations souveraines de l'autorité cantonale (art. 63 al. 2 en liaison avec l'
art. 81 OJ
), ont arrêté la valeur vénale présumée à deux montants très différents. Ainsi que l'ont relevé avec raison les autorités cantonales de surveillance, il n'est pas rare que deux hommes de l'art ou deux connaisseurs aient un avis différent sur le même objet, les critères d'estimation pouvant varier considérablement de l'un à l'autre. Cela étant et comme en matière technique l'autorité s'en remet en principe à l'avis des experts (cf.
ATF 118 Ia 144
), il était raisonnable de trancher pour un
BGE 120 III 79 S. 82
moyen terme entre les deux estimations. L'autorité cantonale supérieure de surveillance n'a dès lors pas commis d'excès ou d'abus de son pouvoir d'appréciation en confirmant une telle solution.
c) Les recourants ne reprochent d'ailleurs pas en soi à l'autorité cantonale d'avoir opté pour une estimation moyenne. Ils contestent simplement l'un des deux termes pris en considération pour le calcul de cette moyenne: celle-ci aurait dû être établie entre le montant de la seconde expertise (6'880'000 fr.) et le montant supérieur de la première expertise, soit 3'400'000 fr. - estimation tenant compte de la valeur des constructions en l'état et paraissant la plus favorable aux yeux de l'expert - et non pas 2'222'000 fr., correspondant à la valeur du seul terrain remis en état après démolition des constructions existantes.
Conformément à ce qui a été exposé sous let. a ci-dessus, force est de donner raison aux recourants sur ce point. Outre que la moyenne établie en l'espèce l'a été entre deux termes incompatibles parce que reposant sur des critères différents, à savoir une estimation tenant compte des constructions existantes et l'autre pas, l'autorité cantonale ne pouvait confirmer comme base de calcul une estimation qui n'avait pas été déterminée conformément à la loi et qui, au dire de l'expert concerné, n'apparaissait d'ailleurs pas comme l'hypothèse la plus favorable. Au demeurant, contrairement à un principe général maintes fois répété dans la jurisprudence fédérale (cf. notamment
ATF 118 Ia 144
,
ATF 107 IV 7
,
ATF 101 Ia 545
consid. 4 p. 552) et expressément consacré en droit vaudois par l'
art. 243 CPC
(POUDRET/WURZBURGER/HALDY, Procédure civile vaudoise, ad art. 243; HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, 2e éd., Genève 1981, p. 442), les autorités cantonales de surveillance n'ont pas indiqué les motifs qui commandaient en l'espèce de s'écarter de la conclusion de l'expert jugée pourtant la plus favorable, bien qu'assortie de réserves (intérêt d'une clientèle limitée; vente pas évidente pour une reprise et une finition des travaux).
3.
Les recourants reprochent à l'autorité cantonale de n'avoir tenu compte que des prétentions de la créancière gagiste poursuivante.
Le rôle de l'estimation prévue à l'
art. 97 al. 1 LP
et aux art. 8 et 9 ORI est de servir les intérêts des créanciers et du débiteur (
ATF 112 III 75
consid. 1a p. 77,
ATF 97 III 18
consid. 2a p. 20). L'estimation sert en outre à renseigner d'éventuels enchérisseurs (
ATF 101 III 32
consid. 1 p. 34 et arrêt cité; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach
BGE 120 III 79 S. 83
schweizerischem Recht, vol. I, 3e éd., Zurich 1984, § 23 n. 28).
L'arrêt attaqué se borne à considérer sur la question que, dès lors que le montant finalement retenu comme valeur estimative du gage (4'500'000 fr.) suffit à couvrir les prétentions de la créancière gagiste (4'371'488 fr. 90), une telle appréciation ne saurait être tenue pour dénuée de fondement.
Selon les recourants, l'autorité cantonale aurait dû prendre également en considération l'intérêt des éventuels enchérisseurs, ainsi que celui des créanciers hypothécaires légaux, en vertu du privilège dont ces derniers jouissent par rapport aux autres créanciers de rang antérieur (
art. 841 CC
). Leur grief ne reposant toutefois sur aucun élément de fait constaté dans la décision attaquée, le Tribunal fédéral ne saurait entrer en matière sur ce point: dans le cadre du recours prévu par l'
art. 19 LP
, celui-ci ne peut en effet qu'être appelé à trancher des cas concrets, non à discuter de situations hypothétiques et à débattre de questions purement théoriques (cf. SANDOZ-MONOD, op.cit., p. 729 n. 3.2.1).
4.
Il résulte de ce qui précède que la solution du moyen terme ne constitue pas une violation de la loi (consid. 2b) et que c'est le montant de 3'400'000 de la première expertise qui doit intervenir dans le calcul de cette moyenne (consid. 2c). Le montant de l'estimation devant ainsi être arrêté à 5'140'000 fr. [(6'880'000 + 3'400'000) x 1/2], le Tribunal fédéral peut statuer lui-même dans ce sens. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d36e8926-3863-40af-816f-2ed23d223180 | Urteilskopf
96 II 39
8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Februar 1970 i.S. Huwiler gegen Varisco. | Regeste
Art. 60 Abs. 1 und 2 OR
.
Bei einem Dauerzustand beginnt die Verjährung nach
Art. 60 Abs. 1 OR
für die Geltendmachung des Ersatzanspruches nicht vor Abschluss der Entwicklung des Schadens (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).
Die nach
Art. 60 Abs. 2 OR
auf den Zivilanspruch anwendbare längere Verjährungsfrist des Strafrechts beginnt mit der Begehung der Straftat (Präzisierung der Rechtsprechung; Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 96 II 39 S. 39
A.-
Am 6. Juni 1955 wurde Arthur Huwiler im Verlaufe eines Streites von seinem Nachbar Franz Varisco und dessen gleichnamigem Sohn tätlich angegriffen und zweimal zu Boden geworfen. Er zog sich dabei verschiedene Schürfungen zu und
BGE 96 II 39 S. 40
klagte in der Folge über Schmerzen in der Gesäss- und Lendengegend. Huwiler stand bei verschiedenen Ärzten in Behandlung und unterzog sich in den Jahren 1959-1963 drei Rückenoperationen.
Am 29. November 1956 verurteilte das Bezirksgericht Baden auf Strafanzeige Huwilers hin Vater Varisco wegen einfacher Körperverletzung sowie wegen Hausfriedensbruches zu einer Busse von Fr. 80.- und verwies die Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche Huwilers auf den Zivilweg.
Am 25. Juni 1957 belangte Huwiler die SUVA beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau auf Leistungen gemäss KUVG. Das Gericht sprach Huwiler am 11. Mai 1959 die ärztlichen Behandlungskosten vom 6. Juni bis 15. August 1955 von Fr. 108.55 und ein Krankengeld für 12 Tage von Fr. 230.40 zu und wies die Klage im übrigen ab.
Das Eidg. Versicherungsgericht bestätigte am 10. September 1959 auf Berufung Huwilers den Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichtes.
B.-
Am 1. Juni 1965 reichte Huwiler beim Bezirksgericht Baden gegen die Söhne Franz und Paul Varisco sowie deren Mutter Klage ein. Er beantragte, die Beklagten "wegen schwerer Körperverletzung und Anstiftung dazu" zu bestrafen und zu Schadenersatz von Fr. 205 425.89 sowie zur Leistung einer Genugtuung von Fr. 30 000.-- zu verurteilen. Der Klage lag ein Weisungsschein bei, der Huwiler als Kläger, Vater Varisco und dessen Sohn Franz als Beklagte bezeichnete und eine Forderung von Fr. 235 425.89 erwähnte. Da lediglich der Sohn Franz Varisco sowohl im Weisungsschein als auch in der Klageschrift aufgeführt war, wurde das Verfahren nur gegen diesen, und zwar als Zivilverfahren durchgeführt.
Das Bezirksgericht Baden und auf Berufung des Klägers hin am 21. März 1969 das Obergericht des Kantons Aargau schützten die Verjährungseinrede des Beklagten und wiesen die Klage ab.
C.-
Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichtes die Berufung erklärt. Er hält an den zivil- und strafrechtlichen Anträgen, die er im erstinstanzlichen Verfahren gestellt hat, fest. Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
BGE 96 II 39 S. 41
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Nach
Art. 60 Abs. 1 OR
verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung in einem Jahr von dem Tage hinweg, da der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablauf von 10 Jahren, vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet. Die absolute Verjährungsfrist von 10 Jahren war noch nicht abgelaufen, als der Kläger im März 1965 die Durchführung der Sühneverhandlung verlangte. Es ist daher zunächst zu prüfen, in welchem Zeitpunkt der Kläger Kenntnis vom Schaden erlangt und ob er vor Ablauf eines Jahres die einjährige Frist unterbrochen hat.
a) Nach der Rechtsprechung hat der Geschädigte Kenntnis vom Schaden, wenn er die Beschaffenheit und die wesentlichen Merkmale, d.h. alle tatsächlichen Umstände kennt, die geeignet sind, eine Klage zu veranlassen und zu begründen. Ergibt sich das Ausmass des Schadens aus einem Sachverhalt, der sich noch weiter entwickelt, so beginnt die Verjährung nicht vor Abschluss dieser Entwicklung zu laufen. Auch bedarf der Geschädigte unter Umständen noch einer gewissen Zeit, um entweder selber oder mit Hilfe eines Dritten den Verlauf der unerlaubten Handlung und das endgültige Ausmass des Schadens abschätzen zu können (
BGE 92 II 4
Erw. 3 und dort erwähnte Entscheide).
b) Es steht fest, dass der Kläger am 25. Juni 1957 beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau gegen die SUVA unter anderem auf Leistung einer Dauerrente von 25% des Jahresverdienstes wegen unfallbedingter Teilinvalidität klagte; er behielt sich eine grössere Entschädigung für den Fall vor, dass die vom Gericht zu veranlassende Begutachtung eine grössere Teilinvalidität ergeben sollte. Der Kläger berief sich für die Invaliditätsentschädigung auf die Zeugnisse von zwei Ärzten und eines Chiropraktors, die eine Verschiebung der unteren Lendenwirbelsäule festgestellt hatten, sowie auf die ärztlich bestätigte Notwendigkeit, ein Stützmieder zu tragen. Professor Dubois, Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Inselspitals Bern, der am 13. Januar 1959 zuhanden des aargauischen Versicherungsgerichtes ein Gutachten erstellt hatte, bezeichnete die an den Hals- und Brustwirbeln des Klägers festgestellten krankhaften Veränderungen und die damit verbundenen Beschwerden als
BGE 96 II 39 S. 42
unfallfremd. Ausserdem führte der Gutachter die behaupteten Rückenschmerzen des Klägers nur zum Teil und zeitlich befristet auf die tätliche Auseinandersetzung zurück und zwar unter der Voraussetzung, dass der Nachweis gelinge, dass sich der Kläger unmittelbar nach dem Streit über Beschwerden beklagt hat. Diese hätten aber - so führt der Gutachter aus - im Zeitpunkt seines Berichtes, d.h. dreieinhalb Jahre "nach dem eher banalen Ereignis", nicht mehr bestanden, da keine feststellbaren Gewebeverletzungen erfolgt seien. Dr. Brügger, auf den sich der Kläger zur Entkräftung des gerichtlichen Gutachtens berief, äusserte in einem Bericht der neurochirurgischen Klinik der Universität Zürich vom 7. Februar 1958 die Auffassung, die beim Kläger festgestellten krankhaften Veränderungen an der Wirbelsäule hätten zwar schon am 6. Juni 1955 bestanden, sich aber erst später - möglicherweise als Folgen des Unfalles - durch Beschwerden bemerkbar gemacht. Dr. Brügger verneinte damals eine bereits feststehende Invalidität, weil er der Auffassung war, die behaupteten Beschwerden des Klägers seien einer Behandlung noch durchaus zugänglich. Das Eidg. Versicherungsgericht verschloss sich der Ansicht von Dr. Brügger über die allfälligen Auswirkungen der tätlichen Auseinandersetzung nicht, lehnte aber die Haftung der SUVA deshalb ab, weil der Kläger nach den Ausführungen des gerichtlichen Gutachters nicht einmal den "Beweis der Wahrscheinlichkeit" erbracht habe, dass die angeblichen Beschwerden des Klägers durch den Streit vom 6. Juni 1955 ausgelöst worden seien. Im Jahre 1959 unterzog sich der Kläger in Schaffhausen einer ersten Rückenoperation (Spanversteifung). Auf Begehren des Klägers stellte Dr. Brügger am 4. März 1960 "zuhanden des Gerichtes" ein neues ärztliches Zeugnis aus, in dem er die durchgeführte Operation als Folge der tätlichen Auseinandersetzung bezeichnete und eine vorbestandene Krankheit verneinte. Das von Dr. Vollmann in Baden am 2. August 1960 aufgenommene Röntgenbild förderte nichts Neues zutage, da die damals festgestellte Wirbelverschiebung bereits in der Klage an das aargauische Versicherungsgericht geltend gemacht wurde. Im Winter 1960/61 fand im städtischen Krankenhaus in Baden die zweite Rückenoperation zwecks Behebung der mangelhaften knöchernen Einheilung statt. Der Erfolg war bloss vorübergehend. Am 24. Oktober 1963 liess sich der Kläger auf eigene Verantwortung den Span im städtischen Krankenhaus Baden stückweise entfernen. Dr. Ambühl, ehemaliger Chefarzt dieses Spitals,
BGE 96 II 39 S. 43
stellte in einem Zeugnis vom 3. Juni 1964 fest, der Kläger habe ihm gegenüber am 29. Oktober 1963 bestätigt, die früher vorgebrachten Beschwerden (Kreuz-, Rücken- und Nackenschmerzen usw.) seien völlig verschwunden und er verspüre gelegentlich noch etwas "Krosen" im Nacken. Spätestens in diesem Zeitpunkt war die Entwicklung des Schadens abgeschlossen und fing die einjährige Verjährungsfrist nach
Art. 60 Abs. 1 OR
zu laufen an. Diese war verstrichen, als der Kläger im März 1965 an den Friedensrichter gelangte.
3.
Zu prüfen ist, ob
Art. 60 Abs. 2 OR
als subsidiäre Vorschrift anwendbar ist. Diese Bestimmung greift anstelle von Art. 60 Abs. 1 ("wird jedoch ...") Platz, wenn ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung hergeleitet wird, für die das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht (
BGE 49 II 359
,
BGE 55 II 25
,
BGE 77 II 319
).
a)
Art. 60 Abs. 2 OR
setzt keine strafrechtliche Verurteilung, sondern eine strafbare Handlung voraus. Der Zivilrichter ist indessen an den Entscheid der Strafverfolgungsbehörde, die den Strafanspruch des Staates rechtskräftig beurteilt hat, gebunden. Fehlt ein solcher Entscheid, so prüft der Zivilrichter frei, ob eine strafbare Handlung vorliege. Ob eine Tat nur auf Antrag bestraft werden darf, ist indessen unerheblich, da der Strafantrag Prozessvoraussetzung, nicht Strafbarkeitsbedingung ist (
BGE 93 II 500
Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide).
Wie die Vorinstanz ausführt, wurde das Strafverfahren nur gegen den Vater des Beklagten durchgeführt. Sie stellt ferner auf Grund der Strafakten fest, dass der Beklagte an der tätlichen Auseinandersetzung vom 6. Juni 1955 beteiligt gewesen ist und den Kläger beim zweiten Mal zu Boden geworfen hat. Professor Dubois bezeichnete den Vorfall als "banal" und stellte fest, dass zur Zeit der Begutachtung, d.h. dreieinhalb Jahre später, keine unfallbedingten Schäden nachweisbar waren. Wenn eine strafbare Handlung des Beklagten anzunehmen ist, so kommt eine einfache Körperverletzung im Sinne des
Art. 123 Ziff. 1 StGB
in Betracht, die auf Antrag mit Gefängnis bestraft werden kann. Die ordentliche Strafverfolgungsverjährung beträgt fünf Jahre (
Art. 70 StGB
), die absolute siebeneinhalb Jahre (
Art. 72 StGB
).
b) Es fragt sich, ob die "längere Verjährungsfrist" des Strafrechts im Zeitpunkt der Tat oder erst mit der Kenntnis des Schadens zu laufen beginnt.
Im Entscheid 77 II 314 f. vertrat das Bundesgericht die Auffassung,
BGE 96 II 39 S. 44
Art. 60 Abs. 2 OR
ordne nicht nur die Dauer der Frist, sondern unterstelle die Verjährung auch in den anderen Punkten den strafrechtlichen Regeln, z.B. bezüglich Fristbeginn, Stillstand und Unterbrechung; sei die Strafverfolgung verjährt, so beurteile sich nur noch nach Art. 60 Abs. 1, ob auch der Zivilanspruch verjährt sei.
Im Entscheid 91 II 429 f. rückte das Bundesgericht von dieser Auffassung ab. Es gelangte gestützt auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck des
Art. 60 OR
zur Überzeugung, Abs. 2 besage nur, dass für die Verjährung des Zivilanspruchs anstelle der in Abs. 1 genannten Fristen die für das betreffende Delikt im Strafrecht vorgesehene Verfolgungsverjährung gelte und im übrigen die zivilrechtlichen Vorschriften (
Art. 127 ff. OR
), insbesondere jene über die Unterbrechung der Verjährung (Art. 135 f. OR), anwendbar seien (S. 436/37 Erw. 7a und 9). Allerdings wies es in einer beiläufigen Erwägung (S. 436 Erw. 7a) darauf hin, dass der Beginn der Frist ein wesentliches Merkmal sei, um den Zeitpunkt der Verjährung zu bestimmen; denn nur so lasse sich die Frist im Zeitablauf konkret begrenzen. Es sei daher verständlich, dass man den Ausgangspunkt der Frist nach den gleichen Regeln wie ihre Dauer, d.h. nach dem Strafrecht bestimme, ohne deswegen weitergehende Schlussfolgerungen ziehen zu müssen.
Art. 60 Abs. 2 OR
bezweckt, dass der Geschädigte seinen Anspruch solange geltend machen kann, als die strafrechtliche Verjährung nicht eingetreten ist. Nach dem Untergang des Strafanspruchs, wie z.B. durch vollstreckbares Urteil, Freispruch, Unzurechnungsfähigkeit, Tod, fakultative Straffreiheit und Amnestie vor Aburteilung des Angeklagten, läuft die strafrechtliche Verjährungsfrist nicht mehr. Der Geschädigte muss daher, sollen Härtefälle vermieden werden, die Möglichkeit haben, seine Rechte gegen den Schädiger noch zu wahren (vgl.
BGE 91 II 432
f. Erw. 5). Die Ausführung der strafbaren Tätigkeit fällt daher als fristauslösendes Ereignis für die Verjährung des Zivilanspruchs dann in Betracht, wenn das Ziel des Gesetzgebers erreicht werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der gesetzliche Strafanspruch in der Regel vor Ablauf der Fristen der
Art. 70 und 72 StGB
und nur ganz ausnahmsweise und zufällig erst mit deren Ende untergeht. Da der Geschädigte die nach
Art. 60 Abs. 2 OR
massgebende Frist durch Mittel des Zivilrechts unterbrechen kann (
BGE 91 II 437
Erw. 9), wird er
BGE 96 II 39 S. 45
nach Untergang des gesetzlichen Strafanspruchs seine Zivilforderungen praktisch immer noch geltend machen können. Es ist somit nicht notwendig, die Verjährungsfrist nach
Art. 60 Abs. 2 OR
erst mit der Kenntnis des Schadens beginnen zu lassen. Dieser Ausgangspunkt würde unter Umständen zu recht fragwürdigen Ergebnissen führen, die sich mit dem Sinn der Verjährung schlecht vertrügen. Wenn der Geschädigte beispielsweise erst sieben Jahre nach Ausführung der Straftat vom Schaden Kenntnis erhält, liefe je nach der gesetzlichen Strafandrohung (
Art. 70 StGB
) die Frist für die Durchsetzung des Zivilanspruchs erst nach zwölf, siebzehn oder sogar siebenundzwanzig Jahren seit Begehung der Tat ab.
Die ordentliche Strafverfolgungsfrist lief im vorliegenden Fall am 6. Juni 1960 ab. Sie wurde nicht unterbrochen. Zudem war sie abgelaufen, bevor der Beklagte Kenntnis vom Schaden erlangte. Die eingeklagten Forderungen sind daher auch nach
Art. 60 Abs. 2 OR
verjährt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 21. März 1969 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3714bf0-1ab4-4424-b6c7-4f46b47caba4 | Urteilskopf
99 Ib 292
36. Arrêt du 8 juin 1973 dans la cause Société anonyme des Hôtels "Président" contre Entreprise des postes, téléphones et télégraphes | Regeste
Telegraphen- und Telephonverkehrsgesetz vom 14. Oktober 1922. Bezug der Telephontaxen.
Es wird vermutet, dass die Abrechnungen der Verwaltung richtig sind, doch genügt für den Gegenbeweis eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (Erw. 1).
Im vorliegenden Fall macht der Vergleich mit der Höhe der Taxen der anderen Perioden den vom Abonnenten geltend gemachten Irrtum nicht wahrscheinlich (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 292
BGE 99 Ib 292 S. 292
A.-
Edictée en vertu de l'art. 5 al. 4 lit. a de l'ordonnance d'exécution de la loi sur l'organisation de l'Entreprise des postes, téléphones et télégraphes (PTT) par la Direction générale, l'Instruction pour la perception des taxes téléphoniques (B
BGE 99 Ib 292 S. 293
118 b) soumet cette opération à des modalités destinées à en assurer l'exactitude et qui sont en résumé les suivantes. a) Les compteurs d'impulsions des raccordements téléphoniques sont photographiés tous les deux mois dans les centraux d'arrondissement. Les clichés portent chacun les chiffres relevés sur 100 compteurs. Une fois contrôlés au point de vue de leur qualité technique, ils sont envoyés au Centre de calcul électronique, où ils sont examinés par deux personnes, travaillant indépendamment l'une de l'autre. La taxe est alors calculée d'après la différence entre l'ancien et le nouvel état du compteur - chaque impulsion représentant 10 centimes -, puis comparée, par un procédé électronique - dit MAVAT -, à la moyenne des taxes perçues pendant les six dernières périodes bimestrielles.
Lorsque l'écart entre la taxe à prélever et la moyenne des taxes précédentes dépasse la limite de tolérance, le Centre de calcul électronique en informe la direction d'arrondissement intéressée au moyen d'une liste spéciale. Au vu de cette pièce, le service de mise en compte des taxes décide s'il y a lieu d'ouvrir une enquête. Le cas échéant, il se sert des photographies qui, dans certains arrondissements, sont prises au cours de la période de deux mois, en sus des clichés développés à la fin de celle-ci. Après les vérifications et corrections éventuelles, la taxe est facturée.
b) Une des sources d'erreurs possibles est le débordement du compteur, soit l'enregistrement, au cours d'une même période bimestrielle, d'un nombre d'impulsions supérieur à la capacité de l'appareil. Dans ce cas, la comparaison de l'ancien et du nouvel état du compteur ne donne pas le nombre exact des impulsions enregistrées au cours de la période, mais seulement la différence entre ce nombre et la capacité totale du compteur (ou un multiple de celle-ci). A moins de prendre des mesures spéciales, telle celle de photographier le compteur à une ou plusieurs reprises en cours de période, il n'est pas possible de déceler directement si l'appareil a débordé une ou plusieurs fois durant celle-ci. D'où l'utilité du procédé MAVAT.
c) A la fin de 1970, l'Entreprise des PTT a introduit le système de la sélection automatique dans les rapports avec les Etats-Unis d'Amérique, soit la possibilité d'entrer directement en relation téléphonique avec ce pays. Elle n'ignorait pas, dit-elle, qu'à la suite de cette innovation, les compteurs de 4 et même de 5 chiffres seraient sujets à débordement. Toutefois, elle s'est fiée à
BGE 99 Ib 292 S. 294
l'efficacité des mesures prises pour déceler les erreurs et a renoncé à attendre, pour introduire la sélection automatique, le remplacement de ces compteurs par de nouveaux appareils de 6 chiffres.
B.-
La Société anonyme des Hôtels "Président" exploite à Genève un hôtel qui dispose de 24 lignes téléphoniques reliées à l'extérieur.
Le 1er octobre 1971, la Direction d'arrondissement des téléphones, à Genève, a avisé cet établissement qu'il avait bénéficié de taxations erronées. En ce qui concerne la ligne 318367, le montant de 823 fr. 30 mis en compte pour la période de mai-juin 1971 devait être porté à 10 823 fr. 30. En outre, pour la ligne 324993, les montants de 2230 fr. 20 et de 1461 fr. 30 facturés pour les périodes de mai-juin et de juillet-août 1971 devaient être élevés à 12 230 fr. 20 et à 11 461 fr. 30. Pour ces deux lignes, le total non perçu atteignait ainsi 30 000 fr. En réclamant cette somme, l'administration attribuait les erreurs invoquées au débordement des compteurs à 5 chiffres sur lesquels les taxes de conversation avaient été enregistrées.
Le 21 décembre 1971, la même direction d'arrondissement a invité la Société des Hôtels "Président" à verser un supplément de 20 000 fr., les taxes des communications inscrites sur le compteur de la ligne 317825 ayant été fixées par erreur à 3618 fr. 90 au lieu de 13 618 fr. 90 pour la période de mai-juin 1971 et à 2401 fr. 50 au lieu de 12 401 fr. 50 pour celle de juilletaoût 1971. Elle faisait valoir dès lors une créance globale de 50 000 fr.
S'étant opposée à cette prétention, la Société des Hôtels "Président" a été condamnée à s'acquitter, le 11 avril 1972, par le directeur des Services des télécommunications.
Le recours qu'elle adressa à la Direction générale de l'entreprise des PTT fut rejeté, le 31 juillet 1972.
C.-
Par un recours de droit administratif, la Société des Hôtels "Président" requiert le Tribunal fédéral d'annuler cette décision et de débouter l'Entreprise des PTT de sa prétention.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En vertu du principe d'égalité, l'administration est tenue de fournir ses prestations à tous aux mêmes conditions. Il est également conforme à ce principe qu'en cas d'erreur dans le
BGE 99 Ib 292 S. 295
calcul de taxes dues pour ses prestations, elle procède à une rectification, soit en réclamant la somme impayée, soit en remboursant celle qui a été versée en trop. L'art. 8 al. 1 de la loi du 14 octobre 1922 sur la correspondance télégraphique et téléphonique (LTT) le prévoit en ces termes: "Si des erreurs se produisent lors du calcul des taxes, droits et débours, ou lors de l'établissement de décomptes, l'Entreprise des postes, téléphones et télégraphes est autorisée à réclamer complémentairement la somme perçue en moins, et tenue de restituer la somme perçue en trop". Cependant, pour éviter que les factures de l'établissement public ne soient remises en question indéfiniment, l'art. 8 al. 2 LTT limite à une année, depuis la mise en compte inexacte, le temps pendant lequel l'erreur peut être redressée.
C'est bien à l'Entreprise des PTT que l'art. 8 LTT attribue une faculté et impose une obligation. Certes, son texte primitif visait exclusivement "l'administration des télégraphes", ce qui a éveillé un doute dans l'esprit de la recourante sur l'applicabilité de cette disposition aux taxes téléphoniques. Toutefois, dans la teneur qui a été adoptée le 19 décembre 1969, l'art. 21 de la loi sur l'organisation de l'Entreprise des PTT a levé toute ambiguïté, en remplaçant dans les lois, ordonnances et autres publications officielles les dénominations "administration des postes, télégraphes et téléphones", "administration des postes" et "administration des télégraphes" par celle d'"Entreprise des postes, téléphones et télégraphes". L'Entreprise des PTT a donc incontestablement qualité pour se fonder sur l'art. 8 LTT.
Au sens de cette disposition, il faut entendre par erreur n'importe quelle appréciation inexacte. Une interprétation plus étroite ne répondrait pas au but de la loi, à savoir rétablir l'égalité rompue. Dès lors, peu importe que l'erreur soit imputable à l'administration ou à l'administré, qu'elle résulte ou non d'une faute, qu'elle procède d'une insuffisance d'organisation, de la défectuosité d'un appareil ou de l'inattention d'un comptable. Quoi qu'il en soit, elle peut être corrigée dans l'année.
A vrai dire, la règle posée n'est pas nécessairement absolue. Il n'est pas exclu qu'au cas où une réclamation émise par l'Entreprise des PTT sur la base de l'art. 8 LTT cause à l'abonné un dommage, l'origine ou la nature de l'erreur joue un rôle dans l'application de ce texte. Par exemple, si un restaurateur qui met des appareils téléphoniques à la disposition de sa clientèle, est
BGE 99 Ib 292 S. 296
appelé à payer des taxes qui, par suite de la négligence d'un fonctionnaire, ne figuraient pas dans les décomptes périodiques, et qu'il se trouve dans l'impossibilité de récupérer auprès des usagers les montants mis à sa charge après coup, il est exposé à un préjudice en raison d'une faute de l'administration. En l'occurrence, on pourrait envisager de recourir par analogie à l'art. 26 CO ou aux règles sur l'enrichissement illégitime pour réduire ou rejeter la prétention de l'Entreprise des PTT. Cependant, vu les circonstances analysées ci-dessous, point n'est besoin de résoudre cette question en l'espèce.
Quant à la preuve de l'erreur, l'art. 34 LTT fait règle. Ainsi qu'il le prescrit, "les comptes relatifs aux conversations téléphoniques sont établis sur la base des inscriptions qu'effectuent les organes de l'Entreprise des postes, téléphones et télégraphes, et qui font foi jusqu'à preuve du contraire." Cette disposition crée donc une présomption d'exactitude en faveur des inscriptions portées par les agents de l'Etat. En conséquence, l'abonné qui se prévaut d'une erreur doit en établir la réalité. En outre, si l'administration s'appuie sur ses propres documents pour invoquer une erreur, il incombe à l'abonné d'en démontrer l'inexistence. Peu importe même que ces documents en corrigent d'autres dont un contrôle a révélé le caractère erroné; les pièces rectificatives présentant plus de garantie d'exactitude que les précédentes, il n'y a aucune raison de refuser à celles-là la présomption dont celles-ci bénéficient. Encore faut-il relever que, d'ordinaire, l'abonné ne peut fournir facilement la preuve mise à sa charge. Faute d'avoir accès aux installations de l'administration, il est généralement obligé de s'en remettre aux renseignements qu'elle lui donne. Aussi, sans exiger de preuve absolue, convient-il de considérer comme une preuve suffisante une vraisemblance qui se rapproche de la certitude.
2.
En l'espèce, les clichés sur la base desquels l'Entreprise des PTT a émis sa prétention, sont censés contenir des chiffres exacts en vertu de l'art. 34 LTT. Il s'agit dès lors d'examiner si les allégations de la recourante sont assez vraisemblables pour détruire cette présomption.
La recourante soutient qu'elle a versé à l'Entreprise des PTT 582 222 fr. 10 en 1970 et 527 604 fr. 35 en 1971, que cette différence s'explique par la diminution de la clientèle américaine, dont les nuitées ont passé de 25 910 à 18 813 d'une année à
BGE 99 Ib 292 S. 297
l'autre, et qu'en conséquence, la réclamation d'un supplément de 50 000 fr. ne tient pas compte d'un élément qui la fait apparaître comme abusive. Pour sa part, tout en contestant les montants indiqués, l'Entreprise des PTT admet que les versements de la recourante se sont réduits de plus de 50 000 fr. de 1970 à 1971. Quoi qu'il en soit, bien que l'argumentation de la recourante ne soit pas dépourvue de valeur, elle n'est pas décisive en elle-même. Elle repose sur des données annuelles, c'est-à-dire qu'on ignore si la clientèle américaine a baissé pendant les mois litigieux ou à d'autres périodes. Seuls les renseignements mensuels sollicités de la recourante auraient permis de répondre à cette question, fussent-ils plus ou moins approximatifs. Au reste, comme le fait observer l'Entreprise des PTT, il n'est pas exclu que le trafic téléphonique entre la Suisse et les Etats-Unis se soit intensifié pour les raisons mêmes qui ont provoqué l'éloignement des hôtes américains.
La recourante fait valoir également que, le 30 mars 1972, l'Entreprise des PTT a décidé de lui rembourser une somme de 324 fr. 80 mise en compte sur la facture d'août 1971 et que, le 25 avril 1972, elle a accepté de faire abstraction d'un montant de 196 fr. 75, soit de la contre-valeur d'une conversation enregistrée sur un appareil défectueux. Toutefois, si des erreurs se sont produites dans des cas isolés, il ne s'ensuit pas nécessairement que l'Entreprise des PTT se trompe en réclamant un supplément de 50 000 fr. Au contraire, le fait que l'administration ait corrigé certaines erreurs commises au détriment d'un abonné laisse supposer qu'en l'espèce, elle serait aussi prête à reconnaître l'existence d'une erreur, si erreur il y avait.
Plus importantes sont les déductions que l'on peut tirer des listes déposées par l'Entreprise des PTT. Normalement, dans un hôtel fréquenté de façon régulière, tel que semble être celui de la recourante, les montants des taxes téléphoniques ne varient que dans certaines limites. Sans doute est-il possible qu'en raison de circonstances spéciales, elles augmentent ou fléchissent sensiblement. Il n'en est pas moins vrai qu'en général, des écarts considérables rendent probable l'existence d'une erreur. Or tel est le cas en l'espèce.
Pour les trois lignes en cause, les taxes facturées ont été les suivantes, sans la rectification objet du présent litige (les montants sont en francs, arrondis au franc inférieur, et les montants litigieux sont en italique) :
BGE 99 Ib 292 S. 298
Période Ligne 31 78 25 Ligne 31 83 67 Ligne 32 49 93
1971 1972 1971 1972 1971 1972
janvier-février 9464 7855 8536
mars-avril 6995 6468 4883
mai-juin 3618 14255 823 9921 2230 11164
juillet-août 2401 10239 9786 1461 7224
septembre-octobre 9432 13676 14715
novembre-décembre 12785 8358 8932
Au vu de ces chiffres, les erreurs alléguées par l'administration paraissent hautement vraisemblables. Au sujet de la ligne 317825, il est plausible que les taxes contestées doivent être portées à 13 618 fr. 90 et à 12 401 fr. 50; si ces chiffres dépassent nettement ceux de mars-avril, ils ne s'éloignent pas beaucoup de ceux qui figurent sur les factures de janvier-février, septembreoctobre et novembre-décembre. A propos de la ligne 318367, il est manifeste que le montant de 823 fr. 30 est inexact; une somme de 10 000 fr. supérieure correspond mieux aux taxes des autres périodes. Enfin, les mêmes observations valent pour la ligne 324993. Et comme elles ont trait uniquement à 1971, il est sans importance que la clientèle américaine ait été moins nombreuse cette année-là qu'en 1970. Au demeurant, les constatations précédentes sont confirmées par les taxes perçues en 1972, qui excèdent de beaucoup les montants portés en compte à l'origine pour les mêmes périodes de 1971. Enfin, les relevés photographiques intermédiaires produits montrent que les compteurs des lignes en cause ont chaque fois débordé durant les périodes sur lesquelles porte le litige.
Il résulte de l'examen du dossier que la recourante n'a pas administré la preuve dont elle a la charge en vertu de l'art. 34 LTT, que les premiers décomptes des taxes téléphoniques doivent être tenus pour erronés et les seconds pour exacts, et qu'en conséquence, la réclamation d'un supplément de 50 000 fr. est bien fondée. Il n'est pas question d'écarter ou même de réduire cette prétention, par application analogique de l'art. 26 CO ou des règles sur l'enrichissement illégitime, en raison d'un dommage causé à la recourante par l'Entreprise des PTT. Le règlement tardif des taxes n'est nullement préjudiciable à la recourante, qui les a fait payer d'avance par sa clientèle, avec une surtaxe appréciable. En 1970 et 1971, selon ses propres déclarations, la recourante a encaissé 897 711 fr. 75 et 862 222 fr. 80, tandis qu'elle versait 582 222 fr. 10 et 527 604 fr. 35.
Compte tenu même des salaires des téléphonistes, des frais
BGE 99 Ib 292 S. 299
généraux et des amortissements, elle a réalisé un bénéfice qui dépasse de loin le complément exigé. Son cas se distingue donc de celui de l'abonné français qui a été dispensé d'acquitter les taxes, parce qu'il se trouvait dans l'impossibilité d'en recouvrer le montant auprès de sa clientèle, à laquelle une défectuosité de l'appareil avait permis de téléphoner sans limite de temps aux Etats-Unis au tarif des communications locales.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral: Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d37585cb-0ea5-4b44-99f1-93882c219c65 | Urteilskopf
118 IV 57
12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Januar 1992 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1. Art. 198 f. StGB; Kuppelei (Gewinnsucht).
Der Tatbestand der Kuppelei ist erfüllt, sobald der Täter der Unzucht Vorschub leistet, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen; unerheblich ist, ob dem Streben nach Bereicherung auch tatsächlich ein Erfolg beschieden ist (E. 1b).
2.
Art. 199 StGB
; gewerbsmässige Kuppelei (Bordell).
Ein Bordell ist ein geschäftsmässiger Betrieb, der auf regelmässige Einnahmen ausgerichtet ist und in dem mehrere Dirnen tätig sind, denen der Inhaber Räume und die übrige zur Betreibung der Unzucht nötige Infrastruktur zur Verfügung stellt. Sobald ein Bordell oder ein bordellartiger Betrieb gehalten wird, liegt gewerbsmässige Kuppelei vor, selbst wenn kein Gewinn erzielt worden ist (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 118 IV 57 S. 58
A.-
Frau X. führte vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1983 auf eigene Rechnung den Sex-Club "Z." in Bremgarten, für den von ihr bezahlte Inserate im "Blick" und im schweizerischen "Sexanzeiger" erschienen. Die von ihr zu entrichtende Miete, die sie aus den Einnahmen des Clubs begleichen wollte, betrug Fr. 7'000.--. Für einen Eintrittspreis von Fr. 70.-- standen den Kunden sämtliche Clubeinrichtungen (Schwimmbad, Sauna, Dusche, Videoraum, Schlafzimmer etc.) zur Verfügung. In den einzelnen Zimmern waren Betten und Bettwäsche vorhanden. Wenn die anwesenden Frauen und Männer geschlechtliche Beziehungen unterhalten wollten, trafen sie ihre diesbezüglichen Abmachungen untereinander selber. Die Männer waren meistens mit einem Badetuch bekleidet, und die Frauen traten in Reizwäsche auf. Vom Unzuchtserlös mussten die Frauen, welche ebenfalls einen Eintrittspreis von Fr. 70.-- zu entrichten hatten, der Clubbetreiberin nichts abliefern. Im Falle einer Übernachtung mussten sie allerdings zusätzliche Fr. 50.-- bezahlen.
Frau X. hatte den Club übernommen, um davon leben zu können und nicht mehr als Dirne "anschaffen" zu müssen. Sie erzielte jedoch keinen Gewinn, sondern erwirtschaftete nur Verluste. Zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes diente ihr der eigene, im Club erzielte Unzuchtserlös. Sie gab ihre Tätigkeit bereits nach drei Monaten auf, weil der Club nicht rentierte.
B.-
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilte Frau X. am 9. September 1989 wegen gewerbsmässiger Kuppelei im Sinne von
Art. 199 Abs. 1 StGB
zu sechs Monaten Gefängnis, einer Busse von Fr. 1'500.-- und drei Jahren Landesverweisung. Der Vollzug von Haupt- und Nebenstrafe wurde bei einer Probezeit von drei Jahren bedingt aufgeschoben.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies am 13. Dezember 1990 eine dagegen gerichtete Berufung zur Hauptsache ab, setzte die Probezeit für die Freiheitsstrafe jedoch auf zwei Jahre fest.
C.-
Frau X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die
BGE 118 IV 57 S. 59
Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Freisprechung, eventuell zu neuer Beurteilung, wobei
Art. 198 Abs. 1 StGB
anwendbar, die Strafe neu festzusetzen und von der bedingten Landesverweisung abzusehen sei. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Wer aus Gewinnsucht der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis und Busse bestraft (
Art. 198 Abs. 1 und 3 StGB
). Betreibt der Täter die Kuppelei gewerbsmässig, hält er namentlich ein Bordell, wird er mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten sowie mit Busse und - sofern er Ausländer ist - mit Landesverweisung bestraft (
Art. 199 Abs. 1 und 3 StGB
).
Die Vorinstanz ging davon aus, der "Z."-Club sei ein Bordell (und kein Fitnessclub) gewesen und die Beschwerdeführerin habe erkannt, "welche Bedürfnisse die Kunden im "Z". -Club befriedigt haben wollten". Sie habe den Club übernommen, um von diesem leben zu können, und sei bereit gewesen, gegenüber unbestimmt vielen Personen und auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Leistungen des Clubs anzubieten.
Demgegenüber bringt die Beschwerdeführerin vor, zum einen habe sie nicht gewinnsüchtig gehandelt; die Frauen im "Z."-Club hätten aus einem allfälligen Unzuchtserlös nichts abliefern müssen, und im übrigen hätten die verlangten Eintrittspreise und der eigene Unzuchtserlös nicht einmal ausgereicht, die Unkosten des Clubs zu decken. Zum zweiten richtet sich die Beschwerde gegen die Verurteilung wegen gewerbsmässiger Kuppelei; sie habe den Club nur knapp drei Monate lang geführt und nur Verluste erwirtschaftet; da folglich ein Deliktsbetrag nicht vorliege, müsse ein berufsmässiges Handeln verneint werden.
b) Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung stellt Gewinnsucht im Sinne von
Art. 198 StGB
ein qualitatives Kriterium dar, welches bereits gegeben ist, wenn der Täter eine in moralischer Hinsicht besonders verwerfliche Bereicherung anstrebt, indem er die Menschenwürde betreffende Werte in Frage stellt, die nicht in Geld messbar sind oder deren Umsetzung in Geld eine Verunglimpfung darstellt. Da das Sexualleben des Menschen zu diesen Werten gehört, reicht es für Gewinnsucht aus, wenn der Täter der Unzucht Vorschub leistet, um daraus einen finanziellen Nutzen zu ziehen, d.h. um einen
BGE 118 IV 57 S. 60
Gewinn zu erzielen (
BGE 107 IV 119
; bestätigt in
BGE 109 IV 120
sowie 113 IV 24).
Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin den "Z."-Club übernommen, um von diesem leben zu können. Das kann nichts anderes bedeuten, als dass sie von der Tätigkeit der im Club tätigen Frauen zu profitieren beabsichtigte. Damit ist das Tatbestandsmerkmal der Gewinnsucht im oben erwähnten Sinn erfüllt.
Unerheblich ist, ob die anderen im Club tätigen Frauen aus dem Unzuchtserlös etwas abzuliefern hatten. Von Bedeutung ist einzig, dass sie gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz einen Eintritt von Fr. 70.-- zu entrichten hatten.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin setzt der Begriff der Gewinnsucht gemäss
Art. 198 StGB
im übrigen nicht voraus, dass dem Streben nach Bereicherung auch tatsächlich ein Erfolg beschieden ist. Ausschlaggebend ist, dass der Täter geldwerte Interessen verfolgt und dies in einer Art und Weise geschieht, die als gewinnsüchtig bezeichnet werden muss (
BGE 89 IV 19
/20; bestätigt in
BGE 109 IV 120
; PAUL USTERI, Strafwürdigkeit der Kuppelei, Diss. Zürich 1972, S. 93).
Gesamthaft gesehen ist der Schuldspruch wegen Kuppelei nicht zu beanstanden.
c) In bezug auf die gewerbsmässige Tatbegehung gemäss
Art. 199 StGB
nennt das Gesetz als Beispiel das Halten eines Bordells. Aus den Materialien ergibt sich, dass immer dann, wenn ein Bordell oder ein bordellartiger Betrieb gehalten wird, von Gewerbsmässigkeit auszugehen ist (vgl. PAUL USTERI, a.a.O., S. 35; EUGEN MEIER, Die Behandlung der Prostitution im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1948, S. 80 und 85).
Ein Bordell ist ein geschäftsmässiger Betrieb, in dem mehrere Dirnen tätig sind (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, BT II, 3. Aufl.,
§ 26 N 19
). Der Inhaber stellt Dirnen Räume und die übrige zur Betreibung der Unzucht nötige Infrastruktur zur Verfügung. Aus dem französischen Gesetzeswortlaut (maison de prostitution) folgt, dass der Begriff des Bordells nicht zu eng zu fassen und insbesondere nicht erforderlich ist, dass die Dirnen vom Bordellinhaber weitgehend abhängig sind oder von ihm gar ausgebeutet werden. Ausbeutung ist denn auch nur ein Tatbestandsmerkmal der Zuhälterei im Sinne von
Art. 201 StGB
. Das Bordell muss jedoch (allenfalls in der Form eines losen Clubs mit wechselnden und "freien" Mitarbeiterinnen) als geschäftsmässiger Betrieb und damit auf regelmässige
BGE 118 IV 57 S. 61
Einnahmen ausgerichtet sein. Da aber schon das Halten des Bordells strafbar ist, ist der Straftatbestand mit der Einrichtung eines solchen Instituts bereits erfüllt, auch wenn letztlich kein Gewinn erzielt worden ist, ja selbst "wenn Besucher sich noch nicht eingestellt haben" (HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT/1. Hälfte, Berlin 1937, S. 144).
Nach dem Gesagten kann offenbleiben, ob die im "Z."-Club tätigen Frauen durch die Beschwerdeführerin ausgebeutet wurden oder von ihr abhängig waren. Jedenfalls stellte sie ihnen geeignete Räume zur Ausübung der Unzucht mit Betten und Bettwäsche zur Verfügung, für welche im Falle einer Übernachtung Fr. 50.-- zu entrichten waren. Für den von jeder Person zu bezahlenden Eintrittspreis von Fr. 70.-- standen überdies Schwimmbad, Sauna, Dusche und Videoraum zur Verfügung. Weiter wurde für das in geeigneter Weise als Sex-Club eingerichtete Etablissement in einschlägigen Zeitschriften geworben.
Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte die Beschwerdeführerin den Club übernommen, um davon leben zu können. Sie wollte daraus also ihren Lebensunterhalt erzielen. Dass ihr das nicht gelang, ist nach dem oben Gesagten unerheblich.
Da die Beschwerdeführerin ein Bordell im Sinne von
Art. 199 StGB
hielt, wurde sie zu Recht wegen gewerbsmässiger Tatbegehung verurteilt. | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3762df4-3968-43ad-bee5-5b9b133eceb1 | Urteilskopf
91 III 27
6. Entscheid vom 18. März 1965 i.S. von Tobel. | Regeste
Anfechtung des Arrestbefehls.
Art. 279 Abs. 1 SchKG
.
Von Bundes wegen ist gegen die Verweigerung eines Arrestgesuches kein Rechtsmittel gegeben; es steht aber den Kantonen frei, für diesen Fall Rechtsmittel einzuräumen. | Sachverhalt
ab Seite 27
BGE 91 III 27 S. 27
Margherita Grattarola-Malugani in Margno (Italien) ist gemeinsam mit ihrer Schwester Giovanna Haefliger-Malugani in Zürich Erbin ihres am 13. Januar 1964 verstorbenen Vaters Carlo Malugani. Letzter Wohnsitz des Erblassers war Locarno; der Nachlass ist noch nicht geteilt. Dr. Karl von Tobel ist Inhaber einer Schuldanerkennung der Margherita Grattarola über Fr. 15'000.--. Gestützt darauf verlangte er am 15. Januar 1965 beim Präsidium des Bezirksgerichtes Weinfelden einen Arrestbefehl nach
Art. 271 Ziff. 4 SchKG
; er bezeichnete als Objekte Aktiven des Nachlasses Carlo Malugani, so eine Liegenschaft in Weinfelden, einen Schuldbrief, deponiert bei der Thurgauer Kantonalbank, und Bankguthaben.
Mit Entscheid vom 21. Januar 1965 trat das Gerichtspräsidium Weinfelden auf das Arrestgesuch nicht ein. Nach Art. 1 der Verordnung des Bundesgerichtes über die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen vom 17. Januar 1923 (VVAG) könne sich die Pfändung nur auf den Liquidationsanteil als Ganzes erstrecken. Nach
Art. 2 VVAG
sei zur Pfändung nur das Betreibungsamt am Wohnort des Schuldners zuständig; das gelte auch im Arrestbewilligungsverfahren.
BGE 91 III 27 S. 28
Weder Schuldnerin noch Erblasser hätten im massgebenden Zeitpunkt Wohnsitz in Weinfelden verzeigt.
Am 23. Januar 1965 reichte Dr. von Tobel gegen diesen Entscheid Beschwerde ein mit dem Begehren, es sei der Arrest zu bewilligen, und es sei festzustellen, dass die Zustellung des angefochtenen Entscheides an die Miteigentümerin Frau Giovanna Haefliger zu Unrecht erfolgt sei.
Mit Entscheid vom 1. März 1965 hat die Rekurs-Kommission des Kantons Thurgau die Beschwerde abgewiesen, soweit sie darauf eintreten konnte. Der Begründung ist zu entnehmen: Die Vorinstanz habe das Bestehen eines Arrestforums im Bezirk Weinfelden zu Recht verneint. Ob in Locarno ein Arrestforum gegeben sei, sei hier nicht zu entscheiden. Der Beschwerdeführer sei durch die Mitteilung der Arrestverweigerung an Frau Haefliger nicht beschwert und habe kein Interesse daran, sie nachträglich durch die Aufsichtsbehörde als rechtswidrig bezeichnen zu lassen. Auf dieses Begehren sei daher nicht einzutreten.
Gegen diesen Entscheid erhebt Dr. von Tobel Rekurs bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes. Er beantragt, es sei der nachgesuchte Arrest zu bewilligen und dem Rekurrenten die per Nachnahme bezahlten Fr. 12.60 zurückzuerstatten. Er macht insbesondere geltend, ein in Locarno erwirkter Arrest sei durch die Aufsichtsbehörde des Kantons Tessin aufgehoben worden. Wenn nun auch die Ablehnung der Thurgauer Aufsichtsbehörden geschützt würde, so ergäbe sich der Fall einer Rechtsverweigerung. Gemäss Art. 69 des Gebührentarifs zum SchKG vom 6. September 1957 sei es nicht zulässig, vor den Aufsichtsbehörden Gebühren zu erheben.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Gegen den Arrestbefehl findet weder Berufung noch Beschwerde statt (
Art. 279 Abs. 1 SchKG
). Diese Bestimmung bezieht sich aber nur auf die Bewilligung des Arrestes. Sie schliesst demnach nicht aus, dass die Kantone gegen die Verweigerung eines Arrestgesuches Rechtsmittel einräumen (vgl.
BGE 46 I 486
/7; JAEGER, N. 1 zu Art. 279; FRITZSCHE, Schuldbetreibung Bd. II, S. 204). Von dieser Möglichkeit hat gerade der Kanton Thurgau Gebrauch gemacht.
BGE 91 III 27 S. 29
Der Rekurrent geht - ohne Begründung - davon aus, er könne den (den Arrest verweigernden) Entscheid der Aufsichtsbehörde des Kantons Thurgau mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes weiterziehen. Er irrt. Wegen unbegründeter Verweigerung des Arrestbefehls ist von Bundes wegen kein Rechtsmittel gegeben. Denn die Arrestbehörde gehört nicht zum Behördenorganismus der Schuldbetreibung als solcher, sondern stellt nur ein Hilfsorgan der letztern dar. Sie steht deshalb auch nicht unter der Aufsichtsbehörde (BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 836; BONNARD, Le séquestre d'après la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, S. 115; JUD, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Arrestrecht des SchKG, S. 35). Das Bundesgericht hat daher als eidgenössische Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen keine Möglichkeit, eine Arrestbehörde anzuweisen, den Arrest zu bewilligen und den Arrestbefehl zu erlassen.
2.
Der Rekurrent sieht eine formelle Rechtsverweigerung darin, dass weder in Weinfelden noch in Locarno ein Arrest bewilligt werde. Dieser angeblichen Rechtsverweigerung ist indessen nicht mit einem Rekurs nach
Art. 17 ff. SchKG
beizukommen; sie könnte höchstens mit einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
erfolgreich gerügt werden (vgl. JAEGER, N. 8 zu Art. 19).
3.
Der Rekurrent beanstandet schliesslich seine Belastung mit Gebühren. Wie schon in
BGE 81 III 36
mit einlässlicher Begründung dargelegt, haben die Aufsichtsbehörden nicht darüber zu entscheiden, ob eine Arrestbehörde den Gebührentarif richtig angewendet habe.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Auf den Rekurs wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d378eaf4-0555-44b4-aa93-4991978d1c9d | Urteilskopf
98 IV 153
29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. Juni 1972 i.S. Staatsanwaltschaft für das Oberwallis gegen Scheuber. | Regeste
Art. 11 StGB
.
1. Prüfungsbefugnis des Kassationshofes (Erw. 3).
2. Wann beeinträchtigt Psychopathie die geistige Gesundheit? (Erw. 3 a).
3. Bedeutung des Affektes (Erw. 3 b). | Erwägungen
ab Seite 153
BGE 98 IV 153 S. 153
Aus den Erwägungen:
3.
Der Staatsanwalt ficht das Urteil des Kantonsgerichts auch insoweit an, als es dem Beschwerdegegner bezüglich des Mordes eine leichte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit gemäss
Art. 11 StGB
zubilligt.
Im Rahmen des Art. 11 hat der Kassationshof auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht zu prüfen, ob der vom kantonalen Richter ermittelte Sachverhalt in den Akten eine genügende Grundlage hat, sondern er hat lediglich zu entscheiden, ob die festgestellten Tatsachen rechtlich richtig gewürdigt wurden, im vorliegenden Fall also, ob der biologisch-psychologische Zustand, in dem der Beschwerdegegner nach der Meinung des Kantonsgerichts den Mord begangen hat, die rechtlichen Merkmale der verminderten Zurechnungsfähigkeit aufweist (
BGE 81 IV 8
).
a) Zunächst bestreitet der Beschwerdeführer, dass die bei Scheuber festgestellte Psychopathie eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit bewirkt habe, wie das die Vorinstanz aufgrund
BGE 98 IV 153 S. 154
des Gutachtens des Dr. Zolliker von der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen angenommen hat. Er wendet ein, Psychopathien bestünden in abnormen Veranlagungen der Triebstruktur, des Temperamentes oder des Charakters und seien deshalb in erster Linie als charakterliche oder moralische Defekte zu behandeln. Für seinen schlechten Charakter habe der Täter einzustehen. Die meisten Schwerverbrecher seien Psychopathen, viele von ihnen aber gleichwohl voll zurechnungsfähig. Das gelte insbesondere von den willensschwachen, geltungssüchtigen und hysterischen Psychopathen. Anders verhalte es sich in der Regel mit den Pseudologen, zu denen der Beschwerdegegner offensichtlich gehöre. Indessen habe sich seine pseudologische Veranlagung beim Mord nicht ausgewirkt.
Soweit der Beschwerdeführer den pseudologischen Persönlichkeitszug des Beschwerdegegners in den Vordergrund rückt und dessen Psychopathie einzig in dieser Form berücksichtigt, geht er unzulässigerweise über die auf das erwähnte Gutachten gestützte Feststellung der Vorinstanz hinweg, wonach Scheuber ein schwerer schizoid-hysterischer Psychopath ist. Dabei handelt es sich nicht um eine rechtliche Würdigung, sondern um die Feststellung eines inneren Sachverhalts, also um eine Tatfrage. Zu prüfen bleibt deshalb bloss, ob die Vorinstanz in dieser Psychopathie mit Recht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit Scheubers im Sinne des
Art. 11 StGB
erblickt hat. Auszugehen ist davon, dass Psychopathie in der Sprache der Psychiater nichts anderes bedeutet als vom Durchschnitt abweichende Persönlichkeitsveranlagung und dass deshalb nicht jede derartige Anlage das auch im rechtlichen Sinne Abnorme erreicht (DUKOR, Die Zurechnungsfähigkeit der Psychopathen, ZStR 1951, S. 423/424; Derselbe, Die kriminellen Psychopathen. Referat Kriminalistisches Institut des Kantons Zürich, Wintersemester 1966/67, S. 9 und 30 ff.). Entsprechend hat der Kassationshof entschieden, dass Schlechtigkeit und Gewissenlosigkeit einen Menschen in den Augen des Psychiaters als Psychopathen, als willensschwache, gemütsarme (moralisch defekte) Person erscheinen lassen mögen, dass sie aber nicht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit im Sinne des
Art. 11 StGB
darstellen (
BGE 77 IV 215
/216). Neben den banalen Typen krimineller Psychopathen, aus denen sich die Mehrheit der Rechtsbrecher zusammensetzt und die regelmässig voll zurechnungsfähig sind, gibt es indessen Psychopathen,
BGE 98 IV 153 S. 155
deren Geistesverfassung nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt nicht nur der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweicht, dass ihre Träger als nicht verantwortlich erscheinen (DUKOR, ZStR 1951, S. 428 unten und Referat S. 31/32).
Nach dem Expertenbericht Dr. Zollikers durfte die Vorinstanz annehmen, dass die Persönlichkeitsveranlagung des Beschwerdegegners in so erheblichem Masse von der Norm abweicht, dass von einer Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit gesprochen werden kann. Der Gutachter hat bei Scheuber nicht bloss eine hysterische Psychopathie banalen Charakters festgestellt, sondern ihn als schweren schizoid-hysterischen Psychopathen bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte bei psychobiologischer Betrachtungsweise in hohem Grade in den Bereich des Abnormen fällt. Geht man von dieser Würdigung aus, die vom Kantonsgericht übernommen wurde und deshalb den Kassationshof bindet, dann kann jener hohe Grad der Abnormität als erreicht gelten, der nach
Art. 11 StGB
zur Annahme einer Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit erforderlich st.
b) Der Staatsanwalt macht weiter geltend, der Experte habe seinen Befund, wonach Scheuber wegen der Psychopathie in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt gewesen sei, unter den Vorbehalt gestellt, dass es sich bei dem Mord um ein Affektverbrechen gehandelt habe. Ein solches liege jedoch nicht vor.
Soweit der Staatsanwalt damit bestreitet, dass Scheuber den Mord im Affekt begangen habe, ist er nicht zu hören. Die gegenteilige Feststellung des Kantonsgerichtes, wonach es sich beim Mord an Julia Imboden um ein Affektverbrechen handelte, ist tatsächlicher und nicht rechtlicher Natur. Denn anders als z.B. bei den Art. 33 Abs. 2, 64 Abs. 4 oder 113 StGB bildet hier die intensive und heftige Gefühlsregung, als die man den Affekt zu umschreiben pflegt (WALDER, Der Affekt und seine Behandlung im schweiz. Strafrecht, ZStR 1965, S. 28), nicht Teil des gesetzlichen Tatbestandes, sondern des der rechtlichen Würdigung unterliegenden inneren Sachverhalts.
Dagegen wird in der Beschwerde mit Recht darauf hingewiesen, dass der Sachverständige in der Begründung seines Gutachtens die Beeinträchtigung Scheubers in seiner geistigen Gesundheit unter dem Vorbehalt angenommen hat, dass es sich
BGE 98 IV 153 S. 156
beim Mord um eine Affekttat handelte. Das Kantonsgericht hat jedoch in seinem Entscheid - und einzig auf die darin enthaltenen Feststellungen kommt es an - diesen Vorbehalt nicht übernommen. Vielmehr hat die Vorinstanz auf die Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses abgestellt, in der Dr. Zolliker erklärte: "Dagegen halten wir dafür, dass Scheuber als ein schwerer schizoid-hysterischer Psychopath zu gelten hat, der im Sinne des Gesetzes in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt ist und deshalb für ein Affektverbrechen als leicht vermindert zurechnungsfähig gelten muss." Nach dieser für den Kassationshof allein massgebenden Feststellung ist der Affekt nicht eine Voraussetzung der Beeinträchtigung Scheubers in der geistigen Gesundheit, sondern ein zusätzlicher Faktor, sodass das vorinstanzliche Urteil vor
Art. 11 StGB
Bestand hat. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d37c2765-885d-4650-8687-2732fa17e0a5 | Urteilskopf
120 II 240
45. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 31 août 1994 dans la cause Société Immobilière X. contre sieurs O. (recours en réforme) | Regeste
Begehren auf Herabsetzung des Anfangsmietzinses (
Art. 270 OR
).
Die Unterscheidung, die auf dem Berechnungskriterium beruht - Kosten oder Marktpreise -, darf nicht mit jener verwechselt werden, die sich aus der Berechnungsmethode - absolute oder relative - ergibt. Bei der Prüfung, ob der Anfangsmietzins missbräuchlich ist, muss die absolute Methode angewendet werden (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 240
BGE 120 II 240 S. 240
A.-
Par contrat du 8 août 1990, la Société Immobilière X. a donné à bail aux sieurs O., avec effet rétroactif au 1er août 1990, un appartement de deux pièces sis au troisième étage d'un immeuble dont elle est propriétaire, à Genève.
Le loyer a été fixé à 6'600 fr. par an, charges non comprises. La formule officielle, prescrite par le canton de Genève (
art. 270 al. 2 CO
),
BGE 120 II 240 S. 241
informait les locataires que le dernier loyer annuel de cet appartement se montait à 4'344 fr. dès le 1er juillet 1990 et que son augmentation devait permettre le maintien du pouvoir d'achat du capital exposé aux risques (
art. 269a let
. e CO), la compensation des hausses de coûts (
art. 269a let. b CO
) et l'obtention d'une "valeur locative normale du logement" (
art. 269a let. a CO
).
B.-
Les locataires ont contesté le loyer initial, le jugeant abusif. Statuant le 21 février 1992, le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève leur a donné raison et a ramené ce loyer à 4'344 fr. par an.
Par arrêt du 18 septembre 1992, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a annulé ce jugement et renvoyé la cause à l'autorité inférieure. Celle-ci a confirmé son premier jugement en date du 10 mai 1993.
Saisie par la bailleresse, la Chambre d'appel a confirmé le second jugement du Tribunal des baux et loyers par arrêt du 10 décembre 1993.
C.-
La bailleresse interjette un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut à l'annulation de l'arrêt de la Chambre d'appel et à la fixation du loyer litigieux à 6'600 fr. par an, charges non comprises. A titre subsidiaire, elle demande le renvoi de la cause à la cour cantonale pour nouveau jugement dans le sens des considérants.
Les locataires proposent le rejet du recours.
Le Tribunal fédéral admet partiellement le recours et renvoie la cause à la cour cantonale afin qu'elle examine, en appliquant la méthode absolue, la conformité du loyer initial contesté avec les loyers usuels dans le quartier et réduise, le cas échéant, ledit loyer.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Se fondant sur l'arrêt publié aux
ATF 118 II 130
et traduit au JdT 1993 I 143, la Chambre d'appel dénie à la bailleresse le droit de se prévaloir de la conformité du nouveau loyer avec les loyers usuels dans le quartier, au motif que ce critère de calcul, qui doit être relativisé, n'aurait justifié une adaptation du loyer en cause que si le marché locatif avait évolué depuis la dernière fixation dudit loyer, ce qui ne pouvait manifestement pas être le cas, en l'occurrence, puisque seuls 39 jours s'étaient écoulés entre les deux dates de référence (1er juillet 1990 et 8 août 1990). Dès lors, de l'avis des juges précédents, le loyer initial contesté par les locataires est abusif. La
BGE 120 II 240 S. 242
bailleresse soutient à juste titre qu'une telle opinion n'est pas compatible avec le droit fédéral.
La législation sur les loyers abusifs utilise des critères de calcul fondés aussi bien sur les prix du marché que sur les coûts: les premiers tendent à la fixation objective du loyer en fonction de la valeur de la chose louée (art. 269a let. a et f CO); les seconds visent à déterminer si le bailleur ne retire pas de son investissement personnel un rendement exagéré, aux dépens du locataire (art. 269 et 269a let. b-e CO). Que ces deux critères ne concordent pas toujours, la jurisprudence l'a déjà reconnu à maintes reprises (
ATF 118 II 124
consid. 4a et 130 consid. 3a,
ATF 117 II 452
consid. 4a et 458 consid. 2a). Au demeurant, la réglementation en la matière les mélange elle-même, dans la mesure où elle généralise en partie des éléments subjectifs, les objectivant ainsi d'une certaine manière (
art. 13 et 16 OBLF
; RS 221.213.11). La jurisprudence en fait d'ailleurs de même, notamment dans le domaine des coûts hypothécaires, en ce sens que, pour le calcul du loyer selon la méthode relative, elle se base uniquement sur la variation d'un taux hypothécaire de référence, à savoir celui que pratiquent les banques cantonales de crédit hypothécaire (
ATF 118 II 45
consid. 2).
Il convient de ne pas confondre la distinction fondée sur le critère de calcul - les coûts (Kostenmiete) ou les prix du marché (Marktmiete) - avec celle découlant de la méthode - absolue ou relative - de calcul. Cette seconde distinction est basée sur l'objet de référence à prendre en considération pour le calcul du loyer admissible, qui est, dans un cas, la chose louée en tant que telle (méthode absolue), dans l'autre, le contrat de bail liant les parties (méthode relative). La méthode absolue sert à vérifier concrètement que le loyer ne procure pas un rendement excessif au bailleur, compte tenu des frais qu'il doit supporter et des prix du marché; la méthode relative, à déterminer, en fonction du contrat et du principe de la confiance, si une adaptation du loyer intervenant en cours de bail est admissible ou non. Dans la première méthode, c'est le loyer lui-même, sans égard aux stipulations contractuelles, qui est contrôlé, tandis que, dans la seconde, il ne s'agit que d'examiner si une modification du loyer est compatible avec la volonté manifestée antérieurement par celui qui la réclame. Par conséquent, la méthode de calcul absolue peut être utilisée aussi bien dans le cas du loyer fixé conventionnellement (loyer initial) que dans celui d'une modification ou demande de modification unilatérale du contrat (majoration ou diminution du loyer; à ce sujet, cf. les
ATF 116 II 73
et 594 consid. 6a,
BGE 120 II 240 S. 243
114 II consid. 5); la méthode de calcul relative n'est applicable, en revanche, que dans la seconde hypothèse (
ATF 118 II 124
consid. 4b et 130 consid. 3a, 117 II 452 consid. 4a).
La méthode relative, qui a pour fondement la confiance éveillée chez le cocontractant, interdit, en définitive, au bailleur d'adopter une attitude contradictoire. Cette confiance repose elle-même sur les relations spéciales existant entre le bailleur et son locataire, en d'autres termes sur la manière dont ceux-ci ont aménagé leurs rapports contractuels et les ont développés jusque-là. Seul peut dès lors se prévaloir de la protection basée sur la confiance le locataire en la personne duquel celle-ci a été éveillée. Partant, la méthode de calcul relative ne peut s'appliquer, en bonne logique, qu'à des modifications ou demandes de modification du loyer unilatérales en cours de bail (
art. 269d et 270a CO
). Le contrôle de l'admissibilité du loyer initial ne peut, en revanche, être effectué qu'à l'aide de la méthode absolue, dans laquelle les critères de calcul déterminants ne sont soumis à aucune limite relative (à ce propos, voir l'
ATF 118 II 130
consid. 3a).
L'
art. 270 al. 1 let. b CO
n'y change rien. En effet, l'
art. 270 al. 1 CO
ne règle que les conditions formelles auxquelles est subordonnée la recevabilité d'une demande de diminution du loyer initial; ce sont les
art. 269 et 269a CO
exclusivement qui fournissent les critères matériels permettant de juger du bien-fondé d'une telle demande (OR-ZIHLMANN, n. 3 ad
art. 270 CO
). Ainsi, le fait qu'un locataire a accepté de payer un loyer sensiblement plus élevé que celui que devait acquitter le précédent locataire n'implique pas à lui seul le caractère abusif du nouveau loyer et ne justifie pas non plus une protection fondée sur la confiance, qui autoriserait le recours à la méthode de calcul relative. | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d38ebff2-37cf-4b1f-861c-a80c797d0e17 | Urteilskopf
120 Ib 76
13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Februar 1994 i.S. M. gegen Baudepartement des Kantons Schwyz und Regierungsrat des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Lärmschutzmassnahmen, Kostentragung.
In
Art. 19 ff. USG
sind im Zusammenhang mit der Regelung der Kostentragungspflicht für Lärmschutzmassnahmen Ausnahmen vom Verursacherprinzip (
Art. 2 USG
) bzw. Präzisierungen dazu vorgesehen (E. 3).
Frage offengelassen, ob es sich hier um einen Anwendungsfall von
Art. 24 Abs. 1 USG
oder allenfalls um einen solchen von
Art. 24 Abs. 2 USG
handelt. Selbst wenn zu Gunsten des betroffenen Grundeigentümers angenommen wird, die von ihm für eine Überbauung vorgesehenen Parzellen lägen in einer RPG-konformen, erschlossenen Bauzone, so hat er die Kosten für die Lärmschutzmassnahmen im Hinblick auf die massgebenden Vorschriften des Bundesumweltschutzrechts trotzdem - zumindest vorläufig - zu tragen (E. 4).
Mögliche enteignungsrechtliche Folgen für den Fall, dass ein Baugesuch gestützt auf
Art. 22 USG
abgelehnt wird (E. 5a), bzw. für den Fall, dass die zu treffenden Schallschutzmassnahmen dem Grundeigentümer im Rahmen eines Nutzungsplanes nach
Art. 14 ff. RPG
auferlegt werden (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 77
BGE 120 Ib 76 S. 77
M. ist Eigentümer der in der Nähe der Nationalstrasse N3 befindlichen Liegenschaft "Mühlebach", die sich gemäss dem aus dem Jahre 1978 stammenden Zonenplan der Gemeinde Altendorf in der Zone W4 befindet. Die Gemeinde erliess ebenfalls im Jahre 1978 Sonderbauvorschriften (SBV) betreffend den Schutz vor Lärm von Hochleistungsstrassen. Diese Sonderbauvorschriften erstrecken sich auch auf die genannte Liegenschaft. Baureglement, Zonenplan und Sonderbauvorschriften wurden vom Regierungsrat des Kantons Schwyz am 12. Juni 1978 genehmigt.
Art. 4 SBV
schreibt folgendes vor:
"1. Neubauten dürfen nur gestützt auf einen Quartiergestaltungsplan § 41 Baugesetz bewilligt werden.
2. Zum ordentlichen Inhalt des Gestaltungsplanes gehört in jedem Fall der Nachweis, dass in Wohn- und Schlafräumen die wünschbaren Lärmgrenzwerte in bezug auf den Hochleistungsstrassenlärm eingehalten sind.
3. Solange keine anderen Vorschriften von Bund und Kantonen bestehen, sind die folgenden, im Schlussbericht vom März 1974 der vom eidg. Amt für Strassen- und Flussbau (ASF) eingesetzten Expertenkommission festgelegten, wünschbaren Lärmgrenzwerte einzuhalten.
Tag 06.00-22.00h: L50 = 50 dB(A) L1 = 60 dB(A)
Nacht 22.00-06.00h: L50 = 40 dB(A) L1 = 50 dB(A)
Diese Werte sind berechnet auf Grund der im ASF Schlussbericht für Lärmberechnungen massgebenden Verkehrsmengen.
4. Die Gebäude dürfen erst bewohnt werden, wenn alle erforderlichen Massnahmen wirksam sind."
Nach
Art. 6 Ziff. 2 SBV
kann der Gemeinderat auf Kosten der interessierten Grundeigentümer zusätzliche Untersuchungen anerkannter Akustiker verlangen, wenn ihm eine klare Beurteilung auf Grund der eingereichten Akten nicht
BGE 120 Ib 76 S. 78
möglich ist. Gemäss
Art. 7 SBV
gehen diese Sonderbauvorschriften den übrigen Vorschriften der Bau- und Zonenordnung vor.
Am 14. Februar 1989 genehmigte der Regierungsrat des Kantons Schwyz für eine von M. geplante Überbauung des fraglichen Gebietes einen Quartiergestaltungsplan. Dieser bezieht sich auf eine Grundfläche von insgesamt 17'057 m2, wovon sich 11'375 m2 in der Zone W4 und die übrigen 5'682 m2 in der Wohn- und Gewerbezone (WG) befinden. In Art. 12 der im Rahmen des Quartiergestaltungsplans erlassenen Sonderbauvorschriften wird M. verpflichtet, für die Realisierung der ersten Überbauungsetappe bauliche Lärmschutzmassnahmen entlang der N3 vorzunehmen. Art. 12 dieser Sonderbauvorschriften lautet wie folgt:
"Die exakten Ausmasse der Lärmschutzmassnahmen sind im beiliegenden EMPA- Bericht definiert.
Die Lärmschutzmassnahmen werden entsprechend den hypothetischen Bauetappen realisiert.
1. Etappe: REFH 1-7
Massnahme gem. Beilage 5 EMPA-Bericht: Wall entlang N3 bis Mühlebach mit Kronenhöhe 432.0 - 435.5 m.ü.M. mit Abschluss südwestlich KTN 1237.
2. Etappe: MFH A/B/C/D
Massnahmen gem. Beilage 7 EMPA-Bericht:
Lärmschutzwand entlang N3 im Bereich Mühlebach mit Kronenhöhe 430.0 m.ü.M. und Kronenhöhe 3 m über Fahrbahnhöhe.
3. Etappe: MFH E/F/G REFH 8-20
Massnahme gem. Beilage 6 EMPA-Bericht: Lärmschutzwand entlang Kantonsstrasse mit 2 m Höhe. Nordfassade mit Schallschutzfenstern oder spezieller Fassadengestaltung (schallreflektierende Elemente).
Bei Etappe III können die Werte nur eingehalten werden, wenn Etappe IV oder eine entsprechende Lärmschutzwand entlang der N3 realisiert wurde.
4. Etappe: Büro- und Gewerbehaus:
Massnahmen gem. Beilage 6 EMPA-Bericht: Das Gebäude wirkt als Schallschutzwand und bedingt eine entsprechende Fassadengestaltung (festverglaste Fenster, Nebenräume an Fassade)."
In Erfüllung dieser Verpflichtung liess M. im November 1990 eine Lärmschutzwand und einen Lärmschutzwall erstellen. Die damit verbundenen Kosten belaufen sich nach der von M. vorgelegten Abrechnung auf Fr. 260'948.--.
BGE 120 Ib 76 S. 79
Mit Schreiben vom 6. Mai 1991 ersuchte M. das Baudepartement des Kantons Schwyz um Rückerstattung der ihm entstandenen Kosten für die Lärmschutzmassnahmen. Mit Verfügung vom 24. Februar 1992 wies das Baudepartement des Kantons Schwyz dieses Gesuch im Sinne der Erwägungen ab. M. zog diese Verfügung mit Beschwerde an den Regierungsrat weiter, dem er folgende Anträge unterbreitete:
"1. Es sei in Aufhebung der Verfügung des Baudepartementes des Kantons Schwyz vom 24. Februar 1992 festzustellen, dass dem Gesuch des Beschwerdeführers um Rückerstattung der Planungs-, Projektierungs- und Baukosten für Lärmschutzmassnahmen an der N3 beim Areal 'Mühlebach', Altendorf, im Betrag von Fr. 260'948.-- im Rahmen des Strassensanierungsprogramms/Lärmbelastungskatasters zu entsprechen ist.
2. Eventualiter: Es sei in Aufhebung der Verfügung des Baudepartementes des Kantons Schwyz vom 24. Februar 1992 festzustellen, dass das Gesuch des Beschwerdeführers um Rückerstattung der Planungs-, Projektierungs- und Baukosten für Lärmschutzmassnahmen an der N3 beim Areal 'Mühlebach', Altendorf, im Betrage von Fr. 260'948.-- im Rahmen des Strassensanierungsprogramms/Lärmbelastungskatasters zu prüfen ist.
3. Die für das Strassensanierungsprogramm/Lärmbelastungskataster zuständigen Amtsstellen sind anzuweisen, den Beschwerdeführer über die Verfahrenseröffnung zu orientieren.
4. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Staates/ Vorinstanz."
Mit Entscheid vom 22. Dezember 1992 wies der Regierungsrat des Kantons Schwyz die Beschwerde ab.
Mit Eingabe vom 8. Februar 1993 erhob M. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, mit der er im wesentlichen dieselben Anträge wie vor dem Regierungsrat stellte und um Rückerstattung der genannten Kosten für die fraglichen Lärmschutzmassnahmen ersuchte.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Nationalstrasse N3 steht im Abschnitt des Areals "Mühlebach" unter der Hoheit des Kantons Schwyz (Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 8. März 1960 über die Nationalstrassen [NSG], SR 725.11). Der Regierungsrat vertritt im angefochtenen Entscheid die Auffassung, den Kanton Schwyz
BGE 120 Ib 76 S. 80
treffe im Einzugsbereich der betroffenen Grundstücke im Lichte des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 1983 über den Umweltschutz (Umweltschutzgesetz [USG], SR 814.01) und der diesbezüglichen Ausführungsbestimmungen keine Sanierungspflicht. Er stützt sich dabei namentlich auf
Art. 13 Abs. 4 lit. b der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV, SR 814.41)
. Die Pflicht des Bauherrn, die notwendigen Lärmschutzmassnahmen vorzukehren, damit die Lärm- bzw. Immissionsgrenzwerte eingehalten werden könnten, ergebe sich schon aus Art. 10 des alten, zur Zeit der Überbauung des Areals "Mühlebach" noch geltenden Baureglementes der Gemeinde Altendorf. Demzufolge dürften Bauten im Lärmbereich der Autobahn N3 nur erstellt werden, wenn die Lärmgrenzrichtwerte nicht überschritten seien oder durch geeignete Massnahmen auf ein zulässiges Mass reduziert werden könnten. Art. 4 der damals ebenfalls noch in Kraft stehenden Sonderbauvorschriften habe im notwendigen Gestaltungsplan auch den Nachweis verlangt, dass die wünschbaren Lärmgrenzwerte eingehalten würden. Zudem werde darin festgehalten, dass die Gebäude erst bewohnt werden dürften, wenn alle erforderlichen Massnahmen wirksam seien. Durch diese Bestimmungen des kommunalen Bau- und Planungsrechts, welche die Vornahme von Lärmschutzmassnahmen verlangt hätten, habe gewährleistet werden können, dass die erforderlichen Grenzwerte eingehalten werden könnten. Eine Pflicht zur Sanierung der Autobahn N3 im Bereich der Überbauung Mühlebach zu Lasten des Inhabers der Autobahn sei demzufolge zu verneinen. Eine solche Betrachtungsweise sei umsomehr gerechtfertigt, als die Einzonung dieser lärmbelasteten Gebiete nur unter der Auflage erfolgt sei, dass die Einhaltung der geltenden Grenzwerte durch die Anordnung der erforderlichen Lärmschutzmassnahmen sichergestellt werde. Schon unter den inzwischen aufgehobenen Bestimmungen des alten Baureglementes und der Sonderbauvorschriften sei die Einhaltung der massgebenden Lärmgrenzwerte somit Voraussetzung dafür gewesen, dass eine Baubewilligung habe erteilt werden können.
b) Der Beschwerdeführer macht demgegenüber im wesentlichen geltend, die Sanierungspflicht des Inhabers der N3 lasse sich entgegen der Auffassung des Regierungsrates nicht verneinen. Die richtige Auslegung der einschlägigen bundesrechtlichen Vorschriften führe zum Ergebnis, dass die grundsätzliche Sanierungspflicht für Emissionsbegrenzungen immer den Inhaber der Anlage treffe, wobei das Ausmass dieser Pflicht von verschiedenen Faktoren abhängig sei (
Art. 11 Abs. 2,
Art. 17 Abs. 1 USG
;
BGE 120 Ib 76 S. 81
Art. 13 Abs. 2,
Art. 14 LSV
u.a.). Die im Ausmass noch festzusetzende Sanierungspflicht sei sodann nicht sofort, sondern innert 15 Jahren seit Inkrafttreten der LSV zu erfüllen (
Art. 17 Abs. 2 LSV
). Für die so umschriebene Sanierungspflicht habe der Inhaber der Anlage in jedem Fall die Kosten zu tragen (
Art. 16 Abs. 1 LSV
). Werde der Bauwillige durch eine entsprechende Auflage im Sinne von
Art. 22 USG
im Baubewilligungsverfahren dazu veranlasst, emissionsbeschränkende Vorkehren auf seine Kosten zu treffen, die eigentlich, aufgrund des soeben erwähnten Grundsatzes, dem Inhaber der lärmigen Anlagen oblägen und aufgrund der Fristen in
Art. 17 Abs. 3 LSV
noch nicht durchgeführt worden seien, so seien in diesen Emissionsbeschränkungen keine Massnahmen im Sinne von
Art. 13 Abs. 4 lit. b LSV
zu sehen.
Art. 22 Abs. 2 USG
(oder auch
Art. 24 USG
) wolle nicht die Sanierungspflichten anders verteilen, sondern enthalte ergänzende Vorschriften, wenn die grundsätzliche Sanierungspflicht des Anlageinhabers aufgrund der konkreten Gegebenheiten nicht genügend weit gehe. Durch die Tatsache, dass der Bauwillige die eigentlich dem Anlageinhaber obliegende Sanierung vorweggenommen habe, ändere sich zumindest nichts an der Regelung der Kostentragung, die im Grundsatz in
Art. 2 USG
festgelegt sei. Der Anlageninhaber habe im Rahmen seiner Sanierungspflicht alle Kosten der durch den Bauwilligen vorfinanzierten Emissionsbeschränkungen zu tragen. Dabei gelte
Art. 16 LSV
;
Art. 31 Abs. 3 LSV
sei nur insofern anwendbar, als die Aufwendungen die Sanierungspflicht des Anlageninhabers überstiegen.
c) Das EDI hält dafür, die von der N3 verursachten Immissionen überschritten die Immissionsgrenzwerte, seien also schädlich oder lästig. Demnach müssten grundsätzlich verschärfte Emissionsbegrenzungen angeordnet werden. Dies gelte allerdings nur soweit, als die betroffene Überbauung nach den Vorschriften des Bau- und Planungsrechts bei Inkrafttreten der LSV und damit der relevanten Belastungsgrenzwerte überhaupt hätte erstellt werden dürfen (
Art. 41 Abs. 2 lit. a LSV
). Für Gebiete, in denen in diesem Zeitpunkt keine lärmempfindlichen Gebäude hätten erstellt werden dürfen, weil die Erschliessung gefehlt habe, schreibe das USG in Art. 24 Abs. 2 vor, dass mit raumplanerischen Massnahmen (Auszonung, Umzonung) sichergestellt werden müsse, dass das Gebiet einer weniger empfindlichen Nutzung zugeführt werde, es sei denn, es könne mittels planerischer, gestalterischer oder baulicher Massnahmen die Einhaltung der massgebenden
BGE 120 Ib 76 S. 82
Belastungsgrenzwerte erreicht werden. Bei solchen Massnahmen handle es sich somit nicht um Sanierungsmassnahmen für die lärmige Anlage, deren Kosten vom Anlageeigentümer zu tragen seien. Aus
Art. 13 Abs. 4 lit. a LSV
ergebe sich denn auch, dass gegenüber nicht erschlossenen Bauzonen keine Sanierungspflicht über die vorsorglichen Massnahmen hinaus bestehe. Entscheidend für den Umfang der Sanierungspflicht und damit gleichzeitig der Kostenpflicht der Nationalstrasse gegenüber der fraglichen Überbauung sei somit der Stand der Erschliessung beim Inkrafttreten der LSV. Gerade diese Frage habe aber die Vorinstanz offengelassen. Sie könne aufgrund der vorliegenden Akten nicht beantwortet werden. Deshalb könne auch nicht abschliessend zur Sanierungspflicht und zur Kostenpflicht Stellung genommen werden.
3.
a) Wer Massnahmen nach dem Umweltschutzgesetz verursacht, trägt die Kosten dafür (
Art. 2 USG
, Verursacherprinzip). Dies gilt grundsätzlich für die Massnahmen der vorsorglichen Emissionsbegrenzung (
Art. 11 Abs. 2 und 3 USG
) wie auch der Sanierung bestehender, die Umwelt belastender Anlagen (
Art. 16 ff. USG
). In
Art. 19 ff. USG
sind im Zusammenhang mit der Regelung der Kostentragungspflicht für Lärmschutzmassnahmen Ausnahmen vom Verursacherprinzip, wie es in
Art. 2 USG
verankert ist, bzw. Präzisierungen dazu vorgesehen (vgl.
BGE 118 Ib 407
E. 3b S. 410 mit Hinweisen; RAUSCH, Kommentar zum USG, N. 18 ff. zu Art. 2; ZÄCH, ebenda, N. 3 zu Art. 20; BANDLI, ebenda, N. 13 zu Art. 21 und N. 19 f. zu Art. 24).
Dabei auferlegt das Umweltschutzgesetz die Pflicht zur Ergreifung von Lärmschutzmassnahmen teils dem Eigentümer der davon betroffenen Grundstücke. Dies geht in Durchbrechung des Verursacherprinzips in der Regel zu seinen Lasten.
b) Zunächst betrifft
Art. 20 USG
den Fall, in welchem sich die Lärmimmissionen auf bestehende Gebäude in der Umgebung von bestehenden Strassen, Flughäfen, Eisenbahnanlagen oder andern öffentlichen oder konzessionierten ortsfesten Anlagen durch Massnahmen bei der Quelle nicht unter den Alarmwert herabsetzen lassen. In diesem Fall werden die Eigentümer der betroffenen Gebäude gestützt auf
Art. 20 Abs. 1 USG
verpflichtet, Räume, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen (lärmempfindliche Räume,
Art. 2 Abs. 6 LSV
), mit Schallschutzfenstern zu versehen oder durch ähnliche bauliche Massnahmen zu schützen. Die Eigentümer der lärmigen ortsfesten Anlagen tragen gemäss
Art. 20 Abs. 2 USG
die Kosten für die derart notwendigen Schallschutzmassnahmen, sofern sie
BGE 120 Ib 76 S. 83
nicht nachweisen, dass zum Zeitpunkt der Baueingabe des betroffenen Gebäudes (a) die Immissionsgrenzwerte schon überschritten wurden oder (b) die Anlageprojekte bereits öffentlich aufgelegt waren. Nur wenn bestehende Gebäude im eben beschriebenen Sinn von besonders intensiven Lärmimmissionen betroffen werden, sieht das Umweltschutzgesetz somit die Kostentragungspflicht des Eigentümers der lärmigen ortsfesten Anlagen für die zum Schutz der vom Lärm betroffenen Gebäude notwendigen Schallschutzmassnahmen vor, wobei sich der Anlageneigentümer erst noch aus den genannten Gründen von der Kostentragungspflicht befreien kann.
c) Sodann regelt
Art. 21 USG
die Verhältnisse in bezug auf den Schallschutz bei neuen Gebäuden. Wer ein Gebäude erstellen will, das dem längeren Aufenthalt von Personen dienen soll, muss nach Abs. 1 dieser Bestimmung einen angemessenen baulichen Schutz gegen Aussen- und Innenlärm sowie gegen Erschütterungen vorsehen. Diesen Mindestschutz auferlegt das Gesetz jedem Bauwilligen zu seinen Lasten.
d) Gemäss
Art. 22 Abs. 1 USG
werden Baubewilligungen für neue Gebäude in lärmbelasteten Gebieten, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, unter Vorbehalt von Abs. 2 nur erteilt, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden. Sind diese Werte überschritten, so werden Baubewilligungen für Neubauten, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur erteilt, wenn die notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen getroffen und die Räume zweckmässig angeordnet werden. Mit diesen Vorschriften auferlegt das Bundesumweltschutzrecht dem Bauwilligen die Pflicht und damit auch die Kostenpflicht für die Ergreifung der notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen, wenn er in einem Gebiet bauen will, wo die Immissionsgrenzwerte bereits überschritten sind. Ist der Bauwillige nicht bereit, diese zusätzlichen Schallschutzmassnahmen zu ergreifen und zu finanzieren, so darf ihm im Rahmen von
Art. 22 USG
keine Baubewilligung erteilt werden. In diesem Fall muss er warten, bis der für die Lärmverursachung Verantwortliche in Beachtung der ihm obliegenden Sanierungspflicht (
Art. 16 ff. USG
) saniert hat. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Bauwilligen, der Lärmschutzmassnahmen bezahlt hat, gegenüber dem Sanierungspflichtigen ein Rückerstattungsanspruch zusteht, muss hier nicht näher geprüft werden. Im Lichte von
Art. 20-24 USG
ist die Durchführung und Finanzierung "zusätzlicher Schallschutzmassnahmen" nach
Art. 22 Abs. 2 USG
somit
BGE 120 Ib 76 S. 84
zumindest vorläufig Sache des bauwilligen Grundeigentümers.
Im Hinblick auf
Art. 24 USG
ist festzustellen, dass die genannten Vorschriften von
Art. 22 USG
auf erschlossene Grundstücke in bestehenden, mit den Grundsätzen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes übereinstimmenden Bauzonen zugeschnitten sind (vgl. BANDLI, a.a.O., N. 7 zu
Art. 24 USG
; s. zum Ganzen auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 21. Oktober 1993 in URP 1994 S. 21 ff.).
e) Für neue Bauzonen und für unerschlossene Teile von bestehenden Bauzonen, die mit dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz vom 22. Juni 1979 (RPG, SR 700) übereinstimmen, enthält
Art. 24 USG
besondere Regelungen zur Bekämpfung unerwünschter Lärmimmissionen. Dabei werden in Abs. 1 dieser Bestimmung Anforderungen genannt, welche neue Bauzonen für Wohngebäude oder andere Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, erfüllen müssen. So dürfen neue Bauzonen für Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen (
Art. 2 Abs. 6 LSV
) nur in Gebieten vorgesehen werden, in denen die Lärmimmissionen die unter den Immissionsgrenzwerten liegenden - also strengeren - Planungswerte nicht überschreiten oder in denen diese Werte durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen eingehalten werden können. Abs. 2 von
Art. 24 USG
schreibt für unerschlossene bestehende Bauzonen eine Pflicht zur Festsetzung weiterer Planungsmassnahmen vor. Werden die Planungswerte in einer bestehenden, aber noch nicht erschlossenen Bauzone für Wohngebäude oder andere Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, überschritten, so sind sie gemäss dieser letztgenannten Bestimmung einer weniger lärmempfindlichen Nutzungsart zuzuführen, sofern nicht durch "planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen" im überwiegenden Teil dieser Zone die Planungs- werte eingehalten werden können.
Solche Massnahmen zur Einhaltung der Planungswerte sind vom zuständigen Planungsträger festzusetzen. Dies geschieht durch den Erlass planerischer Massnahmen, welche sich für den betroffenen Grundeigentümer als Eigentumsbeschränkungen erweisen. Unter Vorbehalt der materiellen und allenfalls formellen Enteignung sind solche Beschränkungen vom betroffenen Eigentümer grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen (vgl. ZÄCH, a.a.O., N. 6 und 8 zu
Art. 20 USG
; BANDLI, a.a.O., N. 13 zu Art. 21, N. 19 zu Art. 22, N. 15 ff. und N. 19 ff. zu
Art. 24 USG
). Er hat sie unter dem genannten
BGE 120 Ib 76 S. 85
Vorbehalt selbst zu tragen, sollen doch die Kantone gestützt auf
Art. 24 USG
sicherstellen, dass keine neuen Sanierungsfälle (
Art. 16 ff. USG
) entstehen.
f) Schliesslich dürfen nach
Art. 25 USG
neue ortsfeste Anlagen nur errichtet werden, wenn die durch diese Anlagen allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte in der Umgebung nicht überschreiten (Abs. 1). Nur wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an ihrer Errichtung besteht und die Einhaltung der Planungswerte zu einer unverhältnismässigen Belastung für das Projekt führen würde, dürfen für neue ortsfeste Anlagen Erleichterungen gewährt werden, solange die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden (Abs. 2). Können bei der Errichtung von neuen Strassen, Flughäfen, Eisenbahnanlagen oder andern öffentlichen oder konzessionierten ortsfesten Anlagen durch Massnahmen bei der Quelle die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden, so müssen die vom Lärm betroffenen Gebäude durch Schallschutzmassnahmen geschützt werden, welche in diesem (zweiten) Fall ebenfalls auf Kosten des Anlageneigentümers gehen (Abs. 3).
g) Die vorstehend dargelegte Rechtslage hinsichtlich der
Art. 16-25 USG
wird in der Lärmschutzverordnung präzisiert (s. dazu auch das bereits erwähnte bernische Urteil vom 21. Oktober 1993 in URP 1994 S. 21 ff.). So gelten die Belastungsgrenzwerte des Umweltschutzgesetzes gemäss
Art. 41 LSV
nicht nur bei Gebäuden mit lärmempfindlichen Räumen (Abs. 1), sondern auch in noch nicht überbauten Bauzonen, wo nach dem Bau- und Planungsrecht Gebäude mit lärmempfindlichen Räumen erstellt werden dürfen (Abs. 2 lit. a). Nach
Art. 13 Abs. 4 lit. b LSV
kann von Sanierungen abgesehen werden, wenn aufgrund des kantonalen Bau- und Planungsrechts am Ort der Lärmimmissionen planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen getroffen werden, mit denen die Immissionsgrenzwerte bis zum Ablauf der festgesetzten Fristen (
Art. 17 LSV
) eingehalten werden können. In
Art. 29 LSV
wird der Gehalt von
Art. 24 Abs. 1 USG
im wesentlichen wiederholt. In
Art. 31 LSV
wird
Art. 22 USG
konkretisiert. Danach dürfen, wenn die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, Neubauten und wesentliche Änderungen von Gebäuden mit lärmempfindlichen Räumen nur bewilligt werden, wenn diese Werte eingehalten werden können, sei es durch bauliche oder gestalterische Massnahmen, die das Gebäude gegen Lärm abschirmen, sei es durch die Anordnung der lärmempfindlichen Räume auf der dem Lärm abgewandten Seite des Gebäudes (
Art. 31 Abs. 1 LSV
). Nach
Art. 31 Abs. 3
BGE 120 Ib 76 S. 86
LSV
tragen die Grundeigentümer die Kosten für die Massnahmen. Zum Ort der Ermittlung schreibt schliesslich
Art. 39 Abs. 1 LSV
vor, bei Gebäuden seien die Lärmimmissionen in der Mitte der offenen Fenster lärmempfindlicher Räume zu ermitteln.
4.
a) Beim Zonenplan der Gemeinde Altendorf vom 12. Juni 1978 dürfte es sich nicht um einen Nutzungsplan im Sinne des Raumplanungsgesetzes und der diesbezüglich massgebenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung handeln (s.
BGE 118 Ib 38
ff.,
BGE 114 Ib 301
ff. und 305 E. 5c sowie nicht publ. Urteile vom 27. August 1993 i.S. Gemeinde Gelterkinden, vom 15. Juli 1993 i.S. Gemeinde Goldach, vom 25. Februar 1993 i.S. Erbengemeinschaft M., vom 18. September 1992 i.S. Gemeinde Männedorf und vom 30. Juli 1992 i.S. Einwohnergemeinde Langenbruck). Diesen Schluss legt nur schon der Umstand nahe, dass der fragliche Plan jedenfalls nicht in einem RPG-konformen Verfahren erging (
Art. 4 und 33 RPG
, s. in diesem Zusammenhang
BGE 114 Ib 305
E. 5c). Damit dürfte der vom Regierungsrat am 14. Februar 1989 genehmigte Quartiergestaltungsplan "Ueberbauung Mühlebach" vom 15. Mai 1988 für die beiden Grundstücke Kat.Nrn. 473 und 1155 die erste mit dem Raumplanungsgesetz des Bundes übereinstimmende nutzungsplanerische Massnahme und damit eine "neue Bauzone" nach
Art. 24 Abs. 1 USG
darstellen.
Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG
bzw.
Art. 24 Abs. 1 USG
entsprechend (s. BANDLI, a.a.O., N. 3 zu Art. 22 und N. 2 zu
Art. 24 USG
), enthält dieser Quartiergestaltungsplan in Art. 12 der dazugehörigen Sonderbauvorschriften verschiedene Lärmschutzmassnahmen. Diese wurden dem Beschwerdeführer als Eigentümer der beiden genannten Parzellen im Sinne öffentlichrechtlicher Eigentumsbeschränkungen auferlegt. Vermögen sich diese Beschränkungen u.a. auf
Art. 24 Abs. 1 USG
abzustützen, so muss der Beschwerdeführer für die Verwirklichung der gemäss Art. 12 der besonderen Vorschriften zum Quartiergestaltungsplan vorgesehenen Lärmschutzmassnahmen im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen selbst und grundsätzlich auf eigene Kosten sorgen. Nur für den Fall, dass er durch diese ihm durch öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen auferlegten Lärmschutzmassnahmen enteignungsähnlich betroffen wird, kann er wie jeder andere von Planungsmassnahmen betroffene Grundeigentümer eine Entschädigung wegen materieller bzw. formeller Enteignung geltend machen. Sind die Voraussetzungen der enteignungsrechtlichen Entschädigungspflicht dagegen nicht erfüllt, so hat der Beschwerdeführer für die durch die
BGE 120 Ib 76 S. 87
erwähnte Planung auferlegten Lärmschutzmassnahmen selbst aufzukommen.
b) Im Lichte der nachfolgenden Erwägungen kann allerdings offenbleiben, ob überhaupt ein Anwendungsfall von
Art. 24 Abs. 1 USG
(neue Bauzone) oder allenfalls ein solcher von
Art. 24 Abs. 2 USG
(unerschlossene RPG-konforme Bauzone) vorliegt. Selbst wenn nämlich zu Gunsten des Beschwerdeführers angenommen wird, die beiden fraglichen Parzellen lägen in einer RPG-konformen, erschlossenen Bauzone, so hat er die Kosten für die Lärmschutzmassnahmen, die in Art. 12 der Sonderbauvorschriften zu diesem Quartiergestaltungsplan enthalten sind, im Hinblick auf die erwähnten Vorschriften des Bundesumweltschutzrechtes trotzdem zu tragen. Diesfalls muss dem fraglichen Quartiergestaltungsplan Baubewilligungscharakter beigemessen werden. Entsprechend wäre davon auszugehen, mit dessen Erlass seien wesentliche Teile der gestützt auf
Art. 22 RPG
notwendigen Baubewilligung erteilt worden. Dann wären aber im Baubewilligungsverfahren die dargelegten Grundsätze nach
Art. 21 und 22 USG
in bezug auf Schallschutzmassnahmen in unüberbauten, erschlossenen lärmbelasteten Gebieten anwendbar. Gemäss diesen Vorschriften haben - wie ausgeführt worden ist - die Grundeigentümer für die zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen in Fällen wie dem vorliegenden jedenfalls vorläufig aufzukommen (vgl. oben E. 3d). Das ergibt sich insbesondere aus Art. 22 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 20 USG
sowie aus
Art. 31 Abs. 1 und 3 LSV
. Aus dieser Baubewilligung ergäben sich für den Beschwerdeführer öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen, welche wie diejenigen, die sich aus Planungsmassnahmen herleiten, enteignungsrechtlich relevant sein können.
5.
a) Wird ein Baugesuch gestützt auf
Art. 22 USG
abgelehnt, weil das Baugrundstück übermässigen Immissionen der Nationalstrasse ausgesetzt ist, so hat der Grundeigentümer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes grundsätzlich keinen Anspruch gegenüber der Gemeinde auf Entschädigung wegen materieller Enteignung, wohl aber unter Umständen einen enteignungsrechtlichen Entschädigungsanspruch gegen den Kanton als Werkeigentümer der Nationalstrasse (BGE vom 30. Mai 1979 i.S. Gemeinde Knonau, ZBl 81/1980, S. 354 ff.; s. auch ZÄCH, a.a.O., N. 37 zu
Art. 20 USG
, und BANDLI, N. 17 f. zu
Art. 24 USG
). Gegen solche Immissionen können sich die Betroffenen in der Regel mit den in
Art. 679 und 684 ZGB
umschriebenen
BGE 120 Ib 76 S. 88
nachbarrechtlichen Klagen zur Wehr setzen (s.
BGE 110 Ib 340
E. 2 S. 346 mit Hinweisen). Gehen die Immissionen dagegen, wie hier, von einem Werk aus, für welches den Werkeigentümern das Enteignungsrecht zusteht, so hat der Nachbar nur noch einen Entschädigungsanspruch gemäss Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG, SR 711;
BGE 107 Ib 387
E. 2a S. 388 f. mit Hinweisen). Dieser Anspruch ist im formellen Enteignungsverfahren geltend zu machen, d.h. entweder im Planauflageverfahren nach
Art. 27 ff. EntG
bzw.
Art. 39 Abs. 2 NSG
anzumelden oder, wenn die Schädigung nicht vorauszusehen war, innerhalb der Frist gemäss
Art. 41 Abs. 2 EntG
nachträglich vorzubringen. In Fällen, in denen das für den Nationalstrassenbau benötigte Land entweder freihändig oder durch ein Güterzusammenlegungsverfahren erworben werden konnte und daher kein Enteignungsverfahren durchgeführt werden musste, kann der Grundeigentümer, der nachträglich Entschädigungsansprüche stellen will, innerhalb der Verjährungsfrist mit dem Begehren um Eröffnung eines Enteignungsverfahrens an den Kanton als Werkeigentümer der Autobahn gelangen. Ersatzansprüche, die im Landumlegungsverfahren nicht befriedigt werden konnten (Art. 23 der Verordnung vom 24. März 1964 über die Nationalstrassen [NSV], SR 725.111), sind innert einer Frist von fünf Jahren seit Entstehung des Anspruches geltend zu machen (
BGE 105 Ib 6
E. 3c und d S. 13 ff.). Gegen eine allfällige Weigerung des Kantons, das Enteignungsverfahren einzuleiten, steht die Beschwerde an das Bundesgericht offen (BGE vom 30. Mai 1979 i.S. Gemeinde Knonau, ZBl 81/1980, S. 358 mit Hinweisen, s. auch
BGE 111 Ib 233
ff., 110 Ib 43 ff. und 368 ff.).
b) Anders verhält es sich, wenn die zu treffenden Schallschutzmassnahmen dem Grundeigentümer u.a. in Anwendung von
Art. 24 Abs. 1 USG
im Rahmen eines Nutzungsplanes nach
Art. 14 ff. RPG
auferlegt werden. In einem solchen Fall kann der Grundeigentümer gegenüber dem planenden Gemeinwesen ein Verfahren wegen materieller Enteignung (
Art. 5 Abs. 2 und
Art. 34 Abs. 1 RPG
) einleiten (
BGE 107 Ia 240
ff.,
BGE 105 Ia 330
E. 3e S. 338 f.; s. auch AEMISEGGER, Raumplanung und Entschädigungspflicht, VLP-Schriftenfolge Nr. 36, S. 112 f., und BANDLI, a.a.O., N. 16 f. zu
Art. 24 USG
). Soweit eine materielle Enteignung wegen Planungsmassnahmen, die aus Lärmschutzgründen festgesetzt werden, zu bejahen ist, steht dem planenden Gemeinwesen gegenüber dem für die Lärmverursachung Verantwortlichen ein Rückgriffsrecht zu. Zur Sicherung solcher Regressansprüche des planenden Gemeinwesens ist
BGE 120 Ib 76 S. 89
der für die Lärmverursachung Verantwortliche zweckmässigerweise im Ent- eignungsverfahren beizuladen.
6.
Aus den dargelegten Gründen kann den vom Beschwerdeführer gestellten Begehren bei den gegebenen Verhältnissen nicht entsprochen werden. Entsprechend ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d39376a0-cba9-4b68-b74b-59071ce4652f | Urteilskopf
101 Ib 37
8. Arrêt du 14 février 1975 en la cause Provins Valais, Vin-Union Genève et Fédération Cave de la Côte contre Administration fédérale des contributions | Regeste
Warenumsatzsteuer.
1. Die Entscheidung der Steuerbehörde, eine Praxis künftig zu ändern, bedeutet nicht den Widerruf eines Verwaltungsaktes (Erw. 2).
2. Bemessung des steuerbaren Entgelts für die Lieferung von Wein durch eine Genossenschaft an ihre Mitglieder, wenn das Erzeugnis für den Eigenbedarf der Empfänger bestimmt ist und diese, um es zu erhalten, der Genossenschaft ein entsprechendes Quantum ihrer Ernte abgegeben haben. Gesetzmässigkeit und Angemessenheit der Praxis, welche die Steuerbehörde einführen will (Erw. 3-5). | Sachverhalt
ab Seite 38
BGE 101 Ib 37 S. 38
Provins Valais, Vin-Union Genève et la Fédération Cave de la Côte sont des sociétés ayant pour but la vinification, l'utilisation et la vente en commun des produits et sous-produits provenant de la vendange des sociétaires. Ces derniers ont l'obligation de remettre à la société dont ils sont membres la totalité de leurs vendanges. Ils peuvent obtenir en retour le vin destiné à leur propre consommation.
Ces sociétés sont des grossistes au sens de l'Arrêté du Conseil fédéral instituant un impôt sur le chiffre d'affaires, du 29 juillet 1941 (AChA). Cette contribution fut d'abord prélevée sur la pleine valeur du vin livré par les sociétés à leurs membres. Dès 1955, l'Administration fédérale des contributions (AFC) admit de ne percevoir l'impôt que sur la valeur des prestations de la société (pressurage, vinification, mise en bouteille, etc.). En 1974, l'AFC informa les sociétés qu'à l'avenir, la valeur de la marchandise reçue lors de la remise de raisin par les viticulteurs sociétaires pour obtenir en retour du vin destiné à leur propre consommation ferait partie de la contre-prestation imposable au sens de l'art. 22 AChA.
Le Tribunal fédéral a admis le recours de droit administratif formé par ces sociétés contre la décision sur réclamation prise par l'AFC et confirmant ce changement de pratique.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le présent recours s'est formé pour violation du droit fédéral. Les recourantes allèguent également l'inopportunité de la décision entreprise. Ces deux griefs sont recevables (art. 104 lit. a et c ch. 1 OJ).
BGE 101 Ib 37 S. 39
2.
Les recourantes soutiennent que la décision entreprise constitue la révocation d'un acte administratif, et que les conditions requises pour qu'une telle mesure soit admissible ne sont pas remplies in casu. Elles relèvent en particulier que l'autorité fiscale savait depuis longtemps déjà que le membre de la société coopérative qui reçoit le vin destiné à sa propre consommation ne reprend pas forcément un produit fabriqué avec sa propre vendange, puisque celle-ci a été mélangée à celle des autres sociétaires. Dès lors, en déclarant avoir constaté que le client ne recevait pas en retour un produit fabriqué avec la matière qu'il avait remise, l'AFC a violé le principe de la bonne foi. Par ailleurs, la pratique suivie jusqu'alors n'était pas manifestement inexacte et ne reposait pas sur une conception juridiquement fausse. Il était dès lors inadmissible de la révoquer.
Cette argumentation ne saurait toutefois être retenue. La décision sur réclamation rendue par l'AFC ne vise nullement à révoquer ou à modifier une décision entrée en force. L'interprétation que l'autorité fiscale a donnée à la loi au cours de ces dernières années ne peut être qualifiée d'acte administratif. Les modalités d'imposition des livraisons de vin de la société coopérative à ses membres, pour les besoins de ces derniers, ne constituaient pas des mesures de nature générale et concrète, s'adressant à un nombre indéterminé de personnes quelconques qui, dans une situation particulière, sont tenues de se comporter de la même façon (soit des "Allgemeinverfügungen" cf. GRISEL, Droit administratif suisse, p. 193). Dans sa réponse au recours, l'AFC a notamment précisé qu'elle a suspendu l'application de la nouvelle pratique aux sociétés coopératives viticoles jusqu'à droit connu sur le sort du présent litige et qu'elle ne la mettra pas en vigueur rétroactivement si elle obtient gain de cause. En rendant la décision entreprise, elle a entendu se prononcer de manière durable sur les modalités d'imposition, à l'avenir, des livraisons de vin par la société coopérative viticole à ses membres. La décision attaquée n'a donc pas pour objet de modifier des décisions concrètes déjà rendues; elle ne se rapporte qu'au changement d'une pratique administrative suivie jusqu'à ce jour.
Les autorités chargées d'appliquer la loi ne sont pas formellement liées par l'interprétation qu'elles donnent à certaines de ses dispositions. Certes, une pratique ne doit être
BGE 101 Ib 37 S. 40
modifiée que si ce changement se fonde sur des motifs sérieux et objectifs; c'est dans cette mesure seulement que l'on peut admettre que les précédents lient l'autorité. Au plan du droit fiscal en particulier, la modification d'une pratique n'est pas soumise aux mêmes conditions que celles qui régissent la revision d'une taxation passée en force, lorsque le changement envisagé ne vise qu'à régler des situations de fait en raison desquelles aucune procédure de taxation n'a encore été engagée.
En l'espèce, les recourantes n'affirment pas, ni ne démontrent avoir pris des mesures d'organisation conditionnées par la pratique en vigueur. Il n'est dès lors pas nécessaire d'examiner si et dans quelle mesure le principe de la bonne foi pourrait être invoqué avec succès pour mettre obstacle, en ce qui les concerne, à la modification de cette pratique.
La question litigieuse est ainsi uniquement celle de savoir quelle est, des deux interprétations en présence, celle qui doit être confirmée.
3.
a) Le 19 juillet 1958, l'AFC avait exposé à Provins Valais, dans les termes suivants, les considérations sur lesquelles se fondait son interprétation de la loi en ce qui concerne le calcul de l'impôt sur le chiffre d'affaires afférent aux livraisons de vin par la société à ses membres...
"Pour autant que les vignerons se réservent d'emblée une certaine
quantité de vin à recevoir au printemps suivant, nous considérons qu'il
y a alors de votre part livraison en vertu d'un contrat d'entreprise et
que la quantité de vendange à pressurer et à vinifier, correspondante au
vin réservé, vous a été mise à disposition par les vignerons.
En conséquence, nous admettons jusqu'à nouvel avis que vous
n'acquittiez l'impôt à 3,6% que sur la valeur des prestations faites par
votre maison (par ex. coût des travaux de pressurage, de vinification,
de mise en bouteille) à laquelle s'ajoutent la valeur du matériel livré
(bouteilles, bouchons, étiquettes) et le bénéfice que vous prenez sur de
telles livraisons. Si la facturation s'établit par mise en compte, la
somme imposable équivaut pratiquement à la différence entre la valeur
du vin mis en bouteilles et livré aux vignerons et le prix de la quantité
de vendange qu'il vous ont mise à disposition pour ce vin. Il va de soi
que le vin que le sociétaire, au moment de la vendange, s'est réservé de
reprendre doit provenir de la sorte ou qualité de vendange qu'il a
fournie lui-même."
b) Dans la décision entreprise, l'AFC se place à un point de vue différent. Elle ne se prononce pas sur la nature de droit civil des accords liant la société à ses membres, en tant qu'ils
BGE 101 Ib 37 S. 41
concernent les livraisons de vin; elle ne soutient pas que l'on se trouverait en présence de deux opérations de vente, portant l'une sur la vendange, l'autre sur le vin mis en bouteilles. Elle n'exclut pas non plus que l'on ait affaire en l'espèce à un contrat d'entreprise. C'est au contraire en se fondant sur les notions de livraisons et de contre-prestations, telles qu'elles ressortent de l'AChA, que l'autorité fiscale a pris la décision attaquée.
Selon l'art. 15 al. 1 AChA, il y a livraison sur territoire suisse lorsque celui qui reçoit la marchandise ou un tiers à sa place est mis en mesure de disposer en son nom propre d'une marchandise qui se trouve en Suisse au moment où est accordé le pouvoir d'en disposer. Est aussi réputée livraison de marchandise la remise d'une marchandise fabriquée en vertu d'un contrat d'entreprise ou d'un mandat (art. 15 al. 2 AChA). L'impôt sur le chiffre d'affaires se calcule sur la somme des contre-prestations reçues durant la période fiscale (art. 20 al. 1 lit. a AChA). Selon l'art. 22 AChA, est réputé contre-prestation tout ce que le fournisseur, ou un tiers à sa place, reçoit en échange de la livraison. L'art. 22 al. 3 AChA précise que s'il s'agit d'un échange de marchandises, la valeur de chacune est considérée comme contre-prestation pour l'autre; si la marchandise a été donnée en paiement, est réputé contre-prestation le montant soldé par l'opération.
Dès lors, à l'avis de l'AFC, le montant de la contre-prestation imposable, dans les cas où le grossiste est chargé d'exécuter un ouvrage en utilisant des matières premières remises par le client, sera différent selon que la matière qui a servi à fabriquer la marchandise commandée a fait l'objet d'une livraison ou qu'au contraire, elle a été seulement mise à disposition. Ce n'est que s'il y a mise à disposition, le fabricant étant obligé d'utiliser la matière qui lui a été remise pour exécuter l'ouvrage commandé, que seul le coût du travail constitue la contre-prestation imposable.
En application de ces principes, l'autorité fiscale a modifié sa pratique antérieure applicable au calcul de l'impôt dans des cas tels que la livraison de pneus regommés contre reprise de pneus usés, celle de moteurs automobiles revisés contre reprise de moteurs à reviser, celle de barres de métal contre reprise de déchets de plomb. Dans tous ces cas, la valeur de la marchandise remise au fabricant constitue l'un des éléments de la
BGE 101 Ib 37 S. 42
contre-prestation de la livraison imposable. Le Tribunal fédéral n'a pas en l'espèce à se prononcer sur le bien-fondé de cette nouvelle pratique, en ce qui concerne les cas précités. La seule question litigieuse in casu est celle de savoir s'il se justifiait de l'étendre à la livraison de vin par la société coopérative à ses membres, lorsque ce produit est destiné à la propre consommation de ces derniers et que ceux-ci, pour l'obtenir, ont remis une quantité de vendange correspondante.
4.
a) Les recourantes ne contestent pas que les livraisons de vin constituent des livraisons au sens de l'art. 13 al. 1 lit. a AChA. Le litige porte en l'espèce exclusivement sur la détermination de la contre-prestation au sens des art. 20 al. 1 lit. a et 22 AChA.
b) Les membres des sociétés recourantes ont l'obligation de leur remettre la totalité de leurs vendanges. Ils poursuivent ainsi un double but. Il s'agit pour eux d'obtenir le vin destiné à leur propre consommation, d'une part, et, d'autre part, d'assurer en commun la vinification, l'utilisation et la vente des produits de leurs vignes. L'autorité fiscale a relevé qu'il ne pouvait être établi que le vigneron reçoit en retour une marchandise fabriquée avec le produit livré à la société. Celle-ci peut donc en disposer comme une propriétaire. Au plan du droit civil, il faut certes admettre que la propriété des vendanges passe aux sociétés recourantes. Mais celles-ci doivent en assurer l'utilisation aux meilleures conditions et dans l'intérêt de tous les membres. Des raisons pratiques évidentes expliquent que les recourantes deviennent propriétaires de l'ensemble des vendanges, et non pas seulement de la part qui ne correspond pas au vin livré aux membres pour leur propre consommation. Un traitement séparé de l'une et l'autre partie des récoltes ne pourrait se faire que moyennant des dépenses très importantes; une telle façon de procéder irait à l'encontre d'une organisation rationnelle et adaptée aux buts poursuivis. Dès lors, bien que le vin livré à tous les membres ne corresponde que quantitativement à la vendange qu'ils ont fournie, il se justifie d'assimiler le cas présent à celui d'une mise à disposition proprement dite.
c) On ne saurait dès lors soutenir que la situation discutée en l'espèce est comparable, en fait et en droit, à la livraison de pneus regommés contre reprise de pneus usés ou à celle de barres de métal contre reprise de déchets de plomb. L'autorité
BGE 101 Ib 37 S. 43
fiscale, en appliquant strictement la règle qu'elle a définie à propos des cas précités et selon laquelle la valeur de la marchandise remise constitue un élément de la contre-prestation imposable lorsque le client ne reçoit pas un produit fabriqué exclusivement avec la matière qu'il a fournie, n'a pas tenu compte de manière adéquate de la nature économique des relations entre les recourantes et les viticulteurs sociétaires. Or, la prise en considération de cet élément se justifiait d'autant plus en l'espèce que l'AFC ne s'est nullement fondée, pour prendre la décision entreprise, sur la nature de droit civil de ces relations.
La pratique suivie jusqu'à présent est mieux adaptée à la situation de fait litigieuse, et doit être maintenue de préférence à celle que voulait instaurer la décision attaquée. Le présent recours doit ainsi être admis.
5.
Les recourantes ont également soulevé le grief d'inopportunité. Elles relèvent à cet égard qu'il ne convient pas de modifier une pratique déjà fort ancienne alors qu'une revision complète du système de l'impôt sur le chiffre d'affaires est envisagée. Par ailleurs, la pratique suivie jusqu'à présent aurait le mérite d'aller dans le sens de la politique fédérale de soutien à l'agriculture, ce qui serait loin d'être le cas de celle que consacre la décision entreprise. Les recourantes remarquent enfin qu'en cas du rejet du recours, les vignerons qui livrent la totalité de leurs vendanges à des sociétés coopératives viticoles devront supporter la charge de l'impôt sur le chiffre d'affaires pour le vin destiné à leur propre consommation, alors que les producteurs qui commercialisent eux-mêmes leur récolte ne paient aucun impôt pour la part de celle-ci qu'ils consomment eux-mêmes.
Les arguments des recourantes, dans la mesure où ils s'inspirent de considérations de politique économique, ne peuvent être déterminants pour l'interprétation des dispositions légales en vigueur. Ils fournissent toutefois des éléments d'appréciation utiles in casu.
a) On ne saurait soutenir que la longue durée d'une pratique constitue en elle-même un obstacle à la modification de cette dernière. En l'espèce toutefois, cet élément contribue à faire pencher la balance en faveur du maintien de la pratique actuelle, dès lors que d'autres motifs vont dans le sens de l'admission du recours (cf. RO 100 Ib 65).
BGE 101 Ib 37 S. 44
b) Selon l'art. 11 al. 1 lit. a AChA, les viticulteurs livrant exclusivement des produits tirés de leur propre exploitation ne sont pas grossistes. Chacun peut donc, sous réserve de l'art. 8 al. 1 lit. b AChA, acquérir du vin auprès d'eux sans que l'impôt sur le chiffre d'affaires ne soit prélevé. La loi accorde aux viticulteurs producteurs un privilège dont ne bénéficient pas les vignerons qui se groupent pour former une société coopérative, cette dernière étant assujettie à l'impôt en tant que grossiste. On doit ainsi constater que la législation actuelle désavantage les coopératives viticoles et, indirectement, leurs membres, par rapport aux vignerons qui livrent les produits tirés de leur propre exploitation. L'autorité fiscale souligne à juste titre que cette différence de traitement résulte de la loi, et non d'une pratique administrative. Mais on ne saurait faire abstraction de cette réalité juridique lorsque, de deux interprétations de la loi, l'une accentue, au lieu de l'atténuer, la différence entre les vignerons producteurs et les vignerons membres de sociétés coopératives.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et annule la décision attaquée. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d3975e2b-900b-46e4-b71d-2ab4dc2ad9f2 | Urteilskopf
137 V 362
36. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. H. gegen Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_55/2011 vom 20. Juni 2011 | Regeste
Art. 29 Abs. 1 und 2,
Art. 95 Abs. 1 und
Art. 55 Abs. 2 AVIG
;
Art. 25 Abs. 1 ATSG
; Rückforderung von gestützt auf
Art. 29 Abs. 1 AVIG
ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung.
Die Subrogation gemäss
Art. 29 Abs. 2 AVIG
verschafft der Arbeitslosenkasse keinen Rückforderungsanspruch gegenüber dem Versicherten, sondern gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber. Gestützt auf
Art. 29 Abs. 1 AVIG
ausgerichtete Leistungen der Arbeitslosenkasse sind nicht unrechtmässig bezogen worden und können daher nicht nach
Art. 95 Abs. 1 AVIG
und
Art. 25 Abs. 1 ATSG
zurückgefordert werden. Die Sonderregelung für die Rückerstattung von Insolvenzentschädigung von
Art. 55 Abs. 2 AVIG
kann nicht analog auf die Rückforderung von gestützt auf
Art. 29 Abs. 1 AVIG
ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung angewendet werden (E. 4.1-4.3). | Sachverhalt
ab Seite 363
BGE 137 V 362 S. 363
A.
A.a
Der 1955 geborene H. war ab 15. März 2007 als Direktor Marketing und Verkauf für die Firma X. AG tätig. Am 22. Juli 2008 kündigte diese das Arbeitsverhältnis fristlos. H. stellte am 14. August 2008 Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 4. August 2008. Am 10. Oktober 2008 liess er Klage gegen die Firma X. AG erheben und die Bezahlung von Fr. 69'000.- (Lohn während vertraglich vereinbarter sechsmonatiger Kündigungsfrist) sowie eine Entschädigung beantragen. Mit Subrogationsanzeigen vom 22. Oktober 2008 teilte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen dem Versicherten sowie der ehemaligen Arbeitgeberin mit, in Anbetracht der ungeklärten Sachlage bezüglich Lohnzahlungen während der vertraglichen Kündigungsfrist werde sie für den Zeitraum ab 4. August 2008 bis 31. Januar 2009 Arbeitslosenentschädigung an den Versicherten ausrichten, womit alle arbeitsvertraglichen Ansprüche im Umfang ihrer Leistungen auf sie übergingen. Am 22. Oktober 2008 zeigte sie dem zuständigen Kreisgericht an, dass sie sich als Hauptpartei an der arbeitsrechtlichen Streitsache zwischen dem Versicherten und der Firma X. AG beteilige. Mit Verfügung vom
BGE 137 V 362 S. 364
7. November 2008 stellte die Arbeitslosenkasse H. per 23. Juli 2008 für 50 Tage in der Anspruchsberechtigung ein, da sie ihm vorsorglich ein Verschulden an der Arbeitslosigkeit anlasten müsse. Nachdem der Versicherte hiegegen Einsprache erhoben hatte, sistierte die Arbeitslosenkasse das Verfahren bis zum rechtskräftigen Entscheid im arbeitsrechtlichen Verfahren. Am 19./20. Mai 2009 schloss H. mit seiner ehemaligen Arbeitgeberin einen Vergleich ab, wonach sich Letztere verpflichtete, dem Versicherten Fr. 15'000.- und für den Fall, dass die Arbeitslosenkasse den Prozess nach Rückzug der Klage durch den Versicherten nicht fortführe, weitere Fr. 25'000.- zu bezahlen. H. liess dem Kreisgericht am 28. Mai 2009 mitteilen, er ziehe die Klage zurück, soweit er darüber infolge Eintritts der Arbeitslosenkasse noch verfügen könne. Die Arbeitslosenkasse stimmte dem Vergleich nicht zu, zog die Klage jedoch am 19. August 2009 ebenfalls zurück. Das arbeitsrechtliche Verfahren wurde daher am 1. September 2009 abgeschrieben.
A.b
Mit Verfügung vom 19. August 2009 forderte die Arbeitslosenkasse von H. zuviel bezogene Taggeldleistungen im Betrag von Fr. 38'002.55 (netto) zurück, da er zufolge des Klagerückzuges keinen Anspruch mehr auf die ihm durch die Arbeitslosenkasse vorausbezahlten Leistungen vom 4. August 2008 bis 31. Januar 2009 im Betrag von Fr. 36'997.25 habe. Mit Entscheid vom 11. November 2009 hiess die Arbeitslosenkasse die hiegegen erhobene Einsprache teilweise gut und reduzierte die Rückforderung auf Fr. 25'000.-. Zur Begründung führte sie aus, gestützt auf den Vergleich gemachte Zahlungen seien subrogationsweise auf die Arbeitslosenkasse übergegangen und diese zwingende Subrogationsvorschrift könne durch prozessuale Abmachungen der Parteien im Rahmen eines Vergleichs nicht eingeschränkt werden.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher H. die Aufhebung des Einspracheentscheids vom 11. November 2009, eventualiter dessen Abänderung dahingehend, dass eine Rückforderung von Fr. 3'483.90 (brutto) erlassen werde, beantragen liess, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 18. November 2010 ab.
C.
H. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sowie subsidiäre Verfassungsbeschwerde führen und die Aufhebung des angefochtenen Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. November 2010 sowie von Ziffer 3 des
BGE 137 V 362 S. 365
Dispositivs des Einspracheentscheids der Arbeitslosenkasse vom 11. November 2009 beantragen. Zudem lässt er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung ersuchen.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Vernehmlassung.
D.
Mit Verfügung vom 1. April 2011 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Das Bundesgericht tritt auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht ein, heisst aber die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung im Allgemeinen (
Art. 8 Abs. 1 AVIG
[SR 837.0]) sowie zur Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls im Besonderen (
Art. 11 AVIG
) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig wiedergegeben ist insbesondere, dass die Kasse gemäss
Art. 29 Abs. 1 AVIG
Arbeitslosenentschädigung auszahlt, wenn sie begründete Zweifel darüber hat, ob der Versicherte für die Zeit des Arbeitsausfalls gegenüber seinem bisherigen Arbeitgeber Lohn- oder Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
hat oder ob sie erfüllt werden. Mit der Zahlung gehen alle Ansprüche des Versicherten samt dem gesetzlichen Konkursprivileg im Umfang der ausgerichteten Taggeldentschädigung auf die Kasse über. Diese darf auf die Geltendmachung nicht verzichten, es sei denn, das Konkursverfahren werde durch das Konkursgericht eingestellt. Die Ausgleichsstelle kann die Kasse überdies ermächtigen, auf die Geltendmachung zu verzichten, wenn sich nachträglich zeigt, dass der Anspruch offensichtlich unberechtigt ist oder sich nur mit übermässigen Kosten durchsetzen lässt (
Art. 29 Abs. 2 AVIG
).
4.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Rückforderung der Arbeitslosenkasse gegenüber dem Versicherten von zu viel bezogenen Taggeldleistungen in der Höhe von Fr. 25'000.- bestätigt hat.
Die Bejahung eines Rückerstattungsanspruchs setzt einen Rückforderungstitel voraus.
BGE 137 V 362 S. 366
4.1
Nach unbestrittener Feststellung der Vorinstanz hat die Arbeitslosenkasse dem Versicherten nach der fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberin gestützt auf
Art. 29 Abs. 1 AVIG
Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet. Damit sind gemäss
Art. 29 Abs. 2 AVIG
die Ansprüche des Versicherten im Umfang der ausgerichteten Taggeldentschädigung auf die Kasse übergegangen. Diese gesetzliche Subrogation verschafft jedoch der Arbeitslosenkasse - wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat - keinen Rückforderungsanspruch gegenüber dem Versicherten, sondern einen Anspruch gegenüber der ehemaligen Arbeitgeberin (vgl. ARV 2010 S. 293, 8C_787/2009 E. 3.1). Ob ein solcher nach dem Rückzug der Klage der Arbeitslosenkasse gegen die Firma X. AG noch besteht oder ob die Arbeitslosenkasse durch ihr Verhalten auf einen allfälligen Anspruch verzichtet hat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
4.2
Die Arbeitslosenkasse stützte ihre Rückforderung auf
Art. 95 Abs. 1 AVIG
und
Art. 25 ATSG
(SR 830.1).
4.2.1
Gemäss
Art. 95 Abs. 1 AVIG
richtet sich die Rückforderung von Leistungen mit Ausnahme der Fälle von
Art. 55 AVIG
nach
Art. 25 ATSG
. Gemäss Art. 25 Abs. 1 erster Satz ATSG sind unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten.
4.2.2
Bei der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung gestützt auf den Sonderfall von
Art. 29 Abs. 1 AVIG
wird - wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat - unter der Voraussetzung, dass begründete Zweifel über Ansprüche aus Arbeitsvertrag bestehen, zugunsten des Leistungsbezügers das Anspruchsmerkmal des anrechenbaren Arbeitsausfalls im Sinne einer unwiderlegbaren gesetzlichen Vermutung als gegeben angenommen. Folgerichtig stellt die spätere vollständige oder teilweise Erfüllung der im Bestand oder im Hinblick auf die Realisierbarkeit mit Zweifeln behafteten Lohn- und Entschädigungsansprüche im Sinne von
Art. 11 Abs. 3 AVIG
keinen prozessualen Revisionsgrund dar und entfällt ebenfalls - systemkonform - eine Rückerstattungspflicht im Sinne von
Art. 25 Abs. 1 ATSG
(
BGE 127 V 475
E. 2 b/bb S. 477; SVR 2006 ALV Nr. 28 S. 95, C 118/04 E. 1.4.2). Die gestützt auf
Art. 29 Abs. 1 AVIG
ausgerichteten Leistungen der Arbeitslosenkasse sind zusammenfassend nicht unrechtmässig bezogen worden und können - wie das kantonale Gericht korrekt festgehalten hat - nicht gestützt auf
Art. 25 Abs. 1 ATSG
zurückgefordert werden.
BGE 137 V 362 S. 367
4.3
Nachdem die Vorinstanz zutreffend erwogen hatte, dass das AVIG keinen Rückforderungstitel für aufgrund von
Art. 29 Abs. 1 AVIG
erbrachte Leistungen enthält, bestätigte sie den Rückforderungsanspruch gestützt auf eine analoge Anwendung von
Art. 55 Abs. 2 AVIG
.
4.3.1
Gemäss
Art. 55 Abs. 2 AVIG
muss der Arbeitnehmer die Insolvenzentschädigung in Abweichung von
Art. 25 Abs. 1 ATSG
zurückerstatten, soweit die Lohnforderung u.a. vom Arbeitgeber nachträglich erfüllt wird.
4.3.2
Die Rückforderung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung ist in
Art. 95 Abs. 1 AVIG
verankert und richtet sich mit Ausnahme der Fälle von
Art. 55 AVIG
nach
Art. 25 ATSG
.
Art. 55 Abs. 2 AVIG
regelt die Rückerstattung von Insolvenzentschädigung in bewusster Abweichung vom üblichen Rückforderungssystem. Diese Sonderregelung kann nicht analog auf die Rückforderung von gestützt auf
Art. 29 AVIG
ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung angewendet werden. Die in
Art. 29 AVIG
statuierte Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung bei Zweifeln über Ansprüche aus Arbeitsvertrag geht ausdrücklich von der Nichtrückerstattung aus, dies im Gegensatz zur Normierung der Insolvenzentschädigung, welche eine entsprechende Sonderregelung enthält. Die Insolvenzentschädigung deckt Lohnforderungen aus einem Arbeitsverhältnis und die damit abgegoltene Lohnforderung hängt vom weiteren Schicksal der arbeitsrechtlichen oder vollstreckungsrechtlichen Durchsetzbarkeit ab (vgl. THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2364 Rz. 616 und S. 2373 Rz. 636). Dies ist bei der Ausrichtung von Taggeld bei Zweifeln über Ansprüche aus Arbeitsvertrag nach
Art. 29 AVIG
nicht der Fall; Letztere bleibt rechtmässig, auch wenn sich die Lohnforderung im Nachhinein als nicht einbringlich erweist.
4.4
Einen Rückforderungstitel "Bereicherung" schliesslich kennt das AVIG nicht; vielmehr wird generell die Unrechtmässigkeit des Bezugs vorausgesetzt. Diese ist, wie oben dargelegt, vorliegend nicht gegeben. Ob der Beschwerdeführer durch die gestützt auf die Vereinbarung vom 19./20. Mai 2009 erbrachten Leistungen der ehemaligen Arbeitgeberin bereichert ist, worüber unter den Parteien Uneinigkeit herrscht, braucht daher nicht näher geprüft zu werden.
4.5
Zusammenfassend gibt es für gestützt auf
Art. 29 AVIG
ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung keinen Rückforderungstitel
BGE 137 V 362 S. 368
gegenüber dem Versicherten. Indem das kantonale Gericht einen solchen in analoger Anwendung der Sondernorm für Insolvenzentschädigung (
Art. 55 Abs. 2 AVIG
) bejaht und einen Rückerstattungsanspruch der Arbeitslosenkasse gegenüber dem Beschwerdeführer in der Höhe von Fr. 25'000.- bestätigt hat, hat es Bundesrecht verletzt. Der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 11. November 2009 sind daher aufzuheben. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d39ab11a-1036-4c54-95f3-ded1f1caeffc | Urteilskopf
123 III 391
60. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 30 juillet 1997 dans la cause Société X. contre A. et consorts (recours en réforme) | Regeste
Arbeitsvertrag; Entschädigung für missbräuchliche Kündigung.
Rechtsnatur der Entschädigung für missbräuchliche Kündigung des Arbeitsvertrags im Sinne von
Art. 336a OR
(Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 391
BGE 123 III 391 S. 391
Extrait des considérants:
3.
En vertu de l'
art. 336a al. 2 CO
, l'indemnité pour résiliation abusive du contrat de travail, qui ne peut pas dépasser le montant correspondant à six mois de salaire du travailleur, doit être fixée par le juge, compte tenu de toutes les circonstances. Le litige porte, en l'espèce, sur le point de savoir si les circonstances retenues par la cour cantonale étaient pertinentes en droit et s'il en existait d'autres, également pertinentes, qui n'auraient pas été prises en considération. Pour le résoudre, il convient de se pencher, au préalable, sur la question - controversée - de la nature juridique de cette indemnité.
a) Selon la jurisprudence, les indemnités prévues aux
art. 336a et 337c al. 3 CO
sont de même nature et visent les mêmes buts (
ATF 123 V 5
consid. 2a et les références). Il est donc permis d'établir un parallèle entre ces deux dispositions et, partant, de se baser sur les opinions émises au sujet de l'une d'elles pour déterminer la portée de l'autre.
BGE 123 III 391 S. 392
b) aa) Dans un arrêt publié, du 23 mars 1993, le Tribunal fédéral, se rangeant à l'avis de Rehbinder (Commentaire bernois, n. 4 ad
art. 336a CO
), a considéré que, vu le caractère punitif de l'indemnité, il fallait fixer son montant en fonction de la gravité de la faute de l'employeur. En revanche, il ne fallait pas prendre en considération les conséquences économiques du licenciement, dont le travailleur pouvait demander la réparation sous forme de dommages-intérêts. Dans cette perspective, peu importaient la durée des rapports de travail, l'âge du travailleur licencié, sa situation sociale et la conjoncture sur le marché du travail (
ATF 119 II 157
consid. 2b). Cette jurisprudence a été rappelée, sans être soumise à un examen critique, dans un arrêt récent rendu le 23 avril 1997 (
ATF 123 III 246
consid. 6a). Dans un autre arrêt, daté du 17 avril 1997, le Tribunal fédéral des assurances, se référant à plusieurs précédents, a indiqué que l'indemnité ne revêtait pas seulement un caractère pénal, mais qu'elle devait aussi réparer de façon appropriée le tort moral subi par le travailleur en cas de violation de ses droits de la personnalité (
ATF 123 V 5
consid. 2a et les arrêts cités). Il en avait déjà été jugé ainsi dans un arrêt non publié du 22 février 1994 (reproduit in SJ 1995 p. 802 ss), où le Tribunal fédéral avait expressément pris en considération, parmi les circonstances pertinentes, l'âge du travailleur licencié, sa situation sociale, les difficultés de sa réinsertion dans la vie économique, de même que la durée des rapports de travail (p. 806).
L'état qui en a été fait révèle une contradiction interne dans la jurisprudence, même récente, touchant l'
art. 336a CO
. Aussi convient-il de clarifier cette jurisprudence.
bb) Dans son message du 9 mai 1984 accompagnant le projet de révision du droit du licenciement, le Conseil fédéral a précisé que l'indemnité au sens de l'
art. 336a CO
n'avait ni le caractère d'un salaire, ni celui de dommages-intérêts, de sorte que son principe et son montant ne dépendaient que du caractère abusif du congé et non pas de la preuve d'un préjudice. "Cette indemnité, soulignait-il, est une sanction de droit civil qui a une fonction pénalisante et de réparation". Dès lors, les circonstances que le juge pouvait prendre en considération dans un cas concret étaient, par exemple, la situation sociale et économique des deux parties, la gravité de l'atteinte à la personnalité de la partie congédiée, l'intensité et la durée des relations de travail antérieures au congé, ainsi que la manière dont celui-ci avait été donné. Le Conseil fédéral a toutefois préféré renoncer à énumérer dans la loi les circonstances particulières que le juge devrait prendre en considération, afin de lui
BGE 123 III 391 S. 393
laisser un pouvoir d'appréciation aussi large que possible (FF 1984 II 574 ss, 624).
Les débats parlementaires montrent que, dans l'esprit de la plupart des intervenants, l'
art. 336a CO
vise non seulement la punition de l'auteur, mais aussi la réparation du tort infligé à la victime. Devant le Conseil national, le rapporteur de langue allemande indiqua que la sanction consistait dans une indemnité forfaitaire ("Entschädigung ... in Form einer Pauschale, die nach oben gesetzlich limitiert sein soll", BO CN 1985 p. 1127). Au cours du même débat, le porte-parole de la minorité victorieuse, qui souhaitait fixer un maximum de six mois de salaire, rappela que l'indemnité avait un but réparateur ("Genugtuungscharakter", BO CN 1985 p. 1128). Le rapporteur de la commission du Conseil des États parla aussi d'une obligation de dédommager la victime ("Entschädigungspflicht", BO CE 1987 p. 347). De même, la double nature de l'indemnité prévue à l'
art. 337c al. 3 CO
ressort des débats parlementaires; c'est ainsi, par exemple, que le représentant du Conseil fédéral insista, devant le Conseil des Etats, sur la fonction pénale de cette norme, tout en la comparant à l'
art. 418u CO
, qui institue une indemnité pour la perte de la clientèle, laquelle ne remplit visiblement qu'une fonction réparatrice (BO CE 1988 p. 61; voir aussi BO CN 1985 p. 1153/1154; BO CE 1987 p. 352/354; BO CE 1987 p. 613/614; BO CN 1988 p. 11/12; BO CE 1988 p. 60/61).
cc) La doctrine dominante, se fondant sur les travaux préparatoires, admet que l'indemnité prévue par l'
art. 336a CO
revêt un caractère mixte, puisqu'elle vise une fin préventive et une fin réparatrice; il convient de la fixer à la lumière de toutes les circonstances, en particulier du tort subi par la victime (STAEHELIN, Commentaire zurichois, n. 3 ad
art. 336a CO
; STREIFF/VON KAENEL, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 5e éd., n. 2 ad
art. 336a CO
et n. 8 ad
art. 337c CO
; BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2e éd., n. 2 ad
art. 336a CO
, lequel relève les contradictions de la jurisprudence; VISCHER, Der Arbeitsvertrag, 2e éd., in: Schweizerisches Privatrecht, vol. VII/1, III, p. 172, qui souligne qu'une indemnité pour tort moral n'est due que dans la mesure où ce tort n'est pas réparé par la peine civile; TROXLER, Der sachliche Kündigungsschutz nach Schweizer Arbeitsvertragsrecht, thèse Bâle 1992, p. 120 à 122; HUMBERT, Der neue Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, thèse Zurich 1991, p. 108 et p. 110/111; BARBEY, La procédure relative aux résiliations abusives du contrat de travail, in: Journée 1993 de droit du travail et de la sécurité sociale, p. 99; FRITZ, Die neuen Kündigungsbestimmungen
BGE 123 III 391 S. 394
des Arbeitsvertragsrechts, n. 1 ad
art. 336a CO
, p. 31; VON KAENEL, Die Entschädigung aus ungerechtfertigter fristloser Entlassung, thèse Zurich 1996, p. 91, 97/98, 101; RONCORONI, Note in PJA 1993, p. 1264; d'un autre avis: REHBINDER, ibid.; BRUNNER/WAEBER/BÜHLER, Commentaire du contrat de travail, 2e éd., n. 2 ad
art. 336a CO
, lesquels se réfèrent à juste titre à l'
ATF 119 II 160
/161, mais à tort à l'
ATF 118 II 157
).
c) Ainsi, comme le montrent les travaux préparatoires et conformément à l'avis de la doctrine dominante, il faut s'en tenir au principe, énoncé dans plusieurs arrêts du Tribunal fédéral, voulant que les indemnités prévues aux
art. 336a et 337c al. 3 CO
aient une double finalité, punitive et réparatrice. La finalité en partie réparatrice de l'indemnité résulte des mots mêmes utilisés par le législateur pour la désigner (indemnité, Entschädigung, indennità); elle découle aussi du fait que cette indemnité est versée non pas à l'Etat, comme une amende pénale, mais à la victime elle-même. Certes, l'indemnité ne représente pas des dommages-intérêts au sens classique, car elle est due même si la victime ne subit ou ne prouve aucun dommage; revêtant un caractère sui generis, elle s'apparente à la peine conventionnelle (cf. Staehelin, ibid.). Le juge doit la fixer en équité (
art. 4 CC
). Dès lors que la loi lui impose de tenir compte de toutes les circonstances, il ne saurait faire abstraction des effets économiques du licenciement, qui peuvent aggraver les conséquences de l'atteinte portée aux droits de la personnalité du travailleur.
En réservant, à l'art. 336a al. 2 in fine CO, les dommages-intérêts que la victime du congé pourrait exiger à un autre titre, le législateur a laissé ouvert le droit du travailleur de réclamer la réparation du préjudice résultant d'une cause autre que le caractère abusif du congé; rien ne permet de penser qu'il ait voulu, par là, empêcher le juge de prendre en considération, lors de la fixation de l'indemnité, la situation économique des parties, alors que, précisément, les travaux préparatoires en font expressément mention parmi les facteurs pertinents (FF 1984 II 624; STAEHELIN, op.cit., n. 8 ad
art. 336a CO
; STREIFF/VON KAENEL, op.cit., n. 8 ad
art. 336a CO
; FRITZ, op.cit., n. 3 ad
art. 336a CO
; BRÜHWILER, op.cit., n. 3 ad
art. 336a CO
; GEISER, Der neue Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, in: BJM 1994 p. 193 à 195). | null | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d39ba0be-2154-4407-b172-e03c78f6d108 | Urteilskopf
97 V 173
42. Extrait de l'arrêt du 1er octobre 1971 dans la cause Uhlmann contre Caisse de compensation des Groupements patronaux vaudois et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 10 Abs. 2 und 31 Abs. 1 IVG, 71 IVV.
Rechtsfolgen des Gebarens eines Versicherten, der sich bei der erstmaligen Prüfung des Leistungsgesuches oder im Revisionsfall den Abklärungsmassnahmen widersetzt. | Sachverhalt
ab Seite 173
BGE 97 V 173 S. 173
Résumé des faits:
Uhlmann s'est annoncé à l'assurance-invalidité le 14 janvier 1967. Il souffrait d'état dépressif d'involution. Il n'avait plus exercé son activité de paysagiste indépendant depuis août 1965. Par prononcé du 13 juin 1967, la Commission cantonale vaudoise de l'assurance-invalidité admit l'existence d'un taux d'invalidité de 90%. Elle mit par conséquent le requérant au bénéfice d'une rente entière en application de la seconde variante de l'art. 29 al. 1er LAI.
Par prononcé du 7 mai 1968, la dite commission constata que le taux d'invalidité n'était plus que de 50%. Aussi remplaça-t-elle le service de la rente entière par celui d'une demirente (assortie de rentes complémentaires), à partir du 1er juin 1968.
Le 25 août 1969, un rapport du Service de prévoyance sociale mentionna que Uhlmann avait cinq ouvriers réguliers et deux collaborateurs occasionnels; que son état semblait s'être amélioré, quoiqu'il fût encore en traitement; que sa comptabilité
BGE 97 V 173 S. 174
n'était cependant pas à jour et qu'il était impossible de déterminer exactement quelle était sa situation économique. Par prononcé du 14 décembre 1969, la commission précitée mit fin au service de la rente avec effet immédiat, en application de l'art. 10 al. 2 LAI. L'assuré avait été menacé de la suppression pure et simple de cette prestation, le 29 septembre 1969, s'il ne produisait pas ses comptes avant la fin du mois d'octobre 1969.
