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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
d01866f3-c17b-41a5-93df-aacc2eea2ed1 | Urteilskopf
126 III 353
62. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Juli 2000 i.S. A. gegen B. (Berufung) | Regeste
Art. 285 Abs. 1 ZGB
; Ermittlung des Kinderunterhaltsbeitrages bei knappen finanziellen Mitteln.
Die Steuerlast des Rentenschuldners muss bei knappen finanziellen Mitteln ausser Betracht bleiben (E. 1a/aa). Grundsätze für die Berechnung des minimalen Grundbedarfs des Rentenschuldners (E. 1a/bb).
Anforderungen an die Ausgestaltung einer Indexklausel, damit diese vollstreckbar ist (E. 1b).
Zum Grundsatz der finanziellen Gleichbehandlung mehrerer unterhaltsberechtigter Kinder (E. 2b/aa) und zur damit verbundenen Pflicht, die finanziellen Verhältnisse aller beteiligte Haushalte abzuklären (E. 2b/bb). | Sachverhalt
ab Seite 354
BGE 126 III 353 S. 354
A. ist verheiratet. Im Haushalt des Ehepaares leben auch drei Kinder, wovon eines der Ehe entsprossen ist und die beiden anderen von der Gattin in die Ehe mitgebracht worden sind. A. schuldet auf Grund eines Urteils, mit dem er von einer früheren Gattin geschieden worden ist, seinerseits monatliche Unterhaltsbeiträge für zwei voreheliche Kinder von je Fr. 600.-; für diese beiden Kinder haben die kantonalen Instanzen in der Notbedarfsberechnung des väterlichen Haushaltes einen Betrag von Fr. 320.- eingesetzt, weil sie entsprechend häufig dort das Mittagessen einnehmen. Die von A. beim Bezirksgericht Uster erhobene Klage auf Herabsetzung seiner Unterhaltspflichten gegenüber seinen beiden vorehelichen Kindern ist nach einer Prozessüberweisung vom Bezirksgericht Meilen mit Urteil vom 12. Januar 2000 insoweit gutgeheissen worden, als die Unterhaltsbeiträge für die beiden vorehelichen Kinder auf je Fr. 450.- vom 1. Juni 1997 bis zum 28. Februar 1999 und danach bis zum Eintritt der Kinder in die volle Erwerbstätigkeit, längstens aber bis zur Vollendung des 20. Altersjahres, auf monatlich je Fr. 230.- herabgesetzt und indexiert worden sind.
Auf Klage des 1996 geborenen B. gegen A. stellte das Kantonsgericht von Zug mit Urteil vom 21. April 1999 fest, dass der Beklagte der Vater des Klägers ist und verurteilte ihn zur Bezahlung eines indexierten monatlichen Unterhaltsbeitrages von Fr. 350.- ab dem 1. Oktober 1996 bis zur Mündigkeit des Klägers; dem Beklagten gewährte es weiter das Recht, den indexbedingten Zuschlag nicht zu bezahlen, wenn er bis zum 31. Januar des entsprechenden Jahres dem Inhaber der elterlichen Gewalt des Klägers urkundlich nachweist, dass der Lohn nicht entsprechend der Teuerung angestiegen
BGE 126 III 353 S. 355
ist. Die Berufung des Beklagten gegen den erstinstanzlichen Entscheid wies das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 7. Dezember 1999 ab.
Der Beklagte beantragt dem Bundesgericht mit Berufung, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und der Kinderunterhaltsbeitrag sei auf Fr. 150.- pro Monat zu senken. Weiter sei ihm zuzugestehen, den Indexzuschlag ohne den urkundlichen Nachweis zu verweigern, wenn der Lohn nicht der Teuerung entsprechend angestiegen ist; nötigenfalls sei die Sache in diesem Punkt zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
In Kenntnis darüber, dass der Beklagte gegenüber vier Kindern unterhaltspflichtig ist, hat das Obergericht unter Hinweis auf die Erwägungen des kantonsgerichtlichen Urteils, die insoweit Inhalt des angefochtenen Entscheids werden (
BGE 119 II 478
E. 1d;
BGE 116 II 422
E. 2a;
BGE 111 II 413
E. 3b), festgestellt, bei einem monatlichen Nettoeinkommen von Fr. 3'815.35 und einem Existenzminimum von Fr. 3'456.- verbleibe der Mutter des Klägers ein Betrag von Fr. 360.- über dem Notbedarf. Dem Haushalt des Beklagten und seiner Familie stünden im Minimum Fr. 6'936.- zu (Existenzminimum von Fr. 5'736.- zuzüglich Fr. 1'200.- Kinderunterhaltsbeiträge des Beklagten für die beiden vorehelichen Kinder); der Beklagte und seine Frau verfügten zusammen über ein Nettomonatseinkommen von Fr. 7'236.05, an das die Gattin etwa die Hälfte beitrage. Die Differenz von Fr. 300.- im Monat zwischen dem Einkommen des beklagtischen Haushalts und dessen minimalen Kosten sei als Überschuss zu betrachten, der dem Kläger unter Abweisung der Berufung zustehe. Die Einwände des Beklagten könnten nicht durchdringen; sein Haushalt werde finanziell dadurch entlastet, dass der Beklagte seine Unterhaltspflichten gegenüber den beiden vorehelichen Kindern mittels Abänderungsklage werde reduzieren können.
a) Der Beklagte rügt vorab, in sein Existenzminimum dürfe nicht eingegriffen werden. Es dürften ihm nicht einmal so hohe Rentenpflichten auferlegt werden, dass ihm bloss das nackte Existenzminimum verbleibe, weil dieses schon durch die laufenden Steuern tangiert werde. Weiter müsse ihm für die Zukunft Geld zur Begleichung
BGE 126 III 353 S. 356
auch anderer Schulden zustehen; andernfalls könne er den zunehmenden Bedarf seiner älter werdenden Kinder nicht befriedigen. Ihm und seiner Gattin verbleibe kein Anreiz mehr, Geld zu verdienen und zu sparen. Im Einzelnen macht der Beklagte weiter geltend, da er im Kanton Zürich wohne, hätte nicht auf den im Kanton Zug geltenden Grundbedarf abgestellt werden dürfen. Ferner seien bei der Berechnung des Grundbedarfs seine Kosten für Strom und Gas sowie für Telefon und Fernsehen nicht berücksichtigt worden, was das Existenzminimum auf Fr. 6'066.- erhöhe.
aa) Zunächst ist dem Beklagten entgegenzuhalten, dass bei engen finanziellen Möglichkeiten die Steuerlast unberücksichtigt zu bleiben hat, macht es doch wenig Sinn, die Steuerlast zum Existenzminimum des Unterhaltspflichtigen hinzuzurechnen und im gleichen Umfang seinen Unterhaltsbeitrag zu senken. Denn diesfalls bekäme das Kind von der Fürsorge häufig bloss (ungefähr) das (zusätzlich), was das Gemeinwesen beim Unterhaltspflichtigen an Steuern einziehen könnte. Auch muss der Beklagte nicht fürchten, seine Existenz würde durch Steuerforderungen gefährdet, weil ihm für deren Bezahlung nach der Begleichung seiner Unterhaltsschulden und der Deckung des Grundbedarfes seiner Familie nichts bleibt. Denn sein Recht auf Existenzsicherung darf durch staatliche Abgabeforderungen nicht beeinträchtigt werden (
Art. 12 BV
;
BGE 122 I 101
E. 3;
BGE 121 I 367
E. 2). Auch der Zivilrichter sollte dieses Grundrecht nicht beeinträchtigen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, Bern 1999, N. 27 zu
Art. 176 ZGB
). Zu schützen ist somit in Fällen knapper finanzieller Mittel zumindest das betreibungsrechtliche Existenzminimum des Rentenschuldners (P. BREITSCHMID, Basler Kommentar, ZGB Bd. I, N. 12 f. und 19 ff. zu
Art. 285 ZGB
; C. HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 51, 59 und 62 f. zu
Art. 285 ZGB
; vgl. zu den Rentenpflichten allgemein
BGE 123 III 1
E. 3b/bb S. 4 f. und H. HAUSHEER, Das neue Scheidungsrecht: wenigstens ein Anlass zu innovativem Methodenpluralismus?, ZBJV 136/2000 S. 373 f.; vgl. zu den Zuschlägen zum Existenzminimum bei besseren finanziellen Verhältnissen und unterhaltsberechtigten mündigen Kindern
BGE 118 II 97
E. 4b/aa und bb S. 99 f.).
bb) Es trifft zu, dass das Obergericht bei einem Überschuss von Fr. 300.- mit dem zugesprochenen Unterhaltsbeitrag von Fr. 350.- bundesrechtswidrig in das Existenzminimum des Beklagten eingreift (
BGE 123 III 1
E. 3b/bb und E. 5 S. 5 Abs. 2 und S. 9). Dem Beklagten ist auch insofern beizupflichten, als es näher liegt, auf den Grundbetrag im Kanton Zürich abzustellen, weil der Beklagte dort
BGE 126 III 353 S. 357
wohnt und seine Leistungsfähigkeit naheliegenderweise nach den an seinem Wohnort herrschenden Verhältnissen zu ermitteln ist (vgl. BREITSCHMID, a.a.O., N. 11 zu
Art. 285 ZGB
, HEGNAUER, N. 59 zu
Art. 285 ZGB
und
Art. 46 Abs. 1 SchKG
). Diese Überlegung ist hier namentlich deshalb am Platz, weil der Beklagte vier unterhaltsberechtigte Kinder hat, die offenbar in verschiedenen Kantonen wohnen.
Darf bei sehr knappen finanziellen Verhältnissen im Vergleich zur Anzahl der unterhaltsberechtigten Kinder vom betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Beklagten ausgegangen werden, ist nicht ersichtlich, weshalb Bundesrecht gebietet, die vom Beklagten geltend gemachten Ausgaben für Kommunikation, Strom und Gas aufzurechnen. Denn das betreibungsrechtliche Existenzminimum wird nur bei dafür ausreichenden finanziellen Verhältnissen um gewisse Beträge erhöht und die vom Beklagten geltend gemachten Positionen sind solche, die zum Teil im Grundbetrag inbegriffen sind (Kosten für Strom und Gas) und zum Teil in der Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nicht gesondert aufgeführt werden (Kosten für Telefon und Fernsehen;
BGE 114 II 9
E. 7b S. 13, 393 E. 4b S. 394 f.;
BGE 96 II 301
E. 5b S. 304; G. VONDER MÜHLL, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, N. 23 zu
Art. 93 SchKG
[Richtlinien Ziff. II.1 und II.2]; vgl. Handbuch des Unterhaltsrechts, herausg. von HAUSHEER/SPYCHER, Rz. 02.28 f., 02.32, 02.35, 02.46 f. und 06.128 S. 77, 79 f., 82 und 371).
b) Weiter verlangt der Beklagte, den Indexzuschlag ohne den urkundlichen Nachweis verweigern zu dürfen, wenn der Lohn nicht der Teuerung entsprechend angestiegen ist. Zur Begründung führt er aus, der Richter dürfe von Bundesrechts wegen keine derart unverhältnismässige Anordnung treffen; er verliere im Unterlassungsfall das Recht auf Nichtbezahlung des Indexzuschlages, auch wenn sein Lohn effektiv nicht angestiegen sei.
Unzulässig ist, den Nachweis für die Lohnerhöhung dem unterhaltsberechtigten Kind aufzuerlegen; weniger klar ist dagegen, ob vom Unterhaltspflichtigen der Beweis verlangt werden kann, dass eine dem Indexzuschlag entsprechende Lohnerhöhung ausgeblieben ist, und ob sich der Pflichtige dadurch von einer Beitragserhöhung befreien kann (HEGNAUER, a.a.O., N. 28 zu
Art. 286 ZGB
). Darf der Kinderunterhaltsbeitrag in gewissen Grenzen indexiert werden, auch wenn der Lohn des Unterhaltspflichtigen gar nicht im entsprechenden Umfang ansteigt, weil die Indexklausel dem unterhaltsberechtigten
BGE 126 III 353 S. 358
Kind die Kaufkraft wahren soll und die Folgen der Teuerung nicht von vornherein auf das Kind abgewälzt werden dürfen (HEGNAUER, a.a.O., N. 24 bis 28 und 30 f. zu
Art. 286 ZGB
; BREITSCHMID, a.a.O., N. 1 und 5 zu
Art. 286 ZGB
), so erscheint die Anordnung der kantonalen Gerichte, der Beklagte schulde den Indexzuschlag nur dann nicht, wenn er bis zum 31. Januar des laufenden Jahres urkundlich nachweise, dass sein Lohn nicht im entsprechenden Umfang angestiegen sei, nicht von vornherein unzulässig. Diese Regelung kommt dem Beklagten entgegen und ist einfach, da eine Lohnbestätigung genügt (vgl. zur Indexierung der Scheidungsrenten
BGE 115 II 309
E. 1 S. 312;
BGE 105 II 166
E. 3c S. 171;
100 II 245
E. 4c S. 250 f. und E. 6a S. 253 unten;
BGE 98 II 257
E. 7).
Führen jedoch an die Indexklausel geknüpfte Bedingungen dazu, dass im Fall der Bevorschussung oder der Zwangsvollstreckung nicht klar ist, wie hoch der effektiv geschuldete Unterhaltsbeitrag ist, fehlt einer solchen richterlichen Anordnung die erforderliche Klarheit (HEGNAUER, a.a.O., N. 29 zu
Art. 286 ZGB
; ZR 86/1987 Nr. 27 S. 60 ff. E. 3 S. 63 und Nr. 29 S. 65 ff. E. 3 S. 67 ff.). Da bei der vorliegend zu beurteilenden Bedingung wohl schon nach wenigen Jahren nicht mehr klar wäre, um wie viel der geschuldete Unterhaltsbeitrag angestiegen ist, muss die angefochtene Klausel als bundesrechtswidrig bezeichnet werden. Die Vorinstanz wird über die Klausel neu befinden können (s. E. 2b/bb hiernach).
2.
Der Beklagte wendet gegen das obergerichtliche Urteil grundsätzlich ein, seine vier unterhaltsberechtigten Kinder müssten gleich behandelt werden und sollten gleichermassen am Überschuss partizipieren. Mit der vom Obergericht vorgelegten Rechnung lasse sich die erforderliche Fairness gar nicht verwirklichen. Auf der Basis seines eigenen Einkommens errechnet der Beklagte einen Überschuss von Fr. 1'060.-. Würde den drei leiblichen Kindern je Fr. 265.- zugesprochen, hätten die Haushalte des Beklagten und des Klägers nach Massgabe seiner Berechnung je ca. Fr. 375.- Überschuss. In der Sache strebt er eine Kürzung des Unterhaltsbeitrages an den Kläger auf Fr. 150.- pro Monat an und vertritt die Meinung, er schulde den beiden vorehelichen Kindern je auch nur diesen Betrag. Der Kläger hält dieser Berechnung entgegen, dass der Unterhaltsbeitrag zu seinen Gunsten ansteigen würde, wenn die Unterhaltsleistungen des Beklagten für seine beiden vorehelichen Kinder entsprechend den neuen Verhältnissen gekürzt würden.
b) Unterhaltsberechtigte Kinder sind vom Unterhaltspflichtigen im Verhältnis zu ihren objektiven Bedürfnissen finanziell gleich zu
BGE 126 III 353 S. 359
behandeln. Den unterschiedlichen Erziehungs-, Gesundheits- und Ausbildungsbedürfnissen darf somit Rechnung getragen werden, weshalb ungleiche Unterhaltsbeiträge nicht von vornherein ausgeschlossen sind, aber einer Rechtfertigung bedürfen (
BGE 116 II 110
E. 4a S. 114 f.; vgl.
BGE 120 II 285
E. 3b/bb S. 291 zu Stiefgeschwistern; BREITSCHMID, a.a.O., N. 19 zu
Art. 276 ZGB
und N. 17 zu
Art. 285 ZGB
; HEGNAUER, a.a.O., N. 68 zu
Art. 276 ZGB
und N. 9 zu
Art. 285 ZGB
; gleich die kantonale Praxis: ZVW 1994 S. 165 ff. E. 4d S. 171 f. und ZVW 1993 S. 120 ff. E. 9d S. 128). Die Höhe des Unterhaltsbeitrages hängt weiter nicht nur von der Leistungsfähigkeit des in die Unterhaltspflicht genommenen, sondern auch von den finanziellen Umständen des obhuts- bzw. sorgeberechtigten Elternteils ab (HEGNAUER, a.a.O., N. 8, 51 und 75 f. zu
Art. 285 ZGB
; BREITSCHMID, a.a.O., N. 8 f. zu
Art. 276 ZGB
und N. 16 zu
Art. 285 ZGB
; WIDMER/GEISER, Ein Vorschlag zur Bemessung der Kinderunterhaltsbeiträge, AJP 2000 S. 11 f. und 14). Daher kann der Unterhaltsschuldner mehreren Kindern, die vergleichbare Unterhaltsbedürfnisse haben, unterschiedliche Beiträge schon nur deswegen schulden, weil sie in verschiedenen Haushalten mit unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen leben (HEGNAUER, a.a.O., N. 69 zu
Art. 276 ZGB
).
aa) Dem angefochtenen Urteil ist zu den finanziellen Verhältnissen der Mutter der beiden vorehelichen Kinder nichts zu entnehmen; darin wird lediglich ausgeführt, der Beklagte schulde diesen beiden Kindern monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. 600.-. Von diesen Zahlen (und nicht etwa von jenen gemäss dem Abänderungsurteil des Bezirksgerichts Meilen vom 12. Januar 2000) ist auszugehen. Denn das Bundesgericht ist, von besonderen Ausnahmen abgesehen, an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 55 Abs. 1 lit. c und d,
Art. 63 Abs. 2 und
Art. 64 OG
). Das gilt selbst für Tatsachen, die sich erst nach Erlass des angefochtenen Urteils zugetragen haben und somit echte Noven darstellen (POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern 1990, N. 1.5.3.2 zu
Art. 55 OG
S. 437; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Rz. 115 insbes. S. 156 bei und mit Fn. 36; W. BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, Zürich 1950, N. 8b/aa zu
Art. 55 OG
S. 204).
Zu Lasten des beklagtischen Haushaltes beziehen die beiden vorehelichen Kinder zusätzlich insgesamt Fr. 320.- im Monat in Form von Mahlzeiten. Der Unterhalts- und Erziehungsbedarf dieser beiden Kinder ist unbekannt; das gilt auch für die finanziellen Umstände
BGE 126 III 353 S. 360
des Haushaltes, in dem diese Kinder wohnen. Zum Unterhaltsanspruch des Kindes, das der Beklagte mit seiner Gattin zur Welt gebracht hat, steht nichts fest; mit einiger Sicherheit ist für dieses Kind in der Berechnung des Existenzminimums des beklagtischen Haushalts ein schematisch festgesetzter Betrag eingesetzt worden (wohl der Betrag für ein Kind in der entsprechenden Alterskategorie: VONDER MÜHLL, a.a.O., N. 23 zu
Art. 93 SchKG
[Richtlinien Ziff. I.3]). Einzig die finanziellen Rahmenbedingungen für den Anspruch des Klägers (des ausserehelichen Kindes des Beklagten) konnten einwandfrei ermittelt werden, weil die finanziellen Verhältnisse der beiden Haushalte der Parteien zwangsläufig Prozessgegenstand des laufenden Verfahrens sind.
bb) Nach den feststehenden Tatsachen fliessen den beiden vorehelichen Kindern monatlich somit je Fr. 760.- zu. Für das eheliche Kind des Beklagten sind in das Existenzminimum seines Haushaltes wahrscheinlich entweder Fr. 195.- oder Fr. 275.- pro Monat eingesetzt worden. Beträge in dieser Höhe dürfen für dieses Kind freilich nur dann festgesetzt werden, wenn feststeht, dass dem beklagtischen Haushalt nicht mehr als das Existenzminimum zusteht, und wenn sie der Höhe nach nicht unbegründet von denjenigen für die anderen drei Kinder des Beklagten abweichen. Der Kläger hat nach dem angefochtenen Entscheid Anspruch auf monatlich Fr. 350.-. In Rücksicht auf das aus
Art. 285 ZGB
fliessende (relative) Gleichbehandlungsgebot der Kinder ist nun nicht ersichtlich, weshalb welchem Kind dieser oder jener Unterhaltsbeitrag zusteht. Dafür fehlen zu den Einkommensverhältnissen aller betroffenen Haushalte schon die tatsächlichen Feststellungen, von denen das Bundesgericht auszugehen hat (
Art. 63 Abs. 2 OG
) und ohne die es selber nicht beurteilen kann, ob die vier in Frage stehenden Unterhaltsbeiträge bundesrechtskonform ermittelt worden sind. Daher ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und weist das Bundesgericht die Sache von sich aus zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück (
Art. 64 Abs. 1 OG
;
BGE 93 II 213
E. 1). | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d01c0ce0-9fd8-4185-951f-fa9a470583d7 | Urteilskopf
91 IV 181
48. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1965 i.S. Brunner gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 18 Abs. 3 und 117 StGB
. Fahrlässige Tötung.
1. Fahrlässiges Verhalten eines Bergführers, der als Leiter eines Gebirgskurses einen im Fels vorgefundenen Haken zum Abseilen verwenden lässt, ohne rechtzeitig für Sicherung zu sorgen (Erw. 1).
2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischem diesem Verhalten und dem tödlichen Absturz eines Kursteilnehmers (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 91 IV 181 S. 181
A.-
Brunner ist Beamter der Eidgenössischen Turn- und Sportschule Magglingen. Als solcher leitete er seit vielen Jahren Gebirgskurse für Vorunterrichtsleiter. Der Kurs von 1963, an dem 28 Männer im Alter von 21-31 Jahren teilnehmen durften, fand vom 5. bis 14. Juli im Gebiete von Kandersteg statt. Als Klassenlehrer wurden die Bergführer Hari und Schmid aus Adelboden verpflichtet. Ein dritter Führer war verhindert zu erscheinen, weshalb Brunner, der seit etwa zwölf Jahren das Bergführerpatent besitzt, die Ausbildung und Führung einer Klasse selber übernehmen musste.
Der Kurs begann mit der Einzelausbildung. Jeder Teilnehmer hatte sich insbesondere im Klettern und Abseilen zu üben, wobei er nach der Weisung des Kursleiters stets zu sichern war.
Am 9. Juli begaben sich die Klassen Brunner und Hari vom Zeltlager am Oeschinensee in die auf 2840 m ü.M. gelegene Blümlisalphütte. Sie beabsichtigten, am nächsten Tag die Blümlisalpgruppe zu überqueren. Die Tour konnte jedoch nicht ausgeführt werden, weil es am Morgen regnete. Als das Wetter sich am 10. Juli gegen 9.00 Uhr etwas besserte, beschlossen
BGE 91 IV 181 S. 182
Brunner und Hari, mit ihren Klassen die 3259 m hohe Wilde Frau zu besteigen, deren Gipfel von der Hütte aus auf verschiedenen Routen in 2-3 Stunden erreichbar ist. Die Gruppe Hari ging voraus, die Klasse Brunner folgte. Diese stieg unter Führung des Kursleiters in vier Dreierseilschaften auf, von denen die erste, dritte und vierte über je ein 30 m langes Hanfseil verfügte; die zweite, welche sich aus den welschen Kursteilnehmern Humbert, Vernier und Huguenin zusammensetzte, ging an einem 40 m langen Kunstfaserseil. Noch während des Aufstieges, der offenbar etwas südlich der gewöhnlichen Route erfolgte, verschlechterte sich das Wetter wieder; es setzte sogar Schneetreiben ein. Man entschloss sich gleichwohl weiterzugehen, liess aber die Rucksäcke beim Einstieg in die Felsen zurück.
Als Brunner mit seinen Leuten den Gipfel erreichte, war die Klasse Hari bereits im Begriffe abzusteigen. Brunner folgte ihr nach einem kurzen Halt über die gewöhnliche Route. Diese führt vom Gipfel her zunächst über Geröll und brüchiges Gestein auf eine 21 m hohe Felsstufe, die in der Fallinie durchstiegen werden muss, wobei man durch eine ziemlich steil abfallende Rinne nach 12 bis 14 m auf zwei schmale Rampen und von dort über eine 7 m lange Felsplatte hinunter auf ein Firnfeld gelangt. Auf der Felsstufe holte die Klasse Brunner die vorausgehende Gruppe, deren Teilnehmer einzeln gesichert auf das Firnfeld abstiegen, wieder ein. Um sie in dem zerklüfteten und brüchigen Fels nicht zu gefährden, musste Brunner mit seinen Seilschaften oben warten. Brunner tat dies offenbar nicht gern, weil ein kalter Wind wehte, es wieder zu schneien begann und die Leute in ihren durchnässten Kleidern froren. Er will sich schon in diesem Augenblick gefragt haben, ob sie nicht schneller vorankämen, wenn er die ganze Klasse abseilen liesse.
Als der letzte Mann der Klasse Hari aus dem Fels war, liess Brunner vorerst seine beiden Seilgefährten Dr. von Mühlenen und Keller gesichert bis zu den Rampen absteigen. Keller entdeckte dabei einen sog. Längshaken, der am obern Ende der Rinne in einem Riss steckte, und machte Brunner darauf aufmerksam. Dieser wies ihn an, seinen Karabiner in den Haken einzuklinken und das Seil durch den Karabiner laufen zu lassen. Nachdem auch Keller eine Rampe erreicht hatte, kletterte Brunner zum Haken, zerrte an ihm und schlug mit einem Stein daran, um festzustellen, ob er "singe"; dies hätte bedeutet, dass er noch festgeklemmt sei. Brunner vernahm, wie er sagte,
BGE 91 IV 181 S. 183
kein "Singen". Er nahm indes gleichwohl an, der Haken sitze noch gut, und entschloss sich, ihn zum Abseilen zu benützen. Er entfernte den Karabiner, zog eine 2 m lange Reepschnur durch das Hakenloch und verknotete die Schnur zu einer dreifachen Schlinge, die er noch um einen kleinen Felsvorsprung unterhalb des Hakens gelegt haben will. Dann verlangte er von den drei Welschen, dass sie sich losseilten und ihm das Kunstfaserseil reichten. Dieses zog er zur Hälfte durch die Schlinge und liess sich im Dülfersitz ungesichert bis auf die untere Rampe abgleiten. Dort liess er das Seil los und wandte sich wieder Dr. von Mühlenen zu, den er anwies, über die Felsplatte auf das Firnfeld abzusteigen. Brunner überwachte und sicherte ihn beim Klettern. Unterdessen seilte sich auch Humbert im Dülfersitz bis auf die untere Rampe ab. Er wurde nicht gesichert. Als nächster folgte auf gleiche Weise Vernier, bei dem der Felshaken nach einem Abstieg von 1-2 m plötzlich ausbrach. Vernier stürzte ins Leere, fiel auf den nicht angeseilten Humbert und mit diesem zusammen auf das Firnfeld hinab. Während Vernier dort im Seil verwickelt liegen blieb und nur leicht verletzt wurde, kollerte Humbert noch etwa 300 m weiter; er wurde zwei Stunden später am Ende einer steilen Felsrinne tot aufgefunden.
B.-
Das Strafamtsgericht Frutigen und auf Appellation hin am 3. Dezember 1964 auch das Obergericht des Kantons Bern verurteilten Brunner wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Tagen.
C.-
Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Er bestreitet, dass er sich pflichtwidrig unvorsichtig verhalten habe und dass zwischen seinem Verhalten und dem Unfall ein rechtserheblicher Kausalzusammenhang bestehe.
D.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Pflichtwidrig unvorsichtig handelte der Beschwerdeführer, wenn er die Vorsicht nicht beobachtete, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet war (
Art. 18 Abs. 3 StGB
).
a) Die Besteigung der Wilden Frau über die gewöhnliche Route gilt als leicht und erfordert nur etwa 2 1/2 Stunden (s. Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen, Bd. II S. 96/7).
BGE 91 IV 181 S. 184
Sie wird deshalb, wie das Obergericht feststellt, bei unsicherer oder rauher Witterung, wenn andere Vorhaben sich als zu gefährlich erweisen, öfters als Ausweichtour unternommen. Auch der Beschwerdeführer durfte es verantworten, die Wilde Frau mit den zwei Klassen zu begehen. Die Teilnehmer waren alle bergtüchtig; sie verfügten nicht nur über eigene Erfahrungen, sondern auch über eine mehrtägige Ausbildung und gute Ausrüstung. Es entsprach zudem durchaus dem Sinn und Zweck des Kurses, sie auch bei wechselhafter Witterung auf leichten Touren zu üben. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer denn auch nicht vor, dass er die Übung wegen unsicherer Witterung nicht hätte beginnen oder fortsetzen dürfen. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass er die Rucksäcke beim Einstieg in die Gipfelfelsen ablegen liess und kein Reserveseil mitnahm, wenn sich ein solches beim Abseilen auch als nützlich erwiesen hätte.
b) Pflichtwidrig unvorsichtig handelte der Beschwerdeführer dagegen beim Abstieg über die Felsstufe. Gewiss blieb es Brunner unbenommen, die Gruppe auf das Firnfeld abseilen zu lassen, um Zeit zu gewinnen. Ein solches Manöver hätte er aber als Kursleiter und Führer mit aller Sorgfalt vorbereiten und überwachen müssen. Dies gilt umsomehr, als er sich dabei eines alten Felshakens bedienen wollte. Diesen hat er wohl durch Zug am Seil und indem er mit einem Stein dranschlug, auf seine Haltbarkeit geprüft. Das genügte jedoch nicht. Bei vorgefundenen Haken ist stets besondere Vorsicht geboten, weil man nicht wissen kann, wann sie eingeschlagen wurden, wie tief sie im Felsriss stecken und welchen Belastungen sie schon ausgesetzt waren. Im vorliegenden Fall hat sich nachträglich denn auch herausgestellt, dass der nur 9,5 cm lange Haken für Kalkfelsen eher zu kurz war, dass er nur 5 cm tief im Riss steckte, obschon er bis zum Hals eingetrieben war, dass er ferner wegen seiner rechteckigen Form im Riss aufstund und zu dick und leicht verbogen war. Dazu kommt, dass alte Haken sich mit der Zeit, wie der Beschwerdeführer weiss, unter dem Einfluss der Spannung und Witterung lockern können, insbesondere wenn sie, wie hier, in losem oder zerklüftetem Fels zurückgelassen werden. Dass der Haken keinen hellen Klang abgab oder - wie Brunner sich ausdrückte - nicht "sang", als er mit dem Stein dranklopfte, war übrigens ein untrügliches Zeichen von Lockerung.
Unter diesen Umständen war es zum vorneherein ein grosses
BGE 91 IV 181 S. 185
Wagnis, den alten Haken zum Abseilen zu verwenden. Pflichtgemässe Überlegung und Vorsicht hätten den Beschwerdeführer daher entweder von dessen Benützung abhalten oder zumindest dazu bewegen müssen, für hinreichende Sicherung zu sorgen, die für den Fall, dass der Haken ausbrach, den Abseilenden vor Schaden bewahrt hätte. Die Unfallstelle weist nach den bei den Akten liegenden Fotografien zahlreiche Griffe und Tritte auf. Sie hätte, wie der Beschwerdeführer zugibt, auch von seiner Klasse ohne Abseilen überwunden werden können. Wollte Brunner auf den im Fels eingelassenen Haken aber nicht verzichten, so war eine Sicherung des Abseilmanövers unumgänglich. Sie war umso notwendiger, als noch drei Seilschaften mit insgesamt neun Mann oben warteten, die sich ebenfalls der Abseilstelle bedienen wollten. Der Beschwerdeführer hätte bedenken sollen, dass der vorgefundene Haken einer länger. anhaltenden Zugbelastung nicht mehr standhalten könnte. Die Gefahr war gross, dass er sich dabei rasch lockere oder samt einem Stein ausbreche, wie dies denn auch geschehen ist. Anlass zu erhöhter Vorsicht hätte Brunner auch deshalb gehabt, weil er einen Längshaken an der fraglichen Stelle nicht für geeignet hielt, sondern wegen des Rissverlaufes einen Querhaken vorgezogen hätte.
Unverständlich war sodann, dass der Beschwerdeführer es nicht für nötig gefunden hat, die oben wartenden Seilschaften auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Er hat sie weder vor einer voreiligen Benützung des Hakens gewarnt, noch sich um die Sicherung des Abseilmanövers rechtzeitig gekümmert. Indem er sich als erster ungesichert abseilte, erweckte er bei den Wartenden im Gegenteil die Meinung, die Abseilstelle habe sich als zuverlässig erwiesen und biete volle Gewähr, sodass auf eine Sicherung verzichtet werden könne.
Ein Fehler war es auch, dass Brunner den Welschen das Seil wegnahm, ohne sich mit ihnen über das weitere Vorgehen zu verständigen. Da er als Kursleiter und Führer ungesichert voranging, musste er damit rechnen, dass sie seinem Beispiel unverzüglich folgen würden. Darauf musste er sich umsomehr gefasst machen, als ihm gerade die Welschen als Draufgänger bekannt waren und alle möglichst bald die schützende Hütte erreichen wollten. Dass Humbert sogleich nachkam, ist dem Beschwerdeführer übrigens, wie er selber zugibt, nicht entgangen. Obschon er in diesem Augenblick noch hätte einschreiten und den Unfall vermeiden können, unternahm er nichts, um weitere Teilnehmer
BGE 91 IV 181 S. 186
davon abzuhalten, dass sie sich ungesichert abseilten. Auch das war pflichtwidrig unvorsichtig.
c) Dass die welschen Kursteilnehmer das Klettern und Abseilen bereits gut beherrschten, entlastet den Beschwerdeführer nicht. Vernier ist nicht abgestürzt, weil er selbst versagt hätte, sondern weil er zu Unrecht angenommen hat, der Führer habe den Haken gewissenhaft geprüft. Das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers lässt sich auch nicht damit entschuldigen, dass er Dr. von Mühlenen beim Weiterklettern habe überwachen und sich zudem zuerst habe vergewissern wollen, ob das doppelt genommene Kunstfaserseil bis zum Firn hinunterreiche. Brunner war als Kursleiter und Führer nicht nur für seine Seilgefährten, sondern auch für die übrigen Seilschaften verantwortlich. Er durfte sie unter den gegebenen Umständen nicht ohne Weisungen zurücklassen, es jedenfalls nicht ihnen anheimstellen, ob sie einander beim Abseilen sichern wollten oder nicht. Ein kurzer Zuruf hätte genügt, um sie von einem unüberlegten oder voreiligen Einsteigen abzuhalten.
Ebensowenig hilft dem Beschwerdeführer, dass der Untersuchungsrichter an der Unfallstelle mehrere Haken einzuschlagen vermochte, die Gewähr für ein sicheres Abseilen boten. Brunner hat selber keine Haken eingeschlagen, sondern sich mit einem vorgefundenen begnügt, der offenbar nicht mehr festsass und sich zudem für Kalkfelsen nicht eignete. Unerheblich ist ferner, dass der Haken keinen Sturz aufzuhalten hatte. Dies enthob den Beschwerdeführer nicht der Pflicht, die nötigen Vorkehren zu treffen, um einen Unfall zu verhüten. Dieser Pflicht genügte Brunner auch nicht dadurch, dass er den Karabiner entfernte und statt dessen eine Seilschlinge anbrachte, um die Hebelwirkung auf den Haken auszuschalten; denn dadurch wurde die Verwirklichung der Gefahr wohl verzögert, aber nicht ausgeschlossen. Dem Vorwurf der Fahrlässigkeit vermag der Beschwerdeführer schliesslich auch mit dem Einwand nicht zu entgehen, dass er selber vom guten Halt des Hakens überzeugt war und sich ihm als erster anvertraute. Das zeigt bloss, dass er sich der Gefahr nicht bewusst war, ändert jedoch nichts daran, dass er die Möglichkeit eines tödlichen Unfalles als Folge seines pflichtwidrigen Verhaltens nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen hätte voraussehen können.
2.
Nach dem angefochtenen Urteil ist Humbert infolge
BGE 91 IV 181 S. 187
der Verletzungen gestorben, die er beim Absturz erlitten hat. Die natürliche Ursachenfolge ist damit für den Kassationshof verbindlich festgestellt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Tod des Verunfallten und dem pflichtwidrigen Verhalten Brunners war aber auch rechtserheblich. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Fehler waren nach den Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen. Hätte Brunner pflichtgemäss für hinreichende Sicherung gesorgt, sich mit den zurückbleibenden Seilschaften gehörig verständigt oder zumindest nach dem Abstieg Humberts weitern Teilnehmern verboten, ungesichert zu folgen, so wäre der Unfall nicht eingetreten. Dass seine Unterlassungen dessen einzige oder unmittelbare Ursache gewesen seien, ist nicht erforderlich; zur Annahme des rechtserheblichen Kausalzusammenhanges genügt, dass das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers jedenfalls Mitursache des Absturzes und damit der Tötung Humberts war (
BGE 68 IV 19
,
BGE 73 IV 232
,
BGE 81 IV 138
).
Der rechtserhebliche Kausalzusammenhang zwischen den Fehlern Brunners und dem Unfall entfiele nur, wenn es ausserhalb jeder Erwartung gelegen hätte, dass Humbert und Vernier sogleich folgen würden. Davon kann jedoch entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht die Rede sein. Er übersieht auch hier, dass er ihnen als Kursleiter und Führer mit dem schlechten Beispiel vorangegangen ist. Angesichts der eigenen Unbekümmertheit Brunners, der sich als erster ungesichert abseilte, erscheint es nicht als etwas Aussergewöhnliches, dass ihm die beiden Welschen unaufgefordert und auf gleiche Weise folgten. Auch andere hätten das getan. Mit dieser Möglichkeit hätte der Beschwerdeführer vielmehr rechnen sollen, ganz abgesehen davon, dass er schon den ersten nachkommen sah und auch dann noch hätte einschreiten und den Unfall vermeiden können.
Der Beschwerdeführer ist deshalb zu Recht wegen fahrlässiger Tötung im Sinne von
Art. 117 StGB
bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d01c1db0-612a-473b-b218-536d958c5264 | Urteilskopf
139 V 514
68. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit social dans la cause Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents contre M. (recours en matière de droit public)
8C_1015/2012 du 28 octobre 2013 | Regeste
Art. 18 Abs. 1 und
Art. 19 UVG
;
Art. 30 UVV
;
Art. 22 IVG
;
Art. 68 ATSG
; Zusammentreffen von Versicherungsleistungen.
Der Unfallversicherer, welcher eine ordentliche oder "definitive" Invalidenrente zugesprochen hat, kann diesen Leistungsanspruch - unter Vorbehalt der Überentschädigung - nicht aufheben, wenn der begünstigte Versicherte Taggelder der Invalidenversicherung erhält.
Im konkreten Fall Frage offengelassen, welcher der beiden Versicherer berechtigt ist, seine Leistung bei einer allfälligen Überentschädigung zu reduzieren (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 515
BGE 139 V 514 S. 515
A.
A.a
M. travaillait comme maçon au service de la société X. SA depuis le 1
er
avril 2005. A ce titre, il était assuré obligatoirement contre le risque d'accident auprès de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA). Le 29 janvier 2007, il a été victime d'un accident. Il a subi une luxation du coude droit avec fracture de la tête radiale et lésions vasculaires brachiales ayant nécessité une ré-anastomose vasculaire et une fasciotomie de l'avant-bras droit. Malgré une évolution favorable, une reprise du travail à but thérapeutique a échoué.
Le 29 janvier 2008, M. a présenté une demande de rente de l'assurance-invalidité. Après lui avoir accordé une mesure d'orientation professionnelle auprès du Centre Y. pour la période du 1
er
au 19 septembre 2008, l'assurance-invalidité a informé l'assuré, le 28 juin 2010, qu'il bénéficierait d'une aide au placement sous la forme d'une orientation et d'un soutien dans ses recherches d'emploi. Cependant, au mois d'août 2010, l'intéressé a déclaré être en arrêt de travail et ne pas s'être annoncé à l'assurance-chômage. En conséquence, l'assurance-invalidité a décidé de mettre fin à l'aide au placement par décision du 3 novembre 2010. Cette décision a été communiquée à la CNA.
Auparavant, par décision du 8 septembre 2010, confirmée sur opposition le 10 décembre suivant, la CNA avait accordé à M. une rente d'invalidité fondée sur une incapacité de gain de 21 % dès le 1
er
juin 2010.
A.b
Par la suite, l'assurance-invalidité a mis en oeuvre des stages d'observation professionnelle. Du 1
er
novembre 2011 au 30 avril 2012, elle a pris en charge les coûts d'une formation. En raison de ces mesures, l'assuré a bénéficié d'indemnités journalières de l'assurance-invalidité à partir du 23 mai 2011.
Par décision du 23 novembre 2011, confirmée sur opposition le 27 janvier 2012, la CNA a suspendu le versement de la rente avec effet au 23 mai 2011 et elle a demandé à son assuré la restitution des rentes allouées au-delà de cette date, soit un montant de 5'726 fr. 15, dont elle estimait qu'il avait été versé à tort.
B.
Saisie d'un recours contre cette décision, la Cour de droit public du Tribunal cantonal de la République et canton de Neuchâtel l'a admis par jugement du 14 novembre 2012.
BGE 139 V 514 S. 516
C.
La CNA exerce un recours en matière de droit public dans lequel elle conclut à l'annulation de ce jugement et au rétablissement de sa décision sur opposition du 27 janvier 2012.
Le recours a été rejeté.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
L'assuré invalide (
art. 8 LPGA
[RS 830.1]) à 10 % au moins par suite d'un accident a droit à une rente d'invalidité (
art. 18 al. 1 LAA
). Chez les assurés actifs, le degré d'invalidité doit être évalué sur la base d'une comparaison des revenus. Pour cela, le revenu que l'assuré aurait pu obtenir s'il n'était pas invalide est comparé avec celui qu'il pourrait obtenir en exerçant l'activité qui peut raisonnablement être exigée de lui après les traitements et les mesures de réadaptation, sur un marché du travail équilibré (
art. 16 LPGA
).
2.2
Selon l'
art. 19 al. 1 LAA
, le droit à la rente prend naissance dès qu'il n'y a plus lieu d'attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de l'assuré et que les éventuelles mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité ont été menées à terme; le droit au traitement médical et aux indemnités journalières cesse dès la naissance du droit à la rente (al. 1). Le droit à la rente s'éteint lorsque celle-ci est remplacée en totalité par une indemnité en capital, lorsqu'elle est rachetée ou lorsque l'assuré décède (al. 2). Le Conseil fédéral édicte des prescriptions détaillées sur la naissance du droit aux rentes lorsque l'on ne peut plus attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de l'assuré, mais que la décision de l'assurance-invalidité quant à la réadaptation professionnelle intervient plus tard (al. 3). En se fondant sur cette délégation de compétence, le Conseil fédéral a adopté l'
art. 30 OLAA
(RS 832.202) qui, sous le titre "Rente transitoire", prévoit ceci:
1
Lorsqu'on ne peut plus attendre de la continuation du traitement médical une sensible amélioration de l'état de santé de l'assuré, mais que la décision de l'AI concernant la réadaptation professionnelle n'interviendra que plus tard, une rente sera provisoirement allouée dès la fin du traitement médical; cette rente est calculée sur la base de l'incapacité de gain existant à ce moment-là. Le droit s'éteint:
a. dès la naissance du droit à une indemnité journalière de l'AI;
b. avec la décision négative de l'AI concernant la réadaptation professionnelle;
c. avec la fixation de la rente définitive.
BGE 139 V 514 S. 517
2
Pour les assurés qui sont réadaptés professionnellement à l'étranger, la rente transitoire sera allouée jusqu'à l'achèvement de la réadaptation. Les prestations en espèces des assurances sociales étrangères sont prises en compte conformément à l'
art. 69 LPGA
.
2.3
En cas d'accident relevant de la LAA, la réadaptation professionnelle incombe à l'assurance-invalidité. La rente fixée en application de l'
art. 30 OLAA
est dénommée "transitoire" et a pour but de permettre à l'assureur-accidents qui ne peut encore fixer définitivement le degré d'invalidité de l'assuré, faute de connaître le résultat des mesures de réadaptation entreprises par l'assurance-invalidité, de verser néanmoins une rente sans attendre ce résultat. Elle a donc pour vocation unique de maintenir une continuité dans le versement des prestations lors même qu'il n'est pas encore possible de fixer définitivement le droit à la rente. Elle prend fin à partir du moment où l'assuré a droit à une indemnité journalière de l'assurance-invalidité. La décision portant sur l'allocation d'une rente transitoire doit mentionner qu'elle sera remplacée dès l'achèvement de la réadaptation ou s'il est renoncé à sa mise en oeuvre (PETER OMLIN, Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, 1995, p. 199; GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], 1992, p. 106 s.; ALFRED MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2
e
éd. 1989, p. 371; cf. également RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 4
e
éd. 2012, p. 145 s.). Il s'agit, en effet, d'éviter de faire naître de faux espoirs quant au montant de la rente ordinaire ou "définitive" pour reprendre la terminologie de l'
art. 30 OLAA
(cf.
ATF 129 V 283
consid. 4.1 p. 284). Enfin, en édictant l'
art. 19 al. 3 LAA
, le législateur n'a pas voulu créer un nouveau mode d'évaluation de l'invalidité. Une rente fondée sur l'
art. 30 OLAA
doit donc aussi être fixée d'après la méthode de comparaison des revenus. Toutefois, l'évaluation intervient dans ce cas avant l'exécution éventuelle de mesures de réadaptation. Par conséquent, seule entre en considération, à cette date, l'activité qui peut raisonnablement être exigée de la part d'un assuré non encore réadapté, compte tenu d'une situation équilibrée du marché du travail (
ATF 116 V 246
consid. 3a p. 252).
3.
3.1
En l'espèce, il est constant que la CNA n'a pas alloué à l'intimé une rente transitoire, mais une rente ordinaire (ou définitive). Au moment où la décision sur opposition du 10 décembre 2010 a été rendue, une tentative d'aide au placement avait échoué du fait que
BGE 139 V 514 S. 518
l'assuré se déclarait en incapacité totale de travail (décision de l'assurance-invalidité du 3 novembre 2010). Aucune autre mesure de réadaptation n'était envisagée. La CNA ne le conteste pas. Elle soutient cependant que les rentes ordinaires et les rentes transitoires devraient suivre le même sort lorsque des indemnités journalières de l'assurance-invalidité sont allouées à l'assuré. Ce ne serait pas tant la nature de la rente qui est servie à l'assuré que le droit à ces indemnités qui serait déterminant pour l'application de la coordination prescrite par l'
art. 30 al. 1 OLAA
. La recourante invoque également le principe de l'égalité de traitement entre assurés. Selon elle, il n'y a aucune raison de traiter ici différemment les assurés au bénéfice d'une rente ordinaire et les assurés au bénéfice d'une rente transitoire. Enfin, toujours selon la recourante, une différenciation imposerait à l'assureur de procéder à un calcul de surindemnisation, impliquant notamment une instruction sur le montant du gain présumé perdu dès le moment où les prestations en cause (rente et indemnités journalières) entrent en concours.
3.2
Comme l'ont retenu avec raison les juges précédents, cette opinion ne peut pas être suivie. Elle est de toute évidence contraire au texte clair de la loi et de l'ordonnance. L'
art. 30 OLAA
, conformément à la délégation sur lequel il repose (
art. 19 al. 3 LAA
), ne trouve application qu'au moment de la fin du traitement médical (
art. 10 LAA
), qui marque la naissance du droit à la rente. Le versement d'une rente transitoire - et sa suppression en cas d'allocation d'une indemnité journalière de l'assurance-invalidité - n'intervient que dans l'hypothèse où l'assureur, à la fin du traitement médical, n'est pas à même de fixer le taux d'invalidité, faute de connaître le résultat de mesures de réadaptation à venir. Cela correspond du reste à la volonté clairement exprimée du législateur qui n'entendait adopter une réglementation spéciale que pour ce type de situations provisoires (sur la genèse de l'
art. 19 al. 3 LAA
, cf.
ATF 129 V 283
consid. 4.2 p. 284 s.). En revanche, quand c'est une rente ordinaire qui est attribuée à l'assuré c'est le régime général qui trouve application. Le droit ne s'éteint que dans les éventualités mentionnées à l'
art. 19 al. 2 LAA
(remplacement par une indemnité en capital, rachat et décès). Pour cette rente, la loi ne prévoit pas la suspension ou la suppression du droit lorsque les mesures de réadaptation professionnelle sont mises en oeuvre par l'assurance-invalidité. L'octroi de telles mesures n'est pas davantage un motif de révision de la rente selon l'
art. 17 LPGA
, qui implique une modification du taux d'invalidité.
BGE 139 V 514 S. 519
3.3
On notera par ailleurs que l'
art. 68 LPGA
autorise, sous réserve de surindemnisation, le cumul des indemnités journalières et des rentes de différentes assurances sociales. Cette disposition vise notamment - et précisément aussi - les cas de concours entre les indemnités journalières de l'assurance-invalidité et les rentes de l'assurance-accidents (
art. 39k al. 3 RAI
[RS 831.202] a contrario; cf. MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-vieillesse et survivants [AVS] et del'assurance-invalidité [AI], 2011, p. 907 n. 3374). S'agissant des difficultés pratiques liées au calcul de la surindemnisation, elles sont inhérentes au régime de coordination prévu par le législateur en cas de concours de prestations (cf.
art. 69 al. 2 LPGA
). Elles ne justifient pas de s'écarter de l'application de la loi. Enfin, on ne voit pas en quoi la différence de traitement invoquée par la recourante serait incompatible avec le principe d'égalité de traitement. Indépendamment du fait que cette différence résulte - on l'a vu - du système légal, il y a lieu de constater que la rente transitoire est une prestation temporaire qui est censée garantir des moyens d'existence à l'assuré dans l'attente de la réadaptation et du versement des indemnités journalières qui lui est associé, ce qui peut
a priori
justifier une différenciation. A tout le moins, la recourante ne démontre pas le contraire.
4.
En conclusion, c'est à tort que la CNA a suspendu le versement de la rente d'invalidité à partir du 23 mai 2011 et qu'elle a réclamé à l'assuré la restitution de la rente versée au-delà de cette date. Demeure réservée une éventuelle réduction des prestations (assortie d'une restitution) pour cause de surindemnisation, question qu'il n'y a pas lieu d'examiner à ce stade, pas plus d'ailleurs qu'il n'y a lieu de décider maintenant lequel des deux assureurs sociaux serait fondé à réduire sa prestation, si tant est qu'il y ait surindemnisation. | null | nan | fr | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d02190d2-e868-4b85-b489-bba2fbf8b133 | Urteilskopf
89 II 370
49. Estratto della sentenza 2 maggio 1963 della II Corte civile nella causa Comune di Ascona e Azienda comunale dell'elettricità, Ascona, contro Fornera, Rusconi e Federico Fornera e figli. | Regeste
Löschung einer Grunddienstbarkeit auf Anordnung des Richters.
Art. 736 Abs. 1 ZGB
.
Ist die Ausübung der Dienstbarkeit unmöglich geworden, so ist der Löschungsgrund des
Art. 736 Abs. 1 ZGB
gegeben; denndie Dienstbarkeit hat bei einer solchen Sachlage jegliches Interesse für den Berechtigten verloren. (Erw. 3.) Die Dienstbarkeitslast wie auch eine mit der Dienstbarkeit verbundene Verpflichtung zu einem Tun (
Art. 730 Abs. 2 ZGB
) sind nach der Orts- und Sachlage bei Errichtung der Dienstbarkeit zu bestimmen. (Erw. 3.) Erscheint es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der Lebenserfahrung als ausgeschlossen, dass eine Dienstbarkeit in absehbarer Zukunft wiederum ausgeübt wird, so ist dem Löschungsbegehren zu entsprechen: es ablehnen hiesse eine praktisch ungerechtfertigt gewordene Dienstbarkeit fortbestehen lassen. (Erw. 3.) Um sich der Löschung zu wiedersetzen, müsste sich der Dienstbarkeitsberechtigte auf ein Interesse, die Dienstbarkeit gemäss ihrem Inhalt auszuüben, berufen können. (Erw. 4.) | Sachverhalt
ab Seite 371
BGE 89 II 370 S. 371
A.-
Federico Fornera e Massimo Rusconi sono proprietari rispettivamente delle particelle No. 1872 e No. 613 del Comune di Ascona, a favore delle quali sono iscritte a registro fondiario due servitù di acqua motrice e di roggia. La roggia sulla quale si esercitano tali diritti è fin dal 1321 di proprietà del Comune di Ascona: essa è costituita di un canale interrato, largo da 2 a 3 metri, che prende acqua dal fiume Maggia e che, con un percorso di circa 3 chilometri in territorio dei Comuni di Losone e di Ascona, finisce nel lago Maggiore. Il contenuto della servitù si desume da un giudizio arbitrale emanato il 26 giugno 1934 in una causa, tra i proprietari di mulini, di una segheria e di una piccola centrale idroelettrica sulla roggia, per una parte, e il Comune di Ascona, per l'altra, circa l'obbligo di riparazione di danni alla roggia. Tale giudizio, oltre a condannare il Comune alla rifusione di 12 800 franchi
BGE 89 II 370 S. 372
di spese sopportate da uno dei suddetti proprietari per la rimessa in efficienza della roggia, così precisa gli obblighi del Comune:
a.dare e mantenere libero il cavo della roggia comunale o dei mulini ed immettere all'imboccatura del cavo il quantitativo d'acqua corrispondente a quello necessario per far camminare una ruota da mulino (ordinaria o asinaria);
b.consentire e permettere che gli attori derivino nel cavo tant'acqua ne può contenere il cavo stesso (cavo pieno).
A contare dal 1932, in conseguenza sia dell'abbassamento (segnatamente per effetto dei lavori di correzione) dell'alveo della Maggia, sia della mancata manutenzione della roggia, la ditta F. Fornera e Co, proprietaria allora del mulino inferiore, dovette rinunciare a servirsi, per il funzionamento del macchinario, della forza idraulica della roggia e si allacciò alla rete di distribuzione dell'Azienda comunale di Ascona. Nel 1947, Fornera e Rusconi sciolsero la società e si ripartirono gli immobili, continuando ciascuno un proprio laboratorio di falegnameria. L'aumento del consumo di energia elettrica indusse il Comune di Ascona a chiedere agli utenti, già nel 1945, se sarebbero stati disposti a rinunciare ai diritti sanciti nel lodo del 26 giugno 1934, accettando in compenso una fornitura gratuita di una certa quantità di energia elettrica per un certo numero di anni. La richiesta di Fornera e Rusconi, espressa nel 1949 (130 000 franchi o la fornitura gratuita e perpetua di energia elettrica), fu considerata inaccettabile dal Comune.
Nel catasto cantonale delle acque, pubblicato nel 1899 in virtù della legge del 17 maggio 1894 sulla utilizzazione delle acque con la quale il Cantone affermò la propria sovranità sulle acque dei laghi, dei fiumi e dei torrenti, è, in particolare, iscritto, per il territorio di Ascona, un diritto di derivazione di acqua dalla Maggia per il funzionamento di un mulino a favore di Giuseppe Farinelli: trattasi del diritto, di cui beneficiano ora i due convenuti Federico Fornera e Massimo Rusconi. Il 10 marzo 1949, il Cantone Ticino ha accordato alle Officine idroelettriche
BGE 89 II 370 S. 373
della Maggia (Ofima SA) la concessione per lo sfruttamento delle acque della Maggia e dei suoi affiuenti.
Presentemente, la roggia, sulla quale sono esercitate le servitù è ingombra di vegetazione e di materiali e, in qualche tratto, è addirittura franata e scomparsa. La presa di acqua si trova a circa m 1.50-2 al disopra dell'alveo della Maggia, progressivamente abbassatosi.
B.-
Il 5 novembre 1952, il Comune di Ascona e l'Azienda comunale dell'elettricità di Ascona scesero in giudizio, davanti al Pretore di Locarno-campagna. Nelle conclusioni, essi domandarono la cancellazione delle due servitù di acqua motrice e di roggia e la condanna dei debitori solidali Fornera e Rusconi a pagare fr. 11 097 per energia consumata dalla ditta Federico Fornera e Co dal 1945 al 1949, della ditta Federico Fornera e figli (costituita il 17 aprile 1948 tra Federico Fornera e i suoi figli) a pagare fr. 8810 25 per energia consumata dal 1950 al 1952 (primo semestre), di Massimo Rusconi a pagare fr. 11 495 15 per energia consumata dal 1950 al 1952 (primo semestre).
Il Comune invocò l'art. 736, cpv. 1 CC, osservando che, per una modificazione della situazione del fondo serviente indipendente dalla volontà del proprietario del medesimo (abbassamento dell'alveo del fiume Maggia di circa m 1.50-2 al disotto della bocca di presa della roggia) e per la concessione di sfruttamento delle acque della Maggia accordata alla Ofima SA, la servitù sarebbe divenuta di impossibile esercizio e il fondo dominante avrebbe perso qualsiasi interesse alla medesima.
I convenuti, opponendosi alla petizione, sostennero che l'energia elettrica era stata loro fornita gratuitamente in sostituzione, per intervenuta novazione del debito, dell'obbligo del Comune di mantenere efficiente la roggia, e contestarono che il diritto d'acqua sia divenuto di impossibile esercizio e abbia perso per essi ogni interesse presente e futuro: in via subordinata, essi chiesero la condanna del Comune a pagare 100 000 franchi più interessi quale prezzo per il riscatto della servitù e a rimborsare la spesa per
BGE 89 II 370 S. 374
l'energia elettrica consumata dal gennaio 1953, in ragione di 4000 franchi annui.
Il Pretore respinse la domanda di cancellazione delle servitù e ammise le domande di pagamento dell'energia elettrica limitatamente al periodo dal 30 giugno 1951 (data valutata dal Pretore in funzione dell'intenzione espressa dal Comune il 4 aprile 1951 di scindere i suoi obblighi inerenti alla roggia dalla sua fornitura di energia elettrica) al 30 giugno 1952 a carico della ditta Federico Fornera e figli e di Massimo Rusconi.
C.-
Su appellazione di ambedue le parti, il Tribunale d'Appello ha concluso per la reiezione completa delle domande di causa degli attori.
Sulla cancellazione della servitù, la Corte cantonale ha giudicato che non esiste l'impossibilità materiale di ripristinare l'efficienza della roggia: infatti, la roggia può essere rimessa in piena efficienza mediante il trasferimento dell'incile circa 100 metri più a monte con relativo prolungamento del canale, conformemente alla soluzione tecnica suggerita dai convenuti. La concessione di sfruttamento delle acque della Maggia data dallo Stato all'Ofima SA, poi, non crea ancora una totale e continua mancanza di acqua per la roggia comunale, ma soltanto limita l'esercizio della roggia. D'altronde, l'ipotesi che la conservazione della servitù iscritta a registro fondiario debba ormai servire soltanto come premessa alle pratiche di espropriazione e all'indennità incombenti alla società concessionaria delle acque della Maggia, giustificherebbe, già di per sè, l'opposizione alla domanda di cancellazione.
Circa il pagamento dell'energia elettrica, la Corte cantonale ha ritenuto che nessun contratto di fornitura di energia elettrica era mai stato concluso fra le parti, mentre esisteva una inscindibile connessione tra quella fornitura e gli obblighi del Comune verso i titolari dei diritti sulla roggia: è, quindi, ingiustamente, violando le norme della buona fede, che il Comune pretende il pagamento della fornitura di energia elettrica fatta ai convenuti. La domanda
BGE 89 II 370 S. 375
di pagamento può fondarsi solo sull'indebito arricchimento, ma i fatti dimostrano che, seppure senza contratto e senza promessa di pagamento, la fornitura non è avvenuta senza legittima causa.
D.-
Contro la sentenza del Tribunale d'Appello, gli attori hanno interposto tempestivamente ricorso per riforma. Essi sostengono che la Corte cantonale, negando la perdita di ogni interesse per il fondo dominante a causa dell'impossibilità di esercitare la servitù, ha violato l'art. 736, cpv. 1 CC, che, dovendo costituire il correttivo per l'abrogazione dell'istituto della prescrizione estintiva, è da interpretare nell'interesse della libertà della proprietà. Nessuna convenzione prevede a carico del Comune l'obbligo di spostare la bocca di presa dell'acqua, decisive per l'onere di mantenimento, qualora la bocca di presa esistente non dia più alcuna utilità al fondo dominante, essendo la situazione dei luoghi e le circostanze al momento della costituzione della servitù. Tanto più che mancherebbe un interesse pubblico per imporre ai terzi, in via di espropriazione, il nuovo canale di prolungamento. Dopo la concessione di sfruttamento delle acque della Maggia e dei suoi affiuenti alla Ofima SA, uno spostamento della presa non si giustificherebbe più, perchè la Ofima SA può utilizzare (si può dire) l'intera portata del fiume. Anche un esercizio limitato della servitù sarebbe escluso. Oggetto dell'interesse di una servitù è l'esercizio del diritto conformemente al contenuto del titolo costitutivo, irrilevante essendo, per contro, un eventuale altro interesse. Circa le domande creditorie intese al pagamento delle forniture di energia elettrica dal 10 luglio 1951 al 30 giugno 1952, ossia nella misura riconosciuta dal Pretore e accettata dai ricorrenti, questi osservano che al 10 luglio 1951 l'impossibilità di uso del canale era già in atto e, quindi, i convenuti non potevano più fare assegnamento su un'ulteriore condiscendenza del Comune.
E.-
I convenuti chiedono, nelle loro osservazioni, la reiezione del ricorso. Nella forma, essi osservano che le
BGE 89 II 370 S. 376
domande di pagamento proposte dall'Azienda comunale dell'elettricità - da esaminare separatamente da quella reale di cancellazione della servitù e separatamente tra di loro non rivolgendosi contro debitori solidali - non raggiungono il valore fr. di 8000, richiesto per un ricorso per riforma. Nel merito, essi rilevano che gli accertamenti della Corte cantonale, secondo cui l'esercizio della servitù sarebbe - mediante lo spostamento della presa e il prolungamento del canale - oggettivamente e realmente possibile, sono vincolanti per il Tribunale federale, onde la giustificazione della chiesta cancellazione cade.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
In virtù dell'art. 736, cpv. 1 CC, il proprietario del fondo serviente può chiedere al giudice la cancellazione di una servitù quando questa abbia perso ogni interesse per il fondo dominante. In tal modo, si tende a favorire il più possibile la liberazione della proprietà immobiliare da oneri gravosi (RU 43 II 29, consid. 2). La disposizione, essendo di natura coercitiva, è applicabile anche alle servitù costituite prima dell'entrata in vigore del CC (RU 45 II 394, consid. 4). Nell'interpretazione data dalla giurisprudenza, la norma dell'art. 736 è considerata come un'applicazione dell'art. 2 CC nel senso che essa è valida limitatamente ai casi in cui, secondo i principi della buona fede, l'esercizio e il mantenimento della servitù non possono più essere giustificati o corrispondono a un abuso di diritto, cioè ai casi in cui una tale sproporzione esiste fra diritti e oneri che la resistenza del proprieterio del fondo dominante a concedere la cancellazione o il riscatto della servitù appaia come un atto di "chicane" (RU 50 II 467;
66 II 246
s.;
70 II 96
, consid. 1). Costituendo l'art. 736 una violazione del principio generale "pacta sunt servanda", valido anche nel diritto delle servitù, e quindi, in sostanza, un caso speciale della clausola rebus sic stantibus, occorre che la diminuzione o la scomparsa dell'interesse sia dovuta a fatti avvenuti dopo la costituzione della servitù (70 II
BGE 89 II 370 S. 377
96, consid. 1;
79 II 57
). Inoltre, il proprietario del fondo dominante è solo giudice del suo interesse al mantenimento dello statu quo, che può essere parimente un semplice interesse d'affezione (70 II 96, consid. 3). Infine, la persistenza anche solo di un interesse di lieve importanza, ridotto rispetto a prima, o la possibilità di rinascita di un interesse esclude la cancellazione della servitù (RU 81 II 189, consid. 2).
Questa giurisprudenza è giudicata troppo restrittiva da LIVER (Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Das Sachenrecht, n. 43-52 ad art. 736), secondo il quale il legislatore, nell'interesse della libertà della proprietà, ha attribuito all'art. 736 CC anche le funzioni della prescrizione e dell'usucapio libertatis.
2.
Il Comune di Ascona deduce la dimostrazione dell'impossibilità d'esercizio della servitù e, quindi, della perdita di ogni interesse per i due fondi dominanti, da due circostanze pacifiche in causa:
- l'abbassamento del letto del fiume Maggia per circa m 1.50 sotto la presa d'acqua, per cause non imputabili al Comune;
- la concessione di sfruttamento delle acque della Maggia e dei suoi affluenti alla Ofima SA
Come mezzi per rimediare all'abbassamento del letto del fiume Maggia sotto la presa d'acqua, l'ing. Melera - nella perizia del 13 dicembre 1947 prodotta dagli attori - indicava, pur sconsigliando il ripristino degli impianti: a. la costruzione di una briglia a carattere semipermanente attraverso il fiume, che, però, "non darebbe nessuna garanzia di resistere alla tracimazione provocata dalle frequenti e forti piene cui è soggetta la Maggia", b. la costruzione di uno sbarramento a carattere permanente, c. l'installazione di una pompa di sollevamento dell'acqua, che "non è consigliabile nè tecnicamente nè economicamente". A parte l'entità della spesa necessaria per le prime due soluzioni (oltre 100 000 franchi, rispettivamente oltre un milione: secondo l'ing. Melera), la sentenza
BGE 89 II 370 S. 378
impugnata accerta che esse sono irrealizzabili, perchè il Cantone, il quale possiede la sovranità sul fiume, non darebbe mai l'autorizzazione a eseguire una briglia o uno sbarramento attraverso il fiume Maggia, siccome opere suscettibili di influire in modo certamente dannoso sul deflusso delle acque in regime di piena.
Per contro, la Corte cantonale dichiara che i convenuti hanno dimostrato in causa la possibilità di rimettere in piena efficienza la roggia mediante il trasferimento della presa circa 100 metri a monte, con relativo prolungamento del canale, aperto o sotterraneo, conformemente al progetto allestito, il 17 marzo 1953, dall'ing. Ivo Buetti per conto dei convenuti. Questa dichiarazione della Corte cantonale è un accertamento di fatto che vincola il Tribunale federale (art. 63, cpv. 2 OG). Su questo punto, le critiche dei ricorrenti, contravvengono al divieto dell'art. 55, cpv. 1, lett. c OG. Nella deposizione testimoniale del 2 ottobre 1956, l'ing. Buetti ha precisato che il predetto prolungamento del canale sarebbe sito, in parte sul greto del fiume, di proprietà dello Stato, e, in parte, in zona boschiva, di proprietà del Patriziato di Losone, che l'importanza dei diritti d'acqua dei beneficiari della roggia giustificherebbe anche economicamente l'esecuzione dei lavori e che una soluzione quasi identica, seppure di proporzioni più ridotte, era già stata adottata in altro punto del fiume direttamente dall'Ofima SA Dal profilo giuridico, gli art. 691 CC e 148 LAC, già richiamati dalla Corte cantonale, consentirebbero tale soluzione; inoltre, la legge cantonale del 17 maggio 1894 riguardante l'utilizzazione delle acque, che è applicabile ai diritti acquisiti iscritti nel catasto dei diritti di acqua e alle nuove concessioni di diritti d'acqua, conferisce (art. 9, cpv. 1) al concessionario il diritto di espropriazione "per la costruzione delle opere e pel trasporto elettrico della forza"; d'altronde, lo Stato, che deve rispettare i diritti di acqua acquisiti dai convenuti, non avrebbe motivo di opporsi al passaggio sulla proprietà demaniale del nuovo canale di prolungamento.
BGE 89 II 370 S. 379
Tuttavia, oltre alla possibilità materiale di ripristinare la efficienza della roggia, è necessario che l'acqua della Maggia possa giungere e scorrere nel canale prolungato, in misura da permettere l'esercizio della servitù. Sorge, cioè, la questione a sapere se la concessione data dal Cantone Ticino alla Ofima SA, nel 1949, di sfruttamento delle forze idriche della Maggia e dei suoi affiuenti sino al Verbano non renda impossibile siffatto esercizio per mancanza o insufficienza d'acqua nel canale. La Corte cantonale dichiara che la predetta concessione, da una parte, non crea ancora una totale e continua mancanza di acqua per la roggia comunale ma, dall'altra parte, limita l'esercizio della servitù in misura da suscitare la domanda se ancora esista un interesse sufficiente al mantenimento della servitù considerato l'onere derivante al Comune. Anche questa dichiarazione è un accertamento di fatto che vincola il Tribunale federale (art. 63, cpv. 2 OG) e anche qui le critiche dei ricorrenti contravvengono al divieto dell'art. 55, cpv. 1, lett. c OG. I ricorrenti, che giudicano insostenibile l'apprezzamento delle prove contenuto nella sentenza della Corte cantonale, non possono criticare siffatto apprezzamento in un ricorso per riforma ma devono semmai insorgere con un ricorso di diritto pubblico per violazione dell'art. 4 CF (63 II 38; cfr. anche BIRCHMEIER, pag. 86). La Corte cantonale deduce l'accertamento della possibilità di far giungere e scorrere nel canale acqua sufficiente soprattutto dalle affermazioni e valutazioni dell'ing. Riccardo Gianella, teste particolarmente valido per la sua funzione di capo tecnico delle acque presso l'amministrazione cantonale, il quale, nell'udienza dell'8 luglio 1957, così si espresse: "Il trasferimento più a monte dell'attuale presa della roggia comunale sul fiume Maggia non avrebbe oggi più senso per il fatto che con la captazione delle acque per gli impianti idroelettrici della Maggia, acqua ne scorre in quantità così ridotta da escludere una derivazione nel canale, specialmente nei periodi invernali. Questa impossibilità esiste ormai da 4 o 5 anni e durerà finchè sussisterà la concessione
BGE 89 II 370 S. 380
di acqua di cui è titolare l'Ofima SA È difficile prevedere un futuro miglioramento dell'attuale situazione: ritengo questo miglioramento umanamente impossibile". Il predetto accertamento, la Corte cantonale non lo fonda più sui dati contenuti nel progetto dell'ing. Buetti, presumibilmente perchè esso è del 17 marzo 1953 (il rilevamento della posizione nella quale "il fondo del canale alla nuova presa" verrebbe a trovarsi rispetto al pelo d'acqua è del febbraio 1953), cioè è stato elaborato prima che le acque interessanti la roggia fossero state effettivamente captate, come lo affermò, nell'audizione del 2 ottobre 1956, lo stesso ing. Buetti (sia pure dicendo che, secondo lui, il progetto avrebbe ancora un'utilità sicura nonostante tale captazione), come lo aveva già affermato, nell'udienza del 22 novembre 1955, il teste dott. Nello Celio, allora Consigliere di Stato, dichiarando che la captazione effettiva delle acque della Maggia da Cavergno in giù e della Melezza e Isorno, convogliate alla centrale Verbano, è avvenuta nella primavera del 1953, e come lo confermò, poi, il teste ing. Riccardo Gianella, nella dichiarazione testimoniale citata sopra. Se si considera la dichiarazione testimoniale dell'ing. Riccardo Gianella, dalla quale la Corte cantonale deduce la possibilità d'esercizio della servitù nonostante la concessione all'Ofima SA, appare evidente che questa Corte accerti solo una possibilità minima d'esercizio: infatti, essa accerta soltanto che la concessione "non crea ancora una totale e continua mancanza d'acqua", cioè che, nonostante la concessione, l'acqua non manca completamente, nè manca sempre.
3.
Occorre poi esaminare se gli accertamenti della Corte cantonale siano sufficienti per respingere la domanda di cancellazione della servitù nel senso dell'art. 736, cpv. 1 CC.
L'interesse immediato dei convenuti alla conservazione della servitù, afferma la sentenza impugnata, dipende dalla possibilità presente o futura di rimettere in efficienza la roggia, così da poter essi ricavare forza motrice per i loro
BGE 89 II 370 S. 381
opifici. È ovvio che una servitù, il cui esercizio sia diventato impossibile, abbia perso qualsiasi interesse per il beneficiario e che, in tal caso, la fattispecie dell'art. 736, cpv. 1, sia adempiuta (cfr. LIVER, Kommentar, n. 16 ad art. 736). L'accertamento della Corte cantonale, stabilendo che la concessione "non crea ancora una totale e continua mancanza d'acqua", attenua in misura notevole l'interesse dei convenuti all'esercizio della servitù, perchè la pienezza di siffatto interesse, consistente nel ricevere regolarmente nel canale una quantità d'acqua bastevole per essere trasformata in forza motrice, esige molto più della costatazione secondo cui la mancanza d'acqua non è totale e non è continua, la quale lascia sussistere soltanto un interesse limitato, cioè sotto il normale. (Secondo la perizia Generali, prodotta dagli attori, i convenuti non avrebbero addirittura, economicamente, più alcun interesse alla servitù, il prezzo dell'energia suscettibile di essere ricavata dalla forza idraulica essendo largamente superiore al prezzo di mercato dell'energia elettrica: essa, però, esamina, come provvedimenti per il ripristino dell'efficienza del canale, soltanto la costruzione di una briglia attraverso il fiume e l'impianto di una motopompa.) Inoltre, già solo per ottenere che la mancanza di acqua non sia totale nè sia continua, cioè che non vi sia impossibilità d'esercizio della servitù e, quindi, che vi sia un interesse immediato, pur limitato, alla conservazione della servitù, è necessario, secondo gli accertamenti della Corte cantonale, compiere opere, cioè prolungare il canale, in modo confacente, per circa 100 metri, su proprietà dello Stato e del Patriziato di Losone. Sebbene sia vero che, come osservano i convenuti, in discussione non sta l'obbligo del Comune di Ascona di spostare a proprie spese la ubicazione della presa sul fiume, bensì la questione a sapere se la servitù in favore dei convenuti debba essere cancellata per l'impossibilità di farne uso, giova ritenere che l'eventuale costruzione del prolungamento del canale non può essere imposta al Comune di Ascona, essendo decisive per l'onere connesso alla servitù,
BGE 89 II 370 S. 382
ossia per una prestazione di fare accessoria alla servitù (art. 730, cpv. 2 CC), la situazione dei luoghi e le circostanze al momento della costituzione della servitù stessa. Di certo, al prolungamento del canale potrebbero provvedere gli aventi diritto stessi, i quali dovrebbero poi anche sopperire almeno alle spese per la manutenzione e il servizio degli impianti di trasformazione della forza idraulica in forza motrice. Tuttavia, si è ben lungi dall'acquisire il convincimento che essi eseguiranno l'opera. Dal 1932, anno in cui la ditta Fornera e Co, non solo per la mancata manutenzione della roggia da parte del Comune di Ascona bensì anche per l'abbassamento dell'alveo della Maggia cagionato allora segnatamente dai lavori di correzione, dovette rinunciare a servirsi della forza idraulica della roggia, i convenuti, pur riconoscendo loro, per effetto dell'erogazione gratuita di energia elettrica da parte dell'Azienda dell'elettricità di Ascona, il diminuito interesse all'esercizio della servitù, si sono per lo più limitati, anche prima che la captazione delle acque della Maggia per opera della Ofima SA rendesse più difficile il ripristino dell'efficienza della roggia e ne attenuasse l'efficacia, a richiamare al Comune di Ascona, soprattutto quando la gratuità dell'erogazione di energia elettrica era contestata, l'adempimento dei suoi obblighi, nonostante che siffatti obblighi concernessero soltanto la manutenzione del canale e non già le altre prestazioni in faciendo ormai indispensabili per ridare alla roggia la sua efficienza: il progetto dell'ing. Buetti, fatto allestire dai convenuti, è posteriore alla petizione del Comune di Ascona che ha avviato la causa in esame. Inoltre, i convenuti hanno già presentato una petizione con la quale, pur dichiarando di non voler rinunciare alle loro pretese espresse con le domande riconvenzionali poste nella presente causa, chiedono che l'Ofima SA, lo Stato del Cantone Ticino e il Consorzio per la correzione del fiume Maggia siano solidalmente condannati a pagare loro un risarcimento, "non essendo più possibile la derivazione dal fiume Maggia del quantitativo d'acqua necessario
BGE 89 II 370 S. 383
per alimentare la roggia". Sembra, dunque, che non vi sia neppure la volontà concreta al ripristino dell'efficienza della roggia. Tale carenza è, d'altronde, comprensibile, se si pon mente alla limitatezza dell'interesse all'esercizio della servitù. Inoltre, le condizioni presenti della Maggia limitanti siffatto interesse non muteranno in un futuro prevedibile. Infatti, esse sono determinate dall'abbassamento dell'alveo della Maggia segnatamente a causa dei lavori di correzione e dalla concessione all'Ofima SA: orbene, le opere di correzione sono stabili e la concessione all'Ofima SA dura 80 anni ed è rinnovabile (decreto legislativo del 10 marzo 1949 concernente la concessione per lo sfruttamento delle forze idriche della Maggia e dei suoi affiuenti,
art. 3 e 4
). Secondo l'andamento e l'esperienza comune, si può, quindi, affermare che, in un futuro prevedibile, la roggia non sarà ripristinata nella sua efficienza, cioè che la servitù non sarà esercitata di nuovo. Di conseguenza, la domanda di cancellazione deve essere ammessa (LIVER, Kommentar, n. 74 ad 736). Negarla equivarrebbe a lasciar sussistere una servitù diventata praticamente senza giustificazione, perchè non sarà mai esercitata e, in tal modo, lasciar gravata, senza giustificazione, la proprietà del fondo serviente, invece appunto di liberarla da un onere che si perpetuerà solo formalmente (cfr. anche LIVER, Kommentar, n. 52 ad art. 736).
4.
La Corte cantonale afferma che, d'altronde, l'interesse dei convenuti alla conservazione della servitù sussiste altresì quale premessa alle pratiche d'espropriazione e all'indennità incombenti all'Ofima SA a causa della violazione dei diritti acquisiti iscritti nel catasto delle acque. Secondo la dottrina e la prassi, per interesse opponibile dal titolare di una servitù alla domanda di cancellazione, è inteso sì l'interesse del proprietario del fondo dominante (RU 70 II 96, consid. 3; LIVER, Kommentar, n. 53 ad art. 736), e non esclusivamente l'interesse nel senso di utilità per il fondo dominante, ma l'interesse all'esercizio della servitù secondo il suo contenuto (LIVER, Kommentar, n. 58 ad art.
BGE 89 II 370 S. 384
736), e non già l'interesse al mantenimento della servitù indipendentemente dal suo esercizio (cfr. anche RU 66 II 247: "die Ausübung und Erhaltung"), che è l'interesse all'iscrizione formale della servitù. L'interesse nel senso dell'art. 736, cpv. 1, è dato nella misura in cui è dato l'interesse all'esercizio della servitù. Orbene, l'interesse dei convenuti al mantenimento dell'iscrizione della servitù nel registro fondiario quale premessa per le pretese di risarcimento verso l'Ofima SA, lo Stato del Cantone Ticino e il Consorzio per la correzione del fiume Maggia esiste proprio in quanto o nella misura in cui la servitù non possa più essere esercitata. Ne consegue che tale interesse non soddisfa l'interesse alla servitù nel senso dell'art. 736, cpv. 1.
5.
Quando, verso il 1940, fu introdotto ad Ascona il registro fondiario definitivo, il Comune acconsentì all'iscrizione delle due servitù di acqua motrice e di roggia, riconoscendo espressamente i diritti dei titolari e implicitamente l'interesse della servitù. Non se ne può, tuttavia, dedurre un riconoscimento rispetto alle condizioni attuali, perchè, sebbene l'iscrizione nel registro fondiario definitivo sia avvenuta in un'epoca in cui il canale era già diventato ingombro e il livello del fiume si era già abbassato, la concessione delle acque della Maggia e dei suoi affluenti all'Ofima SA e, in particolare, l'inizio della captazione effettiva delle acque della Maggia da Cavergno in giù e della Melezza e dell'Isorno, convogliate alla centrale Verbano, che furono, in ordine di tempo, l'ultima, e pertanto decisiva, causa dell'abbassamento del livello del fiume, sono posteriori, il decreto legislativo concernente la concessione essendo del 10 marzo 1949 e la captazione effettiva essendo stata iniziata nella primavera del 1953.
6.
Circa le domande creditorie, l'obiezione preliminare dei convenuti, secondo cui le domande di pagamento delle forniture di energia elettrica effettuate dall'Azienda comunale dell'elettricità di Ascona e tuttora litigiose (fr. 3109 90 più interessi e fr. 4712 80 più interessi) non raggiungerebbero
BGE 89 II 370 S. 385
il valore minimo richiesto per un ricorso per riforma, è infondata.
In virtù dell'art. 47, cpv. 1 OG, "le diverse pretese fatte valere da un attore o da diversi liteconsorti in una causa civile per diritti di carattere pecuniario sono addizionate anche quando non si riferiscono al medesimo oggetto, purchè non si escludano a vicenda".
L'
art. 47 OG
non distingue tra liteconsorzio materiale e formale e non pone condizioni quanto alla connessione tra le diverse cause, ma esige soltanto la cumulazione di più domande davanti all'istanza cantonale in un unico procedimento (RU 78 II 182, litt. a; BIRCHMEIER, pag. da 153 a 155).
Nel caso in esame, le domande di pagamento tuttora controverse poste accanto alla domanda di cancellazione della servitù, che è una vertenza di carattere pecuniario (RU 54 II 51), superano indubbiamente gli 8000 franchi previsti nell'
art. 46 OG
.
7.
L'Azienda comunale dell'elettricità di Ascona, dopo che ebbe iniziato le forniture di energia ai convenuti, promosse diversi tentativi di riscossione, urtandosi sempre all'opposizione dei convenuti, i quali pretendevano che tali forniture avvenissero in compensazione dell'impossibilità di derivare l'acqua della roggia per l'insufficienza della manutenzione spettante al Comune.
Nel 1936, l'Azienda posò un contatore a moneta, che poi rimosse. Ancora il rendiconto di gestione per il 1948, approvato dal Consiglio comunale, elencava la ditta Fornera e Rusconi fra gli enti, ai quali l'energia era fornita gratuitamente, nonostante che, nel 1946, era stata inviata una diffida di pagamento per gli arretrati dal 10 gennaio 1939 al 30 dicembre 1946.
Nel 1945, la fornitura gratuita di energia per un dato quantitativo annuo era stata proposta dallo stesso Comune quale compenso per il riscatto dei diritti di roggia.
Da queste e da altre circostanze, la Corte cantonale ha dedotto, come già il Pretore, che, attraverso tacite pattuizioni,
BGE 89 II 370 S. 386
l'energia elettrica fu fornita ai convenuti dal Comune in luogo e vece dell'obbligo di mantenere in efficienza la roggia e che i convenuti, per siffatta inadempienza del Comune nei loro confronti, furono costretti a ricorrere a quell'energia elettrica, senza obbligo di pagamento.
L'esistenza di siffatti accordi, sia pure taciti e inespressi, tra le parti costituisce il risultato dell'apprezzamento di indizi, in particolare dei documenti, che è insindacabile da parte del Tribunale federale (art. 63, cpv. 2 OG; cfr. anche RU 85 II 455).
Del resto, i ricorrenti non criticano tale accertamento dei giudici cantonali nè dicono che l'esistenza dell'affermato accordo costituisca una questione di diritto rivedibile da questo Tribunale.
Essi sostengono che, qualificandosi in genere la fornitura di energia elettrica come contratto di vendita a prestazioni successive (ciò che è esatto: cfr. RU 76 II 107, consid. 5), i convenuti sarebbero, conformemente agli art. 211 ss. CO, debitori del prezzo. Non considerano, però, che tale obbligo di pagamento rimane, nella specie in esame, annullato appunto dalla circostanza, vincolante per il Tribunale federale, che la fornitura di energia doveva sostituire, nell'accordo fra le parti, il mancato funzionamento della roggia.
Un'obbligazione da indebito arricchimento potrebbe sussistere qualora le forniture di energia elettrica abbiano superato, in valore, la forza idraulica che i convenuti avrebbero potuto ottenere, nel medesimo periodo, da un normale funzionamento della roggia. Infatti, i vantaggi dei titolari della servitù e gli obblighi del Comune quale proprietario del fondo serviente si identificavano con la forza idraulica ottenibile da un normale funzionamento della roggia. I ricorrenti non procedono, però, in via di indebito arricchimento, anzi negano che tali norme siano applicabili nè si sono curati di provare l'ammontare dell'eventuale eccedenza dell'energia elettrica fornita su quella che i convenuti avrebbero ricavato dall'esercizio della servitù conforme al suo contenuto.
BGE 89 II 370 S. 387
Una domanda di pagamento fondata su rapporti contrattuali di compra vendita è, tuttavia, esclusa per i predetti accertamenti di fatto della Corte cantonale.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è accolto limitatamente alla domanda di cancellazione delle due servitù; per il resto, il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0271ff2-5975-439d-ab83-6cf8de725501 | Urteilskopf
136 I 404
41. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause Ville de Genève et Groupement Ville de Genève contre X. et Conseil d'Etat du canton de Genève (recours en matière de droit public)
1C_424/2009 du 6 septembre 2010 | Regeste
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
; politische Rechte; Beschwerderecht der Gemeinden; Gemeindeautonomie.
Das Beschwerderecht der Gemeinden ergibt sich mangels Stimmberechtigung nicht aus
Art. 89 Abs. 3 BGG
. Es kann ihnen gestützt auf
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
zuerkannt werden (E. 1.1.1).
Gemeinden können keine Beschwerde wegen Verletzung politischer Rechte im Sinne von
Art. 82 lit. c BGG
erheben, sondern nur wegen Verletzung von verfassungsmässig gewährten Garantien nach
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
(E. 1.1.2).
Diese Bestimmung ist insbesondere auf Gemeinden anwendbar, die sich auf ihre Gemeindeautonomie berufen (E. 1.1.3). | Sachverhalt
ab Seite 405
BGE 136 I 404 S. 405
Lors de la votation cantonale organisée le 27 septembre 2009 à Genève, les citoyens étaient invités à se prononcer notamment sur l'objet cantonal intitulé "Acceptez-vous la loi sur l'imposition des personnes physiques (LIPP), du 12 juin 2009 (D 3 08 - 10199)?". Selon la brochure explicative remise aux électeurs, l'acceptation de cet objet induirait des baisses de l'impôt cantonal estimées à 321 millions de francs en 2010 et 387 millions en 2011, ce qui entraînerait également une baisse des rentrées fiscales des communes du canton.
Le 31 juillet 2009, un groupement dénommé "Ville de Genève" avait déposé auprès du service compétent une prise de position au sens de l'
art. 23 al. 1 de la loi genevoise du 15 octobre 1982 sur l'exercice des droits politiques (LEDP; RSG A 5 05)
. Munie de cinquante-sept signatures de citoyens genevois, cette prise de position appelait à rejeter l'objet susmentionné. Parmi les signataires figuraient quatre des cinq membres du Conseil administratif de la Ville de Genève. Par ailleurs, selon un article paru dans "la Tribune de Genève" en août 2009, le maire de la ville avait annoncé que le budget du numéro de septembre du " tous-ménages" intitulé "Vivre à Genève" serait consacré à inciter les habitants de la ville à rejeter l'objet précité. Dans un autre article, une conseillère administrative précisait que la publication en question serait réduite de quarante-cinq à huit pages et que l'argent ainsi économisé serait consacré notamment à la confection de banderoles, d'affiches et d'autocollants, ainsi qu'à la publication d'annonces dans les journaux. Elle estimait le coût de cette campagne à moins de 70'000 francs.
Le 26 août 2009, un citoyen genevois a saisi le Tribunal administratif du canton de Genève (ci-après: le Tribunal administratif) d'un recours en matière de droits politiques dirigé contre la publication de la prise de position intitulée "Ville de Genève" et contre la campagne annoncée par la Ville de Genève. Par arrêt du 15 septembre 2009, le Tribunal administratif a admis le recours dans la mesure où il était recevable. En substance, il a constaté que la prise de position du groupement "Ville de Genève" violait les droits politiques. Il a fait interdiction à la Ville de Genève d'intervenir dans la campagne en cours
BGE 136 I 404 S. 406
et aux signataires de la prise de position "Ville de Genève" de s'en prévaloir dans la campagne, sous la menace de la peine prévue à l'
art. 292 CP
.
La Ville de Genève et le groupement "Ville de Genève" ont formé un recours en matière de droit public contre cet arrêt, en demandant au Tribunal fédéral de constater que la Ville de Genève avait le droit d'intervenir dans la campagne et que le groupement "Ville de Genève" pouvait se prévaloir de cette appellation. Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure de sa recevabilité.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
(...)
1.1
Le recours est formé principalement par la Ville de Genève et la plupart des arguments du recours la concernent directement. Il convient dès lors de déterminer en premier lieu si cette commune a la qualité pour agir.
1.1.1
Selon la jurisprudence, les communes politiques n'ont pas la qualité pour recourir sur la base de l'
art. 89 al. 3 LTF
, faute d'être titulaires des droits politiques (
ATF 134 I 172
consid. 1.3.1 et 1.3.2 p. 175 s. et les références citées). Le Tribunal fédéral a estimé que la qualité pour recourir en matière de droits politiques était définie de manière spécifique et exhaustive à l'
art. 89 al. 3 LTF
, de sorte que cette qualité ne saurait être étendue à toute personne disposant d'un intérêt juridique au sens de l'
art. 89 al. 1 LTF
(
ATF 134 I 172
consid. 1.3.3 p. 176). L'arrêt précité ne se prononce cependant pas sur la qualité pour recourir reconnue spécifiquement aux communes et autres collectivités de droit public par l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF. Telle qu'elle est définie à l'
art. 89 al. 1 LTF
, la qualité pour recourir présente un caractère général et peut être reconnue à quiconque, ce qui justifie la solution restrictive retenue dans l'arrêt susmentionné. Il en va différemment de la qualité pour recourir définie à l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF, qui ne peut être reconnue qu'aux collectivités de droit public pouvant se prévaloir de la violation de garanties constitutionnelles. A l'instar de l'
art. 89 al. 3 LTF
, l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF prévoit donc une qualité pour recourir spéciale, qui ne saurait être exclue au seul motif que le recours concerne les droits politiques.
1.1.2
Une collectivité de droit public peut donc se voir reconnaître la qualité pour recourir en cette matière sur la base de l'
art. 89 al. 2
BGE 136 I 404 S. 407
let
. c LTF, si elle remplit les conditions posées par cette norme. Elle ne pourra toutefois pas former un véritable recours pour violation des droits politiques au sens de l'
art. 82 let
. c LTF, mais seulement un recours ordinaire pour violation des garanties constitutionnelles mentionnées à l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF. Cette solution trouve certains appuis en doctrine et correspond à la pratique qui prévalait sous l'empire de l'OJ (cf. STÉPHANE GRODECKI, L'initiative populaire cantonale et municipale à Genève, 2008, p. 411; HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2000, p. 116; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2
e
éd. 1994, p. 281; arrêt P 81/82 du 9 février 1983 consid. 1a).
1.1.3
L'
art. 89 al. 2 let
. c LTF s'applique en particulier aux communes qui invoquent la garantie de leur autonomie communale, ancrée au niveau fédéral à l'
art. 50 al. 1 Cst.
(
ATF 135 I 43
consid. 1.2 p. 45; ALAIN WURZBURGER, in Commentaire de la LTF, 2009, n° 49 ad
art. 89 LTF
; BERNHARD WALDMANN, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, n° 62 ad
art. 89 LTF
). Il n'est pas nécessaire que la commune soit réellement autonome pour bénéficier de la qualité pour recourir fondée sur l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF. Il suffit pour cela qu'elle allègue une violation de son autonomie communale et qu'elle soit touchée par l'acte cantonal en tant que détentrice de la puissance publique. Savoir si la commune est réellement autonome dans le domaine litigieux, et si cette autonomie a été violée en l'espèce, sont des questions qui relèvent du fond (
ATF 135 I 43
consid. 1.2 p. 45;
ATF 129 I 313
consid. 4.2 p. 319 et les références). En l'occurrence, la Ville de Genève invoque une violation de l'autonomie communale - en alléguant notamment que l'art. 83 LEDP lui permettait de participer à la campagne dans une certaine mesure - et elle apparaît touchée par l'arrêt attaqué en tant que détentrice de la puissance publique. Elle a donc la qualité pour recourir sur la base de l'
art. 89 al. 2 let
. c LTF. | public_law | nan | fr | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0276a7c-f4f9-43ad-8107-616fa48f527d | Urteilskopf
101 II 154
30. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Februar 1975 i.S. AFIT Aktiengesellschaft für Internationale Investment-Trusts gegen UNIVERSA Treuhand & Revisions AG. | Regeste
Rückgriff der Fondsleitung bei Schädigung des Fondsvermögens.
1.
Art. 26 AFG
. Regressrecht der Fondsleitung, die den Schaden aus eigenem Vermögen deckt, aber die Depotbank für mitverantwortlich hält (Erw. 1).
2.
Art. 18 und 24 AFG
. Gesetzliche und vertragliche Pflichten der Depotbank. Die Bank verletzt diese Pflichten, wenn sie ein Organ der Fondsleitung als Generalbevollmächtigten über Fondsvermögen verfügen lässt (Erw. 2).
3. Kausalzusammenhang zwischen diesen Verletzungen und der Schädigung des Fondsvermögens; Verhalten Dritter (Erw. 3).
4. Bestimmung des Ersatzes nach der Grösse des Mitverschuldens (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 101 II 154 S. 155
A.-
Die AFIT Aktiengesellschaft für Internationale Investment-Trusts in Zürich und die UNIVERSA Treuhand & Revisions AG in Aarau beschlossen 1960, den Internationalen Immobilien- und Wertschriften-Anlagefonds INTERGLOBE zu gründen. Mit Vertrag vom 22. September 1960 vereinbarten sie eine "Verwaltungsordung", die insbesondere vorsah, dass die AFIT den Fonds leiten (Ziff. 15) und dass die UNIVERSA die Anleger gegenüber der Fondsleitung als Treuhänderin vertreten sollte (Ziff. 2 und 20). Die UNIVERSA übernahm später auch die Aufgaben einer Kontrollstelle. Als am 1. Februar 1967 das Bundesgesetz vom 1. Juli 1966 über die Anlagefonds (AFG) in Kraft trat, verpflichtete sie sich als Depotbank.
Am 29. Mai 1967 kamen die beiden Gesellschaften überein, den INTERGLOBE-Fonds aufzulösen. Die AFIT beauftragte daraufhin Gaudenz Caveng, der seit anfangs Mai 1962 ihr Direktor war und seit dem 19. August 1966 auch zu den Mitgliedern ihres Verwaltungsrates zählte, zum Fonds gehörende Liegenschaften zu verkaufen. Für den Verkauf des Grundstückes Schäfergasse 19/21 in Frankfurt am Main setzte der Verwaltungsrat der AFIT die Bedingungen dahin fest, dass der Käufer DM 3 Mio. bar bezahlen, weitere 3,5 Mio. sicherstellen und innert 3-4 Jahren leisten sollte. Die AFIT hatte dieses Grundstück teils im März 1964, teils im März 1966 mit Mitteln des Fonds durch die ihr angeschlossenen liechtensteinischen Gesellschaften Virtus-Trust und Demex-Trust erwerben lassen. Beide stellten Caveng eine Generalvollmacht aus, der Virtus-Trust am 29. Dezember 1964 und der Demex-Trust am 29. März 1965.
Im Frühjahr 1968 wandte sich Caveng an Oskar Dzialowski, der die Liegenschaft Schäfergasse kaufen wollte und die Mittel dafür im Juni angeblich beisammen hatte. Auf seinen Wunsch stellte Caveng ihm für über DM 3 Mio. Wechsel aus, die bei der Privatbank & Verwaltungsgesellschaft in Zürich zahlbar waren, gemäss Abrede aber nicht in Umlauf gesetzt, sondern bei einem Notar hinterlegt werden sollten. In
BGE 101 II 154 S. 156
der Folge wurden viele von ihnen jedoch der Bank zur Einlösung vorgelegt. Der Verkauf an Dzialowski kam nicht zustande.
Im August 1968 interessierte sich Wilhelm Otto für die Liegenschaft. Caveng gab dem UNIVERSA-Direktor Höchli davon am 5. September Kenntnis, weil auf dem Grundstück Schäfergasse ein auf DM 6 Mio. lautender Schuldbrief lastete, der seit Oktober 1966 als Eigentümerschuldbrief des INTERGLOBE-Fonds von der UNIVERSA aufbewahrt wurde. Am 7. September schrieb Caveng den Verwaltungsratsmitgliedern der AFIT, die Braunschweig-Hannoversche Hypothekenbank in Hannover wolle den durch Otto vertretenen Kaufsinteressenten zwei Hypothekardarlehen von insgesamt DM 14,6 Mio. gewähren, wovon den Verkäufern 1,5 Mio. sogleich bezahlt würden und 3 Mio. auf einem Bankkonto bis zum 30. Juni 1969 gesperrt blieben; der Kaufpreisrest von DM 2 Mio. würde am 30. September 1969 fällig. Caveng ersuchte den Verwaltungsrat um telephonische Zustimmung.
Der Verwaltungsrat verweigerte die Zustimmung. Caveng hatte indes den Abschluss schon auf den 11. September vorbereitet; er entschloss sich, den vereinbarten Termin zu wahren und die Liegenschaft unter Genehmigungsvorbehalt für DM 6,5 Mio. zu verkaufen. Er teilte dies Höchli am 10. September mit und fügte bei, die Angelegenheit sei nun dringend, weil der Eigentümerschuldbrief am folgenden Tag bei Notar Napp in Frankfurt hinterlegt werden und die UNIVERSA dabei sein müsse. Diese liess den Schuldbrief durch ihren Vizedirektor Max Peter sogleich nach Frankfurt bringen.
Am 11. September liessen Caveng und Otto durch Notar Napp mehrere Urkunden aufsetzen. Otto trat dabei als Käufer, Caveng als Generalbevollmächtigter des Virtus-Trusts und des Demex-Trusts auf. Sie vereinbarten insbesondere, dass die Gesellschaftsanteile der beiden Trusts gestaffelt auf den Käufer übergehen sollten und dieser den Kaufpreis von insgesamt DM 6,5 Mio. aus dem ersten Hypothekardarlehen zu decken hatte. Sie erklärten ferner, dass der Notar alle Urkunden erst ausfertigen und den Behörden vorlegen dürfe, wenn die AFIT und die UNIVERSA zustimmten. Caveng und Peter hatten dem Notar bis am 12. September von dieser Zustimmung telephonisch Kenntnis zu geben.
Der Verwaltungsrat der AFIT befasste sich in seiner Sitzung
BGE 101 II 154 S. 157
vom 12. September mit dem Verkauf der Liegenschaft Schäfergasse. UNIVERSA-Direktor Höchli, der daran teilnahm, hielt die Sicherstellung des Kaufpreisrestes gemäss Schreiben Cavengs vom 7. September für ungenügend. Der Verwaltungsrat beschloss hierauf, dem Verkauf nur zuzustimmen, wenn die Käufer auf die Kaufsumme DM 1,5 Mio. anzahlten, 5 Mio. zinslos auf ein Sperrkonto zugunsten der AFIT legten und diesen Betrag ohne weitere Bedingungen je zur Hälfte am 30. Juni und am 30. September 1969 freigäben. Diese Voraussetzungen entsprachen nach Peter, der davon Kenntnis erhielt, den bereits beurkundeten Erklärungen nicht; er verzichtete darauf, die Zustimmung der UNIVERSA einzuholen und Notar Napp zu unterrichten.
Caveng verfolgte die Angelegenheit allein weiter. Am 17. September teilte er Notar Napp mit, die AFIT sei mit der Löschung des Schuldbriefes und mit der Errichtung der beiden neuen Hypotheken von insgesamt DM 14,6 Mio. einverstanden; die Zustimmung der UNIVERSA sei nicht mehr erforderlich, und man könne wie vereinbart vorgehen. Der Notar hielt sich an die Mitteilung. Als er am 19. September von der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank rund DM 3 Mio. zugunsten des Virtus- und des Demex-Trusts erhielt, wies Caveng ihn als deren Generalbevollmächtigter an, den Betrag auf ein Konto bei der Volksbank Wiesbaden zu überweisen. Zwischen dem 19. September und dem 15. November 1968 verfügte Caveng über etwa DM 2,85 Mio. dieses Kontos. Er verwendete den Betrag teils zum Auffangen der von Dzialowski in Umlauf gesetzten Wechsel, teils für Kredite an Otto. Ende Januar 1969 kam sein eigenmächtiges Vorgehen an den Tag. Die AFIT liess ihn daraufhin verhaften und insbesondere wegen Veruntreuung verzeigen.
B.-
Im September 1970 erhob die AFIT gegen die UNIVERSA eine "Regressforderungsklage" auf Zahlung von DM 3'000'000.-- nebst Zins seit 1. Oktober 1968. Sie machte geltend, die Beklagte sei für die Aufbewahrung des Fondsvermögens sowie für den Zahlungsverkehr verantwortlich gewesen, habe ihre Pflichten aber schwer verletzt und die Veruntreuung des eingeklagten Betrages durch Caveng ermöglicht. Die Beklagte bestritt das.
Im Verfahren änderte die Klägerin ihr Begehren dahin ab, dass sie Fr. 3'408'199.65 nebst 7 1/2% Zins seit 1. November
BGE 101 II 154 S. 158
1970 verlangte. Sie behielt sich ferner ein Nachklagerecht vor.
Das Handelsgericht des Kantons Aargau schützte am 26. Juni 1974 die Klage im Betrage von Fr. 168'438.-- nebst 5% Zins seit 1. November 1970.
C.-
Beide Parteien haben gegen das Urteil des Handelsgerichtes Berufung eingelegt. Die Klägerin beantragt, es aufzuheben und die eingeklagte Forderung nebst 5% Zins zu schützen. Die Beklagte verlangt dagegen, dass die Klage ganz abgewiesen werde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin begründete die streitige Forderung in der Klageschrift damit, sie sei mit Verfügung der Eidg. Bankenkommission vom 26. September 1969 verpflichtet worden, für Ersatzansprüche der Anleger bei einer Bank Fr. 3'500'000.-- in bar oder leicht realisierbaren Werten sicherzustellen. Sie sei dazu verhalten worden, weil Caveng den Fonds durch Veruntreuung von DM 3 Mio. geschädigt habe und sie als Fondsleitung den Anlegern gemäss
Art. 24 AFG
für den Schaden hafte. Im November 1970 habe sie eine Schadenersatzforderung von Fr. 3'368'726.55 anerkannt und diesen Betrag an den Fonds bezahlt. Sie dürfe aber auf die Beklagte zurückgreifen, weil diese für den Schaden mitverantwortlich sei.
Die Beklagte hält dem entgegen, die Forderung der Klägerin lasse sich nicht auf ein Regressrecht stützen. Die Klägerin als Fondsleitung sei Eigentümerin des Fondsvermögens. In der eigenmächtigen Verwendung des Betrages von rund DM 3 Mio. durch eines ihrer Organe könne folglich keine Schädigung der Anleger, sondern bloss eine solche der Klägerin erblickt werden; diese habe sich den Schaden selber zugefügt. Indem sie den Betrag an den Fonds zurückbezahlte, habe sie nur vertragliche Verpflichtungen gegenüber den Anlegern im Sinne von
Art. 23 AFG
erfüllt, was kein Regressrecht gemäss
Art. 26 AFG
begründe.
Das AFG beruht nach seiner Entstehungsgeschichte auf der Auffassung, dass die Fondsleitung Eigentümerin der Vermögenswerte ist, die zum Anlagefonds gehören, und dass die Anleger gegen die Fondsleitung rein obligatorische Ansprüche haben (Botschaft zum Entwurf, BBl 1965 III 293). Es fällt freilich auf, dass im Gesetz nirgends von Eigentum der Fondsleitung
BGE 101 II 154 S. 159
am Anlagefonds die Rede ist. Das ist jedoch damit zu erklären, dass die Verfügungsmacht der Fondsleitung über das Fondsvermögen vom Gesetz umschrieben und zugleich erheblich eingeschränkt wird. Als Beauftragte der Anleger darf die Fondsleitung von ihrem Eigentum am Fonds keinen freien Gebrauch machen, sondern hat ihre Rechte ausschliesslich im Interesse der Anleger auszuüben (Art. 14 Abs. 1). Ihr Eigentum wird deshalb auch als fiduziarisch bezeichnet (
BGE 99 Ib 438
mit Zitaten). Weitere Einschränkungen bestehen darin, dass die Mittel eines Anlagefonds nur in Wertpapieren und Immobilienwerten angelegt (Art. 6 Abs. 1), dass zum Fonds gehörende Sachen und Rechte weder mit Pfandrechten belastet noch zur Sicherung übereignet werden dürfen (Art. 12 Abs. 2).
Das AFG behandelt den Anlagefonds zudem als Sondervermögen, das von den Anlegern zum Zwecke gemeinschaftlicher Kapitalanlage aufgebracht und von der Fondsleitung nach dem Grundsatz der Risikoteilung für Rechnung der Anleger verwaltet wird (Art. 2 Abs. 1). Das Gesetz selber unterscheidet zwischen dem eigenen Vermögen der Fondsleitung und dem von ihr zu verwaltenden Anlagefonds (Art. 4). Die Bedeutung der Unterscheidung ergibt sich schon daraus, dass die Fondsleitung dem Fonds nur Aufwendungen und Verbindlichkeiten aus dem Kollektivanlagevertrag belasten (Art. 16 Abs. 1), dass sie andere Schulden nicht mit Forderungen, die zum Fonds gehören, verrechnen darf (Art. 17 Abs. 2), dass die Aktiven des Fonds im Konkurse der Fondsleitung zugunsten der Anleger auszusondern sind (Art. 17 Abs. 1) und dass die Zugehörigkeit von Grundstücken zum Anlagefonds im Grundbuch vorzumerken ist (Art. 31 Abs. 2). Die Bedeutung erhellt ferner aus der Haftung der Fondsleitung. Diese kann dazu verhalten werden, den Vermögensstand des Fonds wiederherzustellen, wenn sie ihm Werte widerrechtlich entzieht oder vorenthält oder ihn durch Pflichtverletzungen schädigt (Art. 23 und 24).
Entgegen den Einwänden der Beklagten lässt sich daher nicht sagen, die Klägerin habe sich selbst geschädigt. Der durch Caveng verursachte Schaden ist nicht im eigenen Vermögen der Fondsleitung, sondern in dem von ihr verwalteten Sondervermögen des Fonds eingetreten. Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber den Anlagefonds nicht zur juristischen Person erhoben hat, die Fondsleitung vielmehr alleinige Trägerin
BGE 101 II 154 S. 160
der zum Fonds gehörenden Rechte ist. Die Fondsleitung haftet für Schädigungen des Fonds durch Organe oder Hilfspersonen mit ihrem eigenen Vermögen (
Art. 24 AFG
); sie kann aber auf Personen zurückgreifen, die nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden mitverantwortlich sind (
Art. 26 AFG
). Die Klägerin hat den Schaden gedeckt, wirft der Beklagten indes vor, sie habe ihn mitverschuldet. Das Handelsgericht hat daher zu Recht angenommen, Gegenstand der Klage sei nicht eine Schadenersatz-, sondern eine Regressforderung.
2.
Nach
Art. 5 Abs. 1 AFG
muss die Fondsleitung eine Depotbank beiziehen, wenn sie nicht selber eine Bank ist. Die Depotbank hat gemäss
Art. 18 AFG
darüber zu wachen, dass nach Gesetz oder Fondsreglement unzulässige Anlagen unterbleiben; sie hat ferner das gesamte Fondsvermögen aufzubewahren (Abs. 1) und den ganzen Zahlungsverkehr des Fonds zu besorgen (Abs. 2); weitere Pflichten ergeben sich daraus, dass die Bestimmungen über den Kollektivanlagevertrag, die das Gesetz für die Fondsleitung aufstellt, sinngemäss auch für die Depotbank gelten (Abs. 4). Beide haften daher für Handlungen ihrer Organe oder Hilfspersonen, die den Fonds schädigen, nach den gleichen Regeln und solidarisch, wenn diese sowohl auf die Fondsleitung wie auf die Depotbank zutreffen.
a) Die Parteien einigten sich durch Vertrag vom 22. September 1960 auf eine "Verwaltungsordnung", die nach ihrem Inhalt und Aufbau einem Fondsreglement im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 AFG
entspricht. Nach Ziff. 20 dieser Ordnung versprach die Beklagte als Treuhänderin der Anleger insbesondere: a) darüber zu wachen, dass die Vermögenswerte des Fonds vorschriftsgemäss angelegt und verwaltet werden, alljährlich die Rechnung des Fonds zu prüfen und hierüber Bericht zu erstatten; b) über die aus der Ausgabe von Anteilscheinen eingehenden Gelder zu verfügen und sie im Ausmasse des Anlagebedarfs an die Fondsleitung zu überweisen; c) die Vermögenswerte des Fonds oder die an deren Stelle tretenden Rechtstitel für Rechnung der Inhaber von Anteilscheinen aufzubewahren. Für die sorgfältige Erfüllung dieser Pflichten sollte die Beklagte den Inhabern von Anteilscheinen haften.
Die Beklagte hatte somit schon nach der "Verwaltungsordnung" darauf zu achten, dass der Fonds nicht durch vertragswidrige
BGE 101 II 154 S. 161
Handlungen der Fondsleitung geschädigt werde. Diese Gefahr bestand namentlich bei der Liquidation, als über die Veräusserung von Immobilienwerten, die zum Fonds gehörten, entschieden wurde. Mit dem Inkrafttreten des AFG am 1. Februar 1967 änderte sich an der Überwachungspflicht der Beklagten nichts. Die Beklagte verpflichtete sich damals mit Bewilligung der Eidg. Bankenkommission als Depotbank im Sinne von
Art. 5 AFG
, deren Aufgaben ihrer vertraglichen Pflicht, die Anlage und Verwaltung von Vermögenswerten des Fonds zu überwachen, nicht widersprachen. Sie wurde dieser Pflicht insbesondere nicht dadurch enthoben, dass sie nachher den ganzen Zahlungsverkehr des Fonds zu besorgen und Anteilscheine auszugeben und zurückzunehmen hatte; damit sollte ihr die Überwachung nach dem Sinn und Wortlaut des Gesetzes (Art. 18 Abs. 2) vielmehr erleichtert werden. Die Vorschriften über die Überwachung können zudem durch das Fondsreglement verschärft werden (
Art. 18 Abs. 3 AFG
), da das Gesetz nur Mindestverpflichtungen aufstellt. Zusätzliche Überwachungspflichten sind deshalb nicht zu beanstanden, wenn sie sich wie hier mit den gesetzlichen Aufgaben der Depotbank vertragen.
b) Die Beklagte versucht ihrer Haftung vorweg mit dem Einwand zu entgehen, die Klägerin dürfe aus der Generalvollmacht des Virtus-Trusts vom 29. Dezember 1964 zugunsten Cavengs nichts für ihre Forderung ableiten, da diese Vollmacht zusammen mit Bemerkungen, die sie zu "Neuerungen der Duplik" angebracht habe, durch "Ausmusterungsverfügung" des Instruktionsrichters vom 12. Juli 1973 aus dem Recht gewiesen worden sei. Die Klägerin spricht dagegen von einem offensichtlichen Versehen im Sinne von
Art. 55 lit. d OG
, weil das Handelsgericht die vom UNIVERSA-Vizedirektor Max Peter mitunterzeichnete Vollmacht des Virtus-Trusts ausser acht gelassen habe.
Wie es sich mit dem Einwand der Beklagten nach kantonalem Recht verhält, kann das Bundesgericht auf Berufung hin nicht überprüfen (Art. 43 Abs. 1, 55 Abs. 1 lit. c OG). Bundesrechtlich ist er unbehelflich. Das Handelsgericht hält die Bemerkungen der Klägerin über die Beteiligung der Beklagten an der Vollmacht vom 29. Dezember 1964 zwar mit dem Instruktionsrichter, auf dessen Verfügung es verweist, für unzulässige Neuerungen, schliesst die mit den Bemerkungen eingereichte
BGE 101 II 154 S. 162
Vollmacht sinngemäss also ebenfalls aus. In seiner Sachdarstellung nimmt es auf Grund der Akten jedoch unbekümmert um diese Verfügung an, Caveng habe sowohl beim Verkauf der Liegenschaft an Otto wie bei seinem Auftrag an Notar Napp, den Betrag von rund DM 3 Mio. auf ein Konto der Verkäufer bei der Volksbank Wiesbaden zu überweisen, als Generalbevollmächtigter der Trusts Virtus und Demex gehandelt.
Dass diese Gesellschaften Caveng Generalvollmachten erteilt haben, steht somit fest und ist der Vorinstanz entgegen der Behauptung der Klägerin nicht entgangen. Wie diese Feststellung zu würdigen ist und welche Folgen sich daraus für die Beteiligten ergeben, sind aber Rechtsfragen, die das Bundesgericht frei überprüfen darf; es ist nicht an die rechtliche Begründung der Parteien gebunden (
Art. 63 Abs. 1 OG
).
Dass Caveng als Generalbevollmächtigter der Verkäufer auftrat, ist übrigens, wie die Beklagte im Berufungsverfahren einräumte, auch den von Notar Napp am 11. September 1968 verurkundeten Verträgen zu entnehmen, zu denen insbesondere die von der Beklagten selber eingereichte Urkundenrolle Nr. 610 gehört. Fotokopien der beiden Vollmachtsurkunden sind zudem von der Klägerin zusammen mit anderen "Strafaktenstücken" dem Handelsgericht rechtzeitig eingereicht, entgegen dem "Ausmusterungsbegehren" der Beklagten aber nicht aus dem Recht gewiesen worden. Sie werden vom Handelsgericht in der Zusammenfassung der Kompetenzen Cavengs ausdrücklich erwähnt. Es ist dem Bundesgericht daher nicht verwehrt, diese Urkunden bei der rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhaltes mitzuberücksichtigen.
c) Der Virtus-Trust trat zusammen mit einem Dritten bereits seit März 1964 als Eigentümer der Liegenschaft Schäfergasse auf. Am 29. Dezember 1964 stellte er Caveng eine zeitlich unbeschränkte Generalvollmacht aus, die vom UNIVERSA-Vizedirektor Peter mitunterzeichnet wurde. Nach dem Wortlaut der Vollmacht durfte Caveng über Liegenschaften und Grundstückanteile der Gesellschaft in Deutschland in jeder Art verfügen, Verträge aller Art abschliessen, überhaupt sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft mit den Befugnissen eines Generalbevollmächtigten wahrnehmen. Er konnte die Vollmacht ausserdem ganz oder teilweise auf Dritte übertragen. Da Caveng sich im Frühjahr 1965 auch vom Demex-Trust
BGE 101 II 154 S. 163
eine gleiche Vollmacht ausstellen liess, konnte er vom 31. März 1966 an, als diese Gesellschaft zusammen mit dem Virtus-Trust Eigentümer des Grundstückes Schäfergasse wurde, über die ganze Liegenschaft frei verfügen, sie insbesondere mit neuen Hypotheken belasten, veräussern und den Preis dafür entgegennehmen. Nach den Zeugenaussagen Peters besass er übrigens für alle Immobiliengesellschaften, die der Klägerin angeschlossen waren, solche Vollmachten.
Indem die Beklagte es leichthin zuliess, dass der Virtus-Trust Caveng mit Zustimmung ihres Vizedirektors Peter eine Generalvollmacht ausstellte, setzte sie sich aber der Gefahr aus, zum Fonds gehörende Vermögenswerte nicht mehr sicher verwahren und pflichtwidrigen Handlungen des Bevollmächtigten nicht wirksam vorbeugen zu können. Die Zustimmung widersprach ihren eigenen Aufgaben. Sie ist umsoweniger zu verstehen, als die Beklagte durch den Vizedirektor im Treuhänderrat des Virtus-Trust vertreten war und sich ausdrücklich dessen Zeichnungsberechtigung ausbedungen hatte, damit sie die vorschriftsgemässe Anlage und Verwaltung von Vermögenswerten leichter überwachen könne. Dies bewog sie aber selbst nach Jahren nicht, die mit ihren vertraglichen und gesetzlichen Pflichten unvereinbaren Befugnisse Cavengs rückgängig machen und die Gefahr von Missbräuchen beseitigen zu lassen.
Die Beklagte kümmerte sich darum insbesondere auch nicht, als Caveng nach dem Beschluss der Parteien, den Fonds aufzulösen, mit dem Verkauf der Liegenschaften beauftragt wurde. Dass er "schon früher" von den Vollmachten des Virtus- und des Demex-Trusts Gebrauch machte, indem er Belege als Generalbevollmächtigter der Grundeigentümer unterzeichnete, ist der Beklagten, wie ihr Direktor als Zeuge erklärte, nicht entgangen. Nach den Zeugenaussagen Peters war ihr ausserdem bekannt, dass die Klägerin alle zum Fonds gehörenden Liegenschaften nicht im eigenen Namen, sondern über Immobiliengesellschaften verwaltete, die Verwaltungsräte dieser Gesellschaften von der Fondsleitung aber bloss vorgeschoben wurden oder, wie der Zeuge sich ausdrückte, "nur Strohmannfunktionen" hatten. Von dieser Seite war daher keine Kontrolle zu erwarten. Gleichwohl fand die Beklagte es im Falle Schäfergasse nicht für nötig, den mit den Vollmachten verbundenen Risiken rechtzeitig entgegenzuwirken, sei es,
BGE 101 II 154 S. 164
dass sie sich durch eigene Organe an den Verkaufsverhandlungen vertreten oder Cavengs Vorgehen überprüfen liess, sei es, dass sie den Widerruf der Vollmachten verlangte. Das gereicht ihr zum Verschulden. Anlass zu besonderer Vorsicht hatte sie entgegen der Annahme der Vorinstanz schon deshalb, weil ihr Vizedirektor bereits im April 1968 auf Cavengs Gesuch hin, den Eigentümerschuldbrief zur Deckung angeblicher Bauvorschüsse herauszugeben, den Eindruck erhalten haben will, "es sei etwas nicht ganz sauber". Caveng hatte schon damals beide Parteien getäuscht. Sein Wechselgeschäft mit Dzialowski lässt auf ähnliche Machenschaften schliessen.
Dass Caveng als Vertreter der Klägerin die Aushändigung des Schuldbriefes an Notar Napp verlangt haben soll und dieser angeblich weisungswidrig vorgegangen ist, entlastet die Beklagte nicht. Den entscheidenden Fehler beging die Beklagte schon dadurch, dass sie Caveng durch den Virtus-Trust eine Generalvollmacht ausstellen und ihn noch beim Verkauf der Liegenschaft danach handeln liess. Ihr Verschulden besteht deshalb unabhängig davon, ob der Notar getäuscht wurde oder ob er Caveng nach den vorbehaltlosen Generalvollmachten für berechtigt hielt, die Verträge ohne Zustimmung der Prozessparteien zu den bereits verurkundeten Bedingungen ausfertigen und dem Grundbuchamt vorlegen zu lassen. Gemäss ihren Ausführungen in der Berufungsantwort hätte die Beklagte übrigens selbst dann noch "das Vollzogene überprüfen und die Überweisung des Erlöses an sie verlangen" können. Nach Ziff. 20 der "Verwaltungsordnung" und
Art. 18 AFG
wäre sie dazu sogar verpflichtet gewesen.
3.
Die Beklagte anerkennt in der Berufungsschrift, dass Caveng die schädigenden Handlungen "unter Missbrauch seiner Kompetenzen" begangen hat; dennoch versucht sie nicht nur den adäquaten, sondern auch den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen ihrem Verhalten und dem eingetretenen Schaden zu bestreiten.
Die Beklagte übersieht, dass zu diesen "Kompetenzen" vor allem die Befugnisse aus den beiden Vollmachten gehörten, deren missbräuchliche Verwendung sie mitzuverantworten hat. Caveng konnte nur gestützt auf die beiden Vollmachten die Kaufverträge über die Liegenschaft abschliessen und über das Geld verfügen. Er gab sich nach den Feststellungen der Vorinstanz denn auch am 11. September bei der Beurkundung
BGE 101 II 154 S. 165
wie am 19. September 1968 bei seiner Weisung an Notar Napp, den Betrag von rund DM 3 Mio. einem Konto der Verkäufer in Wiesbaden gutschreiben zu lassen, als deren Generalbevollmächtigter aus. Dass das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten nicht nur im natürlichen, sondern auch im Rechtssinne kausal war für die Schädigung des Fondsvermögens, lässt sich daher nicht bestreiten. Es war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, eine Schädigung von der Art der eingetretenen zu begünstigen (vgl.
BGE 96 II 396
Erw. 2 und dort angeführte Urteile).
Der Kausalzusammenhang ist entgegen den Einwänden der Beklagten durch das Verhalten Dritter nicht unterbrochen worden. Die Verantwortlichkeiten der Parteien waren sowohl nach der "Verwaltungsordnung" (Ziff. 15 ff.) wie nach dem AFG (Art. 12 ff.) im Interesse der Anleger klar getrennt. Die Beklagte hat sie aber schon dadurch verwischt, dass sie dem führenden Organ der Klägerin Befugnisse einräumen liess, die ihren eigenen Aufgaben stracks zuwiderliefen. Es kommt deshalb für die Würdigung ihrer Pflichtverletzungen als adäquate Ursache der Schädigung nichts darauf an, ob Caveng vorher als unbescholten und angesehen galt und ob Dritte seine schädigenden Handlungen hätten verhindern können.
Dies gilt insbesondere für Notar Napp, gleichviel aus welchem Grunde er sich über die vorbehaltene Genehmigung der Beklagten hinwegsetzte, ob er den falschen Angaben Cavengs Glauben schenkte oder ob er auf dessen Generalvollmachten abstellte. Die Beklagte verkennt, dass Caveng gestützt auf die Vollmachten der Trusts Virtus und Demex, die Eigentümer der Liegenschaft waren und folglich allein als Verkäufer auftreten durften, Weisungen Dritter jederzeit widerrufen oder abändern konnte. Aus der "Erklärung" des Notars vom 5. März 1969 muss übrigens geschlossen werden, dass er sich über den Sinn der am 11. September 1968 vorbehaltenen Genehmigungen nicht im klaren war und sich nachher durch Caveng irreführen liess. Sein Verhalten macht die Pflichtverletzungen der Beklagten nicht zu einer inadäquaten Ursache der Schädigung.
4.
Caveng handelte in erster Linie als Organ der Klägerin, als er die Verträge mit Otto abschloss und nachher Notar Napp anwies, den Betrag von rund DM 3 Mio. einem Konto
BGE 101 II 154 S. 166
der Verkäufer gutschreiben zu lassen. Die Klägerin beauftragte ihn nach dem Beschluss der Parteien, den Fonds zu liquidieren, mit dem Verkauf der Liegenschaften. Ihr Verwaltungsrat, dem er bis zu seiner Verhaftung angehörte, beschloss zudem am 12. September 1968, dass Caveng als Mitglied des Rates die angefangenen Verkaufsverhandlungen zu Ende führen solle. Die Klägerin muss sich seine widerrechtlichen Verfügungen über Vermögen des Fonds, die er sich als Organ der Fondsleitung zuschulden kommen liess, anrechnen lassen und dafür gemäss
Art. 24 AFG
einstehen. Caveng handelte aber auch als Hilfsperson der Beklagten, die ihm insbesondere für den Verkauf der Liegenschaft Befugnisse eines Bevollmächtigten einräumen und ausüben liess. Sie hat für seine Verfehlungen, die er in dieser Eigenschaft beging, einzustehen (Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 18 Abs. 4 AFG
).
Die Parteien haften den Anlegern für die Schädigung des Fondsvermögens durch Caveng solidarisch und nach den gleichen Regeln, da sie beide nicht nur für Handlungen von Organen, sondern auch für diejenigen von Hilfspersonen wie für eigene einzustehen haben. Das schliesst angesichts der schuldhaften Verfehlungen Cavengs eine Entlastung gemäss
Art. 24 Abs. 1 AFG
aus, zumal beide Parteien ihn leichtsinnig gewähren liessen. Es kommt deshalb in ihrem Verhältnis zu den Anlegern nichts darauf an, dass nach der allgemeinen Regel des
Art. 51 Abs. 2 OR
bei Zusammentreffen von Haftungsgründen verschiedener Stufen der Schaden in erster Linie von dem zu tragen ist, der ihn verschuldet hat, nicht von dem, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist. Dies gilt umsomehr, als der Rückgriff unter den Beteiligten gemäss
Art. 26 Abs. 1 AFG
in das Ermessen des Richters gestellt ist.
Das Handelsgericht hat den Regressanspruch der Klägerin auf 5% des Betrages beschränkt, den sie im November 1970 als Schadenersatzforderung des Fonds anerkannt und bezahlt hat. So geringfügig ist das Verschulden der Beklagten jedoch nicht. Es ist entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht bloss darin zu erblicken, dass sie sich nach der Verwaltungsratssitzung vom 12. September 1968 nicht bei Notar Napp erkundigte, ob er den Schuldbrief sicher aufbewahre, wenn auch zuzugeben ist, dass sie diesfalls den Schaden bei gehöriger Aufklärung des Notars noch hätte verhindern können. Vorzuwerfen
BGE 101 II 154 S. 167
ist der Beklagten vor allem, dass sie Caveng während Jahren als Generalbevollmächtigter der Trusts Virtus und Demex auftreten, ihm sogar die eine der beiden Vollmachten durch ihren Vizedirektor ausstellen liess und gegen deren Verwendung selbst beim Verkauf der Liegenschaft nicht einschritt. Solches Verhalten lässt sich nicht verharmlosen. Die Beklagte verstiess damit in grober Weise gegen ihre Überwachungspflichten, die sie als Treuhänderin, Kontrollstelle und Depotbank den Anlegern gegenüber übernommen hatte. Wer solche Pflichten auf sich nimmt, hat sie dem Sinn und Zweck des AFG entsprechend mit aller Sorgfalt zu erfüllen (vgl.
BGE 93 II 27
Erw. 3, 97 II 411,
BGE 99 II 179
ff.). Es rechtfertigt sich, den Regressanspruch der Klägerin auf einen Viertel des Betrages zu erhöhen, den sie als Schaden anerkannt und dem Fonds zurückerstattet hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Berufung der Beklagten wird abgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons Aargau vom 26. Juni 1974 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet wird, der Klägerin Fr. 842'181.60 nebst 5% Zins seit 1. November 1970 zu bezahlen. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d027b687-c808-4e34-91d7-478f94a14d75 | Urteilskopf
110 II 315
63. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1984 i.S. Isler gegen Bundesamt für geistiges Eigentum (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Patentrecht. Akteneinsicht eines am Einspruchsverfahren nicht beteiligten Dritten;
Art. 90 Abs. 3 PatV
.
Nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs im Vorprüfungsverfahren kann ein Dritter auch während des Einspruchs- und des Beschwerdeverfahrens in die Einspruchsakten Einsicht nehmen. | Sachverhalt
ab Seite 315
BGE 110 II 315 S. 315
A.-
Das Patentanwalts-Büro Isler & Schmid, Zürich, ersuchte am 15. Januar 1982 das Bundesamt für geistiges Eigentum (Amt) um Akteneinsicht in das am 15. September 1980 mit der Nummer 619'107 G bekanntgemachte Patentgesuch K.K. Daini Seikosha und bat das Amt, ihm Kopien ab Publikationsdatum zuzustellen. Das Büro war am Patenterteilungsverfahren nicht beteiligt. Gegen die Erteilung des Patents hatten die Ebauches S.A., die SSIH und die Micrometal Einspruch erhoben.
Am 21. Januar 1982 teilte der Vorsitzende der Einspruchsabteilung II den Gesuchstellern mit, das Einspruchsverfahren sei noch nicht abgeschlossen, weshalb nur die in
Art. 90 Abs. 1 PatV
genannten Personen Einsicht in die nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs eingereichten Akten nehmen könnten. Solange sich das Patentanwaltsbüro nicht über die Zustimmung der Parteien im
BGE 110 II 315 S. 316
Sinn von
Art. 90 Abs. 1 lit. c PatV
ausweise, könne ihm keine Einsicht gewährt werden.
Auf ein weiteres Schreiben der Gesuchsteller erliess der Vorsitzende der Einspruchsabteilung II am 11. Februar 1982 eine Verfügung, in der er seine Auffassung bestätigte und das Gesuch um Akteneinsicht abwies. Die von den Gesuchstellern dagegen erhobene Beschwerde hiess die Beschwerdekammer am 22. März 1983 dahin gut, dass sie die angefochtene Verfügung aufhob und das Begehren um Akteneinsicht dem Amt zum Entscheid überwies. Der Vorsitzende der Einspruchsabteilung sei nicht befugt, über ein Akteneinsichtsgesuch eines am Einspruchsverfahren nicht beteiligten Dritten zu befinden. Dafür sei ausschliesslich das Amt zuständig.
Mit Verfügung vom 21. Oktober 1983 wies das Amt das Gesuch um Akteneinsicht ab, soweit es Akten des Einspruchsverfahrens betreffe.
B.-
Fritz Isler hat gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, ihm Einsicht in die vollständigen Akten des Patentgesuchs einschliesslich der im Einspruchsverfahren angefallenen Akten zu gewähren.
Das Amt schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die angefochtene Verfügung betrifft ein Patentgesuch, das sich im Vorprüfungsverfahren befindet. Sie ist vom Amt getroffen worden und hat nicht den technischen Inhalt des Patentgesuchs zum Gegenstand. Der Ausschlussgrund des
Art. 100 lit. i OG
kommt daher nicht zur Anwendung (
BGE 105 II 64
E. 1).
Nach dem angefochtenen Entscheid erstreckt sich das Gesuch um Akteneinsicht nicht auf die Akten des Beschwerdeverfahrens vor der Beschwerdekammer. Der Beschwerdeführer widerspricht dem nicht, vielmehr deckt sich damit sein Antrag, die Vorinstanz habe ihm Einsicht in die vollständigen Akten des Patentgesuchs einschliesslich der im Einspruchsverfahren angefallenen Akten zu gewähren. Die Frage der Einsicht in die Akten des Beschwerdeverfahrens bildet somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Ob sie erstinstanzlich nicht vom Amt, sondern vom Präsidenten der Beschwerdekammer zu beurteilen wäre, wie die Vorinstanz
BGE 110 II 315 S. 317
im angefochtenen Entscheid annimmt, hat das Bundesgericht bei dieser Sachlage nicht zu prüfen.
2.
Das Amt ist verpflichtet, für jedes Patentgesuch und Patent ein Aktenheft zu führen, das über den Verlauf des Prüfungsverfahrens und über die Änderungen im Bestand und im Recht Auskunft gibt (
Art. 89 Abs. 1 PatV
). Dazu gehören auch nach Auffassung des Amts die Einspruchsakten. Dass das Amt zuwartet, bis über einen Einspruch rechtskräftig entschieden worden ist, bevor es die diesbezüglichen Akten in das Aktenheft einfügt, ändert nichts daran, dass diese an sich Bestandteil des Aktenhefts bilden.
3.
Gemäss
Art. 90 Abs. 1 PatV
dürfen vor der Bekanntmachung des Patentgesuchs im Vorprüfungsverfahren oder der Patenterteilung im Verfahren ohne Vorprüfung in das Aktenheft nur der Patentbewerber und sein Vertreter (lit. a), Personen, die nachweisen, dass ihnen der Patentbewerber die Verletzung seiner Rechte aus dem Patentgesuch vorwirft oder dass er sie vor solcher Verletzung warnt (lit. b) sowie Dritte, die sich über die Zustimmung des Patentbewerbers oder seines Vertreters ausweisen, Einsicht nehmen.
Nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs im Vorprüfungsverfahren oder nach der Patenterteilung im Verfahren ohne Vorprüfung steht hingegen das Aktenheft jedermann zur Einsichtnahme offen (
Art. 90 Abs. 3 PatV
). Der Beschwerdeführer beruft sich auf diese Bestimmung. Das Amt meint, er könne gestützt darauf bloss die bis zur Erhebung des Einspruchs anfallenden Akten einsehen, die Einspruchsakten aber erst nach dem rechtskräftigen Entscheid über den Einspruch. Ein solcher liegt noch nicht vor, da gegen den Einspruchsentscheid Beschwerde erhoben worden und diese noch bei der Beschwerdekammer hängig ist.
4.
Aus dem Wortlaut des
Art. 90 Abs. 3 PatV
, wonach das Aktenheft nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs "jedermann zur Einsicht offensteht", ergibt sich die vom Amt vertretene Einschränkung der Akteneinsicht nicht. Sinn und Zweck der Bestimmung sprechen für eine wörtliche Auslegung. Das Amt stellt sich zu Unrecht auf den Standpunkt, die Akteneinsicht diene einzig dazu, den Einsprechern den Einspruch zu ermöglichen. Durch die Offenlegung soll ebenso ermöglicht werden, dass sich Dritte frühzeitig auf ein zu erwartendes Schutzrecht einstellen können. Der Beschwerdeführer unterstreicht zu Recht das grosse Interesse der Konkurrenz, den Schutzumfang der endgültig zur
BGE 110 II 315 S. 318
Patenterteilung gelangenden Ansprüche möglichst frühzeitig abschätzen zu können. Das ist mit Rücksicht auf Investitionen für die technische Entwicklungsarbeit geboten, aber auch im Hinblick auf die zu gewärtigenden zivilrechtlichen Ansprüche des Patentbewerbers, da nach der Bekanntmachung des Patentgesuchs der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch des
Art. 72 PatG
besteht und Schadenersatz geschuldet ist (
Art. 73 Abs. 4 PatG
).
Für die Beurteilung der Tragweite des betroffenen Patents sind die Einspruchsakten, namentlich die Einsprüche mit den Einspruchsgründen und der Erklärung, in welchem Umfang gegen die Erteilung des Patents Einspruch erhoben werde (
Art. 73 PatV
), sowie die Stellungnahmen des Patentbewerbers (
Art. 78 PatV
) und die zugehörigen Unterlagen unter Umständen nicht weniger bedeutsam als die Gesuchsakten. Den Interessen der Drittpersonen ist daher nicht Genüge getan, wenn das Aktenheft bloss die Tatsache erkennen lässt, dass Einspruch erhoben worden ist, wie das Amt in anderem Zusammenhang geltend macht. Da es Monate und - namentlich wenn noch Beschwerde erhoben wird - Jahre dauern kann, bis ein rechtskräftiger Entscheid vorliegt, würden diese Interessen zu sehr beeinträchtigt, sofern im Sinn des Amts mit der Einsichtnahme bis dahin zugewartet werden müsste.
5.
Das Amt stützt seine Weigerung vor allem darauf, es könne nicht in ein hängiges Einspruchsverfahren eingreifen, weil dieses in der Hand des Vorsitzenden der Einspruchsabteilung liege. Nach dem Entscheid der Beschwerdekammer vom 22. März 1983 ist jener Vorsitzende nur für die Beurteilung des Akteneinsichtsgesuchs eines am Einspruchsverfahren Beteiligten zuständig; der Entscheid über das Gesuch eines Dritten fällt hingegen in die umfassende Zuständigkeit des Amtes. Das Amt hat dieser Betrachtungsweise ausdrücklich zugestimmt. Es kann nicht auf dem Umweg über die materielle Frage der Akteneinsicht im Ergebnis auf die Zuständigkeitsfrage zurückkommen. Da ferner die Einspruchsabteilungen Bestandteile des Amtes bilden (
Art. 88 Abs. 1 PatG
), kann dieses sie ohne weiteres anweisen, die Akteneinsicht zu gewähren.
6.
Dass eine Einsichtnahme während des Verfahrens ausgeschlossen sei, schliesst das Amt noch daraus, dass die Verhandlungen vor den Einspruchsabteilungen und den Beschwerdekammern nicht öffentlich sind (
Art. 80 Abs. 5,
Art. 87 PatV
). Die für die
BGE 110 II 315 S. 319
Drittinteressen angestellten Überlegungen bedingen folgerichtig auch die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung, wie das etwa im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (SR 0.232.142.2) vorgesehen worden ist. Das ist aber nicht zwingend geboten; praktische Überlegungen rechtfertigen in dieser Beziehung eine Beschränkung.
Im übrigen sind Verhandlungen vor einer Verwaltungsbehörde, wie sie die Einspruchsabteilung darstellt, grundsätzlich nicht öffentlich; die besondere Erwähnung dieses Umstands in
Art. 80 Abs. 5 PatV
erscheint daher nur bei einer grundsätzlichen Öffnung der Akten für Dritte als sinnvoll.
7.
Das streitige Akteneinsichtsrecht Dritter rechtfertigt sich aus dem Patentrecht, nicht aus dem Verwaltungsverfahren. Das Amt kann deshalb aus einem Vergleich mit der Ordnung des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren nichts zugunsten seiner Auffassung ableiten. Aufschlussreich ist dagegen ein Vergleich mit den entsprechenden patentrechtlichen Bestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens und des deutschen Patentgesetzes, auf welche auch der Beschwerdeführer verweist. Die schweizerische Regelung des Akteneinsichtsrechts ist anlässlich der Neufassung der Patentverordnung von 1977 revidiert worden. Wieweit dabei eine Angleichung an das Europäische Patentübereinkommen herbeigeführt werden wollte, ist aus der Entstehungsgeschichte nicht bekannt und ergibt sich aus den rudimentären Angaben in den Akten nicht. Das schliesst nicht aus, die Regelung des Europäischen Patentübereinkommens als Auslegungshilfe beizuziehen. Sowohl das Europäische Patentübereinkommen wie das deutsche Patentgesetz erstrecken das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich auch auf die Einspruchs- und Beschwerdeakten (
Art. 128 Abs. 4 EPUe
; Regel 93 der Ausführungsordnung zum EPUe, SR 0.232.142.21; § 31 deutsches PatG, für die Einsichtnahme in hängige Verfahren vgl. Kommentar BENKARD, 7. Aufl., zu § 31 dt. PatG, besonders N. 12 u. 14).
8.
Der Hinweis des Amts auf die Möglichkeit des Einspruchs, der auch den Zugang zu den Akten eröffne, vermag die angefochtene Verfügung ebenfalls nicht zu stützen. Es geht nicht an, einen interessierten Dritten einzig deshalb zum Einspruch zu zwingen, damit er auf diesem Umweg die Akteneinsicht während des Verfahrens erhalte. Das wäre in jeder Hinsicht unverhältnismässig.
9.
Die Beschwerde erweist sich demnach als begründet. Die angefochtene Verfügung ist deshalb aufzuheben und das Amt
BGE 110 II 315 S. 320
anzuweisen, dem Beschwerdeführer Einsicht in die Einspruchsakten zu gewähren. Gegebenenfalls wird es die Beschwerdekammer ersuchen müssen, ihm die Akten zu diesem Zweck zur Verfügung zu stellen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d02b718f-9004-48ca-9889-bdf28f4e4128 | Urteilskopf
114 V 181
37. Urteil vom 24. Oktober 1988 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen G. und G. AG sowie Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 15, 92 Abs. 1 und 7 UVG
, Art. 22 Abs. 1, 2 und 4,
Art. 115 Abs. 2 UVV
: Prämienerhebung bei Mehrfachbeschäftigten.
Für die Prämienerhebung darf bei einem Versicherten, der in mehreren unterstellten Betrieben tätig ist, der Lohn insgesamt lediglich bis zum höchstversicherbaren Verdienst erfasst werden. | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 114 V 181 S. 181
A.-
Albert G. ist Verwaltungsratspräsident der Firma G. AG sowie Vizepräsident, Verwaltungsratsdelegierter und Protokollführer der Firma Z. AG. Die Angestellten beider Betriebe sind bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versichert. Die Entschädigungen, die Albert G. für seine Tätigkeit bei den beiden Firmen bezieht, übersteigen je den in der obligatorischen Unfallversicherung vorgeschriebenen Höchstbetrag des versicherten Verdienstes von Fr. 69'600.-- im Jahr, wie er in
Art. 22 Abs. 1 UVV
in der bis Ende 1986 gültig gewesenen Fassung festgelegt ist. Am 17. Juli 1984 eröffnete die SUVA Albert G. verfügungsweise, seine Lohnbezüge unterlägen ab 1. Januar 1984 für beide Anstellungsverhältnisse je bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes der Abrechnungs- und Beitragspflicht. Mit Entscheid vom 27. August 1984 lehnte die SUVA eine gegen die Verfügung erhobene Einsprache unter Hinweis auf
Art. 115
BGE 114 V 181 S. 182
Abs. 2 UVV
ab, wonach bei Mehrfachbeschäftigten der Lohn je Arbeitsverhältnis bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes zu erfassen sei.
Auf die Beschwerde des Albert G. hin wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 23. August 1985 die SUVA an, die Prämien auf den Lohnbezügen gesamthaft lediglich einmal im Rahmen des Höchstbetrages des versicherten Verdienstes zu erheben.
Die SUVA führte gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht. Dieses hob den angefochtenen Entscheid im materiellen Punkt sowie den Einspracheentscheid vom 27. August 1984 und die Verfügung vom 17. Juli 1984 auf, weil die Voraussetzungen zum Erlass einer Feststellungsverfügung nicht erfüllt waren (Urteil vom 31. Oktober 1986).
B.-
Mit Rechnung vom 28. Januar 1987 erhob die SUVA von der Firma G. AG für die Jahre 1984/85 auf der Grundlage einer Lohnsumme von Fr. 69'600.-- Prämien für Berufs- und Nichtberufsunfälle in der Höhe von insgesamt Fr. 2'195.70 (einschliesslich Verwaltungskosten und Zuschlag für Unfallverhütung).
Die gegen diese Verfügung erhobene Einsprache des Albert G. wies die SUVA mit Entscheid vom 17. März 1987 ab.
C.-
Diesen Entscheid liessen Albert G. und die Firma G. AG beschwerdeweise an das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern weiterziehen. Mit der Beschwerde wurde beanstandet, dass die SUVA auch auf der von der Firma G. AG ausgerichteten Entlöhnung Prämien erhebe, obschon bereits auf den von der Firma Z. AG ausbezahlten Entgelten Beiträge geleistet worden seien.
Das Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde gut, hob den Einspracheentscheid und die Prämienverfügung auf mit der Feststellung, dass die Prämien auf den Lohnbezügen von Albert G. bei der Firma G. AG und der Firma Z. AG für die Jahre 1984 und 1985 nur insgesamt im Rahmen des Höchstbetrages des versicherten Verdienstes von Fr. 69'600.-- zu erheben seien (Entscheid vom 18. September 1987).
D.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die SUVA die Aufhebung des kantonalen Entscheides.
Während Albert G. und die Firma G. AG die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen lassen, schliesst sich das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) der Auffassung der SUVA an.
BGE 114 V 181 S. 183
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 92 Abs. 1 UVG
werden die Prämien von den Versicherern in Promillen des versicherten Verdienstes festgesetzt (Satz 1). Sie bestehen aus einer dem Risiko entsprechenden Nettoprämie und aus Zuschlägen für die Verwaltungskosten, für die Kosten der Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten und für die nicht durch Zinsüberschüsse gedeckten Teuerungszulagen (Satz 2).
Art. 92 UVG
enthält ferner nähere Vorschriften über die Bemessung der Prämien (Abs. 2 bis 6). Abs. 7 delegiert an den Bundesrat folgende Rechtsetzungskompetenzen: Der Bundesrat kann Höchstansätze für die Prämienzuschläge nach Abs. 1 festlegen; er bestimmt die Frist für die Änderung der Prämientarife und die Neuzuteilung der Betriebe in Klassen und Stufen und erlässt Bestimmungen über die Prämienbemessung in Sonderfällen.
Art. 92 Abs. 1 UVG
geht für die Prämienfestsetzung vom versicherten Verdienst aus. Dieser Begriff wird in
Art. 15 UVG
umschrieben. Als versicherter Verdienst gilt für die Bemessung der Taggelder der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, für die Bemessung der Renten der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn (Abs. 2). Nach Abs. 3 setzt der Bundesrat den Höchstbetrag des versicherten Verdienstes fest und bezeichnet die dazu gehörenden Nebenbezüge und Ersatzeinkünfte. Er erlässt Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen, namentlich bei
a) langdauernder Taggeldberechtigung;
b) Berufskrankheiten;
c) Versicherten, die nicht oder noch nicht den berufsüblichen
Lohn erhalten;
d) Versicherten, die unregelmässig beschäftigt sind.
b) Nach
Art. 22 Abs. 1 UVV
(in der bis Ende 1986 gültig gewesenen Fassung) beläuft sich der Höchstbetrag des versicherten Verdienstes auf Fr. 69'600.-- im Jahr und Fr. 191.-- im Tag. Als versicherter Verdienst gilt, vorbehältlich von vier hier nicht interessierenden Ausnahmen, der nach der Bundesgesetzgebung über die AHV massgebende Lohn (Abs. 2). Während Abs. 3 die Berechnung des versicherten Verdienstes bei den Taggeldern näher regelt, normiert
Art. 22 Abs. 4 UVV
u.a. folgendes: Als Grundlage für die Bemessung der Renten gilt der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bei einem oder mehreren Arbeitgebern bezogene Lohn,
BGE 114 V 181 S. 184
einschliesslich noch nicht ausbezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht.
Gemäss
Art. 115 Abs. 1 UVV
werden die Prämien auf dem versicherten Verdienst im Sinne von
Art. 22 Abs. 1 und 2 UVV
erhoben, dies wiederum unter Vorbehalt verschiedener, hier nicht interessierender Abweichungen.
Art. 115 Abs. 2 UVV
lautet: Bei mehrfach Beschäftigten wird der Lohn je Arbeitsverhältnis bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes erfasst. Bei einer Beschäftigungsdauer von weniger als einem Jahr wird der Höchstbetrag des versicherten Verdienstes anteilmässig berechnet.
2.
a) Zunächst ist zu prüfen, welche Bedeutung dem
Art. 115 Abs. 2 UVV
zukommt, auf den sich der angefochtene Einspracheentscheid der SUVA stützt. Dazu meint die Vorinstanz, der Wortlaut von
Art. 115 Abs. 2 Satz 1 UVV
sei nicht eindeutig. Es sei fraglich, ob bei mehrfach Beschäftigten der Lohn je Arbeitsverhältnis und je bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes erfasst werden und der Prämienpflicht unterliegen solle oder ob der Lohn zwar je Arbeitsverhältnis bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes zu erfassen sei, wobei aber insgesamt nur der einfache Höchstbetrag prämienpflichtig wäre. Dieser Auffassung kann - mit der SUVA - nicht beigepflichtet werden. Durch die Wendung "je Arbeitsverhältnis" hat der Verordnungsgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Bezüge aus jedem der Versicherung unterstellten Arbeitsverhältnis bis zum Höchstbetrag des versicherten Verdienstes prämienpflichtig erklären will.
b) Damit beschränkt sich der Streit auf die Frage, ob
Art. 115 Abs. 2 Satz 1 UVV
übergeordnetem Gesetzes- oder Verfassungsrecht widerspricht. Dabei ist davon auszugehen, dass der Bundesrat an sich im Rahmen delegierter Rechtssetzungskompetenz zur Legiferierung in diesem Bereich zuständig ist, handelt es sich doch bei der Frage der Prämienpflicht auf Bezügen aus mehr als einem unterstellten Arbeitsverhältnis zweifellos um eine "Prämienbemessung in Sonderfällen", wozu der Bundesrat nach der klaren Bestimmung des
Art. 92 Abs. 7 Satz 2 UVG
Bestimmungen zu erlassen hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine vom Bundesrat im Rahmen delegierter Rechtssetzungskompetenz erlassene unselbständige Verordnungsbestimmung vor Gesetz und Verfassung standhält, ist praxisgemäss von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Das Eidg. Versicherungsgericht kann Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden
BGE 114 V 181 S. 185
Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom Bundesrat verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen
Art. 4 BV
, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten berücksichtigt werden sollen (
BGE 112 V 178
Erw. 4c,
BGE 111 V 284
Erw. 5a, 395 Erw. 4a,
BGE 110 V 256
Erw. 4a und 328 Erw. 2d, je mit Hinweisen).
3.
Aus dem bis Ende 1983 gültig gewesenen
Art. 112 Abs. 2 KUVG
geht hervor, dass auch unter dem alten Recht die Prämienerhebung auf den für das Krankengeld (
Art. 74 Abs. 2 KUVG
) und die Invalidenrente (
Art. 78 Abs. 5 KUVG
) massgeblichen höchstversicherbaren Verdienst von zuletzt 150 Franken im Tag bzw. 46'800 Franken im Jahr beschränkt war. Zur Prämienberechnung waren grundsätzlich somit jene Lohnbestandteile heranzuziehen, nach denen auch die Versicherungsleistungen bemessen wurden (MAURER, Recht und Praxis der Schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 333, N. 8 mit Hinweis auf EVGE 1934 S. 121). Zur Prämienpflicht bei im Rahmen mehrerer unterstellter Arbeitsverhältnisse tätigen Versicherten führte das Eidg. Versicherungsgericht im Fall eines Versicherten, der in zwei unterstellten Betrieben Direktor war, in EVGE 1926 S. 210 in Sachen B. aus: Dass der Versicherte schon als Direktor der E.-B. obligatorisch versichert sei und dieses Unternehmen für ihn auch tatsächlich die gesetzlichen Prämien bezahle, schliesse grundsätzlich nicht aus, dass er auch noch bei der Klägerin (der B.) von der obligatorischen Versicherung erfasst werde und dass auch die Klägerin für ihn prämienpflichtig sei. Dies könne aber nur dann
BGE 114 V 181 S. 186
der Fall sein, wenn für die SUVA infolge der zweifachen Anstellung auch ein doppeltes Versicherungsrisiko bestehe. Die Verpflichtung der Klägerin zur Prämienbezahlung sei deshalb jedenfalls insoweit zu bejahen, als es sich um die Versicherung ihres Direktors gegen Betriebsunfälle handle. Indem dieser neben seiner Tätigkeit als Direktor der E.-B. auch die Direktionsgeschäfte der Klägerin besorge, setze er sich einem doppelten Betriebsunfallrisiko aus, so dass die Erhebung einer doppelten Betriebsunfallprämie durchaus begründet erscheine. Anders verhalte es sich dagegen in bezug auf die Nichtbetriebsunfälle. Dass der Direktor in zwei Betrieben tätig sei, habe nicht zur Folge, dass auch ein zweifaches Nichtbetriebsunfallrisiko laufe. Für Nichtbetriebsunfälle dürfe daher die SUVA in solchen Fällen bei beiden Betrieben zusammen nur für einen Gesamtbetrag vom höchst versicherbaren Jahresverdienst Prämien beziehen. Und zwar seien diese in jenem Betrieb zu erheben, bei welchem der Versicherte das höhere Einkommen habe. Für diese Lösung in bezug auf den Ort der Prämienerhebung würden vor allem Erwägungen der Einfachheit und Zweckmässigkeit sprechen, zumal die Prämien für Nichtbetriebsunfälle ausschliesslich vom Versicherten geschuldet seien und es diesem gleichgültig sein könne, von welchem der beiden Lohnbeträge (
Art. 113 KUVG
) diese Prämien bezogen würden (EVGE 1926 S. 214).
Im ersten Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht hat die SUVA zu diesem Urteil ausgeführt, es seien Betriebsunfallprämien je auf dem Verdienst in beiden Betrieben zu erheben gewesen, während Nichtbetriebsunfallprämien für beide Versicherungsverhältnisse zusammen höchstens bis zum versicherten Verdienst hätten bezogen werden dürfen; bei dieser Lösung sei es bis zum Inkrafttreten des UVG geblieben. Richtig ist zwar, dass das Eidg. Versicherungsgericht das Urteil B. nicht in Frage gestellt bzw. sich während Jahrzehnten nie mehr zu der in jenem Urteil aufgeworfenen Frage ausgesprochen hat. Anderseits hat die SUVA in ihrem "Führer durch die obligatorische Unfallversicherung" (Ausgabe 1979, S. 151) für die Aufteilung des prämienpflichtigen Höchstverdienstes bei Beschäftigung in mehreren Betrieben folgendes vorgesehen:
"Arbeitet ein Versicherter ohne die Normalarbeitszeit zu überschreiten
- in mehreren unterstellten Betrieben und verdient er in allen zusammen jährlich mehr als 46'800 Franken, so muss jeder Betrieb innerhalb des gesetzlichen prämienpflichtigen Höchstverdienstes den Lohnanteil
BGE 114 V 181 S. 187
deklarieren, welcher der Dauer der täglichen Beschäftigung des Versicherten in einem Unternehmen entspricht."
Diese Weisung führt im Ergebnis zu der im vorliegenden Fall von der Vorinstanz getroffenen Lösung.
4.
a) In der Botschaft vom 18. August 1976 zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung hat der Bundesrat darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen über die Höhe der Festsetzung der Prämien im allgemeinen den bisher für die SUVA geltenden Vorschriften nachgebildet seien. Die von allen Versicherungsträgern nach gleichen Grundsätzen erhobenen Netto-(Risiko-)Prämien seien lohnbezogen. Der für den Prämienbezug massgebende Verdienst könne vom Bundesrat nach Art. 15 Abs. 3 näher umschrieben werden. Damit sei die Möglichkeit gegeben, beispielsweise für die Familienzulagen die bisherige Regelung beizubehalten, wonach diese wohl bei der Festsetzung von Versicherungsleistungen, nicht aber bei der Bestimmung der Prämien zu berücksichtigen seien (BBl 1976 III 219).
Diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass der versicherte Verdienst und damit auch die Höchstbeschränkung sowohl für die Leistungsseite wie für die Prämienseite von Bedeutung ist. Die parlamentarischen Beratungen zu Art. 92 der bundesrätlichen Vorlage, welcher dem geltenden
Art. 92 UVG
entspricht, enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass beim Vorliegen mehrerer unterstellter Arbeitsverhältnisse bei der Prämienfestsetzung über den nach
Art. 15 Abs. 3 UVG
höchst versicherbaren Jahresverdienst hinausgegangen werden wollte (Amtl.Bull. N 1979 S. 286 ff.; Amtl.Bull. S 1980 S. 499).
b) In seiner Botschaft vom 11. August 1976 über die Einführung der obligatorischen Arbeitslosenversicherung (Übergangsordnung) hat der Bundesrat auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Arbeitslosenversicherungs-Beitragswesen an die Erhebung der AHV-Beiträge anzukoppeln, weil das Unfallversicherungs-Obligatorium für alle Arbeitnehmer sich - entgegen den früheren Erwartungen - nicht rasch verwirklichen liess (BBl 1976 II 1599 f.). Insbesondere zum Entwurf zu Art. 2 Abs. 1 AlVB, wo die Plafonierung der Beiträge auf einem monatlichen Lohn von höchstens 3'900 Franken "je Arbeitsverhältnis" vorgesehen war, wird in der Botschaft ausgeführt (S. 1603):
"Gemäss Verfassungsauftrag ist der beitragspflichtige Lohn zu plafonieren. Zur Erleichterung der Abrechnungen wird der Höchstbetrag an
BGE 114 V 181 S. 188
die für die SUVA massgebende Grenze angeglichen, jedoch auf den Monat und das Beschäftigungsverhältnis bezogen."
In der Folge wurde diese Plafonierung je Arbeitsverhältnis nicht in Frage gestellt.
In der Botschaft vom 2. Juli 1980 zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung führte der Bundesrat im Zusammenhang mit Art. 2 betreffend Beitragsbemessung, welcher aus der Übergangsordnung im wesentlichen übernommen wurde, aus (BBl 1980 III 555 f.): Den in der Vernehmlassung geäusserten Bedenken gegen jede Plafonierung könne aus verfassungsrechtlichen Überlegungen nicht gefolgt werden; auch den Vorschlägen, die auf eine massive Erhöhung des massgebenden Höchstbetrages hinausliefen, könne nicht entsprochen werden. Der Einbezug von Nebeneinkünften in die Beitragsbemessung sei eine notwendige und nicht ungewollte Folge der schon unter der Übergangsordnung geltenden Regelung, "wonach Einkommen aus jedem Arbeitsverhältnis bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden". Das gleiche ergibt sich aus der eindeutigen Stellungnahme des damaligen Bundespräsidenten Honegger auf eine entsprechende Anfrage von Ständerat Hefti (Amtl.Bull. S 1982 S. 129 und 149 f.).
5.
a) Sowohl in der Arbeitslosenversicherung als auch in der obligatorischen Unfallversicherung sind die Geldleistungen plafoniert, d.h. nach Massgabe des höchstversicherbaren Verdienstes beschränkt, ohne Rücksicht darauf, ob die Lohnbezüge aus einem oder mehreren der Versicherung unterliegenden Arbeitsverhältnissen stammen. Dies bringt namentlich der bereits zitierte Art. 22 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 UVV zum Ausdruck. Wenn nun die Versicherten bzw. deren Arbeitgeber zu Beiträgen oder Prämien auf Entgelten verpflichtet werden sollen, welche insgesamt über den höchstversicherbaren Verdienst hinausgehen, dann handelt es sich dabei offensichtlich um reine Solidaritätsbeiträge. Wie die dargelegte Entstehungsgeschichte des AlVB und des AVIG zeigt, wollten die gesetzgebenden Organe in der Arbeitslosenversicherung bewusst diese Solidaritätskomponente verwirklichen. Sie haben sie auch klar im Gesetz verankert (Art. 2 Abs. 1 AlVB und
Art. 3 Abs. 1 AVIG
). In der Unfallversicherung dagegen verhält es sich anders. Weder haben die mit dem Erlass des UVG befassten Behörden zur Problemstellung klar Stellung genommen, noch ordnet das UVG in der positives Recht gewordenen Fassung die Zahlung von Solidaritätsbeiträgen an. Entsprechend den Grundsätzen
BGE 114 V 181 S. 189
der Praxis zur gesetzlichen Grundlage als Voraussetzung für die Erhebung von Abgaben muss aber verlangt werden, dass eine Beitragsordnung mit Solidaritätskomponenten im Gesetz klar verankert wird, wie dies - wie gesagt - für das AVIG, nicht aber für das UVG zutrifft. Denn die Zahlung von Prämien auf Einkommen, die sich in keinem Fall bei der Zusprechung von Geldleistungen (Renten oder Taggeldern) niederschlagen, läuft auf eine voraussetzungslos geschuldete Abgabe hinaus, die ohne klare gesetzliche Grundlage nicht zulässig ist.
b) Durchführungstechnische Bedenken sind demgegenüber nicht stichhaltig. Auch die von der SUVA befürwortete Lösung würde Koordinationsvorschriften erforderlich machen, vor allem beispielsweise im Falle, dass der mehrfach beschäftigte Versicherte einerseits in einem der SUVA unterstellten Betrieb, anderseits in einer Unternehmung tätig wäre, die einem privaten Unfallversicherer angeschlossen ist. Es ist indessen nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern Sache des Gesetzgebers, die erforderlichen Koordinationsvorschriften aufzustellen oder durch eine Änderung des UVG bezüglich der Prämienzahlungspflicht die grundsätzlich gleiche Rechtslage wie im AVIG (Plafonierung des beitragspflichtigen Verdienstes je Arbeitsverhältnis) zu schaffen.
c) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die SUVA und die anderen Versicherer bei einem Versicherten, der in mehreren unterstellten Betrieben tätig ist, für die Prämienerhebung den Lohn insgesamt lediglich bis zum höchstversicherbaren Verdienst erfassen dürfen. Das ist im vorliegenden Fall durch die Prämienerhebung bei der Firma Z. AG bereits geschehen, weshalb auf den Arbeitsentgelten, welche Albert G. von der Firma G. AG bezieht, nicht auch noch Prämien bezogen werden dürfen. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich deshalb als unbegründet.
6.
... | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d02b9c06-ff76-479e-8552-57cb067d2530 | Urteilskopf
119 Ia 1
1. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Januar 1993 i.S. R. gegen B. und K. und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Willkür; Kostenauflage im Zivilprozess.
Es ist nicht willkürlich, die Kosten eines Rechtsmittelverfahrens, das durch fehlerhaftes Vorgehen des erstinstanzlichen Richters veranlasst wurde, dem Rechtsmittelbeklagten aufzuerlegen, wenn er am Rechtsmittelverfahren teilnimmt und Abweisung des Rechtsmittels beantragt. | Erwägungen
ab Seite 1
BGE 119 Ia 1 S. 1
Aus den Erwägungen:
1.
Das Obergericht des Kantons Aargau hob auf Beschwerde des B. und K. mit Entscheid vom 13. März 1992 den erstinstanzlichen Entscheid hinsichtlich der Kostenauflage auf. Die durch das fehlerhafte Vorgehen des erstinstanzlichen Richters verursachten Prozess- und gegnerischen Parteikosten wurden auf die Gerichtskasse genommen. Dagegen auferlegte das Obergericht die Gerichtskosten des Rechtsmittelverfahrens sowie die gegnerischen
BGE 119 Ia 1 S. 2
Parteikosten nach Massgabe des Unterliegens dem R., der Abweisung der Kostenbeschwerde beantragt hatte.
Eine gegen die obergerichtliche Kostenverlegung erhobene staatsrechtliche Beschwerde des R. weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.
6.
Der Beschwerdeführer rügt, das Obergericht habe
§
§ 112, 119 und 120 ZPO
AG unzutreffend angewendet.
§ 112 ZPO
AG, wonach die Gerichts- und Parteikosten der unterliegenden Partei auferlegt werden, komme nur zur Anwendung, wenn ein Verfahren durch einen unbegründeten Parteiantrag veranlasst worden sei, was allerdings vorliegend nicht zutreffe.
a) Nach
§ 112 Abs. 1 ZPO
AG werden die Gerichtskosten und die Parteikosten des Gegners in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Ein Verschulden wird dabei nicht vorausgesetzt, sondern es genügt die erfolglose Veranlassung des Prozesses (EICHENBERGER, Zivilrechtspflege des Kantons Aargau, N. 2 zu
§ 112 ZPO
).
§ 119 ZPO
AG sieht ausnahmsweise eine Gerichtskostenbefreiung vor, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen, insbesondere wenn die Kosten von keiner Partei veranlasst worden sind. Nach EICHENBERGER (a.a.O., N. 1 zu
§ 119 ZPO
) ist die Gerichtskostenbefreiung meistens in einem Verfahren auf Erläuterung, Berichtigung oder Ergänzung eines Urteils gerechtfertigt, kann unter Umständen auch in einem Rechtsmittelverfahren gegen ein Urteil angezeigt sein, das nicht durch eine Partei veranlasst worden, sondern auf fehlerhaftes Vorgehen der unteren Instanz zurückzuführen ist. Schliesslich kann nach
§ 120 ZPO
AG das Obergericht zu Lasten der Gerichtskasse ganz oder teilweise Ersatz der Parteikosten zusprechen, wenn durch Verstoss des erstinstanzlichen Richters gegen grundlegende gesetzliche Bestimmungen einer Partei Kosten entstanden sind.
b) Der Beschwerdeführer hat im Rechtsmittelverfahren die Abweisung der Kostenbeschwerde beantragt. Das Obergericht heisst die Beschwerde jedoch gut und legt die Kosten gemäss der allgemeinen Kostenverteilungsregel von
§ 112 ZPO
AG dem Beschwerdeführer als unterliegende Partei auf. Diese Kostenauflage widerspricht dem Willkürverbot nicht. Im Zivilprozess gilt als Hauptgrundsatz für die Kostenverteilung das Erfolgsprinzip (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 406; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Aufl. 1992, S. 262 N. 24). Dieses beruht auf der Vermutung, dass die unterliegende Partei die Kosten verursacht hat (HUGO CASANOVA, Die Haftung der Parteien für prozessuales Verhalten, Diss. Freiburg 1982, S. 24; GUIDO ENRIQUE FISCHER, Die
BGE 119 Ia 1 S. 3
Kostenverteilung im aargauischen Zivilprozessrecht, Diss. Basel 1984, S. 10). Die Kostenverursachung ist dabei nicht in einem engen Sinn zu verstehen, wonach eine Partei nur solche Kosten zu tragen habe, die durch ihr Verhalten unmittelbar entstanden sind. Darunter fallen vielmehr auch Kosten, die durch Massnahmen des Richters im Interesse oder auf Antrag einer Partei veranlasst worden sind. Wer ein Rechtsmittel ergreift oder sich auf ein Rechtsmittelverfahren einlässt und entsprechende Rechtsbegehren stellt, hat mit seinem Unterliegen zu rechnen und die damit verbundenen finanziellen Folgen zu tragen. Will eine Partei ein solches Prozessrisiko nicht auf sich nehmen, hat sie sich vom Prozess zu distanzieren. Es steht ihr frei, sich am Rechtsmittelverfahren nicht zu beteiligen und auf eine Stellungnahme zu verzichten. Vorliegend hat der Beschwerdeführer am Beschwerdeverfahren teilgenommen, Abweisung der Beschwerde beantragt und dies auch eingehend begründet, obwohl der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens für ihn eigentlich nicht von Interesse war. Durch seine Teilnahme am Rechtsmittelverfahren hat er damit auch das Risiko auf sich genommen, im Falle der Gutheissung der Beschwerde mit seinem Antrag zu unterliegen und kostenpflichtig zu werden. Die Frage, welche Partei unterlegen ist und damit die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, beurteilt sich dabei nach Massgabe des Rechtsbegehrens. Da der Beschwerdeführer auf Abweisung der Beschwerde geschlossen hat, ist er als unterliegende Partei zu betrachten. Auch wenn die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers und einer Minderheit des Obergerichts ebenfalls vertretbar erscheint, ist die beanstandete Kostenverlegung nicht schon daher willkürlich.
Gleich wie das Obergericht verlegt im übrigen auch das Bundesgericht die Kosten. Es auferlegt diese grundsätzlich der unterliegenden Partei. Namentlich im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren wird bei der Kostenverteilung nur darauf abgestellt, welche Partei mit ihrem Antrag unterlegen ist. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d02bca82-def5-4bf5-ab0c-45ddeed7c8e6 | Urteilskopf
102 Ia 23
5. Auszug aus dem Urteil vom 18. Februar 1976 i.S. Schindler gegen Kantonsgericht des Kantons Schwyz. | Regeste
Art. 4 BV
; Postulationsfähigkeit des amtlich verteidigten Angeklagten.
Die Rückweisung einer Eingabe des Angeklagten mit der Begründung, dieser werde amtlich verteidigt, verletzt den bundesrechtlichen Gehörsanspruch jedenfalls dann, wenn es sich um ein förmliches Rechtsmittel handelt und der amtliche Verteidiger selber nicht innert Frist gehandelt hat. | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 102 Ia 23 S. 24
Gegen Dr. med. Richard Schindler wurden ab Ende 1971 verschiedene Ehrverletzungsprozesse angehoben. Anlass dazu boten Äusserungen, mit denen Dr. Schindler seinem Unmut darüber Ausdruck gab, dass der Regierungsrat des Kantons Schwyz oder eines seiner Departemente sich in einen vor dem Kantonsgericht hängigen Zivilprozess - in welchem Dr. Schindler Partei war - eingemischt hätten. Am 5. Mai 1975 urteilte das Bezirksgericht Höfe über die Ehrverletzungssache in erster Instanz. Am 28. August 1975 stellte Dr. Schindler bei diesem Gericht ein Gesuch um Erläuterung und Berichtigung jenes Entscheids. Das Gesuch wurde mit Beschluss vom 4. September 1975 abgewiesen. Dagegen erhob Dr. Schindler am 29. September 1975 Beschwerde an das Kantonsgericht. Er beantragte u.a., der angefochtene Beschluss sei aufzuheben und das Bezirksgericht sei anzuweisen, den Entscheid vom 5. Mai 1975 zu erläutern und zu berichtigen. Eventuell seien die im angefochtenen Beschluss festgesetzten Kosten zu reduzieren. Die Beschwerde wurde Dr. Schindler am 30. September 1975 unbehandelt zurückgesandt. Im Begleitschreiben führte der Kantonsgerichtsschreiber aus, persönliche Eingaben von Dr. Schindler würden nicht behandelt. Ihm sei für den Ehrverletzungsprozess ein amtlicher Verteidiger bestellt worden, der das Nötige vorzukehren habe. Künftige Eingaben Dr. Schindlers würden unbehandelt ad acta gelegt. - Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde Dr. Schindlers gutgeheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
§ 61 Abs. 2 des Gesetzes vom 10. Dezember 1956 über die Strafprozessordnung im Kanton Schwyz (aStPO) lautet:
"Dem Angeklagten, der nicht selber einen Verteidiger bestellt, ist ein
amtlicher Verteidiger beizugeben:
a) in kriminalgerichtlichen Fällen,
b) in den übrigen Fällen, wenn besondere Umstände dies erfordern,
namentlich wenn der Angeschuldigte wegen seiner Jugend oder Unerfahrenheit
oder aus anderen Gründen nicht im Stande ist, seine Rechte zu wahren, wenn
eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder eine Verwahrung oder
Versorgung in Frage steht oder wenn die Bedeutung der Strafsache dies
rechtfertigt."
Das Bezirksgericht hat dem Beschwerdeführer gestützt auf lit. b der angeführten Bestimmung einen amtlichen Verteidiger
BGE 102 Ia 23 S. 25
bestellt und dies folgendermassen begründet: Der Angeklagte sei zwar als beruflich hervorragend qualifizierter Chirurg und Arzt bekannt; er sei jedoch in juristischer Hinsicht ein Laie und, wie das Gericht bei der Behandlung der zivilprozessualen Ehrverletzungsklage habe feststellen müssen, kaum in der Lage, seine Rechte gehörig zu wahren. Er kenne sich insbesondere in den Verfahrensvorschriften nicht genügend aus und könne die wesentlichen von den unerheblichen Faktoren nicht trennen. Angesichts der Bedeutung der Strafsache dränge sich deshalb im Interesse des Angeklagten und eines geordneten Verfahrens auf, dem Angeklagten einen amtlichen Verteidiger zu geben.
Weder das Bezirksgericht noch das Kantonsgericht haben angenommen, dass dem Beschwerdeführer die notwendige Urteils- und damit die prozessuale Handlungsfähigkeit fehle. Das Kantonsgericht stützte die Rückweisung der von Dr. Schindler persönlich eingereichten Rechtsschrift einzig auf die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer ein amtlicher Verteidiger bestellt worden sei. Streitig ist demnach, ob durch die amtliche Verteidigung die Postulationsfähigkeit des Beschwerdeführers, also die Befähigung, prozessuale Parteihandlungen persönlich vorzunehmen, aufgehoben worden ist.
Nach § 17 lit. a der Verordnung vom 28. August 1974 über den Strafprozess im Kanton Schwyz (nStPO) ist der Angeschuldigte oder Angeklagte Partei im Strafverfahren. Gemäss § 18 Abs. 1 hat er das Recht, einen Verteidiger zu bestellen. Ist der Angeschuldigte nicht handlungsfähig, so steht dieses Recht auch seinem gesetzlichen Vertreter zu. § 135 Abs. 1 nStPO lautet:
"Die Rechtsmittel stehen zu:
a) den Parteien und ihren gesetzlichen Vertretern,
b) dem Verteidiger, sofern der Vertretene nicht ausdrücklich auf das
Rechtsmittel verzichtet,
c) ...."
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nicht hervor, dass der formell verteidigte Beschuldigte lediglich darüber zu entscheiden hätte, ob ein Rechtsmittel zu ergreifen sei, dass er ein Rechtsmittel selbständig jedoch nicht einreichen könne. Die entsprechende Auffassung des Kantonsgerichts lässt sich demnach nicht auf den ausdrücklichen Gesetzestext stützen; sie wird vom Gesetzestext aber auch nicht geradezu ausgeschlossen.
BGE 102 Ia 23 S. 26
Für die streitige Frage ergibt sich auch aus der Systematik von § 135 nStPO und aus lit. b dieser Bestimmung nichts eindeutiges. Wohl werden die Parteien in der Aufzählung der Personen, denen die Rechtsmittel "zustehen", an erster Stelle, vor dem Verteidiger genannt. Doch lässt sich dies hinreichend damit begründen, die Bestimmung gehe vorerst vom Fall aus, dass einer Partei kein Verteidiger zur Seite stehe; § 135 nStPO hat zudem nicht nur die Rechtsmittelbefugnis des Angeklagten, sondern auch die der übrigen am Strafverfahren Beteiligten zu regeln. Dass dem Verteidiger ein Rechtsmittel schliesslich nur dann zusteht, wenn der Vertretene nicht ausdrücklich darauf verzichtet hat, ergibt für die zu beurteilende Frage ebenfalls keinen eindeutigen Hinweis.
Nach § 92 nStPO haben die "Richter, die Parteien und der Verteidiger" das Recht, an die Zeugen und Sachverständigen Fragen stellen zu lassen. Weiter setzt § 94 nStPO fest, dass dem Angeklagten das letzte Wort zusteht (vgl. ferner § 66 nStPO). Aus diesen beiden Bestimmungen ergibt sich in klarer Weise, dass dem amtlich verteidigten Angeklagten die Fähigkeit, prozessuale Parteihandlungen selbständig vorzunehmen, jedenfalls nicht vollständig entzogen ist. Allerdings lässt sich auch daraus die Frage, ob auf ein vom Angeklagten selbständig verfasstes und eingereichtes Rechtsmittel eingetreten werden muss, nicht eindeutig beantworten. Es kann demnach nicht gesagt werden, das Kantonsgericht habe mit seiner Verfügung die einschlägigen Bestimmungen des schwyzerischen Strafprozessrechts in geradezu willkürlicher Weise ausgelegt.
Zu prüfen bleibt jedoch, ob die Rückweisung der von Dr. Schindler eingereichten Beschwerde vor dem aus
Art. 4 BV
fliessenden Gehörsanspruch standhält. Das Bundesgericht prüft diese Frage mit freier Kognition.
Das schwyzerische Recht kennt für den Strafprozess - in Übereinstimmung mit den Regelungen der anderen Kantone - keinen eigentlichen Anwaltszwang. Vielmehr geht es davon aus, dass der prozessfähige Beschuldigte befugt ist, seine prozessualen Rechte entweder selbständig auszuüben oder dafür einen Verteidiger seiner Wahl beizuziehen. In den Fällen hingegen, die § 61 Abs. 2 nStPO umschreibt, ist dem Angeklagten, der nicht selber einen Vertreter bestellt hat, ein amtlicher Verteidiger beizugeben. Nach der heute vorherrschenden Rechtsauffassung ist die formelle Verteidigung eines Beschuldigten
BGE 102 Ia 23 S. 27
im öffentlichen Interesse geboten, wenn kein blosser Bagatellfall zu beurteilen ist und der Anklagesachverhalt in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, denen der Beschuldigte nicht gewachsen ist. Damit wird nicht nur bezweckt, einen geordneten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten; die formelle Verteidigung soll vor allem dazu dienen, das materielle Ziel des Verfahrens zu erreichen; sie soll es dem Gericht ermöglichen, die Wahrheit zu finden und ein gerechtes Urteil zu fällen (
BGE 95 I 361
;
BGE 100 Ia 186
ff.). Ob und inwieweit auf einzelne, vom amtlich verteidigten Angeklagten selbständig verfasste und eingereichte Eingaben eingetreten werden muss, ist im vorliegenden Fall nicht umfassend zu prüfen (vgl. immerhin
BGE 95 I 362
: vgl. zum Rückzug eines Rechtsmittels ferner: nicht veröffentlichtes Urteil Studer vom 3. Februar 1976). Es genügt die Feststellung, dass in einem Strafprozess jedenfalls nicht ein förmliches Rechtsmittel, das vom Angeklagten eingereicht worden ist, von der Hand gewiesen werden kann, wenn der amtliche Verteidiger selber nicht innert Frist gehandelt hat. Gerade so stellt sich der Sachverhalt dar, der hier zu beurteilen ist. Wie es sich verhält, wenn in einem Strafprozess sowohl der amtliche Verteidiger wie auch der Angeklagte ein Rechtsmittel eingereicht haben, kann demgegenüber offen bleiben. Ebenso muss in diesem Verfahren nicht beurteilt werden, wie es sich mit Eingaben verhält, die nicht in gleicher Weise wie ein förmliches Rechtsmittel unter Verwirkungsfolge innert einer bestimmten Frist eingereicht werden müssen, sondern dem Gericht jederzeit neu vorgelegt werden können. Wollte man auf eine förmliche Beschwerde des amtlich verteidigten Angeklagten nicht eintreten, wenn sein Beistand selber nicht gehandelt hat, so würden die Verteidigungsrechte des Beschuldigten in schwerwiegender Weise verkürzt. Dies verletzt den verfassungsmässigen Gehörsanspruch und verfehlt den Sinn und Geist der amtlichen Verteidigung. Das Kantonsgericht hat demnach dem Beschwerdeführer das Recht verweigert, indem es seine persönlich verfasste und eingereichte Rechtsschrift ohne nähere Prüfung zurückwies. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d02e9a5d-1bce-404e-8377-c971f9094528 | Urteilskopf
92 IV 92
24. Urteil des Kassationshofes vom 12. Juli 1966 i.S. Gemper gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art. 138 Abs. 1 StGB
.
Aus Leichtsinn handelt, wer die Entwendung unbedacht begeht. | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 92 IV 92 S. 92
A.-
Gemper kaufte am Vormittag des 25. September 1965 im Selbstbedienungsladen der Konsumgenossenschaft Bern, Filiale Effingerstrasse, verschiedene Waren. Bei dieser Gelegenheit liess er in seiner Mappe fünf Tafeln Schokolade und eine Tube Kondensmilch im Wert von zusammen Fr. 7.55 verschwinden, die er beim Verlassen des Geschäftes nicht an der Kasse zur Bezahlung vorwies.
B.-
Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern verurteilte Gemper am 24. Februar 1966 wegen Diebstahls zu einer auf zwei Jahre bedingt aufgeschobenen Strafe von vier Tagen Gefängnis.
C.-
Gemper führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie dem Verfahren keine Folge gebe oder ihn freispreche. Er macht geltend, ein Diebstahl liege nicht vor und wegen Entwendung könne er mangels Strafantrages nicht verurteilt werden.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist einzig, ob der Beschwerdeführer die Esswaren von geringem Wert aus Leichtsinn gemäss
Art. 138 StGB
oder in der Absicht unrechtmässiger Bereicherung weggenommen hat.
Leichtsinn bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch, dass jemand unbedacht, unüberlegt handelt.
Art. 138 StGB
setzt nicht einen besonders gearteten Leichtsinn voraus. Der Mangel an Überlegung kann demnach sowohl durch besondere Umstände des einzelnen Falles hervorgerufen werden als auch im Charakter oder in der Geistesverfassung des Täters begründet sein. Leichtsinnig handelt daher nicht bloss, wie die Vorinstanz annimmt, wer die Tat in einer augenblicklichen Anwandlung von Übermut oder Mutwillen begeht. Der Leichtsinn kann auch
BGE 92 IV 92 S. 93
z.B. auf einen Depressionszustand des Täters zurückzuführen sein, was indessen nicht heisst, dass ein depressiv gestimmter Täter die strafbare Handlung immer unüberlegt begangen haben muss, so wenig von einem charakterlich haltlosen oder leichtsinnigen Menschen gesagt werden kann, seine Handlungen beruhten stets auf einem Mangel an Überlegung.
2.
Das Obergericht hält es für unwahrscheinlich, aber auch nicht ganz für ausgeschlossen, dass sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Tat in einer depressiven Stimmung befand. Es gelangt jedoch gestützt auf die gesamten Umstände zum Schluss, dass nicht diese Stimmung ausschlaggebender Grund für die Wegnahme der Esswaren war, sondern der Wille, sich auf billige Art und Weise Lebensmittel zu verschaffen. Diese Feststellung, die tatsächlicher Natur ist, bindet den Kassationshof (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
;
BGE 74 IV 205
;
BGE 81 IV 130
, 237, 283). Aus ihr ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ausschliesslich oder doch hauptsächlich durch die Absicht unrechtmässiger Bereicherung zur Tat bestimmt worden ist. Er hat somit nicht unbedacht und infolgedessen nicht aus Leichtsinn gehandelt. Seine Verurteilung wegen Diebstahls nach
Art. 137 StGB
verletzt daher nicht Bundesrecht.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d02ed0e8-01fa-46fe-8d28-4d272f08da16 | Urteilskopf
123 III 49
7. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1996 i.S. K. Z. gegen M. Z. und Mitbeteiligte (Berufung) | Regeste
Art. 602 ff. und 626 ff. ZGB
, die Ausgleichungsklage im Erbteilungsverfahren.
Voraussetzungen, unter denen das Interesse an einer blossen Feststellung der Ausgleichungspflicht und des ihr unterworfenen Wertes im Rahmen des Erbteilungsverfahrens bejaht werden kann (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 123 III 49 S. 49
Auf Klage der Geschwister M. Z., E. V.-Z., T. S.-Z., B. Z. und M. G.-Z. erklärte das Landgericht Uri mit Urteil vom 18. Januar 1996 den Bruder K. Z. für eine vom Erblasser (L. Z. sel.) lebzeitig erhaltene
BGE 123 III 49 S. 50
Liegenschaft in F. als ausgleichungspflichtig zum Wert von Fr. 300'000.--. In Abweisung der Berufung des Beklagten bestätigte das Obergericht des Kantons Uri mit Urteil vom 29. Mai 1996 den erstinstanzlichen Entscheid.