Uhlmann recourut contre la décision que la Caisse de compensation des Groupements patronaux vaudois lui notifia le 31 décembre 1969. Il alléguait que l'application de l'art. 10 al. 2 LAI ne se justifiait pas en l'occurrence: en effet, vu son activité très réduite, la tenue d'une comptabilité ne s'imposait nullement.
L'autorité de recours accorda un délai à l'assuré pour verser ses comptes au dossier; mais l'intéressé ne donna pas suite à cette invitation.
Par jugement du 27 octobre 1970, le Tribunal des assurances du canton de Vaud admit partiellement le recours, dans ce sens qu'il fixa au 1er février 1970 le début des effets de la décision attaquée, à raison de la date de sa notification.
Uhlmann a déféré ce jugement au Tribunal fédéral des assurances, alléguant notamment qu'il n'était pas opportun, au vu des pièces, d'exiger la production de comptes.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En l'espèce, l'administration - et après elle les premiers juges - s'est placée sur le terrain de l'art. 10 al. 2 LAI pour mettre fin, provisoirement du moins, au service de la demi-rente en cours, l'assuré n'ayant pas donné suite à l'invitation réitérée qui lui avait été faite de produire les comptes de son entreprise. De son côté, l'Office fédéral des assurances sociales se fonde sur l'art. 31 al. 1er LAI pour justifier la décision de la caisse. D'autre part, l'administration, l'autorité cantonale de recours et l'office sus-mentionné se réfèrent à la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances pour étayer leur argumentation. Il faut donc examiner en premier lieu si les dispositions citées plus haut sont applicables en l'espèce.
2.
Aux termes de l'art. 10 al. 2 LAI, l'ayant droit a le devoir de faciliter toutes les mesures prises en vue de sa réadaptation à la vie professionnelle. L'assurance peut suspendre ses prestations si l'ayant droit entrave ou empêche la réadaptation.
BGE 97 V 173 S. 175
Sous le titre "refus de la rente", l'art. 31 al. 1er LAI dispose que si l'assuré se soustrait ou s'oppose à des mesures de réadaptation auxquelles on peut raisonnablement exiger qu'il se soumette et dont on peut attendre une amélioration notable de sa capacité de gain, la rente lui est refusée temporairement ou définitivement. Cette règle légale, qui s'applique aussi bien à la suppression d'une rente qu'au rejet d'une demande de rente, est conforme au but que veut atteindre la LAI: reclasser avant tout les invalides (v. p.ex. RCC 1969 p. 296 et la jurisprudence citée).
Interprétant l'art. 31 al. 1er LAI, le Tribunal fédéral des assurances a jugé que l'assurance-invalidité ne peut retirer à l'assuré le bénéfice d'une rente en cours, à raison de son comportement récalcitrant, que lorsque celui-ci a été préalablement averti, par une sommation écrite lui impartissant un délai de réflexion suffisant, des conséquences juridiques que ce comportement peut entraîner. Cette règle correspond à une conception du droit qui est admise d'une manière générale (v. art. 18 al. 3 LAM, 33 al. 3 et 4 LAMA; ATFA 1968 pp. 160 et 293; 1959 p. 221; RCC 1970 p. 168; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, I, 3e éd., p. 305). Ce qui n'a pas encore été précisé jusqu'à maintenant, c'est de savoir si la procédure de sommation est également le préliminaire indispensable d'un retrait de rente qui ne serait que de courte durée, défini qu'il serait, d'emblée, comme temporaire et n'ayant que la portée d'une sanction devant servir d'avertissement, sous réserve encore de la nature appropriée de cette sanction au regard du principe de la proportionnalité, de portée générale en droit des assurances sociales (ATFA 1968 p. 293; RCC 1970 p. 168). En revanche, lorsqu'on refuse d'accorder une prestation à cause de l'attitude rénitente de l'assuré, il n'est pas nécessaire de faire précéder cette décision d'une sommation écrite, avertissant l'intéressé des conséquences juridiques de son comportement et lui impartissant un délai de réflexion. S'il revient à de meilleurs sentiments, ce dernier a en effet la possibilité de faire valoir à nouveau ses droits, faculté qui doit être mentionnée dans la décision de refus (v. p.ex. ATFA 1964 p. 28, consid. 3; RCC 1969 p. 296).
Statuant dans le cadre de l'art. 31 al. 1er LAI, le Tribunal fédéral des assurances a relevé à plusieurs reprises que le refus de la rente n'est admissible que si l'assuré se soustrait ou
BGE 97 V 173 S. 176
s'oppose à des mesures de réadaptation auxquelles on peut raisonnablement exiger qu'il se soumette, ce par quoi il faut entendre des mesures qui ont été ordonnées par l'administration; on ne saurait parler d'opposition à des mesures de réadaptation que lorsque l'intéressé refuse des mesures définies par la commission cantonale de l'assurance-invalidité (v. p.ex. RCC 1970 p. 123; 1969 p. 657).
Enfin, l'expérience montre que la prescription de mesures de réadaptation adéquates exige souvent une instruction préalable également appropriée. Dans de tels cas, l'assurance doit aussi être à même d'imposer indirectement les mesures d'instruction nécessaires, que ce soit en vertu de l'art. 10 al. 2 LAI ou sur la base de l'art. 31 LAI. C'est pourquoi les mesures d'instruction destinées à trancher les questions de réadaptation, dans le cadre de l'examen de la première demande de prestations ou en cas de revision, doivent être assimilées en principe aux mesures de réadaptation correspondantes (v. p.ex. ATFA 1968 p. 293; 1967 p. 33; RCC 1968 p. 579). La collaboration de l'assuré dans ce domaine fait partie de "tout ce que l'on peut raisonnablement attendre de lui pour atténuer les conséquences de son invalidité" (RCC 1970 p. 274 consid. 2 c).
3.
Il résulte de ce qui vient d'être exposé que la Cour de céans n'a pas eu pour intention de placer sur un même pied toutes les mesures d'instruction. L'assimilation de celles destinées à statuer, préalablement à l'octroi ou à la revision d'une rente, sur les possibilités effectives de réadaptation aux mesures de réadaptation elles-mêmes correspond à un besoin précis, défini par la jurisprudence. On ne saurait l'étendre sans autre aux mesures d'instruction destinées à déterminer le taux de l'invalidité. Car on quitte alors le terrain de l'atténuation des conséquences de l'invalidité pour se placer sur celui de la collaboration de l'assuré à l'instruction de la demande (art. 69 ss RAI, applicables par analogie en cas de revision; art. 88 al. 4 RAI). C'est ainsi que l'art. 71 al. 1er RAI prescrit au requérant et à ses proches de donner gratuitement des renseignements véridiques sur les faits et circonstances décisifs pour l'examen du bien-fondé de la demande et pour la fixation des prestations. Il est hors de doute que cette disposition réglementaire est conforme à la loi (cf. art. 60 al. 1er lit. c et 81 LAI) et qu'elle permet d'exiger la production de pièces déterminantes. L'art. 71 RAI ne contient cependant aucune règle applicable
BGE 97 V 173 S. 177
lorsque l'assuré refuse de collaborer avec l'administration. Les art. 72 (al. 3) et 73 (al. 2) RAI prévoient pourtant, en matière d'expertise et de comparution personnelle, que si l'intéressé ne donne pas suite à l'injonction de l'administration, celle-ci "peut se prononcer en l'état du dossier". L'application de ce principe s'impose aussi dans le cadre de l'art. 71 al. 1er RAI. Cela présuppose cependant que les organes de l'assurance aient préalablement constitué un dossier aussi complet que possible: ils ne sauraient se décharger sur l'assuré de mesures d'instruction auxquelles leur devoir d'élucider d'office les faits déterminants leur commande de procéder pour permettre de statuer sur une demande en connaissance de cause. Il s'ensuit que toute attitude passive, voire tout refus de collaborer, du requérant n'est pas nécessairement apte à entraîner un préjudice pour ce dernier. Ainsi, lorsque l'administration serait en mesure de se fonder sur d'autres données que celles dont elle demande la communication par l'intéressé; ou encore lorsque, sans démarches excessivement compliquées, elle aurait pu ou pourrait obtenir ailleurs les renseignements qui lui font défaut. Il est bien entendu, cependant, que lorsqu'il s'agira d'apprécier la situation au regard de l'ensemble des éléments recueillis conformément aux principes rappelés ci-dessus, le refus de collaborer de l'assuré pourra, dans certains cas, constituer un indice décisif à l'appui de la thèse de l'administration (quant à la maxime de l'intervention du juge des assurances, v. p.ex. RO 96 V 95; ATFA 1968 p. 23; 1967 p. 144; quant au devoir de collaborer de l'assuré, v. p.ex. ATFA 1967 p. 144; quant à l'obligation de l'administration d'élucider les faits décisifs, v. p.ex., dans l'assurance-maladie, ATFA 1968 p. 80; dans l'assurance-accidents et l'assurance militaire, v. p.ex. ATFA 1969 p. 193; 1961 p. 127, plus spécialement p. 131; 1958 p. 156, plus spécialement pp. 160-161; en matière de procédure administrative, v. l'art. 13 LPA).
Ces principes ont été soumis à la Cour plénière, qui les a approuvés. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d39ccc23-1c02-4514-88cf-c60c2623308d | Urteilskopf
102 Ib 16
4. Arrêt de la Ire Cour civile du 30 mars 1976 dans la cause African Publishing House Ltd contre Office fédéral du registre du commerce | Regeste
Geschäftsfirmen.
Art. 952 OR
. Anwendung dieser Bestimmung auf die schweizerische Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens (Erw. 1).
Art. 944 Abs. 2 OR
, 45 und 46 HRegV. Voraussetzungen, unter denen eine territoriale Bezeichnung in einer Geschäftsfirma verwendet werden darf (Erw. 2a). Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. 2b). Zulässigkeit der Bezeichnung "African" in der Firma der schweizerischen Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in Liberia hat und Veröffentlichungen herausgibt, die mit dem afrikanischen Kontinent zusammenhängen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 102 Ib 16 S. 17
A.-
La société African Publishing House Ltd, qui a son siège à Monrovia (Libéria), a notamment pour but l'édition de publications en rapport avec le continent africain. Elle édite une revue intitulée "Afrique Perspectives Internationales" et "Africa International Perspective", qui paraît en deux éditions séparées mais de contenu identique et s'adresse en français et en anglais aux cadres africains et internationaux.
Le 19 août 1975, elle a requis l'inscription sur le registre du commerce de Genève de sa succursale de ce lieu. Elle a demandé à l'Office fédéral du registre du commerce, par lettre du 7 novembre 1975, l'autorisation d'employer dans la raison de cette succursale la désignation territoriale "African".
L'Office a refusé cette autorisation par décision du 3 décembre 1975.
B.-
African Publishing House Ltd forme devant le Tribunal fédéral un recours de droit administratif concluant à l'annulation de ce prononcé et à l'admission de la désignation territoriale "African" dans la raison sociale de sa succursale de Genève.
L'Office fédéral du registre du commerce propose le rejet du recours.
BGE 102 Ib 16 S. 18
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La succursale suisse d'une entreprise dont le siège principal est à l'étranger est soumise, comme celle d'une maison suisse, à l'art. 952 al. 1 CO (RO 90 II 200 consid. 4, 93 I 563): elle doit avoir la même raison que l'établissement principal, avec la faculté d'y apporter une adjonction spéciale, qui ne s'adapte qu'à elle. L'art. 952 al. 2 prescrit en outre l'indication du siège de l'établissement principal et de la succursale et la désignation de celle-ci avec sa qualité. L'entreprise étrangère qui veut installer une succursale en Suisse doit se conformer à la législation de ce pays; la succursale suisse ne peut être inscrite au registre du commerce que si sa raison est conforme aux prescriptions impératives du droit public suisse relatives à la formation des raisons de commerce (RO 93 I 563).
2.
a) Fondés sur l'art. 944 al. 2 CO, les art. 45 et 46 ORC interdisent l'emploi dans la raison des entreprises individuelles, sociétés commerciales et sociétés coopératives de désignations nationales, territoriales ou régionales, des exceptions pouvant être autorisées lorsqu'elles se justifient par des circonstances spéciales. Selon la jurisprudence, ces dispositions tendent à prévenir des abus: la désignation nationale ou territoriale ne doit pas être motivée seulement par le souci de la réclame ou le désir d'obtenir un avantage sur la concurrence; mais l'autorisation doit être accordée si le requérant justifie d'un intérêt digne de protection, notamment lorsque la désignation nationale ou territoriale est un moyen d'individualiser l'entreprise en mettant en évidence un élément qui la distingue objectivement des autres; il n'est pas nécessaire que l'entreprise en question bénéficie dans son domaine d'une position de monopole (RO 92 I 297, 298 ss, 305, 94 I 560 s., 96 I 611 s., 98 Ib 299 s., 99 Ib 37 consid. 2a, 100 Ib 244). La possibilité pour le requérant d'atteindre son but autrement que par l'emploi d'une désignation nationale ou territoriale n'est pas un motif suffisant pour lui refuser l'autorisation (RO 96 I 611). Le mot "exceptions" ne signifie pas que l'utilisation de désignations nationales, territoriales ou régionales doive rester aussi rare que possible (RO 92 I 297, 94 I 561 consid. 3, 96 I 611).
b) C'est l'Office fédéral du registre du commerce qui apprécie si des circonstances particulières justifient l'emploi d'une désignation
BGE 102 Ib 16 S. 19
nationale, territoriale ou régionale dans une raison de commerce. Il doit fonder sa décision sur des motifs objectifs et appliquer les règles du droit et de l'équité, selon le principe général de l'art. 4 CC (RO 92 I 294 consid. 2, 93 I 564). Saisi d'un recours de droit administratif, le Tribunal fédéral ne substitue pas sa propre appréciation à celle de l'Office. Il se borne à vérifier si la décision attaquée viole ou non le droit fédéral, c'est-à-dire à examiner si l'Office s'est référé à des critères objectivement déterminants et s'il n'a pas outrepassé les limites que le droit assigne à sa liberté d'appréciation (RO 93 I 564, 94 I 560, 96 I 611, 97 I 75 consid. 1, 101 Ib 366 consid. 5a).
3.
a) La désignation litigieuse "African", équivalent anglais de l'adjectif "africain", qualifie tout ce qui se rapporte à l'Afrique. Selon la jurisprudence précitée (notamment RO 96 I 611), elle peut être utilisée en Suisse par toute personne qui justifie d'un intérêt digne de protection à individualiser son entreprise en mettant en évidence cet élément géographique. Elle ne saurait donc être réservée, comme le voudrait l'Office, aux entreprises issues d'une collaboration interétatique ou appartenant à un groupe multinational.
b) S'agissant de la succursale suisse d'une société d'édition qui a son siège en Afrique et dont le but est d'éditer, imprimer et diffuser des publications en rapport avec le continent africain, notamment une revue intitulée "Afrique Perspectives Internationales" ou "African International Perspective", on doit admettre l'existence d'un intérêt suffisant à justifier l'emploi dans la raison sociale de la désignation "African". Si la mission de cette revue, vouée "à l'étude, l'analyse et la documentation - en partant de points de vue spécifiquement africains - des problèmes et des techniques qui marquent les relations internationales des Etats, institutions, organismes et entreprises africaines", peut sembler ambitieuse, il n'apparaît pas pour autant que la désignation "African" soit employée seulement ni même principalement dans un but de réclame ou pour procurer à la société un avantage sur la concurrence. Sans doute le seul souci de mentionner le champ d'activité d'une entreprise ne suffit-il pas à justifier l'emploi d'une désignation territoriale (RO 86 I 249, 97 I 76). Mais on ne saurait suivre l'Office lorsqu'il considère la désignation litigieuse comme une "pure référence au champ d'activité". Le caractère
BGE 102 Ib 16 S. 20
spécifiquement africain de la requérante ne ressort pas seulement du siège de la société et du territoire sur lequel elle déploie son activité principale; il se manifeste encore par toute l'orientation de cette activité, en particulier par les matières traitées et les lecteurs visés. Ce caractère distingue la raison litigieuse des raisons de commerce "Eurofiduciaire" (RO 86 I 243 ss), "American Automobile Service (Aktiengesellschaft)" (RO 91 I 212 ss) et "Eurotrans, Europa Transport und Spedition A.G." (RO 97 I 73 ss) refusées par le Tribunal fédéral en raison de leur caractère éminemment publicitaire dans le cas d'espèce. Il constitue une circonstance spéciale qui justifie l'emploi par la requérante de la désignation "African" dans la raison sociale de sa succursale suisse.
c) L'Office se réfère à tort à l'arrêt RO 101 Ib 366, à l'appui de son point de vue selon lequel les termes "African Publishing House" donneraient à penser qu'il s'agit de la seule maison d'édition sur le continent africain. Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral laisse ouverte la question de savoir si, pour le lecteur moyen, une désignation aussi générale que "Inkasso AG" suscite l'impression que l'entreprise en question occupe une position dominante sur le marché et si elle doit être considérée comme trompeuse et servant uniquement de réclame (consid. 5 b). Relevant que l'art. 944 al. 1 CO n'autorise des indications sur la nature de l'entreprise que "outre les éléments essentiels prescrits par la loi" et que la raison de commerce a pour but d'individualiser une entreprise et de la distinguer des autres, la cour de céans a admis qu'il n'était pas contraire à cette disposition de refuser une raison formée uniquement d'une désignation générique parce qu'elle en assurerait le monopole à son titulaire (consid. 5 d). Ces considérations ne s'appliquent pas en l'espèce. La raison de la succursale suisse de la requérante doit indiquer le siège de l'établissement principal et celui de la succursale, la qualité de celle-ci étant expressément mentionnée (art. 952 al. 2 CO). Compte tenu de tous ces éléments, elle ne saurait être comparée à une raison formée d'une seule désignation générique. D'autre part, contrairement à ce que pense l'Office, l'emploi de la désignation "African" ne conférera aucun monopole à la requérante; cette désignation restera accessible à toute entreprise justifiant d'un intérêt suffisant, à condition qu'elle choisisse une raison ne prêtant pas à confusion avec celles qui existent déjà.
BGE 102 Ib 16 S. 21
C'est enfin une exigence légale que la raison de la succursale soit en principe la même que celle de l'établissement principal (art. 952 al. 1 CO).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet le recours et annule la décision du 3 décembre 1975 de l'Office fédéral du registre du commerce;
2. Dit que la recourante est autorisée à adopter pour sa succursale de Genève la raison sociale "African Publishing House Ltd, Monrovia, succursale de Genève". | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d3a484d8-6564-4cba-a2a5-a971bfc46ed5 | Urteilskopf
126 II 275
30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 2000 i.S. Z. gegen Wehrpflichtersatzverwaltung der Kantons Bern und Steuerrekurskommission des Kantons Bern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 4 Abs. 1 lit. a sowie
Art. 13 WPEG
; Wehrpflichtersatz; Ersatzbefreiung wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung und hälftige Kürzung der Ersatzabgabe.
Es ist zulässig, die Erheblichkeit der Behinderung aufgrund eines schematischen, auf objektiven Kriterien beruhenden Massstabes zu beurteilen, unter Vorbehalt einer eingehenderen Prüfung im Einzelfall, wenn für die entsprechende Notwendigkeit besondere Anhaltspunkte bestehen (Bestätigung und Weiterentwicklung von
BGE 124 II 241
und ASA 67 S. 318; E. 3 und 4).
Die hälftige Kürzung der Ersatzabgabe setzt ebenfalls eine erhebliche Behinderung voraus (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 126 II 275 S. 276
Z. leidet seit seiner Geburt an einer Klinodaktylie an der linken Hand, d.h. einer kongenitalen Schiefstellung der Finger(glieder), verbunden mit einem stark verkleinerten Mittelfinger und dem Fehlen mehrerer Finger.
Bei der militärischen Aushebung am 30. Juni 1976 wurde Z. für dienstuntauglich erklärt. Seit 1977 untersteht er der Ersatzpflicht.
Mit Veranlagungsverfügung vom 13. Oktober 1998 schätzte die Wehrpflichtersatzverwaltung des Kantons Bern Z. für das Jahr 1997 für eine Ersatzabgabe im Betrag von Fr. X. ein. Dabei ging sie unter anderem von einem Ersatzabgabe-Satz von 2% aus. Am 9. April 1999 wies die Wehrpflichtersatzverwaltung eine dagegen erhobene Einsprache ab. Eine Beschwerde bei der Steuerrekurskommission des Kantons Bern blieb ebenfalls erfolglos.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 7. Februar 2000 an das Bundesgericht stellt Z. im Wesentlichen den Antrag, das Urteil der Steuerrekurskommission vom 14. Dezember 1999 und die Verpflichtung zur Leistung von Wehrpflichtersatz für das Jahr 1997 und für die künftigen Jahre aufzuheben; eventuell sei die ihm auferlegte Ersatzabgabe auf die Hälfte herabzusetzen.
Zur Begründung führt Z. im Wesentlichen aus, beim Entscheid darüber, ob eine erhebliche Behinderung gegeben sei, dürfe nicht ausschliesslich schematisch darauf abgestellt werden, ob ein Integritätsschaden von zumindest 40% vorliege. Er selber sei trotz eines Integritätsschadens von ca. 35% erheblich behindert und deshalb von der Ersatzpflicht auszunehmen.
Die Wehrpflichtersatzverwaltung und die Steuerrekurskommission des Kantons Bern sowie die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Strittig sind im vorliegenden Fall die Ersatzabgaben der Jahre 1997 und danach. Der einschlägige Art. 4 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 über den Wehrpflichtersatz (WPEG; SR 661) wurde am 17. Juni 1994 mit erstmaliger Anwendbarkeit für das Ersatzjahr 1995 (Art. 1 der Verordnung vom 9. November 1994 über die Inkraftsetzung der Änderung des Bundesgesetzes über den
BGE 126 II 275 S. 277
Militärpflichtersatz; SR 661.0) sowie am 6. Oktober 1995 mit erstmaliger Anwendbarkeit für das Ersatzjahr 1997 (Bundesratsbeschluss vom 8. Mai 1996 [AS 1996 1464] zum Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über den zivilen Ersatzdienst, Anhang Ziff. 9 [SR 824.0]) revidiert. Die geänderten Fassungen (dazu auch WALTER SIGRIST, Vom Militärpflichtersatz zum Wehrpflichtersatz, in Steuer Revue 1997, S. 493 ff.) finden somit im vorliegenden Fall Anwendung.
b) Mit der Novelle vom 17. Juni 1994 hat der Gesetzgeber
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
neu formuliert und gleichzeitig in Abs. 1 zwei neue Ersatzbefreiungstatbestände als lit. abis und ater eingefügt. Art. 4 Abs. 1, lit. a-a-ter, WPEG lautet nun wie folgt:
"1 Von der Ersatzpflicht ist befreit, wer im Ersatzjahr:
a. wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung ein taxpflichtiges Einkommen erzielt, das nach nochmaligem Abzug von Versicherungsleistungen gemäss Art. 12 Absatz 1 Buchstabe c sowie von behinderungsbedingten Lebenshaltungskosten sein betreibungsrechtliches Existenzminimum um nicht mehr als 100 Prozent übersteigt;
abis. wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt sowie eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung bezieht;
ater. wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt und keine Hilflosenentschädigung bezieht, aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllt;
..."
c) Im vorliegenden Fall ist nicht umstritten, dass Art. 4 Abs. 1 lit. abis und ater WPEG keine Anwendung finden. Strittig ist einzig der Begriff der erheblichen Behinderung nach
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
.
d) In Art. 1 Abs. 1 der Verordnung vom 30. August 1995 über den Wehrpflichtersatz (WPEV ; SR 661.1) hat der Bundesrat
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
wie folgt konkretisiert:
"Als erheblich im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes gilt eine Behinderung, wenn sie den für die Ausrichtung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung massgebenden Mindestgrad an Invalidität aufweist."
Diese - an sich erstmals für das Ersatzjahr 1995 geltende (
Art. 59 WPEV
) - Bestimmung wurde vom Bundesgericht insoweit als gesetzwidrig und nicht anwendbar erklärt, als sie auf den Invaliditätsgrad
BGE 126 II 275 S. 278
der Eidgenössischen Invalidenversicherung abstellt. Der Begriff der erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung darf danach nicht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinn ausgelegt werden, sondern ist im medizinischen Sinn zu verstehen (
BGE 124 II 241
E. 4; ASA 67 S. 318 E. 4).
4.
a)
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
stellt drei Voraussetzungen für die Ersatzbefreiung auf: Erstens die erhebliche körperliche oder geistige Behinderung, sodann ein bestimmtes taxpflichtiges Einkommen, gekürzt um bestimmte Abzüge, das einen bestimmten Betrag nicht überschreiten darf, sowie, drittens, einen Kausalzusammenhang zwischen beiden. Es ist klar, dass der Behinderung eine gewisse Schwere zukommen oder sie mit anderen Worten ernsthaft ins Gewicht fallen muss, damit sie als ursächlich für die Bedürftigkeit bezeichnet werden kann. Das Gesetz spricht denn auch von einer "erheblichen" körperlichen oder geistigen Behinderung (vgl.
BGE 124 II 241
E. 4b; ASA 67 S. 318 E. 4b).
Dem Wortlaut von
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
lässt sich nicht entnehmen, welchen Grad die Behinderung aufweisen muss, damit eine Ersatzbefreiung in Betracht fallen kann. Das Gesetz spricht von einer "erheblichen" Behinderung (handicap "majeur", "notevole menomazione"), ohne den Begriff näher zu definieren. Teleologisch zielt
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
darauf ab, den Wehrpflichtigen, dessen Einkommen wegen der Behinderung einen bestimmten Mindestbetrag nicht übersteigt, von der Ersatzpflicht zu befreien. Aufgrund der Materialien steht fest, dass der Gesetzgeber keine generelle Befreiung der Behinderten wollte. Es muss deshalb darauf geachtet werden, dass der Kreis der ersatzbefreiten Personen nicht über Gebühr ausgedehnt wird. Der Begriff der erheblichen Behinderung ist folglich im Sinne des Gesetzes, das heisst restriktiv auszulegen. Anderseits darf jedoch der Kreis der wirklich Bedürftigen, die Hilfe nötig haben und auf die
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
abzielt, nicht zu sehr eingeengt werden (vgl. dazu
BGE 124 II 241
E. 4).
b) Das Bundesgericht hat in
BGE 124 II 241
bei einem Forstarbeiter den Verlust eines Beines im Kniegelenk als erhebliche Behinderung bezeichnet, die Anspruch auf Befreiung vom Wehrpflichtersatz gibt. Im Übrigen hat es festgehalten, die Abgrenzung der erheblichen von einer leichten Behinderung werfe Fragen auf, die nicht einfach zu beantworten seien; es müsse aber der Verwaltungspraxis überlassen bleiben, ob das Ausmass der Beeinträchtigung jeweils im Einzelfall durch Spezialärzte abzuklären sei oder anhand von Tabellen oder auf andere Weise bemessen werde
BGE 126 II 275 S. 279
(
BGE 124 II 241
E. 4f). In der Folge hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung der Eidgenössischen Steuerverwaltung, welcher Vertreter des Bundesamts für Justiz, des Bundesamts für Sozialversicherung und einer Behindertenorganisation angehörten, festgestellt, dass die Integritätsschäden-Tabellen der SUVA zur Beurteilung der Erheblichkeit einer Behinderung geeignet seien. Weiter hat diese Arbeitsgruppe die Grenze von 40% als anwendbaren Massstab anerkannt, da der Verlust eines Beines, wie er in
BGE 124 II 241
zu beurteilen war, einem 40-prozentigen Integritätsschaden gemäss Anhang 3 der Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die Unfallversicherung (UVV; SR 832.202) entspreche. Die Eidgenössische Steuerverwaltung erliess daraufhin zur Gewährleistung einer rechtsgleichen Praxis aufgrund eines objektiven Massstabes Richtlinien, welche die genannten Integritätsschäden-Tabellen der SUVA mit Ausnahme von Grenz- und unklaren Fällen als für die Frage der Ersatzbefreiung anwendbar erklären (Wegleitung Nr. 2 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom Januar 1999 betreffend Ersatzbefreiung wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung).
c) Die Vorinstanz macht praktische Gründe für die getroffene Lösung geltend. In der Tat erlaubt eine schematische Vorgehensweise eine gewisse objektiv begründete, rechtsgleiche Praxis und vermeidet einen unverhältnismässigen Aufwand in jedem Einzelfall. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kann aber einzig geschlossen werden, dass eine Behinderung, welche einer Beeinträchtigung von 40% gemäss den Integritätsschäden-Tabellen der Unfallversicherung entspricht, eine erhebliche Behinderung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
darstellen kann bzw. allenfalls in der Regel eine solche bildet. Weder hat das Bundesgericht jedoch festgestellt, dass dies in jedem Einzelfall zwingend zu gelten hat, noch hat es entschieden, eine geringfügigere Behinderung sei von vornherein nicht erheblich.
Die Zulassung eines schematischen, auf objektiven Kriterien beruhenden Massstabes drängt sich aus Praktikabilitätsgründen im Hinblick auf die effiziente und möglichst rechtsgleiche Erledigung einer hohen Anzahl Fälle in den Kantonen auf. Insoweit ist die Erarbeitung von entsprechenden Richtlinien rechtlich nicht in Frage zu stellen. Das grundsätzliche Abstellen auf die Integritätsschäden-Tabellen der SUVA erscheint sodann nicht als sachfremd; auch der Beschwerdeführer bringt jedenfalls keine entsprechenden Argumente vor. Allerdings kommt internen Verwaltungsweisungen grundsätzlich keine Gesetzeskraft zu. Auch wenn sie dazu dienen
BGE 126 II 275 S. 280
und beitragen, dass eine einheitliche und rechtsgleiche Praxis befolgt wird, binden sie jedenfalls weder die privaten Betroffenen noch das Bundesgericht (vgl.
BGE 119 Ib 33
E. 3d). Den im vorliegenden Zusammenhang fraglichen Richtlinien der genannten Arbeitsgruppe kann daher nicht - wovon die Vorinstanz aber auszugehen scheint - zwingende und für die kantonalen Behörden ohne weiteres verbindliche Geltung zukommen.
Die gegenläufigen Interessen einer effizienten und rechtsgleichen Verwaltungspraxis einerseits und einer sachgerechten Beurteilung des Einzelfalles andererseits lassen sich freilich in Einklang bringen, indem den fraglichen, auf den Integritätsschäden-Tabellen der SUVA beruhenden Richtlinien die Wirkung einer rechtlichen Vermutung zuerkannt wird. Die Behörden dürfen ihren Entscheid somit auf die Richtlinien abstützen, soweit keine massgeblichen Anhaltspunkte dafür bestehen bzw. glaubhaft gemacht werden, dass die fraglichen Richtlinien für sich allein nicht bzw. nicht genügend aussagekräftig sind. Gibt es solche Indizien, sind die Behörden zu einer eingehenderen Prüfung des Einzelfalles verpflichtet. Die Widerlegung der Vermutung kann sich dabei im Übrigen in beide Richtungen, d.h. zulasten oder zugunsten des Ersatzpflichtigen, auswirken.
In diesem Sinne sieht denn auch die fragliche Wegleitung selber vor, dass Fälle, die aufgrund der Integritätsschäden-Tabellen der SUVA nicht abschliessend beurteilt werden können, oder Grenzfälle der Eidgenössischen Steuerverwaltung zur Begutachtung vorzulegen sind (Ziff. 215 der Wegleitung). Diese holt gegebenenfalls ein ärztliches Gutachten ein.
d) Der Beschwerdeführer leidet an einer Deformation der linken Hand; einzelne Finger sind verkürzt bzw. schief gestellt, andere fehlen ganz. Gemäss ärztlichem Zeugnis vom 4. September 1998 hat er Mühe mit der Greiffunktion und beim Heben schwerer Lasten. Er benötigt besondere Werkzeuge am Arbeitsplatz sowie Spezialgriffe für Transportfahrzeuge. Der Beschwerdeführer ist aber zu 100% arbeitsfähig und ins Erwerbsleben integriert. Gemäss den Integritätsschäden-Tabellen der SUVA handelt es sich bei der Beeinträchtigung um eine Behinderung von rund 35%. Dies bestreitet auch der Beschwerdeführer nicht. Er macht einzig geltend, es dürfe nicht schematisch darauf abgestellt werden, ob ein Integritätsschaden von zumindest 40% vorliege. Aufgrund seiner Einschränkung in den alltäglichen Lebensverrichtungen müsse davon ausgegangen werden, dass er in medizinischem Sinne erheblich behindert sei.
BGE 126 II 275 S. 281
Was der Beschwerdeführer vorbringt, genügt nicht, um auf die Unzulässigkeit der schematischen Beurteilung seines Falles zu schliessen. Im Wesentlichen wendet er sich einzig gegen die Anwendung der fraglichen Wegleitung auf seinen Fall als solche. Weder macht er massgebliche Anhaltspunkte geltend, die ein Abweichen von diesen Richtlinien rechtfertigen könnten und daher zur Notwendigkeit einer eingehenderen Prüfung seines Falles führen müssten, noch sind solche Indizien sonst wie ersichtlich. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz auf die entsprechenden Richtlinien abstellen und das Vorliegen einer erheblichen Behinderung bereits aufgrund einer schematischen Prüfung des Falles verneinen. Damit braucht nicht geprüft zu werden, ob die übrigen Voraussetzungen einer Ersatzbefreiung in Anwendung von
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
erfüllt sind.
5.
a) Nach
Art. 13 Abs. 1 WPEG
beträgt die Ersatzabgabe 2 Franken je 100 Franken des taxpflichtigen Einkommens, mindestens aber Fr. 150.-. Für ersatzpflichtige Behinderte, die nach
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
nicht von der Ersatzpflicht befreit sind, wird die Ersatzabgabe gemäss
Art. 13 Abs. 2 WPEG
um die Hälfte herabgesetzt.
Der Beschwerdeführer beantragt in seinem Eventualbegehren, die ihm auferlegte Abgabe sei in Anwendung von
Art. 13 Abs. 2 WPEG
hälftig zu kürzen. Er begründet diesen Antrag allerdings nicht. Ob das Begehren über die erforderliche sachbezogene Begründung verfügt und darauf überhaupt einzutreten ist (vgl.
Art. 108 Abs. 2 OG
), kann aber offen bleiben, da es ohnehin abgewiesen werden muss.
b) Die Vorinstanz geht ohne nähere Begründung davon aus, auch die Herabsetzung um die Hälfte käme nur dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer an einer erheblichen Behinderung im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
litte. Diese Beurteilung entspricht einer restriktiven, am Gesetzeszweck ausgerichteten Auslegung der Ausnahmebestimmung von
Art. 13 Abs. 2 WPEG
. Ziel derselben ist es, die Ersatzabgabe dann um die Hälfte herabzusetzen, wenn eine Ersatzbefreiung ausbleibt, weil das massgebende Einkommen (unter Berücksichtigung der Abzüge nach Art. 4 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit
Art. 12 Abs. 1 lit. c WPEG
) das betreibungsrechtliche Existenzminimum um mehr als 100% übersteigt. Es soll also eine Erleichterung bringen in Fällen, in denen nicht das Fehlen einer massgeblichen Behinderung, sondern die Höhe des erzielten Einkommens eine Ersatzbefreiung verhindert. Voraussetzung bleibt
BGE 126 II 275 S. 282
aber, dass eine erhebliche Behinderung vorliegt (vgl. auch
BGE 124 II 241
E. 5). Auch der Wortlaut - aller Sprachfassungen des Gesetzes - steht dieser Auslegung nicht entgegen.
Sodann hat der Bundesrat in seiner Botschaft vom 12. Mai 1993 zur hälftigen Herabsetzung gemäss
Art. 13 Abs. 2 WPEG
festgehalten (BBl 1993 733):
"Im weitern schlagen wir zusätzlich vor, dass für diejenigen Behinderten, die trotz der heraufgesetzten Limite ersatzpflichtig bleiben, die Ersatzabgabe um die Hälfte herabgesetzt wird."
Auch diese Aussage stützt die Auslegung der Vorinstanz, wonach die Herabsetzung dann greift, wenn die Ersatzbefreiung lediglich am Erfordernis gemäss
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG
scheitert, nicht mehr als ein Einkommen von einer bestimmten Höhe zu erzielen. In der Bundesversammlung führte die Revision von
Art. 13 Abs. 2 WPEG
zu keinen Diskussionen (vgl. AB 1993 S 775 ff., insbes. 783; AB 1994 N 128 ff., insbes. 136). Namentlich stand nie eine Änderung des Wortlauts von
Art. 13 Abs. 2 WPEG
der bundesrätlichen Vorlage zur Debatte.
Im Übrigen würde eine andere Auslegung bedeuten, dass jede Behinderung, die zu Dienstuntauglichkeit und damit zur theoretischen Ersatzpflicht führt, unabhängig von ihrer Schwere als Herabsetzungstatbestand in Frage käme. Das kann aber der Gesetzgeber mit der in
Art. 13 Abs. 2 WPEG
zusätzlich vorgesehenen Erleichterung für bestimmte Behinderte nicht gemeint haben, hätte er doch sonst generell festlegen müssen, alle Dienstbefreiungen wegen Behinderung führten zu einer hälftigen Reduktion der Ersatzabgabe.
c) Demnach verletzt der angefochtene Entscheid auch insofern Bundesrecht nicht, als damit die dem Beschwerdeführer auferlegte Ersatzabgabe nicht hälftig gekürzt wird. | public_law | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3abd93e-b1c5-4903-9da0-adf220f8e7d5 | Urteilskopf
91 I 409
66. Urteil vom 26. Mai 1965 i.S. Kolter und Ühlinger gegen Kantone Basel-Stadt und -Landschaft sowie Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Art. 88, 90 OG
;
Art. 4 BV
, Eigentumsgarantie.
1. Ausnahmen vom Grundsatz der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (Erw. I 1).
2. Der einzelne Bürger ist berechtigt, vorfrageweise eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend zu machen (Erw. I 2).
3. Der Nachbar ist befugt, gegen die Erteilung der Baubewilligung an einen Dritten staatsrechtliche Beschwerde zu erheben, sofern die Anwendung von kantonalen und gemeindlichen Bauvorschriften auf dem Spiele steht, die neben dem Gemeinwohl auch dem Schutze des Nachbars dienen (Änderung der Rechtsprechung). Zu diesen Vorschriften können auch Immissionsbeschränkungen gehören (Erw. I 3).
4. Die kantonale Verwaltung ist bei der Erstellung von Bauten für Verwaltungszwecke grundsätzlich an das Gemeindebaurecht gebunden. Ausnahmen hiervon (Erw. II). | Sachverhalt
ab Seite 410
BGE 91 I 409 S. 410
A.-
Die Kantone Basel-Stadt und -Landschaft sind übereingekommen, gemeinsam eine Prüfungsstelle für Kraftfahrzeuge zu errichten. Nachdem mehrere Standorte - unter anderem ein Gelände beim Parkplatz St. Jakob und im "Rankhof" in Basel, ein solches in Birsfelden ("Hagnau") und ein weiteres an der Brüglingerstrasse in Münchenstein - sich als ungeeignet erwiesen hatten, nahmen die Kantone die Parzelle Nr. 2288 in der "unteren Wanne" in Münchenstein für das Werk in Aussicht. Das Grundstück liegt gemäss dem Zonenplan der Gemeinde Münchenstein zur Hauptsache in der Zone 3, in der laut § 16 des Zonenreglementes der Gemeinde (ZRM) lediglich Wohnbauten (mit höchstens drei Geschossen) und nicht störende Gewerbebetriebe zugelassen sind. Die geplante Prüfungsstelle erfüllt nach Ansicht der Baubewilligungsbehörden diese Voraussetzungen nicht. Im Hinblick darauf veranlasste die Baudirektion des Kantons Basel-Landschaft den Gemeinderat von Münchenstein, der Einwohnergemeindeversammlung eine Änderung des Zonenplanes im Sinne der Schaffung einer Zone für öffentliche Werke in der "unteren Wanne" vorzuschlagen. Die Gemeindeversammlung lehnte diesen Antrag jedoch mit grosser Mehrheit ab.
Ungeachtet dessen reichten die Kantone Basel-Stadt und -Landschaft das Baugesuch ein. Max Kolter und Christoph Ühlinger, deren Grundstücke Reinacherstrasse 20 und 24
BGE 91 I 409 S. 411
rund 100 bis 200 m von dem in Aussicht genommenen Bauplatz entfernt sind, erhoben mit weiteren Grundeigentümern und dem Gemeinderat von Münchenstein gegen das Bauvorhaben Einsprache. Die Baudirektion des Kantons Basel-Landschaft fand diese unbegründet. Die Einsprecher zogen den ablehnenden Entscheid an den Regierungsrat weiter, der die Beschwerden abwies. Kolter, Ühlinger und der Gemeinderat von Münchenstein beschwerten sich hierüber beim Verwaltungsgericht. Dieses hat die Beschwerden am 26. August 1964 gleichfalls abgewiesen. Es hat dabei erkannt, das Bauvorhaben sei an sich mit dem Zonenplan und dem Zonenreglement der Gemeinde Münchenstein unvereinbar. Das schliesse indessen die Erteilung der Baubewilligung nicht aus. Die Prüfung der Motorfahrzeuge sei eine Aufgabe, die den Kantonen kraft Bundesrechts obliege. Es sei nicht zu umgehen, dass der Kanton für die Prüfungsanlage das Hoheitsgebiet irgend einer Gemeinde in Anspruch nehmen müsse. Das setze den Bestand zwingenden kantonalen Rechts voraus, das dem Gemeindebaurecht vorgehe. Die sachliche Dringlichkeit des Bauvorhabens sei augenscheinlich; es liege insofern ein qualifiziertes öffentliches Interesse vor. Die Voraussetzungen für eine Enteignung wären jedenfalls vorhanden. Der Standort sei sorgfältig gewählt worden. Wenn das Werk am vorgesehenen Platz errichtet werde, so habe das für die Gemeinde und die Liegenschaften der andern Beschwerdeführer keine nachteiligen Folgen.
B.-
Kolter und Uehlinger führen staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Einsprache der Beschwerdeführer gegen das Baugesuch der Kantone Basel-Stadt und -Landschaft zu schützen; allenfalls sei die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen, damit es das Baugesuch im Sinne der Erwägungen des Bundesgerichts abweise. Die Beschwerdeführer beklagen sich über eine Verletzung von
Art. 4 BV
, der Eigentumsgarantie und der Gemeindeautonomie. Die Regierungsräte der Kantone Basel-Stadt und -Landschaft schliessen, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, allenfalls sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.1.
Eintretensfragen
I.1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger ist im Regelfalle rein
BGE 91 I 409 S. 412
kassatorischer Natur (
BGE 90 I 21
Erw. 1, 116 Erw. 1, 348). Anderes gilt, wenn der Verfassungsstreit nicht schon mit der Aufhebung der angefochtenen Verfügung, sondern erst mit der Setzung einer neuen verfassungsmässigen Anordnung beendet ist, in welchem Falle das Bundesgericht der kantonalen Behörde verbindliche Anweisungen über den zu setzenden Akt geben kann (GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen Bundesgerichtes, S. 201 und 245 f.). Das Bundesgericht kann in diesem Sinne eine kantonale Behörde anhalten, eine in verfassungswidriger Weise verweigerte Polizeierlaubnis, insbesondere eine Baubewilligung, zu erteilen (
BGE 87 I 280
Erw. 1 mit Verweisungen,
BGE 89 I 526
Erw. 5,
BGE 90 I 349
). Im vorliegenden Fall wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Erteilung und nicht gegen die Verweigerung einer Baubewilligung. Die von ihnen behauptete Verfassungswidrigkeit kann durch die Aufhebung der angefochtenen Verfügung behoben werden. Es bleibt somit bei der kassatorischen Funktion der Beschwerde. Soweit die Beschwerdeführer mehr als die blosse Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts verlangen, ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.
I.2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie steht grundsätzlich nur der Gemeinde selber zu (
BGE 72 I 25
). Nach BGE 20 S. 808 Erw. 2 und
BGE 42 I 191
Erw. 1 sollen daneben freilich auch die einzelnen stimmberechtigten Gemeindeeinwohner befugt sein, Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie zu führen, falls die staatliche Aufsichtsbehörde einen Gemeindeversammlungsbeschluss aufgehoben hat oder deren Zuständigkeit durch Einsetzung einer ausserordentlichen staatlichen Verwaltung ("Bevormundung" oder "Verbeiratung" der Gemeinde) ganz oder teilweise ausgeschaltet worden ist. Diese Ausdehnung des Beschwerderechts ist indessen in späteren Urteilen in Frage gestellt und für den Fall, dass die Beschwerde sich nur gegen die Aufhebung eines bestimmten einzelnen Gemeindebeschlusses richtet, abgelehnt worden (
BGE 72 I 25
mit Verweisungen).
Ob diese Rechtsprechung einer erneuten Überprüfung standhalte, kann hier offen bleiben. Festzuhalten ist indessen, dass die erwähnten Urteile lediglich von der hauptfrageweisen Geltendmachungeiner Verletzung der Gemeindeautonomie handeln. In einer Beschwerde, die wegen Verletzung anderer verfassungsmässiger Rechte geführt wird, kann der einzelne Bürger dagegen
BGE 91 I 409 S. 413
auch nach der bisherigen Rechtsprechung ohne die genannten Einschränkungen die Vorfrage der Berücksichtigung der Gemeindeautonomie aufwerfen. So hatte das Bundesgericht sich in
BGE 84 I 230
auf Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs hin darüber auszusprechen, ob die Walliser Gemeinde in der Erteilung von Ausschankbewilligungen autonom sei und ob der Regierungsrat den Entscheid der Gemeinde demnach nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen dürfe. Die Vorfrage der Wahrung der Gemeindeautonomie kann sich ferner namentlich auch in Stimmrechtsbeschwerden im Sinne von
Art. 85 lit. a OG
(vgl.
BGE 42 I 192
) und in Beschwerden wegen Verletzung der Eigentumsgarantie stellen, so wenn der Beschwerdeführer einwendet, der auf ihn angewendete kantonale Rechtssatz verstosse gegen die Gemeindeautonomie, sei insofern verfassungswidrig und deshalb nicht geeignet, die gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in das Grundeigentum abzugeben.
Im vorliegenden Fall machen die Beschwerdeführer geltend, die kantonalen Instanzen hätten eine ihr Eigentum schützende Bestimmung des Gemeinderechts missachtet und damit gegen die Gemeindeautonomie, aber auch gegen die Eigentumsgarantie verstossen. Richtig verstanden, dient die erstgenannte Rüge lediglich der Begründung des Vorwurfs der Missachtung der Eigentumsgarantie. Ob es den Beschwerdeführern zustehe, wegen Verletzung dieses verfassungsmässigen Rechts (und des
Art. 4 BV
) staatsrechtliche Beschwerde zu erheben, ist im Folgenden zu prüfen.
I.3.
Laut
Art. 88 OG
kommt das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern und Korporationen "bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben". Dem Einzelnen steht dieses Rechtsmittel demnach lediglich zur Geltendmachung seiner eigenen rechtlich erheblichen Interessen offen; zur Wahrung allgemeiner öffentlicher Interessen wie auch zur Verfolgung bloss tatsächlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde hingegen nicht gegeben (
BGE 86 I 284
mit Verweisungen;
BGE 88 I 179
;
BGE 89 I 239
, 404, 517 Erw. 2;
BGE 90 I 174
, 185). Die Befugnis zur Beschwerdeerhebung ist demzufolge an die Erfüllung zweier Voraussetzungen geknüpft: Der Beschwerdeführer muss durch den angefochtenen Hoheitsakt in seiner Rechtsstellung berührt sein; er muss
BGE 91 I 409 S. 414
sodann möglicherweise und seinen hinreichend begründeten Behauptungen nach eine materielle (und in der Regel auch aktuelle) Benachteiligung in dieser Rechtsstellung erlitten haben (vgl. IMBODEN, Schw. Verwaltungsrechtsprechung, 2. Aufl. S. 378 f.). Ob diese Sachurteilsvoraussetzungen gegeben seien, hat das Bundesgericht von Amtes wegen festzustellen; es steht ihm hierbei (anders als in
BGE 90 I 208
Erw. 4, wo es um die Begründetheit der Beschwerde und nicht um die Zulassungsfrage ging) freie Prüfung zu (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 28. Februar 1962 i.S. am Rhyn Erw. 1). Das gilt grundsätzlich auch mit Bezug auf das in Betracht fallende kantonale und gemeindliche Recht. Das Bundesgericht misst dabei freilich der Auslegung, die dieses Recht in der Rechtsprechung der kantonalen Instanzen erfährt, ein besonderes Gewicht bei (vgl.
BGE 79 I 160
).
a) Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, die Rechtsstellung des Grundeigentümers sei nicht berührt und er sei demgemäss nicht befugt, staatsrechtliche Beschwerde zu führen, wenn der kantonale Entscheid lediglich feststelle, dass dem Bauvorhaben des Nachbars vom polizeilichen Standpunkt aus kein Hindernis entgegenstehe und es die massgebenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften nicht verletze. Eine Ausnahme hat es dabei lediglich für den Fall gemacht, dass der Grundeigentümer durch die einem Nachbar erteilte Baubewilligung in der eigenen Baufreiheit eingeschränkt wird, wie das namentlich zutrifft, wenn Bauvorschriften Gebäudeabstände und Gebäudehöhen vorschreiben und die in der Baubewilligung festgelegten Grenzabstände und Gebäudehöhen auch darüber entscheiden, wie nahe der Nachbar an die Grenze heranbauen darf (
BGE 88 I 179
/80,
BGE 89 I 517
/18,
BGE 90 I 185
).
Die Beschwerdeführer machen nicht geltend, die Erteilung der Baubewilligung für die Prüfungsstelle greife in ihre eigene Baufreiheit ein. Nach der angeführten Rechtsprechung wären sie mithin nicht befugt, gegen den dahin gehenden Entscheid staatsrechtliche Beschwerde zu erheben. Die Kritik, die an dieser Rechtsprechung geübt worden ist (vgl. BONNARD, ZSR 81 II S. 438 ff.; BURCKHARDT, ZBJV 70 S. 479; HEFTI, De la qualité pour recourir dans la juridiction constitutionnelle et administrative du Tribunal fédéral, S. 91 f.; HUBER, SJZ 57 S. 165 ff.; MARTI, ZSR 81 II S. 83 ff.; NAVILLE, S.J. 56 S. 209
BGE 91 I 409 S. 415
ff.; ZWAHLEN, Mélanges François Guisan, S. 329 ff.) gibt indessen Anlass, die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Erteilung der Baubewilligung an einen Dritten neu zu überprüfen.
b) Die Befugnis der Kantone (und Gemeinden) zum Erlass von Bauvorschriften wird einerseits in Art. 5 und 686, andererseits in
Art. 6 und 702 ZGB
umschrieben. In dem so abgesteckten Rahmen haben die Kantone und Gemeinden drei Arten von Bauvorschriften aufgestellt (vgl.
BGE 90 I 208
Erw. 4): Eine erste Gruppe bezweckt den Schutz bestimmter Rechtsgenossen und gehört dem Privatrecht an; eine zweite Gruppe dient dem Schutze der Allgemeinheit und ist öffentlichrechtlicher Natur; eine dritte Gruppe von Bauvorschriften aber ordnet nachbarliche Beziehungen auf dem Boden der Gegenseitigkeit, und zwar nicht nur im Interesse der Öffentlichkeit, sondern auch (oder sogar vorwiegend) in demjenigen einzelner Rechtsgenossen, der Nachbarn im engeren oder weiteren Sinne (HUBER, a.a.O., S. 168 ff.). Das tritt insbesondere bei der Regelung der Gebäudeabstände zutage. Die öffentliche Gesundheit erfordert bestimmte, auf die Bauhöhe und allenfalls die Bodengestaltung bezogene Mindestabstände. Diese sind für alle Wohnquartiere gleich, lässt es sich doch nicht sagen, dass die Bewohner des einen Viertels mehr Licht und Luft bedürften als die eines andern. Die Vergrösserung des Gebäudeabstandes über das durch die öffentliche Gesundheit geforderte Mindestmass hinaus hat wohl auch öffentliche Interessen für sich; so können namentlich Gründe der städtebaulichen Ästhetik, unter Umständen auch solche des Natur- und Heimatschutzes eine Abstufung der Bauabstände erfordern. In erster Linie erfolgt diese Erweiterung jedoch im Hinblick und zum Schutze bestimmter Rechtsgenossen: der Nachbarn. Entsprechendes gilt für eine Reihe weiterer Bauvorschriften. Ob diese gemischten Charakter haben, das heisst teils privatrechtlicher, teils öffentlichrechtlicher Natur seien, oder ob sie ungeachtet des Schutzes, den sie einzelnen Rechtsgenossen zuteil werden lassen, ganz dem öffentlichen Recht zugehören (sogen. nachbarschützendes öffentliches Recht), kann hier offen bleiben. Entscheidend ist, dass sie auf die dargelegte Weise den Nachbarn eine Sphäre rechtlich geschützter Interessen verleihen.
Der Entscheid über die Erteilung der Baubewilligung ergeht regelmässig auf Grund des gesamten kantonalen und gemeindlichen
BGE 91 I 409 S. 416
Baurechts (soweit es sich dabei nicht um rein privatrechtliche Bestimmungen handelt); das Baugesuch wird demgemäss auch auf seine Übereinstimmung mit den Bauvorschriften überprüft, die nicht nur die Interessen der Öffentlichkeit, sondern auch die Belange der Nachbarn wahren. Soweit die Anwendung derartiger Vorschriften in Frage steht, berührt der Entscheid die Rechtsstellung der durch sie geschützten Nachbarn. Sie sind deshalb entgegen der Annahme der bisherigen Rechtsprechung befugt, eine Verletzung dieser ihrer rechtlich geschützten Interessen mit der staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen. Aus entsprechenden Erwägungen lassen denn auch zahlreiche Kantone (vgl. die Übersicht bei KUTTLER, BJM 1954 S. 14 Anm. 26, und bei ZIMMERLIN, Bauordnung der Stadt Aarau, N. 14 zu § 6) sowie die deutsche Rechtsprechung (ULE, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., S. 124 ff.; EYERMANN-FRÖHLER, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., N. 98 zu § 42; PETERS, Der Dritte im Baurecht, Die öffentliche Verwaltung, 1965, S. 744 ff.) den Nachbar zur Verwaltungsbeschwerde in Baubewilligungssachen zu.
c) Erhebt ein Dritter gegen die Erteilung einer Baubewilligung staatsrechtliche Beschwerde, so ist demnach in erster Linie zu ermitteln, ob die Anwendung von Bauvorschriften auf dem Spiele stehe, die neben dem Gemeininteresse auch den besonderen Bedürfnissen der Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Diese Frage ist für jede Vorschrift gesondert zu prüfen, wobei Inhalt, Zweck und Stellung der Norm in Betracht zu ziehen sind (vgl. BONNARD, ZSR 81 II S. 440 N. 80; HAAB, N. 6 zu
Art. 680 ZGB
; KUTTLER, a.a.O. S. 10/11; ZR 61 Nr. 120). Wohl nimmt das Bundesgericht nach dem Gesagten die Auslegung, welche die Rechtsprechung der kantonalen Instanzen der betreffenden Vorschrift zuteil werden lässt, zum Ausgangspunkt seiner mit freier Prüfungsbefugnis geführten Untersuchung. Es geht indessen von vornherein nicht an, einen Dritten schon darum zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen eine Baubewilligung zuzulassen, weil ihm im kantonalen Verfahren Parteistellung zukam. Die staatsrechtliche Beschwerde bewahrt vielmehr auch in dieser Hinsicht ihre Selbständigkeit gegenüber den kantonalen Rechtsmitteln (vgl.
BGE 74 I 379
,
BGE 79 I 158
Erw. 1,
BGE 86 I 102
Erw. 3,
BGE 89 I 238
Erw. 2).
Das basellandschaftliche Verwaltungsgericht geht (wie das Zürcher und das Berner Verwaltungsgericht; vgl. IMBODEN,
BGE 91 I 409 S. 417
a.a.O., S. 383 Ziff. VI a mit Verweisungen; MBVR 62 S. 202, 63 S. 343; ZBl 1965 S. 243 Erw. 1) in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Vorschriften des Baugesetzes und des Gemeindebaurechts über "Grenz- und Gebäudeabstände, Gebäudehöhe, Bebauungs- und Ausnützungsziffer, Nutzungsart, Immissionen" primär im öffentlichen Interesse erlassen worden sind, "mindestens indirekt aber auch den Schutz der Nachbarn bezwecken"; es erachtet daher grundsätzlich den Nachbar als berechtigt, wegen behaupteter Verletzung dieser Vorschriften Beschwerde zu führen (BJM 1962 S. 297). Das Verwaltungsgericht rechnet auch § 16 Abs. 1 ZRM, um dessen Anwendung es im angefochtenen Entscheid geht, zu diesen nachbarschützenden Normen. Die genannte Vorschrift umschreibt die Nutzungsart (Wohn- und Gewerbebauten), begrenzt die Gebäudehöhe (auf höchstens drei Geschosse) und enthält Immissionsbeschränkungen (indem sie in der Zone 3 jedes Gewerbe untersagt, das "die Nachbarschaft ... durch Lärm, Rauch, üblen Geruch oder erhöhte Gefahren schädigend beeinträchtigt"). Im vorliegenden Zusammenhang steht allein der letztgenannte Teil des § 16 Abs. 1 ZRM zur Diskussion.
Um die rechtliche Tragweite dieser Immissionsbeschränkungen zu erfassen, ist auf ihr Verhältnis zu den entsprechenden Bestimmungen des Bundesrechts einzugehen. Dieses gewährt in den
Art. 641, 679 und 684 ZGB
den einzelnen Rechtsgenossen Schutz vor ungerechtfertigten bzw. übermässigen Einwirkungen. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Lärm, Luftverunreinigungen u. dgl. wahrzunehmen, ist dagegen grundsätzlich nicht Sache des Bundesrechts, sondern der Kantone, die sich mit den Gemeinden in diese Aufgabe teilen können. Die kantonalen und gemeindlichen Immissionsbeschränkungen sind denn auch vornehmlich auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausgerichtet, also polizeilicher Natur. Sie brauchen sich aber nicht notwendigerweise darin zu erschöpfen. Das ZGB regelt den Schutz des Einzelnen vor Immissionen zwar in umfassender, jedoch nicht in abschliessender Weise; es ist vielmehr ergänzungsfähig (vgl. OFTINGER, Lärmbekämpfung als Aufgabe des Rechts, S. 43). Zahlreiche Kantone und Gemeinden haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und Immissionsbeschränkungen aufgestellt, die nicht nur auf die Interessen der Allgemeinheit, sondern daneben auch auf die besonderen Bedürfnisse der
BGE 91 I 409 S. 418
Anwohner abgestimmt sind. Die zweite Zwecksetzung trägt dabei ihre Rechtfertigung in sich selber und ist kein blosser Reflex der ersten. Die betreffenden Vorschriften verleihen so einzelnen Bürgern eine Sphäre rechtlich geschützter Interessen. Wohl hat die doppelte Aufgabe derartiger Bestimmungen zur Folge, dass der Anwohner, der sich auf sie beruft, mit seinem eigenen Nutzen in der Regel zugleich auch das Interesse der Gesamtheit wahrnimmt, an der er Anteil hat. Das ändert indessen nichts daran, dass er dabei eigene rechtlich geschützte Belange vertritt.
d) Zu den Vorschriften, die dergestalt nicht nur dem Gemeinwohl dienen, sondern auch die Interessen einzelner Rechtsgenossen wahren sollen, sind, wie das Verwaltungsgericht mit Fug gefolgert hat, auch die Immissionsbeschränkungen des § 16 Abs. 1 ZRM zu zählen, bilden diese doch Bestandteil einer Gesamtordnung, die wesentlich auf die Interessen der Anwohner ausgerichtet ist. Zu prüfen ist, welches der Kreis der durch diese Immissionsbeschränkungen geschützten Bürger sei und ob die Beschwerdeführer dazu gehören. Das Bundesgericht entscheidet auch diese Zulassungsfrage frei, wobei es die Stellungnahme der kantonalen Instanzen in der angegebenen Weise in Betracht zieht.
Das basellandschaftliche Verwaltungsgericht entnimmt dem Inhalt und Zweck der in Frage stehenden Baurechtsnorm, wer durch sie geschützt werden soll (BJM 1962 S. 297). Es hält dafür, dass die Immissionsbeschränkungen des Baurechts - gleich denjenigen des ZGB (vgl.
BGE 55 I 245
Erw. 1,
BGE 79 I 204
Erw. 2,
BGE 81 II 443
) - dem Schutz aller Rechtsgenossen dienen, die durch die untersagten Einwirkungen betroffen würden, also nicht nur der Grundangrenzer, sondern auch der Nachbarn in einem weiteren Sinne (vgl. KUTTLER, a.a.O., S. 13; ZIMMERLIN, a.a.O., N. 4 Abs. 2 zu § 54). Dieser Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen, doch ist ihr gegenüber insofern ein Vorbehalt anzubringen, als es sich fragt, ob der Schutzbereich von Immissionsbeschränkungen gemeindlicher Zonenordnungen nicht auf Grundstücke der betreffenden Zone und anschliessender Zonen mit strengeren Immissionsvorschriften einzugrenzen sei. Diese Frage kann hier jedoch offen bleiben, da die Grundstücke der Beschwerdeführer gleich dem Bauplatz in der Zone 3 liegen.
Die Grundstücke der Beschwerdeführer fallen mithin nur
BGE 91 I 409 S. 419
dann in den Schutzbereich des § 16 Abs. 1 ZRM, wenn sie von den Auswirkungen des Betriebes der bewilligten Anlage betroffen werden. Ob die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Entscheid in ihrer Rechtsstellung berührt werden, lässt sich demgemäss nicht von der Frage ihrer materiellen Benachteiligung trennen. Bei der Feststellung der Sachurteilsvoraussetzungen muss das Bundesgericht sich nach dem Gesagten in dieser Hinsicht mit der Prüfung begnügen, ob eine solche Benachteiligung möglich sei und ob die Beschwerdeführer sie in hinreichender Weise behauptet hätten (
BGE 89 I 520
,
BGE 91 I 193
; vgl. auch KIRCHHOFER, ZSR 49 S. 34 f.; ULE, a.a.O., S. 121 f.). Das trifft hier zu. Die Beschwerdeführer machen geltend, ihre Grundstücke, die rund 100 bis 200 m vom Bauplatz entfernt sind, würden durch den vom Betrieb der Prüfungsstelle ausgehenden Lärm beeinträchtigt. Die Möglichkeit einer solchen Benachteiligung ist nicht auszuschliessen. Sie entfällt jedenfalls nicht schon deshalb, weil die Grundstücke nicht unmittelbar neben dem Bauplatz liegen. Die Erfahrung zeigt, dass die Auswirkungen eines derartigen Betriebes in einem weiteren Umkreis bemerkbar sind.
e) Wie das Bundesgericht wiederholt erkannt hat, müssen die rechtlich erheblichen Interessen des Beschwerdeführers, die der angefochtene Entscheid berührt und die er als verkürzt betrachtet, auf dem Gebiete liegen, "welches die von ihm angerufene Verfassungsbestimmung beschlägt" (
BGE 86 I 102
Erw. 3, 284;
BGE 89 I 238
Erw. 2, 278 Erw. 2). Der Gleichheitssatz und das Willkürverbot des
Art. 4 BV
schützen als allgemeine verfassungsmässige Rechte alle rechtlich erheblichen Interessen der Bürger (BONNARD, ZSR 78 S. 315 N. 32). Die Beschwerdeführer sind daher befugt, sich auf
Art. 4 BV
zu berufen. Es steht ihnen aber auch die Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie offen (BONNARD, ZSR 81 II S. 440 N. 81). Dieses Grundrecht schützt neben dem Eigentum einen weiteren Kreis vermögenswerter Rechte, die dem Privatrecht zugehören (BGE 3 S. 314 Erw. 4; 16 S. 716;
BGE 26 I 77
;
BGE 28 I 181
;
BGE 35 I 571
;
BGE 37 I 515
Erw. 2;
BGE 40 I 259
;
BGE 42 I 204
;
BGE 50 I 75
;
BGE 57 I 207
;
BGE 68 I 153
;
BGE 70 I 21
;
BGE 74 I 470
a) oder ihrer Art nach zur Zeit der Entstehung der Eigentumsgarantie dem Privatrecht zugezählt wurden (vgl. BGE 17 S. 187;
BGE 31 I 21
;
BGE 44 I 171
Erw. 3;
BGE 48 I 427
Erw. 2, 594;
BGE 57 I 209
Erw. 1;
BGE 63 I 40
;
BGE 65 I 302
/3;
BGE 67 I 188
Erw. 6;
BGE 70 I 21
;
BGE 74 I 470
b). Was das Eigentum als solches anbelangt, so ergibt
BGE 91 I 409 S. 420
sich sein Inhalt nicht nur aus dem Sachenrecht, sondern, wie
Art. 641 Abs. 1 ZGB
zum Ausdruck bringt, aus der "Rechtsordnung", das heisst aus allen auf das Eigentum bezüglichen Rechtssätzen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden (mit Einschluss des Gewohnheitsrechts und der richterlichen Rechtsfindung gemäss
Art. 1 Abs. 2 ZGB
), unter dem Vorbehalte freilich, dass dieses Recht seinerseits den Wesensgehalt des Eigentums unangetastet lässt (vgl.
BGE 88 I 255
,
BGE 90 I 37
; MEIER-HAYOZ, N. 22 zu
Art. 641 ZGB
in Verbindung mit N. 213 des systematischen Teils). Zu diesen Rechtssätzen gehören auch die einschlägigen Bestimmungen des kantonalen und gemeindlichen Baurechts. Wie dargelegt, können diese dem Grundeigentümer eine Sphäre rechtlich geschützter Interessen einräumen, die über den sachenrechtlichen Inhalt des Eigentums hinausgeht. Diese Sphäre fällt nach dem Gesagten in den Kreis der durch die Eigentumsgarantie erfassten Rechtsgüter.
I.4.
Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des
Art. 4 BV
und der Eigentumsgarantie sind gemäss
Art. 86 Abs. 2 OG
erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist. Die neuere Rechtsprechung legt den Begriff des Rechtsmittels im Sinne dieser Bestimmung weit aus; sie versteht darunter nicht nur die ordentlichen und ausserordentlichen Rechtsmittel des kantonalen Prozessrechts, sondern jeden Rechtsbehelf, der zur Beseitigung der Beschwerung führen kann, auf deren Behebung die staatsrechtliche Beschwerde abzielt (
BGE 90 I 229
Erw. 2 mit Verweisungen).
Das Verwaltungsgericht weist im angefochtenen Entscheid darauf hin, dass den Beschwerdeführern die Unterlassungsklage und die Schadenersatzklage offen stehen. Die letztgenannte Klage ist von vornherein nicht geeignet, die Erstellung der von den Beschwerdeführern beanstandeten Anlage zu verhindern. Die Unterlassungsklagen der
Art. 641 Abs. 2, 679 und 684 ZGB
sind auf die Beseitigung bestehender oder die Unterlassung künftiger Störungen gerichtet. Sie setzen voraus, dass die Einwirkung "ungerechtfertigt" ist, bzw. aufeiner Überschreitung des Eigentums beruht. Ob die beanstandete Verletzung einer kommunalen Zonenvorschrift als Eigentumsüberschreitung (oder als ungerechtfertigte Störung) zu gelten habe, die mit einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage angefochten werden kann, ist in Lehre und Rechtsprechung umstritten (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 86 zu
Art. 679 ZGB
mit Verweisungen).
BGE 91 I 409 S. 421
Es geht aber nicht an, die Beschwerdeführer auf einen Rechtsbehelf zu verweisen, der unter Umständen nicht geeignet ist, eine Behebung des von ihnen gerügten Mangels herbeizuführen. Der Anhandnahme der staatsrechtlichen Beschwerde steht daher vom Standpunkt des
Art. 86 Abs. 2 OG
aus nichts im Wege.
II.1.
Materielle Beurteilung
II.1.- Die Parzelle Nr. 2288, welche die Prüfungsstelle für Kraftfahrzeuge der Kantone Basel-Stadt und -Landschaft aufnehmen soll, liegt zur Hauptsache in der Zone 3 der Gemeinde Münchenstein. § 16 Abs. 1 ZRM lässt in dieser Zone Wohnbauten (mit höchstens drei Geschossen) und Gewerbebetriebe zu, welche die Nachbarschaft nicht "durch Lärm, Rauch, üblen Geruch oder erhöhte Gefahr schädigend beeinträchtigen". Das Verwaltungsgericht hat erkannt, dass das Bauvorhaben dieser Immissionsbeschränkung nicht entspreche. Der Kanton Basel-Stadt macht demgegenüber in seiner Beschwerdeantwort geltend, die Prüfungsstelle werde "nach dem Stand der Technik in einer Weise ausgebaut und betrieben..., dass schädigende Immissionen ausgeschlossen" seien. Dieser Einwand widerlegt die Stellungnahme des Verwaltungsgerichts nicht. Zwar kann damit gerechnet werden, dass die öffentliche Hand als Bauherr im Rahmen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Tragbaren alles vorkehren wird, um zu verhindern, dass Motorengegeräusche und Abgase aus der Prüfungsstelle nach aussen dringen. Ob diese Massnahmen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen werden, steht dahin. Selbst wenn das zuträfe, bliebe es dabei, dass die "beträchtliche und regelmässige Zu- und Wegfahrt von Automobilen und anderen Motorfahrzeugen", wozu es nach der Zugabe des Kantons Basel-Landschaft kommen wird, eine Mehrbelastung der Umgebung in sich schliesst. Dass das Quartier bereits heute dem Lärm einer Durchgangsstrasse ausgesetzt ist, vermag daran nichts zu ändern. Erfahrungsgemäss wird ein Geräusch nicht durch ein anderes aufgehoben; es kommt vielmehr zu einer Überlagerung der Geräusche, was die damit verbundene Störung in der Regel verstärkt (vgl
BGE 88 II 15
mit Verweisungen). Es ist daher mit dem Verwaltungsgericht anzunehmen, dass die Auswirkungen der Prüfungsstelle das Mass des nach § 16 Abs. 1 ZRM Erlaubten übersteigen. Wenn diese Abweichung sich auch bloss in verhältnismässig engen Grenzen halten dürfte, so sind doch
BGE 91 I 409 S. 422
die Zulassungsbedingungen der genannten Vorschrift nicht erfüllt.
Das Verwaltungsgericht hält indessen mit den Vorinstanzen dafür, dass die Baubewilligung trotzdem zu erteilen sei, weil die beteiligten Kantone mit der Anlage einer Prüfungsstelle für Kraftfahrzeuge eine ihnen von Bundesrechts wegen obliegende Pflicht erfüllten, die dem Gemeindebaurecht, das der Kanton bei seinen Bauten sonst nach Möglichkeit berücksichtige, vorgehe. Die Beschwerdeführer rügen diese Auffassung als willkürlich; in der Nichtanwendung einer zum Schutze der Nachbarn bestimmten baurechtlichen Vorschrift erblicken sie ausserdem eine Verletzung der Eigentumsgarantie. Wie in Erw. I 3 c - e dargelegt, räumt § 16 Abs. 1 ZRM den Beschwerdeführern rechtlich erhebliche Interessen ein, die unter dem Schutze der Eigentumsgarantie stehen. Der geltend gemachte Eingriff in ihre Rechtsstellung ist jedoch verhältnismässig nicht besonders schwer. Das Bundesgericht prüft deshalb die Handhabung der in Frage stehenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze ungeachtet der Anrufung der Eigentumsgarantie nur auf das Vorliegen von Willkür hin (
BGE 89 I 467
Erw. 2 mit Verweisungen,
BGE 91 I 125
). Soweit das Verwaltungsgericht tatsächliche Feststellungen getroffen und die örtlichen Bedürfnisse gewürdigt hat, prüft das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid gleichfalls bloss unter diesem eingeschränkten Gesichtswinkel (
BGE 88 I 252
, 294;
BGE 89 I 196
Erw. 2;
BGE 90 I 333
). Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie fällt demnach insofern mit dem Vorwurf der Missachtung des
Art. 4 BV
zusammen.
II.2.
Aus dem Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung folgt in formeller Hinsicht, dass die Verwaltung sich in ihrer gesamten Tätigkeit innerhalb der Grenzen zu halten hat, die ihr durch die geltenden Gesetze, Verordnungen und Satzungen gezogen sind. Das betrifft auch jene Verwaltungsakte, die wie die Erstellung von Bauten zu Verwaltungszwecken in Tathandlungen bestehen. Will die Verwaltung ein Gebäude erstellen, so ist sie somit an die auf das Baugrundstück anwendbaren Bauvorschriften gebunden. Dem lässt sich im Regelfalle nicht entgegenhalten, das Baurecht selber wende sich in seinen materiellen Vorschriften nur an den Einzelnen und nicht an die Verwaltung. Wenn der Gesetzgeber gewisse öffentliche und private Interessen auf dem Gebiete des Bauwesens als schutzwürdig
BGE 91 I 409 S. 423
anerkennt und er die zu deren Wahrung erforderlichen Bauvorschriften aufstellt, so nimmt er damit eine Interessenabwägung vor, an die sich auch die Verwaltung zu halten hat. Die meisten dieser Vorschriften können zudem ihre Aufgabe lediglich erfüllen, wenn sie durchgehend angewendet werden; sie erreichen ihren Zweck nur, wenn auch die Verwaltung sie beachtet.
Die Verwaltung ist dabei als Bauherr nicht nur an das Baurecht gebunden, das der Gesetzgeber der selben oder einer höheren Stufe erlassen hat; sie hat vielmehr grundsätzlich auch die Bauvorschriften der unteren Verbände einzuhalten. Stösst der Kanton bei der Ausführung seiner Bauvorhaben auf Baurecht der Gemeinden, so begegnet er in seinem Verwaltungshandeln den Rechtssätzen des unteren Verbandes. Es liegt somit nicht der Fall vor, da Rechtssätze verschiedener Stufen einander gegenübertreten; die Regel, wonach der Rechtssatz des oberen Verbandes dem des untern vorgeht, ist deshalb auf diesen Konflikt nicht anwendbar. Massgebend ist vielmehr wiederum der Gesichtspunkt, dass die Verwaltung sich innerhalb der Schranken des Gesetzes zu halten hat. Hat die Verfassung oder die Gesetzgebung des oberen Verbandes die Regelung eines bestimmten Gegenstandes dem untern Verband übertragen oder überlassen, so ist diese Entscheidung beim Fehlen ausdrücklich oder durch die Sache selbst begründeter Vorbehalte auch für die Verwaltung des oberen Verbandes verbindlich: sie hat sich insoweit an die Ordnung zu halten, die der untere Verband kraft der ihm vom oberen übertragenen oder überlassenen Zuständigkeit getroffen hat.
a) Das Bundesgericht hat in diesem Sinne erkannt, dass der Bund für seine Bauten grundsätzlich dem kantonalen Polizeirecht unterworfen ist (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Dezember 1952 i.S. Eidgenossenschaft gegen Kanton Luzern; vgl. ferner die kantonalen Entscheide ZBl 1946 S. 535/36, 1950 S. 506, 1958 S. 113). Diese Unterwerfung geht nach der Rechtsprechung allerdings nur so weit, als die Erfüllung der verfassungsmässigen Aufgaben des Bundes dadurch nicht verunmöglicht oder erheblich erschwert wird. Im zweiten Falle hat das kantonale Recht indessen nicht unbesehen vor der Bundesgewalt zurückzutreten, sondern nur dann, wenn die auf dem Spiele stehenden Belange des Bundes höher zu bewerten sind als die Interessen, die das kantonale Recht zu wahren
BGE 91 I 409 S. 424
hat. In ähnlicher Weise spricht sich das vom Verwaltungsgericht angeführte Urteil
BGE 65 I 101
ff. zu einem Kompetenzkonflikt zwischen dem Bund und einem Kanton auf dem Gebiete der Gebäudeversicherung aus, indem es feststellt, dass beim Fehlen verfassungsrechtlicher oder gesetzlicher Bestimmungen "unter Würdigung aller Umstände" zu entscheiden ist, welche Hoheit vor der andern zurückzutreten hat. Der Bundesgesetzgeber selber hat in Art. 18 Abs. 3 des Eisenbahngesetzes vom 20. Dezember 1957 angeordnet, dass "die auf die kantonale Gesetzgebung, namentlich über die Feuer- und Gesundheitspolizei gestützten Anträge... zu berücksichtigen (sind), soweit sie mit der Bundesgesetzgebung und den Bedürfnissen des Eisenbahnbaues und -betriebes vereinbar sind". In der Lehre vertreten namentlich BURCKHARDT (Komm. 3. Aufl. S. 17, 194/95), NABHOLZ (Das Institut der Bebauungspläne, S. 81) und ZIMMERLIN (a.a.O., S. 22 N. 4) einen Standpunkt, der sich trotz Abweichungen in Einzelheiten im Ganzen mit der Auffassung der Rechtsprechung deckt (desgleichen für die Bundesrepublik Deutschland: HEITZER-ÖSTREICHER, Bundesbaugesetz, 2. Aufl., N. 1 zu § 37), während FLEINER (Schw. Bundesstaatsrecht, S. 490, 659 f.) und EDWIN HAUSER (Die Bindung des Bundes an das kantonale Recht, S. 31, 56 ff., 91 ff.; ZBl 1964 S. 459, 461, 464) zwar die Selbständigkeit des Bundes stärker betonen, in der Nutzanwendung auf den Einzelfall aber oft zu keinen wesentlich andern Ergebnissen gelangen dürften.
b) Wie der Bund grundsätzlich das kantonale (und gemeindliche) Baurecht zu beachten hat, so hat der Kanton als Bauherr im Regelfalle die Bauvorschriften der Gemeinden einzuhalten. Im übrigen können die Rechtsbeziehungen zwischen den Gemeinden und dem Kanton jedoch entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts nicht durchwegs jenen zwischen den Kantonen und dem Bund gleichgestellt werden. Während der Kanton in den Bereichen, die nicht Bundessache sind, nur in einzelnen in der BV vorgesehenen Ausnahmefällen der Oberaufsicht des Bundes unterstellt ist, steht die Gemeinde unter der allgemeinen Aufsicht des Kantons, und zwar auch hinsichtlich ihrer Betätigung in ihrem eigenen Wirkungskreis. Die Ausübung dieser Aufsicht bewirkt, dass das Gemeinderecht und das kantonale Recht in höherem Masse eine Einheit bilden als das kantonale und das eidgenössische Recht (vgl. LIVER,
BGE 91 I 409 S. 425
Gemeinderecht, ZBl 1949 S. 43/44). Das führt namentlich auch dazu, dass der Kanton aufvielen Gebieten über andere und weiter gehende Möglichkeiten verfügt, um einer Behinderung seiner Verwaltungstätigkeit durch das Recht der unteren Verbände vorzubeugen oder entgegenzutreten.
Das zeigt gerade das basellandschaftliche Baurecht. Gemäss § 58 Abs. 2 des kantonalen Gesetzes betreffend das Bauwesen vom 15. Mai 1941/30. April 1959 bedürfen die Bauvorschriften der Gemeinden der Genehmigung des Regierungsrates, die ihnen erst die "allgemein verbindliche Wirksamkeit" verleiht. Bei der Prüfung der Gemeindebauvorschriften kann der Regierungsrat darüber befinden, ob sie den Bedürfnissen der kantonalen Verwaltung Rechnung tragen; trifft das nicht zu, so kann er ihnen die Genehmigung versagen. Sieht die kantonale Verwaltung sich vor neue Aufgaben gestellt und zeigt es sich erst nachträglich, dass die Gemeindebauvorschriften den Bedürfnissen des Kantons nicht gerecht werden, so kann der Regierungsrat nachträglich die einmal erteilte Genehmigung widerrufen. Die Verweigerung der Genehmigung wegen entgegenstehender Bedürfnisse der Verwaltung und der Widerruf der Genehmigung dürfen allerdings erst nach allseitiger Würdigung aller Umstände erfolgen; es hat ihnen die gleiche Interessenabwägung vorauszugehen, wie sie bei der Entscheidung eines Konfliktes zwischen der Bundesgewalt und dem kantonalen Recht vorzunehmen ist (vgl. vorne lit. a). Dessen ungeachtet ist die Lösung nicht dieselbe: während es im zweiten Falle zu einer Durchbrechung des kantonalen Rechts kommt, die, soweit Bebauungs- und ähnliche Pläne in Frage stehen, räumlich auf das Baugrundstück beschränkt ist, führt die Verweigerung der Genehmigung durch den Regierungsrat oder der von ihm ausgesprochene Widerruf der Genehmigung dazu, dass die gemeindlichen Bauvorschriften überhaupt nicht in Kraft treten bzw. ihre Rechtskraft verlieren. Die Wirkungen dieses Aktes lassen sich dabei um der planerischen Folgerichtigkeit willen (
BGE 87 I 513
; ZBl 1964 S. 218; IMBODEN, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut, VVDStRL 18 S. 142 Ziff. IX) in der Regel nicht auf das Baugrundstück eingrenzen, sondern sie rufen einer umfassenderen Anpassung.
II.3.
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht (wie vor ihm die unteren kantonalen Instanzen) das Interesse der Verwaltung an der Errichtung der Prüfungsstelle für Kraftfahrzeuge
BGE 91 I 409 S. 426
auf der Parzelle Nr. 2288 in der "unteren Wanne" in Münchenstein dem Interesse der Gemeinde und der Anwohner an der Aufrechterhaltung des diesem Werk entgegenstehenden Zonenplanes gegenübergestellt; es ist dabei zum Schluss gelangt, das Interesse der Verwaltung gehe jenem der Gemeinde und der Nachbarn vor, und hat daraus gefolgert, dass die Baubewilligung für die Anlage erteilt werden könne. Das Bundesgericht kann diese Stellungnahme nach dem Gesagten nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür überprüfen.
a) Die Prüfungsstelle wird von den Kantonen Basel-Stadt und -Landschaft als Gemeinschaftswerk errichtet. Bei der Erstellung der Anlage stehen somit Interessen beider Kantone auf dem Spiele. Es fragt sich grundsätzlich, ob ein Kanton auch im Hinblick auf das Verwaltungsinteresse eines andern Kantons in das Baurecht einer seiner Gemeinden eingreifen dürfe. Unter den gegebenen Umständen kann diese Frage indessen offen bleiben, da die Interessen beider beteiligter Kantone sich decken. Zwar ist anzunehmen, dass der Kanton Basel-Landschaft eine nur für seine Kantonseinwohner bestimmte Prüfungsstelle nicht unbedingt in den näheren Umkreis der Stadt Basel verlegt hätte. Dem Kanton Basel-Stadt musste demgegenüber an einer solchen Lösung gelegen sein. Da der gemeinsame Bau und Betrieb der Anlage für beide Kantone vorteilhaft ist, musste der Kanton Basel-Landschaft, um dieser Vorteile teilhaftig zu werden, auf das erwähnte Anliegen des anderen Kantons eingehen. Die Erstellung des Werkes in Stadtnähe ist so gesehen auch für den Kanton Basel-Landschaft von Nutzen.
Der Kreis der möglichen Standorte durfte dabei allerdings nicht zu eng gezogen werden. Der Motorfahrzeugführer hat weder mit merklichen Mehrkosten noch mit einem fühlbaren Zeitverlust zu rechnen, wenn er ausserhalb der Stadt und ihres Verkehrs ein paar Kilometer mehr zurücklegen muss. Für die Errichtung der Prüfstelle fiel mithin eine grössere Zahl von Vorortsgemeinden in der Gegend von Basel in Betracht. Die kantonalen Instanzen haben neben dem Bauplatz in der "unteren Wanne" weitere in unmittelbarer Stadtnähe gelegene Grundstücke auf ihre Eignung hin untersucht, so die Areale "St. Jakob" und "Rankhof" in Basel, "Hagnau" in Birsfelden und Brüglingerstrasse in Münchenstein; der Vergleich
BGE 91 I 409 S. 427
fiel jedoch zu Gunsten des erstgenannten Platzes aus. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass die Behörden die Suche auf den erwähnten grösseren Umkreis der Stadt ausgedehnt hätten, wiewohl sich eine solche Standortwahl nach dem Gesagten durchaus hätte vertreten lassen und es jedenfalls nicht von vornherein feststand, dass in den Industriezonen der betreffenden Vorortsgemeinden kein geeigneter Bauplatz hätte erworben oder enteignet werden können. Es fragt sich, ob es nicht angezeigt gewesen wäre, weitere Erhebungen in dieser Richtung anzustellen.
Wenn die kantonalen Instanzen davon abgesehen haben, so dürften sie von der Überlegung geleitet worden sein, dass das Bauvorhaben verhältnismässig wenig von den Zonenvorschriften abweicht und dass es in tatsächlicher Hinsicht keine wesentliche Änderung des Quartiercharakters nach sich zieht. Der Bauplatz ist Teil eines Viertels, das am Rande eines Industriegebietes liegt und das durch die viel befahrene Reinacherstrasse ihr Gepräge erhält. Es handelt sich schon heute um eine Übergangszone. Die Prüfungsstelle wird sich deshalb im Quartier kaum als eigentlicher Fremdkörper ausnehmen. Das gilt auch mit Bezug auf die Auswirkungen der Anlage. Wie in Erw. II/1 aufgezeigt, weicht das Bauvorhaben in dieser Hinsicht nicht stark von der Norm ab. Das fiel bei der zu treffenden Entscheidung erheblich ins Gewicht.
Wohl ist es an sich richtig, dass Zonenpläne ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie eine gewisse Beständigkeit aufweisen (
BGE 90 I 333
). Die Ausserkraftsetzung oder Durchbrechung eines Zonenplanes zu Gunsten eines Bauvorhabens der öffentlichen Hand ist auch aus diesem Grunde ein Ausweg, der nur in Ausnahmefällen beschritten werden darf. In Anbetracht der dargelegten Verhältnisse kann indessen nicht gesagt werden, dass die kantonalen Instanzen es in dieser Hinsicht an der erforderlichen Zurückhaltung hätten fehlen lassen. Das Verwaltungsgericht hat sich bei Abwägung der gegensätzlichen Interessen der Verwaltung einerseits und der Gemeinde sowie der Anwohner andererseits von sachlichen Gesichtspunkten leiten lassen; es hat den weiten Rahmen des ihm in dieser Frage zustehenden Beurteilungsspielraumes nicht überschritten. Die Rüge der Willkür ist insoweit unbegründet.
b) Wie sich aus Erw. II/2 ergibt, kann der Regierungsrat
BGE 91 I 409 S. 428
nach Bejahung des Vorranges der Interessen der Verwaltung den gemeindlichen Bauvorschriften, die deren Bauvorhaben entgegenstehen, die Genehmigung entziehen und sie dadurch ausser Kraft setzen, so dass die Erteilung der Baubewilligung auf kein Hindernis mehr stösst. Im vorliegenden Fall haben die kantonalen Instanzen nicht diesen Weg eingeschlagen; sie haben die Einsprache gegen das Baugesuch der Kantone Basel-Stadt und -Landschaft abgewiesen, ohne dass der Regierungsrat einen Beschluss auf Widerruf der Genehmigung eines entsprechenden Teils des Zonenplanes von Münchenstein gefasst hätte. Dass es so zu einer Durchbrechung und nicht zu einer teilweisen Ausserkraftsetzung von Gemeinderecht gekommen ist, wirkt sich im praktischen Ergebnis namentlich dahin aus, dass das Baugrundstück der Verwaltung damit eine Sonderbehandlung erfährt, während der Regierungsrat im zweiten Falle aus Gründen der planerischen Folgerichtigkeit nicht um den Entscheid der Frage herumgekommen wäre, ob neben der Bauparzelle auch deren nähere Umgebung von der Zonenordnung auszunehmen sei. Denkbar ist allerdings, dass er diese Frage nach Prüfung aller Umstände verneint hätte: Da das Bauvorhaben nach dem Gesagten nicht in einen wesentlichen Gegensatz zur Umgebung tritt, ist das Bedürfnis nach der Schaffung eines Überganges zwischen der Anlage der Verwaltung und der zonengerechten Überbauung der Nachbarschaft ein geringeres. Angesichts dieser besonderen Verhältnisse lässt sich das Vorgehen der Behörden auch in formeller Beziehung mit sachlichen Gründen vertreten; es ist nicht als willkürlich zu bezeichnen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3b5eed5-281c-4c7f-91be-c103fb7cdb90 | Urteilskopf
95 I 343
50. Estratto della sentenza 30 aprile 1969 su ricorso Galeazzi e Gedasa SA contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino. | Regeste
1. Der Verkauf und der Betrieb von Spielapparaten, bei denen der Spielausgang ausschliesslich oder vorwiegend von der Geschicklichkeit des Spielers abhängt, geniessen den Schutz der Handels- und Gewerbefreiheit. Voraussetzungen für die Beschränkung dieser Freiheit (Erw. 3).
2. Art. 52 des Tessiner Wirtschaftsgesetzes ermächtigt den Staatsrat, die Zahl der Spielapparate in den Wirtschaften festzusetzen und den Betrieb zu regeln. Art. 149 der Vollziehungsverordnung, der Spielapparate, bei denen ein Geldgewinn in Aussicht steht, verbietet, fällt nicht unter jene Bestimmung und verletzt daher den Grundsatz der Gewaltentrennung (Erw. 4).
3. Voraussetzungen, unter denen die Regierung auch ohne gesetzliche Grundlage die zum Schutz und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung unumgänglichen Massnahmen anordnen kann (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 95 I 343 S. 344
A.-
Il 19 novembre 1968, il Consiglio di Stato del Cantone Ticino ha promulgato il "Regolamento di applicazione della legge sugli esercizi pubblici" (RLEP), il cui art. 149 dispone quanto segue:
"E'vietata la posa e l'esercizio di apparecchi da gioco rimuneranti denaro o gettoni corrispondenti a denaro."
Il RLEP venne pubblicato sul Bollettino ufficiale delle leggi e degli atti esecutivi del 3 dicembre 1968. L'entrata in vigore della suesposta disposizione venne fissata per il 3 dicembre 1969 (v. art. 167 RLEP).
B.-
Armando Galeazzi, esercente e titolare di una licenza per un apparecchio da gioco del genere di quelli vietati dalla citata norma, e la Gedasa SA, noleggiatrice di siffatti apparecchi, hanno separatamente e tempestivamente interposto un ricorso di diritto pubblico al Tribunale federale, chiedendo che l'art. 149 RLEP venga annullato perché lesivo degli
art. 4 e 31
CF.
Il Consiglio di Stato propone di respingere i ricorsi.
BGE 95 I 343 S. 345
Erwägungen
Considerando in diritto:
3.
La vendita e la messa a disposizione di apparecchi da gioco costituiscono un commercio e sono pertanto garantiti dall'art. 31 CF (RU 80 I 353 consid. 2). La relativa garanzia non è tuttavia assoluta: soggiace alla riserva delle disposizioni restrittive della costituzione e della legislazione. Al riguardo, il diritto federale vieta l'impianto di detti apparecchi in quanto servano al gioco d'azzardo; non lo limita invece in quanto trattisi di giochi il cui esito dipenda, esclusivamente o in modo preponderante, dalla destrezza del giocatore (art. 3 LF 5 ottobre 1929 sulle case da gioco). L'apparecchio "Tivoli" dei ricorrenti è di questo genere e non è quindi vietato per diritto federale (v. sentenza 17 marzo 1967 della Camera di diritto amministrativo del Tribunale federale). Il diritto federale non disciplina questa materia in modo esclusivo, per cui i cantoni possono disporre misure anche più restrittive (RU 80 I 352, 90 I 322 consid. 2). Ciò non è il caso per la più generale legge ticinese 10 marzo 1966 sull'esercizio delle professioni ambulanti e degli apparecchi automatici, i cui divieti (art. 1) sono conformi a quelli dell'art. 3 della legge federale. L'ulteriore restrizione qui impugnata, concerne solo l'impianto e l'utilizzazione di detti apparecchi negli esercizi pubblici, ed è contenuta (art. 149) nel relativo regolamento speciale. Ma, rispetto alla libertà di commercio, la situazione non è diversa, perchè, sia pure con le particolari limitazioni previste anche dal diritto federale (art. 31 ter e 32 quater CF) - qui non in discussione - anche i titolari di esercizi pubblici godono della garanzia di cui all'art. 31 CF (RU 93 I 224).
Ne consegue che, qualora non costituisca urgente norma di polizia presa dall'autorità cantonale in stato di necessità, l'impugnata limitazione della libertà di commercio è valida solo se promulgata nel rispetto del principio della separazione dei poteri (RU 89 I 470, 90 I 323 consid. 3), se è giustificata da ragioni di ordine pubblico, se è adeguata agli scopi perseguiti ed è applicabile in modo uniforme (RU 88 I 236, 93 I 309a).
4.
Il principio della separazione dei poteri, implicitamente garantito dall'art. 4 CC, è solidamente ancorato nell'art. 16 CC, il quale delimita in modo esplicito i tre poteri. Il potere legislativo è esercitato dal Gran Consiglio (art. 21, 25, specie num. 2) e dal popolo mediante l'iniziativa popolare (art. 29 § 2) e il
BGE 95 I 343 S. 346
referendum (art. 57). La costituzione non lascia alcun adito ad un potere legislativo indipendente del Consiglio di Stato (cfr. RU 83 I 114 lett. b). Questo può proporre progetti di leggi, ma la loro deliberazione spetta al Gran Consiglio. Dalla competenza governativa di provvedere alla "esecuzione delle leggi, ordini e regolamenti" e di prendere "le determinazioni necessarie" (art. 35 cpv. 1), può essere dedotta solo una competenza regolamentare intra legem.
La pretesa del Consiglio di Stato di essere in genere autorizzato anche a emanare disposizioni regolamentari praeter legem deve perciò essere respinta. L'autorità esecutiva potrebbe assumere funzioni di legislatore in una determinata materia, solo se fosse autorizzata da una esplicita delegazione del legislatore, contenuta in una disposizione della legge speciale (RU 88 I 33). Una siffatta norma potrebbe essere ravvisata nella legge sugli esercizi pubblici, al massimo, per l'art. 42 cpv. 3, il quale dispone che il regolamento di applicazione può stabilire un elenco dei "giochi d'azzardo vietati", ulteriore a quello espressamente stabilito nella legge. Ma questa eventuale delegazione non può concernere - come del resto ammette anche il Consiglio di Stato - gli apparecchi da gioco che, come il "Tivoli", non sono essenzialmente fondati sull'azzardo.
L'impugnato art. 149 del RLEP è pertanto valido solo in quanto sia sussummibile all'art. 52 cpv. 1 LEP, indicato nella marginale e il quale prescrive che
"Il Consiglio di Stato può stabilire per regolamento le condizioni di esercizio e il numero degli apparecchi di televisione, radio, musica e gioco, nonchè le norme concernenti i locali e le aree dove essi vengono installati."
L'art. 149 RLEP non si limita a stabilire le condizioni e il numero degli apparecchi da gioco, ma, in quanto remuneranti in denaro o gettoni equivalenti, li vieta. Non costituisce quindi applicazione della suesposta norma legale, bensì modificazione della medesima. Crea, comunque, nuovo e diverso diritto materiale. Ciò stante, il Consiglio di Stato, stabilendo il controverso divieto, si è arrogato competenze legislative non riconosciutegli dalla costituzione ed ha, quindi, evidentemente e arbitrariamente trasgredito il principio della separazione dei poteri.
5.
Vero è che, come autorità superiore di polizia, l'autorità governativa può disporre, anche senza una precisa base
BGE 95 I 343 S. 347
legale, misure indispensabili a ristabilire l'ordine pubblico o a preservarlo da un serio pericolo che lo minacci in modo diretto ed imminente (RU 88 I 176, 91 I 327). Contrariamente a quanto afferma il Consiglio di Stato, la controversa disposizione regolamentare non può tuttavia essere fondata su un presupposto stato di necessità. Non si vede, infatti, come un apparecchio da gioco, con il quale il cliente di un esercizio pubblico può rischiare qualche franco nell'esercizio di una sua presunta abilità, possa turbare l'ordine pubblico. Ad ogni modo, l'art. 149 RLEP è stato promulgato come normale disposizione regolamentare, non come norma d'urgenza, che, in caso di cessazione del pericolo, deve essere abrogata o sostituita da disposizione di una legge in senso formale (cfr. RU 83 I 117 lett. c).
D'altronde, il Consiglio di Stato non ha dimostrato la necessità e l'urgenza della norma impugnata. Al riguardo si è limitato a far rilevare l'improvvisa diffusione dei controversi apparecchi da gioco (1967: 9; 1968: 643). Ma tale circostanza può, al massimo, dimostrare l'attrattiva che siffatti giochi esercitano sui clienti degli esercizi pubblici, non una loro pericolosità. Ne consegue che l'art. 149 RLEP non può in alcun modo costituire valida limitazione della libertà di commercio e che deve essere annullato. | public_law | nan | it | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3b9d921-34b2-4b1c-abaf-93943f50c5fd | Urteilskopf
107 II 30
6. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Februar 1981 i.S. M. gegen C. (Berufung) | Regeste
Bäuerliches Erbrecht; ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes (
Art. 620 ff. ZGB
).
1. Eignung zum Selbstbetrieb im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
(E. 2).
2. Würdigung der persönlichen Verhältnisse zweier Bewerber, die das Gewerbe nicht selbst betreiben können oder wollen, im Sinne von
Art. 621 Abs. 1 ZGB
; Bedeutung des Umstandes - dass einer der beiden Bewerber Nachkommen hat, die für die künftige Übernahme des Hofes in Frage kommen; - dass der Übernehmer den Hof des Erblassers mit seinem eigenen Land zu einer neuen Betriebseinheit zusammenlegen wird (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 107 II 30 S. 31
A.-
Am 23. März 1976 starb in Thusis der am 28. Januar 1883 geborene Johann Friedrich J. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine fünf Töchter Anna Lukretia S., Nina M., Ursina M., Beata C. und Hedwig C. sowie die Kinder seines vorverstorbenen Sohnes Rudolf J., nämlich Rudolf, Lukretia, Silvia und Gertrud J. Hauptbestandteil des Nachlasses bildet das landwirtschaftliche Gewerbe des Erblassers im Halte von knapp 13 ha.
Der Erblasser hatte ein handschriftliches Testament aufgesetzt, das auf der ersten Seite mit dem 16. Juli 1961 und auf der letzten Seite mit dem 16. Juli 1969 datiert ist. Darin setzte er seine Töchter auf den Pflichtteil und wies die verfügbare Quote seinen Enkeln Rudolf, Lukretia, Silvia und Gertrud zu; das landwirtschaftliche Gewerbe teilte er zum Ertragswert seinem Enkel Rudolf J. zu; für den Fall, dass dieser nicht fähig oder nicht willens sein sollte, das Gewerbe zu übernehmen, sollte es verpachtet werden, bis es die Enkelin Riccarda C., die Tochter von Beata C., zum Selbstbetrieb übernehmen wolle, nachdem sie sich verheiratet habe; sollte auch diese das Gewerbe nicht übernehmen wollen, sollte es verkauft werden. Zur Vollstreckung seines letzten Willens bestellte der Erblasser zwei Willensvollstrecker.
B.-
Mit Eingabe vom 6. Mai 1977 erhob Ursina M. beim Vermittleramt Domleschg gegen die übrigen gesetzlichen Erben sowie gegen die Vermächtnisnehmer und die Testamentsvollstrecker eine Klage auf Ungültigkeit des Testaments und auf Erbteilung, wobei sie das im Nachlass befindliche landwirtschaftliche Gewerbe zum Ertragswert für sich beanspruchte. Am 9. Mai 1977 reichte Beata C. eine praktisch identische Klage ein, mit der auch sie beantragte, das Heimwesen des Erblassers sei ihr ungeteilt zum Ertragswert zuzuweisen. Die beiden Verfahren wurden im Einverständnis der beiden Klägerinnen zusammengelegt.
Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens einigten sich die gesetzlichen Erben mit den Vermächtnisnehmern und den Willensvollstreckern über die erbrechtliche Auseinandersetzung mit Ausnahme der Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an eine der beiden Ansprecherinnen. Diese hielten ihren Antrag auf gerichtliche Teilung des Nachlasses nicht mehr aufrecht, so dass das Bezirksgericht Heinzenberg nur noch über die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes an eine der
BGE 107 II 30 S. 32
beiden Klägerinnen sowie über die Frage der Gültigkeit der letztwilligen Verfügung zu befinden hatte, wobei bezüglich des zweiten Punktes übereinstimmende Parteianträge vorlagen. Mit Urteil vom 25. Mai 1979 erklärte das Bezirksgericht in Gutheissung beider Klagen die letztwillige Verfügung des Erblassers für ungültig, wies die Klage von Ursina M. auf Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes ab, hiess diejenige von Beata C. dagegen gut und wies dieser das Gewerbe zum Ertragswert von Fr. 169'900.- zu.
Eine Berufung von Ursina M. gegen diesen Entscheid wurde vom Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 14. April 1980 abgewiesen.
C.-
Gegen dieses Urteil erklärte Ursina M. die Berufung ans Bundesgericht. Sie hält an ihrem Antrag auf ungeteilte Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes des Erblassers zum Ertragswert an sie fest.
Beata C. beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist das Gewerbe der Berufungsklägerin zu, aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Befindet sich in einer Erbschaft ein landwirtschaftliches Gewerbe, das eine wirtschaftliche Einheit bildet und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz bietet, so ist es, wenn einer der Erben sich zu dessen Übernahme bereit erklärt und als hiefür geeignet erscheint, diesem Erben zum Ertragswert auf Anrechnung ungeteilt zuzuweisen (
Art. 620 Abs. 1 ZGB
).
Dass das Heimwesen des Erblassers im Sinne dieser Bestimmung eine wirtschaftliche Einheit bildet und eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz bietet, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Einigkeit besteht auch darüber, dass beide Bewerberinnen grundsätzlich die subjektiven Voraussetzungen für die Übernahme des Gewerbes erfüllen. Zu entscheiden ist somit einzig, welcher von ihnen der Vorzug zu geben ist.
2.
Stehen sich mehrere für die Übernahme taugliche Erben gegenüber, so hat nach
Art. 621 Abs. 2 ZGB
in erster Linie derjenige Anspruch auf ungeteilte Zuweisung, der das Gewerbe selbst betreiben will und hiefür geeignet erscheint. Die Vorinstanz hat beiden Bewerberinnen die Eignung zur Selbstbewirtschaftung abgesprochen. Die Berufungsklägerin, die
BGE 107 II 30 S. 33
heute 66 Jahre alt ist und sich vor mehr als zehn Jahren altershalber vom landwirtschaftlichen Betrieb, den sie zusammen mit ihrem Ehemann geführt hatte, zurückgezogen hat, hatte schon im kantonalen Verfahren erklärt, sie werde das Gut nicht selbst bewirtschaften, sondern durch ihren Sohn führen lassen. Die Berufungsbeklagte hält dagegen auch vor Bundesgericht daran fest, sie beabsichtige, den Betrieb selbst zu bewirtschaften, und sei hiefür auch geeignet.
Ob ein Erbe gewillt und geeignet sei, ein landwirtschaftliches Heimwesen zum Selbstbetrieb zu übernehmen, ist weitgehend eine Tatfrage, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann, sofern die diesbezüglichen Feststellungen der kantonalen Behörde nicht auf einer unrichtigen Auffassung über das Mass der an den Bewerber zu stellenden Anforderungen beruhen (vgl.
BGE 83 II 118
,
BGE 75 II 32
,
BGE 70 II 18
,
BGE 47 II 260
, 44 II 243,
BGE 42 II 433
,
BGE 40 II 189
). Dieser Vorwurf kann der Vorinstanz nicht gemacht werden. Sie führt im angefochtenen Entscheid aus, die Berufungsbeklagte stehe im 62. Altersjahr und sei gesundheitlich angeschlagen; sie trage eine Dauerkanüle und beziehe eine halbe Invalidenrente; ihre landwirtschaftliche Tätigkeit beschränke sich auf einen Baumgarten, etwas Land sowie eine kleine Schweinezucht, während der grösste Teil des Bodens verpachtet sei; ihre einzige Hilfe, die 15jährige Tochter Riccarda, sei noch schulpflichtig. Wenn die Vorinstanz aus diesen Umständen schloss, die Berufungsbeklagte sei ebensowenig wie ihre Schwester in der Lage, das väterliche Heimwesen selbst zu bewirtschaften, so ist dies unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts nicht zu beanstanden. Wie das Bundesgericht in
BGE 94 II 258
/259 in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung dargelegt hat, liegt Selbstbetrieb im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
nicht schon dann vor, wenn der Bewerber das Gewerbe persönlich leiten will und kann; darüber hinaus ist vielmehr erforderlich, dass er sich darin in wesentlichem Umfang persönlich betätigt. Dazu ist die Berufungsbeklagte nach den Feststellungen der Vorinstanz angesichts ihres Alters und vor allem ihres Gesundheitszustandes nicht mehr fähig, auch wenn ihr die für die Betriebsführung erforderlichen landwirtschaftlichen Kenntnisse nicht abgesprochen werden können. Wohl ist bei einem weiblichen Bewerber Selbstbetrieb auch dann anzunehmen, wenn ein wesentlicher Teil der Arbeit nach der in der Landwirtschaft üblichen
BGE 107 II 30 S. 34
Arbeitsteilung von den männlichen Familienangehörigen ausgeführt wird (
BGE 94 II 260
). Der Ehemann der Berufungsbeklagten ist jedoch bereits verstorben, und es sind weder Söhne noch Schwiegersöhne vorhanden, die ihr bei der Bewirtschaftung des Heimwesens zur Seite stehen könnten. Da die Mithilfe der noch schulpflichtigen Tochter nicht ins Gewicht fällt, wäre die Berufungsbeklagte gezwungen, den Hof durch familienfremde Arbeitskräfte bewirtschaften zu lassen oder ihn zu verpachten. Bei dieser Sachlage kann sie aber das Vorzugsrecht des Selbstbewirtschafters nicht für sich beanspruchen.
3.
Kommt keine der beiden Bewerberinnen für die Selbstbewirtschaftung in Frage, so ist der Entscheid über die Zuweisung des Gewerbes nach
Art. 621 Abs. 1 ZGB
unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse zu fällen.
a) Die Vorinstanz hat bei der Würdigung der persönlichen Verhältnisse nur auf die beiden Bewerberinnen selbst abgestellt und die Verhältnisse ihre Nachkommen ausser acht gelassen. Geht man davon aus, so kommt der Berufungsbeklagten ohne Zweifel der Vorrang zu. Sie hat bedeutend engere Beziehungen zum väterlichen Heimwesen als ihre Schwester, hat sie doch zeit ihres Lebens dort gearbeitet. Unter der Leitung ihres Vaters, zusammen mit ihrem Bruder, dann allein, schliesslich zusammen mit ihrem Ehemann und zuletzt - wenn auch nur noch in beschränktem Umfang - wiederum allein hat sie ihre ganze Arbeits- und Lebenskraft in das Gut investiert. Soweit das Land nicht verpachtet ist, lebt sie noch heute aus dem Ertrag des Hofes. Sie hat den Erblasser in den letzten Lebensjahren verköstigt und betreut. Zudem steht ihr im väterlichen Haus ein lebenslängliches und ihrer Tochter Riccarda ein auf eine allfällige Heirat bezogenes resolutiv bedingtes Wohnrecht zu. Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der Erben die Zuteilung des Hofes an sie wünscht.
b) Das Bundesgericht hat indessen wiederholt darauf hingewiesen, das es bei der Würdigung der persönlichen Verhältnisse mehrerer Ansprecher auf die ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen Heimwesens von Bedeutung sein kann, ob einer der Ansprecher Nachkommen hat, die für eine künftige Übernahme des Heimwesens in Frage kommen (vgl.
BGE 95 II 396
,
BGE 94 II 261
,
BGE 92 II 322
,
BGE 74 II 223
). Das muss vor allem dann gelten, wenn die sich um die Übernahme des Hofes bewerbenden Erben schon so alt sind, dass sie diesen nicht mehr
BGE 107 II 30 S. 35
selbst bewirtschaften können und es ihnen im Grunde genommen nur noch darum geht, das Gewerbe für die eigenen Nachkommen zu sichern. So verhält es sich hier. Die beiden Bewerberinnen sind 62 bzw. 66 Jahre alt und nach dem Gesagten zur Selbstbewirtschaftung nicht mehr in der Lage. Schon im Hinblick auf die absehbare Zukunft kommt es somit wesentlich darauf an, ob Nachkommen vorhanden sind, die das Heimwesen auf längere Sicht erhalten können. Die Erhaltung lebensfähiger landwirtschaftlicher Betriebe über Generationen hinweg ist einer der wesentlichen Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechts, der durch das Institut der ungeteilten Zuweisung an einen zur Übernahme geeigneten Erben verwirklicht wird. Es ist daher mit dem Sinn des Gesetzes sehr wohl vereinbar, wenn bei der Würdigung der persönlichen Verhältnisse im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
auch darauf abgestellt wird, bei welchem Bewerber eher Gewähr besteht, dass der Betrieb auch in Zukunft nicht zerstückelt oder der Landwirtschaft entzogen wird.
c) Prüft man die persönlichen Verhältnisse der beiden Bewerberinnen unter diesem Gesichtspunkt, so neigt sich die Waagschale klar auf die Seite der Berufungsklägerin. Diese hat einen Sohn, der als selbständiger Landwirt tätig ist und von der Vorinstanz als tüchtiger Bauer bezeichnet wird. Neben eigenem Land bewirtschaftet er seit 1971 den grössten Teil des Landes des Erblassers als Pächter. Es besteht daher Gewähr dafür, dass der Betrieb in seiner landwirtschaftlichen Substanz auch in Zukunft weitergeführt wird. Demgegenüber ging die Tochter der Berufungsbeklagten im Zeitpunkt des kantonsgerichtlichen Urteils noch zur Schule. Auch wenn sie mit der Landwirtschaft stark verbunden ist, wie die Vorinstanz feststellt, war es damals noch völlig ungewiss, ob sie sich künftig einer landwirtschaftlichen Berufstätigkeit zuwenden wird (die erst vor Bundesgericht aufgestellte Behauptung, sie habe mittlerweile eine bäuerliche Haushaltlehre angetreten und beabsichtige, nach Abschluss des Lehrjahres eine Bäuerinnenschule zu besuchen, kann nach
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
nicht berücksichtigt werden). Unter diesen Umständen dürfte die Erhaltung des Gewerbes im Falle der Zuteilung an die Berufungsbeklagte davon abhängen, ob deren Tochter dereinst einen Landwirt heiraten wird, was heute noch völlig offen ist. Sollte es nicht dazu kommen, so muss ernstlich mit dem Verkauf oder der Zerstückelung des Betriebes gerechnet werden. So oder so entstünde bis zur Verheiratung
BGE 107 II 30 S. 36
der Tochter eine Lücke, währen welcher der Hof wohl verpachtet werden müsste, während der Sohn der Berufungsklägerin als derzeitiger Pächter den Betrieb sofort übernehmen und weiterführen könnte.
d) Im angefochtenen Entscheid wird freilich ausgeführt, die Zuweisung des Gewerbes an die Berufungsklägerin biete keine rechtliche Gewähr dafür, dass deren Sohn schliesslich den Hof erhalten werde. Sollte die Berufungsklägerin das Gewerbe veräussern wollen, so stünde ihrem Sohn indessen ein Vorkaufsrecht zum Ertragswert im Sinne von
Art. 6 ff. EGG
zu, und im Falle ihres Todes könnte er aufgrund des bäuerlichen Erbrechts die ungeteilte Zuweisung des Gewerbes an sich beanspruchen. Der Übergang des Hofes auf den Sohn der Berufungsklägerin, der ihn wie gesagt bereits heute als Pächter bewirtschaftet, entspricht daher nicht nur dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, sondern ist auch in rechtlicher Hinsicht praktisch gesichert.
e) Der Vorinstanz kann auch darin nicht gefolgt werden, dass sie darauf abstellt, es sei der Wille des Erblassers gewesen, dass seine Enkelin Riccarda, die Tochter der Berufungsbeklagten, dereinst den Hof erhalte. Dieser Wille ergibt sich nur aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers, die jedoch von den kantonalen Instanzen als ungültig erklärt worden ist. Abgesehen davon sieht das ungültige Testament eine Zuweisung des Heimwesens an Riccarda nur unter der Bedingung vor, dass diese den Betrieb zur Selbstbewirtschaftung übernehmen wolle; zudem sollte die Zuweisung erst nach ihrer Verheiratung erfolgen. Diese Voraussetzungen sind - jedenfalls einstweilen - nicht erfüllt.
f) Dass der Hof des Erblassers im Falle der Zuweisung an die Berufungsklägerin mit demjenigen ihres Sohnes zusammengelegt würde, kann ebenfalls nicht zu einem andern Ergebnis führen. Zwar ist richtig, dass die Bestimmungen des bäuerlichen Erbrechts in erster Linie nicht den Zweck haben, neue, möglichst grosse Betriebseinheiten zu schaffen. Das ergibt sich klar aus
Art. 621quater ZGB
, der die Zerlegung von Grossbetrieben vorsieht, sofern auf diese Weise mehrere lebensfähige kleinere Betriebe gebildet werden können. Vielmehr sollen bereits bestehende landwirtschaftliche Betriebe im Rahmen der Erbteilung vor der Zerstückelung bewahrt werden. Insofern ist das bäuerliche Erbrecht kein Instrument der landwirtschaftlichen
BGE 107 II 30 S. 37
Strukturpolitik. Das schliesst aber nicht aus, dass der Übernehmer den Hof mit seinem eigenen Land zu einer neuen Betriebseinheit zusammenlegt. Die Erhaltung des Gewerbes des Erblassers ist im Gegenteil besser gewährleistet, wenn es in zweckmässiger Weise arrondiert werden kann und so ein auch auf die Dauer lebensfähiger Betrieb entsteht. Dieser Gedanke liegt auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu der am 15. Februar 1973 in Kraft getretenen Neufassung von
Art. 620 Abs. 2 ZGB
zugrunde, wonach bei der Prüfung der Frage, ob eine ausreichende landwirtschaftliche Existenz gegeben sei, auch Anteile an Liegenschaften und für längere Dauer mitbewirtschaftete Liegenschaften berücksichtigt werden können. Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in dem Sinne ausgelegt, dass dabei auch auf seiten eines möglichen Übernehmers liegende objektive Umstände in Betracht gezogen werden dürfen (
BGE 104 II 257
). Im vorliegenden Fall hält der Hof des Erblassers nur knapp 13 ha. Er wird im angefochtenen Urteil als "mittlerer Domleschger-Betrieb" eingestuft; von den vom Bezirksgericht befragten Zeugen verneinte aber einer die existenzsichernde Funktion des Betriebs, ein anderer stellte sie in Frage und ein dritter bezeichnete den Betrieb als "an der untersten Grenze liegend". Das Gewerbe des Sohnes der Berufungsklägerin umfasst anderseits lediglich etwa 5,6 ha, ist also für sich allein wohl kaum existenzfähig. Werden aber die beiden Betriebe zusammen bewirtschaftet, wie dies schon seit 1971 der Fall ist, so entsteht ein Mittelbetrieb, dessen Erhaltung auch auf längere Sicht gewährleistet sein dürfte. Die Zuweisung des landwirtschaftlichen Gewerbes der Erblassers an die Berufungsklägerin, die dazu führen wird, dass der Betrieb des Erblassers mit demjenigen des Sohnes der Berufungsklägerin vereinigt wird, steht demnach entgegen der Auffassung der Berufungsbeklagten mit dem Zweckgedanken des bäuerlichen Erbrechts durchaus nicht in Widerspruch.
g) Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass in diesem Fall das Wohnhaus des Erblassers, das von der Berufungsklägerin und ihrem Sohn nicht benötigt wird und zudem mit einem Wohnrecht zugunsten der Berufungsbeklagten und ihrer Tochter belastet ist, vom landwirtschaftlichen Gewerbe getrennt und separat veräussert werden wird. Auf das Wohnhaus kann es jedoch nicht entscheidend ankommen, nachdem der Betrieb schon seit Jahren von einem andern Zentrum aus
BGE 107 II 30 S. 38
bewirtschaftet worden ist. Es kann daher nicht gesagt werden, die Veräusserung des Wohnhauses hätte den Verlust der wirtschaftlichen Einheit des Gewerbes zur Folge. Von grösserer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Wirtschaftsgebäude, die der Sohn der Berufungsklägerin indessen schon jetzt gepachtet hat und auf die er auch in Zukunft angewiesen sein wird.
h) Das landwirtschaftliche Gewerbe des Erblassers ist daher in Gutheissung der Berufung der Berufungsklägerin zuzuweisen. Dass die Berufungsbeklagte dadurch geradezu ihre Existenzgrundlage verlieren wird, wie die Vorinstanz annimmt, dürfte übertrieben sein. Gestützt auf ihr Wohnrecht wird sie weiterhin im Haus des Erblassers wohnen können. Der grösste Teil des Betriebs war sodann schon bisher verpachtet. Der Berufungsbeklagten wird somit einzig die Grundlage für ihre kleine Schweinezucht entzogen, sofern sich die Berufungsklägerin nicht bereit findet, ihr das hiefür benötigte Stückchen Land weiterhin zur Verfügung zu stellen. Im übrigen wird sie so oder so ihren Erbteil erhalten. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3bb2623-5a78-4b92-9ae1-74039b19a067 | Urteilskopf
111 Ia 2
2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. März 1985 i.S. X. AG gegen Steuerverwaltung des Kantons Thurgau und Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Anspruch auf rechtliches Gehör: Recht auf Replik.
Aus
Art. 4 BV
lässt sich keine generelle Pflicht der Rekursbehörde ableiten, dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung der Behörde zuzustellen, deren Entscheid angefochten ist. Hat diese Behörde jedoch ihren Entscheid nicht oder nicht hinreichend begründet und erst in der Vernehmlassung die Entscheidgründe ausführlich dargelegt, verletzt die Weigerung der Rekursbehörde, dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung zur Replik zuzustellen, dessen verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 111 Ia 2 S. 2
Gegen die ihr mit Verfügung vom 30. Juli 1981 auferlegten Nach- und Strafsteuern erhob die X. AG bei der kantonalen Steuerverwaltung Einsprache. Im Verlaufe des Einspracheverfahrens wurden verschiedene Korrespondenzen ausgetauscht und am 26. Oktober 1982 eine Verhandlung durchgeführt. Am 17. November 1982 verfasste die Steuerverwaltung ein vier Seiten umfassendes Schreiben, in dem sie ihre Auffassung zu verschiedenen streitigen Punkten noch einmal begründete und die Einsprecherin aufforderte, allfällige Schlussbemerkungen einzureichen.
BGE 111 Ia 2 S. 3
Diese nahm schriftlich Stellung am 20. Januar 1983. Ihre Eingabe umfasste 14 Seiten. Am 24. Januar 1983 erging der Einspracheentscheid, worin die Nach- und Strafsteuerpflicht grundsätzlich bestätigt wurde. Der Einspracheentscheid enthielt keine Begründung.
Die Steuerpflichtige erhob Beschwerde bei der kantonalen Steuerrekurskommission. Sie rügte unter anderem das Fehlen einer Begründung im Einspracheentscheid. In der Folge reichte die Steuerverwaltung eine 15 Seiten umfassende Vernehmlassung samt 28 Beilagen ein, die der Beschwerdeführerin nicht zur Stellungnahme zugestellt wurden. Am 17. Januar 1984 wies die Steuerrekurskommission die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war. Die Begründung des Beschwerdeentscheides umfasst rund 52 Seiten.
Gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission erhob die Beschwerdeführerin staatsrechtliche Beschwerde (u.a.) wegen Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör. Diesen Anspruch sieht sie dadurch verletzt, dass die Steuerrekurskommission ihr die Vernehmlassung der Steuerverwaltung nicht zugestellt hatte, damit sie in einem weiteren Schriftenwechsel zu den Vorbringen der Steuerverwaltung Stellung nehmen konnte.
Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Beschwerdeverfahren vor der Steuerrekurskommission wird vom kantonalen Recht geregelt. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dieses verpflichte die Steuerrekurskommission, die Vernehmlassung der Steuerverwaltung der beschwerdeführenden Partei zuzustellen; namentlich macht sie nicht geltend, die Steuerrekurskommission wäre nach kantonalem Recht verpflichtet gewesen, einen weiteren Schriftenwechsel anzuordnen. Ein Recht der Beschwerdeführerin auf Replik lässt sich grundsätzlich auch nicht aus
Art. 4 BV
ableiten (
BGE 100 Ia 9
E. 3c). Von diesem Grundsatz macht das Bundesgericht jedoch dann eine Ausnahme, wenn in der Beschwerdeantwort neue und erhebliche Gesichtspunkte geltend gemacht werden, zu denen der Beschwerdeführer noch keine Stellung nehmen konnte (
BGE 101 Ia 303
E. 4a, mit Verweis; vgl.
BGE 99 III 21
E. 6). Von streitentscheidender Bedeutung ist somit, ob die Vernehmlassung der kantonalen Steuerverwaltung neue, erhebliche Gesichtspunkte enthielt und die Steuerrekurskommission verpflichtet gewesen wäre, diese Rechtsschrift der Beschwerdeführerin zuzustellen, damit diese dazu Stellung nehmen konnte.
BGE 111 Ia 2 S. 4
Solche neuen, erheblichen Gesichtspunkte in der Vernehmlassung der Steuerverwaltung sind namentlich dann zu bejahen, wenn der Einspracheentscheid vom 24. Januar 1983 nicht hinreichend begründet war und sich dessen Begründung erst aus der Vernehmlassung der Steuerverwaltung im Beschwerdeverfahren ergab. Dann hätte die Zustellung der Vernehmlassung an die Beschwerdeführerin und die Anordnung eines weiteren Schriftenwechsels ohne Verweigerung des rechtlichen Gehörs nicht unterbleiben können.
4.
a) Es entspricht allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere dem aus
Art. 4 BV
fliessenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass der von der Entscheidung betroffene Bürger über deren Gründe in Kenntnis gesetzt wird (
BGE 107 Ia 244
;
BGE 104 V 154
, mit weiteren Hinweisen; vgl. ferner
BGE 98 Ib 196
). Allerdings hat es das Bundesgericht abgelehnt, gestützt auf
Art. 4 BV
einen Anspruch der Parteien auf eine schriftliche Begründung (vgl.
BGE 96 I 723
;
BGE 93 I 120
E. 2) oder gar auf eine Begründung im gleichen Dokument, das den Entscheid oder die Verfügung enthält (
BGE 108 Ia 269
E. 7), abzuleiten. Aus der Tatsache, dass der Einspracheentscheid vom 24. Januar 1983 nicht begründet war, ergibt sich somit noch nicht, dass die Beschwerdeführerin im Einspracheverfahren nicht oder nicht genügend über die Gründe der Entscheidung in Kenntnis gesetzt worden wäre. Es stellt sich daher die Frage, ob eine hinreichende Begründung in der mit der Steuerverwaltung ausgetauschten Korrespondenz und der Einspracheverhandlung vom 26. Oktober 1982 gegeben wurde.
b) Der Umfang der Begründungspflicht richtet sich im allgemeinen, mithin auch bei der Begründung von Einspracheentscheiden, nach der Komplexität des zu beurteilenden Sachverhaltes. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der zu entscheidende Sachverhalt überdurchschnittlich schwierig ist. Das ergibt sich aus der langen Dauer des Verfahrens, der Länge des angefochtenen Entscheids (52 Seiten) und dem Umfang der Eingabe der Beschwerdeführerin im Einspracheverfahren (Einsprache von 12 Seiten; Eingabe vom 20. Januar 1983 von 14 Seiten). Die einzige Stellungnahme der Steuerverwaltung, in welcher diese sich schriftlich zum Fall äusserte, datiert vom 17. November 1982 und umfasst vier Seiten. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Steuerverwaltung anlässlich der Einspracheverhandlung vom 26. Oktober 1982 und bei weiteren Kontakten mit der Beschwerdeführerin ihre Auffassung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
BGE 111 Ia 2 S. 5
darlegte, so müssen die bis zum Einspracheentscheid erfolgten Äusserungen der Steuerverwaltung als knapp und lückenhaft bezeichnet werden. Eine Begründung im eigentlichen Sinne vermögen sie jedenfalls nicht zu ersetzen. Namentlich gestatten diese Äusserungen dem Betroffenen in einem komplexen Fall, wie er hier vorliegt, nicht, sich mit der gebotenen Sorgfalt mit den Argumenten der Steuerverwaltung auseinanderzusetzen und seine Beschwerdeschrift dementsprechend abzufassen.
c) Nach dem Gesagten ist somit davon auszugehen, dass die Steuerverwaltung den Einspracheentscheid nicht hinreichend begründet hatte und erst in der Vernehmlassung im Beschwerdeverfahren ihre Gründe ausführlich darlegte. Neue, erhebliche Gesichtspunkte in der Vernehmlassung der Steuerverwaltung sind somit zu bejahen. Indem die Steuerrekurskommission diese Eingabe der Beschwerdeführerin nicht zur Stellungnahme unterbreitete, verletzte sie deren Anspruch auf rechtliches Gehör. Dass diese 15 Seiten umfassende Rechtsschrift nichts wesentlich Neues enthalte, wie die Steuerrekurskommission vor Bundesgericht ausführt, lässt sich im Ernst nicht vertreten, wenn man die Knappheit der übrigen Äusserungen der Steuerverwaltung, die fehlende Begründung des Einspracheentscheids und die Tatsache berücksichtigt, dass sich die Steuerverwaltung in dieser Eingabe zum erstenmal umfassend zum vorliegenden Sachverhalt geäussert hat. Der angefochtene Entscheid ist somit aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen noch zu prüfen wären. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d3bbe383-6561-495f-9e71-627d2689c314 | Urteilskopf
100 Ia 242
34. Auszug aus dem Urteil vom 3. Juli 1974 i.S. Erben Piai gegen Kantone Zürich und Tessin | Regeste
Doppelbesteuerung, alternierender Wohnsitz.
Unterschied zwischen blossem Sommer- oder Saisonaufenthalt und alternierendem Wohnsitz sowie deren Voraussetzungen (Erw. 2 a und b). | Erwägungen
ab Seite 243
BGE 100 Ia 242 S. 243
Aus den Erwägungen:
2.
a) Ein sog. Sommer- oder Saisonaufenthalt ausserhalb des Kantons des zivilrechtlichen Wohnsitzes begründet nach Lehre und Praxis dann ein sekundäres Steuerdomizil, wenn der Steuerpflichtige am Aufenthaltsort während jährlich mindestens 90 Tagen ohne wesentlichen Unterbruch mit seiner Familie in einem eigenen oder einem nahen Verwandten gehörenden oder auf längere Zeit gemieteten Hause wohnt, dorthin regelmässig zurückkehrt, dort einen eigenen Haushalt führt und so feste persönliche Beziehungen zum Aufenthaltsort knüpft, dass der Zusammenhang mit dem ordentlichen Wohnsitz vorübergehend in den Hintergrund tritt (
BGE 71 I 155
E. 2 und 3, mit Hinweisen; SCHLUMPF, Bundesgerichtspraxis zum Doppelbesteuerungsverbot, 3. A. S. 102 ff.; LOCHER, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, Bd. 1 § 3, II C); die Frist von 90 Tagen hat im übrigen auch in § 3 Abs. 2 des Zürcher und Art. 8 Ziff. 1 lit. b des Tessiner Steuergesetzes Aufnahme gefunden. Das Spezialdomizil des Saisonaufenthalters gibt dem Aufenthaltskanton - pro rata temporis des Aufenthaltes - das Recht zur Besteuerung des beweglichen Vermögens und des Ertrages daraus sowie grundsätzlich auch des Renteneinkommens (
BGE 99 Ia 228
,
BGE 74 I 37
, mit Hinweisen).
b) Einen alternierenden Wohnsitz hat ein Steuerpflichtiger ausnahmsweise dann, wenn er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in regelmässigen Abständen vom einen nach einem andern Ort und von diesem wieder an den ersteren verlegt. So verhält es sich, wenn die Beziehungen zu den beiden Orten ungefähr von gleicher Intensität sind, etwa weil der Pflichtige an beiden Orten berufstätig ist, seine Angehörigen ihn regelmässig begleiten und der Aufenthalt an beiden Orten ungefähr von gleicher Dauer ist (LOCHER, a.a.O. § 3, I A, 3; SCHLUMPF, a.a.O. S. 101 f. sowie die dort angeführten, nicht publizierten Bundesgerichtsentscheide). Zu prüfen sind hier also die familiären und beruflichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen sowie die Dauer der beiden Aufenthalte; es kommt dabei letzlich auf die Gesamtkeit der Umstände an. Ist ein alternierender Wohnsitz zu bejahen, so ist in der Regel eine hälftige Teilung der Steuerhoheit vorzunehmen, sofern nicht besondere Gründe für eine andere Teilung sprechen. Im
BGE 100 Ia 242 S. 244
Gegensatz zum sekundären Steuerdomizil wird hier auch das Erwerbseinkommen aus unselbständiger Tätigkeit miteinbezogen. In den Fällen eines alternierenden Wohnsitzes beansprucht der Steuerpflichtige eben in zwei Kantonen gleichermassen die öffentlichen Einrichtungen und verursacht Lasten, die aus Steuermitteln getragen werden müssen; es wäre deshalb unbillig, nur dem einen Kanton eine unbeschränkte Steuerhoheit zuzuerkennen.
In manchen Fällen mag die Abgrenzung von sekundärem Steuerdomizil und alternierendem Wohnsitz schwierig sein. Das Unterscheidungskriterium liegt in der Aufenthaltsdauer und in der Intensität der Lebensbeziehungen zum Aufenthaltsort. Letztere müssen, damit ein alternierender Wohnsitz vorliegt, zu beiden Aufenthaltsorten ungefähr gleichwertig sein und zudem so stark, dass während der Dauer des regelmässigen Aufenthaltes der betreffende Ort zum eigentlichen Lebens-Mittelpunkt wird. Deswegen gelten hier hinsichtlich der Dauer des Aufenthaltes und der beruflichen Tätigkeit des Pflichtigen strengere Anforderungen (nämlich Gleichwertigkeit an beiden Orten) als im Falle eines sekundären Steuerdomizils des Saisonaufenthaltes. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d3bd55b6-3f45-4dcd-a23c-fbbf19b75770 | Urteilskopf
106 V 89
21. Extrait de l'arrêt du 11 juillet 1980 dans la cause Vauthier contre Caisse de compensation du canton de Berne et Tribunal des assurances du canton de Berne | Regeste
Art. 4 und 28 IVG
.
Wiederholte Verweigerung der Rente, wenn der Versicherte die Verwertung seiner Arbeitsfähigkeit ohne hinreichende Gründe beharrlich ablehnt (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 89
BGE 106 V 89 S. 89
Extrait des considérants:
2.
En l'occurrence, l'administration a certainement refusé une rente à l'assuré, le 11 juillet 1974, parce qu'elle tenait pour
BGE 106 V 89 S. 90
vraisemblable que cette décision serait de nature à le libérer des séquelles de sa névrose et à l'inciter à recommencer le travail. Ne l'ayant toujours pas repris quelques années plus tard, l'intéressé entend aujourd'hui tirer argument de cette circonstance pour demander le réexamen de son cas en vue de l'installation d'une rente. Or, on ne saurait comprendre la jurisprudence (ATF 102 V 166 et les arrêts cités) dans ce sens qu'il suffirait qu'un névrotique s'abstienne pendant un certain temps de faire l'effort que l'on est en droit d'attendre de lui pour obtenir finalement la rente qu'il convoite et dont le versement constitue le but qu'il s'est fixé consciemment ou non. Car cela aurait pour conséquence de rendre illusoire l'effet thérapeutique que l'on peut en général escompter du refus de cette prestation. Il faut au contraire admettre qu'aussi longtemps qu'il est possible d'attendre de l'intéressé qu'il fasse l'effort d'utiliser sa capacité de travail, alors que sa santé mentale ne l'en empêche pas, sans que cela soit insupportable pour la société, le refus de rente mérite d'être maintenu. Il y a lieu de préciser dans ce sens la jurisprudence susmentionnée.
Dans le cas particulier, au moment de la décision aujourd'hui litigieuse, soit le 18 avril 1978, rien ne permettait de penser que la situation se fût modifiée, par rapport à juillet 1974, de manière à influer sur les droits de l'assuré, s'agissant de savoir si l'on pouvait raisonnablement attendre de ce dernier qu'il exerçât une activité lucrative au prix de l'effort que l'on pouvait exiger de lui. En effet, le docteur H., qui relevait le 17 novembre 1977 que les troubles dont se plaignait le patient n'étaient pas objectivables, déclarait ne pas vouloir prendre position, préférant s'en remettre à l'avis antérieur de ses confrères quant aux possibilités existantes d'activité lucrative. C'est donc à raison que l'administration a estimé, sur la base dudit avis, que les conditions d'examen de la nouvelle demande n'étaient pas réalisées, le droit à une rente étant manifestement exclu dès l'instant où l'intéressé devait toujours être réputé apte à exercer une activité suffisamment rémunérée. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d3bea8b1-72b4-4820-b1c9-313ebc5a2dc0 | Urteilskopf
83 IV 148
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1957 i.S. Zeller gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art.144 Abs. 1StGB.
Begriff des Absetzenhelfens. | Sachverhalt
ab Seite 148
BGE 83 IV 148 S. 148
A.-
Karl Frei nahm in den Jahren 1951 bis 1954 wiederholt bei Banken und Darlehensinstituten unter unwahren Angaben Geld auf. Anna Zeller, die von 1950 bis 1956 mit Frei verheiratet war, wusste um die zunehmende Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse ihres Mannes und dessen betrügerische Darlehensaufnahmen. Dennoch nahm sie von ihm ertrogenes Geld entgegen und verbrauchte es im Haushalt. Auch schaffte sie sich aus einem bei der Bank Courvoisier & Cie, Neuenburg, aufgenommenen Darlehen gemeinsam mit ihrem Ehemann Kleider an.
B.-
Am 1. Juni 1956 sprach das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt Frau Zeller, deren Ehemann wegen gewerbsmässigen
BGE 83 IV 148 S. 149
Betruges verurteilt wurde, von der Anklage der Hehlerei frei.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte sie dagegen am 2. November 1956 wegen Hehlerei zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von zehn Tagen Gefängnis.
C.-
Frau Zeller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz wirft der Beschwerdeführerin vor, sie habe ihrem Mann geholfen, das ertrogene Geld abzusetzen. Dem ist insoweit beizupflichten, als es sich um den Kauf von Kleidern aus dem von der Bank Courvoisier & Cie erlangten Darlehen handelt. Zwar ist das Ausgeben von Geld nach dem gewöhnlichen Sprachsinn nicht gleichbedeutend mit absetzen. Darunter wird im allgemeinen das Versilbern von Waren verstanden. Das steht jedoch der Unterstellung der der Beschwerdeführerin zur Last fallenden Handlungen unter
Art. 144 Abs. 1 StGB
nicht entgegen. Wie der Kassationshof in
BGE 69 IV 71
entschieden hat, hilft auch absetzen, wer sich vom Vortäter aus strafbar erlangtem Geld freihalten lässt. Davon abzugehen besteht kein Anlass.
Art. 1 StGB
verbietet nicht, das Strafgesetz ausdehnend auszulegen, d.h. ihm einen durch den Buchstaben scheinbar nicht gedeckten Sinn zu entnehmen (
BGE 71 IV 148
,
BGE 72 IV 103
,
BGE 77 IV 167
,
BGE 81 IV 50
). Die Auffassung WAIBLINGERS (ZStR 1946, Festgabe für Hafter, S. 272), wonach der Begriff des Absetzenhelfens strikte im Sinne des Wortlautes als Beihilfe bei der wirtschaftlichen Verwertung, insbesondere Veräusserung, aufzufassen sei, während das Erwerben, Sichschenkenlassen und Verheimlichen eher ausdehnend ausgelegt werden müssten, findet im Gesetz keine Stütze. Für die Entscheidung der Frage, ob die genannten Begriffe extensiv oder
BGE 83 IV 148 S. 150
restriktiv auszulegen seien, ist es ohne Belang, in wessen Interesse der Täter handelt. Auch kommt der Reihenfolge, in der
Art. 144 Abs. 1 StGB
die einzelnen Hehlereihandlungen aufführt, in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Sie ist eine rein zufällige (vgl. auch § 259 deutsches StGB). Entscheidend fällt in Betracht der wahre Sinn der gesamten Strafnorm.
Art. 144 StGB
bedroht den Täter mit Strafe, weil er die Wiederherstellung des durch die strafbare Vortat gestörten rechtmässigen Zustandes erschwert, die durch jene geschaffene rechtswidrige Lage perpetuiert, insbesondere den Berechtigten an der Wiedererlangung seiner Sache hindert. Es entspricht daher der ratio legis, wegen Absetzenhelfens auch zu bestrafen, wer am Verbrauch strafbar erlangten Geldes, dessen Herkunft er kennt oder vermutet, mitwirkt. Eine engere Auslegung in dem Sinne, dass nur die Beihilfe beim Umwandeln von Sachen in Geld als Absetzenhelfen strafbar wäre, hätte eine Aufspaltung des Begriffes der "Sache" in Sache als Ware einerseits und Geld anderseits zur Folge. Eine solche Teilung des Sachbegriffes ist
Art. 144 StGB
völlig fremd und liesse sich - auch beschränkt auf den Tatbestand des Absetzenhelfens - umso weniger rechtfertigen, als Geld erfahrungsgemäss die bevorzugte Beute der Diebe, Betrüger udgl. darstellt.
Ist aber an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, wonach ein Absetzenhelfen auch durch Mitwirkung am Verbrauch strafbar erlangten Geldes möglich ist (
BGE 69 IV 71
,
BGE 81 IV 160
i.f.), wurde die Beschwerdeführerin hinsichtlich der gemeinsam mit ihrem Ehemann aus ertrogenem Geld getätigten Kleiderkäufe zu Recht nach
Art. 144 Abs. 1 StGB
bestraft. Dass das Geld angeblich nicht durch ihre Hände ging, ist belanglos. In jedem Fall trug sie bewusst dazu bei, dass ihr Mann das strafbar erlangte Gut rascher los wurde. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3c56f03-df25-4186-b310-331113ef8b5b | Urteilskopf
90 II 15
3. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Februar 1964 i.S. Zellweger gegen Abegglen. | Regeste
Haftung für Hilfspersonen,
Art. 101 OR
.
1. Wann handelt die Hilfsperson "in Ausübung ihrer Verrichtungen"?
2. Haftet der bauleitende Architekt für den Schaden daraus, dass sein Angestellter sein Visum auf Zahlungsanweisungen aus dem Baukredit fälscht? | Sachverhalt
ab Seite 15
BGE 90 II 15 S. 15
Aus dem Tatbestand:
Buchbinder Zellweger beauftragte den Architekten Abegglen mit der Erstellung eines Fabrikgebäudes, wofür ihm die Spar- und Leihkasse Münsingen einen Baukredit gewährte. Gemäss dem von Zellweger, der Bank und Abegglen unterzeichneten "Treuhandbestellungsvertrag" war der Baukredit einzig im Interesse des Neubaus zu
BGE 90 II 15 S. 16
verwenden, insbesondere zur Deckung der Ansprüche der daran beteiligten Unternehmer und Handwerker. Die Kontrolle über die Verwendung oblag dem Architekten als Treuhänder. Zur Ausübung dieser Kontrolle wurde ihm das "Visarecht" für alle auf Rechnung des Kredites zur Auszahlung gelangenden Summen eingeräumt und die Bank angewiesen, nur Anweisungen zu honorieren, die "nebst der Unterschrift des Kreditnehmers das Visa des Treuhänders tragen". Die Bank übergab Abegglen ein Heft mit Anweisungsformularen, sowie die Druckschrift "Der Baukredit".
Abegglen liess seine Obliegenheiten aus dem Vertrag mit Zellweger und der Bank durch seinen Angestellten Architekt Goetschi besorgen. Dieser führte die Bauleitung, prüfte die Zwischenrechnungen der Unternehmer und füllte die Anweisungsformulare aus, die er dann durch Abegglen visieren lassen musste.
Goetschi, der stark überschuldet war, stellte fünf Anweisungen an sich selbst über zusammen Fr. 29'855. - für angebliche Materiallieferungen aus, fälschte das Visum Abegglens, legte die gefälschten Anweisungen Zellweger zur Unterzeichnung vor, bezog die Anweisungsbeträge aus dem Baukredit und behielt sie.
Von Abegglen auf Bezahlung des Architektenhonorars belangt, machte Zellweger verrechnungsweise den Schaden von Fr. 29'855. - geltend, der ihm durch Goetschi als Hilfsperson des Klägers zugefügt worden sei.
Der Appellationshof des Kantons Bern verneinte einen solchen Schadenersatzanspruch des Beklagten, da Goetschi seine Handlungen nicht als Hilfsperson des Klägers begangen habe.
Das Bundesgericht bejaht grundsätzlich die Haftung des Klägers.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Hauptstandpunkt des Beklagten geht dahin, der Kläger habe ihm den Schaden von Fr. 29'855. -
BGE 90 II 15 S. 17
gemäss
Art. 101 OR
zu ersetzen, weil Goetschi als seine Hilfsperson durch die Fälschung der Visa auf den Anweisungen für Materiallieferungen die Erfüllung der dem Kläger auf Grund des Treuhandvertrages obliegenden Pflichten beeinträchtigt habe.
Art. 101 OR
trifft zu, wenn jemand die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis durch eine Hilfsperson vornehmen lässt und diese in Ausübung ihrer Verrichtungen "dem andern", also dem Gläubiger bzw. Schuldner, Schaden verursacht.
Unter den Verrichtungen der Hilfsperson sind ihre der Erfüllung der Schuldpflicht oder der Ausübung des Rechtes aus dem Schuldverhältnis dienenden Handlungen zu verstehen. "In Ausübung" dieser Handlungen ist der Schaden nicht schon dann zugefügt, wenn die Hilfsperson die Schadensursache bei Gelegenheit ihrer Verrichtungen setzt. Es genügt nicht jeder zeitliche oder räumliche Zusammenhang zwischen der Verrichtung der Hilfsperson und der Schädigung, sondern es bedarf eines funktionellen Zusammenhanges in dem Sinn, dass die schädigende Handlung selber eine Nichterfüllung oder schlechte Erfüllung der Schuldpflicht oder eine unzulässige Ausübung des Rechtes aus dem Schuldverhältnis darstellt (
BGE 85 II 270
).
3.
Zunächst ist zu prüfen, ob Goetschi in Ausübung einer dem Kläger gegenüber dem Beklagten obliegenden Schuldpflicht handelte, als er Visa fälschte, um sich Beträge für Materiallieferungen anweisen zu lassen, und als er die entsprechenden Anweisungen dem Beklagten zur Unterzeichnung vorlegte.
a) Zur Entscheidung dieser Frage ist vorerst abzuklären, welche Verpflichtungen der Kläger gegenüber dem Beklagten hatte.
Verpflichtungen gegenüber dem Beklagten ergaben sich für den Kläger einmal aus seiner Stellung als bauleitender Architekt. Er war in dieser Eigenschaft unter anderem gehalten, die Rechnungen der Unternehmer, Handwerker und Materiallieferanten auf ihre Richtigkeit und Vertragsmässigkeit
BGE 90 II 15 S. 18
hin zu prüfen und dem Beklagten mitzuteilen, wer gegen ihn für die Erstellung des Baues Forderungen habe und wie hoch sie seien.
Diese Pflichten wurden durch Unterzeichnung der "Treuhandbestellung" sinngemäss bestätigt und dahin erweitert, dass der Kläger durch Erteilung oder Verweigerung der Visa darüber zu befinden hatte, ob die Forderungen aus dem Baukredit getilgt werden dürften oder aus anderen Mitteln zu bezahlen seien. Der Kläger verpflichtete sich als Treuhänder nicht nur gegenüber der kreditgebenden Bank, sondern vor allem auch gegenüber dem Kreditnehmer, also dem Beklagten. Dieser versprach der Bank in der Urkunde über die "Treuhandbestellung", die zu lasten des Kredites angewiesenen Beträge nur im Interesse des Neubaues zu verwenden, sei es zur Zahlung des Kaufpreises für das Land oder zur Deckung der Ansprüche der am Neubau beteiligten Unternehmer und Handwerker. Im Hinblick auf dieses Versprechen hatte der Beklagte ein Interesse daran, zu wissen, ob der Betrag der einzelnen von ihm unterzeichneten Anweisungen dem Baukredit belastet werden dürfe. Ob das der Fall sei, hatte ihm der fachkundige Kläger zu sagen, der durch die ihm übergebene Schrift "Der Baukredit" über seine Pflichten näher unterrichtet war. Diese Aufgabe war die natürliche Folge der Pflichten, die er schon als bauleitender Architekt dem Beklagten gegenüber auf sich genommen hatte. In der "Treuhandbestellung" wurde denn auch ausdrücklich ausgeführt, der Kreditnehmer übertrage die Kontrolle über die Verwendung der bezogenen Gelder an Abegglen als Treuhänder, Abegglen nehme diesen Auftrag an und sei verpflichtet, über die Verwendung der bezogenen Gelder dem Kreditnehmer, der Bank oder dem beteiligten Handwerker jederzeit Aufschluss zu erteilen.
b) Der Kläger zog zur Erfüllung seiner Pflichten als bauleitender Architekt und als Treuhänder seinen Angestellten Goetschi bei, bediente sich also seiner als Hilfsperson im Sinne von
Art. 101 OR
. Zwar betraute er
BGE 90 II 15 S. 19
Goetschi nicht mit der Visierung der Anweisungen; der Beklagte gibt das in der Berufung zu. Hinsichtlich der Prüfung der Rechnungen, der Ausstellung der Anweisungsformulare, deren Vorlegung zur Visierung und der Überbringung der visierten Anweisungen an den Beklagten war aber Goetschi Erfüllungsgehilfe. Der Auffassung des Klägers, Goetschi habe nur Vorbereitungen besorgt, ist nicht beizupflichten; dieser verrichtete Erfüllungshandlungen, als er die fünf Anweisungen über zusammen Fr. 29'855. - für Material ausfüllte und sie, mit dem gefälschten Visum des Klägers versehen, dem Beklagten zur Unterzeichnung überbrachte, statt das Visum des Klägers einzuholen. Übrigens trifft
Art. 101 OR
auch zu, wenn eine Hilfsperson vorbereitende Handlungen so mangelhaft besorgt, dass die Schuldpflicht schlecht oder überhaupt nicht erfüllt wird oder bei der Ausübung eines Rechtes Schaden entsteht (BECKER, 2. Aufl.,
Art. 101 OR
N. 14 a.E.).
c) Dass Goetschi die soeben umschriebenen Aufgaben, sehe man in ihnen Erfüllungshandlungen oder blosse Vorbereitungshandlungen, als Hilfsperson schlecht versah, also die dem Kläger gegenüber dem Beklagten obliegenden Verpflichtungen mangelhaft erfüllte, liegt auf der Hand. Er durfte dem Beklagten nur Anweisungen mit echtem Visum des Klägers überbringen, nicht auch solche mit gefälschtem. Er verhinderte durch unerlaubte Handlungen die vollständige und richtige Erfüllung der vertraglichen Pflichten seines Dienstherrn (vgl.
BGE 85 II 270
f.), und zwar sowohl der Pflichten, die dieser als bauleitender Architekt, als auch derjenigen, die er als Treuhänder auf sich genommen hatte. Der von der Rechtsprechung geforderte funktionelle Zusammenhang zwischen der schädigenden Handlung (Überbringung von Anweisungen mit gefälschtem Visum) und der Schuldpflicht des Geschäftsherrn (hier des Klägers) liegt also vor. Die schädigenden Handlungen wurden von Goetschi in Ausübung seiner ihm zur Erfüllung der Schuldpflicht des Klägers obliegenden
BGE 90 II 15 S. 20
Verrichtungen begangen, nicht lediglich bei Gelegenheit derselben.
d) Unerheblich ist der Einwand des Klägers, Goetschi habe die Visa aus eigenem Antrieb gefälscht.
Art. 101 OR
setzt nicht voraus, dass der Geschäftsherr die Hilfsperson zu dem die Schuldpflicht verletzenden Verhalten aufgefordert habe (
BGE 85 II 271
).
Auch auf den Einwand des Klägers, er habe in den Fällen, in denen ihm Anweisungen zum Visum vorgelegt wurden, seine Pflicht immer gewissenhaft erfüllt und sich von Goetschi nie täuschen lassen, kommt nichts an.
Wer die vom Beklagten unterzeichneten Anweisungen auf die Bank trug, ist ebenfalls belanglos, desgleichen der Umstand, dass Goetschi das Geld von der Bank auf eigene Rechnung und im eigenen Namen, nicht als Hilfsperson des Klägers verlangte. Die schädigende Handlung lag nicht erst im Vorgehen gegenüber der Bank, sondern schon in der Erschwindelung der Unterschrift des Beklagten durch Vorlegung von ausgefüllten Anweisungen mit gefälschten Visa. Daher vermag der Kläger ausBGE 40 II 150f. nichts zu seinen Gunsten abzuleiten, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob an jenem Entscheid festgehalten werden könnte.
Unbehelflich sind auch die Behauptungen des Klägers, Goetschi habe die Materiallieferungen, die den fünf Anweisungen zugrunde lagen, mit dem Beklagten oder dessen Sohn unter Umgehung des Klägers vereinbart und die Bank habe aus den Anweisungen ersehen können, dass die Beträge als Entgelt für Material an Goetschi, also nicht an einen am Bau arbeitenden Unternehmer oder Handwerker, ausbezahlt werden sollten. Zu den Pflichten des Klägers als Bauleiter und Treuhänder gegenüber dem Beklagten gehörte es eben, in einem zuverlässigen Verfahren zu prüfen und zu befinden, ob solche Lieferungen trotz der behaupteten Umstände überhaupt zu vergüten seien, an wen die Vergütung zu erfolgen habe und ob sie dem Baukredit belastet werden
BGE 90 II 15 S. 21
dürfe oder andern Mitteln zu entnehmen sei. Dieses Prüfungsverfahren hat wegen der Beiziehung des Goetschi als Hilfsperson versagt.
Schliesslich kommt auch nichts darauf an, ob den Kläger ein Verschulden trifft. Der Schuldner hat für das Verhalten seiner Hilfsperson einzustehen, als ob es sein eigenes wäre, selbst wenn er es bei der Auswahl und Überwachung der Hilfsperson nicht an Sorgfalt hat fehlen lassen (
BGE 53 II 240
,
BGE 70 II 221
,
BGE 82 II 534
,
BGE 85 II 271
). So muss sich der Kläger z.B. alle Vorgänge, die Goetschi kannte, anrechnen lassen, wie wenn er sie selber gekannt hätte. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3ca2670-d74d-42ee-8a94-12996b1106cf | Urteilskopf
117 V 160
18. Arrêt du 22 août 1991 dans la cause V. contre Fondation paritaire de prévoyance de l'artisanat, du commerce, de l'industrie et des métiers et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 30 Abs. 2 lit. b BVG
, Art. 331c Abs. 4 lit. b Ziff. 2 OR, Art. 7 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 Verordnung über die Erhaltung des Vorsorgeschutzes und die Freizügigkeit: Anspruch auf Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung.
- Die gesetzlichen und reglementarischen Bestimmungen über die Barauszahlung einer Freizügigkeitsleistung an einen Arbeitnehmer, der eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt, sind nicht anwendbar, wenn ein freiwillig versicherter Selbständigerwerbender die Vorsorgeeinrichtung verlässt und die Barauszahlung dieser Leistung verlangt (Erw. 2b).
- Es besteht keine gesetzliche Einschränkung des Rechts eines freiwillig versicherten Selbständigerwerbenden, die Barauszahlung seiner Freizügigkeitsleistung zu verlangen, wenn er die Versicherung bei einer Vorsorgeeinrichtung beendet (Erw. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 117 V 160 S. 161
A.-
Raymond V., né en 1945, a exercé depuis le 1er mai 1985 une activité lucrative indépendante, d'abord en qualité de dessinateur puis d'architecte. A ce titre, il est inscrit au registre du commerce en raison individuelle depuis le 19 mai 1987. Jusqu'au 30 juin 1988, il était affilié en qualité d'indépendant et à titre facultatif à la Fondation autonome de prévoyance des ingénieurs et des architectes vaudois (ci-après: la FAPIAV). En outre, il travaillait en qualité de maître auxiliaire à l'Ecole professionnelle de la Société industrielle et commerciale (ci-après: l'EPSIC), à raison de dix heures de cours par semaine durant l'année scolaire 1987/88 et était, à ce titre, affilié à la Fondation paritaire de prévoyance de l'artisanat, du commerce, de l'industrie et des métiers (ci-après: la PREVACIM) depuis le 3 août 1987.
Le 2 mars 1988, Raymond V. a fait part de sa démission à la FAPIAV. A la demande du prénommé, celle-ci a transféré à la PREVACIM la prestation de libre passage à laquelle avait droit son assuré au 30 juin 1988 et qui s'élevait à 28'298 fr. 45.
Au mois de janvier 1990, Raymond V. a posé sa candidature à un poste d'enseignant à l'EPSIC, mais celle-ci l'a informé, par lettre du 12 février 1990, que son offre de services n'avait pas été retenue. Depuis lors, son activité d'enseignant s'est réduite à une demi-journée par semaine.
Le 22 février 1990, l'assuré s'est adressé à la PREVACIM pour demander à "bénéficier de la prestation de libre passage". Son activité à l'EPSIC s'étant considérablement réduite, il alléguait être "libéré de l'obligation de cotiser à un plan de prévoyance". Par lettre du 28 février suivant, la PREVACIM a informé Raymond V. qu'aux termes de son règlement seule la personne "qui s'établit" à son propre compte peut obtenir le versement en espèces de la prestation de libre passage lui revenant; dans la mesure où le prénommé était déjà indépendant auparavant et n'avait cotisé à la FAPIAV que de manière facultative, il ne pouvait donc pas bénéficier de cette mesure. En conséquence, la PREVACIM se déclarait disposée à transférer, à titre de prestation de libre passage exigible au 31 décembre 1989, la somme de 31'169 fr. 90, plus les intérêts courus, sur un compte de libre passage ouvert dans l'établissement bancaire que désignerait Raymond V.
BGE 117 V 160 S. 162
Celui-ci ayant manifesté son désaccord avec cette prise de position, la PREVACIM a rendu, le 13 mars 1990, une "décision" par laquelle elle confirmait son point de vue, en invoquant notamment un exposé de l'Office fédéral des assurances sociales (ci-après: l'OFAS) publié dans le bulletin de la prévoyance professionnelle édité par cet office.
B.-
Raymond V. a saisi le Tribunal des assurances du canton de Vaud d'un "recours" (recte: d'une action), en concluant à ce qu'il soit constaté que son obligation de cotiser auprès d'une caisse de prévoyance s'était éteinte au mois de septembre 1988 et, implicitement, au paiement en espèces de la prestation de libre passage due par la PREVACIM.
Par jugement du 18 juin 1990, la juridiction cantonale a rejeté la demande au motif que seul un changement d'activité professionnelle - ou une "modification fondamentale" de l'activité lucrative indépendante - permettrait le versement en espèces de la prestation de libre passage à un indépendant ayant cotisé à titre facultatif à une institution de prévoyance.
C.-
Raymond V. interjette recours de droit administratif contre ce jugement. Il conclut à l'annulation ou à la réforme du jugement entrepris et à ce que "ordre (soit) donné à la PREVACIM de faire toutes démarches utiles en vue de libérer en espèces la prestation de libre passage, soit le montant, au 31 décembre 1989, de 31'169 fr. 90 plus intérêts".
La PREVACIM s'abstient de formuler des conclusions, tandis qu'au terme d'un long préavis l'OFAS ne fait pas de proposition précise, mais penche plutôt pour un rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Pouvoir d'examen)
2.
a) D'après l'
art. 30 al. 2 let. b LPP
, la prestation de libre passage est payée en espèces lorsque la demande en est faite par un ayant droit qui s'établit à son propre compte et cesse d'être soumis à l'assurance obligatoire. Selon l'art. 331c al. 4 let. b ch. 2 CO, l'institution de prévoyance qui est débitrice d'un travailleur en vertu des
art. 331a ou 331b CO
est tenue de s'acquitter de son obligation par un versement en espèces lorsque la demande en est faite par un travailleur qui s'établit à son propre compte. Quant à l'art. 7 al. 2 let. b ch. 2 de l'ordonnance du Conseil fédéral sur le maintien de la prévoyance et le libre
BGE 117 V 160 S. 163
passage du 12 novembre 1986, il dispose que le capital de prévoyance ne peut faire l'objet d'un versement anticipé que lorsque la demande en est faite par un preneur de prévoyance qui s'établit à son propre compte et n'est pas soumis à l'assurance obligatoire.
En l'espèce, l'art. 25 ch. 2 let. b du règlement de la PREVACIM est conforme à ces dispositions légales.
b) Le point de vue de la fondation intimée et des premiers juges repose essentiellement sur un avis de l'OFAS concernant le versement en espèces de la prestation de libre passage lorsqu'un indépendant dénonce son assurance facultative (RCC 1989 p. 151 ss). Selon l'autorité fédérale de surveillance, si l'on autorisait un indépendant affilié à une institution de prévoyance à titre facultatif (cf.
art. 4 et 44 LPP
) à requérir le versement en espèces de la prestation de libre passage au motif qu'il démissionne de l'institution de prévoyance, on créerait une inégalité de traitement par rapport au salarié. Pour bénéficier de cette mesure, celui-ci doit en effet entreprendre une activité lucrative indépendante, "ce qui implique pour lui une certaine adaptation". C'est pourquoi, toujours selon l'OFAS, le versement en espèces de la prestation de libre passage à un indépendant qui démissionne d'une institution de prévoyance ne peut intervenir qu'à la condition que "sa situation économique s'apparente à celle d'un salarié qui s'établit à son compte". Or, une telle situation "ne se présente que lorsque l'assuré exerce une activité lucrative indépendante qui n'a plus aucun lien avec celle qu'il a exercée jusqu'alors", ce qui serait généralement le cas lorsque l'assuré change de branche d'activité.
Cette théorie - indépendamment du fait qu'elle entraînerait des difficultés d'application considérables - se fonde sur une interprétation erronée de la loi. En effet, la LPP distingue clairement deux catégories d'assurés: les salariés (Arbeitnehmer) et les indépendants (Selbständigerwerbende) ou "les personnes de condition indépendante" (
art. 34quater al. 3 let
. d Cst.). Or, ce qui caractérise l'indépendant, dans cette acception, c'est précisément le fait qu'il exerce une activité lucrative à son propre compte et non pour le compte d'un employeur (JAAC 51/1987 N 16 p. 100 ss; BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, p. 287 ss; v. aussi SZS 1989 p. 280). Dès lors, à la rigueur du droit, un indépendant affilié à une institution de prévoyance, que ce soit à titre obligatoire (
art. 3 LPP
) ou facultatif (
art. 4 al. 1 LPP
), ne peut jamais se trouver dans la situation envisagée par les dispositions légales et réglementaires exposées au consid. 2a puisque, par
BGE 117 V 160 S. 164
définition, il est déjà établi à son propre compte lorsqu'il s'affilie à une institution de prévoyance. Au demeurant, si la personne pouvant - aux conditions fixées par la loi - prétendre le paiement en espèces de la prestation de libre passage est désignée à l'
art. 30 LPP
comme l'"ayant droit", l'
art. 331c al. 4 CO
utilise l'expression "travailleur" dont le sens, rapporté au contexte, à savoir la réglementation du contrat de travail, est parfaitement clair et ne saurait viser les personnes de condition indépendante.
Cela étant, et contrairement à l'avis de l'OFAS et des juges cantonaux, le problème posé par la demande de l'indépendant affilié à une institution de prévoyance, qui démissionne de celle-ci et souhaite obtenir le versement en espèces de la prestation de libre passage, ne peut être résolu par le recours à une quelconque analogie entre le salarié qui s'établit à son compte et l'indépendant qui change d'activité. Il faut bien plutôt constater que les dispositions légales et réglementaires précitées sont inapplicables dans un tel cas, même par analogie.
c) Lorsqu'un indépendant met fin au rapport de prévoyance avant la survenance d'un cas d'assurance, le besoin de protection sociale qui est à l'origine des restrictions au droit des assurés de disposer du montant de la prestation de libre passage sous la forme d'un paiement en espèces, à savoir une stricte garantie de la prévoyance professionnelle des travailleurs au sens du CO (ATF
ATF 112 II 40
consid. 4a,
ATF 111 II 168
consid. 2a; BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Commentaire du contrat de travail, n. 4 ad
art. 331c CO
) et des salariés au sens de la LPP (
ATF 113 V 124
consid. 3), n'existe pas. C'est en tout cas ce qu'il faut logiquement déduire du fait que le législateur a précisément voulu faire une exception au principe du non-versement en espèces de la prestation de libre passage dans le cas du salarié qui devient indépendant et cesse d'être assujetti à l'assurance obligatoire. Or, par définition, cette double exigence est toujours réalisée par l'indépendant qui s'affilie à titre facultatif à une institution de prévoyance et elle le reste quand il décide de mettre fin à son affiliation. Aussi bien, comme le fait observer avec raison ELROD (Der Arbeitnehmerbegriff des BVG im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, thèse Zurich 1989, p. 45), à la double condition posée par l'
art. 30 al. 2 let. b LPP
s'en ajoute une troisième: que l'assuré qui se trouve dans cette situation ne choisisse pas de rester affilié à l'institution de prévoyance à titre facultatif. On doit dès lors conclure qu'il n'existe aucune restriction légale au droit d'un indépendant assuré à titre
BGE 117 V 160 S. 165
facultatif d'exiger le paiement en espèces du montant de sa prestation de libre passage lorsqu'il décide de mettre fin à son assurance auprès d'une institution de prévoyance. A cet égard, il ne saurait être question d'une quelconque inégalité de traitement entre l'assuré salarié et l'assuré de condition indépendante puisque c'est justement cette différence de statut qui justifie, selon la volonté du législateur, le versement en espèces de la prestation de libre passage à la fin du rapport de prévoyance (
ATF 111 II 169
consid. 2b).
Il est vrai qu'aux termes de l'
art. 4 al. 2 LPP
les dispositions sur l'assurance obligatoire s'appliquent par analogie à l'assurance facultative. Et cela vaut aussi, en principe, pour les prescriptions relatives à la prestation de libre passage, y compris l'
art. 30 LPP
(BRÜHWILER, op.cit., p. 279). Toutefois, en ce qui concerne la question précise de l'application de l'
art. 30 al. 2 let. b LPP
aux personnes assurées facultativement, on doit nécessairement faire une distinction entre salariés et indépendants, pour les motifs ci-dessus exposés et qui découlent de la loi elle-même.
3.
En l'espèce, le recourant n'a jamais été affilié à la PREVACIM à titre d'indépendant mais toujours en qualité de salarié. On peut se demander, comme le fait l'OFAS dans son préavis sur le recours de droit administratif, si l'intéressé n'aurait pas dû être exempté de l'assurance obligatoire en vertu de l'
art. 1er al. 1 let
. c in fine OPP 2. Dans ce cas, le recourant n'aurait jamais eu le statut d'assuré obligatoire et l'on devrait considérer qu'il était affilié à titre facultatif tant à la FAPIAV qu'à la fondation intimée. Cela ne change cependant rien au problème que pose la présente affaire puisque ce qui est décisif pour l'application des dispositions sur le versement en espèces de la prestation de libre passage à l'assuré qui s'établit à son propre compte, c'est son statut d'indépendant et non sa qualité d'assuré obligatoire ou facultatif (cf. consid. 2b).
Cela étant, deux éventualités peuvent être envisagées:
- si l'on considère que la prestation de libre passage dont le versement en espèces est requis par le recourant lui est due intégralement en sa qualité de salarié affilié à la PREVACIM, le litige doit être tranché exclusivement en application des dispositions légales et réglementaires exposées au consid. 2a; c'est l'opinion défendue par la fondation intimée et par les juges cantonaux et que semble partager le recourant; - si l'on considère que la prestation de libre passage doit être divisée en deux parts - à savoir celle qui provient de la FAPIAV et celle qui résulte des cotisations versées par le recourant à la PREVACIM
BGE 117 V 160 S. 166
en qualité de salarié -, la question du paiement en espèces doit être résolue pour la première part selon les principes applicables aux personnes de condition indépendante assurées facultativement (cf. consid. 2c) et pour la seconde part d'après les règles applicables aux assurés salariés; c'est le point de vue que paraît soutenir l'OFAS dans son préavis.
En l'occurrence, il n'est toutefois pas nécessaire de trancher formellement entre ces deux opinions car, dans l'une et l'autre éventualité, le recourant peut prétendre le versement intégral de la prestation de libre passage en espèces. Il y a lieu de considérer que le 22 février 1990, date à laquelle il a requis de la fondation intimée le versement en espèces de la prestation de libre passage, cessant du même coup d'être affilié à cette institution de prévoyance, le recourant avait le statut d'indépendant à part entière. En effet, le 12 février précédent était intervenu un événement décisif dans sa carrière professionnelle, à savoir l'échec de sa candidature à un poste d'enseignant titulaire à l'EPSIC. Or, dès ce moment-là et bien qu'il conservât une activité réduite auprès de cette école, le recourant devait consacrer l'essentiel de son temps et de ses ressources au développement de son bureau d'architecte et sa situation était en tout point comparable à celle d'un assuré salarié qui s'établit à son propre compte et cesse d'être soumis à l'assurance obligatoire.
Vu ce qui précède, le recours se révèle bien fondé et la fondation intimée doit être condamnée à payer en espèces au recourant le montant - non contesté - de la prestation de libre passage qu'elle a fixé à 31'169 fr. 90, plus intérêts à 5 pour cent l'an dès l'échéance (cf.
ATF 115 V 37
consid. 8c). | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d3caf702-0228-46c6-85be-37c2a3c9c8f4 | Urteilskopf
84 I 39
7. Urteil vom 12. Februar 1958 i.S. Ligna, Aussenhandelsunternehmen, gegen Baumgartner & Co. AG und Obergericht des Kantons Zürich. | Regeste
Vollstreckungsvertrag mit der Tschechoslowakei vom 21. Dezember 1926 und Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927.
1. Tragweite des in beiden Abkommen enthaltenen Vorbehalts der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates (Erw. 4).
2. Zusammensetzung des Schiedsgerichts; anwendbares Recht; Überprüfungsbefugnis des schweizerischen Vollstreckungsrichters. Unterschiede zwischen den Schiedsgerichten der Handelskammern und den sog. Verbandsschiedsgerichten (Erw. 5).
3. Vollstreckbarkeit eines Urteils des Schiedsgerichts der Tschechoslowakischen Handelskammer in einem Rechtsstreit zwischen einem dieser Handelskammer angehörenden tschechoslowakischen Unternehmen und einer schweizerischen Firma (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 40
BGE 84 I 39 S. 40
A.-
Die Zürcher Zweigniederlassung der Firma Baumgartner & Co. AG in Lausanne, die Grosshandel mit Papier und Karton betreibt, bezog im Jahre 1953 grössere Mengen von Zeitungsdruck- und Pergamentpapier von der Papco AG in Prag. Diese hatte die Bestellungen der Käuferin jeweils schriftlich bestätigt unter Hinweis auf allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf der Rückseite der Bestätigungsschreiben abgedruckt waren und in § 16 die Bestimmung enthielten, dass alle aus dem Vertrag entstehenden Streitigkeiten endgültig durch das Schiedsgericht der tschechoslowakischen Handelskammer entschieden werden sollen.
Da die Käuferin einen Teil der erhaltenen Waren wegen angeblich verspäteter und mangelhafter Lieferung nicht bezahlte, erhob die Firma Ligna (Aussenhandelsunternehmen für Ein- und Ausfuhr von Holz und Erzeugnissen der Holz- und Papierindustrie) als Rechtsnachfolgerin der Papco AG am 12. Februar 1954 beim genannten Schiedsgericht Klage auf Bezahlung von Fr. 74'472.51 nebst 5% Zins. Nach Empfang der Klageschrift sowie der Verfahrensordnung und des Statuts des Schiedsgerichts teilte die Beklagte dem Schiedsgericht mit, dass sie die Gültigkeit des Schiedsvertrages und die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes bestreite und es ablehne, sich auf den Prozess einzulassen. Darauf befasste sich das ständige Schiedsgericht der Handelskammer in einer Verhandlung vom 2. Juni 1954, zu der die Beklagte am 15. April 1954 vorgeladen wurde, mit der Frage der Zuständigkeit und kam in einem eingehend begründeten Entscheid zum Schluss, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts inbezug auf zwei Forderungen von zusammen Fr. 53'162.10 gegeben sei. Der Sekretär des Schiedsgerichts stellte diesen Entscheid den Parteien am 16. Juli 1954 zu und forderte sie gleichzeitig gemäss § 8 Abs. 3 der Verfahrensordnung auf,
BGE 84 I 39 S. 41
binnen 14 Tagen ihren Schiedsrichter aus der 92 Mitglieder umfassenden Schiedsrichterliste zu bestellen. Da die Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkam, ernannte der Präsident des ständigen Schiedsgerichts für sie einen Schiedsrichter, worauf dieser und der von der Klägerin bestellte Schiedsrichter zusammen einen Obmann wählten. Das so zusammengesetzte Dreierschiedsgericht lud die Beklagte erfolglos zu vier Verhandlungen vor und erliess dann am 11. März 1955 ein Säumnisurteil, durch das es die Klage teilweise guthiess und die Beklagte verpflichtete, der Klägerin $ 10'716.14 nebst 2 1/2% Zins seit 19. November 1953 und Fr. 1472.50 nebst 2 1/2% Zins seit 12. Februar 1954 sowie Kcs. 5000 Gerichtskosten und Kcs. 4500 Parteientschädigung zu bezahlen.
B.-
Gestützt auf diesen gemäss § 651 der tschechosl. ZPO gleich einem Urteil vollstreckbaren Schiedsspruch leitete die Firma Ligna am 4. Juli 1955 gegen die Firma Baumgartner & Co. AG in Zürich Betreibung ein für die ihr zugesprochenen Beträge, in Schweizer Währung umgerechnet insgesamt Fr. 53'008.90, und stellte nach erhobenem Rechtsvorschlag das Begehren um definitive Rechtsöffnung unter Berufung auf das schweiz.-tschechosl. Vollstreckungsabkommen vom 21. Dezember 1926 und auf das Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927. Die Firma Baumgartner & Co. AG widersetzte sich dem Begehren, indem sie geltend machte, die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs würde gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen, da er nicht von einem unabhängigen Schiedsgericht gefällt worden sei.
Der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich verweigerte die Rechtsöffnung. Die Firma Ligna rekurrierte hiegegen an das Obergericht des Kantons Zürich, wurde aber durch Entscheid vom 15. März 1957 abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
a) Die Beschwerdeführerin berufe sich sowohl auf das schweiz.-tschechosl. Vollstreckungsabkommen als auch auf
BGE 84 I 39 S. 42
das Genfer Abkommen. Letzteres sei indessen nicht anwendbar, da die Tschechoslowakei die Zustimmung zum Genfer Abkommen an einen Vorbehalt geknüpft habe, aus dem sich ergebe, dass dann, wenn ein zweiseitiger Staatsvertrag die Vollstreckung (wie es beim schweiz.-tschechosl. Staatsvertrag zutreffe) leichter möglich mache als das Genfer Abkommen, grundsätzlich der Staatsvertrag Anwendung zu finden habe. Übrigens sei der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, um den es gehe, in beiden Staatsverträgen enthalten mit nahezu demselben Wortlaut.
b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 81 I 321
und dort zitierte frühere Urteile) sei ein Schiedsspruch nicht vollstreckbar, wenn dem Schiedsgericht die Unbefangenheit abgehe oder wenn einer Partei bei seiner Bestellung eine Vorzugsstellung zukomme. Diese Praxis sei, wie aus
BGE 76 I 128
hervorgehe, auch auf ausländische Schiedsgerichte anwendbar, sodass im vorliegenden Falle die Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Schweiz aus dem Gesichtspunkt der schweizerischen öffentlichen Ordnung (Art. 1 Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens) ausgeschlossen sei. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass die ordre public-Klausel sich nur auf den Inhalt eines Entscheids, nicht auch auf Verfahrensmängel beziehe, sei unbehelflich; der Mangel betreffe nicht das Verfahren, sondern die Konstitution des Gerichtes. Ebenfalls unbegründet sei der Einwand der Beschwerdeführerin, die bundesgerichtliche Rechtsprechung richte sich gegen Verbandsschiedsgerichte und treffe nicht zu auf Schiedsgerichte von Handelskammern, deren Aufgabe nicht dahin gehe, die Interessen ihrer Mitglieder zu schützen, sondern diejenigen des Handels überhaupt. Das durch eine nationale Handelskammer bestellte Schiedsgericht könne nur dann generell als überparteilich gelten, wenn die Prozessparteien Staaten angehören, die sich inbezug auf ihre staatliche und wirtschaftliche Verfassung nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden. Hieran fehle es im vorliegenden Falle, da in der Tschechoslowakei seit dem Abschluss des Vollstreckungsabkommens
BGE 84 I 39 S. 43
an die Stelle eines demokratischen ein volksdemokratisches Regierungssystem und an die Stelle einer freien Marktwirtschaft eine gebundene staatliche Planwirtschaft getreten sei. In einer Rechtsordnung, durch die der Aussenhandel durchgehend verstaatlicht worden sei, könnten Handelskammern nicht mehr als neutrale Institutionen betrachtet werden, weil nun auch ihnen die Aufgabe zukomme, vornehmlich den staatlichen Interessen zu dienen. Dieser Aufgabe könnten sich auch die ihr angehörenden Schiedsrichter nicht hinreichend entziehen, was die analoge Anwendung der vom Bundesgericht für Verbandsschiedsgerichte aufgestellten Grundsätze auf das Schiedsgericht der tschechoslowakischen Handelskammer rechtfertige. Daraus folge, dass sowohl dem ständigen Schiedsgericht, das den Zuständigkeitsbeschluss vom 12. Juni 1954 gefasst habe, als auch dem Dreierschiedsgericht, das den materiellen Entscheid vom 11. März 1955 gefällt habe, die erforderliche Unabhängigkeit gefehlt habe. Die Klägerin allein sei Mitglied der tschechoslowakischen Handelskammer, dessen Vorstand die Mitglieder des ständigen Schiedsgerichts ernenne, und es hätten nur solche Personen als Mitglieder des Dreierschiedsgerichts bestellt werden können, die im Schiedsrichterverzeichnis eingetragen seien, wobei der Vorstand der Handelskammer über Eintragung und Streichung entscheide. Diese Liste enthalte 92 Namen von Personen, die alle tschechoslowakische Staatsangehörige und in der Mehrzahl Direktoren und Beamte der staatlichen Aussenhandelsunternehmen seien. Die Gleichberechtigung der Parteien sei daher nicht gegeben gewesen.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Firma Ligna, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. März 1957 sei aufzuheben und ihr die definitive Rechtsöffnung für die im Zahlungsbefehl genannten Beträge und die Betreibungskosten zu bewilligen. Als Beschwerdegrund wird Verletzung des Genfer Abkommens zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche
BGE 84 I 39 S. 44
sowie des schweiz.-tschechosl. Vollstreckungsabkommens geltend gemacht.
D.-
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Die Beschwerdegegnerin, die Firma Baumgartner & Co. AG, beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beschwerde macht eine Verletzung des schweiz.-tschechosl. Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen vom 21. Dezember 1926 und des Genfer Abkommens zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 (nachfolgend kurz "Vollstreckungsabkommen" und "Genfer Abkommen" genannt) geltend. Ob der angefochtene Entscheid Bestimmungen dieser Staatsverträge verletze, hat das Bundesgericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht frei zu prüfen (
BGE 83 I 19
Erw. 1). Dabei hat es auch neue, dem Obergericht noch nicht unterbreitete Vorbringen der Parteien zu berücksichtigen (
BGE 83 I 20
Erw. 2).
2.
Das Obergericht hat angenommen, dass die Frage, ob ein in der Tschechoslowakei gefällter Schiedsspruch in der Schweiz vollstreckbar sei, sich nicht nach dem Genfer Abkommen, sondern nach dem Vollstreckungsabkommen beurteile, da die nach diesem geltenden Vollstreckungsvoraussetzungen im allgemeinen weniger streng seien als die komplizierten Einschränkungen, die in den Art. 1 und 2 des Genfer Abkommens enthalten seien. Die Beschwerdeführerin dagegen ist der Auffassung, das Genfer Abkommen habe insoweit, als es in einzelnen Punkten die Vollstreckung von Schiedssprüchen gegenüber dem Vollstreckungsabkommen erleichtere, diesem vorzugehen. Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben, denn die Anwendbar keit des Genfer Abkommens würde der Beschwerdeführerin nichts nützen. Die von ihr angerufene Bestimmung in Art. 1
BGE 84 I 39 S. 45
lit. c hat nicht den Sinn, den sie ihr beilegt. Diese Bestimmung will keineswegs abschliessend umschreiben, inwiefern der Vollstreckungsrichter die Zusammensetzung des Schiedsgerichts nachprüfen kann. Sie besagt lediglich, dass die Vollstreckung verweigert werden kann, wenn ein anderes als das von den Parteien vereinbarte Schiedsgericht oder ein nicht gemäss der Parteivereinbarung (und den auf das Schiedsverfahren anwendbaren Rechtsvorschriften) gebildetes Schiedsgericht geurteilt hat. Dass die Zusammensetzung des Schiedsgerichts im übrigen bei der Vollstreckung nicht überprüft werden dürfe und dass daher dem Spruch eines der Schiedsklausel oder Schiedsabrede (und dem massgebenden ausländischen Recht) entsprechenden Schiedsgerichts gegenüber Einreden aus dem Gesichtspunkt des ordre public insoweit, als sie sich gegen die Zusammensetzung richten, ausgeschlossen seien, lässt sich dagegen aus Art. 1 lit. c des Genfer Abkommens nicht ableiten.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat ursprünglich auch das Bestehen einer gültigen Schiedsklausel bestritten. Im Rechtsöffnungsverfahren hat sie diesen Einwand dadurch fallen gelassen, dass sie ein Rechtsgutachten zum integrierenden Bestandteil ihrer Ausführungen erklärte, welches mit eingehender Begründung zum zutreffenden Schlusse kommt, dass die Schiedsklausel gültig vereinbart worden sei. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass, wie ebenfalls nicht streitig ist, sich auch aus
Art. 59 BV
, auf den sich ein Beklagter mit Wohnsitz in der Schweiz auf Grund von Art. 1 Ziff. 1 des Vollstreckungsabkommens berufen kann, nichts gegen die Vollstreckung des in Prag gefällten Schiedsspruchs ableiten lässt. Schliesslich ist auch unbestritten, dass die Beschwerdeführerin die nach den Art. 4 des Vollstreckungsabkommens und des Genfer Abkommens vorzulegenden Urkunden beigebracht hat. Es kann sich nur fragen, ob die Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Schweiz zu verweigern ist, weil seine Anerkennung gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen
BGE 84 I 39 S. 46
würde (Art. 1 Ziff. 2 des Vollstreckungsabkommens und Art. 1 lit. e des Genfer Abkommens).
4.
Die ordre public-Klausel, die in allen von der Schweiz abgeschlossenen Vollstreckungsabkommen enthalten ist, bezieht sich zunächst nur auf den Inhalt der Entscheidung (vgl. die Fassung in Art. 4 Abs. 1 des Vertrages mit Deutschland: "wenn durch die Entscheidung ein Rechtsverhältnis zur Verwirklichung gelangen soll, dem ... aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit die Gültigkeit, Verfolgbarkeit oder Klagbarkeit versagt ist"). Ob sie darüber hinaus angerufen werden kann bei Mängeln, die dem Verfahren vor dem ausländischen Gericht, gemessen an der inländischen Rechtsordnung, anhaften, wurde vom Bundesgericht stets als fraglich bezeichnet und offen gelassen (
BGE 57 I 435
,
BGE 62 I 145
,
BGE 63 I 301
,
BGE 72 I 275
). Ebenso ist zweifelhaft, ob Mängel der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts und, bei Schiedsgerichten, der Zusammensetzung derselben, unter die ordre public-Klausel fallen. Aus
BGE 76 I 128
b folgt nichts Gegenteiliges, da dort die Zusammensetzung des Schiedsgerichts offensichtlich nicht zu beanstanden war und daher die Frage, ob die ordre public-Klausel sich darauf beziehe, nicht entschieden zu werden brauchte. Sie kann auch heute offen bleiben, da die Zusammensetzung des Schiedsgerichts der tschechoslowakischen Handelskammer, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt, nicht gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstösst.
5.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann das von einem Wirtschaftsverband oder dessen Organ eingesetzte Schiedsgericht weder im Streit zwischen dem Verband und einem Mitglied noch in demjenigen zwischen einem Mitglied und einem Nichtmitglied einen wie ein staatliches Urteil vollstreckbaren Entscheid fällen und ist die Rechtsöffnung für einen derartigen Schiedsspruch aus Gründen der öffentlichen Ordnung zu verweigern (
BGE 57 I 203
,
BGE 67 I 213
,
BGE 72 I 88
,
BGE 76 I 92
,
BGE 78 I 112
,
BGE 80 I 340
,
BGE 84 I 39 S. 47
81 I 325). Das Obergericht nimmt an, dass diese Rechtsprechung auch auf den vorliegenden, gegen die Beschwerdegegnerin ergangenen Schiedsspruch des Schiedsgerichts der tschechoslowakischen Handelskammer anwendbar sei, was dessen Vollstreckung in der Schweiz ausschliesse. Dabei werden indessen zwei wesentliche Gesichtspunkte, die für jene Rechtsprechung massgebend waren, übersehen.
a) Die genannten bundesgerichtlichen Urteile sind in Anwendung des
Art. 61 BV
ergangen. Nach dieser, in
Art. 80 und 81 SchKG
für gewisse Urteile gesetzlich ausgefuhrten Bestimmung sollen die rechtskräftigen Zivilurteile, die in einem Kanton gefällt sind, in der ganzen Schweiz vollzogen werden. Zivilurteile im Sinne von
Art. 61 BV
sind aber zunächst nur die Entscheide der mit der Ausübung der Zivilrechtspflege betrauten staatlichen Behörden (
BGE 80 I 340
). Private Schiedssprüche fallen nur insoweit darunter, als es sich rechtfertigt, sie staatlichen Urteilen gleichzustellen, was bei Verbandsschiedsgerichten nur unter den vom Bundesgericht in jenen Urteilen aufgestellten strengen Voraussetzungen zulässig ist. Bei der Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche dagegen geht es nicht um ihre Gleichstellung mit schweizerischen staatlichen Urteilen, sondern um den Umfang der von der Schweiz staatsvertraglich übernommenen Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung solcher Entscheidungen (vgl. betreffend das Genfer Abkommen
BGE 72 I 272
,
BGE 76 I 125
/6). Für die Zusammensetzung ausländischer Schiedsgerichte ist sodann, wie in Art. 2 des Genfer Protokolls über die Schiedsklauseln vom 24. September 1923 ausdrücklich bestimmt ist, aber allgemein gelten muss, grundsätzlich das Recht des Staates massgebend, auf dessen Gebiet das Schiedsverfahren stattfindet, und es kann die diesem Rechte (und der Parteivereinbarung) entsprechende Zusammensetzung eines Schiedsgerichts bei der Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Schweiz wenn überhaupt, so höchstens unter dem beschränkten Gesichtswinkel
BGE 84 I 39 S. 48
der schweizerischen öffentlichen Ordnung überprüft werden. Bei der Vollstreckung inländischer Schiedssprüche dagegen geht es um die Grenzen, die der Vertragsfreiheit inbezug auf die Zusammensetzung von Schiedsgerichten vom Bundesrecht gesetzt sind und die vom Bundesgericht jedenfalls im interkantonalen Verhältnis (für das innerkantonale vgl.
BGE 81 I 326
/7) auf Grund von
Art. 61 BV
frei zu bestimmen sind.
b) Zwischen den Verbandsschiedsgerichten, auf die sich die angeführten Urteile des Bundesgerichts beziehen, und den von den in- und ausländischen Handelskammern errichteten Schiedsgerichten bestehen wesentliche Unterschiede. Den Verbandsschiedsgerichten obliegt in erster Linie die Durchsetzung des internen, kartellmässigen Verbandsrechts gegenüber den Mitgliedern, die ihrer Gerichtsbarkeit nicht auf Grund eines freien Entschlusses, sondern infolge ihrer für die Berufsausübung meist unumgänglichen Verbandsmitgliedschaft unterworfen sind. Die Schiedsgerichte der Handelskammern verfolgen keine derartigen Zwecke; sie werden geschaffen im Interesse des gesamten Handels zur raschen und sachverständigen Erledigung handelsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Kaufleuten, denen es frei steht, sich durch Schiedsklauseln oder Schiedsabreden dieser Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen oder ihre Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten auszutragen.
Die Grundsätze, die das Bundesgericht in Anwendung von
Art. 61 BV
für die Vollstreckung von Urteilen der Verbandsschiedsgerichte aufgestellt hat, lassen sich somit nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen. Vielmehr ist selbständig zu prüfen, ob das Dreierschiedsgericht der tschechoslowakischen Handelskammer, das den vorliegenden Schiedsspruch gefällt hat, wegen der Art seiner Bestellung oder wegen der Beziehungen seiner Mitglieder zur Beschwerdeführerin nicht als hinreichend unabhängig gelten kann und die Anerkennung des Schiedsspruchs in der Schweiz daher gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstösst. Dabei ist zu beachten, dass
BGE 84 I 39 S. 49
der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung im Gebiete der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen enger auszulegen ist als im Gebiete der direkten Gesetzesanwendung (
BGE 78 II 251
,
BGE 81 I 145
; vgl. auch Art. 4 Ziff. 2 des schweiz.-schwedischen Vollstreckungsabkommens vom 15. Januar 1936, wonach die Anerkennung einer Entscheidung nur voraussetzt, dass sie nicht "offensichtlich unvereinbar" ist mit der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem sie geltend gemacht wird).
6.
Die Unabhängigkeit kann dem Schiedsgericht jedenfalls nicht schon deshalb abgesprochen werden, weil von den zwei Schiedsrichtern, die zusammen den Obmann wählten, einer von der Beschwerdeführerin, der andere aber anstatt von der Beschwerdegegnerin vom Präsidenten des ständigen Schiedsgerichts ernannt worden ist. Nach § 8 Ziff. 3 der Verfahrensordnung des Schiedsgerichts hat, falls wie hier keine anderweitige Vereinbarung vorliegt, jede Partei innert der ihr vom Sekretär des ständigen Schiedsgerichts festzusetzenden Frist ihren Schiedsrichter zu ernennen und wird, sofern es eine Partei unterlässt, ihren Schiedsrichter zu ernennen, dieser vom ständigen Schiedsgericht (oder gemäss § 7 des Statuts des Schiedsgerichts von dessen Präsidenten) ernannt. Diese Ordnung, nach der im vorliegenden Falle vorgegangen wurde, entspricht derjenigen zahlreicher Handelsschiedsgerichte (vgl. z.B. Art. 12 der Vergleichs- und Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer in Paris vom 1. Juli 1947, Art. 13 des Reglements der Chambre arbitrale de Paris vom 2. April 1952) und weicht von der üblichen Regelung in den kantonalen Zivilprozessordnungen (GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht II S. 516/7, insbesondere Anm. 54) nur darin ab, dass die Ernennung an Stelle der säumigen Partei nicht durch eine richterliche Behörde, sondern durch das ständige Schiedsgericht erfolgt. Selbst wenn hierin ein die Unabhängigkeit des Schiedsgerichts in Frage stellender Mangel liegen würde, könnte die Beschwerdegegnerin daraus nichts für sich ableiten, da sie
BGE 84 I 39 S. 50
den sich hieraus für sie allenfalls ergebenden Nachteil dadurch hätte vermeiden können, dass sie unter grundsätzlicher Bestreitung der Zuständigkeit und Unabhängigkeit des Schiedsgerichts ihren Schiedsrichter ernannt und sich am Schiedsgerichtsverfahren beteiligt hätte. Die Vollstreckung des Schiedsspruchs wäre nur zu verweigern, wenn dem Schiedsgericht die aus dem Gesichtspunkt der schweizerischen öffentlichen Ordnung erforderliche Unabhängigkeit auch dann, wenn sich die Beschwerdegegnerin an der Bestellung beteiligt hätte, abgegangen wäre, was auf Grund seiner Verfahrensordnung und seines Statuts (beide wiedergegeben bei MAYENFISCH, La clause attributive de juridiction et la clause arbitrale dans les contrats de vente à caractère international, Diss. Freiburg 1957, S. 128 ff.) zu prüfen ist.
a) Nach § 9 Ziff. 1 der Verfahrensordnung können nur solche Personen zu Schiedsrichtern ernannt werden, die in der Schiedsrichterliste eingetragen sind. Diese Bindung der Parteien an eine geschlossene Richterliste ist nicht nur, wie in dem von der Beschwerdeführerin eingereichten Rechtsgutachten anhand zahlreicher Beispiele von Schiedsgerichtsordnungen dargetan wird, im englisch/amerikanischen Rechtskreis üblich, sondern auch in Europa verbreitet (vgl. die bei SCHÖNKE, Die Schiedsgerichtsbarkeit in Zivil- und Handelssachen in Europa, I 473 ff. und II 300 ff. abgedruckten Schiedsgerichtsordnungen der Internationalen Handelskammer, der Internationalen Filmkammer, der Internationalen Foederation der Spediteurorganisationen und der Pariser Börse). Dieses Listensystem mag neben Vorteilen auch Nachteile haben, doch kann keinesfalls gesagt werden, dass es als solches das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise verletzt und daher gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstösst.
b) Die Schiedsrichterliste, aus der die Beschwerdegegnerin ihre Schiedsrichter hätte wählen können, umfasste 92 Personen, die unbestrittenermassen alle tschechoslowakische
BGE 84 I 39 S. 51
Staatsangehörige sind und in der Tschechoslowakei wohnen. Der Umstand allein, dass sämtliche Mitglieder eines Schiedsgerichts die gleiche Staatsangehörigkeit und den gleichen Wohnsitz haben wie eine Prozesspartei, lässt jedoch, wie bereits in
BGE 76 I 128
festgestellt worden ist, ein Schiedsgericht aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung nicht als ungeeignet erscheinen. Es würde zu weit gehen, zur Beurteilung internationaler Handelsstreitigkeiten nur Schiedsgerichte zuzulassen, die entweder gleichmässig aus Angehörigen der Heimatstaaten beider Parteien oder aus Angehörigen anderer Staaten zusammengesetzt sind.
c) Nach § 9 Ziff. 1 der Verfahrensordnung entscheidet das (gemäss § 1 des Statuts vom Vorsitzenden der Handelskammer ernannte) ständige Schiedsgericht über die Eintragung in die Schiedsrichterliste, und zwar auf Antrag des Vorsitzenden der Handelskammer, der von der Handelskammer gewählt wird. Die Beschwerdeführerin, die unbestrittenermassen Mitglied der Handelskammer ist, hatte somit im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin, die es nicht ist, einen gewissen, wenn auch zweifellos nur geringen und indirekten Einfluss auf die Bezeichnung der 92 als Schiedsrichter wählbaren Personen. In der Rechtsprechung zu
Art. 61 BV
hat das Bundesgericht die Frage offen gelassen, ob ein so geringfügiger Einfluss der einen Prozesspartei auf die Zusammensetzung eines Verbandsschiedsgerichts dessen Unabhängigkeit derart beeinträchtige, dass die Vollstreckung seiner Entscheide ausgeschlossen sei (
BGE 72 I 89
Erw. 2 a,
BGE 78 I 114
). Die Frage kann auch heute offen bleiben. Handelskammern lassen sich, wie bereits ausgeführt (Erw. 5 b), nicht mit den Wirtschaftsverbänden vergleichen, auf deren Schiedsgerichte sich jene Rechtsprechung bezieht, da sie nicht wie diese die Interessen einer bestimmten, meist kartellmässig organisierten Berufsgruppe vertreten. Der Unterschied von solchen Wirtschaftsverbänden ist besonders deutlich, wenn die Handelskammer eine öffentlich-rechtliche Institution ist und ihre
BGE 84 I 39 S. 52
Organisation durch staatliche Vorschriften geregelt wird, wie es häufig (z.B. in der Bundesrepublik Deutschland; vgl. Gesetz vom 18. Dezember 1956 zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern) und gerade auch in der Tschechoslowakei der Fall ist. Die tschechoslowakische Handelskammer ist zwar körperschaftlich organisiert; ihre Organisation und ihre Aufgaben werden jedoch im wesentlichen durch einen staatlichen Erlass, nämlich die Kundmachung der Minister für Aussenhandel und des Innern vom 30. Juni 1952, bestimmt, und ihre Tätigkeit untersteht der Aufsicht des Aussenhandelsministeriums (womit sie eine ähnliche Stellung einnimmt wie etwa in der Schweiz die Schweiz. Zentrale für Handelsförderung oder die Schweiz. Verkehrszentrale; vgl. die Bundesbeschlüsse vom 31. März 1927 und vom 21. Dezember 1955). Da die Kundmachung in § 6 auch das Schiedsgericht vorsieht und für das von diesem aufzustellende Statut und die Verfahrensordnung die Zustimmung des Aussenhandelsministeriums vorschreibt, ist auch das Schiedsgericht, ähnlich wie die österreichischen Börsenschiedsgerichte (vgl.
BGE 57 I 431
Erw. 2,
BGE 63 I 299
), eine staatlich geregelte Institution. Angesichts dieses öffentlich-rechtlichen Charakters sowohl der Handelskammer als auch ihres Schiedsgerichts kann diesem, obwohl die Mitglieder einen gewissen indirekten Einfluss auf die Aufstellung der Schiedsrichterliste haben, die zur Beurteilung handelsrechtlicher Streitigkeiten zwischen einem Mitglied und einem Nichtmitglied erforderliche Unabhängigkeit nicht abgesprochen werden. Mag auch die Ernennung der Mitglieder institutioneller Schiedsgerichte durch eine unabhängige richterliche Instanz, wie es das Bundesgericht für Verbandsgerichte empfohlen hat, im allgemeinen den Vorzug verdienen, so kann doch in der Ernennung durch eine Handelskammer oder ihren Vorsitzenden, zumal bei der im Gebiete der Urteilsvollstreckung gebotenen Zurückhaltung in der Anwendung des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung (
BGE 78 II 251
,
BGE 81 I 145
), kein Verstoss gegen
BGE 84 I 39 S. 53
diese erblickt werden. Es darf nicht übersehen werden, dass die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vielfach gleich oder ähnlich organisiert ist wie diejenige bei der Tschechoslowakischen Handelskammer und dass die Handelskammern häufig an der Bildung der Schiedsgerichte beteiligt sind. Wäre für alle in Streitigkeiten zwischen einem Handelskammermitglied und einem Nichtmitglied gefällten Urteile solcher Schiedsgerichte die Vollstreckung in der Schweiz zu verweigern, so würden das Genfer Abkommen und die in den Sonderabkommen mit einzelnen Staaten enthaltenen Bestimmungen über die Vollstreckung von Schiedssprüchen weitgehend an Bedeutung verlieren, was dem Zweck, den die Schweiz mit dem Beitritt zum Genfer Abkommen und mit jenen Vertragsbestimmungen verfolgte, widerspräche und auf eine Verletzung der damit übernommenen staatsvertraglichen Verpflichtungen hinausliefe.
d) Das Obergericht geht denn auch nicht so weit, dass es den ausländischen Schiedsgerichten, an deren Bildung eine Handelskammer beteiligt ist, allgemein die Eignung zur Beurteilung von Streitigkeiten zwischen einem Mitglied und einem Nichtmitglied abspricht. Es glaubt aber, dass die erforderliche Unabhängigkeit dann nicht mehr vorliege, wenn es sich um die Handelskammer eines Landes handle, dessen staatliche und wirtschaftliche Verfassung sich von derjenigen der Schweiz grundsätzlich unterscheide, wie es für das volksdemokratische Regierungssystem und die staatsmonopolistisch organisierte Wirtschaftsordnung der Tschechoslowakei zutreffe. Mit dieser Begründung kann jedoch die Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Schweiz nicht verweigert werden. Zunächst besteht kein Grund zur Annahme, dass dem Schiedsgericht der tschechoslowakischen Handelskammer eine grössere Unabhängigkeit zukäme, wenn die Schiedsrichterliste statt vom Vorsitzenden der Handelskammer von einem ordentlichen Gericht aufgestellt worden wäre, zumal da die Handelskammer, wie bereits ausgeführt, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft
BGE 84 I 39 S. 54
ist, deren Organisation durch staatliches Recht geregelt wird, was ihr einen behördenähnlichen Charakter verleiht. Als Schiedsrichter wären schon im Hinblick auf die erforderlichen Sachkenntnisse auch vom staatlichen Richter zweifellos Personen bezeichnet worden, die in den verstaatlichten Wirtschaftsunternehmen in leitender Stellung tätig sind oder als Anwälte einer staatlich organisierten Rechtsberatungsstelle angehören und damit unter dem Einfluss des Staates stehen. Die Erwägungen des angefochtenen Entscheids laufen darauf hinaus, die Anwendbarkeit des Vollstreckungsabkommens wegen der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Tschechoslowakei einzuschränken. Hiezu sind die Gerichte nicht befugt. Sofern wegen dieser Verhältnisse, was hier nicht zu untersuchen ist, begründete Zweifel an der Unabhängigkeit der tschechoslowakischen staatlichen Gerichte oder eines privaten, aber gemäss dem staatlichen Recht organisierten Schiedsgerichts wie desjenigen der tschechoslowakischen Handelskammer bestehen sollten, so wäre es Sache der politischen Behörden, eine Änderung oder Lösung der zur Vollstreckung tschechoslowakischer Urteile und Schiedssprüche verpflichtenden Staatsverträge herbeizuführen. Ob allenfalls die Verbindlichkeit einer Schiedsklausel wie der vorliegenden im Hinblick auf eine nach ihrem Abschluss eingetretene politische Umwälzung verneint werden könnte (vgl.
BGE 76 II 251
, wo diese Frage für eine Gerichtsstandsvereinbarung aufgeworfen wurde), ist hier nicht zu prüfen, da die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Tschechoslowakei schon im Zeitpunkt des Abschlusses der vorliegenden Schiedsklausel bestanden und der Beschwerdegegnerin bekannt waren. Es geht aber nicht an und ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, sich der Schiedsgerichtsbarkeit eines fremden Staates mit andern politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu unterwerfen und dann nachträglich die Unabhängigkeit dieser Schiedsgerichtsbarkeit unter Hinweis auf diese Verhältnisse zu bestreiten.
BGE 84 I 39 S. 55
7.
Die gegen die nachgesuchte Vollstreckung erhobenen Einwendungen erweisen sich somit als unbegründet, weshalb die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben ist. Dagegen kann dem weitergehenden Antrag der Beschwerdeführerin auf sofortige Bewilligung der definitiven Rechtsöffnung nicht entsprochen werden, obwohl keine Gründe ersichtlich sind, aus denen die Vollstreckung wegen Fehlens einer staatsvertraglichen Voraussetzung von Amtes wegen zu verweigern wäre (Art. 1 und 3 je letzter Absatz des Vollstreckungsabkommens). Einmal ist das Obergericht, wie sich zwar nicht aus dem Dispositiv, aber aus Erw. 2 des angefochtenen Entscheids ergibt, auf den Rekurs der Beschwerdeführerin gegen die erstinstanzliche Verweigerung der Rechtsöffnung nur insoweit eingetreten, als dieser auf Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gemäss § 377 zürch. ZPO gerichtet war, was mit der staatsrechtlichen Beschwerde nicht beanstandet worden ist. Sodann ist der Beschwerdegegnerin im Laufe des bundesgerichtlichen Verfahrens eine Nachlassstundung bewilligt worden, während welcher Betreibungshandlungen, wozu auch die Rechtsöffnung gehört (
BGE 53 III 69
Erw. 2), nicht vorgenommen werden dürfen (
Art. 56 Ziff. 4 und
Art. 297 SchKG
; JAEGER, N. 3 zu
Art. 56 und 297 SchKG
). Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung im Sinne der vorstehenden Erwägungen an das Obergericht zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. März 1957 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Obergericht zurückgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3cee66a-9b50-4542-ac7c-886199594e63 | Urteilskopf
98 II 294
43. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Oktober 1972 i.S. von Weissenfluh gegen Muri. | Regeste
Erstreckung des Mietverhältnisses bei Verkauf der Mietsache.
1.
Art. 259 Abs. 1 und 2 OR
. Kündigung des Mietverhältnisses durch den Verkäufer und den Käufer, bevor dieser als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird; Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis (Erw. 4).
2.
Art. 267c lit. c OR
. Bei Eintritt des Käufers in das Mietverhältnis beurteilt sich die Frage des Eigenbedarfs nach den Bedürfnissen des neuen Vermieters; Beweis. Offen gelassen, ob in analoger Anwendung von
Art. 20 Abs. 2 OR
eine Teilerstreckung des Mietverhältnisses möglich wäre (Erw. 6-8). | Sachverhalt
ab Seite 295
BGE 98 II 294 S. 295
A.-
Wwe. Stanka und ihre vier Söhne verkauften am 30. November 1971 das Haus Kramgasse 37 in Bern samt Umschwung dem Arnold Muri, der ihnen versprach, die Mietverträge in Rechten und Pflichten zu übernehmen. Nutzen und Schaden sollten am 1. Januar 1972 auf den Käufer übergehen.
Mit Schreiben vom 22. Dezember 1971, das vom Käufer mitunterzeichnet wurde, gab Wwe. Stanka im Namen der Verkäufer dem Mieter Adrian von Weissenfluh Kenntnis vom Verkauf und fügte bei, dass sie ihm den Mietvertrag über das Ladenlokal, die Werkstatt, die Geschäftsräumlichkeiten im ersten und zweiten Stock sowie die Schaukasten auf 30. Juni 1972 kündige, "auch im Auftrag des Käufers", da dieser die Räumlichkeiten für sein Geschäft benötige.
Am 31. Dezember 1971 wurde Muri als Eigentümer der Liegenschaft in das Grundbuch eingetragen.
B.-
Das Begehren von Weissenfluhs, das Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken, wurde vom Gerichtspräsidenten III von Bern am 1. März 1972 wegen Eigenbedarfs des Käufers (
Art. 267c lit. c OR
) abgewiesen.
Von Weissenfluh appellierte. Er beantragte der oberen Instanz, die Kündigung vom 22. Dezember 1971 aufzuheben, eventuell festzustellen, dass sie nichtig und rechtsunwirksam sei, subeventuell das mit den Erben Stanka oder mit Muri bestehende Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken.
Der Appellationshof des Kantons Bern wies am 20. April 1972 das Gesuch entsprechend dem Antrage Muris ab. Er erachtete die Kündigung als durch die Erben Stanka gültig vorgenommen und die Erstreckung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Käufers als nicht zulässig.
C.-
Der Gesuchsteller hat die Berufung erklärt. Er beantragt, das Urteil des Appellationshofes aufzuheben, und wiederholt die vor dieser Instanz gestellten Begehren. Subsidiär verlangt er, die Sache zu weiterer Beweisaufnahme und zu neuer Beurteilung an den Appellationshof zurückzuweisen.
Der Gesuchsgegener beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
4.
Es kann offen bleiben, ob der Erwerber der Mietsache, der von der Möglichkeit der Kündigung auf das nächste ortsübliche Ziel (
Art. 259 Abs. 2 OR
) nicht Gebrauch machen will, den Eintritt in das Mietverhältnis eigenmächtig auf einen
BGE 98 II 294 S. 296
beliebigen späteren Zeitpunkt beschränken darf. Denn der Wille, das Mietverhältnis nicht über den 30. Juni 1972 hinaus fortzusetzen, wurde dem Gesuchsteller am 22. Dezember 1971 nicht nur vom Gesuchsgegner, sondern auch von den Veräusserern der Mietsache kundgegeben. Die Kündigung seitens der Erben Stanka, die damals noch Eigentümer der Liegenschaft waren und die Stellung von Vermietern hatten - und übrigens auch nach dem 31. Dezember 1971 noch an den Vertrag gebunden blieben (
Art. 259 Abs. 1 OR
;
BGE 82 II 529
) - war gültig. Sie hatte zur Folge, dass der Gesuchsteller am 31. Dezember 1971 beim Übergang der Mietsache auf den Gesuchsgegner nur noch im Genuss eines auf den 30. Juni 1972 gekündeten Mietverhältnisses stand. Nur in ein solches ist der Gesuchsgegner eingetreten. Die Beschränkung seines Eintrittes für die Zeit bis zum 30. Juni 1972 war deshalb gültig.
Das Begehren des Gesuchstellers, die "Kündigung" vom 22. Dezember 1971 "aufzuheben", eventuell festzustellen, dass sie "nichtig und rechtsunwirksam" sei, ist daher abzuweisen. Bei diesem Ergebnis braucht nicht entschieden zu werden, ob der Gesuchsgegner das Mietverhältnis schon kündigen durfte, bevor er Eigentümer der Liegenschaft war.
6.
Das Mietverhältnis darf nicht erstreckt werden, "bei Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte" (
Art. 267c lit. c OR
).
Der Gesuchsteller macht geltend, ob Eigenbedarf des Vermieters vorliege, beurteile sich nach den Bedürfnissen der Erben Stanka, nicht nach den Bedürfnissen des Gesuchsgegners, denn der Inhalt des Mietvertrages habe nicht gegen den Willen des Gesuchstellers geändert werden können und sei auch durch
Art. 259 OR
nicht geändert worden; könnte der Gesuchsgegner Eigenbedarf anrufen, so wäre die Lage des Gesuchstellers als Vertragspartei verschlechtert und könnten die Mieterschutzbestimmungen umgangen werden; der Sinn und Zweck dieser Normen verbiete dem Erwerber der Liegenschaft, sich auf seine eigenen Bedürfnisse zu berufen.
Der Anspruch auf Erstreckung des Mietverhältnisses, den Art. 267a gewährt und
Art. 267c OR
in gewissen Fällen ausschliesst, beruht nicht auf einer Vereinbarung zwischen dem Vermieter und dem Mieter, sondern ist die gesetzliche Folge des Bestehens eines Mietverhältnisses. Im Falle eines Vertragsüberganges braucht daher der Mieter nicht einverstanden zu
BGE 98 II 294 S. 297
sein, dass sich die Frage des Eigenbedarfes nach den Bedürfnissen des neuen Vermieters statt wie bisher nach denen des ursprünglichen beurteile. Er kann nur mit dem Übergang des Mietverhältnisses als Ganzes einverstanden sein oder ihn als Ganzes ablehnen. Erhebt er gegenüber dem Erwerber der Mietsache Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses, so hat er dem Übergang zugestimmt und hat damit den Erwerber als neuen Vermieter anerkannt.
Damit hat er gelten zu lassen, dass die Frage der Zulässigkeit der Erstreckung der Miete nach den Verhältnissen beurteilt werde, die durch die Beziehungen zum neuen Vermieter geschaffen wurden. Das Recht des Mieters, einen Mietvertrag erstrecken zu lassen, bringt eine Beschränkung des Verfügungsrechtes über das Eigentum mit sich (BBl 1968 II 858). Es richtet sich immer gegen den Eigentümer. Die Rechte eines Dritten, der nicht mehr Eigentümer ist, werden durch dasselbe in keiner Weise mehr betroffen. Mit der Übertragung der Mietsache auf den neuen Eigentümer hört der Eigenbedarf des Veräusserers für sich selbst auf und kann auch für seine nahen Verwandten oder Verschwägerten keine Rolle mehr spielen. Nur noch die Bedürfnisse des neuen Eigentümers für sich, seine nahen Verwandten oder Verschwägerten sind massgebend dafür, ob der Eingriff in das Eigentum, die Erstreckung des Mietverhältnisses, sich rechtfertige oder nicht. Der Umstand, dass der Veräusserer der Sache gemäss
Art. 259 Abs. 1 OR
zur Erfüllung des Vertrages oder zu Schadenersatz verpflichtet bleibt, ändert nichts. Diese Verpflichtung reicht nicht weiter als das vertraglich abgegebene Versprechen des Veräusserers. Sie kann nicht gemäss Art. 267a ff. erstreckt werden, und wenn das Mietverhältnis gegenüber dem Erwerber der Sache erstreckt wird, haftet der Veräusserer für die Erfüllung während der Dauer dieser Erstreckung nicht.
Zu einer andern Beurteilung gibt auch der Einwand nicht Anlass, die Mieterschutzbestimmungen könnten umgangen werden, wenn die Frage des Eigenbedarfes nicht nach den Bedürfnissen des Veräusserers beurteilt würde. Diese Normen wollen den
Art. 259 OR
und das Recht des Eigentümers, die Sache zu veräussern, nicht aufheben. Der Mieter hat die Veräusserung und ihre Folgen hinzunehmen. Wenn und soweit der Erwerber vertraglich in das Mietverhältnis eingetreten ist oder den Mieter kraft des Art. 259 Abs. 2 in der Miete belassen
BGE 98 II 294 S. 298
muss, hat der Mieter ihn als neuen Vermieter gelten zu lassen und kann ihm gegenüber allenfalls die in Art. 267a ff. vorgesehene Erstreckung verlangen. Darin erschöpft sich sein Schutzrecht, wenn die Veräusserung der Mietsache gültig ist. In Fällen blosser Simulation ist die Veräusserung dagegen auch dem Mieter gegenüber als ungültig zu behandeln und sind folglich dessen Schutzrechte wiederum nicht beeinträchtigt. Im vorliegenden Falle ist Simulation jedoch weder festgestellt noch behauptet.
7.
Der Gesuchsteller bestreitet den Eigenbedarf des Gesuchsgegners mit dem Einwand, die kantonalen Instanzen hätten über dessen Behauptung nicht Beweis geführt.
Wenn dies zuträfe, wäre
Art. 8 ZGB
verletzt, der dem Richter verbietet, die Behauptung einer Partei unbesehen als wahr hinzunehmen (
BGE 43 II 559
,
BGE 46 II 348
,
BGE 71 II 127
,
BGE 75 II 103
). Die Feststellung des Appellationshofes, der Gesuchsgegner benötige das Ladenlokal als Kunsthandlung für eigene Bedürfnisse und den ersten und zweiten Stock wolle er langjährigen Mitarbeitern zur Verfügung stellen, auf deren Dienste er angewiesen sei, beruht jedoch nicht auf blosser Hinnahme einer unüberprüften Parteibehauptung, sondern auf einer Beweisführung, nämlich auf Aussagen des Gesuchsgegners im Parteiverhör, das vom kantonalen Prozessrecht auch im summarischen Verfahren als Beweismittel anerkannt wird (
Art. 212, 273 ff., 306 ZPO
). Da das Bundesgericht als Berufungsinstanz an die Feststellungen des kantonalen Richters über tatsächliche Verhältnisse gebunden ist, wenn sie nicht in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind oder offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG), hat es diese Aussagen nicht auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen.
8.
Dass der Appellationshof den Rechtsbegriff des Eigenbedarfs des Gesuchsgegners verkannt habe, macht der Gesuchsteller nicht geltend. Er verlangt auch nicht, dass das Mietverhältnis wenigstens in bezug auf den ersten und zweiten Stock zu erstrecken sei, weil der Gesuchsgegner diese Teile der Liegenschaft nicht persönlich benützen, sondern langjährigen Mitarbeitern, auf deren Dienste er angewiesen ist, zur Verfügung stellen will. Nach den Akten ist vielmehr anzunehmen, dass er das Mietverhältnis nur in bezug auf die ganze Mietsache oder dann überhaupt nicht erstreckt wissen will, weil er vor
BGE 98 II 294 S. 299
allem am Ladenlokal interessiert und eine Aufteilung der Räumlichkeiten, wie der Appellationshof feststellt, nicht möglich ist. Das Bundesgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob in analoger Anwendung von
Art. 20 Abs. 2 OR
eine Teilerstreckung möglich wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 20. April 1972 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3cee734-17a0-4404-a3f3-ed912e122c53 | Urteilskopf
86 IV 180
45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Juni 1960 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
.
Vernachlässigung der Unterstützungspflicht gegenüber einem nach
Art. 258 ZGB
legitimierten Kinde. Kann der Kassationshof bei Bestreitung der Abstammung des Kindes vom unterhaltspflichtigen Registervater die Rechtsgültigkeit der Ehelicherklärung vorfrageweise überprüfen? | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 86 IV 180 S. 181
X. wurde durch Scheidungsurteil des Zivilgerichtes Basel-Stadt vom 23. Mai 1958 verpflichtet, an den Unterhalt des am 6. Dezember 1952 geborenen Kindes Y. bis zu dessen vollendetem 12. Altersjahr Fr. 70.- und sodann bis zum 18. vollendeten Altersjahr Fr. 90.- monatlich zu bezahlen sowie die jeweilige Kinderzulage zu entrichten. Das Kind war vorehelich geboren, jedoch anlässlich der Trauung des X. mit der Kindsmutter am 19. Dezember 1952 auf Grund der von ihnen gemeinsam abgegebenen Erklärung, dass er der Vater sei, ehelich erklärt und in das Legitimationsregister eingetragen worden.
Seit dem 6. Juni 1958 weigerte sich X., die ihm gerichtlich auferlegten Unterhaltsbeiträge zu bezahlen, weil er nicht der Vater des Kindes sein könne. Er gab, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen, seine feste Anstellung auf und arbeitete in der Folge nur unregelmässig.
Auf Antrag der Vormundschaftsbehörde von Basel-Stadt verurteilte der Ausschuss des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt X. am 21. Oktober 1959 wegen Vernachlässigung der Unterstützungspflicht zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von 42 Tagen Gefängnis.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2.
Nach
Art. 258 ZGB
wird ein aussereheliches Kind von Gesetzes wegen ehelich, wenn die Eltern einander heiraten.
Daraus folgt als erstes, dass die Legitimationswirkung ipso iure mit der Eheschliessung der Eltern eintritt, unbekümmert darum, ob diese der Pflicht zur Anmeldung der
BGE 86 IV 180 S. 182
gemeinsamen ausserehelichen Kinder gemäss
Art. 259 Abs. 1 ZGB
nachkommen oder nicht; ihrer Erklärung kommt nicht konstitutive, sondern bloss deklaratorische Bedeutung zu (
Art. 259 Abs. 2 ZGB
;
BGE 40 II 298
,
BGE 74 I 73
/4). Zum anderen ergibt sich aus
Art. 258 ZGB
, dass die Ehelicherklärung nur erfolgt, wenn die aussereheliche Mutter den Vater des Kindes heiratet, die Eheschliessenden somit dessen natürliche Eltern sind. Fehlt es trotz anderslautender Erklärung der Nupturienten an dieser Voraussetzung, dann führt der Eheschluss materiell zu keiner gültigen Legitimation (
BGE 40 II 298
). Mangels eigener Kognition des Zivilstandsbeamten über die Elternschaft (EGGER, Kommentar, N. 20 zu
Art. 39 ZGB
und N. 3 zu
Art. 258 ZGB
; HEGNAUER, Kommentar, N. 20 zu Art. 258/259; SILBERNAGEL, Kommentar, N. 3 zu Art. 259) wird jedoch die Ehelicherklärung im Legitimationsregister eingetragen und dadurch ein Rechtsschein erzeugt, der bis zu seiner Beseitigung die Wirkungen einer materiell gültigen Legitimation zeitigt und auch für den Strafrichter verbindlich ist. Ob dieser Rechtsschein im Weg der einredeweisen Bestreitung, im Berichtigungsverfahren (
Art. 45 ZGB
), durch negative Feststellungsklage oder bloss durch Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes gemäss
Art. 262 ZGB
entkräftet werden kann, hängt von der Natur des geltend gemachten Mangels ab. (Es folgen Ausführungen darüber, dass zu unterscheiden ist zwischen Mängeln, die Nichtigkeit und solchen die blosse Anfechtbarkeit zur Folge haben, dass im letzteren Falle die Ehelicherklärung bloss mit der innert der Verwirkungsfrist von drei Monaten anzuhebenden Statusklage nach
Art. 262 ZGB
angefochten werden kann, was der Beschwerdeführer unterlassen hat, dass dagegen Nichtigkeitsgründe ausser durch Klage - zumindest vor dem Zivilrichter - jederzeit auch einredeweise geltend gemacht werden können, bei Nichtabstammung des Kindes vom Registervater die Nichtigkeitsfolge aber eher abzulehnen ist.) Indessen braucht die Frage, ob der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Mangel wirklich
BGE 86 IV 180 S. 183
einen Nichtigkeitsgrund darstelle, nicht entschieden zu werden. Selbst wenn sie zu bejahen wäre und daher die Rechtsgültigkeit der Legitimation heute noch bestritten werden könnte, wäre auf die Einrede des Beschwerdeführers nicht einzutreten. Zwar hat das Bundesgericht in wiederholten Entscheidungen sich bei Beurteilung von Beschwerden aus
Art. 44 und 45 BV
auf Ausfolgung eines Heimatscheines als befugt erachtet, auch die Rechtsgültigkeit und die Wirkungen gewisser den Familienstand beeinflussender Vorgänge (z.B. der Ehelicherklärung) zu beurteilen, wenn der daraus hergeleitete bestimmte Familienstand lediglich auf Zivilstandsakten gestützt wurde, die noch als ungesetzlich angefochten werden konnten (
BGE 35 I 674
,
BGE 45 I 159
,
BGE 49 I 29
,
BGE 55 I 23
). Dass auch der Strafrichter unter dem Gesichtspunkte von
Art. 217 StGB
die Rechtsgültigkeit des der Unterstützungspflicht zugrunde liegenden familienrechtlichen Verhältnisses bei Behauptung eines Nichtigkeitsgrundes vorfrageweise überprüfen könnte, wäre damit nicht gesagt. Jedenfalls aber käme eine solche Überprüfung nur unter der einschränkenden Voraussetzung in Betracht, die in der angeführten Rechtsprechung zur Regel erhoben wurde. Mit Rücksicht auf die Möglichkeit eines auf Feststellung des familienrechtlichen Status gerichteten selbständigen Prozesses, hat der Staatsgerichtshof die Entscheidung solcher Vorfragen stets ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass die Unrichtigkeit des Registereintrages nach der Aktenlage ausser allem Zweifel stehe. An dieser Voraussetzung fehlt es hier offensichtlich. Es ist daher in jedem Fall von dem sich aus den Zivilstandsregistern ergebenden Familienstand des Kindes auszugehen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3d2ce39-36a0-4234-b79a-ebf3b3cb4e37 | Urteilskopf
119 IV 168
29. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 juin 1993 dans la cause X. c. F. et M.V. et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 268 Ziff. 1,
Art. 269 Abs. 1 BStP
; Zwischenentscheid, eidgenössisches Recht.
- Voraussetzungen der Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Zwischenentscheid (
Art. 268 Ziff. 1 BStP
) (E. 2).
- Das OHG ist eidgenössisches Recht im Sinne von
Art. 269 Abs. 2 BStP
(E. 3).
Art. 8 Abs. 1 OHG
,
Art. 12 Abs. 2 OHV
; Rechte des Opfers im Strafverfahren, Übergangsbestimmungen.
- Die Hauptverhandlung mit Parteivorträgen stellt eine "Verfahrenshandlung" im Sinne von
Art. 12 Abs. 2 OHV
dar (E. 4).
- Im Fall einer vorsätzlichen Tötung können sich die Eltern des Opfers nach Massgabe von
Art. 8 Abs. 1 OHG
am Strafverfahren beteiligen (E. 5).
-
Art. 8 Abs. 1 Satz 1 OHG
schreibt dem Grundsatze nach ein Recht des Opfers auf Beteiligung am Strafverfahren vor. Die Kantone haben die Form dieser Beteiligung näher zu regeln (E. 6a-d).
- Recht des Opfers, sich zu allen strafrechtlichen Fragen zu äussern, die Gegenstand eines kantonalen Rechtsmittelverfahrens bilden? Frage offengelassen (E. 6e). | Sachverhalt
ab Seite 169
BGE 119 IV 168 S. 169
A.-
Le 11 septembre 1992, la Cour d'assises du canton de Genève a condamné dame X. à une peine de 8 ans de réclusion pour un meurtre commis sur la personne de V. La Cour a réservé les droits des parties civiles (M.V. et F.V., les père et mère de la victime).
X. a saisi la Cour de cassation genevoise d'un recours. A l'ouverture de l'audience de plaidoirie du 13 janvier 1993, les parents de la victime ont demandé de pouvoir répondre par écrit au recours de l'accusée et ont demandé le renvoi de l'audience de plaidoirie. Ils se fondaient sur la Loi fédérale sur l'aide aux victimes d'infractions du 4 octobre 1991 (LAVI, entrée en vigueur le 1er janvier 1993; RO 1992 p. 2465, à publier au RS 312.5).
B.-
Par un arrêt du 25 janvier 1993, la Cour de cassation genevoise a admis l'intervention des parties civiles à la procédure, leur a communiqué les écritures déposées par la recourante dans le cadre de son pourvoi et a fixé aux parties civiles un délai au 15 février 1993 pour expédier leur mémoire.
C.-
X. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Elle demande l'annulation de l'arrêt du 25 janvier 1993 et le renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision.
BGE 119 IV 168 S. 170
La recourante requiert l'assistance judiciaire. Elle a également sollicité l'octroi de l'effet suspensif.
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
a) Aux termes de l'
art. 268 ch. 1 PPF
, le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral est recevable contre les jugements qui ne peuvent pas donner lieu à un recours de droit cantonal pour violation du droit fédéral. D'après la jurisprudence, on entend par jugements non seulement ceux par lesquels l'autorité statue sur l'ensemble de la cause, mais aussi les décisions préjudicielles ou incidentes qui tranchent des questions préalables de droit fédéral. Ne constituent pas des jugements, au sens de cette disposition, les ordonnances sur la marche de la procédure (décision sur l'admissibilité d'un moyen de preuve, par exemple). En conséquence, la recevabilité d'un pourvoi en nullité contre une décision préjudicielle ou incidente, émanant d'une autorité cantonale de dernière instance, présuppose que cette dernière se soit prononcée définitivement sur un point de droit fédéral déterminant, sur lequel elle ne pourra pas revenir (
ATF 111 IV 191
et la jurisprudence citée).
b) La cour cantonale de cassation a considéré, dans sa décision incidente, que d'après les
art. 8 LAVI
, en liaison avec l'art. 12 al. 2 de l'Ordonnance sur l'aide aux victimes d'infractions (OAVI, RO 1992, p. 2479, à publier au RS 312.51), l'intervention des parents de la victime en tant que parties à la procédure devait être admise.
La jurisprudence relative à l'
art. 87 OJ
permet de s'écarter, à titre exceptionnel, du principe de l'irrecevabilité des recours de droit public contre une décision incidente lorsque sont en cause des questions d'organisation de la procédure qui, par leur nature, exigent une solution définitive avant la poursuite du procès (
ATF 116 Ia 183
consid. a et la jurisprudence citée). Ainsi, la condition restrictive de l'
art. 87 OJ
- dommage irréparable pour l'intéressé - n'est en principe pas applicable à des décisions sur la composition ou la compétence d'un tribunal, s'agissant de questions qui doivent être tranchées définitivement, sans attendre la poursuite du procès (
ATF 115 Ia 311
). Les cas doivent être examinés à la lumière des principes de l'efficacité de la justice, de l'économie de procédure et de la sauvegarde des intérêts de toutes les parties. Par exemple, la question de la récusation d'un expert en matière de brevets d'invention a été examinée sans attendre le jugement de l'ensemble de la cause (
ATF 97 I 1
). De
BGE 119 IV 168 S. 171
même, malgré son caractère incident, une décision déterminant le rôle des parties dans un procès en nullité de brevet a pu faire l'objet d'un recours de droit public recevable (
ATF 94 I 199
).
Cette jurisprudence peut être appliquée ici par analogie. Le pourvoi est donc recevable contre la décision attaquée malgré son caractère incident.
3.
Le pourvoi en nullité n'est recevable que pour violation du droit fédéral (
art. 269 al. 1 PPF
). L'intervention des parties civiles dans la procédure a été admise en application de la LAVI. La recourante soutient que cette loi a été violée par l'autorité cantonale. Il s'agit d'une question d'application d'une loi fédérale, si bien que le pourvoi est également recevable sous cet angle.
L'
art. 270 al. 1 PPF
prévoit que l'accusé notamment peut se pourvoir en nullité. Sur ce point aussi, le pourvoi est recevable.
4.
La LAVI, entrée en vigueur le 1er janvier 1993, est dépourvue de dispositions transitoires. D'après l'
art. 12 al. 2 OAVI
, les règles relatives à la protection et aux droits de la victime dans la procédure pénale (art. 5 à 10 LAVI) sont applicables à "tous les actes de procédure accomplis après l'entrée en vigueur de la LAVI". Il s'ensuit que, sur le plan du droit intertemporel, la cour de cassation cantonale n'a pas violé le droit fédéral en appliquant l'
art. 8 LAVI
. En effet, cette autorité a considéré avec raison que la procédure était encore en cours puisque l'audience de plaidoirie n'avait pas pu se tenir avant le 1er janvier 1993.
D'après l'arrêt attaqué, la solution eût été sans doute différente si l'audience de plaidoirie s'était tenue avant le 1er janvier 1993; alors, la cour aurait gardé l'affaire à juger avant de rendre sa décision, étape durant laquelle la procédure aurait pu être considérée comme achevée.
L'argumentation de la recourante sur ce point n'est pas convaincante. Elle soutient que la portée de l'audience de plaidoirie est réduite, car le plaideur ne peut pas développer d'autres moyens que ceux qui se trouvent déjà dans son mémoire, si bien qu'en pratique les parties se bornent à persister dans leurs conclusions. Ces arguments ne permettent cependant pas de conclure que l'audience de plaidoirie ne constitue nullement un "acte de procédure", au sens de l'
art. 12 al. 2 OAVI
, qui devait encore être accompli après l'entrée en vigueur de la LAVI.
De même, le renvoi de l'audience de plaidoirie du 22 décembre 1992 demandé, à son insu, par les avocats de l'accusée ne change rien au fait que cette audience a été reportée. Rien n'indique que la
BGE 119 IV 168 S. 172
recourante ait fait valoir, dans la procédure cantonale, que ce report était contraire au droit.
Ainsi, puisqu'il restait à tenir l'audience de plaidoirie après l'entrée en vigueur de la LAVI, le pourvoi est mal fondé dans la mesure où la recourante se fonde sur le droit intertemporel pour soutenir que la LAVI est inapplicable ici.
5.
Aux termes de l'
art. 2 al. 1 LAVI
, cette loi s'applique en premier lieu à toute personne qui a subi, du fait d'une infraction, une atteinte directe à son intégrité corporelle, sexuelle ou psychique. Selon l'arrêt de la Cour d'assises du canton de Genève qui fait l'objet du recours cantonal devant la Cour de cassation genevoise, la recourante s'est rendue coupable de meurtre sur la personne de V.; il s'agit d'un comportement portant atteinte à l'intégrité physique de la victime au sens de la disposition légale précitée.
D'après l'
art. 2 al. 2 let. b LAVI
, pour ce qui est des droits dans la procédure et des prétentions civiles, les père et mère notamment sont assimilés à la victime dans la mesure où ces personnes peuvent faire valoir des prétentions civiles contre l'auteur de l'infraction.
En conséquence, sous cet angle, les parents de la victime pouvaient intervenir comme parties dans la procédure pénale en application de l'
art. 8 LAVI
, ce que la recourante ne conteste d'ailleurs pas.
6.
Selon l'argumentation présentée, l'
art. 8 LAVI
aurait été appliqué à tort car, d'une part, une loi cantonale d'application de la LAVI fait défaut pour le moment et, d'autre part, l'arrêt à intervenir de la Cour de cassation genevoise n'aura pas d'effet sur les prétentions civiles, puisque la recourante ne demande pas son acquittement mais une qualification juridique différente de l'infraction (homicide par négligence).
a) Aux termes de l'
art. 8 al. 1 LAVI
, la victime peut intervenir comme partie dans la procédure pénale. Elle peut faire valoir ses prétentions civiles (let. a); elle peut aussi former contre le jugement les mêmes recours que le prévenu, si elle était déjà partie à la procédure auparavant et dans la mesure où cette sentence touche ses prétentions civiles ou peut avoir des effets sur le jugement de ces dernières.
b) En premier lieu, il est clair qu'il ne s'agit ici ni du droit des parties civiles de faire valoir leurs prétentions civiles, ni de celui de former un recours contre la décision de la Cour d'assises du canton de Genève. Cette autorité a réservé les droits de la partie civile et ce point n'a pas été remis en cause devant la Cour de cassation genevoise; il n'est pas l'objet de la procédure cantonale pendante devant
BGE 119 IV 168 S. 173
l'autorité genevoise de recours. Celle-ci n'a pas non plus reconnu après coup aux parties civiles le droit de former elles-mêmes un recours en cassation; au contraire, elle a considéré qu'elles se trouvaient dans la situation d'une "partie adverse" au sens de l'art. 349 du Code de procédure pénale genevois et un délai leur a été imparti selon l'art. 347 du même code pour répondre au mémoire de la recourante. Ainsi, seul le droit général de la victime (ou de ses père et mère) d'intervenir dans la procédure pénale est en cause ici.
c) Le message concernant la LAVI indique au sujet de l'art. 8 qu'en principe la compétence de régler la procédure pénale appartient, comme auparavant, aux cantons (FF 1990 II 933). Toutefois, un certain nombre de garanties minimales essentielles ont été prévues qui assurent, dans certaines limites, la participation de la victime à la procédure pénale; elles doivent en particulier lui permettre de faire valoir efficacement ses prétentions en dommages-intérêts et en réparation du tort moral. La forme de la participation de la victime à la procédure pénale n'a pas été précisée; selon les droits de procédure cantonaux, d'autres institutions que la constitution de partie civile peuvent être envisagées, telle l'intervention en qualité d'accusateur privé (FF 1990 II 935).
Comme le droit fédéral prévoit uniquement un droit général de la victime de participer à la procédure pénale, laissant aux cantons le soin d'en déterminer la forme, l'arrêt attaqué n'est pas contraire à la LAVI. La Cour de cassation a reconnu ce droit général aux père et mère de la victime. Sur ce point, il n'était pas nécessaire de disposer de règles d'application cantonales; cela était d'autant moins indispensable que le Code de procédure pénale genevois permet à toute personne lésée par une infraction poursuivie d'office de se constituer partie civile et que les art. 347 et 349 al. 2 prévoient des "autres parties" et des "parties adverses" auxquelles le droit de présenter des observations écrites et des dupliques est reconnu. La question de savoir si l'autorité cantonale de recours était fondée, en l'absence de règles cantonales d'application de la LAVI, à agir comme elle l'a fait (fixant la forme de la participation de la victime, ou de ses père et mère, en leur reconnaissant la qualité de "partie adverse" au procès) ou si une autre solution était préférable relève du droit cantonal. Elle échappe donc à la compétence de la cour de céans saisie d'un pourvoi en nullité (
art. 269 al. 1 PPF
).
d) Le seul point à résoudre est en l'espèce celui de savoir si la Cour de cassation genevoise était fondée à reconnaître, dans son principe, un droit aux intimés d'intervenir dans la procédure pénale. Il n'est
BGE 119 IV 168 S. 174
donc pas nécessaire d'examiner si l'arrêt que cette autorité devra rendre sur l'ensemble de la cause pourra avoir de l'importance aussi pour le jugement des conclusions civiles (voir
ATF 117 IV 274
consid. c et d, considérants relatifs à l'
art. 277quater al. 2 PPF
en liaison avec l'
art. 271 al. 2 PPF
où sont examinés des termes analogues à ceux de l'
art. 8 al. 1 let
. c LAVI). Cet examen n'est pas indispensable pour se prononcer sur le droit général d'intervenir dans la procédure pénale qui découle de la seule qualité de victime, telle qu'elle est définie à l'
art. 2 LAVI
.
e) Il n'est pas non plus nécessaire d'examiner si les intimés sont recevables à s'exprimer sans limites sur tous les aspects du droit pénal qui font l'objet du recours cantonal. A cet égard, il n'existe pas encore d'arrêt de la dernière instance cantonale contre lequel un pourvoi en nullité pourrait être formé. L'autorité cantonale de recours ne s'est notamment pas encore prononcée sur les mérites des arguments des intimés, dont la recourante suppose la nature. Dès lors, peut demeurer ouverte la question de savoir ce qui relève des garanties minimales offertes par l'
art. 8 LAVI
, donc du droit fédéral, et ce qui ressortit au droit cantonal; les réponses sur ces points permettront de distinguer les moyens recevables dans le cadre d'un pourvoi en nullité et ceux qui ne le sont pas.
Le pourvoi est rejeté, dans la mesure où il est recevable. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3d40373-0c6c-49c0-8652-0498a6f673ef | Urteilskopf
95 II 1
1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Februar 1969 i.S. Erben des Emil Güdel gegen Schweizerische Stiftung für das Pferd und Konsorten. | Regeste
Eigenhändiges Testament, Ort der Errichtung (
Art. 505 Abs. 1 ZGB
).
Anzugeben ist die Ortschaft, in welcher das Testament errichtet wird. Die Richtigkeit dieser Angabe ist zu vermuten; sie kann auch durch ausserhalb des Testamentes liegende Tatsachen widerlegt werden. (Erw. 1).
Auch wenn es mehrere gleich benannte Ortschaften gibt, genügt die Angabe des Ortsnamens jedenfalls dann, wenn der wahre Ort feststeht oder sich mit Sicherheit ermitteln lässt. Es braucht kein engerer geographischer Raum oder administrativer Bezirk als die Territorialgemeinde irgendwelcher Art und Benennung angegeben zu werden (Orts-, Einwohner-, Munizipalgemeinde, politische Gemeinde usw.). Genügt unter Umständen sogar eine weiter gefasste Angabe (Landesgegend, Reisestrecke und dergleichen)? Frage offen gelassen. (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 95 II 1 S. 2
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der im Jahre 1883 geborene Emil Güdel ist am 21. Dezember 1965 in seinem Wohnhaus in Halden bei Neukirch an der Thur, Bezirk Bischofszell, gestorben. Er hat ein vom 28. Juli 1965 datiertes eigenhändiges Testament hinterlassen, wonach die gesetzlichen Erben - Verwandte des grosselterlichen Stammes - von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen werden und das ganze Vermögen zu gleichen Teilen elf Institutionen, den Beklagten, zugewendet wird. Die am Fusse des Testaments vor der Unterschrift stehende Datierung lautet: "Halden, 28. Juli 1965."
B.-
Ursprünglich elf gesetzliche Erben fochten das Testament wegen Formmangels und Verfügungsunfähigkeit des Erblassers an.
C.-
Sowohl das Bezirksgericht Bischofszell wie auch das Obergericht des Kantons Thurgau wiesen die Klage ab.
D.-
Gegen das obergerichtliche Urteil haben zehn Kläger Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Sie wiederholen die Anträge auf Ungültigerklärung des Testaments und Teilung der Erbschaft.
E.-
Die Beklagten beantragen Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 505 Abs. 1 ZGB
ist die eigenhändige letztwillige Verfügung vom Erblasser von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben, sowie mit seiner
BGE 95 II 1 S. 3
Unterschrift zu versehen. Werden diese Formvorschriften verletzt, so muss die Verfügung nach
Art. 520 Abs. 1 ZGB
auf Klage für ungültig erklärt werden.
Dieser Vorschrift genügt in formeller Beziehung die Angabe des Ortes, wie sie üblicherweise bei Datierungen in Verbindung mit der Zeitangabe geschieht. "Ort" in diesem Sinne ist gleichbedeutend mit "Ortschaft", und diesem Begriff entspricht die vorliegende Angabe "Halden" durchaus. Denn es ist unbestritten und steht, wie das Obergericht ausführt, angesichts der Lebensumstände des Erblassers ausser Zweifel, dass er das Testament vom 28. Juli 1965 an dem erwähnten Wohnort errichtet hat, einer Ortsgemeinde mit eigener Post und Primarschule.
Nach der Rechtsprechung muss die Orts- ebenso wie die Zeitangabe wahr sein. Zur äussern Form muss also die inhaltliche Richtigkeit treten; jedenfalls ist eine bewusst unrichtige Angabe zu verpönen. Der Wortlaut des Gesetzes legt es denn auch nahe, die Datierung des Testaments mit Einschluss der Ortsangabe nicht bloss als leere Form zu betrachten, sondern eine wahre Bescheinigung von Ort und Zeit der Errichtung in der Testamentsurkunde zu verlangen (vgl.
BGE 50 II 6
; W. BURCKHARDT, Über die Form des eigenhändigen Testamentes, ZbJV 72 S. 381 ff.: Besprechung des Buches von F. VON HIPPEL, Formalismus und Rechtsdogmatik, der sich auf S. 41 ff. zum Erfordernis der Angabe von Zeit und Ort ausspricht). Diese Richtigkeit ist aber zu vermuten; die Testamentsurkunde braucht darüber nichts auszusagen. Im Zweifelsfalle können äussere Tatsachen als Indizien für und gegen die Richtigkeit ins Feld geführt und vom Richter gewürdigt werden (vgl.
BGE 75 II 345
zum Nachweis der Unrichtigkeit der Zeitangabe; TUOR, 2. A., N 21 a). Beim vorliegenden Testament ist, wie bemerkt, ein solcher Zweifel nicht am Platze und denn auch von den Klägern selbst nicht geäussert worden.
2.
Die Kläger halten indessen dafür, die Ortsangabe des Testaments entbehre der erforderlichen Genauigkeit. Sie lasse nämlich den von der Rechtsprechung (
BGE 64 II 410
) verlangten Hinweis auf die politische Gemeinde, zu welcher der Errichtungsort gehört, vermissen, und diese Gemeinde sei auch aus dem übrigen Testamentsinhalt nicht zu ersehen. Der Errichtungsort Halden gehöre zur politischen Gemeinde (Munizipalgemeinde) Neukirch. Diesem Einwand begegnet das Obergericht
BGE 95 II 1 S. 4
mit der Feststellung, Halden bilde als Ortsgemeinde auch schon selber eine politische Gemeinde. Es habe daher keines weitern Hinweises bedurft.
Der von den Klägern eingenommene Standpunkt ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen:
a) InBGE 64 II 410wurde offen gelassen, "welches die am weitesten gefasste Ortsbezeichnung ist, die ... noch genügt, ob z.B. die Angabe einer Landesgegend oder einer Reisestrecke hinreichend wäre". Als "engsten geographischen Raum" aber, welchen "das Gesetz unter dem Begriff des Ortes höchstens verstanden haben will", habe man die politische Gemeinde zu betrachten. Das will nun keineswegs heissen, die den Errichtungsort bildende oder umschliessende politische Gemeinde müsse im Testamente genannt sein oder sich mindestens daraus ergeben. Vielmehr besagt jene Urteilsstelle nur, die Angabe der politischen Gemeinde bezeichne den Ort der Errichtung auf alle Fälle hinreichend genau; es brauche nicht die engere Örtlichkeit (Weiler, Quartier, Strasse) angegeben zu sein (vgl. die zutreffende Deutung des Urteils durch IMOBERSTEG, Das Datum im eigenhändigen Testament, Diss. Bern 1956 S. 89). Im Falle des Präjudizes war das Testament im Dorfe Zollikon errichtet worden, wo die Erblasserin einige Stunden verweilte; sie datierte das Testament aber mit "Zollikerberg, den ..." entsprechend ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Die unrichtige Quartierangabe konnte unter solchen Umständen als unschädlich betrachtet werden, weil sich der Zollikerberg ebenso wie das Dorf Zollikon im Gebiete der politischen Gemeinde Zollikon befindet. Um so mehr erweist sich die vorliegende, völlig zutreffende Ortsangabe als einwandfrei, zumal da die geographische Lage des hier in Frage stehenden Ortes "Halden" und damit auch die den Errichtungsort bildende politische Gemeinde feststeht, gleichgültig ob dies nun "Halden" selbst (wie das Obergericht annimmt) oder die diesen Ort umschliessende Munizipalgemeinde Neukirch ist (wie die Kläger annehmen).
b) Welche dieser beiden Auffassungen zutreffe, ist somit nicht entscheidend. Das Bundesgericht könnte übrigens als Berufungsinstanz die auf kantonalem Recht beruhende Betrachtungsweise des Obergerichts in diesem Punkte nicht überprüfen (
Art. 43 OG
). Immerhin sei bemerkt, dass sie sich gewiss auf § 45 der Thurgauer Kantonsverfassung stützen lässt, wonach die Ortsgemeinden im allgemeinen die Grundlage für die
BGE 95 II 1 S. 5
Gebietseinteilung bilden. Damit stimmt § 1 Abs. 2 des thurgauischen Gesetzes über die Organisation der Gemeinden und das Bürgerrecht vom 4. April 1946 überein. Nach § 6 dieses Gesetzes ist die Ortsgemeinde Trägerin des Bürgerrechts und Verwalterin örtlicher Aufgaben, soweit diese nicht der Munizipalgemeinde zugeschieden sind. GIACOMETTI (Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone S. 83) bezeichnet sie als Abart der politischen Gemeinde. Ob man bei der Eigenart des thurgauischen Gemeindewesens (vgl. BÖCKLI, Thurgauische und eidgenössische Verfassungskunde S. 43 ff.; BÜRGI, Organisation und Finanzhaushalt einer dezentralisierten Gemeinde, ZBl 1941 S. 145 ff.) von einer politischen Gemeinde schlechthin sprechen kann, läuft wohl eher auf eine terminologische Frage hinaus.
Wie dem aber auch sein mag, entspricht eine wahre Angabe des Errichtungsortes im eigenhändigen Testamente dem
Art. 505 ZGB
auf alle Fälle dann, wenn die Lage dieses Ortes von vornherein feststeht oder sich auf irgendeine Weise mit Sicherheit ermitteln lässt. Eine strengere Auffassung wird vom Gesetz nicht gefordert und würde auch den modernen Strömungen widersprechen, wie sie in der Literatur zum Ausdruck gelangen. Eine formalistische Anwendung des
Art. 505 Abs. 1 ZGB
wird in diesem Punkte mit Recht bekämpft unter Hinweis auf die in gleicher Richtung gehende Entwicklung in unsern Nachbarländern (vgl. ESCHER 3.A. N 19 ff. und TUOR 2.A. N 17 und 19 ff. zu
Art. 505 ZGB
; COTTIER, Le testament olographe en droit suisse, Diss. Lausanne 1960 S. 69 ff. und 153). Es ist daher nicht von der milden Auslegung abzugehen, wie sieBGE 64 II 410der Formvorschrift des
Art. 505 ZGB
zuteil werden lässt. Wenn hiebei von der politischen Gemeinde als dem engsten geographischen Raum gesprochen wird, der in der Angabe des Errichtungsortes "höchstens" ausgedrückt werden müsse, so ist dies übrigens nicht in einem streng verfassungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Gemeint ist eine Territorialgemeinde irgendwelcher Art und Benennung; diesem Begriff entspricht die thurgauische Ortsgemeinde ebensogut wie die mehrere Ortsgemeinden umfassende Munizipalgemeinde.
Ob auch eine weiter gefasste Ortsangabe (Landesgegend, Reisestrecke), namentlich etwa bei einer Testamentserrichtung unter besondern Umständen, ebenfalls noch genügen könnte, mag weiterhin offen bleiben.
c) Gänzlich unbegründet ist ferner die Bemängelung der
BGE 95 II 1 S. 6
Ortsangabe "Halden" wegen einer angeblich bestehenden Verwechslungsgefahr: Halden bei Neukirch werde nämlich bisweilen mit Halden bei Bischofszell verwechselt, wie denn das Obergericht in Übereinstimmung mit einem Schreiben des Notariats Neukirch den Wohnort des Erblassers, wo er starb, als "Halden bei Bischofszell" bezeichne. Allein abgesehen davon, dass über die Lage des Testamentserrichtungsortes Halden keine Zweifel obwalten, handelt es sich um zwei Bezeichnungen des gleichen Ortes. Es gibt im Bezirk Bischofszell nur eine Ortschaft Halden, eben die hier in Frage stehende. Die gebräuchliche Benennung "Halden bei Bischofszell" (statt "... bei Neukirch an der Thur") erklärt sich daraus, dass diese Ortschaft ungefähr in der Mitte zwischen Neukirch und Bischofszell liegt, mit diesem Orte unmittelbar durch eine Fahrstrasse verbunden ist und von dort aus postalisch bedient wird (vgl. die Landeskarte 1: 25'000 Bischofszell Blatt 1074 in Verbindung mit dem Schweizerischen Ortschaftenverzeichnis 1960 III des eidg. statistischen Amtes und dem Schweizerischen Ortslexikon von A. Jacot, 19. Auflage 1957).
d) Endlich ist dem Obergericht darin beizustimmen, dass der Erblasser keine Veranlassung hatte, die Ortsangabe "Halden" mit Rücksicht auf andere, ausserhalb des Bezirks Bischofszell liegende, gleich benannte Örtlichkeiten durch einen Zusatz näher zu umschreiben. Einmal handelte es sich eben um seinen Wohnort - ob er dort auch den zivilrechtlichen Wohnsitz hatte und polizeilich gemeldet war, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle -, und sodann sind die andern thurgauischen "Halden" nach Feststellung des Obergerichts blosse Gehöfte oder Teile von Ortsgemeinden (was sich auch aus den soeben am Ende von lit. c angeführten Auskunftsmitteln ergibt). Übrigens steht dahin, ob dem Erblasser die Existenz des einen oder andern dieser Orte bekannt war.
3.
Der weitere Anfechtungsgrund der Verfügungsunfähigkeit des Erblassers (
Art. 519 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
) wird vom Obergericht ebenfalls aus guten Gründen verneint ....
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 11. Juli 1968 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3d792d2-58be-4fda-8437-6fa9cc817f9b | Urteilskopf
138 II 524
36. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Zollverwaltung, Oberzolldirektion gegen X. und Y. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_743/2011 vom 19. September 2012 | Regeste
Art. 5 Abs. 4 und
Art. 190 BV
; Abkommen vom 2. Juli 1953 zwischen der Schweiz und Italien betreffend den Grenz- und Weideverkehr;
Art. 43 ZG
;
Art. 23 ZV
;
Art. 27 und 31 VRK
; Auslegung völkerrechtlicher Verträge; Normenkollision zwischen Völkerrecht und Landesrecht.
Zollvergünstigungen im Grenzbereich; Parallel- und Radialzone (E. 2); eine einseitig erweiterte nationale Abgabenbefreiung für den Grenzverkehr nach
Art. 43 Abs. 2 ZG
und
Art. 23 ZV
widerspricht dem Sinn und Zweck des schweizerisch-italienischen Grenzabkommens vom 2. Juli 1953 (E. 3 und 4); Vorrang des Völkerrechts (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 525
BGE 138 II 524 S. 525
A.
X. und Y. teilten der Zollkreisdirektion Schaffhausen am 17. Juni 2008 mit, sie beabsichtigten, in der italienischen Gemeinde A. (Provinz Sondrio) landwirtschaftliche Grundstücke zu kaufen, um diese selbst zu bewirtschaften. Sie ersuchten um eine Bestätigung, dass diese Grundstücke in der sog. Parallelzone liegen, d.h. in einem beiderseits entlang der Grenzlinie parallel verlaufendem Streifen von etwa 10 Kilometern, innerhalb dessen für Waren des landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs (insbesondere rohe Bodenerzeugnisse) die zollfreie Ein- und Ausfuhr gewährt ist (Art. 43 Abs. 2 des Zollgesetzes vom 18. März 2005 [ZG; SR 631.0] bzw. Art. 23 der Zollverordnung vom 1. November 2006 [ZV; SR 631.01]).
B.
Mit Schreiben vom 8. Januar 2009 beantwortete die Zollkreisdirektion Schaffhausen das Gesuch dahingehend, dass die betroffenen Grundstücke zwar nach nationalem Recht in der Parallelzone lägen, jedoch internationale Abkommen über den Grenzverkehr bestünden. Im einschlägigen Abkommen mit Italien werde die Grenzzone als Gebiet beidseitig der Grenze verstanden, welches - jeweils ab dem nächsten
Grenzübergang
gemessen - im Umkreis von etwa zehn Kilometern als sog. Radialzone die zollfreie Ein- und Ausfuhr für den Bewirtschaftungsverkehr zulasse. Gestützt auf die von X. und Y. eingereichten Unterlagen stellte die Zollkreisdirektion fest, dass die zum Erwerb beabsichtigten Grundstücke ausserhalb des im Staatsvertrag vorgesehenen begünstigten Grenzgebiets lägen: Zwar messe die Luftlinie zwischen der Landesgrenze und den betroffenen Grundstücken weniger als 8,5 Kilometer, doch betrage die massgebende Luftliniendistanz zwischen dem Grenzübergang B. und den Grundstücken mehr als zehn Kilometer. Die Zollkreisdirektion Schaffhausen bestätigte diesen Bescheid mit Verfügung vom 13. März 2009. Eine dagegen gerichtete Verwaltungsbeschwerde wies die Oberzolldirektion am 3. Juni 2010 ab.
C.
Mit Eingabe vom 1. Juli 2010 gelangten X. und Y. an das Bundesverwaltungsgericht und verlangten, die Verfügung der Oberzolldirektion aufzuheben. Sie beantragten, es sei festzustellen, dass sich die streitbetroffenen Grundstücke in der Grenzzone im Sinne von der in
Art. 43 Abs. 2 ZG
bzw.
Art. 23 ZV
definierten Parallelzone befänden; entsprechend seien die auf ihnen produzierten rohen Bodenerzeugnisse als zollbefreit anzusehen. Das Bundesverwaltungsgericht hiess ihre Beschwerde am 15. Juli 2011 gut, soweit es darauf eintrat; es hob den Entscheid der Oberzolldirektion auf und
BGE 138 II 524 S. 526
begründete seinen Entscheid mit dem Vorrang des nationalen Rechts (Zollgesetz).
D.
Die Oberzolldirektion (OZD) beantragt vor Bundesgericht, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und ihren Beschwerdeentscheid vom 3. Juni 2010 zu bestätigen. Sie macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe Bundes- resp. Völkerrecht verletzt, indem sie das Abkommen vom 2. Juli 1953 zwischen der Schweiz und Italien betreffend den Grenz- und Weideverkehr (SR 0.631.256.945.41; nachfolgend als Grenzabkommen bezeichnet) nicht berücksichtigt bzw. zu Unrecht die nur subsidiär geltenden
Art. 8 Abs. 2 lit. j und
Art. 43 ZG
i.V.m.
Art. 23 ZV
angewendet habe.
X. und Y. beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat darauf verzichtet, sich vernehmen zu lassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt das angefochtene Urteil auf und bestätigt den Entscheid der Oberzolldirektion vom 3. Juni 2010.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist im vorliegenden Verfahren die Auslegung des Grenzabkommens zwischen der Schweiz und Italien sowie die damit verbundene Frage des anwendbaren Rechts. Die Beschwerdeführerin versteht das Abkommen in dem Sinn, dass es für die zollbefreiten Grenzgebiete Radialzonen vorsieht, welche die Zollvergünstigungen im Bereich von 10 Kilometern gemessen ab der nächsten
Zollstrasse
(wobei darunter auch kleinere Wege fallen) gewähren; sie erachtet eine gleichzeitige Anwendung des Zollgesetzes und der darin vorgesehenen Zollbefreiung über den gesamten Grenzverlauf (Parallelzone;
Art. 43 Abs. 2 ZG
) als ausgeschlossen. Demgegenüber machen die Beschwerdegegner, insbesondere gestützt auf den Wortlaut des Grenzabkommens, geltend, dass dieses - in ähnlicher Weise wie
Art. 43 Abs. 2 ZG
- Zollbefreiungen im Rahmen von Parallelzonen 10 Kilometer entlang des gesamten Grenzverlaufs vorsehe. Bestehe eventuell zwischen dem Staatsvertrag und dem nationalen Recht tatsächlich ein die gleichzeitige Anwendung ausschliessender Normkonflikt, so gehe das nationale Recht vor.
3.
3.1
Die Auslegung von Staatsverträgen richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VRK; SR 0.111). Für die Schweiz ist
BGE 138 II 524 S. 527
die Wiener Vertragsrechtskonvention am 6. Juni 1990 in Kraft getreten; als völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Interpretationshilfe entfalten die in ihr festgehaltenen Auslegungsregeln (
Art. 31 ff. VRK
) jedoch auch für die Zeitspanne vor ihrem Inkrafttreten gewohnheitsrechtliche Bindung (
Art. 4 VRK
;
BGE 122 II 234
E. 4c S. 238; FRÉDÉRIC DOPAGNE, in: Les Conventions de Vienne sur le droit des traités, Commentaire article par article, Corten/Klein [Hrsg.], 2006, N. 21 zu
Art. 4 VRK
; vgl. auch ANDREAS R. ZIEGLER, Einführung in das Völkerrecht, 2. Aufl. 2011, N. 249; KÄLIN/EPINEY/CARONI/KÜNZLI, Völkerrecht, 3. Aufl. 2010, S. 33).
Gemäss
Art. 31 Abs. 1 VRK
ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach dem Vertragswortlaut auszulegen, d.h. nach Treu und Glauben, in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung sowie im Lichte seines Ziels und Zwecks. Dieser für die Sinnermittlung erforderliche Zusammenhang kann sich aus weiteren Übereinkünften und Urkunden ergeben (
Art. 31 Abs. 2 lit. a und b VRK
); für die Vertragsauslegung gleichermassen zu berücksichtigen ist die Übung, d.h. die Praxis zur Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über die Auslegung hervorgeht (
Art. 31 Abs. 3 lit. b VRK
; "authentische Interpretation"; vgl. ANNE PETERS, Völkerrecht, 2. Aufl. 2008, Kap. 7 N. 20; ZIEGLER, a.a.O., N. 251).
3.2
Im Grenzabkommen mit Italien findet sich - ebenso wie in den Grenzabkommen mit Deutschland und Frankreich - keine eindeutige Regelung des zollbefreiten Grenzzonengebiets als Radialzone; auch der Botschaft zum Grenzabkommen mit Italien lässt sich keine ausdrückliche Definition des Grenzgebiets als Radialzone entnehmen (Botschaft vom 14. Oktober 1955 betreffend die Genehmigung des zwischen Italien und der Schweiz vereinbarten Abkommens über den Grenz- und Weideverkehr, BBl 1955 II 738 ff.). Unter Bezugnahme auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 des Grenzabkommens wenden die Beschwerdegegner daher ein, dieses sehe keineswegs die Radialzone vor: Indem es von Gebietsstreifen beidseitig der gemeinsamen Grenze spreche ("strisce di territorio situato ai due lati del confine comune"), gehe es von einer über den Gesamtgrenzverlauf führenden Parallelzone als zollbefreiten Grenzzone aus, welche auch die zu erwerbenden Grundstücke erfasse.
3.3
Die von den Beschwerdegegnern angerufene Bestimmung könnte, isoliert betrachtet, auf ein parallel zur Landesgrenze verlaufendes
BGE 138 II 524 S. 528
zollbefreites Grenzzonengebiet (Parallelzone) für den Bewirtschaftungsverkehr hinweisen. Der (weitere) Wortlaut, der Bedeutungszusammenhang (vgl. dazu insb. unten, E. 4.3) und die bisherige Übung stehen dieser Interpretation jedoch entgegen: Das Grenzabkommen definiert die Grenzzone zwar als Gebietsstreifen (Art. 1 Abs. 1), enthält jedoch gleichzeitig ein detailliertes Verzeichnis der zollbefreiten Gemeinden und Gemeindefraktionen (Anhang I), welches die allgemeinen Bestimmungen konkretisiert. Die dort berücksichtigten Gebiete erstrecken sich nicht über den Gesamtgrenzverlauf im Sinne einer Parallelzone, und die ausführliche Aufzählung im Anhang des Abkommens nimmt denn auch die mehr als zehn Kilometer vom nächsten Grenzübergang entfernte Gemeinde A. nicht in die zollbegünstigten Grenzgebiete der Provinz Sondrio auf. Hinweise darauf, dass die aufgelisteten Gemeinden in den Verzeichnissen nicht als abschliessend aufgezählt zu verstehen wären, finden sich in den von den Beschwerdegegnern angerufenen Textstellen des Staatsvertrags nicht.
3.4
Auch die mittlerweile mehr als 50-jährige, ständige Praxis der Vertragsparteien zur Auslegung der begünstigten Grenzgebiete, welche die Grenzzone als Kreise von rund 10 Kilometern vom jeweiligen Grenzübergang bemisst, steht dem Verständnis der Beschwerdegegner des begünstigten Grenzgebiets als Parallelzone entgegen ("authentische Interpretation"; vgl. oben E. 3.1); diese langjährige Übung wird von den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Materialien zur nationalen Zollgesetzgebung bestätigt: Sowohl die Botschaft des Bundesrates zum Zollgesetz (BBl 2004 567 ff., 623 Ziff. 2.2.5) als auch die parlamentarischen Beratungen zur Zollgesetzgebung (dazu unten E. 5.3) weisen darauf hin, dass die Grenzverträge mit Italien, Deutschland und Frankreich als ein auf Radialzonen beschränktes zollbefreites Grenzgebiet zu verstehen sind. Hiervon geht auch die Doktrin aus (vgl. ROLF WÜTHRICH, in: Zollgesetz [ZG], Kocher/Clavadetscher [Hrsg.], 2009, N. 35 zu
Art. 43 ZG
; REMO ARPAGAUS, Zollrecht, 2. Aufl. 2007, N. 435).
Aufgrund des Bedeutungszusammenhangs und der langjährigen unbestrittenen Praxis zum Abkommen ist daher vom privilegierten Grenzgebiet als
Radialzone
auszugehen. Diese ist gemäss dem Wortlaut auf die im Anhang angeführten Gebiete beschränkt. Die Beschwerdegegner können sich demnach, wie dies auch zu Recht das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, nicht auf Zollvergünstigungen gestützt auf das Grenzabkommen berufen, da die relevanten Grundstücke von
BGE 138 II 524 S. 529
dessen räumlichem Anwendungsbereich nicht erfasst sind (Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Anhang 1 Grenzabkommen).
4.
4.1
Die Beschwerdegegner machen weiter geltend, das Bundesrecht könne - selbst wenn das Abkommen die Zollbefreiung für Radialzonen vorsehe - ihnen die gewünschte Zollbefreiung gleichwohl gewähren: Sie erkennen keinen Normkonflikt zwischen dem Staatsvertrag und dem Bundesrecht, weil Art. 1 Abs. 2 des Abkommens einen "Vorbehalt zugunsten des Landesrechts" einräume, sodass die Vertragsparteien eine allgemeine Ausdehnung der Grenzzonen einseitig anordnen und damit prinzipiell auch - d.h. zusätzlich - Parallelzonen, wie sie
Art. 43 Abs. 2 ZG
vorsieht, einführen dürften. Damit stellt sich die Frage, ob das Grenzabkommen mit Italien tatsächlich eine grosszügigere Regelung nach nationalem Recht ausschliesst. Diese Frage ist im Rahmen der weiteren Auslegung zu prüfen:
4.2
Dem Vorbringen der Beschwerdegegner, gestützt auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 des Grenzabkommens eine einseitige allgemeine Ausdehnung des Grenzzonengebiets auf die Parallelzone vorzunehmen, kann bereits insofern nicht gefolgt werden, als diese Bestimmung nur aufgrund "örtlich bedingter Verhältnisse" Abweichungen zulässt; der
Ausnahmecharakter
dieser Abweichungen kommt im italienischen Originalwortlaut des Abkommens deutlich zum Ausdruck ("salvo casi eccezionali, giustificati da esigenze locali, in cui le due Parti Contraenti potranno fissare l'estensione"). Es steht demnach dem Wortlaut der von den Beschwerdegegnern angerufenen Bestimmung entgegen, in genereller Weise einseitig, gestützt auf das nationale Recht (
Art. 43 ZG
), Parallelzonen einzuführen.
4.3
Entgegen den Vorbringen der Beschwerdegegner widerspricht eine einseitige Ausdehnung der Grenzzone nach nationalem Recht auch dem Sinn und Zweck des Grenzabkommens: Das Zollgesetz regelt die Abgabebefreiung bei der Wareneinfuhr in die Schweiz (
Art. 43 Abs. 2 ZG
;
Art. 8 Abs. 2 lit. j ZG
i.V.m.
Art. 23 ZV
) und sieht vor, dass Personen mit Wohnsitz in der inländischen Grenzzone rohe Bodenerzeugnisse von Grundstücken, die auf der ausländischen Grenzzone liegen, zollfrei in die Schweiz einführen können (
Art. 23 Abs. 1 lit. b ZV
). Entsprechende angestammte Gebiete sind zudem zu Direktzahlungen berechtigt (Art. 177 Abs. 1 des Landwirtschaftgesetzes vom 29. April 1998 [LwG; SR 910.1] i.V.m. Art. 17 Abs. 2 derVerordnung vom 7. Dezember 1998 über landwirtschaftliche Begrife und die Anerkennung von Betriebsformen [Landwirtschaftliche
BGE 138 II 524 S. 530
Begriffsverordnung, LBV; SR 910.91] und
Art. 4 Abs. 2 der Verordnung vom 7. Dezember 1998 über die Direktzahlungen an dieLandwirtschaft[Direktzahlungsverordnung, DZV; SR 910.13]
). Demgegenüber ist es Ziel des Abkommens mit Italien, die wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung beiderseits der Grenze zu sichern: Nach der Botschaft bezweckt das Abkommen, den "Verkehr nach Möglichkeit zu erleichtern und die lokalen Bedürfnisse der Grenzbewohner zu berücksichtigen" und so der "natürlichen wirtschaftlichen Verbundenheit der Grenzgebiete Rechnung" zu tragen. Zum Ausdruck kommt damit eine auf Reziprozität beruhende Grenzvereinbarung, welche - durch die beiderseitig gewährte Zollbefreiung
in den relevanten Grenzgebieten
- frühere Unstimmigkeiten in den grenznachbarlichen Beziehungen überwinden soll (Botschaft zum Grenzabkommen, a.a.O., 738 f.).
Die einzelnen Bestimmungen sind denn auch im Lichte dieses Ziels und Zwecks auszulegen: Die Beschwerdegegner verlangen Zollerleichterungen für den Grenzverkehr, der in Art. 1 Abs. 5 des Grenzabkommens - in dieser Einschränkung vom Weideverkehr abweichend - als der sich zwischen "zwei gegenüberliegenden und anstossenden Zonen" abwickelnde Ein- und Ausfuhrverkehr zur Bewirtschaftung der Grundstücke definiert wird. Aus Art. 2 Ziff. II. lit. a des Abkommens geht hervor, dass die für entsprechende landwirtschaftliche Erzeugnisse vorgesehene Zollbefreiung dann erfolgen kann, wenn diese von Grundstücken innerhalb der Grenzzone (Art. 2 Ziff. I.) stammen und in die "andere Zone" verbracht werden ("trasportati nell'altra zona"). Zweck des Abkommens ist es entsprechend, dass die Grenzbewohner ihre Bodenbewirtschaftung im Rahmen dieser Beschränkung auf die übereingekommene Grenzzone beiderseitig ausüben können (Botschaft zum Grenzabkommen, a.a.O., 738); ersichtlich wird der Wille der Vertragsparteien, die Abgabebefreiung gegenseitig auf die so definierte gegenüberliegende und angrenzende (Radial-)Zone (E. 3.3 f.), nicht jedoch parallel entlang der gesamten Grenze, zuzulassen.
Mit dem allgemeinen Einführen einer zusätzlichen Parallelzone wäre nicht nur ein Systemwechsel gegenüber der bisherigen Praxis verbunden, sondern es würde auch der Kreis der zollbefreiten Gebiete merklich erweitert: Mit der Parallelzone erfüllen sämtliche entlang der Grenze ansässige Bodenbewirtschafter die Voraussetzungen einer entsprechenden Zollvergünstigung, denn Voraussetzung ist einzig der Wohnsitz in der inländischen Grenzzone (vgl.
Art. 23 Abs. 1
BGE 138 II 524 S. 531
lit. b ZV
); dagegen wird der Personenkreis durch die Radialzone nur schon aufgrund der maximalen Ausdehnung auf 10 Kilometer von der Grenzübertrittsstelle deutlich eingeschränkt. Indirekte Auswirkungen auf die italienische Grenzbevölkerung könnte die einseitige Ausdehnung der zollbefreiten Grenzzone für den Bewirtschaftungsverkehr insofern bewirken, als die schweizerischen Bewirtschafter der Grenzgebiete ihre Produkte zu den gegenüber dem italienischen Markt höheren Inlandpreisen absetzen könnten; die einseitig erweiterte Zollbefreiung könnte sich zudem negativ auf die Grundstück- und Pachtpreise auswirken und die italienische Grenzbevölkerung diesbezüglich benachteiligen.
Aufgrund entsprechender Probleme im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet hatte das Land Baden-Württemberg nach einem Ausführungsgesetz zum deutschen Landpachtverkehrsgesetz (Gesetz vom 8. November 1985 über die Anzeige und Beanstandung von Landpachtverträgen; BGBl. I S. 2075) Massnahmen gegen die ungleichmässige Verteilung der Bodennutzung vorgesehen, indem die zuständige Behörde die Genehmigung von Pachtverträgen verweigern konnte, wenn durch die zollfreie Ausfuhr der landwirtschaftlichen Produkte in die Schweiz eine Wettbewerbsverzerrung erfolgte. Eine hierauf gestützte Ablehnung eines Pachtvertrags zugunsten eines Schweizer Bodenbewirtschafters durch das Landwirtschaftsamt Landkreis Waldshut hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig erklärt (vgl. das Urteil des EuGH vom 6. Oktober 2011 C-506/10
Graf und Engel
); Deutschland wurde angehalten, sich an die Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens (Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [SR 0.142.112.681]) und das anwendbare Grenzabkommen (Schweizerisch-deutsches Abkommen vom 5. Februar 1958 über den Grenz- und Durchgangsverkehr [SR 0.631.256.913.61]) zu halten. Es zeigt sich demnach ein empfindliches wirtschaftliches Gleichgewicht in der Grenzzone, das weder durch einseitige ausländische Massnahmen noch durch eine Ausdehnung des zollbefreiten Grenzgebiets zugunsten der schweizerischen Bodenbewirtschafter beeinträchtigt werden soll. Vor diesem Hintergrund überzeugen die Ausführungen der Beschwerdegegner, wonach sich aus einer einseitigen Erweiterung der Grenzzone keinerlei negative wirtschaftliche Folgen für den Vertragspartner ergeben könnten, jedenfalls nicht.
BGE 138 II 524 S. 532
Obwohl der Zweck von bi- und multilateralen Abkommen im Zollbereich üblicherweise darauf beschränkt ist, Zollschranken abzubauen (COTTIER/HERREN, in: Zollgesetz, a.a.O., N. 44 der Einleitung zum ZG; ARPAGAUS, a.a.O., N. 44 ff.), ergibt sich für das Grenzabkommen demnach ein weiterer, darüber hinausgehender Zweck, der darin besteht,
grenznachbarliche Unstimmigkeiten
zu vermeiden (
Art. 31 Abs. 1 VRK
). Diesem Sinn widerspricht die einseitig erweiterte nationale Abgabenbefreiung für den Grenzverkehr und das Abkommen enthält auch keinerlei Bestimmungen, welche Vorbehalte zugunsten oder Rückverweise auf eine nationale Regelung vorsehen würden. Entsprechend liegt ein echter Normkonflikt vor zwischen einer älteren staatsvertraglichen Verpflichtung der Schweiz und einer (einzelnen) Bestimmung des neueren Bundesgesetzes (
Art. 43 ZG
); gestützt auf das Ziel und den Zweck des Staatsvertrags können im vorliegenden Fall nicht gleichzeitig beide Grenzzonenregelungen zur Anwendung gelangen.
4.4
Ergänzend bringen die Beschwerdegegner vor, ihnen stehe die Gewährung eines "allgemeinen Günstigkeitsprinzips" zu: Wenn das schweizerische Zollrecht weitergehende Vergünstigungen vorsehe als das Grenzabkommen, so stünden ihnen diese gemäss den allgemeinen zollrechtlichen Grundsätzen zu; im Einzelfall sei immer die am weitesten gehende Vergünstigung zu gewähren. Die Beschwerdegegner verkennen, dass eine entsprechende Berücksichtigung nur dort denkbar ist, wo sich eine gleichzeitige Anwendung mehrerer begünstigender Bestimmungen nicht von vornherein ausschliesst. Steht die weitergehende Vergünstigung resp. die nationale Regelung dem anzuwendenden Recht entgegen, so kann sie nicht in allgemeiner Weise zusätzlich gewährt werden. Eine Begünstigung lässt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdegegner auch nicht analog aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Amtshilferecht, durch das einem ausländischen Staat Hilfestellung bei der Durchführung seiner Aufgaben gewährt werden soll, für die zollrechtliche Besserstellung von schweizerischen Bodenbewirtschaftern (zum Nachteil der italienischen Grenzbevölkerung) herleiten.
5.
5.1
Besteht ein echter Normkonflikt zwischen Bundes- und Völkerrecht, so geht nach der Rechtsprechung grundsätzlich die völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz vor (
BGE 125 II 417
E. 4d S. 425;
BGE 135 II 243
E. 3.1 S. 249); dies gilt ebenso für den Fall von Abkommen, die - wie dies hier der Fall ist - nicht Menschen- oder
BGE 138 II 524 S. 533
Grundrechte zum Gegenstand haben (
BGE 136 II 241
E. 16.1 S. 255;
BGE 122 II 485
E. 3a S. 487). Der dargelegte Vorrang besteht auch gegenüber späteren, d.h. nach der völkerrechtlichen Norm in Kraft getretenen Bundesgesetzen; die lex posterior-Regel kommt im Verhältnis zwischen Völker- und Landesrecht nicht zur Anwendung (
BGE 122 II 485
E. 3a S. 487). Die Schweiz kann sich insbesondere nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen (
Art. 5 Abs. 4 BV
;
Art. 27 VRK
; vgl.
BGE 125 II 417
E. 4d S. 424 f.;
BGE 122 II 234
E. 4e S. 239; ferner
BGE 116 IV 262
E. 3b/cc S. 269;
BGE 117 IV 124
E. 4b S. 128). Entsprechend bleibt das entgegenstehende Bundesgesetz in solchen Konstellationen unanwendbar (
BGE 125 II 417
E. 4d S. 425;
BGE 128 IV 201
E. 1.3 S. 205).
5.2
Das Zollgesetz enthält in Art. 2 Abs. 1 ausdrücklich eine analoge Konfliktlösungsregel: Völkerrechtliche Verträge bleiben gegenüber den zollgesetzlichen Bestimmungen vorbehalten. Da die staatsvertragliche Regelung vom Sinn und Zweck her eine gleichzeitige Anwendung der nationalen Bestimmungen ausschliesst (vgl. oben E. 4.3), ist die Schweiz im Bereich des landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsverkehrs weiterhin an Staatsverträge gebunden, wenn diese die Anwendung der Radialzone verlangen, sodass trotz der Einführung der Parallelzone in
Art. 43 Abs. 2 ZG
in diesen Fällen faktisch die bisherige Praxis fortgesetzt wird (vgl. auch WÜTHRICH, a.a.O., N. 28 und 34 zu
Art. 43 ZG
; Botschaft zum Zollgesetz, a.a.O., 590; ARPAGAUS, a.a.O., N. 310 ff., 435). Solange keine einvernehmliche Praxis- oder Vertragsänderung zwischen den Parteien zustande gekommen ist, behält der in Kraft stehende Vertrag demnach seine völkerrechtliche Verbindlichkeit und seine umfassende landesrechtliche Wirkung, d.h. er ist für die rechtsanwendenden Behörden verbindlich (vgl.
BGE 122 II 234
E. 4e S. 240).
5.3
5.3.1
Unter Bezugnahme auf die Wortprotokolle der Beratungen zu
Art. 43 ZG
hat die Vorinstanz die Bundesgesetzgebung daraufhin untersucht, ob sich Anhaltspunkte finden, um für den zugrunde liegenden Sachverhalt vom Vorrang der staatsvertraglichen Verpflichtung abzusehen. Sie begründet dies damit, dass das Bundesgericht vom Vorrang des Völkerrechts
ausnahmsweise
dann abgewichen sei, wenn die Bundesgesetzgebung die Völkerrechtsverletzung bewusst in Kauf genommen habe; erforderlich sei hierfür ein bewusstes Abweichen der Bundesgesetzgebung vom völkerrechtlichen Vertrag
BGE 138 II 524 S. 534
("con sapevole deroga"; sog. "Schubert-Praxis";
BGE 99 Ib 39
E. 3 S. 44;
BGE 136 III 168
E. 3.3.4 S. 172 f.).
Die Vorinstanz führt aus, dass sowohl der Ständerat als Erstrat als auch der Nationalrat sich mit den verschiedenen Reglementierungsmöglichkeiten der Grenzzonen als Radial- oder Parallelzonen intensiv auseinandergesetzt haben und dass die Gesetzgebung zu einer generellen Regelung der Grenzzone als Parallelzone übergehen wollte. Aus den von ihr herangezogenen Protokollen zu den Debatten in den Räten wird jedoch gleichermassen ersichtlich, dass sich die Beratungen im Wesentlichen auf die Frage beschränkten, welche Vor- und Nachteile, etwa hinsichtlich Transparenz und praktischer Handhabbarkeit, für die entsprechenden Regelungen der Grenzgebiete als Parallel- oder Radialzone aus nationaler Sicht bestehen würden; ebenso fokussierte sich die Diskussion auf Unstimmigkeiten, was genau unter einer Radialzone zu verstehen sei.
5.3.2
Für eine allfällige Abweichung vom Vorrang der staatsvertraglichen Verpflichtungen kann - in Abweichung zu den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts - jedoch nicht der Verweis auf eine allgemeine Diskussion zu den Vor- und Nachteilen der nationalen Regelung bzw. von Parallel- oder Radialzonen genügen; eine Kollision mit dem Staatsvertrag kann von vornherein nur in jenen Fällen "bewusst" oder beabsichtigt sein, in denen anlässlich der Beratung des Bundesgesetzes die völkerrechtlichen Aspekte und Auswirkungen ("riflessi e implicazioni";
BGE 99 Ib 39
E. 4 S. 44) resp. der mögliche Verstoss gegen Völkerrecht eingehend thematisiert wird (vgl. z.B. die herangezogene parlamentarische Debatte zu Fragen des Namensrechts und den diesbezüglichen völkerrechtlichen Auswirkungen in
BGE 136 III 168
E. 3.3.3 S. 171 f.; vgl. YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 30 zu
Art. 190 BV
; ebenso PIERRE TSCHANNEN, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3. Aufl. 2011, § 9 N. 33; WALTER KÄLIN, Der Geltungsgrund des Grundsatzes "Völkerrecht bricht Landesrecht", ZBJV 124
bis
/1988 S. 45, dort S. 63).
Die parlamentarischen Beratungen zu
Art. 43 ZG
, welche die Vorinstanz ihrer Gutheissung zugrunde gelegt hat, beinhalten nur am Rande und kaum vertiefte Voten zu Fragen des Normkonflikts ("Wir brauchen keine Staatsvertragsänderung in unseren Beziehungen zu Deutschland" [Gerold Bührer, AB 2004 N 1385]). Sie erweisen sich hinsichtlich der Folgen des Normkonflikts zudem als
BGE 138 II 524 S. 535
widersprüchlich ("Wir wissen auch, dass diese Erweiterung zwar in den [...] Nachbarländer[n] nicht gern gesehen wird, doch haben wir die Pflicht, die Interessen unserer eigenen landwirtschaftlichen Bevölkerung [...] zu vertreten. Es wird daher Aufgabe des Finanzministers sein, seinen Kollegen [...] unsere Haltung entsprechend zu kommunizieren" [Lucrezia Meier-Schatz, AB 2004 N 1385]), indem die Äusserungen gleichzeitig auch wieder die Vorrangstellung des Staatsvertrags bestätigen ("Die Regelung hat neben den Staatsverträgen subsidiären Charakter"; "Die vorliegende Bestimmung soll Lücken schliessen, weil Staatsverträge nicht alle Sachverhalte regeln" [Hans-Rudolf Merz, AB 2004 N 345]; "Die Parallelzone wird als Grundsatz nur insofern eingeführt - das muss man betonen -, als der Staatsvertrag mit dem Nachbarstaat nichts anderes vorsieht, und sie gilt daher für die ganze Grenzzone in der Schweiz" [Lucrezia Meier-Schatz, AB 2004 N 1385]). Eine bewusst gewollte Abweichung der Gesetzgebung von den völkerrechtlichen Verpflichtungen in klarer Auseinandersetzung mit den Folgen des hervorgerufenen Normverstosses lässt sich - entgegen der pauschalen Einschätzung der Vorinstanz - aus den Materialien demnach nicht entnehmen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen können für den vorliegenden Fall nicht entscheidend sein; der Vorrang des Völkerrechts ergibt sich aus der Ermittlung des Normsinns, der Rechtsprechung und dem Zollgesetz selbst (vgl. oben E. 4, 5.1 und 5.2). | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3d7b8c5-de43-4cbd-8523-87ed118d4494 | Urteilskopf
93 II 329
45. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. September 1967 i.S. Evers & Co. gegen Bank für Handel und Effekten (AG). | Regeste
Akkreditiv. Solidarität.
Die Rechtskraft des Urteils gegen den einen Solidarschuldner erstreckt sich nicht auf das Verhältnis des Gläubigers zum andern Solidarschuldner (Erw. 3).
Pflicht des Ausstellers eines unwiderruflichen, nicht übertragbaren Akkreditivs, einen mit dem Begünstigten intern vereinbarten Deckungsvorbehalt offen in das Eröffnungsschreiben aufzunehmen, um dessen missbräuchliche Verwendung durch den Begünstigten bei Dritten zu verhüten (Erw. 4 bis 7).
- Adäquater Kausalzusammenhang (Erw. 4).
- Widerrechtlichkeit (Erw. 5).
- Verschulden (Erw. 6).
- Mitverschulden des Geschädigten (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 329
BGE 93 II 329 S. 329
A.-
Die in Hamburg ansässige Maschinenfabrik Evers & Co., Kommanditgesellschaft, trat im Juli 1965 mit einem Indonesier, der sich als Dr. Antoine Lam ausgab, in Verhandlungen über die Lieferung von Dieselgenerator- und Schweissanlagen
BGE 93 II 329 S. 330
im Gesamtwert von US $ 210 725 und von weiteren Generatoranlagen für US $ 51 000 an eine Firma in Singapore. Die Firma Evers erklärte sich bereit, die gewünschten Lieferungen gegen Sicherstellung durch Akkreditive auszuführen. Schriftliche Kaufverträge wurden nicht abgefasst. Da Lam angab, die Käuferin wünsche Abwicklung des Geschäftes über eine Zürcher Bank, traf der unbeschränkt haftende Gesellschafter Evers am 5. Juli 1965 in Zürich mit Lam zusammen und vereinbarte mit ihm, Lam werde durch eine Evers genehme Zürcher Bank für den Kaufpreis der bestellten Anlagen Dokumenten-Akkreditive eröffnen lassen; in diesem sei formell Lam als Begünstigter zu bezeichnen, jedoch werde er sämtliche Rechte aus den Akkreditiven von vornherein an die Firma Evers abtreten. Gegen Übergabe rechtsgültig unterzeichneter Kopien der Akkreditiv-Eröffnungsschreiben sollte Lam durch eine von der Firma Evers zu bezeichnende Bank Provisionen in bestimmter Höhe ausbezahlt erhalten.
Am 6. Juli 1965 beauftragte die Firma Evers die Bank Leu & Co. AG. in Zürich, Lam unter den erwähnten Bedingungen für die grössere Bestellung eine Provision von US $ 24 132.50 auszuzahlen.
In gleicher Weise beauftragte die Firma Evers Mitte Juli 1965 die Commerzbank in Hamburg, Lam für die kleinere Bestellung eine Provision von US $ 10 670 zu überweisen.
Am 14. Juli 1965 zahlte die Bank Leu an Lam US $ 24 132.50 und am 19. Juli 1965 - nach Rücksprache mit der Commerzbank in Hamburg - weitere US $ 10 670 aus, nachdem Lam ihr je ein Akkreditiv-Eröffnungsschreiben der von der Firma Evers als mögliche Akkreditiv-Bank bezeichneten Bank für Handel und Effekten (AG) in Zürich vom 14. Juli 1965 über US $ 210 725 und vom 19. Juli 1965 über US $ 51 000 übergeben hatte.
Diese Eröffnungsanzeigen waren mit "Irrevocable Documentary Credit (non transferable and non assignable)" überschrieben. Als Auftraggeberin wurde in ihnen die Société financière textile (SOFITEX) SA, Zürich, und als Begünstigter Lam bezeichnet; sie enthielten ferner die von der Firma Evers verlangten Akkreditiv-Bedingungen hinsichtlich der vorzulegenden Dokumente. Die vorgedruckte Einleitung zur Aufzählung dieser Bedingungen, lautend: "benutzbar bei Sicht gegen" war jedoch durchgestrichen und durch folgenden maschinengeschriebenen Text ersetzt:
BGE 93 II 329 S. 331
"available at sight exclusively by yourselves at our counters in Zurich, according to the agreement dated 13th (resp. 19th) July, 1965, existing between you and our bank, against presentation of the following documents:"
Welchen Inhalt die erwähnten Vereinbarungen zwischen der Bank und Lam hatten, wurde nicht angegeben.
Nachträglich fiel der Firma Evers der in den Eröffnungsanzeigen enthaltene Hinweis auf die Vereinbarungen vom 13. bzw. 19. Juli 1965 auf. Ihr Teilhaber Evers erkundigte sich daher am 27. Juli 1965 bei der Bank für Handel und Effekten (AG) nach deren Bedeutung. Er erhielt die Auskunft, es handle sich um Deckungsvorbehalte in dem Sinn, dass die Kredite nur in Anspruch genommen werden könnten, wenn der Endkäufer die Akkreditivsumme innert zwei Wochen nach Eröffnungsdatum bei der Bank für Handel und Effekten (AG) hinterlege; mangels einer solchen Deckung seien die Akkreditive unwirksam; Lam habe sich verpflichtet, von den Akkreditiven keinen Gebrauch zu machen, falls die Deckung innert der genannten Frist nicht geleistet werde.
Diese Deckung wurde nicht hinterlegt, weshalb die Akkreditive keine Wirkung erlangten. Es stellte sich heraus, dass die Firma Evers einem Betrüger zum Opfer gefallen war, der unter falschem Namen auftrat. Die polizeiliche Fahndung nach ihm verlief ergebnislos.
B.-
Mit Klage beim Handelsgericht des Kantons Zürich forderte die Firma Evers & Co. von der Bank Leu & Co. AG. und von der Bank für Handel und Effekten (AG) solidarisch den Ersatz der dem Betrüger Lam ausbezahlten Provisionen von
- US $ 24 132.50 gleich Fr. 104 493.70 nebst 5% Zins seit 15. Juli 1965, sowie
- US $ 10 670 gleich Fr. 46 201.10 nebst 5% Zins seit 19. Juli 1965.
Die Klägerin stützte ihre Ansprüche gegen die Bank Leu & Co. AG. auf Auftragsrecht, diejenigen gegen die Bank für Handel und Effekten (AG) auf die Bestimmungen über die Haftung aus unerlaubter Handlung.
Die Beklagten bestritten ihre Haftbarkeit und beantragten, die Klage abzuweisen.
Die Bank für Handel und Effekten (AG) verkündete der Société financière textile SA (SOFITEX) den Streit. Diese hat sich am Verfahren jedoch nicht beteiligt.
BGE 93 II 329 S. 332
C.-
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies mit Urteil vom 30. November 1966 die gegen die Bank für Handel und Effekten (AG) als Ausstellerin der Akkreditive gerichtete Klage ab. Die Ersatzpflicht der Bank Leu & Co. AG. bejahte es dagegen, verpflichtete sie jedoch wegen erheblichen Selbstverschuldens der Klägerin nur zum Ersatz eines Drittels des Gesamtschadens, d.h. zur Bezahlung von Fr. 50 231.70, nebst 5% Zins seit 15. Juli 1965.
D.-
Dieses Urteil ist gegenüber der Bank Leu & Co. AG. in Rechtskraft erwachsen. Die Bank Leu bezahlte Ende März 1967 den Betrag von Fr. 50 231.70 nebst Zins an den Anwalt der Klägerin.
E.-
In Bezug auf die Bank für Handel und Effekten (AG) hat die Klägerin gegen das Urteil des Handelsgerichts die Berufung erklärt. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Berufungsbeklagte zur Bezahlung von Fr. 100 463.10 (d.h. des durch die Zahlung der Bank Leu nicht gedeckten Teils des Gesamtschadens der Klägerin) nebst 5% Zins seit 15. Juli 1965 zu verpflichten.
Die Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
F.-
Auf eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Handelsgerichts gegenüber der Bank für Handel und Effekten (AG) ist das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 9. Mai 1967 nicht eingetreten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Handelsgericht hat die Klage gegen die Bank für Handel und Effekten (AG) mit der Begründung abgewiesen, das Verhalten der Beklagten sei für den eingetretenen Schaden wohl kausal gewesen, doch fehle es an der Adäquanz des Kausalzusammenhanges, an der Widerrechtlichkeit und am Verschulden. Die Berufungsklägerin macht geltend, die Verneinung dieser drei Voraussetzungen verstosse gegen Bundesrecht.
2.
Die Klägerin setzt sich in der Berufungsschrift mit dem Urteil der Vorinstanz, soweit dieses die Klage gegen die Bank Leu betrifft, nicht auseinander, insbesondere auch nicht mit der Auffassung des Handelsgerichts, sie habe ihren Schaden zu zwei Dritteln selbst verschuldet. Die Berufungsbeklagte macht deshalb geltend, die Berufungsklägerin habe sich damit abgefunden, dass sie wegen Selbstverschuldens nur Anspruch auf einen Drittel
BGE 93 II 329 S. 333
des ursprünglich eingeklagten gesamten Schadens habe. Mit der Bezahlung des ihr vom Handelsgericht zugesprochenen Betrages durch die Bank Leu habe sie somit erhalten, was ihr zustehe; sie besitze daher auch gegen die Berufungsbeklagte keine weiteren Ansprüche mehr.