Der Beklagte beantragt mit Berufung, das Urteil des Obergerichts aufzuheben, die Klage abzuweisen und eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet; die Klägerinnen schliessen auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Das Obergericht kommt in seinem Endentscheid nach
Art. 48 Abs. 1 OG
zum Schluss, das Landgericht Uri habe auf die Klage, mit der die Feststellung der Ausgleichungspflicht des ihr unterliegenden Wertes beantragt worden war, eintreten dürfen. Weil über die Ausgleichung immer vor der Erbteilung befunden werden müsse und diese durch die Ausgleichungsklage einen Schritt vorangebracht werde, könne nach Abschluss des Prozesses immer noch auf Teilung geklagt werden. Der Beklagte macht unter Hinweis auf ein insoweit zu berücksichtigendes Rechtsgutachten (
BGE 109 II 280
E. 2;
BGE 108 II 167
E. 5;
BGE 105 II 1
E. 1; unveröffentlichte E. 2 von
BGE 113 II 522
) von Prof. L. geltend, das Obergericht hätte wegen Fehlens eines Rechtsschutzinteresses nicht auf die Klage eintreten dürfen. Die bloss auf Feststellung abzielende Ausgleichungsklage müsse als rechtsgestaltende Erbteilungsklage erhoben werden.
a) Dass die Ausgleichung im Rahmen der Erbteilung zu prüfen ist, belegt schon die Gesetzessystematik, nach welcher der Abschnitt über die Ausgleichung (
Art. 626 ff. ZGB
) zwischen demjenigen über die Teilungsart (
Art. 607 ff. ZGB
) und den Bestimmungen über Abschluss und Wirkung der Teilung liegt (
Art. 634 ff. ZGB
). Davon ausgehend erkennt die Lehre der Ausgleichungsklage ohne eingehende Auseinandersetzung mit dem Feststellungsinteresse eine selbständige Rolle zu; auf Ausgleichung soll entweder in einem eigenen Verfahren oder auch bloss mit einem selbständigen Feststellungsbegehren im Erbteilungsprozess selbst geklagt werden können (LIONEL HARALD SEEBERGER, Die richterliche Erbteilung, Diss. Freiburg 1992, S. 243, 245 f. bei 17 bis 19 und S. 295; ESCHER, N. 5 zu
Art. 538 ZGB
, N. 14 der Bemerkungen vor
Art. 598 ZGB
, N. 16 bis 17a der Bemerkungen vor
Art. 626 ff. ZGB
; TUOR/PICENONI, N. 9
BGE 123 III 49 S. 51
und 14 zu
Art. 538 ZGB
, N. 7 der Bemerkungen vor
Art. 626 ff. ZGB
und N. 2d zu
Art. 626 ZGB
; PIOTET, SPR IV/1 S. 321 nach Fn. 111, SPR IV/2, S. 553 bei Fn. 19 und S. 675 nach Fn. 8). Während ARTHUR JOST die Ausgleichungsklage auch bei noch nicht ausgeübtem Wahlrecht nach
Art. 628 Abs. 1 ZGB
als Leistungsklage ausgestaltet haben will, weil die Ausgleichung erzwingbar sein müsse (Der Erbteilungsprozess, Bern 1960, S. 131 nach Fn. 2), ist ESCHER im Gegensatz zu
BGE 84 II 685
E. 3 S. 694 der Ansicht, gerade im Fall des noch nicht ausgeübten Wahlrechts müsse ein Interesse an der Feststellung der Ausgleichungspflicht generell bejaht werden (N. 17a der Bemerkungen vor
Art. 626 ZGB
). Das Obergericht greift zu kurz, wenn es aus dem Umstand, dass die Ausgleichungsklage im Erbteilungsprozess erhoben werden kann und häufig eine partielle Erbteilungsklage mit selbständigem Rechtsbegehren darstellt, den Schluss zieht, ein Feststellungsinteresse sei stets gegeben.
Das zum Bundesrecht gehörende und von diesem beschränkte Feststellungsinteresse kann tatsächlicher oder rechtlicher Art sein und ist als Prozessvoraussetzung, soweit es den Sachverhalt betrifft, vom Kläger nachzuweisen. Es fehlt in der Regel, wenn eine Leistungsklage zur Verfügung steht, mit der ein vollstreckbares Urteil erwirkt werden kann; diesfalls ist auf die Feststellungsklage nicht einzutreten. Ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Behandlung wird hingegen bejaht, wenn die Ungewissheit der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien durch die richterliche Feststellung behoben werden kann und ihre Fortdauer für den Kläger unzumutbar ist (
BGE 122 II 97
E. 3;
BGE 120 II 20
E. 2 und 3a;
BGE 119 II 368
E. 2a;
BGE 118 II 254
E. 1c, 435 E. 3a und 521 E. 2a;
BGE 116 II 196
E. 1b und 2a;
BGE 110 II 352
E. 1a, 1c und 2). Das ist beispielsweise der Fall, wenn für längere Zeit nicht auf Leistung oder nicht auf vollen Schadenersatz geklagt werden kann (
BGE 114 II 253
E. 2a;
BGE 103 II 220
E. 3). Weil ein rechtsgestaltendes Teilungsurteil gleich wie ein auf eine Leistung erkennendes Urteil vollstreckbar ist, muss auch die Teilungsklage einer Feststellungsklage vorgehen (vgl.
BGE 119 II 368
E. 2a;
BGE 112 V 81
E. 2a S. 84;
BGE 108 Ib 540
E. 3 S. 546 und JOST, a.a.O., S. 36 ff.).
Das Bundesgericht hat eine auf Ausgleichung abzielende Klage, mit der Erben einen Teil des nach bereits abgeschlossener Erbteilung bei einem Miterben aufgefundenen Vorempfanges herausverlangten, als zulässig erachtet (
BGE 67 II 207
E. 2 S. 210 f.). Es hat erwogen, das auf einen bezifferten Geldbetrag lautende Leistungsbegehren genüge auch für den Fall, dass der Beklagte noch nicht erklärt hat, ob er den Vorempfang in den Nachlass einwerfen oder bloss
BGE 123 III 49 S. 52
dessen Wert an seinen Erbteil angerechnet haben will (
Art. 628 Abs. 1 ZGB
; vgl. zur Kritik im Fall des noch nicht ausgeübten Wahlrechts
BGE 84 II 685
E. 3 S. 694 f., TH. GUHL, ZBJV 78/1942, S. 502, F. GUISAN, JdT 90/1942 I, S. 147 f. und JOST, a.a.O., S. 132). Mit
BGE 84 II 685
wurde über die Klage einer Erbin befunden, die wegen heimlicher Begünstigung ihrer Miterben einen Erbvertrag und einen den Nachlass des Erblassers betreffenden Teilungsvertrag anfocht. Ihr Hauptbegehren auf Feststellung des Nachlasses und der Ungültigkeit beider Verträge ist von beiden kantonalen Instanzen abgewiesen und vom Bundesgericht als unzulässig erklärt worden mit der Begründung, bei längst liquiden Ansprüchen fehle ein Feststellungsinteresse, weil auf eine vollstreckbare Leistung geklagt werden könne (
BGE 84 II 685
E. 2 S. 691 f.). In einer weiteren Erwägung führt das Bundesgericht aus, im Zusammenhang mit der Erbteilungsklage geltend gemachte Ansprüche (Herabsetzung und Ausgleichung) müssten nicht in jedem Fall als Leistungsbegehren gestellt werden. Jedoch gehe es nicht an, sie in Feststellungsklagen zu kleiden mit der Folge, dass bis zur endgültigen Erbteilung mehrere aufeinanderfolgende Prozesse geführt werden könnten (
BGE 84 II 685
E. 3 S. 693 f.).
b) Würde die Ausgleichungsklage ungeachtet der Tatsache, dass hier die Erbteilung noch bevorsteht, und ohne Nachweis der tatsächlichen Komponente des Feststellungsinteresses zugelassen, wäre möglich, was die Rechtsprechung verhindern wollte: zwei selbständige aufeinanderfolgende Prozesse, von denen notwendigerweise erst der zweite die Erbteilung herbeizuführen vermöchte. Weil angesichts des Hauptantrages der Berufung (Abweisung der Klage) nicht gesagt werden kann, die Parteien vermöchten sich nach Vorliegen eines die Ausgleichungspflicht bejahenden Urteils mit hoher Wahrscheinlichkeit gütlich zu einigen, und weil der angefochtene Entscheid keine tatsächlichen Feststellungen zum Stand des Erbteilungsverfahrens enthält, kann das Bundesgericht nicht beurteilen, ob ein Feststellungsinteresse bundesrechtskonform bejaht worden ist, weshalb die Streitsache in Gutheissung der Berufung zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird (
Art. 64 Abs. 1 OG
).
An
BGE 84 II 685
kann ohne Einschränkungen festgehalten werden, lässt er doch Spielraum für besondere Situationen offen. Das von Amtes wegen zu prüfende Feststellungsinteresse (vgl.
Art. 94 Abs. 1 und 2 lit. d ZPO
/UR und
BGE 120 II 270
E. 1 und 352 E. 1) wäre beispielsweise bei Vorliegen eines Erbteilungsvertrages gegeben,
BGE 123 III 49 S. 53
der unter Ergänzung der dem Richter unterbreiteten und von ihm entschiedenen Punkte vollstreckt werden könnte. Da die Erbteilung auch auf Teilungsvertrag (
Art. 634 Abs. 1 ZGB
) oder Vergleich beruhen kann, wäre es nicht zweckmässig, wenn der Richter in solchen Fällen ein Feststellungsinteresse verneinen und sich die endgültige Teilung vorbehalten würde. Das widerspräche nicht nur dem Grundsatz der Prozessökonomie, sondern würde auch die Dispositionsmaxime verletzen. Aus den gleichen Gründen wäre eine bloss auf Feststellung zielende Ausgleichungsklage zulässig, wenn die Erbengemeinschaft fortgesetzt werden soll (SEEBERGER, a.a.O., S. 291 nach Fn. 241), weil diesfalls notwendigerweise nicht geteilt wird (
BGE 96 II 325
E. 6a). Schliesslich kann ein hinreichendes Feststellungsinteresse nicht bloss mit dem noch nicht ausgeübten Wahlrecht nach
Art. 628 Abs. 1 ZGB
begründet werden. Denn wie das Bundesgericht in
BGE 84 II 685
E. 3 S. 694 ausgeführt hat, ist in diesem Fall ein alternatives Leistungsbegehren zu stellen, das sowohl dem Fall der Einwerfung des Vorempfangs als auch der blossen Anrechnung seines Wertes Rechnung trägt (vgl. zur Teilungsklage selbst
BGE 101 II 41
E. 4c S. 46). Gleichzeitig wird vom ausgleichungspflichtigen Erben mit Vorteil die Ausübung des Wahlrechts verlangt (JOST, a.a.O., S. 132 f.). | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d03a0ff5-7aa2-41d8-b30b-b7423a7d8139 | Urteilskopf
113 Ib 333
53. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. Oktober 1987 i.S. S. gegen Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement und Bundesamt für Landwirtschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Bewilligung für Umbau eines Schweinestalles; teilweise Umstellung von Mast auf Zucht. Abgabe für zuviel gehaltene Tiere. Art. 19a lit. a, 19d Abs. 1 und Abs. 4 LWG; Art. 4 Abs. 1 und 5 Abs. 3-5 sowie Art. 12 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 StallbauVO.
Die Umstellung von Mast auf Zucht bei Schweinen stellt für sich allein keine Aufstockung des Tierbestandes i.S. von Art. 5 Abs. 3 lit. a StallbauVO dar (E. 3c). Eine Aufstockung läge gemäss Art. 5 Abs. 4 StallbauVO dann vor, wenn die neu gehaltenen Tiere vor dem Umbau nicht tiergerecht hätten gehalten werden können (E. 3d). Dies haben die Vorinstanzen noch nicht abgeklärt.
Die gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. a StallbauVO für in einem nicht bewilligten Stall gehaltene Tiere zu erhebende Abgabe ist eine Lenkungsabgabe und keine Busse mit Strafcharakter. Sie ist daher erst zu erheben, wenn feststeht, für wie viele Tiere nach dem Umbau die Bewilligung erteilt werden konnte. Die Abgabe ist nur gerechtfertigt für die Anzahl Tiere, um die die zu bewilligende Anzahl übertroffen worden ist (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 113 Ib 333 S. 334
S. erwarb im Mai 1980 einen Schweinestall, in dem er vorerst 750 Mastschweine hielt. In der Folge entschloss er sich, den Bestand an Mastschweinen herabzusetzen und dafür einen Zuchtstall für Mutterschweine einzurichten. Für die nötigen, 1983 abgeschlossenen Umbauten holte er keine Bewilligung ein, da er eine solche angesichts der Tatsache, dass keine äussere Veränderung der Gebäulichkeiten notwendig war, als nicht erforderlich erachtete.
BGE 113 Ib 333 S. 335
Anlässlich einer Kontrolle, die das Bundesamt für Landwirtschaft am 6. Februar 1985 auf dem Betrieb von S. durchführte, wurden die erwähnten baulichen und betrieblichen Änderungen festgestellt. Es wurden 40 Mutterschweine gezählt. Das Bundesamt auferlegte S. für 30 Mutterschweine (bei Berücksichtigung der Freigrenze von 10 Tieren) eine Abgabe von je Fr. 500.--, also von Fr. 15'000.--. Es wies auch ein nachträgliches Gesuch um Bewilligung der Umbauten ab. Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement wies dagegen erhobene Beschwerden ab. Es wertete den Übergang von der Haltung von Mastschweinen zur Haltung von Mutterschweinen als Erhöhung des Tierbestandes.
Gegen den Departementsentscheid erhob S. am 21. April 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Anlässlich einer ersten Sitzung der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Oktober 1986 wurden weitere Abklärungsmassnahmen beschlossen. Am 18. Mai 1987 fand bei den Stallungen des Beschwerdeführers ein Augenschein statt.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuer Verfügung im Sinne der Erwägungen an das Bundesamt für Landwirtschaft zurück.
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Zur Lenkung der Fleisch- und Eierproduktion kann der Bundesrat die Erstellung neuer sowie den Umbau und die Erweiterung bestehender Ställe für bestimmte Tierarten der Bewilligungspflicht unterstellen (Art. 19d Abs. 1 des Landwirtschaftsgesetzes vom 3. Oktober 1951 in der Fassung vom 27. Juni 1979; LwG, SR 910.1). Gemäss
Art. 19d Abs. 4 LwG
werden Stallbauten ohne Erweiterung des Tierbestandes bewilligt, sofern die Höchstzahl, zu deren Festlegung der Bundesrat gemäss
Art. 19a lit. a LwG
ermächtigt ist, nicht überschritten wird.
Gestützt auf diese gesetzlichen Bestimmungen hält
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung über die Bewilligung von Stallbauten (Stallbauverordnung) vom 26. August 1981 (SR 916.016)
fest, dass ein Umbau bewilligt wird, wenn derselbe u.a. mit keiner Aufstockung des bisher auf dem Betrieb gehaltenen Tierbestandes verbunden ist (lit. a) und wenn überdies der höchstzulässige Gesamtbestand an Tieren nicht überschritten wird (lit. b). Nach Art. 4 Abs. 1 Stallbauverordnung betragen die höchstzulässigen Tierbestände für die
BGE 113 Ib 333 S. 336
hier in Frage stehenden Tierkategorien 150 Mutterschweine (lit. c) bzw. 1000 Mastschweine ab 30 kg Lebendgewicht (lit. e). In Art. 4 Abs. 2 wird der Grundsatz aufgestellt, dass die Höchstbestände gemäss Art. 4 Abs. 1 nicht kumuliert werden dürfen; werden auf einem Betrieb mehrere Tierkategorien gehalten, so wird für jede derselben ermittelt, wieviele Prozente der vorhandene Bestand gemessen am zulässigen Maximalbestand gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. a - l ausmacht, und die Summe dieser Prozentwerte darf 100 Prozent nicht überschreiten. Im weiteren hält Art. 5 Stallbauverordnung fest, dass als bisher auf dem Betrieb gehaltener Tierbestand die Anzahl Tiere gilt, die zur Zeit der Gesuchstellung tiergerecht im Sinne der Tierschutzverordnung (TSchV) vom 27. Mai 1981 (SR 455.1) gehalten werden kann (Abs. 4). Ein Tierbestand gilt nicht mehr als gehalten, wenn die Haltung von Tieren der betreffenden Kategorie seit einem Jahr oder länger eingestellt war (Abs. 5).
3.
a) Der Beschwerdeführer hat seinen Bestand von ursprünglich 750 Mastschweinen, die einem Bestand von 75 Prozent des höchstzulässigen Bestandes von 1000 Mastschweinen (Art. 4 Abs. 1 lit. g Stallbauverordnung) entsprachen, auf 380 Stück (oder 38 Prozent des höchstzulässigen Bestandes) reduziert. Gleichzeitig hat er durch die vorgenommenen Umbauten Platz für 55 Mutterschweine geschaffen; diese 55 Tiere entsprechen 36,7 Prozent des höchstzulässigen Bestandes von 150 Mutterschweinen (Art. 4 Abs. 1 lit. c).
Zusammen machen damit die beiden auf seinem Betrieb gehaltenen Tierkategorien 74,7 Prozent der an sich zulässigen Maximalauslastung (im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Stallbauverordnung) aus. Seiner Ansicht nach resultiert aus der teilweisen Umstellung von Mast- auf Mutterschweine damit keine Erhöhung des Tierbestandes. Da zudem der Gesamtbestand weniger als 100 Prozent (im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung) ausmacht, sind nach Ansicht des Beschwerdeführers die Voraussetzungen gemäss Art. 5 Abs. 3 Stallbauverordnung erfüllt, weshalb der Umbau zu bewilligen sei.
Dieser Argumentation hält das Departement lediglich entgegen, dass ein Wechsel von der Mast- auf die Zuchtschweinehaltung "unter wirtschaftslenkenden Gesichtspunkten" einer Vergrösserung bzw. einer Aufstockung des Tierbestandes gleichkomme, und dass eine andere Betrachtungsweise das vom Gesetzgeber dem Bundesrat in die Hand gegebene Instrumentarium zur Produktionslenkung
BGE 113 Ib 333 S. 337
(Art. 19a-19f i.V.m.
Art. 18 LwG
) weitgehend unwirksam machen würde. Es bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Stellungnahme des Bundesamts für Landwirtschaft, welches - wie es auch in seiner Vernehmlassung ausführt - der Reduktion der Plätze für Mutterschweine (bzw. der Verhinderung der Entstehung neuer Plätze für solche Tiere) grösste Priorität im Bemühen um eine Verringerung der Überproduktion an Schweinefleisch beimisst.
b) Die Verweigerung der Umbaubewilligung stellt einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit dar. Es trifft zu, dass im Bereiche der Landwirtschaft dieses Grundrecht zahlreichen Einschränkungen unterworfen ist, die sich ihrerseits auf die Verfassung stützen (
Art. 31bis Abs. 3 lit. b BV
) und vor allem im Landwirtschaftsgesetz und den dazugehörenden Ausführungsbestimmungen vorgesehen sind. Voraussetzung für einen Grundrechtseingriff ist jedoch auch im Landwirtschaftsrecht, dass eine genügende gesetzliche Grundlage dafür vorliegt. Die Bewilligung für den vom Beschwerdeführer vorgenommenen Umbau kann daher nur dann verweigert werden, wenn dies in der Stallbauverordnung vorgesehen ist, die sich ihrerseits auf die Art. 19a, 19b, 19d, 19f und 117 LwG stützt.
Dass für den in Frage stehenden Umbau eine Bewilligungspflicht besteht, ist nicht umstritten. Da zudem der Gesamthöchstbestand gemäss Art. 4 Abs. 1 und 2 Stallbauverordnung offensichtlich nicht überschritten ist und auch die Bewilligungen gemäss Art. 5 Abs. 3 lit. c Stallbauverordnung hier nicht zur Diskussion stehen, stellt sich nur die Frage, ob mit dem Umbau eine Aufstockung des bisher auf dem Betrieb gehaltenen Tierbestandes verbunden ist (Art. 5 Abs. 3 lit. a Stallbauverordnung).
c) Art. 4 Abs. 2 Stallbauverordnung, auf den sich Art. 5 Abs. 3 der Verordnung bezieht, lässt darauf schliessen, dass der Verordnungsgeber eine gewisse Austauschbarkeit der verschiedenen Tierkategorien durchaus vorgesehen hat. Schranken stellte er dagegen auf, soweit der Umbau eines Stalles zur Erhöhung des Tierbestandes führen würde. Der Umbau darf nicht zur Folge haben, dass mehr Tiere gehalten werden, als dies vor der Durchführung der baulichen Massnahme tiergerecht im Sinne der Tierschutzverordnung möglich war (Art. 5 Abs. 4 Stallbauverordnung). Dieser Bestimmung sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Wechsel der Tierkategorie, jedenfalls innerhalb der gleichen
BGE 113 Ib 333 S. 338
Tierart, einer Vergrösserung des Tierbestandes gleichzusetzen wäre, die die Verweigerung der Bewilligung erlaubte. Das Bundesgericht hat bereits in einem Urteil vom 10. April 1981 (i.S. Weibel) festgehalten, eine solche Gleichsetzung rechtfertige sich aus den vom Bundesamt für Landwirtschaft angeführten strukturpolitischen Gründen nicht. Eine Schranke hinsichtlich des Kategorienwechsels könnte sich allenfalls - aber nicht zwingend - aus Art. 5 Abs. 5 ergeben, wo festgehalten ist, dass ein Tierbestand nicht mehr als bisher gehalten gilt, wenn die Haltung von Tieren der betreffenden Kategorie seit einem Jahr oder länger eingestellt war. Im Vordergrund steht die zeitliche Beschränkung der Besitzstandsgarantie; innerhalb dieser ist ein Tierwechsel schon durch die Bestimmung in Abs. 4 eingeschränkt, wo auf die tiergerechte Haltungsmöglichkeit - im alten Stall - verwiesen wird (vgl. unten E. d). Da Art. 4 Abs. 1 lit. c - g nicht weniger als 5 Schweinekategorien anführt, die z.T. notwendigerweise nebeneinander gehalten werden müssen, z.T. auch ohne Umbauten ausgewechselt werden können, könnte sich ein aus Abs. 5 abgeleitetes Auswechslungsverbot jedenfalls nur auf die Tierart Schweine als Ganzes beziehen. Der Beschwerdeführer hat aber von Beginn an ununterbrochen Schweine gehalten, so dass für ihn die Besitzstandsgarantie auch hinsichtlich von Mutterschweinen zum Tragen kommt.
Die vom Bundesamt und vom Departement angeführten strukturpolitischen Notwendigkeiten mögen allenfalls eine Änderung der Stallbauverordnung rechtfertigen, ersetzen jedoch keineswegs die gesetzliche Grundlage (im materiellen Sinne) für ein Verbot (oder eine Erschwerung) des Wechsels von der Mast- auf die Zuchtschweinehaltung, soweit daraus eine Erhöhung des Gesamtbestandes an gehaltenen Tieren im Sinne von Art. 4 Abs. 2 Stallbauverordnung nicht resultiert. Eine solche Grundlage findet sich in der geltenden Stallbauverordnung nicht. Es ist daher festzustellen, dass dem Beschwerdeführer die nachträgliche Bewilligung der vorgenommenen Umbauten nicht allein darum verweigert werden durfte, weil die Umstellung von Mast- auf Zuchtschweinehaltung als solche einer Vergrösserung des Tierbestandes gleichkomme und die Voraussetzungen gemäss Art. 5 Abs. 3 lit. a Stallbauverordnung damit nicht mehr gegeben seien. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass die vorgenommenen Umbauten auch unter allen übrigen denkbaren Gesichtspunkten nachträglich bewilligt werden müssten.
BGE 113 Ib 333 S. 339
d) Wie sich aus dem Protokoll des Augenscheins vom 18. Mai 1987 ergibt, bestehen hinsichtlich der Haltung der Mutterschweine und teilweise auch der Mastschweine in tierschützerischer Beziehung im Falle der Stallungen des Beschwerdeführers Bedenken. Da die Stallbauverordnung in Art. 5 Abs. 4 (und letztlich auch in Art. 4 Abs. 1, wo im Zusammenhang mit dem Höchstbestand auf Art. 5 und damit auch dessen Abs. 4 Bezug genommen wird) auf die Bestimmungen der Tierschutzverordnung verweist, kann der vom Beschwerdeführer vorgenommene Umbau nachträglich nur bewilligt werden, wenn die darin gehaltenen Tiere (schon vor dem Umbau, also auch ohne Berücksichtigung der Remise; vgl. Art. 5 Abs. 4 Stallbautenverordnung), tiergerecht hätten gehalten werden können. Anlässlich des Augenscheins zeigten sich in diesem Zusammenhang sehr komplexe Fragen.
Da in dieser Hinsicht noch nähere Abklärungen vorzunehmen sind, die besser von der sachnäheren Instanz zu treffen sind, rechtfertigt es sich, die Sache hinsichtlich der Bewilligungsfrage im Sinne von
Art. 114 Abs. 2 OG
an das Bundesamt für Landwirtschaft zurückzuweisen.
4.
Gemäss dem sich auf
Art. 19a lit. a LwG
stützenden Art. 12 Abs. 1 lit. a Stallbauverordnung erhebt das Bundesamt für Landwirtschaft eine Abgabe, wenn Tiere in einem Stall gehalten werden, für den die erforderliche Bewilligung nicht erteilt wurde.
Für den vom Beschwerdeführer vorgenommenen bewilligungspflichtigen Umbau wurde keine Bewilligung eingeholt. Es stellt sich somit die Frage, ob nicht schon darum die erhobene Abgabe von Fr. 15'000.-- - unabhängig von einer späteren Bewilligungserteilung - gerechtfertigt ist.
Art. 19f LwG
und Art. 12 Abs. 2 Stallbauverordnung bestimmen, dass die Abgaben für in nicht bewilligten Stallbauten gehaltene Tiere so anzusetzen sind, dass die Haltung nicht bewilligter Tiere unwirtschaftlich wird. Die Betriebe sollen davon abgehalten werden, Tiere zu halten, für die keine Bewilligung erteilt wurde (Bericht der Nationalratskommission vom 7. September 1978 zur Änderung des LwG, BBl 1977 I 1318 ff., 1349). Als Grundlage für die Festlegung der Abgabe könnte das Betriebseinkommen dienen, das je zuviel gehaltenes Tier erzielt werden kann (1350).
Die Abgabe von Fr. 500.-- pro Mutterschwein ist damit eindeutig Lenkungsabgabe und nicht eine Abgabe mit Bussencharakter als Strafe für eine nicht eingeholte Bewilligung. Von ihrer Höhe her wäre sie als Strafe unverhältnismässig. Die Abgabe kann somit
BGE 113 Ib 333 S. 340
nicht bestimmt werden, solange nicht feststeht, wieviele Tiere nach dem Umbau bewilligt werden könnten. Somit ist der angefochtene Entscheid des Departements auch hinsichtlich der Abgabe von Fr. 15'000.-- aufzuheben. Das Bundesamt für Landwirtschaft wird darüber neu verfügen, wenn aufgrund der Bewilligungsverfügung feststeht, für wieviele überzählige Tiere eine Abgabe zu entrichten ist. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d03a5f03-06b3-4ee9-9a61-7d6ea7ad3c57 | Urteilskopf
112 IV 13
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. März 1986 i.S. L. c. Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 139 Ziff. 1bis StGB
. Mitführen einer Schusswaffe oder einer anderen gefährlichen Waffe zum Zwecke des Raubes.
Ein Hammer ist nicht eine gefährliche Waffe im Sinne dieser Bestimmung. | Erwägungen
ab Seite 13
BGE 112 IV 13 S. 13
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht geltend,
Art. 139 Ziff. 1bis StGB
sei nicht anwendbar, da der Hammer, den er bzw. sein Komplize mit sich führte, entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht eine "andere gefährliche Waffe" im Sinne dieser Bestimmung sei. Der Einwand ist begründet. Ein Hammer ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch keine Waffe. Waffen sind Gegenstände, die nach ihrer Bestimmung dem Angriff oder der Verteidigung dienen (
BGE 111 IV 51
;
BGE 96 IV 18
E. 3 zu
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
).
BGE 112 IV 13 S. 14
Wohl ist ein Hammer im Unterschied etwa zu einem Ziergegenstand, einer Vase, einem Aschenbecher, einem Bierglas (vgl. dazu
BGE 101 IV 285
ff.) zum Schlagen bestimmt; er ist daher ein Schlaginstrument, ein Schlagwerkzeug. Da er aber im Unterschied etwa zu einem Schlagring oder einem Gummiknüppel (siehe dazu
BGE 96 IV 18
E. 3) nicht bestimmungsgemäss dem Angriff oder der Verteidigung dient, ist er keine Schlagwaffe. Dass er wie manche andere Werkzeuge und Ziergegenstände zu Angriff und Verteidigung verwendet werden kann und dann wohl nicht weniger gefährlich ist als eine Schlagwaffe (z.B. ein Schlagring oder ein Gummiknüppel), ist unerheblich. Ein Gegenstand wird nicht dadurch zur Schlagwaffe, dass er wie eine solche verwendet werden kann. Der Begriff der Waffe ist im Unterschied zum Begriff des gefährlichen Werkzeugs im Sinne von
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
abstrakt, d.h. unabhängig von der Art der Verwendung im konkreten Fall zu definieren ... | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d03ba024-9d8f-45aa-a482-93b8552790bd | Urteilskopf
120 Ib 142
21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. März 1994 i.S. Obersee Nachrichten AG gegen Schweizerische PTT-Betriebe (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 55 und
Art. 31 BV
, Art. 14 in Verbindung mit
Art. 10 EMRK
, Art. 39 Abs. 2 lit. a PVV; Anwendbarkeit der Zeitungstaxe auf eine Gratispublikation (Obersee Nachrichten).
Profitiert eine Gratispublikation nicht von der indirekten Presseförderung über vergünstigte PTT-Taxen, weil sie dem Empfänger nicht "aufgrund eines entgeltlichen Abonnementsvertrages" laufend mit der Post zugestellt wird (Art. 39 Abs. 2 lit. a PVV), verletzt dies weder Art. 55 beziehungsweise
Art. 31 BV
(E. 3) noch Art. 14 in Verbindung mit
Art. 10 EMRK
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 143
BGE 120 Ib 142 S. 143
Die "Obersee Nachrichten" sind eine wöchentlich erscheinende "Gratiszeitung" mit einer Auflage von rund 41'000 Exemplaren, die zu etwa 75 Prozent privat und zu 25 Prozent auf dem Postweg verteilt werden, wobei die Schweizerischen PTT-Betriebe für die 800 abonnierten Exemplare die Zeitungstaxe, für die restliche Auflage den weniger günstigen Tarif für "Sendungen ohne Adresse" anwenden.
Am 16. Juli 1991 beantragte die Obersee Nachrichten AG, auf allen durch die PTT-Betriebe transportierten Exemplaren nur mehr die Zeitungstaxe zu erheben, was die Kreispostdirektion Zürich mit Schreiben vom 23. Juli 1991 gestützt auf Art. 39 Abs. 2 lit. a der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz vom 1. September 1967 (PVV, SR 783.01) ablehnte. Die Sektion Tarifwesen Inland und Kundendienst bestätigte diesen Entscheid am 10. Dezember 1991; am 22. April 1992 wies die Generaldirektion der Schweizerischen PTT-Betriebe eine hiergegen gerichtete Beschwerde ab. Sie ging davon aus, dass nur solche Publikationen in den Genuss der Zeitungstaxe kämen, deren Empfang der Bezüger wünsche. Den entsprechenden Willen bekunde er durch den Abschluss eines entgeltlichen Abonnementsvertrags, woran es bei einer Gratispublikation definitionsgemäss fehle.
Die Obersee Nachrichten AG hat am 25. Mai 1992 beim Bundesgericht hiergegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Sie macht geltend, es sei verfassungs- (
Art. 31 und
Art. 55 BV
) und konventionswidrig (Art. 10 in
BGE 120 Ib 142 S. 144
Verbindung mit
Art. 14 EMRK
), wenn nur "abonnierte" Publikationen von der Zeitungstaxe profitierten. Die Handels- und Gewerbefreiheit verpflichte den Staat zu wettbewerbsneutralem Verhalten; es verstosse gegen dieses Gebot, wenn die Dienstleistungen der PTT-Betriebe und die Höhe des Entgelts an sachlich unhaltbare Unterscheidungen geknüpft würden, wie dies beim Zeitungstransport mit dem Erfordernis des Abonnementsvertrags der Fall sei. Ähnliches gelte für
Art. 55 BV
: Zwar verbiete die Pressefreiheit in erster Linie jegliche staatliche Zensur, doch habe sich der Staat nach dieser Bestimmung auch ganz allgemein nicht in die Verhältnisse der Presse einzumischen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
a)
Art. 55 BV
garantiert die Pressefreiheit und gewährt dem Bürger das Recht, seine Meinung mit den Mitteln der Druckerpresse in der Öffentlichkeit zu verbreiten (
BGE 113 Ia 309
E. 4b S. 316 mit Hinweisen). Als Presseerzeugnisse, die in den Anwendungsbereich von
Art. 55 BV
fallen, gelten Publikationen - auch Lithographien, Photographien, Heliographien oder Vervielfältigungen -, die zur Veröffentlichung bestimmt sind und mit denen ideelle Zwecke verfolgt werden (
BGE 108 Ib 142
E. 2e S. 146; JÖRG PAUL MÜLLER in Kommentar BV, Art. 55, Rz. 15). Durch die staatspolitisch motivierte indirekte Presseförderung über nicht kostendeckende PTT-Taxen wird in dieses Recht - soweit die Publikation der Beschwerdeführerin ideellen Gehalt aufweist - nicht eingegriffen. Die beanstandete Regelung hindert die Beschwerdeführerin nicht, ihre Meinung mit den Mitteln der Druckerpresse zu verbreiten, denn sie beschlägt nicht den Inhalt ihres Produkts, sondern lediglich und in untergeordnetem Masse dessen kommerziellen Vertrieb; die aufgeworfene Frage ist demnach in erster Linie unter dem Gesichtswinkel der Handels- und Gewerbefreiheit zu prüfen.
b) Nach
Art. 31 BV
hat sich der Staat grundsätzlich wettbewerbsneutral zu verhalten; Massnahmen der Wirtschaftsförderung dürfen in der Regel die Handels- und Gewerbefreiheit nicht verletzen. Die Bundesverfassung schliesst aber nicht schlechterdings jede wirtschaftsbezogene staatliche Regelung aus (vgl.
Art. 31bis Abs. 2 BV
). Staatliche Förderungsmassnahmen, die der Wahrung oder Wiederherstellung des Wettbewerbs im Interesse der Information und pluralistischen Meinungsbildung dienen, sind unabhängig
BGE 120 Ib 142 S. 145
davon, ob
Art. 31 oder 55 BV
auch ein entsprechendes Handlungsgebot enthält, nicht als solche bereits systemwidrig (vgl. RENÉ A. RHINOW in Kommentar BV, Art. 31, Rz. 186 ff.). Sie verstossen jedoch gegen die Handels- und Gewerbefreiheit, wenn sie den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten verzerren. Bei der staatlichen Förderung der abonnierten Presse gegenüber Gratispublikationen ist dies nicht der Fall, selbst wenn sich aus
Art. 31 BV
ein weitergehender Schutz ergeben sollte als aus
Art. 4 BV
(vgl.
BGE 112 Ia 30
E. 3a S. 34): Gratiszeitungen und -anzeiger wenden sich grundsätzlich nicht mit dem gleichen Produkt an das gleiche Zielpublikum wie die abonnierte Presse. Sie sind in erster Linie auf die Bedürfnisse und Interessen der Inserenten ausgerichtet; ihre redaktionellen Anreicherungen dienen vorab dazu, im Interesse der Werbung die Leserbeachtung zu steigern; ihr Inhalt lässt staatspolitische und ideelle Anliegen nur selten in einem Mass erkennen, das den Leser zum Abschluss eines Abonnements veranlassen würde. Besteht ein entgeltlicher Abonnementsvertrag, profitieren sie ebenfalls von der Zeitungstaxe, wie die 800 abonnierten Exemplare der "Obersee Nachrichten" belegen.
c) aa) Staatliche Förderung lässt sich nicht ohne Rücksicht auf ein entsprechendes Bedürfnis postulieren und rechtfertigen; sie setzt regelmässig einen Dienst an der Allgemeinheit oder die Wahrnehmung einer wichtigen Funktion in der Gesellschaft und im demokratischen Staat voraus (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 13. Juni 1985 i.S. D.C. AG c. GD PTT, E. 3b). Ein Verstoss gegen das staatliche Neutralitätsgebot liegt nicht schon dann vor, wenn nicht unterschiedslos sämtliche unter die Pressefreiheit fallenden Druckerzeugnisse von Förderungsmassnahmen profitieren. Der Staat geniesst bei der Förderung verfassungsmässiger Rechte einen weiteren Handlungsspielraum als bei deren Beschränkung: Die Meinungsäusserungs- bzw. die Pressefreiheit verbietet ihm, an Meinungen oder Tendenzen von Presseerzeugnissen anzuknüpfen und sich auf diese Weise Einfluss auf den gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu verschaffen; es steht ihm indessen frei, meinungsneutrale Presseförderung zu betreiben, solange die gewählten Kriterien sachbezogen und nicht diskriminatorisch sind, was beim Erfordernis eines "entgeltlichen Abonnementsvertrags" der Fall ist.
bb) Abonnierte Zeitungen und Zeitschriften nehmen die spezifische Aufgabe der Presse im pluralistischen Staat (vgl. hierzu
BGE 109 II 353
E. 3 S. 358) gerade auch wegen ihres Vertriebssystems besser wahr als
BGE 120 Ib 142 S. 146
Gratispublikationen. Die zahlende Leserschaft sichert der Presse eine gewisse - heute zusehends von Inserenten bedrohte (vgl. CHRISTIAN WYSS, Inserentendruck auf die Meinungspresse - ein Beispiel struktureller Zensur, in: Wem dient die Medienfreiheit?, Bern 1981, S. 99 ff.; JÖRG PAUL MÜLLER, a.a.O., Art. 55, Rz. 94; Erhebung der Kartellkommission über die Anzeigensperre von Automobilimporteuren gegenüber dem "Tages-Anzeiger", in: VKK 1/1981 S. 41 ff.) - publizistische Unabhängigkeit; der verbilligte Zeitungstransport soll die Abonnierung und die regelmässige Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften und damit den Fortbestand einer vielfältigen vom Leser gewünschten und mitgetragenen Presse erleichtern. Sinn der gesetzlichen Ordnung ist es, der Presse die Erfüllung ihrer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe zu ermöglichen. Blätter, die vornehmlich Propaganda für geschäftliche oder sonstige Zwecke machen und daher gratis abgegeben werden, haben nicht als Zeitungen oder Zeitschriften im Sinne des Gesetzes zu gelten, auch "wenn sie äusserlich wie solche aufgemacht" sind (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 7. Oktober 1960 i.S. X. c. GD PTT, S. 8 f.; vgl. auch unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 29. Mai 1975 i.S. Aktion zum Schutze der Steuerzahler c. GD PTT, S. 8). Besteht kein Abonnement und wird eine Zeitung oder Zeitschrift dank ihren Werbeeinnahmen gratis verteilt, würde über die indirekte staatliche Förderung ausschliesslich der unternehmerische Gewinn und die bereits bestehende, staatspolitisch fragwürdige Inserentenabhängigkeit vergrössert. Auch wenn abonnierte Zeitungen heute zu 60 bis 80 Prozent aus Werbeeinnahmen finanziert werden (LEO SCHÜRMANN/PETER NOBEL, Medienrecht, Bern 1993, S. 324 N. 4; ERNST BOLLINGER, La presse suisse, Les faits et les opinions, Lausanne 1986, S. 21 - 25), führt das entgeltliche Abonnementssystem doch zu einer stärkeren Leserbindung und - dank einer, wenn auch relativen, Inserentenunabhängigkeit - zu grösserer Freiheit.
cc) Das Vorliegen eines entgeltlichen Abonnementsvetrags stellt ein formales, durch die PTT-Betriebe einfach zu kontrollierendes Erfordernis dar, das eine verpönte staatliche Inhaltskontrolle weitgehend erübrigt und stattdessen an den bekundeten Willen des Abonnenten, das heisst an dessen inhaltliche Beurteilung des Presseprodukts, anknüpft. Zwar erfüllte auch eine einfache schriftliche Erklärung des Lesers diesen Zweck, das Ziel der indirekten Förderungsmassnahme würde damit aber unterlaufen. Die vergünstigten Transporttaxen sollen den Abonnements- bzw. den Verkaufspreis
BGE 120 Ib 142 S. 147
senken und dem Käufer damit ermöglichen, "für die breite öffentliche Diskussion und die Durchsetzung der 'richtigen' Auffassung (...) möglichst viele Presseerzeugnisse" zu lesen (vgl. Amtl.Bull. S 1976 578 Votum Dreyer zur authentischen Gesetzesauslegung). Das Bundesgericht hat für die sogenannte Mitgliedschaftspresse zwar erklärt, es komme nicht auf das Vorliegen einer geldwerten Gegenleistung, sondern einzig darauf an, ob der Empfänger die Publikation regelmässig erhalten wolle (
BGE 101 Ib 178
). Eine jedem Haushalt gratis abgegebene Veröffentlichung kann jedoch nicht einem Titel der Mitgliedschaftspresse gleichgestellt werden, deren relative Unabhängigkeit sich aus der Zahl der Mitglieder beziehungsweise ihrer indirekten Beteiligung an den Finanzen des Verlegers (vgl. etwa
Art. 71 Abs. 2 ZGB
) ergibt.
dd) Gratisanzeiger werden als eine der Ursachen für die Pressekonzentration bezeichnet (vgl. Bericht der Expertenkommission vom 1. Mai 1975 für die Revision von Art. 55 der Bundesverfassung, S. 25; KURT NUSPLIGER, Pressefreiheit und Pressevielfalt, Diss. BE 1980, S. 132); neuere Publikationen verweisen zwar darauf, dass sich eine Schädigung der Presse durch Gratisanzeiger gesamthaft nicht nachweisen lasse, bestreiten aber nicht, dass es in einzelnen Fällen immer wieder vorkommen wird, dass die Konkurrenz eines Gratisanzeigers tatsächlich zur Einstellung einer Zeitung führt (Christoph Schmid, Gratisanzeiger und Pressewettbewerb, Diss. ZH 1983, S. 50 mit Hinweisen). Gratispublikationen lassen sich von anderen Zeitungen nur über ihr Vertriebssystem verlässlich abgrenzen (vgl. CHRISTOPH SCHMID, a.a.O., S. 35), weshalb auch vor diesem Hintergrund die Anknüpfung an einen entgeltlichen Abonnementsvertrag verfassungsrechtlich haltbar erscheint.
ee) Die Konstruktion der Beschwerdeführerin, wonach bei einer Gratiszeitung der Inserent über höhere Insertionskosten ein entgeltliches Abonnement zugunsten jedes Empfängers im Einzugsgebiet bezahle, überzeugt nicht. Der Inserent will über den Insertionsvertrag eine Werbebotschaft verbreiten lassen; einen allenfalls höheren Insertionspreis bezahlt er wegen der breiteren Streuung des Werbeträgers, nicht aber um jedem einzelnen Haushalt im Einzugsgebiet ein Forderungsrecht auf die Gratispublikation einzuräumen. Von einem Geschenkabonnement zugunsten eines Dritten kann nicht Rede sein. Die Beschwerdeführerin behauptet schliesslich auch vergeblich, ihr Produkt werde grundlos schlechter behandelt als die Amtsanzeiger; bei diesen handelt es sich mit Blick auf ihren Mindestanteil von 15 Prozent an amtlichen Mitteilungen um Titel, die der Mitgliedschaftspresse zugerechnet
BGE 120 Ib 142 S. 148
oder doch analog dieser behandelt werden können.
4.
a)
Art. 10 EMRK
sichert die Pressefreiheit auch insofern, als er "die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden" gewährleistet; Werbebotschaften können unter den Schutz von
Art. 10 EMRK
fallen (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. Februar 1994 i.S. Casado Coca c. Spanien, Ziff. 35). Im Entscheid Autronic gegen die Schweiz vom 22. Mai 1990 hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, auf
Art. 10 EMRK
könne sich nicht nur berufen, wer ideelle, sondern auch wer wirtschaftliche Interessen verfolge. Diese Bestimmung schütze nicht nur den Inhalt der Information, sondern auch Übermittlungs- und Empfangsvorrichtungen, weil deren Beschränkung das Recht berühre, Informationen zu empfangen und zu verbreiten (Serie A, vol. 178, Ziff. 47).
b) aa) Die im Fall Autronic vom Gerichtshof zum Satellitenfernsehen angestellten Überlegungen können nicht unbesehen auf die vorliegende Problematik übertragen werden. In jenem Entscheid stand ein Empfangsverbot zur Diskussion, vorliegend geht es um eine indirekte staatliche Förderungsmassnahme, von der die Beschwerdeführerin nur soweit profitiert, als sie die entsprechenden Voraussetzungen nach dem nationalen Gesetzesrecht erfüllt. Sie wird nicht behindert, ihre Informationen zu verbreiten; die beanstandete Ungleichbehandlung stellt lediglich sicher, dass dies auch noch andere tun können, die - auch wegen des gewählten Vertriebssystems (Abonnement) - die besondere Funktion der Presse in der demokratischen Gesellschaft besser wahrnehmen (Leserbindung, verlegerische Unabhängigkeit über diversifizierte Finanzierung) als eine über einen redaktionellen Teil verfügende, in erster Linie aber auf Inserentenbedürfnisse ausgerichtete Gratispublikation. Kann sich auf
Art. 10 EMRK
auch berufen, wer kommerzielle Zwecke verfolgt, schützt diese Bestimmung doch nicht hauptsächlich solche Interessen; die Konventionsgarantie selber kann vielmehr gerade gebieten, übermässige Pressekonzentrationen zu verhindern (vgl. Bericht der Europäischen Menschenrechtskommission und Resolution des Ministerrates i.S. De Geillustreerde Pers N.V. gegen Niederlande, DR 8/1977 S. 25 Ziff. 88 bzw. S. 29; MARTIN BULLINGER, "Liberté d'expression et d'information: élément essentiel de la démocratie", in: Actes du Sixième colloque international sur la Convention européenne des droits de l'homme, Dordrecht/Boston/London
BGE 120 Ib 142 S. 149
1988, S. 79 - 83), was regelmässig nicht möglich sein wird, ohne wirtschaftliche Interessen zu tangieren.
bb) Art. 10 in Verbindung mit
Art. 14 EMRK
verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, alle berechtigten Personen unterschiedslos gleich zu behandeln. Eine Massnahme oder Regelung ist nur dann diskriminatorisch, wenn sie hinsichtlich der Gewährleistung des Genusses eines Konventionsrechts zwischen Personen oder Personengruppen unterscheidet, die sich in vergleichbarer Situation befinden, die Unterscheidung eines objektiven und angemessenen Rechtfertigungsgrunds entbehrt oder wenn zwischen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel kein angemessenes Verhältnis besteht.
Art. 14 EMRK
geht somit nicht über das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot in
Art. 4 Abs. 1 BV
hinaus (
BGE 118 Ia 341
E. 4a S. 351).
Gratispublikationen und die vom Gesetzgeber als förderungswürdig bezeichnete Presse unterscheiden sich - wie dargelegt - im Vertriebssystem; es erscheint deshalb bereits zweifelhaft, ob sich die Beschwerdeführerin überhaupt in der von der Rechtsprechung zu
Art. 14 EMRK
geforderten "vergleichbaren Situation" mit jenen Publikationen befindet, deren indirekte Förderung sie beanstandet (vgl. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, S. 315 Rz. 19 ff.; die Kommission verneinte das Vorliegen einer vergleichbaren Situation bei einem Wochenblatt, das detaillierte Fernsehprogramme zu veröffentlichen suchte, gegenüber der Tagespresse, die summarische Programmangaben enthielt, und gegenüber im Ausland erscheinenden Publikationen; DR 8/1977 S. 27/28). Auf jeden Fall ist die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt und verhältnismässig: Die indirekte Presseförderung soll dazu beitragen, eine möglichst vielfältige Presse zu erhalten (
Art. 10 Abs. 1 Satz 2 PVG
, Postverkehrsgesetz, SR 783.0). Es kann dabei darauf abgestellt werden, ob und wie eine bestimmte Publikation die spezifische Aufgabe der Presse für die Allgemeinheit wahrnimmt; das Erfordernis eines entgeltlichen Abonnementsvertrags stellt hierfür ein geeignetes Kriterium dar; von einer Diskriminierung im Sinn von Art. 14 in Verbindung mit
Art. 10 EMRK
kann nicht die Rede sein. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d03be559-56fa-427e-af25-bfa9122314ba | Urteilskopf
109 Ib 174
28. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. April 1983 i.S. Z. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Auslieferung.
Auswirkungen des am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) auf das Verfahren des Bundesgerichtes in Auslieferungsfällen. | Erwägungen
ab Seite 175
BGE 109 Ib 174 S. 175
Aus den Erwägungen:
1.
Das Verfahren richtet sich nach dem am 1. Januar 1983 in Kraft getretenen Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG).
a) Während nach
Art. 23 AuslG
alle Fälle, in denen der Verfolgte eine Einsprache erhoben hatte, die sich auf das AuslG, auf einen Staatsvertrag oder auf eine Gegenrechtserklärung stützte, vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen waren, obliegt der Auslieferungsentscheid heute gemäss
Art. 55 Abs. 1 IRSG
grundsätzlich dem BAP. Ausgenommen sind nach
Art. 55 Abs. 2 IRSG
Fälle, in denen der Verfolgte geltend macht, er werde eines politischen Deliktes bezichtigt und solche, in denen sich bei der Instruktion ernsthafte Gründe für einen politischen Charakter der Tat ergeben. In diesen Fällen bleibt das Bundesgericht wie früher einzige entscheidende Instanz. Die folgenden Ausführungen beziehen sich nicht auf Fälle dieser Art.
b) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Auslieferungssachen finden gemäss
Art. 25 Abs. 1 IRSG
die allgemein für dieses Rechtsmittel geltenden Bestimmungen der
Art. 97-114 OG
Anwendung, soweit das IRSG selbst nichts Abweichendes bestimmt. Die Ausnahmen sind in
Art. 25 Abs. 4-6 IRSG
aufgezählt. Demnach kann mit der Beschwerde auch die unzulässige oder offensichtlich unrichtige Anwendung fremden Rechtes gerügt werden; es gelten die Bestimmungen über den Stillstand von Fristen nicht, und das Bundesgericht ist nicht an die Begehren der Parteien gebunden. Aus der Anwendbarkeit der übrigen Bestimmungen des OG über die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergeben sich gegenüber dem bisherigen Verfahren im wesentlichen folgende Unterschiede:
aa) Als Rechtsmittelinstanz prüft das Bundesgericht die bei ihm erhobenen Rügen mit freier Kognition. Es ist jedoch nicht verpflichtet, darüber hinaus von Amtes wegen nach Gründen zu forschen, die allenfalls der Auslieferung entgegenstehen könnten.
bb) Anders als nach bisher geltender Regelung (
Art. 23 AuslG
) ist die öffentliche Beratung nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Das Bundesgericht kann daher über Verwaltungsgerichtsbeschwerden in Auslieferungssachen wie in anderen Materien auf dem Zirkularweg entscheiden, wenn die Rechtslage eindeutig ist (
Art. 109 OG
).
cc) Hinsichtlich der unentgeltlichen Verbeiständung, die materiell in
Art. 21 Abs. 2 IRSG
geregelt ist, ist zwischen dem Verfahren
BGE 109 Ib 174 S. 176
vor dem BAP und dem Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht zu unterscheiden. Für das Verfahren vor der ersten Instanz ist ein Gesuch um Verbeiständung bei dieser zu stellen; ein allfälliger abweisender Entscheid kann gemäss
Art. 25 Abs. 1 IRSG
durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht weitergezogen werden. Die Bestellung eines amtlichen Rechtsbeistandes durch das BAP gilt nicht automatisch auch für ein allfälliges Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgericht. Dieses trifft seinen Entscheid in Anwendung von
Art. 152 Abs. 1 OG
selbständig, wobei es namentlich auch berücksichtigen kann, ob die Weiterziehung des angefochtenen Entscheides nicht als aussichtslos erscheinen musste. Wird demgegenüber das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes erst vor Bundesgericht gestellt, so kann es nach allgemeinen Grundsätzen keine Rückwirkung auf das Verfahren vor erster Instanz entfalten. Dies bedeutet, dass der allenfalls zu bestellende Anwalt für seine Bemühungen vor dem BAP keine Entschädigung mehr geltend machen kann.
dd) Bei Abweisung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist es nicht mehr erforderlich, dass das Bundesgericht die Auslieferung im Urteilsdispositiv (nochmals) ausdrücklich bewilligt. Vielmehr erwächst nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen der Entscheid der ersten Instanz (BAP) ohne weiteres in Rechtskraft. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d0442913-32c8-47ac-a689-0048a78e503d | Urteilskopf
111 IV 1
1. Urteil des Kassationshofes vom 6. Februar 1985 i.S. A. gegen Polizeikommando Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 3 StGB
; Territorialprinzip und Anrechnung.
1. Die Schweiz beansprucht gemäss
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
auch dann die Gerichtsbarkeit, wenn bei einer einheitlichen Tathandlung nur ein Teil in der Schweiz begangen wurde und ein ausländischer Staat sich wegen des auf seinem Gebiet begangenen Tatanteils ebenfalls als zur Strafverfolgung zuständig erachtet (E. 2a).
2. Die Anerkennung eines ausländischen Urteils als definitive Erledigung ergibt sich aus
Art. 3 Ziff. 2 StGB
für den Fall, dass ein Ausländer (wegen der in der Schweiz begangenen Tat) auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden ist (E. 2b).
3. Grundsätze für die Anrechnung einer im Ausland verhängten Geldstrafe auf eine in der Schweiz auszusprechende Freiheitsstrafe (
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
; E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 111 IV 1 S. 2
A.-
A. fuhr am 8. Oktober 1983 um 03.35 Uhr mit seinem Personenwagen von Lörrach/BRD kommend bis zum schweizerischen Zollamt Grenzacherstrasse in Basel. Dort wurde er wegen des Verdachts der Angetrunkenheit zurückgehalten. Die Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von minimal 1,93%o bis maximal 2,18%o.
B.-
Das Amtsgericht Lörrach verurteilte A. am 22. November 1983 wegen dieser Fahrt gemäss § 316 des deutschen StGB (Trunkenheit im Verkehr) zu einer Geldbusse von DM 700.--.
Weil die in Lörrach begonnene Trunkenheitsfahrt auf schweizerischem Gebiet fortgesetzt wurde, sprach der Polizeigerichtspräsident Basel-Stadt A. am 18. Mai 1984 nach schweizerischem Recht des Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand schuldig und verurteilte ihn unter Berücksichtigung der in Deutschland wegen der gleichen Fahrt schon ausgefällten und als vollstreckt zu betrachtenden Strafe zu einer Restfreiheitsstrafe von 10 Tagen Gefängnis. Wegen früherer gleichartiger Verfehlungen wurde die Gewährung des bedingten Strafvollzuges abgelehnt.
Das Appellationsgericht schloss sich am 28. November 1984 den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der ersten Instanz an und bestätigte das Urteil.
C.-
A. führt gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zum Freispruch an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei auf Ersuchen der Basler Behörden wegen des Vorfalles vom 8. Oktober 1983 in Lörrach verfolgt und mit Strafbefehl des Amtsgerichtes vom 22. November 1983 zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je DM 20.--, insgesamt DM 700.--, verurteilt worden. Diese Geldstrafe werde aus der in der Schweiz geleisteten Kaution von Fr. 1100.-- gedeckt und sei somit als verbüsste Strafe zu behandeln. Die Fahrt von Lörrach bis zum Grenzposten sei eine einheitliche Tat, die rechtskräftige Verurteilung durch das Amtsgericht Lörrach beziehe sich nicht nur auf das
BGE 111 IV 1 S. 3
Fahren auf deutschem Gebiet, sondern auch auf das Fahren auf schweizerischem Gebiet. Nach dem Grundsatz "ne bis in idem" könne der Beschwerdeführer wegen dieser Angelegenheit in der Schweiz nicht mehr bestraft werden.
2.
a) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der Beschwerdeführer nicht nur auf deutschem Gebiet, sondern auch auf schweizerischem Territorium seinen Personenwagen in angetrunkenem Zustand gelenkt hat. Ist aber ein Verbrechen oder Vergehen in der Schweiz verübt worden, so beansprucht die Schweiz gemäss
Art. 3 Ziff. 1 StGB
grundsätzlich die Gerichtsbarkeit (vgl.
BGE 108 IV 146
). Dies gilt auch, wenn bei einer einheitlichen Tathandlung nur ein Teil in der Schweiz begangen wurde und ein ausländischer Staat sich wegen des auf seinem Gebiet begangenen Tatanteils ebenfalls nach Territorialitätsprinzip als zur Strafverfolgung zuständig erachtet.
Ein ausländisches Strafurteil, das in der gleichen Sache bereits ergangen ist, hindert in solchen Fällen eine Bestrafung in der Schweiz nicht von vornherein. Eine im Ausland wegen der gleichen Sache bereits verbüsste Strafe ist gemäss
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
vom schweizerischen Richter auf die hier auszufällende Sanktion anzurechnen. Dass in der zu beurteilenden Angelegenheit die in Lörrach verhängte Geldstrafe gemäss dieser Bestimmung berücksichtigt werden soll, ist unbestritten.
b) Eine eigentliche Anerkennung des ausländischen Urteils als definitive Erledigung ergibt sich aus
Art. 3 Ziff. 2 StGB
für den Fall, dass ein Ausländer (wegen der in der Schweiz begangenen Tat) auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden ist.
In der Beschwerdeschrift wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer sei auf Ersuchen der Basler Behörden in Lörrach verfolgt worden. Wie bereits der Polizeigerichtspräsident in seinem Urteil feststellte, kann von einem Übernahmebegehren an die deutschen Behörden nicht die Rede sein. Am 17. Oktober 1983 hat die Verkehrsabteilung Basel-Stadt die Zweigstelle Lörrach der Staatsanwaltschaft Freiburg i/Br. über das gegen den Beschwerdeführer in Basel eingeleitete Ermittlungsverfahren orientiert. In diesem Brief wird mitgeteilt, dass der Fall dem Polizeigerichtspräsidenten überwiesen werde. Die Meldung sollte offensichtlich den deutschen Behörden ermöglichen, gegenüber dem in Deutschland wohnhaften fehlbaren Motorfahrzeugführer die naheliegende Sanktion eines Ausweisentzuges für das deutsche Gebiet zu prüfen. Ein Ersuchen
BGE 111 IV 1 S. 4
um Übernahme der Strafverfolgung im Sinne von
Art. 3 Ziff. 2 StGB
lässt sich dem Schreiben der Verkehrsabteilung nicht entnehmen. Dass die Strafverfolgung in der Schweiz durchgeführt wird, ist eindeutig zum Ausdruck gebracht.
Damit erweist sich die auf
Art. 3 Ziff. 2 StGB
gestützte Einwendung als unbegründet.
c) Entgegen der Behauptung in der Beschwerdeschrift ging der Polizeigerichtspräsident in dem vom Appellationsgericht bestätigten Urteil nicht etwa von einer nach der Länge der gefahrenen Strecken zwischen Deutschland und der Schweiz aufgeteilten Strafkompetenz aus und begründete seine Zuständigkeit nicht damit, dass die Verfehlung, soweit sie auf schweizerischem Gebiet begangen worden sei, durch den Strafbefehl des Amtsgerichtes Lörrach gar nicht erfasst werde. Er stellte im Gegenteil fest, dass die ununterbrochene Fahrt in angetrunkenem Zustand von Lörrach bis zum Zollamt Grenzacherstrasse eine einheitliche Handlung bilde. Der angefochtene Entscheid beruht auf der Erwägung, dass diese einheitliche (über die Staatsgrenze sich erstreckende) Handlung von beiden betroffenen Staaten verfolgt werde und dass die zeitlich nachfolgende Beurteilung in der Schweiz unter Beachtung von
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
vorzunehmen sei. Diese Argumentation ist zutreffend und verletzt das Bundesrecht nicht.
3.
Erscheint somit die Beurteilung gemäss
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
als richtig, so bleibt zu prüfen, ob die Strafzumessung unter Anrechnung der Geldstrafe von DM 700.-- gesetzeskonform erfolgte.
a) Der Polizeigerichtspräsident ging davon aus, dass die übliche Strafe bei einer Fahrt in einem mittleren Rauschzustand (Blutalkoholgehalt von mindestens 1,93%o) 20 Tage Gefängnis betrage.
Gegen diesen Ansatzpunkt der Strafzumessung wird nichts eingewendet. Die kaum begründete, eventualiter beigefügte Rüge geht sinngemäss einfach dahin, die vom Amtsgericht Lörrach verhängte Geldstrafe von DM 700.-- sei der nach schweizerischem Recht angemessenen Bestrafung äquivalent und die Ausfällung einer Reststrafe von 10 Tagen Gefängnis daher nicht gerechtfertigt.
b) Im Urteil des Polizeigerichtspräsidenten wird das Problem der Anrechnung einer Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe in überzeugender Weise erörtert: Weder eine schematische Anrechnung der Geldstrafe in analoger Anwendung von
Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 StGB
(Fr. 30.-- = 1 Tag), noch das Abstellen auf die nach
BGE 111 IV 1 S. 5
deutschem Recht bestimmten Tagessätze (i.c. 35 Tagessätze à DM 20.--) erscheint für den hier notwendigen Anrechnungsentscheid als wirklich angemessen und befriedigend. Der Richter muss im konkreten Fall nach eigenem Ermessen darüber befinden, ob die ausländische Geldstrafe der nach schweizerischem Recht verwirkten Freiheitsstrafe gleichzusetzen ist oder nicht. Erscheint ein gänzlicher Verzicht auf die Freiheitsstrafe nicht als gerechtfertigt, so muss bestimmt werden, in welchem Mass wegen der ausländischen Geldstrafe eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe nach billigem Ermessen angezeigt ist und welche Restfreiheitsstrafe folglich in der Schweiz noch ausgefällt werden soll. Diese "Anrechnung" ohne schematische Richtlinie räumt dem Richter im Einzelfall ein grosses Ermessen ein; doch dürfte auf diesem Wege - unter Vermeidung einer unbilligen Doppelbestrafung - am ehesten gewährleistet sein, dass die Bestrafung in der Schweiz im Ergebnis etwa so ausfällt wie bei vergleichbaren, rein inländischen Sachverhalten.
Im vorliegenden Fall wurde vom Polizeigerichtspräsidenten hervorgehoben, dass bei diesem Grad der Angetrunkenheit und unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen wegen gleichartiger Verfehlungen in der Schweiz regelmässig Freiheitsstrafen ausgesprochen werden. Indem die nach der Schwere der Verfehlung angemessene Strafe von 20 Tagen Gefängnis in "Anrechnung" der Busse von DM 700.-- auf 10 Tage Gefängnis herabgesetzt wurde, haben die kantonalen Gerichte im Rahmen des ihnen zustehenden Ermessens einen vertretbaren Entscheid gefällt und die Vorschrift von
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
nicht verletzt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d048c0c8-83c3-477f-854d-f54dae1fb915 | Urteilskopf
101 Ia 82
16. Urteil vom 4. Juni 1975 i.S. Erben des A. gegen Gemeinde X. und Verwaltungsgericht (Steuerrekursabteilung) des Kantons Nidwalden. | Regeste
Rückwirkungsverbot;
Art. 4 BV
, Art. 5 Nidwald. KV
Anwendung eines Steuergesetzes, wonach Schenkungen, die fünf Jahre vor dem Tod des Schenkers erfolgten, besteuert werden, auf Schenkungen, die zur Zeit der alten Steuernorm, welche nur eine Zweijahresfrist vorsah, vollzogen waren: unzulässige Rückwirkung, wenn der Schenker erst nach der nach Ablauf der Zweijahresfrist erfolgten Inkraftsetzung der neuen Steuerbestimmung stirbt; massgeblicher Beziehungspunkt ist die Schenkung, nicht der Tod des Schenkers. | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 101 Ia 82 S. 82
Der am 9. Juli 1971 verstorbene A., der im Kanton Nidwalden wohnhaft gewesen war, hatte am 20. November 1967 seinen Nachkommen und Geschwistern Wertschriften mit einem Kurswert von Fr. 5'391'750.-- geschenkt.
Die Ziffern 1 und 2 des zur Zeit der Schenkung geltenden § 30 des Armengesetzes lauteten:
"1. Der Staat erhebt eine Erbschafts- und Vermächtnissteuer.
2. Der Besteuerung unterliegt das Vermögen, das durch gesetzliche Erbfolge, letztwillige Verfügung oder Erbvertrag jemandem zu Eigentum anfällt. Schenkungen oder anderweitige Vermögenszuwendungen, die innerhalb von 2 Jahren, vom Todestag des Erblassers zurückgerechnet, erfolgt sind, werden den steuerpflichtigen Vermächtnissen gleichgestellt."
BGE 101 Ia 82 S. 83
Am 1. Januar 1971 trat im Kanton Nidwalden ein neues Steuergesetz in Kraft, dessen Art. 45 bestimmt:
"Der Besteuerung unterliegt das Vermögen, das durch gesetzliche Erbfolge, letztwillige Verfügung, Erbvertrag oder Schenkung auf den Todesfall jemandem zu Eigentum anfällt. Schenkungen oder anderweitige Vermögenszuwendungen, die innerhalb von fünf Jahren, vom Todestag des Erblassers zurückgerechnet, erfolgt sind, werden den steuerpflichtigen Vermächtnissen gleichgestellt."
Gestützt auf diese Bestimmung hat das Steueramt die von A. am 20. November 1967 gemachten Schenkungen der Erbschafts- und Vermächtnissteuer unterstellt. Eine von den betroffenen Erben erhobene Einsprache, mit welcher geltendgemacht wurde, die Besteuerung widerspreche dem Rückwirkungsverbot von Art. 5 KV, wurde von der Gemeindesteuerkommission X. abgewiesen. Auch ein Rekurs an das kantonale Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Nidwalden (Steuerrekursabteilung) vom 17. Oktober/26. November 1973 legten die Erben staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und Art. 5 KV ein.
Das Verwaltungsgericht Nidwalden und die Gemeindesteuerkommission beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird geltend gemacht, der angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts Nidwalden verletze sowohl Art. 5 KV, wonach "rückwirkende Gesetze, die den Privaten neue Belastungen auferlegen, unzulässig sind", wie
Art. 4 BV
(Verletzung wohlerworbener Rechte). Es wird darin allerdings nicht dargetan, inwiefern das in Art. 5 KV verankerte Prinzip über das bundesverfassungsmässige Rückwirkungsverbot hinausgehe. Im angefochtenen Entscheid wurde Art. 5 KV dahingehend ausgelegt, dass alle rückwirkenden Gesetze, die den Privaten neue Belastungen auferlegen, unzulässig sind. Diese Auslegung deckt sich mit dem Wortlaut der kantonalen Verfassungsbestimmung. Demgegenüber lässt das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung zu
Art. 4 BV
die Rückwirkung regelmässig dann zu, wenn sie ausdrücklich angeordnet oder nach dem Sinn des Erlasses klar
BGE 101 Ia 82 S. 84
gewollt ist, in zeitlicher Beziehung mässig ist, zu keinen stossenden Rechtsungleichheiten führt, sich durch beachtenswerte Gründe rechtfertigen lässt und nicht in wohlerworbene Rechte eingreift (
BGE 94 I 5
mit Verweisungen). Die kantonale Verfassungsnorm gewährt dem Berechtigten insofern einen weitergehenden Schutz als das Bundesrecht, als sie nach der Auslegung des Verwaltungsgerichts keine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot zuzulassen scheint. Ob ein Verstoss gegen das bundesrechtliche Rückwirkungsverbot vorliegt, ist somit nicht zu prüfen, sondern es ist vorerst einzig zu untersuchen, ob die Anwendung von Art. 45 des am 1. Januar 1971 in Kraft getretenen Steuergesetzes auf den zur Frage stehenden Tatbestand eine Rückwirkung im Sinne des Art. 5 KV darstellt.
a) Die Gemeindesteuerkommission hat sich darauf berufen, dass das an der Landsgemeinde vom 26. April 1970 angenommene neue Steuergesetz nicht rückwirkend, sondern auf den 1. Januar 1971 in Kraft gesetzt worden sei und nur auf Nachlasssteuern Anwendung finde, die durch einen nach dem 1. Januar 1971 erfolgten Todesfall ausgelöst würden. Von einem rückwirkenden Gesetz könne deshalb nicht gesprochen werden. Dieser Umstand reicht aber, wie die Beschwerdeführer mit Recht geltend machen und das Verwaltungsgericht stillschweigend anerkennt, nicht aus, um eine verfassungswidrige Rückwirkung auszuschliessen. Nicht nur die rückwirkende Inkraftsetzung ganzer Gesetze, sondern auch einzelne rückwirkende Gesetzesbestimmungen, welche Privaten neue Belastungen bringen, sind unzulässig. Andernfalls könnte das Rückwirkungsverbot durch einzelne, die Rückwirkung statuierende Gesetzesvorschriften völlig seine Wirksamkeit verlieren.
b) Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Entscheid im wesentlichen folgendermassen begründet: Ausgangspunkt für die Berechnung der Frist, innert deren Schenkungen den steuerpflichtigen Vermächtnissen gleichgestellt würden, sei der Todestag des Erblassers. Deshalb seien die Bestimmungen des zu diesem Zeitpunkt geltenden neuen Steuergesetzes uneingeschränkt anwendbar. Dass die Schenkungen, welche steuerfrei gewesen wären, wenn der Erblasser vor dem 1. Januar 1971 verstorben wäre, nach Inkrafttreten des neuen Steuergesetzes wieder von der Steuer erfasst würden, erfülle den Tatbestand der Rückwirkung nicht. Die Rechtsordnung
BGE 101 Ia 82 S. 85
des Rechtsstaates stelle eine dynamische, abänderbare Ordnung dar, und die zeitliche Geltung der Rechtssätze sei beschränkt. Da der Erblasser nach Inkrafttreten des neuen Steuergesetzes gestorben sei, bedeute die Anwendung von Art. 45 nicht eine rückwirkende, sondern nur eine zusätzliche Belastung der Rekurrenten. Diese hätten sich, solange der Erblasser noch gelebt habe, nicht darauf verlassen können, dass sie ein für allemal von der Erbschaftssteuerpflicht für Schenkungen befreit seien. Sie hätten kein wohlerworbenes Recht auf deren Steuerfreiheit gehabt. Von rückwirkender Kraft eines Steuergesetzes könne nur gesprochen werden, wenn die Steuerpflicht an Tatbestände anknüpfe, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes lägen. Die Steuerpflicht knüpfe jedoch hier an das Ableben des Steuerpflichtigen an.
c) Dem gegenüber machen die Beschwerdeführer geltend, sowohl der Schenker als auch die Beschenkten hätten sich darauf verlassen dürfen, dass eine Besteuerung nach Ablauf der Zweijahresfrist des damaligen Gesetzes nicht mehr in Frage komme. Erst nach Ablauf dieser Frist, nämlich am 26. November 1969, sei es zu weiteren Schenkungen des Erblassers gekommen, im Vertrauen darauf, dass im Zeitpunkt der zweiten Schenkung jede Erbschaftssteuerforderung für die erste ausgeschlossen gewesen sei. Die Beschwerdeführer würden zwar anerkennen, dass es kein wohlerworbenes Recht auf den Fortbestand einer günstigen gesetzlichen Regelung gebe. Sie wehrten sich aber dagegen, dass trotz des ausdrücklichen Verbots der Rückwirkung neuer Gesetze die neue fünfjährige Frist auf die Schenkungen vom Jahr 1967 ausgedehnt werde, nachdem die damals geltende Zweijahresfrist bereits verstrichen gewesen sei. Der Erfolg sei für sie der gleiche, ob man von einer rückwirkenden oder zusätzlichen Belastung spreche. Zusätzliche Belastungen seien gleichbedeutend mit "neuen Belastungen", welche durch Art. 5 KV ausgeschlossen seien.
2.
Hinsichtlich des Begriffs der Rückwirkung wird im angefochtenen Entscheid auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 4 BV
verwiesen. Danach liegt grundsätzlich nur dann eine Rückwirkung vor, wenn bei der Anwendung eines Verwaltungsgesetzes an ein in der Vergangenheit liegendes vor Erlass des den Bürger belastenden Gesetzes abgeschlossenes Ereignis, nicht jedoch, wo an Verhältnisse geknüpft wird, die zwar noch unter der Herrschaft des alten
BGE 101 Ia 82 S. 86
Rechts entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts jedoch noch fortdauern (
BGE 96 I 676
). Im Steuerrecht ist insbesondere dann von rückwirkender Kraft eines Gesetzes zu sprechen, wenn die Rechtsfolge der Steuerpflicht an Tatbestände anknüpft, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes liegen, nicht aber auch dann, wenn lediglich der Umfang der Steuerpflicht nach Tatsachen bestimmt wird, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetreten sind (
BGE 74 I 104
mit Verweisungen; IMBODEN, Verwaltungsrechtsprechung, 4. Aufl. Bd. I S. 160 ff., A. GRISEL, ZBl 1974 S. 242 f.).
a) Auch wenn die geschenkten Güter möglicherweise weiterhin im Eigentum der beschenkten Beschwerdeführer sind, so sind die Schenkungen, die 1967 vollzogen worden sind, doch als abgeschlossene Vorgänge zu betrachten. Dies wird vom Verwaltungsgericht denn auch zu Recht in keiner Weise bestritten. Es fragt sich somit einzig, ob die Schenkung steuerbegründender Faktor ist, oder ob sie nur für den Umfang der Erbsteuerpflicht bzw. nicht einmal dafür von Bedeutung ist.
b) Gemäss dem zur Zeit der Schenkung geltenden § 30 des Armengesetzes erhob der Kanton Nidwalden als Mittel zur Armenunterstützung eine Erbschafts- und Vermächtnissteuer (Ziff. 1). Eine allgemeine Schenkungssteuer war darin nicht vorgesehen. Dagegen wurden die Schenkungen unter Lebenden in Ziff. 2 Satz 2 unter einer Voraussetzung den Vermächtnissen gleichgestellt. Das bedeutet indessen nicht, dass dadurch solche Schenkungen zu Vermächtnissen wurden. Die Schenkung blieb nach wie vor - im Gegensatz zum Vermächtnis - ein zweiseitiges Rechtsgeschäft unter Lebenden, dessen Erfüllungszeitpunkt bzw. Vollzug entweder im schriftlichen Schenkungsversprechen festgesetzt wird oder - bei der Handschenkung - mit der Übergabe der geschenkten Sachen an den Beschenkten zusammenfällt. Die Schenkung war nur dann wie ein Vermächtnis zu besteuern, wenn der Schenker innerhalb von zwei der Schenkung folgenden Jahren verstarb. Offenbar sollte durch diese Vorschrift die Umgehung der Erbschaftssteuer durch Schenkungen unter Lebenden auf dem Totenbett verhindert werden.
§ 30 Ziff. 2 des Armengesetzes schuf somit zwei steuerrechtliche Kategorien von Schenkungen, nämlich steuerfreie und steuerpflichtige Schenkungen. Die letztgenannten erklärte das Gesetz nach den gleichen Grundsätzen steuerbar wie die Vermächtnisse,
BGE 101 Ia 82 S. 87
d.h. der Umfang der Steuerpflicht richtete sich nach den für Vermächtnisse massgebenden Bestimmungen. Die Vorschrift hätte ebensogut lauten können:
"Steuerpflichtig sind solche Schenkungen, bei welchen der Schenker innerhalb von zwei Jahren nach Vollzug der Schenkung stirbt; ist der Schenker zwei Jahre nach der Schenkung noch am Leben, so ist die Schenkung steuerfrei. Steuerpflichtige Schenkungen werden nach den für die Vermächtnisse geltenden Regeln besteuert."
Die Tatsache, dass gemäss § 30 Ziff. 2 vom Todestag des Schenkers zurückzurechnen ist, ändert nichts daran, dass der massgebliche Beziehungspunkt die Schenkung und nicht der Tod ist.
Wurde eine Schenkung gemacht, so bestand bezüglich der Steuerpflicht zuerst ein Schwebezustand, der höchstens zwei Jahre betrug. Dieser Schwebezustand endete entweder mit dem Ableben des Schenkers innerhalb der zweijährigen Frist, oder beim Weiterleben des Schenkers mit dem Ablauf derselben zweijährigen Frist. Starb der Schenker innerhalb von zwei Jahren, wurde die Schenkung steuerpflichtig; lebte er nach zwei Jahren noch - sei es auch nur einen Tag - wurde die Schenkung endgültig steuerfrei. Der nachherige Tod des Schenkers liess die einmal erlangte Steuerfreiheit nicht wieder dahinfallen.
c) Im zu beurteilenden Fall erfolgte die Schenkung am 20. November 1967. Am 20. November 1969, zwei Jahre später, lebte der Schenker noch. Der vom damals geltenden Gesetz erfasste Tatbestand (Schenkung, Weiterleben des Schenkers nach zweijähriger Frist) war vollständig verwirklicht, der Schwebezustand beendet, die gesetzliche Voraussetzung der Steuerfreiheit erfüllt. Die Schenkung wurde steuerfrei. Indem das am 1. Januar 1971 in Kraft getretene neue Steuergesetz einen vor seinem Inkrafttreten vollständig abgeschlossenen Vorgang der Besteuerung unterwirft, ist es rückwirkend im eigentlichen Sinne. Es verstösst damit gegen Art. 5 KV, weshalb die Beschwerde gutzuheissen ist. Anders wäre es höchstens dann gewesen, wenn das neue Steuergesetz, das die früher vorgesehene zweijährige Frist auf fünf Jahre verlängert, während des vom alten Recht beherrschten Schwebezustandes in Kraft getreten wäre; wenn z.B. die Schenkung am 30. Juni 1969 erfolgt, das neue Gesetz am 1. Januar 1971 in Kraft
BGE 101 Ia 82 S. 88
getreten und der Schenker am 30. September 1971, d.h. mehr als zwei Jahre, aber weniger als fünf Jahre nach der Schenkung, gestorben wäre. In einem solchen Fall liesse sich allenfalls die Auffassung vertreten, der rechtserhebliche Tatbestand sei im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts noch nicht vollständig verwirklicht gewesen.
d) Ist der angefochtene Entscheid schon aufgrund des Verstosses gegen das kantonale Rückwirkungsverbot aufzuheben, so erübrigt sich, weiter zu prüfen, ob
Art. 4 BV
in irgendeiner Weise verletzt sein könnte.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts Nidwalden vom 17. Oktober/26. November 1973 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d04b98eb-db63-43f6-8de4-c8a03a53ef6b | Urteilskopf
125 II 431
43. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtilchen Abteilung vom 16. Juni 1999 i.S. Arthur Wiederkehr und Max Fischer AG gegen Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 5 Abs. 2 RPG
; materielle Enteignung bei Nichteinzonung.
Wiederholung der Praxis zu den Voraussetzungen der materiellen Enteignung (E. 3 und 4).
Materielle Enteignung im konkreten Fall sowohl aufgrund der bestimmten, von der Rechtsprechung kumulativ geforderten Kriterien (E. 5) als auch nach Massgabe der besonderen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes (E. 6) bejaht. | Sachverhalt
ab Seite 431
BGE 125 II 431 S. 431
A.-
Die Parzelle Nr. 1026 im sog. Unteren Lenzhardfeld lag anfangs der 70er-Jahre in der Industriezone der Einwohnergemeinde Niederlenz und gehörte den Gebrüdern Wiederkehr. Am 5. April 1984 wurde das Grundstück in vier Parzellen aufgeteilt, von denen die Max Fischer AG eine erwarb und Arthur Wiederkehr die restlichen.
BGE 125 II 431 S. 432
B.-
Im Rahmen der Revision des kommunalen Zonenplans stimmte die Gemeindeversammlung von Niederlenz am 30. November 1984 dem neuen Zonenplan zu. Sie lehnte dabei mit überwiegendem Mehr einen Antrag auf Umzonung des noch weitgehend unbebauten Unteren Lenzhardfelds ab, so dass dieses in der Industriezone 2 verblieb.
Am 12. Juni 1986 schloss die Max Fischer AG mit der Nickelmesh AG einen Kaufvertrag über die neue Parzelle Nr. 1026 ab. Dieser Vertrag enthält eine Rücktrittsklausel zugunsten der Käuferin, falls die von ihr projektierte Industriebaute nicht bewilligt würde. Die Käuferin reichte daraufhin das entsprechende Baugesuch ein. Mit Blick auf dieses Gesuch sammelten Stimmberechtigte der Gemeinde Niederlenz Unterschriften und reichten eine kommunale Volksinitiative zur Umzonung des Unteren Lenzhardfelds in die Nichtbauzone ein. Anfangs 1987 teilte der Regierungsrat des Kantons Aargau dem Gemeinderat von Niederlenz mit, er werde das kantonale Genehmigungsverfahren betreffend den neuen Zonenplan bis zur Erledigung der Volksinitiative aufschieben. Am 24. Februar 1987 verfügte der Gemeinderat von Niederlenz eine Planungszone über das umstrittene Areal und wies das Baugesuch der Nickelmesh AG ab. Diese trat vom Kaufvertrag mit der Max Fischer AG zurück.
Am 31. März 1987 entsprach die Gemeindeversammlung dem Volksbegehren und beschloss die Zuweisung des Unteren Lenzhardfelds in die Nichtbauzone. Am 31. Mai 1988 wurde der revidierte kommunale Zonenplan vom Kantonsparlament genehmigt.
C.-
Nachdem Arthur Wiederkehr und die Max Fischer AG sowohl im baurechtlichen Einspracheverfahren als auch im Verfahren der prinzipalen Normenkontrolle gegen den Genehmigungsbeschluss des Kantonsparlaments unterlegen waren, stellten sie bei der Schätzungskommission des Kantons Aargau ein Entschädigungsgesuch wegen materieller Enteignung. Gegen den negativen Entscheid der Schätzungskommission erhoben sie Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau. Dieses wies das Rechtsmittel mit Urteil vom 27. März 1998 ab.
D.-
Arthur Wiederkehr und die Max Fischer AG führen mit Eingabe vom 14. September 1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts. Sie beantragen die Feststellung des Vorliegens einer materiellen Enteignung und Rückweisung an die Vorinstanz zur Bemessung der Entschädigung, eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Die Einwohnergemeinde Niederlenz und das Verwaltungsgericht beantragen
BGE 125 II 431 S. 433
Abweisung der Beschwerde. Während das Bundesamt für Raumplanung auf eine Stellungnahme verzichtet, hat sich die Schätzungskommission nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
a) Eine materielle Enteignung im Sinne von
Art. 22ter Abs. 3 BV
und
Art. 5 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG; SR 700)
liegt vor, wenn dem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch einer Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil der betroffenen Person eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird. Geht der Eingriff weniger weit, so wird gleichwohl eine materielle Enteignung angenommen, falls einzelne Personen so betroffen werden, dass ihr Opfer gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erschiene und es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung geleis- tet würde. In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer künftigen besseren Nutzung der Sache indessen nur zu berücksichtigen, wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verwirklichen. Unter besserer Nutzung eines Grundstücks ist in der Regel die Möglichkeit seiner Überbauung zu verstehen (
BGE 123 II 481
E. 6b S. 487;
BGE 121 II 417
E. 4a S. 423;
BGE 119 Ib 124
E. 2b S. 128; vgl.
BGE 125 II 1
E. 3b/aa S. 6).
b) Wird bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung, welche den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen entspricht, eine Liegenschaft keiner Bauzone zugewiesen, so liegt gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine sog. Nichteinzonung vor, und zwar auch dann, wenn die in Frage stehenden Flächen nach dem früheren, der Revision des Bodenrechts nicht entsprechenden Recht überbaut werden konnten. Eine Nicht- einzonung in eine Bauzone löst grundsätzlich keine Entschädigungspflicht aus (eingehend dazu
BGE 123 II 481
E. 6b S. 487 f.;
BGE 122 II 326
E. 4 S. 328 ff.;
BGE 119 Ib 124
E. 2c und 2d S. 129, mit Hinweisen).
c) Das Verwaltungsgericht hat die umstrittene Zuweisung des hier interessierenden Landes ins übrige Gemeindegebiet als Nichteinzonung bezeichnet, weil die Bauzone nach dem früheren, aus dem Jahr 1962 stammenden und später im Sinne einer Erweiterung der Bauzone revidierten Zonenplan mit Blick auf den zu erwartenden
BGE 125 II 431 S. 434
Bedarf in den kommenden fünfzehn Jahren (vgl.
Art. 15 lit. b RPG
) deutlich zu gross gewesen sei. Die Beschwerdeführer bestreiten die rechtliche Umschreibung dieser Planungsmassnahme heute nicht mehr. In der Tat lässt sich den Akten entnehmen, dass die Bauzone der Einwohnergemeinde Niederlenz anlässlich der Zonenplanrevision von 1984 um rund 8% reduziert wurde. Angesichts dieses Umstandes und der übereinstimmenden Parteiauffassung kann im Folgenden ohne weiteres von einer Nichteinzonung ausgegangen werden.
4.
a) Eine Nichteinzonung trifft den Grundeigentümer wie gesagt nur ausnahmsweise enteignungsähnlich, etwa dann, wenn er überbaubares oder groberschlossenes Land besitzt, das von einem gewässerschutzrechtlichen generellen Kanalisationsprojekt (GKP) erfasst wird, und wenn er für Erschliessung und Überbauung seines Landes schon erhebliche Kosten aufgewendet hat, wobei diese Voraussetzungen in der Regel kumulativ erfüllt sein müssen. Hierin liegt allerdings keine abschliessende Umschreibung der entschädigungspflichtigen Nichteinzonung. Gegebenenfalls können weitere besondere Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes so gewichtig sein, dass ein Grundstück hätte eingezont werden müssen. Ein Einzonungsgebot kann ferner zu bejahen sein, wenn sich das fragliche Grundstück im weitgehend überbauten Gebiet (
Art. 15 lit. a RPG
) befindet. Aufgrund solcher Umstände lässt sich annehmen, der Eigentümer habe am massgebenden Stichtag mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer aus eigener Kraft realisierbaren Überbauung seines Landes rechnen dürfen (
BGE 122 II 455
E. 4a S. 457; siehe auch
BGE 122 II 326
E. 6a S. 333;
BGE 121 II 417
E. 4b S. 423).
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin und wohl auch des Verwaltungsgerichts kann hier eine materielle Enteignung nicht schon deshalb ausgeschlossen werden, weil die Zonenplanänderung erst im Mai 1988 rechtskräftig geworden ist. Zwar trifft zu, dass die Kantone gemäss
Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG
dafür zu sorgen haben, dass die Nutzungspläne spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten des Raumplanungsgesetzes, also spätestens am 1. Januar 1988, vorliegen; solange keine RPG-konformen Bauzonen bestehen, gilt gemäss
Art. 36 Abs. 3 RPG
nur das weitgehend überbaute Gebiet als vorläufige Bauzone. Das heisst indessen nur, dass die Liegenschaften der Beschwerdeführer seit dem 1. Januar 1988 in einer Zone liegen, die als Nichtbauzone zu betrachten ist, und dass die strittige Massnahme daher als Nichteinzonung, nicht als Auszonung zu bezeichnen ist. Das bedeutet nicht, dass die Betroffenen die Planungsmassnahme entschädigungslos hinzunehmen hätten.
BGE 125 II 431 S. 435
Vielmehr hängt diese Frage davon ab, ob die genannten Voraussetzungen der ausnahmsweise entschädigungspflichtigen Nichteinzonung gegeben sind.
5.
Die hier zu beurteilende Nichteinzonung löst im Lichte des in E. 4a hievor Gesagten sowohl nach Massgabe der bestimmten, kumulativ geforderten Kriterien (nachfolgend a-d) wie auch aufgrund der besonderen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes (E. 6 hienach) die Entschädigungspflicht aus.
a) Die Einwohnergemeinde Niederlenz bestreitet die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach das Land der Beschwerdeführer als groberschlossen zu betrachten sei: Eine Anbindung der Industriezone an eine leistungsfähige Strasse fehle, und die Erschliessung führe heute über das Gemeindegebiet von Lenzburg und genüge daher nicht. Es gebe ausserdem gar keine Feinerschliessung. Zudem verfügten die Parzellen der Beschwerdeführer über keinen Gleisanschluss, und einen solchen könnten diese auch nicht aus eigener Kraft realisieren.
Die Industriezone 2 grenzt auf einer Länge von rund 170 Metern an den Lenzhardweg, dessen einzige Funktion die Erschliessung der Industriezone 1 ist. Diese ist denn auch weitgehend überbaut. Die Ringstrasse verfügt demnach über einen für diesen Zweck ausreichenden Ausbaustandard. Gemäss dem Protokoll der Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 1991 verfügt der Lenzhardweg über einen guten Belag und ist gekoffert. Es ist nicht zu erkennen, weshalb diese Strasse den zusätzlichen Zu- und Wegfahrverkehr, der mit einer industriellen Nutzung des «Unteren Lenzhardfelds» verbunden wäre, nicht aufnehmen könnte. Die Gemeindebehörden haben anlässlich der erwähnten Verhandlung denn auch die Meinung vertreten, die Baubewilligung hätte - trotz gewissen Problemen mit der überkommunalen Verkehrsführung - nicht wegen mangelhafter strassenmässiger Erschliessung verweigert werden können. Auch die Vorinstanz sowie die Schätzungskommission als die mit den Örtlichkeiten am besten vertrauten kantonalen Behörden haben die Strassensituation nicht als Hindernis für eine Einzonung des Areals erachtet. Was den fehlenden Gleisanschluss betrifft, beruft sich die Beschwerdegegnerin auf keine kommunale oder kantonale Bestimmung, die einen solchen vorschreiben würde, und die Transporte könnten ohnehin über private Verkehrsmittel abgewickelt werden. Schliesslich ist auch die Feinerschliessung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht erforderlich für die Annahme einer entschädigungspflichtigen
BGE 125 II 431 S. 436
Nichteinzonung. Hinsichtlich der übrigen Erschliessungselemente (Sauberwasser, Kanalisation, Strom) wird von keiner Seite geltend gemacht, der derzeitige Ausbaustandard sei ungenügend. Das Areal der Beschwerdeführer kann daher insgesamt als groberschlossen bezeichnet werden.
b) Umstritten ist ferner die Frage, ob die von den Beschwerdeführern getätigten Aufwendungen als erheblich im Sinne der Rechtsprechung zu gelten haben.
In diesem Zusammenhang ist vorweg zu sagen, dass sich die Max Fischer AG die von ihren Rechtsvorgängern erbrachten Zahlungen anrechnen lassen kann. Sie ist mit dem Erwerb der Parzelle Nr. 1026 in die Rechte und Pflichten der Verkäufer eingetreten und hat deren Rechtspositionen übernommen. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich die von ihren Rechtsvorgängern erbrachten Leistungen auch auf den Kaufpreis ausgewirkt haben, den die Max Fischer AG bezahlen musste. Sofern sich für die Voreigentümer in enteignungsrechtlicher Hinsicht eine Vertrauensposition ergeben hat, darf die Käuferin dasselbe zu ihren Gunsten ableiten (vgl. unten E. 6).
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil unter Hinweis auf die vorinstanzlichen Erwägungen in für das Bundesgericht verbindlicher Weise festgestellt, die Gebrüder Wiederkehr hätten sich in den Jahren 1972 bis 1974 in fünf Teilbeträgen mit insgesamt Fr. 277'105.-- an der Erschliessung des ganzen Industriegebiets im Lenzhardfeld beteiligt. Diese Beiträge seien verschiedenen Erschliessungsanlagen zugute gekommen, wobei die kanalisationstechnische Erschliessung offensichtlich im Vordergrund gestanden habe. Nach 1974 seien nur noch verhältnismässig kleine Beiträge zu leisten gewesen. Dem Entscheid der Schätzungskommission ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführer nach 1974 keine Beiträge an die Erschliessung mehr entrichtet haben, dass aber offenbar mit früher geleisteten Zahlungen bis Ende 1986 Investitionen für die Erschliessung des Areals getätigt worden sind. Soweit die Vorinstanz in Würdigung dieser Sachumstände ausführt, die Zahlungen der Beschwerdeführer fielen zwar ins Gewicht, doch komme ihnen im Hinblick auf die künftigen Überbauungsmöglichkeiten kein entscheidendes Gewicht zu, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Betrag von Fr. 277'105.-- erscheint schon für sich alleine, absolut betrachtet, als erheblich. Auch im Verhältnis zur relativ grossen Landfläche im Eigentum der Beschwerdeführer ändert sich nichts an dieser Beurteilung: Nach den vorinstanzlichen Ausführungen haben die Gebrüder Wiederkehr das Land für rund Fr. 40.--/m2 erworben, und
BGE 125 II 431 S. 437
ihr Erschliessungsbeitrag beläuft sich auf rund Fr. 10.--/m2. Sie haben mit andern Worten Beiträge an die Erschliessung ihres Landes in der Höhe von rund 25% des Kaufpreises geleistet, was ohne weiteres als erheblich gelten kann. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Zahlungen im massgeblichen Zeitpunkt (Mai 1988) bereits mehr als zehn Jahre zurück lagen. Es trifft zwar zu, dass die Möglichkeit, aufgrund von getätigten Dispositionen Rechte für sich abzuleiten, mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt. Es muss aber auch beachtet werden, dass die Beiträge der Beschwerdeführer offenbar bis Mitte der 80er-Jahre der Erschliessung dienten, so dass diese auch nach dem Zeitpunkt ihrer Zahlungen im Vertrauen auf die Überbaubarkeit ihres Landes bestärkt wurden. Weiter vermag die verstrichene Zeitdauer nichts an der absoluten und relativen Bedeutung der Beiträge zu ändern, da die Beschwerdeführer die investierten Mittel nicht mehr anderweitig nutzen konnten; die genannten Investitionen müssen daher unter Hinzurechnung der auf diese Weise entgangenen Zinsen gewürdigt werden.