3.
a) Bei echter Solidarität (Haftung aus gemeinsamem Rechtsgrund,
Art. 143 und
Art. 50 Abs. 1 OR
), wie auch bei unechter Solidarität oder Anspruchskonkurrenz (Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen,
Art. 51 Abs. 1 OR
) haftet jeder der mehreren Schuldner dem Gläubiger für seinen ganzen Anspruch. Der Gläubiger kann daher jeden Schuldner für die volle Forderung belangen. Wie im Innenverhältnis die Zahlungspflicht auf die einzelnen Schuldner zu verteilen sei, berührt ihn nicht. Diese gesetzliche Regelung will dem Gläubiger eine möglichst vollständige Befriedigung für seine Ansprüche sichern. Solidarität in jeder Form bedeutet daher Stärkung der Stellung des Gläubigers. Dieser kann beim gerichtlichen Austrag seines Anspruches den Prozessgegner auswählen. Er kann sich darauf beschränken, nur gegen einen der mehreren Schuldner vorzugehen; er kann diese auch nacheinander belangen oder - wenn das kantonale Prozessrecht dies zulässt - alle Schuldner als Streitgenossen im selben Prozess einklagen. Welchen Weg er auch einschlägt, erlischt sein Anspruch erst, wenn er voll befriedigt worden ist (
BGE 89 II 122
Erw. 5).
b) Es ist ein Grundsatz des Prozessrechts, dass die Rechtskraft eines Urteils auf die Parteien des betreffenden Verfahrens beschränkt bleibt. Das gilt nach Rechtsprechung und herrschender Lehre auch bei echter Solidarität (
BGE 57 II 522
; BECKER OR 2. Aufl., Art. 144 N. 4; VON TUHR/SIEGWART OR II S. 757 Ziff. 8; KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweizerischen Recht, S. 173 ff.). Der Gläubiger, der im Prozess gegen einen Solidarschuldner obgesiegt hat, kann sich daher dem andern Solidarschuldner gegenüber auf dieses Urteil nicht berufen. Er muss gegen ihn einen neuen Prozess durchführen, in dem der Beklagte nicht nur die ihm persönlich zustehenden Einreden erheben kann, sondern auch die allen Schuldnern gemeinsamen Einreden und Einwendungen, die den einheitlichen Entstehungsgrund oder den Inhalt der Schuldpflicht betreffen.
Unterliegt der Gläubiger gegen den zuerst belangten Solidarschuldner, so wirkt der von diesem erzielte Prozessieg nicht auch
BGE 93 II 329 S. 334
zugunsten der übrigen. In dem vom Gläubiger gegen sie angehobenen neuen Prozess sind die gemeinsamen Einreden vom Richter erneut zu prüfen, ohne dass er an den im ersten Prozess getroffenen Entscheid gebunden wäre.
Es kann somit im einen wie im andern Falle zu einander widersprechenden Urteilen kommen. Das mag zunächst schwer zu verstehen sein; es reimt sich in der Tat schlecht, dass der eine Solidarschuldner verurteilt werden, der andere dagegen frei ausgehen soll, obwohl sich beide gleich verteidigt haben. Man könnte deshalb versucht sein, im Interesse einer widerspruchslosen Verwirklichung des Zivilrechts bei Solidarschuldverhältnissen die Rechtskraft des gegen den einen Schuldner ergangenen Urteils auf das Verhältnis des Gläubigers zu den übrigen zu erstrecken. Dem stehen jedoch, wie KUMMER (a.a.O. S. 173 ff.) überzeugend darlegt, entscheidende Hindernisse entgegen, die im Wesen der Solidarität begründet sind.
Nach herrschender Auffassung stehen dem Gläubiger mehrere selbständige, gegen jeden Schuldner einzeln gerichtete Forderungen zu, die ihr eigenes rechtliches Schicksal haben können. Insbesondere ist der einzelne Solidarschuldner dem Gläubiger nur insoweit verpflichtet, als dessen Forderung ihm gegenüber zu Recht besteht. Daraus folgt, dass das obsiegende Urteil gegen den einen Solidarschuldner für die andern nie massgebend sein kann; denn sonst würden sie in unzulässiger Weise dem Ergebnis des vom andern Schuldner vielleicht schlecht geführten Prozesses unterworfen, in dem sie überhaupt nicht zum Worte gekommen sind. Aber auch beim Unterliegen des Gläubigers gegen den zuerst belangten Schuldner kann nichts anderes gelten. Da dem Gläubiger mehrere selbständige Forderungen zustehen, kann er über jede einzelne von ihnen auch selbständig verfügen; es muss ihm daher auch möglich sein, jede von ihnen unabhängig von der andern beurteilen zu lassen. Vor allem aber ist zu bedenken, dass der Zweck der Solidarität darin besteht, den Gläubiger, nicht den Schuldner zu schützen. Das erfolglose Vorgehen gegen den einen Schuldner soll den Anspruch des Gläubigers gegen die übrigen in keiner Weise schmälern. Gesichtspunkte, die dem Schutz des Schuldners dienen, sind hier nicht am Platze. Es wäre daher mit dem Wesen der Solidarität nicht zu vereinbaren, das Unterliegen des Gläubigers gegen den einen Schuldner zum Forderungsverlust gegenüber allen andern auszudehnen. Das Bestreben, einander widersprechende Urteile zu
BGE 93 II 329 S. 335
vermeiden, rechtfertigt es nicht, die vom Gesetz allen Schuldnerinteressen vorangestellte Sicherung des Gläubigers durch eine Erstreckung der Rechtskraft des im ersten Prozess ergangenen Urteils im wesentlichen illusorisch werden zu lassen. Das ist um so weniger geboten, als sich das Ziel logischer Widerspruchslosigkeit ohnehin nie ganz verwirklichen liesse. Denn eine Ausdehnung der Rechtskraft käme nur bei einem Urteil in Betracht, das den Gläubiger unterliegen lässt. Obsiegt er, so ist das Urteil für den Prozess gegen den andern Solidarschuldner bedeutungslos. Die Gewähr logischer Widerspruchslosigkeit hinge somit von dem zufälligen Umstand ab, dass der Gläubiger, der zwei Schuldner getrennt belangt, im zuerst zur Beurteilung gelangenden Prozess mit seiner Klage abgewiesen wird.
Diese Überlegungen führen zum Schluss, dass es im Falle echter Solidarität bei der Beschränkung der Rechtskraftwirkung auf die Prozessparteien zu bleiben hat.
c) Bei unechter Solidarität, wie sie im vorliegenden Fall in Frage steht, ist eine Ausdehnung der Rechtskraft noch weniger geboten, weil bei ihr der Anspruch des Gläubigers gegen die mehreren Schuldner auf verschiedenen Rechtsgründen beruht. Schon mit Rücksicht hierauf bedeutet daher die Gutheissung der Klage gegenüber dem einen und ihre Abweisung gegenüber dem andern Schuldner nicht notwendigerweise einen logischen Widerspruch, zu dessen Vermeidung eine Erstreckung der Rechtskraft des ersten Urteils wünschbar wäre.
d) Ob wenigstens für den Rückgriff des vom Gläubiger zuerst belangten Solidarschuldners auf die übrigen die Rechtskraft des im Hauptprozess ergangenen Urteils in gewissen Punkten auf das Innenverhältnis der Solidarschuldner unter sich zu erstrecken sei, wie STREBEL (Kommentar zum MFG, Art. 41 N. 53/54) und OFTINGER (Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl. Bd. I S. 315 f.) befürworten, KUMMER (a.a.O. S. 179 ff.) dagegen ebenfalls ablehnt, kann offen bleiben. Denn im vorliegenden Fall steht nicht ein Rückgriffsanspruch in Frage.
e) Die Klägerin hat nun allerdings die beiden Beklagten, die sie als Solidarschuldner in Anspruch nehmen will, nicht nacheinander in getrennten Prozessen eingeklagt. Das ändert jedoch nichts. Da es dem Gläubiger frei steht, gegen jeden Solidarschuldner einzeln vorzugehen oder sie im gleichen Verfahren als Streitgenossen zu belangen, kann der zufällige Umstand, welchen der beiden Wege er einschlägt, hinsichtlich der Tragweite
BGE 93 II 329 S. 336
der Rechtskraft des dem einzelnen Solidarschuldner gegenüber ergangenen Urteils nicht zu verschiedenen Ergebnissen führen. Wird das Urteil gegen den einen von mehreren miteinander eingeklagten Solidarschuldnern rechtskräftig, so ist es bei der Beurteilung der Klage gegen den oder die übrigen Solidarschuldner durch die obere Instanz wie ein in einem getrennten Verfahren ergangenes zu behandeln. So hat das Bundesgericht schon in einem Entscheid vom 8. März 1907 (veröffentlicht im Journal des Tribunaux 1908, Droit fédéral, S. 2 f.) erkannt, dass (im Falle echter Solidarität aus unterlaubter Handlung) der vorbehaltlose Abstand des Gläubigers von der Klage gegenüber einem der gleichzeitig belangten Solidarschuldner - dem im Verhältnis zu dem betreffenden Schuldner die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils zukommt (vgl. LEUCH, Bern, ZPO Art. 397, N. 5/6) - seine Ansprüche gegen die übrigen Schuldner grundsätzlich nicht beeinträchtige.
In einem Falle von Motorfahrzeughaftpflicht sodann, wo der Geschädigte den Halter und dessen Haftpflichtversicherer im gleichen Verfahren eingeklagt hatte, die Klage gegen den letzteren aber von der kantonalen Instanz wegen Verjährung abgewiesen worden war, wurde entschieden, dass bei Verwerfung der Verjährungseinrede die dem Halter gegenüber getroffene Festsetzung der Ansprüche des Geschädigten nicht ohne weiteres auch dem Haftpflichtversicherer entgegengehalten werden könne, da das Urteil gegen den Halter Rechtskraft nur zwischen den Parteien, nicht auch gegenüber dem Haftpflichtversicherer schaffe (
BGE 69 II 176
Erw. 3). Das Bundesgericht hat in diesem Falle dann allerdings dem Urteil gegen den Halter in faktischer Hinsicht gleichwohl präjudizielle Wirkung zugebilligt, weil dem Anspruch gegenüber der Haftpflichtversicherung zwar nicht der gleiche Rechtsgrund, aber der gleiche Sachverhalt zugrunde lag, der durch das Urteil gegen den Halter in allen Punkten abgeklärt worden war. Im vorliegenden Falle stützt sich der Anspruch der Klägerin gegen die beiden eingeklagten Banken nicht nur auf verschiedene Rechtsgründe, sondern auch auf verschiedene Sachverhalte: Die Bank Leu wurde mit dem rechtskräftig gewordenen Urteil zu teilweisem Schadenersatz verpflichtet, weil sie ihre vertragliche Sorgfaltspflicht aus dem ihr von der Klägerin erteilten Auftrag, Lam unter gewissen Bedingungen Provisionen auszuzahlen, verletzt hatte; der Anspruch der Klägerin gegenüber der Bank für Handel und Effekten (AG) dagegen
BGE 93 II 329 S. 337
hängt davon ab, ob diese mit ihrem Vorgehen bei der Ausstellung der Akkreditiv-Eröffnungsschreiben eine unerlaubte Handlung begangen habe, durch das erst das betrügerische Vorgehen Lams gegenüber der Bank Leu möglich geworden sei.
f) Da die Rechtskraft des Urteils des Handelsgerichts über die Ansprüche der Klägerin gegenüber der Bank Leu auf das Verhältnis dieser beiden Parteien beschränkt bleibt, ist der aus diesem Urteil abgeleitete Einwand der Berufungsbeklagten, der Klägerin stehe überhaupt kein weiterer Anspruch mehr zu, abzuweisen.
4.
Das Handelsgericht hat festgestellt, dass das Verhalten der Berufungsbeklagten für den Schaden der Klägerin kausal war, weil sie die Akkreditive in den Eröffnungsschreiben als "unwiderruflich" bezeichnete, während ihre Wirksamkeit durch den Deckungsvorbehalt aufschiebend bedingt war, und weil sie diesen Vorbehalt nicht offen in die Eröffnungsschreiben aufnahm, sondern sich mit einem blossen Hinweis auf die zwischen ihr und dem Begünstigten Lam getroffenen internen Vereinbarungen vom 13. bzw. 19. Juli 1965 begnügte; hätte sie entweder die Akkreditive nicht als unwiderruflich bezeichnet oder wenigstens das Bestehen eines Deckungsvorbehaltes ausdrücklich erwähnt, so wäre es Lam nicht möglich gewesen, die Auszahlung der Provisionen durch die Bank Leu zu erwirken. Diese Feststellungen betreffen den natürlichen Kausalzusammenhang, sind also tatsächlicher Natur und daher für das Bundesgericht verbindlich (
BGE 91 II 190
Erw. 3, 209 Erw. 4 und dort erwähnte Entscheide).
Die Vorinstanz verneint jedoch die Adäquanz dieses Kausalzusammenhanges, weil die Beklagte mit einem Missbrauch der Eröffnungsschreiben nicht zu rechnen brauchte. Ob der festgestellte natürliche Kausalzusammenhang auch rechtserheblich (adäquat) sei, ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (vgl. die oben angeführten Entscheide).
Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der Erfahrung des Lebens an sich geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, so dass dieser durch jene Ursache allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 91 II 190
Erw. 3, 210 lit. c,
BGE 89 II 250
und dort erwähnte Entscheide). Danach kommt es, wie in
BGE 87 II 127
dargelegt wurde, für die Adäquanz auf die generelle
BGE 93 II 329 S. 338
Eignung der fraglichen Ursache an, Wirkungen der eingetretenen Art zu erzeugen.
Wenn eine Bank einem ihr völlig Unbekannten Akkreditiv-Eröffnungsschreiben ausstellt, die im Titel als "Irrevocable documentary credit" bezeichnet werden, und im Begleittext lediglich erwähnt, die Krediteröffnung erfolge "according to the agreement... existing between you and our bank", so ist dieses Vorgehen geeignet, einen Dritten in den Glauben zu versetzen, das Akkreditiv sei wirklich unwiderruflich, und die Vereinbarung auf die Bezug genommen wird, sei rein interner Art und beeinträchtige die Gültigkeit des Akkreditivs in keiner Weise. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird dadurch bestätigt, dass auch der Akkreditiv-Spezialist der Bank Leu hinter diesem Hinweis nichts Verdächtiges vermutete, offenbar deshalb, weil die Ausstellung eines als unwiderruflich bezeichneten Akkreditivs unter gleichzeitiger Einschaltung einer Bedingung im Text gegen die Gebräuche im Akkreditivwesen verstösst, wie bei der Behandlung der Frage der Widerrechtlichkeit noch näher auszuführen sein wird.
Ob die Beklagte mit einem Missbrauch ihrer an eine Bedingung geknüpften Eröffnungsschreiben zu rechnen brauchte oder nicht, ist daher für die Entscheidung der Rechtsfrage nach der Adäquanz nicht erheblich. Es genügt, dass ihr Verhalten allgemein geeignet war, einen Missbrauch zu ermöglichen, und das traf hier zu. Denn selbst aussergewöhnliche Folgen können unter Umständen adäquat sein (
BGE 80 II 343
,
BGE 87 II 127
). Die eingetretene Folge war übrigens keineswegs aussergewöhnlich. Die Ausstellung von Akkreditiv-Eröffnungsschreiben wird häufig, wenn nicht sogar in der Regel, eben gerade zu dem Zweck verlangt, sich gegenüber Dritten über bestehende Geschäftsbeziehungen, bzw. über zur Verfügung stehende Kredite auszuweisen.
Die Beklagte wendet ein, der Kausalzusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem Schaden der Klägerin sei dadurch unterbrochen worden, dass der Sachbearbeiter der Bank Leu nach deren eigenen Ausführungen den Vorbehalt nicht übersehen habe. Eine Feststellung dieses Inhaltes findet sich im angefochtenen Urteil jedoch nicht; dagegen nimmt die in das Protokoll der Vorinstanz aufgenommene Minderheitsbegründung aufeine dahin gehende (in der Klageantwort abgegebene) Parteierklärung der Bank Leu Bezug und leitet aus ihr eine Unterbrechung
BGE 93 II 329 S. 339
der Kausalkette ab, weil die Bank Leu den von der Beklagten geschaffenen Gefahrzustand erkannt, dem Vorbehalt aber nicht die gebührende Beachtung geschenkt und darum die Auszahlung der Provisionen an den Betrüger Lam allein zu verantworten habe.
Dieser Auffassung wäre jedoch selbst dann nicht beizupflichten, wenn das Urteil der Vorinstanz die in Frage stehende Feststellung enthielte oder wenn anzunehmen wäre, die Beklagte könne sich zu ihrer Entlastung auf die Parteierklärung ihrer damaligen Streitgenossin berufen. Denn es bestand, wie bereits ausgeführt, kein Anlass, bei einem als unwiderruflich bezeichneten Akkreditiv an eine aufschiebende Bedingung zu denken, die es praktisch wertlos machte; die Annahme, die fragliche Wendung beziehe sich auf einen die Gültigkeit des Akkreditivs nicht berührenden Umstand, z.B. aufeinen Zahlungsmodus oder auf eine frühere Zusicherung, das Akkreditiv auszustellen, lag näher, zumal die Ausstellerin eine als seriös geltende schweizerische Bank war. Eine unverständliche Nichtbeachtung einer Akkreditivbestimmung durch die Bank Leu, die die Kausalkette unterbrechen würde, wäre deshalb zu verneinen.
5.
Das Handelsgericht hat die Widerrechtlichkeit des Verhaltens der Beklagten mit der Begründung verneint, diese habe wohl Akkreditive ausgestellt, die "der letzten Klarheit ermangelten", doch habe sie nichts Unwahres oder Unrichtiges bestätigt, sondern genau das, was zwischen den Akkreditivparteien abgesprochen worden sei; wie der Begriff "unwiderruflich" zu verstehen sei, habe sich aus den Vereinbarungen vom 13. bzw. 19. Juli 1965 ergeben.
Diese Auffassung ist unhaltbar. Nach allgemein anerkanntem Rechtssatz muss, wer einen Zustand schafft, der einen andern schädigen könnte, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen Vorsichtsmassnahmen treffen (
BGE 93 II 92
Erw. 2,
BGE 82 II 28
und dort angeführte Entscheide). Die Unterlassung solcher Vorsichtsmassnahmen ist rechtswidrig.
Die Beklagte hatte von der SOFITEX SA in Zürich die Mitteilung erhalten, sie beabsichtige, die Beklagte mit der Eröffnung eines unwiderruflichen Akkreditivs über US $ 210 725 zugunsten eines in Wien wohnhaften Dr. Lam zu beauftragen. Da es sich bei dem Begünstigten um einen ihr unbekannten Ausländer handelte, erklärte sich die Beklagte zur Eröffnung dieses Akkreditivs nur unter der Bedingung bereit, dass es nur wirksam werde,
BGE 93 II 329 S. 340
wenn der Endkäufer die Akkreditivsumme innerhalb von zwei Wochen nach dem Eröffnungsdatum bei ihr hinterlege. Sie liess sich daher von Lam eine entsprechende schriftliche Erklärung geben, in der er sich überdies verpflichtete, beim Fehlen der Deckung von dem Akkreditiv keinen Gebrauch zu machen. In gleicher Weise ging sie bei der Eröffnung des zweiten Akkreditivs über US $ 51 000 vor. So sicherte sie sich gegen die von ihr erkannten Gefahren, die sich aus der Eröffnung der Akkreditive zugunsten des ihr nicht bekannten Dr. Lam allenfalls ergeben konnten. Damit durfte sie sich jedoch nicht begnügen. Es lag auf der Hand, dass der Begünstigte von den Akkreditiven gegenüber Dritten, insbesondere gegenüber der Warenverkäuferin und der allenfalls von dieser mit der Abwicklung des Akkreditivs beauftragten Bank, Gebrauch machen könnte. Sie hatte daher darauf Bedacht zu nehmen, dass auch solche Dritte nicht Gefahr liefen, zu Schaden zu kommen. Das geboten ihr schon die "Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive" (Ausgabe 1962), wonach Akkreditive "vollständig und genau" sein (allgemeine Regeln und Begriffsbestimmungen, lit. b) und insbesondere "deutlich angeben" sollen, ob sie widerruflich oder unwiderruflich sind (Art. 1 Abs. 2). Diese von der Internationalen Handelskammer in Paris aufgestellten Richtlinien sind zwar nicht objektives Recht, so dass ein Verstoss gegen sie an sich noch keine Widerrechtlichkeit begründet. Aber sie dürfen herangezogen werden bei der Beantwortung der Frage, ob der Akkreditiv-Aussteller einen Gefahrzustand schuf.
Die Beklagte war daher verpflichtet, den mit dem Begünstigten vereinbarten Deckungsvorbehalt klar und unmissverständlich in die Eröffnungsschreiben aufzunehmen, oder aber die Akkreditive dem Begünstigten erst nach Erhalt der Deckung auszuhändigen. Statt dessen begnügte sie sich mit einem blossen Hinweis auf mit dem Begünstigten getroffene interne Vereinbarungen, der nicht geeignet war, bei Dritten den Gedanken aufkommen zu lassen, es handle sich dabei um Abmachungen, die mit dem Wesen eines unwiderruflichen Akkreditivs in krassem Widerspruch stünden. Mit ihrem Vorgehen schuf die Beklagte somit die Gefahr, dass Dritte geschädigt werden könnten.
Dass die Akkreditive als "nicht übertragbar" bezeichnet wurden, vermochte einen Missbrauch nicht zu verhindern. Denn eine dennoch erfolgende Übertragung hätte lediglich zur Folge gehabt, dass der Zessionar die Akkreditivsumme bei der mit
BGE 93 II 329 S. 341
ihrer Auszahlung beauftragten Bank nur gemeinsam mit dem Begünstigten gegen Übergabe der Warendokumente hätte erheben können. Das war für den Dritten (den Warenverkäufer und dessen Bank) kein Anlass, eine Übertragung abzulehnen, an der Gültigkeit der Akkreditive zu zweifeln oder sie wegen der Unübertragbarkeit als wertlos zu betrachten.
Da die Beklagte für Dritte einen Gefahrzustand schuf, den sie durch die klare Aufnahme des Deckungsvorbehaltes in die Eröffnungsschreiben hätte vermeiden können und sollen, war ihr Verhalten widerrechtlich.
6.
Die Beklagte bzw. ihre Organe und Angestellten trifft schliesslich auch ein Verschulden, weil sie die nach den Umständen gebotenen Sorgfaltspflichten fahrlässig nicht erfüllten. Ihr Verschulden würde um so schwerer wiegen, wenn es zutreffen sollte - (wie der Anwalt der beiden Beklagten im kantonalen Verfahren behauptete, im angefochtenen Urteil jedoch nicht festgestellt wird) -, dass die Bank Leu einen Angestellten mit der von der Beklagten bloss visierten Kopie des Akkreditiv-Eröffnungsschreibens vom 19. Juli 1965 zu der Beklagten sandte, um eine rechtsgültig unterzeichnete Kopie einzuholen, und dass die Beklagte ihm diese aushändigte, ohne darauf hinzuweisen, dass das Akkreditiv vorläufig wertlos sei. Dabei musste sie aus der Vorsprache des Angestellten der Bank Leu ersehen, dass Lam das Akkreditiv-Eröffnungsschreiben bereits am Ausstellungstage gegenüber Dritten zu verwenden im Begriffe war.
7.
a) Die Beklagte haftet somit grundsätzlich - unter Vorbehalt eines Abzuges wegen allfälligen Mitverschuldens der Klägerin - für den nach dem Urteil gegenüber der Bank Leu noch verbleibenden Schaden im Ausmass von zwei Dritteln des Gesamtschadens.
Im Urteil über die Klage gegen die Bank Leu hat das Handelsgericht der Klägerin ein ganz erhebliches Selbstverschulden zur Last gelegt, weil sie sich mit Lam "auf ein Millionengeschäft einliess, ohne schriftliche Verträge oder mindestens eine Bestätigung der angeblichen Käuferfirma aus Singapore zu verlangen" (Urteil S. 23). Insbesondere sei es auch unvorsichtig gewesen, sich mit Akkreditiven zu begnügen, in denen Lam als Begünstigter bezeichnet war; zumindest hätte sie Verdacht schöpfen müssen, als Lam verlangte, dass die Akkreditive als unübertragbar zu bezeichnen seien, ihr aber gleichzeitig seine Ansprüche aus diesen abtrat. Das Handelsgericht kürzte daher den Anspruch der Klägerin gegenüber der Bank Leu um zwei Drittel.
BGE 93 II 329 S. 342
Die Klägerin bestreitet, dass sie ein Mitverschulden an dem durch die Beklagte zu verantwortenden Schaden treffe. Nach der Ansicht der Beklagten muss der Anspruch der Klägerin wegen überwiegenden Selbstverschuldens auf eine höchstens symbolische Summe herabgesetzt werden.
b) Die Funktion des Akkreditivs besteht darin, zum Schutze beider Kaufvertragsparteien die beidseitige ordnungsgemässe Vertragserfüllung zu sichern. Der Käufer, bzw. die von ihm mit der Akkreditivstellung beauftragte Bank, soll den Kaufpreis nur gegen Übergabe der Dokumente freigeben müssen, die das Vorhandensein sowie die vertragsgemässe Beschaffenheit der Ware belegen und ihm die Verfügungsgewalt über diese verschaffen. Der Verkäufer seinerseits soll die Dokumente nur aus der Hand geben müssen, wenn Gewähr dafür besteht, dass ihm der in Form des Akkreditivs bereitgestellte Kaufpreis ausbezahlt wird (
BGE 90 II 307
).
Dadurch, dass die Klägerin Sicherstellung des Kaufpreises durch Akkreditive vor Lieferung der Ware forderte, hat sie - in Bezug auf den Vollzug des Kaufgeschäftes - alles getan, was bei einem solchen Geschäft geboten war. Eine nähere Erkundigung über Lam oder über den Käufer der Ware war vom Moment an, da gültige, unwiderrufliche Akkreditive vorgelegt wurden, unnötig; das gilt auch für die Zeit vor der Bestellung der Akkreditive, da die Klägerin - nach dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse zu schliessen - keine Vorkehren traf, die bei Nichtzustandekommen des Vertrags oder der Akkreditivbestellung nachteilig gewesen wären. Insoweit kann ihr daher keine Unvorsichtigkeit zur Last gelegt werden.
Anders verhält es sich dagegen in Bezug auf die Ausrichtung der Provision an Lam. Da diese nicht erst bei der Aushändigung der Dokumente über die Ware und der Zahlung der Akkreditivsumme durch die Ausstellerin des Akkreditivs, sondern schon auf blosse Vorlegung einer rechtsgültig unterzeichneten Kopie des Akkreditiv-Eröffnungsschreibens auszurichten war, bestand für die Klägerin Anlass, die Forderung Lams nach Ausstellung unübertragbarer Akkreditive gründlich zu überlegen. Wie bereits ausgeführt wurde, schloss die Unübertragbarkeit die ordnungsgemässe Abwicklung des Akkreditivgeschäftes nicht aus; sie hatte bloss zur Folge, dass der Begünstigte mit dem Zessionar zusammen bei der Bank mitwirken musste, um die Zahlung der Akkreditivsumme zu veranlassen. Diese Mitwirkung Lams war aber, wenn ihm die Provision vorher ausgerichtet wurde, nicht mehr
BGE 93 II 329 S. 343
gewährleistet. Es bestand somit die Gefahr, dass der Vollzug des Geschäftes, d.h. die Zahlung des Kaufpreises gegen Aushändigung der Dokumente, durch Nichtmitwirken des Begünstigten Lam verunmöglicht werde. Das war für die Klägerin ein Grund, sich über Lam und über die angebliche Käuferin zu erkundigen. Dass sie dies unterliess, gereicht ihr zum Mitverschulden. Sie hat sich die Tragweite der Unübertragbarkeitsklausel bei Ausrichtung der Provision vor Auszahlung der Akkreditivsumme nicht genügend überlegt, oder falls sie es tat, das damit verbundene Risiko in Kauf genommen. Hätte sie - aus diesem Grunde, nicht aus der Befürchtung, der Kaufpreis könnte allenfalls nicht bezahlt werden - die sich aufdrängenden Erkundigungen eingezogen, so wäre es nicht zur Auszahlung der Provision gekommen.
c) Diese Unterlassung wiegt jedoch nicht derart schwer, dass sie auch der Beklagten gegenüber eine Herabsetzung des Anspruchs der Klägerin um zwei Drittel rechtfertigen würde. Im Vergleich zu dem von der Beklagten als Akkreditiv-Ausstellerin begangenen Fehler erscheint die mangelnde Vorsicht der Klägerin als ein verhältnismässig leichtes Verschulden. Sie dachte verständlicherweise in erster Linie an die Sicherung des Kaufpreises und war offenbar dem raffinierten Vorgehen des Betrügers Lam nicht gewachsen. Ausserdem hatte sie die Bank Leu als ihre Vertrauensbank eingeschaltet und durfte annehmen, diese werde sie aufmerksam machen, falls ihre Aufträge betreffend den Inhalt der Akkreditive für sie nachteilig sein könnten; damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass im vorliegenden Fall eine solche Pflicht der Bank Leu bestand. Entscheidend war für die Schädigung der Klägerin in erster Linie die Ausstellung der Akkreditiv-Eröffnungsschreiben, in denen die Akkreditive zu Unrecht als unwiderruflich bezeichnet waren. Dadurch hat die Beklagte den Betrüger Lam überhaupt in die Lage versetzt, die Auszahlung der Provision zu erwirken.
d) In Würdigung aller Umstände ist eine Herabsetzung des Schadenersatzanspruchs der Klägerin um einen Viertel angemessen. Da sie von der Bank Leu bereits einen Drittel erhalten hat, ist die Beklagte nur noch zur Bezahlung von 5/12 des Gesamtschadens von Fr. 150 694.80 zu verurteilen, was Fr. 62 789.50 ausmacht.
8.
In Bezug auf den Verzugszins ist davon auszugehen, dass die Klägerin auf jedem der beiden Schadensposten, d.h. auf der am 15. Juli 1965 ausbezahlten Provision von Fr. 104 493.70
BGE 93 II 329 S. 344
und auf der am 19. Juli 1965 ausbezahlten zweiten Provision von Fr. 46 201.10, je einen Viertel selber zu tragen hat. Das Handelsgericht hat jedoch der Klägerin auf dem ganzen Betrag von Fr. 50 231.70, zu dessen Bezahlung es die Bank Leu verurteilte, 5% Verzugszins ab 15. Juli 1965, dem Datum der ersten Provisionszahlung, zugesprochen. Der Beklagten gegenüber steht der Klägerin somit ein Verzugszinsanspruch ab 15. Juli 1965 für die erste Provisionszahlung nur noch zu auf dem Unterschied zwischen dem von der Bank Leu bezahlten Betrag von Fr. 50 231.70 und drei Vierteln von Fr. 104 493.70=Fr. 78 370.30, mithin auf Fr. 28 138.60; auf den drei Vierteln des zweiten Schadenspostens von Fr. 46 201.10, d.h. auf Fr. 34 650.90, läuft der Verzugszins ab 19. Juli 1965.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 30. November 1966 gegenüber der Beklagten Bank für Handel und Effekten (AG) aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, an die Klägerin zu zahlen:
a) Fr. 28 138.60 nebst 5% Zins seit 15. Juli 1965;
b) Fr. 34 650.90 nebst 5% Zins seit 19. Juli 1965.
Im Mehrbetrag wird die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3d7fb38-506d-40b2-8058-817afb5bb07a | Urteilskopf
114 II 339
62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1988 i.S. D. gegen W. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 267 OR
i.V.m.
Art. 12 BMM
. Unterschiedliche Kündigungsfristen.
Es ist zulässig, für Mieter und Vermieter unterschiedliche Kündigungsfristen zu vereinbaren, sofern
Art. 267 OR
nicht verletzt wird. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Vertragspartei eine kürzere Frist eingeräumt wird. | Sachverhalt
ab Seite 340
BGE 114 II 339 S. 340
A.-
Mit Vertrag vom 5. Januar 1986 vermietete D. Frau W. eine 3-Zimmer-Wohnung. Hinsichtlich der Mietdauer vereinbarten sie:
"Kündigung: vier Monate (mindestens vier Monate) zum voraus jeweils auf 15.3. resp. 15.9. Der Vertrag ist frühestens kündbar auf 15.9.1990, ausgenommen wenn der Vermieter die Wohnung selbst beziehen möchte."
Am 29. Januar 1987 kündigte W. den Vertrag auf den 15. Juni 1987.
B.-
D. anerkannte die Kündigung nicht, setzte in der Folge den vertraglichen Mietpreis für den Monat Oktober 1987 von Fr. 2'300.-- in Betreibung und ersuchte auf Rechtsvorschlag der Mieterin hin um provisorische Rechtsöffnung, welche ihm der Amtsgerichtspräsident III von Luzern-Land am 17. Dezember 1987 gewährte.
Das Obergericht des Kantons Luzern hob den angefochtenen Entscheid am 21. April 1988 auf und verweigerte die Rechtsöffnung. Es erwog, die für Vermieter und Mieter unterschiedlich vereinbarte zeitliche Vertragsbindung verstosse gegen
Art. 12 BMM
und sei unbeachtlich. Die Kündigung der Mieterin sei auf den 15. September 1987 gültig, ein Mietpreis für den Monat Oktober 1987 damit nicht mehr geschuldet.
C.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt D. dem Bundesgericht, diesen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell die nachgesuchte provisorische Rechtsöffnung zu gewähren.
W. und das Obergericht des Kantons Luzern tragen auf Abweisung der Beschwerde an.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
b) Die Parteien haben für ihren Mietvertrag eine Mindestdauer bis zum 15. September 1990 vereinbart, welche für den Vermieter nicht bindend sein sollte, sofern er das Mietobjekt zum
BGE 114 II 339 S. 341
Eigengebrauch beanspruche. Eine Kündigung sollte nachher unter Beobachtung einer Frist von vier Monaten auf den 15. März oder 15. September eines jeden Jahres zulässig sein.
Das schweizerische Obligationenrecht kennt zum Mietvertrag keine dem Arbeitsvertragsrecht (
Art. 336 Abs. 2 OR
) entsprechende Bestimmung, welche für die Parteien unterschiedliche Kündigungsfristen oder -termine nicht zulassen würde. Daraus schliessen Lehre und Rechtsprechung, es sei gesetzlich zulässig, die Kündigungsformalitäten für Mieter und Vermieter unterschiedlich zu regeln (Urteil des Bundesgerichts vom 1. Dezember 1982 i.S. Garage Cornavin S.A. c. CFF, E. 2c am Ende, in
BGE 108 II 416
ff. nicht publiziert; vgl. auch
BGE 112 II 69
ff.; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 8 zu
Art. 267 OR
; SCHMID, N. 24 zu
Art. 267 OR
). Dieselbe Auffassung vertritt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 27. März 1985 zur Volksinitiative "für Mieterschutz", zur Revision des Miet- und Pachtrechts im Obligationenrecht und zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BBl 1985 I 1389ff., 1448). Daran ist nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit unverändert festzuhalten. Schranken der Parteiautonomie, welche sich im Einzelfall aus
Art. 2 ZGB
oder
Art. 20 OR
ergeben können, stehen vorliegend ausser Frage.
Nach
Art. 12 Abs. 1 BMM
sind bei Mieten auf unbestimmte Dauer die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine des
Art. 267 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 OR
relativ zwingend, indem sie zwar vertraglich verlängert, nicht aber verkürzt werden dürfen. In der Literatur werden dazu im wesentlichen bloss unterschiedliche Auffassungen zur Frage vertreten, ob der zwingende Charakter der Norm beidseitig sei, d.h. für Vermieter und Mieter gleichermassen gelte (so z.B. BARBEY, L'arrêté fédéral instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif, S. 129; SCHMID, N. 39 zu
Art. 267 OR
), oder nur den Mieter schütze, weshalb dieser vertraglich zu einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ermächtigt werden könne (so z.B. GUIDE DU LOCATAIRE, Herausgeber: Fédération romande des locataires, S. 188; GMÜR/CAVIEZEL, Mietrecht-Mieterschutz, S. 124; MIETRECHT FÜR DIE PRAXIS, Herausgeber: Schweiz. Mieterverband S. 162; BEAT MEYER, Mietrecht im Alltag, S. 34). Zur Frage, ob in Berücksichtigung der als zwingend erklärten Bestimmungen des Obligationenrechtes weiterhin unterschiedliche Kündigungsfristen vereinbart werden können oder ob solche Vereinbarungen durch
Art. 12 Abs. 1 BMM
ebenfalls ausgeschlossen sind, hält einzig BARBEY unter Hinweis auf
BGE 114 II 339 S. 342
BGE 108 II 416
ausdrücklich auch nach Massgabe von
Art. 12 Abs. 1 BMM
unterschiedliche Fristen für zulässig (a.a.O., S. 129 Fn. 410). Demgegenüber vertritt RENE MÜLLER (Der Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972, Diss. Zürich 1976, S. 152) die Auffassung, der Zweck des Erlasses verbiete auch in dieser Hinsicht eine Bevorzugung des Vermieters, so dass zwar
Art. 267 OR
beachtende, jedoch für die Parteien unterschiedlich vereinbarte Kündigungsfristen nur zulässig seien, wenn sie den Mieter privilegierten. Diese Auffassung findet im Erlass selbst keine Stütze. Auch die teleologische Auslegung führt nicht zu einem solchen Ergebnis. Zweck des Bundesbeschlusses ist es, den Mieter vor missbräuchlichen Mietzinsen und andern missbräuchlichen Forderungen des Vermieters zu schützen (
Art. 1 BMM
;
BGE 112 II 71
E. 3). Kündigungsrechtlich wird dieser Schutz auf die Ausgestaltung bisher dispositiver Normen (
Art. 267 OR
) zu zwingendem Recht beschränkt. Ausserhalb der Minimalfristen aber sind die Parteien im Rahmen ihrer Parteiautonomie weiterhin frei, ihre Vertragsbeziehungen selbst zu gestalten und dabei auch unterschiedliche Fristen und Termine zu vereinbaren. Insoweit hat der BMM die bisherige Rechtslage nicht verändert. So geht denn auch der Bundesrat in der erwähnten Botschaft vom 27. März 1985, nach welcher die gesetzlichen Kündigungsfristen und -termine ebenfalls relativ zwingend ausgestaltet werden sollen (BBl 1985 I 1508, Vorschlag zu
Art. 267 Abs. 1 OR
), weiterhin davon aus, unterschiedliche Regelungen für Vermieter und Mieter seien zulässig (a.a.O., S. 1448). Eine andere Auslegung von
Art. 12 Abs. 1 BMM
ist schlechterdings unhaltbar und damit willkürlich. Entsprechend ist der angefochtene Entscheid aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3d8b4d5-3567-48aa-bed6-d7f399f1197a | Urteilskopf
103 IV 96
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Januar 1977 i.S. K. und M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich | Regeste
Art. 204 StGB
.
Der kantonale Sachrichter, der die Frage der Unzüchtigkeit einer Veröffentlichung zu beurteilen hat, ist bundesrechtlich nicht verpflichtet, das sittliche Empfinden des Durchschnittsbürgers durch eine Meinungsumfrage zu ermitteln. Auf keinen Fall könnte eine solche Umfrage den Richter von seiner Aufgabe entbinden, den Entscheid aufgrund selbständig wertender Rechtsfindung zu fällen. | Erwägungen
ab Seite 96
BGE 103 IV 96 S. 96
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführer machen geltend, das für die Frage der Unzüchtigkeit einer Veröffentlichung massgebende Kriterium des Sittlichkeitsempfindens des Durchschnittsbürgers stelle eine statistische Tatsache dar, die mit den Mitteln der modernen empirischen Umfrageforschung festgestellt und bewiesen werden könne. Das Obergericht habe daher
Art. 204 StGB
insofern verletzt, als es die von den Beschwerdeführern eingereichte "Publitest-Studie" nicht berücksichtigt und auch keine gerichtliche Meinungsumfrage angeordnet habe.
a) Die Vorinstanz hat der "Publitest-Studie" aus Gründen des kantonalen Prozessrechts die Beweiskraft abgesprochen. Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde kann aber weder die Verletzung kantonaler Prozessvorschriften noch die Beweiswürdigung gerügt werden (
Art. 269 BStP
). Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.
BGE 103 IV 96 S. 97
b) Bei der "Unzüchtigkeit" im Sinne von
Art. 204 StGB
handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der inhaltlicher Ausfüllung bedarf. Diese hat sich nach dem Sinn und Zweck der Norm und den durch die Rechtsordnung geschützten Werten zu richten (
BGE 99 Ia 138
,
BGE 96 I 373
). Es geht dabei um Gesetzesauslegung, also um die Beantwortung einer Rechtsfrage, die Sache des Richters ist (
BGE 98 Ib 481
). Müsste hiefür in jedem Fall eine Meinungsumfrage durchgeführt werden, an deren Ergebnis der Richter, wenn er es als beweiskräftig erachtet, gebunden wäre, so würde dadurch der richterliche Entscheid im wesentlichen vorweggenommen. Eine solche Folge wäre mit
Art. 204 StGB
nicht vereinbar.
Damit ist nicht gesagt, dass es dem Richter von Bundesrechts wegen versagt sei, sich der demoskopischen Umfrage zu bedienen, um rechtlich relevante Publikumsmeinungen zu ermitteln. Vorausgesetzt ist jedoch, dass solche Erhebungen nach kantonalem Prozessrecht zulässig sind, nach Art ihrer Durchführung als taugliches Beweismittel erscheinen und vom Richter wie andere Beweise frei gewürdigt werden (
Art. 249 BStP
).
c) Mit der eingereichten Studie soll das sittliche Empfinden des Durchschnittsbürgers ermittelt und damit dem Richter die Beantwortung der Frage ermöglicht werden, ob der zu beurteilende Film dieses Empfinden in nicht leicht zu nehmendem Masse verletze. Die Studie vermag hiefür den Anforderungen an ein taugliches Beweismittel nicht zu genügen. Sie ist schon im Ausgangspunkt unrichtig, indem die Einstellung zu "Sexfilmen" erkundet wurde. Diese Bezeichnung ist noch weniger eindeutig als der Begriff "unzüchtig". Reklame, Publikum und Kritik verstehen darunter alles mögliche, von leicht erotischen Komödien über wissenschaftliche Aufklärungsfilme und künstlerisch gestaltete "Edelporno" bis zu harter Pornographie. Je nachdem, an welche Kategorie von Sexfilmen der Befragte denkt, wird seine Antwort für die Grenzziehung im allgemeinen und für die Einordnung des "Schulmädchen-Reports 5. Teil" nach der einen oder anderen Richtung falsch oder jedenfalls nicht schlüssig sein. Noch weniger brauchbar sind die Angaben von Personen, die keinen oder keinen vergleichbaren Sexfilm gesehen haben. Sie urteilen zwangsläufig vom Hörensagen oder nach vorgefassten, meist extremen Meinungen. Lediglich auf die Aussagen von Sexfilmbesuchern
BGE 103 IV 96 S. 98
abzustellen, verbietet sich aber ebenfalls, wenn die Reaktion des Durchschnittsbürgers erkundet werden soll. Wer wiederholt ins Kino geht, um Sexfilme der zu beurteilenden Art anzusehen, fühlt sich offenbar in seinen sittlichen Empfindungen auch im Grenzbereich des objektiv Unzüchtigen noch nicht verletzt. Seine laxere Einstellung ist ebensowenig Massstab für den Bevölkerungsdurchschnitt wie die Überempfindlichkeit puritanischer Bevölkerungskreise. Im übrigen wäre eine zuverlässige Meinungsforschung selbst dann kaum durchzuführen, wenn der inkriminierte Film einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung vorgeführt würde, da die Antworten wohl häufig nicht ganz ehrlich lauten, sondern auf Konventionen, etc. Rücksicht nehmen würden. Das gilt vermehrt für private Erhebungen, bei denen die Befragten keiner Wahrheitspflicht unterliegen.
d) Das Obergericht hat daher Bundesrecht nicht verletzt, wenn es nicht auf die eingereichte Studie abstellte, die beantragte Meinungsumfrage ablehnte und den Entscheid aufgrund selbständig wertender Rechtsfindung fällte. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3d9785f-37ba-4f28-a462-4768e15010eb | Urteilskopf
96 I 655
99. Urteil vom 23. Oktober 1970 i.S. K. gegen Rekurskommissions des Kantons Bern. | Regeste
Wehrsteuer vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit (Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB).
1. Besteuerung von Gewinnen, die beim Verkauf von Liegenschaften erzielt werden. Unterscheidung zwischen Erwerbstätigkeit und Verwaltung des privaten Vermögens. Ist der Liegenschaftsgewinn das Ergebnis einer seitens einer einfachen Gesellschaft ausgeübten Erwerbstätigkeit, so wird jedem Gesellschafter, unabhängig vom Mass seiner persönlichen Mitwirkung, sein Anteil am Einkommen der Gesamtheit als eigenes Einkommen angerechnet (Erw. 1-3).
2. Ist der durch den Verkauf realisierte Wertzuwachs auch insoweit zu besteuern, als er vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit entstanden ist? (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 656
BGE 96 I 655 S. 656
A.-
Die Geschwister K. - die Beschwerdeführerin, ihre Schwester und ihre zwei Brüder - erbten im Jahre 1948 gemäss Testament ihres Grossonkels ein umfangreiches landwirtschaftliches Heimwesen. Sie waren damals noch unmündig. Bis zur Mündigkeit aller blieben sie in einer blossen Erbengemeinschaft verbunden, wobei die Landwirtschaft auf dem Heimwesen unter der Leitung ihrer Mutter weiterbetrieben wurde. Im Jahre 1960 verkauften die Geschwister ein Stück Land an die dortige Gemeinde, und in den Jahren 1961 und 1963 vertauschten sie weitere Landabschnitte durch Verträge mit zwei anderen Grundeigentümern. Inzwischen hatte in der Gegend eine rege Bautätigkeit eingesetzt. Als alle vier Geschwister mündig geworden waren, entschlossen sie sich, den gemeinsamen Grundbesitz nach und nach zu liquidieren. Zu diesem Zweck schlossen sie sich im Jahre 1963 zu einer einfachen Gesellschaft unter der Bezeichnung "Baugesellschaft K." zusammen. Mit der Geschäftsführung wurde einer der Brüder betraut. Er betreibt gemäss Handelsregistereintrag ein Generalunternehmen, das sich mit dem Kauf, dem Verkauf, der Vermietung und der Verwaltung von Liegenschaften befasst. Die Beschwerdeführerin ist Bankangestellte, der andere Bruder Mechaniker.
Die Gesellschafter teilten ihr Land in Parzellen auf, erschlossen es und erstellten fünf Mehrfamilienhäuser. Sie verkauften im Jahre 1963 die Wohnblöcke und in den Jahren 1964-1966 zwölf nicht überbaute Parzellen, wobei sie Gewinne erzielten.
B.-
Bei den Veranlagungen der Beschwerdeführerin für die 13. und 14. Wehrsteuerperiode wurden ihre Anteile an diesen
BGE 96 I 655 S. 657
Gewinnen als Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB erfasst. Dafür wurden Beträge von Fr. 50'662.-- (Durchschnitt der Berechnungsjahre 1963 und 1964) und Fr. 46'026.-- (Durchschnitt der Berechnungsjahre 1965 und 1966) in Rechnung gestellt. Das steuerbare Einkommen wurde für die 13. Periode auf Fr. 61'500.-- und für die 14. Periode auf Fr. 52'100.-- festgesetzt. Die Steuerpflichtige focht die Besteuerung der Liegenschaftsgewinne an, doch wurden die Veranlagungen bestätigt, zuletzt durch Entscheide der kantonalen Rekurskommission vom 24. April 1970.
C.-
Gegen diese Entscheide erhebt die Steuerpflichtige Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie bestreitet, dass ihre Anteile an den Grundstückgewinnen in die Berechnung der Wehrsteuer fallen. Sie macht geltend, ihr Gewinn sei nicht auf eine Erwerbstätigkeit zurückzuführen. Es komme darauf an, ob die Eingänge auf der Stufe der einfachen Gesellschaft Einkommen im Sinne des Wehrsteuerbeschlusses gebildet haben (ASA 36 283 =
BGE 92 I 485
). Dies sei nicht der Fall. Die Baugesellschaft K. habe nicht Handel mit Liegenschaften getrieben, sondern sich bloss bemüht, den im Erbgang erworbenen gemeinsamen Grundbesitz der Gesellschafter zu günstigen Bedingungen zu veräussern. Sie habe der Verwaltung des Vermögens der Gesellschafter gedient. Wohl habe der geschäftsführende Gesellschafter seine Beteiligung an der Gesellschaft dem von ihm persönlich betriebenen Liegenschaftenhandel dienstbar gemacht. Daraus könne jedoch nicht auf eine Erwerbstätigkeit seitens der Gesellschaft - und damit auch der Beschwerdeführerin - geschlossen werden.
Wäre der Gewinnanteil der Beschwerdeführerin doch zu versteuern, so müsste die Steuerberechnung berichtigt werden. Zu Unrecht sei bei der Veranlagung der ganze Wertzuwachs, den die verkauften Grundstücke seit 1948 erfahren haben, berücksichtigt worden. Der Besitz könne erst im Jahre 1963 Geschäftsvermögen geworden sein, so dass die frühere Wertvermehrung ausser Betracht falle.
D.-
Die kantonalen Behörden und die eidgenössische Steuerverwaltung beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss Art. 21 Abs. 1 WStB unterliegt der Wehrsteuer das gesamte Einkommen der natürlichen Personen aus Erwerbstätigkeit,
BGE 96 I 655 S. 658
Vermögensertrag oder anderen Einnahmequellen, insbesondere nach lit. a jedes Einkommen aus einer Tätigkeit (namentlich aus Handel, Gewerbe usw.) mit Einschluss der Nebenbezüge (Entschädigungen für Sonderleistungen, Provisionen und dgl.). Danach werden alle Einkünfte erfasst, die sich aus irgendeiner auf Erwerb (Verdienst) gerichteten Tätigkeit ergeben, gleichgültig, ob diese im Haupt- oder im Nebenberuf und ob sie regelmässig oder wiederkehrend oder nur einmalig ausgeübt wird. Auch Gewinne aus der Veräusserung von Vermögensstücken, insbesondere von Liegenschaften, bilden Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB, wenn sie auf einer solchen Tätigkeit beruhen. Nicht unter diese Bestimmung fallen sie dann, wenn sie im Rahmen der Verwaltung eigenen Vermögens oder in Ausnützung einer zufällig sich bietenden Gelegenheit, ohne eine eigentliche auf Verdienst gerichtete Tätigkeit, erlangt werden. Entstehen sie ohne Erwerbstätigkeit, so unterliegen sie nach Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB der Wehrsteuer für Einkommen nur, wenn sie im Betriebe eines zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichteten Unternehmens erzielt werden (
BGE 88 I 299
).
2.
Die Annahme, dass ein beim Verkauf einer Liegenschaft erlangter Gewinn einer Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen entspringt, kann sich aus der Häufung von Grundstückkäufen und- verkäufen oder aus anderen Umständen ergeben, insbesondere aus dem Zusammenhang mit einer selbständigen Berufstätigkeit des Pflichtigen als Architekt, Baumeister und dgl. (
BGE 82 I 174
,
BGE 92 I 122
,
BGE 93 I 288
). Sie ist auch bei vereinzelten Verkäufen, die nicht mit einer derartigen Betätigung des Steuersubjektes zusammenhängen, nicht ausgeschlossen. In solchen Fällen ist sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gerechtfertigt, wenn der Gewinn auf einer Tätigkeit des Steuerpflichtigen beruht, die nach Art und Umfang dem Vorgehen eines Liegenschaftenhändlers gleichgestellt werden kann (
BGE 92 I 122
,
BGE 93 I 288
; ASA 27 177, 33 35, 35 459, 36 27, 39 268; Urteil Schmid vom 11. Februar 1970, nicht veröffentlicht). Wie das Bundesgericht entschieden hat, kann auf eine Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen auch allein schon daraus geschlossen werden, dass er sich für ein bestimmtes Grundstückgeschäft in einer einfachen Gesellschaft mit einer Person verbindet, die sich in Ausübung ihres Berufes beteiligt und die Geschäftsführung für gemeinsame Rechnung im Einvernehmen
BGE 96 I 655 S. 659
mit ihm besorgt (Urteil Löwensberg vom 28. November 1958, nicht veröffentlicht; Urteil Frei vom 4. November 1966, publiziert in ASA 36 282, E. 2 auch in
BGE 92 I 484
; zit. Urteil Schmid).
Art. 18 Abs. 2 WStB bestimmt, dass natürlichen Personen, welche Gesellschafter von Kollektiv- und Kommanditgesellschaften oder Mitglieder anderer Personengesamtheiten ohne juristische Persönlichkeit sind, ihr Anteil am Einkommen der Personengesamtheit als eigenes Einkommen angerechnet wird. Unter diese Ordnung fallen auch die einfachen Gesellschaften. Die Frage, ob steuerbares Einkommen der Personengesamtheit vorliege, beurteilt sich nach Art. 21 und 22 WStB (Urteil Frei, E. 2). Es ist möglich und kommt vor, dass mehrere Personen eine einfache Gesellschaft nicht für die Erzielung gemeinsamen Einkommens aus Erwerbstätigkeit (Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB), sondern bloss für die gemeinsame Verwaltung ihrer privaten Vermögen oder bestimmter Teile dieser Vermögen (z.B. von Liegenschaften) bilden. Beschränkt sich die Gesellschaft darauf, diesen Zweck zu verfolgen, so sind die Gewinne, die sie durch Veräusserung-von Vermögensstücken erzielt, nicht steuerbares Einkommen. Dagegen sind solche Gewinne der Gesellschaft nach Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB steuerbar, wenn sie auf einer Erwerbstätigkeit seitens der Personengesamtheit beruhen. In diesem Fall ist auf der Stufe der Personengesamtheit gemäss Art. 21 und 22 WStB der Reingewinn zu ermitteln, und das Ergebnis ist den einzelnen Gesellschaftern gemäss Art. 18 Abs. 2 WStB nach Massgabe ihrer Anteilsrechte als eigenes Einkommen anzurechnen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob jeder Gesellschafter persönlich eine eigentliche auf Verdienst gerichtete Tätigkeit für gemeinsame Rechnung ausgeübt hat oder nicht. Es genügt, dass eine solche Betätigung auf der Stufe der Gesamtheit vorliegt. Das ist z.B. auch dann der Fall, wenn nur ein einziger Gesellschafter in Ausübung seines Berufes eine auf Gewinn abzielende Tätigkeit für die Gesamtheit entfaltet hat. Der Gesellschafter, der zur Erreichung des gemeinsamen Erwerbszweckes nur mit einer Kapitaleinlage beigetragen hat, muss sich die vom geschäftsführenden Fachmann für Rechnung aller Teilhaber unternommenen Bemühungen wie eine eigene Erwerbstätigkeit entgegenhalten lassen (Urteil Löwensberg; Urteil Frei, E. 2 und 3). Der gesamte von der Gesellschaft durch Erwerbstätigkeit erzielte Reingewinn ist
BGE 96 I 655 S. 660
steuerbares Einkommen. Das ergibt sich aus Art. 21 und 22 WStB. Das Urteil Frei ist insofern zu berichtigen, als es für die Bestimmung dessen, was steuerbar ist, auch Art. 18 Abs. 2 WStB heranzieht (E. 2); denn diese Vorschrift sagt nur, wer steuerpflichtig ist, indem sie anordnet, dass das Einkommen der Personengesamtheit den Gesellschaftern oder Mitgliedern nach Massgabe ihrer Anteilsrechte als eigenes Einkommen zuzurechnen ist.
3.
Die hier in Frage stehenden Gewinne sind von der einfachen Gesellschaft, zu der sich die Beschwerdeführerin mit drei Geschwistern zusammengeschlossen hat, erzielt worden. Es ist nicht bestritten und steht fest, dass weder die Beschwerdeführerin persönlich, noch die Gesellschaft zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichtet waren und dass daher Art. 21 Abs. 1 lit. d WStB nicht anwendbar ist. Die Besteuerung der Gewinnanteile, welche die Beschwerdeführerin erhalten hat, ist nur auf Grund der lit. a daselbst möglich. Der Streit geht darum, ob überhaupt Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Bestimmung vorliege, und wie gegebenenfalls der steuerbare Gewinn zu berechnen sei.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Gesellschaft habe lediglich das Ziel verfolgt, den gemeinsamen, durch Erbgang erworbenen Grundbesitz der Gesellschafter nach und nach zu vorteilhaften Bedingungen zu veräussern; was man zu diesem Zweck getan habe, sei nicht eine Erwerbstätigkeit, sondern blosse Vermögensverwaltung.
Mit dieser Darstellung ist jedoch die Tatsache, dass die Gesellschaft als "Baugesellschaft" bezeichnet worden ist, schwerlich vereinbar. Hätten die Geschwister K. wirklich immer nur beabsichtigt, ihr geerbtes Vermögen gemeinsam zu verwalten, so hätten sie wohl kaum diese Bezeichnung verwendet, ja eine einfache Gesellschaft überhaupt nicht zu bilden brauchen, sondern sich damit begnügen können, als Erbengemeinschaft miteinander verbunden zu bleiben.
Allerdings haben die Geschwister den Grundbesitz nicht gekauft, sondern geerbt. In der Folge hat aber die Gesellschaft das Land nicht nur in Parzellen aufgeteilt und erschlossen, sondern zum Teil auch überbaut; es sind fünf Mehrfamilienhäuser erstellt worden. Angesichts des Namens, den die Gesellschaft erhalten hat, liegt es sogar nahe anzunehmen, man habe beabsichtigt, noch mehr zu bauen. Wie es sich damit verhalte,
BGE 96 I 655 S. 661
mag indessen dahingestellt bleiben. Denn schon das, was seitens der Gesellschaft tatsächlich vorgekehrt worden ist, geht über den Rahmen der blossenVermögensverwaltung hinaus. Das gesamte Wirken der Gesellschaft muss als eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit betrachtet werden, auch wenn davon abgesehen wird, dass der geschäftsführende Gesellschafter sich berufsmässig mit dem Kauf und dem Verkauf von Liegenschaften befasst hat. Daraus folgt, dass auf der Stufe der Gesellschaft bei den in den Jahren 1963-1966 vorgenommenen gewinnbringenden Verkäufen von fünf Mehrfamilienhäusern und zwölf unüberbauten Parzellen Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB erzielt worden ist. Der Anteil der Beschwerdeführerin an diesem Einkommen ist gemäss Art. 18 Abs. 2 WStB ihrem übrigen Einkommen zuzurechnen. In welchem Masse sich die Beschwerdeführerin persönlich für das gemeinsame Unternehmen der Geschwister eingesetzt hat, ist gleichgültig und daher nicht zu prüfen (E. 2 hiervor).
4.
Die Veranlagungsbehörde hat bei der Berechnung der von der Beschwerdeführerin zu versteuernden Gewinnanteile den gesamten Wertzuwachs berücksichtigt, den die in Frage stehenden Parzellen in der Zeit zwischen dem Übergang des Eigentums auf die Geschwister K. (1948) und der nachherigen Veräusserung erfahren hatten. Diese Berechnungsweise ist in den angefochtenen Entscheiden nicht beanstandet worden. Die Beschwerdeführerin ist dagegen der Meinung, dass der Wertzuwachs auf jeden Fall nur insoweit erfasst werden könne, als er seit der Bildung der einfachen Gesellschaft (1963) eingetreten sei; sie verlangt daher mit ihrem Eventualantrag eine entsprechende Berichtigung der Veranlagungen. Die kantonale Rekurskommission hält dieses Begehren für unbegründet; sie führt aus, es lasse sich weder auf die gesetzliche Ordnung noch auf die Praxis stützen, und zudem könnte in den meisten Fällen der Zeitpunkt der Änderung, auf welche die Beschwerdeführerin abstellen möchte, kaum zuverlässig festgestellt werden. Auch die eidgenössische Steuerverwaltung beantragt die Abweisung des Eventualantrags der Beschwerdeführerin; sie verweist auf die in ASA 30 374 wiedergegebenen Erwägungen des Bundesgerichts.
Da Art. 21 Abs 1 lit. a WStB Gewinne aus dem Verkauf von Grundstücken nur erfasst, wenn sie auf einer Erwerbstätigkeit
BGE 96 I 655 S. 662
beruhen, erscheint es indessen grundsätzlich als richtig, den Wertzuwachs, der durch den im Rahmen einer solchen Wirksamkeit vorgenommenen Verkauf realisiert worden ist, von der Besteuerung nach dieser Bestimmung insoweit auszunehmen, als er schon vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit entstanden ist. Allerdings ist es nicht immer leicht, den Zeitpunkt festzustellen, in dem eine Erwerbstätigkeit eingesetzt hat. Das ist jedoch kein Grund, eine solche Änderung der Verhältnisse stets ausser Betracht zu lassen. Sie ist jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn der Zeitpunkt ihres Eintritts mit genügender Sicherheit festgelegt werden kann und es sich sachlich rechtfertigt, ihr Rechnung zu tragen.
So verhält es sich hier. Es steht fest, dass die Erwerbstätigkeit, die zu den in Frage stehenden Verkäufen geführt hat, erst mit der Bildung der einfachen Gesellschaft im Jahre 1963 begonnen hat. Vorher hatten die Geschwister K. sich damit begnügt, das geerbte Heimwesen unter der Leitung der Mutter landwirtschaftlich zu nutzen, ohne irgendwelche über die Verwaltung ihres Vermögens hinausgehende Vorkehren zu treffen; auch der Verkauf eines Landstücks an die Gemeinde und der Tausch weiterer Landabschnitte waren blosse Verwaltungshandlungen gewesen. Hätten die Geschwister vor dem Zusammenschluss zur einfachen Gesellschaft ihren Grundbesitz als Ganzes oder nach und nach verkauft, so hätte der dabei von ihnen realisierte Gewinn der Wehrsteuer nicht unterworfen werden können, weil er sich nicht aus einer Erwerbstätigkeit ergeben hätte. Der Wertzuwachs, den das Land bis dahin ohne ihr Zutun erfahren hatte, wäre also dieser Steuer entgangen. Es wäre unbillig, ihn heute deshalb zu besteuern, weil die Geschwister seither sich entschlossen haben, ihren Grundbesitz anders zu verwenden. Unter den gegebenen Umständen entspricht es dem Sinn von Art. 21 Abs. 1 lit. a WStB, dass die Berechnung des steuerbaren Gewinns gemäss dem Eventualantrag der Beschwerdeführerin berichtigt wird. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn die Geschwister das Land nicht geerbt, sondern gekauft hätten und von Anfang an darauf ausgegangen wären, es einer Erwerbstätigkeit, wie sie dann seitens der "Baugesellschaft" ausgeübt worden ist, dienstbar zu machen.
Massgebend ist somit die Differenz zwischen dem Verkaufserlös und dem Wert, den das Land im Zeitpunkt der Bildung
BGE 96 I 655 S. 663
der einfachen Gesellschaft hatte. Dieser Wert ist durch Schätzung zu ermitteln, und auf dieser Grundlage ist der steuerbare Gewinn neu zu berechnen. Die Sache ist an die Veranlagungsbehörde zur entsprechenden Berichtigung der angefochtenen Veranlagungen zurückzuweisen. | public_law | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d3da276f-fd97-4b5a-89fc-d8ba2908e0a5 | Urteilskopf
121 III 97
25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Februar 1995 i.S. Firma F. AG. (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 963 ff. ZGB
und
Art. 20 GBV
; Voraussetzungen der Eintragung eines Inhaberschuldbriefes in das Grundbuch.
Die Voraussetzungen, unter denen Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefe und Eigentümer- oder Inhabergülten in das Grundbuch eingetragen werden, sind durch das Zivilgesetzbuch abschliessend geregelt. Bezüglich solcher Schuldbriefe und Gülten kann der Bundesrat den kantonalen Gesetzgeber weder ermächtigen, für deren Errichtung die öffentliche Beurkundung vorzuschreiben, noch ihm die Befugnis einräumen, deren Anmeldung zur Eintragung in das Grundbuch ausschliesslich der kantonalen Urkundsperson vorzubehalten (E. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 98
BGE 121 III 97 S. 98
A.-
Mit Schreiben vom 31. Juli 1992 an das Grundbuchamt Basel-Stadt errichtete die Firma F. AG einen Inhaberschuldbrief über Fr. 2'000'000.--, lastend im dritten Rang auf der ihr gehörenden Baurechtsparzelle. Gleichzeitig ersuchte sie um Eintragung des Pfandrechts und Ausstellung des Pfandtitels.
B.-
Das Grundbuchamt Basel-Stadt wies die Anmeldung der Firma F. AG ab. Den dagegen eingereichten Rekursen war kein Erfolg beschieden.
C.-
Das Bundesgericht heisst die gegen das kantonal letztinstanzliche Urteil gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde teilweise gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Gegenstand des Verfahrens bildet die Frage, ob das kantonale Recht die Anmeldung eines Inhaberschuldbriefes an das Grundbuchamt allein der kantonalen Urkundsperson vorbehalten könne. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung,
Art. 20 Abs. 2 GBV
(SR 211.432.1) - und damit verbunden die entsprechende, ausdrücklich darauf gestützte kantonale Vorschrift (Art. 209 Abs. 3 EG zum ZGB) - sei bundesrechtswidrig.
Art. 963 Abs. 1 ZGB
gebe ihr das Recht, einen Inhaberschuldbrief zur Eintragung in das Grundbuch selbst anzumelden, weshalb ihre Anmeldung hätte entgegengenommen werden müssen.
a) Nach
Art. 20 GBV
wird der Ausweis für die Eintragung einer Eigentümerdienstbarkeit, eines Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefes oder einer Eigentümer- oder Inhabergült durch die schriftliche Anmeldung des Eigentümers erbracht (Abs. 1); die Kantone können jedoch vorschreiben, dass die Anmeldung solcher Schuldbriefe und Gülten zur Eintragung durch eine Urkundsperson zu geschehen hat (Abs. 2). Die Bestimmung ist in keine der bisherigen Revisionen der Grundbuchverordnung einbezogen worden.
BGE 121 III 97 S. 99
b) Die Ordnung des Stoffes und die Reihenfolge der Bestimmungen der bundesrätlichen Verordnung betreffend das Grundbuch schliessen sich eng an den Titel des Zivilgesetzbuches über das Grundbuch an (GUHL, Die schweizerische Grundbuchordnung vom 22. Februar 1910, SJZ 6/1910 S. 362 Ziffer 3). Mit dem Marginale zu den
Art. 963 ff. ZGB
übereinstimmend handelt die Grundbuchverordnung unter dem Titel "Voraussetzungen der Eintragung" von der Anmeldung (
Art. 11 ff. GBV
) und alsdann von den Ausweisen (
Art. 18 ff. GBV
).
Art. 20 GBV
erwähnt in Abs. 1 Ausweis und Anmeldung zugleich und enthält in Abs. 2 einen Vorbehalt zugunsten des kantonalen Rechts, der sich nach dem Wortlaut nur auf die Anmeldung bezieht. Die Vorschrift ist in der Lehre als eine "bereits im Gesetz selbst noch nicht vorgesehene Ausnahmebestimmung" (HOMBERGER, Die Grundpfandverschreibung bei Schuldverpflichtungen auf den Inhaber, ZBJV 71/1935 S. 567) und deren Tragweite - namentlich jene des zweiten Absatzes - als umstritten bezeichnet worden (STEINAUER, Les droits réels, I, 2.A. Berne 1990, S. 201 N. 729a, und III, Berne 1992, S. 253 N. 2954a; SCHÜPBACH, Gestation de la cédule hypothécaire et naissance du droit de gage, ZBGR 71/1990 S. 133 Anm. 6 sowie S. 137 Anm. 20 mit weiteren Literaturhinweisen).
c) Bei der Grundbuchverordnung handelt es sich um eine Ausführungsverordnung (vgl. Ingress). Unter Vorbehalt - und hier zu Recht nicht behaupteter - ausdrücklicher Delegation muss sie sich an den durch das Gesetz vorgegebenen Rahmen halten und darf der Regelung des Gesetzes, die sie näher ausführen soll, nicht zuwiderlaufen. Sie kann verfahrensrechtliche und organisatorische Vorschriften aufstellen, im Gesetz verwendete Begriffe verdeutlichen und gegebenenfalls echte Lücken füllen (allgemein:
BGE 98 Ia 281
E. bb S. 287). Die Beispiele, die das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement anführt und die mit der zu beurteilenden Frage nicht in Zusammenhang stehen, können in diesem Sinne verstanden werden, ohne dass sich das Bundesgericht dazu abschliessend zu äussern braucht. Soweit
Art. 20 Abs. 2 GBV
gesetzeswidrig sein sollte, wie dies die Beschwerdeführerin geltend macht, kann die Frage nach der gesetzlichen Grundlage der bundesrätlichen Verordnungsbefugnis im Bereiche der Eintragungsvoraussetzungen offenbleiben (dazu immerhin: OSTERTAG, Berner Kommentar, N. 2, CURTI/FORRER, Schweizerisches Zivilgesetzbuch mit Erläuterungen, Zürich 1911, N. 3, und WIELAND, Zürcher Kommentar, N. 1, je zu
Art. 949 ZGB
).
BGE 121 III 97 S. 100
3.
In der Lehre wird
Art. 20 GBV
als Ausweis über den Rechtsgrund für die Eintragung (vgl.
Art. 965 Abs. 3 ZGB
) verstanden. Für dessen ersten Absatz trifft dies zu. Die - im übrigen umstrittene - Auslegung hingegen, wonach die Kantone gestützt auf den Vorbehalt in Abs. 2 derselben Bestimmung für die Errichtung von Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefen und von Eigentümer- oder Inhabergülten die öffentliche Beurkundung vorschreiben könnten, lässt sich mit Bundesrecht nicht vereinbaren.
a) In Beantwortung einer Anfrage des Justizdepartements des Kantons Tessin teilte das Eidgenössische Justizdepartement am 23. September 1920 unter anderem mit, für die Errichtung eines Inhaberschuldbriefes genüge nach eidgenössischem Recht die schriftliche Erklärung des Eigentümers der zu belastenden Grundstücke gegenüber dem zuständigen Grundbuchamt, dass er die Ausfertigung eines Inhaberschuldbriefes verlange.
Art. 799 Abs. 2 ZGB
, wonach der Vertrag auf Errichtung eines Grundpfandes zu seiner Verbindlichkeit der öffentlichen Beurkundung bedürfe, sei auf den Inhaberschuldbrief nicht anwendbar, weil ein solcher Vertrag ja gar nicht geschlossen werde. Zur Zeit der Eintragung des Inhaberschuldbriefes im Grundbuch und dessen Errichtung durch das Grundbuchamt brauche ein Gläubiger, der im Pfandvertrag als Gegenkontrahent erscheinen würde, noch gar nicht vorhanden zu sein. Man könne daher als Ausweis für die Errichtung des Inhaberschuldbriefes auch nicht einen öffentlich beurkundeten Vertrag, ja überhaupt keinen Vertrag, sondern eben nur eine einseitige Erklärung des Grundeigentümers und Schuldners verlangen (unter vergleichsweisem Hinweis auf
Art. 20 Abs. 1 GBV
; ZBGR 8/1927 Nr. 61 S. 157 E. 2 S. 158). An dieser Auffassung, der Errichtung eines Inhaberschuldbriefes liege kein Vertrag zugrunde, weshalb die Formvorschrift gemäss
Art. 799 Abs. 2 ZGB
nicht zum Tragen komme, haben die zuständigen Bundesbehörden auch seither festgehalten (ZBGR 22/1941 Nr. 166 S. 283 E. 2; 35/1954 Nr. 25 S. 104, Nr. 26 S. 105 und Nr. 93 S. 314).
Bereits 1919 in anderem Zusammenhang (
BGE 45 I 311
E. 2 S. 315/316) und sodann im Jahre 1923 ausdrücklich hat das Bundesgericht erwogen, aus
Art. 799 ZGB
dürfe nicht abgeleitet werden, dass in jedem Falle der Abschluss eines Vertrages für die Errichtung einer Grundpfandverschreibung unerlässlich sei. Dies erhelle auch aus dem Umstande, dass der
Art. 799 ZGB
sich in den allgemeinen Bestimmungen über das Grundpfand (22. Titel, 1. Abschnitt) befinde, welche für alle Formen des Grundpfandes Geltung hätten,
BGE 121 III 97 S. 101
also auch für die Schuldbriefe und Gülten, für welch letztere das Gesetz ausdrücklich erkläre, dass sie direkt zu Gunsten des Inhabers (Art. 859), also auf einseitige Erklärung des Willens des Schuldners errichtet werden könnten. Dies aber schliesse in solchen Fällen die Notwendigkeit des Abschlusses eines eigentlichen Pfandvertrages aus (
BGE 49 II 19
E. 3a S. 26).
Darüber, dass sich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Form der Errichtung eines Inhaberschuldbriefes oder einer Inhabergült unmittelbar aus dem materiellen Recht ergibt und
Art. 20 Abs. 1 GBV
dies lediglich wiederholt, darf zum einen nicht hinwegtäuschen, dass in verschiedenen Entscheiden und anderem Zusammenhang nur auf
Art. 20 Abs. 1 GBV
(etwa in
BGE 116 II 291
E. 2 S. 293;
BGE 115 II 349
E. 4a S. 357/358;
BGE 112 II 430
E. 2c S. 431) oder bloss auf die erwähnte Rechtsprechung (z.B. in
BGE 93 II 82
E. 4 S. 86/87) verwiesen worden ist. Zum anderen muss davon die Ausnahme geschieden werden, wonach die öffentliche Beurkundung dann als unabdingbar zu betrachten ist, wenn sich der Grundeigentümer zur Verpfändung erst noch zu errichtender Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefe verpflichtet (
BGE 71 II 262
Nr. 61; vgl.
BGE 88 II 162
E. a S. 168 sowie das Gutachten des Eidgenössischen Grundbuchamtes: ZBGR 22/1941 Nr. 166 S. 283 E. 3).
b) Das gleiche Bild zeigen die vorherrschenden Lehrmeinungen. Einesteils wird lediglich auf
Art. 20 Abs. 1 GBV
und/oder die gezeigte Rechtsprechung des Bundesgerichts verwiesen (STEINAUER, a.a.O., II, 2.A. Berne 1994, S. 292 N. 2183; RIEMER, Die beschränkten dinglichen Rechte, Bern 1986, S. 91 N 24; vgl. auch THORENS, Cédules hypothécaires. Naissance du droit réel immobilier et actes de disposition, ZSR NF 92/1973 I S. 373; SCHELLENBERG, Die betreibungsrechtlichen Wirkungen des Eigentümergrundpfandes nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1955, S. 21; SCHÖNBERG, Zehn Jahre Schweizerisches Zivilgesetzbuch. Die Grundbuchpraxis, Aarau 1924, S. 143).
Andernteils stimmen verschiedene Autoren ausdrücklich darin überein, dass es der öffentlichen Beurkundung nicht bedürfe, weil kein Vertrag mit einem Gläubiger geschlossen werde TUOR/SCHNYDER, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 10.A. Zürich 1986, S. 696 und S. 745; WIELAND, Zürcher Kommentar, N. 6 zu
Art. 859 ZGB
S. 400; HOMBERGER/MARTI, Grundpfandrecht I, SJK 608, S. 4; vgl. auch VOLLENWEIDER, Die Sicherungsübereignung von Schuldbriefen als Sicherungsmittel der Bank, Diss. Freiburg i.Ü. 1994, S. 41; LAREIDA, Der Schuldbrief aus wertpapierrechtlicher Sicht, Diss. Zürich
BGE 121 III 97 S. 102
1986, S. 32/33; FISCHER, Interimsurkunden im Grundpfandrecht, Diss. Basel 1975, S. 35; REUTLINGER, Die Inhaberobligation mit Grundpfandverschreibung und der Schuldbrief, Diss. Neuchâtel 1950, S. 27 f.; KUNZ, Öffentliche Vertragsverurkundung und ihre Gültigkeit nach schweizerischem Recht, Diss. Bern 1928, S. 98), oder heben deutlich hervor, dass in dieser Frage durch die bundesrätliche Grundbuchverordnung lediglich wiedergegeben werde, was schon nach materiellem Recht gelte (HOMBERGER, Zürcher Kommentar, N. 29 zu
Art. 965 ZGB
; LEEMANN, Berner Kommentar, N. 25 zu
Art. 799 ZGB
; vgl. auch SCHÜPBACH, ZBGR 71/1990 S. 133 Ziffer 2; ABRAVANEL, Le gage immobilier en droit suisse, Diss. Lausanne 1928, S. 67 N. 77). Betont wird vereinzelt, bei Errichtung von Eigentümer- und Inhaberpfandrechten entfalle das Erfordernis, den Grundeigentümer durch öffentliche Beurkundung zu schützen (RIEMER, ebenda; DOLEZAL, Les actes juridiques des droits réels soumis à la forme écrite, Diss. Lausanne 1987, S. 113; abweichend: BÄR, Wertpapierrechtliche Aspekte von Schuldbrief und Gült, BN 1985/86 S. 38, der die eigentliche Errichtung von der Pfandbestellung unterscheidet und im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung wenigstens für letztere die öffentliche Beurkundung fordert; ähnlich: BONNARD, L'obligation hypothécaire au porteur, Diss. Lausanne 1955, S. 63 ff.).
c) Soweit daher
Art. 20 Abs. 1 GBV
seiner Einreihung entsprechend als Regelung den "Ausweis über den Rechtsgrund für die Eintragung" betreffend zu verstehen ist, gibt er materielles Recht wieder. Die anscheinend gegenteilige Auffassung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements trifft nicht zu. Ob eine Anpassung des Wortlautes an die obenerwähnte Rechtsprechung, die ausnahmsweise eine öffentliche Beurkundung erfordert, in einer Revision nachgeholt werden sollte, kann hier offenbleiben (bejahend: HUBER, Zur Änderung der eidgenössischen Grundbuchverordnung vom 18. November 1987, ZBGR 70/1989 S. 135 Ziffer 5.1).
Damit steht auch ohne Weiterungen fest, dass der Vorbehalt in Abs. 2 von
Art. 20 GBV
nicht dahingehend ausgelegt werden darf, die Kantone könnten für die Errichtung eines Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefes und einer Eigentümer- oder Inhabergült die öffentliche Beurkundung vorsehen (so OSTERTAG, Berner Kommentar, N. 20 zu
Art. 965 ZGB
, a.E.; DESCHENAUX, Das Grundbuch, SPR V/3/1, Basel 1988, S. 291). Ein derart verstandener Vorbehalt widerspräche Bundesrecht (DOLEZAL, a.a.O., S. 115/116; vgl. STEINAUER, a.a.O., III, S. 253 N. 2954a; SCHÜPBACH, ZBGR 71/1990 S. 137 Anm.
BGE 121 III 97 S. 103
20). Es braucht in diesem Zusammenhang lediglich an Art. 18 Abs. 3 letzter Satz aGBV erinnert zu werden, der im Falle von Erbteilung als Ausweis einen öffentlich beurkundeten Teilungsvertrag gefordert hatte und aufgrund klarer Gesetzesvorschrift (
Art. 634 Abs. 2 ZGB
) und entsprechender Praxis des Bundesgerichts zunächst für unanwendbar erklärt und anschliessend geändert werden musste (GONVERS-SALLAZ, Le registre foncier suisse. Commentaire de l'ordonnance fédérale du 22 février 1910 sur le registre foncier, Lausanne 1938, N. 12 zu Art. 18 aGBV; ausführlich: ANDERMATT, Die grundbuchliche Anmeldung nach schweizerischem Recht, Zug 1938, S. 152 ff.). Ein Vorbehalt zugunsten einer Befugnis des kantonalen Gesetzgebers, für Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefe und Eigentümer- oder Inhabergülten als Rechtsgrundausweis einen öffentlich beurkundeten Akt zu fordern, verstiesse deshalb gegen Bundesrecht.
Art. 20 Abs. 2 GBV
kann nicht in diesem Sinne ausgelegt werden.
Seine abweichende Auffassung stützt das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement unter anderem auf den Entwurf Siegmund zur GBV vom 27. Februar 1911, der bezüglich Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefen und Eigentümer- oder Inhabergülten die öffentliche Beurkundung für erforderlich gehalten habe. Dass auch der Vorentwurf der Expertenkommission für eine GBV in Art. 20 Abs. 2 die Befugnis der Kantone, die öffentliche Beurkundung für die Anmeldung solcher Schuldbriefe und Gülten zur Eintragung vorzuschreiben, enthalten hat, trifft zwar zu, doch muss darauf hingewiesen werden, dass es in diesem Punkt beim Vorentwurf geblieben und der vorgeschlagene Art. 20 Abs. 2 in dieser Form gerade nicht in die vom Bundesrat verabschiedete Verordnung aufgenommen worden ist (GONVERS-SALLAZ, N. 7 zu
Art. 20 GBV
). Aus dem nicht allgemein zugänglichen Protokoll der Expertenkommission geht im übrigen mit aller Deutlichkeit hervor, dass die Frage nach der Gesetzmässigkeit eines Beurkundungserfordernisses kantonalen Rechts einen Diskussionspunkt gebildet hat und die Mehrheit diesen Art. 20 Abs. 2 vor allem aus Zweckmässigkeitsgründen in den Vorentwurf aufnehmen wollte (Protokoll über die Verhandlungen der Expertenkommission für die Beratung der Grundbuchverordnung, Grundbuchformularien und Pfandtitel. III. Sitzung vom 17. November 1909, S. 15/16).
4.
Art. 963 Abs. 1 ZGB
sieht vor, dass die Eintragungen auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Eigentümers des Grundstückes, auf das sich die Verfügung bezieht, erfolgen. Dies gilt auch für die Eintragung von
BGE 121 III 97 S. 104
Grundpfandrechten und von Schuldbriefen und Gülten gemäss
Art. 859 ZGB
(DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 290). Soweit in
Art. 20 GBV
eine Vorschrift über die Anmeldung zu erblicken ist, beinhaltet Abs. 1 eine ausdrückliche Wiederholung von
Art. 963 Abs. 1 ZGB
, während der Vorbehalt in Abs. 2 dem Wortlaut dieser Bestimmung klar zuwiderläuft. Dem Bundesrat fehlt daher die Befugnis zum Erlass einer solchen Ermächtigung (in diesem Sinne: HUBER, ZBGR 70/1989 S. 143 Ziffer 8.4).
a) Die Anmeldung hat grundsätzlich vom Eigentümer auszugehen (HOMBERGER, Zürcher Kommentar, N. 10 zu
Art. 963 ZGB
). Sie setzt Verfügungsmacht und Handlungsfähigkeit (Verfügungsfähigkeit) voraus, die im Grundsatz beide nur durch gesetzliche Vorschrift beschränkt werden können (DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 270 ff.; vgl. VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 3.A. Zürich 1979, S. 215 § 28 II); in diesem Rahmen kann die Anmeldung von einem gewillkürten oder gesetzlichen Stellvertreter ausgehen (STEINAUER, a.a.O., I, S. 199 N. 723; DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 274 ff.). Mit Bezug auf die Grundbuchanmeldung findet sich keine gesetzliche Bestimmung, welche die Urkundsperson ausdrücklich als Vertreter des verfügungsberechtigten Eigentümers bezeichnete. Im Gegenteil. Dass
Art. 963 Abs. 1 ZGB
dies nachgerade ausschliesst, zeigt sich dort, wo die Kantone von ihrer Befugnis gemäss Abs. 3 derselben Bestimmung Gebrauch gemacht haben. Sie verpflichten damit nur die Urkundsperson, wohingegen der Eigentümer frei bleibt, auch bei öffentlicher Beurkundung die Anmeldung sich oder einem von ihm bestellten Dritten vorzubehalten (
BGE 55 I 341
E. 3 S. 345; DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 275/276; HOMBERGER, Zürcher Kommentar, N. 18 zu
Art. 963 ZGB
). Ein Vorbehalt zugunsten des kantonalen Gesetzgebers, für die Grundbuchanmeldung in bestimmten Fällen eine Art gesetzlicher Vertretung des an sich verfügungsberechtigten Eigentümers durch die Urkundsperson, wie sie in
Art. 20 Abs. 2 GBV
gesehen werden kann, vorzuschreiben, steht mit
Art. 963 Abs. 1 ZGB
somit nicht im Einklang.
b) Eine formelle Betrachtungsweise - die Grundbuchanmeldung verstanden als den auf Einleitung des Einschreibeverfahrens gerichteten Antrag des verfügungsberechtigten Eigentümers an den Grundbuchverwalter - führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach Lehre und Rechtsprechung darf das kantonale Recht für die Anmeldung - im Unterschied zu deren Vollzug - keine weiteren Voraussetzungen aufstellen (
BGE 112 II 322
E. 2 und 3 S. 324; vgl. DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 449; MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 45 zu
BGE 121 III 97 S. 105
Art. 656 ZGB
). Ein Vorbehalt zugunsten des kantonalen Gesetzgebers in diesem Bereich ist bundesrechtswidrig. Aus dem gleichen Grund kann
Art. 20 Abs. 2 GBV
im Zusammenhang mit der Anmeldung auch nicht als "Ausnahme von der Schriftlichkeit" (so OSTERTAG, Berner Kommentar, N. 16 zu
Art. 963 ZGB
; ihm folgend: ANDERMATT, a.a.O., S. 80) gesehen werden, die - als blosse Ordnungsvorschrift zwar (STEINAUER, a.a.O., I, S. 199 N. 722a; DESCHENAUX, SPR V/3/1, S. 279) - für die Grundbuchanmeldung gesetzlich vorgeschrieben ist und genügt. Ebensowenig darf die erwähnte Bestimmung als "im Interesse der kantonalen Urkundspersonen" gerechtfertigt werden (ABRAVANEL, a.a.O., S. 69 Anm. 138 unter Hinweis auf BORLAT, Formulaire d'actes hypothécaires avec notes explicatives, Lausanne 1911, S. 52). Die Kantone haben in dieser Frage keine Gesetzgebungsbefugnis und können dazu auch nicht ermächtigt werden.
c) Die in
BGE 45 I 311
E. 2 S. 316 aufgeworfene Frage, ob
Art. 20 Abs. 2 GBV
mit dem Zivilgesetzbuch im Einklang stehe, ist zu verneinen. Der nach allgemeinen Grundsätzen Verfügungsberechtigte ist befugt, die Grundbuchanmeldung selbst vorzunehmen. Die Voraussetzungen, unter denen Eigentümer- oder Inhaberschuldbriefe und Eigentümer- oder Inhabergülten im Grundbuch eingetragen werden, sind im Zivilgesetzbuch ebenfalls abschliessend geregelt (
BGE 66 I 88
E. 2 S. 91). Von den vielfältigen Meinungsäusserungen, die in der Literatur zu
Art. 20 GBV
vertreten werden, sind der Vollständigkeit halber noch deren zwei hervorzuheben:
LEEMANN hält dafür, die Ermächtigung zum Erlass kantonaler Bestimmungen gemäss
Art. 20 Abs. 2 GBV
diene offenbar dem Zwecke der Herstellung einer sichern Grundlage für den Grundbucheintrag (Berner Kommentar, N. 13 zu
Art. 859 ZGB
; in der gleichen Richtung: ABRAVANEL, a.a.O., S. 68 N. 78, der den Schutz des Grundeigentümers in den Vordergrund stellt). Weshalb dieses Bedürfnis je nach Kanton verschieden sein soll und inwieweit es überhaupt besteht (verneinend: GAUTSCHI, Beitrag zur Theorie des Eigentümergrundpfandes nach Schweizerischem Zivilgesetzbuch, Diss. Zürich 1928, S. 182), kann offenbleiben. Denn die Prüfungspflicht des Grundbuchverwalters erstreckt sich auf sämtliche ihm unterbreiteten Akte, unabhängig von deren Verfasser. Beim Gesuch um Ausstellung eines Inhaberschuldbriefes hat er daher zu prüfen, ob dieses alle wesentlichen Elemente enthält, den Namen des Eigentümers, die Bezeichnung des Grundstückes sowie Betrag und Rang des Pfandrechtes (
BGE 116 II 291
E. 2
BGE 121 III 97 S. 106
S. 292/293), ansonsten die Anmeldung abzuweisen ist und dem Gesuchsteller der Beizug einer Urkundsperson empfohlen werden kann. Das Grundbuchamt wird dadurch keineswegs zu einem "Beratungsbüro"; der Grundbuchverwalter nimmt vielmehr die ihm von Gesetzes wegen obliegenden Pflichten wahr.
Das erwähnte Urteil des Bundesgerichts (
BGE 45 I 311
E. 2 S. 316) bringt
Art. 20 GBV
in direkten Zusammenhang mit der Verordnungsbefugnis des Bundesrates gemäss
Art. 858 ZGB
, und LEEMANN verweist auf eine kantonale Praxis, nach welcher der Notar, der den Pfandvertrag öffentlich beurkundet oder den Eigentümer- bzw. Inhaberschuldbrief oder die Eigentümer- bzw. Inhabergült nach
Art. 20 Abs. 2 GBV
zur Eintragung angemeldet hat, als ermächtigt gilt, das Formular des Schuldbrief- oder Gülttitels auszufüllen und dem Grundbuchverwalter einzureichen (Berner Kommentar, N. 2 zu
Art. 857 ZGB
). Einmal abgesehen davon, dass
Art. 858 ZGB
eine bundesrätliche Verordnungsbefugnis nur für die "Formen des Schuldbriefes und der Gült", für die Formulare mithin (eindeutig die lateinischen Gesetzestexte: "le formulaire des cédules hypothécaires et des lettres de rente"; "i formulari delle cartelle ipotecarie e delle rendite fondiarie"), vorsieht und
Art. 20 Abs. 2 GBV
deshalb in dieser Bestimmung keine Stütze finden kann, rechtfertigte eine - im übrigen wenig verbreitete - kantonale Spezialität aufgrund der klaren bundesgesetzlichen Regelung über die Ausstellung des Pfandtitels keine Beeinträchtigung der Befugnis des Eigentümers, selbst anzumelden. Nach
Art. 857 Abs. 1 ZGB
werden Schuldbrief und Gült durch den Grundbuchverwalter ausgestellt, weshalb den kantonalen Sonderordnungen von Bundesrechts wegen auch keine materielle Bedeutung zukommen kann (LEEMANN, ebenda). Der Grundbuchverwalter hat in diesem Bereich eine Leistungspflicht. Der Auffassung, das Grundbuchamt sei "ausschliesslich ein Register", muss insoweit widersprochen werden. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d3dc9538-3b5c-40ea-b178-44b108215004 | Urteilskopf
95 II 109
16. Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Februar 1969 i.S. Schweizerische Bankgesellschaft gegen Poljak. | Regeste
Internationales Privatrecht, Kauf, Abtretung.
Anwendbares Recht beim Kauf (Erw. 2 a).
Übervorteilung. Nichtigkeit des Vertrages wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Anfechtung; Frage offen gelassen (Erw. 2 b).
Abstrakter oder kausaler Charakter der Abtretung; Frage offen gelassen (Erw. 2 b).
Materielle Gültigkeit der Abtretung; anwendbares Recht (Erw. 3 a). Devisenrechtliches Abtretungsverbot. Verstoss gegen die schweizerische öffentliche Ordnung (Erw. 3 c).
Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Forderung, deren Erwerb dem Schuldner nicht innert der Verjährungsfrist angezeigt wird (Erw. 4).
Befreiende Wirkung einer Zahlung, die der Schuldner auf Grund eines ausländischen Erbscheines vornimmt (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 95 II 109 S. 110
A.-
Der jüdische Bankdirektor Leo Keppich besass seit 1927 bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) ein Konto, das 1932 in ein Nummernkonto umgewandelt wurde. Die SBG bezahlte daraus die Prämien einer Lebensversicherung, die Keppich im Jahre 1928 mit der Basler-Lebensversicherungsgesellschaft abgeschlossen hatte, und nahm im Jahre 1947 die zur Zahlung fällig gewordene Versicherungssumme entgegen.
Im Juli 1948 gelangte Elemer Fogel, der Bruder der Ehefrau Keppichs, im Namen seiner Eltern Lajos und Matild Fogel-Fried, an die SBG und verlangte die Auszahlung des Kontos. Auf Grund beigebrachter Urkunden soll Keppich im Jahre 1943 in Auschwitz umgekommen, seine Ehefrau am 18. Juni 1944 in Bacsalmas gestorben und ihre Eltern die alleinigen Erben sein. Gestützt darauf zahlte die SBG das Guthaben Keppichs am 27. Oktober 1949 mit Fr. 33 481.-- und - nach ihrer Darstellung - am 23. November 1949 mit Fr. 15 057.-- an Fogel aus.
Im April 1958 teilte Dezsö Poljak der SBG mit, Keppich habe ihm das Guthaben in den Jahren 1943/44 abgetreten. Als die SBG erklärte, sie habe es bereits ausbezahlt, und weitere Verhandlungen erfolglos blieben, erstattete Poljak am 11. Februar 1959 Strafanzeige gegen Unbekannt.
B.-
Am 19. September 1961 klagte Poljak gegen die SBG auf Zahlung von Fr. 33 481.-- nebst Zins zu 5% seit 27. Oktober 1949 und Fr. 15 507.-- nebst 5% Zins seit 23. November 1949.
BGE 95 II 109 S. 111
Das Bezirksgericht Zürich wies die Klage am 3. Dezember 1963 ab, weil die Beklagte in Unkenntnis der vom Kläger behaupteten Abtretung verpflichtet gewesen sei, das Guthaben an Elemer Fogel auszuzahlen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hob am 15. Mai 1964 dieses Urteil auf und wies das Bezirksgericht an, die bestrittene Sachlegitimation des Klägers zu beurteilen. Das Bezirksgericht Zürich holte hierauf ein Gutachten ein über die Echtheit der Urkunden, auf die der Kläger seinen Anspruch stützte, und wies die Klage am 28. Juni 1966 erneut ab.
Das Obergericht verpflichtete am 25. Juni 1968 die Beklagte, dem Kläger Fr. 48 538.-- nebst 5% Zins seit 30. Dezember 1958 zu bezahlen.
C.-
Die Beklagte beantragt mit der Berufung, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell sei die Klage im Umfange von Fr. 10 348.30 (einkassierte Versicherungssumme) abzuweisen; subeventuell sei die Sache zur Aktenergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In der "Vereinbarung" vom 18. Mai 1932 haben Keppich und die Beklagte ausdrücklich schweizerisches Recht als anwendbar erklärt. Da durch die Abtretung die Rechtslage der Beklagten als Schuldnerin nicht erschwert werden durfte (vgl. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Das Obligationenrecht - Einleitung, internationales Privatrecht - N. 379; VISCHER, Internationales Vertragsrecht, Bern 1962, S. 238), bindet die getroffene Rechtswahl auch den Kläger.
2.
Die Beklagte bestreitet im Berufungsverfahren die Echtheit der Abtretungserklärungen nicht mehr. Sie hält aber am Einwand fest, die Abtretung sei wegen Ungültigkeit des Grundgeschäftes unwirksam.
a) Wie die Vorinstanz feststellt, liegt der Abtretung ein Kaufvertrag zu Grunde. Dieser untersteht nicht dem Recht des abzutretenden Anspruchs, sondern seinem eigenen Statut (
BGE 61 II 245
,
BGE 62 II 110
,
BGE 74 II 87
,
BGE 78 II 392
,
BGE 79 II 165
/66, 297/98).
Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz wohnte Keppich im Zeitpunkt der Abtretung in Subotica, einer etwa 170 km südlich von Budapest gelegenen Stadt, die bis 1941 zu Jugoslawien und dann bis 1945 infolge völkerrechtlicher Annektion
BGE 95 II 109 S. 112
unter dem Namen Szabadka zu Ungarn gehörte und seither wieder jugoslawisch ist; dort fand auch die Zession statt. Der 1943/44 abgeschlossene Kaufvertrag unterstand daher dem ungarischen Recht. Dieses wurde allerdings im kantonalen Verfahren nicht nachgewiesen, weshalb die Vorinstanz ersatzweise schweizerisches Recht anwendete. Es ist daher in diesem Punkt auf die Berufung einzutreten (
BGE 92 II 118
ff.).
b) Die Beklagte hält in der Berufung daran fest, dass zwischen dem Wert der abgetretenen Forderung und dem dafür bezahlten Preis ein offenbares Missverhältnis bestanden habe. Sie ist der Auffassung, der Vertrag sei auf dem Wege der Lückenfüllung als nichtig zu erklären, weil weder Keppich noch seine Erben zur Anfechtung in der Lage gewesen seien.
Nach
Art. 21 OR
ist der Vertrag bei Übervorteilung einer Partei bloss anfechtbar (vgl.
BGE 84 II 112
/13,
BGE 90 II 179
). Die Anfechtung steht nur dem "Verletzten", d.h. dem Vertragspartner zu. Die Beklagte nahm aber am Vertrag nicht teil und ist daher zur Anfechtung nicht legitimiert. Ob der Vertrag ausnahmsweise nichtig ist, wenn der Verletzte verhindert war, ihn rechtzeitig anzufechten, kann dahingestellt bleiben, weil es an den Voraussetzungen der Übervorteilung fehlt.
Die Übervorteilung setzt nach
Art. 21 OR
unter anderem ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus. Das Obergericht stellt in dieser Beziehung fest, Keppich habe sein Guthaben zum amtlichen Wechselkurs von Fr. 1.- zu 1 pengö statt zum freien Kurs von Fr. 1.- zu 6,5 pengö verkauft. Es vertritt die Auffassung, dem Kläger habe die Zahlung des freien Kurses nicht zugemutet werden können, weil damals durchaus ungewiss gewesen sei, ob er dieses Guthaben in der Schweiz je werde einlösen können. Unter diesen Umständen kann von einem offenbaren Missverhältnis nicht die Rede sein.
Zudem stellt die Vorinstanz fest, die Beklagte habe die angebliche Übervorteilung nicht in einer für die Durchführung eines Beweisverfahrens tauglichen Art substanziert. Es ist somit nicht nachgewiesen, dass der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages die Notlage, Unerfahrenheit oder den Leichtsinn Keppichs gekannt, also die Möglichkeit der Übervorteilung bewusst zu seinen Gunsten ausgenützt hat. Unter diesen Umständen kann wie in
BGE 84 II 363
/64 offen bleiben, ob die Abtretung einen gültigen Rechtsgrund voraussetzt.
3.
Die Beklagte macht unter Berufung auf GULDENER
BGE 95 II 109 S. 113
(Zession, Legalzession und Subrogation im internationalen Privatrecht, Diss. Zürich 1929, S. 41 f. und 63 N. 3) geltend, die Gültigkeit der Abtretung beurteile sich grundsätzlich nach eigenem Recht, d.h. nach dem Recht des engsten räumlichen Zusammenhanges und unterstehe nur soweit dem Recht der abzutretenden Forderung, als es der Schutz des Schuldners gebiete. Im vorliegenden Fall liege der Schwerpunkt der Abtretung und des ihr zugrunde liegenden Kaufvertrages (Verpflichtungsgeschäftes) im ungarischen Rechtsraum. Die Abtretung sei nach dem massgebenden ungarischen Devisenrecht ungültig, weil die Verfügung über das Konto ohne Erlaubnis der ungarischen Nationalbank erfolgt sei.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes beurteilt sich die Gültigkeit der Abtretung nach dem Recht der zu übertragenden Forderung (vgl.
BGE 23 I 143
,
BGE 39 II 76
f.,
BGE 41 II 134
Erw. 1,
BGE 61 II 245
,
BGE 62 II 110
,
BGE 74 II 87
,
BGE 78 II 392
). Auf dem gleichen Boden steht auch die herrschende Lehre (vgl. BECKER, N. 13 zu den Vorbemerkungen zu
Art. 164 - 174 OR
; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, a.a.O. N. 377; VISCHER, a.a.O. S. 238; SCHNITZER, Internationales Privatrecht II, 4. Aufl. 1958, S. 657; LEWALD, Das deutsche internationale Privatrecht, S. 274; KEGEL, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1964, S. 247). Zu einer neuen Überprüfung der Frage besteht kein Anlass, weil die Vorinstanz auch hier ersatzweise schweizerisches Recht angewendet hat.
b) Die Vorinstanz stellt fest, die Beklagte habe das der Abtretung angeblich entgegenstehende ungarische Devisenrecht nicht nachgewiesen. Sie weist darauf hin, dass auf ein Schreiben, welches das Gericht in einer andern Frage des Prozesses an das Eidg. Politische Departement gerichtet habe, ein Bericht des Vertrauensanwaltes der schweizerischen Botschaft in Budapest eingetroffen sei, welcher unter anderem wie folgt laute:
"Als Ergebnis teile ich mit, dass im Sinne der vor dem Krieg gültigen Rechtsvorschriften die aus Subotica stammende Person jüdischer Abstammung die fraglichen Werte aller Wahrscheinlichkeit nach unter Hintergehung der ungarischen Rechtsvorschriften in die Schweiz brachte oder bringen liess, was eine verbotene Handlung war, die strafrechtliche Folgen hatte, ja sogar die Konfiszierung der ausgeführten Werte nach sich gezogen hätte. Der jugoslavische Flüchtling, der 1943-44 diese Vermögenswerte kaufte, hätte dieses Geschäft nur mit der Erlaubnis der Ungarischen Nationalbank abwickeln dürfen, mangels deren er auf dem Deliktwege in den Besitz der Werte gelangte."
BGE 95 II 109 S. 114
Dieser Bericht beruht nach Auffassung des Obergerichtes auf unrichtigen tatsächlichen Voraussetzungen, weil Keppich das Guthaben nicht unter Umgehung ungarischer Devisenbestimmungen in die Schweiz gebracht, sondern es in einer Zeit begründet habe, als Subotica unter jugoslawischer Herrschaft stand. Die Beklagte behaupte denn auch nicht, dass Keppich bei der Eröffnung des Kontos im Jahre 1927 jugoslawische Bestimmungen verletzt habe. Ob jene ungarischen Bestimmungen auch auf solche befugtermassen im Ausland begründete Guthaben anwendbar seien, gehe aus jener Auskunft nicht hervor. Die Frage könne aber offen gelassen werden.
Diese Feststellungen sind für das Bundesgericht verbindlich, wenn sie nicht unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind oder offensichtlich auf Versehen beruhen (
Art. 63 Abs. 2 OG
).
Die Beklagte behauptet, die Vorinstanz habe den zweiten Absatz des Berichtes übergangen, in welchem der Vertrauensanwalt erkläre, der jugoslawische Flüchtling könne seines Erachtens den Anspruch nicht durchsetzen, wenn er nicht beweise, dass die ungarische Nationalbank sowohl die Zustimmung zur Einfuhr der fraglichen Vermögenswerte in die Schweiz als auch zu deren Übereignung erteilt habe. Das ändert aber an der Feststellung der Vorinstanz nichts. Von einem offensichtlichen Versehen, wie die Beklagte es anscheinend dartun will, kann somit keine Rede sein.
c) Die Vorinstanz hat die Anwendung des ungarischen Rechtes abgelehnt, weil es gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstosse.
Oeffentliches Recht gilt nach einem allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechtes in der Regel nur in jenem Staat, der es erlassen hat (Territorialitätsprinzip). Es kann daher in der Schweiz nicht angewendet oder vollzogen werden, es wäre denn, die schweizerische Rechtsordnung selbst verlange das, insbesondere weil die Schweiz sich hiezu durch Staatsvertrag verpflichtet habe oder weil das ausländische öffentliche Recht das von ihr als anwendbar anerkannte Privatrecht unterstütze, z.B. in das Privatrecht oder in privatrechtliche Verhältnisse vorwiegend oder ausschliesslich zum Schutze privater Interessen eingreife (vgl.
BGE 82 I 197
/98 und die dort erwähnten Entscheide).
Das Bundesgericht hat Eingriffe in die Gläubigerrechte durch
BGE 95 II 109 S. 115
die ausländische Gesetzgebung wegen Unvereinbarkeit mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung wiederholt als unzulässig erklärt (vgl. z.B.
BGE 62 II 110
,
BGE 61 II 246
Erw. 3, wo wie im vorliegenden Fall die Gültigkeit einer Abtretung zu beurteilen war). Gegen die Anwendung der Vorbehaltsklausel erheben sich umso weniger Bedenken, als nach dem Bericht des Vertrauensanwaltes die angeblichen Devisenvorschriften offenbar nur Juden betrafen und damit einen ausgesprochen rassenfeindlichen Einschlag hatten.
4.
Die Beklagte folgert aus dem Umstand, dass der Kläger seit der angeblich im Jahre 1946 erfolgten Anzeige der Abtretung während 12 Jahren mit der Geltendmachung des Anspruches zugewartet habe, dürfe ihr der gute Glaube nicht mehr abgesprochen werden und habe sie umso mehr auf die Berechtigung der durch die vorgelegte Bescheinigung ausgewiesenen Erben vertrauen dürfen. Durch das lange Zuwarten dürfe sich der Kläger nach Treu und Glauben ihr gegenüber überhaupt nicht auf mangelnde Sorgfalt berufen und sei ihm auch nicht mehr gestattet, seinen Anspruch geltend zu machen. Jedenfalls sei die Anzeige der Abtretung und die Legitimationsführung später als 10 Jahre nach dem Abtretungsakt nicht mehr zulässig; ansonst wäre - die abstrakte Natur der Abtretung vorausgesetzt - die Bereicherungsklage wegen der absoluten Verjährungsfrist von 10 Jahren nicht mehr durchsetzbar.
Das Obergericht stellt - beweiswürdigend - für das Bundesgericht verbindlich fest, der Kläger habe den Nachweis dafür, dass er der Beklagten die Abtretung angezeigt habe, nicht erbracht.
Die Abtretung ist jedoch auch gültig, wenn sie dem Schuldner nicht angezeigt wird. Unterbleibt die Mitteilung, so läuft der Zessionar nur Gefahr, dass sich der gutgläubige Schuldner durch Leistung an den früheren Gläubiger befreit (
Art. 167 Abs. 1 OR
). Auch wird die Forderung in ihrem Bestand nicht verändert, wenn die Mitteilung an den Schuldner unterbleibt. Der Anspruch unterliegt nach wie vor der gleichen Verjährungsfrist. Die Beklagte beruft sich nicht auf Verjährung, sondern auf Anspruchsverwirkung infolge Rechtsverzögerung.
Die Vorinstanz erklärt, die Beklagte habe die Einrede des Rechtsmissbrauchs zu spät erhoben. Das schadet der Beklagten nicht.
Art. 2 ZGB
ist in jeder Instanz von Amtes wegen zu beachten. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt aber voraus,
BGE 95 II 109 S. 116
dass eine Partei im kantonalen Verfahren Sachumstände behauptet hat, die geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch zu vernichten. Damit missbräuchliche Verzögerung in der Rechtsausübung angenommen werden darf, genügt der blosse Zeitablauf nicht, sondern müssen weitere Umstände hinzukommen. Das ist dann der Fall, wenn die Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit des Berechtigten in einem unvereinbaren Widerspruch steht oder wenn der Gläubiger mit der Geltendmachung des Anspruchs in der Absicht zuwartet, eine für den Schuldner nachteilige Beweisverdunkelung herbeizuführen (vgl.
BGE 94 II 41
/42). Auf solche Umstände beruft sich die Beklagte jedoch nicht. Wie die Vorinstanz - im Zusammenhang mit der Frage nach der Echtheit der Abtretungsurkunden - ausführt, hätte die Nachkriegs-Devisengesetzgebung Jugoslawiens dem Kläger die freie Verwendung über sein Guthaben nicht gestattet und wäre es schon aus diesen Gründen für den Kläger schwierig gewesen, mit der Beklagten in Verbindung zu treten. Diese Tatsache ist gerichtsnotorisch. Die Behauptung der Beklagten, die Vorinstanz habe in Verletzung von
Art. 8 ZGB
auf eine unbewiesene Behauptung abgestellt, ist daher unbegründet.
Der Einwand der Beklagten, die Forderung hätte innert 10 Jahren seit der Abtretung geltend gemacht werden müssen, nützt nichts; er scheitert an der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, dass die Unterlassung der Anzeige für die Auszahlung des Guthabens an Fogel nicht kausal war; denn die Beklagte befände sich in der gleichen Lage, wenn der Kläger auch nur einen Tag nach der im Jahre 1949 erfolgten Auszahlung des Guthabens - also innerhalb der von ihr behaupteten Verwirkungsfrist - seine Forderung gegen sie geltend gemacht hätte.
Da der Kläger das Zuwarten mit der Geltendmachung der Forderung zu rechtfertigen vermag, besteht für die ohnehin sonderbare Auffassung der Beklagten, er dürfe sich ihr gegenüber nicht auf mangelnde Sorgfalt berufen, kein Raum. Dasselbe gilt für die Ansicht der Beklagten, ihr dürfe der gute Glaube im Zusammenhang mit der Auszahlung des Guthabens überhaupt nicht abgesprochen werden. Im übrigen ist dieser Gesichtspunkt, wie noch dargetan wird, nicht entscheidend (vgl. Erw. 5).
5.
Das Obergericht stellt verbindlich fest, Keppich sei
BGE 95 II 109 S. 117
nicht im Jahre 1943, sondern im Jahre 1944 gestorben und habe seine Ehefrau überlebt. Die Eltern der Ehefrau Keppichs, Lajos und Matild Fogel-Fried, fielen somit als gesetzliche Erben Keppichs ausser Betracht, weshalb die Beklagte durch Auszahlung des Kontos an Elemer Fogel nicht befreit worden sei.
a) Die Beklagte macht geltend, sie habe die auftragsrechtliche Ablieferungspflicht auf Grund der von Elemer Fogel vorgelegten Erbenbescheinigung erfüllt, da sie - rückblickend - die nach den konkreten Umständen von ihr zu erwartende Sorgfalt bei der Legitimationsprüfung der Ansprecher beachtet habe. Sie beruft sich hiefür auf JÄGGI, N. 52 und 60 zu
Art. 966 OR
.
b) Die Anerkennung eines ausländischen Erbscheines setzt voraus, dass er nach dem Recht des betreffenden Staates entweder eine endgültige oder entsprechend
Art. 559 ZGB
mindestens eine vorläufige Legitimationswirkung hat und von der zuständigen Behörde ausgestellt worden ist (vgl. ESCHER, N. 26 und TUOR/PICENONI, N. 27 zu
Art. 559 ZGB
). Dabei ist mit GULDENER (Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 196 und 99) als genügend zu erachten, wenn die Zuständigkeit der Behörde des Staates feststeht, in welchem der Erbgang eröffnet werden durfte. Ausserdem ist erforderlich, dass der Schuldner auf Grund der nach den Umständen gebotenen Aufmerksamkeit nicht erkennen kann, dass die Urkunde materiell unrichtig oder ungenügend sei.
Die Beklagte hat die Auszahlung des Guthabens auf Grund einer Kopie des Nachlassprotokolls eines Budapester Notars vom 27. Juni 1949 sowie eines darauf bezugnehmenden Beschlusses des Zentral-Bezirksgerichtes Budapest vorgenommen, der nach dem Wortlaut mangels Anfechtung durch die Berechtigten als rechtskräftig gilt. Der Gerichtsbeschluss bestätigt den Inhalt des notariellen Protokolls und damit auch die darin enthaltene Feststellung, die Eheleute Fogel-Fried seien die gesetzlichen Erben Keppichs. Der Beschluss kann somit an sich als Legitimationsurkunde in Betracht fallen.
Die Vorinstanz stellt sodann auf Grund der unwiderlegten Behauptung des Klägers fest, dass nach ungarischem wie nach jugoslawischem Recht die Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers zur Ausstellung einer Erbenbescheinigung sachlich zuständig sei. Diese in Auslegung prozessualer Erklärungen getroffene Feststellung ist für das Bundesgericht verbindlich
BGE 95 II 109 S. 118
(
BGE 81 II 528
Erw. 5,
BGE 83 II 173
). Ausserdem stellt das Obergericht fest, Keppich sei, solange die Beklagte mit ihm verkehrte, in Subotica wohnhaft gewesen. Diese Stadt gehörte, wie erwähnt (vgl. Erw. 2), im Jahre 1949 wieder zu Jugoslawien. Die ungarischen Behörden waren daher zur Ausstellung einer Erbenbescheinigung nicht zuständig.
Im Gegensatz zum deutschen Recht (§ 2366 und 2367 BGB) verurkundet der Erbschein im schweizerischen Recht keine endgültige Entscheidung über die Erbberechtigung (ESCHER, N. 8 und 9 a und TUOR/PICENONI, N. 23 zu
Art. 559 ZGB
; TUOR/SCHNYDER, 8. Aufl. ZGB, S. 371). Umstritten ist daher, ob der gutgläubige Schuldner durch Leistung an die durch Erbenbescheinigung im Sinne von
Art. 559 ZGB
ausgewiesenen Erben befreit wird. InBGE 41 II 213wurde die Frage ohne nähere Begründung bejaht. In der Lehre sind die Auffassungen geteilt (zustimmend JÄGGI, N. 52 und 60 zu
Art. 966 OR
; SOMMER, Die Erbbescheinigung nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1941 S. 84 und 88; ablehnend ESCHER, N. 8 zu
Art. 559 ZGB
und VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 459, vgl. aber auch S. 524 N. 76, wo die gegenteilige Auffassung vertreten wird). Die Frage kann indessen offen bleiben, weil die Auszahlung, wie erwähnt, auf Grund einer ausländischen Erbenbescheinigung erfolgt ist.
Im vorliegenden Fall kommt der Beklagten die Berufung auf JÄGGI (a.a.O.) schon deshalb nicht zustatten, weil dieser Autor das Vertrauen des Schuldners nur unter der Voraussetzung geschützt wissen will, dass die Erbenbescheinigung echt ist, d.h. von der (sachlich) zuständigen Behörde stammt. JÄGGI erklärt denn auch ausdrücklich, dass der Schuldner die Gefahr eines ungenügenden oder unechten Rechtsnachfolgeausweises trage. Das stimmt mit dem Grundsatz überein, dass der Schuldner nur durch Leistung an den Gläubiger oder an einen von ihm bezeichneten oder bevollmächtigten Vertreter befreit wird (vgl. VON TUHR/SIEGWART, a.a.O. S. 458/59; GUHL, Das schweiz. Obligationenrecht, 5. Aufl. S. 185). Die Beklagte kann sich weder auf eine gesetzliche oder vertragliche Ausnahme noch auf ein Mitverschulden des Klägers berufen, um die Leistung an einen Nichtberechtigten zu rechtfertigen. Da die Legitimationsurkunde von der Behörde eines nicht zuständigen Staates stammte, kann offen bleiben, ob sich die Beklagte in gutem Glauben befunden hat oder nicht.
BGE 95 II 109 S. 119
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 25. Juni 1968 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3e768ed-fcf0-4069-880a-2533a674991b | Urteilskopf
103 II 96
15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1977 i.S. Thurflug AG Lommis und Motorfluggruppe der Sektion Thurgau des Aero-Clubs der Schweiz gegen Lauchetal AG | Regeste
Art. 667 Abs. 1 ZGB
(Verhältnis zwischen Luftrecht und Grundeigentum).
1. Abgesehen von den im Luftfahrtgesetz ausdrücklich vorgesehenen Fällen steht der Luftraum der Luftfahrt nur soweit zur Verfügung als die dem Grundeigentümer vom Privatrecht eingeräumten Rechte nicht beeinträchtigt werden (E. 2).
2. Das Überfliegen eines Grundstücks in geringer Höhe ohne vertragliche Bewilligung des Grundeigentümers in der Umgebung eines privaten Flugplatzes ist widerrechtlich (E. 3).
3. Ist die Errichtung einer Baute in der Anflugschneise eines Flugplatzes, mit der unter anderem auch die Verhinderung des Flugbetriebs bezweckt wird, rechtsmissbräuchlich? (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 103 II 96 S. 97
Die Thurflug AG und die Motorfluggruppe der Sektion Thurgau des Aero-Clubs der Schweiz sind Eigentümerinnen mehrerer Grundstücke bei Lommis/TG, auf denen sie gestützt auf eine Betriebsbewilligung des eidgenössischen Luftamtes vom Jahre 1962 ein privates Flugfeld betreiben. Am 15. Dezember 1972 wurde die Lauchetal AG mit Sitz in Lommis gegründet. Gemäss ihren Statuten bezweckt sie den Kauf und Verkauf, die Verwaltung und Überbauung von Grundstücken sowie den Betrieb von Baumschulen und Gartenanlagen. Ihrem Verwaltungsrat scheinen im wesentlichen die gleichen Leute anzugehören, die auch in einem "Aktionskomitee für Fluglärmbekämpfung Lommis und Umgebung" massgebend sind. Es gelang ihr, in unmittelbarer Nähe des Flugfeldes zwei Grundstücke zu erwerben, insbesondere die westlich der Flugfeldpiste liegende, von dieser lediglich durch ein Meliorationssträsschen getrennte, bisher unüberbaute Parzelle Nr. 124 im Ausmass von rund 19 000 m2.
Im August 1974 stellte die Lauchetal AG bei der Ortsvorsteherschaft Lommis ein Baugesuch für eine Einstellhalle zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken. Die Halle sollte in die Südostecke der Parzelle Nr. 124 auf der Fortsetzung der Pistenachse zu stehen kommen und einen Grundriss von rund
BGE 103 II 96 S. 98
20 auf 21 m sowie eine Höhe von 12,45 m aufweisen. Die Thurflug AG und die Motorfluggruppe erwirkten darauf beim Gerichtspräsidenten Münchwilen am 20. August 1974 ein provisorisches Bauverbot und leiteten innert der angesetzten Frist Bauverbotsklagen beim Bezirksgericht Münchwilen ein. Dieses hiess die Klagen mit Urteil vom 28. Mai 1976 mit der Begründung gut, das Bauvorhaben der Beklagten sei rechtsmissbräuchlich. Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess eine von der Beklagten eingereichte Berufung am 16. Dezember 1976 gut, wies die Klagen ab und hob das provisorische Bauverbot auf.
Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Klägerinnen beim Bundesgericht gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde und getrennt Berufung eingereicht. Auf die staatsrechtliche Beschwerde trat das Bundesgericht nicht ein. Mit den beiden Berufungen beantragen die Klägerinnen sinngemäss, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte und das Obergericht beantragen die Abweisung der Berufungen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die im vorinstanzlichen Urteil und in der Berufung der Thurflug AG diskutierte Frage, ob die Beklagte für ihr Bauvorhaben bereits im Besitze einer öffentlichrechtlichen Baubewilligung sei bzw. ob diesem Bauvorhaben öffentlichrechtliche Vorschriften des eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Bau- und Planungsrechtes entgegenstünden, ist für den Entscheid in der vorliegenden Streitsache ohne Bedeutung. Der Zivilrichter hat lediglich zu prüfen, ob das Bauvorhaben der Beklagten private Rechte der Klägerinnen verletze. Auch die öffentlichrechtlichen Vorschriften des Bundes über die Luftfahrt sind nur insofern von Bedeutung, als sich aus ihnen eine Beschränkung des Grundeigentums im Sinne von
Art. 641 Abs. 1 und
Art. 667 Abs. 1 ZGB
ableiten lässt.
2.
Eine Verletzung von Bundesrecht erblicken die Klägerinnen in erster Linie in der Auffassung des Obergerichts, ein Flugfeldinhaber verstosse gegen das öffentliche Luftrecht, wenn er ohne besondere vertragliche Einigung mit den Nachbarn deren Grundstücke in einer Höhe von weniger als 150 m
BGE 103 II 96 S. 99
überfliege. Die Beurteilung dieser Rüge ruft einer Prüfung nach dem Verhältnis zwischen Luftrecht und Grundeigentum.
Gemäss Art. 1 des Luftfahrtgesetzes (LFG; SR 748.0) ist die Benützung des Luftraumes über der Schweiz durch Luftfahrzeuge im Rahmen der Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes und der übrigen Bundesgesetzgebung gestattet. Beschränkungen des Grundeigentums in der Umgebung von Flugplätzen enthalten insbesondere die
Art. 42 und 43 LFG
. Sie gelten aber nur für öffentliche Flugplätze, die gemäss
Art. 37 Abs. 1 LFG
einer Konzession bedürfen, und begründen zudem, wenn sie einer Enteignung gleichkommen, eine Entschädigungspflicht (
Art. 44 LFG
). Private Flugplätze, die nicht dem öffentlichen Verkehr dienen (sogenannte Flugfelder,
Art. 31 Abs. 2 LFV
, SR 748.01) und die gemäss
Art. 37 Abs. 2 LFG
lediglich einer Bewilligung des eidgenössischen Luftamtes bedürfen, haben gemäss
Art. 44ter LFG
die nötigen Massnahmen zur Gewährleistung des Betriebes auf privatrechtlichem Weg zu treffen. Weitere Beschränkungen des Eigentums finden sich in den
Art. 41 und 50 LFG
. Nach der erstgenannten Bestimmung kann der Bundesrat Vorschriften erlassen, um Luftfahrthindernisse zu untersagen, zu beseitigen oder anzupassen, wobei im Falle der Enteignung eine Entschädigungspflicht besteht, und in Art. 50 wird ein Enteignungsrecht für öffentliche Flugplätze und für Vorkehren zur Flugsicherung statuiert.
Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt. dass der Luftraum dem Gemeingebrauch durch die Luftfahrt so weit zur Verfügung steht, als dadurch die dem Grundeigentümer vom Zivilrecht eingeräumten Rechte nicht beeinträchtigt werden. Eine Beschränkung des Grundeigentums ist nur in den vom Luftrecht ausdrücklich vorgesehenen Fällen, im Falle einer Enteignung zudem nur gegen volle Entschädigung, zulässig (vgl. dazu OPPIKOFER, Die aktuellen Probleme des Luftrechts, ZSR 65/1946 S. 206a ff.; GULDIMANN, Cuius est solum, eius est usque ad coelum, Zeitschrift für Luftrecht 1/1952 S. 215 ff.; BAI, Luftrecht und Grundeigentum, Diss. Zürich 1955 S. 64 ff. und 114 ff.; ROCHAT, La protection contre les obstacles à la navigation aérienne, Diss. Lausanne 1974 S. 22 Nr. 30).
Keine eigentlichen Eigentumsbeschränkungen, sondern lediglich polizeiliche Vorschriften über den Flugverkehr bilden die Bestimmungen über die minimale Flughöhe (BAI, a.a.O.
BGE 103 II 96 S. 100
S. 204). Diese beträgt, wie die Vorinstanz richtig feststellt, gemäss Art. 60 der Verfügung des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge vom 3. Dezember 1971 (SR 748.121.11) über dichtbesiedelten Zonen 300 m und im übrigen 150 m. Die Mindestflughöhen gelten indessen nach der genannten Bestimmung für den Abflug und die Landung nicht. Beim Starten und Landen darf somit ein Flugzeug eine Höhe von weniger als 300 bzw. 150 m einhalten, ohne damit gegen Vorschriften des öffentlichen Luftrechtes zu verstossen. Insoweit kann demnach dem obergerichtlichen Urteil nicht zugestimmt werden. Ob das Überfliegen eines Grundstücks rechtmässig oder widerrechtlich erfolgt, beurteilt sich - von den besonderen Eigentumsbeschränkungen in der Umgebung von öffentlichen Flugplätzen abgesehen - allein nach privatrechtlichen Gesichtspunkten. Der Grundeigentümer kann sich gemäss
Art. 641 Abs. 2 ZGB
gegen das Überfliegen zur Wehr setzen, wenn es ihn in der Ausübung seiner Eigentumsrechte behindert (
BGE 95 II 405
/6).
3.
Gemäss
Art. 667 Abs. 1 ZGB
erstreckt sich das Grundeigentum so weit in den Luftraum, als für seine Ausübung ein Interesse besteht. Das ist für die Beklagte bis zu einer Höhe von 12,45 m ohne jeden Zweifel der Fall (so auch
BGE 95 II 405
). Vom eidgenössischen Privatrecht her gesehen bestehen keine Bestimmungen, die der Beklagten die Errichtung so hoher Bauten auf ihrem Grundstück verbieten würden, und die Klägerinnen vermögen auch keine aufgrund von
Art. 686 ZGB
erlassene Vorschrift des kantonalen privaten Baurechts anzurufen, die dem Bauvorhaben der Beklagten entgegenstehen würde (was übrigens das Bundesgericht nicht zu überprüfen hätte). Daraus folgt, dass den Klägerinnen nur dann ein Anspruch zustehen würde, das fragliche Grundstück in so geringer Höhe zu überfliegen, wenn ihnen hiefür seitens der Beklagten vertraglich ein Recht eingeräumt worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. Auf die bloss prekaristische Duldung der Überflüge durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten können sich die Klägerinnen selbstverständlich nicht berufen, da die Beklagte durch ein allfälliges derartiges Verhalten des früheren Grundeigentümers nicht gebunden wäre und zudem eine prekaristische Erlaubnis voraussetzungslos jederzeit widerrufen werden kann.
BGE 103 II 96 S. 101
Im Ergebnis ist somit, wenn auch mit etwas anderer Begründung, der Vorinstanz doch darin zuzustimmen, dass das Überfliegen des Grundstücks der Beklagten durch die Klägerinnen rechtswidrig erfolgt. Diesem Umstand kommt bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte rechtsmissbräuchlich handle, Bedeutung zu.
4.
Im Grunde genommen gehen die Klägerinnen mit der Vorinstanz darin einig, dass der Beklagten ihr Bauvorhaben nur untersagt werden kann, wenn dessen Ausführung einen offenbaren Rechtsmissbrauch im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
darstellt. Das könnte nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz nur dann bejaht werden, wenn die von der Beklagten projektierte Baute keinen vernünftigen andern Zweck hätte, als den Flugbetrieb der Klägerinnen zu hindern oder zu stören. Das ist jedoch nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht der Fall. Wenn diese ausführt. die Beklagte räume ein, dass die Scheune "auch eine Abwehrfunktion" habe, so liegt darin indirekt die Feststellung, dass mit ihr ausserdem noch weitere Zwecke verfolgt werden, und die Vorinstanz legt diese denn auch dar. Sie hält fest, dass sich die geplante Überbauung unter den statutarischen Gesellschaftszweck der Beklagten subsumieren lässt und dass sie eine Wertvermehrung für die Parzelle mit sich bringt. Die Beklagte kann daher ein schützenswertes Interesse für die Erstellung der Halle geltend machen. Sie braucht sich nicht auf Diskussionen mit den Klägerinnen darüber einzulassen, ob der Betrieb einer Baumschule auf ihrem Grundstück bessere oder geringere Erfolgsaussichten habe, ob für die von ihr verfolgten Zwecke auch ein weniger hohes Gebäude genügen würde und ob dessen Standort allenfalls auf eine andere Stelle des Grundstückes verlegt werden könne. Alle diese Fragen würden sich nur dann stellen, wenn die Klägerinnen in der Ausübung eines ihnen zustehenden Rechts behindert würden. Dagegen können sie sich nicht darüber beklagen, dass ihnen die Ausübung einer widerrechtlichen Handlung verunmöglicht wird. Es liesse sich vielmehr die Frage stellen, ob die Beklagte zur Errichtung der geplanten Baute nicht auch dann befugt wäre, wenn sie mit deren Ausführung kein anderes Interesse verfolgen würde, als die Klägerinnen am rechtswidrigen Überfliegen ihres Grundstückes zu hindern. In dieser Hinsicht lässt sich der vorliegende
BGE 103 II 96 S. 102
Tatbestand nicht mit dem von MERZ (N. 347 zu
Art. 2 ZGB
) angeführten französischen Fall Clément-Bayard/Coquerel (DALLOZ, Recueil périodique, 1913 II S. 181 und 1917 I S. 79) vergleichen. Dort ging es darum, dass der Nachbar eines Flugplatzes 10-11 m hohe Holzgestelle errichtete und auf diesen zudem noch 2-3 m lange, spitze Eisenstangen montierte, in der ausschliesslichen Absicht, dem Flugplatzinhaber zu schaden und diesen zu veranlassen, ihm sein Grundstück zu einem übersetzten Preis abzukaufen. Obwohl nach den Feststellungen beider urteilenden Gerichtsinstanzen auch die Holzgestelle keinerlei vernünftigen Sinn hatten, wurde der Geklagte lediglich verpflichtet, die Eisenstangen zu entfernen, nicht auch die Holzgestelle abzubrechen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die beiden Berufungen werden abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 16. Dezember 1976 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d3e90232-a2f2-41a9-bf95-e00951333e70 | Urteilskopf
122 IV 344
53. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 25. November 1996 i.S. R. gegen Eidg. Finanzdepartement | Regeste
Art. 103 VStrR
. Abwesenheitsverfahren; Wiedereinsetzung.
Ein Schreiben, mit welchem die Verwaltung ein Gesuch um Wiedereinsetzung abweist bzw. auf ein solches nicht eintritt, ist eine Verfügung und als solche mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (E. 3c).
Der Entscheid der Verwaltung über ein Wiedereinsetzungsgesuch unterliegt der Beschwerde an die Anklagekammer des Bundesgerichts (E. 4e).
Mit der (auflösend bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils hört die Verfolgungsverjährung zu laufen auf; gleichzeitig beginnt die Vollstreckungsverjährung (E. 5b).
Der in Abwesenheit Verurteilte kann auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangen (E. 5c und d).
Wann hat sich der Beschuldigte im Sinne von
Art. 103 Abs. 2 VStrR
gestellt (E. 6b)? | Sachverhalt
ab Seite 345
BGE 122 IV 344 S. 345
A.-
Im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der D. AG reichte die Eidg. Bankenkommission am 1. Dezember 1988 gegen vier Beschuldigte, darunter auch den deutschen Staatsangehörigen R., beim Eidg. Finanzdepartement Strafanzeige ein wegen Bestellung der Vertretung einer ausländischen Bank in der Schweiz ohne Bewilligung (
Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG
; SR 952.0). Gestützt darauf eröffnete das Eidg. Finanzdepartement gegen die vier Beschuldigten am 17. Januar 1989 eine Verwaltungsstrafuntersuchung.
Gestützt auf das Schlussprotokoll vom 28. Januar 1991 verurteilte das Eidg. Finanzdepartement R., dessen Aufenthaltsort angeblich nicht in Erfahrung gebracht werden konnte, mit Strafbescheid (
Art. 64 Abs. 1 VStrR
) vom 8. Mai 1991 im Abwesenheitsverfahren (
Art. 103 Abs. 1 VStrR
) wegen vorsätzlicher Widerhandlung im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG
zu einer Busse von Fr. 8'000.--; ferner wurden ihm die Verfahrenskosten im Betrag von Fr. 2'084.-- auferlegt. R. soll die ihm zur Last gelegten Widerhandlungen vom Spätherbst 1987 bis 1. Februar 1988 begangen haben. Wegen unbekannten Aufenthalts von R. wurde der Strafbescheid gestützt auf
Art. 64 Abs. 3 VStrR
durch Notifikation im Bundesblatt Nr. 18 vom 14. Mai 1991 eröffnet.
Nachdem R., der sich seit dem 2. November 1988 in der Justizvollzugsanstalt Hakenfeld (Berlin) befindet, von diesem Urteil durch eine Mitteilung des Generalbundesanwalts vom 1. Dezember 1992, es sei im (deutschen) Bundeszentralregister eingetragen worden, Kenntnis erhalten hatte, beantragte der am 16. Dezember 1992
BGE 122 IV 344 S. 346
durch ihn bevollmächtigte Rechtsanwalt Z., Berlin, mit Schreiben vom 5. Januar 1993 beim Eidg. Finanzdepartement vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand und legte "gegen die Entscheidung das zulässige Rechtsmittel ein".
Das Eidg. Finanzdepartement teilte dem Vertreter von R. am 10. Mai 1993 mit, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung seien in keiner Weise erfüllt; dem Gesuch um Wiedereinsetzung in den früheren Stand könne daher nicht entsprochen werden.
Mit Eingabe vom 21. Juni 1993 an das Eidg. Finanzdepartement beantragte der Vertreter von R. die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sowie die Wiedereinsetzung "gegen der Rechtsmittelfrist"; zudem legte er vorsorglich das zulässige Rechtsmittel gegen den Strafbescheid vom 8. Mai 1991 ein.
Am 23. Juli 1993 verwies das Eidg. Finanzdepartement auf sein Schreiben vom 10. Mai 1993, das nach wie vor Gültigkeit habe und keiner Ergänzung bedürfe.
B.-
Mit Schreiben vom 27. Januar 1996 beantragte R. dem Eidg. Finanzdepartement die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand"; weiter ersuchte er um Übermittlung des Strafbescheides vom 8. Mai 1991, damit er sich rechtfertigen könne.
Mit Schreiben vom 31. Januar 1996 teilte das Eidg. Finanzdepartement R. mit, sein erstes Wiedereinsetzungsgesuch sei am 10. Mai 1993 abschlägig behandelt worden; diesem Entscheid sei auch aus heutiger Sicht nichts beizufügen.
Nachdem das Eidg. Finanzdepartement diese Auffassung nach einer Eingabe von R. vom 4. Februar 1996 am 21. Februar 1996 bestätigt hatte, gelangte dieser am 27. Februar 1996 erneut an das Departement mit dem Ersuchen, ihm die zuständige Beschwerdeinstanz mitzuteilen.
Da das Eidg. Finanzdepartement auf diese und eine weitere Eingabe vom 30. März 1996 nicht reagierte, wandte sich R. mit Beschwerden vom 18., 19. und 21. April 1996 an das "Oberlandesgericht CH 3003 Bern", an das "Bezirksgericht 3003 Bern" und an das Eidg. Finanzdepartement.
Die beiden nicht an das Departement adressierten Beschwerden wurden durch das Obergericht des Kantons Bern und das Untersuchungsrichteramt Bern, wo sie eingegangen sind, an dieses weitergeleitet.
C.-
In Anwendung von
Art. 8 VwVG
überwies die Chefin des Rechtsdienstes des Eidg. Finanzdepartementes die drei bei ihm
BGE 122 IV 344 S. 347
eingegangenen Beschwerden von R. am 13. Mai 1996 zuständigkeitshalber der Anklagekammer des Bundesgerichts, denn diese entscheide gemäss
Art. 25 VStrR
über die ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Beschwerden und Anstände.
Mit Schreiben vom 20. Mai 1996 forderte der Präsident der Anklagekammer gestützt auf
Art. 29 Abs. 4 OG
R. auf, in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu verzeichnen. Mit Schreiben vom 22. Mai 1996 macht R. geltend, die Strafhaft daure noch an. Sinngemäss beantragt er, ihm allenfalls einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
In ihrer Vernehmlassung vom 1. Juli 1996 beantragt die Chefin des Rechtsdienstes des Eidg. Finanzdepartementes, die Beschwerden abzuweisen.
In seiner Stellungnahme vom 8. November 1996 zur Vernehmlassung des Eidg. Finanzdepartementes hält der Beschwerdeführer sinngemäss an seinen Beschwerden fest; er hält ergänzend fest, er hätte aufgrund seiner Haft auf dem Wege der Rechtshilfe einvernommen werden können.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Das Eidg. Finanzdepartement verurteilte den Beschwerdeführer mit Strafbescheid vom 8. Mai 1991 im Abwesenheitsverfahren gemäss
Art. 103 Abs. 1 VStrR
; der Strafbescheid wurde ihm wegen unbekannten Aufenthaltes in Anwendung von
Art. 64 Abs. 3 VStrR
durch Publikation im Bundesblatt eröffnet.
b) In den vorliegenden Eingaben macht der Beschwerdeführer insbesondere geltend, das Abwesenheitsurteil sei, ohne ihn vorgehend darüber zu orientieren und ihn anzuhören, gefällt worden, obwohl seine Anschrift - Justizvollzugsanstalt Berlin - dem Rechtsdienst des Eidg. Finanzdepartementes über das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen in Berlin bekannt gewesen sei. Er macht damit geltend, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Abwesenheitsverfahrens gegen ihn nicht erfüllt gewesen seien.
3.
a) Nach Ablauf der für die ordentlichen Rechtsmittel geltenden Fristen wird das Abwesenheitsurteil lediglich auflösend bedingt rechtskräftig (ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, S. 262; ARTHUR HAEFLIGER, Kommentar zur Militärstrafgerichtsordnung, Bern 1959, Art. 166 MStGO N. 12; CLAUDIA BÜHLER, Das Abwesenheitsverfahren im zürcherischen Strafprozess, Diss. Zürich 1992, S. 93). Denn gemäss
Art. 103 Abs. 2 VStrR
kann
BGE 122 IV 344 S. 348
der Beschuldigte, wenn er sich stellt oder ergriffen wird, innert 30 Tagen, seit er vom Strafbescheid Kenntnis erhalten hat, bei der Behörde, die zuletzt gesprochen hat, die Wiedereinsetzung verlangen. Wird das Gesuch rechtzeitig gestellt, so ist das ordentliche Verfahren durchzuführen (
Art. 103 Abs. 3 VStrR
). Eine solche Regelung ist dadurch charakterisiert, dass der Beschuldigte voraussetzungslos die Wiedereinsetzung verlangen kann (vgl. zur entsprechenden Regelung in
Art. 156 MStP
: BBl 1977 II 90 und 93; vgl. auch NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 466; HAUSER, a.a.O., S. 262).
b) Dem Gesuch des Vertreters des Beschwerdeführers vom 5. Januar 1993 um Wiedereinsetzung gemäss
Art. 103 Abs. 2 VStrR
entsprach das Eidg. Finanzdepartement (mit Schreiben vom 10. Mai 1993) nicht; dies mit der Begründung, er erfülle die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in keiner Weise; weder sei er ergriffen worden, noch habe er sich gestellt, noch sei nachgewiesen, dass das Gesuch rechtzeitig eingereicht worden sei; der Strafbescheid sei daher rechtskräftig und vollziehbar. Am 27. Mai 1993 ergänzte das Eidg. Finanzdepartement sein Schreiben vom 10. Mai 1993 dahingehend, dass auf das Begehren auch infolge Ablaufs der Wiedereinsetzungsfrist von 30 Tagen nicht eingetreten werden könne.
Dagegen wandte sich der Vertreter des Beschwerdeführers am 21. Juni 1993 erneut an das Eidg. Finanzdepartement mit dem Begehren um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und dem Begehren um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist; gleichzeitig legte er vorsorglich das zulässige Rechtsmittel gegen den Strafbescheid ein.
c) Mit dem Schreiben vom 10. Mai 1993 hat das Eidg. Finanzdepartement das Gesuch des Verurteilten um Aufhebung des Abwesenheitsurteils und um Durchführung des ordentlichen Verfahrens abgewiesen. Obwohl das Eidg. Finanzdepartement dieses nicht als Entscheid bzw. als Verfügung bezeichnete, handelt es sich zumindest inhaltlich um einen Entscheid, denn darin wird festgestellt, dass die Resolutivbedingung der Rechtskraft des Abwesenheitsurteils nicht mehr bestehe und dass dieses demnach als endgültig rechtskräftig zu betrachten sei (vgl. MKGE 5 Nr. 53). Ein solcher Entscheid muss aber - sofern dagegen ein Rechtsmittel gegeben ist - wie der Strafbescheid selber, um den es im vorliegenden Fall der Sache nach geht, eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (
Art. 64 Abs. 1 VStrR
). Eine solche fehlte im vorliegenden Fall.
BGE 122 IV 344 S. 349
4.
a)
Art. 103 VStrR
regelt die Frage nicht, ob gegen einen Entscheid, mit welchem die zuständige Behörde auf ein Gesuch um Wiedereinsetzung nicht eingetreten ist oder dieses abgewiesen hat, ein Rechtsmittel gegeben sei; auch in
Art. 148 Abs. 3 BStP
fehlt eine solche Regelung. Es ist daher zu prüfen, ob sich durch Auslegung ein Rechtsmittel gegen solche Entscheide der Verwaltung ergibt.
b) Das Eidg. Finanzdepartement geht davon aus, dass die Weigerung seines Rechtsdienstes, das gegen den Beschwerdeführer geführte Verwaltungsstrafverfahren wieder aufzunehmen, trotz Fehlens einer gesetzlichen Regelung der Rechtsmittel im Wiederaufnahmeverfahren gestützt auf
Art. 25 Abs. 1 VStrR
und in Analogie zum Revisionsverfahren (
Art. 88 Abs. 4 VStrR
) der Beschwerde an die Anklagekammer unterliege.
c) Die in verschiedenen schweizerischen Strafprozessgesetzen bestehenden Bestimmungen über die Regelung des Abwesenheitsverfahrens sind stets auch auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK und den aus der Bundesverfassung abgeleiteten Grundsätzen zu prüfen und im Lichte der sich daraus für ein rechtsstaatliches Strafverfahren ergebenden Mindestanforderungen auszulegen und anzuwenden; dazu ist insbesondere auch die Resolution DH (75) 11 des Ministerkomitees des Europarates vom 21. Mai 1975 über die Grundsätze bei der Durchführung von Strafverfahren in Abwesenheit des Angeklagten (VPB 1984 Nr. 107, im folgenden: Resolution) heranzuziehen; denn letztere ist zwar nicht verbindlich, doch gelten ihre Grundsätze als Mindestanforderungen zur Auslegung und Konkretisierung des Landesrechts (
Art. 4 und 58 BV
) und der durch die Schweiz ratifizierten europäischen Übereinkommen (insb.
Art. 6 EMRK
; vgl.
BGE 111 Ia 341
E. 3a; VPB 1984 Nr. 108; statt vieler: NIKLAUS SCHMID, Zum zürcherischen Abwesenheitsverfahren nach Abschaffung des ordentlichen Verfahrens gemäss StPO § 197, in: Strafrecht und Öffentlichkeit, Festschrift für Jörg Rehberg, Zürich 1996, S. 286). Ziffer I.8 der Resolution verlangt, dass der in Abwesenheit Verurteilte, der nicht ordnungsgemäss vorgeladen wurde, über ein Rechtsmittel verfügen muss, um die Nichtigkeit des Abwesenheitsurteils feststellen zu lassen.
d) Der Militärstrafprozess kennt eine entsprechende Regelung: Gemäss
Art. 184 Abs. 1 lit. c MStP
(SR 322.1) kann gegen Abwesenheitsurteile der Divisionsgerichte Kassationsbeschwerde erhoben werden; subsidiär unterliegt die Verweigerung der Wiederaufnahme des Verfahrens dem Rekurs an das Militärkassationsgericht (
Art. 195 lit. d MStP
; vgl. dazu auch MICHEL MAILLEFER, Le
BGE 122 IV 344 S. 350
jugement contumacial en procédure pénale militaire, in: ZStrR 104 [1987] S. 191 und 194 f.).
Auch in den meisten Kantonen, die ein Abwesenheitsverfahren kennen, ist die Möglichkeit der Anfechtung der Abweisung eines Wiedereinsetzungsgesuches, wenn nicht explizit in der jeweiligen Strafprozessordnung (vgl. etwa Art. 420 lit. d CPP/VD; Art. 345 Abs. 1 StrV/BE), so doch in der Lehre und Rechtsprechung anerkannt (vgl. etwa JÜRG AESCHLIMANN, Das bernische Strafverfahren, C-Besonderer Teil II, Bern 1993, N. C430; SCHMID, a.a.O., S. 300; HEINZ AEMISEGGER, Die Rechtsbehelfe der Schaffhauser Strafprozessordnung, Diss. Zürich 1976, S. 47).
e) Es ist daher davon auszugehen, dass auch gegen Entscheide der Verwaltung über Wiedereinsetzungsgesuche gemäss
Art. 103 VStrR
ein Rechtsmittel zur Verfügung stehen muss, mit welchem der Beschuldigte geltend machen kann, auf das Gesuch sei zu Unrecht nicht eingetreten oder dieses sei zu Unrecht abgewiesen worden.
Da sich das Gesuch um Wiedereinsetzung wie die Revision unmittelbar gegen Urteile wendet, die bereits - beim Abwesenheitsurteil auflösend bedingt (siehe E. 3a oben) - in Rechtskraft erwachsen sind, und bezweckt, ein neues Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wird die Wiedereinsetzung in der Lehre - ohne indessen die erheblichen Unterschiede zu verkennen - etwa auch als Spezialfall der Revision bezeichnet; deshalb können die Bestimmungen über die Revision grundsätzlich auch für die Auslegung der meist nur sehr knappen und unvollständigen Regelungen der Wiedereinsetzung herangezogen werden (vgl. AEMISEGGER, a.a.O., S. 37 mit Hinweis auf PFENNINGER).
Gemäss
Art. 88 Abs. 4 VStrR
kann der Gesuchsteller gegen den die Revision abweisenden Entscheid der Verwaltung innert 30 Tagen seit der Eröffnung bei der Anklagekammer des Bundesgerichts Beschwerde im Sinne von
Art. 25 Abs. 1 VStrR
führen, wobei die Verfahrensvorschriften von
Art. 28 Abs. 2-5 VStrR
sinngemäss gelten. Diese Regelung ist bei der Anfechtung eines Entscheides der Verwaltung, mit welchem diese auf ein Gesuch um Wiedereinsetzung nicht eintritt oder dieses abweist, analog anzuwenden. Denn nur eine solche Auslegung entspricht der Absicht des Gesetzgebers, die Anklagekammer des Bundesgerichts im Strafverfahren vor der Verwaltung ganz allgemein als Beschwerdeinstanz einzusetzen (vgl. BBl 1971 I 1009) und damit einen umfassenden richterlichen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. BBl 1971 I 1002).
BGE 122 IV 344 S. 351
f) Da im vorliegenden Fall eine Rechtsmittelbelehrung fehlte und sich das zur Verfügung stehende Rechtsmittel nicht ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, geniesst der Beschwerdeführer den Vertrauensschutz (RENÉ RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 86 B III), zumal er und sein Anwalt nicht Schweizer sind und beide im Ausland wohnen. Man könnte sich zwar fragen, ob es nicht Sache des Anwalts gewesen wäre, sich nach möglichen Rechtsmitteln zu erkundigen. Das Eidg. Finanzdepartement bezeichnete indessen seine verschiedenen Schreiben nie förmlich als Verfügungen - obwohl es sich, wie bereits ausgeführt, zumindest beim Schreiben vom 10. Mai 1993 inhaltlich um eine solche handelte -, ansonsten hätte sich der Betroffene oder sein Anwalt möglicherweise nach Rechtsmitteln erkundigt. Unter diesen Umständen kann auch nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer habe, indem er zwischen dem Schreiben des Eidg. Finanzdepartementes vom 23. Juli 1993 bis zur nächsten Eingabe vom 27. Januar 1996 rund zweieinhalb Jahre verstreichen liess, sein Beschwerderecht verwirkt. Hier kommt hinzu, dass man sich im gegenteiligen Fall fragen müsste, ob seine diversen Schreiben (bzw. jene seines Anwalts) an die Verwaltung - namentlich seine Antwort vom 19. Mai 1993 auf das Schreiben des Eidg. Finanzdepartementes vom 10. Mai 1993 - nicht dem Sinne nach hätten als Beschwerden betrachtet und gemäss
Art. 28 Abs. 4 VStrR
an die Rechtsmittelinstanz, d.h. an die Anklagekammer des Bundesgerichts, weitergeleitet werden müssen.
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
5.
a) Das Eidg. Finanzdepartement geht in seiner Vernehmlassung zunächst davon aus, die vom Beschwerdeführer beantragte Wiedereinsetzung sei schon deshalb nicht mehr möglich, weil inzwischen sowohl die Verfolgungs- als auch die Vollstreckungsverjährung eingetreten sei.
b) Nach überwiegender Lehre und Rechtsprechung hört mit der (auflösend bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils die Verfolgungsverjährung zu laufen auf; gleichzeitig beginnt die meist längere Vollstreckungsverjährung (vgl. BBl 1977 II 93; Zusammenstellung bei RIKLIN, ZStrR 113 [1995] 161, mit zahlreichen Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung; BÜHLER, a.a.O., S. 22 und 95; MAILLEFER, a.a.O., S. 197; AEMISEGGER, a.a.O., S. 49; HAUSER, a.a.O., S. 263; PFENNINGER, ZStrR 70 [1955], S. 57).
aa) Die Vorinstanz stützt ihre Auffassung betreffend die Verfolgungsverjährung zu Unrecht auf
Art. 51 Abs. 3 BankG
, denn diese
BGE 122 IV 344 S. 352
Bestimmung gilt ausdrücklich nur für Übertretungen. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte vorsätzliche Widerhandlung im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 lit. a BankG
wird hingegen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu Fr. 50'000.-- bestraft. Es handelt sich somit um ein Vergehen, für welches gemäss
Art. 51 Abs. 2 BankG
die allgemeinen Bestimmungen des VStrR gelten. Gemäss
Art. 2 VStrR
gelten die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches, soweit das VStrR nichts anderes bestimmt; dies ist in bezug auf die Verjährung von Vergehen nicht der Fall. Gemäss
Art. 70 StGB
verjährt das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Vergehen in fünf Jahren.
Art. 11 Abs. 3 VStrR
bestimmt, dass die Verfolgungsverjährung bei Übertretungen und Vergehen ruht, solange der Täter im Ausland eine Freiheitsstrafe verbüsst (vgl. auch
Art. 72 Ziff. 1 StGB
). Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Widerhandlungen soll dieser bis Anfang 1988 begangen haben. Er verbüsst seit Ende 1988 eine Freiheitsstrafe in Berlin. Entgegen der Auffassung des Eidg. Finanzdepartements ist die Verfolgungsverjährung deshalb noch nicht eingetreten. Da sie bereits aus dem angeführten Grund ruht, stellt sich die umstrittene Frage des Ruhens der Verfolgungsverjährung ab der (resolutiv bedingten) Rechtskraft des Abwesenheitsurteils nicht (vgl. dazu FRANZ RIKLIN, Zur Frage der Verjährung im Abwesenheitsverfahren, in: ZStrR 113 [1995], S. 162 mit Hinweisen).
bb) Hingegen trifft es zu, dass inzwischen die Vollstreckungsverjährung eingetreten ist: Gemäss
Art. 51 Abs. 2 BankG
in Verbindung mit
Art. 2 VStrR
und
Art. 73 StGB
verjährt die Strafe des hier in Frage stehenden Vergehens nach fünf Jahren. Der im Abwesenheitsverfahren erlassene Strafbescheid datiert vom 8. Mai 1991, so dass die fünfjährige Vollstreckungsfrist inzwischen abgelaufen ist.
c) Die Auffassung der Vorinstanz, der Eintritt der Vollstreckungsverjährung stehe einem Wiedereinsetzungsgesuch entgegen, beruht auf dem Vorbild des französischen Code d'instruction criminelle (H.F. PFENNINGER, Die Verjährung im Kontumazialverfahren, ZStrR 70 [1955] S. 55 und 63f.; HAUSER, a.a.O., S. 263; FELIX STRÄULI, Das Verfahren gegen den Abwesenden im schweizerischen Militärstrafprozess, Diss. Zürich 1955, S. 47) und hat einzig in einigen welschen Strafprozessordnungen sowie in derjenigen des Kantons Tessin Niederschlag gefunden (vgl. Art. 403 CPP/VD, Art. 216 Abs. 2 CPP/NE,
Art. 53 Ziff. 4 StPO
/FR; Art. 316 Abs. 1 CPP/TI;
Art. 156 Abs. 1 MStP
). Soweit diese Meinung neben RENATE SCHWOB
BGE 122 IV 344 S. 353
(Verwaltungsstrafrecht des Bundes, SJK 1290, S. 20) und GÉRARD PIQUEREZ (Précis de Procédure Pénale Suisse, Lausanne 1994, N. 2238) vertreten wird, stützt sie sich auf die frühere Praxis des Militärkassationsgerichts zu Art. 167 MStGO (EMKG 6 Nr. 72; AEMISEGGER, a.a.O., S. 46 und 52; STRÄULI, a.a.O., S. 52 f.). Auch der Bundesgesetzgeber hat - allerdings ohne nähere Begründung - anlässlich der parlamentarischen Beratung im Jahre 1978 im neuen Militärstrafprozess eine entsprechende zeitliche Beschränkung eingeführt (vgl. Sten.Bull. 1978 NR 644).
d) Eine solche Einschränkung fehlt sowohl im Bundesstrafprozess als auch im Verwaltungsstrafverfahren sowie in den deutschschweizerischen Strafprozessgesetzen; sie ergibt sich auch nicht aus der Natur der Verjährungsbestimmungen (HAUSER, a.a.O., S. 263). Nach heute herrschender Auffassung soll der Beschuldigte zeitlich unbeschränkt - sofern keine ausdrückliche entgegengesetzte gesetzliche Bestimmung besteht -, d.h. auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung noch die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Verfahrens verlangen können. Der im Abwesenheitsverfahren Verurteilte hat trotz Eintretens der Vollstreckungsverjährung ein legitimes Interesse an der Klärung der Schuldfrage in einem ordentlichen Gerichtsverfahren. Aus demselben Grund ist auch die Revision zu Gunsten des Beschuldigten jederzeit zulässig (
Art. 84 Abs. 2 VStrR
). Schliesslich bleibt auch der Nachteil des Strafregistereintrages bestehen. Das Interesse des Staates an der Bestrafung des Täters geht zwar durch Zeitablauf verloren, nicht aber jenes an der Richtigstellung eines fehlerhaften richterlichen Erkenntnisses (statt vieler: SCHMID, Strafprozessrecht, N. 865; HAUSER, a.a.O., S. 263).
Die Vollstreckungsverjährung steht daher der Wiedereinsetzung nicht entgegen.
6.
a) Das Eidg. Finanzdepartement hat die Wiedereinsetzung sodann abgelehnt, weil sich der Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 103 Abs. 2 VStrR
weder gestellt habe noch ergriffen worden sei.
b) Diese Frage stellt sich hier indessen noch nicht oder ist jedenfalls noch nicht endgültig zu beantworten. Gegen den Beschwerdeführer wurde der Strafbescheid im Abwesenheitsverfahren ausgefällt, weil er unbekannten Aufenthaltes war. Nachdem er rechtzeitig (dazu noch näher E. 7 hiernach) ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt hat, genügt es deshalb zunächst (vgl. auch oben E. 3a), dass sein Aufenthalt nun bekannt ist, um dem Wiedereinsetzungsgesuch
BGE 122 IV 344 S. 354
in der Weise stattzugeben, dass das ordentliche Verfahren gegen ihn dort wiederaufgenommen und neu durchgeführt wird, wo dies wegen seines unbekannten Aufenthaltes nicht möglich war. Das Abwesenheitsurteil kann aber erst durch einen im ordentlichen Verfahren ergangenen Entscheid ersetzt werden, wenn die Voraussetzungen hiefür im Urteilszeitpunkt (immer noch) erfüllt sind. Ist dies der Fall, wird grundsätzlich davon auszugehen sein, der Beschwerdeführer habe sich gestellt. Trifft dies nicht zu, entfällt eine weitere Durchführung des ordentlichen Verfahrens und wird der im Abwesenheitsverfahren erlassene Strafbescheid endgültig rechtskräftig (vgl. dazu HAUSER, a.a.O., S. 262 oben, mit Hinweisen); darauf wird der Beschwerdeführer hiermit ausdrücklich aufmerksam gemacht.
7.
a) Das Eidg. Finanzdepartement begründete seinen Entscheid vom 10. Mai 1993 schliesslich damit, dass das Gesuch um Wiedereinsetzung nicht rechtzeitig gestellt worden sei.
b) Aus den der Anklagekammer vorliegenden Akten ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer seit dem 2. November 1988 in der Justizvollzugsanstalt Hakenfelde in Berlin in Haft befindet. Es ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, er habe von dem hier in Frage stehenden Abwesenheitsurteil erst durch eine Mitteilung des Generalbundesanwalts vom 1. Dezember 1992 Kenntnis erhalten, mit welcher ihn dieser darüber informierte, dieses sei im (deutschen) Bundeszentralregister eingetragen worden. Mit Schreiben des Bundesministeriums für Justiz in Bonn vom 9. Juni 1993 an das Eidg. Finanzdepartement (in Beantwortung von dessen Anfrage vom 31. März 1993) hält dieses fest, die Mitteilung des Generalbundesanwalts an R. vom 1. Dezember 1992 betreffend den Strafbescheid vom 8. Mai 1991 sei am 7. Dezember 1992 als normale Briefsendung zur Post gegeben worden; wann sie dem Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt übergeben wurde, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer kann die Mitteilung somit frühestens am nächsten Tag, d.h. am 8. Dezember 1992 erhalten haben. Die Frist von 30 Tagen für das Begehren um Wiedereinsetzung endete somit am 7. Januar 1993. Das am 5. Januar 1993 der deutschen Post übergebene und gemäss Eingangsstempel der Eidg. Finanzverwaltung am 7. Januar 1993 bei dieser eingetroffene Gesuch um Wiedereinsetzung - mit welchem der am 16. Dezember 1992 durch den Beschwerdeführer bevollmächtigte Rechtsanwalt Z. vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand verlangte und "gegen die Entscheidung das zulässige Rechtsmittel" einlegte - ist somit fristgerecht gestellt worden.
BGE 122 IV 344 S. 355
8.
Die Vorinstanz hätte nach dem Gesagten daher auf das durch den Verteidiger des Beschwerdeführers von Deutschland aus gestellte Wiedereinsetzungsbegehren eintreten und diesem stattgeben müssen. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der Entscheid des Eidg. Finanzdepartements vom 10. Mai 1993 aufzuheben. Die Sache ist zur Durchführung des ordentlichen Verfahrens im Sinne von
Art. 103 Abs. 3 VStrR
an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3e98925-7bbf-46ca-b10f-480689e8e087 | Urteilskopf
140 III 267
42. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. SA contre B. Sàrl (recours en matière civile)
4A_35/2014 du 28 mai 2014 | Regeste
Interne Schiedsgerichtsbarkeit; Beschwerde an das kantonale Gericht (
Art. 390 ZPO
).
Die Frage, ob eine gültige Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne von
Art. 390 Abs. 1 ZPO
geschlossen wurde, kann dem Bundesgericht mit Beschwerde gegen den nach Anfechtung des internen Schiedsentscheids ergangenen Rechtsmittelentscheid des kantonalen Gerichts unterbreitet werden (E. 1).
Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 390 Abs. 1 ZPO
(E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 267
BGE 140 III 267 S. 267
A.
Un différend de nature commerciale oppose les sociétés vaudoises A. SA et B. Sàrl. Au début décembre 2005, la première, se fondant sur la clause ad hoc que les parties avaient insérée dans une convention signée le 30 avril 1992, a introduit contre la seconde une procédure en matière d'arbitrage interne. Un Tribunal arbitral de trois membres a été constitué et son siège fixé dans le canton de Vaud.
En date du 12 novembre 2007, le Tribunal arbitral a rendu une "sentence partielle" sur le principe de la dette de la défenderesse envers la demanderesse, reconnaissant l'existence de cette dette. Par arrêt du
BGE 140 III 267 S. 268
4 juin 2008, la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois a confirmé cette sentence.
Dans une sentence complémentaire du 13 septembre 2013, le Tribunal arbitral a fixé le montant dû par la défenderesse à la demanderesse.
Saisie d'un recours formé par la demanderesse contre cette sentence complémentaire, la Chambre des recours civile du Tribunal cantonal vaudois l'a déclaré irrecevable par arrêt du 14 novembre 2013. Selon elle, le recours aurait dû être adressé au Tribunal fédéral, conformément à l'art. 389 al. 1 du Code de procédure civile du 19 décembre 2008 (CPC; RS 272).
B.
A. SA (ci-après: la recourante) a formé simultanément un recours en matière civile et un recours constitutionnel subsidiaire au Tribunal fédéral. Elle y requiert principalement l'annulation de l'arrêt cantonal précité et le renvoi de la cause à l'autorité intimée pour poursuite de l'instruction et jugement sur le fond.
B. Sàrl (ci-après: l'intimée) conclut au rejet des deux recours, dont elle met du reste en doute la recevabilité.
C.
Par arrêt du 28 mai 2014, le Tribunal fédéral a déclaré le recours constitutionnel subsidiaire irrecevable et rejeté le recours en matière civile.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.1
L'
art. 407 al. 3 CPC
prévoit que le droit en vigueur au moment de la communication de la sentence s'applique aux voies de recours. En l'espèce, la sentence complémentaire, rendue le 13 septembre 2013, a été communiquée aux mandataires des parties le même jour, soit après l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2011, du CPC. Elle a mis un terme à un arbitrage interne, puisque les deux parties, à l'instar du Tribunal arbitral, ont leur siège en Suisse (
art. 353 al. 1 CPC
) et qu'elles n'ont pas fait usage de la possibilité d'un
opting out
prévue à l'
art. 353 al. 2 CPC
. Par conséquent, ce sont les art. 389 à 395 CPC qui fixent les conditions auxquelles cette sentence pouvait être entreprise.
1.2
Cependant, la décision attaquée n'est pas la sentence complémentaire, mais l'arrêt du 14 novembre 2013 au terme duquel la Chambre des recours civile du Tribunal cantonal vaudois a déclaré irrecevable
BGE 140 III 267 S. 269
le recours interjeté par la recourante contre ladite sentence. Se pose, dès lors, la question préalable de la recevabilité de l'un ou l'autre des deux recours que l'intéressée a formés contre cet arrêt.
1.2.1
C'est le lieu de rappeler que la sentence rendue dans le cadre d'un arbitrage interne peut être déférée au Tribunal fédéral par la voie du recours en matière civile (
art. 389 al. 1 CPC
et
art. 77 al. 1 let. b LTF
). Toutefois, l'
art. 390 al. 1 CPC
réserve aux parties la possibilité de s'entendre pour confier au tribunal cantonal compétent en vertu de l'
art. 356 al. 1 let. a CPC
le soin de statuer sur un recours visant une telle sentence, en lieu et place du Tribunal fédéral. La doctrine de langue française qualifie l'accord ad hoc de convention de délégation (PHILIPPE SCHWEIZER, in CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, n
os
8 et 16 ad
art. 390 CPC
). Selon la lex fori, le tribunal supérieur compétent, au sens de cette dernière disposition, est le Tribunal cantonal vaudois (art. 47 al. 1 du Code de droit privé judiciaire vaudois, CDPJ; RSV 211.02). L'
art. 390 al. 2 CPC
précise que la procédure est régie par les art. 319 à 327 CPC - il s'agit des normes régissant le recours proprement dit institué par le chapitre 2 du titre 9 du CPC -, sauf disposition contraire du chapitre dans lequel il figure. Il décrète, en outre, dans sa seconde phrase, que la décision du tribunal cantonal est définitive, ce qui signifie que le recours en matière civile et le recours constitutionnel subsidiaire au Tribunal fédéral sont l'un et l'autre exclus (règle dite du degré unique de recours; cf. Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse [CPC], FF 2006 7011 ch. 5.25.8; voir, parmi d'autres:BERGER/KELLERHALS, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 2
e
éd. 2010, n. 1736 et 1738). Une partie de la doctrine réserve, toutefois, l'éventualité d'un recours visant à faire sanctionner par le Tribunal fédéral une irrégularité affectant la procédure de recours elle-même, tel un défaut d'impartialité du tribunal cantonal ou un déni de justice commis par cette autorité (SCHWEIZER, op. cit., n° 16 ad
art. 390 CPC
; MICHAEL MRÁZ, in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, Spühler/Tenchio/Infanger [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 18 ad
art. 390 CPC
p. 2360; FELIX DASSER, in ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [éd.], 2
e
éd. 2014, n° 4 ad
art. 390 CPC
).
1.2.2
En l'espèce, la recourante soutient que les juges vaudois ne se sont pas avisés de ce que les parties, dérogeant à la règle générale, étaient convenues d'instituer le Tribunal cantonal comme autorité de recours, ce qui les a conduits à déclarer son recours irrecevable en violation de l'
art. 390 al. 1 CPC
. Le problème est de savoir si un tel grief peut être examiné par le Tribunal fédéral, nonobstant la règle
BGE 140 III 267 S. 270
du degré unique de recours. Il a été évoqué, en 1990 déjà, dans un arrêt publié aux
ATF 116 II 721
, à propos de la disposition similaire qui figurait à l'art. 191 al. 2 de la loi fédérale du 18 décembre 1987 sur le droit international privé (LDIP; RS 291) pour l'arbitrage international, laquelle disposition, n'ayant trouvé que fort peu d'applications pratiques (SCHWEIZER, op. cit., n° 5 ad
art. 390 CPC
p. 1483), a été abrogée par la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF; RS 173.110), entrée en vigueur le 1
er
janvier 2007 (RO 2006 1249). Dans cet arrêt, le Tribunal fédéral n'a certes pas réglé définitivement ce problème; il a néanmoins indiqué qu'il serait raisonnable d'ouvrir un recours au Tribunal fédéral contre la décision cantonale si la validité d'une convention de délégation, au sens de l'
art. 191 al. 2 LDIP
, était contestée et qu'un conflit de compétence entre le Tribunal fédéral et l'autorité cantonale ait surgi ou menaçât de surgir (arrêt cité, consid. 5d). La doctrine se réfère à ce précédent et à la problématique qu'il soulève, mais n'apporte généralement pas de réponse définitive à la question laissée en suspens (DIETER GRÄNICHER, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 8 ad
art. 390 CPC
; MRÁZ, ibid.). PHILIPPE SCHWEIZER, en revanche, prend parti sur le point controversé en exposant qu'il serait cohérent que le Tribunal fédéral puisse être appelé à statuer en dernier ressort sur le conflit de compétence qui pourrait naître d'une convention de délégation contestée (note relative à l'
ATF 116 II 721
, publiée in RSDIE 1991 p. 33 ss, 35 ch. 5, à laquelle l'auteur renvoie in op. cit., n° 16 ad
art. 390 CPC
). Sans doute paraît-il difficile d'imaginer que l'
art. 390 CPC
(concernant l'historique de cette disposition, cf. SCHWEIZER, op. cit., n° 5 ad
art. 390 CPC
), qui semble plutôt refléter une aspiration fédéraliste du législateur qu'obéir à une nécessité pratique, soit appelé à jouer un rôle important à l'avenir (JOACHIM FRICK, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Baker & McKenzie [éd.], 2010, n° 2 ad
art. 390 CPC
). Il n'empêche que la question laissée indécise dans l'arrêt précité doit être tranchée in casu dès lors que la recevabilité du présent recours dépend de la réponse qui lui sera donnée.
1.2.3
Les deux arrêts que la recourante invoque pour justifier l'entrée en matière sur son recours ne sont pas pertinents: le premier précise simplement que le CPC n'établit pas le caractère définitif de la décision du tribunal cantonal statuant sur une demande en révision d'une sentence arbitrale (
art. 396 ss CPC
), contrairement à ce qui est le cas pour le recours "ordinaire" visant une sentence arbitrale, de sorte que ladite décision peut être soumise au Tribunal fédéral (ATF 138 III
BGE 140 III 267 S. 271
542 consid. 1.1); le second, relatif à une procédure administrative, a trait à la possibilité de contester un arrêt d'irrecevabilité lorsque l'arrêt au fond de l'autorité intimée aurait pu être déféré au Tribunal fédéral (
ATF 135 II 145
consid. 3.2), condition exclue en l'occurrence par l'
art. 390 al. 2, seconde phrase, CPC
. Il n'y a donc rien à tirer de ces deux précédents. Cette constatation n'épuise toutefois pas le sujet.
Le but de l'
art. 390 CPC
est de permettre aux parties à un arbitrage interne de soustraire - au moyen d'une convention de délégation - le recours contre la (ou les) sentence(s) arbitrale(s) à venir, voire déjà rendue(s), à la connaissance du Tribunal fédéral au profit de l'autorité cantonale supérieure visée à l'
art. 356 al. 1 let. a CPC
, dont la décision est définitive (SCHWEIZER, op. cit., n
os
6 et 9 ad
art. 390 CPC
). Il ne s'agit donc pas de priver une partie de la faculté d'attaquer la sentence qui ne la satisfait pas, ni de l'empêcher de faire valoir à l'encontre de celle-ci l'un des motifs de recours énumérés à l'
art. 393 CPC
, telles les garanties procédurales essentielles que constituent la composition régulière du tribunal arbitral, l'égalité des parties ou leur droit d'être entendues. Or, c'est le résultat auquel aboutirait l'interdiction faite à cette partie de saisir le Tribunal fédéral afin qu'il vérifie si la décision d'irrecevabilité prise par l'autorité cantonale l'a été sur la base d'une application correcte de l'
art. 390 al. 1 CPC
. On objecterait en vain que la partie s'estimant lésée par la sentence arbitrale serait bien inspirée, en cas de doute quant à la réalisation des conditions d'application de cette disposition, de former simultanément un recours au Tribunal fédéral. En effet, dans l'hypothèse où celui-ci viendrait à admettre, contrairement au tribunal cantonal, que ces conditions étaient réalisées, il n'entrerait pas en matière sur ledit recours, laissant ainsi cette partie sans défense face à ce conflit de compétence négatif entre autorités de recours fédérale et cantonale. De même, la situation inverse, caractéristique d'un conflit de compétence positif potentiel, dans laquelle l'autorité cantonale déclarerait recevable un recours contre la sentence sans que les conditions d'application de l'
art. 390 al. 1 CPC
soient réalisées, alors que le Tribunal fédéral serait entré en matière sur ce même recours s'il en avait été saisi, paraît difficilement acceptable pour la partie intimée au recours, laquelle se verrait imposer une autre autorité de recours (le tribunal cantonal supérieur) que celle prévue par la loi (le Tribunal fédéral). Aussi bien, comme le rappelait il y a longtemps déjà un spécialiste du droit procédural, se rendent coupables d'un déni de justice tant l'autorité qui s'arroge une compétence décisionnelle qu'elle ne possède pas que l'autorité compétente qui refuse de se saisir du
BGE 140 III 267 S. 272
différend porté valablement à sa connaissance (MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3
e
éd. 1979, p. 67, note de pied 41). On relèvera, en outre, que la sentence arbitrale déploie, dès sa communication, les mêmes effets qu'une décision judiciaire en force et exécutoire (
art. 387 CPC
), partant qu'elle constitue un titre de mainlevée définitive au sens de l'
art. 80 LP
lorsqu'elle condamne une partie au paiement d'une somme d'argent (DANIEL GIRSBERGER, in Commentaire bâlois, Schweizerische Zivilprozessordnung, Spühler/Tenchio/Infanger [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 25 ad
art. 387 CPC
). Comme l'exécution en Suisse d'une telle sentence ne nécessite pas de procédure d'exequatur, le sort de la partie victime d'un déni de justice découlant d'un conflit de compétence négatif serait donc encore moins enviable que celui de la partie condamnée au terme d'une procédure arbitrale internationale et qui avait valablement renoncé à recourir contre la sentence condamnatoire conformément à l'
art. 192 al. 1 LDIP
, dès lors que cette partie-ci pourra soumettre la sentence internationale à un contrôle judiciaire au stade de l'exécution forcée, en application de la Convention du 10 juin 1958 pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères (RS 0.277.12; Convention de New York), même si cette sentence devait être exécutée en Suisse (
art. 192 al. 2 LDIP
;
ATF 133 III 235
consid. 4.3.2.1). Il se justifie, dans ces conditions, de permettre aux parties de faire vérifier par le Tribunal fédéral la réalisation, dans un cas concret, des conditions d'application de l'
art. 390 al. 1 CPC
en leur ouvrant une voie de droit à l'encontre tant de la décision expresse d'irrecevabilité que de la décision implicite de recevabilité prise par le tribunal cantonal saisi d'un recours dirigé contre la sentence rendue dans un arbitrage interne. Cette voie de droit, faut-il le préciser, ne saurait entraîner un examen de la sentence elle-même sur la base des motifs de recours énumérés à l'
art. 393 CPC
.
N'ayant pas pour objet une sentence arbitrale, mais une décision d'une autorité cantonale, le moyen de droit en question ne tombe pas sous le coup de l'
art. 77 LTF
. Il devrait donc obéir, en principe, aux règles générales touchant la recevabilité des recours au Tribunal fédéral, en particulier à l'exigence d'une valeur litigieuse minimale (
art. 74 al. 1 LTF
), de sorte qu'il s'agira, suivant les cas, du recours en matière civile (
art. 72 ss LTF
) ou du recours constitutionnel subsidiaire (
art. 113 ss LTF
). Point n'est, cependant, besoin d'approfondir cette question puisque la valeur litigieuse de la présente cause dépasse de beaucoup le seuil de 30'000 fr. fixé à l'
art. 74 al. 1 let. b LTF
pour la recevabilité du recours en matière civile. Le recours soumis à la
BGE 140 III 267 S. 273
Cour de céans sera donc traité comme tel, ce qui entraîne l'irrecevabilité du recours constitutionnel subsidiaire formé dans la même écriture.
1.3
La recourante, qui a pris part à la procédure devant l'autorité précédente, a un intérêt juridique à l'annulation de la décision attaquée, car cette décision la prive de la possibilité de faire examiner les griefs qu'elle a formulés dans son recours visant la sentence complémentaire du 13 septembre 2013. Sa qualité pour agir n'est ainsi pas contestable (
art. 76 al. 1 LTF
). Interjeté en temps utile (
art. 100 al. 1 LTF
en liaison avec les art. 45 al. 1 et 46 al. 1 let. c LTF) et dans les formes requises (
art. 42 al.1 et 2 LTF
), le présent recours est donc recevable.
2.
2.1
Aux termes de l'
art. 390 al. 1 CPC
, "les parties peuvent, par une déclaration expresse dans la convention d'arbitrage ou dans une convention conclue ultérieurement, convenir que la sentence arbitrale peut faire l'objet d'un recours devant le tribunal cantonal compétent en vertu de l'art. 356, al. 1".
La disposition citée soulève un certain nombre de questions qui divisent la doctrine. Est, en particulier, controversé le point de savoir si la convention conclue ultérieurement doit revêtir la forme prescrite par l'
art. 358 CPC
pour la convention d'arbitrage (SCHWEIZER, op. cit., n° 8 ad
art. 390 CPC
; DASSER, op. cit., n° 2 ad
art. 390 CPC
; GRÄNICHER, op. cit., n° 6 ad
art. 390 CPC
) ou si elle n'est pas soumise à une telle exigence (MRÁZ, op. cit., n° 5 ad
art. 390 CPC
; ROHNER/LAZOPOULOS, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [éd.], 2011, n° 4 ad
art. 390 CPC
). Le moment jusqu'auquel la convention de délégation peut être passée fait également débat (DASSER, ibid. et les auteurs cités). Ces questions ne se posent toutefois pas en l'espèce, étant donné que, aux dires de la recourante, la convention de délégation se serait matérialisée dans l'accord écrit du 6 juin 2006, valant compromis arbitral, que les parties ont conclu au début de la procédure d'arbitrage en cause. Il n'y a donc pas lieu de les examiner plus avant.
En revanche, il n'est pas contesté, ni contestable du reste, que, même si l'on renonçait à assujettir la convention ultérieure à la forme prescrite pour la convention d'arbitrage, l'accord de délégation n'en devrait pas moins y être concrétisé de façon
expresse
, ce qui résulte déjà des termes "déclaration expresse" figurant à l'
art. 390 al. 1 CPC
et qui nécessitera, au besoin, l'interprétation de la volonté manifestée à cet égard par les parties (sur la distinction entre manifestations de
BGE 140 III 267 S. 274
volonté expresses et manifestations de volonté tacites, faite notamment par l'art. 1
er
al. 2 CO, cf. PIERRE ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2
e
éd. 1997, p. 129 ss, n. 31). C'est la raison pour laquelle le Tribunal fédéral a refusé de voir, dans une renonciation non valable à recourir devant lui contre une sentence arbitrale, la volonté des parties d'user de la faculté, réservée par l'
art. 390 al. 1 CPC
, de substituer le tribunal cantonal compétent au Tribunal fédéral en tant qu'autorité de recours (arrêt 4A_254/2011 du 5 juillet 2011 consid. 3.2). Dans le même ordre d'idées, il a émis plus récemment les considérations suivantes à propos d'un simple renvoi au concordat sur l'arbitrage du 27 mars 1969 (RO 1969 1117; ci-après: CA ou le concordat): "[t]outefois, en l'espèce, le seul faitque la clause compromissoire insérée dans le contrat d'entreprise déclare applicable le concordat ne saurait être regardé comme l'expression de la volonté commune des parties à la convention d'arbitrage de choisir le tribunal cantonal compétent comme autorité de recours en lieu et place du Tribunal fédéral, étant précisé que la décision sur recours rendue par le tribunal cantonal est définitive (
art. 390 al. 2 CPC
). En effet, outre qu'à l'époque de la conclusion de la convention d'arbitrage (juillet 2005), les parties ne pouvaient pas prévoir qu'elles disposeraient un jour d'une telle faculté, le renvoi au concordat, opéré par elles dans la clause arbitrale, n'impliquait nullement une exclusion de la juridiction du Tribunal fédéral au profit de celle du tribunal cantonal compétent (...), étant donné que les décisions prises par l'autorité cantonale sur recours contre des sentences arbitrales soumises au concordat étaient susceptibles de recours au Tribunal fédéral (...)" (arrêt 4A_439/2012/4A_457/2012 du 8 mai 2013 consid. 2, dernier par.). Contrairement à ce que soutient la recourante, ces considérations n'ont pas été émises à titre d'obiter dictum, comme cela ressort clairement de la remarque introductive formulée par le Tribunal fédéral (arrêt cité, consid. 2, 2
e
par.).
2.2
Il n'est pas sans intérêt de relever, avant de procéder à la subsomption, que, dans le recours contre la sentence arbitrale adressé par elle le 16 octobre 2013 au Tribunal cantonal vaudois, la recourante n'a nullement allégué l'existence d'une convention de délégation, au sens de l'
art. 390 al. 1 CPC
, alors qu'elle aurait raisonnablement pu s'attendre à ce que l'autorité cantonale recherchât sua sponte si les parties avaient valablement dérogé à la règle générale voulant que le recours fût soumis au Tribunal fédéral (
art. 389 al. 1 CPC
), s'agissant d'un problème de compétence à raison de la matière (
art. 59 al. 2 let. b CPC
), autrement dit d'une condition de recevabilité à
BGE 140 III 267 S. 275
examiner d'office par la juridiction saisie, fût-elle une instance de recours (
art. 60 CPC
; SIMON ZINGG, in Commentaire bernois, Schweizerische Zivilprozessordnung, vol. I, 2012, n° 19 ad
art. 60 CPC
). Selon toute vraisemblance, la question de l'applicabilité de l'
art. 390 al. 1 CPC
aura échappé à l'attention de l'intéressée. Quoi qu'il en soit, elle appelle à l'évidence une réponse négative pour les motifs indiqués ci-après. On ajoutera que la cognition de la Cour de céans sera pleine et entière, puisqu'il en va de l'application d'une règle ressortissant au droit de procédure fédéral (
art. 95 let. a LTF
), mais qu'elle s'exercera uniquement à l'égard des faits établis par l'autorité précédente (art. 97 al. 1 et 105 al. 1 LTF) et des preuves soumises à cette dernière (
art. 99 al. 1 LTF
).
2.2.1
Dans une longue partie introductive, la recourante expose les différentes étapes de la procédure arbitrale en question - sentence partielle du 12 novembre 2007, arrêt de la Chambre des recours du Tribunal cantonal vaudois du 4 juin 2008 et sentence complémentaire du 13 septembre 2013 - pour en déduire que les parties et le Tribunal arbitral se sont régulièrement référés aux dispositions du concordat. On ne voit pas où elle veut en venir de la sorte. Il était logique que la première phase de la procédure conduite devant le Tribunal arbitral et la procédure de recours contre la première sentence arbitrale fussent régies par les règles concordataires dès lors que ces procédures ont été menées avant l'entrée en vigueur du CPC. Quant à la seconde phase de la procédure arbitrale, qui a abouti au prononcé de la sentence complémentaire, elle s'est certes déroulée en partie sous l'empire du nouveau droit de procédure fédéral, mais c'est l'ancien droit qui a continué à la régir en vertu de la disposition transitoire de l'
art. 407 al. 2 CPC
. Il n'y a donc rien à tirer de ces modalités procédurales en faveur de la thèse soutenue par la recourante.
Celle-ci se réfère également à la correspondance échangée en septembre 2013 entre le président du Tribunal arbitral et les conseils des parties au sujet de la possibilité, offerte aux parties par l'
art. 35 al. 5 CA
, de renoncer au dépôt de la sentence complémentaire auprès de l'autorité judiciaire ad hoc; à son avis, cette correspondance devrait être regardée comme un renouvellement de la convention de délégation conclue antérieurement par les parties, voire comme une véritable convention de délégation. Il n'en est rien. Aussi bien n'est-il pas question d'autre chose, dans cette correspondance, que d'un éventuel dépôt et des modalités de notification de la sentence complémentaire, plus précisément de l'acceptation, signifiée par chacun des conseils des parties au président du Tribunal arbitral, de la notification de cette
BGE 140 III 267 S. 276
sentence directement par les soins du Tribunal arbitral, et non par le truchement de l'autorité judiciaire prévue à cet effet. On y chercherait en vain une quelconque référence, même implicite, à l'autorité de recours compétente, et moins encore une déclaration expresse attributive de compétence, telle que l'exige l'
art. 390 al. 1 CPC
. L'arrêt attaqué ne contient d'ailleurs aucune constatation au sujet de la correspondance invoquée par la recourante et produite comme annexes 8 à 10 au recours. En s'y référant, l'intéressée méconnaît donc, de surcroît, l'interdiction de présenter des preuves nouvelles (
art. 99 al. 1 LTF
).
La recourante ne soutient pas, avec raison, que la clause arbitrale insérée à l'art. 4.10 de la convention du 30 avril 1992 contiendrait la déclaration expresse requise par l'
art. 390 al. 1 CPC
.
2.2.2
Dès lors, le seul accord susceptible d'entrer en ligne de compte à ce titre doit être recherché dans le compromis arbitral matérialisé par la lettre du 6 juin 2006 qui confirmait l'accord intervenu le 31 mai 2006 entre les parties. Selon le chiffre 1, paragraphe 1, de cette lettre, "[l]es règles du CPC vaudois relatives à la procédure en vigueur devant la Cour civile du Tribunal cantonal s'appliquent à l'arbitrage".
A suivre la recourante, il y aurait là l'expression de la volonté commune des parties de soumettre un éventuel recours contre la sentence à venir au Tribunal cantonal vaudois. Selon elle, en effet, dans l'esprit des parties, la référence aux règles du CPC vaudois signifiait que ladite sentence pourrait faire l'objet d'un recours au Tribunal cantonal, puisque ce recours était prévu non seulement à l'
art. 36 CA
, mais encore à l'art. 445 du Code de procédure civile du 14 décembre 1996 (version en vigueur au 6 juin 2006), lequel ouvrait la voie du recours en nullité au Tribunal cantonal contre tout jugement principal de la Cour civile. En somme, le renvoi aux règles du CPC vaudois démontrerait l'existence d'une convention attributive de juridiction en faveur du Tribunal cantonal.
Le moyen est dénué de tout fondement. Il appert des termes mêmes du passage précité de la lettre du 6 juin 2006, plus précisément de la préposition "devant", que l'accord passé le 31 mai 2006 par les parties et matérialisé dans ladite lettre ne visait, de toute évidence, qu'à définir les règles régissant la procédure que devrait appliquer le Tribunal arbitral, étant rappelé qu'en vertu de l'
art. 24 al. 1 CA
la procédure arbitrale était déterminée prioritairement par accord entre les parties sous l'empire du concordat. Les autres points traités dans cette
BGE 140 III 267 S. 277
missive - échange d'écritures, audience préliminaire, administration des preuves et avances de frais - confirment, d'ailleurs, clairement le véritable objet de la convention du 31 mai 2006. Pour le surplus, et contrairement à ce que la recourante soutient à la page 4 de sa réplique, le fait que la lettre du 6 juin 2006 ne renvoie pas au concordat, mais aux règles du CPC vaudois relatives à la procédure en vigueur devant la Cour civile, n'apparaît nullement déterminant au regard des considérations émises par le Tribunal fédéral dans l'extrait susmentionné de l'arrêt 4A_439/2012 / 4A_457/2012. Il est clair que la seule référence à ces règles-là, à l'instar du renvoi au concordat dont il était question dans ce précédent, n'exprimait pas la volonté commune des parties de choisir le tribunal cantonal compétent comme autorité de recours en lieu et place du Tribunal fédéral, puisqu'aussi bien, à la date de la signature du compromis arbitral (6 juin 2006), les parties ne pouvaient pas prévoir qu'elles disposeraient un jour d'une telle faculté. De fait, celle-ci n'a été introduite que dans le projet de Code de procédure civile accompagnant le Message du Conseil fédéral du 28 juin 2006 (art. 388 al. 1 P-CPC; FF 2006 7109), alors que l'avant-projet de la commission d'experts, mis en consultation le 25 juin 2003, avait maintenu le double degré de recours (cf. Message précité, FF 2006 7010 ch. 5.25.8). La recourante, qui plus est, concède elle-même que "les règles du CPC Vaud n'ont jamais régi les recours contre la sentence arbitrale ...".
2.3
Force est ainsi de constater, au terme de cet examen, que l'autorité intimée n'a pas violé le droit fédéral en excluant l'existence d'une convention de délégation valable, au sens de l'
art. 390 al. 1 CPC
, en l'espèce et, partant, en déclarant irrecevable le recours formé devant elle contre la sentence complémentaire du 13 septembre 2013.
Le premier moyen soulevé par la recourante tombe, dès lors, à faux. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d3f1552d-3450-4d0f-9aeb-0d3d502133f5 | Urteilskopf
98 IV 90
18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 8. März 1972 i.S. X. gegen A. und Mitbeteiligte. | Regeste
1. Art. 173ff. StGB. Ehrverletzender Charakter der Ausdrücke "kranke Psyche" (verneint) und "perverse Geilheit" (bejaht) (Erw. 3).
2.
Art. 173 Ziff. 3 StGB
. Handeln aus begründeter Veranlassung (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 98 IV 90 S. 91
Sachverhalt (gekürzt):
A.-
X. unterhielt ab 1965 eine intime Freundschaft mit Frau Y. Im Februar 1969 kam es zum Bruch. X. suchte in der Folge erneuten Kontakt mit seiner ehemaligen Freundin. Er schrieb ihr mehrere Serien von Briefen. Darin machte er ihr teils Vorwürfe, teils erteilte er ihr Belehrungen und wollte sie zu einer andern Einstellung gegenüber sich selbst und der Umwelt veranlassen. Von einem Teil der Briefe schickte er Kopien an Drittpersonen. Immer wieder forderte er sie auch zur Wiederaufnahme der geschlechtlichen Beziehungen auf. Dabei erging er sich in obszönen Schilderungen, denen er Bilder und Ausschnitte aus entsprechenden Veröffentlichungen beilegte. Er erinnerte Frau Y. an Einzelheiten gemeinsamer Sexualerlebnisse und malte mögliche neue Beziehungen aus.
Frau Y. forderte ihn durch ihren Anwalt X. wiederholt auf, sie nicht mehr mit Briefen zu belästigen. Als dies nichts nützte, erhob sie Ehrverletzungsklage, die durch Vergleich im Sinne der Klage erledigt wurde. X. behauptete in der Folge, zu dem Vergleich genötigt worden zu sein. Er klagte seinerseits wegen Ehrverletzung. Auch diese Klagen wurden vor Friedensrichter erledigt. Als X. Frau Y. von neuem mit Briefen belästigte und wiederholte Warnungen unbeachtet liess, leitete sie Ehrverletzungsklage und zivilrechtliche Klage auf Unterlassung, Schadenersatz und Genugtuung ein.
Das Bezirksgericht Z. verbot X. unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter, der Klägerin oder Dritten Briefe oder andere Äusserungen zukommen zu lassen, durch welche die Klägerin in den persönlichen Verhältnissen verletzt würde. Die Schadenersatzforderung wurde abgewiesen, die Genugtuungsforderung geschützt. X. zog die Sache an das Obergericht und an das Bundesgericht weiter. Auch diese Instanzen schützten die Klage mit gewissen Änderungen.
B.-
Das bezirksgerichtliche Urteil wurde von den Bezirksrichtern A., B. und C. gefällt. Als Gerichtsschreiber wirkte D. Gegen diese vier Personen erhob X. Ehrverletzungsklage, die im wesentlichen folgenden Inhalt hatte:
"Am ... erfuhr ich erstmals beim Durchlesen des Urteils vom ... des Bezirksgerichtes Z., dass sich dieses Dokument auf Seite 7 folgendermassen über mich äussert:
'In diesem Schreiben nimmt der Beklagte mit eingehenden Schilderungen geschlechtlicher Intimitäten und perverser Geilheit
BGE 98 IV 90 S. 92
immer wieder auf die früheren intimen Beziehungen der Parteien Bezug.'
Auf Seite 10 desselben Urteils steht: ,... denn der Umstand, dass der Beklagte an einer kranken Psyche leidet, ist diesen Briefempfängern kaum bekannt.'"
Das Bezirksgericht Z. wies die Klage ab und sprach die Angeklagten frei.
Das Obergericht bestätigte den Freispruch.
C.-
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt X. Gutheissung seiner Ehrverletzungsklage, eventuell Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zu neuer Beurteilung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Erste Voraussetzung einer Verurteilung wegen übler Nachrede im Sinne von
Art. 173 StGB
ist, dass der Kläger eines unehrenhaften Verhaltens oder einer andern rufschädigenden Tatsache bezichtet wurde. Der Kläger erblickt eine ehrverletzende Bezichtigung in dem Vorwurf, in seinen obszönen Briefen an Frau Y. "mit perverser Geilheit" immer wieder auf die früheren intimen Beziehungen der Parteien Bezug genommen zu haben, und ferner im Hinweis darauf, dass er "an einer kranken Psyche" leide.
a) Der Hinweis auf die "kranke Psyche" des Klägers war an sich geeignet, ihn in seiner gesellschaftlichen Geltung zu beeinträchtigen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass es sich um eine Ehrverletzung im Sinne der
Art. 173 ff. StGB
handle.
Die gesellschaftliche Geltung wird auch beeinträchtigt, wenn die beruflichen Fertigkeiten und Leistungen herabgewürdigt, wenn die politische Gesinnungstreue bezweifelt, wenn die Geltung als Künstler geschmälert wird. Das Bundesgericht hat sich in ständiger Rechtsprechung auf den Standpunkt gestellt, in solchen Fällen werde nicht die persönliche Ehre, nicht die Geltung als ehrbarer Mensch angegriffen, die allein vom Strafgesetz geschützt werden sollte (
BGE 71 IV 230
,
BGE 72 IV 172
,
BGE 80 IV 164
,
BGE 92 IV 96
, 101).
Auch die Behauptung, jemand leide an einer Krankheit, ist so lange nicht ehrverletzend, als damit nicht zugleich ein Angriff auf die persönliche Ehrenhaftigkeit verbunden ist. Wer von einer in einem Dienstleistungsbetrieb beschäftigten Person behauptet, sie leide an einer ansteckenden Krankheit, kann ihr
BGE 98 IV 90 S. 93
beruflich und menschlich schweren Schaden zufügen. Wird eine solche Äusserung böswillig verbreitet, so kann sich der Täter u. U. einer Klage wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten aussetzen; der Ehrverletzung ist er nicht schuldig. Anders, wenn er etwa behauptet, die Drittperson leide an einer selbst verschuldeten Geschlechtskrankheit.
Ebenso rührt die Äusserung, jemand sei psychisch krank, an sich nicht an die Ehre, weil sie kein moralisches Werturteil gegenüber dem für seine abnormen Reaktionen nicht Verantwortlichen enthält (
BGE 96 IV 55
,
BGE 93 IV 21
). Der Ehrverletzung macht sich indessen schuldig, wer psychiatrische Fachausdrücke nach laienhaftem Sprachgebrauch dazu missbraucht, jemanden als charakterlich minderwertig hinzustellen und dadurch in seiner persönlichen Ehre herabzuwürdigen (BGE a.a.O.).
Das eingeklagte Urteil spart nicht mit zum Teil scharfer Kritik am Beschwerdeführer und seinem Verhalten. Der Hinweis auf seine psychische Krankheit steht jedoch gerade nicht in diesem Zusammenhang. Das Gericht prüfte die Voraussetzungen der Genugtuungsforderung von Frau Y. Dabei gelangte es zum Ergebnis, die in den Briefen des Beschwerdeführers enthaltenen schweren Vorwürfe hätten deshalb eine einschneidendere Wirkung erzielt, weil den Adressaten die kranke Psyche des Beschwerdeführers kaum bekannt gewesen sei. Das bedeutet umgekehrt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers weniger belastend erschienen wäre, wenn jene um seine kranke Psyche gewusst hätten. Für jedermann offenkundig, bezog sich der Hinweis des Urteils nur auf den Bereich der Beziehungen des Beschwerdeführers zu Frau Y., wie im Urteil der Vorinstanz unter Bezugnahme auf das obergerichtliche Urteil im Ehrverletzungsprozess gegen den Beschwerdeführer mit Recht hervorgehoben wird. Der eingeklagte Passus enthält somit nicht den Vorwurf einer charakterlichen Minderwertigkeit, sondern die objektiv gemeinte Feststellung eines von der Norm abweichenden psychischen Zustandes inbezug auf das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber Frau Y.
Stellte der Hinweis auf die kranke Psyche des Beschwerdeführers demnach keinen Angriff auf seine persönliche Ehrenhaftigkeit dar, so sind die Angeklagten insoweit mit Recht freigesprochen worden.
b) Geilheit bedeutet soviel wie erfüllt sein von Geschlechtslust, triebhaft lüstern sein (französisch: lubricité). Wird jemandem
BGE 98 IV 90 S. 94
Geilheit nur als momentane Stimmungslage zugeschrieben, so liegt darin nicht ohne weiteres der Vorwurf der Unehrenhaftigkeit. Anders, wenn damit ein dominierender Charakterzug aufgezeigt werden soll. Damit wird behauptet, eine Person lasse sich vorwiegend von libidinösen Trieben beherrschen unter Verkümmerung ethischer oder moralischer Werte. Ein solcher Vorwurf ist geeignet, die Geltung des Betroffenen als ehrenhafter Mensch zu verletzen.
Ohne dass die Parteien oder das Gericht sich näher damit auseinandersetzen, gehen sie zutreffend davon aus, dass der dem Kläger gemachte Vorwurf vom Leser dahin verstanden werden musste, der Beschwerdeführer habe sich bei der Niederschrift seiner obszönen Briefe jeweils von lüsterner Triebhaftigkeit leiten lassen. Die eingeklagte Stelle des Urteils war somit nach Inhalt und Zusammenhang als Rüge eines unehrenhaften Verhaltens des Klägers aufzufassen. Der Hinweis auf die Geilheit des Klägers, die sich in den beanstandeten Briefstellen bekunde, diente der These, Frau Y. sei in ihren Gefühlen als anständige Frau schwer verletzt worden, weil eben diese Darstellung eine schmutzige, widerliche Gesinnung atme. Der Erstangeklagte hat diesen Eindruck bestätigt durch seine Ausführung vor Obergericht, die Lektüre der Briefe errege Brechreiz.
Indem die Angeklagten dem Kläger vorwarfen, mit "perverser" Geilheit geschrieben zu haben, beabsichtigten sie nicht, eine psychiatrische Diagnose seiner Triebhaftigkeit abzugeben. Es lag darin vielmehr eine Verstärkung des Unwerturteils über den Kläger und sein Verhalten. Die Angeklagten brachten zum Ausdruck, die Geilheit des Klägers übersteige das bei einem normalen Menschen anzutreffende Ausmass, er sei bei Abfassung der Briefe in geradezu widernatürlicher Weise lüstern gewesen. Die Vorinstanz hat sich auch zu diesem Punkt ausgeschwiegen. Indem sie die noch zu erörternden Entlastungsgründe untersucht, geht sie jedoch selbst davon aus, dass auch insoweit dem Beschwerdeführer ein unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen wurde. Dem ist zuzustimmen.
4.
Der Beschuldigte entgeht der Bestrafung wegen übler Nachrede, wenn er nachweist, dass seine an sich ehrverletzende Äusserung der Wahrheit entspricht oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten (
Art. 173 Ziff. 2 StGB
). Er ist jedoch vom Entlastungsbeweis ausgeschlossen,
BGE 98 IV 90 S. 95
wenn er seine Äusserungen ohne begründete Veranlassung vorwiegend in der Absicht vorgebracht hat, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen (
Art. 173 Ziff. 3 StGB
).
a) Der Ausschluss vom Entlastungsbeweis setzt voraus, dass die in
Art. 173 Ziff. 3 StGB
angeführten Umstände kumulativ gegeben sind (
BGE 82 IV 93
). Aus welcher Absicht die Angeklagten gehandelt haben, ist Tatfrage, die vom Kassationshof nicht geprüft werden kann (Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277 bis Abs. 1 BStP;
BGE 90 IV 48
E. 3). Die Vorinstanz stellt verbindlich fest, dass sie den Beschwerdeführer in seiner persönlichen Ehrenhaftigkeit nicht heruntermachen wollten; sie hätten nicht aus bösem Willen gehandelt. Damit ist sinngemäss festgestellt, dass die Angeklagten nicht in der Absicht handelten, dem Beschwerdeführer Übles vorzuwerfen. Dass sich die Äusserungen auf Privatsachen bezogen, ergab sich zwangsläufig aus dem Gegenstand des Prozesses.
Ob die Angeklagten aus begründeter Veranlassung gehandelt haben, ist Rechtsfrage und untersteht der Prüfung des Kassationshofes. An sich ist diese Prüfung nicht mehr notwendig, nachdem feststeht, dass die Angeklagten dem Beschwerdeführer nicht Übles vorwerfen wollten. Mit der Vorinstanz ist jedoch auch das Handeln aus begründeter Veranlassung zu bejahen. Der Beschwerdeführer lässt in der Beschwerdeschrift selbst gelten, dass die Angeklagten sich über sein Verhalten und dessen Beweggründe im Hinblick auf das Verschulden gemäss
Art. 49 OR
auszusprechen hatten. Hingegen bestreitet er, dass die Angeklagten aus begründeter Veranlassung gerade die beiden eingeklagten Stellen ins Urteil aufgenommen hätten; sie hätten sich auch anders oder kürzer ausdrücken können. Das ist zwar richtig, hilft dem Beschwerdeführer jedoch nicht. Es bestand im Prozess gegen den Beschwerdeführer Anlass, die kränkende Wirkung seiner Briefe deutlich hervorzuheben. Das hätte durch ausgedehnte Zitate geschehen können. Es ist nicht zu beanstanden, dass es die Angeklagten vorgezogen haben, die Briefe dadurch zu charakterisieren, dass auf die daraus sprechende Geilheit verwiesen wurde. Mit der Vorinstanz ist festzustellen, dass es geradezu Pflicht der urteilenden Richter war, dies zu sagen, wenn sie von der Richtigkeit ihrer Schlussfolgerung überzeugt waren.
BGE 98 IV 90 S. 96
b) Die Vorinstanz stellt fest, dass die Angeklagten ein auf ihrer gewissenhaften Überzeugung beruhendes, sachlich mindestens vertretbares Urteil abgegeben haben. Das heisst, dass die Angeklagten im Sinne von
Art. 173 Ziff. 2 StGB
ihre Äusserungen aus ernsthaften Gründen für wahr halten durften.
Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Die Briefe des Beschwerdeführers spiegeln eine so masslose Hassliebe gegenüber Frau Y., die übersteigerten eintönig wiederholten Schilderungen und Ratschläge über sexuelle Beziehungen sind so auffällig, dass sich die Annahme einer von der Norm abweichenden Geilheit geradezu aufdrängte oder jedenfalls auch ohne fachärztliche Begutachtung als vertretbar erschien. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach vielfacher Zurückweisung durch Frau Y. und nach einer ersten von ihm faktisch anerkannten Klage der Meinung war, er könne seine ehemalige Geliebte durch höchst unerwünschte Schilderungen früherer Intimbeziehungen und durch breit ausgemalte Darstellung weiterer Sexualakte als Geschlechtspartnerin zurückgewinnen, liess die Schlussfolgerung zu, er habe aus widernatürlicher Geilheit geschrieben. Diesem Vorwurf perverser Einstellung kann sich der Beschwerdeführer umso weniger entziehen, als sich in seinen Briefen auch deutliche Züge von Exhibitionismus (mehrfache Zustellung von Penis-Fotos) und inzestiöser Tendenzen finden (Zustellung der Schilderung von Sexualbeziehungen zwischen Mutter und Sohn mit ermunternder Anleitung an Frau Y., ihre Tochter zur Masturbation zu erziehen). Mit Recht hat die Vorinstanz unter Hinweis auf
BGE 81 IV 8
festgestellt, dass die Angeklagten die fraglichen Stellen aufgrund langjährlicher richterlicher Erfahrung in ihr Urteil aufnehmen durften, ohne vorher den Beschwerdeführer psychiatrisch begutachten zu lassen.
Was der Beschwerdeführer einwendet, geht an der Sache vorbei. Die Angeklagten und die Vorinstanz haben ihn nicht generell als pervers oder als geisteskrank bezeichnet. Ihre Würdigung bezieht sich auf sein Verhalten gegenüber Frau Y., wie es in einzelnen Briefserien zum Ausdruck kam. Gestützt darauf und auf die gesamte Aktenlage durften die Angeklagten aufgrund ihrer menschlichen und richterlichen Kenntnisse in guten Treuen annehmen, in gewissen Briefen komme eine perverse Geilheit zum Ausdruck.
BGE 98 IV 90 S. 97
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3f56f2f-ff36-448f-9ffc-ee817ea92365 | Urteilskopf
98 Ia 362
60. Urteil vom 12. Juli 1972 i.S. Studentenschaft der Universität Zürich gegen Erziehungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Verordnung über die Benützung der Räume der Universität.
1. Der Anspruch auf Benützung der Universitätsräume ergibt sich aus dem Zweck der öffentlichen Anstalt und nicht aus den Freiheitsrechten (Presse-, Vereins-, Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit).
2. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen der öffentlichen Anstalt und ihren Benützern unterliegt den für alle Verwaltungstätigkeit geltenden Grundsätzen der Gesetzmässigkeit, Rechtsgleichheit und Verhältnismässigkeit.
3. Bewilligungspflicht für Veranstaltungen ausserhalb des eigentlichen Lehrbetriebs.
- Verbot von Versammlungen agitatorisch-provokativen Charakters (Erw. 5).
- Haftung des Bewilligungsinhabers für Schäden an Universitätsgut. Verstoss gegen Bundesrecht? (Erw. 8).
- Kautionspflicht des Bewilligungsinhabers (Erw. 9).
Verbot von Geldsammeln und Beschränkung des Drucksachenverkaufs (Erw. 6 u. 7). | Sachverhalt
ab Seite 364
BGE 98 Ia 362 S. 364
Am 8. Oktober 1971 erliess der Erziehungsrat des Kantons Zürich das Regulativ zur Benützung der Räume der Universität Zürich für Veranstaltungen (im folgenden kurz "Regulativ" genannt). Darnach sind die Räume der Universität für den ordentlichen Lehr- und Forschungsbetrieb sowie für die Verwaltung der Universität einschliesslich Sitzungen der Organe der Universität und der Organe der Universitätsangehörigen bestimmt. Jede andere Art der Benützung ist bewilligungspflichtig (Ziff. 1). Die Bestimmungen der Ziff. 2, 4 Abs. 5 und 6, 10 Satz 1 und 11 lauten wie folgt:
"2. Bewilligungen werden in der Regel erteilt für akademische und kulturelle Veranstaltungen, auch solche politischen Charakters, sofern eine Beziehung der Veranstalter zur Universität besteht. (...) Bewilligungen werden nicht erteilt, wenn die Veranstaltung agitatorisch-provokativen Charakter hat oder wenn eine Störung des Unterrichts oder des allgemeinen Betriebs zu befürchten ist.
4. Abs. 5; Für die anlässlich einer Veranstaltung allfällig verursachten Schäden an Gebäuden und Mobiliar kann der Inhaber der Bewilligung haftbar gemacht werden.
Abs. 6; Die Erteilung der Bewilligung kann von der Leistung einer Kaution abhängig gemacht werden.
10. Satz 1; Das Sammeln von Geld ist in den Universitätsräumen untersagt.
11. Das Verkaufen von Drucksachen aller Art ist nur am Kiosk erlaubt und bleibt im übrigen der Zentralstelle der Studentenschaft vorbehalten, soweit die vertraglichen Abmachungen mit dem Buchhändler- und Verlegerverein den Verkauf nicht weiter beschränken."
Die Studentenschaft der Universität Zürich, vertreten durch den Kleinen Studentenrat, bzw. die in dessen Namen unterzeichnenden Studierenden Anton M. Fischer und Martin Farner fechten diese Bestimmungen mit staatsrechtlicher Beschwerde an. Es werden Verletzungen der Art. 4, 55, 56 und 64 BV sowie von
Art. 2 und 3 KV/ZH
geltend gemacht.
Der Erziehungsrat des Kantons Zürich beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Nach Ansicht der Beschwerdeführer verstösst das in Ziff. 2 Abs. 2 des Regulativs ausgesprochene Verbot von Veranstaltungen agitatorisch-provokativen Charakters gegen
BGE 98 Ia 362 S. 365
die in der zürcherischen Kantonsverfassung und der Bundesverfassung gewährleistete Rechtsgleichheit (Art. 2 KV,
Art. 4 BV
) sowie die Versammlungsfreiheit (Art. 3 KV,
Art. 56 BV
). Auch die Bestimmungen von Ziff. 4 Abs. 5 und 6 des Regulativs, wonach eine Kausalhaftung des Inhabers der Bewilligung für Schäden aus der Veranstaltung vorgesehen sei (Abs. 5) und die Erteilung der Bewilligung von einer Kaution abhängig gemacht werden könne (Abs. 6), beschränkten die Vereinsfreiheit in unzulässiger Weise und verletzten die Rechtsgleichheit; Abs. 5 verletze zudem
Art. 64 BV
. Eine Missachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit bedeute ferner das in Ziff. 10 Satz 1 des Regulativs ausgesprochene Verbot des Geldsammelns in den Universitätsräumen. Schliesslich liege auch in der Beschränkung des Verkaufs von Drucksachen auf eine Verkaufsstelle, wie in Ziff. 11 des Regulativs vorgesehen, eine unzulässige Einengung des Rechts auf freie Meinungsäusserung bzw. der Pressefreiheit (
Art. 55 BV
).
(Keine selbständige Bedeutung der angerufenen kantonalen verfassungsmässigen Rechte neben der in der Bundesverfassung enthaltenen Gewährleistung).
3.
Die Universität Zürich ist eine unselbständige öffentliche Anstalt des Kantons, deren Zweck die Ausbildung zu akademischen Berufen sowie die akademische Lehre und Forschung ist (§ 124 des zürcherischen Unterrichtsgesetzes vom 23. Dezember 1859; § 1 der Universitätsordnung der Universität Zürich vom 11. März 1920; ARTHUR WOLFFERS, Die staatsrechtliche Stellung der Universität Zürich, Diss. Zürich 1940, S. 46). Für die Beurteilung des angefochtenen Regulativs, welches die Benützung der Räume der Universität regelt, sind somit die für das Recht der öffentlichen Anstalt geltenden Grundsätze massgebend.
Die Benützer einer öffentlichen Anstalt haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, die Einrichtungen der Anstalt so zu benützen, wie ihr Zweck es vorsieht. Aus dem Verhältnis zwischen der öffentlichen Anstalt und ihren Benützern ergeben sich für diese aber auch gewisse Einschränkungen in ihren Rechten. Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung muss sich dieses besondere Rechtsverhältnis, welches die Beziehungen zwischen der Anstalt und ihren Benützern regelt und diese gewissen Beschränkungen unterstellt, im Rahmen der verfassungsmässigen Rechte der Bürger und der daraus sich ergebenden
BGE 98 Ia 362 S. 366
Prinzipien halten. Eingriffe in die Freiheitsrechte der Anstaltsbenützer durch die Anstaltsordnung bedürfen der gesetzlichen Grundlage und dürfen nur so weit gehen, als der Zweck der Anstalt es erfordert. Ganz allgemein ist der Träger der Anstalt bei der Ausgestaltung der Beziehungen zwischen ihr und ihren Benützern an die für alle Verwaltungstätigkeit geltenden Grundsätze der Gesetzmässigkeit, Rechtsgleichheit und Verhältnismässigkeit gebunden (
BGE 97 I 842
ff.,
BGE 92 I 510
f.,
BGE 90 I 323
mit Verweisungen; GRISEL, Droit administratif suisse, Neuchâtel 1970, S. 120 f.; GUIDO KÖHL, Die besonderen Gewaltverhältnisse im öffentlichen Recht, Diss. Bern 1955, S. 41; HANS HUBER, Grundrechte und Polizeigewalt, in ZBl 53/1952, S. 237).
4.
Die Bestimmung von Ziff. 1 des Regulativs, wonach die Räume der Universität dem ordentlichen Lehr- und Forschungsbetrieb sowie der Verwaltung der Universität vorbehalten sind, wird in der Beschwerde nicht angefochten. Mit Recht. Denn es könnte nicht gesagt werden, dass den Studierenden aufgrund dieser Vorschrift universitäre Einrichtungen vorenthalten werden, die zu benutzen sie durch ihre Immatrikulation (§ 20 des Reglements für die Studierenden und Auditoren der Universität Zürich vom 17. Januar 1967) oder ganz allgemein gestützt auf den Zweck der Universität das Recht hätten. Wenn nach Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 1 darüber hinaus noch andere Arten der Benützung zugelassen werden, nämlich insbesondere akademische und kulturelle Veranstaltungen, auch solche politischen Charakters, sofern eine Beziehung der Veranstalter zur Universität besteht, so stellt der Erziehungsrat die Räume der Universität in einem weiteren Umfang zur Verfügung, als dies nach dem gesetzlichen Auftrag der Universität als einer Lehr- und Forschungsanstalt zwingend nötig wäre. In diesem Rahmen steht es daher dem Erziehungsrat auch frei, ob er die Universitätsräume ohne weiteres offen halten will oder nicht. Die in Ziff. 1 Abs. 2 des Regulativs vorgesehene Bewilligungspflicht für die nicht unter Abs. 1 dieser Bestimmung fallenden Veranstaltungen wird deshalb mit Recht nicht beanstandet.
Werden die Universitätsräume in einem weitern Umfang zur Verfügung gestellt, als aufgrund des gesetzlichen Zweckes der Universität beansprucht werden kann, so heisst dies allerdings nicht, dass die zuständigen Organe dabei nach Belieben vorgehen
BGE 98 Ia 362 S. 367
könnten. Ist eine Bewilligungspflicht für Veranstaltungen vorgesehen, so darf diese nicht nach willkürlichen oder rechtsungleichen Gesichtspunkten ausgestaltet sein.
5.
Ziff. 2 Abs. 2 des Regulativs wird mit Recht nicht angefochten, soweit darin bestimmt wird, dass im Interesse der Wahrung eines ordnungsgemässen Anstaltsbetriebs Bewilligungen nicht zu erteilen sind, wenn eine Störung des Unterrichts oder des allgemeinen Betriebs zu befürchten ist (vgl. WOLFF, Verwaltungsrecht II, 3. Auflage 1970, § 99 I S. 335). Die Beschwerdeführer beanstanden einzig, dass Bewilligungen auch dann nicht erteilt werden, wenn eine Veranstaltung agitatorisch-provokativen Charakter hat. Mit einem derart unbestimmten Begriff werde der zuständigen Behörde ermöglicht, ihre Bewilligungspraxis willkürlich und rechtsungleich zu handhaben. Sodann gehe dieser Grund zur Verweigerung einer Bewilligung über den - anerkanntermassen angemessenen - Verbotsgrund der Störung des Universitätsbetriebs hinaus. Diese zusätzliche Einschränkung der Bewilligungserteilung greife deshalb in unzulässiger Weise in die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit der Studierenden ein.
a) Diese Rüge beruht auf einer unrichtigen Vorstellung von der Bedeutung und Tragweite der angerufenen Freiheitsrechte. Der Sinn der Freiheitsrechte ist die Begrenzung der staatlichen Macht gegenüber dem einzelnen Bürger. Sie gewährleisten ihm Schutz vor staatlichen Eingriffen, geben ihm aber keinen Anspruch auf positive Leistungen des Staates (AUBERT, Traité de droit constitutionel suisse, Neuchâtel 1967, II S. 626 ff. insbes. Nr. 1750 und dort zitierte Literatur; FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 240 ff.; DIETRICH SCHINDLER, Verfassungsrecht und soziale Struktur, Zürich 1932, S. 128). So lässt sich aus den Rechten der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit kein Anspruch des Bürgers darauf ableiten, dass der Staat zu ihrer Ausübung besondere Einrichtungen schafft oder zur Verfügung stellt. Das aber meinen die Beschwerdeführer, wenn sie gestützt auf die genannten Freiheitsrechte einen grundsätzlichen Anspruch auf die Räume der Universität zu Versammlungszwecken geltend machen. Was allgemein gegenüber dem Staat gilt, gilt umso mehr gegenüber der öffentlichen Anstalt, welche den Bürgern wesensgemäss nur zu dem Zweck offenzustehen hat, zu dem sie bestimmt ist. Somit werden die Studierenden dadurch, dass ihnen die Räume
BGE 98 Ia 362 S. 368
der Universität für Veranstaltungen ausserhalb des eigentlichen Lehrbetriebs grundsätzlich verschlossen bleiben, in ihrer Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit gar nicht berührt. Eine Verletzung dieser verfassungsmässigen Rechte steht somit nicht in Frage. Die beanstandete Bestimmung ist bloss unter dem beschränkten Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
zu beurteilen (
BGE 96 I 107
).
b) Der Vorwurf, es sei verfassungswidrig, den agitatorischprovokativen Charakter einer Veranstaltung als Grund für die Nichterteilung einer Bewilligung vorzusehen, weil dieser schwer bestimmbare Begriff die Möglichkeit zu willkürlichen und die Rechtsgleichheit verletzenden Entscheiden biete, geht offensichtlich fehl. Denn ein Rechtssatz, der unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die den rechtsanwendenden Behörden bei deren Auslegung und Anwendung einen weiten Beurteilungsspielraum offen lassen, verstösst deswegen noch nicht gegen
Art. 4 BV
. Die Frage einer Verletzung von
Art. 4 BV
kann sich erst im Anwendungsfall stellen. Dass mit dem Verbot agitatorischprovokativer Veranstaltungen gegen die Rechtsgleichheit verstossen werde, indem damit ohne sachliche Gründe bestimmte Studierende oder Studentenverbände gegenüber andern benachteiligt würden, wird nicht behauptet. Dagegen bringen die Beschwerdeführer vor, das Verbot sei unverhältnismässig, weil Veranstaltungen agitatorisch-provokativen Charakters den Universitätsbetrieb nicht störten und somit kein hinreichender Grund bestehe, sie nicht zu bewilligen. Die Rüge erweist sich schon deshalb als unbegründet, weil der Erziehungsrat, wie in der Beschwerdeantwort dargetan wird, unter Veranstaltungen agitatorisch-provokativen Charakters nur solche versteht, von denen regelmässig auch eine Störung des Unterrichts oder des allgemeinen Betriebs an der Universität zu befürchten ist.
Versteht der Schöpfer des Regulativs den Begriff "agitatorisch-provokativ" in diesem Sinne, so kann man sich allerdings fragen, worin dessen Wert im Text einer Vorschrift liegen soll, die ja bereits Veranstaltungen, von denen eine Störung des Betriebs zu befürchten ist, ausschliesst. Ob dieser Begriff wirklich zum besseren Verständnis von Ziff. 2 des Regulativs beiträgt, wie der Erziehungsrat meint, wird sich wohl bei der Anwendung zeigen. Wenn übrigens in der Vernehmlassung der Vorschrift eine Bedeutung beigemessen wird, wonach im Gegensatz zu agitatorisch-provokativen Veranstaltungen solche von
BGE 98 Ia 362 S. 369
Vereinigungen, die als revolutionär, subversiv oder staatsgefährlich gelten, in den Räumen der Universität grundsätzlich zulässig seien, so erscheint eine solche - allerdings erst im Anwendungsfall aktuelle - Auslegung befremdlich. Die Anstaltsordnung ist nämlich in jeder Hinsicht an die verfassungsmässige Ordnung gebunden. Die für die öffentliche Anstalt verantworlichen Organe dürfen deren Benützung nur so ordnen, wie es dem im Gesetz festgehaltenen Willen des Gemeinwesens, welches die öffentliche Anstalt trägt und welches letztlich über dessen Zweckbestimmung befindet, entspricht. Das ist sicher nicht der Fall, wenn die Räume der Universität für Veranstaltungen verfassungswidriger Vereinigungen zur Verfügung gestellt werden.
6.
Die Beschwerdeführer beanstanden Ziff. 10 des Regulativs insoweit, als darin das Sammeln von Geld in den Universitätsräumen untersagt wird. Sie machen geltend, die Vorschrift verletze das Prinzip der Verhältnismässigkeit, welches sie als einen aus dem Willkürverbot und den Freiheitsrechten sich ergebenden allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts anrufen. Welches geschriebene oder ungeschriebene Freiheitsrecht durch das genannte Verbot betroffen sein sollte, wird jedoch in keiner Weise dargetan, was wohl auch schwer halten würde. Steht die Verletzung eines Freiheitsrechts nicht in Frage, so ist die streitige Bestimmung nur unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
zu überprüfen.
Auch dieser Rüge liegt die unrichtige Vorstellung zugrunde, die Studierenden hätten einen Anspruch auf jede Art der Benutzung der Räume der Universität, sofern damit keine Störungen des Hochschulbetriebs verbunden sind. Wie dargetan, besteht der aus dem besonderen Rechtsverhältnis zwischen der öffentlichen Anstalt und ihren Benützern sich ergebende Anspruch, die Einrichtungen der Universität zu benützen, nur im Rahmen der Zweckbestimmung der Universität. Nach den Ausführungen des Erziehungsrats in der Vernehmlassung fällt das Einziehen normaler Mitgliederbeiträge anerkannter studentischer Vereinigungen sowie das Einziehen der ordentlichen Semesterbeiträge nicht unter dieses Verbot. Der Wortlaut von Ziff. 10 Satz 1 Regulativ lässt eine solche Auslegung zu. Somit kann entgegen der Behauptung in der Beschwerde nicht gesagt werden, die Vorschrift schränke die Ausübung gesetzlich anerkannter studentischer Tätigkeiten ein. Dass und inwiefern im
BGE 98 Ia 362 S. 370
übrigen eine Verletzung der Rechtsgleichheit und des Willkürverbots vorliegen sollte, wird nicht dargetan.
7.
Aus den gleichen Gründen erweist sich die Rüge als unbegründet, welche sich gegen Ziff. 11 des Regulativs richtet, wonach das Verkaufen von Drucksachen aller Art nur am Kiosk erlaubt und im übrigen der Zentralstelle der Studentenschaft vorbehalten ist. Die verfassungsmässigen Rechte der freien Meinungsäusserung und der Pressefreiheit, welche die Beschwerdeführer als verletzt betrachten, geben den Studierenden keinen Anspruch darauf, dass ihnen die Universitätsräume zum Verkaufen von Presseerzeugnissen zur Verfügung gestellt werden. Somit werden diese Freiheitsrechte durch die angefochtene Vorschrift auch nicht betroffen. Der Zweck der Hochschule kann kaum gebieten, dass in den Universitätsräumen Drucksachen aller Art verkauft werden. Die Studierenden sollen sich ungestört den Lehrveranstaltungen widmen können. Mit Rücksicht darauf ist es vielmehr gerechtfertigt, wenn der Verkauf von Presseerzeugnissen auf eine bzw. zwei Verkaufsstellen beschränkt wird. Denn ohne eine gewisse Beeinträchtigung des Lehr- und Forschungsbetriebes kann es nicht gehen, wenn an jeder beliebigen Stelle, und zwar nach der aus der Beschwerdeschrift hervorgehenden Absicht der Beschwerdeführer zweifellos dort, wo eine grösstmögliche Zahl Studierender sich aufhält oder vorbeizugehen hat, Verkaufsstände aufgestellt oder durch zirkulierende Gruppen oder Einzelne Drucksachen aller Art angepriesen werden. Selbst wenn angenommen wird, dass von dieser Verkaufsbeschränkung auch Mitteilungsblätter von studentischen Gruppen betroffen werden, deren Tätigkeit im Rahmen des Universitätszwecks liegt, kann sie nicht als unzulässig betrachtet werden. Sie lässt sich ohne Willkür schon damit rechtfertigen, dass der Verkauf von Drucksachen an jedem beliebigen Ort in der Universität wegen der herrschenden Raumnot eine mit einem geordneten Universitätsbetrieb nicht zu vereinbarende Störung mit sich bringt.
8.
Mit Ziff. 4 Abs. 5 des Regulativs, wonach für die anlässlich einer Veranstaltung allfällig verursachten Schäden an Gebäuden und Mobiliar der Inhaber der Bewilligung haftbar gemacht werden kann, wird nach Ansicht der Beschwerdeführer eine Kausalhaftung eingeführt, was mit
Art. 64 BV
nicht vereinbar sei. Die Berufung auf
Art. 64 BV
ist nicht richtig, denn diese Verfassungsbestimmung enthält bloss eine
BGE 98 Ia 362 S. 371
Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen und verleiht den einzelnen Bürgern keinen verfassungsmässigen Anspruch, der mit staatsrechtlicher Beschwerde durchgesetzt werden könnte. Die Verfassungsbestimmung, welche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts das Prinzip der derogatorischen Kraft des Bundesrechts im Sinne eines verfassungsmässigen Anspruchs gewährleistet, ist Art. 2 Üb.-Best. BV (
BGE 95 I 163
E. 2 mit Verweisungen). Dass die Beschwerdeführer diese Bestimmung nicht ausdrücklich anrufen, kann ihnen jedoch nicht schaden, da sie eine Verletzung des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechts rügen. Ob ein kantonaler Rechtssatz oder die ihm gegebene Auslegung mit dem Bundesrecht vereinbar ist, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 91 I 28
mit Verweisungen).
Aus dem Wortlaut von Ziff. 4 Abs. 5 des Regulativs könnte geschlossen werden, es wolle der Inhaber der Bewilligung ohne Rücksicht auf sein Verschulden für die anlässlich der Veranstaltung verursachten Schäden grundsätzlich haftbar gemacht werden. In dieser Bedeutung würde die Vorschrift eine der bundesrechtlichen Haftungsordnung der
Art. 41 ff. OR
widersprechende Haftungsnorm darstellen (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, 2. Auflage, Zürich 1958, S. 23 f.). Der Erziehungsrat legt dieser Vorschrift, wie in der Vernehmlassung ausgeführt wird, jedoch nur die Bedeutung eines Hinweises auf die geltenden Vorschriften des Haftpflichtrechts bei, und zwar insbesondere auf den Grundsatz, dass derjenige aus Verschulden haftbar gemacht werden kann, der einen gefährlichen Zustand schafft. Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Worlaut der Vorschrift, und sie erscheint auch naheliegender als der Sinn, den die Beschwerdeführer ihr geben, zumal es nur heisst, dass der Inhaber haftbar gemacht werden kann. Die Vorschrift ist deshalb unter dem Gesichtspunkt von Art. 2 Üb.-Best. BV nicht zu beanstanden. Somit braucht auch nicht geprüft zu werden, ob sie als öffentlich-rechtliche Vorschrift nicht von
Art. 6 ZGB
gedeckt wäre. Entspricht Ziff. 4 Abs. 5 Regulativ den Bestimmungen des Haftpflichtrechts der
Art. 41 ff. OR
, so kann offensichtlich nicht von einer Verletzung von
Art. 4 BV
gesprochen werden. Übrigens trifft, was zur Begründung der behaupteten Verfassungswidrigkeit vorgebracht wird, nicht die Vorschrift als solche, sondern berührt Gesichtspunkte, die erst bei deren Anwendung aktuell
BGE 98 Ia 362 S. 372
werden. Die Vorschrift wird in jedem einzelnen Fall nach den aus
Art. 4 BV
sich ergebenden Grundsätzen auszulegen und anzuwenden sein. Gegen eine willkürliche und die Rechtsgleichheit verletzende Handhabung durch die zuständige Behörde können sich die Betroffenen im gegebenen Fall mit den ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen zur Wehr setzen.
9.
Nach Ziff. 4 Abs. 6 des Regulativs kann die Erteilung der Bewilligung für eine Veranstaltung von der Leistung einer Kaution abhängig gemacht werden. Mit der Kaution sollen, wie der Erziehungsrat in der Beschwerdeantwort erklärt, die nach Ziff. 4 Abs. 1-3 zu bezahlenden Benutzungsgebühren und allfälligen Kosten für ausserordentliche Arbeitsleistungen sowie der Ersatz für allfälligen Schaden an Gebäuden und Mobiliar sichergestellt werden.
a) Ob eine solche Sicherheitsleistung in einer blossen Verordnung des Erziehungsrats vorgeschrieben werden kann, erscheint jedenfalls insoweit fraglich, als sie sich auf die Benutzungsgebühren beziehen soll. Denn nach der zürcherischen Rechtsordnung wird allein der Regierungsrat als kompetent betrachtet, eine Gebührenordnung für die Benutzung der Universitätsräume zu erlassen (Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts vom 24. März 1972, in ZBl 73/1972 S. 353ff.). Es ist jedoch nicht zu prüfen, ob das Regulativ eine hinreichende gesetzliche Grundlage für die beanstandete Kaution bildet (
BGE 88 I 215
; GRISEL, a.a.O., S. 120, 198), da eine entsprechende Rüge nicht erhoben wird.
b) Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit kann die angefochtene Bestimmung nur dann vor der Verfassung standhalten, wenn sie einschränkend ausgelegt wird. Soll die Kaution der Sicherstellung allfälliger Schadenersatzleistungen dienen, was einzig von den Beschwerdeführern beanstandet wird, so darf dies nur im Rahmen der massgebenden Grundsätze des Haftpflichtrechts geschehen. Die Kautionspflicht darf nicht weiter gehen als auf die Sicherstellung solcher Schädigungen, für die nach der massgebenden objektiven Rechtsordnung grundsätzlich Schadenersatz geleistet werden muss (
BGE 51 I 427
). Nach
Art. 41 ff. OR
, welche das Regulativ in Ziff. 4 Abs. 5 nach dem Gesagten als massgebend erklärt, hat der Bewilligungsinhaber nur dann für einen anlässlich der Veranstaltung angerichteten Schaden an Mobiliar und Gebäuden einzustehen, wenn ihn ein Verschulden daran trifft. Die Bedeutung
BGE 98 Ia 362 S. 373
der Kautionspflicht muss somit auf eine Pflicht zur Sicherstellung des Ersatzes von allfälligem Schaden, den der Bewilligungsinhaber schuldhaft verursacht, beschränkt bleiben. Dass die Leistung einer solchen Kaution eine Bedingung sei, die in keinem vernünftigen Zusammenhang mit der Bewilligung für eine Veranstaltung steht, kann nicht gesagt werden. Sie erscheint auch insoweit gerechtfertigt, als es der zuständigen Behörde schon mit Rücksicht auf ihre Pflicht, das öffentliche Vermögen ungeschmälert zu erhalten (§ 1 des Gesetzes betreffend die Verwaltung des Staatsvermögens und der Staatseinkünfte vom 27. Oktober 1856) nicht verwehrt sein kann, die mutmasslichen Kosten sicherstellen zu lassen für Sachschäden, mit denen bei einer bestimmten Veranstaltung zu rechnen ist. Allerdings fragt es sich, ob dann nicht besser überhaupt darauf verzichtet wird, eine Bewilligung zu erteilen. Eine Kaution, die das Prinzip der Verhältnismässigkeit nicht verletzt, kann jedenfalls nur dann verlangt werden, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass anlässlich der in Frage stehenden Veranstaltung Gebäude und Mobiliar der Universität geschädigt werden und zudem mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Bewilligungsinhaber dafür zu haften haben wird (
BGE 51 I 427
; IMBODEN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 4. unver. Auflage, Basel 1971, Nr. 342 I). Sind aber von einer Veranstaltung Ausschreitungen zu befürchten, in deren Verlauf Gebäude und Mobiliar geschädigt werden, so liegt wohl gleichzeitig eine voraussichtliche Störung des Unterrichts oder des allgemeinen Betriebs vor, wie dies nach Ziff. 2 Abs. 2 Regulativ Grund zur Verweigerung der Bewilligung ist. Unter diesen Umständen ist schwer zu sehen, wo noch Raum bleiben soll für die Erteilung einer Bewilligung unter der Bedingung, dass eine Kaution geleistet wird. Diese Bedenken lassen die Vorschrift von Ziff. 4 Abs. 6 Regulativ an sich zwar nicht als verfassungswidrig erscheinen, zumindest nicht unter dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
. Es wird sich aber im Anwendungsfall erweisen, ob sie in der Bedeutung, auf die sie nach dem Gesagten beschränkt werden muss, überhaupt praktikabel ist. Desgleichen handelt es sich um eine Frage der hier nicht zu beurteilenden Anwendung der Vorschrift, ob sich die Kriterien finden lassen, nach denen mit genügender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, ob und in welchem Masse im Verlaufe einer noch nicht stattgefundenen
BGE 98 Ia 362 S. 374
Veranstaltung Einrichtungen der Universität beschädigt werden und insbesondere, ob und wie weit der Bewilligungsinhaber dafür zu haften haben wird.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d3f59075-b9a9-4702-ba4f-a08d14ed075d | Urteilskopf
86 IV 153
38. Urteil des Kassationshofes vom 17. Juni 1960 i.S. Beutler gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 117 StGB
.
Adäquater Kausalzusammenhang.
Er setzt nicht voraus, dass der Eintritt des Erfolges für den Täter voraussehbar war; es genügt, dass das Verhalten des Täters unter den konkreten Umständen, wie sie vorlagen, objektiv, d.h. nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung, geeignet war, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen. | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 86 IV 153 S. 154
A.-
Beutler führte am 11. März 1958 einen Lastwagen mit einer Geschwindigkeit von 40 km/Std. auf der ca. 5,6 m breiten, mit einer festgefahrenen, glatten Schneeschicht bedeckten Naturstrasse von Oberburg nach Krauchthal. Wenige Meter vor der unübersichtlichen Einmündung der Hettiswilstrasse gewahrte er einen Opel-Stationswagen, der im Begriffe stand, von rechts aus dieser Strasse in die Oberburg-Krauchthal-Strasse einzuschwenken. Obgleich Beutler nach kurzem Zögern den Lastwagen abbremste und nach links steuerte, konnte er den Zusammenstoss mit dem Stationswagen nicht mehr verhindern. Der Lastwagen rammte das einbiegende Fahrzeug und stiess es ein kurzes Stück weit vor sich her. Durch die Wucht des Zusammenpralles wurde der auf der kleinen Ladefläche des Stationswagens mitgeführte 250 kg schwere Motormäher, der lediglich durch Einschaltung des Rückwärtsganges und ein vom rechten Handgriff zur hintern Stosstange lose gespanntes Seil gesichert war, so stark nach vorne geworfen, dass der ca. 2 cm dicke Eisennocken des Messerantriebes den Führersitz durchbohrte und Kobel, dem Führer des Stationswagens, schwere Verletzungen im Rücken zufügte, die am folgenden Tag dessen Tod zur Folge hatten.
B.-
Das Amtsgericht Burgdorf, das Beutler vorwarf, er sei mit übersetzter Geschwindigkeit gefahren und habe den Rechtsvortritt des Stationswagens missachtet, verurteilte ihn wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs nach
Art. 237 Ziff. 2 StGB
zu einer Busse von Fr. 300.--.
Das Obergericht des Kantons Bern erklärte Beutler am 17. November 1959 ausserdem der fahrlässigen Tötung gemäss
Art. 117 StGB
schuldig und bestimmte die Strafe auf zwanzig Tage Gefängnis, bedingt vollziehbar.
C.-
Beutler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei von der Anschuldigung der fahrlässigen
BGE 86 IV 153 S. 155
Tötung freizusprechen. Er macht geltend, es fehle der rechtserhebliche Kausalzusammenhang zwischen seiner verkehrswidrigen Fahrweise und der eingetretenen Tötung. Es stehe fest, dass die Kollision für sich allein nur Sachschaden und geringfügige, jedenfalls nicht lebensgefährliche Verletzungen verursacht habe; die tödlichen Verletzungen seien auf die schlechte Verladeart und die ungenügende Sicherung des Motormähers zurückzuführen, beides Umstände, die er unmöglich habe voraussehen können und die deshalb ausserhalb des gewöhnlichen Geschehens lägen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die übersetzte Geschwindigkeit, mit der der Lastwagen in die unübersichtliche Strasseneinmündung fuhr, war eine der natürrlichen Ursachen des Zusammenstosses mit dem Stationswagen und damit auch der Tötung des Führers dieses Fahrzeuges. Für diese hat der Beschwerdeführer jedoch nur einzustehen, wenn zwischen seinem Verhalten und dem Tod Kobels ein rechtlich erheblicher Zusammenhang besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes, die vom Beschwerdeführer nicht angefochten wird, ist diese Voraussetzung immer dann erfüllt, wenn das Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (
BGE 81 IV 255
,
BGE 84 IV 63
Erw. 3 und dort angeführte Entscheidungen).
Es kommt somit darauf an, ob die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Fahrweise unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, unter denen sich der Zusammenstoss ereignet hat, nach allgemeiner Lebenserfahrung den Tod Kobels herbeiführen konnte. Das ist zu bejahen. Der schwere Lastwagen prallte mit einer Geschwindigkeit von nahezu 40 km/Std., die auf der glattgefahrenen Schneedecke trotz der im letzten Moment versuchten Bremsung nicht wesentlich verzögert werden konnte, frontal mit der linken vorderen Frontecke des einschwenkenden Stationswagens
BGE 86 IV 153 S. 156
zusammen. Dass der Zusammenprall ein heftiger gewesen sein muss, ergibt sich auch aus der kräftigen Schleuderbewegung des Mähers, der Verschiebung des Stationswagens in der Fahrrichtung des Lastwagens und daraus, dass der Vorderteil des Lieferwagens stark eingedrückt worden ist. Ein so wuchtiger Zusammenstoss ist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, den Führer des Personenwagens tödlich zu verletzen; erfahrungsgemäss werden die Fahrzeugführer bei einer solchen Kollision nach vorne geworfen und erleiden beim Anprall an harte Bestandteile des Fahrzeuges Körperverletzungen, die häufig zum Tode führen. Der Umstand, dass im vorliegenden Falle die Kopfverletzungen, die Kobel beim Aufprall erlitten hat, nicht lebensgefährlich waren und sein Tod auf die durch den Motormäher verursachten inneren Verletzungen zurückzuführen ist, macht das Verhalten des Beschwerdeführers nicht zur inadäquaten Ursache. Denn massgebend ist einzig, ob der Zusammenstoss nach der Erfahrung des Lebens für sich allein hätte genügen können, um einen Erfolg von der Art des eingetretenen, d.h. die Tötung eines Menschen, herbeizuführen. Da dies zutrifft, war das verkehrswidrige Verhalten des Beschwerdeführers, das notwendige Voraussetzung des eingetretenen Todes war, auch rechtserhebliche Ursache dieses Erfolges. Von einer Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch das Einwirken des Motormähers kann infolgedessen nicht die Rede sein; eine Unterbrechung ist genau genommen überhaupt nicht möglich, da die Adäquanz des Kausalzusammenhanges entweder an sich schon fehlt oder aber trotz anderer Mitursachen vorhanden ist und dann nicht mehr unterbrochen werden kann.
Unerheblich ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, er habe nicht voraussehen können, dass Kobel eine so gefährliche Ladung mit sich führe, und deshalb nicht mit dieser zusätzlichen Gefährdung rechnen müssen. Ob das Verhalten des Beschwerdeführers objektiv geeignet
BGE 86 IV 153 S. 157
war, den Enderfolg herbeizuführen, hängt nicht davon ab, was der Beschwerdeführer persönlich voraussehen konnte. Die Frage, was der Täter voraussehen konnte oder musste, ist subjektiver Natur und beim Verschulden zu prüfen. Wenn in verschiedenen Entscheidungen (z.B.
BGE 83 IV 38
,
BGE 84 IV 64
) ausgeführt wurde, der Ablauf der Ereignisse sei nicht derart unsinnig gewesen, dass damit schlechterdings nicht habe gerechnet oder dass er nicht habe vorausgesehen werden können, so wollte mit diesen Ausdrücken nichts anderes gesagt werden, als dass eine vom Verletzten oder von einem Dritten gesetzte Mitursache die Rechtserheblichkeit des Kausalzusammenhanges nicht ausschliesse, wenn das Verhalten des Verletzten oder Dritten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Erfahrung, also objektiv betrachtet, innerhalb des normalen Geschehens liege.
2.
Das Ergebnis ist auch kein anderes, wenn man den Grad der Intensität der beiden konkurrierenden Ursachen miteinander vergleicht (vgl. OFTINGER, Haftpflichtrecht, 2. Aufl. S. 94 ff.;
BGE 85 II 521
). Nicht zu bestreiten ist, dass der Transport des 250 kg schweren Motormähers für Kobel eine nicht unbedeutende Gefahr begründete, da nach der Feststellung der Vorinstanz schon eine Stopbremsung bei einer Geschwindigkeit von 25 km/Std. genügt hätte, um das Seil, mit dem der Mäher am Wagen angebunden war, zu zerreissen und damit die Maschine in Bewegung zu setzen. Anderseits war aber auch die Gefahr, die der Beschwerdeführer durch die übersetzte Geschwindigkeit und die Missachtung des Vortrittsrechtes erzeugte, keine geringe. Die Möglichkeit, dass bei einem Zusammenstoss in der unübersichtlichen Einmündung Menschen tödlich verletzt werden konnten, war umso grösser, als es sich beim Fahrzeug des Beschwerdeführers um einen schweren Lastwagen handelte und die schmale und glatte Strasse zum Ausweichen oder brüsken Bremsen zum vornherein ungeeignet war. Selbst angenommen, die Gefahr, die mit dem Transport des Mähers
BGE 86 IV 153 S. 158
verbunden war, habe die Gefahr, die durch das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers hervorgerufen wurde, an Bedeutung übertroffen, so könnte gleichwohl nicht gesagt werden, diese habe jene so sehr in den Hintergrund gedrängt, dass das Mitführen des Mähers den Kausalverlauf völlig beherrscht habe und deshalb als einzige adäquate Ursache der Tötung erscheine.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d3f64415-8aeb-4a82-9e5e-fb19c4dc36c0 | Urteilskopf
116 Ib 377
47. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 25 avril 1990 dans la cause Association suisse des transports contre Tribunal administratif du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Die Bewilligung für eine Baute auf einer in einem Nutzungsplan festgesetzten von Bauzonen umgebenen Grünzone i.S. von
Art. 3 Abs. 3 lit. e RPG
untersteht dem kantonalen Recht (gemäss
Art. 22 oder 23 RPG
);
Art. 24 RPG
ist nicht anwendbar. | Sachverhalt
ab Seite 378
BGE 116 Ib 377 S. 378
La promenade de Saint-Antoine, à Genève, est une place du domaine public d'environ 6000 m2, située au centre de la ville. Elle est actuellement plantée d'arbres; à peu près la moitié de sa surface est affectée à la circulation et au stationnement des automobiles; le reste est réservé aux piétons. Elle appartient à la zone de verdure prévue par les art. 24 et 25 de la loi genevoise d'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, du 4 juin 1987.
Par arrêt du 2 novembre 1988, le Tribunal administratif du canton de Genève a admis que la construction d'un garage public de cinq cents places, sur cinq niveaux, sous la promenade, serait conforme à l'affectation du sol. Le Tribunal fédéral a rejeté un recours de droit administratif de l'Association suisse des transports, dénonçant une violation de l'
art. 24 LAT
.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) La législation fédérale prévoit le maintien, dans le milieu bâti, de nombreuses surfaces de verdure ou espaces plantés d'arbres (
art. 3 al. 3 let
. e LAT), tels que la promenade de Saint-Antoine. Cependant, les plans d'affectation ne doivent pas obligatoirement attribuer ces surfaces à des zones inconstructibles, dès lors que, selon l'
art. 17 al. 2 LAT
, cette mesure n'est pas imposée pour les sites et territoires dont les plans doivent en principe assurer la protection. Il n'est donc pas prévu que l'
art. 24 LAT
doive y être appliqué. Leur conservation est une mesure d'aménagement du milieu bâti; par leur fonction, elles appartiennent à celui-ci, quelle que soit l'affectation qui leur est conférée par le plan. Elles ne sont dès lors pas situées hors de la zone à bâtir aux termes de l'
art. 24 LAT
(titre).
D'ailleurs, la sauvegarde des espaces de verdure urbains est étrangère au but de cette disposition. L'
art. 3 al. 3 LAT
, première phrase, prévoit que l'étendue des territoires affectés à l'habitat et aux activités économiques doit être limitée. Cette règle consacre le
BGE 116 Ib 377 S. 379
principe de la séparation des zones à bâtir, dont la délimitation est imposée par les
art. 14 et 15 LAT
, et des zones inconstructibles, pour maintenir le plus possible de territoires libres, éviter l'extension excessive ou désordonnée des agglomérations et empêcher la dissémination des constructions. L'
art. 24 LAT
, relatif aux constructions hors des zones à bâtir, est destiné à assurer la réalisation de cet objectif (DFJP/OFAT, Etude relative à la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, ch. 42 let. a ad
art. 3 LAT
, ch. 9 ad
art. 14 LAT
, ch. 1 et 9 ad
art. 24 LAT
). Or, celui-ci n'a pas de rapport avec l'aménagement de l'intérieur des agglomérations, même s'il faut aussi y limiter le développement des constructions (
ATF 114 Ib 350
in fine).
Par conséquent, si les cantons prévoient pour les surfaces visées à l'
art. 3 al. 3 let
. e LAT une zone d'affectation excluant les constructions, ainsi qu'ils en ont le droit (
art. 18 al. 1 LAT
), les autorisations de construire doivent être délivrées sur la base de leur propre législation, selon les
art. 22 ou 23 LAT
. Le projet litigieux ne peut donc pas être contraire à l'
art. 24 LAT
; partant, il est inutile d'examiner la réglementation applicable, dans le canton de Genève, à la zone de verdure. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d3fae07a-4b83-43d3-ac0a-51937a361726 | Urteilskopf
106 III 62
14. Auszug aus dem Entscheid vom 20. November 1980 i.S. Frau K. | Regeste
Privilegierte Anschlusspfändung (
Art. 111 SchKG
).
1. Die Bestimmung, dass die Dauer eines Prozess- oder Betreibungsverfahrens nicht in Berechnung fällt, gilt nur für die einjährige Frist des zweiten Satzes von
Art. 111 Abs. 1 SchKG
(E. 1).
2. Nur die rechtzeitig erhobene Klage hält die provisorische Teilnahme an der Pfändung aufrecht; der Ansprecher, der die Klagefrist von
Art. 111 Abs. 3 SchKG
versäumt, hat sein Recht auf Geltendmachung des privilegierten Pfändungsanschlusses verwirkt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 63
BGE 106 III 62 S. 63
A.-
In Aufhebung einer vorangegangenen superprovisorischen Verfügung erkannte der Präsident II des Amtsgerichts Luzern-Stadt am 28. September 1978, es seien die beim Betreibungsamt der Stadt Luzern mit Arrest belegten Fr. 227'900.-- Bargeld und die Schecks von Josef K. gerichtlich zu sperren.
Bereits am 27. Juni 1978 hatte das Steueramt Luzern gegen Josef K. eine Sicherstellungsverfügung für eine Forderung von Fr. 965'500.-- erlassen. Die Wehrsteuerverwaltung sodann hatte am 7. Juli 1978 eine Sicherstellungsverfügung für eine Forderung von Fr. 325'500.-- erlassen und am 31. August 1978 einen Arrestbefehl für die beim Betreibungsamt Luzern liegenden Vermögenswerte erwirkt. Diese Vermögenswerte wurden in den zwei Betreibungen Nr. 6011 und Nr. 8624 des Steueramtes Luzern (namens des Kantons Luzern sowie der Einwohner-, Bürger- und katholischen Kirchgemeinde Luzern) und jener Nr. 8518 der Wehrsteuerverwaltung des Kantons Luzern (namens der Schweizerischen Eidgenossenschaft und des Staates Luzern) am 12./27. Dezember 1978 vom Betreibungsamt Luzern gepfändet.
Am 3. Januar 1979 erklärte Frau K. für eine Forderung von Fr. 750'500.-- den privilegierten Pfändungsanschluss gemäss
Art. 111 SchKG
. Im Sinne dieser Bestimmung setzte das Betreibungsamt den Pfändungsgläubigern eine Frist von zehn Tagen an zur Bestreitung des Rechts auf Anschlusspfändung. Das Steueramt der Stadt Luzern bestritt den Anspruch rechtzeitig, weshalb das Betreibungsamt am 23. Januar 1979 dem Anwalt von Frau K. eine zehntägige Frist zur Klage gegen das Steueramt der Stadt Luzern ansetzte. Der Anwalt sandte dem Betreibungsamt am 23. Januar 1979 eine Bestätigung des Präsidenten II des Amtsgerichts Luzern-Stadt, dass Frau K. in dem bei ihm hängigen Ehescheidungsprozess nebst Unterhaltsbeiträgen eine Forderung von Fr. 700'000.-- aus ehelichem Güterrecht geltend mache. Eine Klage gegen die bestreitenden Gläubiger wurde nicht eingereicht.
B.-
Mit Schreiben vom 27. Juni 1980 an das Betreibungsamt Luzern stellte der Anwalt von Frau K., unter Hinweis auf das am 16. Februar 1979 ergangene und in Rechtskraft erwachsene Ehescheidungsurteil, das Begehren um Freigabe der beim
BGE 106 III 62 S. 64
Betreibungsamt liegenden Vermögenswerte. Er verlangte für den Fall, dass seinem Antrag keine Folge geleistet werde, den Erlass eines beschwerdefähigen Entscheides. Das Betreibungsamt, welches das Begehren abwies, erliess am 7. Juli 1980 die folgende Verfügung:
"Der auf die Anschlusspfändung gemäss
Art. 111 SchKG
in Betreibung Nr. 10921 der Frau K. entfallende Anteil am Verwertungserlös wird zufolge erfolgreicher Bestreitung dieses Anschlussrechts dem Steueramt Luzern zugewiesen.
Die Auszahlung erfolgt nach unbenütztem Ablauf der zehntägigen Beschwerdefrist."
C.-
Gegen diese Verfügung erhob Frau K. am 18. Juli 1980 bzw. 1. August 1980 analoge Beschwerden beim Amtsgericht Luzern-Stadt als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie verlangte damit, das Betreibungsamt sei anzuweisen, die bei ihm liegenden Vermögenswerte des Josef K. herauszugeben. Eventuell habe das Betreibungsamt ihren privilegierten Pfändungsanschluss als rechtzeitig erfolgt anzuerkennen und den Beteiligten gemäss
Art. 111 Abs. 2 SchKG
davon Kenntnis zu geben. Zwar sei unbestritten, dass Frau K. rechtzeitig, nämlich am 23. Januar 1979, Anschlusspfändung für den Betrag von Fr. 750'500.-- erklärt habe; doch werde vorsorglicherweise jetzt, wo die Ansprüche im Ehescheidungsverfahren rechtskräftig beurteilt worden seien, nochmals Anschlusspfändung erklärt.
Nachdem das Amtsgericht Luzern-Stadt die beiden Beschwerden abgewiesen hatte, wandte sich Frau K. an das Obergericht des Kantons Luzern als obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Auch das Obergericht gelangte am 24. September 1980 zu einem abweisenden Entscheid.
D.-
Mit Rekurs an das Bundesgericht ersucht Frau K. um Aufhebung des Entscheides des Obergerichts vom 24. September 1980. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab, soweit sie darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz einerseits und die Rekurrentin anderseits legen den dritten Satz von
Art. 111 Abs. 1 SchKG
verschieden aus. Während diese sich auf den Standpunkt stellt, die
BGE 106 III 62 S. 65
Bestimmung, dass die Dauer eines Prozess- oder Betreibungsverfahrens nicht in Berechnung falle, gelte auch für den ersten Satz von
Art. 111 Abs. 1 SchKG
- also die vierzigtägige Frist -, will das Obergericht sie nur auf die einjährige Frist des zweiten Satzes bezogen wissen. Zutreffend ist die Auffassung der Vorinstanz.
Bereits in
BGE 41 III 249
E. 2 hat das Bundesgericht festgehalten, dass nur die einjährige Frist um die Dauer eines mit der privilegierten Anschlusspfändung in Beziehung stehenden Prozesses erstreckt werde. Diese Praxis steht in Übereinstimmung mit der allgemein strengen Handhabung der Frist für die Erklärung der Anschlusspfändung (vgl. für die dreissigtägige Frist gemäss
Art. 110 SchKG
BGE 104 III 52
, wo die Auffassung, dass die Frist erst zu laufen beginne, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden sei, ebenfalls abgelehnt wird; ferner
BGE 85 III 169
). Die Literatur hat sich der Auffassung des Bundesgerichts angeschlossen (RAGGENBASS, Die privilegierte Anschlusspfändung nach schweizerischem Recht, Diss. Freiburg 1944, S. 90; OTT, Die privilegierte Anschlusspfändung des Ehegatten nach schweizerischem Schuldbetreibungsrecht, in: ZSR 37/1918, S. 312, 315 f.).
Mit der Frage, zu welchem Ergebnis eine gegenteilige Auffassung führen müsste, hat sich das Bundesgericht in
BGE 38 I 241
auseinandergesetzt. Es hat dort insbesondere ausgeführt, dass der nicht privilegierte Gläubiger, der seinerseits einen Aberkennungsprozess mit dem Schuldner führt und provisorisch gepfändet hat, im ungewissen über den wirtschaftlichen Erfolg bliebe; denn selbst wenn der Prozess zugunsten des Gläubigers ausginge, müsste dieser jederzeit mit dem Auftreten des nach
Art. 111 SchKG
privilegierten Gläubigers rechnen, der ihn wegen des Vorranges bei der Kollokation (Art. 219 i.V. mit
Art. 146 SchKG
) um die Früchte seiner Anstrengungen bringen könnte. Um solche Unbilligkeit zu verhindern, muss das Recht zur Teilnahme an der Pfändung ohne vorgängige Betreibung als verwirkt betrachtet werden, wenn die Frist von 40 Tagen - aus welchen Gründen auch immer - nicht eingehalten wurde (so auch OTT, a.a.O., S. 314 f.; vgl. ferner FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Auflage, Band I, S. 263).
Schliesslich ist zu beachten, dass die von Drittgläubigern eingeleitete Betreibung auf Pfändung in aller Regel längst
BGE 106 III 62 S. 66
durchgeführt und abgeschlossen wäre, bevor der Rechtsstreit, welchen die Ehegatten unter sich austragen, entschieden ist. Die von der Rekurrentin vorgeschlagene Lösung wäre daher praktisch nicht durchführbar.
2.
Entgegen ihrer Auffassung konnte sich die Rekurrentin nicht darauf beschränken, zur Wahrung der ihr vom Betreibungsamt angesetzten Frist auf den hängigen Scheidungsprozess zu verweisen. Nur die rechtzeitig erhobene Klage hält die provisorische Teilnahme an der Pfändung aufrecht; der Ansprecher, der die Klagefrist versäumt, hat sein Recht auf Geltendmachung des privilegierten Pfändungsanschlusses verwirkt (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, S. 199 f.; OTT, a.a.O., S. 329). An dieser Stelle ist der Gesetzestext übrigens eindeutig, sagt doch der erste Satz von
Art. 111 Abs. 3 SchKG
, dass die Teilnahme des die Anschlusspfändung begehrenden Gläubigers "widrigenfalls" - was nichts anderes bedeuten kann als: bei Ausbleiben der Klage innert der Frist von zehn Tagen - dahinfalle. Sodann enthält das Formular Nr. 8 der Betreibungsämter, das dem Anwalt der Rekurrentin am 23. Januar 1979 zugestellt wurde, den gedruckten Satz: "Sie haben infolgedessen innerhalb 10 Tagen, von der Zustellung dieser Anzeige an gerechnet, Klage beim Gericht im beschleunigten Verfahren einzureichen, ansonst die Anschlusspfändung dahinfällt."
Dem Zusammenhang zwischen dem Scheidungsverfahren und dem Widerspruchsprozess hätte in der Weise Rechnung getragen werden können, dass die Sistierung des letzteren bis zur Beendigung des Scheidungsprozesses verlangt worden wäre. Auch wäre es (ohne Sistierung) möglich gewesen, bei vorzeitigem Abschluss des gegen die Drittgläubiger gerichteten Prozesses den auf die provisorische Pfändung entfallenden Verwertungsanteil bis zum Vorliegen des Scheidungsurteils zu hinterlegen (OTT, a.a.O., S. 332).
Der Rekurrentin ist es aber aus prozessualen Gründen verwehrt, die Frage im Rahmen des vorliegenden Verfahrens dem Bundesgericht zur Beurteilung vorzulegen. Wollte sie ihre Rechtsauffassung durch die Aufsichtsbehörde prüfen lassen, so hätte sie nämlich gegen die seinerzeitige Ansetzung der Klagefrist durch das Betreibungsamt Beschwerde führen müssen. Dadurch, dass sie dies unterliess, ist die Fristansetzung in Rechtskraft erwachsen. Von Nichtigkeit der Fristansetzung
BGE 106 III 62 S. 67
kann mangels öffentlicher Interessen, die verletzt sein könnten, entgegen der Meinung der Rekurrentin keine Rede sein (Umkehrschluss aus
BGE 73 III 136
).
5.
Die Rekurrentin hatte ursprünglich innert der vom Gesetz vorgesehenen Frist privilegierte Anschlusspfändung erklärt. Doch unterliess sie es in der Folge, auf Fristansetzung des Betreibungsamtes hin Klage gegen die Drittgläubiger zu erheben. Deshalb hat sie, wie oben (E. 2) ausgeführt, ihr Recht auf Teilnahme an der Anschlusspfändung verwirkt. Entgegen ihrer Auffassung konnte die Rekurrentin nicht erneut Anschlusspfändung erklären, nachdem das Scheidungsurteil rechtskräftig geworden war; denn die vierzigtägige Frist wurde nicht um die Dauer des Scheidungsprozesses erstreckt (E. 1). Somit hat die Vorinstanz die Beschwerden zu Recht abgewiesen. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d3fd3de8-de7e-4419-86c9-ac7806143e24 | Urteilskopf
105 Ib 181
29. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 1er novembre 1979 dans la cause X. contre Administration fédérale des contributions (recours de droit administratif) | Regeste
Warenumsatzsteuer; Buchführungspflicht, Ermessenseinschätzung (
Art. 34 WUStB
).
1. Die "Wegleitung für Grossisten" und die "Richtlinien für die Ordnungsmässigkeit des Rechnungswesens und die Mikroverfilmung unter steuerlichen Gesichtspunkten", welche von der EStV ausgearbeitet worden sind, haben in
Art. 34 Abs. 1, Satz 2 WUStB
eine gesetzliche Grundlage; sie sind daher auf den Steuerpflichtigen anwendbar (E. 2a).
2. Eine Buchhaltung ohne Belege hat für die Steuerverwaltung keine bindende Beweiskraft; Recht und Pflicht der Behörde zur Ermessenseinschätzung (E. 4a).
3. Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör des Steuerpflichten (E. 4b).
4. Für das Optikergewerbe ist die Annahme zulässig, dass die Bruttogewinnmarge 60% des Umsatzes beträgt (E. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 105 Ib 181 S. 182
X., opticien, est inscrit au registre de l'Administration fédérale des contributions (ci-après: AFC) comme grossiste au sens de l'
art. 8 AChA
. Au cours d'un contrôle, portant sur les périodes fiscales allant du 1er janvier 1973 au 31 décembre 1977, l'AFC constata que la comptabilité du contribuable ne contenait aucune pièce propre à servir de justificatif aux écritures.
Le 12 mai 1978, l'AFC a présenté à X. un décompte complémentaire par lequel elle lui réclamait un supplément d'impôt de Fr. 20'110.-, avec intérêt à 6% dès le 30 avril 1976, pour la période en cause. Pour déterminer le chiffre d'affaires, l'AFC s'est fondée sur les montants des achats de matières opérés par l'intéressé durant ces années, considérant qu'ils représentaient le 40% du chiffre d'affaires global. Cette dernière appréciation résulte de statistiques concernant six commerces de la branche comparables à celui de X. et portant généralement sur plusieurs années; l'AFC s'est en outre référée aux listes de prix courants d'un des principaux fournisseurs du contribuable, procédant à des comparaisons du tarif "achat" et du tarif "vente au public". X. n'a pas accepté ce décompte complémentaire. Aussi l'AFC a-t-elle rendu le 11 septembre 1978 une décision formelle confirmant en tout point le redressement fiscal auquel elle avait procédé le 12 mai précédent. Le 30 octobre 1978, l'AFC a rejeté la réclamation formée par le contribuable contre cette décision.
X. a formé un recours de droit administratif dans lequel il conclut à ce que la décision du 30 octobre 1978, ainsi que celle du 11 septembre 1978 et le décompte complémentaire du 12 mai 1978, soient annulés.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des motifs:
2.
a) En matière d'impôt sur le chiffre d'affaires, le contribuable doit tenir ses livres de façon que les faits importants pour déterminer l'existence et l'étendue de l'assujettissement puissent être constatés aisément et avec sûreté. L'AFC peut édicter des prescriptions spéciales à ce sujet (art. 34 al. 1 in principio AChA).
En application de cette disposition légale, l'AFC a publié des "Instructions à l'usage des grossistes" (ci-après: les instructions), dont les notes 214 à 226 concernent précisément la comptabilité et la conservation des documents. De même, des "Directives applicables en matière
BGE 105 Ib 181 S. 183
fiscale pour la tenue régulière de la comptabilité et pour le microfilmage" (ci-après: les directives) ont été élaborées par l'AFC et la Conférence des fonctionnaires fiscaux d'Etat; outre des recommandations générales, elles contiennent des prescriptions particulières pour les contribuables assujettis en qualité de grossistes à l'impôt sur le chiffre d'affaires. Il est indubitable que ces documents, qui ont été remis au recourant, ont une base légale - savoir l'art. 34 al. 1, 2e phrase, AChA - et qu'ils lui sont par conséquent opposables.
X. admet que l'exactitude du chiffre des ventes qu'il a déclaré ne peut être vérifiée, car il vend la marchandise "par remise manuelle": lorsqu'il vend un objet, il place dans son tiroir de caisse la recette, sans conserver de double, ni des factures, ni des quittances; pour les réparations, il n'établit pas de fiche de client ou de carte de travail. Chaque fin de semaine, il groupe les montants des recettes et des dépenses, puis les porte dans le grand livre. Or, sans même tenir compte des prescriptions spéciales applicables, une telle manière de procéder est manifestement contraire aux exigences de l'
art. 34 al. 1 AChA
qui tendent à permettre le contrôle de l'exactitude des comptes. Un contribuable ne peut ignorer que, si ses livres doivent servir de base de calcul à un impôt, ils doivent être contrôlables, ce qui implique qu'ils soient complets et détaillés. Dès lors, il est évident que toute écriture figurant dans les livres comptables doit être étayée par une pièce justificative qui doit au surplus être conservée. Admettre le contraire équivaut à rendre impossibles les contrôles que l'
art. 34 AChA
doit permettre d'effectuer.
Au surplus, tant les directives que les instructions faisaient un devoir à X. de procéder de la sorte. En effet, toutes les recettes et les dépenses doivent être inscrites, chronologiquement et avec les détails appropriés (instructions, n. 215), et chaque écriture doit être justifiée par une pièce (directives, n. 115), de sorte que chaque opération commerciale puisse être suivie aisément et sûrement, depuis les documents justificatifs et les écritures dans les livres de base, jusqu'au décompte trimestriel, respectivement jusqu'au bouclement de l'exercice et vice versa (instructions, n. 219; directives, n. 133 et 400). Ainsi donc, les livres du grossiste doivent contenir des renseignements complets sur l'ensemble du chiffre d'affaires réalisé, des indications précises sur la provenance des recettes et l'affectation des dépenses et des informations permettant de
BGE 105 Ib 181 S. 184
déterminer l'utilisation des marchandises achetées et fabriquées (instructions, n. 214); il ne suffit donc pas d'inscrire sous forme de récapitulation des totaux journaliers ou périodiques (directives, n. 400), comme le fait le recourant. Quant à l'obligation de conserver intégralement et en bon ordre les documents, elle ressort tant des instructions que des directives, qui précisent en outre les unes et les autres que cette exigence dure aussi longtemps que l'impôt n'est pas prescrit, soit pendant six ans (instructions, n. 224; directives, n. 13 et 130).
b) L'
art. 34 al. 2 AChA
prévoit il est vrai que lorsque l'inscription dans les livres de faits essentiels pour la détermination de l'assujettissement impose au contribuable une charge excessive, l'AFC peut admettre une évaluation approximative si et aussi longtemps qu'il est établi que la créance du fisc n'en est pas diminuée.
Le recourant ne saurait toutefois se prévaloir de cette disposition pour justifier le fait qu'il n'a pas fait figurer dans ses comptes les ventes qu'il effectue. L'usage d'une caisse enregistreuse proposé par l'AFC ne constitue pas une charge excessive au sens de l'
art. 34 al. 2 AChA
; d'ailleurs, X. a pris le 12 mai 1978 l'engagement écrit d'avoir recours à l'avenir à un tel appareil.
4.
a) Appelé à définir le faux intellectuel, le Tribunal fédéral a constaté qu'un livre de caisse contenant des écritures fausses constituait un titre dès lors qu'il était destiné et propre à servir de preuve, même sans pièces justificatives (
ATF 79 IV 164
/165). On ne saurait toutefois en déduire qu'une comptabilité dépourvue de pièces justificatives est un titre probant qui lie le fisc et dont il doit se contenter. Préalablement, l'arrêt en cause précisait en effet qu'en définissant le titre comme un écrit propre à servir de preuve, l'
art. 110 ch. 5 CP
ne vise pas la force probante de l'écrit, mais son aptitude à constituer d'une manière générale un moyen de preuve de faits allégués (
ATF 79 IV 164
).
Or, en matière d'impôt sur le chiffre d'affaires, s'il existe des indices qu'une comptabilité ne donne pas une image exacte ou complète de la situation réelle de l'entreprise, l'autorité a le droit et l'obligation de fixer le chiffre d'affaires par voie d'appréciation (arrêt du 16 novembre 1977, in Archives 46, p. 518/519). C'est précisément ce qu'a fait l'AFC, en se fondant sur le montant des achats de matières opérés par le recourant,
BGE 105 Ib 181 S. 185
sur des statistiques relatives à divers commerces de la branche de l'optique et sur les listes de prix courants d'un fournisseur de X.
b) Lorsque l'autorité fiscale procède de la sorte, le contribuable peut se prévaloir envers elle du droit d'être entendu. Cela implique qu'il doit en principe avoir accès au dossier et qu'il doit être informé de la manière dont sont établis les chiffres à la base de la taxation (arrêt du 11 décembre 1964, in Archives 33, p. 504).
En l'espèce, ainsi que le recourant s'en plaint, l'AFC n'a pas précisé d'où elle tirait exactement les éléments dont elle s'est prévalue. On peut admettre que, de ce fait, X. s'est trouvé entravé dans sa défense. L'on ne saurait cependant voir dans cette circonstance un déni de justice formel de la part de l'AFC, dans la mesure où celle-ci s'est fondée sur des dossiers d'autres contribuables qui ont le droit d'exiger d'elle qu'elle respecte le secret fiscal (
art. 7 al. 1 AChA
; arrêt précité in Archives 33, p. 504). L'obligation de renseigner de l'AFC trouve sa limite dans celle qu'elle a de sauvegarder l'intérêt légitime des tiers; Or même une communication des renseignements avec suppression des noms de personnes et de lieux comporte le risque que le recourant puisse identifier les commerçants pris comme référence et qu'il obtienne ainsi des secrets d'affaires sur des concurrents.
Dans une telle situation, l'autorité a toutefois l'obligation de renseigner l'intéressé au moins sur l'essentiel du contenu des pièces dont elle refuse la communication (GRISEL, Droit administratif suisse, p. 182). L'AFC a satisfait à cette obligation en renseignant d'emblée le recourant sur la portée des données statistiques qu'elle lui appliquait. Celui-ci avait la faculté de contester les chiffres et de fournir toutes contre-preuves utiles. On peut dès lors admettre que son droit d'être entendu a été respecté.
c) L'AFC a estimé, sur la base des statistiques et des listes de prix courants qu'elle avait réunis, que les achats de matière représentaient le 40% du chiffre d'affaires du recourant. En d'autres termes, elle a tenu pour usuelle une marge bénéficiaire brute de 60%. Or, le contribuable soutient que ce pourcentage est trop élevé pour son commerce. Il relève qu'il fabrique des lunettes sur mesure, ce qui provoque la perte d'un grand nombre de verres; de même, la formation de trois apprentis et la
BGE 105 Ib 181 S. 186
préparation de verres de contact n'ont pas été sans beaucoup de casse. Il fait d'autre part cadeau des étuis à ses clients, doit accorder des rabais aux fonctionnaires internationaux, ce qui, tout comme les changements de mode concernant les montures, diminue d'autant la marge brute.
Il résulte de l'art. 104 lettre c ch. 1 OJ que le Tribunal fédéral a compétence pour contrôler l'opportunité des éléments d'appréciation sur lesquels repose une taxation par estimation; il n'intervient cependant qu'avec une certaine retenue (arrêt du 16 novembre 1977, in Archives 46, p. 519; arrêt du 26 mars 1971, in Archives 40, p. 268/269). La contestation des conclusions de l'AFC formulée par le recourant ne pourrait donc être admise que si elle s'imposait nettement.
Tel n'est manifestement pas le cas. Les statistiques relatives à six commerces de la branche et portant, dans cinq cas, sur quatre années au moins démontrent que le matériel constitue au maximum 40% du chiffre d'affaires; de même l'examen des tarifs "achat" et "vente au public" des prix courants d'un des principaux fournisseurs de X. laissent apparaître des marges bénéficiaires brutes variant de 63% à 83%, sans tenir compte des rabais de quantité éventuellement consentis par le fournisseur. Dans ces conditions, la marge bénéficiaire brute de 60%, telle que retenue, constitue apparemment un minimum qui n'est en tout cas pas défavorable au recourant et qui tient compte largement des éléments particuliers dont celui-ci se prévaut.
Si néanmoins cette appréciation est erronée, le contribuable, qui ne produit aucune preuve, ne peut s'en prendre qu'à lui-même. Celui qui ne conserve pas les pièces justificatives ou qui ne tient pas une comptabilité suffisante doit en effet s'accommoder d'une estimation fondée sur des données d'expérience. Il ne peut prétendre à une appréciation qui lui soit plus favorable que s'il est à même d'établir à l'évidence que, dans tel cas déterminé, la taxation par estimation ne correspond manifestement pas à la réalité. Or, faute d'avoir conservé les pièces justificatives, X. ne prouve nullement que les écritures qu'il a passées correspondent à son chiffre d'affaires effectif. D'ailleurs, le recourant doit supporter les désavantages qui découlent pour lui d'une situation illégale qu'il a lui-même créée, en ne se conformant pas aux prescriptions de l'AFC contenues dans les instructions et directions (Archives 45, p. 328). | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d40439a9-0c2c-4ca3-877d-a5dc82c120b2 | Urteilskopf
117 Ib 210
26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. September 1991 i.S. X. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Auslieferung an die BRD;
Art. 7 Ziff. 1 EAÜ
,
Art. 35-37 IRSG
;
Art. 3,
Art. 8 und
Art. 12 EMRK
,
Art. 54 BV
.
1. Der ersuchte Staat kann die Auslieferung ablehnen, wenn die Tat ganz oder zum Teil auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde (
Art. 7 Ziff. 1 EAÜ
). Eine solche Ablehnung richtet sich nach
Art. 35 Abs. 1 lit. b und
Art. 36 IRSG
. Zudem kann eine Ablehnung unter bestimmten Voraussetzungen nach
Art. 37 IRSG
erfolgen. Beim Entscheid darüber steht den Auslieferungsbehörden ein Ermessensspielraum zu.
Art. 104 OG
entsprechend greift das Bundesgericht nur im Falle von Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch ein. Ein solcher Ermessensfehler liegt nicht vor, wenn die Auslieferungsbehörden namentlich aus prozessökonomischen Gründen die Auslieferung für alle dem Beschuldigten laut Ersuchen zur Last gelegten Taten - also auch für die angeblich in der Schweiz begangenen Tathandlungen - bewilligen, um so eine Gesamtbeurteilung des Verfolgten am Schwerpunkt des deliktischen Verhaltens im ersuchenden Staat zu ermöglichen (E. 3b).
2. Weder aus der EMRK noch aus
Art. 54 BV
lässt sich ein grundsätzlicher Anspruch entnehmen, nicht ausgeliefert zu werden (E. 3b/cc). | Sachverhalt
ab Seite 211
BGE 117 Ib 210 S. 211
Dem belgischen Staatsangehörigen X. wird zur Last gelegt, vom Januar 1989 bis Sommer 1990 in Deutschland sowie in der Schweiz fortgesetzt und zumindest in 308 Fällen "den Tatbestand des Betruges gesetzt" zu haben, wobei die Deliktsumme insgesamt über 3 Mio. DM betragen soll. Als Inhaber der Firma Z., einer in Zürich ansässigen Beteiligungsfirma mit Zweigniederlassung in der BRD, habe er im fraglichen Zeitraum durch verschiedene Vertriebsfirmen sogenannte Beteiligungen an seinem Unternehmen in der BRD an private Kunden vermittelt. Diesen seien verschiedene Beteiligungsformen angeboten worden. Den Kunden sei durch den Beschuldigten entweder persönlich, durch die Vertriebsfirmen oder
BGE 117 Ib 210 S. 212
durch einen vom Beschuldigten vertriebenen Prospekt vorgetäuscht worden, die Beteiligungssummen würden zu Spekulationszwecken durch anerkannte Bank- und Brokerhäuser auf internationalen Devisen- und Warenterminbörsen plaziert. Ausschliesslich im Vertrauen auf diese Form der Geldanlage und die damit in Aussicht gestellten Gewinne seien dem Beschuldigten im Rahmen von bisher bekanntgewordenen 326 Beteiligungsverträgen insgesamt mehr als 4 Mio. DM zur Verfügung gestellt worden. Tatsächlich seien diese Mittel aber vom Beschuldigten gemäss vorgefasster Absicht nicht in der versprochenen seriösen Art und Weise angelegt worden. Vielmehr habe er einen Grossteil des Geldes für eigene, private und geschäftliche Belange (z.B. monatliche Fixkosten von Fr. 15'000.-- für Miet- und Leasing-Raten von Haus, Motorfahrzeugen und Motorjacht) verbraucht; der Verbleib des restlichen Geldes sei bislang nicht geklärt.
Im Rahmen eines auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Kassel/BRD eingeleiteten Rechtshilfeverfahrens wurde X. im November 1990 in Zürich angehalten und inhaftiert.
Am 2. April 1991 ersuchte das Hessische Ministerium für Justiz in Wiesbaden die zuständigen schweizerischen Behörden, X. sei wegen der im Haftbefehl des Amtsgerichts Korbach/BRD vom 7. Februar 1991 aufgelisteten mindestens 308 Betrugsfälle an die BRD auszuliefern.
Mit Entscheid vom 11. Juni 1991 bewilligte das BAP die Auslieferung von X. an die BRD zur Verfolgung der ihm im genannten Haftbefehl zur Last gelegten Straftaten.
Gegen den Auslieferungsentscheid hat X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Das Bundesgericht weist diese ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, dass bei Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein wesentlicher Teil der Straftaten in der Schweiz oder von der Schweiz aus begangen worden wäre und daher die Zuständigkeit der schweizerischen Strafverfolgungsbehörden entgegen der Auffassung des BAP gegeben sei. Entsprechend könne die Auslieferung in Anwendung von
Art. 7 Ziff. 1 EAÜ
verweigert werden. Zudem könne die Schweiz das Strafverfahren nach
Art. 37 IRSG
übernehmen, was im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheine. Zwar treffe zu, dass er seit seiner Geburt
BGE 117 Ib 210 S. 213
bis 1987 in Deutschland gelebt habe. Dort sei er allerdings nie richtig verwurzelt gewesen. 1987 habe er sich mit einer Schweizerin verheiratet, und seither wohne er in der Schweiz. Seit 1989 habe er hier eine Arbeitsbewilligung und eine Unternehmung (mit der er nunmehr in die verschiedenen Betrugsfälle verwickelt ist). Nachdem er die vergangenen Jahre in der Schweiz gelebt habe, seien seine Beziehungen zu diesem Land grösser als diejenigen zu Deutschland. In der Schweiz hätte er die Möglichkeit, einen relativ engen Kontakt zu seiner Ehefrau und den zwei - schulpflichtigen - Stiefkindern zu halten, die ihn immer wieder besuchen könnten. Komme er nach Deutschland, so bestehe die äusserst grosse Gefahr, dass diese Bindungen Schaden nehmen würden; die Auslieferung würde die Familie "praktisch mit Sicherheit brutal sprengen". Damit sei dargetan, dass eine Strafuntersuchung in der Schweiz durchaus sinnvoll sei. Das BAP habe diese Gründe in rechtsmissbräuchlicher Weise nicht berücksichtigt. Bei den gegebenen Verhältnissen hätte es die Auslieferung verweigern müssen.
b) aa) Gemäss
Art. 7 Ziff. 1 EAÜ
kann der ersuchte Staat die Auslieferung ablehnen, wenn die Tat ganz oder zum Teil auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde. Eine solche Ablehnung richtet sich nach
Art. 35 Abs. 1 lit. b und
Art. 36 IRSG
. Zudem kann eine Ablehnung unter bestimmten Voraussetzungen nach
Art. 37 IRSG
erfolgen. Beim Entscheid darüber steht den Auslieferungsbehörden ein gewisser Ermessensspielraum zu.
Art. 104 OG
entsprechend greift das Bundesgericht nur im Falle von Ermessensüberschreitung bzw. -missbrauch ein; über die Angemessenheit des von den Vollzugsbehörden getroffenen Entscheides spricht es sich nicht aus (s. nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 25. August 1989 i.S. G., vom 17. September 1985 i.S. M. und nicht publ. E. 5c von
BGE 109 Ib 60
).
bb) Das Bundesgericht hat schon wiederholt betont, dass soweit möglich durch Auslieferung eine Gesamtbeurteilung des Verfolgten am Schwerpunkt des deliktischen Verhaltens erfolgen soll (s.
BGE 112 Ib 150
E. 5a,
BGE 108 Ib 537
E. 7a und nicht publ. Urteil vom 19. Februar 1991 i.S. S.).
Zum selben Ergebnis führt die Auslegung von
Art. 36 IRSG
. Die Bestimmung sieht vor, dass es in Ausnahmefällen zulässig ist, einen Angeschuldigten auszuliefern, obschon er auch in der Schweiz verfolgt werden könnte, wenn besondere Umstände, namentlich die Möglichkeit einer besseren sozialen Wiedereingliederung, dies rechtfertigen. Die entsprechende gesetzliche
BGE 117 Ib 210 S. 214
Aufzählung ist indessen nicht abschliessend zu verstehen. Auch in Fällen, in denen die bessere soziale Wiedereingliederung in der Schweiz gewährleistet wäre, können besondere Umstände, insbesondere Aspekte der Verfahrensökonomie und die Möglichkeit der gemeinsamen Beurteilung von mehreren Tätern, dennoch die Auslieferung nahelegen (nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 19. Februar 1991 i.S. S. und vom 30. August 1985 i.S. D.;
BGE 109 Ib 328
E. 11f).
Nach
Art. 37 Abs. 1 IRSG
kann die Auslieferung abgelehnt werden, "wenn die Schweiz die Verfolgung der Tat übernehmen kann und dies im Hinblick auf die soziale Wiedereingliederung des Verfolgten angezeigt erscheint". Diese Bestimmung ist, wie sich auch aus der bundesrätlichen Botschaft ergibt, im Zusammenhang mit
Art. 36 IRSG
zu sehen. Die gleichen Gründe, die ausnahmsweise bei gegebener schweizerischer Gerichtsbarkeit eine Auslieferung ermöglichen, insbesondere der Aspekt der sozialen Wiedereingliederung, sollen nämlich nach dieser Quelle umgekehrt auch zur (fakultativen) Ablehnung der Auslieferung führen, wenn die Ahndung der Tat in der Schweiz möglich ist (vgl. Art. 32 Abs. 1 und Art. 33 des bundesrätlichen Entwurfes, BBl 1976 II 462). Im Rahmen des dem BAP in
Art. 37 Abs. 1 IRSG
eingeräumten Ermessens können deshalb neben dem Aspekt der sozialen Wiedereingliederung auch gemäss Rechtsprechung zu
Art. 36 Abs. 1 IRSG
relevante Gründe in die Interessenabwägung miteinfliessen (nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 19. Februar 1991 i.S. S.).
cc) Nach
Art. 7 Abs. 1 StGB
gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen sowohl dort als verübt, wo es ausgeführt worden ist, als auch dort, wo der Erfolg eingetreten ist. Beim Betrug ist sowohl der Ort, wo die beabsichtigte Bereicherung eingetreten ist (der Beendigungserfolg; s.
BGE 109 IV 3
f.), als auch der Ort der schädigenden Vermögensverfügung (SJ 1976 S. 375) der Erfolgs- und damit Begehungsort im Sinne von
Art. 7 StGB
(STEFAN TRECHSEL, Kurzkommentar, N 6 zu
Art. 7 StGB
).
Gestützt auf das Auslieferungsersuchen und die Stellungnahme der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 7. Mai 1991 ist festzustellen, dass zumindest für einen nicht unerheblichen Teil der dem Beschwerdeführer angelasteten Straftaten keine schweizerische Strafhoheit vorliegt (Auslandstaten eines Ausländers;
Art. 2 ff. StGB
). Mit Bezug auf diese Taten könnte die Schweiz die Verfolgung nur dann übernehmen, wenn der Tatortstaat sie ausdrücklich darum
BGE 117 Ib 210 S. 215
ersuchen würde, an seiner Stelle die Strafgewalt auszuüben (s. nicht veröffentlichte E. 3b von
BGE 115 Ib 378
ff., zudem nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 1. Juli 1991 i.S. K. und vom 30. Januar 1990 i.S. K.). Ein solches Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung liegt hinsichtlich der betreffenden Taten aber nicht vor. Abgesehen davon ist festzustellen, dass der Ort der schädigenden Vermögensverfügungen und damit insoweit der Erfolgsort aller (wenigstens) 308 dem Beschwerdeführer laut Ersuchen zur Last gelegten Fälle in Deutschland ist, wo sich auch allfällige Mittäter befinden. Damit steht ebenfalls fest, dass das Schwergewicht der erforderlichen Untersuchungshandlungen Deutschland betrifft. Unter diesen Umständen ist der Entscheid des BAP, namentlich aus prozessökonomischen Gründen die Auslieferung für alle (wenigstens) 308 dem Beschwerdeführer im Haftbefehl des Amtsgerichts Korbach vom 7. Februar 1991 zur Last gelegten Straftaten zu bewilligen und dadurch eine Gesamtbeurteilung des Verfolgten in Deutschland zu ermöglichen, ohne weiteres einleuchtend und vertretbar. In Anbetracht dessen kann davon, das BAP habe das ihm nach dem Ausgeführten zustehende Ermessen missbraucht bzw. überschritten, nicht die Rede sein.
Dem vermögen angeblich enge familiäre Bindungen des Beschwerdeführers in der Schweiz, wo er seit rund vier Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist und zwei schulpflichtige Stiefkinder hat, nicht entgegenzustehen. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang keine Rechtsnorm als verletzt rügt, ist festzustellen, dass sich weder aus der EMRK noch aus
Art. 54 BV
ein Anspruch entnehmen lässt, nicht ausgewiesen oder nicht ausgeliefert zu werden (s. nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 1. Juli 1991 i.S. K. und nicht publ. E. 8 von
BGE 114 Ib 254
ff.). Bei drohender Ausweisung oder Auslieferung könnte zwar allenfalls die Anwendbarkeit von
Art. 3 oder 8 EMRK
in Frage kommen, dies aber in der Regel auch nur dann, wenn Gefahr besteht, dass der Betroffene im Empfangsstaat misshandelt wird oder dass die Massnahme eine Familie geradezu auseinanderreisst (s. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington 1985, N 18 ff. zu
Art. 3 und N 80
zu
Art. 5 EMRK
). Im vorliegenden Fall fehlen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Auslieferungsfalle misshandelt bzw. dass seine Ehe mit einer Schweizerin wegen der Auslieferung auseinanderfallen würde. In Auslieferungsfällen, in denen
Art. 8 EMRK
angerufen wurde, hat sich die
BGE 117 Ib 210 S. 216
Europäische Kommission für Menschenrechte bisher auf Ziff. 2 dieser Bestimmung berufen und befunden, dass der Eingriff in das Recht auf Schutz der Familie als Massnahme zur Bekämpfung des Verbrechens gerechtfertigt sei (s. EuGRZ 1977 S. 299 f.; STEFAN TRECHSEL, Grundrechtsschutz bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, EuGRZ 1987 S. 71 f. mit weiteren Hinweisen). Nichts anderes kann mit Bezug auf
Art. 12 EMRK
bzw. die ihrem sachlichen Gehalte nach weniger weit als
Art. 8 EMRK
reichende Bestimmung des
Art. 54 BV
(s. hiezu
BGE 109 Ib 185
f.) gelten. Dem Beschwerdeführer wird nicht verwehrt, seine bestehende Ehe fortzuführen. Dass mit seiner Auslieferung bzw. späteren Strafverbüssung die Ehe bzw. das Familienleben eingeschränkt wird, kann sowenig wie in jedem andern Straffall vermieden werden, in dem eine freiheitsentziehende Sanktion zu verhängen ist. Dies stellt jedoch nach dem Ausgeführten keine unzulässige Einschränkung dar. Abgesehen davon ist der Ehefrau des Beschwerdeführers ohne weiteres zuzumuten, auch im Falle dessen Auslieferung nach Kassel (Bundesland Hessen) regelmässige Kontakte mit ihrem Mann aufrechtzuerhalten, wie dies im Rahmen des Haftvollzuges beschränkt möglich ist; was allfällige Besuche anbelangt, ist der Auslieferungsort nicht allzu weit von ihrem Wohnsitz in der Schweiz entfernt, und im übrigen sind - wie in anderen Fällen - auch briefliche und allenfalls telefonische Kontakte denkbar. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d404d979-77eb-46a8-96d2-3c19c78f17dc | Urteilskopf
101 Ia 46
10. Extrait de l'arrêt du 22 janvier 1975 en la cause X contre Chambre d'accusation du canton de Genève | Regeste
Art. 4 BV
; persönliche Freiheit und strenge Einzelhaft (mise au secret); Art. 152 Genfer StPO vom 7. Dezember 1940; Europäische Menschenrechtskonvention.
1. Die aus
Art. 4 BV
fliessende Pflicht zur Begründung der Urteile und Verfügungen (E. 3).
2. Die sich aus einer Zwangsmassnahme wie der Untersuchungshaft ergebenden Beschränkungen dürfen nicht weiter gehen, als ihr Zweck es verlangt; Verhältnismässigkeitsprinzip (E. 4).
3. Die Versetzung in strenge Einzelhaft als Druckmittel auf den Angeschuldigten (E. 5).
4. Die Versetzung in strenge Einzelhaft stellt einen schweren Eingriff in die von Bund und Kanton Genf gewährleistete persönliche Freiheit dar (E. 6).
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts. Die in
Art. 152 StPO
genannten Voraussetzungen der Versetzung in strenge Einzelhaft sind kumulativ (E. 7).
5. Eine Behörde, die ihre Kognition - obschon diese ihr voll zusteht - auf Willkür beschränkt, verletzt
Art. 4 BV
(E. 8).
6. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten; von ihr erfasste Tatbestände. | Sachverhalt
ab Seite 47
BGE 101 Ia 46 S. 47
A.-
X. a été appréhendé par la police le 28 mai 1974 à Genève à la suite de l'arrestation d'un nommé Y., qui a déclaré avoir effectué avec lui un certain nombre de cambriolages et de tentatives de cambriolages. X., qui a été inculpé de vols et de tentatives de vol au sens de l'art. 137 CP, et contre lequel le juge d'instruction a décerné un mandat d'arrêt, a contesté avoir commis les infractions qui lui sont reprochées; il a maintenu ses dénégations après avoir été confronté le 31 mai avec Y. et un témoin. A la suite d'une nouvelle audition de X., qui a eu lieu le 4 juin, le juge d'instruction a ordonné sa mise immédiate au secret.
B.-
La Chambre d'accusation, siégeant en Chambre du conseil, a rejeté le recours formé par X. contre la décision du juge d'instruction. Après avoir entendu séparément le conseil de X., celui-ci, puis le représentant du Ministère public, elle a rendu le 5 juin 1974 une ordonnance non motivée ainsi conçue:
"La Chambre:
Déboute l'inculpé de ses conclusions tendant à la levée du secret."
C.-
Au cours de la même audience, la Chambre d'accusation a décerné contre l'inculpé un mandat de dépôt et a ordonné sa mise en liberté provisoire sous caution de 5'000 fr.
BGE 101 Ia 46 S. 48
Le 7 juin, le juge d'instruction a entendu l'amie de X., ainsi que Y. X. a encore été interrogé le 10 juin; il a nié une fois de plus avoir participé aux infractions qui ont motivé son inculpation. Le lendemain, la mise au secret a été levée par le juge d'instruction. Le 10 juillet 1974, X. a été mis en liberté provisoire.
D.-
Le 5 juin 1974, X. a formé un recours de droit public contre l'ordonnance du même jour rendue par la Chambre d'accusation. Il affirme que la décision entreprise est entachée d'arbitraire et que les procédés utilisés à son endroit sont "contraires à la garantie de la liberté personnelle et à l'esprit, voire à la lettre de la Convention européenne des droits de l'homme".
Le Tribunal fédéral a admis le recours et annulé la décision entreprise.
Erwägungen
Considérant en droit:
3.