Anders als das Verwaltungsgericht meint, kann den Beschwerdeführern auch nicht entgegengehalten werden, sie hätten bloss in die Erschliessung, nicht aber in die Überbauung ihres Terrains Geld investiert. Die Formel des Bundesgerichts, wonach Aufwendungen «für Erschliessung und Überbauung» erforderlich seien, ist als allgemeine Richtlinie, nicht als strenge kumulative Voraussetzung zu betrachten. Enteignungsrechtlich relevante Aufwendungen sind im Übrigen praktisch vor allem im Zusammenhang mit der Erschliessung des betreffenden Grundstücks zu erwarten. Schon bei einer erheblichen Investition in die Erschliessung kann daher die Betätigung des Vertrauens des Eigentümers in die Überbaubarkeit seines Grundstücks erblickt werden.
c) Zu prüfen bleibt, ob das Land der Beschwerdeführer von einem gewässerschutzrechtskonformen GKP erfasst wird, welche Frage im vorinstanzlichen Verfahren offen gelassen werden konnte. Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass das Areal der Beschwerdeführer innerhalb des vom GKP vom Mai 1949 (mit Nachführungen vom Dezember 1962 und vom April 1964) bezeichneten Kanalisationsrayons liegt. Sie ist aber der Auffassung, dieses GKP sei überdimensioniert gewesen und habe daher der alten Allgemeinen Gewässerschutzverordnung (aAGSchV) widersprochen.
Dieser Auffassung kann indessen nicht beigepflichtet werden. Art. 15 aAGSchV in der Fassung vom 19. Juni 1972 (AS 1972 I S. 971) sah vor, dass für den Umfang des GKP das im Zonenplan
BGE 125 II 431 S. 438
ausgeschiedene Baugebiet massgebend war. Sofern kein Zonenplan bestand, war das GKP für das überbaute und für das innert höchs-tens 15 Jahren zur Erschliessung vorgesehene Baugebiet auszulegen (vgl. zur Bedeutung dieses Kriteriums für die Frage der materiellen Enteignung
BGE 122 II 455
E. 5b S. 459 f.).
Das vom GKP der Einwohnergemeinde Niederlenz erfasste Terrain ist nicht grösser, sondern kleiner als das vom Zonenplan in der Fassung von 1964 als Baugebiet ausgeschiedene Land. Inwiefern sich an dieser Feststellung durch die Zonenplanrevision von 1971 etwas geändert hat, geht aus den Akten nicht hervor. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich daran nichts geändert hat, denn mit der Zonenplanrevision von 1984 wurde das Baugebiet der Einwohnergemeinde Niederlenz erneut verkleinert, so dass es in seiner Ausdehnung heute im Wesentlichen mit dem GKP übereinstimmt: Während am Westrand des Siedlungsgebiets von Niederlenz die Einfamilienhauszone «Chändelmatte» ausserhalb des GKP liegt, erfasst dieses am Ostrand einige Grundstücke, die heute im übrigen Gemeindegebiet liegen. Aufgrund dieser Sachlage kann jedenfalls nicht gesagt werden, die Beschwerdeführer hätten mit Blick auf die gesetzwidrige Grösse des GKP nicht davon ausgehen dürfen, dass sie ihr Land in absehbarer Zeit überbauen könnten.
d) Zusammenfassend steht fest, dass die Beschwerdeführer im massgeblichen Zeitpunkt (Mai 1988) groberschlossenes Land besassen, das von einem gewässerschutzrechtskonformen GKP erfasst wurde, und dass sie für die Erschliessung ihres Landes schon erhebliche Kosten aufgewendet hatten. Die Nichteinzonung ihres Landes durch die Beschwerdegegnerin trifft sie somit enteignungsähnlich und löst eine Entschädigungspflicht der Einwohnergemeinde Niederlenz aus.
6.
Die Nichteinzonung müsste im Übrigen schon mit Blick auf die auch bei der Anwendung von
Art. 22ter Abs. 3 BV
und
Art. 5 Abs. 2 RPG
zu beachtenden besonderen Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entschädigt werden. Anlässlich der in der ersten Hälfte der 80er-Jahre vorbereiteten Anpassung der Zonenplanung an das RPG war stets vorgesehen gewesen, das Areal der Beschwerdeführer einer Bauzone zuzuweisen. Die Stimmbürgerschaft der Einwohnergemeinde Niederlenz beschloss an der Gemeindeversammlung vom 30. November 1984 denn auch die Belassung des Landes der Beschwerdeführer in der Industriezone. Dies geschah nicht nur stillschweigend durch die Genehmigung des entsprechenden Planentwurfs; vielmehr verwarf die Gemeindeversammlung einen Antrag
BGE 125 II 431 S. 439
auf Auszonung der Industriezone 2 ausdrücklich. Gewiss war die neue Zonenordnung damit noch nicht rechtskräftig und die Beschwerdeführer konnten nicht ohne weiteres ausschliessen, dass dem neuen Zonenplan die Genehmigung durch die kantonalen Instanzen verweigert würde. Diese Möglichkeit musste aber als wenig wahrscheinlich gelten. Nicht nur kommt den Gemeinden in diesen Fragen ein gewisses Planungsermessen zu, sondern von Kantonsseite wurden - soweit aus den Akten ersichtlich - auch nie Bedenken hinsichtlich dieser Planungsmassnahme geäussert. Selbst der Gemeinderat von Niederlenz vertrat in seinen Erläuterungen zur Gemeindeversammlung vom 31. März 1987, an welcher die Zuweisung des interessierenden Landes ins übrige Gemeindegebiet beschlossen wurde, nicht die Auffassung, die Zonenplanänderung sei wegen der überdimensionierten Zonengrösse erforderlich. Gestützt auf diese Sachlage und im Vertrauen auf den Verbleib ihres Landes in der Industriezone hat jedenfalls die Beschwerdeführerin Max Fischer AG mit dem Verkauf ihres Landes an die Nickelmesh AG massgebliche Dispositionen getroffen. Bedeutsam sind dabei auch die mit der geplanten Veräusserung verbundenen Aufwendungen wie die Suche einer Käuferschaft, Notariats- und Verschreibungskosten, Aufwendungen im Zusammenhang mit der Rückabwicklung des Geschäfts usw. Auch aufgrund dieser Vertrauensbetätigung der Max Fischer AG erscheint die von der Beschwerdegegnerin beschlossene Nichteinzonung als entschädigungspflichtige Massnahme. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d050d815-28d7-4dab-9b6b-281866842c58 | Urteilskopf
125 IV 161
25. Urteil des Kassationshofes vom 25. Juni 1999 i.S. K. gegen G. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 270 Abs. 1 BStP
; Legitimation des Geschädigten zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde; Zivilforderung.
Ein Geschädigter, dem ausschliesslich öffentlich-rechtliche Ansprüche aus Haftungsrecht gegen den Kanton zustehen, und der keine Zivilforderungen gegen den angeblich fehlbaren Beamten geltend machen kann, ist zur Erhebung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht legitimiert (E. 3).
Art. 152 Abs. 1 und 2 OG
; unentgeltliche Rechtspflege, Substanziierungs- pflicht des Gesuchstellers.
Die zur Begründung des Gesuchs um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege eingereichten Belege haben über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Gesuchstellers, über sämtliche finanziellen Verpflichtungen sowie über den aktuellen Grundbedarf Aufschluss zu geben. Kommt der Gesuchsteller diesen Obliegenheiten nicht nach, ist das Gesuch abzuweisen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 162
BGE 125 IV 161 S. 162
Der Polizeibeamte G. beteiligte sich am 22. April 1994 an einer Verhaftungsaktion der Kantonspolizei Zürich gegen mutmassliche Drogenhändler im Bezirk Andelfingen. Im Verlaufe dieses Einsatzes löste sich aus seiner Dienstwaffe ein Schuss, wodurch der Verdächtigte K. Verletzungen im Bereich der Brustwirbelsäule und des Rückenmarks erlitt, die zu einer Lähmung beider Beine führten.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Andelfingen verurteilte G. am 30. August 1996 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung gemäss
Art. 125 Abs. 1 StGB
in Verbindung mit
Art. 125 Abs. 2 StGB
zu einer Busse von Fr. 500.--. Die Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche des Geschädigten verwies er auf das Verfahren gemäss Haftungsgesetz des Kantons Zürich.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach den Verurteilten am 6. November 1997 auf Berufung hin frei. Auf die Schadenersatzansprüche des Geschädigten trat es nicht ein.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 12. April 1999 die gegen diesen Entscheid gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von K. ab, soweit es darauf eintrat.
K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Hauptantrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich aufzuheben. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Das Bundesgericht ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten, hat aber das Gesuch um unentgeltiche Rechtspflege gutgeheissen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 270 Abs. 1 BStP
steht die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde auch dem Geschädigten zu, wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann.
Der Beschwerdeführer ist durch den Schusswaffeneinsatz, der allenfalls als Straftat zu qualifizieren ist, in seiner physischen
BGE 125 IV 161 S. 163
Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden. Er gilt damit als Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes (
Art. 2 Abs. 1 OHG
; SR 312.5). Zugleich ist er auch Geschädigter nach
Art. 270 Abs. 1 BStP
(
BGE 122 IV 79
E. 1;
BGE 120 IV 44
E. I 2a). Indem er eine Einstellungsverfügung der Bezirksanwaltschaft Andelfingen angefochten und gegen den erstinstanzlichen Entscheid Berufung erhoben hat, beteiligte er sich am kantonalen Verfahren. Ebenso hat er in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in genügender Weise dargetan, warum er seine Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche bisher nicht hat beziffern können und weshalb die angestrebte Verurteilung des Polizeibeamten insbesondere die Bemessung einer allfälligen Genugtuung beeinflussen könne (
BGE 124 IV 188
E. 1;
BGE 123 IV 78
E. 2b). Er wäre aus dieser Sicht somit zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt.
2.
a) Das Opferhilfegesetz ist unter anderm darauf ausgerichtet, dem Opfer die Durchsetzung seiner Zivilansprüche zu erleichtern (Botschaft des Bundesrates zum Opferhilfegesetz, BBl 1990 II 987 f.). So kann das Opfer im Rahmen des Strafverfahrens seine Zivilansprüche adhäsionsweise geltend machen, wobei diese grundsätzlich vom Strafrichter zu beurteilen und nicht auf den Zivilweg zu verweisen sind. Schliesslich ist das Opfer berechtigt, den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anzufechten wie der Beschuldigte, soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft (Art. 8 Abs. 1 lit. a und c,
Art. 11 OHG
).
b) Zivilansprüche im Sinne des OHG sind solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach
Art. 41 ff. OR
. Unter Zivilansprüchen sind jedoch auch Forderungen nach
Art. 9 Abs. 1 und 2 UWG
zu verstehen (
BGE 120 IV 154
E. 3c/aa). Nicht in diese Kategorie gehören hingegen Ansprüche, welche sich aus öffentlichem Recht ergeben, beispielsweise die subsidiären Forderungen an den Staat gemäss
Art. 11 OHG
oder Ansprüche des Staates gegen fehlbare Beamte (DONATSCH/SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, § 192, N. 22; WEISHAUPT EVA, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Diss. Zürich 1998, S. 226 f. mit Verweisen; STRÄULI BERNHARD, Pourvoi en nullité et recours de droit public au Tribunal fédéral, S. 91 N. 226).
Der Kanton Zürich hat gestützt auf den Vorbehalt in
Art. 61 OR
das Gesetz über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie
BGE 125 IV 161 S. 164
ihrer Behörden und Beamten (Haftungsgesetz/ZH) erlassen. Demnach stehen dem Geschädigten für den Schaden, den ihm ein Beamter in Ausübung einer amtlichen Verrichtung zufügte, ausschliesslich Ansprüche gegen den Staat zu. Der Beschwerdeführer hat somit keine Möglichkeit, den seiner Ansicht nach fehlbaren Polizeibeamten ins Recht zu fassen (§ 6 Abs. 4 Haftungsgesetz/ZH). Diese steht einzig dem vorleistungspflichtigen Gemeinwesen im Rahmen der Rückgriffsregelung zu (§ 14 ff. Haftungsgesetz/ZH). Die Voraussetzungen der Staatshaftung, der Umfang der Entschädigung, die Geltendmachung sowie die Verwirkung und Verjährung von Ansprüchen werden vom kantonalen Recht abschliessend geregelt. Es handelt sich dabei um öffentliches Recht (
BGE 122 III 101
E. 1;
BGE 111 II 149
E. 3b).
3.
Dies hat zur Folge, dass ein Opfer von Bundesrechts wegen im Strafverfahren keine Ansprüche gemäss kantonalem Verantwortlichkeitsrecht geltend machen kann, da sie in öffentlichem Recht gründen. Sie würden sich im Übrigen gegen das Gemeinwesen richten, welches in einem Strafverfahren nur nach Massgabe des kantonalen Rechts beteiligt ist. Als Zivilforderungen im Sinne von
Art. 270 Abs. 1 BStP
können jedoch nur solche Ansprüche betrachtet werden, die überhaupt adhäsionsweise im Strafverfahren geltend gemacht werden können (
BGE 123 IV 254
E. 1;
BGE 122 IV 139
E. 3b). Im konkreten Fall stehen keine zivilrechtlichen, sondern einzig öffentlich-rechtliche Ansprüche des Opfers gegen den Kanton Zürich in Frage (§ 9 und § 10 Haftungsgesetz/ZH). Der Beschwerdeführer ist daher vorliegend zur Erhebung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht berechtigt.
4.
a) Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (
Art. 278 Abs. 1 BStP
). Er hat indessen ein Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gestellt. Gemäss
Art. 152 OG
gewährt das Bundesgericht einer bedürftigen Partei, deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, die Befreiung von der Zahlung der Gerichtskosten. Bedürftig ist ein Gesuchsteller, der die Leistung der erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann, wenn er die Mittel angreift, die er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie benötigt (
BGE 124 I 1
E. 2a). Grundsätzlich obliegt es dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen und soweit wie möglich zu belegen. Dabei dürfen umso höhere Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen Situation gestellt werden, je komplexer
BGE 125 IV 161 S. 165
die finanziellen Verhältnisse sind (
BGE 120 Ia 179
E. 3a). Aus den eingereichten Belegen muss auf jeden Fall der aktuelle Grundbedarf des Gesuchstellers hervorgehen. Die Belege haben zudem über sämtliche finanzielle Verpflichtungen des Gesuchstellers sowie über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Aufschluss zu geben. Wenn der Gesuchsteller seinen Obliegenheiten nicht nachkommt, ist das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen.
b) Die Anträge des Beschwerdeführers waren nicht von vornherein aussichtslos. Mit Schreiben vom 27. April 1999 wurde er zur Einreichung von Belegen bezüglich der Nachweisung der Bedürftigkeit und seiner Lebenskosten aufgefordert, worauf er zwar lediglich den Unterstützungsbescheid der Fürsorgebehörde und das Berechnungsblatt zur Bemessung der Sozialhilfe des Monats März 1999 einreichte. Aufgrund dieser Angaben kann aber von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Allerdings kann die unentgeltliche Rechtspflege wegen der Unvollständigkeit der eingereichten Belege nur mit Bedenken bewilligt werden. Auf eine Kostenauflage ist demnach zu verzichten, und dem Vertreter des Beschwerdeführers ist für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d052b06b-2e50-43da-8ef7-53a95d76b514 | Urteilskopf
140 I 252
20. Estratto della sentenza della II Corte di diritto pubblico nella causa A. SA contro Dipartimento del territorio e Consiglio di Stato del Cantone Ticino (ricorso sussidiario in materia costituzionale)
2C_315/2013 del 18 settembre 2014 | Regeste
Art. 45 des Tessiner Gesetzes vom 20. Februar 2001 über die Vergabe öffentlicher Aufträge,
Art. 78 und 83 lit. f BGG
; Sanktion, die darin besteht, dass eine Teilnehmerin für die Dauer von fünf Monaten von der Teilnahme an allen aufgrund dieses Gesetzes erfolgenden Ausschreibungen ausgeschlossen und zu einer Geldbusse verurteilt wird.
Die gegenüber der Beschwerdeführerin getroffenen Sanktionen haben Administrativcharakter; die Beschwerde in Strafsachen nach
Art. 78 ff. BGG
kann nicht ergriffen werden (E. 1).
Der Entscheid über den Ausschluss der Teilnahme an allen öffentlichen Ausschreibungen für eine bestimmte Dauer zählt zu den Entscheiden im Sinne von
Art. 83 lit. f BGG
; ein Entscheid "auf dem Gebiet der öffentlichen Beschaffung" liegt auch insoweit vor, als die Geldbusse ausdrücklich damit begründet wird, dass der Zuschlag im Vergabeverfahren auf Grund von falschen Angaben erwirkt wurde. Da sich die Beschwerdeführerin zu den spezifischen Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss
Art. 83 lit. f BGG
nicht äussert, steht einzig die subsidiäre Verfassungsbeschwerde offen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 253
BGE 140 I 252 S. 253
A.
Il 21 maggio 2012, al termine di una procedura di concorso retta dalla legge ticinese del 20 febbraio 2001 sulle commesse pubbliche (LCPubb/TI; RL 7.1.4.1), la Fondazione B. ha aggiudicato alla A. SA le opere di pavimentazione e rivestimento di pareti in linoleum e sintetici del nuovo Centro C. di X.
La delibera ha suscitato le proteste di diverse associazioni di categoria, le quali - in breve - dubitavano che l'aggiudicataria disponesse di un numero sufficiente di posatori di pavimenti. Il 18 settembre 2012 la Commissione paritetica cantonale del ramo della posa di pavimenti ha accertato che la A. SA occupava sul cantiere di X.
BGE 140 I 252 S. 254
cinque lavoratori assunti dopo l'aggiudicazione per tempo determinato. Qualche giorno dopo è stata presentata al Consiglio di Stato ticinese un'interpellanza volta a conoscere i motivi che avevano permesso di aggiudicare la commessa specialistica alla A. SA, la quale disponeva soltanto di due posatori di pavimenti occupati stabilmente, che non erano peraltro stati impiegati a X. Il 2 ottobre 2012, durante una riunione svoltasi tra le diverse parti interessate presso l'Ufficio cantonale dei lavori sussidiati e degli appalti, la A. SA ha riconosciuto questi fatti, precisando che per il cantiere di X. aveva assunto appositamente a tempo determinato cinque lavoratori stranieri.
B.
Il 5 dicembre 2012, al termine di un'inchiesta amministrativa avviata dall'Ufficio di conciliazione, il Consiglio di Stato ha sanzionato la A. SA per avere ottenuto l'aggiudicazione sulla scorta di indicazioni false: in applicazione dell'art. 45 LCPubb/TI l'ha esclusa per cinque mesi dalla partecipazione a tutti gli appalti retti da tale legge e le ha inflitto una pena pecuniaria di fr. 40'000.-. Il provvedimento preso nei confronti della A. SA è stato confermato dal Tribunale cantonale amministrativo con sentenza del 12 marzo 2013.
Il Tribunale federale ha esaminato l'impugnativa interposta contro quest'ultimo giudizio quale ricorso sussidiario in materia costituzionale e l'ha respinta.
(riassunto)
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Il Tribunale federale esamina d'ufficio e liberamente la propria competenza e l'ammissibilità del rimedio proposto (
art. 29 cpv. 1 LTF
;
DTF 136 II 470
consid. 1).
1.1
La sentenza impugnata è fondata sull'art. 45 LCPubb/TI. Questa norma stabilisce che "in caso di gravi violazioni della presente legge, il Consiglio di Stato infligge una congrua pena pecuniaria e/o può escludere il contravventore da ogni aggiudicazione per un periodo massimo di 5 anni" (cpv. 1). L'espressione "pena pecuniaria" può definire una sanzione sia di diritto amministrativo, sia di diritto penale. Il carattere amministrativo del provvedimento è però attestato, oltre che dal titolo marginale ("sanzioni amministrative"), dal fatto che l'art. 45 LCPubb/TI permette di infliggere la pena pecuniaria in alternativa o, come è effettivamente accaduto, in aggiunta all'esclusione dai mercati pubblici, la quale costituisce
BGE 140 I 252 S. 255
indubbiamente sanzione amministrativa. Il ricorso in materia penale degli art. 78 segg. LTF è pertanto escluso (cfr.
DTF 138 I 367
consid. 1.2).
1.2
Scartata questa possibilità va però chiarito se l'impugnativa vada trattata come ricorso in materia di diritto pubblico o se, tenuto conto dell'art. 83 lett. f LTF, data sia solo la possibilità del ricorso sussidiario in materia costituzionale. Se è vero infatti che le critiche della ricorrente - tutte di ordine costituzionale - non impongono una distinzione (sentenza 2C_1022/2011 del 22 giugno 2012 consid. 2, non pubblicato in
DTF 138 I 367
), non così è per quelle contenute nella presa di posizione della COMCO, che la ricorrente ha dichiarato di condividere. Visto che la loro condivisione in replica è tardiva (
DTF 135 I 19
consid. 2.2 pag. 21) e che, come ancora verrà precisato (cfr. consid. 8, non pubblicato), le censure di ordine costituzionale sollevate nel ricorso non permettono la verifica della conformità del giudizio impugnato con la legge sul mercato interno, tale aspetto può in effetti essere esaminato - d'ufficio - solo nel caso che fosse aperta la via del ricorso in materia di diritto pubblico (
DTF 133 II 249
consid. 1.4 pag. 254 seg.).
2.
2.1
Giusta l'art. 83 lett. f LTF il ricorso in materia di diritto pubblico è inammissibile contro le decisioni in ambito di acquisti pubblici se "il valore stimato della commessa non raggiunge la soglia determinante secondo la legge federale del 16 dicembre 1994 sugli acquisti pubblici o secondo l'Accordo del 21 giugno 1999 tra la Confederazione Svizzera e la Comunità europea su alcuni aspetti relativi agli appalti pubblici" (cifra 1) e se "non si pone alcuna questione di diritto d'importanza fondamentale" (cifra 2); i due motivi di esclusione, su cui compete al ricorrente pronunciarsi (
art. 42 cpv. 2 LTF
), sono cumulativi (
DTF 133 II 396
consid. 2 pag. 398 seg.).
Nel caso in esame l'insorgente non si esprime né sul raggiungimento della soglia determinante, né sul sussistere di una questione di diritto d'importanza fondamentale, che non appare del resto data, siccome l'impugnativa verte in sostanza solo sulla proporzionalità della misura presa. Prima di constatare l'inammissibilità del ricorso in materia di diritto pubblico, occorre però ancora chiedersi se il litigio, che ha per oggetto una sanzione composta dall'esclusione dalla partecipazione a tutti gli appalti soggetti alla legge ticinese sulle commesse pubbliche per un periodo di cinque mesi e da una pena pecuniaria, rientri davvero tra le decisioni "in materia di acquisti pubblici" ai sensi dell'art. 83 lett. f LTF.
BGE 140 I 252 S. 256
2.2
Alla questione, rimasta indecisa nella sentenza 2C_1022/2011 del 22 giugno 2012 (cfr. consid. 2, non pubblicato in
DTF 138 I 367
), dev'essere risposto affermativamente.
Come rilevato in dottrina, la formulazione aperta dell'art. 83 lett. f LTF segnala che lo stesso non mira alla sola decisione di aggiudicazione, bensì a tutte le decisioni emanate in una procedura di concorso pubblico (FLORENCE AUBRY GIRARDIN, Commentaire de la LTF, 2
a
ed. 2014, N. 78 SEG. AD
ART. 83 LTF
; THOMAS HÄBERLI, in Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2
a
ed. 2011, n. 153 seg. ad
art. 83 LTF
).
Secondo giurisprudenza, tra queste decisioni ricade anche quella di escludere un offerente da una procedura (sentenza 2D_17/2014 del 7 luglio 2014), e la soluzione non può quindi essere diversa quando una simile misura è pronunciata non già riguardo a un singolo concorso, bensì per tutte le procedure di appalto soggette alla legislazione sulle commesse pubbliche durante un periodo di tempo definito. Al pari di quella che sanziona un offerente con l'esclusione dalla procedura, una decisione "in materia di acquisti pubblici" va d'altra parte ravvisata nella pronuncia di una pena pecuniaria, motivata espressamente dall'ottenimento di un appalto sulla scorta di false indicazioni.
2.3
Confermata l'applicazione dell'art. 83 lett. f LTF alla fattispecie e non essendo stato sostanziato il rispetto delle condizioni da esso previste, il ricorso in materia di diritto pubblico è quindi inammissibile.
L'impugnativa, rivolta contro una decisione finale (
art. 90 e 117 LTF
) di un tribunale cantonale di ultima istanza (
art. 86 e 114 LTF
), tempestiva (
art. 100 cpv. 1 e
art. 117 LTF
) e presentata da persona legittimata a ricorrere (
art. 115 LTF
;
DTF 138 I 367
), dev'essere di conseguenza trattata quale ricorso sussidiario in materia costituzionale. | public_law | nan | it | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0582326-f737-4fac-ba19-d910af19b2ae | Urteilskopf
113 Ia 357
55. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. November 1987 i.S. Stadt Chur gegen X. und Mitbeteiligte und Y. und Mitbeteiligte sowie Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Wohlerworbene Rechte; Aufhebung von Privatgrabstätten.
Wohlerworben sind diejenigen Rechte einer Konzession, welche nicht durch einen Rechtssatz, sondern aufgrund freier Vereinbarung der Parteien entstanden sind (E. 6a/cc).
Allgemeine Voraussetzungen für die Beschränkung von wohlerworbenen Rechten unter dem Titel der Eigentumsgarantie (E. 6b). | Sachverhalt
ab Seite 358
BGE 113 Ia 357 S. 358
Die Stadt Chur erstellte 1862 den neuen Friedhof Daleu mit einer Fläche von 1600 Klaftern (1 Klafter = 4,41 m2). Sie finanzierte den Gesamtaufwand von Fr. 25'816.-- in erheblichem Umfang, nämlich Fr. 9'000.--, durch den "Verkauf" von Familiengräbern, wobei pro Klafter Fr. 75.-- zu bezahlen waren. Diese Geschäfte wurden in sogenannten Legitimationsscheinen festgehalten. Diese stammen für das Verfahren X. vom 25. September 1862 und für das Verfahren Y. und Mitbeteiligte aus dem Zeitraum 1877 bis 1920.
Mit Brief vom 31. März 1986 erhielten die privaten Beschwerdegegner vom Bestattungsamt der Stadt Chur die Mitteilung, es sei ihnen bzw. ihrem Rechtsvorgänger dannzumal eine Konzession verliehen worden. Nach dem städtischen Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen vom 7. Juli 1974 erlösche das Nutzungsrecht an einem Privatgrab nach 40 Jahren. Der Beliehene habe nach Ablauf der Nutzungszeit gegenüber andern Bewerbern das Vorrecht, das bisher benützte Privatgrab gegen Entrichtung der geltenden Taxe erneut für 40 Jahre in Anspruch zu nehmen. Es werde festgestellt, dass die gesetzliche Konzessionsdauer abgelaufen sei. Die Adressaten wurden daher aufgefordert, den beigelegten Konzessionsschein innert Frist unterzeichnet zurückzuschicken und die Gebühr zu entrichten (im Falle von Y. Fr. 3'400.--). In denjenigen Fällen, in denen noch nicht 20 Jahre seit der letzten Erdbestattung verflossen waren, war das Bestattungsamt bereit, die Konzession noch für den Rest dieser Grabesruhe kostenlos weiterlaufen zu lassen. Der Stadtrat wies die dagegen erhobenen Beschwerden mit Entscheiden vom 24. September 1986 ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden jedoch hiess, nachdem es einen Augenschein durchgeführt hatte, mit zwei Urteilen vom 4. Februar/4. Mai 1987 die dagegen eingereichten Rekurse im Sinne der Erwägungen gut.
Die Stadt Chur erhob am 12. Juni 1987 gegen beide Urteile je eine staatsrechtliche Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
5.
Zunächst ist zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht ohne Willkür feststellen durfte, das Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen der Stadt Chur vom 7. Juli 1974 biete keine gesetzliche
BGE 113 Ia 357 S. 359
Grundlage für eine Einschränkung der als Konzession betrachteten Legitimationsscheine.
a) Das Verwaltungsgericht führt dazu in den angefochtenen Entscheiden aus, im Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen der Stadt Chur vom 7. Juli 1974 werde mit keiner Silbe erwähnt, altrechtliche Konzessionen würden durch das neue Gesetz in irgendeiner Weise tangiert. Es würden ganz offensichtlich nur die Fälle der Verleihung neuer sowie die Erneuerung bestehender, inzwischen abgelaufener Konzessionen geregelt. Daraus dürfe aber nicht auch eine stillschweigende Beschränkung noch andauernder altrechtlicher Konzessionen gefolgert werden. Die Konzessionsdauer sei ein wesentlicher Bestandteil der Verleihung, denn sie sei mitbestimmend für das Ausmass der Verpflichtungen, die der Konzessionär übernehme. Eine einseitige Abänderung der Konzessionsdauer treffe das verliehene Nutzungsrecht in seiner Substanz, weshalb das Gesetz dies besonders aussprechen müsse, was vorliegend nicht der Fall sei.
b) Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergebe sich aus dem Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen der Stadt Chur vom 7. Juli 1974 ausdrücklich, dass die altrechtlichen, noch nicht abgelaufenen Konzessionen auf eine bestimmte Zeitdauer befristet seien. Sie beruft sich indessen auf die Bestattungsordnung für die Stadt Chur vom 16. November 1923. Darin werde ausdrücklich je nach Vereinbarung eine Begrenzung von 60 oder 80 Jahren normiert (§ 10) und zudem die Möglichkeit festgehalten, dass die Aufhebung eines Friedhofes verfügt werden könne (§ 11). Die Beschwerdeführerin verkennt aber offensichtlich, dass diese Bestattungsordnung bereits mit dem Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen der Stadt Chur vom 23. Juni 1957 aufgehoben wurde (Art. 26 Abs. 2) und somit für die Beantwortung der Frage, ob eine Beschränkung altrechtlicher, noch nicht abgelaufener Konzessionen möglich sei, nicht mehr massgebend sein kann. Der Vorwurf willkürlicher Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht ist somit nicht belegt. Im übrigen ist auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern die angefochtenen Entscheide in dieser Hinsicht völlig unhaltbar sein sollten.
Man kann zusätzlich auf die bereits von der Beschwerdeführerin angerufene Bestimmung der Bestattungsordnung für die Stadt Chur aus dem Jahre 1923 hinweisen. Wenn noch damals die Dauer entweder auf 60 oder auf 80 Jahre vereinbart werden konnte, so
BGE 113 Ia 357 S. 360
dürfen an ein Gesetz, das eine generelle Verkürzung auf 40 Jahre anordnen will, ohne Willkür besonders hohe Anforderungen gestellt werden; eine derartige Rückwirkung hätte deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Auch das Gesetz über das Bestattungs- und Friedhofwesen der Stadt Chur vom 23. Juni 1957 schafft lediglich die Möglichkeit, für die Zukunft Privatgräber auf 60 Jahre zur Verfügung zu stellen, von einer Anwendung der Befristung auf bestehende Rechte ist keine Rede (Art. 14). Auch damit sollte keine Neuerung eingeführt werden (Botschaft des Stadtrates an die Einwohnergemeinde der Stadt Chur vom 20. Mai 1957). Um gegen diese Argumente aufzukommen, reicht es nicht, einfach den Gegenstandpunkt zu vertreten; soweit in den Beschwerden lediglich die Meinung vertreten wird, eine Rückwirkung sei zulässig, gehen die Ausführungen am zu entscheidenden Problem vorbei.
6.
Das Verwaltungsgericht hielt das Vorgehen der Stadt Chur überdies für verfassungsrechtlich verfehlt. Diese Frage überprüft das Bundesgericht auch im Rahmen einer Autonomiebeschwerde frei (
BGE 110 Ia 206
E. 2a;
BGE 104 Ia 127
E. 2b).
a) aa) Das Verwaltungsgericht nimmt an, die Rechte an den Privatgräbern seien Sondernutzungsrechte an Sachen im öffentlichen Gebrauch im Sinne des alten (§ 225 des Bündnerischen Civilgesetzbuches von 1862, CGB; Art. 130 Abs. 2 aEGZGB) und des geltenden (§ 150 Abs. 2 EGZGB) Sachenrechts. Soweit ihr Inhalt gestützt auf die im Zeitpunkt der Ausstellung der Legitimationsscheine jeweils geltende Gesetzgebung durch Vereinbarung bestimmt worden sei, liege ein wohlerworbenes Recht vor. Zwar enthielten die Legitimationsscheine keine Bestimmung über eine zeitliche Begrenzung; vielmehr lasse die in allen Konzessionen festgeschriebene Zulässigkeit der Vererbung theoretisch eine ewige Dauer der verliehenen Rechte zu. Ein Vertragsverhältnis mit zeitlich unbeschränkter Verbindlichkeit könne es aber nicht geben. Die ewige Dauer, welche faktisch der Veräusserung der im Gemeingebrauch stehenden Sache gleichkäme, sei auch aufgrund von § 225 CGB und Art. 130 aEGZGB untersagt, welche den Erwerb durch Zueignung ausdrücklich verbieten würden.
bb) Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass vertragliche Vereinbarungen in einer Konzession und damit auch eine vereinbarte Dauer, wohlerworbene Rechte begründen; sie macht aber geltend, das Gericht habe übersehen, dass die Konzessionsdauer in den Legitimationsscheinen eben gerade nicht festgelegt sei. Dies
BGE 113 Ia 357 S. 361
trifft offensichtlich nicht zu. Wie die in E. 6a/aa zitierten Ausführungen zeigen, erkannte das Verwaltungsgericht sehr wohl, dass die durch die Legitimationsscheine verliehenen Konzessionen nicht beschränkt sind. Gestützt auf die von ihm als massgebend betrachteten Normen kam es indessen zum Schluss, unbeschränkte, ewige Verleihungen seien rechtlich nicht zulässig. Die tatsächliche Geltungsdauer der im Streite liegenden Legitimationsscheine sei deshalb gestützt auf dasjenige Recht, das im Zeitpunkt der Ausstellung der einzelnen Legitimationsscheine jeweils galt, durch richterliche Auslegung zu ermitteln. Demgegenüber ist die Beschwerdeführerin der Meinung, die Rechtsstellung der Beliehenen in bezug auf die Dauer der Konzession beruhe unmittelbar auf zwingendem Recht, nämlich auf § 225 CGB sowie auf den Begräbnisordnungen von 1862, 1876 und 1896. Demzufolge könne das Verwaltungsgericht hinsichtlich dieser Frage nicht eine richterliche Lückenfüllung vornehmen und damit die Nichtregelung der Konzessionsdauer der vertraglichen Seite zuweisen und als wohlerworbenes Recht qualifizieren.
cc) Es entspricht bundesgerichtlicher Praxis, diejenigen Rechte innerhalb einer Konzession als wohlerworben einzustufen, welche nicht durch einen Rechtssatz, sondern aufgrund freier Vereinbarung der Parteien entstanden sind (Urteil vom 10. April 1985, E. 2b, im ZBl 86/1985, S. 498 ff., S. 500 mit weiteren Hinweisen). Ob dies vorliegend für die Dauer der Privatgrabstätten der Fall ist, prüft das Bundesgericht, da es sich um eine Frage des kantonalen und gemeindeeigenen Gesetzesrechts handelt, nur auf Willkür hin.
Wie bereits in E. 5b ausgeführt, bestätigte die Bestattungsordnung für die Stadt Chur von 1923 ausdrücklich, dass die Benützungsdauer für die Privatgrabstätten je nach Vereinbarung 60 oder 80 Jahre sein könne. Demgegenüber enthalten die Begräbnisordnungen von 1862, 1876 und 1893 keine derartigen Regelungen; sie legen aber die Dauer der Konzession auch nicht selber fest und entziehen damit diese Kompetenz auch nicht ausdrücklich der freien Vereinbarung durch die Parteien. Sie bestimmen einzig, die Privatgrabstätten dürften nicht veräussert werden und könnten nur durch Vererbung auf andere Personen übergehen. Im gleichen Sinn normiert auch § 225 CGB, die "Privat-Berechtigungen" an Sachen, die zum öffentlichen Gebrauch bestimmt seien, könnten weder durch Zueignung noch durch Ersitzung erworben werden. Es lässt sich somit nicht sagen, das Verwaltungsgericht habe klares Recht verletzt, wenn es davon ausging, die Dauer der aus den
BGE 113 Ia 357 S. 362
Legitimationsscheinen fliessenden Benützungsrechte sei nicht generell-abstrakt festgelegt, sondern im Rahmen der gesetzlichen Schranken frei vereinbar gewesen und stelle damit ein wohlerworbenes Recht dar. Daran ändert nichts, dass die einzelnen Legitimationsscheine keine zeitliche Beschränkung enthalten und dieser an sich notwendige Punkt nun durch richterliche Lückenfüllung zu entscheiden ist, denn auch verwaltungsrechtliche Verträge können durch solche Interpretation ergänzt werden (vgl. dazu
BGE 96 I 288
E. 4).
b) Auch wenn ein wohlerworbenes Recht auf die Konzessionsdauer anerkannt wird, kann eine Beschränkung Platz greifen, denn auch solche Rechte bewirken keine Bindung, die in ihrer Tragweite über die Eigentumsgarantie hinausgeht. Eingriffe in wohlerworbene Rechte sind somit zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im überwiegendem öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sind sowie voll entschädigt werden, sofern sie einer Enteignung gleichkommen (
BGE 112 Ia 278
E. 5a; Urteil des Bundesgerichts vom 10. April 1985, E. 3c, im ZBl 86/1985, S. 501 f.). Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheide gestützt auf diese Grundsätze gefällt. Es ist dabei zum - bereits als nicht willkürlich beurteilten (E. 5) - Schluss gekommen, dass das geltende Recht keine gesetzliche Grundlage für die einseitig, von der Stadt Chur mit Verfügungen vom 31. März 1986 für die altrechtlichen, noch nicht abgelaufenen Privatgrabstätten festgelegte Dauer bietet. Folglich braucht auf die weiteren Erwägungen nicht mehr eingegangen zu werden. Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, heute Richtlinien für künftige Entscheidungen zu geben. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d06024c9-fd73-4116-9c81-ee60f74c59e7 | Urteilskopf
123 I 329
34. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 7 novembre 1997 dans la cause S. contre Ministère public du canton du Valais (demande de révision) | Regeste
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
,
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 32 EMRK
,
Art. 139a ff. OG
; Verletzung des Beschleunigungsgebots; Revisionsgesuch, mit welchem als Wiedergutmachung eine mildere Strafe verlangt wird.
Verletzung des Beschleunigungsgebots, festgestellt vom Ministerkomitee des Europarats (E. 1).
Formelle Zulässigkeit des Revisionsgesuchs (E. 2).
Wenn die europäische Behörde aufgrund einer Verletzung des Beschleunigungsgebots eine ihr angemessen erscheinende Wiedergutmachung insbesondere durch eine Entschädigung des Gesuchstellers festgelegt hat, kommt eine Herabsetzung des Strafmasses durch Revision nicht mehr in Frage (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 330
BGE 123 I 329 S. 330
A.-
Par jugement du 1er juin 1994, la Ie Cour pénale du Tribunal cantonal valaisan a condamné S. à la peine de dix ans et demi de réclusion sous déduction de la détention préventive subie, pour brigandage, vol, tentative et délit manqué de vol et extorsion.
B.-
Un recours de droit public (cause 6P.100/1994) et un pourvoi en nullité (cause 6S.467/1994) formés contre ce jugement ont été rejetés dans la mesure où ils étaient recevables par deux arrêts de la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral rendus le 17 novembre 1994.
C.-
Une demande de révision présentée par le condamné a été rejetée par un arrêt de la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral rendu le 7 mars 1995.
D.-
Le condamné a adressé quatre requêtes au Secrétaire général du Conseil de l'Europe (20231/92, 20545/92, 23117/93 et 23223/94), qui ont été jointes.
Le 16 janvier 1996, la Commission européenne des droits de l'homme a adopté un rapport rejetant certains griefs du requérant, mais admettant qu'il y avait eu violation de l'art. 5 par. 3 et de
BGE 123 I 329 S. 331
l'
art. 6 par. 1 CEDH
. En substance, la Commission a considéré que la procédure pénale avait duré trop longtemps, alors que l'accusé se trouvait en détention préventive; elle a certes admis que l'affaire était complexe et que l'accusé avait dans une certaine mesure prolongé la procédure; elle a toutefois estimé que les autorités pénales n'avaient pas constamment mené la procédure avec toute la célérité requise (cf. nos 105 et 131 du rapport précité).
Constatant que la cause n'avait pas été portée devant la Cour européenne des droits de l'homme dans le délai de trois mois, le Comité des Ministres du Conseil de l'Europe a adopté, le 13 septembre 1996, une résolution intermédiaire admettant, conformément au rapport de la Commission, qu'il y avait eu violation de l'art. 5 par. 3 et de l'
art. 6 par. 1 CEDH
; elle a autorisé la publication du rapport et a décidé de poursuivre l'examen du cas.
E.-
Sans attendre davantage, le condamné a déposé, le 20 novembre 1996, une demande de révision des arrêts rendus par le Tribunal fédéral les 7 mars 1995, 17 novembre 1994, 21 décembre 1993, 24 août 1993, 31 juillet 1992 et 27 novembre 1991. Il demandait à titre de réparation une diminution de sa peine et une indemnité appropriée pour les procédures internes et celles devant les autorités européennes; il sollicitait également la suspension de sa peine. Il résulte de sa motivation qu'il estime avoir droit à une réduction de sa peine compte tenu de la violation du principe de la célérité.
Par décision du 20 décembre 1996, le Président de la Ie Cour de droit public du Tribunal fédéral a suspendu la procédure jusqu'à la notification de la décision du Comité des Ministres par l'Office fédéral de la justice.
F.-
Le 5 septembre 1997, le Comité des Ministres a adopté une résolution finale dans laquelle il explique qu'il est parvenu à la conclusion, en accord avec les propositions de la Commission, que le Gouvernement suisse devait verser au requérant, comme satisfaction équitable, une somme de 10'000 francs; constatant que le Gouvernement suisse avait transmis le rapport de la Commission et les décisions du Comité des Ministres aux autorités directement concernées et qu'il avait versé au requérant, dans le délai imparti, la somme de 10'000 francs comme satisfaction équitable, il a estimé qu'il avait rempli ses fonctions.
G.-
Par lettre du 10 septembre 1997, S. a demandé au Tribunal fédéral de reprendre la procédure de révision. Insistant sur la possibilité d'une réparation sous forme de réduction de peine, il indique par ailleurs qu'il se trouve à nouveau en Suisse pour purger le solde de sa peine, les autorités françaises ayant accordé son extradition.
Les autorités cantonales n'ont pas formulé d'observations dans le délai imparti.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Selon l'
art. 5 par. 3 CEDH
, toute personne détenue à titre provisoire a le droit d'être jugée dans un délai raisonnable ou libérée pendant la procédure.
L'
art. 6 par. 1 CEDH
prévoit que toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue dans un délai raisonnable.
Ces normes consacrent le principe de la célérité, qui impose aux autorités de mener la procédure pénale sans désemparer, de
BGE 123 I 329 S. 332
manière à ne pas maintenir inutilement l'accusé dans les angoisses qu'elle suscite. Les exigences de célérité sont accrues lorsque l'accusé est maintenu en détention pendant la procédure. Le principe de la célérité est sans rapport avec la prescription de l'action pénale, laquelle se calcule à compter de la date de l'infraction; il se distingue également de la circonstance atténuante du temps relativement long, qui est liée à l'approche de la prescription et suppose que l'accusé se soit bien comporté dans l'intervalle; il s'agit d'une exigence à l'égard des autorités pénales qui est distincte de ces autres notions du droit fédéral et ne les contredit pas (cf.
ATF 117 IV 124
consid. 4a p. 127).
b) En l'espèce, la Cour de cassation, dans son arrêt sur le pourvoi en nullité du 17 novembre 1994, a constaté, au stade de la fixation de la peine, que la procédure avait été longue, mais qu'elle était complexe et que l'accusé avait contribué à la prolonger. Ces considérations ne s'écartent pas de celles de la Commission européenne. En revanche, cette dernière a admis que les autorités cantonales n'avaient pas constamment mené la procédure avec la célérité requise, de sorte qu'il y a eu violation de l'art. 5 par. 3 et de l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Dans cette mesure, l'opinion de la Commission européenne diverge des considérants de la Cour de cassation. Il faut d'ailleurs relever que la question de savoir si le principe de la célérité a été ou non violé ne peut être soulevée, selon la jurisprudence, que dans un recours de droit public (
ATF 119 IV 107
consid. 1b p. 109 s.) et que, faute de l'avoir été dans le recours de droit public déposé parallèlement, il n'était pas possible d'entrer en matière (cf.
ATF 122 I 70
consid. 1c p. 73;
ATF 121 IV 317
consid. 3b p. 324;
ATF 117 Ia 393
consid. 1c p. 395, 412 consid. 1c p. 414).
c) Afin d'assurer le respect des engagements pris dans le traité, les parties contractantes à la CEDH ont institué des organes spéciaux en vue de statuer sur les violations alléguées de la CEDH (
art. 19 CEDH
). Il est prévu en particulier que la Commission européenne des droits de l'homme a compétence pour rédiger un rapport dans lequel elle constate les faits et formule un avis sur le point de savoir si les faits constatés révèlent, de la part de l'Etat intéressé, une violation des obligations qui lui incombent aux termes de la Convention (
art. 31 par. 1 CEDH
). Si, dans un délai de trois mois à dater de la transmission au Comité des Ministres du rapport de la Commission, l'affaire n'est pas déférée à la Cour, le Comité des Ministres prend, par un vote à la majorité des deux tiers des représentants ayant le droit de siéger au Comité, une décision sur la question de savoir s'il
BGE 123 I 329 S. 333
y a eu ou non violation de la Convention (
art. 32 par. 1 CEDH
). Dans l'affirmative, le Comité des Ministres fixe un délai dans lequel la partie contractante intéressée doit prendre les mesures qu'entraîne la décision du Comité des Ministres (
art. 32 par. 2 CEDH
). Si la partie contractante intéressée n'a pas adopté des mesures satisfaisantes dans le délai imparti, le Comité des Ministres donne à sa décision initiale, par la majorité prévue au par. 1 ci-dessus, les suites qu'elle comporte et publie le rapport (
art. 32 par. 3 CEDH
). Les parties contractantes s'engagent à considérer comme obligatoire pour elles toute décision que le Comité des Ministres peut prendre en application des chiffres précédents (
art. 32 par. 4 CEDH
).
En suivant la procédure décrite, le Comité des Ministres est parvenu à la conclusion qu'il y avait eu violation de la Convention (
art. 32 par. 1 CEDH
), de sorte que cette décision est obligatoire pour la Suisse, en sa qualité de partie contractante (
art. 32 par. 4 CEDH
).
L'autorité spéciale, instituée par le traité, ayant statué sur la question relevant de sa compétence, celle-ci est maintenant tranchée et il n'y a pas lieu d'y revenir.
La seule question posée est celle des conséquences qu'il faut attacher au constat d'une violation du principe de la célérité.
d) Ni la CEDH, ni le droit suisse ne prescrivent de façon précise les conséquences qui découlent d'une violation de ce principe (
ATF 117 IV 124
consid. 4a p. 127).
2.
a) Selon la doctrine, une violation du principe de la célérité pendant la détention provisoire (
art. 5 par. 3 CEDH
) est normalement réparée par l'imputation de la détention provisoire sur la peine à subir (FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 1996, p. 706 no 50). Or, en l'espèce, il n'est pas contesté que la détention préventive a été imputée et que la durée de la procédure n'a pas amené l'accusé à subir une détention plus longue que la peine qu'il méritait. En règle générale, une violation du principe de la célérité dans le procès pénal, selon l'
art. 6 par. 1 CEDH
, est prise en considération, dans un sens atténuant, au stade de la fixation de la peine (FROWEIN/PEUKERT, op.cit., loc.cit.). Cette conception correspond à la jurisprudence suisse (
ATF 122 IV 103
consid. 4 p. 111,
ATF 119 IV 107
consid. 1 p. 109 s. et surtout
ATF 117 IV 124
consid. 3 p. 126 ss). La doctrine n'exclut toutefois pas une réparation en argent (FROWEIN/PEUKERT, op.cit., loc.cit.).
En l'espèce, le Comité des Ministres a considéré comme réparation équitable que le rapport de la Commission soit publié, qu'il soit communiqué aux autorités auxquelles une violation est reprochée et
BGE 123 I 329 S. 334
que l'accusé ait reçu une indemnité de 10'000 francs. Aucune autre mesure n'a été considérée comme nécessaire par l'autorité spécialisée compétente (cf.
art. 32 par. 2 et 3 CEDH
).
La question posée est donc de savoir si l'accusé peut prétendre encore à une diminution de la peine qui lui a été infligée par un jugement entré en force.
Selon l'
art. 139a OJ
:
"La demande de révision d'un arrêt du Tribunal fédéral ou d'une décision d'une autorité inférieure est recevable lorsque la Cour européenne des droits de l'homme ou le Comité des Ministres du Conseil de l'Europe a admis le bien-fondé d'une requête individuelle pour violation de la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales, du 4 novembre 1950, ou de ses protocoles et que la réparation ne peut être obtenue que par la voie de la révision.
Si le Tribunal fédéral constate qu'une révision s'impose mais qu'elle est de la compétence d'une autorité inférieure, il renvoie l'affaire à cette dernière pour qu'elle mette en oeuvre la procédure de révision.
L'autorité cantonale est tenue d'entrer en matière sur la demande de révision même si le droit cantonal ne prévoit pas ce motif de révision."
L'
art. 140 OJ
précise que:
"La demande de révision doit indiquer, avec preuve à l'appui, le motif de révision invoqué et s'il a été articulé en temps utile; elle doit en outre dire en quoi consiste la modification de l'arrêt et la restitution demandées."
Pour ce qui est du délai, dans le cas de l'
art. 139a OJ
, il est fixé à 90 jours après que l'Office fédéral de la justice a notifié aux parties la décision des autorités européennes (
art. 141 al. 1 let
. c OJ).
Pendant la procédure, le tribunal ou le président peut, en exigeant au besoin des sûretés, suspendre l'exécution de l'arrêt attaqué et ordonner d'autres mesures provisionnelles (
art. 142 OJ
).
Lorsque le tribunal admet le motif de révision invoqué, il annule l'arrêt et statue à nouveau. Il prononce en même temps sur la restitution quant au fond et aux dépens (
art. 144 al. 1 OJ
).
b) En l'espèce, le requérant a sollicité l'annulation de plusieurs arrêts du Tribunal fédéral.
Il purge actuellement une peine prononcée par l'autorité valaisanne le 1er juin 1994 et confirmée par l'arrêt de la Cour de cassation du 17 novembre 1994, et sollicite en réalité une réduction de peine. Il est dès lors évident qu'il n'a aucun intérêt à demander la révision d'arrêts du Tribunal fédéral qui concernent un stade antérieur de la procédure. Dans cette mesure, sa demande de révision est irrecevable.
BGE 123 I 329 S. 335
S'agissant de l'arrêt du 17 novembre 1994 sur le recours de droit public, il ne porte en aucune façon sur l'existence de la violation constatée par l'autorité européenne; cet arrêt est donc sans rapport avec la décision européenne qui constitue le motif de révision invoqué. Dans la mesure où la demande vise à annuler cet arrêt, elle est par conséquent également irrecevable.
Il en va de même pour ce qui est de l'arrêt du 7 mars 1995, qui rejette une précédente demande de révision; il ne porte en aucune manière sur le problème actuellement soulevé et la décision européenne ne contient rien qui puisse justifier une révision de cet arrêt. Sur ce point aussi, la demande de révision est irrecevable.
c) Dans sa demande de révision, le requérant conclut à l'octroi d'une indemnité pécuniaire. Comme l'autorité européenne a déjà statué sur le principe et le montant de cette indemnité, cette question ne saurait justifier une révision. Le requérant n'explique d'ailleurs pas sur quelle base il pourrait prétendre à une indemnité additionnelle. Pour ce qui est des frais de procédure, il serait statué selon l'
art. 144 al. 1 OJ
si la demande de révision était admise.
d) La demande de révision étant tranchée par le présent arrêt, la requête d'effet suspensif est sans objet (
art. 142 OJ
).
e) La demande de révision ne peut donc être recevable que dans la mesure où elle conclut à l'annulation de l'arrêt rendu le 17 novembre 1994 sur le pourvoi en nullité et, par voie de conséquence, de l'arrêt du Tribunal cantonal valaisan du 1er juin 1994, puisque seules ces décisions portent sur la quotité de la peine, dont le requérant demande l'atténuation.
f) Déposée prématurément, la demande de révision respecte assurément le délai fixé par l'
art. 141 let
. c OJ; fondée sur l'
art. 139a al. 1 OJ
, en produisant les pièces nécessaires, elle est recevable à la forme dans la mesure où elle tend à une réduction de la peine découlant de l'arrêt du Tribunal cantonal du 1er juin 1994 et de l'arrêt sur le pourvoi en nullité du 17 novembre 1994.
S'il est vrai que le Comité des Ministres a admis le bien-fondé d'une requête individuelle pour violation de la CEDH, il reste à se demander si la seconde condition posée par l'
art. 139a al. 1 OJ
est remplie, c'est-à-dire si la "réparation ne peut être obtenue que par la voie de la révision".
3.
Selon les mécanismes de la CEDH, une satisfaction en argent constitue en général une voie subsidiaire (cf.
art. 50 CEDH
; FROWEIN/PEUKERT, op.cit., loc.cit.). La violation de l'
art. 5 par. 3 CEDH
a été en principe réparée par l'imputation de la détention préventive.
BGE 123 I 329 S. 336
Quant à la violation de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, l'autorité européenne, considérant probablement que la peine était entrée en force, a déterminé elle-même la réparation qui lui paraissait équitable, allouant en particulier au requérant une indemnité de 10'000 francs.
Par rapport aux réparations prévues par la CEDH, la révision, qui s'en prend à une décision entrée en force, revêt un caractère subsidiaire, comme cela ressort de l'exigence qu'une réparation ne puisse être obtenue que par la voie de la révision (art. 139a al. 1 in fine OJ).
Cela résulte clairement du message du Conseil fédéral, dans lequel on peut lire:
"C'est surtout en octroyant à la personne lésée une somme d'argent en réparation du dommage matériel ou du tort moral subi que l'on efface les conséquences d'une violation de la Convention." (FF 1991 II p. 503 par. 313).
La révision a été conçue en songeant en particulier à l'hypothèse où la composition du tribunal ne serait pas conforme à la loi (FF 1991 II p. 503 par. 313). Il a été précisé, au sujet de l'exigence formulée à l'
art. 139a al. 1 OJ
, que:
"La simple admission d'une requête individuelle à Strasbourg n'entraînera donc pas, à elle seule, la révision du jugement suisse; dans bien des cas, le jugement rendu par les autorités européennes et l'octroi éventuel d'une somme d'argent en réparation du dommage matériel ou du tort moral subi suffiront. Si tel n'est pas le cas, alors seulement la procédure suisse devra être rouverte." (FF 1991 II p. 523 no 518).
La doctrine admet également, même en critiquant cette solution, que la révision n'a été conçue que comme "ultima ratio" lorsqu'il n'est pas possible de remédier à l'atteinte par l'indemnisation du lésé (Poudret/Sandoz-Monod, Commentaire OJ, art. 139a no 2.3).
En l'espèce, l'autorité instituée par le traité, dont les décisions lient la Suisse, a estimé que la réparation qu'elle avait fixée était équitable et que l'affaire était ainsi liquidée.
Comme une prise en considération au stade de la fixation de la peine constitue normalement la réparation adéquate dans le cas d'une violation du principe de la célérité, on peut admettre que l'autorité européenne s'est posé cette question et qu'elle aurait pu obtenir tout renseignement utile sur les possibilités de révision en Suisse. En conséquence, on doit conclure qu'elle a choisi délibérément la réparation qui lui paraissait satisfaisante dans le cas d'espèce, en tenant compte de l'état de la procédure et de la gravité relative des violations constatées. La réparation satisfaisante consiste en une
BGE 123 I 329 S. 337
publication du rapport de la Commission, en un envoi du rapport aux autorités auxquelles une violation de la Convention a été reprochée, et en une indemnité pécuniaire de 10'000 francs que le requérant a reçue.
On ne voit pas pourquoi les autorités nationales ne devraient pas aussi se considérer comme liées par la décision européenne sur ce point. En tout cas, dans le cas d'espèce, on ne voit pas de raison de s'en écarter et d'exiger une réparation supplémentaire.
Une réparation satisfaisante ayant déjà été obtenue, la seconde condition de l'
art. 139a al. 1 OJ
n'est pas réalisée en ce sens que la réparation a été obtenue par une autre voie que la révision.
4.
La demande de révision doit par conséquent être rejetée dans la mesure où elle est recevable.
S'agissant d'un problème juridique nouveau, il sera statué sans frais. | public_law | nan | fr | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0660288-8dfe-4496-98aa-7bdd5cc7a28d | Urteilskopf
83 II 291
43. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Juli 1957 i.S. Brügger gegen Scheiwiler. | Regeste
Aktiengesellschaft.
Haftung für vor der Eintragung der A.-G. im Namen der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen,
Art. 645 OR
.
Die Vorschrift gilt auch im Verhältnis zwischen Gründern. | Sachverhalt
ab Seite 291
BGE 83 II 291 S. 291
A.-
Der Beklagte Brügger kaufte im Dezember 1953 zusammen mit zwei weiteren Beteiligten namens einer zu gründenden AG. die Liegenschaften Neugasse 12 und 14 in St. Gallen zum Zwecke der Neuüberbauung. Eine befriedigende Lösung setzte die Einbeziehung der hinter den beiden Grundstücken gelegenen Liegenschaft "Taube" voraus. Die Bestrebungen des Beklagten zum Erwerb auch dieser Liegenschaft waren indessen vorerst erfolglos. Ihr Eigentümer hatte sich jedoch gegenüber dem Bauunternehmer Scheiwiler (dem heutigen Kläger) und Dr. Binder von der Firma Grossenbacher & Co., Elektrische Unternehmungen, verpflichtet, für eine Gesamtüberbauung auch seine Liegenschaft zur Verfügung zu stellen, falls die beiden genannten Firmen an dem Bauvorhaben beteiligt sein sollten. Auf Betreiben des Beklagten erklärten sich der Kläger und Dr. Binder bereit, bei der vom Beklagten geplanten Gesellschaftsgründung mitzuwirken, unter der Bedingung, dass ihre Firmen bei der Ausführung des Bauprojekts mit den einschlägigen Arbeiten beauftragt
BGE 83 II 291 S. 292
würden. Der Beklagte schloss deshalb am 7. Januar 1954 "für die in Gründung begriffene Immo-Neugass AG." mit dem Kläger und der Firma Grossenbacher eine schriftliche Vereinbarung entsprechenden Inhalts. Danach verpflichtete sich die zu gründende AG., sämtliche für die geplante Neuüberbauung erforderlichen Erd-, Maurer-, Eisenbeton-, Verputz- und Kanalisationsarbeiten mit noch abzuschliessenden besonderen Werkverträgen an den Kläger zu vergeben. Laut einem am gleichen Tag abgeschlossenen Zusatzvertrag hatte der Kläger diese Arbeiten "zu den ortsüblichen mittleren Konkurrenzpreisen" zu übernehmen.
Auf Grund dieser Vereinbarungen kam ebenfalls am 7. Januar 1954 auch der Kaufvertrag über die Liegenschaft "Taube" zustande.
In einer weiteren Vereinbarung vom selben Tage wurde endlich vorgesehen, dass einer der Gründer (Kobelt) dem Kläger zwei und Dr. Binder drei von ihm selbst zu liberierende Aktien fiduziarisch zu überlassen habe. Diese Aktien sollten Ende Mai 1954 Kobelt wieder zurückgegeben werden und damit der Kläger und Dr. Binder als Aktionäre ausscheiden.
Am 11. Januar 1954 wurde die Immo AG. Neugasse gegründet. Ihre Statuten sahen wohl die Übernahme der drei Kaufverträge über die Liegenschaften Neugasse 12 und 14 und "Taube" wie auch eines Mietvertrages vor, den der Beklagte und Kobelt namens der zu gründenden AG. mit einem Interessenten abgeschlossen hatten. Die vom Beklagten mit dem Kläger und Dr. Binder getroffenen Vereinbarungen vom 7. Januar 1954 wurden dagegen weder in den Statuten, noch in der Gründungsurkunde, noch im Protokoll der im Anschluss an die Gründung abgehaltenen Universalversammlung erwähnt.
Als im Juni 1954 die Immo AG. Neugasse mit dem Abbruch der Gebäude begann, verlangte der Kläger von ihr die Erfüllung der mit dem Beklagten getroffenen Vereinbarungen. Die Gesellschaft lehnte jedoch die Übernahme
BGE 83 II 291 S. 293
der Verträge vom 7. Januar 1954 und die Übertragung der fraglichen Arbeiten an den Kläger ab.
B.-
Mit Klage vom 7. Februar/23. Mai 1955 forderte der Kläger gestützt auf
Art. 645 OR
vom Beklagten Ersatz des ihm infolge der Nichtübertragung der Arbeiten entgangenen Gewinns; dieser beträgt, wie heute nicht mehr streitig ist, Fr. 15'763.50. Der Beklagte bestritt seine Ersatzpflicht.
C.-
Das Bezirrksgericht St. Gallen wies mit Urteil vom 25./29. November 1955 die Klage ab. Es nahm an, der Tatbestand des
Art. 645 Abs. 1 OR
sei zwar an sich gegeben; eine Ersatzpflicht des Beklagten entfalle jedoch, weil in den Vereinbarungen vom 7. Januar 1954 die Zusicherung eines Gründervorteils liege und den Kläger selber eine Mitverantwortung dafür treffe, dass dessen nach
Art. 628 Abs. 3 OR
erforderliche Erwähnung in den Statuten unterblieben sei.
D.-
Das Kantonsgericht St. Gallen verneinte das Vorliegen eines Gründervorteils, kam aber zum Schluss, dass selbst bei Bejahung dieser Frage die Haftung des Beklagten aus
Art. 645 OR
gegeben wäre. Demgemäss verpflichtete es den Beklagten mit Urteil vom 10. Januar 1957 zur Bezahlung des dem Kläger erwachsenen Schadens im Betrage von Fr. 15'763.50 nebst 5% Zins seit 23. Februar 1955.
E.-
Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten gegen diesen Entscheid ab, im wesentlichen auf Grund folgender
Erwägungen
Erwägungen:
1.
In erster Linie ist zu prüfen, ob - unabhängig von der Qualifizierung der Verpflichtung der AG. gegenüber dem Kläger als Gründervorteil - die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten gemäss
Art. 645 OR
erfüllt sind. Trifft dies zu, so erübrigen sich nämlich Erörterungen darüber, ob die vom Beklagten mit dem Kläger abgeschlossenen
BGE 83 II 291 S. 294
Verträge vom 7. Januar 1954 überhaupt der Ordnung des
Art. 628 OR
unterstehen.
2.
Wer vor der Eintragung einer AG. im Namen der Gesellschaft gehandelt hat, haftet nach
Art. 645 Abs. 1 OR
für die dabei begründeten Verpflichtungen persönlich. Die Ordnung bezweckt, einerseits ein Handeln der rechtlich noch nicht zur Entstehung gelangten AG. möglichst einzuschränken und anderseits den Vertragsgegner, der sich mit dem in ihrem Namen Handelnden einlässt, zu schützen (
BGE 49 II 192
f.). Der zuletzt genannte Schutzzweck wurde in
BGE 63 II 298
ff. bestätigt und daraus abgeleitet, dass zu den persönlich Haftenden ausser den unmittelbar am Vertragsschluss beteiligten Personen auch diejenigen zu rechnen seien, mit deren Wissen und Willen jene das Geschäft namens der Gesellschaft abgeschlossen haben, dass sich also mit anderen Worten diese Haftung sowohl auf die direkt als die indirekt Handelnden erstrecke. In Weiterverfolgung dieses Gedanken wurde sodann in
BGE 76 II 165
die Tragweite von
Art. 645 OR
dahin umschrieben, dass der durch diese Bestimmung begründeten strengen Haftung im Interesse der Rechtssicherheit jeder unterstellt werde, der als intellektueller Urheber von Rechtshandlungen anzusehen sei, welche für das werdende Gebilde vorgenommen werden.
Art. 645 OR
sieht somit zum Schutze dessen, der mit einer erst in Gründung befindlichen AG. in rechtsgeschäftliche Beziehung tritt, eine weitgezogene persönliche Haftung aller vor, die für die Gesellschaft irgendwie tätig geworden sind. Aus dem Zweckgedanken dieser Ordnung ergibt sich, dass sie auch im Verhältnis zwischen Gründern gelten muss. Schliesst ein Gründer mit einem anderen für die AG. ohne jeden Vorbehalt Verträge ab, die ihrem Inhalt nach weder mit dem Gründungsvorgang, noch mit dem Zweck der AG. notwendig zusammenhängen, sondern ebensogut mit einem Dritten eingegangen werden könnten, so hat der Handelnde gegenüber dem Mitgründer in gleicher Weise wie gegenüber einem aussenstehenden Vertragsgegner dafür einzustehen, dass die AG. die eingegangene
BGE 83 II 291 S. 295
Verpflichtung erfüllt, sei es durch ihre Übernahme gemäss
Art. 645 Abs. 2 OR
, sei es durch ihre Aufnahme in die Statuten, wo eine solche nach
Art. 628 OR
erforderlich ist. Der Mitgründer, der Vertragspartner der künftigen AG. wird, darf sich wie jeder in gleicher Lage befindliche Dritte nach Treu und Glauben darauf verlassen, dass der im Namen der Gesellschaft Handelnde den erwähnten Obliegenheiten nachkommt. Es besteht kein Grund, den letzteren deswegen von der gesetzlichen Haftung nach
Art. 645 OR
zu befreien, weil auf der andern Seite ebenfalls ein Gründer beteiligt ist, zumal er es in der Hand hat, sich durch die Vereinbarung entsprechender Vorbehalte vor Risiken zu schützen.
3.
Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen der persönlichen Haftung des Beklagten gegenüber dem Kläger zu bejahen. Die Verträge vom 7. Januar 1954 stellen rechtlich Vorverträge im Sinne von
Art. 22 OR
dar, die auf den Abschluss von Werkverträgen zwischen dem Kläger und der künftigen AG. gerichtet waren. Der Beklagte ist die Verpflichtung zum Abschluss dieser Werkverträge ohne irgendwelchen Vorbehalt zu seinen oder zu Gunsten der künftigen AG. eingegangen. Die übernommenen Verpflichtungen wurden weder vom Zustandekommen der geplanten AG. abhängig gemacht noch davon, dass diese die Verträge übernehme oder genehmige. Eine Beschränkung der Verpflichtung der AG. oder der Haftung des Beklagten wurde nie ins Auge gefasst. Der Beklagte zog eine solche nach seiner Darstellung gar nicht in Betracht, weil er der irrtümlichen Meinung war, die künftige AG. sei durch die getroffenen Vereinbarungen ohne weiteres verpflichtet.
Für die Haftung des Beklagten spricht auch die Abwägung der Interessenlage der Prozessparteien. Der Anstoss zum Abschluss der streitigen Verträge ging vom Beklagten aus. Die Gesellschaft, deren Gründung er betrieb und für die er handelte, benötigte für die Ausführung ihres Bauvorhabens dringend die Liegenschaft "Taube". Diese war aber ohne die Hilfe des Klägers (und
BGE 83 II 291 S. 296
des Dr. Binder) nicht erhältlich. Als Gegenleistung für die zur Erreichung des angestrebten Ziels unerlässliche Mitwirkung bei der Gründung der AG. anerbot der Beklagte dem Kläger die Übertragung der im Vertrag vom 7. Januar 1954 genannten Arbeiten. Der Beklagte hat somit durch die Zusicherung von Verpflichtungen der künftigen AG. den Kläger zur Erbringung von Leistungen für diese veranlasst. Es war daher Sache des Beklagten, für die rechtsgenügliche Begründung dieser Verpflichtungen durch die Gesellschaft zu sorgen. Hat er dies auf Grund eines Rechtsirrtums versäumt, so hat er auch die Folgen daraus zu tragen.
Dieses Ergebnis widerspricht entgegen der Auffassung des Beklagten nicht Treu und Glauben. Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz ist der Kläger lediglich fiduziarisch und formell, ohne eigenes Interesse an der AG. und mit zum voraus beschränkter Dauer als Gründer und Aktionär in Erscheinung getreten. Es wurden ihm fiduziarisch zwei Aktien anvertraut, die durch einen andern Aktionär zu liberieren waren und die er diesem Ende Mai 1954, also ca. 4 1/2 Monate nach der Gesellschaftsgründung, wieder herauszugeben hatte, womit er als Aktionär ausschied.
Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, dass der Kläger gemäss der Auffassung des Beklagten durch sein Stillschweigen anlässlich der Gründung der AG. seine Rechte verscherzt und deshalb den erlittenen Schaden nach den besonderen Umständen des Falles selber zu tragen habe. Die geschilderten Umstände bestätigen im Gegenteil, dass es dem Beklagten oblag, für die Erfüllung der dem Kläger gemachten Zusicherungen durch die AG. besorgt zu sein. Es müsste, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, gegenteils als unerträglich empfunden werden, wenn der Beklagte und die Immo AG. Neugasse dank der Mitwirkung des Klägers ihren Zweck erreichen konnten, der Kläger selber aber leer ausgehen würde. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d06fae4a-b82d-4c83-95fd-f0a86ac10843 | Urteilskopf
135 IV 97
12. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. L. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
6B_352/2008 vom 3. Dezember 2008 | Regeste
Art. 57b SVG
; Verbot von Radarwarngeräten.
Unabhängig von ihrer Funktionsweise sind sämtliche Geräte und Vorrichtungen verboten, die den Fahrzeugführer davor warnen, bei einer allfälligen Überschreitung der erlaubten Geschwindigkeit ertappt und verzeigt zu werden. Darunter fällt auch das Gerät "Amigo" (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 135 IV 97 S. 97
Das Gerichtspräsidium Rheinfelden büsste L. am 24. Oktober 2007 wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz mit Fr. 300.-, weil er am 18. Januar 2007 in seinem Motorfahrzeug ein Radarwarngerät der Marke "Amigo" mit sich geführt hatte. Zudem ordnete es die Einziehung und die Vernichtung des Gerätes an.
BGE 135 IV 97 S. 98
Eine Berufung von L. wies das Obergericht des Kantons Aargau am 4. April 2008 ab.
L. erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Vom Einzug und der Vernichtung des Radarwarngeräts sei abzusehen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig ist, ob es sich beim Gerät "Amigo" um ein verbotenes Gerät im Sinne von
Art. 57b SVG
handelt. Nach dieser Bestimmung sind Geräte und Vorrichtungen untersagt, welche die behördliche Kontrolle des Strassenverkehrs erschweren, stören oder unwirksam machen können (z.B. Radarwarngeräte). Sie dürfen weder in Verkehr gebracht oder erworben noch in Fahrzeuge eingebaut, darin mitgeführt, an ihnen befestigt oder in irgendeiner Form verwendet werden.
2.1
Die Vorinstanz führt aus, das Gerät "Amigo", das der Beschwerdeführer in betriebsbereitem Zustand in seinem Auto mitführte, sei entwickelt worden, um vor Geschwindigkeitskameras zu warnen. Das Gerät gebe optische und akustische Signale (Stimme und Signalhorn), wenn sich beispielsweise eine Kamera in einer Entfernung von 500 oder 300 Metern oder im nächsten Tunnel befinde. Desgleichen werde gewarnt, wenn in der erwähnten Entfernung eine Rotlichtkamera zu erwarten sei. Gestützt auf die Bedienungsanleitung und die Angaben des Beschwerdeführers stehe fest, dass es sich beim Gerät "Amigo" um ein Radarwarngerät handle, welches nicht nur geeignet, sondern ausschliesslich dazu bestimmt sei, den Motorfahrzeugführer vorzeitig auf Radargeräte aufmerksam zu machen.
Der Einsatz des Gerätes "Amigo" habe demnach stets zur Folge, dass die Wirksamkeit der im Interesse der Verkehrssicherheit durchgeführten Kontrollen aufgehoben oder beeinträchtigt werde. Das Gerät diene offensichtlich dem Zweck, sich ungestraft über Tempolimiten hinwegsetzen zu können. Es erschwere und störe damit die behördlichen Kontrollen des Strassenverkehrs. Ob diese mit einer fixen oder einer mobilen Radaranlage durchgeführt würden, spiele gestützt auf den Gesetzestext sowie den Sinn und Zweck der entsprechenden Bestimmung keine Rolle.
BGE 135 IV 97 S. 99
2.2
Nach Auffassung des Beschwerdeführers fällt das "Amigo"- Gerät nicht unter die in
Art. 57b SVG
verbotene Kategorie. Im Unterschied zu einem Radarwarngerät könne das "Amigo"-Gerät keine elektromagnetischen Wellen registrieren. Es orte lediglich die Position des Fahrzeuges und verbinde sie mit allgemein zugänglichen und damit bekannten Informationen von fixen Radargeräten. Das "Amigo"-Gerät könne mithin keine neu aufgestellten Radaranlagen entdecken. Es stelle mittels GPS lediglich fest, wo sich das Fahrzeug im Moment befinde. Sofern das Gerät über vorgängig eingespeiste Informationen verfüge, wonach sich in der Nähe des Fahrzeugstandortes eine Radaranlage befinde, informiere es den Fahrer. Bei diesem Gerät handle es sich somit um kein Radarwarngerät.
2.3
Die Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes vom 20. März 1975 ermächtigte den Bundesrat in Art. 57 Abs. 4 aSVG (AS 1975 1261), die Herstellung, den Handel und die Verwendung von Geräten und Vorrichtungen zu verbieten, welche die behördliche Kontrolle des Strassenverkehrs stören, erschweren oder unwirksam machen können. Gestützt auf diese Bestimmung erliess der Bundesrat am 19. März 1979 die Verordnung über Geräte zur Störung von Strassenverkehrskontrollen (AS 1979 332). In der Botschaft hatte er festgehalten, die Radarwarngeräte seien deshalb als unzulässig zu betrachten, weil sie den Fahrzeugführern ein ungestraftes Überschreiten der zulässigen Geschwindigkeit problemlos erlauben und damit die Erfassung gerade der notorischen Schnellfahrer ausschliessen würden (BBl 1973 II 1196 Ziff. 33).
Die genannte bundesrätliche Verordnung wurde durch den heute geltenden
Art. 57b SVG
ersetzt, der am 1. Februar 1991 in Kraft trat. Verschiedene Versuche, die Verbote in der bundesrätlichen Verordnung zu unterlaufen, machten eine ausführlichere Rechtsetzung auf Gesetzesstufe notwendig (Botschaft über die Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 27. August 1986, BBl 1986 III 225 Ziff. 23). Die gesetzgebungspolitischen Gründe blieben unverändert. Die Problematik der Störung von Geschwindigkeitskontrollen durch sog. Radarwarngeräte hatte sich seit der Einführung von Tempo 80 auf Ausserortsstrassen und Tempo 120 auf Autobahnen noch verstärkt. Nach Auffassung des Bundesrates würden solche Radarwarngeräte verwendet, um sich ungestraft über die aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes erlassenen Tempolimiten hinwegzusetzen. Gerade die notorischen Schnellfahrer könnten dank
BGE 135 IV 97 S. 100
diesen Geräten nicht erfasst werden. Solche Führer würden die Homogenität des Verkehrs und das Verkehrsklima stören und überdies die anderen Strassenbenützer zu Geschwindigkeitsmissachtungen animieren (Botschaft, a.a.O.).
2.4
Über die gesetzgeberische Absicht beim Erlass von
Art. 57b SVG
kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Es ging darum, technische Geräte und Vorrichtungen zu verbieten, die mit dem Zweck eingesetzt werden, polizeiliche Kontrollen zu beeinträchtigen. Weil solche Einrichtungen vor Geschwindigkeitskontrollen warnen, sind sie geeignet, diese zu stören oder unwirksam zu machen (vgl.
BGE 119 IV 81
E. 3a S. 83).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers und einer Meinung in der Literatur (HANS GIGER, Rechtliche Situation bezüglich GPS-Systemen mit Standortangaben über Radaranlagen, SJZ 103/2007 S. 165 ff.) kann es nicht auf die Funktionsweise des Gerätes ankommen. Es ist unwesentlich, ob im Fahren registrierte elektromagnetische Wellen oder im Gerät vorprogrammierte Informationen vor einer (möglichen) Geschwindigkeitskontrolle warnen, ob das Gerät die Kontrollen aktiv stört oder lediglich passiv darauf hinweist und ob vor einer fixen oder einer mobilen Radaranlage gewarnt wird. Entscheidend ist, dass das Gerät in all diesen Fällen den Führer davor warnt, bei einer allfälligen Überschreitung der Geschwindigkeit ertappt und verzeigt zu werden.
Das Ziel polizeilicher Geschwindigkeitskontrollen besteht darin, Missachtungen der gesetzlichen Vorschriften festzustellen und zu ahnden mit dem hauptsächlichen Zweck, fehlbare Autofahrer im Interesse der Verkehrssicherheit zur Befolgung der Verkehrsregeln anzuhalten (vgl.
BGE 103 IV 186
E. 5c S. 189). Dies wird unterlaufen, wenn der Automobilist sich darauf verlassen kann, bei seiner Geschwindigkeitsüberschreitung nicht erfasst zu werden.
Das "Amigo"-Gerät ermöglicht es dem Fahrzeuglenker, mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs zu sein, ohne wesentlich Gefahr zu laufen, dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Es hält ihn an, seine übersetzte Geschwindigkeit vor der Messstelle (vorübergehend) auf das zulässige Mass zu reduzieren, um sich einer Sanktion zu entziehen. Dass damit eine auf Einhaltung der Tempolimite ausgerichtete polizeiliche Kontrolle unwirksam gemacht wird, liegt auf der Hand.
BGE 135 IV 97 S. 101
2.5
In
Art. 57b Abs. 1 SVG
werden "Radarwarngeräte" bloss beispielhaft aufgezählt. Folglich gehören noch weitere Geräte und Vorrichtungen zum gesetzlichen Anwendungsbereich. Mit der allgemeinen Umschreibung der verbotenen Geräte trägt
Art. 57b Abs. 1 SVG
nicht zuletzt der laufenden technischen Entwicklung Rechnung, ohne dabei dem Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa") zuwiderzulaufen (vgl.
BGE 119 IV 242
E. 1c S. 244 mit Hinweisen). Deshalb kann offenbleiben, was unter "Radarwarngeräten" im Einzelnen zu verstehen ist und ob das "Amigo"-Gerät des Beschwerdeführers unter diesen Begriff fällt.
Auch wenn die Standorte von Geschwindigkeitsmessungen öffentlich bekannt sein können, ändert sich nichts daran, dass der Gesetzgeber die Geräte, die vor solchen Kontrollen warnen, wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung verbieten wollte. Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach die gesetzliche Erwähnung der Radarwarngeräte zeige, dass die Strafbarkeit auf vergleichbare Geräte beschränkt werden sollte, überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass allgemein von "Geräten und Vorrichtungen" die Rede ist, drängte sich eine ausdrückliche Nennung auf, weil zum damaligen Zeitpunkt eigentliche Radarwarngeräte vermehrt in Erscheinung traten (vgl. Botschaft, BBl 1986 III 225 Ziff. 23). Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber sich auf bestimmte Geräte beschränken wollte.
Ebenso unbehelflich ist der Einwand des Beschwerdeführers, es müssten auch Strassenkarten mit eingezeichneten Radarstandorten und entsprechende Radio-Hinweise unter das gesetzliche Verbot fallen. Daraus kann nichts zu seinen Gunsten hergeleitet werden. Im Übrigen stünden einer derart ausdehnenden Interpretation wohl der Wortlaut des
Art. 57b SVG
wie auch die Absicht des Gesetzgebers entgegen.
2.6
Zusammenfassend verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie davon ausgeht, das Mitführen des Gerätes "Amigo" erfülle den Tatbestand des
Art. 57b Abs. 1 SVG
. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d07236c4-a194-4961-a508-654eb9e2efa9 | Urteilskopf
99 Ia 10
2. Auszug aus dem Urteil vom 4. April 1973 i.S. Garwoba AG gegen Konkursamt Arbon und Obergericht des Kantons Thurgau | Regeste
Konkurswiderruf (
Art. 195 SchKG
)
1. Es verstösst nicht gegcn Bundesrecht, gegen den Entscheid über den Konkurswiderruf ein kantonales Rechtsmittel vorzusehen (E. 2a).
2. Die Konkursverwaltung ist zur Anfechtung des Entscheides über den Konkurswiderruf nicht legitimiert (E. 2c und 3c).
3. Der Widerruf des über eine Aktiengesellschaft eröffneten Konkurses ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des
Art. 195 SchKG
auch dann auszusprechen, wenn die Gesellschaft im Sinne von
Art. 725 OR
überschuldet ist. Legitimation zur Überschuldungsanzeige nach
Art. 725 Abs. 3 OR
(E. 3a-d). | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 99 Ia 10 S. 10
A.-
Am 23. März 1972 eröffnete das Gerichtspräsidium Arbon gestützt auf
Art. 189 SchKG
über die Firma Garwoba AG, Egnach, den Konkurs. Am 6. September 1972 stellte der einzige Aktionär und Verwaltungsrat der Garwoba AG, Franz Moser, das Gesuch, es sei der Konkurs gemäss
Art. 195 SchKG
zu widerrufen, da sämtliche Gläubiger ihre "Forderungen" zurückgezogen hätten und mit dem Widerruf einverstanden seien. Das Konkursamt Arbon leitete das Gesuch an das
BGE 99 Ia 10 S. 11
Bezirksgericht Arbon weiter mit dem Antrag, den Konkurs nicht zu widerrufen. Zwar seien die in
Art. 195 SchKG
genannten Erfordernisse für den Widerruf grundsätzlich erfüllt, doch seien zugleich die Voraussetzungen für eine Konkurseröffnung nach
Art. 725 OR
gegeben. Die Garwoba AG könne keine mit dem Bericht der Kontrollstelle versehene und von der Generalversammlung genehmigte Jahresrechnung vorlegen, so dass es zunächst gar nicht möglich gewesen sei, zu entscheiden, ob die Firma im Sinne von
Art. 725 OR
überschuldet sei. Auf Grund des inzwischen aufgenommenen konkursamtlichen Inventars sei dies jedoch klarerweise zu bejahen. Wenn die Verwaltung in einer nachträglich eingereichten "Bilanz" vom 18. August 1972 zum gegenteiligen Ergebnis gelange, so vor allem deshalb, weil sie ihre Liegenschaft offensichtlich überbewertet und gegenüber der konkursamtlichen Schätzung um beinahe 100% höher eingesetzt habe.
B.-
Mit Urteil vom 1. Dezember 1972 sprach das Bezirksgericht Arbon den Widerruf des Konkurses aus. Es nahm an, dass die Voraussetzungen des
Art. 195 SchKG
erfüllt seien und dem Antrag auf Widerruf daher entsprochen werden müsse, gleichgültig, ob der Verdacht einer Überschuldung im Sinne von
Art. 725 OR
bestehe.
Gegen diesen Entscheid des Bezirksgerichtes reichte das "Konkursamt Arbon bzw. die Konkursverwaltung im Konkurs der Firma Garwoba AG, Egnach" Beschwerde ein, welche vom Obergericht des Kantons Thurgau am 18. Januar 1973 gutgeheissen wurde. Das Gericht bejahte die Weiterziehbarkeit des angefochtenen Entscheides. Es nahm sodann an, dass die Konkursverwaltung, die von Gesetzes wegen zum Teil in die Rechte der ordentlichen Verwaltung der Garwoba AG eingetreten sei, an deren Stelle gemäss
Art. 725 OR
den Richter benachrichtigen könne und daher legitimiert sei, den erfolgten Konkurswiderruf anzufechten. Ein Widerruf nach
Art. 195 SchKG
sei dann unzulässig, wenn die konkursite Aktiengesellschaft überschuldet sei und der Konkurs nach
Art. 725 OR
eröffnet werden müsste. Die Regelung des
Art. 725 OR
diene einerseits dem Schutz der Gläubiger, andererseits auch dem Schutze der Allgemeinheit. Dieses öffentliche Interesse sei namentlich dann zu berücksichtigen, wenn es sich um eine Gesellschaft handle, gegen die "chronisch" Konkursverhandlungen angesetzt werden müssten. Von Anfang 1971 bis zur im April 1972 erfolgten Konkurseröffnung
BGE 99 Ia 10 S. 12
seien gegen die Garwoba AG insgesamt 194 solche Verhandlungen angesetzt worden. In einem derartigen Fall habe der Konkursrichter vor Anordnung des Widerrufes vorfrageweise zu prüfen, ob der Konkurs nicht im Interesse der Allgemeinheit durchzuführen sei. Dies zu prüfen sei im vorliegenden Fall unterlassen worden. Eine Rückweisung an die Vorinstanz erweise sich aber als überflüssig, weil die Überschuldung der Garwoba AG aus den konkursamtlichen Inventarisationsakten eindeutig hervorgehe. Der Entscheid des Bezirksgerichtes sei daher aufzuheben und der Konkurswiderruf zu verweigern.
C.-
Gegen dieses Urteil des Obergerichtes vom 18. Januar 1973 führt die Garwoba AG, vertreten durch ihren einzigen Verwaltungsrat und Alleinaktionär, staatsrechtliche Beschwerde. Sie macht geltend, das angefochtene Urteil verstosse gegen
Art. 4 BV
; ausserdem seien bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschriften, das Prinzip der Gewaltentrennung und der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes verletzt. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich, soweit nötig, aus den folgenden Erwägungen.
D.-
Das Obergericht beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen seines Urteils Abweisung der Beschwerde; das Konkursamt Arbon stellt ebenfalls den Antrag, die Beschwerde sei abzuweisen.
E.-
Ausser der staatsrechtlichen Beschwerde hat die Garwoba AG auch einen Rekurs im Sinne von
Art. 19 SchKG
eingereicht, auf den die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes mit Urteil vom 14. Februar 1973 nicht eingetreten ist. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
(Der letztinstanzliche kantonale Entscheid über den Konkurswiderruf ist nur mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar.)
2.
Die Beschwerdeführerin wirft zunächst die Frage auf, ob ein Weiterzug des Erkenntnisses über den Konkurswiderruf an das Obergericht überhaupt möglich gewesen sei. Sie rügt in diesem Zusammenhang eine willkürliche Handhabung des kantonalen Prozessrechts sowie eine Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften und des Grundsatzes der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes.
BGE 99 Ia 10 S. 13
a) Nach
Art. 195 SchKG
fällt der Entscheid über den Widerruf des Konkurses in die Kompetenz des "Konkursgerichtes". Im Gegensatz zu
Art. 174 SchKG
, der den Weiterzug des Konkurserkenntnisses an eine obere kantonale Gerichtsinstanz ausdrücklich vorsieht, enthält
Art. 195 SchKG
keine entsprechende Bestimmung. Dem von der Beschwerdeführerin daraus gezogenen Schluss, ein Weiterzug des Konkurswiderrufes sei bundesrechtlich ausgeschlossen, ist jedoch nicht beizupflichten. Die Frage der Weiterziehbarkeit der im summarischen Verfahren zu fällenden richterlichen Entscheide beurteilt sich grundsätzlich nach dem kantonalen Prozessrecht. In gewissen Fällen ist die Einführung eines Rechtsmittels durch das SchKG immerhin zwingend vorgeschrieben (so in
Art. 174, 185 und 194 SchKG
). In der Praxis wurde aber schon längst anerkannt, dass damit in den übrigen Fällen, in denen sich das SchKG über die Frage der Weiterziehbarkeit nicht ausspricht, die Einführung eines Rechtsmittels nicht schlechthin ausgeschlossen werden wollte (betr. die Zulässigkeit der Appellation gegen Rechtsöffnungsentscheide vgl.
BGE 29 I 183
ff. und FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, S. 136). Es ist den Kantonen vielmehr freigestellt, gegen die Entscheide im summarischen Verfahren allgemein ein Rechtsmittel vorzusehen, soweit das SchKG den Weiterzug nicht ausdrücklich verbietet oder ein solcher nicht dem Zweck und Charakter des betreffenden Verfahrens widerspricht (THORMANN, Die prozessuale Ordnung betreibungsrechtlicher Streitigkeiten in den kantonalen Rechten, Diss. Bern 1930, S. 54;
BGE 29 I 185
). Was den vorliegenden Fall anbelangt, so wäre nicht einzusehen, weshalb im Widerrufsverfahren nach
Art. 195 SchKG
ein kantonales Rechtsmittel bundesrechtlich ausgeschlossen sein sollte, während ein solches bei der Konkurseröffnung durch das SchKG ausdrücklich vorgeschrieben ist. In der neueren Literatur herrscht denn auch die Meinung, dass es den Kantonen überlassen sei, gegen den Entscheid über den Konkurswiderruf ein Rechtsmittel einzuführen (SOLENTHALER, Der Widerruf des Konkurses, S. 20; FRITZSCHE, a.a.O., Bd. II, S. 36; JAEGER, Komm., N. 2 zu
Art. 195 SchKG
). Es wird sogar die Ansicht vertreten, dass eine Weiterzugsmöglichkeit hier bundesrechtlich vorgeschrieben sei (BRAND, SJK 995, S. 3). Ob dies zutrifft, kann offen bleiben. Wesentlich ist, dass das Bundesrecht der Einführung des Rechtsmittels jedenfalls nicht entgegensteht. Wenn das Obergericht gestützt auf das
BGE 99 Ia 10 S. 14
kantonale Prozessrecht den Entscheid über den Konkurswiderruf als weiterziehbar betrachtete, so verstiess es damit weder gegen den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechtes noch gegen bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschriften.
b) Zu prüfen bleibt, ob das Obergericht ohne Willkür annehmen konnte, dass nach thurgauischem Prozessrecht gegen einen Entscheid nach
Art. 195 SchKG
das kantonale Rechtsmittel der Beschwerde gegeben sei. Das Obergericht stützte sich auf
§ 292 Ziff. 7 ZPO
, wonach die Beschwerde u.a. zulässig ist gegen "Erledigungsbeschlüsse der Bezirksgerichte". Es ist nicht unhaltbar, den Entscheid des Bezirksgerichtes, durch den der Konkurs widerrufen, d.h. das Konkursverfahren beendigt wird, als Erledigungsbeschluss im Sinne der genannten Bestimmung anzusehen. Weshalb die Beschwerde nur zulässig sein soll, wenn der Erledigungsbeschluss eine zivilrechtliche Streitigkeit betrifft, wie dies die Beschwerdeführerin behauptet, ist aus dem Gesetz nicht ersichtlich. Nach der thurgauischen Praxis kann offenbar gegen alle gerichtlichen Entscheide in SchKG-Sachen Beschwerde geführt werden, soweit nicht das SchKG selber den Weiterzug ausschliesst (HAGENBÜCHLE, Das Rechtsmittel der Beschwerde nach thurgauischem Zivilprozessrecht, Diss. Zürich 1943, S. 136 ff, 142, 163). Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet.
c) Mit Grund hingegen wirft die Beschwerdeführerin die Frage auf, ob die Konkursverwaltung bzw. das Konkursamt legitimiert gewesen sei, den Entscheid über den Konkurswiderruf anzufechten. Da diese Frage mit der materiellen Streitsache eng verbunden ist, kann sie hier nicht gesondert behandelt werden; es wird an späterer Stelle darauf zurückzukommen sein (s. Erw. 3 c).
d) ...