Le recourant soutient que l'autorité cantonale qui prend une décision comportant une restriction importante de la liberté personnelle d'un détenu sans la motiver tombe dans l'arbitraire. Il ne soutient toutefois pas que l'ordonnance entreprise constitue un jugement au sens de l'art. 103 de la loi genevoise d'organisation judiciaire, du 22 novembre 1941 (OJG), qui prescrit que "tous les jugements sont motivés"; le Tribunal fédéral n'a donc pas à examiner si cette disposition légale a été violée. Certes, dans son mémoire complétif, le recourant déclare "se demander" si l'obligation de motiver ne résulte pas du droit cantonal et notamment de l'art. 103 OJG, mais il ne l'affirme pas; il s'agit au surplus d'un grief qu'il aurait pu faire valoir dans son acte de recours, et qui est donc irrecevable lorsqu'il n'est formé que dans un mémoire complétif (RO 98 Ia 494 consid. 1b).
Le recourant invoque ainsi l'obligation de motiver les jugements en tant qu'elle découle directement de l'art. 4 Cst. D'une façon générale, les lois cantonales exigent que les jugements rendus en matière civile et pénale soient motivés; le Tribunal fédéral a dès lors rarement eu à se prononcer sur l'obligation de motiver les jugements en ces matières, fondée sur l'art. 4 Cst. Il a néanmoins admis que les tribunaux doivent mentionner, au moins brièvement, les motifs qui les ont guidés et sur lesquels leur sentence se base: "C'est là une
BGE 101 Ia 46 S. 49
garantie dont le défaut absolu de motifs frustre les citoyens, en ouvrant la porte à l'arbitraire" et crée un déni de justice (RO 19 p. 470). En matière administrative, où les règles de droit cantonal ne sont pas toujours aussi formelles, la jurisprudence a admis que si la Constitution fédérale n'impose pas aux autorités l'obligation de motiver par écrit leurs décisions, il n'en demeure pas moins que les motifs de ces dernières doivent être, d'une manière quelconque, portés à la connaissance des justiciables. Si les parties ne connaissent pas les faits déterminants et les règles juridiques qui ont été appliquées pour la solution du litige, elles ne peuvent pas attaquer la décision à bon escient; son bien-fondé est alors soustrait à leur contrôle et à celui de l'autorité de recours (RO 98 Ia 464 consid. 5a).
La Chambre d'accusation explique en l'espèce l'absence de motivation par la nécessité de respecter la disposition légale selon laquelle le détenu mis au secret ne peut communiquer avec personne. Il importait de ne pas révéler, même indirectement, le contenu de la procédure et les intentions du juge d'instruction au recourant et à son avocat.
On peut comprendre que le juge d'instruction ordonne le cas échéant la mise au secret de l'inculpé sans être obligé de la motiver sur-le-champ. En revanche, on ne saurait admettre qu'un recours étant formé devant la Chambre d'accusation et la cause ayant été plaidée devant cette autorité, celle-ci puisse prendre une décision de rejet sans fournir aucune motivation. Certes, la Chambre d'accusation n'a pas besoin de dévoiler les intentions du juge d'instruction quant à la suite de la procédure, mais il sied, lorsqu'elle écarte le recours, qu'elle justifie la mise au secret tout au moins au regard de l'existence des conditions légales qui permettent de l'ordonner. Le grief du recourant est ainsi fondé, et le recours doit être admis sur ce point.
4.
Le recourant se plaint d'une violation de sa liberté personnelle, droit constitutionnel fédéral non écrit (RO 100 Ia 193 consid. 39, 99 Ia 266 consid. II et les arrêts cités). Dans la mesure où elles offrent à l'individu une protection plus large que la garantie de droit fédéral - fût-ce par des règles purement formelles - les dispositions de la constitution cantonale s'appliquent concurremment avec elle (RO 98 Ia 100 consid. 2). La Constitution fédérale garantit notamment à
BGE 101 Ia 46 S. 50
l'individu le droit d'aller et venir, le droit à ce que soit respectée son intégrité corporelle, tout comme celui de choisir son mode de vie, d'organiser ses loisirs et d'avoir des contacts avec autrui. Les personnes détenues, qui peuvent également invoquer la garantie de la liberté personnelle, ne sauraient toutefois prétendre jouir de toutes les formes de ce droit constitutionnel. La mesure d'incarcération qui les frappe doit certes reposer sur une base légale, être prise dans l'intérêt public et être conforme au principe de la proportionnalité. Mais une fois incarcérés, les intéressés sont soumis aux restrictions qui découlent de la mesure de contrainte qui leur est imposée et du rapport spécial qui les lie à l'Etat (RO 99 Ia 266). Si toutes ces restrictions ne doivent pas nécessairement résulter de dispositions spéciales et précises de la loi, il n'en. demeure pas moins qu'elles n'ont pas à aller au-delà de ce qu'exige le but de l'incarcération; elles doivent respecter le principe de la proportionnalité.
Les principes qui viennent d'être rappelés s'appliquent tout particulièrement à la détention préventive, qui est imposée à un individu prévenu d'une infraction et dont l'incarcération est destinée à assurer le déroulement normal de l'instruction d'une affaire pénale. La loi fédérale sur la procédure pénale dispose dans ce sens que l'inculpé ne doit pas être entravé dans sa liberté plus que ne l'exigent le but de la détention et le maintien de l'ordre dans la prison (art. 48 al. 1 PPF). D'autre part, lorsque le législateur a prévu certaines garanties en faveur des détenus, les restrictions à la liberté individuelle de ceux-ci trouvent leurs limites dans les principes posés par la loi.
5.
La mise au secret est une mesure, reprise du droit français, qui est prévue par la plupart des codes romands d'instruction pénale et par laquelle l'inculpé qui en est l'objet est isolé du monde extérieur et privé de toute communication avec qui que ce soit. D'après la pratique anciennement applicable à Genève, cet inculpé n'avait non seulement plus le droit de recevoir des visites, d'écrire ou recevoir des lettres, de recevoir des paquets, de communiquer avec son défenseur, mais il n'avait pas non plus le droit de lire, de fumer, de se promener dans la cour de la prison, de se faire livrer de l'extérieur des aliments (HANS WALDER, Die Vernehmung des Beschuldigten, Hambourg 1965, p. 155, note 36). Selon de nombreux auteurs,
BGE 101 Ia 46 S. 51
la mise au secret a pour but d'exercer une pression sur l'inculpé pour l'amener à avouer l'infraction qui lui est reprochée; elle serait même un "succédané de la torture" (CLERC, La détention préventive, in Revue pénale suisse, 1968, p. 166). Le recours à cette mesure, notamment dans la procédure pénale genevoise, a fait l'objet de vives critiques dans la doctrine (WALDER, loc.cit.; WAIBLINGER, La protection de la liberté individuelle durant l'instruction, in Revue internationale de droit pénal 1953, p. 250/251; MARKUS MEYER, Der Schutz der persönlichen Freiheit im rechtsstaatlichen Strafprozess, thèse Zurich 1962, p. 145; SCHULTZ, La sauvegarde des droits des détenus, in Revue de science criminelle et de droit pénal comparé, supplément juillet-septembre 1967, p. 101; PFENNINGER, Probleme des schweizerischen Strafprozessrechtes, p. 119; SCHUBARTH, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, p. 182). La critique porte essentiellement sur le fait que la mise au secret est en réalité utilisée lorsque l'inculpé n'avoue pas et que le juge d'instruction entend exercer sur lui une pression, la mesure étant levée dès l'aveu (PFENNINGER, loc.cit.; CLERC, Le procès pénal en Suisse romande, p. 86; PONCET, L'instruction contradictoire, p. 143).
En fait, depuis plusieurs années, la mise au secret ne revêt plus, à Genève, le caractère qu'elle avait auparavant et qui est décrit par Walder (cf. PONCET, op.cit., p. 148). Elle ne se traduit plus que par l'interdiction de "communiquer avec personne" (art. 153 CPPG; art. 10 du règlement sur le régime intérieur de la prison, du 14 avril 1951), ce qui entraîne l'application du régime cellulaire, l'interdiction de communiquer avec le défenseur, de recevoir des visites, de communiquer avec les codétenus, de correspondre, et ce qui rend aussi la procédure secrète pour l'inculpé et son défenseur (art. 63 al. 2 et 70 CPPG). On a observé cependant qu'en Suisse des lois qui ne connaissent pas la mise au secret comme telle permettent au juge d'interdire toute communication avec le prévenu (CLERC, Réflexions sur la détention préventive, in Etudes pénologiques dédiées à la mémoire de Sir Lionel Fox, p. 56; La détention préventive, loc.cit.; La détention avant jugement, in Recueil de travaux suisses présentés au VIIIe Congrès international de droit comparé, Pescara 1970, p. 404; PONCET, Le droit à l'assistance de l'avocat dans la procédure,
BGE 101 Ia 46 S. 52
ibid., p. 421; KRÜMPELMANN, Die Untersuchungshaft im deutschen, ausländischen und internationalen Recht, Bonn 1971, p. 656/657). Sur le plan fédéral, l'art. 117 PPF permet au juge d'instruction, exceptionnellement, de limiter ou de faire cesser pour un temps déterminé les communications de l'inculpé détenu avec son défenseur, "lorsque l'intérêt de l'instruction l'exige". Des réserves analogues sont inscrites dans les art. 116 et 118 PPF en ce qui concerne le droit pour le défenseur de consulter le dossier et d'être présent à l'interrogatoire de l'inculpé et à l'administration des preuves. Le juge peut d'autre part donner des instructions sur les conditions de la détention. Des règles semblables existent dans d'autres cantons; elles peuvent aller même plus loin, par exemple à Berne, où la libre communication avec le défenseur est l'exception, la limitation de ce droit la règle (art. 97 du Code bernois de procédure pénale, du 20 mai 1928; cf. KRÜMPELMANN, op.cit., p. 656).
En France, la mise au secret, autorisée sous le régime du Code d'instruction criminelle de 1808, a été très atténuée par la loi du 8 décembre 1897. Depuis lors, elle ne peut plus affecter les communications de l'inculpé avec son défenseur; cette règle figure actuellement dans le Code français de procédure pénale du 31 décembre 1957 (art. 116 al. 2 et 3 et D 56; cf. BOUZAT et PINATEL, Traité de droit pénal et de criminologie, tome II, 2e éd., Paris 1970, No 1283, p. 1225; STEFANI et LEVASSEUR, Procédure pénale, 7e éd., Paris 1973, No 504, p. 449). En Allemagne, les libres communications avec le défenseur sont assurées à l'inculpé détenu en vertu du § 148 du Code de procédure pénale (cf. KLEINKNECHT, Strafprozessordnung, 31e éd., Munich 1974, ad § 148, p. 399).
6.
La liberté individuelle est garantie à Genève par l'art. 3 al. 1 Cst. cant. Mais cette disposition, comme telle, n'accorde pas aux citoyens une protection supérieure à celle qui découle de la garantie constitutionnelle fédérale (cf. RO 100 Ia consid. 3a). La constitution genevoise contient en outre, dans son titre III relatif à la liberté individuelle et à l'inviolabilité du domicile, des dispositions touchant la situation des détenus et qui peuvent être invoquées dans un recours de droit public dans la mesure où elles accordent à l'intéressé une protection plus précise que celle qui découle du principe constitutionnel fédéral.
L'art. 24 Cst. cant. prévoit que "lorsque l'instruction d'une
BGE 101 Ia 46 S. 53
procédure l'exige, le juge d'instruction a le droit de tenir un prévenu au secret, pendant huit jours au plus". En pareil cas, le droit, garanti à toute personne arrêtée en vertu d'un mandat, de choisir un défenseur et de conférer avec lui n'existe plus (art. 26 lit. a Cst. cant.).
Le recourant, qui invoque la garantie de la liberté personnelle, ne se réfère pas expressément aux dispositions de la constitution genevoise; il se fonde essentiellement sur les dispositions du Code genevois de procédure pénale, et soutient notamment que les conditions de l'application de l'art. 152 CPPG, disposition d'exécution de l'art. 24 Cst., ne sont pas remplies.
Il ne prétend en revanche pas que l'institution même de la mise au secret soit contraire à la garantie de la liberté personnelle; le Tribunal fédéral n'a donc pas à examiner ce problème. Le recourant n'invoque pas non plus, expressément en tout cas, la violation du principe de l'art. 24 Cst. cant. comme tel. Toutefois, l'une des conditions exigées par l'art. 152 CPPG, soit le fait que le secret n'est autorisé que "pour les besoins de l'enquête", apparaît bien identique à celle qui figure à l'art. 24 Cst. cant., lorsque celui-ci prévoit que le secret ne peut être prononcé que "lorsque l'instruction d'une procédure l'exige".
7.
La mesure de mise au secret constitue une atteinte grave à la liberté personnelle. Dès lors, le Tribunal fédéral examine avec pouvoir de libre examen l'application matérielle de la législation cantonale qui, de même que l'art. 24 Cst. cant., accorde une garantie plus précise que celle qui résulte du droit constitutionnel fédéral (RO 98 Ia 100 consid. 2).
a) Les dispositions principales qui intéressent la mise au secret sont, dans le Code genevois de procédure pénale, les suivantes:
"Art. 70. - 1. Lorsque l'importance d'une procédure l'exige, le juge d'instruction a le droit de suspendre l'information contradictoire.
2. peut même tenir un inculpé au secret, pendant huit jours au plus.
3. La mesure du secret ne peut être prolongée au-delà de ce terme qu'avec l'autorisation de la Chambre d'accusation (art. 24 et 25 de la constitution genevoise).
Art. 152. - Le secret ne doit être autorisé que dans les cas d'une gravité exceptionnelle et pour les besoins de l'enquête.
Art. 153. - Le détenu mis au secret ne peut communiquer avec personne."
BGE 101 Ia 46 S. 54
b) Selon un auteur, l'art. 152 CPPG ne devrait s'appliquer que dans les cas où le secret est prolongé au-delà de huit jours avec l'autorisation de la Chambre d'accusation; pour la première période de huit jours, il suffirait que soit remplie la condition à laquelle l'art. 70 al. 1 CPPG subordonne la suspension de l'information contradictoire (cf. SCHUBARTH, op.cit., p. 177 in fine). Cette opinion a sans doute son origine dans le fait que l'art. 152 CPPG figure dans un chapitre (chapitre II: "Du secret") du titre III de la première partie de la loi, ce titre étant intitulé: "Chambre d'accusation", alors que l'art. 70 CPPG appartient au titre II ("Information") de la loi. Mais l'interprétation proposée par cet auteur n'est soutenue par aucune des parties à la présente instance, et la doctrine admet en général que les deux conditions prévues à l'art. 152 CPPG doivent être réalisées pour toute mise au secret (cf. JEAN GRAVEN, La protection des droits de l'accusé dans le procès pénal en Suisse, in Revue internationale de droit pénal, 1966, p. 263; PONCET, L'instruction contradictoire, p. 141; WALDER, op.cit., p. 155, note 36; PFENNINGER, op.cit., p. 118, note 16).
La disposition de l'art. 152 CPPG se rapportait bien, dans le Code genevois d'instruction pénale de 1884, à la prolongation du secret; elle figurait à la suite de la disposition autorisant la Chambre d'accusation à prolonger le secret et était libellée comme suit: "Cette mesure ne doit être autorisée que dans les cas d'une gravité exceptionnelle". Lors de la revision du Code et sa transformation en "Code de procédure pénale", en 1940, le Grand Conseil, tout en maintenant la disposition en cause dans le même titre de la loi, l'a inscrite en tète des différentes dispositions relatives au secret, qui sont groupées dans le chapitre II du titre III, 1re partie CPPG, et lui a donné une teneur très générale. Cette disposition qui, en bonne logique, n'aurait évidemment pas dû figurer dans les dispositions relatives à la Chambre d'accusation, s'applique cependant à la mise au secret en général, quelle que soit l'autorité qui l'ait ordonnée; il en va de même de l'art. 153 CPPG.
c) Il convient donc d'examiner si l'ordonnance entreprise respecte la première condition prévue à l'art. 152 CPPG et selon laquelle le secret ne peut être ordonné que s'il s'agit d'un cas d'une "gravité exceptionnelle". Selon la Chambre d'accusation, la gravité du cas résulterait de ce que X. est poursuivi
BGE 101 Ia 46 S. 55
pour vols et tentatives de vol, infraction qualifiée de crime par le Code pénal; le caractère de gravité exceptionnelle tiendrait au fait que le recourant avait déjà été inculpé antérieurement pour des délits et une tentative de crime (soit de vol) au cours de la période de quatre mois précédents et qu'il avait été relaxé, "ce qui laissait supposer qu'il avait abusé de la clémence du juge d'instruction".
On peut se demander si la notion de délit grave, telle qu'elle a été définie par le Tribunal fédéral aux fins de l'application de l'art. 45 Cst. (RO 98 Ia 304 et les arrêts cités), ne devrait pas également valoir dans l'hypothèse de l'art. 152 CPPG. Ce ne semble pas être le cas, car il s'agit ici d'apprécier la gravité plus ou moins grande d'infractions reprochées à un individu placé en détention préventive et qui a été l'objet d'un mandat d'arrêt, étant prévenu d'un crime ou d'un délit (art. 17 Cst. cant., art. 98 CPPG) et non d'une simple contravention. L'art. 152 CPPG n'aurait ainsi guère de sens s'il fallait l'interpréter de la même manière que l'art. 45 Cst. Mais il n'est pas nécessaire de résoudre la question de savoir si les infractions reprochées à X. peuvent être qualifiées de graves. Il est évident en effet qu'il ne s'agit pas en l'espèce d'un cas "d'une gravité exceptionnelle". L'infraction de vol, qualifiée de crime par le Code pénal, est considérée en matière de procédure pénale genevoise comme un "délit correctionnel" passible de la Cour correctionnelle et non de la Cour d'assises, compétente en principe pour juger les crimes au sens du Code genevois de procédure. X. pouvait ainsi, en tout état de cause, obtenir sa mise en liberté provisoire sous caution (art. 27 Cst. cant., art. 156 et 160 CPPG). Si, à défaut de pouvoir verser lui-même une caution, il avait pu obtenir d'un tiers l'avance du montant de 5'000 fr. fixé par la Chambre d'accusation à l'audience du 5 juin 1974, il aurait pu quitter immédiatement la prison et échapper ainsi au secret ordonné. Il y a donc une certaine contradiction entre le fait de qualifier l'infraction d'exceptionnellement grave et de maintenir son auteur supposé au secret, alors qu'en versant la caution requise, celui-ci pouvait obtenir non seulement la levée du secret, mais encore sa mise en liberté jusqu'à l'audience de jugement.
Par ailleurs, l'inculpation antérieure du recourant en raison d'infractions de même nature ne saurait donner à son cas un caractère de gravité exceptionnelle; celui-ci doit de toute évidence
BGE 101 Ia 46 S. 56
se rapporter à l'infraction en raison de laquelle l'inculpé est détenu, et non à d'autres infractions qui ne revêtent apparemment pas un caractère particulier de gravité, puisque le recourant avait alors été relaxé par le juge d'instruction.
d) Selon la seconde condition prévue à l'art. 152 CPPG, la mise au secret n'est autorisée que si elle est effectuée "pour les besoins de l'enquête". Cette condition paraît équivaloir à celle qui résulte de l'art. 24 Cst. cant. C'est donc non seulement la loi, mais aussi la Constitution qui limite dans cette mesure le pouvoir des autorités judiciaires genevoises. Pour que cette condition soit réalisée, il faut sans doute que la mesure soit justifiée par la crainte d'une collusion possible entre l'inculpé et des tiers, dans une affaire exceptionnellement grave. En revanche, il n'est pas conforme à cette disposition constitutionnelle ni à la disposition légale qui est destinée à en assurer l'exécution que la mesure vise à exercer une pression sur l'inculpé pour l'obliger à l'aveu. D'après la doctrine quasiment unanime, la mise au secret ne constitue pas seulement une pression, mais une "sanction psycho-physique exercée afin d'obtenir un aveu" et qui, dans le cas où elle est précisément ordonnée à cet effet, constitue une contrainte inadmissible (PFENNINGER, op.cit., p. 120; cf. aussi GÖLCÜKLÜ, L'interrogatoire en matière pénale, thèse Neuchâtel 1952, p. 80; WAIBLINGER, loc.cit., p. 234, 250 et 257; WALDER, loc.cit., et les autres auteurs cités plus haut). Le Tribunal fédéral n'a pas à se prononcer en l'espèce sur la justification de la mise au secret comme telle, puisque le recourant ne la critique pas. Il convient uniquement d'examiner si cette mesure a bien été ordonnée pour les besoins de l'enquête. Selon la Chambre d'accusation, la mise au secret se justifiait jusqu'à l'audition de l'amie de X., et ce pour éviter toute collusion avec celle-ci. Mais il ne semble pas que tel ait été en réalité le but de la mesure ordonnée, puisque, après l'audition de l'intéressée et une nouvelle audition du coïnculpé Y., le 7 juin, le secret a été maintenu jusqu'au 11 juin, date de l'expiration du délai légal. Le juge pouvait d'ailleurs, au lieu de mettre l'inculpé au secret, ordonner simplement la suspension de l'information contradictoire (art. 70 al. 1 CPPG) et entendre séparément l'inculpé et son amie. Il a aussi le contrôle de la correspondance et des visites que reçoit le détenu (art. 53 et 56 du règlement de la prison) et peut ordonner la détention cellulaire
BGE 101 Ia 46 S. 57
(art. 32 dudit règlement), de sorte que la mise au secret a surtout comme effet direct, au point de vue du déroulement de la procédure, l'interruption des communications entre le détenu et son avocat. Il apparaît donc pour le moins plausible que la mesure incriminée en l'espèce n'a pas été nécessitée par les besoins de l'enquête. Mais la question peut rester ouverte, puisque cette mesure ne pouvait être ordonnée en raison de l'absence d'un caractère de gravité exceptionnelle du cas.
8.
La décision entreprise n'était pas motivée. Dans sa réponse au recours, la Chambre déclare s'être bornée à examiner "si la mise au secret n'apparaît pas immédiatement comme entachée d'arbitraire", car elle ne peut se mettre à la place du juge d'instruction. Elle n'aurait soumis la demande à un examen plus approfondi que si le juge d'instruction avait requis la prolongation de la mise au secret au-delà de la durée de huit jours. C'est sans doute pour cette raison qu'elle s'abstient d'affirmer que les conditions d'application de l'art. 152 CPPG étaient bien réalisées. Elle déclare seulement que l'ordonnance entreprise "laisse bien supposer que la Chambre a considéré que la décision du juge d'instruction n'était pas contraire à la loi".
La Chambre d'accusation n'indique pas sur quelles dispositions légales ou sur quel principe juridique elle s'est fondée pour restreindre sa compétence à un examen sous l'angle de l'arbitraire. L'art. 174 CPPG ouvre à l'inculpé un recours auprès de cette autorité contre les décisions du juge d'instruction; rien ne permet de dire que le pouvoir d'examen de la Chambre soit limité dans l'examen de tels recours (voir à ce sujet l'arrêt Munoz, du 18 juin 1973, consid. 2a, SJ 1973, 627). Si telle avait été l'intention du législateur, il l'aurait dit expressément. La seule disposition spéciale touchant les recours concernant la mise ou le maintien de l'inculpé au secret est celle de l'art. 174 al. 3 CPPG, aux termes de laquelle la Chambre d'accusation statue alors "en Chambre du conseil"; cette particularité n'a évidemment pas pour effet de modifier son pouvoir d'examen. Si la Chambre a limité son pouvoir d'examen comme elle l'indique, elle a de ce seul fait violé l'art. 4 Cst. L'autorité qui, ayant un plein pouvoir d'examen, restreint sa cognition à l'arbitraire viole en effet cette disposition constitutionnelle (RO 99 Ia 502 consid. 5c). La Chambre n'avait pas de raisons valables de restreindre de la
BGE 101 Ia 46 S. 58
sorte son pouvoir d'examen (RO 84 I 228). Etant en possession du dossier de la cause, il ne lui était pas difficile de savoir si on se trouvait ou non en présence d'un cas d'une gravité exceptionnelle. Le législateur a évidemment voulu que la Chambre d'accusation exerce un plein contrôle sur l'activité du juge d'instruction, et la restriction du pouvoir d'examen que la Chambre s'est imposée n'a donc aucun fondement juridique.
9.
Le recourant fait enfin grief à la décision entreprise d'être contraire "à l'esprit, voire à la lettre de la Convention européenne des droits de l'homme". Au moment où la Chambre d'accusation a rendu sa décision, comme au moment où le recours a été déposé, la Suisse n'était pas liée par la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales, qui a été approuvée par arrêté fédéral du 14 octobre 1974 et dont l'instrument de ratification a été déposé par la Suisse le 28 novembre 1974 (ROLF 1974, p. 2151). Cette ratification n'a pas pour effet de modifier l'angle sous lequel doit être apprécié le recours. Selon l'art. 66 al. 3 de la Convention, celle-ci entre en vigueur, pour tout signataire qui l'a ratifiée après son entrée en vigueur initiale, dès le dépôt de l'instrument de ratification. Or, selon la jurisprudence constante de la Commission européenne des droits de l'homme, la Convention ne régit pour chaque partie contractante que les faits postérieurs à son entrée en vigueur à l'égard de cette partie (cf. Conseil de l'Europe, Convention européenne des droits de l'homme, Manuel, 1963, p. 102/103; Rec. de décisions No 8, p. 66; No 12, p. 113; WIEBRINGHAUS, Die Rom-Konvention für Menschenrechte; Saarbrücken 1959, ad art. 19, p. 101; GURADZE, Die Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar, p. 8 § 3.1).
Le recourant n'indique d'ailleurs pas à quelles dispositions de la Convention il entend se référer. La décision de mise au secret pourrait, le cas échéant, être considérée comme mettant en cause l'interprétation de deux dispositions de cet instrument, soit de l'art. 3 et de l'art. 6 § 3, lettre b. Selon l'art. 3, "nul ne peut être soumis à la torture ni à des peines ou traitements inhumains ou dégradants"; cette disposition est interprétée en ce sens que l'autorité n'a pas le droit, dans le procès pénal, de faire usage de méthodes d'interrogatoire ayant pour effet de porter atteinte à la liberté de décision du prévenu
BGE 101 Ia 46 S. 59
(GURADZE, cit., p. 53/54, ad art. 3, Nos 9 et 11). Selon l'art. 6 § 3 lettre b, "tout accusé a droit notamment à: ...disposer du temps et des facilités nécessaires à la préparation de sa défense", ce qui signifie qu'il doit pouvoir librement communiquer avec son défenseur (GURADZE, ibid., p. 107, ad art. 6, No 31); dans son rapport du 9 décembre 1968, relatif à la Convention, le Conseil fédéral a relevé à ce sujet que "le droit de la défense entraîne normalement celui de communiquer librement avec son défenseur". Il a ajouté, se référant tout spécialement à la législation genevoise, que "les cantons qui autorisent le juge d'instruction à ordonner, dans des cas exceptionnels et pour les besoins de l'enquête, la mise au secret de l'inculpé pourraient dès lors rencontrer certaines difficultés suivant l'usage que leurs autorités feront de cette faculté" (FF 1968 II 1120, note 6). Certes, sans même que la présente cause doive impliquer l'application directe de la Convention européenne, la Suisse n'étant liée par elle que dès le 28 novembre 1974, il eût été opportun, si le Tribunal fédéral n'était pas parvenu à la conclusion que l'ordonnance entreprise viole la législation genevoise applicable, d'examiner, notamment dans le cadre de l'examen de la proportionnalité de l'atteinte portée à la liberté personnelle, la cause à la lumière des dispositions de la Convention, comme des autres textes internationaux visant la matière, tel l'Ensemble des règles minima pour le traitement des détenus, approuvé par le Comité des ministres du Conseil de l'Europe le 19 janvier 1973, et où il est dit notamment qu'un prévenu doit, dès son incarcération, être autorisé à recevoir des visites de son avocat en vue de sa défense; "il doit pouvoir préparer et remettre à celui-ci des instructions confidentielles, et en recevoir. Sur sa demande, toute facilité doit lui être accordée à cette fin" (principe No 93). La jurisprudence a en effet admis qu'en cette matière, il faut prendre en considération des données relevant du droit comparé et le cas échéant les principes établis par les organisations internationales (RO 97 I 50).
Mais l'ordonnance entreprise ayant été rendue en violation des dispositions légales applicables, il y a lieu d'admettre le recours sans qu'il soit besoin d'examiner, à la lumière des textes qui viennent d'être rappelés, si elle viole le principe de la proportionnalité. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d40a9f82-ebc4-460e-9704-54b8b22febc4 | Urteilskopf
97 III 16
5. Entscheid vom 14. Januar 1971 i.S. Räber. | Regeste
Unpfändbare Rente und Lohnpfändung (
Art. 92 und 93 SchKG
).
Das Erwerbseinkommen eines Schuldners, der eine unpfändbare Rente bezieht, ist so weit pfändbar, als es den durch die Rente nicht gedeckten Teil des Notbedarfs übersteigt. Das gilt auch für den Bezüger einer unpfändbaren Militärversicherungsrente. | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 97 III 16 S. 16
In der vom Steueramt der Stadt Luzern gegen Hans Räber angehobenen Betreibung Nr. 5728 pfändete das Betreibungsamt
BGE 97 III 16 S. 17
Uster vom Lohn des Schuldners Fr. 100.-- im Monat. Das Amt legte der Pfändung folgende Berechnung zugrunde:
Bruttolohn Fr. 1'130.--
Rente der Militärversicherung " 315.--
Fr. 1'445.--
Lohnabzüge und Notbedarf " 1'345.--
pfändbarer Lohn Fr. 100.--
Der Schuldner hält die Lohnpfändung im Hinblick auf Art. 47 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung vom 20. September 1949 für unzulässig. Seine dagegen erhobene Beschwerde wurde jedoch von beiden kantonalen Aufsichtsbehörden abgewiesen.
Im vorliegenden Rekurs wiederholt der Schuldner seinen Einwand und verlangt Aufhebung der Pfändung.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Nach Art. 47 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung sind deren Renten unpfändbar. Das ergibt sich auch aus Art. 92 Ziffer 8 und 10 SchKG. Der Rekurrent schliesst nun daraus, dass solche Versicherungsleistungen betreibungsrechtlich in allen Belangen unbeachtet bleiben müssten und dass es nicht angehe, zur Bestimmung seines pfändbaren Lohnes nach
Art. 93 SchKG
die Rente der Militärversicherung zum Erwerbseinkommen hinzuzurechnen. Diese Auffassung ist jedoch unrichtig.
Wie das Bundesgericht schon wiederholt entschieden hat, ist das Erwerbseinkommen eines Schuldners, der eine unpfändbare Rente bezieht, so weit pfändbar, als es den durch die Rente nicht gedeckten Teil des Notbedarfs übersteigt (
BGE 65 III 131
hinsichtlich einer SUVA-Rente;
BGE 77 III 154
: AHV- und IV-Rente;
BGE 78 III 114
: Leistungen von Familienausgleichskassen;
BGE 88 III 54
: SUVA-Rente; unveröffentlichter Entscheid i.S. Flückiger vom 25. November 1969: IV-Rente; vgl. auch JAEGER/DAENIKER, Praxis, N 8 zu
Art. 93 SchKG
). Mit andern Worten: Es ist bei der Bemessung des pfändbaren Einkommens zu berücksichtigen, dass der Schuldner einen Teil seines Lebensunterhalts aus der unpfändbaren Rente bestreiten kann (was auch der Zweck der Rente ist; vgl. hiezu Art. 47 Abs. 3 des Militärversicherungsgesetzes), so dass er zur Deckung des verbleibenden
BGE 97 III 16 S. 18
Teils des Notbedarfs unter Umständen nicht mehr den ganzen Arbeitsverdienst benötigt. Was ihm auf diese Weise vom Lohn - nicht von der Rente - übrig bleibt und nicht zur Bestreitung der minimalen Lebenskosten dient, ist gemäss
Art. 93 SchKG
pfändbar.
Von dieser Rechtsprechung abzugehen besteht im vorliegenden Falle kein Anlass. Warum für die Leistungen der Militärversicherung etwas anderes gelten sollte als für die Renten der übrigen Sozialversicherungen (AHV, IV, SUVA usw.), ist nicht einzusehen. Der Rekurrent vermag seine dahingehende Meinung denn auch nicht zu begründen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewissen. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d40e438b-40dc-4aab-9ce4-63a95f2797bb | Urteilskopf
113 IV 128
35. Urteil des Kassationshofes vom 17. November 1987 i.S. W. gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 4 und Anhang 2 der Verordnung über Ordnungsbussen im Strassenverkehr.
Die Abgabe bloss eines Einzahlungsscheines anstelle des Bedenkfrist-Formulars oder des kombinierten Bedenkfrist-Formulars je mit Einzahlungsschein genügt den Mindestanforderungen für Formulare gemäss Anhang 2 zur OBV nur, wenn der Einzahlungsschein ähnlich wie das erwähnte kombinierte Formular ausgestaltet ist und alle erforderlichen Angaben über Zeit, Ort und Art der Widerhandlung, Bussenhöhe und Bedenkfrist mit Hinweis auf die Folgen der Fristversäumnis enthält. | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 113 IV 128 S. 129
W. wurde am 5. Februar 1986 von einem Polizeibeamten wegen Missachtung eines Fahrverbotes angehalten. Dieser auferlegte ihm mündlich eine Ordnungsbusse im Sinne des Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr in Höhe von Fr. 50.--. Da W. die Busse nicht sofort bezahlen konnte, übergab er ihm einen Einzahlungsschein, nicht aber ein Bedenkfrist-Formular im Sinne der Mindestanforderungen für Formulare gemäss Anhang 2 lit. C der OBV. W. überwies den Bussenbetrag von Fr. 50.-- nach Ablauf der 10tägigen Bedenkfrist am 28. Februar 1986.
Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich bestrafte W. mit Verfügung vom 8. April 1986 wegen Nichtbeachtens des Vorschriftssignals "allgemeines Fahrverbot in beiden Richtungen" mit einer Busse von Fr. 70.--. Das Bezirksgericht Zürich bestätigte diesen Entscheid mit Urteil vom 17. November 1986. Das Obergericht des Kantons Zürich wies mit Beschluss vom 19. Juni 1987 eine vom Gebüssten eingereichte Beschwerde ab, soweit auf sie einzutreten war.
W. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den Beschwerdeführer zu einer Ordnungsbusse von Fr. 50.-- zu verurteilen und auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu verzichten.
BGE 113 IV 128 S. 130
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Grundsätzlich ist dem Täter nach jeder Übertretung schriftlich zu bestätigen, wann er wo welche Übertretung begangen und welche Busse er zu bezahlen hat. Diese schriftliche Bestätigung ersetzt im Ordnungsbussenverfahren den Strafbefehl, die Strafverfügung oder das Strafurteil. In der Ausgestaltung dieser schriftlichen Bestätigung hat der Bund den Kantonen weitgehende Freiheiten gelassen. Die kantonalen Regelungen müssen sich aber immerhin an folgende Grundsätze halten:
a) Zahlt der Täter die Busse sofort, so ist ihm eine Quittung auszuhändigen, in der nach dem Anhang 2 lit. A und B der OBV
- ausser in ausgesprochenen Bagatellfällen - die erwähnten Angaben (Zeit, Ort und Art der Übertretung) enthalten sein müssen.
b) Zahlt er die Busse nicht sofort, so wird ihm
- entweder das Bedenkfrist-Formular mit denselben Angaben wie in der Quittung (C/1 des Anhanges 2) und ein Einzahlungsschein (C/3)
- oder ein mit dem Formular für Bussen über Fr. 50.-- kombiniertes Bedenkfrist-Formular zusammen mit einem Einzahlungsschein übergeben (C/4).
In beiden Fällen muss das Formular den Hinweis enthalten, dass bei Nichtbezahlung innert 10 Tagen das ordentliche Verfahren durchgeführt wird (C/2).
Die Übergabe eines Einzahlungsscheines allein kann demnach nur genügen, wenn dieser ähnlich wie das erwähnte kombinierte Formular ausgestaltet ist und alle erforderlichen Angaben über Zeit, Ort und Art der Widerhandlung, Bussenhöhe und Bedenkfrist mit Hinweis auf die Folgen der Fristversäumnis enthält.
Dies alles gilt unabhängig davon, ob der Täter bei der Widerhandlung persönlich betroffen wird oder nicht.
2.
Aus den Akten ist lediglich ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer weder das Bedenkfrist-Formular noch das Formular "Ordnungsbussenzettel mit Bedenkfrist" (= kombiniertes Formular) übergeben worden ist. Wie der Einzahlungsschein gestaltet war, d.h. ob er auch Zeit, Ort und Art der Übertretung und die Bussenhöhe erwähnte, ist weder dem obergerichtlichen Urteil noch den Akten zu entnehmen. Die Vorinstanz wird dies abklären und entsprechend dem Ergebnis neu entscheiden müssen. Die Nichtigkeitsbeschwerde
BGE 113 IV 128 S. 131
ist demzufolge gutzuheissen und die Sache im Sinne von
Art. 277 BStP
zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d419ba86-4537-44ca-9021-a590f3558309 | Urteilskopf
85 II 431
66. Arrêt de la Ie Cour civile du 8 décembre 1959 dans la cause Torre contre Philips AG | Regeste
Urheberrecht.
1. Der ausübende Künstler ist nicht Urheber (Erw. 2 b).
2.
Art. 4 Abs. 2 URG
bezweckt lediglich den Schutz der Hersteller von Schallplatten, Musikdosen und ähnlichen Instrumenten gegen unlauteren Wettbewerb (Erw. 2 c und d).
3. Inwieweit ist das ausschliessliche Verkaufsrecht durch den ersten rechtmässigen Verkauf konsumiert? (Erw. 3 b).
4.
Art. 58 Abs. 3 URG
schützt nur den Komponisten (Erw. 3 c). | Sachverhalt
ab Seite 432
BGE 85 II 431 S. 432
A.-
La société N. V. Philips, Phonographische Industrie, à Baarn (Pays-Bas), fabrique des disques qu'elle vend sous la marque Philips. Elle se fait céder, pour ses enregistrements, les droits d'auteur pouvant compéter aux artistes exécutants. Elle a confié à Philips AG, à Zurich, la vente exclusive de ses disques en Suisse et au Liechtenstein et elle lui a cédé, pour le même territoire, les droits qu'elle estimait avoir acquis des interprètes.
Armand Torre, qui exploite un commerce d'appareils ménagers et radiophoniques, importe de l'étranger des disques Philips et les revend en Suisse.
B.-
Invoquant son droit d'auteur, Philips AG a fait assigner Torre devant la Cour de justice civile de Genève, en concluant à ce que cette juridiction interdît au défendeur la vente des disques importés, ordonnât la confiscation et la destruction de son stock, le condamnât à payer une indemnité de 20 000 fr. à titre de dommagesintérêts et ordonnât la publication du jugement.
Torre a conclu au rejet de la demande.
Par jugement du 9 juin 1959, la Cour de justice a admis l'action en principe, mais n'a alloué que 2000 fr. à Philips AG à titre de dommages-intérêts et a refusé la publication de sa décision. Dans ses motifs, elle s'est bornée à constater que, selon les art. 4, 9, 12 et 58 al. 3 LDA et 4 de la Convention de Berne pour la protection des oeuvres littéraires et artistiques, les droits des interprètes étaient protégés et cessibles et conféraient au titulaire un monopole d'exploitation dans le pays pour lequel ils étaient accordés. Elle en a conclu que l'action de Philips AG était fondée en vertu des art. 42 et 54 LDA.
C.-
Torre a recouru en réforme au Tribunal fédéral,
BGE 85 II 431 S. 433
en reprenant ses conclusions libératoires. Il conteste l'existence du droit d'auteur invoqué par Philips AG et prétend qu'en tout cas les interprètes ne bénéficient pas d'un tel droit en Suisse lorsqu'il s'agit d'éditions étrangères.
La demanderesse a recouru par voie de jonction pour que le montant de ses dommages-intérêts fût fixé à 20 000 fr.
Chacune des parties a proposé le rejet du recours de l'autre.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Dans son arrêt Schweizerische Rundspruchgesellschaft und Radiogenossenschaft c. Turicaphon AG, du 7 juillet 1936 (RO 62 II 243), le Tribunal fédéral a considéré que l'art. 4 al. 2 LDA accordait un droit d'auteur à l'interprète qui exécute une oeuvre artistique en vue de son enregistrement. Ce droit, a-t-il ajouté, est transmissible et, conformément à la nature des choses, on doit présumer qu'il est cédé au fabricant de disques dans la mesure où le transfert est nécessaire à l'écoulement de cette marchandise; or, en vertu de l'art. 4 de la Convention de Berne pour la protection des oeuvres littéraires et artistiques, du 9 septembre 1886, revisée à Rome le 2 juin 1928, le droit d'auteur des artistes exécutants appartient également, en Suisse, aux interprètes étrangers ressortissant à l'un des pays de l'Union de Berne pour leurs enregistrements publiés pour la première fois dans un de ces pays.
Cependant, l'arrêt Turicaphon date de plus de vingt ans et a été rendu dans un domaine juridique très nouveau et encore mouvant. Il se justifie dès lors de soumettre à un nouvel examen les questions juridiques qu'il a résolues, d'autant plus qu'il a été l'objet de critiques sérieuses dans la doctrine.
2.
L'art. 4 al. 2 LDA assimile à la reproduction, qui est protégée comme une oeuvre originale, l'adaptation
BGE 85 II 431 S. 434
d'une oeuvre littéraire ou musicale à un instrument mécanique par l'intervention personnelle d'exécutants. Cette disposition vise principalement l'enregistrement sur des disques de gramophone.
a) Si l'on interprète la loi selon la méthode historique, on peut admettre, comme le Tribunal fédéral l'a fait dans l'arrêt Turicaphon, que l'art. 4 al. 2 LDA confère un droit d'auteur aux exécutants dont les prestations sont enregistrées. Aux termes du message du Conseil fédéral du 9 juillet 1918 (FF 1918 III p. 617), la loi protège, dans le cas de l'enregistrement, "le travail individuel de l'exécutant" et, dans la confection de boîtes à musique et d'instruments semblables, le "remaniement de l'oeuvre à adapter dénotant un caractère d'originalité protégeable". Il en découle que, dans l'idée du Conseil fédéral, la protection avait pour objet une activité artistique et non un travail technique. Les rapporteurs aux Chambres fédérales ont également exprimé cette opinion, laissant entendre que les interprètes avaient un droit d'auteur sur leurs prestations artistiques enregistrées (Bull. stén., 1920 CE p. 369 et 437, 1922 CN p. 263).
Cependant, les doutes les plus sérieux s'élèvent si l'on examine le but de l'art. 4 al. 2 LDA et sa place dans le système des droits sur les biens immatériels.
b) Selon la jurisprudence constante du Tribunal fédéral (RO 85 II 123 et les arrêts cités), un ouvrage ne constitue une oeuvre d'art que s'il s'agit d'une création originale; il faut donc qu'il se présente comme une oeuvre nouvelle de l'esprit, qui incorpore une idée créatrice ou l'expression personnelle d'une pensée. De même, l'oeuvre de seconde main, protégée par l'art. 4 al. 1 LCD, doit également avoir un caractère original.
Certains auteurs (TROLLER, Immaterialgüterrecht, I, p. 442 à 447; Jurisprudenz auf dem Holzweg, p. 63 et suiv.; cf. également SCHORRO, La protection de l'artiste interprète) mettent l'accent sur le fait que l'apport de l'interprète est nécessaire pour que l'oeuvre dramatique
BGE 85 II 431 S. 435
ou musicale reçoive son expression parfaite. De l'avis de TROLLER, cette coopération a un caractère créateur, à moins qu'elle ne se borne à une exécution dirigée jusque dans le détail par un autre interprète, tel qu'un chef d'orchestre ou un metteur en scène.
Certes, l'apport de l'artiste exécutant est nécessaire pour que le public puisse percevoir pleinement l'oeuvre dramatique ou musicale qui lui est destinée. En outre, l'interprétation manifeste souvent de hautes qualités artistiques, un grand talent ou même du génie. Mais elle n'a pas le caractère d'une création et ne constitue ni une oeuvre artistique ni même une oeuvre de seconde main au sens de l'art. 4 al. 1 LDA. Quelles que soient l'importance et la qualité de son apport, l'interprète ne fait que donner sa forme, son expression, à une oeuvre préexistante. Il est subordonné à la lettre et à l'esprit de l'oeuvre qu'il exécute et sa prestation a d'autant plus de valeur qu'elle exprime avec plus de fidélité et de soumission la pensée ou les sentiments de l'auteur. Il n'utilise ses dons artistiques et sa sensibilité que pour rechercher puis exprimer l'esprit qui commande l'oeuvre interprétée. Ainsi, il ne donne pas naissance à une oeuvre nouvelle qui incorpore une idée créatrice et on ne saurait le considérer comme un auteur (dans ce sens arrêt du Bundesgerichtshof du 21 novembre 1952, dans SCHULZE, Rechtsprechung zum Urheberrecht, BGHZ 3, p. 3; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, p. 319; RUNGE, Urheber- und Verlagsrecht, p. 340; VOIGTLÄNDER/ELSTER/KLEINE, Urheberrecht, p. 44; MÖHRING, Die internationale Regelung des Rechts der ausübenden Künstler und anderer sogenannter Nachbarrechte, p. 17 et suiv.; SÜSS, Das Recht der ausübenden Künstler, der Schallplattenhersteller und des Rundfunks, dans Schriftenreihe der Internationalen Gesellschaft für Urheberrecht, vol. 11, p. 61 et suiv.; OVERATH, Urheber und Interpret in der Musik, ibidem, p. 44 et suiv.; PLAISANT, Propriété littéraire et artistique, dans Juris-classeur civil, annexes, fasc. 5, notes 41 à 47; VERENA LÜDI, Rechte
BGE 85 II 431 S. 436
der Interpreten musikalischer Werke bei mechanischer Fixierung ihrer Leistung, dans RSJ, 1957, p. 322 et suiv.).
Aussi bien, les lois les plus récentes sur le droit d'auteur (cf. notamment §§ 66 et suiv. de la loi autrichienne du 9 avril 1936 et art. 80 et suiv. de la loi italienne du 22 avril 1941) n'accordent pas un tel droit aux interprètes, mais une protection sui generis. De même, les projets de conventions internationales qu'ont élaborés un comité mixte d'experts et un comité commis par l'Union de Berne et l'Unesco (avant-projet de Rome de 1951 et projet de Monaco de 1957) ne prévoient pas que les artistes exécutants seront protégés à titre d'auteurs. Ils leur accordent des droits spéciaux, dits "droits voisins du droit d'auteur" (cf. Le droit d'auteur, 1951, p. 140, et L'artiste exécutant, le fabricant de phonogrammes, le radiodiffuseur, supplément du Droit d'auteur, 1957, p. 131).
D'ailleurs, si l'on voulait conférer un droit d'auteur aux interprètes "créateurs", il serait souvent très difficile de distinguer entre ceux qui ont cette qualité et les autres. Sans doute devrait-on généralement la reconnaître aux solistes, aux chefs d'orchestre et aux metteurs en scène, tandis qu'elle serait refusée aux exécutants d'un orchestre symphonique ou aux figurants d'une représentation théâtrale. Mais la distinction serait très délicate dans de nombreux cas: ensembles restreints, chefs de pupitre à qui est confiée une partie de solo, chanteurs d'opéra, comédiens, etc. Ce système créerait donc une grave insécurité juridique.
Il est vrai que, dans l'arrêt Turicaphon, le Tribunal fédéral a estimé que l'artiste exécutant devait être protégé comme auteur pour bénéficier d'un droit moral sur des interprétations et pouvoir ainsi exiger la répétition d'un enregistrement défectueux ou s'opposer à sa mise en circulation. Mais cet argument n'est, en réalité, pas décisif. En premier lieu, le fabricant de disques a un intérêt manifeste à ne pas publier l'enregistrement d'une exécution malheureuse. D'autre part, sans être titulaire
BGE 85 II 431 S. 437
d'un droit d'auteur, l'interprète peut invoquer un droit moral fondé sur l'art. 28 CC (DU PASQUIER, Les droits du fabricant sur les disques de gramophone, p. 76 et 77; PLAISANT, op. cit., fasc. 5, note 51).
c) Il n'en reste pas moins que l'art. 4 al. 2 LDA protège l'exécution enregistrée, bien que l'interprète ne soit ni un auteur ni même un adaptateur. En réalité, toutefois, le destinataire de cette protection n'est pas l'artiste exécutant, mais le fabricant de disques.
aa) L'art. 4 al. 2 LDA a été calqué sur le § 2 al. 2 de la loi allemande du 19 juin 1901, dans la teneur qui lui avait été donnée par celle du 22 mai 1910 (cf. message du Conseil fédéral du 9 juillet 1918, FF 1918 III p. 616). Or la doctrine et la jurisprudence de ce pays admettent unanimement que le législateur n'a pas entendu protéger les artistes exécutants. Par le § 2 al. 2 de la loi du 19 juin 1901, il a voulu accorder une protection aux fabricants de disques, notamment contre la reproduction illégitime des enregistrements. C'est à cette fin qu'il a construit une protection des interprètes, dont on présume que les droits sont cédés aux fabricants de disques (arrêt du Reichsgericht du 14 novembre 1936, dans SCHULZE, op. cit., RGZ 8, p. 9 et 10). Mais il s'agit là d'une fiction dont tous les auteurs dénoncent le caractère artificiel (ULMER, op. cit., p. 158 et 320; RUNGE, op. cit., p. 343; VOIGTLÄNDER/ELSTER/KLEINE, loc. cit.; SÜSS, op. cit., p. 46 et suiv.; cf. également l'arrêt du Bundesgerichtshof du 21 novembre 1952, loc. cit.). On admet généralement que la protection accordée aux fabricants de disques par cette construction tend à les garantir contre la concurrence déloyale (MARWITZ/MÖHRING, Das Urheberrecht, p. 47; SÜSS, op. cit., p. 55; arrêt du Reichsgericht du 14 novembre 1936, loc. cit.).
bb) Il en est de même en droit suisse, ce que confirme, tout d'abord, la nature de l'objet protégé par l'art. 4 al. 2 LDA.
Cette disposition, en effet, ne protège point l'interprète
BGE 85 II 431 S. 438
tant que son exécution n'est pas enregistrée. L'exécution elle-même, c'est-à-dire la véritable prestation de l'interprète, n'est pas visée par cette disposition légale, qui, par exemple, ne garantit point l'artiste contre un enregistrement opéré à son insu.
D'autre part, lors de l'élaboration de la loi, le législateur n'a pu envisager, par l'art. 4 al. 2, que la protection des "instruments" contre leur reproduction. illicite, c'est-à-dire une garantie qui profitait au fabricant de disques (STREULI, Fiche juridique suisse no 635a, p. 7). En effet, les autres droits exclusifs prévus par l'art. 12 LDA dans sa teneur originaire étaient exclus ou sans objet. La protection contre la mise en circulation n'avait guère d'intérêt, puisqu'il s'agissait d'enregistrements opérés précisément en vue de la vente. D'autre part, l'art. 21 LDA autorisait l'exécution publique prévue par l'art. 12 ch. 3. Quant à la protection contre la radiodiffusion, elle n'a pu être envisagée par le législateur et le Tribunal fédéral ne l'a instituée par l'arrêt Turicaphon que pour combler une lacune de la loi, en vertu de l'art. 1er al. 2 CC.
cc) En outre, comme la jurisprudence allemande, le Tribunal fédéral a considéré, dans l'arrêt Turicaphon, qu'on devait présumer la cession des droits de l'artiste exécutant au fabricant, car ce transfert découlait de "la nature des choses". Une telle présomption n'est pourtant fondée sur aucune règle légale et déroge aux principes généraux du droit. Si on l'a admise, c'est qu'elle est conforme à la logique interne de l'art. 4 al. 2 LDA et est exigée par le but même de cette disposition. Cette jurisprudence met en évidence que le sujet de la protection n'est pas l'interprète ou - dans le cas des boîtes à musique - le transcripteur, mais bien le fabricant.
Sans doute, l'édition de toute oeuvre implique une cession des droits à l'éditeur. Mais les droits de l'auteur prennent naissance avant l'édition. Ils lui permettent de s'opposer à la publication ou d'en déterminer les modalités. Au contraire, les droits dérivés de l'art. 4 al. 2 LDA naissent
BGE 85 II 431 S. 439
avec la création de l'objet matériel porteur de sons. Dans le système de la loi, la cession est donc un élément naturel du contrat par lequel l'interprète s'engage à l'égard du fabricant. Celui-ci est, en réalité, titulaire du droit virtuel, avant même que ce droit ait un objet.
d) Ainsi, la reconnaissance d'un droit d'auteur à l'interprète est inconciliable avec les principes fondamentaux du droit d'auteur.
D'autre part, le but de l'art. 4 al. 2 LDA n'est pas de conférer à l'artiste exécutant un droit d'auteur ou une protection d'une autre nature. Il tend à protéger le fabricant contre une contrefaçon de sa marchandise. Ce but ne paraissant pas pouvoir être atteint directement, le législateur a pris le biais du droit d'auteur: l'activité du fabricant de disques ou de boîtes à musique ne présente guère de caractère artistique marqué; en outre, ces fabricants sont généralement des personnes morales, qui ne peuvent être titulaires originaires d'un droit d'auteur (art. 8 LDA; RO 54 II 54, 74 II 112). On a dès lors imaginé de faire naître le droit sur la tête de la personne physique dont l'interprétation est enregistrée ou qui transcrit la mélodie destinée à être reportée sur rouleaux. Mais, comme le veut la "nature des choses", ce droit est immédiatement tranféré au fabricant, qui est son véritable bénéficiaire et la personne que la loi entend protéger.
Toutefois, cette construction est une pure fiction et on ne saurait interpréter l'art. 4 al. 2 LDA en se conformant servilement au système artificiel qu'il a établi. On doit au contraire, pour en déterminer le sens et la portée, se fonder sur le but qui était assigné à cette disposition, sur l'intérêt qu'elle devait protéger réellement. Or, comme on l'a vu, l'art. 4 al. 2 LDA a pour objet la protection du fabricant contre la reproduction et la mise en circulation illicites de sa marchandise. Il ressortit au droit de la concurrence et ne consacre en rien un droit d'auteur de l'artiste exécutant. La novelle du 24 juin 1955, qui, modifiant l'art. 12 et abrogeant l'art. 21 LDA, étend la
BGE 85 II 431 S. 440
protection à l'exécution publique et à la radiodiffusion, confère, elle aussi, des droits au seul fabricant.
Aussi bien, si la demanderesse invoque en l'espèce l'art. 4 al. 2 LDA, ce n'est pas en faveur des interprètes, qui ne sont lésés en rien par les agissements de Torre. Elle n'entend même pas protéger le fabricant. En effet, les disques écoulés par le recourant sont d'authentiques disques Philips et c'est bien la société de Baarn qui les a vendus au fournisseur de Torre. En réalité, la demanderesse veut seulement renforcer, en lui conférant un effet réel par le détour du droit d'auteur, le droit relatif en vertu duquel elle jouit, vis-à-vis du fabricant, de l'exclusivité de la vente en Suisse.
On doit donc, en conclusion, nier l'existence des droits d'auteur sur lesquels la demanderesse fonde son action.
3.
a) Cependant, l'art. 4 al. 2 LDA protège l'enregistrement mécanique comme une oeuvre originale et confère ainsi des droits au fabricant. Certes, la demanderesse n'a pas invoqué un droit du fabricant et prétend agir comme ayant cause des interprètes. Mais cela importe peu. Si la juridiction fédérale de réforme est liée par les conclusions des parties, elle ne l'est point par les motifs qu'elles invoquent et doit statuer selon la règle jura novit curia (art. 63 al. 1 OJ).
Il s'agit donc de savoir si l'art. 12 ch. 2 LDA donne à la demanderesse le droit exclusif de vendre en Suisse des disques Philips et si Torre a violé ce droit bien que les disques qu'il a écoulés aient été licitement confectionnés et achetés à l'étranger.
b) Le défendeur répond par la négative à cette dernière question, en alléguant que le droit exclusif de vente est épuisé par la première vente licite, c'est-à-dire par celle qu'il a conclue avec son fournisseur. Ce moyen n'est pas fondé. Sans doute admet-on en général que le droit de mettre l'oeuvre en circulation est épuisé par la première aliénation licite (cf. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, vol. 63, p. 397 et suiv.; ULMER, op. cit.,
BGE 85 II 431 S. 441
p. 145, ainsi que les références). Mais, en tout cas, la revente n'est licite que si elle est couverte par le droit de celui qui a mis les exemplaires en circulation. Le droit n'est épuisé que dans les limites où il a été exercé. Ainsi, lorsque le titulaire du droit exclusif de vente l'a concédé pour un territoire déterminé, celui qui acquiert un exemplaire de l'oeuvre sur ce territoire ne peut le revendre ailleurs (cf. ULMER, op. cit., p. 145; MARWITZ/MÖHRING, op. cit., p. 117).
c) L'art. 58 al. 1 LDA statue que, si les exemplaires licitement confectionnés d'une oeuvre sont mis en circulation hors du territoire pour lequel le titulaire du droit d'auteur en a autorisé le débit, ces agissements ne constituent pas un acte illicite au sens de l'art. 42. Ainsi, l'art. 58 LDA apporte une dérogation au caractère absolu du droit d'auteur et permet en principe la mise en circulation en Suisse des exemplaires de l'oeuvre au mépris d'une limitation territoriale ordonnée par le titulaire du droit. Il pose le principe général qu'une telle limitation du droit d'édition n'a pas d'effet réel.
Cependant, l'art. 58 al. 3 LDA institue une exception à ce principe, en statuant que l'art. 58 al. 1 n'est pas applicable aux instruments mécaniques auxquels sont adaptées des oeuvres littéraires ou musicales. Cette dérogation était imposée par l'art. 13 de la Convention de Berne, qui confère aux auteurs d'oeuvres musicales le droit exclusif d'en autoriser l'enregistrement et précise, à son al. 4, que les enregistrements importés sans l'autorisation des intéressés dans un pays où ils ne seraient pas licites pourront y être saisis. C'est uniquement en raison de cette protection minimum instituée par la Convention de Berne que le législateur suisse a dû promulguer l'art. 58 al. 3 LDA (message du Conseil fédéral du 9 juillet 1918, FF 1918 III p. 672; Bull. stén., CN 1922 p. 312). On doit en conclure que, sauf dans la mesure où il le dit expressément, l'art. 58 al. 3 LDA ne va pas au-delà de l'art. 13 de la Convention de Berne.
BGE 85 II 431 S. 442
Or cette convention ignore l'institution d'un droit d'auteur des exécutants. Son art. 13, qui reconnaît aux auteurs d'oeuvres musicales le droit exclusif d'en autoriser l'enregistrement, ne saurait donc viser les interprètes et concerne seulement les compositeurs, qu'il protège contre les fabricants et les marchands de disques. De même, faute d'indication contraire, l'exception que l'art. 58 al. 3 LDA apporte au principe général de l'al. 1 ne doit s'entendre que des autorisations limitées territorialement qui ont été concédées par les auteurs ou leurs ayants cause. Elle ne protège pas les fabricants de disques, qui, on l'a vu, ne sont point titulaires d'un droit d'auteur, mais bénéficient simplement, en vertu de l'art. 4 al. 2 LDA, de droits ressortissant à la concurrence déloyale. Ces fabricants et leurs ayants cause ne sauraient donc invoquer le droit d'auteur pour consacrer des monopoles privés et pour apporter à des conventions d'exclusivité, qui ressortissent au domaine du contrat et des droits relatifs, le renfort d'une protection ayant un effet réel.
Ainsi, l'intimée ne pouvant se prévaloir de l'art. 58 al. 3 LDA, les actes qu'elle reproche à Torre ne sont pas illicites. Son action doit donc être rejetée.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
1. Admet le recours principal, annule le jugement attaqué et rejette la demande;
2. Rejette le recours joint. | public_law | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d41aad68-4069-41d3-8b56-b3eb6e787ab7 | Urteilskopf
136 III 636
94. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause X. SA contre Office des faillites du district de Delémont (recours en matière civile)
5A_512/2010 du 10 novembre 2010 | Regeste
Art. 22 Abs. 1,
Art. 231 Abs. 3 Ziff. 1 und
Art. 260 SchKG
; Nichtigkeit, Abtretung von Rechtsansprüchen der Masse im summarischen Konkursverfahren.
Bedingungen, unter welchen der Verzicht der Masse, Rechtsansprüche selber geltend zu machen, und das Angebot zur Abtretung nichtig sind (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 2).
Die Frage des Verzichts der Masse auf Geltendmachung von zweifelhaften oder strittigen Forderungen des Gemeinschuldners sowie das Angebot zur Abtretung an einzelne Gläubiger können auf dem Wege der Publikation vorgelegt werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 637
BGE 136 III 636 S. 637
Dans le cadre de la liquidation sommaire de X. SA, l'Office des faillites du district de Delémont (ci-après: l'Office) a, par publications du 10 mars 2010 dans la Feuille officielle suisse du commerce (FOSC) et le Journal officiel du canton du Jura (JO), fixé aux créanciers un délai de vingt jours pour demander, sous peine de péremption, la cession des droits de la masse, au sens de l'
art. 260 LP
, au cas où l'ensemble des créanciers ne s'oppose(rait) pas dans le délai imparti à la proposition de l'administration de la faillite (i.e. de ne pas introduire ou provoquer une action en justice au nom de la masse concernant les droits litigieux et/ou de ne pas continuer les procédures en cours). Aucun créancier n'a demandé que la masse agisse elle-même; en revanche, trois créanciers ont requis la cession des droits de la masse, qu'ils ont obtenue le 6 avril 2010.
X. SA, créancière de la faillite, a porté plainte contre ce procédé; elle a reproché à l'Office d'avoir violé les
art. 231 et 260 LP
pour n'avoir pas envoyé aux créanciers une
circulaire
fixant un délai pour demander la cession des droits de la masse, mais s'être borné à informer les intéressés par voie de simple
publication
.
Statuant le 25 juin 2010, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton du Jura, en sa qualité d'autorité de surveillance, a rejeté la plainte en tant qu'elle était recevable. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière civile formé par X. SA.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Comme en instance cantonale, la recourante conclut à la constatation de la nullité de la publication litigieuse.
2.1
En vertu de l'art. 22 al. 1 (1
re
phrase) LP, sont frappées de nullité les mesures contraires à des dispositions édictées dans l'intérêt public ou dans l'intérêt de personnes qui ne sont pas parties à la procédure (FF 1991 III 45 ch. 201.16 ad art. 22). Dans sa dernière jurisprudence, le Tribunal fédéral a prononcé que la cession est
nulle
lorsque les créanciers n'ont pas eu l'occasion de se déterminer quant à la renonciation de la masse à agir elle-même avant l'offre de cession des droits litigieux (
ATF 134 III 75
consid. 2.3; cf. aussi:
ATF 136 III 534
consid. 4.1). Cette opinion doit être précisée.
L'arrêt cité à l'appui de cette affirmation (i.e.
ATF 118 III 57
consid. 4) renvoie à une décision qui conclut, plus précisément, à la
BGE 136 III 636 S. 638
nullité d'une cession opérée sans que la majorité des créanciers ait préalablement renoncé à faire valoir la prétention pour le compte de la masse
et sans que l'occasion ait été donnée à tous les créanciers de présenter une demande de cession
(
ATF 79 III 6
consid. 2). Ce dernier arrêt a été confirmé le 22 janvier 1960: si la renonciation à faire valoir la prétention a été décidée - à tort - par la seule administration de la faillite, et non par l'assemblée des créanciers ou par voie de circulation,
mais que, en revanche, la cession a été offerte à tous les créanciers
, cette cession n'est pas nulle et doit être contestée dans les dix jours dès la réception de la circulaire (
ATF 86 III 20
consid. 2). Enfin, dans l'arrêt paru aux
ATF 102 III 78
(consid. 3b in fine), le Tribunal fédéral a pu se dispenser de résoudre la question, mais il a évoqué - en se référant à l'arrêt précédent - la circonstance que
tous
les créanciers aient reçu la circulaire et, partant, pu la déférer à l'autorité de surveillance.
2.2
En l'espèce, la publication critiquée fixe aux créanciers un délai de vingt jours pour demander, sous peine de péremption, la cession des droits de la masse (
art. 260 LP
) au cas où l'ensemble des créanciers ne s'oppose(rait) pas dans le délai imparti à la proposition de l'administration de la faillite ("de ne pas introduire ou provoquer une action en justice au nom de la masse concernant les droits litigieux et/ou de ne pas continuer les procédures en cours"). Au regard de la jurisprudence susmentionnée, un tel procédé ne saurait être tenu pour
nul
. Dans ces conditions, la recourante devait porter plainte dans les dix jours dès la publication (
art. 17 al. 1 et
art. 35 al. 1 LP
), ce qu'elle n'a pas fait (
ATF 86 III 20
consid. 2). De surcroît, il ressort des constatations de l'autorité cantonale, dont le caractère manifestement inexact (
art. 97 al. 1 LTF
), à savoir arbitraire au sens de l'
art. 9 Cst.
(
ATF 135 III 127
consid. 1.5 et la jurisprudence citée), n'est pas établi, que, par courriel du 10 mars 2010, l'Office avait dûment avisé le conseil de la recourante "du dépôt de l'inventaire, de l'état des charges et de l'état de collocation", et l'a renvoyée "à la publication dans la FOSC et le JO du 10 mars 2010". Il s'ensuit que la plainte eût dû être déclarée tardive. Quoi qu'il en soit, elle est de toute façon infondée (infra, consid. 3).
3.
En substance, la recourante soutient que la renonciation de la masse à faire valoir les prétentions litigieuses ou douteuses de la société faillie ainsi que l'offre de cession de ces droits ne pouvaient pas faire l'objet d'une
publication
, mais bien d'une
circulaire
.
BGE 136 III 636 S. 639
En vertu de l'
art. 231 al. 3 ch. 1 LP
, dans la liquidation sommaire, il n'y a pas lieu de convoquer d'assemblée des créanciers; toutefois, lorsque des circonstances spéciales rendent une consultation des créanciers souhaitable, l'office peut les convoquer à une assemblée ou provoquer une décision de leur part au moyen de circulaires. Une jurisprudence déjà ancienne considère que la question de la cession de prétentions douteuses ou contestées du failli, au sens de l'
art. 260 LP
, doit être soumise à tous les créanciers (
ATF 53 III 121
consid. 2;
64 III 35
;
79 III 6
consid. 2). Quant à la forme de cette consultation, le Tribunal fédéral a toujours admis que la
voie de la publication
est valable (
ATF 118 III 57
consid. 2;
ATF 134 III 75
consid. 2.3;
ATF 136 III 534
consid. 4.1). Contrairement à ce que dit la recourante, la nouvelle loi n'a rien changé sur ce point (VOUILLOZ, La liquidation sommaire de la faillite, AJP 2001 p. 973;
le même
, in Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, n° 39 ad
art. 231 LP
; cf. SIEGEN, Das summarische Konkursverfahren, 1994, p. 180-181), mais reprend la réglementation de l'
art. 96 let. a de l'Ordonnance du Tribunal fédéral du 13 juillet 1911 sur l'administration des offices de faillite (OAOF; RS 281.32)
(cf. FF 1991 III 166 ch. 207.16). En particulier, c'est à tort qu'elle déclare - en se prévalant de l'avis de GILLIÉRON (Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, vol. III, 2001, n° 24 ad
art. 231 LP
) - que cette jurisprudence serait "dépassée"; cet auteur ne vise clairement que l'arrêt publié aux
ATF 39 I 421
-422 (recte: 415 consid. 2 in fine p. 419, résumé in Répertoire général des arrêts du Tribunal fédéral suisse [1905-1914], 1919, p. 506), qui avait affirmé que l'office des faillites pouvait, de son propre chef, renoncer à inventorier et à faire valoir une prétention qu'il estimait infondée (BRAND, Faillite V, Liquidation sommaire, FJS n° 997, état: 1949, p. 3 let. d et e).
Il est exact que certains auteurs recommandent d'éviter la voie de la publication, qui ne constituerait pas une mesure de publicité suffisante quant à la renonciation des créanciers et à l'offre de cession (SIEGEN, op. cit., p. 119; DOLDER, Ordentlich oder summarisch? - Der Entscheid liegt auch beim Gläubiger, Insolvenz- und Wirtschaftsrecht [IWIR] 2002 p. 21). Toutefois, comme l'a souligné la juridiction précédente, le mode de consultation ressortit en définitive à l'opportunité, question soustraite à la connaissance de la cour de céans (arrêt 5A_142/2008 du 3 novembre 2008 consid. 5; DIETH, in Kurzkommentar SchKG, 2009, n° 6 ad
art. 19 LP
), sous réserve d'un abus ou d'un excès du pouvoir d'appréciation (
ATF 134 III 323
consid. 2). | null | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d41f5f4f-1869-428d-9d23-2c3e6c80dc2c | Urteilskopf
134 V 15
3. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen P. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_272/2007 vom 27. Dezember 2007 | Regeste
Art. 35 Abs. 4 IVG
;
Art. 82 IVV
in Verbindung mit
Art. 71ter Abs. 1 AHVV
; Drittauszahlung der Invaliden-Kinderrente.
Die Invaliden-Kinderrente kann nicht direkt dem mündigen Kind ausbezahlt werden (qualifiziertes Schweigen von Gesetz- und Verordnungsgeber; E. 2.3). | Erwägungen
ab Seite 15
BGE 134 V 15 S. 15
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Invaliden-Kinderrente direkt dem Beschwerdeführer als mündigem, noch in Ausbildung stehenden Sohn des Rentenberechtigten ausbezahlt werden kann.
2.1
Männer und Frauen, denen eine Invalidenrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente der AHV beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente (
Art. 35 Abs. 1 IVG
). Der Anspruch besteht auch für erwachsene Kinder, die noch in Ausbildung stehen, bis längstens zum vollendeten 25. Altersjahr (vgl.
Art. 25 Abs. 5 AHVG
).
Gemäss
Art. 35 Abs. 4 Satz 1 IVG
wird die Kinderrente wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört, mithin grundsätzlich an den rentenberechtigten Elternteil. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckmässige Verwendung (
Art. 20 ATSG
) und abweichende zivilrichterliche Anordnungen (
Art. 35 Abs. 4 Satz 2 IVG
). Der Bundesrat kann die Auszahlung für Sonderfälle in Abweichung von
Art. 20 ATSG
regeln, namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe (
Art. 35 Abs. 4 Satz 3 IVG
). Gestützt auf diese Delegation hat der Bundesrat in
Art. 82 IVV
BGE 134 V 15 S. 16
festgelegt, dass für die Auszahlung der Renten sowie der Hilflosenentschädigung für Volljährige unter anderem
Art. 71
ter
AHVV
sinngemäss gilt. Dessen Abs. 1 lautet: "Sind die Eltern des Kindes nicht oder nicht mehr miteinander verheiratet oder leben sie getrennt, ist die Kinderrente auf Antrag dem nicht rentenberechtigten Elternteil auszuzahlen, wenn diesem die elterliche Sorge über das Kind zusteht und es bei ihm wohnt. Abweichende vormundschaftliche oder zivilrichterliche Anordnungen bleiben vorbehalten."
2.2
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, ist in den dargelegten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen eine Drittauszahlung der Kinderrente an das mündige Kind nicht vorgesehen. Selbst wenn angenommen würde, die Mutter habe den Beschwerdeführer bloss zum Bezug der Rente bevollmächtigt, würde die Drittauszahlung an den Beschwerdeführer daran scheitern, dass nach dem klaren Wortlaut des
Art. 71
ter
Abs. 1 AHVV
die Drittauszahlung voraussetzt, dass eine elterliche Sorge besteht, was beim Beschwerdeführer seit Eintritt der Mündigkeit nicht mehr der Fall ist.
2.3
Der Beschwerdeführer vertritt indessen die Auffassung, Gesetz und Verordnung enthielten eine Lücke, welche dahingehend zu füllen sei, dass eine Drittauszahlung an ihn als mündiges Kind möglich sein müsse.
2.3.1
Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt oder eine Antwort gibt, die aber als sachlich unhaltbar angesehen werden muss. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nicht übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung (
BGE 132 III 470
E. 5.1 S. 478;
BGE 130 V 229
E. 2.3 S. 233; vgl.
BGE 131 II 562
E. 3.5 S. 567 f.).
2.3.2
Die dargelegten Bestimmungen geben, indem sie die Möglichkeit der Drittauszahlung der Kinderrente an das mündige Kind nicht erwähnen, eine Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage. Zu prüfen bleibt, ob - wie der Beschwerdeführer geltend macht - dieser Ausschluss der Drittauszahlung an das mündige Kind sachlich unhaltbar ist.
2.3.3
Zur Stützung seines Standpunktes lässt der Beschwerdeführer anführen, es sei nicht möglich, dass nur die Waisenrente und nicht auch die Kinderrente einem noch in Ausbildung stehenden mündigen Kind ausbezahlt werden könne. Anders als der
BGE 134 V 15 S. 17
Beschwerdeführer annimmt, stimmen indessen die Auszahlungsmodalitäten der Kinderrente nicht zwingend mit denjenigen der Waisenrente überein. Die beiden sozialversicherungsrechtlichen Rentenarten sind im Zusammenhang mit der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind zu sehen (
Art. 276 ff. ZGB
): Die Waisenrente ist definitionsgemäss dann geschuldet, wenn der (unterhaltspflichtige) Vater oder die (unterhaltspflichtige) Mutter gestorben ist (vgl.
Art. 25 Abs. 1 AHVG
); sie ersetzt dem Kind den Wegfall des Elternteils. Der Anspruch steht zwangsläufig dem originär waisenrentenberechtigten Kind selber zu, dies im Gegensatz zur Person, welche - abgeleitet aus dem Stammrecht des Hauptrentners - eine derivative Zusatzrente bezieht (ZAK 1989 S. 224, insbes. E. 2b, P 39/86, bestätigt in
BGE 122 V 300
E. 4b S. 304). Die Kinderrente hingegen ist dann geschuldet, wenn der (unterhaltspflichtige) Vater oder die (unterhaltspflichtige) Mutter noch lebt (vgl.
Art. 35 Abs. 1 IVG
;
Art. 22
ter
Abs. 1 AHVG
); sie ersetzt dem Kind nicht den Wegfall des Elternteils, sondern dient der Erleichterung der Unterhaltspflicht des invalid gewordenen oder im AHV- Alter stehenden Unterhaltsschuldners und soll dessen (durch Alter oder Invalidität bedingte) Einkommenseinbusse ausgleichen. Mit anderen Worten soll sie dem invaliden oder im AHV-Alter stehenden Elternteil ermöglichen, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, aber nicht der Bereicherung des Unterhaltsempfängers dienen (
BGE 128 III 305
E. 3 S. 308;
BGE 114 II 123
E. 2b S. 125). Der Anspruch steht daher dem Rentenempfänger zu, nicht direkt dem Kind (
BGE 114 II 123
E. 2b S. 124). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ist der unterschiedliche Auszahlungsmodus bei Kinder- und Waisenrenten mithin systemkonform.
2.3.4
Um den Zweck der Kinderrente - dem Unterhalt des Kindes zu dienen (
BGE 103 V 131
E. 3 S. 134; SVR 2001 IV Nr. 39 S. 117, E. 4d, I 12/00; Urteil 5P.346/2006 vom 12. Oktober 2006, E. 3.3) - sicherzustellen, hat die Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten der Drittauszahlungsregelung in
Art. 35 Abs. 4 IVG
auf den 1. Januar 1997 (vgl. auch
Art. 82 IVV
in Verbindung mit
Art. 71
ter
AHVV
) unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage eine Drittauszahlung der Kinderrente an den nicht rentenberechtigten anderen Elternteil, unter dessen Sorge das Kind stand, zugelassen (
BGE 103 V 131
E. 3 S. 134 f.;
BGE 101 V 208
E. 2 S. 210 f.; SVR 1999 IV Nr. 2 S. 5, E. 2a, I 237/97). Aus denselben Überlegungen wurde des Weitern erkannt, dass die Rente
BGE 134 V 15 S. 18
direkt dem mündigen Kind ausbezahlt werden kann, wenn der rentenberechtigte Elternteil die zweckkonforme Verwendung der Rente nicht gewährleistet, auch wenn die Voraussetzungen des (damaligen)
Art. 76 AHVV
, dem der heutige
Art. 20 Abs. 1 ATSG
entspricht, nicht erfüllt waren (SVR 1999 IV Nr. 2 S. 5, E. 2b, I 237/97; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 213/86 vom 15. Mai 1987, E. 2b). Diese Rechtsprechung blieb auch nach Inkrafttreten des neuen
Art. 35 Abs. 4 IVG
(am 1. Januar 2003) anwendbar, solange der Bundesrat von der ihm zustehenden Delegation (
Art. 35 Abs. 4 Satz 3 IVG
) keinen Gebrauch gemacht hatte (SVR 2002 IV Nr. 5 S. 11, E. 3c/aa, I 245/01; 2000 IV Nr. 22 S. 65, E. 1a, I 171/99).
Auf den 1. Januar 2002 hat der Bundesrat indessen die dargelegten Verordnungsbestimmungen (
Art. 82 IVV
und
Art. 71
ter
AHVV
) erlassen und damit positivrechtlich die Drittauszahlung an den nicht rentenberechtigten Elternteil, unter dessen Sorge das Kind steht, geregelt (vgl.
BGE 129 V 362
E. 3.4 S. 365 f.), während er die Direktauszahlung an das mündige Kind nicht normiert hat. Aus den Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) zu dieser Verordnungsänderung (publ. in: AHI 2002 S. 14 ff.) ergibt sich nicht ausdrücklich, ob in Bezug auf die Direktauszahlung an das mündige Kind ein qualifiziertes Schweigen vorliegt. In Rz. 10006 der Wegleitung über die Renten in der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (RWL) hat das BSV festgelegt, dass die Kinderrenten grundsätzlich zusammen mit der Hauptrente auszuzahlen sind (Satz 1), indessen die Vorschriften über die Auszahlung bei unzweckgemässer Verwendung gelten, wenn die leistungsberechtigte Person nicht für die Kinder sorgt (Satz 2), und die Kinderrenten in einem solchen Fall auch direkt an volljährige Kinder, für die sie bestimmt sind, ausbezahlt werden können, sofern die Voraussetzung der zweckgemässen Verwendung erfüllt ist (Satz 3). Demgegenüber hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil I 840/04 vom 28. Dezember 2005, E. 4.1 - allerdings ohne nähere Ausführungen - erkannt, dass seit dem Inkrafttreten der neuen Verordnungsbestimmungen (1. Januar 2002) die vorher entwickelte Rechtsprechung nicht mehr anwendbar ist; für den Zeitraum bis Ende 2001 schloss es in
BGE 129 V 362
E. 5.2.2 S. 368 f. eine lückenfüllende Ergänzung der damals geltenden Auszahlungsordnung aus.
2.3.5
Nach
Art. 285 Abs. 2 ZGB
hat zwar der unterhaltspflichtige Elternteil die für den Unterhalt des Kindes bestimmten
BGE 134 V 15 S. 19
Sozialversicherungsleistungen zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt. Es gilt insoweit von Gesetzes wegen eine Kumulation von Unterhaltspflicht und der Pflicht, die Kinderrente an das Kind zu bezahlen (
BGE 128 III 305
E. 4b S. 309 f.). Mit dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Abs. 2
bis
von
Art. 285 ZGB
wurde die Stellung des Unterhaltspflichtigen insofern verbessert, als er eine nachträglich erhaltene Kinderrente nicht mehr kumulativ zu den Unterhaltsbeiträgen zu leisten hat, sondern diese sich von Gesetzes wegen entsprechend vermindern. Vorbehalten sind jedoch immer abweichende zivilgerichtliche Anordnungen, auf welche nicht nur in
Art. 285 Abs. 2 ZGB
, sondern auch in
Art. 35 Abs. 4 IVG
sowie
Art. 71
ter
Abs. 1 AHVV
ausdrücklich hingewiesen wird.
Nach der in
Art. 285 ZGB
enthaltenen Regelung ist es mithin Sache der Zivilgerichte, aufgrund einer Gesamtwürdigung der finanziellen Verhältnisse die Unterhaltsbeiträge festzusetzen und dabei den sozialversicherungsrechtlichen Rentenansprüchen in gesamthafter Betrachtung Rechnung zu tragen. Das Zivilrecht erlaubt, eine dem Einzelfall gerecht werdende Lösung zu treffen und eine zweckentsprechende Verwendung der Kinderrente sicherzustellen. Über die Unterhaltspflicht gemäss Art. 285 Abs. 2 oder 2
bis
ZGB kann nicht im sozialversicherungsrechtlichen Leistungs(streit)verfahren befunden werden, da es sich dabei um eine zivilrechtliche Verpflichtung handelt (ZAK 1989 S. 224, E. 3, P 39/86). Angesichts der zivilrechtlichen Regelung besteht kein Anlass, eine Lücke in der sozialversicherungsrechtlichen Auszahlungsregelung anzunehmen, zumal eine sozialversicherungsrechtlich angeordnete Drittauszahlung der gesamtheitlichen Betrachtung, die namentlich bei Unterhaltszahlungen an das mündige Kind gesetzlich zwingend ist (
Art. 277 Abs. 2 ZGB
), nicht zugänglich wäre.
2.3.6
Bei dieser Sachlage bleibt für richterliche Lückenfüllung kein Raum. Vielmehr muss es bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Kinderrente nicht direkt an den mündigen Sohn ausbezahlt werden darf. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. | null | nan | de | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d41ffd4c-9700-4e75-9ed3-773daae316ba | Urteilskopf
121 III 197
41. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 27 juin 1995 dans la cause P. (recours LP) | Regeste
Art. 32 Abs. 1 VZG
; Verweigerung des Aufschubs der Verwertung einer Liegenschaft.
Ist gegen eine Aufschubverweigerung betreffend die Verwertung der Liegenschaft Beschwerde erhoben worden, kann die kantonale Aufsichtsbehörde, wenn die Verwertung schon erfolgt ist, nötigenfalls den Zuschlag aufheben (E. 2).
Der Schuldner kann einen Aufschub der bereits angeordneten Verwertung nur unter der Bedingung - im vorliegenden Fall nicht erfüllt - erreichen, wenn er sofort den festgesetzten Bruchteil der Betreibungssumme und die Kosten der Anordnung und des Widerrufs der Verwertung bezahlt (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 198
BGE 121 III 197 S. 198
Dame P. a passé avec les nommés G. un acte de vente portant sur un immeuble dont elle était propriétaire. A la suite de déboires financiers, les acquéreurs n'ont pas versé le prix de vente convenu.
Sur requête d'un créancier gagiste en 1er rang, le préposé de l'office des poursuites a fixé au 29 mars 1995, à 10 h 30, la vente aux enchères de l'immeuble en question. Afin d'obtenir le renvoi de cette vente, deux tiers sollicités par G. (L. et M.) se sont déclarés d'accord de lui octroyer le financement nécessaire à l'acquisition de l'immeuble; ils étaient prêts à verser immédiatement un acompte en mains du préposé. A cet effet, la société B. a émis un chèque. Le 29 mars, juste avant la vente (8 h 55), le préposé a toutefois refusé le sursis. L'immeuble fut ensuite adjugé à X.
Par la voie d'une plainte, dame P. a demandé l'annulation de l'adjudication et le report de la vente. La Chambre des poursuites et faillites du Tribunal cantonal fribourgeois a jugé que la plainte était sans objet, conformément à une jurisprudence zurichoise (BlSchK 1963, p. 15), la plaignante s'en prenant uniquement au refus du préposé de différer la vente.
Saisie d'un recours de dame P., qui invoquait une violation des
art. 123 LP
et 32 ORI (RS 281.42), la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral l'a rejeté dans la mesure où il était recevable.
BGE 121 III 197 S. 199
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Dans le cas jugé par le Tribunal cantonal zurichois (BlSchK 1963, p. 15), deux plaintes avaient été successivement déposées. La première l'avait été contre le refus de renvoyer la vente, plainte à laquelle l'autorité inférieure de surveillance avait refusé d'accorder l'effet suspensif; la seconde était dirigée contre les enchères auxquelles l'office des poursuites avait procédé à défaut précisément d'effet suspensif accordé à la première plainte. Ne pouvant de ce fait plus être traitée matériellement, car un renvoi de la vente n'entrait plus en ligne de compte, la première plainte était ainsi devenue sans objet.
Il est douteux que cette jurisprudence cantonale puisse s'appliquer sans autre ici: en effet, à la différence du cas zurichois, une seule plainte - par la force des choses - a été déposée en l'espèce, dirigée à la fois contre le refus de renvoi de la vente et contre l'adjudication, et l'effet suspensif a été accordé (arrêt du Président de la Chambre cantonale du 6 avril 1995), bien qu'une telle mesure ne fût pas indispensable (cf. art. 66 al. 1 ORI). Or, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, il peut être porté plainte à l'autorité de surveillance, dans les dix jours de leur connaissance, non seulement contre les irrégularités commises aux enchères elles-mêmes, mais aussi contre celles commises dans la procédure préparatoire (cf. E. BRAND, Poursuite pour dettes, FJS 989, p. 12 let. d et les arrêts cités; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd., Lausanne 1993, p. 236 let. c). Le sursis à la vente après publication de celle-ci, régi par l'art. 32 ORI, fait partie de cette procédure préparatoire (ORI, ch. II.1.A., art. 25 ss). Saisie d'une plainte portant sur le refus d'un tel sursis, l'autorité de surveillance peut, s'il y a lieu, casser cette décision et ordonner le renvoi de la vente ou si celle-ci a déjà eu lieu - hypothèse réalisée ici -, annuler l'adjudication (
ATF 63 III 22
).
Il résulte de ce qui précède que l'autorité cantonale de surveillance aurait dû entrer en matière au lieu de se contenter de déclarer la plainte sans objet.
3.
Il n'y a pas lieu toutefois de lui renvoyer la cause pour qu'elle statue sur le fond. En effet, en vertu du principe jura novit curia, qui s'applique pleinement au recours en matière de poursuite (SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, Berne 1990, p. 795 n. 2.6.2), le Tribunal fédéral revoit librement la cause en droit, dans les limites des faits établis et des conclusions prises devant
BGE 121 III 197 S. 200
lui (POUDRET, même commentaire, p. 519/520 n. 3.1). Or, en l'espèce, il ressort clairement du dossier que la plainte ne pouvait qu'être rejetée, pour les motifs ci-après.
Dans la procédure de réalisation forcée des immeubles, le débiteur ne peut obtenir un sursis à la vente, une fois celle-ci ordonnée, qu'à condition de payer immédiatement l'acompte fixé ainsi que les frais occasionnés par les préparatifs et le renvoi de la vente (art. 32 al. 1 ORI). Dans le cas particulier, il résulte de l'entretien que le préposé de l'office des poursuites a eu avec M., Mme P. et G. juste avant la vente (8 h 55), et dont le procès-verbal a été contresigné par la débitrice sans aucune protestation de sa part, que l'acompte n'était pas offert par celle-ci, mais par la société B., que le chèque établi par cette société devait encore être débité sur le compte privé de M., que son encaissement était en outre subordonné à la condition que le créancier gagiste révoque la vente, ce que celui-ci a refusé de faire. L'exigence légale du paiement immédiat de l'acompte par la débitrice n'étant pas remplie, le sursis à la vente ne pouvait qu'être refusé. Le grief de violation des
art. 123 LP
et 32 ORI s'avère ainsi manifestement mal fondé. | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d421fa92-a810-41ae-ab60-7902e33dd225 | Urteilskopf
94 I 18
4. Urteil vom 7. Februar 1968 i.S. Pärli & Cie. gegen Einwohnergemeinde Grenchen und Regierungsrat des Kantons Solothurn. | Regeste
Sanitäre Hausinstallationen.
Art. 31 und 4 BV
.
Möglichkeiten der wirtschaftlichen Betätigung beim Ausführen von Hausinstallationen. Unterscheidung des sog. gemischten Systems vom Fall, wo sich die gemeindeeigene Installationswerkstätte mit privaten Firmen in freier Konkurrenz misst (Erw. 3).
Frage des Festhaltens an der bisherigen Rechtsprechung betreffend die Monopolisierung von Hausinstallationen durch die Gemeinde offengelassen, da in Grenchen auf dem Gebiete der sanitären Hausinstallationen freie Konkurrenz herrscht (Erw. 4).
Es verletzt
Art. 31 BV
, einer in Biel ansässigen Firma, welche über 10 mit Funkruf ausgestattete Servicewagen verfügt, die Bewilligung zum Ausführen sanitärer Hausinstallationen in Grenchen zu verweigern (Erw. 5 und 6). | Sachverhalt
ab Seite 19
BGE 94 I 18 S. 19
A.-
Die Einwohnergemeinde der Stadt Grenchen betreibt ein eigenes Gas- und Wasserwerk. Dem Wasserwerk ist eine Installationsabteilung angegliedert. Nach dem Reglement vom 22. Dezember 1927/22. Dezember 1950 und 14. April 1953 über die Abgabe von Wasser werden die Zuleitungen bis zur Wassermessvorrichtung ausschliesslich durch das Werk auf Rechnung des Abonnenten erstellt (Art. 13). Ebenso dürfen Veränderungen und Reparaturen an den Zuleitungen nur durch das Werk vorgenommen werden (Art. 14). Inbezug auf die Hausinstallationen bestimmt Art. 15:
"Die Erstellung der Hausleitungen ist Sache der Eigentümer. Die Hausinstallationen dürfen nur von konzessionierten, in Grenchen domizilierten Firmen ausgeführt werden. Ein vom Gemeinderat erlassenes Pflichtenheft ordnet die Obliegenheiten und Bedingungen."
Gestützt darauf hat die Einwohnergemeinde Grenchen am 5. April 1966 eine "Konzessions-Verordnung für die Ausführung von Gas- und Wasserinstallationen" erlassen, die eine Verordnung vom 22. November 1946 ersetzte und in Art. 1 die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligungen zur Ausführung von Hausinstallationen wie folgt umschreibt:
"Die Bewilligungen zur Ausführung von Sanitär-Installationen im Gebiet der Stadt Grenchen und von Gasinstallationen im Versorgungsgebiet des Gaswerkes werden nur an Firmen erteilt, die folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Die Firma oder Zweigniederlassung muss für Sanitärinstallationen Domizil im Gebiet der Stadt Grenchen haben, für Gasinstallationen muss das Domizil im Versorgungsgebiet des Gaswerkes liegen. In beiden Fällen muss die Firma oder deren Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen sein.
2. Der Inhaber der Firma resp. der Zweigniederlassung oder der technische Leiter des Betriebes muss sich über die notwendigen Berufskenntnisse ausweisen können. Als Befähigungsausweis gilt das Meisterdiplom im sanitären Gewerbe (Gas- und Wasserfach) gemäss Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung vom 26. Juni 1930, Reglement für die Durchführung der Meisterprüfungen im sanitären Installationsgewerbe vom 8. April 1956.
3. Die Firma resp. deren Zweigniederlassung muss über das notwendige Fachpersonal, sowie über das erforderliche Inventar zum Betriebe eines Installationsgeschäftes verfügen. Sie hat sich zu verpflichten,
BGE 94 I 18 S. 20
angeforderte dringende Arbeiten an den von ihr erstellten Anlagen zu jeder Tages- und Nachtzeit (Pikettdienst) unverzüglich auszuführen.
4. Die Firma muss eine Kaution von Fr. 1'000.-- leisten."
Der Gemeinderat Grenchen hat die Bewilligung zur Vornahme von Sanitärinstallationen bisher 6 Firmen erteilt. Die Installationsabteilung der Gemeinde erzielte im Jahre 1966 einen Bruttoertrag von Fr. 565'820.95; davon entfielen Fr. 229'521.55 auf die Hausinstallationen.
B.-
Am 25. April 1967 ersuchte die Installationsfirma Pärli & Cie. in Biel, die in Grenchen keine Betriebsstätte unterhält, das Wasserwerk Grenchen, ihr für die Ausführung von Hausinstallationen in der Überbauung Ochsenplatz eine Konzession zu erteilen. Der Gemeinderat der Einwohnergemeinde Grenchen wies das Gesuch am 27. Juni 1967 ab. Er führte aus, die Gemeinde könne sich zwar bei ihrer Weigerung, der Gesuchstellerin die Konzession zu erteilen, nicht darauf berufen, dass diese keine Niederlassung in Grenchen habe, da die in Art. 1 Ziff. 1 der Konzessionsverordnung enthaltene Wohnsitzklausel vom Bundesgericht als verfassungswidrig erklärt worden sei. Dagegen fehle es der Gesuchstellerin an einem funktionsfähigen Pikettdienst für die Gemeinde Grenchen. Wohl behaupte sie, sie habe zehn Servicewagen mit Autoruf im Dienst, die Tag und Nacht, auch sonntags, zu erreichen seien. Die Distanz Grenchen-Biel betrage aber 12 Kilometer. Wasserbrüche seien geeignet, innert der Zeit, die der Pikettdienst der Firma Pärli & Cie. brauche, um die Distanz Biel-Grenchen zurückzulegen, grössere Schäden anzurichten, als wenn der Pikettdienst der Gemeinde Grenchen oder derjenige der nächsten Umgebung zum Einsatz gelange. Ob es sich bei der vorgesehenen Bewilligung um eine Konzession oder um eine blosse Polizeierlaubnis handle, könne offen bleiben.
Die Firma Pärli & Cie. zog den gemeinderätlichen Entscheid an den Regierungsrat des Kantons Solothurn weiter. Dieser hat die Beschwerde am 10. Oktober 1967 abgewiesen, im wesentlichen mit folgender Begründung:
Die Gemeinde Grenchen besitze für ihr Verteilernetz von Gas, Wasser und Elektrizität ein faktisches, auf dem Eigentum an öffentlichem Grund und Boden beruhendes Monopol. Dieses dürfe ohne Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit auch auf Hausinstallationen ausgedehnt werden. Die Gemeinde
BGE 94 I 18 S. 21
Grenchen beanspruche das Monopol und erlaube die Erstellung von Hausinstallationen nur Firmen, die sie konzessioniert habe. Sie verlange von den Konzessionären nicht Hauptsitz oder gar persönlichen Wohnsitz in der Gemeinde, sondern nur den Betrieb einer Zweigniederlassung mit Pikettdienst. Eine solche Regelung sei vom Bundesgericht nie als verfassungswidrig bezeichnet worden. Sie wolle nur den Servicedienst sicherstellen. Die gemeindeeigene Installationswerkstätte sei nicht voll ausgelastet; anderseits müsse sie häufig Reparaturen an nicht von ihr erstellten Anlagen vornehmen, da die Ersteller an den unrentablen kleinen Reparaturen meist kein Interesse mehr hätten. Diese Gefahr bestehe bei Firmen mit eigener Reparaturwerkstätte in Grenchen weniger. Die Darlegungen der Rekurrentin über ihren eigenen Pikettdienst überzeugten nicht. Die Strasse zwischen Grenchen und Biel sei nur zum kleineren Teil modern ausgebaut. Die zwölf Kilometer lange Strecke sei in den behaupteten fünfzehn Minuten nur zurückzulegen, wenn die Strassen mehr oder weniger verkehrsfrei seien. Das Erfordernis, dass zwischen dem Konzessionär und der Gemeinde eine enge örtliche Beziehung bestehen müsse, sei daher nicht willkürlich. Ohne dieses Erfordernis wäre es auch nicht möglich, die Installationswerkstätte der Gemeinde technisch und wirtschaftlich einwandfrei zu führen. Daraus folge auch, dass es nicht darum gehe, zum Schutz ortsansässiger Firmen einen auswärtigen Gewerbetreibenden vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. Die Rekurrentin besitze in Grenchen keine Geschäftsniederlassung und erfülle daher die Konzessionsbedingungen nicht. Der Regierungsrat habe übrigens schon in einem Fall vom 2. Februar 1962 gleich entschieden.
Auch wenn die Gemeinde das Installationsmonopol nicht besässe, dürfte sie die Bewilligung zum Ausführen von Installationsarbeiten vom Erfordernis eines wirksamen Reparatur- und Pikettdienstes abhängig machen. Diesem entspreche, wie schon dargelegt worden sei, ein in Biel etablierter solcher Dienst nicht.
C.-
Die Firma Pärli & Cie. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 4 und 31 BV
. Sie beantragt dem Bundesgericht, den angefochtenen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass ihr das Recht zur Vornahme sanitärer Hausinstallationen bei der Überbauung Ochsenplatz in Grenchen zustehe.
Die Beschwerdeführerin macht u.a. geltend, es sei fraglich,
BGE 94 I 18 S. 22
ob die Gemeinde Grenchen ihr Monopol tatsächlich ausübe. Die Gemeinde behaupte selber nicht, das Monopol sei nötig, weil das Werk sich sonst weder finanziell noch technisch halten könne. Die geforderte Bewilligung stelle deshalb keine Konzession, sondern lediglich eine Polizeierlaubnis dar. Sollte aber das Vorliegen eines Monopols bejaht werden, dann wäre die Zulässigkeit einer derartigen Ausdehnung nicht nur auf Grund von Art. 4, sondern auch von
Art. 31 BV
zu untersuchen. Dabei könnte an der in
BGE 81 I 261
vertretenen Auffassung nicht mehr festgehalten werden. Die technischen und organisatorischen Verhältnisse hätten sich in der Zwischenzeit geändert, und nach Ansicht der schweizerischen Kartellkommission sei das ausschliessliche Monopol nur noch dort gerechtfertigt, wo ein genügender Reparaturdienst nicht mehr gewährleistet oder das Gemeindewerk sonst gefährdet sei. Die Gemeinde Grenchen beanstande eigentlich nur noch die Distanz zwischen Grenchen und Biel. Es sei nun aber nicht einzusehen, weshalb eine mit Funkruf ausgestattete, in Biel und auch auswärts tätige Firma nicht ebenso schnell (wenn nicht schneller) einsatzbereit sei als ortsansässige Firmen. Von diesen werde ja auch nicht verlangt, eine jederzeit einsatzbereite Arbeitskraft am Domizil bereitzuhalten. Die Behauptungen über Schwierigkeiten des Verkehrs hielten einer sachlichen Prüfung nicht stand, und die Auswirkungen von Leitungsbrüchen innerhalb des Gebäudes würden hochgespielt. Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit hätten sich nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu richten. Das gelte auch, wenn sich die Beschwerdeführerin bloss auf
Art. 4 BV
berufen könne.
D.-
Die Einwohnergemeinde Grenchen und der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Erweist sich die vorliegende Beschwerde als begründet, so ist der Verfassungsstreit mit der Aufhebung des angefochtenen Entscheides nicht beendet. Vielmehr müsste der Staatsgerichtshof in diesem Falle den solothurnischen Regierungsrat anhalten, die der Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise verweigerte Konzession oder Polizeierlaubnis zu erteilen (vgl.
BGE 91 I 412
E. 1 mit Zitaten). Auf eine solche Erteilung ist denn auch das Begehren gerichtet, wonach festzustellen sei,
BGE 94 I 18 S. 23
dass der Beschwerdeführerin das Recht zur Vornahme sanitärer Hausinstallationen bei der Überbauung Ochsenplatz in Grenchen zustehe. In diesem Sinn kann deshalb auf den genannten Antrag eingetreten werden.
2.
Wenn eine Gemeinde in ihrem Gebiet die Verteilung von Wasser, Gas oder Elektrizität in Form eines öffentlichen Dienstes besorgt, besitzt sie hiefür ein faktisches Monopol, das mit
Art. 31 BV
vereinbar ist (
BGE 88 I 64
und dort zitierte frühere Urteile). Unter dem gleichen Gesichtspunkt liess es das Bundesgericht bisher auch zu, dass das genannte Monopol auf die sog. Hausinstallationen, d.h. die Erstellung und den Unterhalt der an das Verteilernetz angeschlossenen Leitungen und Anlagen im Innern der Gebäude der Bezüger ausgedehnt wurde (
BGE 38 I 64
ff.,
BGE 41 I 377
,
BGE 47 I 252
ff.,
BGE 81 I 260
E. 2 und verschiedene nicht veröffentlichte Urteile). Diese Rechtsprechung ist im Schrifttum angefochten worden (vgl. die Literaturhinweise in
BGE 88 I 65
und neuerdings AUBERT, Traité du Droit constitutionnel suisse Bd. II S. 697, insbes. Nr. 1958). Ob an ihr festzuhalten sei, liess der Staatsgerichtshof in
BGE 88 I 65
E. 3 und (dem Sinne nach) in
BGE 93 I 409
/10 dahingestellt. Das kann auch im vorliegenden Fall geschehen, wenn es sich erweist, dass der Gemeinde Grenchen ein Monopol zur Ausführung von Hausinstallationen in keiner Form zusteht.
3.
Wie aus der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung erhellt, sind auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Betätigung hinsichtlich des Ausführens von Hausinstallationen verschiedene Möglichkeiten denkbar. Einmal kann sich die Gemeinde das ausschliessliche Monopol vorbehalten. Sie kann sich sodann, soweit sie selber der Nachfrage nicht zu genügen vermag, mit einigen Privaten in die genannte Tätigkeit teilen, indem sie den betreffenden Gewerbetreibenden (echte) Konzessionen einräumt (sog. gemischtes System). Schliesslich kann die Gemeinde auf ein Monopol überhaupt verzichten, wobei die privaten Firmen - welche u.U. gewisse polizeiliche Erfordernisse zu erfüllen haben - allein die Hausinstallationen besorgen oder aber ein Gemeindebetrieb sich mit ihnen im freien, grundsätzlich unter dem Schutz von
Art. 31 BV
stehenden Wettbewerb misst. Die zuletzt genannte Möglichkeit sieht dem sog. gemischten System insofern recht ähnlich, als beide ein gemeindeeigenes Werk voraussetzen, das in der Lage ist, Hausinstallationen auszuführen, und das dergestalt neben
BGE 94 I 18 S. 24
privaten Firmen in Erscheinung tritt. Ausserdem kann die Zuordnung dadurch erschwert werden, dass auch im Falle des freien Wettbewerbs die privaten Gewerbetreibenden u.U. nur dann Hausinstallationen ausführen dürfen, wenn sie zuvor eine behördliche Bewilligung erlangt haben (sog. Polizeierlaubnis im Gegensatz zur echten Konzession beim gemischten System). In einem Punkte unterscheiden sich die beiden Varianten jedoch wesentlich: Beim gemischten System lässt die Gemeinde private Firmen lediglich zu, soweit sie bei Hausinstallationen der Nachfrage nicht selber zu genügen vermag. Sie macht die Zulassung Privater also vom Bedürfnis abhängig. Dieses Erfordernisses bedarf es demgegenüber nicht, wenn sich das Gemeindewerk den privaten Firmen in freier Konkurrenz stellt.
Welche Variante im einzelnen Fall vorliegt, ist in erster Linie auf Grund des einschlägigen kantonalen und kommunalen Rechts zu entscheiden. Lässt sich diesem keine eindeutige Antwort entnehmen, ist auch abzuklären, welche Haltung die beteiligte Gemeindebehörde tatsächlich eingenommen hat. Alle diese Fragen prüft das Bundesgericht frei, da es dabei um die Tragweite von
Art. 31 BV
geht.
4.
Die Gemeinde Grenchen unterhält unbestrittenermassen eine Werkstätte, die sich - neben privaten Betrieben - mit der Ausführung sanitärer Installationen befasst. Der Regierungsrat geht im angefochtenen Entscheid davon aus, es liege das sog. gemischte System vor. Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die Ansicht, die Gemeinde Grenchen beanspruche kein Monopol, sondern ihre Installationsabteilung messe sich mit den privaten Firmen im freien Wettbewerb. Nach dem in Erw. 3 hiervor Gesagten ist mithin zu entscheiden, ob die Gemeinde die Erteilung entsprechender Installationsbewilligungen vom Bedürfnis abhängig machte. Entgegen der Auffassung des Regierungsrates trifft dies nicht zu.
Zwar hindert das solothurnische Recht die Gemeinde nicht an der Einführung des sog. gemischten Systems (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 9. März 1960 i.S. R. & Cie. gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn, ZBl 61/1960 S. 243/4). Auch die in Art. 1 Ziff. 1 der Grenchener "Konzessions-Verordnung" enthaltene Domizilklausel schliesst nicht von vornherein aus, die Erteilung von Installationsbewilligungen vom Bedürfnis abhängen zu lassen. Anderseits sehen aber weder das kantonale noch das kommunale Recht eine solche Ordnung
BGE 94 I 18 S. 25
ausdrücklich vor. Bei dieser Rechtslage kommt dem Verhalten der zuständigen Gemeindebehörde im Zeitpunkt ihres Entscheides ausschlaggebende Bedeutung zu. Sie hat nun die von der Beschwerdeführerin nachgesuchte Bewilligung nicht mit der Begründung verweigert, es bestehe für die Tätigkeit der Beschwerdeführerin in Grenchen kein Bedürfnis. Sie machte nicht einmal geltend, sie beanspruche das Ausführen von Hausinstallationen in erster Linie für ihre eigene Installationsabteilung. Im Gegenteil hat die Gemeinde noch in ihrer Vernehmlassung vor Bundesgericht festgestellt, die Installationsabteilung schalte sich in den freien Wettbewerb ein, soweit ihr die Hauseigentümer Gelegenheit dazu böten. Sie bestätigte damit den zur Zeit der Verweigerung der "Konzession" eingenommenen Standpunkt, aus welchem zu schliessen ist, dass sie auf das Hausinstallationsmonopol, auch in der Form des gemischten Systems, verzichtet hat. Bei der verweigerten Bewilligung handelt es sich deshalb nicht um eine echte Konzession, sondern um eine Polizeierlaubnis.
Der Umstand, dass das Grenchener Reglement über die Abgabe von Wasser den Ausdruck "Konzession" verwendet, ändert an dieser Betrachtungsweise schon deshalb nichts, weil der Sprachgebrauch, in dem die Reglementsbestimmungen abgefasst werden, häufig ungenau ist. So hat denn das Bundesgericht bereits in
BGE 39 I 195
ff. nicht angenommen, es bestehe zugunsten des Elektrizitätswerkes der Stadt St. Gallen ein Monopol, obwohl die einschlägigen Vorschriften das Erstellen von Installationen von der Erlangung einer "Konzession" abhängig machten (vgl. auch ZBl 67/1966 S. 507/8). Im vorliegenden Fall ist die Bezeichnung der Erlaubnis zum Ausführen von Installationen im Reglement umso weniger ausschlaggebend, als die Konzessions-Verordnung wohl in ihrem Titel die "Konzessionen" erwähnt, im übrigen aber von "Bewilligung" spricht. Zudem hat der Gemeinderat von Grenchen die Frage, ob es sich bei den Bewilligungen um echte Konzessionen oder nur um eine Polizeierlaubnis handle, ausdrücklich offen gelassen.
Herrscht aber in Grenchen auf dem Gebiete der sanitären Hausinstallationen der Grundsatz der freien Konkurrenz, so braucht, wie angedeutet, auch im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden, ob an der angefochtenen bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung betreffend die Monopolisierung
BGE 94 I 18 S. 26
von Hausinstallationen durch die Gemeinden festzuhalten sei oder nicht (vgl.
BGE 88 I 65
E. 3).
5.
Die Beschwerdeführerin will mithin ein Gewerbe ausüben, das in Grenchen privater Erwerbstätigkeit in keiner Weise entzogen ist und demzufolge unter dem Schutz von
Art. 31 BV
steht. Diese Bestimmung, welche die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, lässt Beschränkungen der Gewerbetätigkeit nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit zu (
BGE 93 I 410
E. 2,
BGE 88 I 67
E..5). Solche polizeiliche Beschränkungen müssen zudem verhältnismässig sein, wenn sie
Art. 31 BV
nicht verletzen sollen.
Der Regierungsrat hat die Beschwerde abgewiesen, indem er feststellte, dass die Beschwerdeführerin die Anforderungen des Art. 1 Ziff. 1 und 3 der Grenchener Konzessionsverordnung nicht erfülle. Die kantonale Instanz begründet ihren Entscheid zwar in erster Linie damit, die Gemeinde Grenchen verfüge über ein Hausinstallationsmonopol. Sie vertrat aber zusätzlich auch die Auffassung, es sprächen polizeiliche Gründe gegen die Erteilung der verlangten Bewilligung an die Beschwerdeführerin. Diese hält demgegenüber dafür, eine Unterscheidung zwischen ortsansässigen Firmen und ihr sei aus polizeilichen Gründen, insbesondere demjenigen der öffentlichen Sicherheit nicht gerechtfertigt. Die Beschwerdeführerin bestreitet damit dem Sinn nach die Zulässigkeit der in Art. 1 Konzessionsverordnung aufgestellten Erfordernisse des Geschäftsdomizils (Ziff. 1) und des Pikettdienstes an diesem Ort (Ziff. 3). Ob die genannten Anforderungen mit
Art. 31 BV
vereinbar sind, prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei und nicht auf Willkür hin (
BGE 88 I 68
E. 5 a.E.).
6.
Der Regierungsrat hält die Erfordernisse des Geschäftsdomizils und des an diesem Standort eingerichteten Pikettdienstes für zulässig, weil die ortsansässigen Installationsfirmen der Bevölkerung jederzeit zur Verfügung stünden und besser in der Lage seien, bei Notfällen rasche und wirksame Hilfe zu leisten.
In der Tat haben die Installateure die Hausinstallationen nicht nur zu erstellen, sondern an ihnen auch Reparaturen vorzunehmen und Störungen zu beheben. Es trifft weiter zu, dass solche Arbeiten mitunter unverzüglich auszuführen sind, damit eine genügende Wasserversorgung sichergestellt und umfangreicher
BGE 94 I 18 S. 27
Wasserschaden vermieden werden kann. Wie das Bundesgericht schon in
BGE 88 I 70
erklärt hat, liegt es deshalb auch im öffentlichen Interesse, wenn von den Installateuren verlangt wird, dass sie imstande seien, derartige Reparaturen jederzeit ohne Verzug auszuführen. Das Bundesgericht erkannte jedoch im gleichen Urteil ebenfalls, die Möglichkeit zur sofortigen Ausführung dringlicher Reparaturen bestehe nicht nur innert der Grenzen eines Gemeindegebietes, sondern erstrecke sich soweit, als die Entfernung und Strassenverhältnisse zwischen der Werkstätte des Installateurs und dem Kunden sowie die zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel ein rasches Eingreifen in Notfällen gestatten.
Die in Biel ansässige Beschwerdeführerin, welche unbestrittenermassen über 10 mit Funkruf ausgestattete Servicewagen verfügt, glaubt dieser Anforderung auch in Grenchen genügen zu können. Demgegenüber wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, die 12 km lange Strecke zwischen Biel und Grenchen könne nur im günstigsten Fall, während der verkehrsfreien Zeit, in 15 Minuten durchfahren werden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie sei in dringenden Fällen in Grenchen ebenso rasch zur Stelle wie das ortsansässige Gewerbe, überzeuge deshalb nicht.
a) Wäre im vorliegenden Fall allein auf Tatsachen abzustellen, zu deren Würdigung die über eine bessere Ortskenntnis verfügende kantonale Behörde geeigneter ist als das Bundesgericht, dann hätte sich dieses auch im Bereich von
Art. 31 BV
auf eine Willkürprüfung zu beschränken (vgl.
BGE 93 I 412
E. 4 mit Zitaten). Die auf der Strecke Biel-Grenchen herrschenden Strassen- und Verkehrsverhältnisse, örtliche Gegebenheiten also, sind hier jedoch insofern nicht entscheidend, als sie nicht vom Üblichen abweichen und die Beschwerdeführerin zudem unbestrittenermassen über 10 mit Funkstationen ausgerüstete Servicewagen verfügt. Ob es sich auch unter solchen Umständen rechtfertige, ihr die Installationsbewilligung zu verweigern, hängt somit im wesentlichen von einer Tatsachenwürdigung ab, die das Bundesgericht frei überprüfen kann.
b) Der Regierungsrat vermag nicht zu bestreiten, dass der sog. Autoruf, mit welchem 10 Servicewagen der Beschwerdeführerin ausgestattet sind, dem Reparaturdienst eine Beweglichkeit gibt, wie sie ohne solche Funkausrüstung schwerlich erreicht werden könnte. Gerade in dringenden Fällen erlaubt
BGE 94 I 18 S. 28
eine derartige Betriebsorganisation, rasch einzugreifen, weil die Zentrale per Funk unverzüglich denjenigen Servicewagen zur Reparatur beordern kann, dessen Standort dannzumal als der günstigste erscheint. Angesichts der Zahl der zur Verfügung stehenden Fahrzeuge und des unbestrittenermassen ausgedehnten Einsatzgebietes der Beschwerdeführerin ist es dabei sehr wohl möglich, dass der betreffende Servicewagen eine kürzere Strecke zurückzulegen haben wird als die im angefochtenen Entscheid erwähnten 12 km.
Aber auch wenn der Einsatz von Biel aus erfolgen sollte, liesse sich die angefochtene Verweigerung der Installationsbewilligung unter dem Gesichtspunkt von
Art. 31 BV
nicht hinreichend rechtfertigen. Dass die mit den genannten modernen Verbindungsmitteln arbeitende Beschwerdeführerin zur Vornahme dringender Reparaturen in Grenchen von vornherein ungeeigneter sei als eine Firma, deren Werkstätte sich am Ort selber befindet, kann auch für diesen Fall nicht als erwiesen gelten. Weder verpflichtet nämlich die Grenchener "Konzessions"-Verordnung die ortsansässigen Installateure dazu, einen mit Funk ausgerüsteten Reparaturdienst zu unterhalten, noch schreibt sie ihnen das Bereitstellen einer ständigen Einsatzreserve am Geschäftsdomizil vor. Sichere Gewähr dafür, dass jeglicher Schaden an sanitären Hausinstallationen jederzeit und innert nützlicher Frist behoben werde, vermögen somit auch die Grenchener Firmen nicht zu bieten. Die Beschwerdeführerin ihnen gegenüber zu benachteiligen, nur weil sie in Grenchen kein Geschäftsdomizil unterhält, lässt sich daher mit
Art. 31 BV
nicht vereinbaren.
Abgesehen davon würde die Distanz von 12 bis 14 km, insbesondere wenn man sie mit der Betriebsorganisation der Beschwerdeführerin in Beziehung setzt, selbst bei ungünstigsten Strassen- und Verkehrsverhältnissen noch einen wirkungsvollen Reparaturdienst erlauben. Sie liegt immerhin deutlich unter dem Rahmen von 20-30 km, bei welchem nach Ansicht der Schweiz. Kartellkommission der Reparaturservice "kaum" behindert wird (vgl. Veröffentlichungen der Schweiz. Kartellkommission 1967 S. 178).
Werden aber im vorliegenden Fall nach dem Gesagten die in Art. 1 Ziff. 1 und 3 der "Konzessions"-Verordnung aufgestellten Erfordernisse des Geschäftsdomizils und des an diesem Ort eingerichteten Pikettdienstes durch den damit
BGE 94 I 18 S. 29
verfolgten Zweck nicht mehr gedeckt, dann widerspricht der angefochtene Entscheid, der sie anwandte, dem
Art. 31 BV
und muss aufgehoben werden. Der Regierungsrat wird zudem anzuordnen haben, dass der Beschwerdeführerin die verlangte Installationsbewilligung erteilt werde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 10. Oktober 1967 aufgehoben und der Regierungsrat angewiesen, die Erteilung der von der Beschwerdeführerin verlangten Bewilligung anzuordnen. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4264be0-13ed-4b6f-8050-c6e60b71055e | Urteilskopf
125 I 127
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Dezember 1998 i.S. Demokratische JuristInnen der Schweiz (DJS) und Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anonymität von V-Personen im Strafverfahren, Revision der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft,
Art. 4 BV
und Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK.
Befragung von Belastungszeugen und Verwertbarkeit anonymer Zeugnisse im Lichte der Rechtsprechung zum Gebot eines fairen Verfahrens (E. 6).
Allgemeine Hinweise zum Zeugenschutz (E. 7).
Schwierigkeiten einer effektiven Verteidigung angesichts von Aussagen anonymer Zeugen (E. 8). Ausgleich durch Verfahrensmassnahmen (E. 9). Abwägung der entgegenstehenden Interessen; verfassungs- und konventionskonforme Anwendung der Bestimmungen über die Aufrechterhaltung der Anonymität von V-Personen (E. 10). | Sachverhalt
ab Seite 128
BGE 125 I 127 S. 128
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft unterbreitete dem Landrat des Kantons Basel-Landschaft im Herbst 1995 eine Vorlage für ein einheitliches neues Polizeigesetz. Diese enthielt einen Abschnitt über den Einsatz von V-Personen, welcher in die Strafprozessordnung eingefügt werden sollte. Der Landrat hat die Änderung der Strafprozessordnung formell von der Vorlage des Polizei-gesetzes abgetrennt. Am 28. November 1996 hat er die Bestimmungen über den Einsatz von V-Personen beschlossen und das Gesetz betreffend die Strafprozessordnung (StPO) verabschiedet. Dieses ist in der Volksabstimung vom 2. März 1997 angenommen worden.
Das Gesetz betreffend die Strafprozessordnung hat folgenden Wortlaut:
§ 100e Anordnung, Genehmigung des Einsatzes und Vertraulichkeitszusage
1 Als V-Person im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer:
a. aufgrund eines besonderen Auftrages im Rahmen der Strafverfolgung zur Aufklärung einer schweren Straftat eingesetzt wird und
b. konkretisierend auf das Handlungsgeschehen einwirkt, ohne gegenüber Dritten Identität und Funktion offen zu legen.
2 Der Statthalter oder die Statthalterin kann den Einsatz von V-Personen anordnen. Die Anordnung ist zu begründen und bedarf der Genehmigung durch die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
3 Die Anordnung bleibt höchstens drei Monate in Kraft. Sie kann durch den Statthalter oder die Statthalterin in begründeten Fällen um jeweils höchstens drei Monate verlängert werden. Die Verlängerung bedarf der Genehmigung durch die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
4 Die Genehmigung kann auf begründeten Antrag des Statthalters oder der Statthalterin mit der Vertraulichkeitszusage verbunden werden. Die Vertraulichkeit wird zugesagt, wenn zureichende Gründe zur Befürchtung Anlass geben, dass der V-Person oder Dritten bei Bekanntwerden der wahren Identität schwerwiegende Nachteile drohen.
BGE 125 I 127 S. 129
5 Durch die Vertraulichkeitszusage wird die wahre Identität der V-Person auch nach Abschluss eines Einsatzes geheimgehalten, insbesondere im gerichtlichen Verfahren und in den Verfahrensakten.
6 Ungeachtet der Vertraulichkeitszusage teilt die präsidierende Person der Überweisungsbehörde die wahre Identität dem Präsidenten oder der Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts auf Anfrage hin mit. Diese sind ihrerseits gebunden an die Vertraulichkeitszusage gegenüber Dritten, eingeschlossen die Richterinnen und Richter.
§ 100f Voraussetzungen des Einsatzes
1 Der Einsatz von V-Personen ist zulässig, wenn:
a. die Schwere der Straftat, für die Tatverdacht besteht, diese Massnahme rechtfertigt, und
b. andere Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind oder weniger eingreifende Massnahmen wahrscheinlich nicht ausreichen.
2 Die Straftat wiegt insbesondere schwer, wenn es sich um ein Verbrechen handelt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Bezüge zur organisierten Kriminalität aufweist.
§ 100g Instruktion, Begleitung und Überwachung des Einsatzes von V-Personen
1 Das Statthalteramt instruiert, begleitet und überwacht die V-Personen.
2 Die V-Personen berichten dem Statthalteramt regelmässig über ihren Einsatz und über ihre Feststellungen.
3 Den V-Personen dürfen keine Erfolgsprämien ausgerichtet werden.
4 Der Einsatz der V-Personen, insbesondere Instruktion, Berichterstattung und Überwachung werden aktenmässig festgehalten.
5 Die Akten über nichtbeschuldigte Personen werden vernichtet, wenn sie für das Verfahren nicht mehr benötigt werden, spätestens jedoch mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.
§ 100h Unzulässiges Verhalten der V-Personen
1 Die V-Personen dürfen keine Aktivitäten entfalten, die geeignet sind:
a. den Tatentschluss der verdächtigten Person hervorzurufen;
b. den bestehenden Tatentschluss zu erweitern.
2 Überschreiten die V-Personen die Schranken des zulässigen Verhaltens, so dürfen die dadurch unmittelbar gewonnenen Erkenntnisse nicht zum Nachteil der angeschuldigten Person verwendet werden.
§ 100i Abbruch des Einsatzes der V-Personen
Der Statthalter oder die Statthalterin bricht den Einsatz von V-Personen unverzüglich ab, wenn
a. die Voraussetzungen des Einsatzes nicht mehr erfüllt sind,
b die V-Personen die Grenzen des zulässigen Einsatzes überschritten haben,
BGE 125 I 127 S. 130
c. die V-Personen in schwerwiegender Weise von den Instruktionen abgewichen sind.
§ 100k Mitteilungspflicht
1 Spätestens nach Abschluss der Strafuntersuchung ist den betroffenen Personen mitzuteilen, dass die Massnahme des Einsatzes von V-Personen gegen sie ergriffen worden ist.
2 Die Mitteilung kann jedoch mit Zustimmung des Präsidenten oder der Präsidentin der Überweisungsbehörde unterbleiben, wenn für ein laufendes oder für ein unmittelbar bevorstehendes Strafverfahren schwere Nachteile, die den Verzicht auf die Mitteilung überwiegen, zu befürchten wären.
3 Der Statthalter oder die Statthalterin informiert die präsidierende Person der Überweisungsbehörde über den Abschluss des Einsatzes der V-Person.
§ 100l Zufallsfunde
Werden den V-Personen bei der ordnungsgemässen Auftragserfüllung andere Straftaten als die in der Anordnung aufgeführten bekannt, so können diese mit nachträglicher Genehmigung der präsidierenden Person der Überweisungsbehörde verfolgt werden, wenn auch bezüglich dieser Straftaten die Voraussetzungen des Einsatzes von V-Personen gemäss § 100f erfüllt waren.
§ 100m Einvernahme als Zeuge oder als Zeugin
1 Die angeschuldigte Person hat das Recht, die V-Personen vor Gericht als Zeugen oder als Zeuginnen befragen zu lassen.
2 Das Gericht trifft die für den Schutz der V-Personen und für die Einhaltung der Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Es kann zu diesem Zweck:
a. auf die Bekanntgabe der Personalien der V-Personen verzichten,
b. die Öffentlichkeit für die Befragung der V-Personen ausschliessen,
c. durch geeignete Massnahmen wie optische Abschirmung oder Stimmenverzerrung die Identität der V-Personen verbergen.
3 Bei Vorliegen der Vertraulichkeitszusage ist in jedem Fall auf die Bekanntgabe der Personalien der V-Personen zu verzichten.
4 In den Fällen von Absatz 2 vergewissert sich der Präsident oder die Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts, dass die V-Person glaubwürdig ist.
§ 100n Akteneinsichtsrecht
1 Die angeschuldigte Person hat das Recht, in die Akten über den Einsatz der V-Personen Einsicht zu nehmen.
2 Die Akteneinsicht wird verweigert oder eingeschränkt, soweit dies aufgrund der Vertraulichkeitszusage, eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder eines überwiegenden Interesses einer Drittperson oder der V-Person erforderlich erscheint.
BGE 125 I 127 S. 131
3 Der Statthalter oder die Statthalterin ist für die Gewährung der Akteneinsicht zuständig.
Die Regionalgruppe Basel des Vereins Demokratische JuristInnen der Schweiz (DJS) und weitere Mitbeteiligte fechten die Änderung der Strafprozessordnung mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. Sie machen hinsichtlich der Anonymität von V-Personen eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Verteidigungsrechte im Strafverfahren geltend und verlangen die Aufhebung von
§ 100e Abs. 5 und Abs. 6 und
§ 100m Abs. 4 StPO
.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die angefochtene Revision der Strafprozessordnung enthält Regeln über den Einsatz von V-Personen. Die Bestimmungen umschreiben allgemein die Anordnung, die Voraussetzungen, die Art, die Instruktion und Überwachung und den Abbruch von V-Personen-Einsätzen. Im Speziellen sind die Vertraulichkeitszusage an V-Personen und ihr Auftreten vor Gericht geregelt.
Die Beschwerdeführer fechten nicht die ganze StPO-Revision an. Insbesondere machen sie nicht geltend, der Einsatz von V-Personen als solcher und die Voraussetzungen hierfür hielten vor Verfassung und Konvention nicht stand. Trotz ihrer Zweifel am Ausnahmecharakter der Vertraulichkeitszusage, an der Wirksamkeit der richterlichen Genehmigung und an den Schutzmassnahmen anlässlich der gerichtlichen Einvernahmen machen sie daraus keine eigenständigen Beschwerdepunkte.
Zur Hauptsache konzentrieren die Beschwerdeführer ihre Rügen auf die Frage der Vertraulichkeitszusage und die Garantie der Anonymität. Sie sind der Auffassung, die Ordnung der Vertraulichkeitszusage sei mit den Verteidigungsrechten, wie sie sich aus
Art. 4 BV
sowie Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK ergeben, nicht vereinbar, weil der Beschuldigte in Anbetracht der Anonymität die Glaubwürdigkeit der V-Person nicht wirksam in Frage stellen könne. (...)
6.
a) Die Beschwerdeführer berufen sich zur Hauptsache auf Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK. Danach hat jedermann allgemein Anspruch auf ein faires Verfahren; der Angeschuldigte hat im Speziellen das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen
BGE 125 I 127 S. 132
unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.
Die Garantien von
Art. 6 Ziff. 3 EMRK
stellen besondere Aspekte des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
dar (Urteil Kostovski gegen Niederlande, Serie A Nr. 166, Ziff. 39; Urteil Lüdi gegen die Schweiz, Serie A Nr. 238 = EuGRZ 1992 S. 300, Ziff. 43; Urteil Doorson gegen Niederlande, Recueil 1996 S. 446, Ziff. 66; Urteil van Mechelen gegen Niederlande, Recueil 1997 S. 691, Ziff. 49). Der Gerichtshof betrachtete Beschwerden betreffend die Befragung von Belastungs- und Entlastungszeugen bzw. von anonymen Zeugen unter dem kombinierten Gesichtswinkel von Ziff. 1 und Ziff. 3 des
Art. 6 EMRK
(vgl. die vorgenannten Urteile). Auch für den vorliegenden Fall sind die spezifischen Aspekte der Befragung von Zeugen am allgemeinen Prinzip des fairen Verfahrens zu messen.
Dabei ist der Begriff des Zeugen entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs autonom und ohne formelle Bindung an das nationale Recht auszulegen. Als Aussagen von Zeugen werden all jene betrachtet, die formell zugelassen sind, dem Gericht zur Kenntnis kommen und von ihm verwendet werden können; auch in der Voruntersuchung gemachte Aussagen vor Polizeiorganen werden als Zeugenaussagen betrachtet (Urteil Unterpertinger gegen Österreich, Serie A Nr. 110 = EuGRZ 1987 S. 147, Ziff. 31; Urteil Windisch gegen Österreich, Serie A Nr. 186, Ziff. 23; Urteil Delta gegen Frankreich, Serie A Nr. 191-A, Ziff. 34; Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Artner gegen Österreich, Serie A Nr. 242-A = EuGRZ 1992 S. 476, Ziff. 19; Urteil Asch gegen Österreich, Serie A Nr. 203 = EuGRZ 1992 S. 474, Ziff. 25; Urteil Vidal gegen Belgien, Serie A Nr. 235-B = EuGRZ 1992 S. 440, Ziff. 33; Urteil Pullar gegen Grossbritannien, Recueil 1996 S. 783, Ziff. 45).
b) Allgemein spricht der Gerichtshof davon, dass alle Beweise normalerweise in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vorgebracht werden müssen. Das bedeutet indessen nicht, dass ein Zeuge stets vor Gericht und öffentlich auszusagen hätte. Daher ist die Verwendung von Aussagen, die im Vorverfahren gemacht worden sind, als solche nicht unvereinbar mit den Garantien von
Art. 6 EMRK
, sofern die Rechte der Verteidigung respektiert worden sind. In der Regel erfordern diese Rechte, dass der Angeklagte eine angemessene und ausreichende Gelegenheit zur Widerlegung und Befragung eines Belastungszeugen entweder zu dem Zeitpunkt, zu dem
BGE 125 I 127 S. 133
dieser seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium erhält (Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 31; Urteil Kos-tovski, a.a.O., Ziff. 41; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 26; Urteil Asch, a.a.O., Ziff. 27; Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 47; Urteil Isgrò gegen Italien, Serie A Nr. 194-A, Ziff. 34; Urteil Ferrantelli gegen Italien, Recueil 1996 S. 937, Ziff. 51; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 51).
Das Bundesgericht hat sich in seiner Rechtsprechung verschiedentlich zur Garantie von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
ausgesprochen (
BGE 124 I 274
E. 5 S. 284;
BGE 116 Ia 289
E. 3 S. 291;
BGE 118 Ia 327
;
BGE 118 Ia 457
E. 2 S. 458;
BGE 118 Ia 462
E. 5 S. 468;
BGE 120 Ia 48
E. 2b/aa S. 50 und E. 2e S. 54;
BGE 121 I 306
E. 1 S. 307). Es hat in Anlehnung an die Urteile des Gerichtshofes ausgeführt, dass Beweise im Hinblick auf ein kontradiktorisches Verfahren grundsätzlich in Anwesenheit des Beschuldigten zu erheben seien, indessen auch ein Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung zulässig sei. Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren sei, dass der Beschuldigte belastende Aussagen bestreiten und den Zeugen in kontradiktorischer Weise Fragen stellen kann. Eine einmalige Gelegenheit hierfür genüge. Erforderlich sei dabei, dass die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann.
In gleicher Weise wie der Gerichtshof stellt auch das Bundesgericht den Anspruch auf Befragung von Belastungszeugen in den Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren und der Wahrung der Verteidigungsrechte (
BGE 116 Ia 289
S. 292;
BGE 114 Ia 179
E. a S. 180). Es soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wird, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen (
BGE 104 Ia 314
E. 4c S. 318;
BGE 116 Ia 289
E. 3a S. 291;
BGE 118 Ia 462
E. 5c/bb S. 472). Dieser Anspruch wird heute auch als Teilgehalt aus
Art. 4 BV
abgeleitet (
BGE 114 Ia 179
E. a S. 180;
BGE 103 Ia 490
S. 491;
BGE 120 Ia 48
E. b/aa S. 50; die frühere Rechtsprechung hielt dafür, dass der Anspruch aus
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
über den Gehalt von
Art. 4 BV
hinausgehe,
BGE 104 Ia 314
E. 4c S. 317;
BGE 105 Ia 396
E. 3b S. 396; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 141 und 246).
c) Diese allgemeinen Ausführungen von Gerichtshof und Bundesgericht zu
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
sind im Folgenden auf ihre einzelnen Elemente (E. c) und die Problematik der Anonymität (E. d) hin zu analysieren, um hernach die angefochtenen Bestimmungen daran messen zu können.
BGE 125 I 127 S. 134
aa) Gerichtshof und Bundesgericht führen aus, dass Beweise in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vor dem Richter vorzubringen seien, das Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung aber mit Konvention und Bundesverfassung unter Vorbehalt der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar sei (vgl. die obenstehenden Hinweise in E. 6b). Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass weder Bundesverfassung noch Menschenrechtskonvention einen Anspruch auf schrankenlose Geltung des Unmittelbarkeitsprinzips im Beweisverfahren einräumten und daher kein Anspruch auf Einvernahme von Zeugen vor dem Richter in der Hauptverhandlung bestehe (
BGE 113 Ia 412
S. 419 f.;
BGE 116 Ia 289
E. 3a S. 291;
BGE 115 II 129
E. 6a S. 133; ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 153 und 195). Die Unmittelbarkeit ist kein eigenständiger Verfassungsgrundsatz, wird im Einzelnen durch das Verfahrensrecht umschrieben (
BGE 119 Ib 311
E. 7a S. 331;
BGE 113 Ia 412
E. 2c S. 417) und steht mit dem Anspruch des Beschuldigten auf Zeugenbefragung nicht in direktem Zusammenhang. Wesentlich im vorliegenden Zusammenhang ist einzig die Wahrung der Verteidigungsrechte und die Möglichkeit des Beschuldigten, in angemessener und tatsächlich wirksamer Weise Fragen an die Zeugen zu stellen.
bb) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts untersteht das Recht, Belastungs- und Entlastungszeugen zu befragen, dem (kantonalen) Verfahrensrecht. Entsprechende Gesuche um Zeugenbefragungen sind daher den Behörden formgerecht einzureichen. Der Beschuldigte kann den Behörden grundsätzlich keinen Vorwurf machen, gewisse Zeugen nicht vorgeladen zu haben, wenn er es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht die entsprechenden Beweisanträge zu stellen (
BGE 121 I 306
E. 1b S. 309;
BGE 120 Ia 48
E. 2e/aa S. 54;
BGE 118 Ia 462
E. 5b S. 470;
BGE 105 Ia 396
E. 3b S. 397;
BGE 104 Ia 314
E. 4c S. 319). In ähnlicher Weise verneinte der Gerichtshof trotz Fehlens der Anhörung eines Zeugen durch das Gericht eine Verletzung der Konvention, weil der Rechtsvertreter die erforderlichen Schritte nicht unternommen und insbesondere die Anhörung nicht verlangt hatte (Urteil Bricmont gegen Belgien, Serie A Nr. 158, Ziff. 87 f.; Urteil Pullar, a.a.O., Ziff. 46; vgl. zusätzlich Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Auflage 1996, Rz. 99 zu Art. 6 a.E. mit Fn. 444).
cc) Die Bestimmung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
nennt die Befragung sowohl von Belastungs- als auch von Entlastungszeugen
BGE 125 I 127 S. 135
in einem Zuge und hebt die Verbindung durch den Hinweis auf «dieselben Bedingungen» speziell hervor. Dennoch sind Ladung und Befragung von Belastungszeugen und von Entlastungszeugen voneinander zu trennen.
Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt ein absoluter Charakter zu. Es soll garantiert werden, dass keine Verurteilung sich auf Aussagen stützt, zu denen sich der Beschuldigte nicht hat äussern und deren Urheber er nicht hat befragen können. Dies gehört zu den Grundzügen des fair trial und des rechtsstaatlichen Verfahrens nach
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 4 BV
. Die Bestimmung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
wurde daher mangels Gelegenheit zur Befragung von Belastungszeugen in verschiedenen Urteilen als verletzt erachtet (Urteil Delta, a.a.O., Ziff. 32-37; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 34; Urteil Bricmont, a.a.O., Ziff. 78-85; Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 28 ff.;
BGE 118 Ia 327
;
BGE 118 Ia 457
;
BGE 121 I 306
).
Demgegenüber ist das Recht, Entlastungszeugen zu laden und zu befragen, nur von relativer Natur. Der Richter hat nur solche Beweisbegehren, Zeugenladungen und Fragen zu berücksichtigen und zuzulassen, die nach seiner Würdigung rechts- und entscheidungserheblich sind. Der Gerichtshof verlangt gestützt auf
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
nicht die Befragung jedes Entlastungszeugen; die Bestimmung bezweckt, wie der Hinweis auf «dieselben Bedingungen» zeigt, die Herstellung der vollen Waffengleichheit auch im Bereiche der Entlastungszeugen (Urteil Engel gegen Niederlande, Serie Nr. 22, Ziff. 91 = EuGRZ 1976 S. 221; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 33; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 82; vgl. auch Sondervotum Trechsel zum Bericht der Kommission i.S. Unterpertinger, EuGRZ 1987 S. 153; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Rz. 99 und 202 zu Art. 6). In diesem Sinne lässt auch das Bundesgericht die Abweisung von Beweisbegehren und Zeugenbefragungen wegen Untauglichkeit oder in antizipierter Beweiswürdigung zu (ohne dies explizit auf Entlastungszeugen zu beschränken,
BGE 121 I 306
E. 2b S. 308;
BGE 103 Ia 490
S. 491; vgl. aus der nicht publizierten Rechtsprechung Urteil i.S. O. vom 24. November 1997; vgl. HAEFLIGER, Die EMRK und die Schweiz, a.a.O., S. 150 und 196).
dd) Das strenge Erfordernis des Anspruchs auf Befragung von Belastungszeugen erfährt in der Praxis eine gewisse Abschwächung: Es gilt uneingeschränkt nur in all jenen Fällen, in denen dem streitigen Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, das Zeugnis also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (vgl.
BGE 125 I 127 S. 136
Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 33; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 34; Urteil Delta, a.a.O., Ziff. 37; Urteil Bricmont, a.a.O., Ziff. 83 f.). In diesem Sinne hat der Gerichtshof trotz der absoluten Natur des Rechts des Beschuldigten auf Befragung von Belastungszeugen Konventionsverletzungen in verschiedenen Konstellationen verneint. Er führte aus, es sei nicht in allen Fällen möglich, dem Anspruch auf Konfrontation praktisch gerecht zu werden. Wenn der Zeuge aus äusseren Umständen, die die Behörden nicht zu vertreten haben, nicht einvernommen und dem Beschuldigten nicht gegenübergestellt werden konnte, hat der Gerichtshof unter den besondern Umständen des Einzelfalles eine Konventionsverletzung verneint: Im Fall Ferrantelli war der Zeuge verstorben (a.a.O., Ziff. 52), im Fall Artner und Doorson war ein Zeuge trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar (Urteil Artner, a.a.O., Ziff. 21 f.; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 79) und im Fall Asch berief sich die Anzeigerin und Zeugin auf ihr Aussageverweigerungsrecht (a.a.O., Ziff. 30 f.; vgl. immerhin das Urteil Unterpertinger, in dem die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor der Feststellung einer Konventionsverletzung bewahrte, weil das Zeugnis ausschlaggebend war, a.a.O., Ziff. 30 ff.). In all diesen Fällen war von Bedeutung, dass das belastende Zeugnis nicht den einzigen oder den ausschlaggebenden Beweis darstellte.
Im gleichen Sinne führte auch das Bundesgericht aus, unter besondern Umständen wie dem Tod eines Zeugen oder dessen vorübergehenden oder dauernden Einvernahmeunfähigkeit müsse vom Grundsatz der direkten Befragung abgewichen werden können und dürfe auf ein früheres Zeugnis abgestellt werden. Denn es könne nicht dem Sinn der Konvention entsprechen, den Angeklagten in einem Mordprozess freizusprechen und eine Zeugenaussage unberücksichtigt zu lassen, wenn der Tatzeuge vor der Konfrontation, aber nach der polizeilichen Befragung stirbt. Ferner könne unter Umständen von einer direkten Konfrontation abgesehen werden, wenn sich der Zeuge vor dem Beschuldigten fürchtet, wenn sich der Zeuge in erheblicher Entfernung befindet oder bei Sexualdelikten; diesfalls könne es bei schriftlichen Ergänzungsfragen sein Bewenden haben (
BGE 105 Ia 396
S. 397 f.).
ee) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts genügt grundsätzlich eine einmalige Gelegenheit des Beschuldigten, einen Belastungszeugen zu befragen; es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf eine weitere Befragung (vgl. oben E. 6b). Die Befragung kann im Zeitpunkt des Zeugnisses
BGE 125 I 127 S. 137
selbst (etwa dadurch, dass der Beschuldigte der Zeugenbefragung direkt beiwohnt) oder später erfolgen. Erforderlich zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist, dass die Gelegenheit der Befragung angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Diesen Anforderungen genügte in einem konkreten Fall die Befragung eines ausschlaggebenden Belastungszeugen ohne Beisein des Rechtsvertreters nicht; der Beschuldigte hatte seine Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren nicht gleich wirksam ausüben können, wie dies bei Anwesenheit eines Rechtsbeistandes der Fall gewesen wäre (
BGE 116 Ia 289
E. 3c S. 293, mit Verweis auf den Kommissionsbericht im Fall Isgrò, in dem der Gerichtshof in der Folge eine Verletzung verneinte). Sachliche Gründe, welche eine persönliche Konfrontation mit dem Belastungszeugen zumindest erschweren können, liegen vor, wenn die Einvernahme von Personen im Ausland kommissarisch vorgenommen werden muss. Der Beschuldigte hat diesfalls Anspruch darauf, Einsicht in das Protokoll zu nehmen und nachträglich schriftliche Ergänzungsfragen zu stellen, auch wenn er im konkreten Fall Gelegenheit zum Erstellen eines Fragenkataloges hatte und sein Rechtsvertreter bei der Einvernahme im Ausland zugegen war (
BGE 118 Ia 462
E. 5b S. 470).
ff) Zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist erforderlich, dass die Gelegenheit der Befragung eines Belastungszeugen angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert auf die Probe und in Frage stellen zu können. Grundsätzlich muss es ihm auch möglich sein, die Identität eines Zeugen zu erfahren, um dessen persönliche Glaubwürdigkeit sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe (Verwandtschaftsverhältnisse, persönliche Beziehungen) überprüfen zu können (
BGE 118 Ia 457
E. 3b-c S. 461). Dies führt zur Problematik der Aussagen von anonymen Zeugen.
d) In diesem Sinne stellt sich die Frage nach der Verwertbarkeit von Aussagen, die von Personen stammen, die anonym bleiben wollen. Solche Personen können zufällig oder im Rahmen eines V-Personen-Einsatzes Zeugen von Ereignissen geworden sein und aus verschiedenen Gründen ihre Anonymität bewahren wollen.
aa) Wie oben dargelegt (E. 6c/aa), ist das Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts mit Konvention und Bundesverfassung
BGE 125 I 127 S. 138
unter Vorbehalt der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar. Dies verhält sich grundsätzlich nicht anders, wenn es sich um anonyme Aussagen aus der Voruntersuchung handelt; ihre Verwendung steht nicht in jedem Falle mit der Konvention im Widerspruch (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 69; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 52). Ihre Verwendung zur Begründung eines Schuldspruches wirft indessen besondere Probleme in Bezug auf die Wahrung der Verteidigungsrechte auf (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 69; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 52 ff.).
bb) Gegenüber anonymen Aussagen ist die Verteidigung mit besondern und unüblichen Problemen konfrontiert (Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 54; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42). Diese werden in der Strassburger Rechtsprechung als «handicap presque insurmontable» bezeichnet (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28). Der Beschuldigte ist nach der Auffassung des Gerichtshofes durch die Aufrechterhaltung der Anonymität des Anzeigers oder Zeugen in seinem Befragungsrecht beschränkt. Er verfügt nicht über die notwendigen Kenntnisse, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel zu ziehen, dessen Befangenheit oder feindliche Einstellung darzulegen oder eigentliche Verwechslungen oder gar falsche Anschuldigungen aufzudecken (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28). Nur in Kenntnis der Identität des Zeugen können persönliche Glaubwürdigkeit sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe (wie Verwandtschaftsverhältnisse oder persönliche Beziehungen) überprüft werden (
BGE 118 Ia 457
E. 3c S. 461).
cc) Die Rechtsprechung anerkennt die Interessen für die Geheimhaltung der Identität von Zeugen. Zum einen können diese in ihrer persönlichen Freiheit gefährdet werden, wenn sie selbst oder ihre Familien bedroht werden oder entsprechende Repressalien befürchten müssen. Gleichen Befürchtungen können Opfer von Straftaten aus dem Umfeld des organisierten Verbrechens und des Terrorismus bzw. im Bereiche von Sittlichkeitsdelikten ausgesetzt werden. Es handelt sich dabei um Interessen, die sowohl durch die Konvention als auch durch die Verfassung geschützt werden. Ebenso ist ein Schutzbedürfnis von V-Personen anerkannt, damit sie auch nach abgeschlossenem Verfahren noch weiterhin im Dienste der Polizei eingesetzt werden können (Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 49; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 70; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 53 und
BGE 125 I 127 S. 139
57;
BGE 118 Ia 457
E. 3b S. 461;
BGE 116 Ia 85
S. 89;
BGE 112 Ia 18
E. 5 S. 24;
103 Ia 490
E. 8 S. 493; Urteil i.S. E. vom 21. März 1995, in: EuGRZ 1995 S. 250 E. 3d S. 253 f. und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107; vgl. auch 105 Ia 396 S. 397 f.). Ganz allgemein hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Mitarbeit der Bevölkerung beim Kampf gegen die (organisierte) Kriminalität von grosser Bedeutung sei (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44).
dd) Der Zeugenschutz darf nicht zu einer untragbaren Schmälerung elementarer Verteidigungsrechte führen (
BGE 118 Ia 457
E. 3b S. 461). Die gegenläufigen Interessen der Verteidigung und der anonymen Zeugen sind im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Die Schwierigkeiten der Verteidigung müssen gewissermassen durch das Verfahren und dessen Ausgestaltung im Einzelfall kompensiert werden (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 70 und 72; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 54). Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob die Umstände aus der Sicht der Verteidigung eine hinreichend effektive Befragung erlauben und daher die Beeinträchtigung in den Verteidigungsrechten auszugleichen vermögen.
Von einer Kompensation in diesem Sinne kann zum Vornherein nicht gesprochen werden, wenn überhaupt keine direkte Befragung durchgeführt wird. In der Sache Windisch konnte der Beschuldigte unmittelbar nur die Untersuchungsbeamten und diejenigen Polizeibeamten befragen, welche die Anzeige von zwei Frauen entgegengenommen hatten; angesichts dieser Umstände wurden dem Beschuldigten seine Verteidigungsrechte übermässig beschränkt (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 27 f.;
BGE 118 Ia 327
E. 2b/aa S. 330; ähnliche Umstände führten im Fall Kostovski zu einer Konventionsverletzung, a.a.O., Ziff. 42). Das Bundesgericht hat Verfassungs- und Konventionsverletzungen festgestellt, wenn eine blosse Befragung derjenigen Person, welche eine Anzeige entgegennahm, bzw. lediglich eine schriftliche Befragung des anonymen Zeugen gewährt wurde (
BGE 118 Ia 327
E. 2b/aa S. 330;
BGE 118 Ia 457
E. 3c S. 462) und keine Befragung stattfand (
BGE 121 I 306
E. 1 S. 307).
Im Fall Doorson erblickte der Gerichtshof eine hinreichende Kompensation in folgenden Umständen: Die beiden anonymen Zeugen wurden zwar in Abwesenheit des Beschuldigten, hingegen in Anwesenheit des Rechtsvertreters von einem Instruktionsrichter der urteilenden Appellationsinstanz befragt, welcher die Identität der Zeugen kannte; der Rechtsvertreter konnte jegliche Fragen stellen.
BGE 125 I 127 S. 140
Der Instruktionsrichter gab einen Bericht zur Glaubwürdigkeit der Zeugen zuhanden des Gerichts ab. Es bestanden keine Zweifel darüber, dass sich die Zeugen in der Person des Beschuldigten nicht irrten. Das Gericht würdigte die Aussagen der Zeugen mit grosser Sorgfalt. Unter diesen Umständen erschienen die Interessen der Verteidigung hinreichend gewahrt (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 72-76).
Das Bundesgericht verneinte eine Verfassungs- und Konventionsverletzung in einem Fall betreffend ein Drogendelikt. Der Beschuldigte wurde in der Untersuchung mit dem maskierten V-Mann «Markus» konfrontiert. Anlässlich der Hauptverhandlung wurde «Markus» ohne Bekanntgabe seiner Personalien in einem Nebenzimmer in der Weise einvernommen, dass ihn der Beschuldigte, sein Rechtsvertreter, die Geschworenen und das Publikum nicht sahen, die Richter hingegen Sichtkontakt hatten. Die akustische Übertragung erfolgte mit technischen Mitteln ohne Stimmveränderung. Der anonyme V-Mann wurde von seinen Vorgesetzten identifiziert und auf Grund der über ihn geführten Kontrolle beurteilt. Ein Polizeibeamter stellte sicher, dass «Markus» allein im Nebenraum war. Der V-Mann konnte auf Grund von Stimmenvergleichen und Tonbändern in seiner dienstlichen Identität klar identifiziert werden. Bei dieser Sachlage konnte er den V-Mann hinreichend befragen und die Überzeugungskraft von dessen Aussagen erschüttern, sodass die Verteidigungsrechte nicht verletzt waren (Urteil vom 21. März 1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107).
Demgegenüber genügten im Fall van Mechelen die folgenden Massnahmen zur hinreichenden Wahrung der Verteidigungsrechte nicht: Die anonymen Zeugen wurden von einem Instruktionsrichter einvernommen; der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter konnten der Einvernahme nur mittels technischer Übertragung beiwohnen; der Instruktionsrichter überprüfte die Identität der Zeugen und gab in einem ausführlichen Bericht seine Beurteilung zur Zuverlässigkeit der Aussagen und zur Glaubwürdigkeit der Zeugen sowie über die Gründe der gewünschten Anonymität ab (Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 59-62).
Bisweilen stellt der Gerichtshof auch darauf ab, ob das urteilende Gericht die unmittelbaren Reaktionen der Zeugen wahrnehmen und sich damit ein Bild über die Glaubwürdigkeit machen kann (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 29; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 43).
BGE 125 I 127 S. 141
Diesem Gesichtspunkt kommt allerdings keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da das Abstellen auf Aussagen und auf Konfrontationen aus der Untersuchung zulässig sein kann.
ee) Allgemein hält der Gerichtshof dafür, dass auch dort, wo Verfahrensumstände die Schwierigkeiten der Verteidigung kompensieren können, eine Verurteilung nicht ausschliesslich auf anonyme Aussagen abgestellt werden könne (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 76; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 55). Die Anonymität scheint damit zu einer absoluten Grenze zu werden wie das oben (E. 6c/dd) beschriebene Erfordernis der Befragung von Belastungszeugen überhaupt. Damit steht allerdings das Urteil des Gerichtshofes i.S. Lüdi in einem gewissen Gegensatz. Danach hätten eine Befragung und Konfrontation mit entsprechender optischer Abschirmung oder unter Einsatz technischer Mittel durchgeführt werden können, welche den Verteidigungsrechten gerecht geworden wären und insbesondere erlaubt hätten, das Zeugnis des V-Mannes ohne Aufdeckung der Identität in Zweifel zu ziehen (Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 49; im gleichen Sinne
BGE 118 Ia 327
S. 331). Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil Doorson die Aufrechterhaltung der Anonymität der beiden (aus der Drogenszene stammenden) Zeugen Y.15 und Y.16 gebilligt (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 68-76). Im gleichen Sinn entschied das Bundesgericht in einer Angelegenheit, in der der V-Mann «Markus» vor dem Geschwornengericht Bern ausgesagt hatte; der V-Mann wurde in seiner Funktion identifiziert und brauchte daher seine private Identität nicht preiszugeben (Urteil vom 21. März 1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Allgemein hat das Bundesgericht festgehalten, es müsse grundsätzlich möglich sein, die Anonymität von Zeugen, Auskunftspersonen, Anzeigern und andern Gewährspersonen im Falle von überwiegenden schutzwürdigen Interessen zu wahren (
BGE 118 Ia 457
E. 3b S. 461).
7.
a) Die Frage nach dem Schutz von Zeugen - unter gleichzeitiger Wahrung der berechtigten Interessen an einer wirksamen Verteidigung - hat in neuerer Zeit grössere Aufmerksamkeit gefunden. Sie steht u.a. im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung im Bereiche des organisierten Verbrechens und des Terrorismus. Diese Schwierigkeiten veranlassen die Strafverfolgungsbehörden, zu ungewöhnlichen Methoden Zuflucht zu nehmen. Sie erfordern auch ein vermehrtes Abstützen auf Aussagen von Opfern, Personen aus der entsprechenden Umgebung und von Gewährspersonen. Mit deren zunehmender
BGE 125 I 127 S. 142
Gefährdung steigt das Bedürfnis nach einem wirksamen Schutz (vgl. KLAUS ZACHARIAS, Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, Berlin 1997, S. 87 ff.; REINHARD BÖTTCHER, Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum, Köln etc. 1993, S. 543 f.; RAINER GRIESBAUM, Der gefährdete Zeuge - Überlegungen zur aktuellen Lage des Zeugenschutzes im Strafverfahren, NStZ 1998 S. 434; KURT REBMANN/HEINZ SCHNARR, Der Schutz des gefährdeten Zeugen im Strafverfahren, NJW 1989 S. 1187). Es gilt, diese Personen - als Korrelat zu der als Bürgerpflicht bezeichneten Zeugnispflicht - allgemein in ihrer Persönlichkeit und speziell vor Belästigung, Einschüchterung, Repressalien, Bedrohungen und langfristigen Nachteilen zu schützen. Gleichermassen soll mit einem derartigen Schutz die zuverlässige Wahrheitsfindung im Strafverfahren - entsprechend der grossen Bedeutung des Zeugenbeweises - sichergestellt werden. Schliesslich ist dem Beschuldigten unter Wahrung der Verteidigungsrechte ein faires Verfahren zu garantieren (vgl. GÜNTER HEINE, Der Schutz des gefährdeten Zeugen im schweizerischen Strafprozess, ZStrR 109/1992 S. 53 ff.; THOMAS HUG, Zeugenschutz im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen der Verfahrensbeteiligten, ZStrR 116/1998 S. 404 ff.; ROBERT ROTH, Protection procédurale de la victime et du témoin: enjeux et perspectives, ZStrR 116/1998 S. 384 f.; Expertenkommission «Vereinheitlichung des Strafprozessrechts», «Aus 29 mach 1», Bern 1997, S. 61 ff.; STEFAN WEHRENBERG, Schutz von Zeugen und Opfern im Militärstrafverfahren, Gutachten für den Oberauditor 1996, S. 5 f. und 7; THOMAS WEIGEND, Empfehlen sich gesetzliche Änderungen, um Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozessrecht besser vor Nachteilen zu bewahren? Gutachten für den 62. Deutschen Juristentag, Teil C, München 1998, S. 13 ff; ZACHARIAS, a.a.O., S. 35 ff., 44 ff., 103 ff. und 111 ff.; GRIESBAUM, a.a.O., S. 433 ff; BÖTTCHER, a.a.O., S. 541 ff.; HEIKE JUNG, Zeugenschutz, GA 1998 S. 313; speziell zum V-Personen-Einsatz Hans Baumgartner, Zum V-Mann-Einsatz unter besonderer Berücksichtigung des Scheinkaufs im Betäubungsmittelverfahren und des Zürcher Strafprozesses, Diss. Zürich 1990; ERNST ROLAND GNÄGI, Materiellstrafrechtliche und strafprozessuale Fragen des Betäubungsmittelscheinkaufs - Ein Beitrag zur V-Mann-Problematik, Diss. Bern 1991; EUGEN THOMANN, Verdeckte Fahndung aus der Sicht der Polizei, ZStrR 111/1993 S. 285; PIERRE JOSET/NIKLAUS RUCKSTUHL, V-Mann-Problematik aus der Sicht der Verteidigung, ZStrR 111/1993 S. 355).
BGE 125 I 127 S. 143
Beim Problemkreis des Zeugenschutzes können verschiedene Kategorien von Zeugen unterschieden werden (vgl. Expertenkommission, a.a.O., S. 61 f.; kritisch dazu JUNG, a.a.O., S. 317; Wehrenberg, a.a.O., S. 9 ff.; REBMANN/SCHNARR, a.a.O., S. 1186). Berufsmässige Zeugen wie z.B. V-Personen, tatbeteiligte Zeugen wie Kronzeugen, Opferzeugen und schliesslich Zufallszeugen. Das Schutzbedürfnis unterscheidet sich entsprechend den einzelnen Kategorien von Zeugen (vgl. ROTH, a.a.O., S. 397 ff). Als Zeugenschutzmassnahmen werden etwa genannt: Zeugnisverweigerungsrechte (u.a. zum Schutz vor Selbstbezichtigung und vor Eingriffen in Privatsphäre), polizeilicher Personenschutz vor, während und nach dem Verfahren, prozessuale Schutzmassnahmen wie Anonymitätsgarantie und optische oder akustische Abschirmung, Ausschluss der Öffentlichkeit, Schutzmassnahmen zu Gunsten von Opfern (vgl.
Art. 5 und 7 OHG
), rechtliche Beratung und schliesslich ausserprozessuale Zeugenschutzprogramme bei hochgradig gefährdeten Zeugen durch Verhelfen einer neuen Identität in einem örtlich und sozial veränderten Umfeld (vgl. allgemein WEIGEND, a.a.O.; ZACHARIAS, a.a.O., S. 117 ff., 217 ff., 284 ff., 354 ff.; GRIESBAUM, a.a.O., S. 436 ff.; WEHRENBERG, a.a.O., S. 62 ff.).
In der Schweiz wird dem allgemeinen Zeugenschutz in den Strafprozessordnungen nur geringe Bedeutung beigemessen; immerhin kennen einzelne Verfahrensordnungen entsprechende Bestimmungen (vgl. Art. 124 Abs. 3 StrV/BE,
§ 47 StPO
/BS, Art. 81 f. und 90 StPO/FR). Mit dem Opferhilfegesetz sind gewisse Schutzmechanismen vorgesehen, die das Opfer auch in seiner Eigenschaft als Zeuge betreffen (vgl.
Art. 5 und 7 OHG
). Im Übrigen richtet sich das Augenmerk in erster Linie auf den Schutz von V-Personen und die Aufrechterhaltung von deren Anonymität (vgl. Expertenkommission, a.a.O., S. 61 ff.). In diesem Sinne hat der Bundesrat eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung verabschiedet und im Entwurf die Anonymitätsgarantie gegenüber V-Personen umschrieben (BBl 1998 4241 sowie Art. 20 des Entwurfs). Ähnlich haben der Kanton Wallis (
Art. 103k StPO
/VS) und der Kanton Bern (Art. 124 StrV/BE) Bestimmungen über den Einsatz und Schutz von V-Personen erlassen. Deutschland hat im Jahre 1992 (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Formen der organisierten Kriminalität) allgemeine Zeugenschutzmassnahmen und insbesondere eine Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern mit der Möglichkeit von deren Identitätsgeheimhaltung in die Strafprozessordnung aufgenommen
BGE 125 I 127 S. 144
(
§ 110a-110e StPO
/D; vgl. Volker Krey, Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, Bundeskriminalamt Wiesbaden, 1993); neuestens ist diese durch das Zeugenschutzgesetz ergänzt worden (BGBl 1998 I 820; vgl. GRIESBAUM, a.a.O., S. 438; BERND SCHÜNEMANN, Der deutsche Strafprozess im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit, StV 1998 S. 391 ff.).
b) Das Ministerkomitee des Europarats hat im Jahre 1997 die Empfehlung «La protection des témoins contre toute manoeuvre d'intimidation et les droits de la défense» verabschiedet (Recommandation no R(97)13 du 10 septembre 1997, avec Exposé des motifs, veröffentlicht in: RUDH 1997 S. 298). Diese geht davon aus, dass Zeugen vermehrt eingeschüchtert würden und deshalb nicht mehr bereit seien, wahrheitsgemäss und vollständig auszusagen. Zeugenaussagen gehörten aber zur Bürgerpflicht und unterstützten die Strafverfolgungsbehörden bei der wirksamen Strafverfolgung. Aus diesen Gründen sollen die Staaten effiziente Massnahmen zum Schutze von Zeugen treffen, gleichzeitig die unverzichtbaren Rechte auf wirksame Strafverteidigung, wie sie sich aus der EMRK und der Rechtsprechung ergeben, wahren.
Im Einzelnen werden allgemeine gesetzgeberische Massnahmen gefordert, welche einerseits der Wahrung der Verteidigungsrechte gerecht werden und andererseits durch den Schutz von Zeugen vor Beeinträchtigungen die Strafverfolgung unterstützen. Das eine Kapitel bezieht sich auf besonders schutzbedürftige Zeugen aus dem Familienkreis wie Kinder, Frauen und ältere Leute (Ziff. 17 ff.). Das andere hat die Massnahmen im Bereiche des organisierten Verbrechens zum Gegenstand: Aussagen aus der Untersuchung sollen vermehrt mit technischen Mitteln aufgenommen und auch vor dem Gericht als (formelles) Zeugnis anerkannt werden (Ziff. 9). Die Zusage der Anonymität an Zeugen soll nur als ausserordentliche Massnahme im Falle wichtiger Zeugnisse bei ernstlicher Gefährdung von Leib und Leben verwendet werden; ein Verfahren der Überprüfung des entsprechenden Zeugen (procédure de vérification) soll dem Beschuldigten ermöglichen, die Gründe für die Geheimhaltung, die Glaubwürdigkeit und den Ursprung der Kenntnisse des Zeugen in Zweifel zu ziehen (Ziff. 10 f.). Allenfalls fällt die Veränderung von Bild und Stimme bei technischen Übertragungen in Betracht (Ziff. 12). Verurteilungen sollen nicht ausschliesslich oder in der Hauptsache auf anonymen Zeugenaussagen beruhen (Ziff. 13). Dies hat beim Festhalten an der Anonymität des
BGE 125 I 127 S. 145
Zeugen schliesslich zur Konsequenz, dass unter Umständen auf eine Anklage verzichtet werden oder ein Angeklagter mangels anderwertiger Beweise freigesprochen werden muss (Ziff. 79 der Motive). Spezielle Programme wie etwa Polizeischutz oder Hilfen zur Veränderung der Identität und des Lebens- und Arbeitsfeldes bei sog. Kronzeugen («collaborateur de justice») können den Zeugenschutz ergänzen (Ziff. 14-16).
Diese Richtlinien des Ministerkomitees beziehen sich in erster Linie auf Zufallszeugen, Opferzeugen und tatbeteiligte Zeugen, die oftmals als Einzige Zeugnis von einem Ereignis ablegen können und wegen ihrer schwachen Position und ihrer ausgesetzten Stellung eines besondern Schutzes bedürfen. Sie umfassen auch V-Personen, deren Schutzbedürfnis durch ihren Dienst für die Strafverfolgungsbehörden und die Exponiertheit ihrer Tätigkeit nicht geringer ist. Hinsichtlich einzelner Schutzmassnahmen gilt es den spezifischen Schutzbedürfnissen der Zeugen Rechnung zu tragen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 10 f.).
c) Empfehlungen des Ministerkomitees stellen keine bindenden Regeln dar, deren Missachtung für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte oder als Verletzung eines Staatsvertrages angefochten werden könnte. Sie haben vielmehr den Charakter von Richtlinien. Da sie aber die gemeinsame Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten des Europarates zum Ausdruck bringen, werden sie vom Bundesgericht bei der Konkretisierung der Grundrechtsgewährleistungen von Bundesverfassung und Menschenrechtskonvention gleichwohl mitberücksichtigt (
BGE 124 I 231
E. 2b/aa S. 236;
BGE 123 I 112
E. 4d/bb S. 121;
BGE 123 I 221
E. II/2b S. 236;
BGE 122 I 222
E. 2a/aa S. 226;
BGE 118 Ia 64
E. 2a S. 70;
BGE 111 Ia 341
E. 3a 345;
BGE 109 Ia 146
S. 151, mit Hinweisen). In diesem Sinne sind die Empfehlungen auch für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zu beachten.
8.
Im Folgenden ist nunmehr mit Bezug auf die Vertraulichkeitszusicherung die Frage der Verletzung von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
sowie allgemein der Verteidigungsrechte und des fair trial zu prüfen. Dabei ist von der obigen Analyse und von den erwähnten Empfehlungen auszugehen: Erforderlich ist die Gelegenheit der Befragung von Belastungszeugen (vorbehältlich ganz besonderer Umstände); diese Gelegenheit muss hinreichend und effektiv sein; bei Gewährung von Anonymität stellen sich besonders heikle Probleme, hinsichtlich derer zu prüfen ist, ob sie durch das Verfahren genügend kompensiert werden.
BGE 125 I 127 S. 146
Hierfür sind als Erstes die Ausgestaltung der Vertraulichkeitszusage und die Art und das Ausmass der Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung in Folge der Anonymität stellen, aufzuzeigen (E. 8 a-e). Hernach ist zu prüfen, inwiefern diese Schwierigkeiten durch das Verfahren ausgeglichen werden (E. 9). Dies wird die Gesamtbeurteilung der Beschwerde erlauben (E. 10).
a)
§ 100e Abs. 4 und 5 StPO
umschreiben die Vertraulichkeitszusage. Diese bedeutet, dass die «wahre Identität» der V-Person (in den Akten sowie gegenüber der Verteidigung und den Richtern) geheimgehalten wird. Nach
§ 100m Abs. 2 und 3 StPO
werden die «Personalien» nicht bekanntgegeben.
Zweck der Vertraulichkeitszusage ist die Geheimhaltung der Identität der V-Personen. Alle Angaben und Hinweise über die Personalien (Name und Adresse), die Familie und das Privatleben, welche entsprechende Schlüsse auf die Person zulassen könnten, sollen vertraulich behandelt werden. Ebenso sind all jene Angaben, welche Aufschluss über dienstliche Stellung und Funktion der V-Person geben, entsprechend geheim zu halten.
Mit dem Institut der Vertraulichkeitszusage bejaht der Gesetz-geber das öffentliche Interesse am Schutz von V-Personen. Dieses Interesse wird mit der Beschwerde nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allgemein wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Gerichtshofes sowie in den genannten Empfehlungen des Ministerkomitees anerkannt, dass Zeugen in einem veränderten Umfeld der Kriminalität und der staatlichen Strafverfolgungsmassnahmen eines vermehrten Schutzes vor Repressalien aller Art bedürfen und dieser Umstand einschränkende Massnahmen rechtfertigen kann. Der Zeugenschutz steht im Dienste der Wahrheitsfindung und ist Korrelat zur Zeugnispflicht (oben E. 6d/cc und 7). Dies betrifft die Zeugen im Allgemeinen und die V-Personen im Dienste der Polizei im Speziellen. Für Letztere steht als Schutzmassnahme die Anonymitätsgarantie im Vordergrund. Die V-Personen sollen in ihrem privaten Bereich vor Repressalien und Druckausübung ebenso geschützt werden wie ein späterer Einsatz im Dienste der Strafverfolgungsbehörden nicht gefährdet oder verunmöglicht werden soll. In diesem Sinne ist für die Beurteilung der angefochtenen Strafprozess-Revision vom Bestehen eines hinreichenden öffentlichen Interesses am Schutz von V-Personen und an der Aufrechterhaltung der Anonymität im Falle der Vertraulichkeitszusage auszugehen (vgl. die in E. 6d/cc zitierten Urteile).
BGE 125 I 127 S. 147
b) Für die Beurteilung der StPO-Revision ist ferner davon auszugehen, dass sie die Einvernahme und Befragung von V-Personen vor dem urteilenden Gericht in der Hauptverhandlung tatsächlich vorsieht. Es ist geradezu der Zweck der Vorlage, die V-Personen im Sinne des Unmittelbarkeitsprinzips in Anwesenheit des Beschuldigten und seines Rechtsvertreters einvernehmen zu lassen, auch wenn gewisse Schutzmassnahmen getroffen werden. Der Gesetzgeber verzichtet insofern auf ein blosses Abstellen auf Beweisergebnisse aus der Voruntersuchung. Die Strafprozessordnung verpflichtet die beamteten V-Personen (im Rahmen der Vertraulichkeitszusage) direkt zur Aussage vor dem Gericht (vgl.
Art. 320 Ziff. 2 StGB
); auch wenn die V-Person nicht Beamter ist, wird sie unmittelbar zur Aussage angehalten (vgl. JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 372). Der Beschuldigte und sein Vertreter haben damit im Sinne von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
die Möglichkeit, der belastenden V-Person direkt vor dem Gericht im Rahmen der Vertraulichkeitszusage Fragen zu stellen bzw. stellen zu lassen. Damit unterscheidet sich die angefochtene Regelung zum Vornherein von jenen Fällen aus der Rechtsprechung, wo eine solche Fragemöglichkeit gerade nicht gegeben war (vgl. oben E. 6c/cc mit Hinweisen auf die Urteile Delta, Vidal, Bricmont und Unterpertinger sowie
BGE 118 Ia 327
, 457 und
BGE 121 I 306
).
c) Die Anonymität des zu befragenden Zeugen stellt die Verteidigung vor besondere Probleme und bedeutet für diese, wie sich der Gerichtshof ausdrückt, ein «handicap presque insurmontable» (oben E. 6d/bb mit Hinweisen auf die Urteile Windisch, van Mechelen und Kostovski). Diese Aussage ist allerdings zu differenzieren. Besondere Schwierigkeiten bietet die Anonymität nur im Hinblick auf die Person des Zeugen selber und die Überprüfung von dessen Glaubwürdigkeit. Hingegen erfährt das Fragerecht wegen der Anonymität keine (wesentlichen) Einschränkungen in Bezug auf den Tathergang selber und die Frage, wie sich die einzelnen Ereignisse abgespielt haben und ob die V-Person über ihren Auftrag hinaus anstiftend aufgetreten ist. Die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussagen der V-Person kann trotz Aufrechterhaltung der Anonymität wirksam in Zweifel gezogen werden. Der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter können jegliche Fragen zum Tathergang stellen bzw. stellen lassen, auf Antworten reagieren und auf allfällige Widersprüche hinweisen, auch wenn der Beschuldigte den V-Mann nur unter dessen Pseudonym kennt.
BGE 125 I 127 S. 148
Anders verhält es sich mit der Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen. Soweit der Beschuldigte die Identität der belastenden V-Person nicht kennt bzw. auf entsprechende Fragen keine Antworten erhält, ist er kaum in der Lage, deren Glaubwürdigkeit unter allen möglichen Aspekten wirksam in Zweifel zu ziehen. Hierfür bedürfte er unter Umständen Kenntnisse über Familienverhältnisse, Werdegang und Ausbildung, allgemeine Persönlichkeit (mit Neigungen, Schwächen und krankhaften Seiten), Lebensverhältnisse oder Beziehungen in privater und beruflicher Hinsicht. Nur in Kenntnis solcher Umstände kann der Angeschuldigte Unglaubwürdigkeitsgründe ableiten, auf Beziehungen zu bestimmten Personen oder Kreisen und entsprechende Interessenkonstellationen hinweisen oder Ablehnungsgründe vorbringen. Von Interesse könnte die Motivation sein, weshalb sich die (auch nicht beamtete) V-Person als verdeckter Ermittler zur Verfügung stellt. Die Verteidigung kann nicht selbst Erkundigungen über die Person des Zeugen einziehen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 51; BAUMGARTNER, a.a.O., S. 324 f.; WEIGEND, a.a.O., S. 39 Fn. 103). Eine Verwechslung, weil die V-Person zu einem bestimmten Zeitpunkt andernorts war, kann nicht nachgewiesen werden. Speziell im Hinblick auf den Einsatz von V-Personen können auch funktionale und berufsspezifische Angaben (Laufbahn, Qualifikationen, Disziplinierungen etc.) für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein, etwa bei Behauptung eines provozierenden, anstiftenden Verhaltens des V-Mannes (vgl. zum Ganzen oben E. 6d/bb mit Hinweisen auf die Urteile Kostovski, Windisch und van Mechelen;
BGE 118 Ia 457
E. 3c S. 461; vgl. Empfehlungen des Ministerkomitees, a.a.O., Ziff. 36 der Motive; BERNARD CORBOZ, L'agent infiltré, in ZStrR 111/1993, S. 332 und Fn 138; GNÄGI, a.a.O., S. 135 ff).
Dies alles zeigt, dass der Beschuldigte - trotz eines weitgehenden Befragungsrechts - in seinen Verteidigungsrechten hinsichtlich der Bestreitung von belastenden V-Personen-Aussagen wesentlich eingeschränkt sein kann.
d) Nach
§ 100m Abs. 2 StPO
trifft das Gericht bei der Einvernahme von V-Personen die für ihren Schutz und die Einhaltung der Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Die Einvernahme kann insbesondere unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder unter optischer und akustischer Abschirmung erfolgen.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit vom Strafverfahren betrifft zwar die allgemeine Garantie von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(vgl. hierzu
BGE 121 I 30
E. 5d S. 35;
BGE 119 Ia 99
E. 4a S. 104, mit Hinweisen).
BGE 125 I 127 S. 149
Er steht indessen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den spezifischen Verteidigungsinteressen des Beschuldigten. Der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Einvernahme der V-Person wirkt sich für die Verteidigung nicht negativ aus - vermag aber auch nur einen beschränkten Schutz der V-Person zu bieten (GNÄGI, a.a.O., S. 133 ff.).
Heikler ist die optische Abschirmung, bei der der Zeuge in einem Nebenzimmer sitzt und entweder mittels technischer Übertragung (vgl. Urteile Doorson und van Mechelen sowie Lüdi) oder gewissermassen durch die offene Türe (vgl. Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107) einvernommen wird (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 67 f.). Sie kann etwa angezeigt sein, wenn sich Beschuldigter und V-Person nur vom Telefon oder von weit zurückliegenden Begegnungen kennen (anders JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 372 f.), fällt indessen weniger in Betracht, wenn sich Beschuldigter und V-Person auf Grund enger Kontakte gut kennen und die Begegnungen nicht weit zurückliegen. Die optische Abschirmung kann auch auf einzelne Personen beschränkt werden (vgl. Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250, wo die Richter die einvernommene V-Person beobachten konnten, und den Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107; Urteil Doorson, wo der anonyme Zeuge mit dem Rechtsvertreter ohne Beisein des Beschuldigten konfrontiert wurde).
Die optische Abschirmung erschwert die unmittelbare Wahrnehmung von Reaktionen des einvernommenen Zeugen (
BGE 92 I 259
E. 3c S. 262). Insbesondere können Gesichtsausdruck und Körpersprache nicht nachvollzogen werden; es kann nicht bemerkt werden, ob der Zeuge «einen roten Kopf bekommt» oder «ins Schwitzen gerät» (vgl. Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 59; JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 373). Unmittelbar wahrgenommen werden können immerhin etwa Räuspern, Zögern, Pausen vor Beantwortung einer Frage, Unsicherheit und Nervosität in der Stimme sowie allgemein der Ausdruck der Stimme. Mit einer Video-Übertragung ist es unter Umständen möglich, lediglich das Gesichtsfeld unkenntlich zu machen, aber die Körperhaltung doch erkennbar zu lassen. Bei der technischen Übertragung verhält es sich nicht wesentlich anders als bei Telefongesprächen oder einer Radiosendung, die es durchaus erlauben, den Ausdruck des Gegenübers wahrzunehmen. Trotz der Erschwerung bildet daher der Umstand der optischen Abschirmung
BGE 125 I 127 S. 150
- je nach den konkreten Umständen - über die Anonymität der einvernommenen V-Person hinaus für den Angeschuldigten keine wesentliche zusätzliche Schwierigkeit bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte.
Die akustische Abschirmung besteht darin, dass der Zeuge in einem andern Raum einvernommen wird und die Übertragung der Stimme technisch so verändert und verzerrt wird, dass ein Erkennen des Sprechers erschwert bzw. verunmöglicht wird. Sie dürfte nur selten, meist in Kombination mit der optischen Abschirmung zum Einsatz kommen. Denkbar ist sie bei Zeugen mit ganz besondern Spracheigenschaften oder -fehlern und in speziellen Fällen wie der eigentlichen Änderung der Identität des Zeugen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 68 f.). Eine derartige akustische Abschirmung erschwert die Wahrnehmung des Zeugen und seiner Reaktionen zusätzlich. Doch auch bei dieser Methode sind gewisse durchaus typische Verhaltensweisen wie Zögern, Räuspern, Nervosität und Verhaspeln durchaus noch erkennbar.
Gesamthaft gesehen bringen optische und akustische Abschirmung des Zeugen für die Verteidigung über die Anonymität hinaus zusätzliche Erschwernisse. Diese sind in die Gesamtbeurteilung der Vertraulichkeitszusage einzubeziehen und mögen zu entsprechender Zurückhaltung mahnen. Sie stellen indessen keine Einschränkungen von grossem Gewicht dar. Auch solche Abschirmungen ermöglichen noch immer eine Zeugenbefragung mit den Vorteilen der unmittelbaren Beweisabnahme.
e) Die Beschwerdeführer bringen unter dem Titel der Erschwernisse der Verteidigung weitere Rügen vor.
aa) Sie machen geltend, dass die Vertraulichkeitszusage nicht die Ausnahme bilden werde, in der Praxis vielmehr meist gewährt würde. Denn die Voraussetzung von § 100.f Abs. 1 lit. a StPO, wonach die Schwere der Straftat den V-Personen-Einsatz überhaupt erst rechtfertigen muss, deute bereits auf die besonders gefährlichen Umstände hin, die ihrerseits nach
§ 100e Abs. 4 StPO
die Vertraulichkeitszusage begründen könnten; überdies sei die gerichtliche Prüfung durch das Präsidium der Überweisungsbehörde mit Bezug auf V-Personen-Einsätze im Allgemeinen und auf die Vertraulichkeitszusage im Speziellen nur eine sehr summarische Kontrolle (vgl. GNÄGI, a.a.O., S. 84 f.).
Diese Einwände sind insofern nachvollziehbar, als der genehmigende Richter meist nur wenig Unterlagen zur Verfügung hat und rasch entscheiden muss. Wesentlich ist indessen, dass die Beschwerdeführer
BGE 125 I 127 S. 151
die Möglichkeit von V-Personen-Einsätzen und deren formelle und materielle Voraussetzungen nicht anfechten (oben E. 3). Für die Frage der Verletzung der Verteidigungsrechte im gerichtlichen Verfahren ist nicht entscheidend, ob statistisch gesehen die Vertraulichkeit zu häufig zugesichert wird und ob die genehmigende Überweisungsbehörde eine unzureichende Prüfung vornimmt. Von Bedeutung im Verfahren der abstrakten Normkontrolle ist allein, dass auf Grund der angefochtenen Bestimmungen die Anonymität im Einzelfall zugesichert werden kann, was auf die Verteidigungsrechte hin zu prüfen ist.
bb) Die Beschwerdeführer beanstanden ferner, dass ausser dem Gerichtsvorsitzenden keiner der übrigen Richter Kenntnis von der Identität der V-Person erlangen (
§ 100e Abs. 5 und 6 StPO
) und sich daher kein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit des Zeugen machen kann. Dieser Einwand ist unter dem Gesichtswinkel der Verteidigungsrechte unbeachtlich. Der Umstand, dass die Richter die V-Person nicht kennen, führt zu keiner Verletzung von
Art. 58 BV
(E. 5). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer können sich die Richter auf Grund der Einvernahme der V-Person vor den Schranken ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit machen. Der Richter hat angesichts einer unvollständigen Beweislage nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden. Diese wirkt sich nicht einseitig zu Gunsten oder zu Lasten des Beschuldigten aus (vgl. Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 56 sowie abweichende Meinung von Richter van Dijk, Ziff. 7). Vielmehr gilt der Grundsatz «in dubio pro reo» und die Unschuldsvermutung im Sinne von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 2 EMRK
(
BGE 120 Ia 31
E. 2 S. 33 ff.). Der Beschuldigte erfährt daher durch die Regelung keinen Nachteil in der Wahrung der Verteidigung.
Im Übrigen bestehen gute Gründe für die vom Gesetzgeber getroffene Regel. Die Vertraulichkeit kann - entsprechend einem allgemeinen Erfahrungssatz - umso besser gewahrt werden, je enger der Kreis der Eingeweihten gezogen wird. Umso geringer ist auch die Gefahr, dass auf die (vollamtlichen oder nicht vollamtlichen) Richter von aussen Druck ausgeübt wird und sie gar Repressalien ausgesetzt werden.
9.
Nunmehr ist zu prüfen, ob einzelne Massnahmen die beschriebenen Erschwernisse bei der Wahrung der Verteidigungsrechte ausgleichen können.
a) Anonyme V-Personen sind bei ihrer Einvernahme im Rahmen der Vertraulichkeitszusage als Zeugen zu identifizieren. Insbesondere
BGE 125 I 127 S. 152
ist zu prüfen, ob sie gegen den Beschuldigten im Einsatz waren, um Verwechslungen auszuschliessen. Hierfür kann mit dem Beizug von Telefonabhörungen und Stimmenvergleichen ein eigentliches Beweisverfahren durchgeführt werden (vgl. Urteil vom 21. März 1995 E. 3c, in: EuGRZ 1995 S. 251 f. und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Gleichermassen ist es möglich, für die Identifizierung des Zeugen von Seiten der Einsatzbehörden eine verantwortliche Person anzuhören. Schliesslich könnte auch der Präsident oder die Präsidentin des Gerichts, welche über die V-Personen Bescheid wissen, eine Identifizierung vornehmen.
Gleichermassen können die V-Personen bei einer Befragung mit optischer Abschirmung identifiziert werden. Zusätzlich ist sicher zu stellen, dass der Zeuge allein im entsprechenden Nebenraum ist, selber auf die Fragen antwortet und von niemandem beeinflusst wird. Auch dies ist im Einzelfall zu bewerkstelligen.
Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass die V-Personen identifiziert und Verwechslungen ausgeschlossen werden. Das ist für die Verteidigung und die Beweiswürdigung durch das Gericht von entscheidender Bedeutung. Es ist die Voraussetzung, damit eine Verwertung von entsprechenden Aussagen überhaupt in Betracht fällt. Solche Massnahmen der Identifizierung stellen indessen keine Kompensation der Probleme dar, die sich aus dem Umstand der Anonymität ergeben. Der Angeschuldigte sieht sich trotz dieser Massnahmen der Schwierigkeit gegenüber, die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam in Zweifel zu ziehen.
b) Nach
§ 100g StPO
instruiert, begleitet und überwacht das Statthalteramt die V-Person und erstattet diese regelmässig über ihren Einsatz und ihre Feststellungen Bericht. Beides ist aktenmässig festzuhalten. Vorbehältlich der Vertraulichkeitszusage und überwiegender öffentlicher oder privater Interessen kann der Beschuldigte nach
§ 100n StPO
in diese Akten Einsicht nehmen. Nach Abschluss der Strafuntersuchung ist dem Beschuldigten (und weitern betroffenen Personen) vom Einsatz einer V-Person Kenntnis zu geben (
§ 100k Abs. 1 StPO
).
Dieser Zugang zum Dossier über den V-Personen-Einsatz gibt dem Angeschuldigten wertvolle Aufschlüsse. Er erhält Kenntnisse über Instruktionen und über Planung und Durchführung des Einsatzes. Das ermöglicht dem Beschuldigten, unter Hinweis auf allfällige Widersprüche die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen und die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam anzuzweifeln oder zu
BGE 125 I 127 S. 153
bestreiten. Die Einsicht vermag daher die Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung aus dem Umstand der Anonymität stellen, teilweise auszugleichen.
Das Ausmass der Kompensation hängt allerdings stark von den Umständen ab. Zum einen enthält das Dossier den Standpunkt der Polizei und muss entsprechend sorgfältig gewürdigt werden (vgl. zur Aktenführung GNÄGI, a.a.O., S. 82 ff; BAUMGARTNER, a.a.O., S. 234). Zum andern ist das Dossier tatsächlich gemäss
§ 100g Abs. 1, 2 und 4 StPO
zu führen. Es bedarf einer hinreichenden Ausführlichkeit, damit es wirklich aussagekräftig ist. Die vertraulich zu behandelnden Elemente wie die Personalien der V-Person sind so von den Berichten über den Einsatz und die Ergebnisse zu trennen, dass dem Beschuldigten tatsächlich eine repräsentative Einsicht gewährt werden kann. Es wäre nicht angängig, die Einsicht in allen Fällen erfolgter Vertraulichkeitszusagen grundsätzlich zu verweigern. Auch wenn gewisse Angaben im Rahmen der Vertraulichkeitszusage abgedeckt werden, stellt die Einsicht in das Einsatz-Dossier für den Beschuldigten eine Massnahme dar, welche das «handicap presque insurmontable» teilweise ausgleicht.
c) Die Identität der V-Person wird dem Präsidenten und der Präsidentin der befassten Gerichte nach
§ 100e Abs. 6 StPO
(auf Verlangen) mitgeteilt. Diese haben damit volle Kenntnisse von den Personalien und können volle Einsicht in das Einsatz-Dossier im Sinne von
§ 100n StPO
nehmen. Ferner ist nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtsvorsitzende die V-Person ohne Zuzug von weiteren Personen einvernimmt. Es ist insbesondere möglich, die V-Personen auf diese Weise über alle Punkte zu befragen, welche für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit relevant sein können, insbesondere über persönliche und familiäre Verhältnisse, über Bekanntschaften und persönliche Beziehungen, über den beruflichen Werdegang und die aktuelle Berufsausübung, über die Motivation des V-Personen-Einsatzes und weiteres mehr. Auf Grund dieser Informationen vermag sich der Vorsitzende selber ein Bild von der Glaubwürdigkeit der V-Personen zu machen. Er kann dies zusätzlich in einem (schriftlichen oder mündlichen) Bericht zu Handen des Gerichts (Richter, Verteidigung und allfällige andere Parteien) festhalten, seine Beurteilung abgeben und die Gründe hierfür im Einzelnen - unter Respektierung der Vertraulichkeitszusage - darlegen, etwa durch eine verall-gemeinernde Beschreibung der privaten und beruflichen Verhältnisse.
BGE 125 I 127 S. 154
Die Materialien zeigen, dass die Gerichtspräsidenten die Identität und die Glaubwürdigkeit der einzuvernehmenden V-Personen sollen überprüfen können (Bericht der Justiz- und Polizeikommission an den Landrat vom 26. August 1996, Landrat 95/180 S. 6). Sie verfügen über eine volle Einsicht in die Einsatz-Akten, da sie von der Vertraulichkeitszusage ausdrücklich ausgenommen sind (§ 100n i.V.m.
§ 100e Abs. 6 StPO
). Eine eigentliche Einvernahme der V-Personen durch die Präsidenten der Gerichte ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, wird indessen auch nicht ausgeschlossen und entspricht der zu Grunde liegenden Idee der Glaubwürdigkeitsüberprüfung. Die Präsidenten bedürfen für eine derartige Einvernahme keiner Zustimmung der vorgesetzten Behörde; die V-Personen sind ohne Gefahr der Amtsgeheimnisverletzung tatsächlich zur vollständigen Auskunft verpflichtet (vgl.
Art. 320 Ziff. 2 StGB
). Ein solches Vorgehen entspricht den Empfehlungen des Ministerkomitees, in denen in ähnlichem Sinne eine «procédure de vérification» verlangt wird, um ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der V-Personen an ihrem Schutz und denjenigen des Beschuldigten an einer wirksamen Verteidigung im Sinne von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
zu schaffen (EMPFEHLUNGEN, a.a.O., Ziff. 10 und 76). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind solche Berichte zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von anonymen Zeugen tatsächlich verwendet worden. Im Urteil Doorson kam dem Protokoll des einvernehmenden Instruktionsrichters, in dem er seine Beurteilung der Glaubwürdigkeit der ihm bekannten Zeugen festhielt, Bedeutung zu (a.a.O., Ziff. 73). Umgekehrt hat ein analoges Vorgehen eines Instruktionsrichters in der Angelegenheit van Mechelen zur Kompensation der Beeinträchtigung in den Verteidigungsrechten nicht ausgereicht (a.a.O., Ziff. 62).
Derartige Abklärungen und Berichte vermitteln dem Beschuldigten wesentliche Informationen, um die Glaubwürdigkeit der einvernommenen V-Personen in Zweifel zu ziehen. Auch wenn es sich lediglich um eine indirekte Beweisführung handelt, vermag ein solches Vorgehen gewisse Probleme der Anonymität auszugleichen und die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten zu verbessern. Erforderlich für eine wirksame Kompensation ist allerdings, dass die Gerichtspräsidenten einen hinreichend aussagekräftigen Bericht über die Person des verdeckten Ermittlers abgibt.
d) Schliesslich ist als Kompensationsmassnahme denkbar, dass der Einsatzleiter vom Gericht einvernommen und unter Wahrung der Anonymität zur V-Person befragt wird. Dieser Einsatzleiter
BGE 125 I 127 S. 155
kennt die Identität des verdeckten Ermittlers sowie dessen persönlichen und beruflichen Hintergrund. Er ist in der Lage, Hinweise zum beruflichen Umfeld und zur Ausübung des Berufes (inkl. des beruflichen Leumunds) abzugeben und insbesondere bei nicht beamteten Personen über die Umstände der Auftragserteilung Aufschluss zu geben. Darüber hinaus kann er über den eigentlichen Einsatz der V-Person befragt werden.
Eine solche Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters ver-spricht wertvolle Hinweise zur Glaubwürdigkeit der V-Person und zur Glaubhaftigkeit von deren Aussagen. Sie ist nicht ver-gleichbar mit den vom Europäischen Gerichtshof beurteilten Fällen Windisch und Kostovski: Dort haben Zeugen, die anonym bleiben wollten, den Polizeibeamten Anzeigen erstattet; die Einvernahme dieser Polizeibeamten als Gewährsleute vermochte die Hindernisse für die Verteidigung nicht zu kompensieren, da diese keinerlei eigene Kenntnisse vom Tatgeschehen und von den Anzeigern hatten (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42). Der Einsatzleiter verfügt indessen über detaillierte Kenntnisse über die V-Person und den Ablauf des Einsatzes. Seine Befragung ist indessen abhängig von der Kooperation der Polizeiorgane. Der Einsatzleiter muss im Sinne von
Art. 320 Ziff. 2 StGB
von der vorgesetzten Stelle zur Aussage ermächtigt werden. Die Verweigerung einer solchen Ermächtigung kann von Seiten des Gerichts oder des Beschuldigten kaum rechtzeitig und wirksam angefochten werden (vgl. hierzu Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250 E. 3c/cc S. 253; GNÄGI, a.a.O., S. 121 ff.; CORBOZ, a.a.O., S. 325 f.).
Die Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters verspricht wegen seiner detaillierten Kenntnisse wertvolle Aufschlüsse. Sie kann dazu beitragen, das Handicap der Anonymität zu einem Teil auszugleichen. Die Verteidigung erhält Informationen, die es ihr ermöglicht, die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam in Zweifel zu ziehen - auch wenn nicht zu verkennen ist, dass es sich dabei lediglich um eine indirekte Beweisführung handelt.
10.
a) Aufgrund der beiden vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Beschuldigte durch die Aufrechterhaltung der Anonymität der V-Person und durch die besondern Schutzmassnahmen bei der Einvernahme in seinem Befragungsrecht nach
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
eingeschränkt wird. Dem stehen gewisse ausgleichende Massnahmen gegenüber. Diese beiden Seiten sind gegeneinander abzuwägen.
BGE 125 I 127 S. 156
Für eine Gesamtbeurteilung der Zulässigkeit der Anonymitätszusicherung ist vom Grundsatz der Strafprozessordnung auszugehen, dass die V-Personen tatsächlich vor dem urteilenden Gericht einvernommen werden. Der Beschuldigte kann demnach direkt Fragen stellen oder Fragen stellen lassen. Er ist grundsätzlich in der Lage, sich ein Bild von der V-Person zu machen und deren Aussagen und Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Erschwerend wirken sich für die Verteidigung allerdings die besondern Schutzmassnahmen der allfälligen optischen und akustischen Abschirmung aus. Dennoch erlaubt die Einvernahme - anders als eine nur schriftliche Befragung - die unmittelbare Wahrnehmung von Reaktionen und trägt damit dazu bei, den Zeugen zu beurteilen.
Die Anonymität des als Zeuge einvernommenen verdeckten Ermittlers behindert und beschränkt den Beschuldigten in seinem Befragungsrecht. Sie hat zur Folge, dass sich der Beschuldigte kein vollständiges Bild von der Persönlichkeit der V-Person machen und auch nicht danach fragen kann. Es ist ihm daher zum Vornherein erschwert, die Glaubwürdigkeit der V-Person allgemein in Zweifel zu ziehen. Seine Verteidigung muss sich daher im Wesentlichen darauf beschränken, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen zur Sache selber zu bestreiten. Dies stellt eine wesentliche Beschränkung der Verteidigungsrechte dar.
Dem stehen Massnahmen gegenüber, die diese Schwierigkeiten teilweise ausgleichen. Die Einsicht des Beschuldigten in die Akten betreffend den V-Personen-Einsatz vermag Aufschluss über die Instruktion und den Ablauf und damit auch wichtige Hinweise über das Verhalten des verdeckten Ermittlers und allfällige Widersprüche zu geben; das wiederum kann Hinweise zur Glaubwürdigkeit ergeben. Von Bedeutung ist ferner, dass der Gerichtsvorsitzende die Person des verdeckten Ermittlers kennt, volle Einsicht in die Spezialakten hat und die V-Person auch einvernehmen kann. Diese Kenntnisse und die in einem Bericht für die Verteidigung festgehaltene Schilderung und Prüfung erlauben eine weitergehende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der V-Person und ermöglichen dem Angeschuldigten in zusätzlichem Masse, sich ein eigenes Bild von der Person des verdeckten Ermittlers zu machen. Schliesslich vermag auch die Befragung des Einsatzleiters vor dem Gericht weitere Aufschlüsse zu geben.
Alle diese Massnahmen können einen Ausgleich zur Aufrechterhaltung der Anonymität schaffen. Sie sind für den Beschuldigten von unterschiedlichem Gewicht. Die Einsicht in das Einsatzdossier
BGE 125 I 127 S. 157
der V-Person ist wegen der Vertraulichkeitszusage keine vollständige; zudem sind diese Akten sorgfältig zu prüfen. Die Kundgabe der Gerichtspräsidenten auf Grund ihrer eigenen Kenntnisse und die Befragung von Einsatzleitern stellen indirekte Beweise oder so genannte Beweissurogate dar. Diese können nicht grundsätzlich und abstrakt abgelehnt oder aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Sie erfordern indessen eine sorgfältige Würdigung durch das Gericht und eine Prüfung darauf hin, was im Einzelfall tatsächlich bezeugt werden kann und was subjektive Beurteilung ist (vgl. im Einzelnen dazu GNÄGI, a.a.O., S. 153 ff.; vgl. auch Urteil des BVerfG in: EuGRZ 1981 S. 402 E. III).
Wie sehr diese Massnahmen im Einzelfall tatsächlich eine ausreichende Kompensation darstellen und eine hinreichend wirksame Befragung im Sinne von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
erlauben, hängt stark von den gesamten Umständen und von der Beweislage ab und lässt sich letztlich abstrakt nicht schlüssig beantworten. Auf der einen Seite lassen sich Konstellationen denken, in denen die Aufrechterhaltung der Anonymität durch die Umstände klar aufgewogen wird und demnach von einem fairen Verfahren gesprochen werden kann. Auf der andern Seite gibt es Fälle, die unter dem Gesichtswinkel des fairen Verfahrens nicht mehr toleriert werden können. Auf zwei solche Konstellationen soll im Folgenden beispielhaft eingegangen werden.
Es ist denkbar, dass die belastenden Aussagen der V-Person die einzigen oder überwiegend ausschlaggebenden Beweise darstellen. Diesfalls stösst man an eine fast absolute Grenze, bei der auch die genannten Massnahmen keine hinreichende Kompensation bieten können (oben E. 6d/ee). In einer derartigen Situation ist die Konsequenz zu ziehen, dass auf das Zeugnis der anonym bleibenden V-Personen nicht abgestellt werden darf und der Angeschuldigte in Respektierung des Grundsatzes «in dubio pro reo» allenfalls freizusprechen ist.
Weiter kann sich die Aufrechterhaltung der Anonymität als unverhältnismässig erweisen, wenn beim Einsatz der V-Person und der Zusicherung der Vertraulichkeit von einer gewichtigen und gefährlichen Angelegenheit ausgegangen werden durfte, sich diese im Nachhinein aber als harmlos entpuppt. Auch in einer solchen Situation mag es gute Gründe dafür geben, die Anonymität weiterhin zu bewahren: Die V-Person darf grundsätzlich auf die Zusicherung vertrauen. Und es kann darum gehen, weitere Einsätze nicht zu gefährden und allfällige Pressionen von dritter Seite auf die Eingeweihten
BGE 125 I 127 S. 158
zu verhindern. Da die materiellen Voraussetzungen für den V-Personen-Einsatz und für die Vertraulichkeitszusage im Sinne von
§ 100f und
§ 100e Abs. 4 StPO
nicht (mehr) erfüllt sind, darf auf ein entsprechendes Zeugnis jedenfalls nicht abgestellt werden. Die anonyme Aussage darf nicht verwertet werden (vgl. zur Frage des Beweisverwertungsverbotes im Falle des V-Mann-Exzesses etwa GNÄGI, a.a.O., S. 106 ff.; ROTH, a.a.O., S. 400 f.).
Gesamthaft gesehen bildet das Abstellen auf Aussagen von ano-nymen V-Personen eine heikle Gratwanderung. Häufig dürfte die Anonymität durch die erwähnten Massnahmen ausgeglichen werden, sodass die Berücksichtigung entsprechender Aussagen mit dem Gebot eines fairen Verfahrens und dem Anspruch auf Befragung belastender Zeugen vereinbar ist. Die Verteidigungsrechte des Beschuldigten ernst nehmen, bedeutet indessen auch, die Grenzen der Verwertung von solchen Aussagen klar anzuerkennen. Gleichermassen gibt es daher Konstellationen, in denen bei Aufrechterhaltung der Anonymität die Garantien auf ein faires Verfahren und ein Fragerecht verletzt werden und deshalb die entsprechenden Aussagen nicht verwertet werden dürfen und der Angeschuldigte allenfalls freizusprechen ist. Diese Konsequenz sehen denn auch die Empfehlungen des Ministerkomitees vor (a.a.O., Ziff. 79). Es ist letztlich Sache der Strafverfolgungs- und Anklagebehörden, solche Situationen zu vermeiden (vgl.
BGE 109 Ia 273
E. 12a S. 299). Diese werden auch verhindern können, eine Anklage ausschliesslich oder hauptsächlich auf eine einzige belastende Aussage einer V-Person abzustützen.
b) Gestützt auf diese materiellen Ergebnisse ist nunmehr darüber zu befinden, wie die vorliegende Beschwerde letztlich zu beurteilen ist. Das Bundesgericht hebt im abstrakten Normkontrollverfahren eine kantonale Vorschrift nur auf, wenn sie sich jeder verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht. Für die Frage, ob eine kantonale Norm aufzuheben oder verfassungskonform auszulegen ist, wird auf die Tragweite des Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit, bei einer späteren konkreten Normenkontrolle einen hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz zu erhalten, die konkreten Umstände, unter denen die Norm zur Anwendung kommt, sowie die Möglichkeit einer Korrektur und die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit abgestellt (
BGE 109 Ia 273
E. 12c S. 302;
BGE 123 I 112
E. 2a S. 116;
BGE 124 I 193
E. 3c S. 196, mit Hinweisen).
Die Frage der Gewährung eines fairen Verfahrens und des Anspruchs auf hinreichende Befragung von Belastungszeugen bei Aufrechterhaltung der Anonymität hängt stark von den besondern
BGE 125 I 127 S. 159
Umständen ab. Von Bedeutung ist die tatsächliche Befragung vor dem Gericht selber mit all den Umständen im Einzelfall. Einzelne Massnahmen können die Schwierigkeiten der Verteidigung, wie aufgezeigt, ausgleichen. Hierfür ist erforderlich, dass die Strafprozessordnung in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht des Gerichtspräsidenten und die Befragung des verdeckten Ermittlers durch den Gerichtspräsidenten im dargelegten Sinne ausgelegt wird. Von Seiten der Polizei bedarf es einer gewissen Kooperationsbereitschaft hinsichtlich des Führens des Einsatzdossiers und der Ermächtigung zur Aussage des Einsatzleiters. Diese darf angenommen werden, da es im Interesse der Polizei liegt, dass die Aussagen der V-Personen tatsächlich verwendet werden können. Ferner bedarf es einer sorgfältigen Beweiswürdigung durch das Gericht. Wo eine Kompensation zu den Hindernissen der Anonymität nicht möglich ist, darf auf ein anonymes Zeugnis nicht abgestellt werden und ist ein Angeschuldigter in letzter Konsequenz freizusprechen.
Diesen schwierigen Weg zu gehen, kann den Gerichten durchaus zugetraut werden. Bei diesen handelt es sich nicht um juristisch wenig geschulte Beamte, die auf eine ausdrückliche und klare Regelung angewiesen sind (
BGE 106 Ia 136
E. 3b S. 138). Sie sind vielmehr in der Lage, die angefochtenen Bestimmungen der Strafprozessordnung im oben dargelegten Sinne auszulegen und anzuwenden, damit der Garantie auf ein faires Verfahren und eine hinreichende Befragung von Belastungszeugen zum Durchbruch zu verhelfen und letztlich im Einzelfall auch von einer Verurteilung abzusehen. Im Bewusstsein um die heikle Abwägung darf daher auch davon ausgegangen werden, dass die Gerichte nicht der Gefahr erliegen, nicht verwertbare Beweisergebnisse nur halbherzig bei Seite zu lassen und ein bestimmtes Resultat schliesslich mit anderen, mängelfreien Elementen zu begründen (
BGE 118 Ia 462
E. 5c/bb S. 472).
Aus diesen Gründen lassen sich die angefochtenen Bestimmungen der Strafprozessordnung über die Vertraulichkeit der V-Personen im Lichte von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
verfassungs- und konventionsgemäss auslegen und anwenden. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d4274281-b5a9-46e0-84a9-c3af34bc5f50 | Urteilskopf
136 V 351
41. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Kanton Zürich gegen Kanton Schaffhausen, betreffend M. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_521/2010 vom 27. September 2010 | Regeste
Art. 89 Abs. 1 BGG
;
Art. 16 Abs. 1 und
Art. 31 ZUG
; Kostenersatzpflicht des Heimatkantons.
Beschwerdelegitimation des Heimatkantons (E. 2.3). Darlegung der Vertretungsbefugnisse (E. 2.4).
Kostenersatzpflicht des Heimatkantons für vom Wohnsitzkanton nachträglich übernommene Schulden (E. 7).
Bei der 60-tägigen Frist gemäss
Art. 31 Abs. 1 ZUG
handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 351
BGE 136 V 351 S. 351
A.
Die am 11. Dezember 2000 geborene M. verfügt über die Bürgerrechte der Kantone Zürich und Aargau. Sie lebte bis 31. August 2006 in A. (ZH). Am 1. September 2006 zog sie mit ihrer Mutter nach B. (SH). Aufgrund einer Gefährdungsmeldung vom 23. Februar 2007 wurde M. von der Vormundschaftsbehörde B. zunächst teilweise und ab 1. November 2007 dauerhaft in einer Pflegefamilie untergebracht. Am 26. November 2008 beschloss die Sozialhilfebehörde B. unter anderem, das seit 1. November 2007 geschuldete Pflegegeld zu übernehmen.
Mit Unterstützungsanzeige vom 6. Februar 2009 (zugestellt am 30. März 2009) machte das Sozialamt des Kantons Schaffhausen beim Heimatkanton Zürich die Erstattung der bis 31. August 2008 geleisteten Unterstützung geltend. Am 9. November 2009 wies das
BGE 136 V 351 S. 352
Sozialamt des Kantons Schaffhausen eine dagegen erhobene Einsprache des Kantons Zürich ab.
B.
Mit Entscheid vom 21. Mai 2010 wies das Obergericht des Kantons Schaffhausen die vom Kanton Zürich eingereichte Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Kanton Zürich, den Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 21. Mai 2010 aufzuheben und zu erkennen, dass der Heimatkanton Zürich in der Unterstützungsangelegenheit von M. gegenüber dem Wohnkanton Schaffhausen nicht kostenersatzpflichtig sei.
Der Kanton Schaffhausen schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Der Kanton Zürich liess sich dazu am 20. August 2010 vernehmen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Angefochten ist ein Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz (
Art. 86 Abs. 1 lit. d und
Art. 90 BGG
). Gestützt auf
Art. 82 lit. a BGG
beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts. Der Beschwerdeführer rügt eine unrichtige Anwendung des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG; SR 851.1), indem, entgegen der Annahme der Vorinstanzen, die erst nach Ablauf der Zweijahresfrist im Sinne von
Art. 16 ZUG
zur Begleichung von Pflegegeldern aus der Vergangenheit ausgerichteten Sozialhilfeleistungen nicht dem Heimatkanton überbunden werden dürften und die Unterstützungsanzeige überdies nach
Art. 31 Abs. 1 ZUG
verspätet ergangen sei. Das Zuständigkeitsgesetz ist öffentliches Recht des Bundes im Sinne von
Art. 82 lit. a und
Art. 95 lit. a BGG
. Das Bundesgerichtsgesetz enthält dazu keinen Ausschlussgrund (vgl.
Art. 83 BGG
).
2.2
Nach den bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen Rechtspflegebestimmungen des ZUG konnten Beschlüsse, mit welchen der fordernde Kanton eine Einsprache des pflichtigen Kantons ablehnte, mittels Beschwerde beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) angefochten werden (aArt. 34 Abs. 2 ZUG); der Beschwerdeentscheid des Departements unterlag der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (aArt. 34 Abs. 3 ZUG). Das
BGE 136 V 351 S. 353
seit dem 1. Januar 2007 geltende Recht sieht demgegenüber neu eine Beschwerdemöglichkeit an eine kantonale richterliche Behörde vor (
Art. 34 Abs. 2 ZUG
).
Art. 34 Abs. 3 ZUG
wurde durch Ziff. 119 Anhang Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG; SR 173.32) mit Wirkung seit 1. Januar 2007 aufgehoben (vgl. Urteil 8C_115/2007 vom 23. Januar 2008 E. 1).
2.3
Unter der Herrschaft des bis 31. Dezember 2006 in Kraft gestandenen OG (BS 3 531) ging das Bundesgericht davon aus, aufgrund des in
Art. 33 und 34 ZUG
vorgesehenen Rechtspflegesystems ergebe sich, dass die betroffenen Kantone unter den allgemeinen Voraussetzungen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert seien (vgl.
Art. 103 OG
). Es trat daher jeweils ohne weiteres auf die Beschwerde des im Verfahren vor dem Departement unterlegenen Kantons ein (Urteile 2A.253/2003 vom 23. September 2003 E. 1.1 und 2A.603/1999 vom 7. Juni 2000 E. 1, in: ZBl 102/2001 S. 331).
Seit dem 1. Januar 2007 richtet sich das Beschwerderecht ans Bundesgericht nach dem BGG. Danach sind Verwaltungsverbände (Bund, Kantone, Gemeinden, etc.) vorab dann zur Beschwerde an das Bundesgericht ermächtigt, wenn sie sich auf eine der in
Art. 89 Abs. 2 lit. a-d BGG
umschriebenen besonderen Legitimationsklauseln berufen können. Die Beschwerdebefugnis des Kantons Zürich lässt sich aufgrund der Aufhebung von
Art. 34 Abs. 3 ZUG
auf keine besondere Ermächtigungsnorm mehr stützen. Dieser leitet seine Legitimation aus dem allgemeinen Beschwerderecht gemäss
Art. 89 Abs. 1 BGG
ab. Danach ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten befugt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a), durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist (lit. b) und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung besitzt (lit. c).
Der Kanton kann gegenüber dem andern Kanton nicht hoheitlich handeln. Die Anzeige im Sinne von
Art. 31 Abs. 1 ZUG
stellt denn auch keine hoheitliche Verfügung dar; gleichwohl kommt ihr rechtsgestaltende Wirkung zu, indem sie den Kanton, an den sie gerichtet ist, rechtskräftig zum Kostenersatz verpflichtet, wenn dieser nicht mit einer Einsprache nach
Art. 33 ZUG
form- und fristgerecht dagegen reagiert (WERNER THOMET, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], 2. Aufl.
BGE 136 V 351 S. 354
1994, N. 304 zu
Art. 33 ZUG
). Der Kanton Zürich hat am vorinstanzlichen Verfahren als Partei teilgenommen und wurde als Adressat des angefochtenen Entscheids verpflichtet, finanzielle Leistungen zu erbringen. Er ist daher auch unter der Herrschaft des BGG zur Beschwerde ans Bundesgericht legitimiert (vgl. auch die Urteile 8C_223/2010 vom 5. Juli 2010 und 8C_829/2007 vom 5. August 2008, zusammengefasst in: FamPra.ch 2010 S. 143, wo das Bundesgericht ohne weiteres auf die Beschwerde des betroffenen Kantons eingetreten ist).
2.4
Wenn ein Kanton als Gemeinwesen gestützt auf
Art. 89 Abs. 1 BGG
als Rechtsmittelträger handeln will, obliegt seine prozessuale Vertretung in der Regel dem Regierungsrat als oberster Exekutivbehörde, welche den Kanton von Verfassungs wegen nach aussen vertritt (vgl. auch Art. 71 Abs. 1 lit. c der Verfassung des Kantons Zürich vom 27. Februar 2005 [KV/ZH; SR 131.211]). Will eine nachgeordnete Behörde namens des Kantons Beschwerde führen, hat sie ihre Vertretungsbefugnis explizit darzutun, sei es durch einen entsprechenden speziellen Ermächtigungsbeschluss der Kantonsregierung oder durch Angabe der sie zur Prozessführung namens des Kantons berechtigenden kantonalen Vorschriften (
BGE 135 II 12
E. 1.2.3 S. 16;
BGE 134 II 45
E. 2.2.3 S. 48; vgl. auch Urteil 2C_805/2008 vom 3. Februar 2009 E. 2.2.1). Die Sicherheitsdirektion durfte aufgrund der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis davon ausgehen, dass sie in Fragen der Sozialhilfe als zur prozessualen Vertretung des Kantons berechtigt angesehen wird (vgl. Urteile 8C_829/2007 vom 5. August 2008, zusammengefasst in: FamPra.ch 2010 S. 143, und 2A.771/2006 vom 17. April 2007).
2.5
Auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde ist deshalb einzutreten (
Art. 100 Abs. 1 BGG
).
3.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (
Art. 82 ff. BGG
) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 1 BGG
). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (
Art. 105 Abs. 2 BGG
).
4.
4.1
Vorweg ist die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (
Art. 29 Abs. 2 BV
) zu prüfen. Der Kanton Zürich macht geltend, das
BGE 136 V 351 S. 355
kantonale Gericht habe sich nicht mit seinen Ausführungen auseinandergesetzt, wonach in der Literatur und von der Kommission ZUG/Rechtsfragen die Auffassung vertreten werde, bei einer nachträglichen Schuldübernahme, über welche die Sozialhilfebehörde nach Ablauf der in
Art. 16 ZUG
statuierten zweijährigen Weiterverrechnungsperiode entscheide und für welche sie vorgängig keine Kostengutsprache geleistet habe, sei die Wohnsitzdauer im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Unterstützung massgebend.
4.2
Das rechtliche Gehör nach
Art. 29 Abs. 2 BV
verlangt, dass die Behörde die Vorbringen der vom Entscheid in ihrer Rechtslage betroffenen Person auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (
BGE 134 I 83
E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
4.3
Das kantonale Gericht hat in E. 2c des Entscheids die in der Literatur (THOMET, a.a.O., N. 299 zu
Art. 32 ZUG
) vertretene Meinung wiedergegeben und erwogen, die Mutter von M. sei bereits seit dem 1. November 2007 nicht in der Lage gewesen, die vereinbarten Pflegegelder zu bezahlen, so dass die Sozialhilfebehörde für diese Verpflichtung bereits in jenem Zeitpunkt hätte Gutsprache erteilen müssen. Dementsprechend sei der Heimatkanton für die von der Fürsorge übernommenen Schulden bis 31. August 2008 kostenersatzpflichtig. Ein Grund für das Abstellen auf den Zeitpunkt des Unterstützungsbeschlusses vom 26. November 2008 bestehe nicht. Diese Ausführungen genügen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für eine nachvollziehbare Begründung.
4.4
Weiter erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Obergericht die wirtschaftliche Situation der Mutter anhand der Budgetaufstellung im Unterstützungsbeschluss der Sozialhilfebehörde geprüft habe, ohne ihm die entsprechenden Unterlagen vorzulegen und ihm Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen.
BGE 136 V 351 S. 356
Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (
BGE 132 V 368
E. 3.1 S. 370 mit Hinweisen).
Dem Beschwerdeführer wurde die von der Sozialhilfebehörde an der Sitzung vom 26. November 2008 beschlossene Unterstützung mittels Formular "Unterstützungsanzeige gemäss Art. 31" vom 6. Februar 2009 unter Nennung der Gründe der Bedürftigkeit und der Art sowie des Masses der Unterstützung angezeigt. Daraus konnte er ohne weiteres die notwendigen Angaben entnehmen, die er zur Feststellung seiner Kostenersatzpflicht brauchte (vgl.
Art. 31 Abs. 3 ZUG
). Die Bedürftigkeit war denn auch gar nicht streitig. Vielmehr stellt sich der Kanton Zürich auf den Standpunkt, diese sei für die Beurteilung der streitigen Frage der Kostenübernahme durch den Heimatkanton nicht massgebend. Entscheidend sei einzig der Zeitpunkt des Gesuchs um Ausrichtung wirtschaftlicher Hilfe und des Beschlusses der Schuldübernahme durch die Sozialhilfebehörde. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr rügt, es sei ihm die Budgetaufstellung nicht vorgelegt worden, steht dies dazu im Widerspruch. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt jedenfalls nicht vor.
5.
5.1
Bedürftige werden von ihrem Wohnkanton unterstützt (Art. 115 erster Satz BV). Der Bund regelt die Ausnahmen und Zuständigkeiten (Art. 115 zweiter Satz BV). Dabei kann er insbesondere den Rückgriff auf einen früheren Wohnkanton oder den Heimatkanton regeln (so noch ausdrücklich
Art. 48 Abs. 2 aBV
).
5.2
Das ZUG präzisiert in dem durch die Verfassung gesetzten Rahmen, welcher Kanton für die Fürsorge zuständig ist, und es regelt den Ersatz von Unterstützungskosten unter den Kantonen (vgl.
Art. 1 Abs. 1 und 2 ZUG
). Bedürftig im Sinne des Bundesgesetzes ist, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann (
Art. 2 Abs. 1 ZUG
).
Art. 2 Abs. 2 ZUG
unterstellt sodann die Beurteilung der Bedürftigkeit den am Unterstützungsort geltenden Vorschriften und Grundsätzen.
Art. 3
BGE 136 V 351 S. 357
Abs. 1 ZUG
definiert, was unter "Unterstützungen" zu verstehen ist, nämlich Geld- und Naturalleistungen eines Gemeinwesens, die nach kantonalem Recht an Bedürftige ausgerichtet und nach den Bedürfnissen bemessen werden.
Art. 3 Abs. 2 ZUG
enthält einen Katalog von Leistungen, die nicht als Unterstützungen im Sinne des Gesetzes gelten.
Die Unterstützung eines Schweizer Bürgers obliegt dem Wohnkanton (
Art. 12 ZUG
). Wenn der Unterstützte noch nicht zwei Jahre lang ununterbrochen in einem andern Kanton Wohnsitz hat, so erstattet der Heimatkanton dem Wohnkanton die Kosten der Unterstützung, die dieser selber ausgerichtet oder einem Aufenthaltskanton nach Artikel 14 vergütet hat (
Art. 16 Abs. 1 ZUG
).
Der Wohn- oder der Aufenthaltskanton, der vom Heimatkanton die Rückerstattung von Unterstützungsleistungen verlangt, zeigt diesem den Unterstützungsfall binnen 60 Tagen an. In begründeten Fällen läuft die Frist längstens ein Jahr. Für später gemeldete Unterstützungsfälle besteht keine Ersatzpflicht (
Art. 31 Abs. 1 ZUG
in der seit 1. Juli 1992 in Kraft stehenden Fassung). Die Anzeigefrist beginnt, sobald die zuständige Fürsorgebehörde die Unterstützung beschliesst oder der Wohnkanton vom Aufenthaltskanton eine Anzeige nach Artikel 30 erhalten hat (
Art. 31 Abs. 2 ZUG
). Die Unterstützungsanzeige muss die Angaben enthalten, die für den Heimatkanton zur Feststellung seiner Kostenersatzpflicht nötig sind (
Art. 31 Abs. 3 ZUG
).
6.
6.1
Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Entscheids zog M. am 1. September 2006 von A. nach B., wo sie einen Unterstützungswohnsitz begründete. Auf den 1. November 2007 wurde sie dauerhaft in einer Pflegefamilie untergebracht. Gemäss dem am 19. August 2008 abgeschlossenen Pflegevertrag hätte ihre Mutter den Pflegeeltern monatlich Fr. 1'335.- bezahlen müssen. Da sie diesen jeweils lediglich den vom Vater von M. erhaltenen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 540.- überwiesen hatte und sich aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sah, für den Restbetrag aufzukommen, beantragte die Mutter am 17. November 2008 - und somit nach Ablauf der am 31. August 2008 endenden Zweijahresfrist für die Verrechnung an den Heimatkanton gemäss
Art. 16 ZUG
- bei der Gemeinde B. Sozialhilfe. Die Sozialhilfebehörde beschloss am 26. November 2008 unter anderem, für die seit 1. November 2007 noch ausstehenden Kosten der Fremdbetreuung aufzukommen.
BGE 136 V 351 S. 358
6.2
Das Sozialamt und das kantonale Gericht gehen davon aus, für die Kostenersatzpflicht des Heimatkantons komme es nicht auf den Zeitpunkt des Unterstützungsbeschlusses an, sondern auf die Bedürftigkeit während der Wohndauer. Dies gelte auch dann, wenn erst nach Ablauf der Zweijahresfrist gemäss
Art. 16 ZUG
ein Gesuch um Übernahme aufgelaufener Schulden gestellt und bewilligt werde. Da die Bedürftigkeit der Mutter von M. seit 1. November 2007 ausgewiesen sei, müssten die ungedeckt gebliebenen, von der Fürsorge nachträglich übernommenen Pflegegelder bis Ende August 2008 vom Kanton Zürich ersetzt werden. Bei der Anzeigefrist von 60 Tagen gemäss
Art. 31 ZUG
handle es sich um eine Ordnungsvorschrift, weshalb der Kostenersatzanspruch des Wohnkantons nicht verwirkt sei.
6.3
Der Kanton Zürich stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, mit der Ausdehnung der Kostenersatzpflicht des Heimatkantons auf erst nach Ablauf der zweijährigen Weiterverrechnungsfrist entstandene Sozialhilfeleistungen verletze der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht. Durch die Verwendung des Begriffs "Unterstützter" in
Art. 16 ZUG
habe der Gesetzgeber nämlich klar zum Ausdruck gebracht, dass nur innerhalb der Zweijahresfrist ausgerichtete Sozialhilfeleistungen der Erstattungspflicht des Heimatkantons unterliegen würden. Obwohl im Kanton Schaffhausen gestützt auf Art. 27 Abs. 2 des Gesetzes vom 21. November 1994 über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz; SHR 850.100) ausnahmsweise Schulden berücksichtigt werden könnten, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben und grössere Kosten vermieden würden, werde Sozialhilfe nur für die Gegenwart und, solange die Notlage anhalte, für die Zukunft ausgerichtet, nicht jedoch für die Vergangenheit. Ob während der zweijährigen Wohnsitzdauer Bedürftigkeit bestanden habe, sei daher unerheblich. Anders zu entscheiden sei nur in jenen Fällen, in denen die Sozialhilfebehörde innerhalb der ersten beiden Jahre der Wohnsitznahme bereits Kostengutsprache erteilt habe oder in denen ein Sozialhilfegesuch innerhalb dieser Frist gestellt und gestützt darauf Sozialhilfeleistungen ausbezahlt worden seien, die Beschlussfassung über die Unterstützung indessen erst später erfolgt sei. Zudem vertritt der Beschwerdeführer - wie bereits in den vorinstanzlichen Verfahren - die Auffassung, nachdem die Unterstützungsanzeige unbestrittenermassen erst nach Ablauf der 60-tägigen Frist von
Art. 31 Abs. 1 ZUG
erfolgt sei, ohne dass dafür ein Grund genannt worden wäre, falle ein Kostenersatz auch aus diesem Grund ausser Betracht.
BGE 136 V 351 S. 359
7.
7.1
Art und Umfang der Sozialhilfe richten sich gemäss
Art. 2 Abs. 2 ZUG
nach den kantonalrechtlichen Vorschriften. Weil die Sozialhilfe die Aufgabe hat, den gegenwärtigen Bedarf zu decken, kann sie - Ausnahmen vorbehalten - grundsätzlich nicht für Schulden aus der Vergangenheit aufkommen (FELIX WOLFFERS, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl. 1999, S. 152). Davon geht auch Art. 27 des kantonalen Sozialhilfegesetzes aus. Schulden können bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall ausnahmsweise berücksichtigt werden, um eine bestehende oder drohende Notlage zu beheben oder grössere Kosten zu vermeiden (Art. 27 Abs. 2 und 3 des kantonalen Sozialhilfegesetzes). Dies steht auch im Einklang mit
Art. 2 und 3 ZUG
, sofern sich die Unterstützung einer Person in Form von Übernahme und Bezahlung von Schulden als notwendig erweist, um den Lebensunterhalt des Schuldners zu sichern (THOMET, a.a.O., N. 76 zu
Art. 3 ZUG
). Pflegegelder fallen zudem nicht unter den Ausnahmenkatalog von
Art. 3 Abs. 2 ZUG
. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus
Art. 16 Abs. 1 ZUG
. Wenn in dieser Bestimmung die "Kosten der Unterstützung" als vergütungspflichtig bezeichnet werden, wird auf
Art. 3 Abs. 1 ZUG
Bezug genommen, welcher als "Unterstützungsleistungen" im Sinne des Gesetzes Geld- und Naturalleistungen definiert, die nach kantonalem Recht an Bedürftige ausgerichtet und nach den Bedürfnissen bemessen werden.
7.2
Ändert eine bedürftige Person den Wohnkanton, wechselt zwar die Zuständigkeit des Gemeinwesens, das die Hilfe leistet, indessen gemäss
Art. 16 Abs. 1 ZUG
während den ersten zwei Jahren der Wohnsitzdauer nicht desjenigen, das die Kosten dafür ersetzt. Von einer Aufhebung der Ersatzpflicht des Heimatkantons hat der Gesetzgeber, trotz Kritik einiger Kantone, im Rahmen der Revision des ZUG ausdrücklich abgesehen. Damit sollte nicht zuletzt der überdurchschnittlichen Fluktuation potentieller Fürsorgeklienten innerhalb der ersten beiden Jahre Rechnung getragen werden (vgl. Botschaft vom 22. November 1989 zur Änderung des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, BBl 1990 I 49 Ziff. 222.22).
7.3
Das kantonale Gericht hat die Auffassung verworfen, wonach sich die Kostenersatzpflicht des Heimatkantons bei nachträglicher Übernahme von Schulden einer bedürftigen Person ohne vorherige Gesuchstellung oder Gutsprache mit Blick auf die Schwierigkeit,
BGE 136 V 351 S. 360
welche eine nachträgliche Feststellung des Zeitpunktes der Bedürftigkeit mit sich bringen dürfte (THOMET, a.a.O., N. 299 zu
Art. 32 ZUG
), in jedem Fall nach der Wohnsitzdauer im Zeitpunkt des Unterstützungsbeschlusses zu richten habe. Die Kommission ZUG/Rechtsfragen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) hielt dem im Bericht vom April 2004 entgegen, gerade in grösseren Gemeinden ergehe der Unterstützungsentscheid häufig nach Einsetzen der Hilfe, weshalb die Bedürftigkeit erst rückwirkend festgestellt werden könne. Massgebend sei daher der Zeitraum der Bedürftigkeit.
Indem das Obergericht entscheidend darauf abstellte, dass die Sozialhilfebehörde aufgrund der ausgewiesenen Bedürftigkeit bereits ab 1. November 2007 für die Pflegegelder hätte Kostengutsprache leisten müssen, widerspricht dies weder dem Wortlaut noch Sinn und Zweck von
Art. 16 Abs. 1 ZUG
. Der angefochtene Entscheid erweist sich daher in diesem Punkt als bundesrechtskonform.
8.
8.1
Nach
Art. 31 Abs. 1 und 2 ZUG
beträgt die Anzeigefrist 60 Tage und in begründeten Fällen längstens ein Jahr seit dem Unterstützungsbeschluss der zuständigen Fürsorgebehörde. Gemäss Wortlaut von
Art. 31 Abs. 1 ZUG
ist die Unterstützungsanzeige rechtzeitig erfolgt, wenn sie innert 60 Tagen ergeht. Nach Ablauf eines Jahres ist der Anspruch in jedem Fall verwirkt. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus
Art. 31 Abs. 1 Satz 3 ZUG
, wonach für später gemeldete Unterstützungsfälle keine Ersatzpflicht besteht. Für den dazwischen liegenden Zeitraum gilt, dass die Unterstützungsanzeige dann rechtzeitig ist, wenn die Verspätung begründet ist. Daraus könnte geschlossen werden, dass die Nichtbeachtung der 60-tägigen Frist die Verwirkung der Ersatzansprüche zur Folge hat, sofern der anzeigestellende Kanton das Versäumnis der Frist nicht in geeigneter Weise begründet. Dies entspricht indessen nicht der Absicht des Gesetzgebers.
8.2
Laut Botschaft vom 17. November 1976 zu einem Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (BBl 1976 III 1193 Ziff. 262) handelt es sich bei der 60-tägigen Anzeigefrist um eine Ordnungs- und nicht um eine Verwirkungsfrist. In der bereits erwähnten Botschaft vom 22. November 1989 (BBl 1990 I 49 Ziff. 251.2) wird ausgeführt, die Frist stosse in der Praxis seit Jahren auf Kritik, da ihre Nichteinhaltung Verwirkungsfolgen nach sich ziehe. Aufgrund einer entsprechenden Empfehlung der
BGE 136 V 351 S. 361
Schweizerischen Konferenz für öffentliche Fürsorge (SKöF) werde sie jedoch von den Kantonen als Ordnungsfrist betrachtet. Diese Diskrepanz wollte der Gesetzgeber bei der Revision des ZUG beheben und die umstrittene und offenbar praxisfremde Verwirkungsfrist in eine Ordnungsfrist umwandeln. Da die mangelnde Verbindlichkeit Nachlässigkeiten fördern und eine vernünftige Budgetplanung auf Seiten der ersatzpflichtigen Gemeinwesen verhindern könnte, schlug der Bundesrat schliesslich vor, eine endgültige Frist von einem Jahr festzulegen. Der Ständerat führte zur Klarstellung alsdann den Nachsatz ein, dass für später als ein Jahr gemeldete Unterstützungsfälle keine Ersatzpflicht mehr bestehe (AB 1990 S 496).
8.3
Auch in der Literatur wird die 60-tägige Frist unter Hinweis auf die Materialien als Ordnungsfrist bezeichnet (THOMET, a.a.O., N. 288 zu
Art. 31 ZUG
; vgl. zudem KARIN ANDERER, Das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], in: Das Schweizerische Sozialhilferecht, 2008, S. 236).
8.4
Im Gegensatz zur Einjahresfrist hat der Gesetzgeber somit ausdrücklich davon abgesehen, die 60-tägige Frist mit einer Sanktion zu verbinden. Diese ist daher als Ordnungsfrist mit Appellfunktion zu verstehen, deren Nichtbeachtung keine direkten Rechtsfolgen nach sich zieht. Die Nachlässigkeit der zuständigen Fürsorgebehörde hat demnach erst nach Ablauf eines Jahres die Verwirkung des Ersatzanspruchs zur Folge. Selbst wenn die Behörde die Verspätung nicht näher begründet, gereicht ihr dies folglich nicht zum Nachteil, sofern sie innerhalb eines Jahres handelt. Indem das kantonale Gericht die Unterstützungsanzeige als rechtzeitig betrachtet hat, obwohl sie erst am 30. März 2009 und somit nach Ablauf von 60 Tagen seit der Beschlussfassung vom 26. November 2008 ergangen ist, hat sie nach dem Gesagten kein Bundesrecht verletzt. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d42fe702-dc43-47a6-8c67-4023bc78aa21 | Urteilskopf
136 III 74
9. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. SA contre époux Y. (recours en matière civile)
4A_412/2009 du 15 décembre 2009 | Regeste
Miete; quartierübliche Mietzinse (
Art. 269a lit. a OR
und
Art. 11 Abs. 1 VMWG
).
Definition des Quartiers im Sinne von
Art. 269a lit. a OR
. Die Umgrenzung des Territoriums, das als Quartier zu betrachten ist, hängt in erster Linie von den tatsächlichen und historischen Verhältnissen des Ortes ab. Es obliegt den kantonalen Behörden, bei Vorliegen besonderer Umstände das Quartier unabhängig von den Kriterien gemäss
Art. 11 Abs. 1 VMWG
zu umreissen. Das Bundesgericht greift dabei nur zurückhaltend ein (E. 2).
Mit der Mietsache vergleichbare Wohnräume im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 VMWG
. Bei einem Abstand der Baujahre von mehr als 20 Jahren sind Liegenschaften nicht mehr als in die gleiche Bauperiode fallend zu betrachten. Das Kriterium der Anzahl der Zimmer ist nicht notwendigerweise ausschlaggebend, wenn grosse Wohnungen zum Vergleich stehen. Erfordernis eines konkreten Vergleichs gestützt auf die genaue Angabe der angewendeten Kriterien (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 75
BGE 136 III 74 S. 75
A.
En 1974, X. SA a donné en location aux époux Y. un appartement de six pièces d'une surface de 174 m
2
situé au deuxième étage de l'immeuble sis à la rue Charles-Sturm xxx, à Genève. Depuis le 1
er
juillet 1994, le loyer, sans les charges, s'élève à 15'948 fr. par an, soit 1'329 fr. par mois, avec un taux hypothécaire de référence de 5,5 %.
L'immeuble abritant l'appartement a été construit en 1893 et rénové en 1979; selon les locataires, la rénovation n'a concerné que la façade. Il est équipé du téléréseau collectif, d'un interphone, du chauffage central et d'un ascenseur. Le bâtiment, dont l'état général est bon, est situé en bordure du boulevard des Tranchées, artère enregistrant un trafic automobile intense. Il se trouve à proximité de commerces, de restaurants, des transports publics, d'écoles et de jardins publics. L'appartement comprend un hall d'entrée, des fenêtres à double vitrage, des installations électriques anciennes et des dépendances; la cuisine n'est ni agencée, ni équipée; le logement ne bénéficie pas d'un parking.
Par avis officiel du 2 mars 2007, X. SA a résilié le bail pour le 30 juin 2007. Le congé a été signifié pour des motifs économiques, afin de relouer l'appartement à un tiers pour un loyer supérieur.
B.
Les époux Y. ont saisi la Commission de conciliation d'une requête en annulation de congé.
Non conciliée, l'affaire a été portée devant le Tribunal des baux et loyers du canton de Genève. Par jugement du 17 septembre 2008 rendu après instruction écrite, sans audition des parties et sans les enquêtes sollicitées par la bailleresse, le tribunal a annulé le congé. En substance, il a retenu qu'aucun des trente objets comparatifs présentés par la bailleresse n'était comparable à l'appartement dont le bail avait été résilié et, partant, que X. SA n'avait pas démontré qu'elle pourrait relouer l'appartement à un tiers pour un loyer non abusif supérieur au loyer payé par les locataires actuels.
Saisie par la bailleresse, la Chambre d'appel en matière de baux et loyers du canton de Genève a confirmé ce jugement par arrêt du 19 juin 2009. Sur les trente appartements présentés à titre d'objets comparatifs, la cour cantonale n'en a examiné que neuf, situés à
BGE 136 III 74 S. 76
proximité immédiate de rues comportant un trafic automobile important et dans un périmètre délimité par le boulevard des Tranchées, la rue de l'Athénée, la rue de Contamines et la rue Michel-Chauvet. Elle a d'emblée écarté les éléments de comparaison sis en dehors de ce périmètre au motif qu'ils se trouvaient dans un tissu urbain différent, comprenant des constructions plus récentes et offrant un caractère plus résidentiel. Pour le surplus, la Chambre d'appel est arrivée à la conclusion, pour des motifs divers, qu'aucun des neuf objets sis dans le périmètre défini n'était comparable avec l'appartement occupé par les époux Y.
C.
X. SA a interjeté un recours en matière civile. Elle concluait principalement à ce qu'il fût constaté que le bail avait été valablement résilié avec effet au 30 juin 2007 et à ce qu'aucune prolongation de bail ne fût accordée aux locataires; à titre subsidiaire, elle demandait le renvoi de la cause à la cour cantonale.
Les époux Y. ont proposé principalement le rejet du recours; à titre subsidiaire, ils demandaient le renvoi de la cause pour instruction complémentaire et, plus subsidiairement, une prolongation de bail de quatre ans.
La cour de céans a délibéré sur le recours en séance publique. Elle a admis partiellement le recours, annulé l'arrêt attaqué et renvoyé l'affaire à la Chambre d'appel pour nouvelle décision.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
En premier lieu, la recourante invoque une violation de l'
art. 269a let. a CO
. Cette disposition précise qu'un loyer n'est en principe pas abusif s'il se situe dans les limites des loyers usuels dans la localité ou dans le quartier.
2.1
Un congé motivé, comme en l'espèce, exclusivement par la volonté du bailleur d'obtenir d'un nouveau locataire un loyer plus élevé que le loyer payé par le locataire dont le bail est résilié ne contrevient en principe pas aux règles de la bonne foi (cf.
art. 271 al. 1 CO
). Pour être valable, une résiliation dictée par des considérations d'ordre économique ne doit toutefois pas servir de prétexte à la poursuite d'un but illicite. Il faut donc que le bailleur soit en mesure d'exiger du nouveau locataire un loyer supérieur au loyer payé jusque-là par le preneur congédié. En d'autres termes, le congé est annulable si l'application de la méthode de calcul absolue permet d'exclure
BGE 136 III 74 S. 77
l'hypothèse que le bailleur puisse majorer légalement le loyer, notamment parce que celui-ci est déjà conforme aux loyers usuels dans le quartier (
art. 269a let. a CO
) (cf.
ATF 120 II 105
consid. 3b/bb p. 110; plus récemment, arrêt 4A_472/2007 du 11 mars 2008 consid. 2.1 et 2.2). En l'occurrence, il s'agit de déterminer si une augmentation du loyer est possible en application de la méthode absolue. Ce point n'est pas contesté.
2.2
Le grief de la recourante se rapporte à la détermination des loyers usuels dans le quartier. La bailleresse reproche à la Chambre d'appel d'avoir défini de manière trop restrictive la notion de "quartier" figurant à l'
art. 269a let. a CO
et reprise à l'art. 11 al. 1 de l'ordonnance du 9 mai 1990 sur le bail à loyer et le bail à ferme d'habitations et de locaux commerciaux (OBLF; RS 221.213.11), en retenant un périmètre extrêmement réduit d'environ six hectares, qui correspond à 0,35 % de la surface de la ville de Genève, et en ne tenant aucun compte du découpage administratif de la ville en seize quartiers.
2.2.1
Il convient de déterminer ce que la loi entend par quartier, notion qui relève du droit.
La référence au quartier mentionné à l'
art. 269a let. a CO
a été reprise de l'
art. 15 al. 1 let. a AMSL
(RO 1972 II 1531). Le terme de quartier figure également dans la version allemande de l'
art. 269a let. a CO
("quartierüblichen Mietzinse"). Aucune définition ne ressort des textes légaux ni des travaux législatifs. Le Tribunal fédéral n'a guère eu à se pencher sur cette notion. Il a précisé toutefois que des immeubles pouvaient faire partie du même quartier bien qu'ils soient situés dans des secteurs de la ville ayant des codes postaux différents (
ATF 123 III 317
consid. 4b/ee p. 322).
Le terme quartier, désignant la quatrième partie d'un tout, a été transposée sur les villes romaines planifiées, qui étaient partagées en quatre parties par deux routes perpendiculaires se croisant en leur milieu(
Viertel
en allemand). Dans son acception actuelle, le quartier désigne la division administrative d'une ville ou la partie d'une ville, qui a sa physionomie propre et une certaine unité (cf. Le Grand Robert de la langue française). S'il forme un ensemble sur les plans historique, géographique, sociologique ou administratif, un quartier suppose également une certaine étendue et ne peut guère se limiter à quelques immeubles ou pâtés de maisons.
Aucun motif ne justifie de retenir à l'
art. 269a let. a CO
une notion plus restreinte du quartier. En particulier, celui-ci ne se réduit pas à
BGE 136 III 74 S. 78
un complexe architectural homogène. A cet égard, l'
art. 11 al. 1 OBLF
, qui précise comment calculer les loyers usuels du quartier, prescrit de prendre en compte notamment l'emplacement et l'année de construction des objets présentés à la comparaison; cela atteste que, pour faire partie d'un même quartier au sens du droit du bail, les immeubles n'ont pas nécessairement à bénéficier d'une situation semblable, ni à dater de la même période de construction. L'idée est bien plutôt que le quartier couvre une certaine surface et qu'il peut être hétérogène (dans ce sens: PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 4
e
éd. 1998, n° 34 ad
art. 269a CO
). Il est à relever par ailleurs que l'
art. 269a let. a CO
met sur le même plan "localité" et "quartier". Or, par localité, on entend un village ou une petite ville, soit précisément une entité pouvant avoir une certaine étendue et comporter différents types de bâtiments.
Le découpage administratif de la ville ou la division en quartiers historiques sera souvent déterminant. Mais des exceptions à cette règle sont envisageables, par exemple lorsque l'objet dont le loyer doit être examiné est situé à la limite de deux quartiers (cf. RAYMOND BISANG ET AL., Das schweizerische Mietrecht, Kommentar, 3
e
éd. 2008, n° 11 ad
art. 269a CO
, p. 554; HIGI, op. cit., n
os
33 et 35 ad
art. 269a CO
). Il n'est ainsi guère possible de poser une règle générale à ce sujet; par rapport à un objet donné, la délimitation de la portion de territoire à prendre en compte à titre de quartier dépendra essentiellement de la situation de fait et de l'histoire des lieux.
Pour ces motifs, l'autorité cantonale est, de par sa connaissance des circonstances locales, la mieux à même de cerner le quartier dans un cas particulier. Le Tribunal fédéral n'interviendra qu'avec retenue, lorsqu'il ressort de la décision cantonale que l'autorité précédente a méconnu la notion de quartier ou n'en a pas tenu compte, qu'elle s'est fondée sur des faits qui ne devaient jouer aucun rôle ou, au contraire, qu'elle n'a pas pris en considération des faits pertinents, ou encore qu'elle a abouti à un résultat manifestement erroné (cf.
ATF 132 III 758
consid. 3.3. i.f. p. 762).
2.2.2
En l'espèce, la Chambre d'appel a examiné uniquement neuf objets comparatifs situés dans le périmètre précité, dont ne fait du reste pas partie la rue Charles-Sturm où se trouve l'appartement occupé par les intimés; ce dernier est en bordure du boulevard des Tranchées, lequel délimite le périmètre en question. La cour cantonale a exclu deux appartements situés dans le périmètre retenu, au
BGE 136 III 74 S. 79
motif qu'ils ne se trouvaient pas à proximité immédiate de rues comportant un trafic automobile important. Elle a considéré au surplus que les autres objets présentés ne relevaient pas du même quartier au sens de l'
art. 269a let. a CO
et pouvaient d'emblée être éliminés de la comparaison.
Le périmètre défini par la Chambre d'appel a la forme d'un quadrilatère irrégulier d'environ 200 mètres sur 400 mètres. Il ne correspond ni à un quartier historique, ni à une entité administrative. Sa superficie est nettement plus restreinte que celle du quartier Centre-Plainpalais-Acacias ou des quartiers adjacents des Eaux-Vives et de Champel. Les secteurs hors de ce périmètre n'ont pas été pris en compte au seul motif qu'ils présentent un tissu urbain différent, comprenant des constructions plus récentes et offrant un caractère plus résidentiel. Ce faisant, la Chambre d'appel a apparemment exclu ces secteurs de la ville sur la base d'une appréciation globale, parce qu'ils semblent moins susceptibles de receler des appartements comparables à celui occupé par les intimés. Il ne s'agit pas là d'un critère définissant le quartier au sens de l'
art. 269a let. a CO
. Un tel mode de procéder revient à déclarer d'emblée non comparables tous les objets sis dans ces secteurs, sans avoir à examiner concrètement s'ils le sont au regard des critères de l'
art. 11 al. 1 OBLF
. La Chambre d'appel ne pouvait pas restreindre de la sorte les possibilités de la recourante de présenter des objets comparatifs. Il lui appartenait de définir d'abord le quartier indépendamment des critères de comparaison fixés à l'
art. 11 al. 1 OBLF
, puis d'examiner, sur la base de ces critères, les objets comparatifs présentés par la recourante qui sont situés dans le quartier tel que précédemment défini. Le grief tiré de la violation de l'
art. 269a let. a CO
est fondé.
3.
La recourante reproche également à la Chambre d'appel d'avoir violé l'
art. 11 al. 1 OBLF
et l'
art. 274d al. 3 CO
lors de l'examen des neuf objets comparatifs pris en considération. Le moyen n'est pas devenu sans objet. En effet, le Tribunal fédéral peut éventuellement éviter un renvoi et statuer lui-même au fond s'il arrive à la conclusion que cinq de ces neuf objets sont effectivement comparables à l'appartement occupé par les intimés (cf. consid. 3.1 infra).
3.1
Selon l'
art. 11 OBLF
, les loyers déterminants pour la constatation des loyers usuels, dans la localité ou le quartier, sont ceux des logements comparables à la chose louée, quant à leur emplacement, dimension, équipement, état et année de construction (al. 1), à
BGE 136 III 74 S. 80
l'exclusion des loyers résultant de ce qu'un bailleur ou un groupe de bailleurs domine le marché (al. 3). En règle générale, le juge doit disposer de cinq éléments de comparaison au moins. Il lui appartient de procéder à des comparaisons concrètes. L'autorité cantonale de dernière instance indiquera exactement les critères sur lesquels elle s'est fondée. Sur cette base, le Tribunal fédéral contrôle librement si les loyers usuels sont établis conformément au droit fédéral (
ATF 123 III 317
consid. 4a p. 319; arrêt 4C.265/2000 du 16 janvier 2001 consid. 4, in SJ 2001 I p. 247). Les loyers de référence doivent eux- mêmes ne pas être abusifs; il est donc nécessaire, en principe, de les adapter aux baisses du taux hypothécaire survenues depuis le moment où ils ont été fixés (
ATF 127 III 411
consid. 5a p. 412 ss).
Aux termes de l'
art. 274d al. 3 CO
, le juge établit d'office les faits et les parties sont tenues de lui soumettre toutes les pièces nécessaires. Selon la jurisprudence relative à cette disposition, le juge n'a pas à instruire d'office le litige lorsqu'un plaideur renonce à expliquer sa position, mais il doit interroger les parties et les informer de leur devoir de collaborer à l'instruction et de fournir des preuves. Si des motifs objectifs le conduisent à soupçonner que les allégations et offres de preuves d'une partie sont lacunaires, il doit inviter cette partie à compléter ses moyens (
ATF 125 III 231
consid. 4a p. 238 s.).
3.2
Les neuf éléments de comparaison pris en compte par la cour cantonale doivent être examinés à l'aune de ces principes.
3.2.1
La Chambre d'appel a écarté six objets parce qu'ils ne répondaient pas au critère de l'année de construction. Cinq appartements sont situés dans des immeubles construits en 1921 et le bâtiment abritant le sixième logement date de 1931; l'immeuble où logent les intimés ayant été construit en 1893, l'écart avec les exemples présentés est de vingt-huit, respectivement trente-huit ans.
Selon la jurisprudence, des immeubles datant des deux premières décennies du vingtième siècle sont comparables sous l'angle de l'année de construction (
ATF 123 III 317
consid. 4b/aa p. 320). Par la suite, le Tribunal fédéral a précisé qu'une différence de plus de vingt ans ne permettait en tout cas pas de ranger deux bâtiments dans la même période de construction (arrêt 4C.40/2001 du 15 juin 2001 consid. 5c/bb). Un assouplissement de la règle des vingt ans ne se justifie pas. En effet, un certain schématisme s'impose dans ce domaine, afin d'assurer la prévisibilité du droit et l'égalité de traitement.
BGE 136 III 74 S. 81
C'est dès lors à bon droit que la cour cantonale a éliminé de la comparaison les six exemples précités.
3.2.2
Il reste trois objets - désignés sous les n
os
11, 21 et 23 des pièces déposées par la bailleresse -, ce qui, en tout état de cause, est insuffisant pour démontrer que le loyer payé par les intimés est inférieur aux loyers usuels du quartier. Cela étant, les trois éléments de comparaison précités appellent les observations suivantes.
La Chambre d'appel a écarté l'appartement de 180 m
2
situé dans l'immeuble sis à la route de Florissant yyy (objet n° 11) notamment parce qu'il comporte sept pièces alors que le logement occupé par les intimés n'en a que six. Or, si le nombre de pièces est déterminant lorsqu'il s'agit de comparer des appartements plutôt petits, ce critère l'est beaucoup moins lorsque la comparaison porte sur des appartements de grande dimension. Ainsi, le Tribunal fédéral a jugé que des appartements de 160 m
2
et 171 m
2
, voire de 142 m
2
étaient comparables selon le critère de la dimension, même si les uns comportaient sept pièces et les autres comprenaient six pièces ou six pièces et demie (
ATF 123 III 317
consid. 4b/cc p. 321). En l'espèce, l'objet n° 11, d'une surface de 180 m
2
, ne saurait être exclu de la comparaison avec l'appartement de 174 m
2
loué par les intimés parce qu'il comprend une pièce de plus.
La Chambre d'appel a invoqué deux autres motifs pour écarter l'objet n° 11: "différence entre l'état général de l'immeuble (excellent/bon)" et "différence dans l'état de la cuisine (agencée/non agencée)". Faute de description plus précise de l'état réel des immeubles en cause, la présentation sommaire figurant dans l'arrêt attaqué ne répond pas à l'exigence jurisprudentielle d'une comparaison concrète, fondée sur l'indication exacte des critères utilisés. En ce qui concerne la cuisine, les précisions manquent également. Un agencement - dont on ignore s'il est récent ou non - garnissant une cuisine non équipée d'appareils ménagers ne constitue pas une différence notable excluant à elle seule toute comparaison avec un appartement dépourvu de cuisine agencée. Il s'ensuit que la cour de céans n'est pas en mesure de juger si l'objet n° 11 est comparable à l'appartement occupé par les intimés.
Les juges genevois ont éliminé de la comparaison l'appartement de six pièces et demie, d'une surface de 144 m
2
, situé dans l'immeuble sis à la rue du Mont-de-Sion zzz (objet n° 21) en raison de
BGE 136 III 74 S. 82
l'absence de référence au taux hypothécaire sur la base duquel le loyer avait été fixé. Bien qu'elle n'ait pas relevé d'autre motif excluant une comparaison, la cour cantonale n'a pas invité la recourante à compléter ses allégations avant de fonder sa décision sur cette seule omission. Ce faisant, elle a violé la maxime d'office. La Chambre d'appel a dès lors méconnu le droit fédéral en refusant de prendre en considération l'objet n° 21 pour le motif invoqué.
La cour cantonale a écarté l'appartement de six pièces situé à la même adresse que l'objet n° 21 notamment parce que sa surface (136 m
2
) était environ 20 % inférieure à celle de l'appartement occupé par les intimés (174 m
2
). Cette conclusion est conforme à la jurisprudence, qui a déjà exclu la comparaison entre un appartement de 171 m
2
et un appartement de 130 m
2
(
ATF 123 III 317
consid. 4b/cc p. 321). | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d435df99-5917-45b4-bb05-ca88981f8dd0 | Urteilskopf
134 IV 43
5. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. SA contre Procureur général de la République et canton de Genève (recours en matière pénale)
1B_210/2007 du 16 octobre 2007 | Regeste
Beschwerde in Strafsachen gegen einen Entscheid betreffend die Sistierung des Verfahrens -
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
.
Richtet sich eine Beschwerde gegen einen Entscheid betreffend die Sistierung eines Verfahrens und macht der Beschwerdeführer keine Verletzung des Beschleunigungsgebots (formelle Rechtsverweigerung oder Verweigerung eines Entscheids) geltend, sondern die Verletzung anderer verfassungsmässiger Rechte im Zusammenhang mit der Anwendung des Strafverfahrensrechts, so muss die Eintretensvoraussetzung von
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
, d.h. die Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils, erfüllt sein (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 134 IV 43 S. 43
La société A. SA a conclu en 2002 avec la société B. SA un contrat de "joint venture" pour l'exploitation commune d'un restaurant à
BGE 134 IV 43 S. 44
Genève. A. SA détenait intégralement la société X. SA, qui a participé à ce projet et dont la faillite a été prononcée le 20 février 2006. Le 20 juin 2006, B. SA a déposé plainte pénale, à Genève, contre l'administrateur unique de X. SA, le tenant pour responsable de la faillite. Cet administrateur a été inculpé (procédure pénale n° x/2006).
Toujours dans ce contexte, le 18 avril 2007, la société A. SA a dénoncé un administrateur de B. SA. Une nouvelle procédure pénale a été ouverte à Genève (n° y/2007). Le 11 mai 2007, le Procureur général du canton a ordonné la suspension de cette cause dans l'attente du résultat de la procédure pénale n° x/2006. La société A. SA a recouru contre cette suspension auprès de la Chambre d'accusation. Par ordonnance du 18 juillet 2007, cette juridiction a rejeté le recours et confirmé la décision entreprise. Elle a retenu en substance que, formellement, les parties aux deux procédures n'étaient pas identiques, mais que les actions initiées "port[aient] toutes sur le même complexe de fait et découl[aient] toutes du différend survenu entre les deux entités susnommées concernant la validité et l'exécution du contrat de joint venture". La Chambre d'accusation a précisé que si à l'issue de l'instruction dans la procédure n° x/2006, les dénonciations de la recourante devaient trouver un fondement suffisant pour tomber sous le coup des dispositions pénales invoquées, la procédure n° y/2007 pourrait alors être reprise.
Agissant par la voie du recours en matière pénale, A. SA a demandé au Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance de la Chambre d'accusation du 18 juillet 2007 et de renvoyer la cause à l'autorité cantonale pour ouverture d'une information. Le Tribunal fédéral a déclaré ce recours irrecevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Dans la cause pénale (n° y/2007), la décision attaquée est une décision incidente, qui ne met pas fin à la procédure.
2.1
Le recours en matière pénale contre une décision incidente n'est recevable qu'aux conditions de l'art. 93 al. 1 de la loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF; RS 173.110). Une telle décision ne peut être examinée par le Tribunal fédéral que si elle peut causer un préjudice irréparable (
art. 93 al. 1 let. a LTF
), ou si l'admission du recours peut conduire immédiatement à une décision finale qui permet d'éviter une procédure probatoire longue et coûteuse (
art. 93 al. 1 let. b LTF
). Il est manifeste que la seconde hypothèse n'entre
BGE 134 IV 43 S. 45
pas en considération ici, de sorte qu'il convient uniquement d'examiner si le recours est recevable au regard de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
. D'après la jurisprudence récente du Tribunal fédéral, dans la procédure de recours en matière pénale, la notion de préjudice irréparable (
art. 93 al. 1 let. a LTF
) correspond à celle de l'art. 87 al. 2 de l'ancienne loi d'organisation judiciaire (OJ), qui soumettait à la même condition la recevabilité du recours de droit public contre de telles décisions incidentes (
ATF 133 IV 139
consid. 4 p. 141;
ATF 133 IV 335
consid. 4 p. 338). Selon la jurisprudence relative à l'
art. 87 al. 2 OJ
, il doit s'agir d'un dommage de nature juridique, qui ne puisse pas être réparé ultérieurement par un jugement final ou une autre décision favorable au recourant (notamment
ATF 131 I 57
consid. 1 p. 59;
ATF 127 I 92
consid. 1c p. 94 et les arrêts cités). Cette réglementation est fondée sur des motifs d'économie de procédure; en tant que cour suprême, le Tribunal fédéral doit en principe ne s'occuper qu'une seule fois d'un procès, et cela seulement lorsqu'il est certain que le recourant subit effectivement un dommage définitif.
2.2
Dans le cadre de l'ancien recours de droit public, le Tribunal fédéral avait considéré, dans un arrêt rendu en 1994, que l'
art. 87 OJ
n'était pas applicable au recours formé contre une décision ordonnant la suspension d'une procédure (
ATF 120 III 143
consid. 1b p. 144). Après avoir posé cette règle, cet arrêt indiquait que la partie demandant en vain une décision pouvait agir par la voie du recours de droit public pour déni de justice, même si l'autorité cantonale ne refusait pas expressément de statuer (ibidem). La jurisprudence constante admet en effet que l'on renonce à l'exigence d'un préjudice irréparable lorsque le recourant se plaint d'un refus de l'autorité de statuer, ou d'un retard injustifié à le faire (
ATF 120 III 143
consid. 1b p. 144;
ATF 117 Ia 336
consid. 1a p. 337; arrêt 1P.623/2002 du 6 mars 2003, publié in Pra 92/2003 n° 207 p. 1129).
2.3
Lorsque l'on examine la portée d'une décision de suspension et ses effets pour les parties au procès, il faut en réalité prendre en considération deux situations différentes: d'une part celle où la partie, estimant que sa cause n'a pas été jugée dans un délai raisonnable, se plaint d'une violation de l'
art. 29 al. 1 Cst.
ou d'une autre garantie correspondante, l'objet du recours pouvant alors être soit une décision expresse - le cas échéant une ordonnance de suspension -, soit le silence ou l'inaction de l'autorité; d'autre part celle où la partie conteste la suspension de la procédure non pas en invoquant
BGE 134 IV 43 S. 46
la garantie du jugement dans un délai raisonnable (ou principe de la célérité) mais en présentant d'autres griefs, par exemple l'inopportunité de cette mesure compte tenu d'autres procédures ouvertes dans le même contexte, le risque de disparition de preuves, etc. Dans cette seconde situation, la suspension n'est pas nécessairement susceptible de conduire à un retard constitutif de déni de justice formel; à tout le moins, une telle conséquence peut n'être qu'une simple hypothèse, sans risque particulier de réalisation, au moment où la suspension est décidée (il en va de même, par analogie, lorsqu'une expertise ou une commission rogatoire sont ordonnées). Aussi, pour tenir dans une certaine mesure compte de ces différentes situations, le Tribunal fédéral a rappelé cette jurisprudence, dans des arrêts non publiés postérieurs à l'arrêt précité (
ATF 120 III 143
), en précisant qu'elle s'appliquait essentiellement aux cas où la suspension de la procédure était prononcée
sine die
, pour une durée indéterminée ou lorsque la reprise de la procédure dépendait d'un événement incertain, sur lequel l'intéressé n'avait aucune prise (arrêts 1P.269/2000 du 18 mai 2000, consid. 1b/bb; 1P.536/2004 du 19 novembre 2004, consid. 3).
2.4
Dans le cas présent, la décision attaquée confirme une ordonnance de suspension de la procédure pénale. Ladite ordonnance a été prise par le Procureur général dans le mois suivant le dépôt de la dénonciation, et avant l'ouverture de l'instruction préparatoire (cf.
art. 90 let. a CPP
/GE). La Chambre d'accusation a elle-même statué deux mois après l'ordonnance de suspension. Il est manifeste qu'à la date de la décision attaquée, les autorités cantonales ne pouvaient pas se voir reprocher une violation de la garantie du jugement dans un délai raisonnable dans la procédure pénale n° y/2007. La recourante ne le prétend du reste pas.
La recourante ne fait pas non plus valoir que la suspension - dont la durée dépend de l'avancement d'une autre enquête pénale en cours concernant, d'après la décision attaquée, le même complexe de faits - équivaudrait à un report
sine die
des opérations de l'enquête, empêchant nécessairement ou selon toute probabilité les autorités d'instruction et de jugement de statuer dans un délai raisonnable. La recourante présente en effet des griefs d'un autre ordre: elle soutient que les deux procédures pénales concernées (n
os
y/2007 et x/2006) ont des objets différents, que les protagonistes n'ont pas le même rôle dans les deux affaires et, en substance, que les conditions pour ordonner une suspension, mesure conçue comme exceptionnelle, ne sont pas réunies.
BGE 134 IV 43 S. 47
2.5
Il incombe à la partie qui critique une décision ordonnant la suspension d'une procédure d'indiquer clairement l'objet de la contestation. Si la suspension est critiquée parce que la durée de la procédure à ce stade est déjà excessive, ou parce que cette mesure entraînera nécessairement la violation du principe de la célérité, cette argumentation doit être exposée de manière précise, conformément aux exigences de motivation posées aux art. 42 al. 2 et 106 al. 2 LTF (cf.
ATF 133 II 249
consid. 1.4.2 p. 254). Le cas échéant, le Tribunal fédéral pourra considérer que le recours contre la suspension est recevable nonobstant le caractère incident de l'ordonnance, ce conformément à la jurisprudence relative à l'
art. 87 OJ
qu'il y a lieu en principe de reprendre dans le cadre de l'
art. 93 al. 1 LTF
(cf. supra, consid. 2.1 et 2.2).
En revanche, si la suspension critiquée intervient à un stade de la procédure où il est évident que le principe de la célérité n'a pas été violé, et que la partie recourante - tenue dans cette situation également de motiver son recours, conformément aux art. 42 al. 2 et 106 al. 2 LTF - ne prétend pas être nécessairement exposée au risque, à terme, d'une violation de la garantie du jugement dans un délai raisonnable (
art. 29 al. 1 Cst.
), il faut considérer que la contestation ne porte pas sur l'application de cette dernière garantie. Autrement dit, le Tribunal fédéral n'est pas en pareil cas saisi d'un recours pour déni de justice formel, à cause d'un refus de statuer, mais d'un recours pour violation d'autres garanties constitutionnelles en relation avec l'application du droit cantonal de procédure pénale. Dans cette hypothèse, il n'y a aucun motif de renoncer à soumettre le recours aux conditions de recevabilité de l'
art. 93 al. 1 LTF
.
2.6
En l'espèce, on se trouve clairement, d'après l'argumentation de la recourante, dans la seconde situation exposée ci-dessus. Il est manifeste que la décision incidente attaquée n'est pas susceptible de causer à la recourante un préjudice juridique irréparable. La condition de l'
art. 93 al. 1 let. a LTF
n'étant pas satisfaite, les conclusions du recours doivent être déclarées irrecevables. | null | nan | fr | 2,007 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4435737-8fd1-4287-89b1-7c6884896bab | Urteilskopf
108 II 59
10. Arrêt de la Ire Cour civile du 12 janvier 1982 dans la cause dame X. contre Y. (recours en réforme) | Regeste
Haftung des Chirurgen.
Der Chirurg ist haftbar, wenn er eine Operation vornimmt, ohne den Patienten aufgeklärt und von ihm die Einwilligung erhalten zu haben, obschon dies möglich und erforderlich gewesen wäre. Er ist dann für allen Schaden verantwortlich, der infolge Misslingens der Operation entstanden ist, selbst wenn er keinen Kunstfehler begangen hat. Kann er sich befreien, indem er beweist, dass sein Patient in die Behandlung eingewilligt hätte, selbst wenn er deren genaue Natur und die Risiken gekannt hätte? | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 108 II 59 S. 59
A.-
Dame X. craignait d'être atteinte d'une affection grave aux seins. En janvier 1971, elle consulta le docteur Z., chirurgien à Lausanne. Après étude du dossier et divers examens, le docteur Z. proposa à sa patiente une opération de réduction des seins ayant pour objet l'excision de kystes et une correction plastique. Il suggéra de faire appel, pour la partie esthétique, à un second médecin, le docteur Y., spécialiste en chirurgie plastique. Dame X. accepta cette proposition.
Le docteur Z. adressa sa patiente au docteur Y., lequel la reçut le 3 février et fixa l'opération au 23 mars 1971, mais sans en avertir son confrère. Le soir du 22 mars, le docteur Z. apprit incidemment de sa patiente que l'intervention aurait lieu le lendemain; il lui déclara qu'il n'y participerait pas.
BGE 108 II 59 S. 60
Le docteur Y. opéra dame X. l'après-midi du 23 mars 1971. Il procéda à une mammectomie sous-cutanée totale. L'excision des masses mammaires ayant laissé sur le thorax deux sacs cutanés vides, le chirurgien posa immédiatement des prothèses de type Ashley. L'examen histologique du matériel excisé permit de constater, pour les deux seins, une hyperplasie scléro-kystique des glandes mammaires, soit la présence d'une multitude de kystes d'une taille variant entre celle d'une tête d'épingle et celle d'un petit pois.
Dame X. quitta la clinique le 28 mars 1971. Des complications se produisirent, notamment une nécrose cutanée du sein gauche. Le docteur Y. décida l'ablation des prothèses, qui eut lieu le 17 mai 1971. Dame X. dut subir plusieurs interventions de chirurgie réparatrice. Elle continue à souffrir de l'échec de l'opération faite par le docteur Y.
B.-
Le 13 septembre 1972, dame X. a intenté à Y. une action en paiement d'un million de francs.
Par jugement du 12 août 1981, la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a condamné le défendeur à payer à la demanderesse la somme de 10'000 fr. avec intérêt à 5% l'an à compter du 13 septembre 1972. Elle a alloué à la demanderesse des dépens réduits. La Cour a considéré que le défendeur n'avait violé les règles de l'art ni lors de l'intervention, ni ultérieurement. Elle lui a toutefois reproché de ne pas avoir avisé sa patiente de ce qu'il allait ou devrait peut-être procéder à une mammectomie sous-cutanée totale avec pose de prothèses. Elle a néanmoins refusé d'allouer des dommages et intérêts de ce chef, niant tout lien de causalité entre le défaut d'information et de consentement et le dommage subi par la demanderesse. Celle-là n'avait en effet pas établi qu'elle n'eût pas consenti à l'opération si elle en avait connu la nature exacte et les risques. La Cour a jugé en revanche que le médecin avait provoqué chez sa patiente une atteinte psychique grave, pour ne l'avoir pas dûment avertie. La demanderesse n'était pas préparée au choc que représentait pour elle le fait de porter des prothèses, avec le risque inhérent aux phénomènes de rejet. La Cour a dès lors estimé justifié de lui allouer une indemnité pour tort moral, qu'elle a arrêtée à 10'000 fr.
C.-
La demanderesse a interjeté un recours en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut au paiement de 134'570 fr. 10 avec intérêt à 5% à compter du 13 septembre 1972.
Le défendeur propose le rejet du recours.
BGE 108 II 59 S. 61
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Celui qui agit contre un médecin en invoquant une faute de diagnostic ou de traitement doit établir l'inobservation d'une des règles de l'art, l'existence d'un dommage et celle d'un lien de causalité entre l'erreur et le préjudice (
ATF 105 II 285
s.). Les règles de l'art sont les principes établis par la science médicale, généralement reconnus et admis, communément suivis et appliqués par les praticiens (
ATF 64 II 205
consid. 4a). Or, selon le jugement attaqué, l'examen histologique du matériel excisé a démontré que l'opération faite par le défendeur était objectivement justifiée. La mammectomie sous-cutanée totale était généralement conseillée en pareil cas, même si elle ne constituait pas une nécessité absolue. Le défendeur n'avait pas mésusé du pouvoir d'appréciation laissé aux chirurgiens sur l'opportunité d'une intervention et le choix de la technique opératoire. La Cour a fondé son opinion sur les rapports et avis d'experts. Les griefs de la demanderesse qui tendent à faire admettre l'inobservation d'une des règles de l'art n'apparaissent dès lors que comme une critique de l'appréciation des preuves. La demanderesse, au reste, ne démontre ni ne soutient que la cour cantonale se soit inspirée d'une notion erronée des règles de l'art.
2.
Le médecin, en principe, a l'obligation d'informer son patient sur la nature et les risques des traitements qu'il entend appliquer, à moins qu'il ne s'agisse d'actes courants, sans danger particulier et n'entraînant pas d'atteinte définitive ou durable à l'intégrité corporelle. Le patient doit être suffisamment renseigné sur l'intervention ou le traitement considéré pour pouvoir y consentir en connaissance de cause. L'information qui lui est donnée ne doit cependant pas susciter en lui un état d'appréhension préjudiciable à sa santé (
ATF 105 II 287
s.).
La demanderesse avait donné son accord à une opération de réduction des seins avec excision de kystes. En procédant à une mammectomie sous-cutanée totale avec pose de prothèses, le défendeur a fait une opération plus mutilante et donc autre que celle que la demanderesse pouvait envisager en se fiant aux informations reçues, différente de celle à laquelle elle avait consenti. L'acte chirurgical accompli en l'espèce représentait une atteinte grave et irrémédiable à l'intégrité corporelle de la patiente. Et la cour cantonale, se fondant sur l'avis d'experts, a constaté que
BGE 108 II 59 S. 62
l'intolérance aux prothèses n'avait rien d'exceptionnel. Dans ces conditions, le défendeur avait l'obligation de signaler à la demanderesse qu'il allait ou devrait peut-être procéder à une mammectomie sous-cutanée avec pose de prothèses; il était tenu de la renseigner sur la nature et les risques de l'opération, notamment ceux inhérents aux phénomènes de rejet. Il importerait peu, au demeurant, que le défendeur n'eût été amené qu'en cours d'intervention à choisir ce type d'opération. Le chirurgien que le déroulement d'une opération place devant le choix d'une intervention mutilante ne peut se passer du consentement de son patient, à moins que l'acte envisagé ne s'impose de manière urgente ou indubitablement nécessaire. Il doit s'interrompre s'il peut le faire sans danger pour son patient (arrêt du Tribunal fédéral allemand du 2 novembre 1976, Neue Juristische Wochenschrift 1977, p. 337 s.).
3.
L'exigence d'un consentement éclairé se déduit directement du droit du patient à la liberté personnelle et à l'intégrité corporelle; elle est liée à l'existence d'un risque inhérent à tout acte médical, risque qui ne peut être assumé que par celui qui y est exposé. Le médecin donc qui fait une opération sans informer son patient ni en obtenir l'accord commet un acte contraire au droit et répond du dommage causé, que l'on voie dans son attitude la violation de ses obligations de mandataire ou une atteinte à des droits absolus et, partant, un délit civil. L'illicéité d'un tel comportement affecte l'ensemble de l'intervention et rejaillit de la sorte sur chacun des gestes qu'elle comporte, même correctement exécutés du point de vue médical. Le médecin doit donc réparation pour tout dommage découlant de l'échec total ou partiel de l'opération, lors même qu'il n'aurait violé aucune des règles de l'art (HINDERLING, Die ärztliche Aufklärungspflicht, p. 74; LOEFFLER, Die Haftung des Arztes aus ärztlicher Behandlung, p. 16 et 96 s.; SAVATIER, La responsabilité civile, 2e éd., no 782; SAVATIER/AUBY/SAVATIER/PÉQUIGNOT, Traité de droit médical, p. 229 et 259; LAUFS, Arztrecht, 2e éd., no 69; STAUDINGER, Kommentar zum BGB, 10/11e éd., no 398 ad par. 823). Le risque de l'acte médical, normalement supporté par le patient, passe au praticien qui intervient sans obtenir le consentement éclairé qu'il aurait pu et dû solliciter (KORNPROBST, Responsabilités du médecin, p. 438; NEY, La responsabilité des médecins, thèse Lausanne 1979, p. 106 s.).
Le fait auquel l'ordre juridique attache le devoir de réparation est l'acte accompli en violation d'une obligation contractuelle ou
BGE 108 II 59 S. 63
d'une norme générale de comportement. Or l'opération faite sans le consentement éclairé du patient est contraire au droit et l'est tout entière. L'existence d'un lien de causalité, condition de toute responsabilité, doit donc s'apprécier entre l'intervention chirurgicale, considérée dans son ensemble, et le préjudice subi par le patient. Ce lien existe, de manière naturelle et adéquate, lorsque l'opération aboutit à un échec, c'est-à-dire à une atteinte à la vie, la santé ou l'intégrité corporelle, et qu'elle apparaît normalement propre, selon le cours ordinaire des choses, à provoquer un résultat du genre de celui qui s'est produit. L'opération faite par le défendeur peut dès lors être considérée comme la cause naturelle et adéquate de la mutilation irrémédiable subie par la demanderesse.
La cour cantonale a nié qu'un lien de causalité fût établi entre l'attitude du défendeur et le préjudice de la demanderesse, faute pour celle-là d'avoir prouvé qu'elle n'eût pas consenti à l'opération si elle en avait connu la nature exacte et les risques. Cette exigence supplémentaire en matière de preuve repose sur une conception erronée du fait générateur de l'obligation de réparer. Ce fait, l'acte contraire au droit, est l'opération faite sans consentement éclairé, considérée comme un tout indivisible. Le patient peut donc se contenter de démontrer qu'il n'aurait vraisemblablement pas été lésé dans son intégrité corporelle si son médecin s'était abstenu de l'intervention considérée, que l'opération lui a dès lors fait perdre une chance de conserver la santé. Il n'a pas à prouver l'attitude qu'il aurait adoptée par hypothèse dans des circonstances qui ne se sont pas produites. Celui qui agit pour violation des règles de l'art se voit certes imposer une preuve plus stricte, puisqu'il doit démontrer que l'erreur même de diagnostic ou de traitement, et non pas seulement l'acte médical dans son ensemble, est la condition "sine qua non" de son préjudice. Ces exigences différentes tiennent au fondement même de la responsabilité dans l'un et l'autre cas. Car si l'absence de consentement entraîne l'illicéité de toute l'opération, la violation des règles de l'art ne rend contraire au droit que le geste diagnostique ou thérapeutique erroné.
On peut se demander si l'on doit, à l'instar de la jurisprudence allemande, permettre au médecin d'échapper à une condamnation en établissant que son patient aurait de toute manière consenti au traitement, s'il en avait connu la nature et les risques (arrêts du Tribunal fédéral allemand du 22 janvier 1980, Neue Juristische
BGE 108 II 59 S. 64
Wochenschrift 1980 p. 1334, du 5 juillet 1973, BGHZ 61 p. 123, et du 16 janvier 1959, BGHZ 29 p. 187). Dans son arrêt du 20 février 1940 en la cause E. c. X., la Cour de céans n'a pas eu à trancher la question, car elle avait nié l'existence d'un devoir d'information (
ATF 66 II 34
ss). Elle peut s'en dispenser également en l'espèce. La faculté qui pourrait être reconnue au médecin de s'exonérer en invoquant le consentement hypothétique de son patient, à titre de motif justificatif ou de fait interruptif de la causalité, constituerait un moyen de défense. Le fardeau de la preuve incomberait donc à celui qui l'exerce (cf. arrêts précités du Tribunal fédéral allemand). Le médecin devrait dès lors alléguer et prouver l'existence de circonstances permettant d'affirmer que son patient aurait donné son accord au traitement considéré, exécuté par le même praticien et dans les mêmes conditions, s'il avait été dûment informé et consulté. Or le défendeur n'a rien établi de tel en l'espèce.
4.
La demanderesse a subi un dommage. Elle a dû payer les frais de l'opération litigieuse et ceux des interventions réparatrices auxquelles elle s'est soumise. Selon les constatations du jugement attaqué, ces frais se montent à 34'570 fr. 10.
Le défendeur, par une attitude inexcusable, a lésé de manière grave et permanente les intérêts personnels de sa patiente, alors âgée de cinquante-quatre ans. La demanderesse a droit à une réparation pour les souffrances que lui ont causées tant l'échec de l'opération litigieuse que le choc psychique éprouvé à l'annonce d'une mutilation imprévue et irrémédiable. Elle a été lésée dans sa liberté personnelle, dans son intégrité corporelle, dans sa féminité. Il apparaît dès lors équitable de lui allouer une indemnité de 25'000 fr. à titre de réparation de son préjudice moral.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours et réforme le jugement attaqué en ce sens que Y. est condamné à payer à dame X. la somme de 59'570 fr. 10 avec intérêt à 5% l'an à compter du 13 septembre 1972. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d44cdda1-8522-4047-9ed7-2ef90fb790b1 | Urteilskopf
140 II 428
38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B., Gemeinderat Dagmersellen sowie Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement des Kantons Luzern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_565/2013 vom 12. Juni 2014 | Regeste
Ausnahmebewilligung für die Erstellung einer zonenkonformen, aber nicht standortgebundenen Baute im Gewässerraum (
Art. 36a GSchG
;
Art. 41a und 41c GSchV
).
Verpflichtung der Kantone zur Ausscheidung angemessener Gewässerräume und zu ihrer extensiven Nutzung; Übergangsbestimmungen (E. 2).
Begriff des dicht überbauten Gebiets i.S. von
Art. 41a Abs. 4,
Art. 41b Abs. 3 und
Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV
: Materialien, Literatur, Merkblatt (E. 3).
Der Planungs- bzw. Betrachtungsperimeter muss genügend gross sein und vor allem das Land entlang der Gewässer umfassen. Dieses muss bereits dicht (d.h. mehr als weitgehend) überbaut sein und es muss ein raumplanerisches Interesse an der verdichteten Überbauung des Gewässerraums bestehen (E. 7).
Vorliegend handelt es sich um ein peripher gelegenes Gebiet; das Ufer ist nur auf einer Länge von rund 100 m überbaut. Dies genügt nicht, um es als "dicht überbaut" zu qualifizieren, auch nicht unter Berücksichtigung der bestehenden Verbauung des Gewässers und der beschränkten Aufwertungsmöglichkeiten (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 429
BGE 140 II 428 S. 429
B. ist Eigentümer der überbauten Grundstücke Nrn. c und d sowie des nicht überbauten Grundstücks Nr. e in der Wohn- und Gewerbezone der Gemeinde Dagmersellen, unmittelbar östlich der Wigger (Gewässer Nr. 1001).
Am 24. April 2012 reichte er ein Baugesuch ein, um die bestehenden Gebäude abzubrechen und an ihrer Stelle sowie auf Grundstück Nr. e zwei Mehrfamilienhäuser (Haus A und Haus B) und eine Autoeinstellhalle zu errichten. Gegen das Bauvorhaben erhob die A. AG Einsprache.
Am 16. August 2012 bewilligte der Gemeinderat Dagmersellen das Bauvorhaben unter Bedingungen und Auflagen und wies die Einsprache der A. AG ab. Gleichzeitig wurde den Parteien die Verfügung der kantonalen Dienststelle Raumentwicklung, Wirtschaftsförderung und Geoinformation (RAWI) vom 3. September 2012 eröffnet, in der unter anderem gewässerschutz- und wasserbaurechtliche Ausnahmebewilligungen in Bezug auf die Wigger erteilt wurden.
BGE 140 II 428 S. 430
Gegen die Baubewilligung und die Verfügung des RAWI reichte die A. AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein. Am 30. April 2013 wies das Verwaltungsgericht Luzern (inzwischen: Kantonsgericht, 4. Abteilung) die Beschwerde ab.
Dagegen hat die A. AG am 3. Juni 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht erhoben.
Am 12. Juni 2014 wurde die Sache in öffentlicher Sitzung beraten. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist das Baugesuch ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Am 11. Dezember 2009 beschlossen die Eidgenössischen Räte einen indirekten Gegenentwurf zur Volksinitiative "Lebendiges Wasser (Renaturierungs-Initiative)" vom 3. Juli 2006. U.a. wurden im Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 1991 (GSchG; SR 814.20) Bestimmungen zur Revitalisierung der Gewässer und zur Sicherung und extensiven Bewirtschaftung des Gewässerraumes eingeführt. Daraufhin wurde die Volksinitiative zurückgezogen (zunächst bedingt und mit ungenutztem Ablauf der Referendumsfrist definitiv; vgl. BBl 2010 363; AS 2010 4291).
2.1
Der mit der erwähnten Gesetzgebung eingeführte
Art. 36a Abs. 1 GSchG
verpflichtet die Kantone, den Raumbedarf der oberirdischen Gewässer festzulegen, der erforderlich ist für die Gewährleistung der natürlichen Funktionen der Gewässer (lit. a), des Schutzes vor Hochwasser (lit. b) und für die Gewässernutzung (lit. c) (sog. Gewässerraum). Der Bundesrat wird beauftragt, die Einzelheiten zu regeln (Abs. 2).
Zu den natürlichen Funktionen der Gewässer gehören insbesondere der Transport von Wasser und Geschiebe, die Sicherstellung der Entwässerung, die Selbstreinigung des Wassers und die Erneuerung desGrundwassers, die Ausbildung einer naturnahen Strukturvielfalt in den aquatischen, amphibischen und terrestrischen Lebensräumen, die Entwicklung standorttypischer Lebensgemeinschaften, die dynamische Entwicklung des Gewässers und die Vernetzung der Lebensräume. Der Gewässerraum ist ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen und dient zugleich der Vernetzung von Lebensräumen. Er ist ein wichtiges Element der Kulturlandschaft und Erholungsraum
BGE 140 II 428 S. 431
für die Bevölkerung (Erläuternder Bericht des BAFU vom 20. April 2011, Parlamentarische Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer - Änderung der Gewässerschutz-, Wasserbau-, Energie- und Fischereiverordnung [im Folgenden: Erläuternder Bericht],S. 10 f.; HANS STUTZ, Raumbedarf der Gewässer - die bundesrechtlichen Vorgaben für das Planungs- und Baurecht, PBG aktuell 4/2011 S. 6 [imFolgenden: Raumbedarf];
derselbe,
Uferstreifen und Gewässerraum - Umsetzung durch die Kantone, URP 2012 S. 97 f. [im Folgenden: Uferstreifen]).
2.2
Der hierfür erforderliche Raumbedarf von Fliessgewässern wird in
Art. 41a der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV; SR 814.201)
konkretisiert, gemäss dem "Leitbild Fliessgewässer Schweiz, Für eine nachhaltige Gewässerpolitik" (BUWAL/BWG, 2003) und der Wegleitung "Hochwasserschutz an Fliessgewässern" (BWG, 2001) (vgl. Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerates vom 12. August 2008 zur Parlamentarischen Initiative "Schutz und Nutzung der Gewässer", BBl 2008 8059 [im Folgenden: Kommissionsbericht]; Erläuternder Bericht, S. 3).
Ausgangspunkt ist dabei die natürliche Breite des Fliessgewässers (Erläuternder Bericht, S. 11).
Art. 41a Abs.1 und 2 GSchV
bezeichnen die minimale Breite des Gewässerraums, die nicht unterschritten werden darf. Die Breite wird von den Kantonen erhöht, wenn dies erforderlich ist, beispielsweise zur Gewährleistung des Hochwasserschutzes, des Raumbedarfs für eine Revitalisierung oder überwiegender Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes (Abs. 3). In dicht überbauten Gebieten kann die Breite des Gewässerraums den baulichen Gegebenheiten angepasst werden, soweit der Schutz vor Hochwasser gewährleistet ist (Abs. 4).
2.3
Der Gewässerraum muss extensiv gestaltet und bewirtschaftet werden (
Art. 36a Abs. 3 GSchG
i.V.m.
Art. 41c Abs. 3 und 4 GSchV
). Darin dürfen nur standortgebundene, im öffentlichen Interesse liegende Anlagen wie Fuss- und Wanderwege, Flusskraftwerke oder Brücken erstellt werden (
Art. 41c Abs. 1 Satz 1 GSchV
). In dicht überbauten Gebieten kann die Behörde jedoch für zonenkonforme Anlagen Ausnahmen bewilligen, soweit keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (Satz 2). Rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare Anlagen im Gewässerraum sind in ihrem Bestand grundsätzlich geschützt (Abs. 2).
BGE 140 II 428 S. 432
Bis zur definitiven Festlegung der Gewässerräume sind die Nutzungseinschränkungen gemäss
Art. 41c Abs. 1 und 2 GSchV
auf einem Streifen beidseitig des Gewässers zu beachten, dessen Breite von derjenigen der bestehenden Gerinnesohle abhängig ist (Ziff. 2 der Übergangsbestimmungen zur Änderung der GSchV vom 4. Mai 2011 [im Folgenden: ÜbBest. GSchV]; vgl. Erläuternder Bericht, S. 30). Damit soll sichergestellt werden, dass nach dem Inkrafttreten der Verordnung keine unerwünschten neuen Anlagen errichtet werden (Erläuternder Bericht, S. 4 oben).
3.
Die Wigger weist im streitigen Abschnitt eine Gerinnesohle von 12 m auf. Der übergangsrechtliche Gewässerraum umfasst daher einen Streifen von je 20 m entlang des Gewässers (Abs. 2 lit. a und b ÜbBest. GSchV) bzw. von 26 m ab Gewässermitte. Die Westfassaden der geplanten Bauten A und B kommen in einem Abstand von 18 m ab Gewässermitte zu stehen; die Sickermulde befindet sich rund 15 m und die überhängenden Balkone von Haus B in 17 m Entfernung von der Gewässermitte. Das Bauvorhaben des Beschwerdegegners ist daher auf eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV
angewiesen.
3.1
Voraussetzung hierfür ist, dass es sich bei den Bauparzellen um "dicht überbautes Gebiet" handelt. Dieser Begriff - der auch in
Art. 41a Abs. 4 und
Art. 41b Abs. 3 GSchV
verwendet wird - knüpft nicht an vorbestehende raumplanerische Begriffsbildungen an, sondern wurde mit Blick auf die Gewässerraumthematik neu geschaffen. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der durch Lehre und Rechtsprechung näher konkretisiert werden muss (STUTZ, Uferstreifen, a.a.O., URP 2012 S. 103 f.).
3.2
Im Erläuternden Bericht wird dargelegt, dass die Ausscheidung des Gewässerraums von Fliessgewässern in Städten oder Dorfzentren, die dicht überbaut sind (z.B. städtische Quartiere in Basel am Rhein oder in Zürich an der Limmat), oft nicht oder nur den Gegebenheiten angepasst sinnvoll sei. Der Schutz vor Hochwasser müsse jedoch auch hier gewährleistet sein. Ausserhalb der dicht überbauten Zentren, z.B. auch in locker überbauten Aussenquartieren, sei dagegen der Gewässerraum gemäss den Vorgaben von Artikel 41a Absätze 1-3 GSchV auszuscheiden (Erläuternder Bericht, S. 12).
Im Gewässerraum dürften grundsätzlich nur standortgebundene, im öffentlichen Interesse liegende Anlagen neu erstellt werden; zur Füllung von Baulücken seien jedoch in dicht überbauten Gebieten
BGE 140 II 428 S. 433
Ausnahmen von diesem Grundsatz möglich (Erläuternder Bericht, S. 4 oben). Dies solle eine Siedlungsentwicklung nach innen und eine aus Sicht der Raumplanung erwünschte städtebauliche Verdichtung ermöglichen (Erläuternder Bericht, S. 15 oben).
3.3
STUTZ (Uferstreifen, a.a.O., URP 2012 S. 104; Raumbedarf, a.a.O., PBG 4/2011 S. 18) hält - im Sinne einer groben Annäherung - fest, dass dicht überbautes Gebiet vorliege, wenn die Grundstücke in der Umgebung baulich weitgehend ausgenützt seien, das zur Bebauung geplante Grundstück in einer Kernzone oder Zentrumszone liege, in der Umgebung des zur Bebauung geplanten Grundstücks bereits viele Bauten und Anlagen im Uferstreifen bzw. Gewässerraum ständen oder die Bauparzelle eine Baulücke bilde (im gleichen Sinne FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Aufl. 2011, Bd. II, S. 791).
3.4
Das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) und das BAFU haben in Zusammenarbeit mit den Kantonen am 18. Januar 2013 das "Merkblatt Gewässerraum im Siedlungsgebiet zur Anwendung des Begriffs 'dicht überbaute Gebiete' der Gewässerschutzverordnung" (im Folgenden: Merkblatt) erarbeitet.
Es stellt klar, dass Ausnahmen von den Gewässerraumbestimmungen nicht generell in den Bauzonen, sondern nur in dicht überbauten Gebieten ermöglicht werden sollen. Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung sei es, Siedlungsgebiet zu verdichten und Baulücken zu nutzen, sofern das Interesse an der Nutzung überwiege. Es solle dort eine Ausnahme von den Mindestbreiten ermöglicht werden, wo der Gewässerraum die natürlichen Funktionen auch auf lange Sicht nicht erfüllen könne. Dabei liege der Fokus auf dem Land entlang dem Gewässer und nicht (wie beim raumplanerischen Begriff des weitgehend überbauten Gebiets) auf dem Siedlungsgebiet als Ganzem (Merkblatt, S. 3/4, Abschnitt B).
Das Merkblatt enthält eine Kriterienliste zur Bestimmung des dicht überbauten Gebiets, betont aber, dass den Kantonen ein Spielraum zustehe. Es seien Aspekte der Gewässer- und der Siedlungsentwicklung heranzuziehen und sowohl übergeordnete Konzepte als auch die konkrete Situation vor Ort zu berücksichtigen. Die Kriterien seien nicht abschliessend und müssten fallweise gewichtet werden (Merkblatt, S. 4, Abschnitt C).
Für dicht überbautes Gebiet spreche der Umstand, dass es sich um eine Zentrums- oder Kernzone oder einen Entwicklungsschwerpunkt
BGE 140 II 428 S. 434
handle; dagegen spreche das Vorhandensein bedeutender Grünräume oder von Gewässerabschnitten mit ökologischer oder landschaftlicher Bedeutung (im Ist-Zustand oder nach getroffenen Aufwertungsmassnahmen). Zu berücksichtigen seien weiter die Bebaubarkeit und die Parzellenfläche, die bauliche Nutzung in der Umgebung und die Nähe zu öffentlichen Anlagen an Gewässern. Im Einzelfall könnten Gewässerzustand und -grösse eine Rolle spielen (Merkblatt, S. 4/5, Kriterienliste). (...)
4.
[Zusammenfassung der Erwägungen des Verwaltungsgerichts: Unter Berücksichtigung der vorhandenen Bauten und Anlagen in der Umgebung der Baugrundstücke und der Verbauung der Wigger im fraglichen Abschnitt sei es vertretbar, dicht überbautes Gebiet anzunehmen, trotz der in der weiteren Umgebung vorhandenen Grünräume.]
5.
[Zusammenfassung der Stellungnahme des BAFU: Die Einstufung als dicht überbautes Gebiet sei insbesondere aufgrund der beschränkten Aufwertungsmöglichkeiten der Wigger im fraglichen Gewässerabschnitt, zwischen zwei Brücken, vertretbar. Es stelle sich jedoch die Frage, ob zur weitestmöglichen Schonung des Gewässerraums, der auch im dicht überbauten Gebiet anzustreben sei, eine Verschiebung des Mehrfamilienhauses A weg vom Gewässer möglich wäre.]
6.
[Zusammenfassung der Rügen der Beschwerdeführerin: Der Betrachtungsperimeter müsse grösser gefasst werden. Er umfasse den bedeutenden Grünraum "A de Wigere", weshalb dicht überbautes Gebiet zu verneinen sei.]
7.
Der Begriff "dicht überbautes Gebiet" ist ein Begriff der GSchV und damit des Bundesrechts, der bundesweit einheitlich auszulegen ist. Ein Spielraum der Kantone besteht nur beim Vollzug im Einzelfall.