3.
a) Nach
Art. 195 Abs. 1 SchKG
spricht das Konkursgericht den Widerruf des Konkurses aus und setzt den Schuldner in die Verfügung über sein Vermögen wieder ein, wenn dieser von sämtlichen Gläubigern die schriftliche Erklärung beibringt, dass sie ihre Konkurseingaben zurückziehen, oder wenn ein Nachlassvertrag zustandegekommen ist. Dass im vorliegenden Fall die erste der beiden alternativen Bedingungen erfüllt ist, ist unbestritten. Das hat nach dem Wortlaut des Gesetzes zur Folge, dass der Richter den Widerruf aussprechen muss, unbekümmert um die Zweckmässigkeit dieses Vorgehens oder die Würdigkeit des Schuldners (SOLENTHALER, a.a.O., S. 19). Die
BGE 99 Ia 10 S. 15
Meinung, dass der Konkurswiderruf noch von andern als den in
Art. 195 SchKG
genannten Voraussetzungen abhängig gemacht werden könne, wurde bis anhin offenbar noch nie vertreten. Das Obergericht ging demgegenüber davon aus, dass ein auf
Art. 195 SchKG
gestütztes Widerrufsbegehren dann abzulehnen sei, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen für eine erneute Konkurseröffnung vorlägen. Diese Auffassung lässt sich ohne Willkür vertreten, da ein Widerruf, dem unweigerlich sofort die Neueröffnung des Konkurses folgen müsste, kaum einen vernünftigen Sinn hätte. In der Regel dürften allerdings in einem solchen Fall schon die Bedingungen des
Art. 195 SchKG
nicht oder nicht mehr erfüllt sein.
b) Im hier zu beurteilenden Fall ist die Lage jedoch wesentlich verschieden, da der Konkursrichter keineswegs befugt und verpflichtet wäre, im Anschluss an den Widerruf den Konkurs umgehend neu zu eröffnen.
Das Obergericht nahm an, dass eine offensichtlich überschuldete Aktiengesellschaft nicht gestützt auf die Rückzugserklärungen der Gläubiger den Widerruf des über sie eröffneten Konkurses verlangen könne, sofern die Überschuldung durch die Konkursverwaltung festgestellt und gemäss
Art. 725 Abs. 3 OR
dem Richter mitgeteilt worden sei. Diese Auffassung hält vor
Art. 4 BV
nicht stand. Nach
Art. 725 Abs. 3 OR
ist die Verwaltung einer Aktiengesellschaft verpflichtet, im Falle einer Überschuldung den Richter zu benachrichtigen. Dieser hat daraufhin den Konkurs zu eröffnen; er kann aber auch, auf Antrag der Verwaltung oder eines Gläubigers und sofern Aussicht auf Sanierung besteht, die Konkurseröffnung aufschieben und die zur Erhaltung des Vermögens geeigneten Massnahmen treffen (
Art. 725 Abs. 4 OR
).
Art. 725 OR
regelt somit nur das Verfahren bis zu einer allfälligen Konkurseröffnung. Ist der Konkurs einmal eröffnet, so bleibt für eine Anwendung dieser Bestimmung kein Raum mehr. Es greifen vielmehr die Vorschriften des SchKG Platz, und auch die Zulässigkeit eines Konkurswiderrufes beurteilt sich grundsätzlich nur nach
Art. 195 SchKG
, da das OR hierüber für Aktiengesellschaften und Genossenschaften keinerlei Sonderbestimmungen enthält. Das blosse Bestehen einer Überschuldung kann weder nach dem Wortlaut noch dem Sinn von
Art. 725 OR
einen Grund dafür bilden, einer Aktiengesellschaft den Widerruf des Konkurses zu verweigern, wenn die Voraussetzungen des
Art. 195 SchKG
erfüllt sind. Ist eine
BGE 99 Ia 10 S. 16
Aktiengesellschaft überschuldet, so kann der Richter über sie nur dann den Konkurs aussprechen, wenn er zuvor durch die Verwaltung benachrichtigt worden ist (
Art. 725 Abs. 3 OR
). Es genügt nicht, dass er von der Überschuldung auf andere Weise Kenntnis erhält. Die Erstattung einer Überschuldungsanzeige durch das zuständige Gesellschaftsorgan ist eine formelle Voraussetzung, ohne die ein Eingreifen des Richters nach
Art. 725 Abs. 4 OR
nicht zulässig ist (MARMY, L'intervention du juge en cas d'insolvabilité de la société anonyme, Diss. Fribourg 1950, S. 16 ff). Legitimiert zu einer solchen Anzeige ist, vom hier nicht zutreffenden Sonderfall des
Art. 743 Abs. 2 OR
abgesehen, einzig die Verwaltung der Aktiengesellschaft. Andere Organe der AG oder einzelne Aktionäre sind zur Anzeige der Überschuldung nicht befugt; dasselbe gilt für Gläubiger und Behörden (MARMY, a.a.O., S. 18 ff; GENTINETTA, Die Konkurseröffnung ohne vorherige Betreibung, Diss. Fribourg 1932, S. 46; HENZE, Der Konkurs der Aktiengesellschaft nach schweizerischem Recht, Bern 1923, S. 41 ff; BÜRGI, Komm., N. 12-14 zu
Art. 725 OR
; JAEGER, Komm., N. 1 zu
Art. 192 SchKG
; BGE vom 15. Januar 1945 i.S. Photosilk, publ. in BlSchK 1945, S. 62 ff; SJZ 18, 1921/22, S. 94 f; SJZ 27, 1930/31, S. 55 f). Zwar ist die Verwaltung der AG im Falle der Überschuldung zur Benachrichtigung des Richters verpflichtet. Wird diese Pflicht missachtet, so hat dies aber nur zur Folge, dass die Mitglieder der Verwaltung für den dadurch allfällig entstehenden Schaden persönlich haftbar werden; keinesfalls hingegen kann der Richter bei Unterlassung der Anzeige die in
Art. 725 Abs. 4 OR
vorgesehenen Massnahmen von Amtes wegen anordnen, d.h. unter Umständen den Konkurs von Amtes wegen eröffnen, wenn er auf andere Weise von der Überschuldung Kenntnis erhält. Dass die Regelung des
Art. 725 OR
nicht nur den Interessen der bereits Beteiligten, d.h. namentlich der Gläubiger dient, sondern auch den Schutz allfälliger zukünftiger Kreditgeber im Auge hat und insoweit ein öffentliches Interesse verfolgt, ändert nichts. Es ist nach der dargelegten gesetzlichen Ordnung allein dem verantwortlichen Gesellschaftsorgan anheimgestellt, ob und zu welchem Zeitpunkt eine richterliche Intervention nach
Art. 725 Abs. 4 OR
erfolgen soll.
Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Verwaltung der Garwoba AG, die nie eine Anzeige im Sinne von
Art. 725 Abs. 3 OR
erstattet hat, der Widerruf des Konkurses nicht unter Hinweis
BGE 99 Ia 10 S. 17
auf die Überschuldung der Firma verweigert werden durfte. So wenig die Überschuldung einer AG gegen den Willen der Verwaltung zu einer Konkurseröffnung von Amtes wegen führen kann, so wenig ist es der Verwaltung verwehrt, trotz bestehender Überschuldung gestützt auf
Art. 195 SchKG
einen bereits eröffneten Konkurs widerrufen zu lassen. Hieran kann zum vorneherein kein Zweifel bestehen, wenn der Widerruf auf Grund eines gerichtlichen Nachlassvertrages erfolgen soll, der nur in einem Prozentvergleich besteht und keine Liquidation zur Folge hat; ein solcher Nachlassvertrag käme einer Sanierungsmassnahme im Sinne von
Art. 725 Abs. 4 OR
gleich, so dass zu einer Konkurseröffnung wegen Überschuldung kein Anlass mehr bestünde. Dasselbe muss aber auch gelten, wenn sich die Verwaltung der konkursiten AG auf den zweiten Widerrufsgrund des
Art. 195 SchKG
beruft und die Rückzugserklärungen sämtlicher Gläubiger vorlegt. Durch die Erwirkung des Widerrufs trotz bestehender Überschuldung verstösst sie nicht notwendigerweise gegen die ihr nach
Art. 725 OR
obliegenden Pflichten. Sie besitzt nämlich die Möglichkeit, nach erfolgtem Widerruf ordnungsgemäss den Richter zu benachrichtigen, um das in
Art. 725 Abs. 4 OR
vorgesehene Verfahren einzuleiten, welches nicht zwingend zu einer neuerlichen Konkurseröffnung führt, sondern auch Sanierungsmassnahmen zur Folge haben kann. Ob im Falle der Beschwerdeführerin ein Konkursaufschub im Sinne von
Art. 725 Abs. 4 OR
gegebenenfalls am Platze wäre, kann dahingestellt bleiben. Es ging jedenfalls nicht an, den Widerruf des Konkurses zu verweigern, nachdem sämtliche Gläubiger ihre Konkurseingaben zurückgezogen hatten. Die gegenteilige Auffassung des Obergerichtes, wonach sich eine überschuldete AG auf
Art. 195 SchKG
nicht berufen könne, findet in
Art. 725 OR
keine Stütze; sie steht vielmehr auch mit dem Sinn der obligationenrechtlichen Regelung in klarem Widerspruch.
c) Entgegen der Annahme des Obergerichtes lässt sich das Eingriffsrecht des Richters auch nicht damit begründen, dass die Überschuldung der Garwoba AG im Laufe des hängigen Konkursverfahrens durch die Konkursverwaltung festgestellt worden sei und diese das Recht gehabt habe, an Stelle der ordentlichen Verwaltung nach
Art. 725 Abs. 3 OR
den Richter zu benachrichtigen. Abgesehen davon, dass eine solche Mitteilung während eines Konkursverfahrens keine Rechtswirkungen zu entfalten vermöchte, wäre die Konkursverwaltung auf Grund
BGE 99 Ia 10 S. 18
ihrer gesetzlichen Stellung zu einem derartigen Rechtsakt gar nicht legitimiert. Sie ist nicht Rechtsnachfolgerin der ordentlichen Verwaltung der Aktiengesellschaft. Deren Organe bleiben während des Konkursverfahrens weiterbestehen und haben auch noch in diesem Stadium das Recht und die Pflicht, die Interessen der AG nach Möglichkeit zu wahren (
Art. 740 Abs. 5 OR
; F. V. STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 3. A., S. 322). Die Konkursverwaltung vertritt nur das mit Beschlag belegte Vermögen, d.h. die Konkursmasse, und ihre Befugnisse gehen nicht weiter, als es zur Durchführung des Konkurses notwendig ist. Ob der eröffnete Konkurs zu Ende geführt oder widerrufen werden soll, ist nicht von der Konkursverwaltung zu entscheiden, sondern hängt unmittelbar vom Willen der Gläubiger und des Schuldners ab. Es obliegt sodann einzig dem Konkursgericht, festzustellen, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllt sind. Die Konkursverwaltung ist im Widerrufsverfahren nicht Partei und dementsprechend auch nicht legitimiert, gegen den Entscheid der zuständigen Behörde ein Rechtsmittel zu ergreifen (SOLENTHALER, a.a.O., S. 21; BRAND, a.a.O.). Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass es nicht Sache der Konkursverwaltung sein kann, an Stelle der ordentlichen Verwaltung der AG den Konkursgrund der Überschuldung geltend zu machen, um einen etwaigen Widerruf zu verhindern.
d) Da das schweizerische Schuldbetreibungsrecht - vom Sonderfall des
Art. 193 SchKG
abgesehen (Liquidation einer ausgeschlagenen Verlassenschaft) - eine Generalexekution von Amtes wegen nicht vorsieht, musste dem vorliegend gestellten Widerrufsbegehren entsprochen werden. Indem das Obergericht die Konkursverwaltung als beschwerdelegitimiert betrachtete und entgegen dem erstinstanzlichen Richter den Widerruf des Konkurses ablehnte, verstiess es offensichtlich gegen
Art. 195 SchKG
und die das Schuldbetreibungsrecht beherrschenden Grundsätze. Sein Entscheid ist daher wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d086059c-0c1a-4d4a-93c4-352c1a277b85 | Urteilskopf
103 Ia 85
19. Auszug aus dem Urteil vom 2. März 1977 i.S. X. gegen Y. und Justizdirektion des Kantons Bern | Regeste
Art. 4 BV
; Gebühr für öffentliche Beurkundung.
Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze über die Bemessung einer Verwaltungsgebühr auf das Honorar für die öffentliche Beurkundung durch ein freies Berufsnotariat. | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 103 Ia 85 S. 85
Y., Notar in Z., beurkundete am 12. März 1975 einen Kaufrechtsvertrag zwischen Architekt S. und X. betreffend eine überbaute Liegenschaft zum Preis von Fr. 430'000.--. Am 18. April 1975 wurde vor dem gleichen Notar ein Nachtrag zu diesem Vertrag errichtet, der die Ausübung des Kaufrechtes zum Gegenstand hat. Notar Y. stellte X. hiefür Rechnung im Betrage von Fr. 2'901.--, nämlich Fr. 2'865.-- "Gebühren nach Tarif" und Fr. 36.-- Barauslagen. X. ersuchte zunächst Notar Y. um Erläuterung der Gebührenberechnung und stellte in der Folge bei der Justizdirektion des Kantons Bern auf Grund von Art. 25 des Gesetzes über das Notariat vom 31. Januar 1909 (NotG) ein Gesuch um amtliche Festsetzung der Gebühren. Mit Entscheid vom 30. September 1976 bestätigte die Justizdirektion die Rechnung von Notar Y. in vollem Umfange.
Gegen diesen Entscheid erhebt X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Er stellt nicht in Abrede, dass die Gebühren für die Beurkundung des Kaufgeschäftes gemäss dem Dekret über die Notariatsgebühren vom 6. November 1973 korrekt errechnet worden seien, hält jedoch dafür, diese Gebühren stünden im Widerspruch zu
Art. 4 BV
.
BGE 103 Ia 85 S. 86
Erwägungen
Aus dem Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer anerkennt, dass die Gebührenberechnung dem Dekret über die Notariatsgebühren vom 6. November 1973 entspricht. Er macht einzig geltend, sie führe in seinem Falle zu einem mit den aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Grundsätzen der Äquivalenz und der Kostendeckung nicht vereinbaren Ergebnis. Die Rüge der Verfassungswidrigkeit eines Erlasses kann noch im Zusammenhang mit einem Anwendungsakt erhoben werden. Erweist sie sich als begründet, so führt dies allerdings nicht zur Aufhebung der angefochtenen Vorschrift, sondern lediglich zur Kassation des angefochtenen konkreten Entscheides (
BGE 100 Ia 49
E. 4a; 65 E. 1a; 160 E. 4; 173 E. 1; 211 E. 2a; 258 E. 3; 324 E. 1 und 450 E. 5a).
4.
Die Justizdirektion des Kantons Bern macht im angefochtenen Entscheid und in der Vernehmlassung zur Beschwerde im wesentlichen geltend, die Kantone seien hinsichtlich der Ansetzung der Gebühren für öffentliche Beurkundungen frei, solange die Höhe der Ansätze den Gebührencharakter nicht sprenge und die vom Bundeszivilrecht vorgesehenen öffentlichen Beurkundungen nicht verunmögliche oder übermässig erschwere. Sie weist darauf hin, dass in diesem Rahmen die Bedeutung des zu beurkundenden Geschäftes wesentlich sei. Es sei daher gerechtfertigt, die Gebührenansätze nach dem Wert der Kaufsache und nicht nach dem Arbeitsaufwand zu bemessen. Im übrigen legt die Justizdirektion grösstes Gewicht darauf, dass die im Kanton Bern praktizierenden Notare über eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügen und demgemäss wesentlich besser in der Lage seien, das Publikum in zivil- und und steuerrechtlicher Hinsicht zu beraten als z.B. ein zürcherischer Notar, der neben einer praktischen Ausbildung nur einen besonderen Lehrgang von vier Semestern an der Hochschule absolviert habe.
Demgegenüber betont der Beschwerdeführer, es sei zwischen der Tätigkeit des Notars als Urkundsperson und derjenigen als Rechtsberater zu unterscheiden. In einem Falle wie dem seinigen, in dem keine Rechtsberatung erforderlich gewesen sei, müsse die Gebühr zum Zeitaufwand in Beziehung gesetzt werden. Rechne man mit insgesamt zehn Arbeitsstunden,
BGE 103 Ia 85 S. 87
die teils auf den Büroinhaber, teils auf Hilfspersonal entfielen, so komme man zu einem angemessenen Gebührenbetrag von rund Fr. 500.--. Auch wenn dem Notar ein Gesamteinkommen in der Grössenordnung anderer juristischer Berufe zugebilligt und die private Altersvorsorge angemessen in Rechnung gestellt werde, ändere sich an diesem Ergebnis nichts wesentliches.
Die Parteien gehen somit von grundsätzlich verschiedenen Ausgangspunkten aus, um die Angemessenheit der Notariatsgebühr zu bestimmen. Es ist im folgenden zunächst zu prüfen, welche Betrachtungsweise der Lehre und Rechtsprechung zu dieser gesetzlich nicht geregelten Frage besser entspricht.
5.
a) Die Gebühr stellt die Entschädigung dar, welche der Private für eine bestimmte staatliche Leistung zu erbringen hat. Sie unterscheidet sich dadurch von der Steuer, die voraussetzungslos, also ohne Rücksicht auf Gegenleistungen des Staates, zu erbringen ist. Es ist nicht ausgeschlossen, bei der Handänderung von Grundstücken Abgaben zu erheben, die teils Gebühren-, teils Steuercharakter haben (Gemengsteuer). Für die Beurkundungsgebühren des Kantons Bern braucht indessen diese Möglichkeit nicht näher untersucht zu werden, da Steuern in jedem Falle nur vom Staat oder der Gemeinde selbst und nicht von Privaten erhoben werden dürfen. Die Justizdirektion macht denn auch nicht geltend, der streitigen Gebühr komme der Charakter einer Gemengsteuer zu. Die neuere Lehre insbesondere zum bernischen Notariatsrecht schliesst weiter die früher vertretene Auffassung aus, wonach der Anspruch des Notars aus seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Urkundsperson privatrechtlicher Natur sei (MARTI, Bernisches Notariatsrecht, N. 6 zu Art. 23 NotG; SANTSCHI, Die Berufspflichten des bernischen Notars, Diss. Bern 1959, S. 137; CARLEN, Notariatsrecht der Schweiz, S. 155 f.). Es steht somit fest, dass an sich die bundesrechtlichen Grundsätze über die Bemessung von Verwaltungsgebühren anzuwenden sind (
BGE 83 I 86
ff. E. 5, 6).
Dass im Kanton Bern die Beurkundungstätigkeit freiberuflich, nicht durch ein Beamtennotariat ausgeübt wird (Art. 1 Abs. 1 NotG), steht dieser Annahme nicht entgegen. Wer auf eine amtliche Tätigkeit einer Privatperson angewiesen ist, und diese Person dafür entschädigen muss, verdient grundsätzlich den gleichen Schutz wie derjenige, der andere öffentliche
BGE 103 Ia 85 S. 88
Dienste beansprucht und das Entgelt dafür dem Gemeinwesen zu entrichten hat (
BGE 99 Ia 700
E. 2b). Gemäss
Art. 55 Abs. 1 SchlT ZGB
sind zwar die Kantone in der Wahl der Organisationsform des Notariates frei, d.h. sie können die von Bundesrechts wegen vorgeschriebenen öffentlichen Beurkundungen entweder beamteten oder freiberuflich tätigen Notaren übertragen. Das ändert aber nichts am Gebührencharakter des Entgelts für die öffentliche Beurkundung und die Bindung seiner Bemessung an die im folgenden darzulegenden Verfassungsgrundsätze. Der Auffassung von CARLEN (a.a.O., S. 156), MARTI (a.a.O., N. 12 zu Art. 23 NotG) und SANTSCHI (a.a.O. S. 143) kann deshalb nicht beigepflichtet werden, wonach einzige Schranke der kantonalen Tarifhoheit sei, dass die Höhe der Gebühren die Errichtung der vom Bundesrecht vorgesehenen öffentlichen Urkunden nicht verunmöglichen oder übermässig erschweren dürfe. Das gleiche gilt für die entsprechende Meinungsäusserung in der Vernehmlassung der bernischen Justizdirektion.
b) Bei der Bemessung einer Verwaltungsgebühr sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (
BGE 99 III 78
E. 5b;
BGE 97 I 204
E. 6, 334 E. 5;
BGE 84 I 165
ff. E. 3 und 4;
BGE 83 I 89
f. E. 6; vgl. GRISEL, Droit administratif Suisse, S. 120, IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Nr. 110, S. 777 ff.; ZAUGG, Steuer, Gebühr und Vorzugslast, ZBl 74 1973 S. 220) folgende Grundsätze zu beachten:
Das bezugsberechtigte Gemeinwesen bzw. die bezugsberechtigte Amtsperson hat sich nach dem sogenannten Kostendeckungsprinzip zu richten, wenn die Abgabe ihren Gebührencharakter beibehalten und nicht zur Steuer werden soll. Nach diesem Grundsatz soll der Gesamtertrag der Gebühren die Gesamtkosten des betreffenden Verwaltungszweiges in der Regel nicht übersteigen. Bei der Gebührenbemessung können somit auch die allgemeinen Unkosten des betreffenden Verwaltungszweiges mitberücksichtigt werden. Dem Gemeinwesen ist es insbesondere nicht verwehrt, mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall aus Verrichtungen auszugleichen, für die wegen des mangelnden Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann. Ferner ist es durchaus angängig, einerseits die Leistungsfähigkeit der staatlichen Einrichtung und die mit der amtlichen Handlung verbundene Verantwortung, anderseits die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
BGE 103 Ia 85 S. 89
des Pflichtigen und dessen Interessen an der Amtshandlung angemessen zu berücksichtigen. Der Verteilung der Gesamtkosten auf die einzelnen gebührenpflichtigen Verrichtungen sind jedoch Schranken gesetzt. Diese ergeben sich einerseits aus dem Wesen der Gebühr sowie aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und anderseits aus dem Gebot der rechtsgleichen Behandlung sowie aus dem Willkürverbot. Die Gebühr darf zum objektiven Wert der Leistung nicht in ein offensichtliches Missverhältnis geraten und muss sich in vernünftigen Grenzen bewegen (Äquivalenzprinzip). Der Tarif muss nach sachlich haltbaren Gesichtspunkten ausgestaltet sein und darf keine Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist. Auf keinen Fall soll durch die Höhe der Gebühr die Benützung bestimmter Institutionen verunmöglicht oder übermässig erschwert werden.
c) Es trifft zu, dass die Anwendung der dargelegten Verfassungsgrundsätze über die quantitative Festlegung einer Gebühr auf praktische Schwierigkeiten stösst, wenn - wie im Kanton Bern - das Notariat freiberuflich organisiert ist.
Zunächst einmal lassen sich die gesamten Kosten der öffentlichen Beurkundung höchstens annähernd berechnen, weil eine genaue Erhebung eine Überprüfung der privaten Einkommensverhältnisse aller im Kanton tätigen freipraktizierenden Notare voraussetzen würde. Hinzu kommt, dass die Tätigkeit des Notars häufig öffentliche Beurkundung und private Rechtsberatung miteinander verbindet, sodass das Gesamteinkommen in die entsprechenden Bestandteile aufgegliedert werden müsste, da nur der Verdienst aus der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unter dem Gesichtspunkt des Kostendeckungsprinzips in Betracht fällt. Für eine solche Berechnung müsste das Bundesgericht Erhebungen über Tatsachen anstellen, die auch der kantonalen Behörde nicht von Amtes wegen bekannt sind, was im Rahmen einer Willkürbeschwerde nicht angeht (
BGE 101 Ia 28
E. 1).
Von den Kosten der einzelnen Verrichtung wiederum kann nur sehr bedingt auf das Einkommen des einzelnen Notars geschlossen werden. Man müsste hierzu die Zahl und die Bedeutung der in einer bestimmten Zeit erledigten Geschäfte der einzelnen Amtsinhaber kennen, die naturgemäss im Verhältnis zwischen städtischen und ländlichen Regionen und je
BGE 103 Ia 85 S. 90
nach Einzugsgebiet stark variieren. Der kantonale Tarif muss auch dem weniger oder mit Geschäften geringerer Bedeutung beschäftigten Landnotar ein genügendes Einkommen verschaffen, wenn die Erfüllung dieser öffentlichen Aufgabe auch in diesen Gebieten aufrechterhalten werden soll.
Was die Höhe des Einkommens betrifft, so müsste bei dessen Überprüfung die für das Amt vorausgesetzte berufliche Ausbildung berücksichtigt werden, da sie Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität beeinflusst (unten E. 6b). Es wäre auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der freiberufliche Notar für Erwerbsausfälle bei Krankheit, Unfall, Ferien, Militärdienst usw. selber aufzukommen hat, ebenso für die berufliche Altersvorsorge.
Unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips fällt ins Gewicht, dass die Höhe der Gebühr für eine bestimmte notarielle Verrichtung nicht notwendigerweise ihrem objektiven Wert entsprechen muss; mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte darf der Ausfall aus Verrichtungen ausgeglichen werden, für die wegen des mangelnden Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann (
BGE 97 I 204
E. 6). Es müssten daher alle Gebühren für notarielle Verrichtungen im Verhältnis zueinander betrachtet und überprüft werden. Dies würde seinerseits wieder eine Übersicht über die Gesamtkosten und ihre Zusammensetzung bedingen. - Abgesehen davon würde eine solche umfassende Prüfung des ganzen Tarifs den Rahmen der konkreten Normenkontrolle bei weitem sprengen, in der lediglich eine einzige im konkreten Fall erhobene Gebühr für eine bestimmte Verrichtung als verfassungswidrig angefochten wird.
Nach dem Gesagten ergibt sich, dass sich die verfassungsrechtliche Überprüfung kantonaler Notariatsgebühren bei freiberuflicher Organisation aus praktischen Gründen auf die folgenden Gesichtspunkte beschränken muss: Die im konkreten Fall erhobene Gebühr muss in einem vernünftigen Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen (
BGE 97 I 205
). Ein offensichtliches Missverhältnis müsste als übermässige Erschwerung der Benützung des privatrechtlichen Institutes der öffentlichen Beurkundung betrachtet werden (
BGE 83 I 89
f. E. 6), was gegen Sinn und Geist des Bundeszivilrechts verstossen würde (
BGE 96 I 716
E. 3; HUBER, Berner Kommentar,
Art. 6 ZGB
, N. 213 f., DESCHENAUX, Schweiz. Privatrecht II,
BGE 103 Ia 85 S. 91
Einleitungstitel, S. 26 f., 29 f.). Im übrigen muss der Tarif nach sachlich haltbaren Gesichtspunkten ausgestaltet sein und darf keine Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist (
BGE 97 I 205
).
6.
Es ist nun die im konkreten Fall beanspruchte Gebühr auf ihre Vereinbarkeit mit den dargelegten Verfassungsgrundsätzen zu überprüfen.
a) Ein Vergleich der Gebührenansätze der verschiedenen Kantone für das gleiche Rechtsgeschäft führt zu den folgenden Ergebnissen: Die Beurkundung des Verkaufs eines Grundstücks zum Preis von Fr. 430'000.--, wie sie hier in Frage steht, kostet beispielsweise:
- im Kanton Bern Fr. 2'680.--,
- im Kanton Tessin Fr. 2'183.--,
- im Kanton Glarus Fr. 2'150.--,
- im Kanton Genf Fr. 2'112.50,
- im Kanton Wallis Fr. 1'925.--,
- im Kanton Waadt Fr. 1'920.--,
- im Kanton Neuenburg Fr. 1'840.--,
- im Kanton Freiburg Fr. 1'635.--,
- im Kanton Aargau Fr. 1'300.--,
- im Kanton Basel-Stadt Fr. 1'075.--,
- im Kanton Solothurn Fr. 500.--,
und in den Kantonen Schaffhausen,
Thurgau und Zürich Fr. 430.--, (vgl. die Zusammenstellung der am 1. Januar 1975 geltenden Beurkundungsgebühren bei CARLEN, a.a.O., S. 163 ff.). Die drei letztgenannten Kantone kennen nur das Amtsnotariat, während in den westschweizerischen Kantonen, im Kt. Aargau, im Kt. Basel-Stadt und im Kt. Tessin nur das freie Berufsnotariat existiert. In anderen Kantonen ist die Beurkundungsbefugnis in mehr oder weniger weitem Umfange den Anwälten übertragen.
Es trifft zu, dass der Kanton Bern mit einer Gebühr von Fr. 2'680.-- für die in Frage stehende Verrichtung an der Spitze auch jener Kantone steht, die ihr Notariat freiberuflich organisiert haben. Die Berner Gebühr liegt um rund 20% über der nächsttieferen des Kantons Tessin. Aber der Unterschied ist nicht derart krass, dass unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots schon allein aufgrund dieses Vergleichs von einem offensichtlichen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung gesprochen werden könnte; vielmehr liegt er
BGE 103 Ia 85 S. 92
noch im Rahmen dessen, was durch die unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse - Ausbildung, Umsatz, Struktur des Gesamttarifs - erklärbar, und im übrigen durch das Gestaltungsermessen des kantonalen Gesetzgebers gedeckt ist.
b) Die Justizdirektion beruft sich zur Rechtfertigung der Höhe der in Frage stehenden Gebühr u.a. auf die besonders qualifizierte Ausbildung der bernischen Notare, die derjenigen der bernischen Fürsprecher durchaus gleichwertig sei. Die Gleichstellung der beiden Berufe komme auch darin zum Ausdruck, dass die Mitgliedschaft im bernischen Obergericht bzw. das Amt eines Gerichtspräsidenten den Besitz eines bernischen Fürsprecher- oder Notariatspatentes voraussetze (Art. 59 der bernischen Kantonsverfassung). Daraus sei zu schliessen, dass ein Notar im Durchschnitt ungefähr gleich gestellt sein sollte wie ein Anwalt.
Da die Ausbildung die Leistungsfähigkeit des Amtsinhabers und die Qualität der einzelnen Dienstleistungen beeinflusst, ist sie für die Beurteilung des Verhältnisses von Leistung (notarielle Verrichtung) und Gegenleistung (Gebühr) durchaus von Bedeutung. Besonders qualifiziert ist der Notar, der die Verrichtung der öffentlichen Beurkundung mit einer kompetenten Rechtsberatung verbinden kann, was für den bernischen Notar wegen seiner umfassenden Ausbildung, die derjenigen des Fürsprechers weitgehend entspricht, zutrifft. Nun ist es freilich richtig, dass diese Rechtsberatung nur in einem Teil der Fälle öffentlicher Beurkundung notwendig ist. Es mag als unbefriedigend erscheinen, dass jemand, der den Notar nur zum Zwecke der öffentlichen Beurkundung aufsucht und keine Rechtsberatung begehrt, über einen auf die durchschnittlichen Kosten ausgerichteten Gebührentarif trotzdem indirekt einen gewissen Kostenanteil für die Möglichkeit der Rechtsberatung übernehmen muss. Allein gegen die dargelegten Verfassungsgrundsätze über die Bestimmung der Höhe einer Gebühr verstösst dies nicht; der Kanton darf die durchschnittlichen Gesamtkosten auf die einzelnen Verrichtungen verlegen, ohne dass in jedem einzelnen Fall der objektive Wert der Leistung der erhobenen Gebühr entsprechen müsste. Abgesehen davon wäre wohl eine Trennung der Tarife für die Beurkundung einerseits, die nur in einem Teil der Beurkundungsfälle erforderliche Rechtsberatung anderseits, kaum praktikabel, weil die Frage, ob eine Rechtsberatung notwendig
BGE 103 Ia 85 S. 93
ist nicht nur von der Natur des Geschäftes, sondern ebensosehr vom Wissensstand dessen abhängt, der die Beurkundung verlangt.
Wenn sich nun die Justizdirektion zur Begründung der Gebührenhöhe auf den Einkommensstatus des Fürsprechers beruft, dessen Ausbildung derjenigen des Notars im wesentlichen entspricht, so kann ihr allerdings nur mit Vorbehalt gefolgt werden. Es ist zwar nach dem Gesagten richtig, dass die Qualität der Ausbildung die Gebührenhöhe beeinflusst. Die Gleichwertigkeit der Ausbildung rechtfertigt jedoch nicht ohne weiteres die einkommensmässige Gleichbehandlung von Fürsprecher und Notar, ebensowenig der Umstand, dass nach bernischem Recht beide Berufsgruppen in bezug auf den Zugang zu den richterlichen Funktionen die gleichen Möglichkeiten haben. Entscheidend für die Rechtfertigung einer gewissen Ungleichbehandlung der beiden Berufe bezüglich ihrer Einkünfte ist vielmehr, dass der Notar bei der Beurkundungstätigkeit eine öffentliche Aufgabe der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfüllt, während der Fürsprecher in der Regel - d.h. mit Ausnahme der Fälle amtlicher Vertretung - privatwirtschaftlich und grundsätzlich in den Formen des Privatrechts (Auftrag im Sinne von
Art. 394 ff. OR
) tätig ist, wenn auch im öffentlichen Interesse, unter Bindung an das die Privatautonomie beschränkende öffentliche Recht (bezüglich der Honoraransätze vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 15. März 1972 in ZR 71 1972 Nr. 102 S. 317 E. 2) und unter öffentlicher Aufsicht (vgl. DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 70 1951 S. 1a ff., 22a f.). Für die öffentliche Beurkundung muss der Private einen Notar beanspruchen, während er den Anwalt für die Vertretung im Prozess beiziehen kann, hierzu aber in der Regel nicht verpflichtet ist. Das Anwaltshonorar unterliegt demzufolge nicht den strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die für eine Verwaltungsgebühr gelten, auch wenn für seine Bemessung ähnliche Gesichtspunkte massgebend sind (vgl.
BGE 101 II 113
E. 3b, 93 I 121 f. E. 4 und 5a).
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der bernische Notar aufgrund seiner gleichwertigen Ausbildung und des in vielem übereinstimmend ausgestalteten Rechtsstatus nicht ohne Einschränkung Anspruch auf ein annähernd gleiches Einkommen wie der bernische Fürsprecher haben kann. Richtig ist dagegen
BGE 103 Ia 85 S. 94
dass die Ausbildung des bernischen Notars (Art. 5 Abs. 1 Ziff. 3, Art. 6 und 7 NotG, sowie Prüfungsreglement vom 16. September 1958; mit Abänderungen vom 2. Juni 1971; vgl. CARLEN, a.a.O., S. 54 f.) als besonders umfassend erscheint, was den im Verhältnis zu andern Kantonen hohen Ansatz der in Frage stehenden Gebühr teilweise erklären mag.
c) Der Beschwerdeführer beruft sich vor allem auf das Äquivalenzprinzip. Er stellt Berechnungen nach dem mutmasslichen Stundenaufwand des Notars und seines Hilfspersonals für das fragliche Beurkundungsgeschäft an und gelangt so zu einer ihm angemessen scheinenden Gebühr von rund Fr. 500.--. Auch wenn man davon ausgeht, diese - vom Beschwerdegegner und von der Justizdirektion nicht bestrittenen - Ausführungen über den Arbeitsaufwand träfen zu, so ist jedenfalls der daraus abgeleitete Schluss auf ein bestimmtes Einkommen und eine entsprechende Gebühr im vorliegenden Fall nicht haltbar. Es lässt sich nach dem Gesagten nicht von den Kosten einer bestimmten notariellen Verrichtung auf das Gesamteinkommen des betreffenden Notars und noch weniger auf das durchschnittliche Einkommen eines bernischen Notars bzw. die für die öffentliche Beurkundung im Kanton Bern aufgewendeten Gesamtkosten schliessen, weil diese Grössen von der Struktur des Gesamttarifs einerseits, von Zahl und Art der Geschäfte anderseits abhängig sind.
Abgesehen davon beruhen die Berechnungen des Beschwerdeführers auf der zumindest fragwürdigen Annahme, reine Beurkundungsgeschäfte ohne Rechtsberatung (Routinegeschäfte, wie sie der Beschwerdeführer nennt) und solche, in denen eine Rechtsberatung angezeigt ist, liessen sich tarifmässig trennen (oben E. 6b).
d) Alles in allem ergibt sich, dass das aufgrund von Art. 9 Abs. 1 des Dekretes über die Notariatsgebühren errechnete Honorar - auch im Verhältnis zu andern Kantonen mit der gleichen Organisationsform des Notariats - als ungewöhnlich hoch erscheint. Das Interesse des Ansprechers an der Amtshandlung in Abhängigkeit vom Vertragswert des Grundstücks, das bei der Bemessung der Notariatsgebühr an sich berücksichtigt werden darf, erhält im vorliegenden Fall ein Gewicht gegenüber anderen Bemessungsfaktoren (insbesondere dem Arbeitsaufwand), das unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips als nicht ganz unbedenklich erscheint.
BGE 103 Ia 85 S. 95
Allein unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbotes (
Art. 4 BV
) lässt sich nicht sagen, die erhobene Gebühr stehe in einem offensichtlichen Missverhältnis zur erbrachten Leistung. Diesen Schluss lässt auch der interkantonale Vergleich der Kosten für das in Frage stehende Rechtsgeschäft nicht zu. Es kann schliesslich gar keine Rede davon sein, dass die Benützung des zivilrechtlichen Instituts der öffentlichen Beurkundung übermässig erschwert oder gar verunmöglicht würde. Niemand lässt sich von der Veräusserung eines Grundstücks bzw. vom Kauf desselben deshalb abhalten, weil er statt 3 oder 4%o 6 bis 7%o des Vertragswertes für Beurkundungsgebühren aufwenden muss. Die Beschwerde ist daher abzuweisen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0876098-25e0-464c-ab1f-083c8659a094 | Urteilskopf
139 V 429
55. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössische Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherungen gegen R. und Eidgenössische Ausgleichskasse (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_927/2012 / 8C_933/2012 vom 5. Juli 2013 | Regeste a
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
;
Art. 19 Abs. 1 FamZV
.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen ist legitimiert, gegen einen Entscheid des kantonalen Gerichts im Bereich der Familienzulagen Beschwerde beim Bundesgericht zu führen (E. 1.3).
Regeste b
Art. 7 Abs. 1 FamZG
; Anspruchskonkurrenz.
Die Kaskadenregelung von
Art. 7 Abs. 1 FamZG
gilt nicht erst ab Einreichung des Gesuchs der zweiten Person, welche für dasselbe Kind eine Zulage beansprucht, sondern bereits ab dem Zeitpunkt des Entstehens des Lohnanspruches. Dies hat zur Folge, dass Nachzahlungen an die Personen, welche gemäss
Art. 7 Abs. 1 FamZG
Anspruch haben, erbracht werden müssen, während die Person, welche die Leistung zu Unrecht bezogen hat, zur Rückerstattung zu verpflichten ist (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 430
BGE 139 V 429 S. 430
A.
R. war als Angestellter über seine Arbeitgeberin bei der Eidgenössischen Ausgleichskasse (EAK) zum Bezug von Familienzulagen angemeldet. Aus seiner Ehe mit U. gingen drei Kinder, geb. 1990, 1992 und 1994, hervor. Die Ehe wurde am 30. Dezember 2003 geschieden und die Kinder unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt.
Am 19. Oktober 2010 reichte U. bei der Familienausgleichskasse des Kantons Bern (FAK) ein Gesuch um Ausrichtung von Familienzulagen rückwirkend ab 1. Januar 2009 ein. Solche wurden ihr am 19. Mai 2011 antragsgemäss zugesprochen.
Mit Verfügung vom 26. März 2012 - ersetzend eine Verfügung vom 14. März 2012 - und Einspracheentscheid vom 8. Mai 2012 verneinte die EAK rückwirkend ab 1. Januar 2009 den Anspruch des R. auf Familienzulagen und forderte für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. Mai 2011 zu viel ausgerichtete Zulagen in der Höhe von Fr. 13'700.- zurück.
B.
Die von R. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 10. Oktober 2012 teilweise gut und reduzierte den Rückforderungsbetrag auf Fr. 4'000.-.
C.
Mit Beschwerde beantragt die EAK, es sei in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Einspracheentscheid vom 8. Mai 2012 zu bestätigen (Verfahren 8C_927/2012). Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) erhebt ebenfalls Beschwerde und beantragt, es sei unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen, dass der Rückforderungsanspruch der EAK verwirkt sei (Verfahren 8C_933/2012).
Im Verfahren 8C_927/2012 beantragen R. und das BSV die Abweisung der Beschwerde der EAK.
Im Verfahren 8C_933/2012 beantragt die EAK die Abweisung der Beschwerde des BSV, während R. auf deren Gutheissung schliesst.
BGE 139 V 429 S. 431
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Neben der EAK hat auch das BSV Beschwerde erhoben. Die Legitimation des BSV ist zu bejahen (
Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG
in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 der Verordnung vom 31. Oktober 2007 über die Familienzulagen [Familienzulagenverordnung, FamZV;SR 836.21] und
Art. 62 Abs. 1
bis
ATSG
[SR 830.1]; vgl. SVR 2011FZ Nr. 2 S. 7, 8C_713/2010 E. 1 und THOMAS FLÜCKIGER, Koordinations- und verfahrensrechtliche Aspekte bei den Kinder- und Ausbildungszulagen, in: Bundesgesetz über die Familienzulagen [FamZG], Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], 2009, S. 161 ff., 210; vgl.auch MICHAEL PFLÜGER, Die Legitimation des Gemeinwesens zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, 2013, S. 348 Rz. 835 ff.; im Ergebnis wohl anderer Meinung: UELI KIESER, ATSG- Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 72 zu
Art. 62 ATSG
und KIESER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Familienzulagen, Praxiskommentar, 2010, N. 98 zu
Art. 1 FamZG
).
(...)
3.
3.1
Familienzulagen sind einmalige oder periodische Geldleistungen, die ausgerichtet werden, um die finanzielle Belastung durch ein oder mehrere Kinder teilweise auszugleichen (Art. 2 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen [Familienzulagengesetz, FamZG; SR 836.2]). Für das gleiche Kind wird gemäss
Art. 6 FamZG
nur eine Zulage derselben Art ausgerichtet. Die Differenzzahlung nach
Art. 7 Abs. 2 FamZG
bleibt vorbehalten.
3.2
Haben mehrere Personen für das gleiche Kind Anspruch auf Familienzulagen nach eidgenössischem oder kantonalem Recht, so steht der Anspruch gemäss
Art. 7 Abs. 1 FamZG
in nachstehender Reihenfolge zu:
a. der erwerbstätigen Person;
b. der Person, welche die elterliche Sorge hat oder bis zur Mündigkeit des Kindes hatte;
c. der Person, bei der das Kind überwiegend lebt oder bis zu seiner Mündigkeit lebte;
d. der Person, auf welche die Familienzulagenordnung im Wohnsitzkanton des Kindes anwendbar ist;
e. der Person mit dem höheren AHV-pflichtigen Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit;
f. der Person mit dem höheren AHV-pflichtigen Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit.
BGE 139 V 429 S. 432
3.3
Unrechtmässig bezogene Leistungen sind gemäss
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG
zurückzuerstatten. Der Rückforderungsanspruch erlischt in Anwendung von
Art. 25 Abs. 2 ATSG
mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung. Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend.
4.
4.1
Es steht fest und ist unbestritten, dass R. in der Zeit zwischen 1. Januar 2009 bis 31. Mai 2011 Familienzulagen für seine Kinder aus erster Ehe bezogen hat. Weiter steht fest, dass seine ehemalige Ehefrau am 19. Oktober 2010 für die gleichen Kinder rückwirkend ab 1. Januar 2009 ebenfalls Familienzulagen beantragte, und dass sie bereits ab 1. Januar 2009 als erwerbstätige Person im Sinne von Art. 7 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 3 FamZG
zu qualifizieren war. Die EAK und das BSV gehen deshalb davon aus, dass der Anspruch in Anwendung von
Art. 7 Abs. 1 FamZG
der geschiedenen Ehefrau zustand, der Leistungsbezug des R. demgemäss unrechtmässig im Sinne von
Art. 25 ATSG
war. Das kantonale Gericht hat demgegenüber erwogen, eine Anspruchskonkurrenz bestehe erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Ehefrau ihr eigenes Gesuch eingereicht hatte, mithin ab 19. Oktober 2010. Somit sei auch
Art. 7 Abs. 1 FamZG
erst ab diesem Zeitpunkt anwendbar, der Leistungsbezug des Ehemannes erst ab 19. Oktober 2010 unrechtmässig.
4.2
Gemäss
Art. 13 Abs. 1 FamZG
entsteht und erlischt der Anspruch auf Familienzulagen mit dem Lohnanspruch. In Anwendung von
Art. 1 FamZG
in Verbindung mit
Art. 24 Abs. 1 ATSG
wird er zudem gegebenenfalls auch während fünf Jahren rückwirkend ausgerichtet (FLÜCKIGER, a.a.O., S. 199). Daraus folgt, dass Koordinierungsbedarf und damit eine "Anspruchskonkurrenz" im Sinne der Marginale von
Art. 7 Abs. 1 FamZG
nicht erst ab der Einreichung des Gesuchs der zweiten Person, welche für ein Kind Familienzulagen beansprucht, besteht. Vielmehr gilt
Art. 7 Abs. 1 FamZG
bereits ab dem Zeitpunkt des Entstehens des Lohnanspruches. Auch aus den Materialien ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber kein Wahlrecht mehrerer anspruchsberechtigter Personen, wer von ihnen die Zulage beziehen soll, einführen wollte (vgl. Parlamentarische Initiative Leistungen für die Familie, Zusatzbericht der
BGE 139 V 429 S. 433
Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 8. September 2004, BBl 2004 6887, 6905 Ziff. 3.2.2 zu Art. 7 Abs. 2 E-FamZG). Dies hat zwar die Folge, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen sich der Anspruch der erstansprechenden Person nachträglich als nachrangig erweist, unter Umständen der zweitansprechenden Person Nachzahlungen erbracht werden müssen, während die erstansprechende Person grundsätzlich zur Rückzahlung der unrechtmässig bezogenen Leistungen verpflichtet ist (FLÜCKIGER, a.a.O., S. 199 f.). In der Lehre ist daher anerkannt, dass die in
Art. 7 FamZG
vorgesehene Regelung nicht einfach umzusetzen ist (KIESER/REICHMUTH, a.a.O., N. 34 ff. zu
Art. 7 FamZG
). Wie diese Autoren indessen zu Recht bemerken, ist dies letztlich Folge des gesetzgeberischen Entscheides, den Zulagenanspruch nicht an das Kind, sondern an die dieses versorgende Person im Sinne von
Art. 4 FamZG
anzuknüpfen.
4.3
Gilt
Art. 7 Abs. 1 FamZG
demnach nicht erst ab Einreichung des Gesuches der zweiten leistungsansprechenden Person, sondern bereits ab dem Entstehen des Lohnanspruches der ansprechenden Person, so war der Leistungsbezug des R. bereits ab 1. Januar 2009 unrechtmässig. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d08afacb-ae13-4336-9919-e9ef35b0aea1 | Urteilskopf
118 V 158
20. Arrêt du 1er septembre 1992 dans la cause X contre Caisse de pensions du personnel de la commune de C. et Tribunal administratif du canton de Neuchâtel | Regeste
Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2,
Art. 10 Abs. 1 und
Art. 23 BVG
,
Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV 2
,
Art. 9 VVG
: Mitgliedschaft von Invaliden bei einer Vorsorgeeinrichtung.
-
Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV 2
, wonach Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens zwei Dritteln invalid sind, von der obligatorischen Versicherung ausgenommen sind, ist nicht gesetzeswidrig (Erw. 4b-Erw. 4d).
- Wann kann bei einer bereits invaliden Person eine Verbesserung der Erwerbsfähigkeit angenommen werden, welche die Unterstellung unter die obligatorische Versicherung gestattet? (Erw. 4e).
- Analogieweise Anwendung von
Art. 9 VVG
im Bereich der weitergehenden Vorsorge, wenn der Versicherte beim Eintritt in die Vorsorgeeinrichtung bereits vollständig invalid ist (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 159
BGE 118 V 158 S. 159
A.-
X, né le 17 juin 1964, ressortissant espagnol, souffre depuis l'adolescence d'une affection psychique diagnostiquée en décembre 1983 et en juin 1984 comme une schizophrénie hébéphréno-catatonique.
En 1981 et en 1982, alors qu'il était domicilié à N., il a commis diverses infractions, pour lesquelles l'Autorité tutélaire du district de N. l'a condamné, par jugement du 9 août 1982, à une peine de quatre mois de détention avec sursis.
Selon le droit de son pays d'origine, X est devenu majeur à l'âge de 18 ans révolus. Le 24 janvier 1984, pendant qu'il séjournait dans un hôpital psychiatrique, en raison de troubles du comportement, l'autorité tutélaire a prononcé son interdiction provisoire.
Par la suite, après l'échec de diverses tentatives de placement, X a commis de nouvelles infractions, dont un brigandage et de nombreux vols. Il a été arrêté le 21 novembre 1984 et maintenu en détention préventive. Puis il a été renvoyé devant le Tribunal correctionnel du district de N., lequel, en considération de son jeune âge et de sa responsabilité diminuée, a prononcé son placement dans une maison d'éducation au travail (jugement du 22 mai 1985).
Dès le 10 novembre 1986, l'intéressé a bénéficié du régime de semi-liberté.
Le 23 novembre 1984, X s'était vu allouer une rente entière de l'assurance-invalidité, après que la Commission de l'assurance-invalidité lui eut reconnu une incapacité de gain de 100 pour cent à partir du 1er juillet 1982. Ayant appris plus tard que l'assuré était entré en détention, la Caisse cantonale de compensation a, par la voie de la révision, supprimé la rente "à fin janvier 1985". Cette mesure a donné lieu à une procédure qui a fait l'objet, en dernière instance, d'un arrêt du Tribunal fédéral des assurances.
B.-
Après sa libération et avec l'appui de la Société cantonale de patronage, X a été engagé, dès le 1er mai 1987, en qualité d'ouvrier de voirie par la direction des travaux publics de la commune de C. Son salaire mensuel brut était de 2'908 fr. 35. La lettre d'engagement précisait que, conformément aux dispositions légales en matière de prévoyance professionnelle, l'employé serait affilié, à partir du
BGE 118 V 158 S. 160
1er mai 1987 également, à la Caisse de retraite en faveur du personnel communal de la commune de C. (CPC).
Jusqu'à cette époque, X, qui n'avait pu, en raison de son état de santé, accomplir un apprentissage, n'avait jamais exercé d'activité professionnelle régulière. Il avait travaillé pendant deux mois en 1982, en qualité d'aide-vendeur, et pendant un mois en 1986, dans un atelier d'ébénisterie.
Lors d'un entretien téléphonique du 22 avril 1987, le tuteur de X a informé le secrétariat de la commission de l'assurance-invalidité de l'engagement susmentionné, tout en insistant sur le caractère aléatoire de cette "tentative de reprise de travail", eu égard à la nature de l'affection psychique de l'assuré et au caractère versatile de ce dernier.
C.-
A partir de l'automne 1987, le comportement au travail de X s'est notablement dégradé. En raison d'une crise clastique survenue le 27 novembre 1987 - probablement à la suite d'un abus d'alcool et de drogue - l'intéressé a été à nouveau hospitalisé, durant quelques jours, dans un hôpital psychiatrique. Le 10 janvier 1988, une deuxième crise a nécessité l'intervention d'un médecin du Centre psycho-social de C. Le 3 mars 1988, le patient a été une nouvelle fois admis dans un établissement psychiatrique.
Par lettre du 8 mars 1988, la direction des travaux publics de la commune de C., se prévalant de justes motifs, a résilié les rapports de service de l'employé pour le 30 avril suivant. A l'appui de sa décision, elle invoquait une inaptitude professionnelle, ainsi que de nombreuses absences injustifiées.
D.-
Peu après son licenciement, X s'est rendu en Espagne, où il vit actuellement auprès de ses parents.
Le 20 octobre 1988, le tuteur a demandé à la CPC d'allouer à son pupille une pension d'invalidité. La CPC a refusé, tout d'abord par lettre du 28 octobre 1988, puis, à la suite d'une nouvelle intervention du tuteur, par une "décision" du 30 novembre 1990. Ce refus était motivé par le fait que l'incapacité de travail et de gain alléguée était antérieure à l'engagement et que, au surplus, l'intéressé, entièrement invalide, avait été affilié à tort à la CPC. Conformément à l'indication des voies de droit figurant au bas de ladite décision, X a porté le différend devant le Conseil communal de la commune de C., qui a rejeté son "recours" le 17 avril 1991.
Dans l'intervalle, le 23 avril 1990, le Tribunal de première instance de son domicile en Espagne, considérant que X souffrait de schizophrénie paranoïaque et qu'il était, de ce fait, privé de la
BGE 118 V 158 S. 161
possibilité de s'occuper de sa personne et de gérer ses affaires, l'a placé sous l'autorité parentale de son père et de sa mère. Aussi bien, l'Autorité tutélaire du district de N. a-t-elle relevé le tuteur de ses fonctions par décision du 22 février 1991.
E.-
X, agissant par ses parents, eux-mêmes représentés par le tuteur, a recouru devant le Tribunal administratif du canton de Neuchâtel contre la décision susmentionnée du Conseil communal de la commune de C.
Le tribunal administratif a considéré son mémoire comme une demande introductive d'action, demande qu'il a rejetée par jugement du 7 octobre 1991. En bref, il a retenu que l'incapacité de travail du demandeur était survenue avant son engagement au service de la commune de C. et que cette incapacité avait subsisté pendant les rapports de travail, bien que l'employé eût été momentanément en mesure d'accomplir les tâches, au demeurant modestes, qui lui avaient été assignées par l'employeur. En conséquence, il fallait admettre que la survenance de l'éventualité assurée était antérieure à l'affiliation à la CPC, de sorte que celle-ci était libérée de son obligation de verser des prestations d'invalidité.
F.-
Toujours représenté par ses parents, au nom desquels agit le même mandataire, X interjette un recours de droit administratif contre ce jugement en concluant au paiement par la CPC d'une pension d'invalidité dès le 1er mars 1988.
La CPC conclut au rejet du recours.
Pour l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), l'issue de la procédure dépend du point de savoir si le recourant était ou non invalide au moment de son engagement. L'office s'abstient de prendre position à ce sujet, tout en relevant qu'une réponse négative à la question ainsi posée doit, à son avis, conduire à l'admission du recours.
G.-
A la suite de l'arrêt du Tribunal fédéral des assurances sur la question de la rente de l'assurance-invalidité, la caisse de compensation, par décision du 11 mars 1988, a alloué à l'assuré une rente entière pour la période du 1er février 1985 au 30 juin 1987; elle a précisé que le droit à la rente était suspendu du 1er mars 1985 au 31 octobre 1986, en raison de la détention de l'assuré et conformément aux considérants de cet arrêt.
Par une décision ultérieure, du 26 mai 1988, elle a rétabli le droit de l'assuré à une rente entière, à partir du 1er mars 1988 (fin des rapports de service de l'intéressé).
BGE 118 V 158 S. 162
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon les anciens statuts de la CPC (version en vigueur jusqu'au 31 décembre 1990), les décisions de celle-ci pouvaient faire l'objet, dans les trente jours, d'un recours devant le Conseil communal de la commune de C.
A ce propos, les premiers juges rappellent à juste titre que, selon les règles de la LPP, les institutions de prévoyance - de droit public ou de droit privé - n'ont pas le pouvoir de rendre des décisions proprement dites (
ATF 115 V 224
). En effet, la procédure prévue par l'
art. 73 LPP
n'est pas déclenchée par une décision au sens juridique du terme, mais par une simple prise de position de l'institution de prévoyance, qui ne peut s'imposer qu'en vertu de la décision d'un tribunal saisi par la voie de l'action (
ATF 115 V 239
).
En ce qui concerne, par ailleurs, la saisie d'une autorité intermédiaire, pour les contestations en matière de prévoyance professionnelle, les cantons sont libres de prévoir un échelonnement de la procédure en deux instances, à la condition qu'il s'agisse d'autorités judiciaires. Dans ce cas, l'autorité inférieure peut être saisie par la voie de l'action et rendre une décision sujette à recours devant une autorité de seconde instance - en règle ordinaire la dernière juridiction cantonale - dans les délais prévus par le droit cantonal. A l'inverse, lorsque l'autorité intermédiaire est administrative, elle ne saurait être saisie par la voie de l'action et elle n'est pas habilitée à rendre des décisions, susceptibles de passer en force de chose jugée si elles ne sont pas attaquées dans les délais: cela pour la même raison que celle exposée ci-dessus, savoir que les déclarations des institutions de prévoyance ne peuvent s'imposer qu'en vertu de la décision d'un tribunal statuant sur action (sur ces divers points, voir
ATF 117 V 341
consid. 2).
En l'occurrence, la procédure suivie a donc été entachée d'une double irrégularité, dès lors que la CPC a rendu une décision sujette à recours devant un conseil communal. Cette irrégularité n'a toutefois pas eu de conséquence sur le plan pratique, puisque le tribunal administratif - qui est l'autorité compétente pour statuer sur des contestations opposant institutions de prévoyance et ayants droit au sens de l'
art. 73 al. 1 LPP
- a admis, avec raison, de convertir le recours porté devant lui en une demande introductive d'action (cf.
ATF 115 V 231
in initio).
2.
La CPC est une institution de droit public créée par la commune de C. par arrêté du Conseil général du 5 mai 1952 (art. 1er du règlement de la CPC).
BGE 118 V 158 S. 163
Les institutions de prévoyance de droit public étant, sous l'angle de la procédure, mises sur un même pied que les institutions de droit privé, le Tribunal fédéral des assurances, statuant en vertu de l'
art. 73 al. 4 LPP
, examine librement l'application du droit cantonal ou communal de la prévoyance professionnelle, qu'il s'agisse ou non de prestations d'assurance au sens de l'
art. 132 OJ
(
ATF 116 V 334
consid. 2b).
3.
La CPC, d'autre part, est une institution de prévoyance qui participe à l'application du régime de l'assurance obligatoire introduit par la LPP.
Selon l'art. 15 de son règlement, dans sa version du 31 janvier 1980, en vigueur jusqu'au 31 décembre 1990 (et applicable à l'époque de l'engagement du recourant), le salaire assuré est fixé par le comité avec l'assentiment du Conseil communal. Le salaire mensuel du recourant était de 2'908 fr. 35. Les parties n'ont cependant fourni aucune indication sur le salaire assuré. Mais il ressort d'une feuille de paie figurant au dossier que la cotisation personnelle du recourant à l'institution de prévoyance s'élevait à 119 fr. 50 par mois, selon un taux de 6 pour cent.
On peut donc en déduire que le salaire mensuel assuré était de 1'991 fr. 60, selon la formule:
119 fr. 50 = (salaire assuré x 6)/100
Il apparaît ainsi que la déduction de coordination, par 916 fr. 75 (2'908 fr. 35 - 1'991 fr. 60 = 916 fr. 75) était plus basse que la limite inférieure légale de coordination (
art. 8 al. 1 LPP
en corrélation avec l'
art. 5 OPP 2
). En effet, en 1987, cette limite était de 17'280 francs par an ou 1'440 francs par mois (ch. I de l'O 86 sur l'adaptation des montants-limites de la prévoyance professionnelle - RO 1985 1345; actuellement, la limite est de 21'600 francs, conformément au ch. I de l'O 92 sur le même objet - RO 1991 2382).
C'est dire que la CPC assurait en l'occurrence une part du salaire qui se situait en deçà du minimum obligatoire. Cette part relève de la prévoyance dite "sous-obligatoire", qui ressortit elle-même à la prévoyance plus étendue (
art. 49 al. 2 LPP
;
ATF 114 V 37
in initio; RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, § 1, note 19; RIEMER, Vorsorge-, Fürsorge- und Sparverträge der beruflichen Vorsorge, in: Innominatverträge, Festgabe zum 60. Geburtstag von Walter R. Schluep, Zurich 1988, p. 234).
BGE 118 V 158 S. 164
En conséquence, il est nécessaire de procéder à un double examen, en fonction des règles applicables à chacun des deux régimes de la prévoyance professionnelle.
4.
Il convient ainsi, tout d'abord, d'examiner le cas sous l'angle des dispositions qui régissent la prévoyance obligatoire.
a) Selon l'
art. 2 al. 1 LPP
(en corrélation avec la disposition précitée de l'O 92), sont soumis à l'assurance obligatoire les salariés qui ont plus de 17 ans et reçoivent d'un même employeur un salaire annuel supérieur à 21'600 francs. L'assurance obligatoire commence en même temps que les rapports de travail (
art. 10 al. 1 LPP
).
L'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 prévoit cependant que les personnes invalides au sens de l'AI à raison des deux tiers au moins ne sont pas soumises à l'assurance obligatoire. Elles ne peuvent pas non plus, contrairement à d'autres salariés exemptés de l'assurance (art. 1er al. 1 let. a, b, c et e OPP 2), être affiliées à titre facultatif selon la LPP (
art. 1er al. 3 et 4 OPP 2
a contrario). Cette exclusion a été décidée par le Conseil fédéral sur la base de l'
art. 2 al. 2 LPP
, selon lequel l'autorité exécutive "définit les catégories de salariés qui, pour des motifs particuliers, ne sont pas soumis à l'assurance obligatoire".
b) Entre autres arguments, la caisse a invoqué la "nullité" de l'affiliation du recourant, en se fondant, justement, sur la disposition réglementaire précitée. Selon elle, l'invalidité (supérieure aux deux tiers) de l'assuré excluait toute couverture et, partant, tout droit aux prestations. Pour leur part, les premiers juges ont soulevé, sans la résoudre, la question de la légalité de l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2. Ils ont estimé que le refus de l'intimée se justifiait du seul fait déjà que l'incapacité de travail et de gain était survenue avant l'engagement de l'intéressé. Or, selon une règle générale en matière d'assurances, il n'est pas possible d'assurer un risque qui s'est déjà réalisé.
L'on ne peut toutefois se dispenser d'examiner la question de la validité de l'affiliation du recourant à la CPC. En effet, s'il apparaît que ce dernier a été affilié à tort à l'institution de prévoyance, sa prétention devra d'emblée être rejetée et le problème de la restitution des cotisations perçues se posera inévitablement. Dans le cas contraire, ou bien l'assuré se verra reconnaître le droit à une pension d'invalidité, ou bien il aura droit à une prestation de libre passage, qui devra en principe lui être payée en espèces (
art. 30 al. 2 let. a LPP
).
c) Les motifs qui sont à la base de l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 ont été exposés par l'OFAS dans son commentaire du projet d'OPP 2, du mois d'août 1983. Certaines personnes invalides à raison des deux
BGE 118 V 158 S. 165
tiers au moins ont encore la possibilité, par la mise en valeur de leur capacité résiduelle de gain, de réaliser un salaire supérieur à la limite de coordination de 21'600 francs (il était à l'époque prévu que la limite serait de 16'560 francs). De telles personnes, déjà au bénéfice d'une rente entière de l'assurance-invalidité (
art. 28 al. 1 LAI
), pourraient ainsi prétendre une rente entière de l'institution de prévoyance (
art. 24 LPP
). Il s'est donc agi d'éviter qu'une institution de prévoyance ne doive fournir des prestations pour un cas d'assurance survenu antérieurement à l'affiliation. Il eût été contraire, en effet, à un principe fondamental en matière d'assurances de couvrir un risque déjà réalisé.
La clause de délégation de l'
art. 2 al. 2 LPP
confère un très large pouvoir d'appréciation au Conseil fédéral pour déterminer quelles catégories d'assurés doivent être exclues de l'assurance obligatoire. En outre, le principe fondamental susmentionné n'est aucunement étranger à l'esprit et au but d'une assurance obligatoire (cf. par analogie l'
art. 6 al. 1 LAI
). On ne saurait, par conséquent, taxer d'illégale la solution adoptée par le Conseil fédéral (à propos du contrôle judiciaire de la légalité des ordonnances du Conseil fédéral, voir p.ex.
ATF 116 V 58
consid. 3b et 193 consid. 3,
ATF 116 Ib 413
consid. 3b,
ATF 114 Ib 19
consid. 2). Cette solution n'est du reste pas critiquée en doctrine. Certains auteurs en prennent acte sans la commenter (RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, § 1, note 20; GERHARDS, Grundriss Zweite Säule, p. 61, note 13; HELBLING, Les institutions de prévoyance et la LPP, trad. MAGDELAINE, p. 82; ELROD, Der Arbeitnehmerbegriff des BVG im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, thèse Zurich, 1989, p. 43); d'autres se réfèrent, sans autres développements, aux explications de l'OFAS (BRÜHWILER, Die betriebliche Personalvorsorge in der Schweiz, p. 276, note 27; UMBRICHT/LAUR, La nouvelle loi sur les caisses de pensions, chap. 4/2.2, p. 6).
d) Citant l'avis de HÄBERLE (Berufliche Vorsorge von Behinderten, SZS 1985 p. 146), la juridiction cantonale objecte, il est vrai, que l'exclusion durable du deuxième pilier de personnes invalides qui parviennent malgré tout à réaliser un faible revenu n'est guère satisfaisante sur le plan social: le préjudice économique que subissent ces invalides au moment de prendre leur retraite ou en cas de perte de leur capacité résiduelle de gain n'est pas compensé par des prestations d'assurance; paradoxalement, une grande majorité d'assurés - valides - bénéficient d'une protection qui suffit très largement à la couverture de leurs besoins et qui va même au-delà. Mais cette
BGE 118 V 158 S. 166
critique s'adresse en réalité au système légal qui exige que le salaire atteigne un certain montant pour être assuré. Il est peu fréquent, pour ne pas dire très rare, qu'une personne invalide à raison des deux tiers au moins soit encore en mesure de réaliser un salaire supérieur à 21'600 francs. Dans la majorité des cas, l'exclusion critiquée résulte ainsi des dispositions de la loi et non de celles de l'ordonnance.
En pratique, l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 sera donc surtout applicable aux personnes invalides qui tentent de reprendre une activité professionnelle et qui continuent à bénéficier d'une rente (entière) de l'assurance-invalidité, soit parce que l'employeur verse un salaire social - qui ne fait pas partie du revenu déterminant pour l'évaluation de l'invalidité; voir par ex.
ATF 117 V 18
-, soit parce que l'amélioration ne se maintient pas durant une assez longue période (
art. 88a al. 1 RAI
).
e) A l'inverse, l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2 ne permet pas d'exclure de l'assurance obligatoire des personnes qui ont été frappées d'une invalidité des deux tiers au moins et qui, ultérieurement, ont recouvré - et mis à profit - leur capacité de gain (cf.
art. 14 al. 4 OPP 2
). Il en est de même des invalides de naissance ou précoces qui parviennent, par suite de disparition ou de diminution de l'invalidité, à s'insérer dans la vie professionnelle (voir à ce sujet Handicapés et deuxième pilier, Etude de l'OFAS, RCC 1984 p. 542 ss, plus spécialement p. 545 s.). On rappellera à cet égard que, dans l'assurance obligatoire des salariés en vertu de la LPP, les institutions de prévoyance n'ont pas le droit d'instaurer des réserves qui seraient justifiées par un état de santé déficient de leurs assurés, de telles réserves étant en revanche admissibles dans le domaine de la prévoyance plus étendue, ainsi qu'en matière de prévoyance facultative (
ATF 115 V 223
consid. 6; VIRET, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral des assurances en matière de prévoyance professionnelle [à l'exception du libre passage], Journée 1991 de droit du travail et de la sécurité sociale, in: Le droit en pratique, vol. 4, p. 10 s.).
Pour que l'on puisse considérer que la capacité de gain d'une personne jusqu'alors invalide s'est améliorée dans une mesure permettant un assujettissement à l'assurance obligatoire (pour les personnes à demi invalides au sens de la LAI, les montants-limites fixés aux art. 2, 7, 8 et 46 LPP sont réduits de moitié;
art. 4 OPP 2
), il est nécessaire que cette amélioration ait été d'une certaine durée et qu'aucune aggravation prochaine ne soit à craindre. Sinon, même dans le cas d'atteintes à la santé irréversibles, un engagement temporaire ou une simple tentative de réadaptation, durant une courte période de rémission
BGE 118 V 158 S. 167
de la maladie, suffirait à entraîner une affiliation à l'assurance et, partant, le droit à des prestations d'invalidité de l'institution de prévoyance. Cette conséquence contredirait à l'évidence le but recherché par l'
art. 1er al. 1 let
. d OPP 2. On ne saurait au surplus admettre que l'amélioration est réputée durable dès qu'elle a duré trois mois sans interruption notable, comme le prévoit l'
art. 88a al. 1 RAI
- encore que cette disposition réserve expressément l'hypothèse où une complication prochaine est à craindre. Ce délai de trois mois au-delà duquel la rente de l'assurance-invalidité doit, en principe, être réduite ou supprimée ne peut être appliqué schématiquement quand il s'agit de décider de l'assujettissement d'une personne à la LPP. Pour trancher cette question, on tiendra compte, bien plutôt, des circonstances du cas particulier, notamment de la nature de l'affection, du pronostic du médecin et des motifs qui ont conduit à l'engagement de l'intéressé. Aussi ne saurait-on conclure au rétablissement de la capacité de gain d'une personne invalide lorsqu'une tentative de réinsertion professionnelle, d'une durée même supérieure à trois mois, est essentiellement motivée par des considérations d'ordre social et qu'il apparaît improbable qu'elle aboutisse à une véritable réadaptation.
f) En l'espèce, le recourant souffre d'une grave affection psychique depuis son adolescence. Il n'a pu faire un apprentissage et n'a jamais été en mesure d'exercer une activité professionnelle, sous réserve de tentatives rapidement vouées à l'échec. Comme cela ressort des pièces, il a été régulièrement suivi, depuis 1981, par le Centre psycho-social cantonal, en raison d'un état psychotique compliqué, justement, par des échecs professionnels et une inadaptation sociale. En outre, il a séjourné à plusieurs reprises dans un établissement psychiatrique. De fait, l'assurance-invalidité lui a reconnu une incapacité permanente et totale de gain depuis le 1er juillet 1982. Certes, le versement de la rente a été suspendu pendant la détention de l'assuré, mais c'était pour des raisons indépendantes de l'état de santé de ce dernier (voir
ATF 113 V 276
consid. 2a). Dans l'ordre normal des choses, la caisse de compensation eût dû reprendre d'office le service de la rente au moment où l'assuré a été autorisé à subir sa peine sous forme de semi-liberté, en novembre 1986 (
ATF 107 V 223
consid. 4). Mais le tuteur de l'assuré et le secrétariat de la commission de l'assurance-invalidité sont convenus, en mars 1987, de laisser "le dossier en suspens", compte tenu de la procédure qui était alors pendante devant le Tribunal fédéral des assurances et des perspectives de travail qui s'offraient à
BGE 118 V 158 S. 168
l'assuré. De l'aveu même du tuteur, une insertion durable dans la vie professionnelle était cependant tout à fait aléatoire, eu égard à la nature de l'affection en cause et à la personnalité de l'intéressé. En fait, comme l'a exposé la CPC, il n'est pas rare que des services sociaux, des sociétés de patronage ou des associations d'entraide sollicitent une collectivité publique d'occuper des personnes qui ne peuvent trouver un emploi dans le secteur privé de l'économie. Or, la commune de C. a sans nul doute engagé le recourant pour répondre à une demande de ce genre.
g) Dans un tel contexte, il faut admettre que le recourant était entièrement invalide au moment où ont débuté les rapports de travail. Qu'il ait été en mesure d'accomplir durant quelques mois (apparemment jusqu'en automne 1987) les tâches qui lui ont été confiées par son employeur n'est pas décisif. Raisonnablement et objectivement, il n'était pas possible de considérer que sa nouvelle activité pût déboucher sur une insertion durable dans la vie professionnelle. Le recourant ne pouvait ainsi être assujetti à la LPP. Partant, il ne saurait prétendre une rente de cette assurance.
h) Quant au point de savoir si c'est à tort ou à raison que la caisse de compensation a supprimé la rente du recourant pour la période du 30 juin 1987 au 30 avril 1988 (en raison de la prise d'une activité et conformément à l'
art. 88a RAI
), il n'a pas à être examiné ici.
5.
Il faut encore se demander si le recourant peut déduire une prétention dans le cadre de la prévoyance plus étendue.
a) Dans le domaine de la prévoyance plus étendue, les institutions de prévoyance sont libres d'assurer des personnes invalides, pour leur capacité résiduelle de gain (HÄBERLE, loc.cit., p. 142). Le cas échéant, elles ont la possibilité d'instituer une réserve, limitée ou non dans le temps, pour l'affection qui est à l'origine de l'invalidité. Si l'assuré a commis une réticence, l'on applique, en l'absence de dispositions statutaires ou réglementaires idoines, les règles des
art. 4 ss LCA
(
ATF 116 V 218
).
b) Dans le cas particulier, la CPC assurait une part du salaire qui n'était pas soumise aux règles de la LPP (prévoyance sous-obligatoire). Sur un plan plus général, il lui était loisible, dans le cadre de la prévoyance plus étendue et s'agissant d'une personne invalide, d'assurer un gain supérieur au minimum légal de coordination (avec ou sans réserve). On notera d'ailleurs que, selon l'art. 6 de son règlement (version du 31 janvier 1980), l'affiliation a lieu de plein droit, dès l'entrée en fonction de l'employé; il n'est prévu aucune exception à l'affiliation en raison de l'invalidité de celui-ci.
BGE 118 V 158 S. 169
Mais la CPC ignorait, à l'époque, que le recourant avait été mis au bénéfice d'une rente de l'assurance-invalidité. Elle n'a formulé aucune réserve et, du reste, l'intéressé n'a pas été invité à fournir des renseignements au sujet de son état de santé. Aussi bien l'intimée a-t-elle fait valoir qu'elle n'aurait en aucun cas accepté une affiliation "facultative", si elle avait été dûment informée. Elle en déduit qu'aucun contrat de prévoyance n'a pu être conclu, en l'absence de déclaration de volonté de sa part.
c) Cette question touchant à l'existence d'un accord explicite de l'institution de prévoyance peut cependant rester indécise. Bien que la LCA ne soit pas directement applicable en matière de prévoyance professionnelle, il est possible de se référer à certaines de ses dispositions, par analogie et à titre subsidiaire (
ATF 116 V 225
consid. 4b,
ATF 112 II 249
in fine). Selon l'
art. 9 LCA
, le contrat d'assurance est nul si, au moment où il a été conclu, le sinistre était déjà survenu. Cette règle est l'expression légale du principe général déjà mentionné; elle est au demeurant considérée comme d'ordre public (cf. VIRET, Droit des assurances privées, p. 82). En raison de sa portée et de son caractère, il se justifie de l'appliquer en l'espèce, à tout le moins en l'absence de règle statutaire spéciale. En l'occurrence, le recourant, on l'a vu, étant invalide à 100 pour cent dès le début déjà des rapports de service. Il n'existait aucune capacité restante de gain qui puisse être assurée. Par conséquent, même en admettant que le règlement de la CPC ne faisait pas obstacle à l'affiliation d'un assuré invalide, dans le cadre de la prévoyance plus étendue, le recourant ne pourrait de toute façon pas bénéficier d'une prestation issue de ce régime.
6.
De ce qui précède, il résulte que le recours de droit administratif est mal fondé.
La question d'une éventuelle restitution des cotisations perçues à tort ne fait pas l'objet de la présente procédure. On ne saurait donc l'examiner et encore moins la préjuger.
7.
La procédure se rapporte à des prestations d'assurance, de sorte qu'il n'y a pas lieu de percevoir des frais de justice (
art. 134 OJ
).
La CPC, qui obtient gain de cause et qui est représentée par un avocat, a d'autre part conclu au versement d'une indemnité de dépens. Aux termes de l'
art. 159 al. 2 OJ
in fine, aucune indemnité pour les frais de procès n'est allouée, en règle ordinaire, aux organismes chargés de tâches de droit public. Cela vaut pour la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et, sauf cas très
BGE 118 V 158 S. 170
particuliers, pour les caisses-maladie, les assureurs privés qui participent à l'application de la LAA (voir
ATF 112 V 49
consid. 3 et les arrêts cités), ainsi que pour les institutions de prévoyance en faveur du personnel (
ATF 112 V 362
). En l'espèce, rien ne justifie que l'on s'écarte de ce principe. | null | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d08db066-fa49-4dd1-be46-f5ef86c123d2 | Urteilskopf
116 Ia 14
3. Estratto della sentenza 15 febbraio 1990 della I Corte di diritto pubblico nelle cause A. Baragiola contro il presidente e i membri della Corte delle Assise criminali di Lugano, Corte delle Assise criminali di Lugano ad hoc e Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello del Cantone Ticino (ricorsi di diritto pubblico) | Regeste
Art. 4 und 58 BV
;
Art. 6 Ziff. 1 und 2 EMRK
; Ablehnung eines ganzen Kriminalgerichtshofs; Einfluss der Medien auf die Mitglieder des Gerichtshofs.
1. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 3).
2. Tragweite der Garantie des verfassungsmässigen Richters, insbesondere des unvoreingenommenen, unparteiischen und unbefangenen Richters gemäss
Art. 58 Abs. 1 BV
und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Grundsatz der Unvoreingenommenheit: Feststellung unter Berücksichtigung objektiver und subjektiver Elemente. Ausnahmecharakter der Ablehnung (E. 4).
3. Verfahrensmassnahmen als solche vermögen unabhängig von ihrer Rechtmässigkeit gemäss dem Schutzzweck von
Art. 58 BV
keinen objektiven Verdacht der Voreingenommenheit des sie anordnenden Richters zu begründen (E. 5a bis d).
4. Bestätigung der Rechtsprechung, wonach scherzhafte Äusserungen, nicht genügen, einen Verdacht der Parteilichkeit zu begründen und eine Verletzung der in der EMRK garantierten Unschuldsvermutung zu bewirken (E. 6).
5. Vermag eine virulente Pressekampagne die Unabhängigkeit der Richter zu beeinträchtigen und somit einen Einfluss auf die Fairness des Verfahrens zu haben? Laienrichter sind in erhöhtem Masse der Gefahr einer Beeinflussung der Medien durch eine negative Berichterstattung über einen Beschuldigten bzw. Angeklagten ausgesetzt. Rolle der öffentlichen Meinung, der staatlichen Informationsorgane und politischer Interventionen. Mögliche Anordnung positiver Massnahmen von Amtes wegen (E. 7b).
6. Der Zugang zu den Medien genügt nicht zur Annahme der Beeinflussung der Mitglieder eines Gerichtshofs und für Zweifel an deren Unabhängigkeit und Objektivität. Im konkreten Fall fehlen objektive Anzeichen dafür, dass die Richter und Geschworenen durch die Informationskampagne beeinflusst worden sind, die, obgleich sehr intensiv, nie einseitig war und nie den Eindruck erweckte, dass sie systematisch auf den Nachweis der Schuld des Beschuldigten ausgerichtet war. Besondere politische Bedeutung der Angelegenheit (E. 7c).
7. Bedeutung des durch den Präsidenten und die Assisen unmittelbar nach der Konstituierung des Gerichts abgelegten Eides bzw. feierlichen Gelübdes (E. 7c).
8. An die Adresse der Medien gerichtete Aufforderung, der Unschuldsvermutung bei der Berichterstattung bereits vor Verhandlungsbeginn gebührend Rechnung zu tragen (E. 7d). | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 116 Ia 14 S. 16
Il 9 ottobre 1989 si è aperto davanti alla Corte delle Assise criminali di Lugano il pubblico dibattimento nel processo penale contro Alvaro Baragiola, prevenuto colpevole di tentato assassinio, assassinio e ripetuta tentata rapina. La corte, costituitasi lo stesso giorno, era presieduta dal vicepresidente della Camera
BGE 116 Ia 14 S. 17
criminale del Tribunale di appello del Cantone Ticino e composta di due giudici, cinque assessori giurati e due loro supplenti. Il pubblico dibattimento è stato sospeso il 13 ottobre 1989 a seguito della presentazione da parte dell'imputato di un'istanza di ricusa concernente l'intera corte.
Lo stesso giorno il vicepresidente del Tribunale di appello ha designato una Corte delle Assise criminali ad hoc, incaricata di statuire sull'istanza di ricusa rivolta contro i giudici, i giurati e i supplenti della corte contestata; l'istanza tendente alla ricusa della presidente è stata sottoposta al giudizio della Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello.
In sede cantonale l'imputato - il quale, già condannato in Italia per diversi reati come membro di un'organizzazione terroristica, aveva da poco ottenuto la nazionalità elvetica e il cambiamento di nome - ha fondato la domanda di ricusa in primo luogo sull'influsso, considerato negativo, esercitato dai mezzi d'informazione sull'opinione pubblica e di riflesso sui membri della corte, in modo particolare sui giurati. Ha poi criticato il contegno assunto durante il dibattimento dalla presidente, a cui ha rimproverato di avere commesso una serie di inesattezze procedurali.
Avendo la Corte delle Assise criminali ad hoc e la Camera dei ricorsi penali respinto le rispettive istanze di ricusa, il 6 novembre 1989 la Corte delle Assise criminali di Lugano ha pronunciato - nella sua composizione iniziale - la condanna di Alvaro Baragiola alla pena della reclusione perpetua per i reati di assassinio e tentata rapina.
Con atti separati il condannato ha presentato al Tribunale federale ricorso di diritto pubblico contro i giudizi - di cui postula l'annullamento - emessi dalla Corte delle Assise criminali ad hoc di Lugano e dalla Camera dei ricorsi penali del Tribunale di appello; lamenta una presunta violazione degli
art. 4 e 58 Cost.
e 6 n. 1 e 2 CEDU.
Erwägungen
Dai considerandi:
3.
Adito con un ricorso fondato sulla violazione della garanzia del giudice naturale, il Tribunale federale controlla l'interpretazione e l'applicazione del diritto cantonale dal ristretto profilo dell'arbitrio; esamina invece liberamente se l'interpretazione non arbitraria delle norme del diritto cantonale di procedura è conforme alle esigenze poste dagli
art. 58 cpv. 1 Cost.
e 6 n. 1 CEDU (
DTF 114 Ia 52
consid. 2b e richiami).
BGE 116 Ia 14 S. 18
Nel caso all'esame, dove l'istante non contesta tanto l'interpretazione e l'applicazione del diritto di procedura ticinese, ma si concentra piuttosto sulla violazione della garanzia del giudice costituzionale, indipendente e imparziale, l'esame dei ricorsi di diritto pubblico dev'essere effettuato unicamente sotto il profilo degli
art. 58 cpv. 1 Cost.
e 6 n. 1 CEDU. Ciò vale anche per la presunta violazione dell'
art. 4 Cost.
, censura che, nel modo in cui è stata sollevata, non assume portata propria (
DTF 115 Ia 36
consid. 2a,
DTF 114 Ia 52
consid. 2b). Pure il riferimento all'
art. 6 n. 2 CEDU
, norma citata dal ricorrente a suffragio della tesi sul concetto di parzialità sviluppata nei suoi gravami, non ha carattere indipendente e può essere vagliato nell'ottica dell'
art. 6 n. 1 CEDU
.
4.
In materia penale, l'organizzazione dei tribunali, la procedura giudiziaria e l'amministrazione della giustizia competono ai cantoni (
art. 64bis cpv. 2 Cost.
) e non sono sorrette da norme specifiche della Costituzione federale. Tuttavia, certe garanzie processuali minime, come il diritto dell'accusato di sottoporre il suo caso a un tribunale indipendente e imparziale, sono direttamente deducibili dagli
art. 58 Cost.
e 6 CEDU (
DTF 112 Ia 292
consid. 3 con richiami).
L'
art. 6 n. 1 CEDU
riconosce tra l'altro all'accusato il diritto di comparire davanti a un tribunale indipendente e imparziale costituito per legge. Questa garanzia ha la stessa portata di quella conferita dall'
art. 58 cpv. 1 Cost.
(
DTF 114 Ia 53
consid. 3a,
DTF 113 Ia 416
consid. 2a e rimandi,
DTF 112 Ia 86
). Lo scopo del diritto a un giudice indipendente e imparziale è quello di vietare l'influsso sul giudizio di circostanze estranee al processo, atte a privare la decisione della necessaria oggettività, a favore o a pregiudizio di una parte: a chiunque sia sottoposto a influenze di tal genere non può più essere riconosciuta la qualità di "giusto mediatore" (
DTF 114 Ia 54
e riferimenti). Questa garanzia è tutelata in primo luogo dalle regole cantonali sulla ricusa. Indipendentemente dai precetti del diritto cantonale, la Costituzione federale e la Convenzione europea dei diritti dell'uomo assicurano comunque a ciascuno il diritto di sottoporre la propria causa a giudici non prevenuti, ossia a delle persone in grado di fornire la certezza di un apprezzamento libero e imparziale. Sebbene la semplice affermazione della parzialità basata sui sentimento soggettivi di una parte non sia sufficiente per fondare un dubbio legittimo, non occorre che il giudice sia effettivamente prevenuto: bastano circostanze obiettivamente
BGE 116 Ia 14 S. 19
idonee a suscitare l'apparenza di una prevenzione e a far sorgere un rischio di parzialità per giustificare la sua ricusazione (
DTF 115 Ia 16
seg., 175 consid. 3). Per costante giurisprudenza l'imparzialità si deve valutare sia secondo un processo soggettivo, al fine di determinare il pensiero interiore di un giudice in una specifica situazione, sia secondo un procedimento oggettivo, che consiste nel ricercare se il giudice offriva le necessarie garanzie per escludere ogni legittimo dubbio in tal senso. Sotto questo profilo occorre considerare anche aspetti di carattere funzionale e organizzativo, mettendo l'accento sull'importanza che possono rivestire le apparenze stesse. Un giudice di cui si può legittimamente sospettare la mancanza d'indipendenza e imparzialità è costretto a rinunciare alla sua carica per non mettere in pericolo la credibilità dei tribunali di una società democratica, motivo per cui l'interpretazione e l'applicazione restrittiva degli
art. 58 Cost.
e 6 n. 1 CEDU non può prevalere (si rimanda alla giurisprudenza e alla dottrina - con riferimento anche alla prassi della Corte europea dei diritti dell'uomo - citata in
DTF 114 Ia 53
segg. consid. 3b e c e in
DTF 112 Ia 292
segg. consid. 3a e b). D'altro canto la ricusa di un giudice contrasta in un certo senso il diritto al giudice naturale. Pertanto, al fine di impedire che le regole sulla procedura giudiziaria siano private del loro contenuto, è necessario che questo mezzo conservi il suo carattere eccezionale (
DTF 115 Ia 175
seg. e rimandi). Sarebbe assurdo considerare idonei a fondare il dubbio di parzialità tutti gli influssi a cui quotidianamente è sottoposto un giudice (
DTF 105 Ia 163
). Neppure si dimentichi che l'
art. 58 cpv. 1 Cost.
è stato adottato in un periodo politicamente molto movimentato proprio per garantire al cittadino il regolare andamento delle istituzioni giudiziarie (
DTF 105 Ia 165
e riferimento).
5.
a) A parere del ricorrente, la parzialità dell'intera corte, presidente compreso, sarebbe in primo luogo deducibile dal modo illegale con cui categoricamente sono state respinte le richieste processuali formulate dai difensori, vertenti sul rispetto del principio della pubblicità del dibattimento e su quello del principio del diritto dell'imputato ad essere presente al dibattimento e a partecipare personalmente all'assunzione dei mezzi di prova, sull'ammissibilità dei mezzi di prova dell'accusa e la compatibilità con l'ordine pubblico svizzero di dichiarazioni di coimputati beneficiari di parziale impunità, su presunte irregolarità riscontrate nelle citazioni dei testimoni proposti dalla difesa - che avrebbero impedito la comparsa al dibattimento degli stessi - come pure sul rifiuto di alcune
BGE 116 Ia 14 S. 20
testimonianze. Senza tenere in considerazione le istanze del collegio di difesa, la corte avrebbe fatto uso, durante l'interrogatorio dell'imputato, di deposizioni di persone non ancora comparse al dibattimento, avrebbe interrogato come testimoni sia periti del precedente processo italiano, assumendo agli atti i loro referti, sia quattro membri degli organi inquirenti, a cui sarebbe stato chiesto di riferire su circostanze non contenute nei verbali da loro allestiti, e inoltre, per interrogare l'imputato, sarebbe ricorsa ai giudizi italiani e ai verbali ancora privi di conferma.
b) La prassi del Tribunale federale nega ai provvedimenti procedurali come tali, indipendentemente dalla loro giustezza, l'idoneità a fondare il dubbio oggettivo della prevenzione del giudice che li ha adottati (
DTF 111 Ia 264
consid. 3b/aa e riferimenti). Critiche inerenti a comuni scorrettezze di procedura devono seguire il normale corso d'impugnazione e sono di regola inadatte a fondare una lesione dell'
art. 58 Cost.
(
DTF 113 Ia 409
seg.). Questa differenza appare giustificata dal fatto che il ricorso per presunta violazione della garanzia del giudice costituzionale non presuppone l'esaurimento dei rimedi del diritto cantonale (
art. 86 cpv. 2 OG
). Nella misura in cui il ricorrente fonda la critica di prevenzione della presidente e di tutti i membri della corte - senza alcuna eccezione - sulla lesione di norme del diritto procedurale ticinese, mancano motivi oggettivi per ammettere qualsiasi apparenza di prevenzione. Nella fattispecie non traspaiono elementi che permettano di scostarsi da questa regola.
c) Altro motivo citato a suffragio della tesi sulla supposta prevenzione della presidente, il consiglio dato da questa al collegio di difesa circa le possibili conseguenze previste dall'
art. 131 cpv. 2 CPP
di un atteggiamento di silenzio da parte dell'imputato. Vero è che la norma secondo cui, "qualora l'imputato ricusi di rispondere o in generale o a determinate domande, il giudice lo avverte semplicemente che il suo silenzio potrà essere interpretato contro di lui", più non regge davanti ai principi deducibili dalla Costituzione federale ed è in aperto contrasto con l'
art. 6 n. 2 CEDU
(HAUSER, Kurzlehrbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, II ediz., pag. 167; SCHMID, Strafprozessrecht, pag. 81 n. 292; RUSCA, La procedura penale ticinese alla luce della Convenzione europea dei diritti dell'uomo, Rep. 1984, pag. 253). Trattasi tuttavia di un errore procedurale, inadatto - come già esposto - a fondare la censura di lesione dell'
art. 58 Cost.
Lo stesso dicasi per il rimprovero mosso alla presidente - e da questa categoricamente smentito
BGE 116 Ia 14 S. 21
nella sua presa di posizione - al riguardo dell'audizione di due agenti di polizia (ai quali essa avrebbe chiesto di riferire su di alcune dichiarazioni fatte dall'accusato in sede di interrogatorio preliminare e non verbalizzate) nonché del successivo interrogatorio del ricorrente, di fronte alle di cui denegazioni la presidente avrebbe contrastato la presunta maggior credibilità degli agenti (atteggiamento non deducibile dalla sola lettura del verbale, dal quale risulta invece come la domanda volta nello stesso contesto dalla presidente all'imputato non sia retorica - come pretende il collegio di difesa - ma rappresenti un vero e proprio quesito).
d) Rilevata la scarsa importanza, ai fini dell'
art. 58 Cost.
, dei supposti errori di procedura fatti valere dal ricorrente, si può lasciare aperta la questione di sapere se gli stessi si siano avverati prima o dopo l'inoltro dell'istanza di ricusa. Ovvio che, fatti accaduti dopo l'emissione dei giudizi del 17 ottobre 1989, impugnati in questa sede, rispettivamente dopo la successiva riapertura del processo, non potrebbero essere tenuti in considerazione.
6.
a) L'istante ravvisa un ulteriore dubbio di prevenzione nella battuta formulata dalla presidente sulle scarpe da lui calzate durante una seduta del procedimento in relazione alla sua altezza e a quella di uno degli attentatori del giudice italiano Tartaglione. Considera sorprendente il fatto che il presidente di un processo per il reato di assassinio possa permettersi di pronunciare delle "battute in tono scherzoso" sulla presenza (contestata dalla difesa) dell'imputato sul luogo del delitto.
b) Effettivamente, dal verbale della discussione svoltasi il 16 ottobre 1989 davanti alla Camera dei ricorsi penali e alla quale parteciparono anche i tre difensori dell'imputato, risulta che la battuta - secondo la Procura pubblica espressa per diminuire la tensione artificiosamente provocata in aula dalla difesa - è stata fatta in tono scherzoso. Tale natura è ammessa anche dalla presidente, la quale aggiunge comunque che, se avesse detto qualche scorrettezza, visto il comportamento assunto dalla difesa dell'imputato durante il processo, il difensore presente quella mattina in aula avrebbe sicuramente richiesto un'annotazione a verbale, ciò che invece non è avvenuto. Ora, anche se si volesse considerare l'asserto della presidente come uno sviamento umoristico della procedura, si deve rilevare che tali affermazioni non bastano, secondo la prassi, a fondare un dubbio di parzialità e nemmeno a configurare
BGE 116 Ia 14 S. 22
una lesione del principio della presunzione d'innocenza codificata dalla CEDU (cfr. consid. 4b/bb della sentenza inedita del 19 luglio 1989 nella causa Zwahlen).
7.
a) In sede cantonale il ricorrente ha fondato la domanda di ricusa principalmente sulla campagna di stampa - considerata a lui ostile - condotta dai mezzi d'informazione a partire dal momento del suo arresto e continuata, in spregio al principio della presunzione di innocenza, anche durante il processo. Davanti al Tribunale federale critica i giudizi cantonali che non hanno ammesso tale motivo di ricusa. A suo parere, la campagna di stampa definita senza precedenti per intensità, frequenza e pesantezza di contenuto - fattori intensificati dalla ristrettezza del territorio e dall'esiguità del numero degli abitanti del Cantone Ticino - avrebbe predisposto negativamente nei suoi confronti tanto l'opinione pubblica, quanto, di riflesso, i membri della corte giudicante, in modo particolare gli assessori giurati. Come prova dell'asserito influsso negativo cita alcuni episodi di intolleranza verificatisi nei confronti dei suoi familiari e dei suoi difensori. Già prima dell'inizio del processo egli sarebbe stato considerato a più riprese colpevole dei reati imputatigli e la sua qualità di membro dell'organizzazione terroristica "Brigate Rosse" sarebbe stata data per certa; perfino l'allora presidente del Consiglio di Stato del Cantone Ticino - ricorda in tal modo la connotazione politica della vicenda giudiziaria - ebbe a qualificarlo pubblicamente come "efferato terrorista". La televisione della Svizzera italiana, infine, avrebbe diffuso, a poca distanza dall'inizio del processo e, secondo l'imputato, a suo svantaggio, una trasmissione sul terrorismo.
b) Il Tribunale federale già ha avuto modo di stabilire come anche circostanze estranee al processo possano avere un influsso scorretto sul giudizio, sia in favore, sia a scapito di una parte (
DTF 105 Ia 162
consid. 6a). Nello stesso contesto, tuttavia, ha osservato che non tutti gli influssi a cui quotidianamente è sottoposto un giudice possono essere considerati idonei a fondare un dubbio di parzialità nei suoi confronti, impedendogli in tal modo di partecipare alla deliberazione del litigio (
DTF 105 Ia 163
consid. 6a). In effetti, se qualsiasi influenza esterna potesse portare alla ricusazione di un giudice, in periodi politicamente movimentati lo Stato non sarebbe più in grado di garantire al cittadino il regolare funzionamento delle istituzioni giudiziarie (cfr. quanto già esposto al consid. 4;
DTF 105 Ia 165
). Degli organi istituiti a salvaguardia della Convenzione europea dei diritti dell'uomo, finora
BGE 116 Ia 14 S. 23
soltanto la Commissione è stata chiamata a esaminare il problema del possibile influsso di virulente campagne di stampa sull'imparzialità dei giudici e di conseguenza sull'equità del processo. Essa ha stabilito che sono i giudici popolari a correre il maggior rischio di subire l'influenza degli interventi dei mezzi d'informazione sfavorevoli a un imputato o a un accusato (cfr. FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, n. 114 all'art. 6; MIEHSLER/VOGLER, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, n. 305 all'art. 6). La medesima opinione è condivisa dalla dottrina (cfr. EICHENBERGER, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, Berna 1960, pagg. 235 seg., 248 seg. e 251 seg.; TRECHSEL, Struktur und Funktion der Vermutung der Schuldlosigkeit, Ein Beitrag zur Auslegung von Art. 6 Ziff. 2 EMRK, SJZ 77 (1981), pag. 317 segg., in particolare pag. 322 seg.; ARZT, Der befangene Strafrichter, Tubinga 1969, pag. 113 seg.). Contestando l'opinione difesa dalla Corte suprema federale tedesca, ARZT giunge alla conclusione che una campagna di stampa mirante alla condanna (o alla condanna a una pena pesante) dell'imputato, con cui si tende a dimostrare la sua colpevolezza, reca con sé gravi pericoli per la ricerca della verità. Secondo l'autore potrebbe subentrare un clima tale, da rendere impossibile una ricerca imparziale della verità (op.cit., pag. 114). Pure per KÖLZ (in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, n. 16 all'art. 58) tale peso dell'opinione pubblica deve, per principio, essere considerato idoneo a configurare una lesione del diritto a un giudice imparziale garantito dall'
art. 58 Cost.
Tuttavia la Commissione non reputa che l'accesso ai mezzi d'informazione - pure nel corso del procedimento - possa di per sé essere sufficiente a fondare il dubbio di parzialità, ammissibile soltanto se suffragato da circostanze atte a dimostrare l'influsso della campagna pubblicitaria sull'opinione dei giudici. La Commissione, invece, consiglia, nell'ambito di processi molto chiacchierati, oggetto di vaste campagne di stampa, radiofoniche e televisive, di adottare d'ufficio delle misure positive, onde assicurare una ricerca imparziale della verità; provvedimenti, questi, necessari soprattutto nei casi in cui intervengono dei giudici popolari (cfr. MIEHSLER/VOGLER, op.cit., n. 305 all'art. 6 e richiami, in particolare nota 6 a pag. 100). La Commissione ha considerato inoltre come il rischio che una campagna di stampa violenta possa nuocere all'equità del processo sussista soprattutto ove la stessa sia stata cagionata o istigata da un
BGE 116 Ia 14 S. 24
organo statale statale (cfr. EuGRZ 1987, pag. 357 nel caso Bricmont c. Belgio; DR 22,187 e 14, 87 seg.). Inevitabile però, secondo la Commissione, che alcuni processi attirino più attenzione di altri. Essa ha ritenuto in tal caso che una campagna pubblicitaria è tantomeno inadatta a influire sull'equità del processo, dove le opinioni della stampa divergono (EuGRZ 1987, pag. 357 nel caso citato). Al riguardo di colui che è chiamato a dirigere il processo, la Commissione ritiene che esso può fondare il sospetto di parzialità non soltanto con i sui atteggiamenti, ma anche omettendo di intervenire di fronte a interferenze sprezzanti e pregiudicanti di altri partecipanti al dibattimento (MIEHSLER/VOGLER, op.cit., n. 406 all'art. 6). Il Tribunale federale, chiamato finora una sola volta a esprimersi sul problema, ha ritenuto che una campagna di stampa e interventi politici non sono da soli sufficienti a fondare il dubbio di parzialità di un giudice (consid. 4b della sentenza inedita del 18 dicembre 1985 nella causa Rychetsky c. Tribunale d'accusa del Canton Vaud, Jaquier e Pollicino; analogo il giudizio emesso l'8 luglio 1978 dalla Commissione di Strasburgo nella causa Ensslin, Baader e Raspe c. Repubblica Federale di Germania, in DR 14,88 n. 15). D'altro canto non bisogna dimenticare che, in qualità di normali cittadini, i giudici hanno il compito di tenersi al corrente dei problemi che interessano la società e altresì - nella misura in cui la loro attività lo permette - quello di formarsi un'opinione politica: basta soltanto che la loro imparzialità non sia compromessa (cfr.
DTF 105 Ia 162
consid. 6a; KÖLZ, op.cit., n. 18 all'art. 58, come pure, nello stesso volume, J. P. MÜLLER, n. 91 all'art. 55).
c) Dalle considerazioni esposte discende che l'accesso ai mezzi d'informazione non basta per influenzare i membri di un tribunale e mettere in dubbio la loro indipendenza e la loro obiettività. Nel caso all'esame non vi è pertanto nulla da obiettare sul fatto che i quotidiani siano stati a disposizione dei membri della corte durante le pause dei dibattimenti; mancano al riguardo segnali oggettivi atti a destare il dubbio che la presidente, i giudici togati e i giurati possano essere stati influenzati dai commenti apparsi sulla stampa nel periodo dal 9 al 13 ottobre 1989. Vero è che, prima dell'inizio del processo, la campagna informativa è stata molto intensa. Tuttavia essa non ha mai confinato con l'unilateralità: vi sono sempre stati innocentisti e colpevolisti. Sorprendente è pure il fatto che diversi giornalisti hanno posto l'accento sul potere dei mezzi d'informazione e sul pericolo di giudizi anticipati.
BGE 116 Ia 14 S. 25
Da non dimenticare, inoltre, che il notevole interesse suscitato dal "caso Baragiola" è da ricondurre soprattutto alla connotazione politica della faccenda. A destare scalpore è stato in modo particolare il fatto che le autorità amministrative abbiano concesso la cittadinanza svizzera e il cambiamento di nome a una persona condannata in via definitiva dalla giustizia italiana per diversi reati come membro delle "Brigate Rosse". L'interesse maggiore è stato suscitato dalle condizioni in cui si è scoperto che colui a cui si era da poco concesso la nazionalità elvetica era ricercato dalla polizia. Da escludere pertanto che nella fattispecie i servizi diffusi dai mezzi d'informazione fossero sistematicamente volti all'ottenimento della colpevolezza dell'imputato.
Il ricorrente non pretende neppure che la campagna di stampa sia stata causata esclusivamente da un organo statale. In quest'ambito egli si limita a citare l'intervento dell'allora presidente del Consiglio di Stato in un dibattito parlamentare (diffuso dalla radio e dalla televisione) riguardante la questione politica della vicenda. Nella sua critica, tuttavia, il ricorrente dimentica che le allusioni fatte dal presidente dell'esecutivo cantonale non si riferivano al futuro processo penale di Lugano, bensì alle condanne definitive dei tribunali italiani (cfr. J. P. MÜLLER/S. MÜLLER, Grundrechte, Besonderer Teil, pag. 264 all'inizio e n. 8). D'altronde, un esame generale del decorso degli avvenimenti evidenzia come non sia stata quest'affermazione a dare l'avvio alla campagna di stampa criticata dal ricorrente. Inoltre, costui neppure tenta di addurre che tale avvio potrebbe essere stato causato da informazioni sfuggite ad altri organi statali, quali l'autorità inquirente o la pubblica accusa. Al contrario invece, il 20 giugno 1988 la Procura pubblica sottocenerina aveva emanato - unitamente al collegio di difesa dell'imputato - un comunicato stampa con cui invitava gli organi d'informazione a collaborare alla salvaguardia delle esigenze di sicurezza e di giustizia, in particolar modo al rispetto dei diritti dell'imputato, incluso il principio della presunzione d'innocenza, auspicando uno svolgimento tranquillo della procedura giudiziaria.
Nelle loro osservazioni al Tribunale federale, i giudici e i giurati sottolineano non solo l'impossibilità ammessa dal ricorrente di provare l'influsso negativo dei mezzi d'informazione sulla convinzione di ognuno di loro, ma pure come la campagna informativa non abbia effettivamente per nulla influenzato la loro indipendenza di giudizio. Analoghe le conclusioni della presidente, la quale asserisce pure di essere stata,
BGE 116 Ia 14 S. 26
durante i dibattimenti e le brevi pause, troppo occupata per notare la presenza dei giornali nel vano adiacente all'aula penale; verosimilmente ammette di aver letto i quotidiani una sola volta, cioè il 13 ottobre 1989, dopo aver preso conoscenza dell'istanza di ricusa che menzionava la circostanza. Se non altro, queste prese di posizione costituiscono un indizio secondo cui i magistrati e i giurati non si sentivano influenzati dalla campagna di stampa. Ora, anche se, come l'esperienza insegna, il pericolo di indebite interferenze da parte dei mezzi d'informazione non sussiste tanto per i giudici togati, quanto per quelli popolari (cfr. FROWEIN/PEUKERT, op.cit., n. 114 all'art. 6; VOGLER, op.cit., n. 305 all'art. 6), non si può sottovalutare l'importanza del giuramento e della promessa solenne deferiti dalla presidente agli assessori giurati subito dopo la costituzione della corte d'assise (
art. 182 CPP
in combinazione con l'art. 150 cpv. 2 lett. c della legge cantonale sull'esercizio del diritto di voto, sulle votazioni e sulle elezioni del 23 febbraio 1954). Proprio in casi come quello all'esame, dove c'era già stato un intervento della stampa a proposito della questione politica della faccenda e, appunto per questo motivo, esisteva un accresciuto pericolo di prevenzione degli assessori, l'atto del giuramento e della promessa solenne acquista maggior significato, cessando di essere formula di stile. Il fatto di richiamare l'attenzione dei giudici popolari sul testo del giuramento e della promessa solenne assume quindi, per esperienza, un'importanza rilevante nei casi che hanno suscitato particolare interesse già prima dell'apertura del procedimento penale. Il peso attribuibile a quest'atto solenne attenua la necessità di rendere esplicitamente attenti gli assessori giurati del pericolo che potrebbero costituire per la formazione del loro convincimento i servizi diffusi dai mezzi d'informazione. Certo, la presidente avrebbe potuto rendere attenti i giudici popolari su questo punto; il non averlo fatto non pregiudica tuttavia l'imparzialità del tribunale. Si ricordi che la discussione da cui scaturisce il giudizio di una corte d'assise ticinese è tenuta dai giudici popolari e da quelli togati (
art. 206 cpv. 1 e
art. 208 CPP
; cfr. pure art. 53 della legge organica giudiziaria del 24 novembre 1910) e non, come avviene in un classico tribunale d'assise, soltanto da giurati (cfr. su tal punto le diverse conseguenze del possibile influsso dei mezzi d'informazione sui giudici popolari nel diritto anglosassone e nel diritto tedesco esposte da BORNKAMM, Pressefreiheit und Fairness des Strafverfahrens, Die Grenzen der
BGE 116 Ia 14 S. 27
Berichterstattung über schwebende Strafverfahren im englischen, amerikanischen und deutschen Recht, Baden-Baden 1980, pagg. da 207 a 212).
Nella fattispecie all'esame nemmeno si sarebbe potuto esigere dalla presidente un ulteriore ammonimento alla stampa, dopo che, com'è già stato evidenziato, la Procura pubblica sottocenerina e il collegio di difesa dell'imputato avevano emanato un comunicato in tal senso. Pur prescindendo dal fatto che commenti pubblicati durante il corso di un processo e destinati a mettere in dubbio l'imparzialità di un tribunale sono inammissibili (J. P. MÜLLER, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, n. 93 all'art. 55), nella valutazione degli interessi opposti la presidente non poteva certo omettere di considerare che il divieto di censura preventiva del testo di un articolo costituisce il fulcro della libertà di stampa (idem, n. 26).
d) Alla luce delle considerazioni esposte i gravami devono essere respinti, nel caso concreto la censura di parzialità risultando priva di consistenza, anche al riguardo del ruolo svolto dai mezzi d'informazione. Ciò non evita tuttavia di rilevare a titolo generale, proprio in tal contesto, come, al fine di evitare possibili limitazioni alla libertà di stampa, in futuro i giornalisti dovranno non solo essere più disciplinati e autocritici, ma anche attenersi con maggior rigore alle norme deontologiche della loro professione, dando prova di prudenza e oggettività (cfr. ESER/MEYER, Öffentliche Vorverurteilung und faires Strafverfahren, Friburgo in Brisgovia 1986, pagg. 228 seg. e 242 per la Svizzera, nonché pagg. 194 seg. e 204 segg. per la Svezia; J. P. MÜLLER, Kommentar, n. 91 seg. all'art. 55). Pertanto si invitano i giornali, la radio e la televisione a rispettare in ogni caso, ma soprattutto in occasione di processi penali, la presunzione d'innocenza anche prima dell'inizio dei dibattimenti. La libertà di stampa non dovrebbe infatti mai provocare la condanna di un imputato da parte degli organi d'informazione prima che il competente tribunale renda noto il suo giudizio (cfr. BISCHOFBERGER, Die Verfahrensgarantien der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 5 und 6) in ihrer Einwirkung auf das schweizerische Strafprozessrecht, tesi Zurigo 1972, pag. 127 n. 466). | public_law | nan | it | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d08e49b0-e136-4be2-a12b-ff7683e5f7ac | Urteilskopf
92 I 126
23. Arrêt du 13 mai 1966 dans la cause Touring Club Suisse contre l'Administration fédérale des contributions. | Regeste
Stempelabgabe auf Quittungen für Versicherungsprämien.
Art. 42 StG
.
1. Begriff der Versicherung im Sinne des StG. Das Rechtsgeschäft braucht nicht selbständigen Charakter zu haben. Ist Planmässigkeit des Geschäftsbetriebs, d.h. Prämienberechnung nach dem Gesetz der grossen Zahl erforderlich? (Erw. 2). Wann kann eine Dienstleistung eine Versicherungsleistung darstellen? (Erw. 5).
2. Das "Livret d'entraide internationale" des Touring Club Suisse gibt Anspruch auf verschiedene Leistungen, von denen einzelne Geldleistungen, andere Dienstleistungen sind. Die letzteren haben im Verhältnis zu den ersteren nebensächlichen Charakter. Die einen wie die anderen stellen daher Versicherungsleistungen dar, sofern die übrigen Merkmale der Versicherung vorliegen (Erw. 3, 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 127
BGE 92 I 126 S. 127
A.-
Le Touring Club Suisse (TCS) est une association qui a pour but le développement du tourisme et la sauvegarde des intérêts de la circulation routière. Dès 1958, il délivre à ses membres, sur demande et moyennant finance, des "livrets d'entraide internationale" (dits "livrets ETI"). Le contenu de ce livret a été complété à diverses reprises et, dans une certaine mesure, son prix augmenté à l'avenant. Il se vend actuellement 10 fr. (livret "standard"). Depuis 1964, un livret d'un type nouveau a été créé, au prix de 20 fr. (livret "super"). La validité du livret est d'un an, à courir dès la délivrance du document. D'autre part, il n'est valable qu'à l'étranger.
Le livret "standard" délivré en 1965 au prix de 10 fr. donne droit aux prestations suivantes:
1. 5 lettres de crédit, dont 2 de 50 fr., 2 de 100 fr. et 1 de 200 fr. La lettre de crédit est valable uniquement pour le paiement de réparations ou remorquages ensuite d'accident ou de panne, de frais médicaux ou de frais d'hôpital ensuite d'accident ou de maladie grave subite, d'honoraires d'avocats à la suite d'un accident, de frais d'expertise technique.
2. Un bon de dépannage: lorsque l'aide d'une patrouille routière n'a pu être obtenue, le TCS prend à sa charge jusqu'à concurrence de 50 fr. les frais de remorquage jusqu'au garage le plus proche ou les frais de déplacement et d'intervention d'un garagiste au lieu de la panne, et retour.
BGE 92 I 126 S. 128
3. Un bon pour l'envoi de pièces de rechange: si par suite de panne ou d'accident, il n'est pas possible d'obtenir les pièces de rechange nécessaires à la réparation du véhicule, le TCS les acheminera le plus rapidement possible contre envoi de ce bon. Le TCS se charge des frais d'expédition, d'établissement du document douanier et autres formalités. Par contre, le porteur du livret s'engage à rembourser le prix desdites pièces au TCS, à son retour en Suisse.
4. Un bon de rapatriement du véhicule: si, par suite d'accident ou de panne grave à l'étranger, le véhicule n'est plus en état de circuler et s'il ne peut être réparé sur place dans un délai raisonnable, le TCS se charge des frais de transport du véhicule par chemins de fer.
5. Un bon de rapatriement du véhicule et des occupants: si le chauffeur n'est plus en état de ramener son véhicule par suite de maladie ou d'accident, le TCS fera rapatrier celui-ci par un de ses patrouilleurs et à ses frais.
6. Un bon pour le paiement des droits de douane en cas de vol ou de destruction du véhicule à l'étranger, le TCS prenant à sa charge, selon son règlement, les droits de douane réclamés par une administration étrangère.
7. Un bon d'assistance juridique à l'étranger: en vertu d'une entente entre les clubs membres de l'AIT (association faîtière qui groupe les Touring Club du monde entier), le club du pays en question accorde une première assistance juridique gratuite, sous forme de consultation juridique à propos de toute question litigieuse se rapportant à l'emploi du véhicule ou au tourisme; de soutien, particulièrement à l'égard des compagnies d'assurance, des garagistes et des hôteliers en vue d'une éventuelle entente amiable; exceptionnellement de représentation devant un tribunal, dans certains cas de contravention à des règlements de police, auquel cas les frais assumés par le club ne peuvent dépasser 100 fr.; enfin, dans les cas d'urgence, de garantie des honoraires d'avocat jusqu'à concurrence de 200 fr.
8. Un bon pour une consultation technique à l'étranger: si, ayant fait réparer son véhicule à l'étranger, le porteur du livret a des doutes sérieux sur la qualité ou la facturation des travaux ou des fournitures, il peut s'adresser au club du pays visité pour obtenir une expertise gratuite par son service technique. Selon les cas, le club se bornera à indiquer l'adresse d'un
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expert agréé; le porteur du livret demeure alors chargé des frais d'expertise, mais, à son retour, il peut obtenir du TCS remboursement à concurrence de 30 fr.
9. Un bon d'indemnisation pour les dommages causés par le gibier; l'indemnité est versée par un fonds de solidarité que le TCS a constitué à cet effet.
10-13. Bons permettant de conclure une assurance supplémentaire d'assistance juridique, une assurance supplémentaire casco-vacances, une assurance contre les accidents de voyage et une assurance pour les bagages; ces contrats sont passés avec des compagnies d'assurance déterminées, moyennant paiement d'une prime spéciale fort modique.
Le livret ETI "super" donne droit à des prestations qui, pour certaines d'entre elles, ont été substantiellement améliorées. C'est ainsi que, dans le bon 2, la participation aux frais de remorquage est portée à 100 fr. et que le bon 4 donne droit au remboursement non seulement des frais de transport du véhicule par chemins de fer, mais encore des frais d'intervention des maisons de transit ou de transport et de leurs correspondants. Mais surtout, le bon 7 ("assistance juridique étendue") constitue désormais une véritable assurance-frais de procès, jusqu'à concurrence de 10 000 fr. Enfin, le bon 10 donne droit au remboursement des billets de chemins de fer, jusqu'à concurrence de 200 fr., éventuellement de 500 fr. si un ou plusieurs des occupants du véhicule accidenté ont dû être transportés en ambulance; il est précisé que ces versements ont lieu "à bien plaire".
B.-
L'Administration fédérale des contributions (AFC) considéra que la finance exigée pour l'un et l'autre livret constituait une prime d'assurance, au sens de l'art. 42 LT.
Le TCS s'insurgea contre cette prétention. Le 30 juin 1965, l'AFC prit une décision formelle, soumettant au droit de timbre sur les primes d'assurance (art. 42 LT) la finance perçue par le TCS pour les livrets ETI et obligeant le TCS à présenter un décompte périodique des droits de timbre échus (art. 79 OT), ceux-ci étant calculés au taux de 1% des montants perçus, à compter du 1er janvier 1963; enfin, les droits de timbre échus en 1963 et 1964 devaient être payés dans le délai de trente jours.
C.-
Contre cette décision, le TCS a formé le présent recours de droit administratif. Il fait valoir essentiellement, d'une part,
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que les prestations qu'il fournit de la sorte ne sont pas des prestations d'assurance, mais des prestations sociales, qu'il délivre à ses membres comme tels; et d'autre part que les prestations fournies sont pour l'essentiel des prestations de services, qu'elles ne sauraient donc constituer des prestations d'assurance.
D.-
L'AFC a conclu au rejet du recours. Tout en admettant que certaines des prestations fournies ne sauraient être considérées comme des prestations d'assurance, elle affirme que ce caractère ne saurait être dénié aux autres prestations. Elle soutient que la finance perçue pour le livret ETI ne saurait être considérée comme une cotisation, vu, d'une part, que seuls ceux des membres qui paient cette finance bénéficient des avantages procurés par ce document et que, d'autre part, le prix du livret est fixé non pas par l'assemblée des délégués (comme c'est le cas, en vertu des statuts, pour la cotisation proprement dite), mais par le conseil d'administration du TCS. L'AFC s'efforce en outre de démontrer que les autres éléments de l'assurance sont réunis. Enfin, elle fait valoir qu'il y aurait inégalité de traitement à ne pas percevoir le droit de timbre d'une entreprise quelle qu'elle soit dès lors que sont réunies les conditions de son assujettissement.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le présent recours est dirigé contre une décision de l'AFC portant sur un impôt fédéral (art. 97 al. 2 OJ). Le recourant était intéressé comme partie à la décision attaquée (art. 103 al. 1 OJ) et il soutient que celle-ci a été prise en violation du droit fédéral, dans le cas particulier l'art. 42 de la loi fédérale sur les droits de timbre (LT). Il échet donc d'entrer en matière sur ce recours.
2.
Selon l'art. 42 LT, "sont soumises au droit de timbre les quittances de paiement de primes, de contributions, de versements supplémentaires et de répartitions pour assurances (quittances de primes) en tant que le paiement des primes a lieu comme rétribution pour l'engagement d'assurance soit pris vis-à-vis de personnes qui ont leur domicile en Suisse, ou y séjournent d'une façon durable, soit concernant des objets qui se trouvent en Suisse".
Il n'est pas contesté que les porteurs de livrets ETI sont domiciliés en Suisse. Par contre, le recourant se défend de pratiquer
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une activité d'assurance en délivrant ce document à ceux de ses membres qui désirent en faire l'acquisition.
Ni la loi sur les droits de timbre, ni aucune des lois régissant les assurances privées ne définissent la notion d'assurance. La jurisprudence (cf. RO 74 I 180, qui renvoie à RO 71 I 279, et par là indirectement à l'arrêt de principe RO 58 I 259) exige la réunion de cinq éléments: le risque, la prestation de l'assureur, la prestation de l'assuré, le caractère autonome de l'opération et la compensation des risques conformément aux lois de la statistique ("Planmässigkeit").
Encore la jurisprudence oppose-t-elle à cette notion stricte de l'assurance une conception plus large (assurance lato sensu), qui ne fait pas du caractère autonome de l'opération un élément essentiel. C'est ainsi que l'arrêt RO 80 II 129 a décidé qu'un rapport d'assurance (au sens large) pouvait ne pas découler d'un contrat distinct; qu'il pouvait au contraire émaner d'un rapport de droit plus fondamental existant déjà entre les parties, dont il constituait alors un élément patrimonial: ainsi notamment le lien unissant une association à l'un de ses membres; et que, dans ce cas, l'obligation d'assurance de l'association à l'égard de son membre n'acquérait un caractère autonome (et corrélativement le droit du membre de toucher les prestations d'assurance ne se constituait en droit acquis distinct) que dès la réalisation du risque. Or la LT s'est manifestement inspirée de cette notion large de l'assurance (et seule importe ici la notion d'assurance au sens de la LT); c'est ce qui résulte de l'art. 43; s'il en était autrement et que l'on tînt pour indispensable la création du rapport d'assurance par un acte juridique autonome, les exemptions statuées par cette disposition en faveur de caisses d'assurance à structure corporative ou constituées sous forme d'association seraient incompréhensibles.
D'autre part, il est vrai que certains auteurs n'exigent pas la compensation des risques conformément aux lois de la statistique (cf. KOENIG, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 2. Aufl., p. 32). Mais cette question peut demeurer indécise; dans la présente espèce en effet, comme on le montrera (cf. consid. 3 ci-dessous), cette condition est en tout cas remplie.
Il convient de rechercher en outre si l'opération conclue entre le TCS et l'acquéreur d'un livret ETI présente les autres éléments caractéristiques de l'assurance (existence d'un risque,
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prestation de l'assuré, prestation de l'assureur). Peu importe à cet égard que l'acquisition d'un livret ETI constitue ou non la conclusion d'un contrat autonome: voulût-on même admettre avec le TCS que ce document ne confère que des droits de nature corporative (affirmation qui est du reste controuvée par de nombreux faits) que, comme on l'a montré, l'existence d'une assurance au sens de la LT ne serait pas exclue pour autant.
3.
Il n'est pas contesté que les livrets ETI sont délivrés moyennant finance. Mais le recourant se refuse à voir une "prime" d'assurance dans le prix payé par l'acquéreur de ce document. D'autre part, le recourant conteste qu'il y ait compensation des risques selon les lois de la statistique. Il convient d'examiner ces deux questions ensemble, car elles sont étroitement liées.
Contrairement à l'opinion du recourant, si l'assurance (au sens de la LT) suppose la compensation des risques selon les lois de la statistique, cela ne signifie pas que, pour satisfaire à cette condition, son exploitation doit être régie par les principes des mathématiques actuarielles. Il faut et il suffit que les recettes totales soient adaptées aux dépenses totales, de telle manière que celles-là couvrent celles-ci, en laissant une marge suffisante de sécurité. Or le mouvement des recettes et des dépenses, tel qu'il résulte du tableau ci-après, montre que cette condition est largement remplie dans le cas particulier:
Année Recettes Dépenses
1959 189 532>334 935
1960 306 971 136 603
1961 545 290 196 833
1962 642 508 642 508
1963 659 181 247 642
En délivrant les livrets ETI, le TCS prenait des engagements, conditionnels il est vrai, pour plusieurs millions de francs. Il est dès lors tout à fait invraisemblable qu'il ait procédé sans aucune méthode et, en particulier, qu'il n'ait pas tiré profit des résultats accumulés d'année en année. On doit admettre au contraire que les adaptations successives du prix du livret, si elles correspondaient à une amélioration des prestations,
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traduisaient précisément ce souci d'adapter les recettes aux dépenses. Comme l'AFC le note avec raison, le procès-verbal de la séance du bureau du conseil d'administration du 22 novembre 1963 contient à ce propos une phrase significative: "... Le prix de Fr. 7.- laisse une marge si modeste qu'en cas de mauvaise année, des pertes pourraient être subies". Dans ces conditions, l'exigence de compensation des risques selon les lois de la statistique, telle que définie ci-dessus, est manifestement remplie.
Sans doute, le TCS objecte-t-il que les prestations de services fournies au titre des livrets ETI (à ses propres membres mais surtout aux membres de clubs étrangers, en contrepartie des prestations fournies par ces derniers à ses membres porteurs de livrets) sont quasiment impossibles à chiffrer. On peut penser cependant que la surcharge qui en résulte pour les divers services du TCS et, partant, le surcroît de frais ne sont pas extrêmement considérables. En tout cas, il eût appartenu au TCS d'établir le contraire. Si les insuffisances de sa comptabilité et de son matériel statistique tournent à son détriment, il ne doit s'en prendre qu'à lui-même.
4.
L'existence d'un risque ne saurait être contestée, contrairement à l'opinion du recourant, qui assimile à tort risque et accident. Il faut entendre par là un événement dont la réalisation est à la fois possible et incertaine (incertus an ou incertus quando) (cf. KISCH in MANES, Versicherungslexikon, Berlin 1930, Vo Gefahr). Toutes les prestations auxquelles le recourant s'engage en délivrant un livret ETI (même celles qui ne présentent pas les autres caractères de l'assurance: par exemple les lettres de crédit, cf. ci-dessous, consid. 5) dépendent manifestement de la réalisation d'un tel événement: accident, panne, maladie grave. Qu'il soit possible, voilà qui ne demande aucune explication. Mais qu'il soit également incertain, c'est ce qui résulte à l'évidence des rapports publiés par le conseil d'administration du TCS où l'on peut lire (cf. par exemple Rapport sur l'exercice 1962, p. 16) que le TCS refuse les demandes de rapatriement du véhicule même si elles émanent de sociétaires, lorsque ceux-ci n'ont "pas jugé utile d'acquérir un livret ETI" avant leur départ. Autrement dit, le TCS refuse de vendre un livret ETI à l'un de ses membres lorsque celui-ci en était dépourvu au moment où il subit l'un des événements qui lui donnerait droit aux prestations (ou à l'une des prestations) fournies par ce
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document; du même coup, il reconnaît l'importance essentielle qu'il attache au caractère incertain de ces événements. On doit en conclure que la fourniture de ces prestations dépend bien de la réalisation d'un risque, au sens ci-dessus défini.
5.
Il faut déterminer en outre si les prestations fournies par le livret ETI constituent des prestations d'assurance. Le recourant le conteste également: à son avis, il s'agit principalement de prestations de services et, tout à fait exceptionnellement, d'indemnisation. L'AFC objecte que des prestations d'assurance peuvent également prendre la forme de prestations de services. Cette question est controversée, mais, dans le cas particulier, elle peut demeurer indécise; car même si l'on n'admet pas la thèse de l'AFC sur ce point, il reste que, pour une part prépondérante, les prestations fournies par le livret ETI constituent des prestations d'assurance. C'est ce qu'il convient de démontrer, en analysant d'abord chaque prestation pour elle-même, puis en considérant ensuite l'ensemble des prestations fournies d'un point de vue global.
a) Il est manifeste, tout d'abord, que certaines prestations procurées par le livret ETI ne sont pas des prestations d'assurance. Tel est le cas pour les lettres de crédit (bon no 1). Il en va de même pour les bons nos 10-13 (livret "standard") ou 11-13 (livret "super"), qui permettent simplement de conclure des contrats d'assurance à des conditions particulièrement avantageuses. En outre, le bon no 9 (indemnisation pour les dommages causés par le gibier) ne procure pas non plus une prestation d'assurance, les sommes versées de ce chef provenant d'un fonds de solidarité et les porteurs de livrets n'ayant aucun droit d'exiger cette indemnisation.
D'autre part, certaines prestations sont manifestement des prestations de services: ainsi l'envoi de pièces de rechange (bon no 3) et l'assistance juridique simple (bon no 7 du livret "standard" et premier élément de la prestation offerte par le bon no 7 du livret "super"). En ce qui concerne tout d'abord l'envoi de pièces de rechange, il est essentiel de noter que le porteur du livret s'engage à en rembourser le prix au TCS à son retour en Suisse; la prestation du TCS consiste donc à titre principal dans l'envoi de ces pièces, à titre secondaire dans l'avance du prix de ce matériel; sans doute le TCS se charge-t-il définitivement des frais d'expédition et fait-il, dans cette mesure, une prestation pécuniaire au porteur du livret; mais ce qui
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compte pour celui-ci, c'est de pouvoir se procurer des pièces de rechange qu'il ne pourrait trouver sur place; tel est l'élément caractéristique de la prestation fournie en vertu du bon no 3, qui doit dès lors s'analyser comme une prestation de services, l'avance du prix et le paiement des frais d'expédition passant au second plan. Pour ce qui est de l'assistance juridique simple, il est également manifeste que l'essentiel, pour le porteur du livret, est de pouvoir disposer des services d'un conseiller familiarisé avec les lois et les usages du pays. La gratuité de ces services est secondaire. Il s'agit donc, là encore, et sans conteste, d'une prestation de services.
b) Dans d'autres cas, au contraire, la prestation fournie est manifestement de nature pécuniaire et peut, en conséquence, être analysée sans difficulté comme une prestation d'assurance.
Il en est ainsi tout d'abord du bon dit (improprement) de dépannage (n o 2). Sans doute le TCS a-t-il prétendu à maintes reprises que le livret ETI donnait droit au premier chef à être dépanné par ses propres patrouilleurs, et que le remboursement des frais de dépannage n'intervenait qu'à titre subsidiaire. Mais cette thèse est juridiquement indéfendable. Il est vrai que l'intitulé du bon no 2 prête à équivoque (bon de dépannage - Gutschein für Pannenhilfe - Buono soccorso in caso di guasto meccanico); mais son libellé ne peut laisser aucun doute. "Lorsque l'aide d'une patrouille routière n'a pu être obtenue, le TCS prend à sa charge jusqu'à concurrence de Fr. 50.- (Fr. 100.--) ..."; le TCS ne prend aucun engagement juridique de faire intervenir ses patrouilleurs en pareil cas; à cet égard, la comparaison entre le bon no 2 et le bon no 5 (rapatriement du véhicule et de ses occupants) est éloquente: dans ce dernier cas et dans ce cas seulement, le TCS prend l'obligation d'envoyer un patrouilleur; aussi bien le porteur doit-il, s'il veut faire valoir le bon no 5, envoyer par exprès au TCS la demande de rapatriement, et attendre le patrouilleur à l'adresse indiquée; on ne trouve pas d'instructions semblables dans le bon no 2: tout au contraire, le porteur doit se faire dépanner par un garagiste, lui faire signer le bon et à son retour seulement le remettre au TCS. Sans doute les frais de dépannage ne sont-ils remboursés que si "l'aide d'une patrouille routière n'a pu être obtenue": mais ce n'est pas à dire que ce bon donne droit à cette aide; cela signifie simplement que
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l'impossibilité de l'obtenir est une condition du droit au remboursement. Or si le bon no 2 ne permet pas d'exiger l'intervention des patrouilleurs du TCS, on ne voit pas par rapport à quoi le droit au remboursement des frais de dépannage, conféré par ce même bon, serait juridiquement subsidiaire. A supposer même - ce qui, du reste, est peu vraisemblable: cf. les chiffres cités lit. d ci-dessous - que nombreux soient les cas où des porteurs de livrets ont été dépannés à l'étranger par les patrouilleurs du TCS (hors le cas de défaillance du conducteur), cette circonstance ne saurait influer sur l'analyse juridique de la prestation fournie en vertu de ce bon.
Il en va de même pour le bon de rapatriement du véhicule (no 4). Là aussi, le TCS se borne, en principe, à rembourser au porteur du livret les frais de transport par chemins de fer de son véhicule dès la mise en wagon jusqu'à la gare du lieu de domicile (selon le livret "super", en outre: les frais d'intervention des maisons de transit ou de transport, et de leurs correspondants). En règle générale, toutes les démarches en vue du rapatriement du véhicule incombent au porteur du livret lui-même, selon les instructions formulées au verso dudit bon. Le TCS ne se charge de faire rapatrier le véhicule que si le porteur est hors d'état d'entreprendre ces démarches; cette prestation de services apparaît donc purement subsidiaire et accessoire; le caractère pécuniaire de la prestation à quoi ce bon donne droit est nettement prépondérant.
Il n'est pas à démontrer que le bon pour le paiement des droits de douane en cas de vol ou de destruction est une prestation de nature purement pécuniaire. Il en va de même, dans le livret "super", pour le bon donnant droit au remboursement de billets de chemins de fer. Enfin, s'agissant toujours du livret "super", le bon pour une assistance juridique étendue donne droit à une véritable prestation d'assurance contre les frais de procès, puisque le TCS prend à sa charge, jusqu'à concurrence de 10 000 fr., "les frais indispensables, tels qu'honoraires d'avocats, coûts d'expertise, émoluments de justice, etc.: (l) pour faire aboutir des réclamations de droit civil... le cas échéant en introduisant une action (2) pour assurer la défense du bénéficiaire devant les tribunaux pénaux ou les instances administratives...". Le recourant le reconnaît d'ailleurs luimême: dans le second cas, et selon le texte exprès dudit bon, il n'assume les frais de cette défense que si elle n'est pas "couverte
BGE 92 I 126 S. 137
par une assurance ou prise en charge par l'assurance r.c. du véhicule".
c) Enfin, dans les autres cas, la nature exacte de la prestation et, partant, son aptitude à constituer une prestation d'assurance, apparaissent plus délicates à déterminer.
Il s'agit au premier chef du rapatriement du véhicule et de ses occupants (bon no 5). Ce bon ne peut être utilisé que si un certain nombre de conditions sont remplies; en particulier, il faut que le porteur du livret, par suite de maladie ou d'accident, ne soit plus en état de ramener son véhicule et ses passagers, qu'il n'y ait pas d'autre conducteur muni d'un permis de conduire et que le véhicule soit en état de marche; il faut en outre que le véhicule soit libre de tout séquestre ou droit de rétention. Si toutes ces conditions sont remplies, le TCS délègue un patrouilleur à l'adresse indiquée, qui rapatrie véhicule, occupants, bagages et, le cas échéant, le chauffeur défaillant. Le TCS prend en charge tous les frais du patrouilleur. Le porteur du livret garde à sa charge tous les autres frais, notamment ceux du véhicule (essence).
A n'en pas douter, l'élément caractéristique de cette prestation, c'est la fourniture d'un chauffeur ("patrouilleur"). En cas de rapatriement du véhicule et de ses occupants, le TCS ne se borne pas à rembourser au porteur du livret tout ou partie des frais qu'il aurait dû engager pour s'assurer les services d'une tierce personne; sa prestation ne consiste pas non plus à passer contrat avec un tiers et à le rémunérer aux lieu et place du porteur du livret: en pareil cas, on pourrait peut-être encore admettre que la prestation pécuniaire (rémunération du chauffeur) l'emporte sur la prestation en services (recherche d'un cocontractant, conclusion du contrat). Mais il n'en est pas ainsi: bien au contraire, le TCS fait intervenir ses propres services. On doit admettre dès lors que la prestation fournie par le TCS en vertu du bon no 5 est une prestation de services.
Pour ce qui est ensuite du bon donnant droit à une consultation technique (no 8), des hésitations sont également justifiées. Ce bon permet au chauffeur qui, par suite d'accident ou de panne, a fait réparer son véhicule à l'étranger et qui éprouve des doutes sérieux sur la qualité ou la facturation des travaux ou des fournitures, d'obtenir une expertise technique gratuite. Il doit s'adresser à cet effet au club correspondant du TCS
BGE 92 I 126 S. 138
dans le pays visité, qui fera procéder à cette expertise par son service technique. Si le porteur est trop éloigné de ce service ou si le club en question n'en a pas, il se fera indiquer l'adresse d'un expert agréé et lui fera faire le travail à ses frais; à son retour, le TCS le remboursera jusqu'à concurrence de 30 fr. Dans ce dernier cas, certes, on peut parler de prestation pécuniaire fournie par le TCS; mais celle-ci n'est prévue qu'à titre purement secondaire et subsidiaire; l'élément caractéristique de la prestation fournie par le bon no 8, c'est le droit d'obtenir une expertise technique. Sans doute, l'expertise n'est-elle pas fournie par les propres services du TCS, mais elle l'est néanmoins à titre gratuit. On ne peut pas dire, cependant, que le TCS contracte avec un tiers aux lieu et place du porteur. Le TCS et son correspondant à l'étranger font partie de la même organisation faîtière internationale, l'AIT. En vertu de cette commune appartenance et des accords entre clubs conclus dans ce cadre, le TCS et son correspondant sont liés par des obligations de réciprocité en ce qui concerne les prestations de services. On doit donc admettre là encore qu'il s'agit essentiellement de prestations de services que le TCS obtient pour ses membres à l'étranger de son correspondant, sous réserve de réciprocité.
d) Ainsi l'examen analytique du livret ETI fait apparaître que ce document donne droit à des prestations de nature fort diverse. Si l'on fait abstraction des bons nos 1 (lettres de crédit) et 10-13 (ou 11-13 dans le livret "super"; bons donnant droit à la conclusion de contrats d'assurance avec des compagnies déterminées et à des conditions spécialement avantageuses), il reste que le livret ETI procure à la fois des prestations pécuniaires et des prestations en services. Il convient maintenant de le considérer d'un point du vue global et de rechercher lesquelles l'emportent des premières ou des secondes.
A cet égard, les chiffres cités tant par le recourant lui-même (dans les rapports annuels de son conseil d'administration et dans sa lettre du 14 mars 1963) que par son conseil (en date du 14 janvier 1965) sont éloquents. Les dépenses engagées par le TCS au titre des livrets ETI pour les divers postes s'établissent comme il suit (selon les deux lettres précitées; entre parenthèses, les chiffres tels qu'ils résultent des rapports, dans la mesure où ils ne sont pas conformes aux indications données par ailleurs soit par le recourant lui-même, soit par son conseil):
BGE 92 I 126 S. 139
1960 1961 1962 1963 Dépannage 33 800 30 603 50 879,45 58 970,15
(34 320)
Rapatriement du
véhicule 73 500 141 337 152 627,09 188 845,76
(155 908) (193 167)
Rapatriement du
véhicule et des
occupants 2 529 4 238 280 négligeable
(4 283) (?) (4 312,55)
Droits de douane - - négligeable négligeable
Assistance technique - - négligeable négligeable
Assistance juridique - - uniquement frais
administratifs
Il n'est pas sans intérêt non plus de comparer la fréquence respective de mise à contribution des divers services du TCS. Selon les rapports annuels du conseil d'administration, le TCS a reçu:
1960 1961 1962 1963
Demandes de remboursement de
frais de dépannage 805 927 965 1063
Demandes de remboursement de
frais de rapatriement du véhicule 532 525 580 654
Demandes de rapatriement du
véhicule et des usagers ? 21 18 19
Il ressort à l'évidence de ce double tableau que les deux prestations essentielles procurées par le livret ETI sont, d'une part, le remboursement des frais de dépannage et, d'autre part, le remboursement des frais de rapatriement du véhicule seul. Or il s'agit dans les deux cas de prestations de nature pécuniaire, susceptibles, en conséquence, d'être analysées sans difficulté comme des prestations d'assurance.
Au contraire, le nombre des demandes de rapatriement du véhicule avec ses occupants est si faible, tant en chiffres relatifs qu'en chiffres absolus, qu'il ne peut s'agir manifestement que d'une prestation accessoire. Quant aux autres prestations de services (envoi de pièces de rechange, expertise technique, assistance juridique simple), si elles ne sont pas négligeables, on ne saurait néanmoins leur reconnaître un caractère prépondérant.
Il en irait certes tout autrement si les droits conférés par le livret ETI avaient pour effet principal de délivrer le conducteur
BGE 92 I 126 S. 140
d'automobile de tous les désagréments que peuvent lui causer un accident, une panne, ou une maladie survenus à l'étranger. Dans ce cas, sans doute, on pourrait se demander si les prestations de services ne l'emportent pas largement sur les prestations pécuniaires et si, bien plutôt que celles-ci, ce ne sont pas celles-là qui déterminent le conducteur à faire l'acquisition de ce document. Mais l'analyse des prestations procurées par ce document montre qu'il n'en est rien. Le livret ETI ne confère à son porteur aucun droit d'exiger le dépannage ou la réparation de son véhicule; si celui-ci ne peut être remis en état sur place, c'est le porteur lui-même qui doit accomplir toutes les démarches en vue du rapatriement. Sans doute le livret donne-til droit à certaines prestations de services, mais dans des hypothèses bien déterminées; comparées à ces prestations de services fondamentales que seraient le dépannage ou le rapatriement du véhicule, elles revêtent un caractère secondaire. Or le porteur n'a justement pas droit à ces prestations fondamentales: le livret ne lui garantit que le remboursement des frais de dépannage ou de rapatriement. Il faut en conclure - et les chiffres le confirment - que ce sont ces prestations pécuniaires qui constituent l'élément essentiel et caractéristique du livret ETI, et que les prestations de services n'en sont que l'accessoire.
Or la jurisprudence du Tribunal fédéral (RO 74 I 180 ss.) admet parfaitement que des prestations de services puissent constituer l'accessoire d'une prestation d'assurance. Dès lors, l'ensemble des prestations procurées par le livret ETI (mis à part les lettres de crédit, l'indemnisation pour dommages causés par le gibier et les bons pour la conclusion d'autres assurances) doivent être considérées comme des prestations d'assurance.
Du même coup, il s'avère que sont réunis tous les éléments de l'assurance au sens de la LT.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d095d63e-c28f-43ba-b7e8-6f5db0ff1f0d | Urteilskopf
142 III 16
3. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_296/2015 vom 27. November 2015 | Regeste a
Traktandierungsrecht in der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft;
Art. 699 Abs. 3 OR
.
Entgegen dem Wortlaut von
Art. 699 Abs. 3 OR
steht das Traktandierungsrecht nicht nur Aktionären zu, die über Aktien im Nennwert von 1 Mio. Fr. verfügen, sondern auch solchen, die mindestens 10 % des Aktienkapitals vertreten (E. 2).
Regeste b
Prüfung des Einberufungs- und Traktandierungsgesuchs;
Art. 699 Abs. 4 OR
.
Der gestützt auf
Art. 699 Abs. 4 OR
angerufene Richter unterzieht das Einberufungs- und Traktandierungsgesuch lediglich einer formellen Prüfung (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 17
BGE 142 III 16 S. 17
A.
Die A. AG (Gesuchsgegnerin und Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in U. Ihr Aktienkapital beträgt Fr. 100'000.-. (...)
B. (Gesuchsteller und Beschwerdegegner) hält 50 % der Aktien der A. AG. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2014 und 28. Oktober 2014 sowie - unter Angabe von Traktanden und Beschlussanträgen - mit Schreiben vom 25. November 2014 ersuchte er den Verwaltungsrat der A. AG um Einberufung einer ordentlichen Generalversammlung für das Geschäftsjahr 2013. Diesem Ersuchen wurde nicht entsprochen.
B.
Mit Gesuch vom 5. März 2015 stellte B. dem Handelsgericht des Kantons Zürich folgende Rechtsbegehren:
"1. Die Klage [recte: Gesuch] sei gutzuheissen und für die Beklagte [recte: Gesuchsgegnerin] eine Generalversammlung einzuberufen mit folgenden Traktanden und Beschlussanträgen:
[Liste der Traktanden und Beschlussanträge, betreffend u.a. die Genehmigung der Jahresrechnung 2013 und des Revisionsberichts sowie die Verwendung des Bilanzgewinns]
2. Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, Postfach 821, 8034 Zürich sei zu beauftragen innert 5 Tagen ab Urteilsdatum die Generalversammlung der Beklagen inkl. der in Ziff. 1 aufgeführten Traktanden, per eingeschriebenen Brief an die im Aktienbuch verzeichneten Aktionäre C. in U. und B., in V., einzuberufen, unter Angabe von Ort und Zeit.
Als Datum für die Generalversammlung sei ein Termin anzusetzen, der frühestens 25 Tage nach dem Versand der Einladung und spätestens 30 Tage nach dem Versand der Einladung stattfindet.
Als Ort für die Generalversammlung sei das Amtslokal des Notariats Riesbach-Zürich, Kreuzstrasse 42, 8008 Zürich zu bezeichnen.
Der Notar des Notariatskreises Riesbach-Zürich sei mit der Durchführung und Protokollierung der Generalversammlung zu beauftragen.
3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beklagten."
Die A. AG schloss auf Abweisung des Gesuchs, soweit Eintreten. (...)
Mit Urteil vom 27. Mai 2015 hiess das Handelsgericht das Einberufungsgesuch mit den beantragten Traktanden und Beschlussanträgen
BGE 142 III 16 S. 18
gut, wobei es den Notar beauftragte, frühestens nach Ablauf von 10 und spätestens innert 13 Tagen ab Urteilsdatum die Generalversammlung der Gesuchsgegnerin einzuberufen.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Gesuchsgegnerin dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und das Einberufungsbegehren des Gesuchstellers sei abzuweisen; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragte die Gesuchsgegnerin unter anderem, es sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde zu bestätigen.
Der Gesuchsteller beantragte in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde, soweit Eintreten, sowie die Feststellung, dass die Frist zur Einberufung der Generalversammlung gemäss Dispositiv-Ziff. 2 des Urteils der Vorinstanz ab der Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils an das Notariat Riesbach-Zürich zu laufen beginne. (...)
D.
(...) Mit Präsidialverfügung vom 2. Juli 2015 wurde festgestellt, dass der Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukommt. (...)
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe
Art. 699 Abs. 3 Satz 2 OR
verletzt, indem sie davon ausgegangen sei, der Beschwerdegegner verfüge über ein Traktandierungsrecht. Denn ein solches komme ausweislich des Gesetzeswortlauts nur Aktionären mit Aktien im Nennwert von mindestens 1 Mio. Fr. zu. Nachdem die Gesellschaft aber nur über ein Aktienkapital von Fr. 100'000.- verfüge, sei ausgeschlossen, dass der Beschwerdegegner Aktien im Nennwert von mindestens 1 Mio. Fr. halte.
2.1
Gemäss
Art. 699 Abs. 3 OR
kann die Einberufung einer Generalversammlung von einem oder mehreren Aktionären, die zusammen mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals vertreten, verlangt werden (Satz 1). Aktionäre, die Aktien im Nennwerte von 1 Million Franken vertreten, können die Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands verlangen (Satz 2). Einberufung und Traktandierung werden schriftlich unter Angabe des Verhandlungsgegenstands und der Anträge anbegehrt (Satz 3).
BGE 142 III 16 S. 19
2.2
Die Vorinstanz stellte fest, dass der Beschwerdegegner 50 % der Aktien der Beschwerdeführerin halte. Sie erwog sodann, dass nach richtigem Verständnis des
Art. 699 Abs. 3 OR
ein formgültiges Begehren um Einberufung der Generalversammlung gerade die Angabe eines Verhandlungsgegenstands (Traktandum) sowie einen damit verbundenen konkreten Antrag voraussetze. Der Einwand der Beschwerdeführerin bezüglich des Fehlens eines Traktandierungsrechts des Beschwerdegegners sei unbehelflich.
2.3
Nach dem reinen Wortlaut von
Art. 699 Abs. 3 Satz 2 OR
stünde das Traktandierungsrecht nur Aktionären mit Aktien im Nennwert von 1 Mio. Fr. zu (so nebst der deutschen auch die französische und italienische Fassung des Gesetzestexts: "Des actionnaires qui représentent des actions totalisant une valeur nominale de 1 million de francs peuvent requérir l'inscription d'un objet à l'ordre du jour"; "Azionisti che rappresentano azioni per un valore nominale di 1 milione di franchi possono chiedere l'iscrizione di un oggetto all'ordine del giorno"). In der Lehre wird indessen nahezu einhellig vertreten, dass die Formulierung des Normtexts auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhe. Richtig gelesen gehe das Traktandierungsrecht mit dem Einberufungsrecht einher und komme daher
auch
jenen Aktionären zu, die über Aktien verfügen, die zwar keinen Nennwert von 1 Mio. Fr. aufweisen, aber doch 10 % des Aktienkapitals ausmachen. Denn sonst wäre ein Traktandierungsrecht in allen Aktiengesellschaften mit weniger als 1 Mio. Fr. Aktienkapital gar nicht denkbar, was statistisch gesehen auf über 90 % aller Aktiengesellschaften in der Schweiz zuträfe (PETER BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 12 N. 61 ff.; ihm folgend DUBS/TRUFFER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 23 zu
Art. 699 OR
; PETER/CAVADINI, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. II, 2008, N. 22 zu
Art. 699 OR
; BRIGITTE TANNER, in: Zürcher Kommentar, 2003, N. 73 zu
Art. 699 OR
; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 11. Aufl. 2012, § 16N. 362; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, 1996, § 23 N. 27; VON BÜREN/STOFFEL/WEBER, Grundriss des Aktienrechts, 3. Aufl. 2011, N. 506; HANS CASPAR VON DER CRONE, Aktienrecht, 2014, § 5 N. 101; STEFAN KNOBLOCH, Das System zur Durchsetzung von Aktionärsrechten, 2011, S. 419, insb. Fn. 1805; JERMINI/DOMENICONI, in: OR, Honsell [Hrsg.], 2014, N. 7 zu Art. 699OR; a.M. PETER V. KUNZ, Der Minderheitenschutz im schweizerischen Aktienrecht, 2001, § 11 N. 143 f., der den Ausschluss eines
BGE 142 III 16 S. 20
klageweise durchsetzbaren Traktandierungsrechts in kleineren Aktiengesellschaften mit tiefem Aktienkapital hinnehmen will).
Der herrschenden Lehre ist zu folgen: Es kann nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprochen haben, ein Traktandierungsrecht nur in Aktiengesellschaften mit mindestens 1 Mio. Fr. Aktienkapital vorzusehen. Vielmehr müssen diejenigen Aktionäre, die eine Einberufung der Generalversammlung verlangen können, auch zur Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands berechtigt sein. Ein Traktandierungsrecht steht mithin jenen Aktionären zu, die über 10 % des Aktienkapitals
oder
über Aktien im Nennwert von 1 Mio. Fr. verfügen (vgl. auch das Urteil 4A_507/2014 vom 15. April 2015, mit dem das Bundesgericht ein Einberufungs- und Traktandierungsbegehren eines Aktionärs gutgeheissen hat, der über Aktien verfügte, die 85 % eines Aktienkapitals von lediglich Fr. 100'000.- ausmachten).
2.4
Die Beschwerdeführerin bestreitet vor Bundesgericht nicht, dass der Beschwerdegegner über Aktien verfügt, die mindestens 10 % des Aktienkapitals ausmachen. Die Vorinstanz hat den Einwand, der Beschwerdegegner verfüge über kein Traktandierungsrecht, somit zu Recht verworfen. Ein Verstoss gegen
Art. 699 Abs. 3 Satz 2 OR
liegt nicht vor.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 3 Satz OR verletzt, indem sie das Einberufungsgesuch auch hinsichtlich gewisser Traktanden gutgeheissen habe, die zu nichtigen Generalversammlungsbeschlüssen führen würden. So würden sich die Genehmigung des Jahresberichts und der Jahresrechnung sowie die Fassung eines Beschlusses über die Verwendung des Bilanzgewinnes als nichtig erweisen, da ein revidierter Jahresabschluss nicht vor Mitte September 2015 vorliegen werde. Weiter falle der anbegehrte Verrechnungsbeschluss nicht in die Zuständigkeit der Generalversammlung und werde daher ebenfalls nichtig sein. Zudem habe die Vorinstanz es unterlassen, ein vom Beschwerdegegner glaubhaft zu machendes Interesse an den anbegehrten Traktanden zu überprüfen. Auch damit habe sie
Art. 699 Abs. 3 OR
verletzt.
3.1
Gemäss
Art. 699 Abs. 4 OR
hat der Richter auf Antrag der Gesuchsteller die Einberufung der Generalversammlung anzuordnen, wenn der Verwaltungsrat diesem Begehren nicht binnen angemessener Frist entspricht. Bei der Beurteilung eines Einberufungsgesuchs gestützt auf
Art. 699 Abs. 4 OR
sind nur
formelle Fragen
zu prüfen, d.h. ob der oder die Gesuchsteller Aktionäre sind, die
BGE 142 III 16 S. 21
formellen Voraussetzungen von
Art. 699 Abs. 3 Satz 1 OR
erfüllt sind und ob tatsächlich ein Einberufungsbegehren an den Verwaltungsrat gestellt wurde, dem innert angemessener Frist nicht entsprochen wurde (
BGE 112 II 145
E. 2a S. 147;
BGE 102 Ia 209
E. 2 S. 210 f.; Urteil 4A_605/2014 vom 5. Februar 2015 E. 2.1.2: CHRISTOPH D. STUDER, Die Einberufung der Generalversammlung der Aktiengesellschaft, 1995, S. 10; WERNER HAGMANN, Das Mitwirkungs- und Eingriffsrecht des Richters im Bereiche der Aktiengesellschaft, 1939, S. 43 f.).
Der Einberufungsrichter unterzieht das Einberufungs- und Traktandierungsbegehren keiner materiellen Prüfung. Denn bei der richterlichen Einberufung gestützt auf
Art. 699 Abs. 4 OR
handelt es sich um eine rein formelle Massnahme, die inhaltlich weder die Generalversammlung noch den Richter bindet, der über die Anfechtung von Beschlüssen entscheidet, die an der auf richterliche Anordnung hin einberufenen Versammlung gefasst worden sind (
BGE 112 II 145
E. 2a; Urteil 4C.206/1991 vom 26. September 1991 E. 1). Der Einberufungsrichter hat daher bei einem Einberufungsgesuch auch nicht zu beurteilen, ob die an der Generalversammlung zu fassenden Beschlüsse gültig sein werden; diese Fragen sind vielmehr erst im Rahmen einer allfälligen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage (
Art. 706 ff. OR
) gegen die gefassten Beschlüsse zu prüfen (Urteil 4P.127/1991 vom 27. September 1991 E. 4).
Immerhin ist bei der Ausübung des Einberufungs- und Traktandierungsrechts das Rechtsmissbrauchsverbot nach
Art. 2 Abs. 2 ZGB
zu beachten: Der offenbare Missbrauch dieses Rechts findet keinen Rechtsschutz (HAGMANN, a.a.O., S. 43 f.). Der Einberufungsrichter hat mithin einem Einberufungs- und Traktandierungsbegehren nicht stattzugeben, wenn sich dieses als offensichtlich missbräuchlich oder schikanös herausstellt.
3.2
Die Rügen der Beschwerdeführerin sind unbegründet: Die Vorinstanz musste lediglich überprüfen, ob der Beschwerdegegner Aktionär ist, über 10 % des Aktienkapitals verfügt und bereits ein Einberufungsbegehren an den Verwaltungsrat gestellt hat, dem innert angemessener Frist nicht entsprochen wurde. Dass die Vorinstanz diese Fragen unrichtig beurteilt hätte, macht die Beschwerdeführerin - bis auf die Frage der angemessenen Frist - nicht geltend. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin musste die Vorinstanz indessen gerade nicht prüfen, ob die anbegehrten Traktanden und Beschlussanträge überhaupt zu gültigen Beschlüssen führen würden.
BGE 142 III 16 S. 22
Ebensowenig musste die Vorinstanz prüfen, welches Interesse der Beschwerdegegner mit seinen Begehren verfolgt; einzig ein offenbarer Missbrauch des Einberufungs- und Traktandierungsrechts wäre nicht zu schützen gewesen.
Einen Rechtsmissbrauch hat die Beschwerdeführerin nun aber weder behauptet noch ist ein solcher ersichtlich: Inwiefern die Traktandierung der Genehmigung von Jahresrechnung und Jahresbericht und der Verwendung des Bilanzgewinnes missbräuchlich sein soll, vermag von vornherein nicht einzuleuchten, handelt es sich hierbei doch um unübertragbare Befugnisse der Generalversammlung (
Art. 698 Abs. 2 Ziff. 3 und 4 OR
). Ebenfalls ist nicht ersichtlich, inwiefern der Antrag, wonach der auf den Beschwerdegegner fallende Anteil der Dividenden mit dessen Schulden gegenüber der Gesellschaft zu verrechnen sei, rechtsmissbräuchlich oder schikanös sein soll: Zwar könnte der Beschwerdegegner die angestrebte Verrechnung auch selber durch Abgabe einer eigenen Verrechnungserklärung herbeiführen, dies macht aber den Antrag, auch die Gesellschaft solle Verrechnung erklären, nicht geradezu rechtsmissbräuchlich. Ob die Verrechnungsbefugnis überhaupt in der Kompetenz der Generalversammlung steht, ist im Rahmen eines Gesuchs nach
Art. 699 Abs. 4 OR
nicht zu prüfen.
3.3
Schliesslich geht die Beschwerdeführerin ebenfalls fehl, soweit sie der Vorinstanz eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
aufgrund einer falschen Verteilung der Beweislast bzw. eines unrichtigen Beweismasses hinsichtlich der Frage der Gültigkeit der angestrebten Generalversammlungsbeschlüsse vorwirft. Denn wie soeben ausgeführt, ist die Gültigkeit der angestrebten Generalversammlungsbeschlüsse im Rahmen eines Einberufungs- und Traktandierungsgesuchs nach
Art. 699 Abs. 4 OR
gerade nicht zu beurteilen, weshalb diesbezüglich auch keine Behauptungs- und Beweislast besteht. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz dieser denn auch nicht die Beweislast betreffend das Vorliegen eines revidierten Jahresabschlusses auferlegt. Ob ein solcher tatsächlich vorliegen wird, ist für die Beurteilung des Traktandierungsgesuchs irrelevant und würde erst im Rahmen einer allfälligen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen den Genehmigungsbeschluss zu prüfen sein. (...) | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d097d8b8-a2ea-4eb0-b4f3-8a6f966c97bb | Urteilskopf
87 IV 160
39. Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1961 i.S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Beerle. | Regeste
Art. 10 Abs. 4 SVG
.
Die Pflicht des Motorfahrzeugführers, die Ausweise den Kontrollorganen auf Verlangen vorzuweisen, besteht nur, wenn und solange sein Fahrzeug am öffentlichen Verkehr teilnimmt. | Sachverhalt
ab Seite 160
BGE 87 IV 160 S. 160
A.-
Beerle steuerte am 24. Juni 1960 ein Personenauto auf der Fahrt durch die Winterthurerstrasse in
BGE 87 IV 160 S. 161
Zürich zwischen den Schutzinseln der Tramhaltestelle "Langmauerstrasse" hindurch, statt vorschriftsgemäss dem blauen Fahrtrichtungspfeil folgend rechts der Traminsel zu fahren. Auf Anzeige suchte ihn am folgenden Tag in seiner Wohnung ein Polizeimann auf, der ihm einen entsprechenden Vorhalt machte und von ihm verlangte, Führer- und Fahrzeugausweis vorzuweisen. Beerle weigerte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten.
B.-
Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich verfällte Beerle am 14. Juli 1960 wegen Nichtbeachtung des Fahrtrichtungssignals (§ 15 Abs. 2 und 3 der kantonalen Verordnung über die Strassensignalisation vom 30. April 1953) und wegen Übertretung der Kontrollvorschriften (Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG) in eine Busse von Fr. 25.-.
Auf Einsprache des Gebüssten sprach ihn der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich am 16. Dezember 1960 mit Bezug auf die Übertretung des Art. 61 MFG frei und bestimmte die Busse für den kantonalrechtlichen Übertretungstatbestand auf Fr. 15.-. Den Freispruch begründete der Einzelrichter damit, dass Beerle im Zeitpunkt der Ausweiskontrolle kein Motorfahrzeug geführt habe und deshalb nicht Führer gewesen sei, wie Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG voraussetze.
C.-
Das Polizeirichteramt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Beerle sei im Sinne der Bussenverfügung auch wegen Verletzung von Art. 61 Abs. 1 MFG zu bestrafen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 4 MFG wird mit Busse bestraft, wer das Fahrzeug oder einen Ausweis der Kontrolle entzieht. Diese Bestimmung enthält die Sanktion zur Vorschrift des Art. 12 MFG, wonach die Ausweise und das Fahrzeug jederzeit von den kantonalen Behörden kontrolliert werden können (Abs. 1) und die Ausweise stets mitzuführen sind (Abs. 2).
Ob das Wort "jederzeit" in Art. 12 Abs. 1 MFG den
BGE 87 IV 160 S. 162
Sinn habe, die Ausweiskontrolle könne zu beliebiger Zeit und an jedem Ort durchgeführt werden (vgl. STREBEL, N. 3 au Art. 12 MFG) oder ob der Führer sich nur solange der Kontrolle zu unterziehen habe, als sein Fahrzeug am öffentlichen Verkehr teilnimmt, wie die Vorinstanz annimmt, kann dahingestellt bleiben. Art. 12, soweit er die Kontrolle der Ausweise betrifft, und Art. 61 MFG sind gemäss Art. 4 des BRB über die Gestaltung der Ausweise für Motorfahrzeuge und ihre Führer vom 8. November 1960 am 1. Dezember 1960 ausser Kraft getreten, und auf den gleichen Zeitpunkt ist Art. 12 MFG durch
Art. 10 Abs. 4 SVG
ersetzt worden, der wie folgt lautet:
"Die Ausweise sind stets mitzuführen und den Kontrollorganen auf Verlangen vorzuweisen; dasselbe gilt für besondere Bewilligungen."
Das neue Recht stellt somit den Grundsatz, dass die Ausweise jederzeit kontrolliert werden können, nicht mehr auf. Es bestimmt bloss, dass die Ausweise stets mitzuführen und auf Verlangen vorzuweisen sind. Die Pflicht zum Vorweisen der Ausweise steht danach in engem Zusammenhang mit der Pflicht, sie stets mitzuführen. Die eine wie die andere Vorschrift dient der unmittelbaren Kontrolle des Motorfahrzeugverkehrs; sie sollen namentlich die Feststellung ermöglichen, ob ein in den öffentlichen Verkehr gebrachtes Fahrzeug hiezu behördlich zugelassen und sein Führer zum Führen von Fahrzeugen der betreffenden Kategorie berechtigt ist. Die Pflicht, die Ausweise stets mitzuführen, bedeutet, wie schon unter der Herrschaft des Art. 12 Abs. 2 MFG, der in
Art. 10 Abs. 4 SVG
wörtlich übernommen wurde, nichts anderes, als dass die Ausweise sooft und solange mitzuführen sind, als das Fahrzeug, sei es im Betrieb oder nicht, am öffentlichen Verkehr teilnimmt (STREBEL, N. 22 zu Art. 12 und N. 12/13 zu Art. 1 MFG). Weiter als diese Pflicht kann nach dem Wortlaut des
Art. 10 Abs. 4 SVG
aber auch die Pflicht, die Ausweise auf Verlangen vorzuweisen, nicht gehen. Den gleichen Sinn hat auch § 4 Abs. 2 Satz 2 der deutschen
BGE 87 IV 160 S. 163
Strassenverkehrs-Zulassungsordnung, der
Art. 10 Abs. 4 SVG
fast wörtlich entspricht; die deutsche Rechtsprechung lässt ausserhalb des öffentlichen Verkehrs die Ausweiskontrolle nur zu, wenn und solange mit der beendeten Fahrt noch ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht (FLOEGEL/HARTUNG, Strassenverkehrsrecht, 13. Aufl., N. 10 und 11 zu § 4 StVZO; MÜLLER, Strassenverkehrsrecht, 21. Aufl., S. 505 Anm. 10).
Im vorliegenden Falle wurde die Kontrolle der Ausweise weder im öffentlichen Verkehr noch unmittelbar anschliessend, sondern erst am Tage nach der beanstandeten Fahrt, in der Wohnung des Fahrzeugführers, durchgeführt. Dieser war deshalb nach
Art. 10 Abs. 4 SVG
nicht verpflichtet, sich ihr zu unterziehen. Wird Art. 12 MFG, der im Zeitpunkt der Kontrolle noch Geltung hatte, anders ausgelegt und angenommen, die Kontrolle habe auch noch nachträglich vorgenommen werden dürfen, so kommt
Art. 10 Abs. 4 SVG
als die mildere Bestimmung zur Anwendung (
Art. 2 Abs. 2 StGB
in Verbindung mit
Art. 102, 333 StGB
und
Art. 102 Ziff. 1 SVG
). Der Beschwerdegegner ist daher von der Anschuldigung der Übertretung einer bundesrechtlichen Vorschrift über die Ausweiskontrolle zu Recht freigesprochen worden. Ob seine Weigerung, die Ausweise vorzuweisen, allenfalls wegen Übertretung eines kantonalrechtlichen Übertretungstatbestandes nach kantonalem Recht strafbar wäre, ist hier nicht zu überprüfen.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d099c638-f73c-4302-b562-70832b598ded | Urteilskopf
111 Ia 52
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. Februar 1985 i.S. Staat Italien gegen X. und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Völkerrechtliche Immunität; Zivilprozess gegen einen fremden Staat.
Art. 84 Abs. 1 lit. c und d OG
. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde eines fremden Staates betreffend die Immunität nicht nur im Zwangsvollstreckungs-, sondern auch im Erkenntnisverfahren (E. 2).
Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Zivilprozesses gegen einen fremden Staat.
1. Grundsatz der begrenzten Immunität; Natur des fremdstaatlichen Anspruchs als Abgrenzungskriterium (E. 4a). Beizug, nicht aber Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts zur Ermittlung der Natur dieses Anspruchs (E. 4b).
2. Treu und Glauben als Schranke der Berufung auf völkerrechtliche Immunität. Verneinung des Verstosses gegen eine staatsvertragliche Pflicht zur Rückgabe des Prozessgegenstandes (E. 5a, b und c); Folgen (E. 5d). | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 111 Ia 52 S. 53
X. verlangt unter Berufung auf ihr Eigentumsrecht vom Staat Italien die Herausgabe historischer Grabplatten, welche dieser als Beweismittel in einem Strafverfahren von der Schweiz auf dem Rechtshilfeweg erlangt hatte. Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt trat auf die Klage nicht ein. Es erachtete die Berufung des Staates Italien auf seine völkerrechtliche Immunität als begründet, weshalb es seine Zuständigkeit zur Behandlung des Rechtsstreits verneinte. X. zog dieses Urteil an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt weiter, welches das Verfahren auf die Zuständigkeitsfrage beschränkte. Mit Urteil vom 11. Mai 1984 hob das Appellationsgericht den vorinstanzlichen Entscheid auf und wies die Sache zur materiellen Beurteilung an das Zivilgericht zurück. Der Staat Italien führt mit Eingabe vom 29. Juni 1984 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er rügt eine Verletzung der völkerrechtlichen Immunität und der Zuständigkeit und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
I. Formelle Fragen
2.
...
a) Der Staat Italien rügt mit der staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung seiner völkerrechtlichen Immunität sowie "der Zuständigkeit". Einem als Völkerrechtssubjekt auftretenden fremden Staat steht die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich nicht offen. Vielmehr ergibt sich aus
Art. 113 Abs. 1 Ziff. 3 BV
, der die verfassungsmässige Grundlage für
Art. 84 OG
bildet, dass das Bundesgericht nur über "Beschwerden betreffend verfassungsmässige Rechte der Bürger sowie über solche von Privaten wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen" zu urteilen hat. Der fremde Staat, der die Verletzung der Vorschriften eines Staatsvertrags oder der Regeln des Völkerrechts rügen will, kann das nur mit einer Aufsichtsbeschwerde im Sinne von
Art. 71 VwVG
an den Bundesrat tun, der gegebenenfalls gestützt auf
BGE 111 Ia 52 S. 54
Art. 102 Ziff. 8 BV
einschreiten könnte (
BGE 106 Ia 144
/145 E. 2a;
BGE 101 Ia 163
ff.; VPB 40/1976 Nr. 88 E. 2a und b).
b) Anders verhält es sich, wenn in der Schweiz liegende Vermögensgegenstände eines fremden Staates mit Arrest belegt werden sollen. In diesem Fall ist der fremde Staat - selbst wenn er als Völkerrechtssubjekt auftritt - betroffen wie ein Privater. Das Bundesgericht hat denn auch seit Jahrzehnten staatsrechtliche Beschwerden fremder Staaten gegen solche Zwangsvollstreckungsmassnahmen zugelassen (
BGE 106 Ia 142
ff.;
BGE 104 Ia 367
ff. und in diesen Urteilen zitierte ältere Entscheide bis zurück zu
BGE 44 I 49
ff.). Soweit ersichtlich, ist denn auch die Legitimation fremder Staaten zur staatsrechtlichen Beschwerde in diesem Umfang in der Literatur der letzten Jahrzehnte nie mehr in Frage gestellt worden.
Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um eine Arrestnahme. Auch steht keine Zwangsvollstreckungsmassnahme des kantonalen Rechts in Frage, die für das Gebiet des Sachenrechts wohl als einem Arrest gleichwertig betrachtet werden müsste; eine solche Zwangsvollstreckung käme indessen erst dann in Frage, wenn ein Sachurteil zugunsten der Beschwerdegegnerin vorläge und sich zudem die vom Urteilsdispositiv erfassten Sachen im örtlichen Zugriffsbereich der schweizerischen Behörden befänden. Zu prüfen ist somit, ob die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der völkerrechtlichen Immunität eines fremden Staates auch dann zulässig ist, wenn dieser lediglich veranlasst werden soll, sich auf eine Zivilklage einzulassen, Zwangsmassnahmen jedoch noch nicht in Aussicht stehen.
c) Sämtliche veröffentlichten Urteile des Bundesgerichts zur Frage der völkerrechtlichen Immunität fremder Staaten hängen mit Arrestverfahren nach dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zusammen. Daraus lässt sich indessen nicht schliessen, die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Immunität sei ausschliesslich in diesem Fall zulässig. Sieht man vom Bereich des Familienrechts ab, so geht es bei der überwiegenden Zahl der Zivilprozesse um Geldforderungen. Für Prozesse dieser Art gegen einen ausländischen Staat wird aber in der Regel kein schweizerischer Gerichtsstand gegeben sein, es sei denn, die klagende Partei begründe ihn durch Arrestierung von Vermögenswerten. Es dürfte weitgehend an diesem äusseren Umstand liegen, dass die veröffentlichten Urteile des Bundesgerichts zur Frage der Staatenimmunität durchwegs mit einem solchen Arrest zusammenhängen.
BGE 111 Ia 52 S. 55
Der Staat Italien beruft sich für die Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen seinen Einbezug in ein gerichtliches Erkenntnisverfahren auf ein Urteil vom 19. Juni 1980 (
BGE 106 Ia 142
ff.). Dort wird an drei Stellen von der Immunität fremder Staaten "im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren" gesprochen, ohne dass zwischen diesen beiden Formen der Immunität unterschieden würde; der hier zu erörternden Frage kam keine praktische Bedeutung zu. Dagegen hat das Bundesgericht in zwei früheren Urteilen zwischen der Immunität im Erkenntnisverfahren ("immunité de juridiction") und jener im Vollstreckungsverfahren ("immunité d'exécution") unterschieden (
BGE 86 I 23
ff.;
BGE 82 I 75
ff.). Das Bundesgericht kam in beiden Urteilen zum Schluss, es sei nicht gerechtfertigt, die beiden Immunitätsansprüche eines fremden Staates verschieden zu behandeln. Im erstgenannten Fall verneinte es zunächst die Immunität der Vereinigten Arabischen Republik im Erkenntnisverfahren (
BGE 86 I 29
/30 E. 3). Anschliessend führte es aus, das Vollstreckungsrecht folge aus der Rechtsprechungshoheit, weshalb auch keine Vollstreckungsimmunität gegeben sei (
BGE 86 I 30
/31 E. 4). Einlässlicher wurden diese Fragen im zweitgenannten Urteil erörtert. In jener Sache hatte das Königreich Griechenland u.a. den Standpunkt eingenommen, den fremden Staaten sollte im Vollstreckungsverfahren absolute Immunität zuerkannt werden, im Gegensatz zum Erkenntnisverfahren, wo unterschieden wird, ob der ausländische Staat in Ausübung seiner Hoheitsgewalt (iure imperii) oder als Subjekt von Privatrechtsverhältnissen (iure gestionis) gehandelt hat. Nach einlässlicher Auseinandersetzung mit Literatur und Praxis gelangte das Bundesgericht zum Schluss, dass kein Anlass zur Änderung der Rechtsprechung bestehe, wonach der Immunitätsschutz für fremde Staaten im Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren in gleicher Weise gilt (
BGE 82 I 88
ff., namentlich 90, E. 10).
Verhält es sich so, ist nicht ersichtlich, weshalb ein fremder Staat zum Schutz seiner Immunität das Bundesgericht im Erkenntnisverfahren nicht ebenso mit staatsrechtlicher Beschwerde anrufen können sollte wie im Vollstreckungsverfahren. Es hätte wenig praktischen Sinn, den ausländischen Staat zu verpflichten, als Partei in einem Erkenntnisverfahren bis zum rechtskräftigen Urteil mitzuwirken, bevor feststeht, ob er sich nicht im späteren Vollstreckungsverfahren auf seine Immunität berufen könne. Wenn das Bundesgericht im genannten Entscheid ausgeführt hat, das Urteil liefe in einem solchen Fall auf ein blosses Rechtsgutachten
BGE 111 Ia 52 S. 56
hinaus (
BGE 82 I 89
E. 10), so mag das vielleicht etwas absolut ausgedrückt sein; so wäre es denkbar, dass sich der fremde Staat im Hinblick auf die Wahrung guter Beziehungen zum Urteilsstaat freiwillig einem rechtskräftigen Urteil unterwirft. Indessen bleibt der Grundgedanke richtig, wonach es jedenfalls ein Gebot der Zweckmässigkeit ist, dass der fremde Staat, der seine Immunität geltend machen will, dazu bereits im Erkenntnisverfahren ermächtigt sein soll.
d) Seit die beiden erwähnten Urteile ergingen, sind zwei Rechtsänderungen von Bedeutung eingetreten. In materieller Hinsicht ist zu beachten, dass die Schweiz mit Wirkung ab 7. Oktober 1982 dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972 beigetreten ist. In formeller Hinsicht ist auf die am 1. Oktober 1969 in Kraft getretene Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege zu verweisen.
Was das Übereinkommen betrifft, so geht dieses zwar in der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Immunität der Vertragsstaaten im Vollstreckungsverfahren anzuerkennen sei, weiter als die schweizerische Praxis, wie sie in der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Ausdruck kommt (vgl. Art. 23 des Übereinkommens und Botschaft des Bundesrates vom 27. Mai 1981, BBl 1981 II 990/991). Die erweiterte Vollstreckungsimmunität unter den Mitgliedstaaten bildet jedoch kein entscheidendes Argument dagegen, dass die staatsrechtliche Beschwerde wie bisher bereits im Erkenntnisverfahren zugelassen wird. Allerdings müssen dabei im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten nunmehr materiell andere Gesichtspunkte wegleitend sein als für den Entscheid über die Vollstreckungsimmunität.
Die Änderung des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege hat für das Gebiet der staatsrechtlichen Beschwerde keine unmittelbaren Neuerungen gebracht und generell die Zuständigkeit des Bundesgerichts jedenfalls nicht eingeschränkt (
BGE 99 Ia 84
E. 1c). Die staatsrechtliche Beschwerde könnte auf einem Gebiet, wo sie vorher zulässig war, durch die Revision nur ausgeschlossen worden sein, wenn ein anderes Verfahren zur Verfügung gestellt worden wäre, in dem die nämlichen Rügen erhoben werden können (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Das trifft im vorliegenden Fall nicht zu; namentlich kann der fremde Staat nicht mit Beschwerde gemäss
Art. 73 VwVG
an den Bundesrat gelangen (
BGE 101 Ia 166
E. 3; die hier vorbehaltene
BGE 111 Ia 52 S. 57
Aufsichtsbeschwerde an den Bundesrat ist kein Rechtsmittel im Sinne von
Art. 84 Abs. 2 OG
; vgl. auch
BGE 90 I 230
E. 2).
e) Der Staat Italien stützt seine Beschwerde auf
Art. 84 Abs. 1 lit. c und d OG
. Staatsrechtliche Beschwerden dieser Art setzen die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht voraus, sondern können unmittelbar im Anschluss an den Hoheitsakt erhoben werden, der Anlass zur Beschwerdeführung gibt (
Art. 86 Abs. 3 OG
;
BGE 106 Ia 145
/146 E. 2b mit Hinweisen). Die vorliegende, im Anschluss an einen Rückweisungsentscheid erhobene Beschwerde erweist sich somit auch unter diesem Gesichtswinkel als zulässig.
f) Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist demnach einzutreten, soweit mit ihr eine Verletzung der völkerrechtlichen Immunität des Staates Italien gerügt wird. Nicht völlig klar ist, ob der daneben erhobenen Rüge der Verletzung von Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit selbständige Bedeutung zukommt. Soweit das zutreffen sollte, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. E. 2a). Die Rüge ist jedoch in jedem Fall zulässig, soweit sie sich unmittelbar aus der Anrufung der völkerrechtlichen Immunität ergibt (
BGE 107 Ia 174
E. 4 mit Hinweis).
II. Materielle Fragen
3.
Zwischen der Schweiz und Italien besteht kein Staatsvertrag, der sich auf die Frage der gegenseitigen Immunität der beiden Staaten bezöge. Wie erwähnt, ist die Schweiz zwar dem Europäischen Übereinkommen über Staatenimmunität beigetreten; doch gehört Italien dem Übereinkommen bis heute nicht an. In der Beschwerde wird denn auch nicht geltend gemacht, das angefochtene Urteil verletze eine staatsvertragliche Bestimmung. Der Rechtsstreit ist daher aufgrund der ungeschriebenen Regeln des Völkerrechts zu entscheiden, die sich in Lehre und Rechtsprechung - für die Schweiz namentlich in jener des Bundesgerichts - widerspiegeln. Die im Übereinkommen enthaltenen Grundsätze können immerhin als Ausdruck der Entwicklungstendenz des modernen Völkerrechts betrachtet und in diesem Sinne mit herangezogen werden (
BGE 104 Ia 368
/369 E. 2a).
4.
a) Es kann heute als unbestritten gelten, dass im Erkenntnisverfahren dem ausländischen Staat jedenfalls dann Immunität zukommt, wenn sich der Rechtsstreit auf seine hoheitliche Tätigkeit (ius imperii) bezieht. Ist er dagegen als Träger von Privatrechten
BGE 111 Ia 52 S. 58
aufgetreten, hat er mithin iure gestionis gehandelt, so lässt die bundesgerichtliche Rechtsprechung die Klage gegen ihn zu, sofern das zu beurteilende Rechtsverhältnis eine genügende Binnenbeziehung zur Schweiz aufweist (
BGE 106 Ia 147
/148 E. 3a;
BGE 104 Ia 369
ff. E. 2, mit zahlreichen Hinweisen auf Literatur und ältere Urteile). Beim Entscheid darüber, ob der Streit auf "ius imperii" oder auf "ius gestionis" beruhe, kann nur die Natur des Anspruchs massgebend sein, auf den sich der fremde Staat beruft. Auf der Seite der klagenden Privatperson ergäbe diese Unterscheidung keinen Sinn (vgl. WILFRIED SCHAUMANN, Die Immunität ausländischer Staaten nach Völkerrecht, in: Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 8, Karlsruhe 1968, S. 107).
Im vorliegenden Fall stützt der Staat Italien seinen Eigentumsanspruch nicht auf rechtsgeschäftliches Handeln (ius gestionis); er leitet ihn vielmehr aus seiner öffentlichrechtlichen Gesetzgebung über den Schutz von Gegenständen von historischem und archäologischem Wert ab (Art. 826 Abs. 2 des italienischen codice civile). Das war nie ernsthaft bestritten und liegt auf der Hand (vgl.
BGE 101 Ia 165
E. 1 i.V.m. VPB 40/1976 Nr. 88). Geht es aber um einen Anspruch an einer beweglichen Sache, den der Staat Italien als Hoheitsträger (iure imperii) geltend macht, so kann er sich grundsätzlich auf seine völkerrechtliche Immunität berufen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dieser Anspruch sich im Prozess auch als begründet erwiese. Über die Immunität ist vorfrageweise zu entscheiden. Dieses Institut verlöre seinen Sinn, wenn nicht auf die Natur des Anspruchs abgestellt würde, sondern wenn der Staat die Berechtigung dieses Anspruchs zunächst im Prozess unter Beweis stellen müsste.
b) Nicht geteilt werden kann die Auffassung des Appellationsgerichts, wonach die Zuerkennung der Immunität an den Staat Italien unter den hier gegebenen Voraussetzungen auf die Anerkennung ausländischen öffentlichen Rechts hinauslaufen würde, was nicht zulässig sei. Das Gericht folgt dabei dem von der Beschwerdegegnerin im kantonalen Verfahren eingeholten Privatgutachten von Professor Pierre Lalive. Der Gutachter stützt seine Auffassung auf einen Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahre 1956 (
BGE 82 I 196
ff.). In jenem Urteil ging es um die Frage, ob ein ausländischer Enteignungsakt in der Schweiz anzuerkennen sei. Das Bundesgericht führte dazu aus, ausländisches öffentliches Recht könne in der Schweiz weder angewendet noch vollzogen werden, es sei denn, die schweizerische Rechtsordnung verlange
BGE 111 Ia 52 S. 59
dies. Hieran wäre unter vergleichbaren Verhältnissen festzuhalten. Indessen war damals nicht darüber zu befinden, ob einem ausländischen Staat kraft völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts gerichtliche Immunität zustehe. In einem Verfahren dieser Art muss notwendigerweise zum Entscheid über die Frage der Immunität ausländisches öffentliches Recht berücksichtigt werden. Gerade die von der Schweiz stets vertretene Auffassung, wonach zwischen Handlungen "iure imperii" und "iure gestionis" zu unterscheiden ist, liesse sich nicht durchsetzen, wenn das ausländische öffentliche Recht unbeachtet bleiben müsste. Das Bundesgericht hat denn auch in früheren Urteilen über die Immunität fremder Staaten auf ausländisches öffentliches Recht Bezug genommen (
BGE 104 Ia 375
E. 4b; nicht veröffentlichte E. 3b und c des Urteils
BGE 110 Ia 43
). Auch in Auslieferungs- und Rechtshilfesachen könnten die zuständigen schweizerischen Behörden ihre Aufgabe ohne Mitberücksichtigung des ausländischen öffentlichen Rechts oft nicht erfüllen. Allerdings ist das ausländische öffentliche Recht nicht materiell anzuwenden; es ist nicht darüber zu entscheiden, ob der Anspruch begründet ist, sondern nur, welcher Natur er ist. Zwischen der im genannten Urteil geäusserten Auffassung (
BGE 82 I 197
/198 E. 1) und der hier vertretenen besteht somit kein unüberbrückbarer Widerspruch.