Der Begriff "dicht überbautes Gebiet" wird nicht nur in
Art. 41c Abs. 1 GSchV
verwendet, sondern auch in
Art. 41a Abs. 4 und
Art. 41b Abs. 3 GSchV
, im Zusammenhang mit der planerischen Festlegung des Gewässerraums: In dicht überbauten Gebieten darf der Gewässerraum den baulichen Gegebenheiten angepasst werden, unter Unterschreitung des minimalen Raumbedarfs des Gewässers gemäss Art. 41a Abs. 2 bzw.
Art 41b Abs. 1 GSchV
.
Eine sachgerechte Planung setzt einen genügend gross gewählten Perimeter voraus (HANS STUTZ, Anmerkung zum Urteil des
BGE 140 II 428 S. 435
Verwaltungsgerichts Aargau vom 27. September 2012, URP 2013 S. 163). Planungsperimeter ist - zumindest in kleineren Gemeinden - in der Regel das Gemeindegebiet (vgl. §§ 2 Abs. 2 und 11a Abs. 1 der Luzerner Gewässerschutzverordnung vom 23. September 1997 [KGSchV; SRL 703], wonach der Kanton die erforderliche Breite des Gewässerraums ermittelt, dessen verbindliche Festlegung aber durch die Gemeinden im Verfahren der Nutzungsplanung erfolgt). Dabei liegt der Fokus auf dem Land entlang der Gewässer und nicht auf dem Siedlungs- oder Baugebiet als Ganzem (so zutreffend Merkblatt, S. 4).
Wie die Beispiele im Erläuternden Bericht zeigen, wollte der Verordnungsgeber eine Anpassung des Gewässerraums bzw. Ausnahmebewilligungen vor allem in dicht überbauten städtischen Quartieren und Dorfzentren zulassen, die (wie Basel und Zürich) von Flüssen durchquert werden. In solchen Gebieten sollen die raumplanerisch erwünschte städtebauliche Verdichtung und die Siedlungsentwicklung nach innen ermöglicht und Baulücken geschlossen werden können. Dagegen besteht in peripheren Gebieten, die an ein Fliessgewässer angrenzen, regelmässig kein überwiegendes Interesse an einer verdichteten Überbauung des Gewässerraums. Hier muss daher der minimale Raumbedarf des Gewässers gemäss
Art. 41a Abs. 2 und
Art. 41b Abs. 1 GSchV
respektiert und von nicht standortgebundenen Anlagen freigehalten werden.
Der Verordnungsgeber hat mit dem Begriff "dicht überbaut" zum Ausdruck gebracht, dass eine "weitgehende" Überbauung (wie in
Art. 36 Abs. 3 RPG
[SR 700]) nicht genügt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
Art. 36a GSchG
als indirekter Gegenentwurf zur Volksinitiative "Lebendiges Gewässer" konzipiert wurde (vgl. oben E. 2.1). Der Rückzug der Initiative erfolgte nach Annahme des Gesetzes, aber vor Erlass der dazugehörigen Ausführungsbestimmungen. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff des "dicht überbauten Gebiets", der Ausnahmen vom Grundsatz des Schutzes und der extensiven Nutzung des Gewässerraums gemäss
Art. 36a GSchG
erlaubt, restriktiv auszulegen.
8.
Die Gemeinde Dagmersellen zählt rund 5'000 Einwohner. Das Hauptsiedlungsgebiet befindet sich östlich der Bahnlinie. Die Wigger fliesst westlich der Bahnlinie und wird durch einen Grüngürtel vom Gemeindezentrum getrennt. Er wird im streitigen Bereich durchbrochen, durch das kleine Wohngebiet Sagenstrasse/Birkenweg (W2)
BGE 140 II 428 S. 436
und die daran angrenzenden überbauten Parzellen der Wohn- und Gewerbezone. Das östliche Ufer der Wigger ist lediglich auf einer Länge von rund hundert Metern, auf vier Parzellen, überbaut (darunter die Bauparzellen d und c und die Parzelle f der Beschwerdeführerin). Mit Blick auf das gesamte Gemeindegebiet handelt es sich um ein peripher gelegenes Gebiet, das nicht als "dicht überbaut" bezeichnet werden kann.
8.1
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Wigger im fraglichen Abschnitt verbaut ist und die Aufwertungsmöglichkeiten aufgrund der beiden Brücken beschränkt sind. Dieser Umstand kann im Rahmen der nach
Art. 41c Abs. 1 Satz 2 GSchV
gebotenen Interessenabwägung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung sprechen, genügt aber für sich allein nicht, um "dicht überbautes Gebiet" zu begründen. Der Gewässerraum soll den Raumbedarf des Gewässers langfristig sicherstellen und ist unabhängig vom Bestehen konkreter Revitalisierungs- oder Hochwasserschutzprojekte auszuscheiden (Kommissionsbericht, BBl 2008 8059).
8.2
Die Parzellen des Beschwerdegegners (...), die gemeinsam überbaut werden sollen, ergeben zusammen eine relativ grosse Fläche. Es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sie auch unter Respektierung des Gewässerraums baulich sinnvoll genutzt werden können. Jedenfalls geniessen die bestehenden Bauten, auch soweit sie in den Gewässerraum hineinragen, Bestandesschutz (
Art. 41c Abs. 2 GSchV
). Die noch nicht überbaute Parzelle Nr. e liegt ausserhalb des übergangsrechtlichen Gewässerraums; dieser steht daher der Schliessung dieser Baulücke nicht entgegen. Insofern bedeutet die Verweigerung der Ausnahmebewilligung keine unzumutbare Einschränkung der Eigentumsfreiheit. | public_law | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d44ef553-f076-47b3-97c2-9c305c2c9ad3 | Urteilskopf
141 III 185
26. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A.A. contre Banque B. (recours en matière civile)
5A_58/2015 du 28 avril 2015 | Regeste
Art. 80 Abs. 1 und
Art. 291 Abs. 1 SchKG
; Vollstreckung eines Anfechtungsurteils.
Das Anfechtungsurteil gilt als definitiver Rechtsöffnungstitel, soweit es den Beklagten dazu verpflichtet, dem Kläger Schadenersatz zu leisten (E. 4.2). | Sachverhalt
ab Seite 185
BGE 141 III 185 S. 185
A.
A.a
Le 10 janvier 2006, C.A. a vendu à son épouse, A.A., la parcelle n° 296 de la commune de U. et lui a transféré la cédule hypothécaire n° ID y, constituée sur ce même immeuble.
Le 21 janvier 2008, ensuite d'une poursuite exercée contre C.A., la Banque B. s'est vu délivrer un acte de défaut de biens définitif après saisie d'un montant de 33'342'063 fr. 78. Statuant le 24 février 2011 sur l'action révocatoire ouverte par la Banque B. contre A.A., la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud a prononcé:
"I. Le transfert de la parcelle n° 296 de la commune de U. par C.A. à la défenderesse A.A., selon acte notarié du 10 janvier 2006, est révoqué.
II. La cession et le transfert par C.A. à la défenderesse de la propriété de la cédule hypothécaire au porteur de 1'000'000 fr. (un million de francs), premier rang, intérêt maximum 10 %, ID y, créée le 23 décembre 2005 et grevant la parcelle n° 296 de U., sont révoqués.
III. Faute pour la défenderesse de remettre à l'Office des poursuites procédant aux saisies requises par la demanderesse Banque B. sur la base du présent jugement, la cédule hypothécaire au porteur de 1'000'000 fr.
BGE 141 III 185 S. 186
(un million de francs), premier rang, intérêt maximum 10 %, ID y, créée le 23 décembre 2005 et grevant la parcelle n° 296 de la commune de U., libre de tous engagements, la défenderesse devra payer auprès dudit Office, pour être saisie au préjudice de C.A., en lieu et place de la prédite cédule, la somme de 1'000'000 fr. (un million de francs)".
L'appel formé par A.A. contre ce jugement a été rejeté par la Cour d'appel civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud par arrêt du 29 août 2011. Le Tribunal fédéral a rejeté, le 13 mars 2012, le recours interjeté contre cette décision (arrêt 5A_28/2012 du 13 mars 2012).
A.b
Par décision du 15 novembre 2013, le Président du Tribunal d'arrondissement de La Côte a rejeté la plainte formée par la Banque B. contre le refus de l'office de procéder à la saisie complémentaire de la cédule hypothécaire. Il a constaté que celle-ci avait été incorporée dans le patrimoine de D. AG, qui l'avait acquise de bonne foi. Cette décision est exécutoire, faute de recours, depuis le 3 décembre 2013.
B.
Le 6 février 2014, se fondant sur le jugement révocatoire, la Banque B. a fait notifier à A.A. un commandement de payer la somme de 1'000'000 fr. avec intérêts à 5 % l'an dès le 13 janvier 2014. Le 21 mai 2014, le Juge de paix du district de Nyon a levé définitivement l'opposition de la poursuivie, à concurrence de 1'000'000 fr., plus intérêts à 5 % dès le 6 février 2014. Le 16 décembre suivant, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours formé par la poursuivie.
C.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours interjeté par A.A contre cette décision.
Erwägungen
Extrait des considérants :
4.
Au sens de l'
art. 291 al. 1 LP
, celui qui a profité d'un acte révocable doit restituer ce qu'il a reçu.
4.1
Le jugement révocatoire a pour effet de rendre aux biens atteints par l'acte révocable du débiteur leur destination primitive, c'est-à-dire de les mettre en état de servir au désintéressement des créanciers, en les faisant retomber sous le droit d'exécution de ceux-ci (
ATF 136 III 341
consid. 3 p. 343 et les références;
ATF 135 III 265
consid. 3 p. 268). La restitution des biens litigieux doit avoir principalement lieu en nature (
ATF 135 III 513
consid. 9.1 p. 530). Le jugement révocatoire n'a pas d'incidence sur la validité du transfert de propriété de ces biens (
ATF 136 III 341
consid. 3 p. 343). Il constate
BGE 141 III 185 S. 187
que le créancier a le droit de les faire saisir et réaliser à son profit, comme s'ils appartenaient encore au débiteur (
ATF 47 III 89
consid. 1 p. 92), sans poursuite préalable (
ATF 43 III 212
spéc. p. 214 s.; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 5
e
éd. 2012, n. 2968 p. 580).
4.2
Subsidiairement, si la restitution en nature est impossible, parce que les biens ne se trouvent plus dans le patrimoine du bénéficiaire, elle doit avoir lieu par équivalent, sous la forme de dommages-intérêts au sens des
art. 97 ss CO
, dont le montant correspond à la contre-valeur des biens à la date où l'impossibilité est survenue (
ATF 136 III 341
consid. 4.1 p. 344;
ATF 135 III 513
consid. 9.3 p. 531 et consid. 9.6 p. 535;
30 II 559
consid. 5 et 6 p. 563; dans la procédure de saisie, cf. arrêts 5A_748/2013 du 25 novembre 2014 consid. 5.1; 5A_28/2012 du 13 mars 2012 consid. 5; 5C.219/2006 du 16 avril 2007 consid. 4.2). A cet égard, le jugement révocatoire est de nature condamnatoire (HENRI-ROBERT SCHÜPBACH, Droit et action révocatoires, 1997, n
os
43 s. ad
art. 291 LP
). Il confère au créancier (demandeur dans l'action révocatoire) une créance en paiement d'une somme d'argent à l'encontre du tiers (défendeur dans l'action révocatoire). Si le tiers n'exécute pas son obligation, le créancier peut faire procéder à l'exécution forcée de la créance par la voie de la poursuite pour dettes (
art. 38 al. 1 LP
; THOMAS BAUER, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. II, 2
e
éd. 2010, n° 15 ad
art. 291 LP
; SCHÜPBACH, op. cit., n° 228 ad
art. 291 LP
; HANS PETER BERZ, Der paulianische Rückerstattungsanspruch, 1960, p. 146 note 34). En tant qu'il condamne le tiers à verser des dommages-intérêts au créancier, le jugement révocatoire constitue un titre de mainlevée définitive (
art. 80 al. 1 LP
; BAUER, op. cit., n° 15 ad
art. 291 LP
). | null | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d4529caf-694e-47c8-b723-6aee1f61aab0 | Urteilskopf
80 IV 71
17. Jugement de la Cour pénale fédérale du 2 avril 1954 dans la cause Ministère public fédéral contre Bonnard et consorts. | Regeste
1. Politischer Nachrichtendienst,
Art. 272 StGB
.
a) Nachrichtendienst ist jede, wenn auch vereinzelte, Handlung, die zum Auskundschaften, Einziehen oder Weitergeben von Nachrichten gehört (Erw. 1).
b) Ausnahme bei Offenkundigkeit (Erw. 1 und 5).
c) Unerheblich ist, ob der Täter aus eigenem Antrieb gehandelt hat (Erw. 2).
d) Auf den Wert der Nachricht kommt für die rechtliche Würdigung der Handlung nichts an (Erw. 4 a).
e) Politisch im Sinne des
Art. 272 StGB
ist die Nachricht schon, wenn sie in den Augen des Empfängers dieser Art ist (Erw. 4 a).
f) Begriff der "Organisation des Auslandes" (Erw. 4 b); wie verhält es sich, wenn die Nachricht bloss einem öffentlichen Auftreten vor einer Versammlung oder einer internationalen Organisation dienen soll? (Erw. 6).
g) Unterscheidung zwischen dem verbotenen Nachrichtendienst und der erlaubten Zeitungsschriftstellerei (Erw. 4 b).
h) Es genügt, dass der Nachrichtendienst gegen die Schweiz, ihre Angehörigen, Einwohner oder Organisationen gerichtet sei; ein Nachteil ist nicht nötig (Erw. 4 c).
i) Subjektiver Tatbestand des
Art. 272 StGB
(Erw. 4 d und 6).
2. Irrige Vorstellung über den Sachverhalt,
Art. 19 StGB
(Erw. 8).
3. Rechtsirrtum,
Art. 20 StGB
; Voraussetzungen (Erw. 9).
4. Subjektive Voraussetzungen des bedingten Strafaufschubs (
Art.41 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
); was gilt, wenn der Verurteilte keine Reue bekundet hat? (Erw. 10 b).
5. Verteilung der Verfahrenskosten (Erw.11). | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 80 IV 71 S. 72
A.1.- En 1948 s'est tenu à Wroslaw (Pologne) un con grès mondial d'écrivains et d'intellectuels. Le congrès de
BGE 80 IV 71 S. 73
la Fédération démocratique internationale des femmes a eu lieu à la même époque, à Budapest. A la suite de ces deux réunions a été lancée une vaste campagne "pour la défense de la paix". Un "Congrès mondial des Partisans de la Paix" fut convoqué à Paris, où il se tint du 20 au 25 avril 1949. 380 délégués venant de Chine, d'Europe orientale, d'Allemagne et d'Autriche n'obtinrent pas le visa des autorités françaises et se réunirent à Prague. Le 25 avril 1949, le congrès décida la constitution d'un "Comité du Congrès mondial des Partisans de la Paix", composé de 140 personnes. Le professeur Frédéric Joliot-Curie fut élu président de cet organisme.
Par la suite furent lancés dans la plupart des pays du monde des mouvements nationaux des partisans de la paix. Un tel mouvement fut notamment créé en Suisse.
Un second congrès mondial fut convoqué à Sheffield (Angleterre) en 1950. Mais, les autorités anglaises ayant refusé le visa d'entrée à un grand nombre de participants, il fut déplacé à Varsovie, où il se tint du 16 au 22 novembre 1950. Au cours de ce congrès fut constitué un "Conseil mondial de la Paix" (C.M.P.) comprenant 224 membres à l'origine. Dans son sein, on choisit un bureau de 27 membres, présidé par le professeur Joliot-Curie.
Le bureau du C.M.P. se réunit une ou deux fois par année. En particulier, il expédie les affaires courantes et arrête l'ordre du jour des réunions du C.M.P. Chaque mouvement national de la paix contribue aux frais du C.M.P. par le paiement d'une cotisation fixée en tenant compte du nombre de signatures recueillies pour l'appel de Stockholm en faveur de la paix. Le C.M.P. dispose d'un secrétariat permanent, qui a eu son siège à Paris jusqu'en 1951. Par arrêté du 5 avril 1951, le Ministre français de l'Intérieur prononça la dissolution de l'"Association du Comité du Congrès mondial des Partisans de la Paix". Aussi le secrétariat du C.M.P. fut-il transféré à Prague, puis à Vienne. Un recours au Conseil d'Etat est actuellement pendant contre l'arrêté du Ministre de l'Intérieur.
BGE 80 IV 71 S. 74
A.2.- a) André Bonnard, né en 1888, est professeur à l'université de Lausanne. Helléniste connu, il est notamment l'auteur de traductions appréciées.
Il s'intéresse depuis longtemps à la politique. Sans être membre d'un parti, il se rattache à l'extrême gauche. Dès que fut lancée la campagne pour la défense de la paix, il y prit une part active. En 1949, il assista au congrès de Paris et présenta la déclaration commune des 29 délégués suisses. Il fut élu membre du Comité du Congrès mondial des Partisans de la Paix. Lorsqu'un mouvement national suisse fut créé, il en assuma la présidence. Depuis 1950, il fait partie du Comité mondial de la Paix, où il est le seul représentant du mouvement suisse.
b) Charles Affolter, né en 1922, est un militant communiste. Il a participé en 1949 au congrès de Paris, où il a fait la connaissance d'André Bonnard. Par la suite, il fut nommé secrétaire du Mouvement national suisse pour la paix.
c) Fanny Grether, née en 1888, est également communiste. N'ayant pas d'enfant, elle s'est consacrée à de nombreuses oeuvres charitables. En particulier, elle est secrétaire du Comité suisse d'aide à la Grèce démocratique et elle s'occupe de l'envoi de colis et de secours aux prisonniers et internés politiques grecs. Elle procède à ces envois par l'intermédiaire du Comité international de la Croix-Rouge (C.I.C.R.), avec lequel elle a des contacts suivis. Elle est membre cotisant du Mouvement national suisse pour la paix, mais elle ne s'y intéresse pas activement.
A.3.- a) En février 1952, les autorités nord-coréennes prétendirent que les Américains avaient répandu en Corée du Nord des microbes de peste, de choléra, de typhus et d'autres maladies contagieuses. Le 11 mars, le Gouvernement des Etats-Unis informa le C.I.C.R. qu'il contestait avoir employé l'arme bactériologique en Corée et il lui demanda de faire une enquête sur les causes réelles des épidémies constatées. Le C.I.C.R. adressa aux deux parties en conflit un message indiquant à quelles conditions il acceptait d'assumer la direction d'une commission d'enquête.
BGE 80 IV 71 S. 75
Il ne reçut aucune réponse du Gouvernement nordcoréen et du commandant des volontaires chinois. Aussi décida-t-il de suspendre les préparatifs qu'il avait commencés à toutes fins utiles. A la même époque, il fut violemment attaqué par Radio-Pékin. D'autre part, en mars 1952, le délégué russe à l'O.N.U., M. Malik, repoussa, à la Commission de désarmement des Nations Unies, une proposition tendante à charger le C.I.C.R. d'une enquête sur l'emploi d'armes microbiennes en Corée; il maintint son refus devant le Conseil de sécurité, en juillet de la même année.
b) Le C.M.P. avait également été saisi de la question de l'emploi d'armes bactériologiques en Corée. Le 25 février 1952, un de ses vice-présidents, M. Kuo Mo Jo, président du Comité du peuple chinois pour la défense de la paix, avait adressé à M. Joliot-Curie un télégramme dénonçant la diffusion de microbes par les Américains. Le bureau du C.M.P. se réunit à Oslo du 29 mars au 1er avril. Il entendit des délégués chinois et nord-coréens, parmi lesquels M. Kuo Mo Jo, qui déclara que le C.I.C.R. n'était pas assez indépendant pour faire sur place une enquête impartiale. Aussi le bureau du C.M.P. décida-t-il de constituer luimême une commission d'enquête internationale.
D'autre part, le Mouvement français des partisans de la paix a créé une petite commission chargée de réunir des renseignements sur l'emploi de l'arme microbienne. En juillet 1952, elle a publié une brochure intitulée "Documents sur la guerre biologique contre la Corée et la Chine".
B.1.- a) En mai 1952, André Bonnard reçut la lettre suivante de Roger Mayer, secrétaire de Frédéric Joliot-Curie:
"Cher Monsieur Bonnard,
Nous aurions besoin de renseignements précis concernant certaines personnalités dirigeantes du Comité International de la Croix-Rouge, en vue d'une publication.
M. Frédéric Joliot-Curie m'a prié de m'adresser à vous, de sa part, pour ces renseignements.
BGE 80 IV 71 S. 76
1) Nous aimerions avoir une indication tirée d'un document officiel, public, du Comité International de la Croix-Rouge du caractère privé et du caractère purement suisse du C.I.C.R.
2) Nous aurions besoin d'avoir la liste des personnalités suisses constituant le C.I.C.R. avec les qualités de ces personnalités, y compris avec les responsabilités que ces personnalités peuvent avoir en dehors du plan officiel, gouvernemental ou universitaire avec le monde du commerce et de l'industrie.
Là aussi, si c'était possible, il serait très nécessaire d'avoir, au sujet de chacun de ces renseignements, une mention de la source d'où sont puisés ces renseignements (documents du C.I.C.R., annuaires commerciaux, etc. ... ).
3) Ne pourrait-on trouver dans un document du C.I.C.R. une indication sur les ressources de la Croix-Rouge avec la proportion, que nous savons importante, des ressources qui proviennent du monde anglo-saxon.
Vous savez vous-même quelle importance il y a lorsqu'on peut publier des renseignements à pouvoir mentionner la source d'où ils sont tirés.
Par exemple, M. Joliot a appris par la presse que le président honoraire du Comité international de la Croix-Rouge, Max Huber, appartient à une famille qui possède en grande partie les actions de la société Aluminium-Industrie; Max Huber a été lui-même président de cette société et est membre de son conseil d'administration, ainsi que d'autres sociétés (Société suisse de réassurances, Société générale européenne de réassurances, etc.).
Paul Ruegger, président du Comité, est membre du conseil d'administration de la Société suisse d'assurance contre les accidents.
M. Martin Bodmer-Naville serait étroitement lié avec un dirigeant important de la finance allemande, Hans von Schultess-Rechberg, président ou membre de onze conseils d'administration de sociétés par actions en Suisse.
Mais, tout en étant assurés de la précision de ces qualités de certains membres du C.I.C.R., il serait tout à fait indispensable d'être capables de donner une source ...
... vous comprendrez combien ces renseignements seraient importants à l'heure actuelle pour toute l'action engagée, particulièrement à propos de l'utilisation de l'arme biologique en Corée, et il serait très utile si vous aviez la possibilité vous-même et par l'intermédiaire de vos amis, en Suisse, de donner, par les moyens les plus rapides (lettre express, etc. ... ), ces indications ..."
André Bonnard envoya cette lettre à Charles Affolter, après l'avoir prié par téléphone de faire le nécessaire pour donner satisfaction à Roger Mayer. Affolter eut recours à Fanny Grether, à qui il demanda de lui procurer les renseignements en question.
Fanny Grether s'adressa au chef de la section des secours du C.I.C.R., M. Charles Ammann. Celui-ci lui donna les indications qu'elle désirait sur le statut du C.I.C.R., son
BGE 80 IV 71 S. 77
but, ses droits, ses finances et sur les conventions internationales qui sont la base de son activité. Elle consigna ces renseignements dans une note qu'elle transmit à André Bonnard.
D'autre part, elle établit un rapport sur les membres du C.I.C.R. et sur certains hauts fonctionnaires de cet organisme. Ce rapport contenait notamment les indications suivantes:
"Max Huber, Président d'honneur du C.I.C.R. et ancien président du C.I.C.R., ancien président de l'Aluminium industrie et de Maschinenfabrik Oerlikon. Ces deux dernières entreprises ont gagné et gagnent encore des sommes considérables dans les industries de guerre. Il a souvent été reproché à Max Huber de s'enrichir dans les industries de guerre et d'avoir l'air de panser les plaies de ce fléau en s'occupant du C.I.C.R. Max Huber, tout puissant au C.I.C.R., en a fait un instrument du grand capitalisme international (ces faits sont de notoriété publique).
Karl Burkhardt, Ancien Ministre de Suisse à Paris, administrateur de la Cie d'Assurance La Zurich, administrateur de la Société de Banque Suisse. Connu pour sa politique ultra-réactionnaire. A favorisé les menées hitlériennes durant la dernière guerre mondiale (faits de notoriété publique) connu par les listes de membres des conseils d'administration.
Ernest Gloor, Docteur en médecine à Renens (Vaud). Au lendemain de la deuxième guerre mondiale, le C.I.C.R., compromis par sa politique farouchement anti-soviétique orientée par Huber et Burkhardt, fit semblant de vouloir faire peau neuve. C'est alors que le Dr Gloor fut désigné comme nouveau membre du C.I.C.R. dans le comité, puis par la suite devint vice-président. Le Dr Gloor fut exclu du Conseil national le 11 juin 1941, étant considéré comme homme de gauche parce que membre de la fédération socialiste suisse interdite. Peu après, le Dr Gloor quittait le mouvement illégal et se retirait de la politique. Médecin sans fortune, il va sans dire que le Dr Gloor ne saurait donner au C.I.C.R. une autre orientation politique que celle voulue par le monde capitaliste ... (notoriété publique).
Paul Carry, Dr en droit, fut également désigné en 1945 pour donner une allure plus populaire au C.I.C.R. Professeur à l'Université de Genève et membre du parti catholique chrétien-social, dont il fut député au Grand Conseil de Genève. Ne possède pas de fortune et n'est pas considéré comme appartenant au grand capitalisme, qu'il se contente d'assister de ses conseils (notoriété publique).
Claude Du Pasquier, Dr en droit, membre en vue de l'aristocratie de Neuchâtel, un peu dépourvu de grands capitaux. Libéral conservateur, professeur aux Universités de Genève et Neuchâtel. Désigné comme membre du C.I.C.R. pour les mêmes raisons que le Dr Gloor et l'avocat Carry. Le Col. Du Pasquier gagne sa vie en travaillant, ce qui donne une allure plus populaire au C.I.C.R. qui, avant la deuxième guerre mondiale, recrutait ses membres dans
BGE 80 IV 71 S. 78
le monde des grandes affaires et de la finance. Le C.I.C.R. avec ses relations à l'étranger favorisait leurs affaires. Claude Du Pasquier est cependant connu pour ses idées très réactionnaires. Le ministère public le charge en 1932 d'instruire le procès de l'affaire du 9 novembre à Genève. Dans ses conclusions, il soutint le fasciste G. Oltramare contre la classe ouvrière de Genève (notoriété publique).
Rodolphe Olgiati s'est fait connaître pendant la guerre d'Espagne capitaliste. Ancien quaker, a soutenu le régime franquiste contre les républicains. Depuis resta au service des oeuvres suisses de secours officielles, Don Suisse, etc. Il en connaît à fond la structure et sait comment il faut les utiliser pour que le régime en tire un profit de consolidation. Type du fonctionnaire sans principes et sans scrupules pourvu que cela serve sa situation. Homme de confiance du Fédéral, applique les décisions de ce dernier dans la question des secours. Membre du C.I.C.R. depuis 1949 (notoriété publique).
Edouard Chapuisat fait partie du C.I.C.R. depuis 1938. Ancien directeur du "Journal de Genève", homme sans énergie, sans grande capacité. Membre du parti national conservateur ...
Fred. Siordet, avocat, joue au C.I.C.R. le rôle de conseiller juridique, très bourgeois, met son savoir au service de la réaction. dévoué aux ordres de la grande direction.
Paul Ruegger, membre du C.I.C.R. depuis 1948, fut certainement choisi comme président en raison du rôle qu'il sut jouer comme ministre de Suisse en Italie puis en Grande-Bretagne. Paul Ruegger forme avec Olgiati le trait d'union entre le C.I.C.R. et ses actions et le Conseil fédéral et ses décisions. Spécialement attaché à M. Petitpierre, Conseiller fédéral pour les affaires étrangères.
Martin Bodmer, ... possédant une grosse fortune, s'occupe du Crédit suisse et d'Assurances, type du réactionnaire bourgeois. Homme influent au C.I.C.R.
Alec Cramer, ... esprit vieux conservateur ...
Lucie Odier, des infirmières visiteuses suit le mouvement général imprimé et dirigé par les vrais maîtres du C.I.C.R., c'est-à-dire par le monde capitaliste ..."
Ce rapport donnait encore des indications sur Edmond Grasset et Alfredo Vannotti, qui appartiendraient au "monde bourgeois", sur R. de Traz, dépeint comme un "esprit très bourgeois", sur R. Gallopin, J. S. Pictet, Ed. de Bondeli, qui seraient "des hommes de la finance ... d'appartenance bourgeoise", ainsi que sur Henri Guisan et Léopold Boissier. Fanny Grether concluait son rapport en ces termes:
"En résumé, aucun des membres élus depuis 1945 et depuis n'ont pu changer en quoi que ce soit l'orientation générale de conservation
BGE 80 IV 71 S. 79
du régime capitaliste du C.I.C.R., organisation à caractère privé et uniquement suisse.
Parmi les fonctionnaires et employés au C.I.C.R. l'on trouve des personnes très compréhensives qui sont souvent en lutte avec la direction pour des questions de secours."
Fanny Grether remit ce rapport à Affolter, qui le fit parvenir à Bonnard. Le 27 mai 1952, celui-ci l'envoya à Roger Mayer, en même temps que la notice sur le C.I.C.R. qu'il avait déjà reçue de Fanny Grether.
b) Ayant constaté que les renseignements fournis par Fanny Grether étaient insuffisants et mal documentés, Bonnard s'efforça de les compléter. Avec l'aide de Jean Stroun et de Philippe Kocher, il dressa des fiches sur von Schulthess-Rechberg, Edmond Grasset, Frédéric Siordet, Ernest Gloor, Alfredo Vannotti, Martin Bodmer, Léopold Boissier, Henri Guisan, Claude Du Pasquier, René van Berchem, Alec Cramer, Carl Burckhardt, Paul Ruegger, Max Huber, Paul Carry et Edouard de Bondeli. Ces fiches indiquaient notamment le curriculum vitae des intéressés, leurs liens de parenté avec des personnes appartenant aux milieux capitalistes et les conseils d'administration dont ils faisaient partie. Tous ces renseignements furent tirés de "Who's who in Switzerland", du "Manuel des Bourses Suisses", de deux ouvrages de Pollux intitulés "Elektrizität" et "La féerie des assurances", de la revue "Socialisme", de la "Revue internationale de la Croix-Rouge", du "Bulletin international des sociétés de la Croix-Rouge" et du "Manuel de la Croix-Rouge internationale". En outre, Bonnard rédigea, avec l'aide de Stroun, une notice sur les "familles genevoises de la finance", tirée des mêmes sources. Philippe Kocher établit d'autre part un rapport succinct sur le sort des prisonniers de guerre en Corée, ainsi qu'un extrait des statuts du C.I.C.R. De plus, il rédigea une note sur les ressources de la Croix-Rouge, en se fondant sur le "Bulletin international des sociétés de la Croix-Rouge"; dans cette pièce, il relevait que, d'après des renseignements obtenus de Cécile Wuarin, le C.I.C.R. avait reçu pendant la guerre dix millions de francs du Gouvernement
BGE 80 IV 71 S. 80
japonais et plusieurs millions du Gouvernement allemand.
Tous ces documents ont été envoyés à Paris le 23 juin 1952.
c) Les renseignements fournis par André Bonnard ont été utilisés notamment par la commission constituée par le Mouvement français des partisans de la paix. Elle en a publié une partie dans sa brochure "Documents sur la guerre biologique contre la Corée et la Chine".
B.2.- a) En juin 1952, le C.M.P. fut convoqué à Berlin-Est pour une session extraordinaire, qui devait se tenir du 1er au 5 juillet. L'ordre du jour était le suivant:
1.-
Solution pacifique du problème allemand et japonais;
2.-
Cessation immédiate de la guerre de Corée;
3.-
La course aux armements et la lutte pour le Pacte de Paix.
André Bonnard reçut une convocation en sa qualité de membre du C.M.P. et il voulut se renseigner sur les questions qui devaient être discutées à Berlin. Le 15 juin 1952, il écrivit au journaliste Hugo Kramer pour l'informer qu'il allait se rendre à une session du C.M.P., que le principal problème mis à l'ordre du jour était la lutte contre le réarmement de l'Allemagne et qu'il aurait "sans doute à exprimer l'opinion du peuple suisse". Aussi lui demandait-il quelque documentation sur cette question. Par lettre du 17 juin, Kramer exposa quelle était l'opinion des milieux suisses au sujet du réarmement de l'Allemagne. Par la suite, Bonnard demanda encore à son correspondant diverses précisions.
Pour compléter ses informations, André Bonnard eut une entrevue avec Michel Buenzod et il prit à cette occasion différentes notes sur le réarmement de l'Allemagne et la participation de la Suisse à l'Union européenne de paiements.
b) Fouillé à Zurich le 30 juin 1952, au moment où il
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allait prendre l'avion pour Berlin-Est, André Bonnard fut trouvé porteur de nombreux documents. Certains concernaient le C.I.C.R. et ses membres; d'autres avaient trait au réarmement de l'Allemagne et à la participation de la Confédération à l'Union européenne de paiements et exposaient quels étaient, sur ces deux problèmes, l'opinion publique suisse et l'avis des milieux dirigeants de la Confédération. Bonnard emportait notamment un libelle multigraphié intitulé "Les problèmes de la Croix-Rouge", des duplicata des rapports qu'il avait envoyés à Paris le 27 mai 1952, des copies des notices établies au sujet de Paul Ruegger, de Max Huber et des "familles genevoises de la finance", ainsi que le brouillon d'un début de discours ou d'intervention, où il exposait qu'après avoir longtemps respecté le C.I.C.R. "par une sorte d'à priori non contrôlé", il était arrivé à la conviction, ayant fait une enquête, que les Gouvernements chinois et coréens avaient eu pleinement raison de refuser leur confiance à cet organisme. Concernant le réarmement de l'Allemagne et l'Union européenne de paiements, André Bonnard avait une documentation comprenant en particulier trois lettres de Kramer, des articles de journaux et de revues suisses, les messages du Conseil fédéral concernant la participation de la Suisse à l'Union européenne de paiements et une notice tendante à démontrer que "la Suisse finance à fonds perdus le réarmement de l'Europe occidentale" et "assure dans ce rôle de bailleur de fonds la relève des USA ...".
Tous ces documents furent séquestrés. André Bonnard renonça à poursuivre son voyage vers Berlin et rentra immédiatement à Lausanne. Y
C.1.- Le 15 juillet 1952, le Conseil fédéral décida de déférer l'instruction et le jugement de la cause à la juridiction fédérale. Se fondant sur cette décision, le Procureur général de la Confédération requit l'ouverture d'une instruction préparatoire. Celle-ci fut close le 22 avril 1953.
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Le 11 décembre 1953, le Ministère public fédéral remit l'acte d'accusation à la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral. Il y accuse André Bonnard, Charles Affolter et Fanny Grether de service de renseignements politiques (art. 272 CP).
Par décision du 14 janvier 1954, la Chambre d'accusation du Tribunal fédéral a renvoyé Bonnard, Affolter et Fanny Grether devant la Cour pénale fédérale pour y répondre des infractions retenues à leur charge par l'acte d'accusation.
C.2.- Aux débats, le représentant du Ministère public fédéral a requis trois mois d'emprisonnement contre Bonnard et quinze jours d'emprisonnement contre Affolter. Il a conclu à l'acquittement de Fanny Grether. Quant aux frais de la cause, il a proposé de les mettre à la charge des accusés à raison de 5/8 pour Bonnard, 2/8 pour Affolter et 1/8 pour Fanny Grether.
Par l'organe de leurs défenseurs, les accusés ont conclu à leur acquittement. Subsidiairement, Bonnard et Affolter ont demandé qu'on les mît au bénéfice des art. 19, 20, 64 et 66 CP et que, en cas de condamnation à une peine privative de liberté, on leur accordât le sursis.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 272 ch. 1 CP punit d'emprisonnement celui qui, dans l'intérêt d'un Etat étranger, ou d'un parti étranger ou d'une autre organisation de l'étranger, et au préjudice de la Suisse ou de ses ressortissants, habitants ou organismes, aura pratiqué ou organisé un service de renseignements politiques, engagé autrui pour un tel service ou favorisé de tels agissements.
Selon la jurisprudence, les éléments constitutifs du délit sont réunis objectivement aussitôt que le comportement incriminé forme un des anneaux de la chaîne des faits qui composent l'organisation ou la pratique d'un service prohibé de renseignements; l'art. 272 CP vise tout acte,
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fût-il isolé, qui constitue une surveillance ou encore une prise ou une transmission de renseignements (RO 66 I 110; cf. également le message du Conseil fédéral du 29 avril 1935, FF 1935 p. 748).
Cependant, les renseignements doivent se rapporter à des faits qui ne sont pas généralement connus, qu'on ne peut donc apprendre qu'en se livrant à des investigations; ils ne tombent pas sous le coup de l'art. 272 CO s'ils concernent des faits notoires, que, par exemple, l'étranger peut connaître sans difficulté par la presse ou d'autres publications (RO 61 I 412 consid. 1a, jugement Bodmer du 20 novembre 1939 p. 9, arrêt Amsler du 11 janvier 1946 p. 6).
2.
Au sujet des renseignements envoyés à Paris, les accusés Bonnard et Affolter soutiennent que Roger Mayer leur a simplement demandé des indications précises tirées de sources officielles ou de publications; ils en concluent que le professeur Joliot-Curie ne désirait que des renseignements portant sur des faits notoires. Mais cela importe peu. Ce qui est décisif, c'est la nature des indications qu'ils ont effectivement fournies, même s'ils ont agi de leur propre initiative ou s'ils ont outrepassé le mandat dont ils étaient chargés (cf. RO 66 I 112 consid. 4 i.f., arrêt Karcher du 21 avril 1943 consid. 3 et jugement Davis du 16 octobre 1951 consid. 3).
En l'espèce, il faut distinguer trois catégories dans les renseignements envoyés à Paris: ceux qui ont fait l'objet du premier envoi de Fanny Grether, ceux qu'elle a consignés dans son rapport sur les membres du C.I.C.R., enfin ceux que Bonnard a adressés à Roger Mayer le 23 juin 1952.
3.
La première notice de Fanny Grether donnait des indications sur le statut, le but, les droits et les ressources pécuniaires du C.I.C.R. Il s'agit là de renseignements que chacun peut se procurer, même à l'étranger, en consultant les publications du C.I.C.R., notamment le "Manuel de la Croix-Rouge internationale" et la "Revue internationale
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de la Croix-Rouge". Ainsi, les indications consignées par Fanny Grether dans sa première notice portaient sur des faits notoires, de sorte qu'elles ne sont pas frappées par la loi pénale.
4.
En revanche, toutes les conditions exigées par l'art. 272 CP sont remplies en ce qui concerne les renseignements contenus dans le second rapport de Fanny Grether.
a) Une grande partie des renseignements qu'elle fournit dans ce document ont un caractère politique. C'est le cas de ceux qui ont trait aux tendances générales du C.I.C.R. et aux convictions politiques de ses membres ou de ses fonctionnaires. Il en est de même des indications données sur l'esprit prétendument capitaliste de certains membres du C.I.C.R. En effet, il importe peu que le terme de capitaliste n'ait pas une signification politique d'après les conceptions suisses. Ce qui est déterminant, c'est le sens qu'il avait pour les destinataires des renseignements (cf. jugement Bodmer du 20 novembre 1939 p. 25, arrêt Amsler du 11 janvier 1946 p. 5). Or, selon la terminologie dont ils usent, le capitalisme n'est pas seulement un système économique mais surtout une doctrine politique opposée au marxisme et au communisme. On doit donc considérer en particulier que les renseignements suivants sont politiques:
Max Huber, tout-puissant au C.I.C.R., en aurait fait un instrument du grand capitalisme international;
Carl Burckhardt serait un politicien ultra-réactionnaire et aurait favorisé les menées hitlériennes durant la dernière guerre mondiale;
la politique farouchement anti-soviétique de la Croix-Rouge serait orientée par Huber et Burckhardt;
Paul Carry, du parti chrétien-social, assisterait le grand capitalisme de ses conseils;
Claude Du Pasquier serait très réactionnaire et, comme juge d'instruction fédéral, aurait en 1932 soutenu le fasciste Oltramare contre la classe ouvrière de Genève;
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Rodolfo Olgiati serait particulièrement dévoué au régime capitaliste et se serait fait connaître comme tel pendant la guerre d'Espagne. Il aurait soutenu le régime franquiste contre les républicains. Fonctionnaire sans principes et sans scrupules, pourvu que cela serve sa situation, il serait l'homme de confiance du Conseil fédéral, dont il appliquerait les décisions en matière de secours;
Martin Bodmer serait le type du réactionnaire bourgeois;
Alec Cramer serait un esprit vieux-conservateur;
l'orientation générale du C.I.C.R. serait la conservation du régime capitaliste;
les employés et fonctionnaires du C.I.C.R. qui sont compréhensifs seraient souvent en lutte avec la direction pour les questions de secours.
Certes, la plupart de ces indications sont fausses ou tendancieuses. Mais la valeur du renseignement est indifférente au regard de l'art. 272 CP. Il se peut même que l'indication fournie soit d'autant plus répréhensible qu'elle est controuvée (RO 65 I 334, 71 IV 218, 74 IV 103).
D'autre part, les accusés prétendent que tous les faits signalés étaient de notoriété publique. Cet argument n'est pas fondé. La plupart des renseignements politiques fournis par Fanny Grether reposent au contraire sur des impressions personnelles ou des rapports malveillants; ceux qu'on peut considérer comme les plus connus expriment simplement l'opinion de certains milieux marxistes de Genève. Les accusés relèvent cependant que, dans son numéro du 4 février 1945, l'hebdomadaire allemand "Das Reich" a publié un article élogieux sur M. Carl Burckhardt et qu'à cette occasion la "Voix ouvrière", organe communiste genevois, a attaqué MM. Carl Burckhardt et Max Huber ainsi que le C.I.C.R. Mais il s'agit là de publications déjà anciennes, qui étaient tombées dans l'oubli en 1952, à telles enseignes que Fanny Grether elle-même ne s'en souvenait plus. Du reste, la "Voix ouvrière" ne contenait pas des affirmations aussi précises que celles que Fanny
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Grether a insérées dans son libelle. On ne saurait donc admettre que les renseignements politiques fournis par cette dernière dans son second rapport aient porté sur des faits qui étaient notoires en 1952.
b) Aux termes de l'art. 272 CP, le service de renseignements n'est punissable que s'il est pratiqué dans l'intérêt d'un Etat, d'un parti ou d'une autre organisation de l'étranger. Les accusés soulignent que l'art. 272 CP par le d'organisation de l'étranger tandis que l'art. 266bis CP réprime certains rapports entretenus avec des organisations à l'étranger; ils concluent de cette divergence que, selon l'art. 272 CP, il ne suffit pas que l'organisme auquel sont destinés les renseignements ait son siège hors de Suisse; il faut, disent-ils, qu'il ait des rapports étroits avec un Etat étranger. Cette thèse est erronée. Si l'art. 266bis par le d'"organisations à l'étranger", c'est que, à l'encontre de l'art. 272, il vise également les organismes formés par des Suisses et ayant leur siège à l'étranger (cf. message du Conseil fédéral du 20 juin 1949, FF 1949 I p. 1244).
En l'espèce, les renseignements fournis par les accusés n'étaient pas destinés à Frédéric Joliot-Curie personnellement mais au C.M.P. et aux mouvements nationaux, en particulier au Mouvement français des partisans de la paix. C'est en effet ce dernier qui les a utilisés dans une publication.
Or le Mouvement français des partisans de la paix est une organisation de l'étranger. Il est indifférent qu'il n'ait pas de statuts. Une pluralité de personnes luttant de concert en vue d'un but commun forme, même sans être constituée juridiquement, une organisation au sens de l'art. 272 CP (cf. jugement Davis du 16 octobre 1951, p. 10). On pourrait se demander toutefois s'il ne doit pas s'agir d'un organisme politique ou poursuivant certains buts politiques. Mais il n'est pas nécessaire de résoudre cette question, car la condition qu'impliquerait une réponse affirmative est remplie en l'occurrence. Les accusés, de même que les membres du C.M.P. entendus comme témoins, ont
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admis que, pour atteindre leurs buts, le Mouvement mondial de la paix et les mouvements nationaux se servaient de moyens politiques. En l'espèce, notamment, les renseignements procurés par les accusés devaient démontrer que le C.I.C.R. n'avait pas l'impartialité politique requise pour diriger une enquête neutre sur l'emploi de l'arme microbienne en Corée.
Le Conseil mondial de la paix est également une organisation. Comme les mouvements nationaux, il est constitué par une pluralité de personnes qui veulent atteindre un but commun. Du reste, bien qu'il n'ait pas de statuts, il est organisé: il a ses ressources propres, il a créé un bureau et il dispose d'un secrétariat permanent. Les accusés soutiennent qu'étant international, il ne peut être une "organisation de l'étranger" au sens de l'art. 272 CP. Cet argument n'est pas fondé. Il ressort au contraire des travaux préparatoires (cf. message du Conseil fédéral du 20 juin 1949, FF 1949 I p. 1245) que, par cette expression, on a également voulu viser les organismes internationaux. D'autre part, la présence d'un ressortissant suisse au sein du C.M.P. ne saurait enlever à ce dernier son caractère d'organisation étrangère. Les Suisses ne jouent qu'un rôle infime dans le Mouvement mondial de la paix. André Bonnard est le seul Suisse qui fasse partie du C.M.P., composé de plus de 200 personnes. Aucun n'est membre du bureau ou du secrétariat permanent. D'autre part, bien que le C.M.P. se prétende neutre et impartial, il s'inspire d'une tendance politique nettement déterminée. Il suffit de lire les comptes rendus des congrès de Paris et de Varsovie pour se convaincre que, d'après l'opinion quasi unanime des participants, la politique de l'U.R.S.S. et des démocraties populaires serait purement pacifique tandis que celle des U.SA et des Nations Unies menacerait la paix mondiale. Il est significatif à cet égard que le secrétariat permanent n'ait plus été toléré par le Ministère français de l'Intérieur, qu'un grand nombre de délégués au congrès de Paris n'aient pas été admis en France et que
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le deuxième congrès du Mouvement mondial de la paix n'ait pu se tenir en Angleterre, faute des autorisations nécessaires. Prenant parti dans le conflit latent qui oppose actuellement le monde communiste aux U.SA et à leurs alliés, le C.M.P. a une tendance politique étrangère à la Suisse, traditionnellement neutre. Aussi doit-il être considéré comme une organisation de l'étranger visée par l'art. 272 CP.
Les accusés allèguent cependant que les indications qu'ils ont fournies étaient destinées à des publications, de sorte qu'elles ne tomberaient pas sous le coup de la loi pénale. Effectivement, les journalistes publient chaque jour des nouvelles militaires, politiques ou économiques, sans qu'on songe à les accuser d'espionnage. Mais ce qui distingue le journalisme licite de l'espionnage, c'est la destination des informations. Dans le premier cas, elles servent simplement à renseigner l'opinion publique. En revanche, la recherche et la transmission de telles indications constituent un service de renseignements illicite lorsqu'elles sont rassemblées dans l'intérêt d'un Etat ou d'une organisation étrangère, qui peuvent en tirer profit pour atteindre les buts qu'ils poursuivent (cf. jugements von Lama du 3 novembre 1917 et Roessler du 5 novembre 1953 consid. 4). En l'espèce, on se trouve en présence de ce dernier cas. Les renseignements fournis par les accusés devaient non seulement instruire l'opinion publique sur le C.I.C.R., mais surtout justifier l'attitude des Nord-Coréens envers cet organisme.
c) Enfin, pour tomber sous le coup de l'art. 272 CP, les renseignements doivent être fournis au préjudice de la Suisse ou de ses ressortissants, habitants ou organismes. Selon la jurisprudence (RO 74 IV 203 et les références, jugements Davis du 16 octobre 1951 consid. 4 et Roessler du 5 novembre 1953 consid. 5), les termes "au préjudice" ne supposent pas un dommage subi soit par la Confédération soit par une personne ou un organisme déterminé; cette expression signifie simplement que le service de renseignements
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doit être dirigé contre la Suisse, ses ressortissants, habitants ou organismes et non contre un Etat étranger ou des étrangers demeurant hors de Suisse.
En l'espèce, toutes les personnes visées par le rapport de Fanny Grether sont des citoyens suisses. D'autre part, le C.I.C.R. a son siège sur le territoire de la Confédération et tous ses membres sont de nationalité suisse. Il est donc un organisme suisse, encore qu'il porte le nom de "Comité international" en raison de son champ d'activité.
Ainsi, tous les éléments objectifs de l'art. 272 CP sont réunis.
d) Subjectivement, l'auteur n'est punissable que s'il a agi intentionnellement (art. 18 CP). Les accusés nient que cette condition soit remplie en l'espèce, car ils ne se seraient pas rendu compte qu'ils commettaient un acte illicite. Mais ils perdent de vue que la conscience de l'illicéité ou simplement du caractère répréhensible de l'acte n'est pas un élément essentiel de l'intention (RO 70 IV 98, 75 IV 29, 43, 82 et 152). Pour qu'on doive admettre l'intention dans le cas de l'art. 272 CP, il suffit que l'auteur ait su qu'il fournissait des renseignements politiques à un Etat, un parti ou une autre organisation de l'étranger, au préjudice de la Suisse ou de ses ressortissants, habitants ou organismes, et qu'il ait voulu agir ainsi. Le défaut de conscience de l'illicéité de l'acte ne peut être retenu qu'en vertu de l'art. 20 CP, lorsque les conditions exigées par cette disposition sont remplies.
aa) André Bonnard s'est évidemment rendu compte qu'il donnait des renseignements sur des citoyens et un organisme suisses. Il n'a pu se méprendre sur le caractère politique des indications qu'il transmettait. Il prétend cependant qu'il n'a pas été conscient de fournir des renseignements à une organisation étrangère et qu'il a cru que ces informations étaient réservées au professeur Joliot-Curie. Cet argument ne saurait être retenu. Bonnard connaissait la situation dirigeante de Frédéric Joliot-Curie dans le Mouvement mondial de la paix; il devait donc se
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rendre compte que les indications demandées étaient destinées au C.M.P. et aux mouvements nationaux. En particulier, le passage de la lettre de Mayer où il était question de l'importance de ces renseignements "à l'heure actuelle pour toute l'action engagée, particulièrement à propos de l'arme biologique en Corée" ne permettait aucun doute sur ce point. Bonnard savait en effet que ce n'était par le professeur Joliot-Curie mais le C.M.P. et les mouvements nationaux qui avaient engagé une action au sujet de l'emploi de l'arme microbienne par les Américains.
bb) Il en est de même de Charles Affolter. Il a connu la lettre de Roger Mayer et pas plus que Bonnard il n'ignorait en quoi consistait l'"action engagée" et pourquoi les renseignements demandés étaient importants "à l'heure actuelle".
cc) En revanche, la situation de Fanny Grether est différente. Cette accusée ne s'intéresse pas activement au Mouvement mondial de la paix et il n'est pas établi qu'elle ait eu connaissance de la lettre de Roger Mayer. Il se peut même qu'elle ait ignoré que les renseignements consignés dans son second rapport fussent destinés au professeur Joliot-Curie. Elle soutient en effet - et Affolter le confirme - qu'on ne lui a parlé de M. Joliot-Curie qu'à propos des premières indications qui lui ont été demandées. Il n'est donc pas prouvé qu'elle ait su que son second rapport devait parvenir à une organisation de l'étranger. En tout cas, il subsiste sur ce point un doute dont elle bénéficie. Aussi doit-elle être acquittée des chefs de l'accusation.
5.
Quant aux renseignements envoyés à Paris le 23 juin 1952,
ils étaient - sauf ceux que Kramer avait obtenus de Cécile Wuarin - tiré-s de publications que chacun pouvait se procurer dans les librairies. Certaines notices étaient des copies textuelles d'articles de "Who's who in Switzerland" ou de passages des ouvrages de Pollux et des publications du C.I.C.R. Seuls, les renseignements puisés dans le "Manuel des Bourses suisses" ont exigé des recherches systématiques et des recoupements. Mais ce
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manuel est un ouvrage public, qu'on peut obtenir à l'étranger. Il n'était donc pas nécessaire d'être sur place pour s'acquitter de la tâche qu'ont accomplie Bonnard, Kramer et Stroun. Au surplus, l'accusation n'a pas établi l'importance des recherches auxquelles Bonnard et ses aides ont dû se livrer. Dans ces conditions, on doit admettre que toutes les indications tirées de publications et envoyées à Roger Mayer le 23 juin 1952 portaient sur des faits notoires.
Il en est de même des indications que Cécile Wuarin a fournies à Hugo Kramer au sujet des sommes d'argent versées au C.I.C.R. par les Gouvernements allemand et japonais. Les ressources du C.I.C.R. sont publiées régulièrement. Les montants versés par l'Allemagne ont été indiqués dans les rapports de cet organisme (cf. par exemple son rapport sur son activité pendant la seconde guerre mondiale, vol. I p. 114/115). De même, le don de dix millions de francs fait par le Gouvernement japonais a été mentionné notamment dans le "Rapport résumé sur l'activité du C.I.C.R. du 1er juillet 1947 au 31 décembre 1951" (p. 17). Aussi doit-on admettre que ces faits étaient notoires, encore que Bonnard et ses informateurs aient ignoré ces publications en 1952.
Dès lors, les renseignements envoyés à Paris le 23 juin 1952 ne tombent pas sous le coup de l'art. 272 CP.
6.
Pour se rendre à la séance du C.M.P. à Berlin-Est, André Bonnard avait rassemblé une volumineuse documentation, dont la majeure partie contenait des renseignements politiques sur la Confédération, ses autorités et certains de ses habitants et organismes. Mais, pour que cette activité constituât un service de renseignements prohibé, il aurait fallu que les documents réunis fussent destinés à un Etat, un parti ou une organisation de l'étranger. On peut se demander en principe si cette condition est remplie lorsque les informations doivent simplement servir à une intervention publique devant un congrès ou un organisme international. Dans ce cas, en effet, les renseignements recueillis sont destinés surtout à instruire
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l'opinion et une telle activité se rapproche du journalisme par son but. Aussi pourrait-on soutenir qu'elle ne tombe pas sous le coup de l'art. 272 CP et que, dans de telles circonstances, la souveraineté de la Confédération est protégée suffisamment par les art. 266 et 266bis CP.
Mais cette question peut rester indécise car, de toute façon, les éléments subjectifs de l'infraction ne sont pas établis en l'espèce. Certes, Bonnard aurait probablement pris la parole à Berlin. Cette intention ressort notamment de la lettre qu'il a écrite à Kramer le 15 juin 1952 et du projet de discours qu'on a trouvé parmi les papiers séquestrés. Mais il emportait une documentation importante qui, dans une notable mesure, portait sur des faits notoires. C'étaient même ceux-ci qui avaient le plus d'intérêt pour lui car, fondés sur des documents officiels ou publics, ils auraient donné plus de force à ses déclarations. Dès lors, comme il ne pouvait citer dans son intervention tous les renseignements qu'il avait réunis, il se peut qu'il ait eu l'intention de borner son discours éventuel aux faits puisés dans des publications. Dans cette hypothèse, qui n'est nullement invraisemblable, l'élément intentionnel exigé par l'art. 272 CP ferait défaut pour les renseignements qui, n'étant pas notoires, tombent seuls sous le coup de la loi pénale. Le doute qui subsiste sur ce point profite à l'accusé.
7.
Ainsi, Fanny Grether doit être acquittée. Quant à Bonnard et Affolter, ils ne peuvent être reconnus coupables de service de renseignements prohibé que pour avoir provoqué et transmis à une organisation étrangère le second rapport rédigé par Fanny Grether.
8.
Les accusés Bonnard et Affolter prétendent cependant qu'ils ont agi sous l'empire d'une erreur de fait et ils demandent qu'on les mette au bénéfice de l'art. 19 CP. En effet, disent-ils, ils n'ont voulu fournir que des renseignements portant sur des faits notoires et ils ont cru que les indications données par Fanny Grether avaient ce caractère.
Il est vrai que, dans son rapport, Fanny Grether a
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indiqué la notoriété publique comme unique source de ses renseignements. Mais Bonnard et Affolter n'ont pu s'y tromper. Ils ignoraient eux-mêmes les faits relatés par leur informatrice et, celle-ci ne mentionnant aucune publication à l'appui de ses indications, ils ne pouvaient admettre qu'elles fussent généralement connues. Au surplus, le caractère tendancieux et partiellement faux du rapport n'a pu leur échapper. Bonnard, en tout cas, s'en est rendu compte, puisque, de son propre chef, il a réuni des renseignements mieux documentés. Aussi le moyen que les accusés tirent de l'art. 19 CP n'est-il pas fondé.
9.
Bonnard et Affolter soutiennent d'autre part qu'ils n'étaient pas conscients du caractère illicite de leurs actes et ils demandent le bénéfice de l'art. 20 CP. Mais pour que cette disposition soit applicable, il ne suffit pas que l'auteur ne se soit pas rendu compte de l'illicéité de son comportement. Pour qu'il puisse se prévaloir d'une erreur de droit, il faut, selon l'art. 20 CP, qu'il ait eu des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir. Cette condition n'est pas remplie en l'espèce. Les accusés n'ont pu invoquer aucun fait qui aurait provoqué leur prétendue erreur et l'aurait rendue excusable (RO 78 IV 181 et les arrêts cités). Dès lors, le bénéfice de l'art. 20 CP doit leur être refusé, sans qu'il soit nécessaire de juger si, comme ils le soutiennent, ils n'ont pas eu conscience de commettre un acte réprimé par la loi.
10.
a) Quant à la mesure de la peine, les accusés allèguent qu'ils ont agi dans l'intérêt de la paix mondiale; ils auraient donc obéi à un motif honorable et devraient bénéficier d'une atténuation de peine en vertu de l'art. 64 CP.
Certes, toute action est louable qui sert la cause de la paix. Mais, en l'espèce, on ne voit pas en quoi le comportement de Bonnard et d'Affolter pouvait contribuer à la paix mondiale. En dénigrant le C.I.C.R. et ses membres, ils voulaient simplement justifier le refus qu'il avait essuyé de la part des Nord-Coréens et démontrer qu'il n'avait pas
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l'indépendance requise pour conduire une enquête impartiale sur l'emploi de l'arme microbienne. Aussi ne sauraientils se prévaloir de l'art. 64 CP.
b) André Bonnard est le principal responsable du service de renseignements incriminé. C'est lui qui a reçu le mandat donné par Roger Mayer, qui l'a accepté et qui s'en est acquitté en mettant en oeuvre Charles Affolter, aux yeux de qui il jouissait du prestige que lui conféraient ses titres de professeur d'université et de président du Mouvement suisse pour la paix. Sa faute est d'autant plus grave qu'il a accepté de discréditer un organisme qu'il connaissait bien, qu'il avait pu apprécier à l'occasion des secours envoyés en Grèce et qui, par son action humanitaire, honore la Suisse à l'étranger. Il faut considérer cependant que, du point de vue politique, les renseignements fournis avaient fort peu d'intérêt dans la mesure où ils n'étaient pas notoires. Ils n'ont pu causer un préjudice sérieux aux personnes visées. D'autre part, l'accusé n'a pas agi dans son intérêt personnel. Ses antécédents, enfin, parlent en sa faveur: son casier judiciaire est vierge et il jouit d'une bonne réputation. Dès lors une peine de 15 jours d'emprisonnement est suffisante pour sanctionner les actes illicites qu'il a commis.
Les conditions objectives du sursis sont remplies (art. 41 ch. 1 al. 3 CP). Du point de vue subjectif (ch. 1 al. 2), il a été jugé maintes fois qu'un amendement durable du condamné dépendait d'abord de la conscience de sa faute (cf. notamment RO 75 IV 155 consid. 2, 79 IV 161). Or Bonnard n'a pas manifesté le moindre regret. Cependant, la jurisprudence vise seulement le condamné qui reconnaît le caractère illicite de son acte. Celui qui prétend avoir eu le droit d'agir comme il l'a fait adopte un système de défense incompatible avec l'expression de remords. L'absence de regrets ne lui est par conséquent pas opposable, à moins que son attitude au procès ne permette de conclure qu'il serait prêt à recommencer (cf. jugement Schenk du 16 décembre 1952 p. 70). Tel n'est pas le cas ici. Au contraire,
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il est permis d'admettre que, la condamnation prononcée, un retour sur soi-même convaincra Bonnard de ses torts. Aussi peut-on suspendre conditionnellement l'exécution de la peine.
c) Charles Affolter n'est intervenu qu'en qualité d'intermédiaire. Il est donc moins coupable que Bonnard. Comme lui, il a agi par dévouement pour le C.M.P. D'autre part, ses antécédents sont bons, de même que sa réputation. Il sied de le condamner à 8 jours d'emprisonnement.
Il doit être mis au bénéfice du sursis pour les mêmes raisons que Bonnard.
11.
La Cour peut condamner l'accusé acquitté à payer des frais
s'il a provoqué l'ouverture de l'instruction par sa faute (art. 173 al. 2 PPF). Cette condition est remplie pour Fanny Grether, ainsi qu'elle l'admet elle-même. En effet, si ses agissements ne sont pas punissables, ils n'en sont pas moins répréhensibles. Aussi convient-il de la condamner à 1/8 des frais et de lui refuser toute indemnité (art. 122 al. 1 et 176 PPF).
Pour le reste, les frais judiciaires seront à la charge de Bonnard et d'Affolter.
Dans les rapports externes, les trois accusés répondront des frais solidairement, attendu qu'ils ont agi de connivence (art. 172 al. 2 PPF).
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour pénale fédérale,
Vu les art. 272 ch. 1 CP, 18, 36, 41 et 63 du même code, 172, 173, 176, 245 et 246 PPF, prononce:
1.- André Bonnard est déclaré coupable de service de renseignements politiques et il est condamné à 15 jours d'emprisonnement, avec sursis pendant trois ans.
2.- Charles Affolter est déclaré coupable de service de renseignements politiques et il est condamné à 8 jours d'emprisonnement, avec sursis pendant trois ans.
BGE 80 IV 71 S. 96
3.- Fanny Grether est acquittée des chefs de l'accusation.
Il ne lui est pas alloué d'indemnité.
4.- Les frais de l'enquête, de l'instruction et de la procédure devant le Tribunal fédéral, y compris un émolument de justice de 500 fr., sont mis solidairement à la charge des accusés.
Dans les rapports internes,
André Bonnard en supportera: 5/8,
Charles Affolter: 2/8,
Fanny Grether: 1/8. | null | nan | fr | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d4530dfa-e043-46b7-92a3-31d456f492ac | Urteilskopf
113 II 174
32. Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. März 1987 i.S. Diners Club (Suisse) SA gegen Firma X. (Berufung) | Regeste
Missbrauch von Kreditkarten.
1. Aus dem Vorbehalt der Kreditkartenorganisation gegenüber den ihr angeschlossenen Unternehmen, jederzeit Karten sperren zu dürfen, darf weder auf eine allgemeine Informationspflicht noch auf eine vertragliche Nebenverpflichtung der Organisation geschlossen werden. Unterlässt die Organisation eine Sperre, so schuldet sie dem Unternehmen bloss die versprochene Leistung, aber keinen Schadenersatz (E. 1).
2. Offengelassen, wie es sich mit dem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Missbrauch der Karte und dem behaupteten Schaden verhält, und ob die Organisation sich die Säumnis einer Schwestergesellschaft anrechnen lassen müsste (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 174
BGE 113 II 174 S. 174
A.-
Am 3. April 1982 mietete ein Unbekannter bei der Firma X. in Zürich einen Personenwagen Mercedes 280 SE, wobei er den Mietzins von Fr. 4'500.-- mittels einer Kreditkarte der Diners Club (Suisse) SA bezahlte. Da der Betrag die Kreditlimite von Fr. 1'000.-- überstieg, ersuchte die Vermieterin die Diners
BGE 113 II 174 S. 175
Club SA um ihre Zustimmung, die ihr unter Vorbehalt einer Passkontrolle erteilt wurde.
In der Folge stellte sich heraus, dass die Kreditkarte bereits am 19. März 1982 einem gewissen Affeld in Baden-Baden abhanden gekommen war. Affeld meldete den Verlust der deutschen Diners Club GmbH, die der schweizerischen Gesellschaft davon jedoch erst am 19. April 1982 Kenntnis gab, weshalb auch die Firma X. nicht vorher unterrichtet wurde. Der Mercedes blieb bis heute verschwunden. Die Firma X. schätzte seinen Verkehrswert auf Fr. 42'500.--. Sie erhielt den ausstehenden Mietzins vergütet, machte aber die Diners Club (Suisse) SA für den Verlust des Wagens verantwortlich, weil ihr auf die Kreditanfrage hin nicht mitgeteilt worden sei, dass es sich um eine abhanden gekommene Karte handelte.
B.-
Am 22. April 1985 klagte die Firma X. gegen die Diners Club (Suisse) SA auf Zahlung von Fr. 10'000.-- Schadenersatz nebst 5% Zins seit 10. Juni 1983; sie behielt sich zudem ein Nachklagerecht vor. Die Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und verkündete der deutschen Diners Club GmbH den Streit.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage am 4. April 1986 in vollem Umfang gut. Die Beklagte führte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 17. Oktober 1986 im Sinne der Erwägungen abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten war.
C.-
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung eingereicht mit den Anträgen, es aufzuheben und die Klage abzuweisen oder die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Gutheissung der Schadenersatzklage setzt in erster Linie voraus, dass die Beklagte durch ihr Verhalten den Vertrag mit der Klägerin verletzt hat (
Art. 97 Abs. 1 OR
). Nach diesem Vertrag war für den Fall, dass die Gesamtausgaben eines Diners Club-Mitgliedes Fr. 1'000.-- überstiegen, das Einverständnis der Beklagten einzuholen, bevor das Vertragsunternehmen, das hier mit der Klägerin identisch war, seine Leistung erbrachte; die Beklagte war diesfalls zur Bezahlung des Gesamtbetrages nur verpflichtet,
BGE 113 II 174 S. 176
wenn sie sich auf Anfrage hin mittels eines Codes damit einverstanden erklärt hatte (Ziffer 15 des Vertrages). Die Beklagte behielt sich das Recht vor, Karten zu sperren, und fügte bei, dass das Vertragsunternehmen darüber mit einer besonderen Karte oder durch eine Mitteilung in der "Diners Post" informiert werde; zusätzlich konnte sie ihm ein alle drei Wochen erscheinendes Sperrbulletin zustellen, das bei Vorweisen von Kreditkarten zu konsultieren war. Für Bezüge oder Dienstleistungen aufgrund gesperrter Karten bestand für die Beklagte keine Zahlungspflicht gegenüber dem Unternehmen (Ziffer 16).
a) Das Handelsgericht anerkennt, dass die Beklagte nach diesen Bestimmungen des Vertrages nicht verpflichtet gewesen ist, die Klägerin über den Verlust der Kreditkarte zu unterrichten. Es nimmt unter Hinweis auf einschlägige Lehre und frühere Formularverträge mit Unternehmen jedoch an, dass die Beklagte nach Treu und Glauben eine entsprechende Nebenverpflichtung gehabt, sich darüber aber hinweggesetzt habe, indem sie die Klägerin bei der Kreditanfrage nicht auf den Verlust der Karte aufmerksam gemacht habe.
Die Beklagte hält dem entgegen, dass die Kontrollanfrage gemäss Ziffer 15 des Vertrages nicht die Klägerin schützen wolle, sondern ausschliesslich ihrem eigenen Schutz diene, weil sie dem Vertragsunternehmen eine Zusage mache und das volle Kreditrisiko trage. Wenn sie bei Verlust, Diebstahl oder Fälschung einer Karte die Anzeige an das Unternehmen unterlasse, habe auch das nur zur Folge, dass sie die zugesagte Vergütung nicht wegen Missbrauchs der Karte verweigern könne. Das folge ferner aus Ziffer 16 des Vertrages, wonach sie wohl das Recht, aber nicht die Pflicht habe, Karten zu sperren. Das Handelsgericht unterstelle ihr eine Mitteilungspflicht, die dem Zweck der Kontrollanfrage widerspreche; dadurch verletze es insbesondere
Art. 1 und 18 OR
.
b) Die Kontroll- oder Kreditanfrage, die vorliegend wegen Überschreitung der Kreditlimite erforderlich war und von der Klägerin beachtet wurde, bezweckt jedenfalls unmittelbar nur den Schutz der Kreditkartenorganisation gegen die Gewährung von Krediten, deren Risiko sie im Einzelfall ablehnen möchte. Es versteht sich indes von selbst, dass die Organisation dem Vertragsunternehmen die Kreditzusage schon aus eigenem Interesse verweigern wird, wenn sie vom Verlust einer Kreditkarte Kenntnis erhält; insoweit hilft die Anfrage daher auch Missbräuche verhindern.
BGE 113 II 174 S. 177
Davon geht unter Hinweis auf A. KELLER (Kreditkarten, S. 79) auch das Handelsgericht aus. Sollte die Beklagte dies bestreiten wollen, so wäre ihr nicht zu folgen.
Anders kann es sich verhalten, wenn die Organisation, wie das hier unstreitig der Fall gewesen ist, zur Zeit der Kreditanfrage noch keine Kenntnis vom Verlust der Karte hat. Das hängt davon ab, ob die Organisation im Sinne einer vertraglichen Nebenverpflichtung gehalten ist, sämtliche Kartenverluste als mögliche Gefährdungstatbestände dem Vertragsunternehmen zu melden, wie das die Vorinstanz annimmt. Diese Frage ist hier aufgrund des Vertrages zu beantworten. Nach dessen Ziffer 16 war die Beklagte berechtigt, jederzeit Karten zu sperren, das Vertragsunternehmen darüber wie vorgesehen zu informieren und ihm für Bezüge mit gesperrten Kreditkarten die Zahlung zu verweigern. Für eine Mitteilungspflicht der Beklagten ist dieser Bestimmung nichts zu entnehmen; ihr Wortlaut schliesst eine solche Pflicht vielmehr aus. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Bestimmung zusammen mit Ziffer 15 des Vertrages ausgelegt wird, zumal in dieser Klausel vor allem von Pflichten des Unternehmens die Rede ist. Auf frühere Formularverträge abstellen zu wollen, welche zwischen den Parteien nie galten oder nicht mehr gelten, geht zum vornherein nicht an.
Der Schluss der Vorinstanz, eine Pflicht der Kreditkartenorganisation, ihr angeschlossene Unternehmen über Kartenverluste zu informieren, ergebe sich aus Treu und Glauben, widerspricht übrigens nicht nur den Abreden der Parteien; er lässt sich auch nicht auf die von ihr zitierte Lehre stützen. Die Autoren äussern sich zwar einlässlich über die Nebenpflichten der Beteiligten, erwähnen darunter aber keine solche Informationspflicht der Organisation gegenüber den Unternehmen (J. WÜRSCH, Die Kreditkarte nach schweizerischem Privatrecht, Diss. Freiburg 1975 S. 139; A. KELLER, Kreditkarten, S. 103 und 110), sondern bloss eine Pflicht der Organisation, dem Vertragsunternehmen die von ihr veröffentlichten Mitteilungen und Sperrlisten zuzustellen (H. GIGER, Kreditkartensysteme, S. 301). Die Vorinstanz übergeht dies, wenn sie daraus, dass die Autoren von einer Haftung der Organisation für versäumte Anzeigen sprechen, auf eine allgemeine Informationspflicht der Organisation schliesst; sie verkennt insbesondere, dass das Zitat WÜRSCH unter der Überschrift "Gefahrtragung durch den Herausgeber" steht und GIGER am angeführten Ort nicht sagt, dass er unter Schadenstragung etwas anderes versteht.
BGE 113 II 174 S. 178
c) Der Vertrag der Parteien kann nach Treu und Glauben nur dahin verstanden werden, dass die Beklagte verschwundene Karten sperren darf, dem Vertragsunternehmen einen Kartenmissbrauch aber nicht entgegenhalten kann, wenn sie eine Sperre unterlässt und das Unternehmen seine Prüfungspflicht erfüllt hat. Was das Handelsgericht als Nebenverpflichtung der Beklagten bezeichnet, ist deshalb keine vertragliche Verpflichtung, deren Verletzung Schadenersatz zur Folge hätte, sondern eine blosse Obliegenheit, welche die Beklagte bloss im eigenen Interesse beachten muss, wenn sie Säumnisfolgen vorbeugen will. Es verhält sich ähnlich wie mit der Rügepflicht des Käufers (
Art. 201 OR
) oder der Pflicht des Geschädigten zur Abwendung oder Milderung des Schadens (
Art. 44 Abs. 2 OR
), die vom Begriff der Rechtspflicht ebenfalls nicht erfasst werden (VON TUHR/PETER, OR I S. 12/13 und 176). Da die Beklagte ihrer Obliegenheit zu spät nachkam, konnte sie sich dem Unternehmen gegenüber zwar nicht mehr auf den Kartenmissbrauch berufen, hatte der Klägerin folglich die Wagenmiete von Fr. 4'500.-- zu vergüten; mangels einer Vertragsverletzung im Sinne von
Art. 97 Abs. 1 OR
wurde sie ihr aber nicht schadenersatzpflichtig. Die Klage ist deshalb abzuweisen.
2.
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten der Beklagten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge überhaupt geeignet war, einen Schaden, wie den von der Klägerin behaupteten, herbeizuführen (
BGE 108 II 53
E. 3 mit Hinweisen), zumal es um den Verlust einer Kreditkarte in Deutschland ging und der Mietwagen damit in der Schweiz erschlichen wurde; dass zwischen dem Verlust und dem Missbrauch einer Kreditkarte ein solcher Zusammenhang besteht, heisst jedenfalls noch nicht, die Rechtserheblichkeit des Zusammenhanges sei deswegen auch für alle direkten und indirekten Folgen des Missbrauchs zu bejahen. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob die Beklagte wegen der weltweiten Tätigkeit ihrer Organisation und wegen ihres internationalen Informationssystems als Hilfsperson der deutschen Schwestergesellschaft anzusehen wäre und sich deren verspätete Meldung anrechnen lassen müsste. Offenbleiben kann ferner, ob die Klägerin ihre Prüfungspflicht verletzt habe, wie die Beklagte ihr vorwirft.
BGE 113 II 174 S. 179
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 4. April 1986 aufgehoben und die Klage abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d455b3d2-ecfc-4f84-b385-d489e3abac28 | Urteilskopf
102 Ia 76
14. Auszug aus dem Urteil vom 25. Februar 1976 i.S. Bultot gegen Grabowsky und Zivilgericht Basel-Stadt. | Regeste
Schweizerisch-belgisches Vollstreckungsabkommen vom 29. April 1959.
Vollstreckbarkeit eines belgischen Urteils in der Schweiz. Anforderungen an die Bescheinigung, dass das Urteil nicht mehr durch ordentliche Rechtsmittel anfechtbar ist und dass es vollstreckbar ist. | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 102 Ia 76 S. 76
Marcel Bultot ist Schauspielunternehmer mit Wohnsitz in Belgien. Zwischen 1965 und 1969 schloss er mit den Brüdern Vincent und Eynar Grabowsky, wohnhaft in Basel und Arlesheim, verschiedene Verträge ab. Gestützt darauf klagte er im April 1970 die Brüder Grabowsky vor dem Handelsgericht Charleroi (Belgien) auf Bezahlung mehrerer Beträge ein. Das Handelsgericht verurteilte Vincent und Eynar Grabowsky mit Urteil vom 29. Juni 1971 zur solidarischen Bezahlung bestimmter Beträge. Die Brüder Grabowsky legten gegen das Urteil des Handelsgerichts Charleroi Berufung beim Appellationsgericht Brüssel ein, das den erstinstanzlichen Entscheid mit Urteilen vom 28. Juni 1972 und 20. September 1974 im wesentlichen bestätigte.
Nachdem Vincent Grabowsky gegen den Zahlungsbefehl von Marcel Bultot Rechtsvorschlag erhoben hatte, verlangte dieser aufgrund der belgischen Urteile die definitive Rechtsöffnung, die das Dreiergericht für Zivilsachen Basel-Stadt mit Urteil vom 26. Mai 1975 verweigerte. Hiegegen erhebt Marcel Bultot staatsrechtliche Beschwerde.
BGE 102 Ia 76 S. 77
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss Art. 4 des schweiz.-belg. Abkommens können Gerichtsentscheide, die in einem der beiden Staaten gefällt worden sind, im andern Staat zur Zwangsvollstreckung gelangen, wenn sie für vollstreckbar erklärt werden und wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, die Art. 1 des Abkommens nennt. In der Schweiz erfolgt die Vollstreckung eines Urteils, das auf Geldzahlung lautet, auf dem Wege der Schuldbetreibung. Dabei dient das Rechtsöffnungsverfahren zugleich als Exequaturverfahren (Art. 5 des schweiz.-belg. Abkommens; Botschaft S. 317). Erhebt der Betriebene Rechtsvorschlag, so kann er gegenüber dem Urteil auch die Einwendungen geltend machen, die sich aus dem Staatsvertrag ergeben (
Art. 81 Abs. 3 SchKG
;
BGE 98 Ia 532
E. 1).
b) Art. 1 Abs. 1 lit. c des schweiz.-belg. Abkommens fordert, dass die Entscheidung nach dem Rechte des Staates, in dem sie ergangen ist, nicht mehr durch ein ordentliches Rechtsmittel anfechtbar ist. Art. 6 Abs. 1 lit. b des Abkommens schreibt vor, dass die Partei, die um das Exequatur nachsucht, eine Urkunde oder Bescheinigung darüber beizubringen hat, "dass die Entscheidung nach dem Rechte des Staates, in dem sie ergangen ist, durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar und dass sie vollstreckbar ist". (Für "ordentliche Rechtsmittel" steht in der französischen Originalfassung "voies de droit ordinaires".)
Das schweiz.-belg. Abkommen hat hier absichtlich den Ausdruck "Rechtskraft" vermieden, der sich in diesem Zusammenhang in den meisten übrigen Abkommen findet. Zwar ist nach schweizerischer Auffassung ein Urteil erst rechtskräftig, wenn es mit einem ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr anfechtbar ist. Aber die belgische Praxis nimmt allgemein an, ein Urteil erlange Rechtskraft, sobald es gefällt ist. Wegen dieser unterschiedlichen Bedeutung hat das Abkommen den Ausdruck "Rechtskraft" nicht verwendet und die Voraussetzung statt dessen in der angeführten Weise umschrieben (Botschaft S. 312).
c) Der Beschwerdeführer legte dem Dreiergericht eine Bestätigung des "Greffier" des Kassationshofes Brüssel vom 29. Januar 1975 vor. Danach sei "zur Zeit" ("à ce jour") vor dem Kassationshof gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 20. September 1974 keine Beschwerde hängig. Das Dreiergericht
BGE 102 Ia 76 S. 78
erachtete diese Erklärung im Hinblick auf das Exequatur der belgischen Urteile für unzureichend. Seiner Ansicht nach liess die Erklärung ausdrücklich die Möglichkeit offen, dass eine Anfechtung später noch erfolgen könne. In diesem Fall fehle es jedoch an der unbedingten Rechtskraftbescheinigung gemäss schweiz.-belg. Abkommen und die definitive Rechtsöffnung könne aus diesem Grund nicht gewährt werden. Der Beschwerdeführer hält demgegenüber die Bescheinigung für ausreichend.
d) Die Erklärung des "Greffier" des Kassationshofes Brüssel kann als Ausweis dafür gelten, dass bis zum 29. Januar 1975 keine Kassationsbeschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts ergriffen worden ist. Offen bleibt danach, ob in diesem Zeitpunkt die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen war und ob die Kassationsbeschwerde überhaupt als ordentliches Rechtsmittel anzusehen ist.
Wohl hat das Bundesgericht in
BGE 28 I 50
ausgeführt, dass sich die bescheinigende Amtsstelle auf die Untersuchung zu beschränken habe, ob ein Rechtsmittel angemeldet sei. Diese Aussage bezieht sich jedoch auf den Vertrag zwischen der Schweiz und Frankreich über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen vom 15. Juni 1869 (BS 12,347). Im Unterschied zum schweiz.-belg. Abkommen und zu andern Verträgen fordert Art. 16 Abs. 1 Ziff. 3 des schweiz.-franz. Abkommens nicht einen direkten Rechtskraft- oder Vollstreckungsnachweis, sondern nur die Bescheinigung, dass kein Rechtsmittel vorliegt (vgl. PROBST, Die Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Schweiz nach den geltenden Staatsverträgen, Diss. Bern 1936, S. 114 f.; PETITPIERRE, La reconnaissance et l'exécution des jugements civils étrangers en Suisse, Diss. Neuenburg, Paris 1925, S. 122 und 69 f.). Diese Rechtsprechung lässt sich im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres heranziehen. Abgesehen davon müsste auch in bezug auf das schweiz.-franz. Abkommen abgeklärt werden, ob diese Rechtsprechung nach den Abänderungen des Code de procédure civile vom 26. November 1965 und vom 28. August 1972 der Rechtslage in der französischen Prozessordnung noch gerecht zu werden vermag. Denn danach kommt den ordentlichen Rechtsmitteln des "appel" und der "opposition" grundsätzlich bereits während der Rechtsmittelfrist suspensive Wirkung zu und nicht wie früher erst mit Einlegung des Rechtsmittels
BGE 102 Ia 76 S. 79
(vgl. VINCENT, Procédure civile, 17. A., Paris 1974, No 577, S. 706; No 593, S. 721 f., No 619, S. 752). Zudem hat das Bundesgericht in
BGE 53 I 219
nachdrücklich hervorgehoben, dass auch nach schweiz.-franz. Vollstreckungsabkommen der Eintritt der Rechtskraft selbst eine staatsvertragliche Bedingung für die Urteilsvollstreckung bilde.
e) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts führt das Fehlen einer staatsvertraglich geforderten Bescheinigung für die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit eines Urteils nicht ohne weiteres zur Verweigerung der Urteilsvollstreckung. Die Vollstreckung ist gleichwohl zu gewähren, wenn nach dem sonstigen Inhalt der Akten als erwiesen gelten muss, dass das Urteil rechtskräftig und vollstreckbar ist. Die Bescheinigung bezweckt lediglich, den Nachweis für diese Voraussetzungen durch ein formelles Beweismittel sicherzustellen (
BGE 53 I 219
;
BGE 39 I 624
E. 1 mit Nachweisen).
Aus dem Urteil des Appellationsgerichts selbst geht nicht hervor, ob der Entscheid noch durch ein ordentliches Rechtsmittel anfechtbar ist. Den Akten ist auch nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdegegner auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet hat. Die Rechtsmittelfrist für die Kassationsbeschwerde ist aufgrund der Akten nicht bekannt. Es scheint ferner nicht zum vorneherein klar zu sein, dass die Kassationsbeschwerde kein ordentliches Rechtsmittel darstellt. Zwar führt die Botschaft aus, dass der Ausdruck "voies de droit ordinaires" deshalb gewählt wurde, weil er sowohl die belgischen Rechtsmittel des "appel" als auch der "opposition" erfasse. Ob aber noch andere ordentliche Rechtsmittel bestehen, lässt sich danach nicht eindeutig beurteilen. Inwiefern der Beschwerdeführer dem kantonalen Vollstreckungsrichter zusätzliche Belege hätte vorlegen müssen, braucht das Bundesgericht nicht weiter abzuklären. Denn der Beschwerdeführer bringt im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde die notwendigen Belege bei.
f) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die nicht die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraussetzen, sind neue Vorbringen zulässig, soweit sie Tatsachen zum Gegenstand haben, die vor dem angefochtenen Entscheid eingetreten sind (
BGE 82 I 250
E. 3).
Der Beschwerdeführer legt dem Bundesgericht zwei Bescheinigungen vor. Beide hat der "Greffier en Chef" des Appellationsgerichts Brüssel ausgestellt, die erste
BGE 102 Ia 76 S. 80
am 4. Juni 1975, die zweite am 20. November 1975. Beide enthalten die Bestätigung, dass gemäss Art. 1 § 1 lit. C und 6 § 1 lit. b des belgischen Zustimmungsgesetzes vom 21. Mai 1962 zum schweiz.-belg. Abkommen und gemäss Art. 21 des belgischen Gesetzes vom 10. Oktober 1967, welches den Code judiciaire belge enthalte, der Entscheid des Appellationsgerichts vom 20. September 1974 nicht mehr durch ein ordentliches Rechtsmittel angefochten werden könne und dass er vollstreckbar sei. Das Schreiben vom 20. November 1975 bescheinigt zudem, dass dies seit dem 20. September 1974 der Fall sei. Die Bescheinigung vom 20. November kann nicht mehr berücksichtigt werden, da sie der Beschwerdeführer erst nach Ablauf der Beschwerdefrist einreichte (
BGE 85 I 44
E. 1). Aber aus weiteren Belegen, die der Beschwerdeführer der Beschwerdeschrift beilegte, ergibt sich, dass die bescheinigte Tatsache in der Erklärung vom 4. Juni 1975 ebenfalls auf den 20. September 1974 zurückzubeziehen ist. In dem an die "Chambre des Représentants" gerichteten "exposé des motifs" führte die belgische Regierung aus, dass gemäss dem schweiz.-belgischen Abkommen die belgischen Urteile nicht mehr durch die Rechtsmittel der "opposition" und des "appel" anfechtbar sein dürfen, wenn sie in der Schweiz anerkannt werden sollen. Als ordentliche Rechtsmittel im Sinne des Art. 1 Abs. 1 lit. c, aber auch des Art. 6 Abs. 1 lit. b des Abkommens gelten danach ausschliesslich die beiden genannten Rechtsmittel. Eine Anfechtung des Appellationsurteils vom 20. September 1974 durch ein ordentliches Rechtsmittel war deshalb bereits am Tage der Urteilsfällung ausgeschlossen. Damit sind die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. b, bzw. des Art. 1 Abs. 1 lit. c des schweiz.-belg. Abkommens erfüllt. Der Erteilung des Exequaturs steht diesbezüglich nichts mehr entgegen. Die Beschwerde ist insofern begründet. Ist die Verweigerung der Rechtsöffnung nicht noch aus einem andern Grund gegeben, so ist die Beschwerde gutzuheissen und das Urteil des Dreiergerichts aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d45607f1-96ee-4a44-9870-907b717d0ce3 | Urteilskopf
123 III 145
25. Estratto della sentenza del 10 gennaio 1997 della II Corte civile nella causa Thermoselect S.A. contro Regio Presse S.A. (ricorso per riforma) | Regeste
Art. 28g ff. ZGB
; Recht auf Gegendarstellung.
Die Gegendarstellung muss nicht unbedingt in den gleichen Schriften und an der gleichen Stelle veröffentlicht werden wie die beanstandete Darstellung. Nichtsdestoweniger müssen die typografische Gestaltung und die Plazierung der Gegendarstellung derart sein, dass dasselbe Publikum erreicht wird. Je auffälliger die beanstandete Darstellung zur Geltung gebracht wurde, desto mehr kann dies auch von der Gegendarstellung verlangt werden (E. 2).
Das Medienunternehmen darf grundsätzlich einzelne Abschnitte der Gegendarstellung ohne Zustimmung von deren Autor nicht verharmlosen, streichen oder ändern. Hat das Medienunternehmen eine Gegendarstellung veröffentlicht, an der es von sich aus ungerechtfertigte Änderungen angebracht hat, so verfügt der hierauf angerufene Richter die Veröffentlichung einer unveränderten Gegendarstellung (E. 3).
In der Gegendarstellung darf nicht auf andere Themen abgeschweift werden, und sie darf weder Werturteile noch Kommentare noch polemische Vorwürfe enthalten (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 123 III 145 S. 146
A.-
Il quotidiano La Regione, edito dalla Regio Presse S.A., ha pubblicato sulla terza pagina del numero apparso sabato 11 novembre 1995 un articolo intitolato "Ticino pulito". Il 1o dicembre seguente la Thermoselect S.A. ha chiesto alla redazione del quotidiano di pubblicare una risposta a tale articolo nelle medesime modalità di quest'ultimo, ossia sulla terza pagina di un'edizione del sabato in un riquadro largo due colonne e misurante 14,8 cm di altezza su 9,2 cm di larghezza, situato nella seconda colonna in alto e con un titolo cubitale in rosso e testo in grassetto. La risposta doveva terminare con l'affermazione "SI" scritta in caratteri cubitali rossi. Poiché la redazione aveva espresso riserve sulla forma e sul contenuto del testo proposto, la Thermoselect S.A. le ha ripresentato, l'8 dicembre 1995, un nuovo testo, che è stato pubblicato nell'edizione di sabato 16 dicembre, troncato del sottotitolo "puntualizzazione della Thermoselect" e dell'affermazione finale "SI".
B.-
Il 27 dicembre 1995, la Thermoselect S.A. ha chiesto al Pretore del distretto di Bellinzona di ordinare alla Regio Presse S.A. la pubblicazione del testo integrale della risposta nelle medesime modalità di stampa dell'articolo litigioso. Con decisione 16 gennaio 1996 il Pretore ha respinto l'azione. Adita dall'attrice, la I Camera civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha, con sentenza 9 luglio 1996, riformato il giudizio di primo grado, accogliendo integralmente l'azione.
BGE 123 III 145 S. 147
C.-
Il 2 settembre 1996 la Regio Presse S.A. ha inoltrato al Tribunale federale un ricorso per riforma, con cui postula la riforma della decisione cantonale nel senso che l'appello sia respinto. Con risposta 4 dicembre 1996 la Thermoselect S.A. propone la reiezione del gravame.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Secondo la convenuta la Corte cantonale avrebbe violato il diritto federale esigendo la pubblicazione della risposta alle stesse condizioni grafiche e visuali dell'articolo a cui si riferisce.
a) L'avamprogetto della legge federale che modifica il Codice civile svizzero e il Codice delle obbligazioni (protezione della personalità,
art. 28 CC
e 49 CO) prevedeva che la risposta doveva essere pubblicata con i medesimi caratteri e possibilmente nella medesima posizione del contestato articolo (RODONDI, Le droit de réponse dans les médias, tesi Losanna 1991, pag. 254; HOTZ, Kommentar zum Recht auf Gegendarstellung, 1987, pag. 1). Con l'
art. 28k cpv. 1 del
progetto di legge, che è stato adottato senza discussioni dalle Camere (Boll.uff. Consiglio nazionale 1983 II 1393 seg. e Boll.uff. Consiglio degli Stati 1983 pag. 145), il Consiglio federale ha deliberatamente rinunciato a norme speciali ed esaustive sulle modalità di diffusione (FF 1982 II 669). Per adempiere lo scopo prefisso dalla legge è in effetti sufficiente ma essenziale che la risposta sia diffusa in modo da raggiungere, per quanto sia possibile, la medesima cerchia di persone che ha preso conoscenza dell'esposizione di fatti contestata. Se la risposta è pubblicata da un organo di stampa, essa deve beneficiare di condizioni altrettanto favorevoli dell'articolo a cui si riferisce, il che non significa necessariamente che essa debba sempre apparire nella stessa collocazione della contestata esposizione (FF 1982 II 669).
Questa concezione è condivisa quasi unanimemente dalla dottrina (RODONDI, op.cit., pag. 257; BUCHER, Personnes physiques et protection de la personnalité, 3a ed., n. 726; TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, 1984, n. 1576; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 3a ed., n. 699; TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 11a ed., pag. 102; BARRELET, Droit suisse des mass média, 2a ed., n. 679; implicitamente nello stesso senso KATERINA KOCIAN ELMALEH, Gegendarstellungsrecht - Droit de réponse, tesi Zurigo 1993, pag. 169; PEDRAZZINI/OBERHOLZER, Grundriss des Personenrechts, 4a ed., pag. 169; RIKLIN, Schweizerisches
BGE 123 III 145 S. 148
Presserecht, 1996, § 8 n. 37; dissenziente: HOTZ, op.cit., pag. 91). Benché non sia possibile dedurre dall'
art. 28k CC
un obbligo assoluto di pubblicare la risposta nella stessa rubrica o alla medesima pagina in cui è apparso lo scritto originario, il Tribunale federale ha già avuto modo di precisare che la pubblicazione della risposta deve comunque avvenire in modo da raggiungere la stessa cerchia di persone (
DTF 119 II 97
consid. 2a). Tale obbiettivo è sempre acquisito quando la risposta è pubblicata nello stesso modo e nella stessa posizione dello scritto a cui si riferisce; circostanze particolari possono tuttavia giustificare una soluzione diversa, sempreché sia garantito il raggiungimento dello stesso pubblico (TERCIER, op.cit., n. 1569 e 1576). In effetti, la ratio legis esige solo che il diritto di risposta permetta di ristabilire una certa parità delle armi (FF 1982 II 639) e non impone di sancire un principio assoluto che debba essere osservato nella fissazione delle modalità di diffusione (cfr. KOCIAN ELMALEH, op.cit., pag. 169). Queste dipendono unicamente dallo scopo perseguito dall'
art. 28k cpv. 1 CC
, che è, come già osservato, quello di permettere all'interessato di raggiungere il pubblico che ha avuto conoscenza della contestata presentazione.
Nello stabilire le modalità di pubblicazione, il diritto svizzero si distingue così dal vecchio diritto vodese e dal diritto francese (TERCIER, op.cit., n. 1577), la cui formulazione rigorosa è d'altronde stata affievolita dalla giurisprudenza (TERCIER, Le droit de réponse: du droit français au droit suisse, in: Mélanges Guy Flattet, 1985, pag. 417 n. 3 e pag. 431 n. 63; KOCIAN ELMALEH, op.cit., pag. 122). L'
art. 28k cpv. 1 CC
lascia un largo margine di apprezzamento sia alle parti - che possono negoziare le condizioni di diffusione (TERCIER, op.cit., n. 1543 e 1545; DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., n. 709a) - sia al giudice (RIKLIN, op.cit., § 8 n. 39; TERCIER, op.cit., n. 1568; RODONDI, op.cit., pag. 254; BUCHER, op.cit., n. 726). Se le parti non riescono a trovare un accordo, il giudice deciderà di caso in caso, tenendo conto delle circostanze della concreta fattispecie, in che modo la risposta dovrà essere diffusa o qualora ciò sia già avvenuto, se essa è stata divulgata in maniera tale da raggiungere la medesima cerchia di persone a cui era diretta l'esposizione dei fatti contestati (sentenza inedita del 20 dicembre 1993 in re M. c. S. consid. 3a). Per quanto concerne le modalità tipografiche, il giudice terrà conto degli elementi - dimensione, tipo e colore dei caratteri utilizzati per il titolo e per il testo, inquadratura, ecc. - che nel contesto grafico generale sono specialmente atti ad attirare l'attenzione dei lettori sull'esposizione contestata. Più essa è stampata in modo
BGE 123 III 145 S. 149
vistoso, tanto più si giustifica di far beneficiare la risposta delle medesime condizioni tipografiche, in modo da riuscire a raggiungere il medesimo pubblico (cfr. PEDRAZZINI/OBERHOLZER, op.cit., pag. 169).
b) Nella fattispecie, secondo gli accertamenti contenuti nella sentenza impugnata, il contestato articolo è stato pubblicato nel primo terzo superiore della terza pagina, a sinistra, in un riquadro con dimensioni 14,8 cm di altezza su 9,3 cm di larghezza con il titolo "Ticino pulito" stampato in caratteri maiuscoli rossi alti 6 mm. Le 29 righe del corpo erano in grassetto e il "NO" finale capeggiava in caratteri maiuscoli rossi di 1 cm su 1 cm. La risposta, invece, è stata pubblicata nella parte inferiore della terza pagina, in caratteri normali, tranne il titolo scritto in grassetto, e misurava 10 cm su 9,6 cm.
Risulta quindi che l'articolo litigioso ha beneficiato di condizioni tipografiche eccezionali, che attiravano in special modo l'attenzione del lettore. A giusta ragione la Corte cantonale ha di conseguenza considerato che, in concreto, il solo modo per raggiungere la medesima cerchia di persone consisteva nel pubblicare la risposta nelle medesime modalità tipografiche e di impaginazione dell'esposizione di fatti a cui si riferiva.
3.
La convenuta rimprovera inoltre alla Corte cantonale di aver violato il diritto federale non considerando la pubblicazione del testo, amputato del sottotitolo "puntualizzazione della Thermoselect SA" e dell'affermazione finale "SI", come una corretta esecuzione del diritto di risposta dell'attrice.
a) Alla ricezione della risposta, l'impresa responsabile del mezzo di comunicazione comunica senza indugio all'interessato quando la diffonderà o perché la rifiuta (
art. 28i cpv. 2 CC
). Essa può decidere di rifiutarne la diffusione, se reputa che le condizioni legali non sono adempiute; essa può anche proporre delle correzioni all'interessato (TERCIER, op.cit., n. 1536 e 1543). Tuttavia, senza l'accordo di questi, l'impresa non può mitigare, stralciare o modificare dei passi (TERCIER, op.cit., n. 1540 e 1588; DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., n. 700; BUCHER, op.cit., n. 711 e 732; RODONDI, op.cit., pag. 261 e 264; RIKLIN, op.cit., § 8 n. 36; HOTZ, op.cit., pag. 102; BARRELET, op.cit., n. 681). Se l'impresa corregge di propria iniziativa una risposta e diffonde un testo censurato, il giudice, adito dall'autore della risposta (
art. 281 cpv. 1 CC
) condannerà l'impresa, in presenza di modifiche ingiustificate, a una nuova diffusione (cfr.
DTF 119 II 104
consid. 5b;
DTF 112 II 193
consid. 3a). Solo se le correzioni risultano interamente giustificate il giudice rigetterà l'azione (TERCIER, op.cit., n. 1542).
BGE 123 III 145 S. 150
b) La convenuta ha, in particolare, amputato dal testo ricevuto dall'attrice la dicitura "puntualizzazione della Thermoselect SA" che era collocata sotto il titolo "Ticino pulito". Essa asserisce che la legge non impone di pubblicare un siffatto sottotitolo, ma unicamente di designare, giusta l'
art. 28k cpv. 2 CC
, la risposta come tale. Essa pare tuttavia misconoscere che l'appena menzionata norma richiede sì che la pubblicazione sulla stampa di una risposta sia preceduta dell'indicazione "diritto di risposta", ma non esclude la possibilità di aggiungervi un altro titolo o sottotitolo (TERCIER, op.cit., n. 1585 segg.; RODONDI, op.cit., pag. 260; HOTZ, op.cit., pag. 94; DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., n. 700; BARRELET, op.cit., n. 681; FF 1982 II 669). Non sussisteva pertanto alcun motivo per eliminare il sottotitolo "puntualizzazione della Thermoselect S.A.", che nemmeno la convenuta ritiene contrario all'
art. 28h CC
. Tale stralcio appare ancora maggiormente ingiustificato dal fatto che - come rilevato dalla Corte cantonale - la risposta deve precisare il nome del suo autore (BUCHER, op.cit., n. 732; RODONDI, op.cit., pag. 261; BARRELET, op.cit., n. 681). L'attrice poteva pertanto domandare una nuova pubblicazione della risposta. Contrariamente a quanto preteso dalla convenuta, non vi è abuso di diritto per il fatto che la risposta era già stata diffusa e che una nuova pubblicazione con l'aggiunta "puntualizzazione della Thermoselect SA" non aveva più alcun senso. Riconoscere nella fattispecie un abuso di diritto equivarrebbe a privare di ogni sanzione le modifiche ingiustificate apportate unilateralmente al testo della risposta dall'impresa responsabile del mezzo di comunicazione, contravvenendo in questo modo lo scopo della legge.
4.
a) La convenuta ha pure stralciato unilateralmente dal testo della risposta l'affermazione finale "SI". Secondo la Corte cantonale tale omissione non era giustificata, poiché il "SI" aveva un nesso logico con il testo e segnatamente con l'ultima frase della risposta che recita "anche l'affermazione della Regione secondo cui "nessuno al mondo ha voluto fare da cavia" è stata riconosciuta "inesatta e in parte fuorviante" dal Pretore di Bellinzona". Inoltre il "SI" si contrapponeva visivamente al "NO" dell'articolo contestato.
b) Giusta l'
art. 28h cpv. 1 CC
la risposta dev'essere concisa e limitarsi all'oggetto dell'esposizione di fatti contestata e l'
art. 28g cpv. 1 CC
prevede che l'interessato ha il diritto di rispondere con una propria esposizione di fatti, secondo il principio "fatto contro fatto" (
DTF 114 II 293
). La risposta non può essere pretestuosa, contenere giudizi di valore o commenti né riportare espressioni polemiche
BGE 123 III 145 S. 151
(DESCHENAUX/STEINAUER, op.cit., n. 696; BUCHER, op.cit., n. 695; RIKLIN, op.cit., § 8 n. 28; TERCIER, op.cit., n. 1476-1478; cfr.
DTF 114 II 293
).
Nella fattispecie il "SI" litigioso ha manifestamente l'unico scopo di opporsi al "NO" finale del contestato articolo, che terminava con la frase "scriveteci, faxateci, telefonateci il vostro, il nostro NO". Tuttavia contrariamente a quest'ultimo, il "SI" non ha alcun legame sintattico con il rimanente testo della risposta, ma appare essere una mera espressione polemica. In quanto tale, essa non può basarsi sul diritto di risposta, il cui fine è quello di permettere a chi è toccato nella sua personalità da un'esposizione di fatti di replicare con una propria versione (TERCIER, op.cit., n. 1245; BUCHER, op.cit., n. 671). La Corte cantonale ha pertanto incluso a torto nel testo della risposta da ripubblicare l'affermazione finale "SI". | null | nan | it | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d45b76a9-0fdc-4803-a608-6cfed21fe609 | Urteilskopf
89 II 126
21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Mai 1963 i.S. Koch gegen Oschwald & Co. | Regeste
Konkurrenzverbot in einem Werklieferungsvertrag.
Auslegung der Konkurrenzklausel; Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts.
Begriff der indirekten Beteiligung an einem Konkurrenzunternehmen. | Sachverhalt
ab Seite 126
BGE 89 II 126 S. 126
Zusammenfassung des Tatbestandes
A.-
Die Kommanditgesellschaft Alfred Oschwald & Co., die aus Alfred Oschwald sen. als unbeschränkt haftendem Gesellschafter und seiner Ehefrau als Kommanditärin bestand, betrieb eine Werkstätte für Feinmechanik, Photo- und Kinoreparaturen. Carl Koch ist der Erfinder der Sinar-Fachkamera, die nach dem sog. Baukastensystem gebaut, d.h. aus auswechselbaren Teilen zusammengesetzt ist. Mit Vertrag vom 15. Dezember 1956 übertrug er der Firma Alfred Oschwald & Co. die gesamte Fabrikation dieser Apparate mit Ausnahme der Objektiv-Einbauten. Dieser Vertrag enthält die Bestimmung, die Firma Alfred Oschwald & Co. verpflichte sich,
"während vier Jahren nach Beendigung dieses Vertrages weder selbst eine Fachkamera oder deren Zubehör zu fabrizieren oder zu vertreiben, noch sich an einer solchen Fabrikation oder einem solchen Vertrieb direkt oder indirekt zu beteiligen. Jede Verletzung dieses Konkurrenzverbotes wird mit einer Konventionalstrafe von Fr. 10'000.-- geahndet, welche kumulativ neben dem Erfüllungsanspruch gefordert werden kann und die Geltendmachung eines weitern Schadens nicht ausschliesst".
Am 15. September 1958 erklärte Koch, er trete vom Vertrage zurück. In der Folge verständigten sich die Parteien über die Art und Weise der Vertragsauflösung. Unter anderm wurde abgemacht, dass die Firma Alfred Oschwald
BGE 89 II 126 S. 127
& Co. an Koch noch gewisse Waren zu liefern habe, was dann auch geschah. Die Vereinbarung vom 2. März 1959 sah vor, dass die Konkurrenzklausel unter Beschränkung auf "Fachkameras nach Baukastensystem... und deren Zubehör" anerkannt werde.
B.-
Am 29. Mai 1959 verkaufte die Firma Alfred Oschwald & Co. "sämtliche Maschinen, Einrichtungen, Vorräte an Roh- und Hilfsmaterialien... mit Ausnahme der Sinar-Materialien" zu Fr. 64'347.85 an Max Oschwald, einen Sohn von Alfred Oschwald sen. Über die Zahlung des Kaufpreises wurde dabei vereinbart, Fr. 25'000. - würden durch Übernahme einer Schuld der Verkäuferin und Franken 3347.85 durch Verrechnung mit Gegenforderungen des Käufers beglichen; für den Restbetrag von Fr. 36'000. - übernehme der Käufer eine Darlehensschuld gegenüber Alfred Oschwald sen., die zu 4% zu verzinsen, nicht sicherzustellen und vom Käufer in monatlichen Raten von Fr. 1000.-- zu tilgen sei.
Max Oschwald betrieb hierauf bis anfangs August 1959 ein eigenes Geschäft. Dann gründete er mit seinem Bruder Alfred, der seit längerer Zeit ein Konkurrenzerzeugnis der Sinar-Kamera, die Arca-Kamera, herstellte, die Kollektivgesellschaft Gebrüder Oschwald. Diese neue Firma richtete sich in den bisherigen Räumlichkeiten der Firma Alfred Oschwald & Co. ein und arbeitete im wesentlichen mit dem frühern Personal und Maschinenpark von Oschwald & Co.
Koch erblickte in diesen Vorgängen eine Verletzung des im Vertrag mit der Firma Oschwald & Co. vorgesehenen Konkurrenzverbots, erhob Anspruch auf die Konventionalstrafe von Fr. 10'000. - und erklärte, er verrechne diese mit den Forderungen der Firma Oschwald & Co. aus ihren Lieferungen.
C.-
Am 11. Januar 1960 leitete die Firma Alfred Oschwald & Co. gegen Koch beim Kantonsgericht Schaffhausen Klage auf Zahlung ihrer Lieferungen ein. In diesem Prozess blieb nur die vom Beklagten zur Verrechnung gestellte Gegenforderung von Fr. 10'000. - streitig.
BGE 89 II 126 S. 128
Das Kantonsgericht nahm an, im Verkauf der Geschäftseinrichtung der Klägerin an Max Oschwald unter Gewährung eines Darlehens an diesen und in der nachfolgenden Gründung der Firma Gebrüder Oschwald liege "eine - durch die Einschaltung verschiedener rechtlicher Umwege verschleierte - indirekte Beteiligung" der Klägerin an der Fabrikation einer Fachkamera nach dem Baukastensystem (der Arca-Kamera). Diese Beteiligung verletze das vertragliche Konkurrenzverbot. Der Beklagte sei daher berechtigt, mit seiner an sich unbestrittenen Restschuld von Fr. 10'000.-- die Konventionalstafe im gleichen Betrag zu verrechnen. Deshalb wies das Kantonsgericht die Klage ab.
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen hat dagegen erkannt, der Beklagte habe der Klägerin Fr. 10.000. - zu zahlen. Dieses Urteil beruht im wesentlichen auf der Erwägung, das Kantonsgericht habe dem Begriff der Beteiligung einen zu weiten Sinn beigelegt. Eine direkte oder indirekte Beteiligung liege nur vor, "wenn sich jemand durch Zurverfügungstellung von Mitteln in irgendeiner Form am Ergebnis des wirtschaftlichen Unternehmens eines andern in irgendeiner Weise beteiligt". In den Akten finde sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Parteien bei der Aufstellung der fraglichen Konkurrenzklausel von einer andern Vorstellung ausgegangen seien. Diese Klausel hätte der Klägerin also nicht verboten, ihre "ganze... Unternehmung mit Aktiven und Passiven an einen dritten Konkurrenten des Beklagten oder an Alfred Oschwald jun. direkt zu verkaufen, wobei sich dann höchstens die Frage gestellt hätte, ob das Konkurrenzverbot damit auf den Käufer übergehe." Noch viel weniger sei in einem in zwei Etappen erfolgten Übergang der Unternehmung an die Konkurrenz ein Verstoss gegen die erwähnte Klausel zu erblicken. Bei dieser Betrachtungsweise sei unerheblich, ob Vater Oschwald vom geplanten Zusammenschluss seiner Söhne Kenntnis gehabt habe. Auch der Umstand, dass beim Verkauf vom 29. Mai 1959 ein Teil des Kaufpreises in Form eines ratenweise abzahlbaren Darlehens gestundet
BGE 89 II 126 S. 129
worden sei, weise nicht auf eine indirekte Beteiligung Vater Oschwalds am Unternehmen seines Sohnes bezw. seiner Söhne hin.
D.-
Auf Berufung der Beklagten hin hebt das Bundesgericht das obergerichtliche Urteil auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Das erwähnte Konkurrenzverbot, gegen dessen Gültigkeit die Klägerin mit Recht nichts einwendet, ist verletzt, wenn die Klägerin eine Fachkamera nach Baukastensystem selbst fabriziert oder vertrieben oder sich an der Fabrikation oder am Vertrieb einer solchen direkt oder indirekt beteiligt hat. In einem Verhalten, das nicht unter diese vertragliche Umschreibung der verbotenen Konkurrenz fällt, kann selbst dann, wenn es den Beklagten im Konkurrenzkampf irgendwie benachteiligt, eine Verletzung des Konkurrenzverbots nicht erblickt werden.
3.
Der Beklagte behauptet nicht, dass die Klägerin (von der in seinem Auftrag erfolgten Fabrikation der Sinar-Kamera abgesehen) eine Fachkamera nach Baukastensystem selber fabriziert oder vertrieben habe. Dagegen wirft er ihr vor, sie habe sich an der Fabrikation der Arca-Kamera, die unstreitig eine solche Kamera darstellt, wenigstens indirekt beteiligt. Der Prozessausgang hängt davon ab, ob dieser Vorwurf begründet sei oder nicht. Im ersten Falle ist die Konventionalstrafe (die nicht als übermässig beanstandet wird) geschuldet, im zweiten Falle nicht.
4.
Für den Entscheid darüber, ob die Klägerin sich indirekt an der Fabrikation der Arca-Kamera beteiligt habe, ist in erster Linie massgebend, was unter indirekter Beteiligung im Sinne der Konkurrenzklausel zu verstehen, d.h. wie die Konkurrenzklausel in diesem Punkte auszulegen sei. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die der Überprüfung durch das Bundesgericht unterliegt. Indem
BGE 89 II 126 S. 130
die Vorinstanz im Anschluss an ihre Ausführungen über den Begriff der Beteiligung bemerkte, in den Akten finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien von einer andern Vorstellung ausgegangen seien, traf sie nicht etwa eine für das Bundesgericht verbindliche Feststellung darüber, wie die Parteien den Ausdruck "Beteiligung" tatsächlich aufgefasst haben, sondern jene Bemerkung bedeutet bloss, es sei nicht bewiesen, dass die Parteien dem genannten Ausdruck einen andern als den von der Vorinstanz angenommenen Sinn beilegten. Damit ist nichts darüber gesagt, was sich die Parteien unter einer Beteiligung positiv vorstellten. Es ist denn auch von keiner Seite behauptet worden, dass die Parteien diesem Ausdruck einen besondern Sinn beigelegt hätten, der von dem nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung sich ergebenden abweichen würde. Vielmehr ging der Streit der Parteien über die Auslegung dieses Ausdrucks schon im kantonalen Verfahren nur darum, wie er angesichts der konkreten Umstände im Lichte der allgemeinen Lebenserfahrung nach Treu und Glauben aufzufassen sei. Diese Frage kann das Bundesgericht frei prüfen (vgl.
BGE 87 II 237
mit Hinweisen).
5.
Der Vorinstanz ist darin beizustimmen, dass im Wirtschaftsleben von einer "Beteiligung" vor allem dann gesprochen wird, wenn jemand auf Grund einer Geldeinlage am Ergebnis (insbesondere am Gewinn) des Unternehmens eines andern unmittelbar teilnimmt. Im Rahmen der vorliegenden Konkurrenzklausel, welche der Klägerin eine bestimmte Geschäftstätigkeit (Fabrikation und Vertrieb gewisser Photoapparate) sowie die direkte oder indirekte Beteiligung an dieser Tätigkeit verbietet, ist der fragliche Ausdruck jedoch weiter auszulegen. Diese Klausel verfolgt unzweifelhaft den Zweck, auf dem betreffenden Tätigkeitsgebiet jede Konkurrenzierung des Beklagten durch die Klägerin auszuschliessen. Im Sinne dieser Klausel ist daher unter "Beteiligung" an einem Konkurrenzgeschäft nicht bloss die Teilnahme an der Finanzierung
BGE 89 II 126 S. 131
eines solchen gegen Zusicherung eines Gewinnanteils zu verstehen, sondern jede durch eine Beziehung von einer gewissen Dauer vermittelte Förderung oder Unterstützung eines derartigen Unternehmens, worunter namentlich auch die Gewährung eines gewöhnlichen Darlehens fallen kann (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER N. 18 und BECKER N. 11/12 zu
Art. 356 OR
, wonach das in einem Dienstvertrag vorgesehene Verbot der Beteiligung an einem Konkurrenzgeschäft in entsprechendem Sinne auszulegen ist, undBGE 51 II 442ff., wo die Verbürgung eines von dritter Seite einem Konkurrenzunternehmen gewährten Darlehens unter das dem Mieter einer Wirtschaft auferlegte Verbot der Beteiligung an einem solchen Unternehmen gezogen wurde).
6.
Ist die Konkurrenzklausel in diesen Sinne aufzufassen, so kann der Vorinstanz nicht beigestimmt werden, soweit sie annimmt, die Klägerin hätte ihre Geschäftseinrichtung zu den mit Max Oschwald vereinbarten Bedingungen direkt an Alfred Oschwald jun. oder einen andern Konkurrenten des Beklagten verkaufen können, ohne gegen das Konkurrenzverbot zu verstossen. Der Verkauf der Geschäftseinrichtung an einen Konkurrenten des Beklagten war freilich kaum schon an und für sich unzulässig; denn ein Kaufvertrag schafft zwischen den Vertragsparteien in der Regel nicht eine auf eine gewisse Dauer angelegte Beziehung, wie sie zum Begriff der Beteiligung gehört. Durch den Vertrag vom 29. Mai 1959 gewährte jedoch die Klägerin dem Käufer für mehr als die Hälfte des Kaufpreises einen Kredit, der durch Ratenzahlungen an den unbeschränkt haftenden Gesellschafter Alfred Oschwald sen. abzutragen war. Damit wurde zwischen der Klägerin und dem Käufer eine mehrere Jahre dauernde Beziehung begründet, durch welche das Unternehmen des - auf einen solchen Kredit offenbar angewiesenen - Käufers gefördert, ja überhaupt erst ermöglicht wurde. Wäre der Käufer ein Konkurrent des Beklagten gewesen, so müsste sich die Klägerin folglich den Vorwurf gefallen lassen, sich durch den Vertrag vom 29. Mai 1959 im Sinne der streitigen
BGE 89 II 126 S. 132
Klausel an einem Konkurrenzgeschäft beteiligt zu haben.
Dem Falle des direkten Verkaufs an ein Konkurrenzunternehmen unter Stundung eines grossen Teils des Kaufpreises ist nach Treu und Glauben der Fall gleichzustellen, dass die aus einem solchen Verkauf sich ergebende Förderung der Konkurrenz mit Vorwissen und Billigung des Verkäufers auf einem Umweg erreicht wird. Nach der Darstellung des Beklagten soll dies hier geschehen sein. Der Beklagte macht nämlich geltend, Alfred Oschwald sen., der für die Klägerin handelte, habe von Anfang an gewusst und sei damit einverstanden gewesen, dass der Käufer Max Oschwald, der zunächst kein Konkurrent des Beklagten war, mit seinem Bruder Alfred zusammen unter Einbringung der von der Klägerin auf Kredit erworbenen Geschäftseinrichtung die Firma Gebrüder Oschwald gründen und dass diese die bisher von Alfred Oschwald jun. allein betriebene Fabrikation der Arca-Kamera weiterführen werde; Max Oschwald habe dann auch tatsächlich die von der Klägerin erworbenen Aktiven und Passiven in die neue Firma Gebrüder Oschwald eingebracht; damit sei auch das ihm gewährte Darlehen der neuen Firma zugute gekommen. Sind diese Behauptungen im wesentlichen richtig, so hat die Klägerin das Konkurrenzverbot seinem Sinne nach verletzt, wie wenn sie den Vertrag vom 29. Mai 1959 direkt mit einem Konkurrenten des Beklagten abgeschlossen hätte.
Die Vorinstanz hat über die wiedergegebenen Vorbringen des Beklagten keine Feststellungen getroffen, weil sie die betreffenden Tatsachen zu Unrecht als unerheblich betrachtete. Die Sache ist daher zur Vervollständigung des Tatbestandes und zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an sie zurückzuweisen.
7.
Eine Verletzung des Konkurrenzverbots durch indirekte Beteiligung an der Firma Gebrüder Oschwald könnte unter Umständen sogar dann vorliegen, wenn nicht bewiesen werden könnte, dass Alfred Oschwald sen. geradezu wusste und billigte, dass Max Oschwald sich mit
BGE 89 II 126 S. 133
seinem Bruder zum Betrieb eines das Geschäft des Beklagten konkurrierenden Unternehmens zusammenschliessen werde, wenn aber doch angenommen werden müsste, er habe mit dieser Möglichkeit ernstlich gerechnet und den Vertrag mit Max Oschwald gleichwohl vorbehaltlos abgeschlossen.
Unter dem Gesichtspunkte der Konkurrenzklausel könnte auch von Bedeutung sein, wenn sich ergäbe, dass die Klägerin ihre Geschäftsräume an die Firma Gebrüder Oschwald vermietete (wogegen das Bestehen eines Mietvertrags zwischen dieser Firma und einem Dritten über die bisher von der Klägerin benützten Räumlichkeiten nicht für eine Beteiligung der Klägerin an dieser Firma sprechen würde).
Sollte sich herausstellen, dass Alfred Oschwald sen. durch das Vorgehen seines Sohnes Max überrascht wurde, so wäre, falls dieses Vorgehen faktisch zu einer mittelbaren Beteiligung der Klägerin an der Firma Gebrüder Oschwald führte, noch zu prüfen, ob die Klägerin verpflichtet gewesen wäre und die Möglichkeit gehabt hätte, diese Beteiligung innert nützlicher Frist in einer für sie tragbaren Form zu lösen (vgl. BECKER N. 12 zu
Art. 356 OR
, wo ausgeführt wird, ein unter Konkurrenzverbot stehender Dienstnehmer, der ein Konkurrenzgeschäft unentgeltlich erwirbt, handle vertragswidrig, wenn er eine sich bietende Gelegenheit, das Geschäft zu angemessenen Bedingungen zu veräussern, nicht benütze). | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d460be19-6047-49fa-904f-dd40960e0d6a | Urteilskopf
110 II 456
87. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Oktober 1984 i.S. F. gegen H. AG (Berufung) | Regeste
Art. 55 OR
. Haftung des Geschäftsherrn für Schäden aus Produktemängeln.
1. An den Befreiungsbeweis des Geschäftsherrn sind auch dann erhöhte Anforderungen zu stellen, wenn die Arbeit der Hilfspersonen als solche nicht gefährlich ist, Fehler bei der Herstellung des Produktes aber zu einer Gefahr für Personen, die es bestimmungsgemäss verwenden, führen können (E. 2b).
2. Die vom Geschäftsherrn gemäss
Art. 55 Abs. 1 OR
verlangte Sorgfalt beschränkt sich nicht auf richtige Auswahl, Überwachung und Instruktion der Hilfspersonen, sondern der Geschäftsherr hat darüber hinaus für eine zweckmässige Arbeitsorganisation und nötigenfalls für die Endkontrolle seiner Erzeugnisse zu sorgen, wenn damit eine Schädigung Dritter verhindert werden kann (E. 3a).
3. Ist eine Endkontrolle der Produkte nicht möglich oder unzumutbar, muss der Geschäftsherr eine Konstruktionsart wählen, die Fabrikationsfehler und die sich daraus ergebende Schädigungsgefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliesst (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 457
BGE 110 II 456 S. 457
Christian F., Arbeitnehmer der Baufirma Gebrüder F. & B., erlitt am 14. Oktober 1980 bei Bauarbeiten an der Allmendstrasse in Reutigen einen Unfall. F. war zusammen mit anderen Arbeitern damit beschäftigt, einen 690 kg schweren, exzentrischen Schachtrahmen aus armiertem Beton mit Hilfe eines Baggers hochzuheben und auf dem Schacht anzubringen. Dabei riss eine der beiden etwa in der Schwerelinie des Rahmens einbetonierten Aufhängeschlaufen aus, worauf der Rahmen herabfiel und den rechten Fuss von F. zerquetschte.
Nach dem Unfall befand sich F. während rund drei Monaten im Spital und war bis 25. Oktober 1981 arbeitsunfähig. Die Unfallverletzungen führten zu einer schweren Deformation des rechten Fusses. F. muss einen speziellen orthopädischen Schuh tragen und ist gehbehindert. Er arbeitet heute wieder bei der gleichen Bauunternehmung als Maschinist, ist aber für manuelle Arbeiten wie zum Beispiel Schaufeln und Pickeln nicht mehr voll einsatzfähig. Die SUVA setzte am 13. Juni 1983 die Erwerbsunfähigkeit von F. auf 30% fest und sprach ihm eine monatliche Invalidenrente von Fr. 606.-- zu. Für die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit zahlte die SUVA ein Krankengeld von 80% des ausgefallenen Lohnes aus.
Im Februar 1983 erhob F. beim Appellationshof des Kantons Bern Klage gegen die H. AG, welche den Schachtrahmen hergestellt hatte. Er verlangte Schadenersatz von rund Fr. 69'000.-- und
BGE 110 II 456 S. 458
eine Genugtuung von Fr. 15'000.--. Zur Begründung der Klage machte er geltend, die Beklagte hafte aufgrund von
Art. 55 OR
, weil die Aufhängeschlaufe wegen eines Fehlers bei der Herstellung des Schachtrahmens ausgerissen sei.
Der Appellationshof wies die Klage am 31. August 1983 mit der Begründung ab, die Beklagte habe beweisen können, dass sie alle erforderlichen und zumutbaren Massnahmen getroffen habe, um das Ausreissen der Aufhängeschlaufe zu verhindern.
Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, die gutgeheissen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz sind, soweit sie im folgenden wiedergegeben werden, von keiner Partei bestritten. Danach stellt die Beklagte verschiedene Arten von Schachtrahmen seit mehr als zwanzig Jahren in Stückzahlen von heute jährlich insgesamt 200 bis 250 her. Für den Herstellungsvorgang bestehen keine schriftlichen Anweisungen. Fabriziert werden die Rahmen von zwei langjährigen und bewährten Arbeitern. Beide gelten als zuverlässig und werden nicht speziell überwacht. Das Vorgehen bei der Rahmenherstellung ist einfach. Zunächst wird in die entsprechende Form eine erste Schicht Beton eingefüllt und eine Lage Armierungseisen eingelegt. Dann werden die vorfabrizierten Aufhängeschlaufen eingesetzt, die aus acht Millimeter dickem Armierungsstahl von ca. 45 cm Länge bestehen. Die Schlaufen weisen die Form einer unten offenen Acht auf; der obere runde Teil dient als Öse, die mit den zwei unteren Enden im Beton verankert wird. Nach dem Einsetzen der Schlaufen wird eine weitere Schicht Beton eingeschaufelt, die zweite Lage Armierung eingelegt und nochmals Beton eingefüllt, der jedesmal gestampft oder vibriert wird. Dann wird mit einer Schablone eine runde Vertiefung in den Rahmen gepresst, welche für das Einsetzen des eisernen Gussdeckels bestimmt ist. Schliesslich wird der Rahmen nach Erhärtung des Betons, d.h. nach ein bis zwei Tagen, mit einem Hubstapler ins Freie gebracht und auf dem Fabrikgrundstück gelagert.
Seit 1979 oder 1980 wird der unterste Teil der Schlaufenenden in Form von Widerhaken nach oben gebogen. Zudem werden heute bei exzentrischen Schachtrahmen anstelle von zwei Aufhängeschlaufen deren drei eingesetzt. Der Rahmen, welchen die Beklagte
BGE 110 II 456 S. 459
der Firma Gebrüder F. & B. am 1. September 1980 geliefert hatte, war mit zwei Schlaufen ohne Widerhaken versehen. Wann genau und von welchem Arbeiter er hergestellt wurde, ist nicht bekannt.
Dieser Rahmen war rund ein Monat vor dem Unfall von Arbeitern der Firma Gebrüder F. & B. an der Allmendstrasse auf das Schachtrohr aufgesetzt worden. Auch damals hatte ein Bagger den Rahmen an einem durch die Schlaufen gezogenen Seil hochgehoben und auf dem Schachtrohr abgesetzt. Am Tag des Unfalls wurde der Rahmen wieder abgenommen, weil das Schachtrohr verkürzt werden sollte. Für das Durchziehen des Drahtseiles war es notwendig, die Schlaufen etwas hochzubiegen. Der Rahmen wurde dann neben dem Schachtrohr abgesetzt. Nach der Verkürzung des Rohres wurde der Rahmen vom Bagger hochgezogen und über dem Schacht in die richtige Lage gebracht. Dabei stand der Kläger neben dem Rahmen, um beim Richten zu helfen, und während des Absenkens ereignete sich der Unfall.
Auch die Feststellungen des Appellationshofes über die Ursache des Ausreissens der Aufhängeschlaufe sind von beiden Parteien unbestritten. Die Vorinstanz stellte dazu auf ein Gutachten vom 17. Mai 1982, die Aussagen des Gutachters und den Augenschein bei der Beklagten ab. Nach dem Gutachten lagen drei Fabrikationsfehler vor. Erstens war die ausgerissene Schlaufe um ca. 35o verdreht eingesetzt worden, wodurch ein Schlaufenende allein den Grossteil der Last tragen musste; das heisst der Winkel zwischen Betonoberfläche und Schlaufenenden betrug nicht wie normal etwa 55o, sondern für das eine Ende ca. 20o und für das andere ca. 90o. Zweitens waren die Schlaufenenden ungleich lang. Während das eine rund 15 cm mass, wies das andere, beinahe senkrecht im Beton eingesetzte, eine Länge von rund 11 cm auf. Drittens waren die Schlaufenenden nicht vollständig vom Beton umgeben, weil die Schlaufe nicht genügend einvibriert worden war. Diese Fehler waren von aussen nicht zu erkennen. Nach den Aussagen des Gutachters hätte das kürzere Schlaufenende auch allein die Last tragen können, wenn es vollständig von Beton umgeben gewesen wäre. Der Gutachter gab an, die Schlaufe müsse nach dem Einsetzen, während des Härtens des Betons verschoben und nachher der Beton nicht mehr vibriert oder gestampft worden sein. Beim Augenschein stellte der Appellationshof fest, dass eine Schlaufe in diesem Stadium des Herstellungsvorgangs durch ein blosses Anschlagen mit der Pflasterkelle verschoben werden kann. Der Gutachter
BGE 110 II 456 S. 460
hatte sich auch dazu geäussert, ob die Haftung zwischen Beton und Schlaufe durch das Niederdrücken und Wiederaufbiegen der Schlaufe habe geschwächt werden können. Er bezeichnete dies als möglich, aber nicht nachweisbar. Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, das Gutachten enthalte insofern einen Widerspruch, als an einer Stelle eine Schwächung der Haftbrücke zwischen Stahl und Beton grundsätzlich für möglich gehalten werde, an einer anderen Stelle aber festgehalten werde, das Um- und Wiederaufbiegen beanspruche nur den Stahl; nach den Aussagen des Gutachters bei der Befragung müsse die Schwächung jedoch für möglich gehalten werden. Im restlichen Teil des Urteils kommt der Appellationshof nicht mehr auf diese Bemerkung zurück; offenbar weil er die Frage für unerheblich hielt. Die Parteien äussern sich nicht dazu. Unter diesen Umständen muss davon ausgegangen werden, dass eine - nach Feststellung des Gutachters nicht nachweisbare - Schwächung der Haftung zwischen Beton und Schlaufe durch das Niederdrücken und Wiederaufbiegen als Ursache des Ausreissens ausser Betracht fällt.
2.
Gemäss
Art. 55 Abs. 1 OR
haftet der Geschäftsherr für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verpflichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt zur Schadenverhütung angewendet hat, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre. Der Appellationshof weist zutreffend darauf hin, dass es sich dabei um eine Kausalhaftung handelt, die kein Verschulden der Hilfsperson oder des Geschäftsherrn voraussetzt (
BGE 97 II 223
mit Hinweisen).
In bezug auf den Befreiungsbeweis hält die Vorinstanz fest, die vom Geschäftsherrn geforderte Sorgfalt werde im allgemeinen in die Trilogie cura in eligendo, instruendo vel custodiendo gegliedert; darüber hinaus könne sich der Geschäftsherr in der Regel nicht befreien, wenn er die Arbeit in seinem Betrieb unzweckmässig organisiert habe, ungeeignetes Material oder Werkzeug zur Verfügung gestellt, die Hilfsperson überanstrengt oder zu Arbeiten angehalten habe, denen sie nicht gewachsen sei oder die schlechthin gefährlich seien, ohne dass er gleichzeitig die im Interesse Dritter erforderlichen Schutzmassnahmen getroffen habe. An den Befreiungsbeweis seien strenge Anforderungen zu stellen, und die geforderte Sorgfalt sei um so grösser, je wichtiger oder gefährlicher die Arbeit der Hilfsperson sei. Vom Geschäftsherrn dürfe aber
BGE 110 II 456 S. 461
nicht Unzumutbares verlangt werden. Gegen diese Ausführungen, die mit Lehre und Rechtsprechung übereinstimmen, bringt der Kläger mit Recht nichts vor.
a) Nach Auffassung des Appellationshofes kann der Beklagten bezüglich Auswahl der Arbeiter, denen die Herstellung der Schachtrahmen übertragen war, kein Vorwurf gemacht werden. Auch die Überwachung durch den Vorarbeiter, der Stichproben gemacht habe, sei nicht ungenügend gewesen. Die seit Jahren mit dem Arbeitsvorgang vertrauten Arbeiter hätten beste Gewähr dafür geboten, die einfache und alltägliche Verrichtung ordnungsgemäss auszuführen. Es sei weltfremd zu fordern, dass während des gesamten Herstellungsvorgangs stets jemand hinter den Arbeitern hätte stehen und sie überwachen müssen. Eine Verletzung der cura in instruendo liege ebenfalls nicht vor. Die Arbeiter hätten aufgrund ihrer langen Erfahrung den Produktionsvorgang bestens gekannt. Die einfache und ihnen geläufige Arbeit habe nicht erfordert, dass ihnen stets die Weisung erteilt werde, namentlich bei der Einbetonierung der Schlaufen besondere Vorsicht walten zu lassen, denn das sei für die Arbeiter selbstverständlich gewesen.
b) Diesen Erwägungen kann insoweit ohne Bedenken beigestimmt werden, als sich die Beklagte auf ihre zuverlässigen, langjährigen Arbeiter verlassen durfte, ohne sie ständig zu ermahnen und zu überwachen. Es stellt sich aber die Frage, ob die Hilfspersonen ausreichend instruiert worden sind. Ursache für die ungenügende Haftung zwischen der ausgerissenen Schlaufe und dem Beton war nach der Aussage des Gutachters eine Unachtsamkeit bei der Herstellung: Die Schlaufe war während des Härtevorgangs versehentlich berührt und verschoben worden, und danach war der Beton nicht noch einmal gestampft oder vibriert worden. Es sind auch dann erhöhte Anforderungen an die Pflicht zur Erteilung von Anweisungen zu stellen, wenn die Arbeit der Hilfspersonen als solche nicht gefährlich ist, Fehler bei der Herstellung des Erzeugnisses aber zu einer Gefahr für Leib und Leben der Personen, die es bestimmungsgemäss verwenden, führen können (vgl.
BGE 64 II 261
/2). Dass das Ausreissen einer Aufhängeschlaufe während des Hochhebens des 690 kg schweren Schachtrahmens fatale Folgen haben konnte, musste der Beklagten bewusst sein. Es könnte deshalb mit guten Gründen die Auffassung vertreten werden, sie hätte ihre Arbeiter nachdrücklich darauf hinweisen müssen, dass auch ein geringfügiges Versehen beim Härtevorgang die Funktionstüchtigkeit der Schlaufen in Frage stelle. Mit der Vorinstanz
BGE 110 II 456 S. 462
ist aber davon auszugehen, dass unter den gegebenen Umständen der Fabrikationsfehler durch das Erteilen derartiger Anweisungen nicht hätte verhindert werden können.
3.
Der Kläger wirft dem Appellationshof vor, er habe unzureichend geprüft, ob die Beklagte hafte, weil sie die Schachtrahmen nach der Herstellung nicht habe kontrollieren lassen. Ein kurzes abruptes Hochheben und Absenken der Rahmen an ihren Schlaufen durch einen Gabelstapler hätte zur Prüfung der Festigkeit der Schlaufen genügt. Eng mit der Kontrollpflicht hänge die zweckmässige Organisation des Betriebes zusammen. Inhalt dieser "Organisationshaftung" sei sicher einmal der korrekte Ablauf der Herstellungsphase. Weiter habe der Geschäftsherr aber schon organisatorisch eine Kontrolle der Produkte vorzusehen. Die cura in custodiendo umfasse die sorgfältige Ausführung der Kontrolle, das Gebot der zweckmässigen Organisation jedoch das Vorsehen einer Kontrolle.
Nach Ansicht des Appellationshofes hätte der Fabrikationsfehler durch eine Kontrolle der Schlaufen nicht entdeckt werden können. Die Vorinstanz leitet diese Annahme aus dem Umstand ab, dass die Schlaufen mindestens zweimal gehalten hatten. Der mangelhafte Schachtrahmen müsse als sogenannter Ausreisser betrachtet werden, dessen Fehler durch zumutbare Kontrolle nicht feststellbar gewesen sei. Im übrigen könne auch nicht behauptet werden, der Betrieb der Beklagten sei unzweckmässig organisiert gewesen.
a) In
BGE 90 II 90
wurde festgehalten, der Geschäftsherr habe zur Haftungsbefreiung insbesondere nachzuweisen, dass er seinen Betrieb zweckmässig organisiert habe. Für die Beurteilung jenes Falles war diese Frage aber ohne Bedeutung. In einem früheren Entscheid zu Art. 62 alt OR wurde der Direktion eines Betriebes ein Verschulden vorgeworfen, weil sie die Arbeit der Hilfspersonen mangelhaft organisiert hatte. Der Mangel wurde darin gesehen, dass keine Personen bezeichnet worden waren, welche regelmässig eine bestimmte Arbeit auszuführen hatten und daher damit vertraut waren, sondern dass die Arbeiter vielfach wechselten und einige von ihnen dazu berufen wurden, die mit der Sache nur ganz ausnahmsweise zu tun hatten (
BGE 31 II 701
). Unter dem Begriff des Organisationsmangels wurde somit das Fehlen von Anweisungen darüber verstanden, wer die Arbeit regelmässig auszuführen habe. In der Literatur zur Produzentenhaftung, auf welche sich die Einwände des Klägers abstützen, wird dagegen der Begriff der
BGE 110 II 456 S. 463
Organisation wesentlich weiter gefasst. Diese Autoren gehen davon aus, die Arbeitsabläufe bei der industriellen Massenproduktion seien derart kompliziert und für einen Aussenstehenden unübersichtlich, dass der Beitrag des einzelnen Arbeiters unter dem Aspekt der Haftung des Herstellers für Schäden aus mangelhaften Erzeugnissen in den Hintergrund trete. Wichtiger als die Frage, ob der Geschäftsherr den Fehler des einzelnen Arbeiters hätte verhindern können, sei deshalb, ob er den Betrieb so organisiert habe, dass keine fehlerhaften Produkte das Unternehmen verlassen. Folgerichtig wird daher verlangt, eine zweckmässige Organisation habe auch die Kontrolle der fertigen Produkte zu umfassen (BARBARA MERZ, Analyse der Haftpflichtsituation bei Schädigung durch Medikamente, Diss. ZH 1980, S. 27 ff.; HANS NATER, Die Haftpflicht des Geschäftsherrn gemäss OR 55 angesichts der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, Diss. ZH 1970, S. 62 ff.; FRANZ BURKI, Produktehaftpflicht nach schweizerischem und deutschem Recht, Diss. BE 1976, S. 145 ff.).
Diese Überlegungen können nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Sie sind auf Produktionsverhältnisse zugeschnitten, wie sie in Grossbetrieben mit weitgehend automatisierten Arbeitsabläufen gegeben sein mögen. Zudem wird von den erwähnten Autoren, die de lege ferenda eine strenge Produzentenhaftung postulieren, im allgemeinen zu wenig beachtet, dass die Anforderungen an den Befreiungsbeweis des Geschäftsherrn gemäss
Art. 55 Abs. 1 OR
nach den tatsächlich gegebenen Umständen bestimmt werden müssen; es geht daher nicht an, die vom Geschäftsherrn im Einzelfall geforderte Sorgfalt an Massstäben zu messen, die auf allgemeinen Annahmen über die Arbeitsabläufe bei der Herstellung von Massenprodukten beruhen. Aus dem gleichen Grunde darf die Tatsache, dass nachträglich - das heisst aufgrund der Kenntnis über die Ursache des Produktemangels - im allgemeinen leicht festzustellen ist, durch welche Massnahme der Fehler hätte entdeckt und der Schaden verhindert werden können, nicht dazu verleiten, von vornherein unerfüllbare Anforderungen an den Befreiungsbeweis zu stellen (vgl. EMIL W. STARK, Einige Gedanken zur Produktehaftpflicht, in Festgabe für Karl Oftinger, S. 292 f.). Auf die erwähnten Lehrmeinungen kann dagegen auch im vorliegenden Fall insoweit abgestellt werden, als sie mit Recht unterstreichen, dass sich die vom Geschäftsherrn gemäss
Art. 55 Abs. 1 OR
verlangte Sorgfalt nicht auf richtige Auswahl, Überwachung und Instruktion der Hilfspersonen
BGE 110 II 456 S. 464
beschränkt, sondern der Geschäftsherr darüber hinaus für eine zweckmässige Arbeitsorganisation und nötigenfalls für die Endkontrolle der Produkte zu sorgen hat, wenn damit eine Schädigung Dritter verhindert werden kann. Der Appellationshof hat dem zu wenig Beachtung geschenkt und zudem nicht berücksichtigt, dass der allgemeine Grundsatz des Haftpflichtrechts, wonach die Schaffung oder Unterhaltung gefährlicher Zustände zum Ergreifen von Schutzmassnahmen verpflichtet, auch für die Geschäftsherrenhaftung wegleitend sein muss (OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/1, 3. Auflage, S. 154/5).
b) Wie bereits festgehalten, musste der Beklagten bewusst sein, dass Herstellungsfehler, die sich auf die Festigkeit der Aufhängeschlaufen auswirkten, zu einer Gefahr bei der Handhabung der Schachtrahmen führen konnten. Die Arbeiter, die sich vor allem beim Ausrichten des Rahmens auf dem Schachtrohr im direkten Gefahrenbereich des Rahmens befinden, müssen darauf vertrauen können, dass die Aufhängeschlaufen unter allen Umständen der Belastung standhalten. Die Beklagte war deshalb verpflichtet, alle nötigen und zumutbaren Massnahmen zu ergreifen, um Herstellungsfehler zu verhindern, oder zu verunmöglichen, dass mangelhafte Erzeugnisse verkauft wurden. Wird mit der Vorinstanz angenommen, ein Fabrikationsfehler, wie er im vorliegenden Fall unterlief, hätte selbst mit einer anderen Organisation des Herstellungsvorgangs nicht vermieden werden können, so drängte sich die Vornahme einer Endkontrolle auf.
Die Beklagte bestreitet nicht, dass sie die Festigkeit der Aufhängeschlaufen nicht prüft. Sie bringt indes vor, die Schachtrahmen würden nach der Fertigung aus der Fabrikhalle auf den Lagerplatz transportiert, indem sie an den Schlaufen angehoben und weggeführt würden. Dieser bewährte innerbetriebliche Vorgang komme einer Testanordnung nahe. Der Kläger weist demgegenüber mit Recht darauf hin, dass bei einer eigentlichen Kontrolle zu prüfen wäre, ob die Schlaufen einer höheren als der normalen Belastung standhalten. Aus diesem Grund überzeugt auch das Argument des Appellationshofes nicht, dass eine Kontrolle nichts gebracht hätte, weil die mangelhafte Schlaufe vor dem Unfall mindestens zweimal gehalten habe; denn das besagt nichts darüber, ob der Mangel auch bei höherer Belastung nicht entdeckt worden wäre. Unklar ist aber, wie eine zweckmässige, vom Aufwand her zumutbare und technisch realisierbare Endprüfung zu gestalten wäre. Der Vorschlag des Klägers scheint zwar tauglich zu sein, es fragt sich aber,
BGE 110 II 456 S. 465
ob die Kontrolle auf diese Weise durchgeführt werden könnte, ohne dass gerade durch die Prüfung die Verankerung der Schlaufe im Beton - von aussen nicht erkennbar - gelockert und damit erst die Gefahr eines späteren Unfalls geschaffen würde. Ob mit anderen Untersuchungsmethoden, wie etwa Durchleuchten, eine ungenügende Haftung der Schlaufen im Beton festgestellt werden könnte, ist bisher nicht geklärt worden.
Die Frage, wie eine Nachkontrolle auszugestalten wäre, kann jedoch offen bleiben. Denn sollte es keine tauglichen und zumutbaren Möglichkeiten einer derartigen Prüfung gegeben haben, so durfte die Beklagte nicht darauf verzichten, ohne durch eine sicherere Konstruktion die Gefahr, dass eine Schlaufe ausreisst, auf ein Minimum zu reduzieren. Mit anderen Worten hätte also die Beklagte die Konstruktion der Schachtrahmen so verändern müssen, dass ein Ausreissen der Schlaufen auch dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen war, wenn deren Festigkeit nicht geprüft wurde oder geprüft werden konnte. Dass eine sicherere Konstruktion ohne grossen Mehraufwand möglich ist, beweisen die Änderungen, welche die Beklagte seit 1979 oder 1980 bezüglich der Aufhängeschlaufen vorgenommen hat. Sie versieht seither die Schlaufen mit Widerhaken und setzt bei exzentrischen Rahmen statt zwei deren drei ein. Die Widerhaken vermindern die Gefahr, dass die Schlaufen bei ungenügendem Einvibrieren ausreissen, und die dritte Schlaufe bietet mehr Sicherheit für den Fall, dass eine der Schlaufen der Belastung nicht standhält.
c) Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Beklagte im Hinblick auf die Funktion der Schlaufen, ein Einsetzen der Schachtrahmen ohne Schädigung der beteiligten Arbeiter zu ermöglichen, verpflichtet war, entweder durch eine Nachkontrolle allfällige Fehler bei der Produktion aufzuspüren, oder, wenn sie eine solche Kontrolle nicht vornehmen wollte oder konnte, eine sicherere Konstruktion zu wählen. Ihre Haftung ist demnach aufgrund von
Art. 55 Abs. 1 OR
zu bejahen. Damit braucht die vom Appellationshof verneinte Frage, ob die Klage auch auf
Art. 41 OR
gestützt werden könnte, nicht entschieden zu werden. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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