5.
a) Das Appellationsgericht verneinte die Immunität des Beschwerdeführers allerdings im wesentlichen aus einem andern Grund. Es stellte fest, die umstrittenen Grabplatten seien einzig zur Beweissicherung in einer Strafuntersuchung nach Italien verbracht worden. Die italienischen Behörden wären nach Art. 6 Ziff. 2 des Europäischen Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (EÜR) verpflichtet gewesen, die Platten nach der Untersuchung sofort wieder in die Schweiz zurückzubringen. Es bezeichnet das Verhalten des Staates Italien als "unkorrekt". Aus einem solchen Verhalten dürfe er keinen Vorteil ziehen; er könne sich deshalb nicht auf seine völkerrechtliche Immunität berufen. Der Beschwerdeführer hält dem in tatsächlicher Hinsicht entgegen, es lägen keine Akten dafür vor, dass er durch die in Rechtshilfesachen zuständigen schweizerischen Behörden aufgefordert worden sei, die Platten in die Schweiz zurückzubringen. Die Feststellung des Appellationsgerichts, er habe konventionswidrig gehandelt, beruhe deshalb auf einer unzulässigen antizipierten Beweiswürdigung. In rechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, das Appellationsgericht habe seine
BGE 111 Ia 52 S. 60
Zuständigkeit überschritten; zur Feststellung einer Verletzung des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens wären die in Rechtshilfesachen kompetenten Verwaltungsbehörden und nicht ein Zivilgericht zuständig gewesen.
b) Der Standpunkt des Appellationsgerichts läuft im Ergebnis auf eine Übernahme der im Privatgutachten Lalive vertretenen These hinaus, das italienische Rechtshilfebegehren bilde Teil eines raffinierten Gesamtplans ("manoeuvre astucieuse"), mit dem sich der Staat Italien aus der Rolle eines Klägers in jene eines Beklagten manövriert habe. Ein solches Verhalten verstosse gegen Treu und Glauben und müsse daher unbeachtet bleiben. Dem Beschwerdeführer könne deshalb die Immunität so wenig zuerkannt werden, wie wenn er im Zivilprozess in Basel als Kläger aufgetreten wäre. Diese Erwägung erweckt Bedenken. Das Appellationsgericht hat nicht dargelegt, auf welche tatsächlichen Umstände es seine Auffassung stützt, wonach das Rechtshilfebegehren Teil eines derartigen Manövers gebildet habe und daher zweckwidrig verwendet worden sei. Dem angefochtenen Urteil lässt sich einzig entnehmen, dass die Grabplatten im August 1980 zu Beweiszwecken nach Italien verbracht wurden und dass sie seither noch nicht in die Schweiz zurückgeführt worden sind. Indessen ist zunächst festzustellen, dass der Staat Italien sich den Besitz an den Platten nicht eigenmächtig verschafft hat; diese wurden ihm vielmehr nach Durchführung eines Rechtshilfeverfahrens von den zuständigen schweizerischen Behörden ordnungsgemäss zur Verfügung gestellt. Ob diese Behörden die ihnen in solchen Fällen zustehende Prüfungsbefugnis richtig ausgeübt haben, war nicht vom Appellationsgericht zu beurteilen. Jedenfalls kann die Stellung eines Rechtshilfebegehrens an sich nicht als unlautere Handlung betrachtet werden, weil den zuständigen Behörden des ersuchten Staates eine weitgehende Prüfungsbefugnis zusteht.
Das Appellationsgericht legt denn auch das Hauptgewicht weniger darauf, dass sich der Staat Italien die Verfügungsgewalt über die Grabplatten überhaupt verschafft habe; es stützt sich vor allem darauf, dass er diese Platten seither nicht zurückerstattet habe. Es trifft zu, dass auf dem Rechtshilfeweg übergebene Beweismittel dem ersuchenden Staat "so bald wie möglich" zurückzugeben sind, sofern dieser nicht darauf verzichtet (
Art. 6 Ziff. 2 EÜR
). Der Begriff "so bald wie möglich" ist unbestimmt; er ist im Einzelfall zu konkretisieren. Wie die Bedingung hier im Zeitpunkt der Rechtshilfe gegenüber dem Staat Italien formuliert wurde, geht
BGE 111 Ia 52 S. 61
aus den Akten nicht hervor. Jedenfalls besteht die Rückgabepflicht so lange nicht, als das Strafverfahren nicht abgeschlossen ist, für das die Beweismittel angefordert worden sind. Hierüber geben die Akten keinerlei Aufschluss. Zwar ist eine antizipierte Beweiswürdigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht durchwegs unzulässig (
BGE 103 IV 301
E. 1a;
BGE 97 I 219
/220 E. 4;
BGE 73 I 199
E. 1). Indessen setzt der Verzicht auf Beweiserhebungen bzw. auf weitere Beweiserhebungen immer voraus, dass bereits hinlänglich schlüssige Tatsachen vorliegen, aus denen sich die Richtigkeit des massgeblichen Sachverhalts ergibt. Gerade hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Appellationsgericht hat nicht abgeklärt, ob das Strafverfahren inzwischen abgeschlossen worden ist, für das der Beschwerdeführer die Grabplatten als Beweismittel angefordert hat. Mit Recht hat es nicht auf die bei den Akten befindlichen Zeitungsnotizen abgestellt, die beschreiben, wo die Platten heute aufbewahrt werden. Selbst wenn sie sich gegenwärtig in einem Museum befinden sollten, würde das keinen zwingenden Schluss auf fehlenden Willen zur Rückgabe zulassen. Schon aus diesen Gründen war die Annahme des Appellationsgerichts sachlich nicht vertretbar, der Staat Italien habe seine staatsvertragliche Rückgabepflicht verletzt.
c) Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt für die Rückgabe nach
Art. 6 Ziff. 2 EÜR
unbestimmt ist ("so bald wie möglich"); dieser Umstand lässt die Annahme nicht zu, der ersuchende Staat gerate nach Ablauf einer bestimmten Frist automatisch in Verzug. Im Gegenteil ist anzunehmen, der ersuchte Staat habe nach angemessener Zeit zu mahnen und die Rückerstattung zu verlangen. Erst wenn der ersuchende Staat einem solchen Begehren innert Frist nicht entspricht, kann von einer Verletzung des Völkerrechts gesprochen werden. Diese Folgerung drängt sich um so mehr auf, als übergebene Gegenstände, Akten oder Schriftstücke nicht notwendigerweise in jedem Fall zurückzuerstatten sind;
Art. 6 Ziff. 2 EÜR
sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der ersuchte Staat auf eine Rückerstattung verzichtet. Reagiert der ersuchende Staat auf ein Rückerstattungsbegehren zulässigerweise mit einem Gesuch um Verzicht im Sinne dieser Bestimmung, kann solange, als die zuständige Behörde des ersuchten Staates ihren Entscheid nicht gefällt hat, ebenfalls noch nicht von einer Rechtsverletzung gesprochen werden (vgl. VPB 40/1976 Nr. 88). Im vorliegenden Fall ist indessen nicht dargetan worden, dass die italienischen Behörden zur Rückerstattung der Platten aufgefordert worden seien.
BGE 111 Ia 52 S. 62
Soweit ersichtlich, hat die Beschwerdegegnerin nicht einmal behauptet, sie habe die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt oder das Bundesamt für Polizeiwesen um die Einleitung des Rückerstattungsverfahrens ersucht. Aus allen diesen Gründen war es unzulässig, eine Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen durch den Beschwerdeführer als erwiesen zu betrachten. Demzufolge durfte auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Staat Italien im vorliegenden Prozess in einer wider Treu und Glauben verstossenden Weise die Rolle des Beklagten verschafft habe. Die Beschwerde erweist sich somit als begründet; sie ist gutzuheissen, und das angefochtene Urteil ist aufzuheben.
d) Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen 4a und 5c ergibt, hat dieser Entscheid nicht den Sinn, dass nunmehr Beweise zu erheben wären; vielmehr ist die Immunität des Beschwerdeführers zu bejahen. Das kantonale Verfahren wird daher durch Prozessurteil zu erledigen sein. Das hat zur Folge, dass der Rechtsstreit nicht materiell rechtskräftig entschieden ist. Er kann nach Erfüllung der in
Art. 6 Ziff. 2 EÜR
enthaltenen Rückgabepflicht durch den Beschwerdeführer von diesem als Kläger in der Schweiz wieder angehoben werden; auch könnte einer Klage der Beschwerdegegnerin in Italien die Einrede der abgeurteilten Sache nicht entgegengehalten werden. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0a300a1-d01b-4bdc-94b8-9a04c4411b26 | Urteilskopf
89 II 2
2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. März 1963 i.S. J. gegen O. | Regeste
Besuchsrecht.
Art. 156 Abs. 3 ZGB
.
Das Besuchsrecht kann, wenn dem Interesse des berechtigten Elternteils an dessen Ausübung bedeutende höherwertige Interessen der Kinder entgegenstehen, gänzlich aufgehoben werden, sofern nicht eine diese Kindesinteressen wahrende, besondere Besuchsordnung (Sicherheitsmassnahmen) möglich ist und eine solche Regelung dem Bedürfnis entspricht, die innere Verbundenheit des getrennten Elternteils mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten. | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 89 II 2 S. 2
A.-
Am 15. Dezember 1953 schied das Bezirksgericht Zürich die Ehe O.-W., wies die beiden ihr entsprossenen Kinder Marcel, geb. 1950, und Rita, geb. 1951, unter Anordnung einer vormundschaftlichen Aufsicht der Mutter zur Pflege und Erziehung zu und räumte dem Vater das Recht ein, die Kinder bis zu deren Eintritt in die Schulpflicht
BGE 89 II 2 S. 3
einen halben Tag und von da an einen Tag im Monat zu besuchen oder auf seine Kosten zu sich auf Besuch zu nehmen.
Im Frühjahr 1954 wurden die beiden Kinder in einem Kinderheim in Mogelsberg (Kt. St. Gallen) untergebracht. Während fünf Jahren ihres dortigen Aufenthaltes kümmerte sich O. in keiner Weise um sie; weder übte er sein Besuchsrecht aus, noch unterhielt er sonst irgendwelchen Kontakt mit ihnen. Auch vernachlässigte er seine Unterstützungspflicht, indem er von den ihm durch das Scheidungsgericht auferlegten Unterhaltsbeiträgen von monatlich Fr. 70.- für jedes Kind insgesamt bloss Fr. 160.-- bezahlte. Im Jahre 1959 wandte er sich dann erstmals an die Gerichte, um das ihm zustehende, angeblich von der Leitung des Kinderheims oder von der Mutter hintertriebene Besuchsrecht auszuüben. Ein erstes Gesuch vom 12. Januar zog er indessen am 14. Februar 1959 zurück, während ein weiteres gegen die Heimleitung gerichtetes Begehren am 10. Juli 1959 abgewiesen wurde. Das gleiche Schicksal war einem Gesuch vom 20. August 1959, dem zufolge der Mutter verboten werden sollte, ihn an der Ausübung des Besuchsrechtes zu hindern, beschieden, da die letztere erklären liess, sie sei mit den Besuchen einverstanden.
Nachdem diese sich im Jahre 1957 mit J. wieder verheiratet und im April 1961 die beiden Kinder in den ehelichen Haushalt aufgenommen hatte, wandte sich O. am 31. Dezember 1961 erneut an den Befehlsrichter mit dem Begehren, es seien ihm die Kinder zum Besuch herauszugeben. Am 16. März 1962 zog er jedoch das Gesuch wieder zurück.
Am 24. Juni 1960 wurde O. vom Bezirksgericht Horgen wegen wiederholter und fortgesetzter Unzucht mit Kindern zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde bedingt aufgeschoben unter Ansetzung einer Probezeit von fünf Jahren. O. hatte sich an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren, von denen
BGE 89 II 2 S. 4
der eine der Sohn seiner damaligen Freundin war, sittlich vergangen.
B.-
Am 19. Mai 1961 klagte Frau J. gegen O. mit dem Begehren um Aufhebung des diesem im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 eingeräumten Besuchsrechtes. Das Bezirksgericht Horgen hiess am 8. Juni 1962 die Klage gut und hob das Besuchsrecht des O. gänzlich auf, weil Gefahr bestehe, dass der Beklagte auch seine eigenen Kinder verführe, und weil diesen jedes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihm fehle.
Auf die Berufung des Beklagten wies das Obergericht des Kantons Zürich die Klage am 15. Oktober 1962 ab und ordnete dessen Besuchsrecht in teilweiser Gutheissung der Widerklage in der Weise, dass O. das Recht eingeräumt wurde, die Kinder je am letzten Sonntag des Monats, im Sommer von 13 bis 19 Uhr und im Winter von 12 bis 18 Uhr, gemeinsam zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen.
C.-
Die Klägerin hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung ihrer Klage und Abweisung der Widerklage.
O. beantragt Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 156 Abs. 3 ZGB
hat der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit ihnen. Dass dieses Recht, dessen Hauptinhalt das sog. Besuchsrecht bildet und das dem nicht gewalthabenden Elternteil um seiner Persönlichkeit willen zusteht, diesem unter Umständen ganz abgesprochen werden kann, sagt das Gesetz nicht, folgt jedoch aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jedes Recht seine Grenze an fremden Rechten findet (s.
BGE 86 II 377
). Die Ausübung eines Rechtes, durch die in ein fremdes Recht eingegriffen wird, ist denn auch nur dann rechtmässig und vom Richter zu schützen, wenn dieser Eingriff die angemessene
BGE 89 II 2 S. 5
Massnahme zur Wahrung eines nach den Umständen wertvolleren Gutes darstellt. Das gilt auch bezüglich der Persönlichkeitsrechte, die insoweit keiner Sonderregel unterliegen (JÄGGI, Fragen des privatrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit, ZSR 1960, II, S. 214 a).
a) Die Rechtsprechung und mit ihr ein Teil des Schrifttums vertreten den Standpunkt, dass das Besuchsrecht gänzlich aberkannt werden könne, wenn sich seine Ausübung auf keine Weise unter Wahrung der körperlichen und sittlichen Entwicklung der Kinder ordnen lasse, wenn also schwerwiegende Gründe im Interesse der Kinder diese Massnahme gebieten (
BGE 72 II 10
; HAFTER, Kinder aus geschiedenen Ehen, S. 165; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 2. Auflage, S. 121; KISTLER, Das Recht auf persönlichen Verkehr, in Zeitschrift für Vormundschaftswesen, 1952, S. 122/3; ROSSEL/MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2. Auflage, S. 275 Nr. 405bis; anderer Meinung: TUOR, Das schweizerische ZGB, 5. Auflage, S. 148; EGGER, Kommentar, N. 21 zu Art. 156 lehnt einen Entzug des Rechtes durch den Richter ab, hält jedoch eine Verwirkung für möglich, wenn die Kindesinteressen es durchaus erfordern). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die körperliche und sittliche Gesundheit der Kinder, welche durch
Art. 28 Abs. 1 ZGB
gewährleistet ist, ein höherwertiges Gut darstellt als die mit dem Besuchsrecht bezweckte innere Verbundenheit des nicht gewalthabenden Elternteils mit ihnen. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Rechtsanschauung in der Schweiz benachbarten Staaten. So kann im deutschen und im österreichischen Rechte der Verkehr des berechtigten Elternteils mit dem Kinde ausgeschlossen werden, wenn dies aus besondern Gründen dem Wohle des Kindes dient (VON GODIN, Kommentar, N. 10 zu § 75 des deutschen Ehegesetzes; KLANG/GSCHNITZER, Kommentar, Ziff. V zu § 142 ABGB), und den gleichen Weg ist die französische Praxis gegangen (PLANIOL/RIPERT/BOULANGER, Traité de droit civil, 1956, Bd. I, S. 841, Nr. 2277 Ziff. 5). Am Grundsatze,
BGE 89 II 2 S. 6
dass das dem nicht gewalthabenden Elternteil nach
Art. 156 Abs. 3 ZGB
zustehende natürliche Recht (
BGE 72 II 10
) aufgehoben werden darf, wenn bedeutende höherwertige Interessen der Kinder es unbedingt erfordern, ist somit festzuhalten.
b) Daraus folgt nun aber nicht, dass umgekehrt dem berechtigten Elternteil das Besuchsrecht trotz einem solchen Interessenkonflikt stets gewahrt bleiben müsse, wenn eine Verletzung jener Kindesinteressen durch entsprechende Sicherheitsmassnahmen vermieden werden kann. Das Besuchsrecht ist, wie alle Elternrechte, zweckbezogen (MERZ, Berner Kommentar, N. 302 zu
Art. 2 ZGB
). Es findet seine Begründung in der Überlegung, dass die innere Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern über die Scheidung hinaus weiterbesteht und dass demzufolge die Eltern Anspruch darauf haben, diese natürliche Bindung durch einen angemessenen Verkehr mit den Kindern aufrechtzuerhalten. Die Ausübung dieses Persönlichkeitsrechtes hat demnach nur einen vernünftigen Sinn, wenn sie bestimmt und geeignet ist, jene innere Verbundenheit zu erhalten. Wo es an dieser Voraussetzung fehlt, sei es, dass der nicht gewalthabende Elternteil aus zweckwidrigen Motiven auf der Ausübung seines Rechtes beharrt (z.B. aus Rechthaberei, zur Schikane des andern Elternteils usw.), sei es, dass diese zum vorneherein als nutzlos erscheint, weil es an der innern Verbundenheit der Kinder mit dem getrennten Elternteil völlig fehlt (s. über die zweckwidrige und nutzlose Rechtsausübung, MERZ, a.a.O. N. 285 ff. und 340 ff.), da rechtfertigt es sich nicht, das Besuchsrecht, das ohne besondere Vorkehren gegen bedeutende Interessen der Kinder verstiesse, mit allen möglichen Sicherheitsmassnahmen zu umgeben (z.B. Besuche in Anwesenheit Dritter oder unter Aufsicht von Amtspersonen, nur gemeinsam usw.), um dem berechtigten Elternteil mindestens formell und ohne Nachteil für die Kinder seine Ausübung zu ermöglichen. Eine Ausübung des Besuchsrechtes, die ihres ethischen Gehalts entbehrt, verdient
BGE 89 II 2 S. 7
keinen besonderen Schutz. In diesem Sinne bedarf der im EntscheideBGE 72 II 10ausgesprochene Satz, dass das Besuchsrecht nur dann gänzlich entzogen werden dürfe, wenn sich seine Ausübung auf keine Weise unter Wahrung der körperlichen und sittlichen Entwicklung der Kinder ordnen lasse, der Verdeutlichung.
2.
Im vorliegenden Falle wurde dem Beklagten im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 15. Dezember 1953 das Besuchsrecht zugestanden. Eine Aufhebung dieses Rechts kommt daher nur in Frage, wenn die seitherige Entwicklung der Verhältnisse eine andere Regelung für geboten erscheinen lässt, wenn sich die Verhältnisse seit jenem Urteil so wesentlich geändert haben, dass eine Beibehaltung der bisherigen Ordnung zu einer erheblichen Schädigung höherwertiger Kindesinteressen führen würde (
Art. 157 ZGB
;
BGE 43 II 476
,
BGE 54 II 75
). Diese Voraussetzung ist hier entgegen der Auffassung des Obergerichts erfüllt.
a) O. hat sich im Jahre 1959 in schwerwiegender Weise an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren sittlich vergangen. Aus den Strafakten und insbesondere aus dem Urteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 24. Juni 1960 sowie dem psychiatrischen Gutachten der Heilanstalt Burghölzli vom 28. Mai 1960 ergibt sich, dass der Beklagte ein verlogener, asozialer, uneinsichtiger und mit einer bisexuellen Triebrichtung behafteter Psychopath ist. Seine beiden Kinder, von denen insbesondere der Knabe heute in das Alter eintritt, das die beiden Opfer des O. hatten, wären unzweifelhaft in ihrer sittlichen Entwicklung in hohem Grade gefährdet, wenn sie dem unheilvollen Einfluss des Beklagten, und sei es auch nur für einige Stunden im Monat, preisgegeben würden. Darüber hilft nicht hinweg, dass sexuelle Verfehlungen des O. an seinen eigenen Kindern nicht nachgewiesen sind. Zur Zeit der Scheidung der Parteien waren die Kinder zwei und drei Jahre alt, und seither ist der Beklagte mit ihnen nicht mehr zusammengetroffen. Die Annahme der Vorinstanz aber, dass den
BGE 89 II 2 S. 8
Beklagten die Bande des Blutes von unzüchtigen Handlungen an den eigenen Kindern abhalten dürften, vermag nicht zu überzeugen. Den blutmässigen Banden zwischen dem Beklagten und seinen Kindern entsprechen keine gefühlsmässige Bindungen, und zudem hat sich O., wie die erste Instanz zutreffend feststellte, gerade am Kinde seiner Freundin, das ihm unter den damaligen Verhältnissen näher stand als die eigenen Kinder, in brutaler Weise vergangen. Schliesslich zwingt auch die Tatsache, dass der Strafrichter dem Beklagten den bedingten Strafvollzug gewährt hat, nicht zu einem andern Schluss. Nicht nur hat das Bezirksgericht Horgen dem Verurteilten diese Rechtswohltat bloss mit schweren Bedenken gewährt, sondern man muss sich angesichts des Umstandes, dass der im Strafverfahren beigezogene Psychiater zum Schluss gelangte, auf Grund der Charakterstruktur des O. sei "mit einer gewissen Rückfallsgefahr in ähnliche Delikte zu rechnen", auch fragen, ob der Strafrichter sich bei seinem Entscheide wirklich von dem durch das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz hat leiten lassen, dass der bedingte Strafvollzug nur gewährt werden darf, wenn begründete Aussicht auf eine dauernde Besserung des Verurteilten besteht (statt vielerBGE 74 IV 196,
BGE 77 IV 69
). Doch wie dem auch sei, muss jedenfalls der Zivilrichter, der über das Besuchsrecht zu befinden hat, an die Vertrauenswürdigkeit des berechtigten Elternteils einen strengen Massstab anlegen und darf über jenes Gefahrenmoment nicht hinwegsehen. Denn wo so hochwertige Rechtsgüter wie die seelische Gesundheit und sittliche Unversehrtheit von Kindern auf dem Spiele stehen, bedarf es keiner besonders grossen Wahrscheinlichkeit ihrer Verletzung, um eine Beschränkung oder sogar eine vollständige Aufhebung des Besuchsrechtes zu rechtfertigen. Übrigens handelt es sich hier nicht nur darum, die Kinder vor direkten sexuellen Angriffen zu bewahren, sondern auch von einer üblen sittlichen Beeinflussung zu schützen, hat doch der Beklagte, wie sich aus den Strafakten ergibt, einem
BGE 89 II 2 S. 9
der von ihm missbrauchten Knaben zum Teil unter dem Vorwand der sexuellen Aufklärung eine unzüchtigen Photographie gezeigt und ihm sein Tagebuch mit unzüchtigen Eintragungen zum Lesen überlassen. Ihm seine nun bald ins Pubertätsalter eintretenden Kinder vorbehaltlos anzuvertrauen, wäre daher auch aus diesen Gründen nicht zu verantworten. Dazu kommt, dass O. nach der eigenen Feststellung der Vorinstanz für die Kinder ein Unbekannter ist. Sie anzuhalten, einen völlig fremden Mann als Vater zu besuchen, könnte, insbesondere bei dem empfindsamen älteren Kinde, einen seelischen Schock auslösen. Abgesehen davon ist der Beklagte gegen die Mutter der Kinder feindselig eingestellt, und er weist, wie das bei Psychopathen seiner Art häufig vorkommt, deutlich querulatorische Züge auf, die sich bei seiner Einsichtslosigkeit sehr zum Nachteil der Kinder auswirken könnten. Dass diesbezüglich begründeter Anlass zu Befürchtungen besteht, erhellt beispielsweise deutlich aus der Rekursschrift des Beklagten an das Obergericht Zürich vom 21. Oktober 1961, in der er sich unter anderem auf den Standpunkt stellte, dass "er ein gerichtliches Verbot zur Ausübung eines eventuellen Besuchsrechtes" nicht zu achten brauche, um dann wörtlich zu drohen: "Wenn es sein muss, werde ich die Kinder schon finden, wo sie auch je sich aufhalten mögen. Nur kann damit ein Skandal verbunden werden zum Schaden der Kinder ... von dem ich aber, wenn es sein muss, nicht zurückschrecken werde".
b) Steht demnach das Interesse des Beklagten an der Ausübung seines Besuchsrechtes in klarem Widerspruch zu Interessen der Kinder, die bei Abwägung der in Frage stehenden Rechtsgüter unzweifelhaft als die schutzwürdigeren erscheinen, so muss jenes Recht weichen, sofern nicht eine die Kindesinteressen wahrende Besuchsordnung getroffen werden kann und eine solche Regelung einem durch den ethischen Gehalt des Besuchsrechtes getragenen Bedürfnis entspricht.
Die Vorinstanz glaubt auf eine völlige Aufhebung des
BGE 89 II 2 S. 10
Besuchsrechtes verzichten und den Bedenken gegen dessen Ausübung dadurch genügend Rechnung tragen zu können, dass der Beklagte berechtigt wird, die Kinder bloss gemeinsam zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen. Dieser Weg ist jedoch nicht gangbar. Abgesehen davon, dass damit keine zureichende Gewähr für einen sicheren Schutz der Kinder gegen eine nachteilige Beeinflussung in ihrer seelischen und sittlichen Entwicklung geboten ist, indem es O. beispielsweise ein leichtes wäre, das Mädchen unter irgendeinem Vorwand wegzuschicken, um in dessen Abwesenheit den Knaben nach seiner Art "aufzuklären", rechtfertigt es sich auch deswegen nicht, dem Beklagten um jeden Preis durch irgendwelche Sicherheitsmassnahmen die Ausübung des Besuchsrechtes zu ermöglichen, weil diese des wahren Sinnes entbehrte. Wie bereits bemerkt, haben die heute elf- und zwölfjährigen Kinder des Beklagten von der Existenz ihres wahren Vaters überhaupt keine Kenntnis und leben offenbar im Glauben, der zweite Ehemann ihrer Mutter sei ihr Vater. Damit steht fest, dass es - und daran ändern auch die bestehenden Bande des Blutes nichts - an jeder inneren Verbundenheit zwischen dem Beklagten und seinen Kindern fehlt. Diese Tatsache kann nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, dass O. versicherte, er habe bis 1959 die monatliche Reise nach Mogelsberg zu einem zweistündigen Besuch aus gesundheitlichen Gründen nicht verantworten können. Selbst wenn es sich dabei nicht um eine blosse Ausrede des vom Psychiater als verlogen bezeichneten Beklagten handelte, wären diesem noch andere Wege offengestanden, um den Kontakt mit seinen Kindern aufrechtzuerhalten (z.B. Erkundigungen bei der Heimleitung, Überweisung von Geschenken an Festtagen usw.). Er kümmerte sich indessen während fünf Jahren in keiner Weise um sie und hat auch an ihren Unterhalt seit dem Scheidungsurteil insgesamt bloss Fr. 160.-- bezahlt. Dass die Ausübung des Besuchsrechtes nicht von der Erfüllung der Unterhaltspflichten abhängig gemacht werden darf, hindert nicht, die Tatsache
BGE 89 II 2 S. 11
ihrer Vernachlässigung als Indiz für die Gleichgültigkeit des Beklagten gegenüber seinen Kindern im Rahmen des Ganzen mit zu berücksichtigen. Jedenfalls aber bleibt, wie immer man auch das Verhalten des O. würdigen mag, objektiv die Tatsache bestehen, dass dieser seit 1953 keine Beziehungen mehr zu seinen Kindern unterhalten hat und dass es zwischen ihnen und ihrem Vater an jener innern Verbundenheit fehlt, deren Pflege und Erhaltung gerade der Zweck des Besuchsrechtes ist. Zu glauben, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit könne erst noch geschaffen werden, ist eine Illusion, wenn man sich vergegenwärtigt, in welche Lage die Kinder bei der von der Vorinstanz getroffenen Lösung versetzt würden. Einmal ständen sie dem Beklagten als einem für sie völlig unbekannten Manne gegenüber, den als Vater anzuerkennen für sie ohnehin schwer wäre. Zum andern würde die Mutter in begreiflicher Sorge um ihre Kinder versuchen, diese über den Charakter des Beklagten ins Bild zu setzen, während O. wiederum bestrebt wäre, sich in einem andern Lichte zu zeigen. Die Kinder würden hierdurch in eine zwiespältige Haltung gedrängt, aus der heraus die Begründung eines echten Vertrauensverhältnisses zu dem unbekannten Vater nicht denkbar ist. Vielmehr bärge die Konfliktsituation, der sie damit ausgesetzt würden, die Gefahr in sich, dass sie auch noch in ihren Beziehungen zur Mutter unsicher würden, was für ihre seelische Entwicklung höchst nachteilig wäre.
Bei dieser Sachlage ist es gegeben, das Besuchsrecht des Beklagten aufzuheben, zumal man sich angesichts seiner oben angeführten Äusserung (Erw. 2 a i.f.) in der Rekursschrift an das Obergericht auch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass er nicht aus Liebe und Anhänglichkeit zu den Kindern für sein Besuchsrecht sich zur Wehr setzt, sondern dass es sich um eine Rechthaberei handelt, deren Motive allem Anschein nach in der Feindschaft gegen die Mutter der Kinder und in der Tatsache ihrer zweiten Ehe zu suchen sind.
BGE 89 II 2 S. 12
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1962 aufgehoben und in Abänderung von Ziffer 3 des Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 festgestellt, dass dem Berufungsbeklagten gegenüber seinen Kindern kein Besuchsrecht zusteht. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0a4fc42-586c-46eb-be12-5177bce743d2 | Urteilskopf
125 I 1
1. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit public du 9 novembre 1998 dans la cause A. contre Tribunal administratif du canton de Vaud et Commission de recours en matière d'impôts communaux de Y. (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
; Abwassergebühr.
Wenn die jährlich zu entrichtende Abwassergebühr zugleich die Kosten für die Erstellung als auch diejenigen für den Unterhalt der Kanalisation decken soll, darf sie nicht allein nach dem Brandversicherungswert des Gebäudes bemessen sein. In die Bemessungsgrundlage miteinzubeziehen ist auch der tatsächliche Wasserkonsum im Gebäude (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 125 I 1 S. 1
En 1989, A. a acquis la parcelle no xxx de la commune de Y. qui comprend une habitation et une dépendance. Sur la base d'une estimation datant de 1989, la valeur d'assurance-incendie de ces bâtiments a été fixée, à l'indice 100 de 1990, à 605'260 fr. au total.
Le 28 juillet 1995, la Caisse communale de Y. a adressé à A. une facture de 322,30 fr. relative à la taxe "d'égouts" concernant l'immeuble
BGE 125 I 1 S. 2
précité pour la période du 1er janvier au 31 décembre 1995. A. a recouru contre la facture de la Caisse communale de Y. du 28 juillet 1995. Par décision du 6 décembre 1995, la Commission de recours en matière d'impôts communaux de Y. (ci-après: la Commission) a rejeté le recours.
A. a alors porté sa cause devant le Tribunal administratif du canton de Vaud (ci-après: le Tribunal administratif) qui, par arrêts des 17 et 20 juin 1997, a rejeté son recours et confirmé la décision litigieuse de la Commission.
Agissant par la voie du recours de droit public, A. a demandé au Tribunal fédéral d'annuler les arrêts rendus les 17 et 20 juin 1997 par le Tribunal administratif. Il a invoqué l'
art. 4 Cst.
Il s'est plaint essentiellement d'arbitraire.
Le Tribunal fédéral a admis le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le recourant se plaint que l'utilisation de la valeur d'assurance-incendie d'un immeuble pour le calcul de la taxe d'évacuation des eaux n'a pas de base légale suffisante, qu'elle crée une inégalité dans l'imposition et viole le principe de l'interdiction de l'arbitraire au sens de l'
art. 4 Cst.
Cette valeur ne serait pas constante pour l'ensemble des assujettis, puisque certains immeubles ne seraient pas assurés à la valeur à neuf, voire pas assurés du tout.
a) aa) L'art. 66 de la loi vaudoise du 17 septembre 1974 sur la protection des eaux contre la pollution dispose:
"Les communes peuvent percevoir, conformément à la loi sur les impôts communaux, un impôt spécial et des taxes pour couvrir les frais d'aménagement et d'exploitation du réseau des canalisations publiques et des installations d'épuration.
Elles peuvent également percevoir une taxe d'introduction et une redevance annuelle pour l'évacuation des eaux claires dans le réseau des canalisations publiques. La redevance annuelle est proportionnelle au débit théorique évacué dans les canalisations."
L'art. 4 de la loi vaudoise du 5 décembre 1956 sur les impôts communaux (ci-après: LIC) traite des taxes spéciales. Il prévoit que les communes peuvent percevoir des taxes spéciales en contrepartie de prestations ou avantages déterminés ou de dépenses particulières (
art. 4 al. 1 LIC
). Ces taxes doivent faire l'objet de règlements soumis à l'approbation du Conseil d'Etat vaudois (
art. 4 al. 2 LIC
). Elles ne peuvent être perçues que des personnes bénéficiant des prestations
BGE 125 I 1 S. 3
ou avantages ou ayant provoqué les dépenses dont elles constituent la contrepartie (
art. 4 al. 3 LIC
). Leur montant doit être proportionné à ces prestations, avantages ou dépenses (
art. 4 al. 4 LIC
).
Quant à l'
art. 4a LIC
, relatif à la base de calcul, il a la teneur suivante:
"Si les communes utilisent la valeur d'assurance incendie (valeur ECA) pour le calcul des taxes de raccordement et d'introduction aux réseaux publics de distribution et d'évacuation d'eau, elles doivent le faire aux conditions suivantes:
La valeur ECA déterminante est celle de l'immeuble au moment du raccordement.
Une taxe complémentaire de raccordement ou d'introduction ne peut être perçue que si des travaux ont été entrepris dans l'immeuble."
Par ailleurs, le 7 décembre 1994, le Conseil communal de Y. a adopté un règlement communal sur l'évacuation des eaux (ci-après: le règlement communal), en vigueur depuis le 1er janvier 1995 sous réserve de l'approbation du Conseil d'Etat vaudois, qui a été donnée le 15 mars 1995. D'après l'art. 39 al. 1 du règlement communal, les propriétaires d'immeubles bâtis et raccordés directement ou indirectement aux installations publiques d'évacuation des eaux participent aux frais de construction et d'entretien de ces installations, en s'acquittant d'une taxe annuelle d'évacuation des eaux usées et des eaux claires. L'art. 40 du règlement communal prévoit que la taxe annuelle est calculée en fonction de la valeur d'assurance-incendie du bâtiment rapportée à l'indice 100 de 1990 (al. 1) et que les conditions de prélèvement de cette taxe sont réglées par une annexe qui fait partie intégrante du règlement communal (al. 2). L'annexe au règlement communal dispose, à son art. 1 al. 1, que le taux de la taxe annuelle d'évacuation est fixé au maximum à 0,60- de la valeur d'assurance-incendie du bâtiment rapportée à l'indice 100 de 1990 (TVA non comprise) et que jusqu'à concurrence de ce plafond, la Municipalité de Y. arrête le taux de la taxe au début de chaque année.
bb) Compte tenu de ce qui précède, il apparaît que la taxe d'évacuation des eaux, qui prend en considération la valeur d'assurance-incendie de l'immeuble, repose sur une base légale suffisante. L'argumentation, en partie incohérente, du recourant doit donc être rejetée dans la mesure où elle est recevable.
b) Reste à examiner si l'utilisation de la valeur d'assurance-incendie d'un immeuble pour calculer la taxe d'évacuation des eaux
BGE 125 I 1 S. 4
concernant cet immeuble est source d'arbitraire et d'inégalité de traitement au sens de l'
art. 4 Cst.
aa) Les principes de l'interdiction de l'arbitraire et de l'égalité de traitement déduits de l'
art. 4 Cst.
sont étroitement liés. Une décision est arbitraire lorsqu'elle ne repose pas sur des motifs sérieux et objectifs ou n'a ni sens ni but. Elle viole le principe de l'égalité de traitement lorsqu'elle établit des distinctions juridiques qui ne se justifient par aucun motif raisonnable au regard de la situation de fait à réglementer ou lorsqu'elle omet de faire des distinctions qui s'imposent au vu des circonstances, c'est-à-dire lorsque ce qui est semblable n'est pas traité de manière identique et lorsque ce qui est dissemblable ne l'est pas de manière différente. Il faut que le traitement différent ou semblable injustifié se rapporte à une situation de fait importante (
ATF 123 II 16
consid. 6a p. 26 et la jurisprudence citée). L'inégalité de traitement apparaît ainsi comme une forme particulière d'arbitraire, consistant à traiter de manière inégale ce qui devrait l'être de manière semblable ou inversement (DANIELLE YERSIN, L'égalité de traitement en droit fiscal, in RDS 111/1992, vol. II, p. 145 ss, n. 44, p. 178).
bb) La jurisprudence a admis depuis longtemps la prise en considération de la valeur d'assurance-incendie de l'immeuble pour fixer une taxe d'évacuation des eaux ou d'épuration des eaux usées, dans la mesure où une telle taxe concernait les frais de construction de canalisations ou d'installation d'épuration des eaux et équivalait à une taxe de raccordement, (
ATF 109 Ia 325
consid. 6a p. 330;
ATF 94 I 270
consid. 5a p. 278;
ATF 93 I 106
consid. 5b p. 114/115). A cet égard, il apparaît que l'autorité intimée a estimé à bon droit que les canalisations devaient être dimensionnées en fonction de leur utilisation potentielle et non seulement de l'usage effectif du propriétaire, ce qui influence nécessairement leur coût et, par voie de conséquence, le montant de la taxe mise à la charge du propriétaire. De plus, le Tribunal fédéral a accepté que ce genre de contributions soit établi de façon schématique en recourant à des critères fondés sur des moyennes résultant de l'expérience et faciles à utiliser (
ATF 109 Ia 325
consid. 5 p. 328;
ATF 106 Ia 241
consid. 3b p. 244;
ATF 94 I 270
consid. 5a p. 278;
ATF 93 I 106
consid. 5b p. 114; DANIELLE YERSIN, op.cit., n. 102 ss, p. 209 ss). Il a également considéré que le législateur cantonal était autorisé à choisir des solutions schématiques visant à simplifier l'imposition même si celles-ci n'assurent pas un traitement égal de tous les contribuables dans toute la mesure souhaitée. Ainsi, le législateur peut s'inspirer très largement de considérations pratiques
BGE 125 I 1 S. 5
et d'économies administratives lors de l'élaboration des normes fiscales; le Tribunal fédéral les admettra aussi longtemps qu'elles ne sont pas invoquées simplement afin d'aménager un privilège fiscal (ou une surimposition) incompatible avec le principe d'une imposition égale découlant de l'
art. 4 Cst.
(DANIELLE YERSIN, op.cit., n. 104, p. 210; cf.
ATF 114 Ia 221
consid. 6a p. 231/232). Toutefois, l'application de tels critères ne doit pas aboutir à des résultats insoutenables, injustifiables et créant des différences ne reposant pas sur des motifs raisonnables (
ATF 106 Ia 241
consid. 3b p. 244).
La présente espèce se différencie des cas susmentionnés tranchés par le Tribunal fédéral en ce sens que la taxe litigieuse ne couvre pas uniquement les frais de raccordement de l'immeuble du recourant aux canalisations, mais aussi l'utilisation desdites canalisations. En effet, le règlement communal instaure une taxe annuelle hybride pour couvrir non seulement le coût de construction des canalisations, mais encore leur entretien. Dès lors la jurisprudence évoquée ci-dessus ne peut pas s'appliquer telle quelle au cas présent.
cc) Le recourant affirme que l'utilisation de la valeur d'assurance-incendie de l'immeuble engendre des inégalités dans l'imposition, car cette valeur ne serait pas constante pour l'ensemble des assujettis: on la fixerait en règle générale sur la base de la valeur à neuf de l'immeuble (art. 22 de la loi vaudoise du 17 novembre 1952 concernant l'assurance des bâtiments et du mobilier contre l'incendie et les éléments naturels - ci-après: LAI), mais ce principe serait assorti de dérogations en vertu des
art. 21, 22a et 22b LAI
.
Il faut tout d'abord constater que les textes légaux et réglementaires (cf. consid. 2a) n'excluent pas la prise en considération d'autres valeurs, dans des cas spéciaux. En réalité, les exceptions auxquelles se réfère le recourant visent précisément à tenir compte de circonstances particulières. Elles ont donc pour but de traiter de manière différente ce qui n'est pas semblable. Ainsi, contrairement à ce que croit l'intéressé, non seulement elles ne violent pas le principe de l'égalité de traitement tel que rappelé ci-dessus (let. aa), mais encore elles en garantissent en principe le respect. A cet égard, le recourant n'établit pas que les propriétaires d'immeubles qui font l'objet d'une taxation particulière ne paient pas de taxe d'évacuation des eaux ou en paient une qui serait plus avantageuse sans motif objectif. Le moyen que l'intéressé tire d'une prétendue inégalité dans l'imposition n'est donc pas fondé.
dd) Le recourant prétend qu'en l'espèce, l'utilisation du critère susmentionné aboutit à un résultat insoutenable car son immeuble
BGE 125 I 1 S. 6
aurait une valeur réelle de 82'000 fr. au maximum, une valeur fiscale au 1er juin 1992 de 115'000 fr. mais une valeur d'assurance-incendie de 653'681 fr. en tout.
En fait, la valeur d'assurance-incendie qui a été déterminante dans le cas présent se monte au total à 605'260 fr. Au demeurant, l'intéressé ne produit aucune pièce établissant les autres valeurs qu'il invoque.
La valeur d'assurance-incendie en cause a été fixée en 1989. L'intéressé aurait alors pu contester cette valeur conformément à la procédure instituée à l'
art. 68 LAI
. Il n'a cependant pas agi en temps utile et ne peut plus maintenant s'en prendre à ladite valeur. Dès lors son grief est irrecevable. Au surplus, le recourant n'a apparemment pas tenté d'obtenir que l'Etablissement d'assurance contre l'incendie et les éléments naturels du canton de Vaud applique en sa faveur les
art. 22a ou 22b LAI
.
ee) L'intéressé prétend que le recours à la valeur d'assurance-incendie de son immeuble conduit à un résultat arbitraire dans la mesure où la consommation d'eau de cet immeuble est très faible: le prix du mètre cube d'eau évacuée serait exorbitant. Pour autant que la taxe d'évacuation des eaux couvre le coût de construction des canalisations en fonction de l'utilisation potentielle des habitants de l'immeuble, il est raisonnable que le coût du mètre cube d'eau évacuée varie selon la consommation effective de ces habitants. Ce coût est ainsi d'autant plus élevé que la consommation effective est faible par rapport à l'utilisation que pourraient faire lesdits habitants. Un tel résultat n'est pas choquant. Toutefois, dans le système consacré par le règlement communal - que le Tribunal fédéral peut revoir préjudiciellement -, la taxe d'évacuation des eaux couvre non seulement la construction des canalisations, mais encore leur entretien. Or le coût de ce dernier dépend, en partie tout au moins, du débit des eaux que reçoit le réseau des canalisations. Dès lors, la taxe susmentionnée ne devrait pas être fondée sur la seule valeur d'assurance-incendie de l'immeuble. Sa base de calcul devrait également inclure la consommation effectuée dans l'immeuble. Le système ici en cause ne tient compte que de la valeur d'assurance-incendie de l'immeuble. Il peut dès lors aboutir à un résultat injustifiable, quand la consommation est très faible, ce qui, d'après le recourant, est le cas en l'espèce. L'autorité intimée a donc fait preuve d'arbitraire en confirmant la taxe litigieuse établie selon ce système. | public_law | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0acd498-e160-4188-9027-b6e84c632c66 | Urteilskopf
82 II 132
18. Arrêt de la Ire Cour civile du 31 janvier 1956 dans la cause Regamey contre Pasquier. | Regeste
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
. Unzulässigkeit neuer tatsächlicher Vorbringen vor dem Bundesgericht (Erw. 1).
Versorgerschaden,
Art. 45 Abs. 3 OR
. Anspruch des Ehemannes aus Versorgerschaden beim Tod der Ehefrau, die eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat? Schadensberechnung (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 133
BGE 82 II 132 S. 133
A.-
Georges Regamey, né en 1913, vendit en 1951 son entreprise de peinture pour reprendre, avec son épouse, l'exploitation du café du Chalet, à Renens. Dame Regamey, qui était sommelière de son métier, passa avec succès l'examen de cafetier et obtint la patente à son nom. C'est elle qui dirigeait l'établissement, avec l'aide de son mari.
Le 18 mars 1952, elle se rendit à Lausanne dans la voiture de Louis Pasquier. Au retour, celle-ci se jeta contre un camion. Grièvement blessée, dame Regamey décéda quelques jours plus tard.
Par la suite, Regamey obtint le certificat de capacité pour l'exploitation d'un café-restaurant, ainsi que la patente. Il assuma lui-même la direction du café du Chalet.
B.-
Le 15 août 1953, Regamey a actionné Pasquier, devant le Tribunal cantonal vaudois, en paiement de 46 946 fr. 55, avec intérêt à 5% dès le 19 février 1953.
Par jugement du 2 septembre 1955, cette juridiction a constaté que le défendeur était responsable, en vertu de l'art. 37 LA, des suites de l'accident et elle l'a condamné à payer à Regamey 3556 fr. 55 pour les frais d'inhumation, la perte provoquée par la fermeture du café du 22 au 24 mars 1952 et les frais du cours pour cafetiers qu'il avait dû suivre. En outre, elle a alloué au demandeur 8000 fr. pour sa perte de soutien et 3000 fr. à titre de réparation morale, ainsi que l'intérêt de toutes ces sommes à partir du 19 février 1953. Elle a rejeté l'action pour le surplus.
C.-
Contre ce jugement, Regamey a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Il se plaint uniquement de la somme qui lui a été allouée pour sa perte de soutien et il conclut à ce qu'elle soit portée à 39 868 fr. 55.
L'intimé a proposé le rejet du recours. Par la suite, il a informé le Tribunal fédéral que Regamey s'était remarié le 29 mars 1955.
BGE 82 II 132 S. 134
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La juridiction fédérale de réforme fonde son arrêt sur les faits constatés par la dernière autorité cantonale (art. 63 al. 2 OJ) et l'acte de recours ne peut contenir de faits nouveaux (art. 55 al. 1 litt. c OJ). Or le remariage de Regamey est un tel fait, puisqu'il n'a pas été allégué dans la procédure cantonale et que la juridiction vaudoise ne le mentionne point dans son jugement. Le Tribunal fédéral ne saurait donc en tenir compte dans la présente procédure.
2.
Selon la juridiction cantonale, le rendement brut du café du Chalet a diminué de 7900 fr. pendant l'exercice 1952-1953, qui suivit le décès de dame Regamey; toutefois, cette baisse est due pour une part au temps défavorable et au fait que la commune de Renens n'a pas autorisé de kermesse durant cette période; actuellement, le café marche bien et Regamey est parvenu à remplacer son épouse dans la direction de l'établissement; il ne paraît pas qu'il ait dû engager du personnel supplémentaire et les frais généraux du commerce sont restés sensiblement les mêmes; par conséquent, le décès de dame Regamey n'a causé au demandeur aucune atteinte permanente dans son genre de vie.
Regamey critique ces constatations, qui reposeraient soit sur des hypothèses gratuites, soit sur des témoignages sujets à caution. Mais ce point du jugement cantonal relève uniquement du fait et échappe donc à la censure du Tribunal fédéral, à moins que les constatations attaquées ne procèdent d'une répartition erronée du fardeau de la preuve ou n'aient été viciées par une inadvertance manifeste (art. 63 al. 2 OJ). Or le recourant ne prétend pas que l'une ou l'autre de ces dernières conditions soit remplie.
3.
Ainsi que le Tribunal fédéral l'a jugé dans l'arrêt qu'il a rendu aujourd'hui dans la cause Rossier et consorts c. Assurance Mutuelle Vaudoise (RO 82 II 38), une femme peut être considérée comme le soutien de son mari même
BGE 82 II 132 S. 135
si elle ne fait que tenir son ménage. C'est le cas à plus forte raison si, comme dame Regamey, elle exerce une activité professionnelle lucrative dont le mari bénéficie (cf. en outre RO 57 II 182). Celui-ci ne peut cependant prétendre à des dommages-intérêts pour perte de soutien que si, par suite du décès de son épouse, il subit une atteinte pécuniaire dans son genre de vie conforme à son état (cf. également RO 57 II 182, 59 II 463). Pour juger si cette condition est remplie, il faut comparer la situation qu'il a avec celle dans laquelle il se serait trouvé si sa femme n'était pas décédée prématurément.
Or Regamey a pu, après une période d'adaptation, remplacer son épouse dans la direction du café du Chalet. Actuellement, celui-ci marche bien et son exploitation ne produit pas un bénéfice inférieur à celui qu'elle procurait du vivant de dame Regamey. Dès lors, le recourant ne subit pas une atteinte permanente dans son genre de vie et ne saurait prétendre à réparation que pour la période transitoire pendant laquelle le rendement a effectivement baissé. Au surplus, même si la réduction du bénéfice était durable, elle ne donnerait droit à des dommages-intérêts que dans la mesure où le montant de cette diminution serait supérieur aux frais d'entretien de dame Regamey, frais que le recourant ne supporte plus aujourd'hui (cf. arrêt Rossier et consorts c. Assurance Mutuelle Vaudoise). Enfin, une indemnité pour atteinte permanente est d'autant moins justifiée que, dans le cas d'un cafetier qui, tel Regamey, est encore jeune, un remariage est très probable.
Pour la période d'adaptation, la juridiction cantonale a alloué 8000 fr. au recourant, montant qu'elle a déterminé équitablement en considération du cours ordinaire des choses (art. 42 al. 2 CO). Si l'on tient compte que le rendement de l'établissement a baissé de 7900 fr. pendant l'exercice 1952-1953, que cette diminution n'est cependant due qu'en partie à l'absence de dame Regamey, qu'il est probable, en outre, que cette baisse s'est encore maintenue, quoique dans une moindre mesure, durant un ou deux
BGE 82 II 132 S. 136
exercices, qu'il faut cependant imputer sur ces pertes les frais d'entretien épargnés par le recourant, le montant de 8000 fr. arrêté par la juridiction cantonale paraît suffisant et le Tribunal fédéral n'a aucune raison de l'augmenter.
4.
Le recourant prétend enfin que, si son épouse n'était pas décédée, il aurait pu exécuter des travaux de peinture que la SA Sagepco et la gérance Guillerey avaient l'intention de lui confier. Mais, selon la juridiction cantonale, il n'est nullement établi que ces maisons eussent recouru aux services de Regamey. Cette constatation lie le Tribunal fédéral et enlève toute base à la prétention que le recourant fait valoir sur ce point.
Ainsi, le recours en réforme n'est pas fondé et le jugement cantonal doit être confirmé. | public_law | nan | fr | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0ae8738-0037-4020-ab25-4f95c2261a7a | Urteilskopf
93 I 265
33. Urteil vom 3. Mai 1967 i.S. Billerbeck & Cie gegen Bergbau-Handel G.m.b.H. und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche.
Anwendbarkeit des Abkommens im Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik (Erw. 1).
Gültigkeit der in einem Kaufvertrag zwischen einer schweizerischen und einer ostdeutschen Firma enthaltenen Schiedsklausel nach dem Rechte der DDR (Erw. 3).
Vorbehalt der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates:
- Der Vorbehalt bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der Entscheidung, sondern auf das Verfahren sowie auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts (Erw. 4a).
- Ein Schiedsspruch, den das Schiedsgericht der Kammer für Aussenhandel der DDR in einem Rechtsstreit zwischen einem dieser Kammer angeschlossenen staatlichen Aussenhandelsunternehmen und einer schweizerischen Firma gefällt hat, ist inder Schweiz vollstreckbar. Bestätigung der in
BGE 84 I 46
Erw. 5 und 6 enthaltenen Grundsätze (Erw. 4b-d). | Sachverhalt
ab Seite 266
BGE 93 I 265 S. 266
A.-
Die Firma Billerbeck & Cie. in Basel, die mit Isolierungsmaterialien der Baubranche handelt, bezog wiederholt solche von der Bergbau-Handel Gesellschaft für Ausfuhr und Einfuhr von Bergbauerzeugnissen m. b. H. in Berlin-Ost. Die Kaufverträge wurden jeweils abgeschlossen durch Ausfüllung und Unterzeichnung vorgedruckter Formulare der Verkäuferin, worin auf die "Allgemeinen Lieferbedingungen" auf der Rückseite verwiesen wird. Diese enthalten (als drittletzte von 18 Ziffern) folgende Schiedsklausel:
"16. a) Alle Streitigkeiten aus einem Vertrag werden unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges in Arbitrage durch das Schiedsgericht
BGE 93 I 265 S. 267
bei der Kammer für Aussenhandel der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin NW 7, Unter den Linden 40, nach dessen Schiedsgerichtsordnung für beide Teile verbindlich entschieden.
b) Der Ort des Zusammentritts des Schiedsgerichts ist Berlin-Mitte."
Der letzte Kaufvertrag datiert vom 31. Juli 1961 und betraf Radeborger Backofenplatten, die Ende Oktober 1961 zum Preis von Fr. 3277.26 geliefert wurden. Die Käuferin beanstandete diese Lieferung, doch trat die Verkäuferin auf die Mängelrüge nicht ein, verlangte Bezahlung des Kaufpreises und klagte diesen in der Folge beim Schiedsgericht der Kammer für Aussenhandel der DDR ein. Dessen Sekretär sandte der Billerbeck & Cie. am 17. Juli 1962 die Klageschrift sowie die Schiedsgerichtsordnung und die 31 Mitglieder umfassende Schiedsrichterliste zu und lud sie zur Klageerwiderung ein. Die Billerbeck & Cie. bestritt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und gab der Vorladung zur Güteverhandlung und der Aufforderung zur Ernennung eines Schiedsrichters keine Folge. Darauf wurde das Schiedsgericht gemäss der Schiedsgerichtsordnung in der Weise gebildet, dass die Klägerin einen Schiedsrichter, der Präsident des Schiedsgerichts einen solchen für die Beklagte und die beiden Schiedsrichter einen Obmann ernannten, alle drei aus der Liste der 31 Schiedsrichter. Dieses Schiedsgericht lud die Beklagte auf den 9. April 1963 erfolglos zur Streitverhandlung vor und verpflichtete sie hierauf mit Schiedsspruch vom 10. Mai 1963, der Klägerin Fr. 3277.26 nebst 5% Zins seit 25. November 1961 sowie DM 400. - Verfahrenskosten zu bezahlen.
B.-
Gestützt auf diesen Schiedsspruch leitete die Bergbau-Handel G.m.b.H. am 11. November 1965 gegen die Firma Billerbeck & Cie. in Basel Betreibung ein für die ihr zugesprochenen Beträge von zusammen Fr. 3709.26 und verlangte auf Rechtsvorschlag hin definitive Rechtsöffnung. Diese wurde vom Dreiergericht des Kantons Basel-Stadt durch Entscheid vom 11. November 1966 verweigert, vom Appellationsgericht (Ausschuss) dagegen in Gutheissung einer Beschwerde der Bergbau-Handel G.m.b.H. mit Urteil vom 25. Januar 1967 bewilligt. In den Erwägungen dieses Entscheids wird ausgeführt, dass die Art der Zusammensetzung des Schiedsgerichts nach
BGE 84 I 39
ff. nicht gegen den ordre public der Schweiz verstosse und dass die DDR sich als Nachfolgerin des Deutschen Reichs auch gegenüber der Schweiz auf das Genfer Abkommen zur
BGE 93 I 265 S. 268
Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche berufen könne, obwohl die Schweiz mit ihr keine politischen Beziehungen unterhalte. Die Schiedsklausel sei zwar in dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag klein gedruckt; doch habe die Beklagte mehrere solche Verträge mit der Klägerin abgeschlossen und könne daher nicht behaupten, sie habe die Klausel übersehen oder nicht verstanden. Sie hätte sich auch über die darin erwähnte Schiedsordnung erkundigen und dann erfahren können, dass die Schiedsrichterwahl auf die in einer Liste aufgeführten Personen beschränkt sei. Es gehe nicht an, sich auf derartige Verträge mehrfach einzulassen und dann im praktischen Fall Einreden zu erheben, zumal im Handel mit ausländischen Lieferanten besondere Vorsicht üblich sei.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt die Firma Billerbeck & Cie., den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 25. Januar 1967 aufzuheben und das Rechtsöffnungsbegehren der Bergbau-Handel G.m.b.H. abzuweisen, eventuell die Sache zur Beurteilung nach der Basler ZPO zurückzuweisen. Sie macht Verletzung der
Art. 59 und 4 BV
sowie Verletzung bzw. falsche Anwendung staatsvertraglicher Bestimmungen geltend und erhebt folgende Rügen:
a) Die Beschwerdeführerin habe auf den Gerichtsstand des
Art. 59 BV
nicht gültig verzichtet, da die Schiedsklausel auf der Rückseite des Kaufvertrags derart unauffällig sei, dass sie in ihrer Bedeutung vom Nichtjuristen nicht habe erfasst werden können.
b) Das Genfer Abkommen sei nicht anwendbar, da der Schweiz nie mitgeteilt worden sei, dass die DDR sich im Jahre 1959 dem Abkommen unterstellt habe. Sei aber das Abkommen nicht anwendbar, so liege darin, dass das Vollstreckungsgesuch im Rechtsöffnungsverfahren nach
Art. 81 Abs. 3 SchKG
und nicht im ordentlichen Zivilprozessverfahren gemäss
§ 258 ZPO
beurteilt worden sei, eine Rechtsverweigerung im Sinne von
Art. 4 BV
.
c) Der Schiedsspruch verstosse gegen den ordre public der Schweiz und zwar
aa) materiell-rechtlich durch die Lieferbedingungen im Kaufvertrag, auf die sich der Schiedsspruch stütze und nach denen der Käufer trotz mangelhafter Lieferung den Kaufpreis bezahlen müsse;
BGE 93 I 265 S. 269
bb) formell-rechtlich, weil
- alle Mitteilungen des Schiedsgerichts der Beschwerdeführerin durch die Post zugestellt worden seien, was nach Art. 4 letzter Absatz des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens ungenügend sei,
- jede Garantie für eine ungefährdete persönliche Mitwirkung der Beschwerdeführerin am Schiedsverfahren gefehlt habe, - das Schiedsgericht nach seiner Zusammensetzung nicht als unabhängiges und unparteiisches Gericht gelten könne.
Die nähere Begründung dieser Rügen ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.-
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung der Beschwerde und verzichtet im übrigen, unter Hinweis auf die Motive des angefochtenen Urteils, auf Gegenbemerkungen.
Die Bergbau-Handel G.m.b.H. beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die kantonalen Instanzen haben die Frage, ob der in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gefällte Schiedsspruch in der Schweiz vollstreckbar sei, nach dem Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 26. September 1927 (BS 12, S. 392) beurteilt, dem sowohl die Schweiz als auch das Deutsche Reich beigetreten sind. Die DDR, die sich mit Bezug auf ihr Gebiet als Nachfolgerin des Deutschen Reiches betrachtet, wendet gemäss Bekanntmachung ihres Ministers für Auswärtige Angelegenheiten vom 16. April 1959 (Gesetzblatt der DDR vom 16. Mai 1959) eine Anzahl von jenem abgeschlossener multilateraler internationaler Übereinkommen wieder an, darunter auch das Genfer Protokoll über die Schiedsklauseln vom 24. September 1923 (BS 13, S. 387) und das genannte Genfer Abkommen. Daher haben diese Abkommen im Verhältnis zur DDR wieder Geltung und ist insbesondere die Voraussetzung des Gegenrechts erfüllt; denn der Beitritt zu diesen Abkommen steht allen Staaten frei (Ziff. 5 des Protokolls und Art. 7 des Abkommens). Dass die Schweiz die DDR nicht als Staat anerkannt hat und mit ihr keine diplomatischen Beziehungen unterhält, steht der Anwendung des Abkommens nicht entgegen. Die DDR ist jedenfalls ein selbständiges Rechtsgebiet und ist daher, wie in international-
BGE 93 I 265 S. 270
privatrechtlicher Hinsicht (
BGE 91 II 126
Erw. 4), so auch in international-prozessrechtlicher Hinsicht wie ein Staat zu behandeln.
2.
Mit der Feststellung, dass das Genfer Abkommen anwendbar und die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs danach zu beurteilen ist, erweist sich die Beschwerde insoweit, als sie Verletzung anderer Bestimmungen geltend macht, als unbegründet.
a) Nach § 258 Abs. 1 der basel-städt. ZPO werden Streitigkeiten über die Vollstreckbarkeit von Schiedsgerichtsurteilen nur dann auf dem ordentlichen Prozessweg entschieden, wenn das Bundesrecht oder Staatsverträge nichts anderes vorschreiben. Nun sind Urteile, welche zu einer Geldzahlung verpflichten, gemäss
Art. 38 Abs. 1 SchKG
auf dem Wege der Schuldbetreibung zu vollziehen und ist daher bei solchen Urteilen von Bundesrechts wegen im Rechtsöffnungsverfahren über das Vorliegen staatsvertraglicher Voraussetzungen der Vollstreckung zu entscheiden (
BGE 87 I 76
mit Verweisungen). Das ergibt sich aus
Art. 81 Abs. 3 SchKG
und gilt auch für Schiedssprüche, da sie ebenfalls unter den Begriff des Urteils im Sinne dieser Bestimmung fallen (
BGE 61 I 277
Erw. 3,
BGE 76 I 126
/7). Von einer Rechtsverweigerung durch willkürliche Nichtanwendung von
§ 258 ZPO
kann daher keine Rede sein.
b) Die Beschwerdeführerin bestreitet, auf ihren verfassungsmässigen Richter verzichtet zu haben und behauptet, die im Kaufvertrag vom 31. Juli 1961 enthaltene Schiedsklausel "genüge
Art. 59 BV
nicht". Diese Bestimmung und die Rechtsprechung dazu kann jedoch für die Auslegung des Genfer Protokolls und Abkommens nicht herangezogen werden, da beim Abschluss dieser multilateralen Abkommen, anders als bei gewissen zweiseitigen Vollstreckungsabkommen (vgl.
BGE 57 I 23
Erw. 1,
BGE 68 I 126
Erw, 1,
BGE 81 I 57
Erw. 2), auf sie nicht Rücksicht genommen worden ist.
c) Die Beschwerdeführerin erblickt darin, dass ihr die Mitteilungen und Vorladungen des Schiedsgerichts nicht auf dem Wege der Rechtshilfe, sondern durch die Post zugestellt worden sind, eine Verletzung von Art. 4 letzter Absatz des schweizerisch-deutschen Vollstreckungsabkommens vom 2. November 1929 (BS 12, S. 359). Diese erst vor Bundesgericht erhobene Rüge ist entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin noch zulässig (
BGE 85 I 44
Erw. 1). Sie ist jedoch unbegründet, da
BGE 93 I 265 S. 271
die angerufene Bestimmung nur für das Verfahren vor staatlichen Gerichten gilt und Art. 9 des Abkommens hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen auf das Genfer Abkommen verweist. Zudem bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass sie die ihr (eingeschrieben) zugestellten Mitteilungen und Vorladungen erhalten und nie beanstandet hat.
Die Beschwerde ist somit ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt des Genfer Abkommens zu beurteilen.
3.
Nach Art. 1 dieses Abkommens sind Schiedssprüche auf Grund von Schiedsklauseln, wie sie im Genfer Protokoll vorgesehen sind, unter den in Art. 1 des Abkommens genannten Voraussetzungen zur Vollstreckung zuzulassen. Dass die Schiedsklausel im Kaufvertrag vom 31. Juli 1961 der Ziff. 1 des erwähnten Protokolls entspricht, wird von der Beschwerdeführerin mit Recht nicht bestritten. Was sie, unter Berufung auf
Art. 59 BV
, gegen die Gültigkeit der Schiedsklausel vorbringt, ist auch abgesehen davon, dass diese Bestimmung nach dem in Erw. 2 b Gesagten nicht anwendbar ist, unbehelflich. Die Gültigkeit der Schiedsklausel beurteilt sich nach dem Recht des Staates, in dem sich der Sitz des vereinbarten Schiedsgerichts befindet (
BGE 57 I 302
ff.,
BGE 76 I 349
Erw. 3,
BGE 93 I 54
Erw. 3 a), hier also nach demjenigen der DDR. Dass sie nach diesem Recht ungültig sei, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend. Insbesondere bestreitet sie nicht, dass sie beim Abschluss des Kaufvertrages die auf der Rückseite als Ziff. 16 der "Allgemeinen Lieferbedingungen" gedruckte Schiedsklausel zur Kenntnis genommen hat, und behauptet nur, deren Bedeutung habe von einem Nichtjuristen nicht erfasst werden können. Indes sagt die Klausel klar, dass alle Streitigkeiten aus dem Vertrag unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs durch das Schiedsgericht bei der Kammer für Aussenhandel der DDR in Berlin nach dessen Schiedsgerichtsordnung für beide Teile verbindlich entschieden werden. Damit ist auch für den Nichtjuristen und namentlich für jeden Kaufmann verständlich, dass er sich durch Annahme dieser Klausel der Schiedsgerichtsbarkeit unter Ausschluss der ordentlichen Gerichte unterwirft und damit auch auf den Gerichtsstand des Wohnsitzes verzichtet. Ganz abwegig ist die Behauptung, die Klausel sei offenbar für den innerdeutschen Geschäftsverkehr und nicht für denjenigen mit dem Ausland
BGE 93 I 265 S. 272
bestimmt, ist doch der ganze Vertragstext auf Geschäfte über Ein- und Ausfuhr zugeschnitten und daher klar, dass das Schiedsgericht der Kammer für Aussenhandel über Geschäfte mit dem Ausland zu urteilen hat.
Es kann sich nur fragen, ob die Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Schweiz zu verweigern ist, weil seine Anerkennung gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstossen würde (Art. 1 lit. e des Genfer Abkommens).
4.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Schiedsspruch vom 10. Mai 1963 sowohl durch seinen Inhalt als auch durch die Art seines Zustandekommens und die Zusammensetzung des Schiedsgerichts den schweizerischen ordre public verletze. Das Hauptgewicht legt sie auf die Rüge, die Schiedsrichterliste sei von der Kammer für Aussenhandel der DDR, einer staatlichen Organisation, bei welcher die Bergbau-Handel G.m.b.H. Mitglied sei, aufgestellt worden; das Schiedsgericht übe eine Kontrollfunktion im Bereich des staatlich gelenkten Aussenhandels der DDR aus, sei dabei an die Interessen dieses Landes gebunden und könne daher in einem Streit zwischen einer staatlich dirigierten Handelsorganisation und einer ausländischen Gegenpartei nicht unparteiisch sein.
a) Das Bundesgericht hat früher die ordre public-Klausel, die in allen von der Schweiz abgeschlossenen Vollstreckungsabkommen enthalten ist, nur auf den Inhalt der Entscheidung angewandt und es als fraglich bezeichnet oder offen gelassen, ob sie darüber hinaus auch angerufen werden könne bei Mängeln, die dem Verfahren vor dem ausländischen Gericht, gemessen an der inländischen Rechtsordnung, anhaften (
BGE 84 I 46
Erw. 4 und dort angeführte frühere Urteile). In der Folge hat es sie aber auch auf Verfahrensmängel angewandt, die das schweizerische Rechtsempfinden in unerträglicher Weise verletzen (
BGE 85 I 47
Erw. 4,
BGE 87 I 78
Erw. 6,
BGE 90 I 118
). Das gleiche muss auch, ja erst recht gelten für die Zusammensetzung eines Schiedsgerichts, bei welcher die Parteien ungleich behandelt werden und die Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht garantiert ist, denn die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gehört nach dem schweizerischen Rechtsgefühl zu den fundamentalen Erfordernissen der Rechtspflege. Die Frage, ob sich die ordre public-Klausel auch auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts beziehe, ist daher unbedenklich
BGE 93 I 265 S. 273
zu bejahen. Das Bundesgericht hat dies übrigens bereits in
BGE 93 I 57
Erw. 4 a stillschweigend getan, indem es die Frage nicht mehr, wie bisher, offen liess, sondern vorbehaltlos prüfte, ob der Schiedsspruch wegen der Zusammensetzung des Schiedsgerichts gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstosse.
b) Die Gründe, aus denen das Appellationsgericht die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die Zusammensetzung des Schiedsgerichts der Kammer für Aussenhandel der DDR zurückgewiesen hat, bestehen zur Hauptsache in einer Verweisung auf
BGE 84 I 46
Erw. 5 und 6, wo sich die gleichen Fragen mit Bezug auf das Schiedsgericht der Tschechoslowakischen Handelskammer stellten. Demgegenüber wird in der Beschwerde behauptet, der vorliegende Fall unterscheide sich wesentlich von dem damals beurteilten. Worin der Unterschied bestehe, wird jedoch in der Beschwerde nicht ausgeführt und ist auch nicht ersichtlich. In der Tschechoslowakei wie in der DDR ist die Handelskammer Organ eines Staates, der den Aussenhandel verstaatlicht hat, und können als Schiedsrichter nur Personen ernannt werden, die in der vom Präsidenten der Handelskammer bzw. in dessen Auftrag vom ständigen Schiedsgericht gebildeten Liste eingetragen sind und alle dem betreffenden Staate angehören. Hier wie dort war die Klägerin Mitglied der Handelskammer und wirkte bei der Wahl ihres Präsidenten mit, wodurch sie einen indirekten Einfluss auf die Bildung der Schiedsrichterliste hatte, der der Beklagten abging. Auch die Bestellung des konkreten Schiedsgerichts erfolgte in beiden Fällen gleich, indem ein Schiedsrichter vom Kläger, der andere infolge Weigerung des Beklagten vom Präsidenten des ständigen Schiedsgerichts und der Obmann von diesen beiden Schiedsrichtern bezeichnet wurde. Die Beschwerdeführerin verlangt in Wirklichkeit eine Änderung der durch jenes Urteil begründeten Praxis und stützt sich dabei auf die daran geübte Kritik (HANS HUBER, ZBJV 95/1959, S. 342/5 und KONRAD BLOCH, SJZ 56/1960, S. 337/42). Es ist daher zu prüfen, ob an dieser Praxis festzuhalten ist.
c) In
BGE 84 I 47
Erw. 5 wurde zunächst ausgeführt, dass die sich auf schweizerische Verbandsschiedsgerichte beziehende Rechtsprechung zu
Art. 61 BV
nicht einfach auf die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche übertragen werden kann und ein Unterschied zu machen ist zwischen Verbandsschiedsgerichten, denen in erster Linie die Durchsetzung des internen
BGE 93 I 265 S. 274
kartellmässigen Verbandsrechts obliegt, und den Schiedsgerichten von Handelskammern, die keine solchen Zwecke verfolgen, sondern im Interesse des gesamten Handels zur raschen und sachverständigen Erledigung handelsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Kaufleuten geschaffen sind, denen es freisteht, sich dieser Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen oder ihre Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten auszutragen. An dieser Unterscheidung ist festzuhalten, zumal sie vom Bundesgericht erst kürzlich bestätigt worden ist (
BGE 93 I 58
Erw. 4 a). In
BGE 84 I 50
Erw. 5 a-c (und
BGE 84 I 59
Erw. 4 b) wurde weiter ausgeführt, dass das Urteil des Schiedsgerichts einer Handelskammer nicht schon deshalb gegen die schweizerische öffentliche Ordnung verstosse, weil die Schiedsrichter einer vom Organ einer ausländischen Handelskammer aufgestellten Liste entnommen werden müssen, und zwar auch dann nicht, wenn alle Personen der Liste dem gleichen Staate wie die Gegenpartei angehören und wenn diese als Mitglied der Handelskammer bei der Bestellung ihrer Organe mitzuwirken hatte und dadurch, im Gegensatz zur schweizerischen Partei, einen gewissen, wenn auch geringen und indirekten Einfluss auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts ausübte. Auch an diesen in
BGE 93 I 59
Erw. 4 c bestätigten Ausführungen kann unbedenklich festgehalten werden. Dass im vorliegenden Fall der eine Schiedsrichter statt von der Beschwerdeführerin vom Präsidenten des Schiedsgerichts ernannt worden ist, beanstandet die Beschwerdeführerin mit Recht nicht, da sie durch ihre Weigerung, einen Schiedsrichter zu ernennen, dazu Anlass gegeben hat (vgl.
BGE 84 I 49
/50). Zu prüfen bleibt, ob dem Schiedsgericht die aus dem Gesichtspunkt der schweizerischen öffentlichen Ordnung erforderliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit deshalb abzusprechen ist, weil sowohl die Kammer für Aussenhandel samt dem Schiedsgericht als auch die Gegenpartei im Schiedsverfahren der staatlichen Organisation der DDR angehören.
d) Auch diese Frage stellte sich schon in
BGE 84 I 39
ff. für das Schiedsgericht der tschechoslowakischen Handelskammer und ist dort in Erw. 6 d verneint worden. Eine nochmalige Ueberprüfung führt zu keinem andern Ergebnis.
Das Bundesgericht hat dort ausgeführt, die gegenteilige Auffassung laufe darauf hinaus, die Anwendung der Vollstreckungsabkommen wegen der politischen und wirtschaftlichen
BGE 93 I 265 S. 275
Verhältnisse in der Tschechoslowakei einzuschränken, und hiezu seien die Gerichte nicht befugt; falls wegen dieser Verhältnisse begründete Zweifel an der Unabhängigkeit der staatlichen Gerichte oder der staatlich vorgesehenen Schiedsgerichte bestehen sollten, wäre es Sache der politischen Behörden, eine Änderung oder Auflösung der zur Vollstreckung tschechoslowakischer Urteile und Schiedssprüche verpflichtenden Staatsverträge herbeizuführen. In den seit Erlass jenes Urteils vergangenen neun Jahren haben indes die politischen Behörden keine solchen Schritte unternommen. Im Gegenteil hat die Bundesversammlung durch Beschluss vom 2. März 1965 den Beitritt der Schweiz zu dem am 10. Juni 1958 abgeschlossenen New Yorker Abkommen über die Anerkennung und VOIlstreckung ausländischer Schiedssprüche genehmigt, das das Genfer Protokoll und Abkommen ersetzen soll und dem auch die Tschechoslowakei und mehrere andere osteuropäische Staaten beigetreten sind (AS 1965, S. 793 ff.). Dieses Abkommen bestimmt in Art. 1 Ziff. 2 ausdrücklich, dass unter Schiedssprüchen auch solche eines ständigen Schiedsgerichts, dem sich die Parteien unterworfen haben, zu verstehen sind, also, wie der Bundesrat in der Botschaft (BBl 1964 II 608) erläuternd bemerkte, Schiedssprüche, wie sie von Wirtschafts- oder Berufsverbänden oder von Handelskammern eingesetzt werden. Diese Bestimmung wurde dem Abkommen auf Antrag des tschechoslowakischen Delegierten beigefügt, und der schweizerische Delegierte hat ihm, unter Hinweis gerade auf den in
BGE 84 I 39
ff. beurteilten Fall, zugestimmt (BERTHEAU, Das New Yorker Abkommen, Diss. Zürich 1965, S. 49; FOUCHARD, L'arbitrage commercial international, Paris 1965, S. 206/7). Daraus, dass der Bundesrat der Bundesversammlung den vorbehaltlosen Beitritt zum New Yorker Abkommen beantragte und in der Botschaft die Frage, ob die Schiedsgerichte der Handelskammern in den Oststaaten mit der schweizerischen öffentlichen Ordnung vereinbar seien, nicht einmal aufwarf, muss geschlossen werden, dass der Bundesrat, der durch seine diplomatischen Vertreter in den Oststaaten sowie durch die Handelsabteilung des EVD über die Tätigkeit dieser Schiedsgerichte unterrichtet ist, keine Gründe sah, ihnen zu misstrauen und die Unparteilichkeit allgemein abzusprechen. Solche Gründe bestehen auch nicht. Es ist freilich richtig und allgemein bekannt, dass der Richter in den Oststaaten nicht die gleiche
BGE 93 I 265 S. 276
Unabhängigkeit hat wie im Westen und nicht im gleichen Masse an das geschriebene Recht gebunden ist, sondern politische Gesichtspunkte und staatliche Interessen zu berücksichtigen hat (vgl. WALTER ROSENTHAL, Le pouvoir judicaire dans la zone soviétique allemande, Revue de la Commission internationale de juristes Bd. 4/1962-63, S. 143 ff. und EDUOARD ZELLWEGER, Le principe de la légalité socialiste, ebenda Bd. 5/1964, S. 187 ff.). Selbst wenn dies, was nicht feststeht, auch für die Schiedsgerichte der Handelskammern gelten sollte, so würde dies die Vollstreckbarkeit ihrer Entscheide in der Schweiz nicht ausschliessen. Die von den Handelskammern der Oststaaten und ihren Schiedsgerichten allenfalls zu berücksichtigenden staatlichen Interessen bestehen nämlich keineswegs darin, dass das am Streit beteiligte Aussenhandelsunternehmen wenn immer möglich obsiege. Da die Oststaaten am Ausbau ihres Handels mit dem Westen in hohem Masse interessiert sind, haben die Handelskammern und ihre Schiedsgerichte vielmehr vor allem darüber zu wachen, dass die Handelsgeschäfte mit dem Westen korrekt abgewickelt werden und die westlichen Geschäftsleute hierauf vertrauen können, was voraussetzt, dass die Schiedsgerichte der Handelskammern unparteilich sind.
Dafür, dass dies jedenfalls im allgemeinen zutrifft, spricht auch, dass die Gerichte der westlichen Staaten, soweit ersichtlich, es ausnahmslos abgelehnt haben, mangels Unparteilichkeit dieser Schiedsgerichte die auf sie lautenden Schiedsklauseln als ungültig zu erklären oder die Vollstreckung ihrer Schiedssprüche zu verweigern (Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 19. Mai 1959 in "Die Deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts" 1958/59, S. 607 ff.; Urteil der Cour d'Appel d'Orléans vom 27. Februar 1961 in "Revue de l'Arbitrage" 1962 S. 111 ff.; ferner die von FOUCHARD a.a.O. S. 194 Anm. 25 und 26 erwähnten westdeutschen, italienischen, englischen und nordamerikanischen Urteile). Das Urteil
BGE 84 I 39
ff. hat denn auch bei westlichen Juristen, die sich besonders mit der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit befassen, allgemein Zustimmung gefunden (FOUCHARD a.a.O, S. 194/7 und der dort zit. Artikel von S. PISAR, Harward Law Review 1959, S. 1409 ff.; ERNST MEZGER, Revue Critique de droit international privé 1959, S. 336 ff.; CHARLES CARABIBER, Revue de l'Arbitrage 1958, S. 108 ff.). Von diesem Urteil abzugehen, besteht unter diesen
BGE 93 I 265 S. 277
Umständen kein Anlass. Es ist, wie dort (Erw. 6 d am Ende) ausgeführt wurde, mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, dass ein Kaufmann, der mit dem Aussenhandelsunternehmen eines Oststaates in Kenntnis der dortigen politischen Verhältnisse Geschäfte abschliesst und sich dabei den Schiedsgerichten dieses Staates unterwirft, nachträglich deren Unabhängigkeit unter Hinweis auf jene politischen Verhältnisse bestreitet. Übrigens sind Kaufleute, die Osthandel treiben wollen, keineswegs genötigt, sich für Streitigkeiten den Schiedsgerichten der Handelskammern des betreffenden Staates zu unterwerfen, sind doch die Aussenhandelsunternehmen, wie sich aus
BGE 92 I 272
ff. ergibt, unter Umständen bereit, auch Schiedsklauseln abzuschliessen, die paritätisch zusammengesetzte Gelegenheitsschiedsgerichte vorsehen.
Ist demnach an
BGE 84 I 39
ff. in allen Teilen festzuhalten und kann den Schiedsgerichten der Handelskammern der Oststaaten die nach schweizerischer Rechtsauffassung erforderliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht allgemein abgesprochen werden, so darf die Vollstreckung ihrer Schiedssprüche in der Schweiz nur dann wegen der Zusammensetzung des Schiedsgerichts verweigert werden, wenn im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Schiedsrichter, die den Spruch gefällt haben, tatsächlich befangen waren, insbesondere die prozessualen Rechte der ausländischen Partei in einem Masse verletzten, die mit einem geordneten Schiedsverfahren nicht vereinbar ist. Solche Anhaltspunkte ergeben sich jedoch im vorliegenden Falle weder aus dem Schiedsspruch selber noch aus den sonstigen Akten. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass sich das Schiedsverfahren hinter dem "Eisernen Vorhang" ohne jeden Rechtsschutz für sie abgewickelt habe, ist unbegründet. Dass sie daran weder persönlich noch durch einen Vertreter teilgenommen hat, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Inwiefern sie durch eine solche Teilnahme ihre persönliche Freiheit aufs Spiel gesetzt hätte, sagt sie nicht und ist nicht ersichtlich. Zudem ist nach § 17 der Schiedsgerichtsordnung die Vertretung der Parteien durch Bevollmächtigte, und zwar auch durch Anwälte, zulässig.
e) Die Beschwerdeführerin behauptet schliesslich, der Schiedsspruch verletze auch materiell den schweizerischen ordre public, indem er sich auf Ziff. 15 der Allgemeinen Lieferbedingungen stütze, der dem Käufer von vornherein das Recht, mangelhafte
BGE 93 I 265 S. 278
Erfüllung des Verkäufers rechtswirksam geltend zu machen, entziehe und damit gegen einen fundamentalen Grundsatz unseres OR verstosse. Ziff. 15 schliesst Reklamationen des Käufers nicht aus, sondern ordnet die Art ihrer Anbringung und Erledigung. Die von der Beschwerdeführerin speziell beanstandeten lit. b und e, wonach Reklamationen auf die Zahlungsverpflichtung des Käufers keine aufschiebende Wirkung haben und keinen Anspruch auf Schadenersatz begründen, hängen zusammen mit lit. d, wonach der Verkäufer sich verpflichtet, fristgemäss angebrachte Reklamationen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu prüfen und gegebenenfalls in dem von ihm anerkannten Ausmass nach seiner Wahl Ersatz oder/und Gutschrift zu leisten. Daraus folgt, dass eine begründete Reklamation nicht ohne weiteres einen Schadenersatzanspruch begründet, sondern dem Verkäufer das Recht zu besserer Erfüllung gewahrt bleibt. Freilich kann der Käufer seine Ansprüche erst durchsetzen, wenn er den Kaufpreis bezahlt hat. Doch kann nicht gesagt werden, dass diese Ordnung den Käufer schutzlos lasse und damit gegen den schweizerischen ordre public verstosse.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0af0835-1c37-4cfe-8a58-6e0aa948c453 | Urteilskopf
141 V 93
11. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. AG gegen Sicherheitsfonds BVG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_247/2014 vom 18. Dezember 2014 | Regeste
Art. 52 Abs. 1 und
Art. 56a Abs. 1 BVG
(jeweils in den bis Ende 2011 gültigen Fassungen); Verantwortlichkeit; Haftung der Revisionsstelle.
Umstände, welche auf ein mittleres Risiko einer Vorsorgeeinrichtung und einen höheren Kontrollbedarf schliessen lassen (E. 6.2.1 und 6.2.2). Vermag die Vorsorgeeinrichtung auf Verlangen der Revisionsstelle hin keinen Beleg für ihr Hauptaktivum vorzulegen, drängt sich - bei den gegebenen Verhältnissen - eine Detailprüfung auf (E. 6.2.3). Der Umstand, dass das BSV der Vorsorgeeinrichtung für die ordentliche Berichterstattung diverse Fristerstreckungen gewährte, entbindet die Revisionsstelle nicht von ihrer (fortzuführenden) Prüfungspflicht in Bezug auf die Jahresrechnung (E. 6.2.4). | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 141 V 93 S. 93
A.
A.a
Die am 1. Mai 2003 errichtete Stiftung N. (ab 21. Oktober 2005: BVG-Sammelstiftung der N.; nachfolgend: Stiftung) wurde 2003 im Handelsregister des Kantons Zug eingetragen und bezweckte die
BGE 141 V 93 S. 94
Durchführung jeglicher Form der beruflichen Vorsorge. Die A. AG war ab anfangs 2004 für die Stiftung als Kontrollstelle tätig. Der Handelsregistereintrag datiert vom ... 2004.
A.b
Am 14. Juli bzw. 2. August 2006 verfügte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) als Aufsichtsbehörde die Suspendierung aller acht amtierenden Stiftungsräte und bestimmte O. und P. als interimistische Stiftungsräte. P. erstattete am 17. August 2006 beim Untersuchungsrichteramt Zug Strafanzeige gegen B. (seit der Gründung Stiftungsratspräsident) und E. sowie allenfalls weitere Personen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Veruntreuung von Vermögenswerten. Mit Verfügung vom 1. September 2006 ordnete das BSV die Aufhebung der Stiftung sowie die Amtsenthebung der suspendierten Stiftungsräte an und setzte die interimistischen Stiftungsräte als Liquidatoren ein.
Auf Gesuch der Stiftung hin richtete der Sicherheitsfonds BVG (nachfolgend: Sicherheitsfonds) zur Sicherstellung gesetzlicher Leistungen einen Vorschuss von Fr. 33'000'000.- aus (Verfügung vom 26. Dezember 2006). In der Folge trat der Sicherheitsfonds in die Ansprüche gegenüber 13 (natürlichen und juristischen) Personen ein - darunter die A. AG - und liess sich von der Stiftung sämtliche Ansprüche, die dieser gegenüber denselben 13 Personen allenfalls noch zustanden, abtreten (Erklärung vom 13. Dezember 2010 und Abtretungsvereinbarung vom 14./16. Dezember 2010). Am 15. August 2007 reichte die Stiftung in Liquidation beim Eidgenössischen Finanzdepartement gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft ein Schadenersatzbegehren in der Höhe von Fr. 33'000'000.- zuzüglich Zins seit 28. Dezember 2006 und unter Vorbehalt der Nachklage für weiteren Schaden ein.
B.
B.a
Am 17. Dezember 2010 erhob der Sicherheitsfonds beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Klage gegen folgende 13 Personen: B. (Stiftungsratspräsident, Beklagter 1), C. (Stiftungsrat, Beklagter 2), D. (Stiftungsrätin, Beklagte 3), E. (Stiftungsrat, Beklagter 4), F. (Stiftungsrat, Beklagter 5), G. (Stiftungsrat, Beklagter 6), H. (Stiftungsrat, Beklagter 7), I. (Stiftungsrat, Beklagter 8), A. AG (Kontrollstelle, Beklagte 9), J. (BVG-Experte, Beklagter 10), K. GmbH (Buchhaltung, Beklagte 11), L. AG (Finanzdienstleisterin, Beklagte 12) und M. (alleiniger Verwaltungsrat der L. AG, Beklagter 13); mit folgenden Anträgen:
BGE 141 V 93 S. 95
1. Die Beklagten 1-12 seien unter solidarischer Haftung je einzeln bis zur nachfolgend aufgeführten Höhe zu verpflichten, der Klägerin den Gesamtbetrag von CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen;
2. Die Beklagten 1-4 seien unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor je einzeln zu verpflichten, der Klägerin CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
3. Die Beklagten 5-8 seien unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor je einzeln zu verpflichten, der Klägerin CHF 6'401'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
4. Die Beklagte 9 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
5. Der Beklagte 10 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
6. Die Beklagte 11 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 9'571'254.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
7. Die Beklagte 12 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 20'399'230.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
8. Der Beklagte 13 sei unter solidarischer Haftung gemäss Ziff. 1 hievor zu verpflichten, der Klägerin CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 01.06.2006 zu bezahlen.
9. (Kostenfolgen)
Dabei wies der Sicherheitsfonds darauf hin, dass mit der Klage lediglich ein Teilschaden geltend gemacht werde. Die Nachklage über den restlichen Schaden bleibe ausdrücklich vorbehalten. Im Prozessverlauf passte er sodann seine Klageanträge insoweit an, als er in Ziffer 1 (und betreffend die Kostenfolgen) neu die Beklagten 1-13 aufführte.
B.b
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Sozialversicherungsrechtliche Kammer, hiess die Klage mit Entscheid vom 21. Januar 2014 gut und verpflichtete die Beklagten zu folgenden Zahlungen:
a) Die Beklagten 1-13 haben der Klägerin unter solidarischer Haftung je einzeln bis zur nachfolgend aufgeführten Höhe in den Buchstaben b) bis h) den Gesamtbetrag von CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
b) Die Beklagten 1, 2, 3 und 4 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 30'000'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
BGE 141 V 93 S. 96
c) Der Beklagte 5 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 4'600'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
d) Der Beklagte 6 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 3'600'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
e) Der Beklagte 7 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 6'401'254.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
f) Der Beklagte 8 hat, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin CHF 3'900'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
g) Die Beklagten 9, 10 und 11 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 9'130'000.- nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
h) Die Beklagten 12 und 13 haben, unter solidarischer Haftung gemäss Buchstabe a) hievor, der Klägerin je einzeln CHF 19'034'230.39 nebst Zins zu 5 % seit 1. Juni 2006 zu bezahlen.
C.
Hiegegen reicht die A. AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und beantragt in der Hauptsache, (Dispositiv-Ziffer 1) lit. a und g des Entscheides des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 21. Januar 2014 seien aufzuheben und die Klage vom 17. Dezember 2010 sei vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung des Beweisverfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht verlangt die A. AG, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Im Weiteren seien die Akten des Strafverfahrens gegen B., E. und M. vor dem Strafgericht Zug sowie diejenigen des Verwaltungsprozesses des Sicherheitsfonds (recte: der Stiftung) gegen das BSV vor dem Bundesverwaltungsgericht beizuziehen. Ausserdem sei das Beschwerdeverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Strafverfahrens bzw. des Verwaltungsprozesses zu sistieren. Nach Erledigung des Strafverfahrens bzw. des Verwaltungsprozesses sei ihr eine angemessene, mindestens 60-tägige Frist zur Stellungnahme anzusetzen. Ferner sei die Eidgenossenschaft dem vorliegenden Prozess beizuladen. Schliesslich seien ihre als Beweismittel eingereichten Geschäftsbilanzen per Stichtag 31.12.2011/31.12.2012 vom Gericht unter Ausschluss der anderen Parteien zur Kenntnis zu nehmen.
D.
Mit Verfügung vom 26. Mai 2014 hat die Instruktionsrichterin der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
BGE 141 V 93 S. 97
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.
Das Bundesgericht weist das Sistierungsgesuch ab, ebenso die Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
3.1.1
Nach
Art. 52 BVG
in der bis Ende Dezember 2004 gültigen Fassung sind alle mit der Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen für den Schaden verantwortlich, den sie ihr absichtlich oder fahrlässig zufügen. Diese Bestimmung findet sich auch heute noch im Gesetz, nur wurde sie per 1. Januar 2005 durch zwei Absätze bzw. per 1. Januar 2012 um einen vierten Absatz erweitert (seit 1. Januar 2005 also
Art. 52 Abs. 1 BVG
und nachfolgend nurmehr diese Norm zitierend).
3.1.2
Art. 52 Abs. 1 BVG
, dessen Anwendungsbereich sich auch auf die weitergehende Vorsorge erstreckt (
Art. 49 Abs. 2 Ziff. 8 BVG
;
Art. 89
bis
Abs. 6 Ziff. 6 ZGB
[in der bis 31. Dezember 2012 geltenden Fassung]), kommt unabhängig von der Rechtsform der Vorsorgeeinrichtung zum Tragen. Er räumt der geschädigten Vorsorgeeinrichtung einen direkten Anspruch gegenüber dem näher umschriebenen Kreis der haftpflichtigen Personen ein. Darunter fällt insbesondere die Kontrollstelle (vgl.
Art. 53 Abs. 1 BVG
in der bis Ende 2011 gültigen Fassung). Neben der Zugehörigkeit zum Kreis der in
Art. 52 BVG
erwähnten Personen setzt die vermögensrechtliche Verantwortlichkeit als weitere kumulative Erfordernisse den Eintritt eines Schadens, die Missachtung einer einschlägigen berufsvorsorgerechtlichen Vorschrift, ein Verschulden sowie einen Kausalzusammenhang zwischen Schaden und haftungsbegründendem Verhalten voraus (
BGE 128 V 124
E. 4a S. 127 f.; SVR 2010 BVG Nr. 5 S. 17, 9C_421/2009 E. 5.2). Es genügt jedes Verschulden, also auch leichte Fahrlässigkeit (
BGE 128 V 124
E. 4e S. 132).
3.2
3.2.1
Gemäss
Art. 56a Abs. 1 BVG
, ebenfalls in der bis Ende 2004 gültig gewesenen Fassung, hat der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen.
Nach dieser Regelung subrogiert der Sicherheitsfonds nicht in die Ansprüche, die der Vorsorgeeinrichtung nach
Art. 52 BVG
BGE 141 V 93 S. 98
zustehen, sondern hat einen eigenen Anspruch, der sich im Unterschied zur Haftung nach
Art. 52 BVG
nicht nur gegen Organe der Stiftung richtet, sondern auch gegen andere Personen, die an der Zahlungsunfähigkeit der Stiftung ein Verschulden trifft. Dass
Art. 56a BVG
nicht von Haftung im engeren Sinn (für ungedeckte Schäden), sondern von Rückgriffsrecht spricht, hängt nicht mit der fehlenden Verantwortlichkeit dieses Personenkreises für die eingetretene Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung und den daraus dem Sicherheitsfonds entstandenen Reflexschaden zusammen. Vielmehr ist diese Terminologie Ausdruck des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Sicherheitsfonds, der zunächst im Schadensfall die Leistungen, welche die zahlungsunfähige Vorsorgeeinrichtung nicht mehr erbringen kann, im Aussenverhältnis sicherstellen muss und alsdann als Haftender für den ihm durch die Sicherstellung entstandenen Schaden die Verantwortlichen direkt regressweise belangen kann (Innenverhältnis), ohne dass vorgängig ein separater verwaltungs- oder zivilrechtlicher Prozess zwecks Feststellung der Haftung der Verantwortlichen angestrengt werden müsste. Damit ist
Art. 56a BVG
für die vom Sicherheitsfonds belangten, nicht schon von
Art. 52 BVG
erfassten Verantwortlichen als massgebliche Haftungsnorm zu verstehen. Obwohl im Wortlaut nicht erwähnt, setzt die Haftung nach
Art. 56a BVG
nebst dem Verschulden auch das Vorhandensein der anderen üblichen Haftungselemente (Schaden; Widerrechtlichkeit bzw. Pflichtwidrigkeit; natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden) voraus (
BGE 135 V 373
E. 2.2 und 2.3 S. 375 f.; Urteil 9C_754/2011 vom 5. März 2012 E. 1.2 mit Hinweis auf
BGE 130 V 277
E. 2.1 S. 280 und SVR 2008 BVG Nr. 33 S. 135, 9C_92/2007 E. 1.3).
3.2.2
Im Rahmen der 1. BVG-Revision erfuhr
Art. 56a Abs. 1 BVG
- auf Antrag der nationalrätlichen Kommission - eine Änderung. Seit 1. Januar 2005 sieht er vor, dass der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, im Zeitpunkt der Sicherstellung im Umfang der sichergestellten Leistungen in die Ansprüche der Vorsorgeeinrichtung eintreten kann. Mit dieser Anpassung wurde eine schnellere Geltendmachung von Ansprüchen durch den Sicherheitsfonds und die Erweiterung von dessen Handlungsspielraum bezweckt. Die Umschreibung des (persönlichen und sachlichen) Geltungsbereichs war zu keinem Zeitpunkt Thema (Protokoll der Sitzung der nationalrätlichen Kommission für soziale
BGE 141 V 93 S. 99
Sicherheit und Gesundheit vom 21./22. Februar 2002 S. 44; Protokoll der Sitzung der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 4./5. November 2002 S. 22). Diesbezüglich kann somit weiterhin auf die zur früheren Regelung ergangene Rechtsprechung (vgl. E. 3.2.1) abgestellt werden.
3.2.3
Zur Neureglung von
Art. 56a BVG
auf das Jahr 2005 wurde kein Übergangsrecht erlassen. Nach den allgemeinen Grundsätzen kommt eine neue Bestimmung nur auf Sachverhalte zur Anwendung, die sich nach dem Inkrafttreten verwirklicht haben. Bezogen auf die Sicherstellungsleistungen des Sicherheitsfonds heisst dies, dass die neue Bestimmung erst für Fälle zur Anwendung kommt, in denen die Sicherstellung nach dem 1. Januar 2005 erfolgte.
In concreto hat der Sicherheitsfonds Ende Dezember 2006 Insolvenzleistungen für die Destinatäre der Stiftung in der Höhe von Fr. 33'000'000.- erbracht. Damit ist die neue, bis Ende 2011 gültige Fassung von
Art. 56a Abs. 1 BVG
anzuwenden.
3.3
Art. 52 Abs. 1 und
Art. 56a Abs. 1 BVG
haben wohl zwei verschiedene "Schadensarten" zum Inhalt, einerseits den Schaden, der bei der Stiftung eingetreten ist (
Art. 52 BVG
), anderseits denjenigen, der beim Beschwerdegegner selber angefallen ist (
Art. 56a BVG
). Dessen ungeachtet ist insofern grundsätzlich
ein
Schaden gegeben, als bei beiden Anspruchsnormen der gleiche Sachverhalt zu Grunde liegt, aus dem in Wechselwirkung der zitierten Gesetzesbestimmungen - Sicherstellung des bei der Vorsorgeeinrichtung entstandenen Schadens durch den Beschwerdegegner - eine kongruente Geldforderung resultiert (Urteil 9C_322/2012 vom 29. November 2012 E. 2.1.1).
Davon zu unterscheiden ist die Frage, unter welchem Rechtstitel gegen wen vorgegangen bzw. wer für welchen Schadensbetrag belangt werden kann. Ersterer Punkt wird nachfolgend angegangen. Auf den zweiten Punkt wird weiter hinten zurückgekommen (vgl. E. 9 hinten).
4.
Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich und richtig festgestellt (nicht publ. E. 1), dass die Stiftung alle ihre Ansprüche, die sie gegen die Beklagten 1-13 zu haben glaubt, somit auch den aus
Art. 52 BVG
fliessenden Verantwortlichkeitsanspruch, formell korrekt an den Beschwerdegegner abgetreten hat. Mit Erklärung vom 13. Dezember 2010 trat dieser zudem gestützt auf
Art. 56a Abs. 1 BVG
in die Verantwortlichkeitsansprüche der Stiftung gegenüber
BGE 141 V 93 S. 100
den Beklagten 1-13 ein. In Anbetracht der Rolle der Beschwerdeführerin als Kontrollstelle steht hier
Art. 52 Abs. 1 BVG
als Anspruchsgrundlage im Vordergrund (vgl. E. 3.1.2 vorne). Sie wird aber auch gestützt auf
Art. 56a BVG
ins Recht gefasst. Nachdem es dabei um ein und denselben Schaden geht (vgl. E. 3.3 vorne), sind mit der Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen von
Art. 52 Abs. 1 BVG
(Schaden, Sorgfaltspflichtverletzung, Verschulden, adäquater Kausalzusammenhang) selbstredend auch diejenigen von
Art. 56a Abs. 1 BVG
erfüllt (vgl. E. 3.2.1 Abs. 2 vorne).
5.
Was den Schaden betrifft, so hat das kantonale Gericht erwogen, die Abflüsse der Stiftung seien bis zur Höhe von Fr. 30'553'230.39 ausreichend substanziiert und würden von der Beschwerdeführerin nicht substanziell bestritten. Sie habe insbesondere nicht geltend gemacht, dass die Abflüsse rechtmässig gewesen sind. Die Beschwerdeführerin ficht diese Erwägungen nicht an. Bei diesen hat es somit sein Bewenden (nicht publ. E. 1).
6.
6.1
Gemäss
Art. 53 Abs. 1 BVG
in der bis Ende 2011 gültigen Fassung bestimmt die Vorsorgeeinrichtung eine Kontrollstelle für die jährliche Prüfung der Geschäftsführung, des Rechnungswesens und der Vermögensanlage.
Den allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz zu den einzelnen Sorgfaltspflichten, denen die Kontrollstelle nachzukommen hat (Art. 35 ff. bzw. Art. 53 ff. der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche Alters- Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVV 2; SR 831.441.1]), worauf an dieser Stelle vollumfänglich verwiesen werden kann, ist anzufügen, dass es sich in Bezug auf
Art. 53 Abs. 1 BVG
nicht um eine laufende Kontrolle und Überwachung handelt. Vielmehr geht es grundsätzlich um eine jährliche, nachträgliche Prüfung (
BGE 137 V 446
E. 6.2.2 S. 449). Die jährliche Prüfung durch die Kontrollstelle hat zum Ziel, rechtliche Unregelmässigkeiten bei der Vorsorgeeinrichtung zu verhindern bzw. offenzulegen. Es ist ein Soll-Ist-Vergleich, dessen Zweck die Feststellung ist, ob und inwieweit die Bestimmungen in Gesetz und Verordnung, aber auch die Anlagerichtlinien der Vorsorgeeinrichtung eingehalten wurden und ob die Rechtmässigkeit der Rechnungsführung, der Vermögensanlage und der Geschäftsführung bestätigt werden kann. Weiter ist die Kontrollstelle verpflichtet, die Gesetzmässigkeit des Handelns der Organe, das interne Kontrollsystem sowie die Rechtmässigkeit
BGE 141 V 93 S. 101
der Vermögensanlagen zu prüfen. Bei der Prüfung der Rechtmässigkeit der Vermögensanlagen wird sowohl eine Bestandes- und Bewertungsprüfung als auch eine Analyse der Vermögenszusammensetzung vorgenommen. Vorab sind die Grundlagendokumente einzusehen und die rechtlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Verhältnisse festzustellen (vgl. zum Ganzen Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, Bd. 4, 2009, S. 219 ff. Ziff. 5.2 und 5.4, welche Grundsätze bereits in der hier fraglichen Zeit Gültigkeit hatten [vgl. Ausgabe aus dem Jahr 1998 S. 198 ff. Rz. 8.142 und 8.143]). Hat die Vorsorgeeinrichtung die Geschäftsführung oder die Verwaltung ganz oder teilweise einem Dritten übertragen, so ist auch die Tätigkeit dieses Dritten zu prüfen (
Art. 35 Abs. 4 BVV 2
in der bis Ende 2011 massgebenden Fassung).
6.2
6.2.1
Für die Geschäftsorganisation der Stiftung war der Umstand charakteristisch, dass zahlreiche Aufgaben an Dritte delegiert wurden:
Bereits in der Stiftungsurkunde wurde die Q. AG als technische Verwalterin bezeichnet. Bei dieser am 24. März 2003 gegründeten Gesellschaft mit Sitz an der gleichen Adresse wie die Stiftung sassen die Beklagten 1-3 von Beginn weg im Verwaltungsrat. Am 22. Dezember 2003 stiess der Beklagte 4 dazu. Mit Leistungsauftrag 1.0 vom 15. Juni 2004 - rückwirkend per 1. Januar 2004 - übertrug die Stiftung die vollständige unternehmerische und fachliche Führung, inkl. derjenigen der in ihr zusammengeschlossenen Vorsorgewerke, auf die Q. AG. Die übertragenen Aufgaben umfassten die fachliche, organisatorische und technische Betreuung der bestehenden Kunden, das ordnungsgemässe administrative und buchhalterische Führen der einzelnen Versicherten- und Rentnerbestände sowie die Führung der dazugehörenden Kassen (Vorsorgewerke), das ordnungsgemässe administrative und buchhalterische Führen der Stiftung und der Stiftungsbuchhaltung inklusive aller notwendigen periodischen Abschlussarbeiten sowie die Kommunikation mit den Aufsichtsorganen und den staatlichen Stellen. Noch am gleichen Tag, d.h. am 15. Juni 2004, übertrug die Q. AG mit Leistungsauftrag 1.1 - ebenfalls rückwirkend auf den 1. Januar 2004 - die unternehmerische und fachliche Führung der Stiftung vollständig weiter an die R. AG, mit Sitz an der identischen Adresse wie die Stiftung und die Q. AG. Als Verwaltungsräte der R. AG amteten u.a. die Beklagten 1 (ab 15. Dezember 2000), 2 (ab 25. Januar 2002) und 4
BGE 141 V 93 S. 102
(ab 18. Mai 2005). Der von ihr zu erfüllende Aufgabenkatalog entsprach dabei praktisch wörtlich demjenigen, der zuvor der Q. AG übertragen worden war.
Die Buchhaltung der Stiftung wurde indessen weder von der Q. AG noch von der R. AG ausgeführt. Diese Aufgabe übernahm die Beklagte 11.
Ebenfalls am 15. Juni 2004 unterzeichnete die Stiftung zwei Agenturverträge mit der R. AG. Diese wurde darin - rückwirkend auf den 1. Januar 2004 - mit der Akquisition von Neukunden beauftragt.
Am 8. Januar 2004 schloss die Stiftung mit der S. Ltd., ansässig in T., einen Vermögensverwaltungsauftrag - rückwirkend auf den 1. November 2003 - ab. Dieser unterlag folgenden Einschränkungen: Die Verwaltungshandlungen waren im Rahmen des vorhandenen Anlagereglements der Stiftung vom 7. April 2003 vorzunehmen. Die S. Ltd. durfte keine Vermögensverwaltungsaktivitäten entfalten, ohne dass das Deckungskapital jederzeit zu 100 % abgesichert war, bzw. nur solche Geschäfte abschliessen, welche eine Wertverminderung des Deckungskapitals ausschlossen. Dazu wurde ausdrücklich festgehalten, dass das Deckungskapital jederzeit im Besitz der Stiftung verblieb. Die beauftragte Vermögensverwalterin war auch nicht berechtigt, zur Verwaltung anvertraute Vermögenswerte an sich selbst oder an Dritte zu überweisen bzw. ausliefern zu lassen. Schliesslich wurde klargestellt, dass auf das noch zu definierende Bankkonto, auf welchem das Deckungskapital zu deponieren war, ausschliesslich Organe der Stiftung Zugriff haben durften. Der S. Ltd. wurden über die im Vertrag eingeräumten Rechte hinaus keine weiteren Rechte an den Vermögenswerten auf dem Bankkonto eingeräumt.
Anfangs Juni 2004 schloss die Stiftung einen (weiteren) umfassenden Vermögensverwaltungsauftrag - ebenfalls rückwirkend auf den 1. November 2003 - mit der U. AG ab, welcher die Beklagten 4 und 13 als Verwaltungsräte angehörten. Der Auftrag war mit Blick auf das weitgehende freie Ermessen und die zu beachtenden Einschränkungen identisch abgefasst wie der zuvor erwähnte Vertrag mit der S. Ltd. Ein wesentlicher Unterschied bestand darin, dass im Vertrag ein Bankkonto (Haupt-Nr. ...) bei der V. AG vordefiniert wurde. Am 16. Juni 2005 verlegte die U. AG ihren Sitz an die gleiche Adresse wie die Stiftung, die Q. AG und die R. AG.
Mit einer Verwaltungsvollmacht für Finanzintermediäre vom 19. September 2003 räumte die Stiftung der Beklagten 12 das Recht ein,
BGE 141 V 93 S. 103
die unter der Stammnummer ... bei der V. AG deponierten Vermögenswerte ohne jede Einschränkung zu verwalten.
Am 12. Februar 2004 räumte die Stiftung der Beklagten 12 erneut eine umfassende Verwaltungsvollmacht für Finanzintermediäre ein. Diesmal betraf es die Konti unter der Stammnummer ... bei der V. AG. Die Kontogruppe wurde auf dem Formular näher mit "Rubrik: R. AG" bezeichnet.
Im September 2004 wurde die X. AG gegründet, welche die "Entwicklung und Realisierung von Immobilienprojekten aller Art sowie Beratung bei Immobilienprojekten hauptsächlich in der Schweiz" bezweckte. Ihrem Verwaltungsrat gehörten u.a. die Beklagten 1 (Präsident) und 4 an.
6.2.2
Die Beschwerdeführerin war Revisionsstelle verschiedener Gesellschaften im Umfeld der Stiftung, nämlich bei der R. AG (seit Juni 2004), der Q. AG (seit Februar 2004), der X. AG (seit der Gründung im September 2004) sowie bei der Y. GmbH (seit Dezember 2004). Letztere Gesellschaft wurde vom Beklagten 4 und dessen Ehefrau geführt. Die Beschwerdeführerin musste sich demnach der überlappenden Verantwortlichkeiten auf der
Führungsebene
bewusst sein. Diese Konstellation barg, in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, bereits ex ante ein beträchtliches Risiko. Weder der Umstand, dass in den übrigen Funktionen verschiedene qualifizierte und voneinander unabhängige Personen zuständig waren, noch dass die Stiftungsräte "nur" über eine Kollektivzeichnungsberechtigung verfügten, wie die Beschwerdeführerin vorbringt, vermögen an dieser Einschätzung etwas zu ändern. Gerade die Interessenkonflikte, welche die Stiftung mit dem rund um sie aufgebauten Firmenkonglomerat hervorgerufen hat, wie auch der - mit Blick auf die damit geschaffene Komplexität - zahlenmässig kleine Stiftungsrat und die Tatsache, dass alle massgebenden Geschäftsentscheide der Stiftung immer von den gleichen (zwei) Personen getroffen werden konnten resp. bei den verschiedenen Gesellschaften jeweils die gleichen Personen dem obersten Organ angehörten, hätten die Beschwerdeführerin umso aufmerksamer machen sollen. Insbesondere drängte sich bei der hier gegebenen Komposition der Einbau einer internen Kontrolle auf. Nach - für das Bundesgericht verbindlicher (nicht publ. E. 1.1) - Feststellung der Vorinstanz verfügte die Stiftung über kein internes Kontrollsystem und die Beschwerdeführerin hat sich nie nach einem solchen erkundigt.
BGE 141 V 93 S. 104
Im Weiteren hat das kantonale Gericht - ebenfalls verbindlich (nicht publ. E. 1.1) - festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keine Abklärungen durchgeführt hat, ob und inwieweit die (ursprünglichen) Stiftungsräte 2, 3 und 4 über die erforderlichen Erfahrungen für ihr Amt verfügten; solche fehlten in der Tat. Hinsichtlich des Beklagten 1 durfte die Beschwerdeführerin wohl davon ausgehen, dass es sich um einen erfahrenen Versicherungsbroker handelte. Dass (zumindest) er Erfahrung in Bezug auf die institutionelle Anlageorganisation und Tätigkeit vorweisen konnte, auf welche es in der Geschäftsführung von Vorsorgeeinrichtungen ankommt, durfte sie jedoch, wie die Vorinstanz nicht offensichtlich unrichtig festgestellt hat (nicht publ. E. 1.1), nicht annehmen. Gleichermassen hat es die Beschwerdeführerin unterlassen, zu überprüfen, ob die Beklagte 12 und ihr einziger Verwaltungsrat, der Beklagte 13, über Erfahrungen im Bereich der institutionellen Vermögensanlage, vor allem im Bereich der Anlage von Pensionskassengeldern mit den diesbezüglich zu beachtenden BVV 2-Restriktionen, vorweisen konnten. Ebenso wenig hat sie sich einen Vermögensverwaltungsauftrag mit der Beklagten 12, die ihr als Vermögensverwalterin der Stiftung bekannt gegeben wurde, zeigen lassen; auch einen solchen gab es nicht. Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift sind nicht geeignet, die vom kantonalen Gericht festgestellte Sachlage als offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen, noch erweist sich die vorinstanzliche Schlussfolgerung, dass sich in concreto immerhin ein mittleres Risiko offenbarte, das unweigerlich nach einem höheren Kontrollbedarf rief, als sonst wie bundesrechtswidrig.
6.2.3
Nach Annahme der Beschwerdeführerin hätten am 31. Dezember 2004 über 90 % des gesamten Stiftungsvermögens als Liquidität auf einem Konto bei der V. AG vorhanden sein sollen. Diese von der Vorinstanz getroffene Sachverhaltsfeststellung ist nicht offensichtlich unrichtig (nicht publ. E. 1.1). In einer E-Mail vom 25. Mai 2005 an die Buchhalterin brachte einer der (zwei) Mandatsleiter der Beschwerdeführerin selber zum Ausdruck, dass es sich bei den noch nachzuweisenden Mitteln um ein Bankguthaben handelt. Auch in einer weiteren E-Mail vom 26. Mai 2005 sprach er von der "Problematik Ausweis flüssige Mittel". Dazu kommt, dass der von der Beklagten 12 kommunizierte Saldo von Fr. 18'618'701.70 per 31. Dezember 2004 exakt dem Saldo des Buchhaltungskontos "Bankkonto ... (V. AG)" entsprach. Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, die vorinstanzliche Sichtweise sei für sie neu und stelle eine Verletzung
BGE 141 V 93 S. 105
des rechtlichen Gehörs dar, lässt sie ausser Acht, dass eine Tatsache (eine solche bildet auch die Beweiswürdigung), die sich aus den Akten ergibt, nicht neu ist.
Die Stiftung war nicht in der Lage, für ihr Hauptaktivum in der Höhe von Fr. 18'618'701.70 einen Beleg vorzulegen. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (nicht publ. E. 1.1) hatte die Beschwerdeführerin, nachdem sie um einen entsprechenden Nachweis gebeten hatte, zwischen Februar und März 2005 drei Mal untaugliche Bestätigungen erhalten. Wohl ist der Abschlussprüfer nicht gehalten, nach deliktischen Handlungen zu suchen resp. per se die Integrität der Geschäftsleitung anzuzweifeln. Auf Grund des bestehenden mittleren Risikos (vgl. E. 6.2.2 vorne) war die Beschwerdeführerin aber von Anfang an zu einer höheren Wachsamkeit und kritischeren Haltung als sonst üblich angehalten und kann sich nicht darauf berufen, von keiner Seite auf Aspekte hingewiesen worden zu sein, die zu erhöhter Vorsicht gemahnt hätten. Angesichts der unbestrittenen Verpflichtung, die Jahresrechnung 2003/2004 bis spätestens 30. Juni 2005 beim BSV einzureichen, und angesichts des Umstandes, dass es letztlich um nicht mehr als einen simplen Kontoauszug ging, hätte sie daher, in Übereinstimmung mit der Vorinstanz, ab 1. April 2005 genauer hinsehen müssen. Wohl hat die Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 19. Januar 2005 auf die Möglichkeit einer Fristerstreckung hingewiesen. Von einer routinemässigen Erstreckung durfte die Beschwerdeführerin jedoch nicht ausgehen, zumal das Gesuch schriftlich und begründet vor Ablauf der Frist einzureichen war (vgl. auch E. 8.2 Abs. 2 hinten). Ein genaueres Hinsehen (ab 1. April 2005) lag auch auf der Hand, weil die Beschwerdeführerin - anders als sie glauben zu machen versucht - nicht auf eine funktionierende interne Kontrolle vertrauen konnte (vgl. E. 6.2.2 vorne). Lässt sich die Hauptposition der Bilanz als solche nicht hinreichend belegen, ist - bei den gegebenen Verhältnissen - eine Detailprüfung angesagt. Das Einfordern der Bankbestätigung stellt keine solche Detailprüfung dar, wie die Beschwerdeführerin meint, sondern ist Teil der allgemeinen Pflicht, die Positionen der Vermögensanlage umfassend auf die formelle Abstimmung mit Bestandesnachweisen zu prüfen (Schweizer Handbuch der Wirtschaftsprüfung, a.a.O., S. 231 Ziff. 5.5.2). Die Vorinstanz hat detailliert und überzeugend dargelegt, weshalb es für die Beschwerdeführerin angezeigt und vertretbar gewesen wäre, das "Bankkonto ... (V. AG)" genauer anzusehen, und auf welche Ungereimtheiten sie dabei
BGE 141 V 93 S. 106
gestossen wäre. Gemäss den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen (nicht publ. E. 1.1) hätte die Beschwerdeführerin auf jeden Fall rasch - spätestens Mitte Mai 2005 - herausgefunden, dass gemäss Buchhaltung im Laufe des Jahres 2004 insgesamt 11,25 Mio. Fr. in Form von Darlehen vom Konto Z. aus dem unmittelbaren Zugriffsbereich der Stiftung abgeflossen sind und per 31. Dezember 2004 alle diese über das Jahr gewährten Darlehen im Rahmen einer einzigen Transaktion auf das V.-Konto zurückbezahlt wurden, ohne dass sich die Rückbuchung belegen liess. Ab diesem Zeitpunkt durfte die Beschwerdeführerin die fragliche Aktivposition nicht (mehr) als vollständig vorhanden und echt betrachten und es wäre umgehend die Aufsichtsbehörde zu benachrichtigen gewesen (
Art. 36 Abs. 3 BVV 2
in der bis Ende 2011 gültigen Fassung).
Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass auch die Niederlegung des Mandats die gewünschte Wirkung bei der Aufsichtsbehörde nicht verfehlt hätte. Wie das kantonale Gericht für das Bundesgericht verbindlich (nicht publ. E. 1.1) festgestellt hat, hat die Beschwerdeführerin weder gegenüber der Aufsichtsbehörde noch gegenüber den übrigen Stiftungsräten (der Stiftungsrat wurde im Herbst 2005 aufgestockt), jemals Signale ausgesendet, aus denen auf eine gravierende Lage beim Stiftungsvermögen und im Rechnungswesen hätte geschlossen werden können; im Gegenteil hat sie, auch als die Abnahme der Jahresrechnung 2003/2004 längst überfällig gewesen ist, nach aussen immer noch die Haltung vertreten, dass lediglich eine vergleichsweise geringfügige Pendenz, gewissermassen eine Formalität, nachzuholen sei. Die Beschwerdeführerin bringt vor, mit der Bestätigung, "die operativen Geschäfte der Stiftung (würden) einwandfrei geführt", nicht die Vermögensanlage gemeint zu haben. Dabei scheint sie zu übersehen, dass das "Gegenstück" zum operativen Geschäft die strategische Entscheidfindung ist und der Bereich der Vermögensanlage ebenfalls dieser "Zweiteilung" unterliegt (ERICH PETER, Leitfaden für Stiftungsräte, Führungsaufgaben und -prozesse in Vorsorgeeinrichtungen, 2014, S. 31). Es kann daher keine Rede davon sein, das kantonale Gericht habe die Aussage der Beschwerdeführerin überbewertet. Die blosse Verweigerung der Revision vermochte bei der hier vermittelten Situation kein Ausrufezeichen zu setzen.
6.2.4
Die Gewährung von (diversen) Fristerstreckungen seitens des BSV hat die Beschwerdeführerin nicht von ihrer (fortzuführenden) Prüfungspflicht in Bezug auf die Jahresrechnung 2003/2004
BGE 141 V 93 S. 107
entbunden. Entgegen ihrer Ansicht wurde die Angelegenheit dadurch nicht von der Aufsichtsbehörde übernommen: Diese darf sich - im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung - auf das versicherungstechnische Gutachten und das Testat der Kontrollstelle verlassen. Nur in Einzelfällen, wenn die Berichte als nicht plausibel erscheinen, muss sie diese überprüfen resp. überprüfen lassen (vgl. Art. 36 [in der hier massgebenden Fassung] und
Art. 41 BVV 2
). "In maiore minus" kann es daher - so wie es grundsätzlich keine "Kontrollrepetitionen" gibt - nicht sein, dass die Aufsichtsbehörde, indem sie für die (ordentliche) Berichterstattung der Kontrollstelle eine Nachfrist gewährt, in deren Pflichten "eintritt". Andernfalls könnte sich eine jede Kontrollstelle mit dem Hinauszögern ihrer Berichterstattung leicht aus der Verantwortung stehlen. Im Übrigen war die Stiftung und nicht die Beschwerdeführerin Adressatin der gewährten Fristerstreckungen, mithin Ersterer und nicht Letzterer eine "Verschnaufpause" verschafft wurde.
Dass die Aufsichtsbehörde während der Fristerstreckung keine Massnahmen zur Behebung des ihr bekannten Mangels getroffen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Hier bestand der Mangel darin, dass die Beschwerdeführerin die Jahresrechnung wegen eines fehlenden Bankbelegs "im formellen Sinn" noch nicht testieren konnte. Von einem nicht ordnungsgemässen Zustand (vgl.
Art. 36 Abs. 2 und 3 BVV 2
in der hier gültigen Fassung) hatte die Aufsichtsbehörde keine Kenntnisse (vgl. E. 6.2.3 Abs. 3 vorne). Sie hatte deshalb auch keine Veranlassung, irgendwelche (repressiven) Massnahmen zu treffen. Die Beschwerdeführerin ficht die vorinstanzliche Feststellung, sie sei mit der Aufsichtsbehörde nie im Zusammenhang mit
Art. 36 Abs. 3 BVV 2
in Kontakt gestanden, nicht an. Ihren angeblich geäusserten Bedenken wegen des weiteren Zuwartens seitens des BSV Ende 2005 resp. anfangs 2006 kommt daher keine entscheidrelevante Bedeutung zu (vgl. auch E. 8.2 Abs. 2 hinten). Die vorinstanzliche Würdigung erweist sich im Ergebnis weder als unhaltbar noch sonst wie als bundesrechtswidrig.
7.
Vor dem Hintergrund des in E. 6.2 Gesagten stellt die Passivität der Beschwerdeführerin ein grobfahrlässiges und schuldhaftes Verhalten dar. Allein ihre Fehleinschätzung bezüglich des Kontrollrisikos und ihre Versäumnisse in der Grundlagenabklärung (vgl. E. 6.2.2 vorne) sowie die sich daraus ergebende ungenügende Überprüfung der Buchhaltung (vgl. E. 6.2.3 vorne) sind als besonders gravierend anzusehen. Eine durchschnittlich sorgfältige Kontrollstelle hätte sich
BGE 141 V 93 S. 108
bei der gegebenen Ausgangslage nicht während mehr als einem Jahr damit abgefunden, dass ihre Mandantin nicht in der Lage war, einen simplen Bankbeleg der V. AG zu produzieren, um damit den Nachweis über 90 % des Stiftungsvermögens erbringen zu können. Eine durchschnittlich sorgfältige Kontrollstelle hätte sich von ihrer Mandantin nicht hinhalten lassen, sondern sie hätte sich die Kontoposition in der Buchhaltung der Stiftung, welche den fraglichen Vermögensstand per Ende 2004 wiedergab, kritisch angeschaut und wäre den wenigen Buchungen, die im Geschäftsjahr 2003/2004 auf diesem Konto vorgenommen worden waren (nach unbestrittener Feststellung der Vorinstanz handelte es sich um lediglich neun Buchungen), nachgegangen. Indem die Beschwerdeführerin zudem ihre Prüfungstätigkeit eingestellt hatte, als die Aufsichtsbehörde der Stiftung mehrfach Fristerstreckungen zur Einreichung der testierten Jahresrechnung gewährte, hat sie in Ausserachtlassung der Kontrollpyramide, die sich in der beruflichen Vorsorge findet, ebenfalls grobfahrlässig gehandelt. Damit hat sie (zusätzlich) Raum für ein freies Agieren und einen fortgesetzten Abfluss der Stiftungsmittel geschaffen. Weiterungen bezüglich allfällig anderer Pflichtverletzungen bedarf es nicht.
8.
8.1
Zwischen der pflichtwidrigen Handlung und dem eingetretenen Erfolg muss ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehen. Die natürliche Kausalität ist gegeben, wenn ein Handeln Ursache im Sinn einer condicio sine qua non für den Eintritt eines Erfolgs ist. Dies ist eine Tatfrage. Rechtsfrage ist demgegenüber, ob zwischen der Ursache und dem Erfolgseintritt ein adäquater Kausalzusammenhang besteht (
BGE 132 III 715
E. 2.2 S. 718 mit Hinweisen).
Im Fall einer Unterlassung bestimmt sich der Kausalzusammenhang danach, ob der Erfolg auch bei Vornahme der unterlassenen Handlung eingetreten wäre. Es geht um einen hypothetischen Kausalverlauf, für den nach den Erfahrungen des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprechen muss (
BGE 124 III 155
E. 3d S. 165 f.). Grundsätzlich unterscheidet die Rechtsprechung auch bei Unterlassungen zwischen natürlichem und adäquatem Kausalzusammenhang. Während bei Handlungen die wertenden Gesichtspunkte erst bei der Beurteilung der Adäquanz zum Tragen kommen, spielen diese Gesichtspunkte bei Unterlassungen in der Regel schon bei der Feststellung des hypothetischen
BGE 141 V 93 S. 109
Kausalverlaufs eine Rolle. Es ist daher bei Unterlassungen in der Regel nicht sinnvoll, den festgestellten oder angenommenen hypothetischen Geschehensablauf auch noch auf seine Adäquanz zu prüfen. Die Feststellungen des Sachrichters im Zusammenhang mit Unterlassungen sind daher entsprechend der allgemeinen Regel über die Verbindlichkeit der Feststellungen zum natürlichen Kausalzusammenhang für das Bundesgericht bindend (nicht publ. E. 1.1). Nur wenn die hypothetische Kausalität ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung - und nicht gestützt auf Beweismittel - festgestellt wird, unterliegt sie der freien Überprüfung durch das Bundesgericht (
BGE 132 III 305
E. 3.5 S. 311,
BGE 132 III 715
E. 2.3 S. 718 f.;
BGE 115 II 440
E. 5a S. 447 f.; je mit Hinweisen; im Strafrecht: Urteil 6B_779/2009 vom 12. April 2010 E. 3.3.2).
8.2
Die Vorinstanz hat sich zur Begründung des (hypothetischen und gleichzeitig adäquaten) Kausalzusammenhangs ausschliesslich auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt. Indes kann - auch bei einer freien Prüfung - nicht der beschwerdeführerischen Sicht der Dinge gefolgt werden.
Selbst wenn es zutrifft, dass das BSV grosszügig Fristen erstreckte und Termine zurückhaltend ansetzte, wovon die Beschwerdeführerin übrigens erst im Nachhinein Kenntnis erlangt hat, lässt sich daraus nicht zwingend der Schluss ableiten, die Aufsichtsbehörde hätte in jedem Fall - auch wenn die Beschwerdeführerin die Sache mit der Bankbestätigung als schwerwiegendes Problem erkannt hätte - nicht weiter reagiert. In der Notwendigkeit, dass die Abgabefrist für den Jahresabschluss erstreckt werden musste, kann hier kein Mangel im Sinne von
Art. 36 Abs. 2 BVV 2
(in der bis Ende 2011 gültigen Fassung) erblickt werden. Wie die Beschwerdeführerin selber einräumt, ging sie damals bloss von einer technisch bedingten Verzögerung und damit nicht von einem unordnungsgemässen Zustand aus (vgl. auch E. 6.2.4 Abs. 2 vorne). Hätte sie dagegen ihre Handlungspflichten wahrgenommen, d.h. die Vermögensanlage und Buchhaltung überprüft und die sich dabei offenbarenden
groben Rechtsverletzungen
(vgl. E. 6.2.3 vorne) spätestens Mitte Mai 2005 der Aufsichtsbehörde gemeldet, sprechen die Erfahrungen des Lebens und der gewöhnliche Lauf der Dinge mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass das BSV die erst im Juli 2006 ergriffenen sichernden Massnahmen umgehend angeordnet hätte. Damit wäre eine weitere Vergrösserung des Schadens verhindert und die Chance auf eine Rückführung abgeflossener Stiftungsmittel erhöht worden.
BGE 141 V 93 S. 110
Gemäss Darlegung der Beschwerdeführerin will sie im Dezember 2005 gegenüber dem BSV "ihre Bedenken über die immer wieder erneuerten Fristerstreckungen" ausgedrückt haben. Dabei habe das BSV zu verstehen gegeben, dass es nicht wie in einem anderen Fall, in dem sie zu schnell Massnahmen ergriffen habe, gerügt werden wolle. Dies ist insoweit nachvollziehbar, als es tatsächlich nur um ein technisches Problem gegangen wäre. Dass jener "andere Fall" aber insoweit vergleichbar ist, als dort - anders als hier (vgl. E. 6.2.3 Abs. 3) - die Aufsichtsbehörde klare Informationen über grobe Rechtsverletzungen hatte, macht die Beschwerdeführerin nicht einmal ansatzweise geltend. Abgesehen davon, dass es daher auch aus diesem Grund gerechtfertigt ist, auf die Edition der Strafakten zu verzichten (nicht publ. E. 2.1), bildet das Verhalten des BSV Streitgegenstand eines separaten Verfahrens (nicht publ. E. 2.3).
8.3
Eine Haftungsbeschränkung wegen mitwirkenden Drittverschuldens zieht das Bundesgericht bloss als eher theoretische Möglichkeit in Betracht, die, wenn überhaupt, nur bei einer ausgesprochen exzeptionellen Sachlage von praktischer Bedeutung sein kann; so etwa, wenn das Verschulden des in Anspruch genommenen Haftpflichtigen als so leicht erscheint und in einem derartigen Missverhältnis zum Verschulden des Dritten steht, dass es offensichtlich ungerecht wäre, wenn jener den ganzen Schaden tragen müsste (z.B.
BGE 140 V 405
E. 6.1 S. 417; Urteil 9C_328/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 2.3). Von einer solchen Konstellation kann hier nicht gesprochen werden.
Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, sie sei von den Beklagten 1, 4 und 13 aktiv davon abgehalten worden, ihre Aufgabe zu erfüllen. So oder anders erweist sich die Sorgfaltspflichtverletzung, welche die Beschwerdeführerin begangen hat und ausschliesslich in ihrem Verantwortungsbereich anzusiedeln ist, als derart grundlegend (vgl. E. 6.2.2 und 6.2.3 vorne), dass sie selbst bei - ebenfalls (vgl. E. 7 vorne) - grobem pflichtwidrigem Verhalten weiterer Protagonisten, mithin auch des BSV, nicht komplett in den Hintergrund gedrängt resp. zur absoluten Bedeutungslosigkeit degradiert wird.
9.
Zusammenfassend sind sämtliche Haftungsvoraussetzungen von Art. 52 Abs. 1 bzw.
Art. 56a BVG
erfüllt. Es ist sowohl ein Schaden (E. 5) als auch eine Sorgfaltspflichtverletzung (E. 6) sowie ein Verschulden (E. 7) und ein adäquater Kausalzusammenhang (E. 8) gegeben. Zu prüfen bleibt, für welchen Schadensbetrag die Beschwerdeführerin vom Sicherheitsfonds belangt werden kann.
BGE 141 V 93 S. 111
9.1
Die Personen, für welche die Haftungsvoraussetzungen von adäquater Verursachung, Pflichtwidrigkeit und Verschulden gegeben sind, haften untereinander solidarisch. Haben sie den Schaden gemeinsam verursacht und gemeinsam verschuldet, besteht echte Solidarität mit der Folge, dass jede einzelne Person für den ganzen Schaden einzustehen hat. Haben sie unabhängig voneinander gehandelt, haftet jeder Einzelne nur in dem Umfang, in dem er den Schaden verursacht hat (unechte Solidarität). Mit anderen Worten ist Solidarität nur im Ausmass des von der einzelnen Person zu Verantwortenden gegeben. Diese allgemeine Regel gilt auch bezüglich
Art. 56a BVG
(
BGE 139 V 176
E. 8.5 S. 190 f. mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung; vgl. auch ISABELLE VETTER-SCHREIBER, BVG, FZG: Kommentar, 3. Aufl. 2013, N. 3 zu
Art. 56a BVG
), welche Bestimmung im vorliegend zu erörternden Punkt vor allem interessiert, da sie - was den haftpflichtigen Personenkreis betrifft - über die Organhaftung hinausgeht (vgl. E. 3.2.1 Abs. 2 vorne).
9.2
Die mit
Art. 759 Abs. 1 OR
eingeführte differenzierte Solidarität bedeutet, dass der Umfang der Ersatzpflicht eines solidarisch Haftenden im Aussenverhältnis individuell bestimmt wird. Der Haftpflichtige kann demnach den Geschädigten gegenüber geltend machen, dass ihn kein oder nur ein geringes Verschulden treffe oder für ihn allenfalls ein anderer Herabsetzungsgrund nach
Art. 43 Abs. 1 und
Art. 44 OR
gelte (Urteil 6B_54/2008 vom 9. Mai 2008 E. 10.4 m.H. auf
BGE 132 III 564
E. 7 S. 577 f.; GERICKE/WALLER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. II, 4. Aufl. 2012, N. 4 zu
Art. 759 OR
).
Es kann (weiterhin) offenbleiben (vgl.
BGE 128 V 124
E. 4g S. 133 hinsichtlich
Art. 52 BVG
), ob die im Aktienrecht beheimatete differenzierte Solidarität auch in Bezug auf die berufsvorsorgerechtliche Schadenersatzpflicht gelten soll (vgl. dazu immerhin RITA TRIGO TRINDADE, Fondations de prévoyance et responsabilité: développements récents, in: Institutions de prévoyance: devoirs et responsabilité civile, Trigo Trindade/Anderson [Hrsg.], 2006, S. 161 f.; vgl. auch
Art. 53 Abs. 1
bis
BVG
, gültig bis Ende 2011). Herabsetzungsgründe nach
Art. 43 Abs. 1 OR
und nach dem hier in Frage kommenden
Art. 44 Abs. 2 OR
sind nicht gegeben. Die Pflichtverletzungen der Beschwerdeführerin sind als grobfahrlässig anzusehen (vgl. E. 7 vorne). Ein mildernder Umstand ist weder ersichtlich noch geltend gemacht.
BGE 141 V 93 S. 112
9.3
Die Vorinstanz beziffert den Schaden, für den die Beschwerdeführerin in zeitlicher Hinsicht verantwortlich zeichnet (ab 30. Juni 2005), auf Fr. 9'130'000.-. Diese Summe ist rechnerisch unbestritten. An den Beginn der Zurechenbarkeit (vgl. E. 6.2.2 vorne), welchen das kantonale Gericht aus prozessualen Gründen auf den 30. Juni 2005 festgelegt hat, ist das Bundesgericht gebunden (
Art. 107 Abs. 1 BGG
). | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d0b024a6-1dd6-4428-a280-6148dd773ea0 | Urteilskopf
113 Ia 247
40. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11. August 1987 i.S. Solothurner Heimatschutz gegen Einwohnergemeinde Solothurn und Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
; Beschwerdelegitimation ideeller kantonaler Organisationen in Planungssachen.
1. Die in
Art. 12 NHG
enthaltene Beschwerdebefugnis gilt nicht für die staatsrechtliche Beschwerde und ohnehin nicht für eine - wie in casu - nicht gesamtschweizerische, sondern nur kantonale Organisation.
Voraussetzungen, unter denen eine kantonale ideelle Organisation zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist.
2. Das solothurnische Recht kennt keine Vorschrift, welche ideelle Organisationen der Art des Solothurner Heimatschutzes zur Einsprache bzw. Beschwerde in Planungssachen ermächtigen würde. Die Auffassung, solche kantonale Organisationen seien mit Bezug auf Planungsfragen im Einsprache- und Beschwerdeverfahren nach solothurnischem Recht nur dann legitimiert, wenn sie selber oder eine grosse Zahl ihrer Mitglieder von der in Frage stehenden Planungsmassnahme in ihren eigenen schutzwürdigen Interessen mehr als die Allgemeinheit betroffen seien, ist verfassungsrechtlich haltbar. | Sachverhalt
ab Seite 248
BGE 113 Ia 247 S. 248
Der Einwohner-Gemeinderat der Stadt Solothurn (Gemeinderat) legte den Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik und die dazugehörigen Sonderbauvorschriften öffentlich auf. Während der Auflagefrist erhob der Solothurner Heimatschutz gegen diesen Gestaltungsplan Einsprache. Da der Gemeinderat den Solothurner Heimatschutz nicht für legitimiert hielt, trat er am 4. November 1986 nicht auf die Einsprache ein. Gegen diesen Entscheid führte der Solothurner Heimatschutz Beschwerde. Mit Entscheid vom 23. März 1987 wies der Regierungsrat des Kantons Solothurn die Beschwerde ab und genehmigte den Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik der Einwohnergemeinde Solothurn im Sinne der Erwägungen.
Hiergegen führt der Solothurner Heimatschutz beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
, mit der er beantragt, der Entscheid vom 23. März 1987 sei aufzuheben; der Regierungsrat sei zu verhalten, die Beschwerdelegitimation des Solothurner Heimatschutzes anzuerkennen und dessen Beschwerde gegen den Entscheid des Gemeinderates von Solothurn betreffend Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik in Solothurn materiell zu behandeln.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf eingetreten werden kann.
BGE 113 Ia 247 S. 249
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Legitimation zur Erhebung der staatsrechtlichen Beschwerde, d.h. die Berechtigung des Beschwerdeführers, die behauptete Rechtsverletzung im eigenen Namen geltend zu machen, prüft das Bundesgericht frei und von Amtes wegen (
BGE 112 Ia 176
E. 2;
BGE 111 Ia 147
).
Gemäss
Art. 88 OG
steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse oder Verfügungen erlitten haben. Nach ständiger Rechtsprechung ermöglicht die staatsrechtliche Beschwerde dem Beschwerdeführer somit lediglich die Geltendmachung seiner rechtlich geschützten Interessen. Zur Verfolgung rein tatsächlicher Interessen oder allgemeiner öffentlicher Interessen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht gegeben (
BGE 112 Ia 177
E. 3;
BGE 110 Ia 74
E. 1 mit weiteren Hinweisen). Der Beschwerdeführer begründet seine Legitimation zur Führung der staatsrechtlichen Beschwerde nicht. Er erhebt sie ausschliesslich im eigenen Namen. Sie dürfte somit als Verbandsbeschwerde, vermutlich als solche einer ideellen Organisation, gemeint sein.
Der Beschwerdeführer wendet sich nicht materiell gegen den Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik der Einwohnergemeinde Solothurn. Hiezu wäre er nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes mit einer Verbandsbeschwerde einer ideellen Organisation auch nicht legitimiert. Die in Art. 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG) enthaltene Beschwerdebefugnis gilt nicht für die staatsrechtliche Beschwerde (unveröffentlichte Bundesgerichtsentscheide vom 9. April 1985 i.S. Schweizer Heimatschutz, vom 11. Oktober 1984 i.S. Section jurassienne de la ligue suisse du patrimoine, vom 2. Juni 1983 i.S. Aargauischer Bund für Naturschutz, vom 11. Mai 1983 i.S. Demokratische Alternative Thun-Oberland, vom 9. Juli 1980 i.S. Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege, vom 27. Juni 1979 i.S. Verein zur Erhaltung und Pflege des Landschafts- und Ortsbildes von Erlach und vom 18. April 1978 i.S. Ligue vaudoise pour la protection de la nature, E.1, mit Hinweis); abgesehen davon handelt es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine gesamtschweizerische Vereinigung.
Als privatrechtlicher Verein könnte dem Solothurner Heimatschutz die Beschwerdelegitimation in der Sache selbst daneben
BGE 113 Ia 247 S. 250
allenfalls zur Wahrung eigener Interessen (z.B. als Grundeigentümer) oder von Interessen seiner Mitglieder zu stehen. Nach der neuesten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist zur Anfechtung eines Nutzungsplanes mit staatsrechtlicher Beschwerde sowohl der Eigentümer eines vom Plan erfassten Grundstückes befugt als auch der Eigentümer einer benachbarten Liegenschaft, der geltend macht, die Planfestsetzung verletze ihn in seinen verfassungsmässigen Rechten, weil dadurch Normen, die auch seinem Schutz dienten, nicht mehr oder in geänderter Form gelten würden, oder weil sie die Nutzung seiner Liegenschaft beschränke. In beiden Fällen reicht die Anfechtungsbefugnis nur so weit, als die Auswirkungen des Planes auf das eigene Grundstück in Frage stehen (
BGE 112 Ia 91
ff. E. 3 mit Hinweisen). Die Legitimationsvoraussetzungen wären aber bei dieser Variante nur erfüllt, wenn die Legitimation des Vereins selbst gegeben wäre, oder wenn die Mehrheit oder mindestens eine Grosszahl der Mitglieder des Solothurner Heimatschutzes betroffen und zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert wäre (
BGE 112 Ia 33
E. 2a mit Hinweisen). Das ist im vorliegenden Fall weder nachgewiesen noch aus den Akten ersichtlich. Dieser Frage muss jedoch nicht weiter nachgegangen werden, da - wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen - auf sämtliche vom Beschwerdeführer in rechtsgenüglicher Form vorgebrachten Rügen aus einem anderen Grund materiell einzutreten ist.
3.
Trotz fehlender Legitimation in der Sache selbst kann der Beschwerdeführer die Verletzung von kantonalen Verfahrensvorschriften rügen, sofern diese auf eine Rechtsverweigerung hinausläuft. Die Befugnis, einen Entscheid wegen formeller Rechtsverweigerung anzufechten, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes nicht von der Legitimation in der Sache selbst ab. Wer an einem kantonalen Verfahren beteiligt war, kann in jedem Fall die Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund von
Art. 4 BV
zustehen (
BGE 112 Ia 95
E. 2d, 178 E. 3c;
BGE 109 Ib 180
E. 2;
BGE 107 Ia 185
E. 3c;
BGE 106 Ib 133
E. 3;
BGE 105 Ia 276
E. 2d mit Hinweisen). Vorausgesetzt ist einzig ein aktuelles Interesse. Ein solches ist grundsätzlich gegeben, wenn eine formelle Rechtsverweigerung geltend gemacht wird; jedermann, auf dessen kantonales Rechtsmittel nicht eingetreten wurde, hat ein aktuelles Interesse daran, eine solche Entscheidung auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen zu lassen (
BGE 108 Ib 124
/125 E. 1a und
BGE 107 Ib 164
mit
BGE 113 Ia 247 S. 251
Hinweisen; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 115).
4.
Der Beschwerdeführer erblickt eine formelle Rechtsverweigerung darin, dass der Regierungsrat ihm in Übereinstimmung mit dem Gemeinderat die Legitimation zur Einsprache gegen den Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik abgesprochen und entschieden hat, der Gemeinderat sei zu Recht auf seine Einsprache nicht eingetreten.
Gemäss § 16 des Baugesetzes des Kantons Solothurn vom 3. Dezember 1978 (BauG) kann während der Auflagefrist jedermann, der durch den Nutzungsplan berührt ist und an dessen Inhalt ein schutzwürdiges Interesse hat, beim Gemeinderat Einsprache erheben.
a) Der Regierungsrat erachtet im Lichte dieser Vorschrift nur zur Einreichung einer Planeinsprache berechtigt, wer durch den Plan mehr als irgend jemand oder die Allgemeinheit betroffen ist. Der Solothurner Heimatschutz mache geltend, der vorgesehene Gestaltungsplan vermöge in städtebaulicher und ästhetischer Hinsicht nicht zu befriedigen. Er berufe sich somit durchwegs auf öffentliche Interessen, deren alleinige Geltendmachung eine Einsprachelegitimation gerade nicht begründe. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch den Gestaltungsplan mehr als irgendein Einwohner der Stadt Solothurn betroffen sei. Eine besondere Beziehungsnähe des Solothurner Heimatschutzes zum Gestaltungsplan Areal Gasapparatefabrik sei somit zu verneinen. Nach Massgabe der allgemeinen Einsprache- bzw. Beschwerdebefugnis sei er daher als gewöhnlicher Einsprecher nicht legitimiert.
Der Solothurner Heimatschutz sei aber - wie der Regierungsrat weiter ausführt - auch nicht als Verband, der anstelle und im Interesse seiner Mitglieder handle, einspracheberechtigt. Der Verband sei nur zur Einsprache befugt, wenn eine grosse Anzahl der Verbandsangehörigen nach den Grundsätzen über das allgemeine Beschwerderecht selber berechtigt wäre, Einsprache bzw. Beschwerde zu erheben. Dabei liege die Beweislast hinsichtlich der grossen Anzahl der beschwerdeberechtigten Mitglieder beim Verband. Dieser mache zwar geltend, eine Vielzahl seiner Mitglieder sei in Solothurn wohnhaft und durch die bauliche Gestaltung des Areals Gasapparatefabrik in nächster Nähe des alten Schützenhauses und der Altstadt, aber auch gegenüber dem Schutzraum der Aare direktestens berührt. Er unterlasse es jedoch, näher darzulegen,
BGE 113 Ia 247 S. 252
in welcher Beziehung die erwähnten Mitglieder mehr als irgendein Einwohner der Stadt Solothurn durch den vorgesehenen Gestaltungsplan, z.B. als Nachbarn, betroffen seien. Ebensowenig sei aus der Beschwerdebegründung ersichtlich, wie viele Mitglieder des Solothurner Heimatschutzes in einer derartigen Weise berührt seien. Aus der Begründung lasse sich zudem schliessen, dass zumindest vom grössten Teil der erwähnten potentiellen Einsprecher ebenfalls nur öffentliche Interessen an der Anfechtung des Gestaltungsplanes geltend gemacht werden könnten. Diesen Mitgliedern käme somit im Hinblick auf das Erfordernis des schutzwürdigen Interesses an der Anfechtung des Planes ebenfalls keine Einsprachelegitimation zu. Schliesslich sei der Solothurner Heimatschutz auch nicht als ideelle Organisation einspracheberechtigt, kenne die solothurnische Gesetzgebung doch keine derartige Spezialermächtigung. Eine solche lasse sich auch nicht aus Art. 33 Abs. 3 lit. a des Bundesgesetzes vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (RPG) ableiten.
b) Diese Ausführungen des Regierungsrates sind verfassungsrechtlich haltbar. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, erweist sich, wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen, nicht als stichhaltig. Aus seiner staatsrechtlichen Beschwerde geht nicht hervor, ob er sich als Verband für eigene Interessen, z.B. als Grundeigentümer, für die Interessen seiner Mitglieder oder als ideelle Organisation für einspracheberechtigt hält.
aa) Dass er als Verband, etwa als Eigentümer von dem Gestaltungsplangebiet benachbartem Land, in eigenen schutzwürdigen Interessen mehr als die Allgemeinheit betroffen sei, macht der Beschwerdeführer nicht in der von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
geforderten Weise geltend. Es ist denn auch nicht ersichtlich, inwiefern dies der Fall sein soll. Seine Ausführungen erweisen sich in diesem Punkt als appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, die im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde unzulässig ist (
BGE 107 Ia 186
f.). Auf seine Beschwerde ist daher insoweit nicht einzutreten.
bb) Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer erklärt, die Legitimation zur Einsprache deshalb zu besitzen, weil er im Interesse einer grossen Zahl seiner einspracheberechtigten Mitglieder handle. Er unterlässt es auch in dieser Hinsicht, in rechtsgenüglicher Weise darzulegen, dass eine grosse Zahl seiner Mitglieder vom vorgesehenen Gestaltungsplan in ihren eigenen schutzwürdigen Interessen mehr betroffen ist als die Allgemeinheit. Mit dem blossen
BGE 113 Ia 247 S. 253
Hinweis auf die Tatsache, dass in Solothurn seit Jahrzehnten eine grosse Zahl von Mitgliedern des Heimatschutzes wohne und massgebende Leute des Vorstandes in Solothurn und seiner nächsten Umgebung niedergelassen seien, kann das geforderte besondere Betroffensein einspracheberechtigter Personen nicht begründet werden. Die Beschwerde erfüllt somit auch in dieser Beziehung die Voraussetzungen von
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
nicht.
cc) Eine spezielle Vorschrift des kantonalen Rechts, welche den Beschwerdeführer als ideelle Organisation zur Einsprache gegen den Gestaltungsplan ermächtigen würde, wird in der Beschwerdeschrift ebenfalls nicht namhaft gemacht.
5.
Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, im Kanton Solothurn bestehe eine langjährige, seit 1973 konsequent eingehaltene Praxis, wonach er in einem Fall wie dem vorliegenden einspracheberechtigt sei. Diese Praxis sei im angefochtenen Entscheid willkürlich geändert worden. Der Regierungsrat habe die Beschwerdelegitimation des Solothurner Heimatschutzes in Planungsfragen gestützt auf ein Gutachten von Professor Saladin mit einem die Gemeinde Riedholz betreffenden Entscheid vom 19. Juni 1973 (RRB Nr. 3560, publiziert in: Grundsätzliche Entscheide des Regierungsrates des Kantons Solothurn 1973 Nr. 27) ausdrücklich anerkannt und seither - vom vorliegenden Fall abgesehen - nie in Frage gestellt. Ebenso habe die Gemeinde Solothurn die Legitimation des Heimatschutzes in verschiedenen Fällen von Gestaltungsplänen nie bestritten. Als Beispiele werden der Gestaltungsplan Westring, die Zonenplanung der "Sphinxmatte" in Solothurn und der Gestaltungsplan Vigierhof in Solothurn angeführt.
Der Beschwerdeführer übersieht, dass der Regierungsrat seine Legitimation in Planungsfragen im erwähnten Entscheid vom 19. Juni 1973 nicht generell, im Sinne einer Beschwerdelegitimation ideeller Organisationen, wie sie etwa in
Art. 12 NHG
enthalten ist, bejaht hat. Vielmehr wurde die Legitimation des Solothurner Heimatschutzes damals mit der Begründung bejaht, er sei als Verband im Interesse seiner als beschwerdebefugt erachteten Mitglieder berechtigt, gegen die Erweiterung des Zonenplanes von Riedholz Beschwerde zu führen. Es wurde in jenem Entscheid festgestellt, der Präsident der Vereinigung und eine ganze Anzahl der Mitglieder seien in der näheren Umgebung niedergelassen.
Nach diesem Entscheid ist somit in jedem Einsprache- und Beschwerdefall neu zu prüfen, ob die Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Tatsache, dass der Präsident des Solothurner
BGE 113 Ia 247 S. 254
Heimatschutzes und eine Anzahl weiterer Mitglieder in der näheren Umgebung des Plangebietes niedergelassen waren, genügte dem Regierungsrat im Jahre 1973 im Falle Riedholz zur Bejahung der Legitimation des Solothurner Heimatschutzes. Im vorliegenden Verfahren stellt er höhere Anforderungen. Er begründet die Änderung seiner Haltung damit, dass neues Recht in Kraft getreten sei, nämlich § 16 BauG. Früher sei im Hinblick auf die fast eine Popularbeschwerde enthaltende Bestimmung von § 223 des Gemeindegesetzes vom 27. März 1949 die Legitimation weiter gefasst gewesen. Diese Argumentation des Regierungsrates leuchtet ein und ist verfassungsrechtlich haltbar.
Die behauptete grosszügige Praxis des Gemeinderates von Solothurn vermag den Regierungsrat, wie dieser zutreffend vorbringt, nicht zu verpflichten. Was im übrigen den vom Beschwerdeführer erwähnten Gestaltungsplan Westring betrifft, so figuriert er in jenem Einspracheverfahren nicht unter den Einsprechern (vgl. Act. 9, Urkunden 5 und 6). Im Zusammenhang mit der Zonenplanung "Sphinxmatte" sodann hatte der Regierungsrat die Legitimation des Solothurner Heimatschutzes nicht zu beurteilen, weil dieser seine Beschwerde zurückzog (Act. 9, Urkunde 7, S. 27). Auch beim Baugesuch Vigierhof hatte das Bau-Departement die Legitimation des Solothurner Heimatschutzes nicht zu prüfen. In einem Entscheid vom 26. November 1985 hat der Regierungsrat in der Sache Gestaltungsplan Baseltor, Solothurn, dagegen die Legitimation des Verkehrsclubs der Schweiz verneint und eine Beschwerde desselben gegen einen Nichteintretensentscheid des Gemeinderates von Solothurn abgelehnt. Bei dieser Sachlage kann nicht davon die Rede sein, der Regierungsrat habe die Legitimation von ideellen Organisationen der Art des Solothurner Heimatschutzes mit Bezug auf Planungsfragen in ständiger Praxis bis auf den vorliegenden Fall des Gestaltungsplans Areal Gasapparatefabrik bejaht. Im angefochtenen Entscheid hat der Regierungsrat deshalb entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers in dieser Hinsicht auch keine Praxisänderung vorgenommen.
6.
Auch aus
Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG
kann nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers abgeleitet werden. Nach dieser Vorschrift hat das kantonale Recht die Legitimation für die Anfechtung von Nutzungsplänen mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zu gewährleisten. Dies tut der erwähnte § 16 Abs. 1 BauG; und die Anwendung dieser Vorschrift durch den Regierungsrat steht im Einklang mit
BGE 113 Ia 247 S. 255
der Praxis des Bundesgerichtes zu
Art. 103 lit. a OG
, was aus dem vom Beschwerdeführer selbst genannten Regierungsratsbeschluss Nr. 4108 vom 12. August 1980 (publiziert in: Grundsätzliche Entscheide 1980 Nr. 1) deutlich hervorgeht. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0b7dda6-2108-46dc-a065-65b16d486ec7 | Urteilskopf
119 V 75
11. Auszug aus dem Urteil vom 5. Januar 1993 i.S. G gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 41bis Abs. 2 lit. c und lit. d AHVV
: Beginn der Verzugszinspflicht.
Bei der Bestimmung des Beginns des Zinsenlaufs nach
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
kommt es auf den Zeitpunkt des Erlasses der Nachzahlungsverfügung und nicht auf denjenigen ihrer Zustellung an den Beitragspflichtigen an; in gleicher Weise beginnt der Zinsenlauf nach
Art. 41bis Abs. 2 lit. d AHVV
mit der Ausstellung der Rechnung und nicht erst mit deren Zustellung an den Adressaten. | Erwägungen
ab Seite 75
BGE 119 V 75 S. 75
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 41bis AHVV
in der vorliegend massgebenden, seit 1. Januar 1988 gültigen Fassung sind Verzugszinsen u.a. zu entrichten, wenn die nach Bundesrecht geschuldeten Beiträge mindestens 3000 Franken betragen und nicht innert zwei Monaten nach Beginn des Zinsenlaufs bezahlt werden (Abs. 1).
Nach
Art. 41bis Abs. 2 AHVV
beginnt der Zinsenlauf:
"a. im allgemeinen mit dem Ablauf der Zahlungsperiode;
b. bei Beitragsnachforderungen mit dem Ablauf des Kalenderjahres, für
welches die Beiträge geschuldet sind;
c. für persönliche Beiträge, die im ausserordentlichen Verfahren zuwenig
entrichtet worden sind, und für Sonderbeiträge nach Artikel 23bis mit dem
Kalendermonat, welcher der Verfügung folgt;
BGE 119 V 75 S. 76
d. für Beiträge aufgrund von Jahresabrechnungen im Sinne von Artikel 34
Absatz 3 mit dem Kalendermonat, welcher der Rechnungsstellung durch die
Ausgleichskasse folgt."
4.
a) Bezüglich des Beginns des Zinsenlaufs sind sich der Beschwerdeführer und die Ausgleichskasse darin einig, dass
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
zur Anwendung gelangt. Davon gehen denn auch die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) aus. Hingegen gehen die Auffassungen darüber auseinander, ob es dabei auf den Zeitpunkt des Erlasses der Nachzahlungsverfügung oder auf denjenigen ihrer Zustellung an den Adressaten ankommt. Somit stellt sich die Auslegungsfrage, wie die Wendung zu verstehen ist, wonach der Zinsenlauf mit dem Kalendermonat beginnt, "welcher der Verfügung folgt".
b) Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, dass für die Bestimmung des Beginns des Zinsenlaufs einzig auf den Zeitpunkt des Erlasses der Nachzahlungsverfügung abzustellen sei, wogegen derjenige der Verfügungszustellung grundsätzlich unbedeutend sei. Zur Begründung dieser Betrachtungsweise verweist sie auf den Grundsatz, wonach im Normalfall der Beginn des Zinsenlaufs nicht davon abhänge, ob und gegebenenfalls wann eine Beitragsverfügung erlassen worden sei; die Sonderbestimmung des
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
mache hievon zwar eine Ausnahme, indem hier eine Verfügung vorausgesetzt sei; eine Sondernorm sei auch
Art. 41bis Abs. 2 lit. d AHVV
, welche die Rechnungsstellung voraussetze, damit der Zinsenlauf beginnen könne; vor diesem Hintergrund müsse es auch im Rahmen von
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
genügen, dass die Verfügung erlassen wurde. Das BSV erachtet diese Argumentation als "ohne Zweifel zwingend". Nach Ansicht des Beschwerdeführers ist demgegenüber für den Beginn des Zinsenlaufs der Kalendermonat massgebend, der der Zustellung der Nachzahlungsverfügung folgt. Er beruft sich dabei auf einen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, wonach Verfügungen gegenüber einem Individuum erst mit der formellen Eröffnung Wirkungen zu erzeugen vermögen, und stellt sich auf den Standpunkt, es sei nicht ersichtlich, dass
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
davon abweichend schon vor der formellen Verfügungseröffnung Wirkungen auslöse.
c) Der Wortlaut von
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
ist bezüglich der zur Diskussion stehenden Auslegungsfrage unergiebig. Sowohl die deutsche Fassung ("mit dem Kalendermonat, welcher der Verfügung folgt") als auch die französische ("dès le début du mois civil
BGE 119 V 75 S. 77
qui suit la décision") oder italienische ("dall'inizio del mese civile che segue la decisione") Version lassen durchaus auch die Auffassung des Beschwerdeführers als vertretbar erscheinen. Somit ist nach Sinn und Zweck der Norm, insbesondere auch nach ihrem Sinn im Kontext zu fragen.
Wie das kantonale Gericht zutreffend ausführt, knüpft die Verzugszinspflicht bzw. der Beginn des Zinsenlaufs im Normalfall grundsätzlich nicht an das Vorliegen einer Verfügung an (vgl. zu dem bis Ende 1987 gültig gewesenen
Art. 41bis Abs. 3 AHVV
:
BGE 109 V 5
E. 3b; ZAK 1984 S. 388 E. 3a).
Art. 41bis Abs. 2 lit. a und lit. b AHVV
, welche den Ablauf der Zahlungsperiode oder des Kalenderjahres als massgeblich erklären, erlauben es dabei, den Beginn des Zinsenlaufs auf sehr einfache Weise festzustellen. Diesem Gesichtspunkt der administrativen Vereinfachung, den der Verordnungsgeber auch durch das Erfordernis einer minimalen Beitragsschuld von Fr. 3'000.-- und die Einräumung einer zweimonatigen "Schonfrist" (
Art. 41bis Abs. 1 AHVV
;
BGE 107 V 205
, ZAK 1987 S. 364 f.) in die Verzugszinsregelung hat einfliessen lassen, ist auch bei der Auslegung von
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
die notwendige Beachtung zu schenken. Bezüglich der vorliegend interessierenden Frage des Zinsenlaufs ist diese Bestimmung nur insofern eine Sondernorm, als sie in Abweichung zu den in lit. a und lit. b geregelten Tatbeständen eine Verfügung voraussetzt. Es besteht indessen kein vernünftiger Anlass dazu, sie auf dem Auslegungswege auch in dem Sinne zum "Sonderfall" werden zu lassen, dass ihre Anwendung zu administrativen Erschwernissen führt. Solche träten jedoch ein, wenn es für den Beginn des Zinsenlaufs auf die Zustellung der Verfügung ankäme. Im Verzugszinsfalle müsste dann nämlich jeweils noch zusätzlich abgeklärt werden, wann die - in aller Regel uneingeschrieben versandte - Nachzahlungsverfügung dem Beitragspflichtigen ausgehändigt worden ist. Praktikabilitätsüberlegungen sprechen deshalb dafür, bei der Anwendung von
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
auf den Erlass der Verfügung und nicht auf den Zeitpunkt ihrer Eröffnung abzustellen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die zeitliche Anknüpfung der weiteren vom Grundsatz abweichenden Sondernorm des
Art. 41bis Abs. 2 lit. d AHVV
. Danach beginnt der Zinsenlauf "mit dem Kalendermonat, welcher der Rechnungsstellung durch die Ausgleichskasse folgt". Darunter ist mit der Vorinstanz die Ausstellung der Rechnung, d.h. deren Erstellung und nicht deren Zustellung zu verstehen, was - deutlicher - aus dem französischen
BGE 119 V 75 S. 78
Text hervorgeht ("dès le début du mois civil qui suit le décompte (= Abrechnung) de la caisse de compensation").
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass sich die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage erst unter der neuen, auf den 1. Januar 1988 in Kraft getretenen Fassung des
Art. 41bis AHVV
stellen kann. Der mit
Art. 41bis Abs. 2 lit. c AHVV
vergleichbare frühere
Art. 41bis Abs. 3 lit. c AHVV
liess Verzugszinsen nämlich "von dem Monat an, der auf den Erlass der Verfügung folgt, aus der sich die Nachzahlung ergibt", laufen. Es spricht nichts dafür, dass der Verordnungsgeber mit der Novellierung beim zeitlichen Anknüpfungspunkt etwas habe ändern wollen. Im Gegenteil, die Neuordnung auf den 1. Januar 1988 stand im Zeichen einer Verschärfung und Straffung der Verzugszinsregelung (vgl. ZAK 1988 S. 22, 1987 S. 387 f.). Dafür, dass beim Übergang vom alten zum neuen Recht keine Änderung beabsichtigt war, sprechen auch die vom BSV herausgegebenen Verwaltungsweisungen. Bezüglich des Beginns des Zinsenlaufs lautet die geltende Rz. 1029 des Kreisschreibens über Verzugs- und Vergütungszinsen (KSVZ) (Fassung 1988) nämlich immer noch gleich wie früher die entsprechende Rz. 29 KSVZ (Fassung 1986) und weicht inhaltlich auch nicht von der Rz. 33 KSVZ (Fassung 1979) ab. | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d0b88383-2c2e-4f6b-a794-ed576d07de27 | Urteilskopf
110 Ia 43
6. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. März 1984 i.S. Banco de la Nación, Lima gegen Banca cattolica del Veneto, Vicenza, Betreibungsamt Zürich 1, Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Völkerrechtliche Immunität von Organismen mit eigener Rechtspersönlichkeit.
Körperschaften, denen nach dem Recht ihres Sitzes eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, können grundsätzlich keine staatliche Immunität beanspruchen. Ausnahmen sind nur denkbar, soweit solche Körperschaften mit staatlicher Hoheitsgewalt (iure imperii) gehandelt haben. | Sachverhalt
ab Seite 43
BGE 110 Ia 43 S. 43
A.-
Der Banco de la Nación und die mit der Gruppe des Banco Ambrosiano S.p.A., Mailand (Roberto Calvi), verbundene Banca cattolica del Veneto traten 1979 in Geschäftsbeziehungen. Diese überwies dem Banco de la Nación hohe Beträge als Festgeld auf bestimmte Zeit, die diese Bank zu einem grossen Teil unter Erhöhung des Zinssatzes um 1/4% an Gesellschaften der Ambrosiano-Gruppe weiterleitete.
Im Sommer 1982 verfügten die italienischen Behörden die Zwangsliquidation des Banco Ambrosiano. Der Banco de la Nación
BGE 110 Ia 43 S. 44
anerkennt, dass in diesem Zeitpunkt ein Guthaben der Banca cattolica aus Festgeldanlagen von 32,5 Mio. Dollar bestand. Er bestreitet jedoch für den grösseren Teil dieser Summe seine Passivlegitimation, weil er diese Beträge nur treuhänderisch entgegengenommen und an Firmen der Ambrosiano-Gruppe weitergeleitet habe. Von einem von ihm als Selbstschuldner aufgenommenen Betrag anerkennt er, zur Deckung von Schadenersatzansprüchen einen Teil zurückbehalten zu haben.
B.-
Am 18. März 1983 erliess der Einzelrichter im summarischen Verfahren am Bezirksgericht Zürich auf Begehren der Banca cattolica gegen den Banco de la Nación einen Arrestbefehl für die Forderungssumme von Fr. 64'087'667.--. Der Arrest sollte sämtliche Guthaben und Wertgegenstände des Banco de la Nación bei verschiedenen Zürcher Banken erfassen. Bei zwei der Banken wurden Guthaben des Banco de la Nación im Betrag von Fr. 989'932.35 verarrestiert.
C.-
Der Banco de la Nación führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Arrestbefehl infolge völkerrechtlicher Immunität des Beschwerdeführers als ungültig zu erklären sowie Arrestbeschlag und Zahlungsbefehl aufzuheben.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
a) Nach den bisherigen Entscheiden (
BGE 106 Ia 147
E. 3;
BGE 104 Ia 368
E. 2;
BGE 86 I 27
f.;
BGE 82 I 85
f.;
BGE 56 I 249
f.) können sich Körperschaften, denen nach dem Recht ihres Sitzes eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, nicht auf die Immunität des hinter ihnen stehenden Staates berufen. Das Bundesgericht hat in
BGE 104 Ia 373
E. 3 Zweifel daran geäussert, ob an dieser Rechtsprechung in jedem Falle festzuhalten sei, ohne jedoch daraus Folgerungen zu ziehen. Die Zweifel wurden damit begründet, dass heute im Rechtsleben den wirtschaftlichen Zusammenhängen allgemein grössere Bedeutung beigemessen werde als noch vor Jahrzehnten, und es wurde auf die Europäische Konvention über Staatenimmunität (SR 0.273.1) hingewiesen, deren Art. 27 gegen die Annahme spreche, dass mit dem Staat eng verbundene selbständige öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Körperschaften sich von vornherein nicht auf die staatliche Immunität berufen könnten. Die damals nur gestreifte Frage muss heute entschieden werden; denn da im vorliegenden Fall im Unterschied zum früheren unbestrittenermassen eine Binnenbeziehung des streitigen Rechtsverhältnisses zur Schweiz fehlt, könnte sich der Beschwerdeführer auf die
BGE 110 Ia 43 S. 45
Immunität berufen, wenn diese auch nichtstaatlichen Organisationen zukäme.
b) Die neuere Lehre scheint einhellig der Auffassung zuzuneigen, es bestehe kein Anlass, die Staatenimmunität auf selbständige Institute von der Art des Beschwerdeführers auszudehnen. So bemerken SCHAUMANN UND HABSCHEID in ihrem Bericht an die 2. Studienkommission der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (Karlsruhe 1968, S. 171), eine Gesellschaft, die als juristisch selbständige Person zu qualifizieren sei, unterliege grundsätzlich der inländischen Gerichtsbarkeit. Ebenso eindeutig erklären VERDROSS/SIMMA, staatliche Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit genössen keine Autonomie (Universelles Völkerrecht, Berlin 1976, S. 568). Andere Autoren (so ANTOINE FAVRE, Principes du Droit des gens, Fribourg 1974; MÜLLER/WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., Bern 1982, und MENZEL/IPSEN, Völkerrecht, 2. Aufl., München 1979) erwähnen beim Problem der Immunität ausländischer Staaten neben dem Staat bestehende Organisationen mit juristischer Persönlichkeit überhaupt nicht. LUDWIG GRAMLICH hat dem Problem der staatlichen Immunität von Zentralbanken eine Abhandlung gewidmet. Seine Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, dass derartige Banken jedenfalls keine Immunität ratione personae beanspruchen können, während ihre Immunität ratione materiae von Fall zu Fall zu prüfen bliebe (Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 1981, S. 545 ff., bes. S. 579/80, 581/2).
Nach Art. 27 Abs. 1 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität "schliesst der Ausdruck Vertragsstaat einen Rechtsträger eines Vertragsstaates nicht ein, der sich von diesem unterscheidet und die Fähigkeit hat, vor Gericht aufzutreten, selbst wenn er mit öffentlichen Aufgaben betraut ist". Abs. 2 dieser Bestimmung lautet dahin, die in Abs. 1 bezeichneten Rechtsträger könnten vor den Gerichten anderer Vertragsstaaten wie eine Privatperson in Anspruch genommen werden; doch könnten diese Gerichte nicht über in Ausübung der Hoheitsgewalt (iure imperii) vorgenommene Handlungen entscheiden.
Unter Berücksichtigung der Auffassung der zitierten Autoren sowie des Europäischen Übereinkommens, das zwar hier nicht anwendbar ist, aber als Ausdruck neuerer völkerrechtlicher Tendenzen Beachtung verdient, ist die in
BGE 104 Ia 373
dargelegte Rechtsauffassung dahin zu verdeutlichen, dass Organismen mit eigener Rechtspersönlichkeit grundsätzlich keine staatliche Immunität
BGE 110 Ia 43 S. 46
beanspruchen können und dass Ausnahmen nur denkbar sind, soweit sie mit staatlicher Hoheitsgewalt (iure imperii) gehandelt haben. Weitere Ausführungen über den Ausnahmefall erübrigen sich, da die Parteien übereinstimmend und zutreffend davon ausgehen, bei den zwischen ihnen abgewickelten Bankgeschäften handle es sich nicht um eine hoheitliche Tätigkeit. Dieses die Immunität eher einschränkende Ergebnis ist allein praktisch befriedigend. Es wäre unbillig, wenn eine finanziell eng mit einem ausländischen Staat verbundene Bank in internationalen Finanztransaktionen mit den privatrechtlich organisierten Banken beliebig in Wettbewerb treten dürfte, sich aber den gerichtlichen und vollstreckungsrechtlichen Folgen unter Berufung auf Immunität entziehen könnte. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0baf2c9-a947-4970-8071-49ab72c537ca | Urteilskopf
116 Ib 50
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. März 1990 i.S. Erben von X. und Mitbeteiligte gegen G., Gemeinden Egg und Oetwil a.S. und Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 9 und 30 Abs. 2 USG
,
Art. 27 GSchG
,
Art. 24 RPG
; Planungs- und Bewilligungspflicht einer Abfalldeponie; Koordination in materieller und formeller Hinsicht; Massgebliches Verfahrens für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).
1. Planungspflicht: Für eine Abfalldeponie, die wegen ihres Ausmasses und ihrer Auswirkungen auf die Nutzungsordnung nur in einem Planungsverfahren angemessen erfasst werden kann, ist die Festsetzung eines Nutzungsplans erforderlich (E. 3).
2. Pflicht zur materiell und verfahrensmässig koordinierten Rechtsanwendung im Leitverfahren (hier: Nutzungsplanung), soweit die verschiedenen für die Bewilligung einer grösseren Deponie anwendbaren Vorschriften einen engen Sachzusammenhang aufweisen (E. 4a-c).
- Verhältnis zur UVP-Pflicht: Das Leitverfahren ist für UVP-pflichtige Anlagen das massgebliche Verfahren i.S. von
Art. 5 Abs. 3 UVPV
. Die Überprüfung einer Anlage auf ihre Übereinstimmung mit den Vorschriften über den Schutz der Umwelt hat vor allem auch die Anliegen der Raumplanung miteinzubeziehen.
Art. 3 UVPV
enthält keine abschliessende Aufzählung der zu prüfenden Bestimmungen (E. 4d).
- Bundesrechtliche Rechtsmittel (E. 4e).
3. Eine Deponiebewilligung nach
Art. 30 Abs. 2 USG
setzt auch voraus, dass die Vorschriften betreffend Lärmschutz, Luftreinhaltung etc. eingehalten werden (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 51
BGE 116 Ib 50 S. 51
Am 10. Juli 1978 hat der Zürcher Kantonsrat den kantonalen Gesamtplan erlassen. Im dazugehörenden Landschafts- sowie Versorgungsplan ist beim Weiler Unter Neuhus, Gemeinde Egg, der Standort für eine Multikomponentendeponie festgelegt. Deren Sammelbereich erstreckt sich nach dem Bericht zum kantonalen Gesamtplan auf die Gemeinden des Bezirks Meilen (ohne Erlenbach, Küsnacht und Zumikon) und umfasst zusätzlich die Gemeinde Egg. Die jährlich aus dieser Region anfallende Abfallmenge
BGE 116 Ib 50 S. 52
beträgt etwa 25'000 Festkubikmeter. Als die von der Firma G. betriebene Deponie "Neuhus" mit einem bewilligten Volumen von 220'000 Kubikmetern kurz vor der Erschöpfung ihrer Aufnahmekapazität stand, wurde die Bereitstellung einer Nachfolgendeponie vorbereitet. Zu diesem Zweck beantragte der Regierungsrat dem Kantonsrat am 29. Mai 1985, den Landschafts- sowie Versorgungsplan durch die Aufnahme einer Deponie (Kl. III) nördlich von Chrüzlen, Gemeinden Oetwil a.S. und Egg, zu ergänzen und den Bericht zum Gesamtplan mit den entsprechenden Zusätzen zu versehen. Der Kantonsrat hat am 26. Mai 1986 in diesem Sinne Beschluss gefasst. Gegen diese Teilergänzung des kantonalen Gesamtplans durch den Kantonsrat haben X. und Y. staatsrechtliche Beschwerde erhoben, auf welche das Bundesgericht mit Urteil vom 21. Juli 1986 mangels Legitimation der beiden Beschwerdeführer nicht eingetreten ist.
Am 11. März 1987 ersuchte G. die Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich (Baudirektion) um Erteilung der erforderlichen Bewilligungen für den Bau und den Betrieb einer Regionaldeponie und Kompostieranlage auf dem Gelände Chrüzlen im Gemeindegebiet von Oetwil a.S. und Egg. Den Gesuchsunterlagen fügte der Gesuchsteller den Bericht zur Umweltverträglichkeit vom 9. Februar 1987 bei. Die Koordinationsstelle für Umweltschutz des Kantons Zürich leitete bei den kantonalen Umweltfachstellen das Mitberichtsverfahren ein und veranlasste in den beiden Standortgemeinden die Auflage des Projekts sowie des Berichts zur Umweltverträglichkeit. Das Amt für Gewässerschutz und Wasserbau (AGW) liess überdies die Frage der Deponieabdichtung durch ein Gutachten des Leiters des Instituts für Grundbau und Bodenmechanik an der ETH Zürich abklären.
Mit Verfügung vom 26. September 1988 erteilte die Baudirektion gestützt auf Art. 30 Abs. 2 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG) sowie Art. 27 des Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung vom 8. Oktober 1971 (Gewässerschutzgesetz, GSchG) und § 25 Abs. 3 des kantonalen Einführungsgesetzes zum Gewässerschutzgesetz vom 8. Dezember 1974 (EG GSchG) die beantragte Deponiebewilligung unter Bedingungen und Auflagen. Die Beurteilung des Berichts zur Umweltverträglichkeit durch die kantonalen Fachstellen wurde zum Bestandteil der Erwägungen des Gesuchsentscheids erklärt. Gegen diese Verfügung gelangten die Erben von X. sowie weitere Mitbeteiligte an den Regierungsrat, der die Rekurse mit Entscheid vom 28. Juni 1989 abwies.
BGE 116 Ib 50 S. 53
Schon am 18. August 1988 hatte G. vom Gemeinderat Egg und am 22. August 1988 vom Gemeinderat Oetwil a.S. die erforderlichen baurechtlichen Bewilligungen mit Einschluss der Bewilligungen nach
Art. 24 Abs. 1 RPG
betreffend zonenwidrige Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen erhalten; letztere allerdings unter dem Genehmigungsvorbehalt der Baudirektion. Beide kommunalen Bewilligungen enthalten zudem weitere Vorbehalte, insbesondere betreffend die gewässer- und umweltschutzrechtliche sowie die forstrechtliche Bewilligung der kantonalen Behörden. Die Baubewilligungen der beiden Standortgemeinden, die vor der umstrittenen Verfügung der Baudirektion betreffend
Art. 30 Abs. 2 USG
und
Art. 27 GSchG
erteilt wurden, sind bei der Baurekurskommission II des Kantons Zürich angefochten worden und sind dort noch pendent. Während der Hängigkeit des vorliegenden Verfahrens vor Bundesgericht wurde der Bericht zur Umweltverträglichkeit hinsichtlich des Lärms zuhanden des baurechtlichen Bewilligungsverfahrens ergänzt.
Gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 28. Juni 1989 über die Bewilligung gemäss
Art. 30 Abs. 2 USG
und
Art. 27 GSchG
führen die Erben von X. sowie sieben Mitbeteiligte Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Gemäss
Art. 22quater Abs. 1 BV
haben die Kantone eine der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes dienende Raumplanung zu schaffen. Dazu werden namentlich Richt- und Nutzungspläne erlassen sowie Baubewilligungsverfahren durchgeführt. Diese Instrumente stehen untereinander in einem Zusammenhang und sollen ein sinnvolles Ganzes bilden, in dem jeder Teil eine spezifische Funktion erfüllt. In einem Verfahren, das Rechtsschutz (Art. 33 f. RPG) und demokratische Mitwirkung (
Art. 4 RPG
) sichert, entstehen aufgrund einer umfassenden Abstimmung und Abwägung (
Art. 1 Abs. 1 Satz 2,
Art. 2 Abs. 1 RPG
) nach Massgabe des Richtplans (
Art. 6 ff.,
Art. 26 Abs. 2 RPG
) die für die Privaten verbindlichen Nutzungspläne (
Art. 14 ff. RPG
). Das Baubewilligungsverfahren dient dagegen der Abklärung, ob Bauten und Anlagen der im Nutzungsplan ausgedrückten räumlichen Ordnungsvorstellung entsprechen (
Art. 22 RPG
). Es bezweckt einzelfallweise
BGE 116 Ib 50 S. 54
Planverwirklichung, soll aber nicht selbständige Planungsentscheide hervorbringen. Das Baubewilligungsverfahren verfügt weder über das sachlich nötige Instrumentarium, noch ist es bezüglich Rechtsschutz und demokratische Legitimation geeignet, den Nutzungsplan im Ergebnis zu ergänzen oder zu ändern. Auch Ausnahmebewilligungen gemäss
Art. 24 RPG
haben den planerischen Stufenbau zu beachten. Ihr Entscheidungsbereich reicht zwar weiter als derjenige der Baubewilligung, weil sie für Vorhaben erteilt werden, welche nicht dem Zweck einer Nutzungszone ausserhalb der Bauzone entsprechen. Für Bauten und Anlagen, die ihrer Natur nach nur in einem Planungsverfahren angemessen erfasst werden können, dürfen aber keine Ausnahmebewilligungen erteilt werden. Wann ein nicht zonenkonformes Vorhaben hinsichtlich seines Ausmasses und seiner Auswirkungen auf die Nutzungsordnung so gewichtig ist, dass es erst nach einer Änderung oder Schaffung eines Nutzungsplans bewilligt werden darf, ergibt sich aus der Planungspflicht (
Art. 2 RPG
), den Planungsgrundsätzen und -zielen (
Art. 1 und 3 RPG
), dem kantonalen Richtplan (
Art. 6 ff. RPG
) sowie der Bedeutung des Projekts im Lichte der im Raumplanungsgesetz festgelegten Verfahrensordnung (Art. 4 und 33 f. RPG;
BGE 115 Ib 151
E. 5c,
BGE 114 Ib 315
E. 3a,
BGE 113 Ib 374
E. 5, Urteil vom 20. April 1988 i.S. Einwohnergemeinde Oensingen, Umweltrecht in der Praxis 1988, S. 210, E. 6, je mit Hinweisen).
b) Im vorliegenden Fall steht eine Regionaldeponie zur Diskussion, welche nach der Verfügung der Baudirektion vom 26. September 1988 ein Gesamtvolumen von 390'000 Kubikmetern aufweist und in vier Etappen aufgefüllt werden soll. Bis zur Inangriffnahme der vierten Etappe ist die dafür in Aussicht genommene Fläche als Kompostierplatz vorgesehen. Nach dem Bericht zur Umweltverträglichkeit vom 9. Februar 1987 (UVP-Bericht) können auf dem Areal Chrüzlen ca. 500'000 Kubikmeter Abfall (verdichtet) deponiert werden. Seit 1981 sei die Materialanlieferung in der zu ersetzenden Deponie "Neuhus" konstant geblieben. Bei einer gleichbleibenden Abfallmenge - gerechnet wird mit einem jährlichen Anfall von 25'000 Kubikmetern (verdichtet) - reiche das Deponievolumen der vorgesehenen Ersatzdeponie Chrüzlen für ca. 20 Jahre oder bis ca. ins Jahr 2005 aus. Im UVP-Bericht wird weiter ausgeführt, im Bauzustand werde die Vegetationsdecke etappenweise auf jeweils einer Teilfläche von ca. 11'000 m2 (ca. 1,1 ha) entfernt. Während einiger Wochen, bis zur Schüttung eines ersten Dammkörpers, sei diese Narbe in der Landschaft aus
BGE 116 Ib 50 S. 55
Richtung Unterchrüzlen sowie vom nächstgelegenen Einzelgehöft von Oberchrüzlen aus mindestens teilweise einsehbar. In bezug auf den durchschnittlichen Lastwagenverkehr sei mit ca. 11 bis 13 Fahrbewegungen pro Stunde oder ca. 95 bis 105 Bewegungen pro Tag zu rechnen. Unter Abzug des bisherigen Deponieverkehrs (Deponie "Neuhus") verblieben als echter Mehrverkehr am Standort Chrüzlen rund 50 Lastwagenbewegungen pro Tag, was nicht ganz 10% des durchschnittlichen täglichen Lastwagenverkehrs entspreche.
Bereits diese Angaben über die geplante Regionaldeponie Chrüzlen führen unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze zur Planungspflicht zum Schluss, dass für die Realisierung dieses Vorhabens zusätzlich zur bereits erfolgten Festsetzung des Deponiestandortes auf Richtplanstufe im kantonalen Gesamtplan die Festsetzung eines Nutzungsplans, am ehesten wohl eines kantonalen Sondernutzungsplans, notwendig ist, wie dies auch in anderen Kantonen gemacht wird (vgl. zur Publikation bestimmtes Urteil vom 5. Oktober 1989 i.S. Pro Mendrisio sowie den im Kanton Aargau gestützt auf § 122 Abs. 2 BauG-AG und § 25 EG GSchG-AG erarbeiteten kantonalen Überbauungsplan Deponie Jakobsberg). Dabei ist zu beachten, dass im Rahmen einer solchen Nutzungsplanung eine umfassende Beurteilung sämtlicher raum- und umweltrelevanter Gesichtspunkte vorgenommen werden muss. Inhaltliches Merkmal der Raumplanung ist die auf die erwünschte Entwicklung ausgerichtete Abstimmung der raumwirksamen Tätigkeiten (
Art. 1 Abs. 1 Satz 2 RPG
). Dies zu erreichen ist die spezifische Aufgabe der Planung (
Art. 2 Abs. 1 RPG
). Damit ist klar, dass an die Nutzungsplanung für die Verwirklichung einer Deponie nach den für die Raumplanung massgebenden Grundsätzen keine geringeren Anforderungen gestellt werden dürfen als an eine Baubewilligung nach
Art. 24 RPG
(vgl.
BGE 114 Ia 125
f.,
BGE 113 Ib 230
E. 2c, 374 f.; zur Publikation bestimmtes Urteil vom 13. Dezember 1989 i. S. M. c. Stadt Sempach, E. 6b). Der hinsichtlich Standort und Zweck zu treffende Grundsatzentscheid ist auf die massgebenden umweltschutzrechtlichen Bestimmungen auszurichten und hat auch den Schutz vor schädlichen und lästigen Einwirkungen zu umfassen (
Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG
;
BGE 114 Ia 125
f.,
BGE 113 Ib 231
ff. mit Hinweisen). Im Planungsentscheid über den Deponiestandort sind somit auch vorsorglich die Anliegen des Umweltschutzes mitzuberücksichtigen (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 3 Abs. 2 und 4 lit. c und
Art. 17 Abs. 1 RPG
).
BGE 116 Ib 50 S. 56
Muss zur Realisierung einer Deponie das Enteignungsrecht in Anspruch genommen werden, so kann auch dieses Problem bei entsprechender Ausgestaltung des kantonalen Rechts bereits anlässlich der Festsetzung des Deponieplans gelöst werden, indem mit der Planfestsetzung das Enteignungsrecht erteilt ist. In diesem Fall muss allerdings gegen die Enteignung ein kantonales Gericht zur Überprüfung des Nutzungsplans angerufen werden können (
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
;
BGE 115 Ia 67
ff. E. 2;
114 Ia 127
f.).
Der Kanton Zürich nimmt in Aussicht, sein Bau- und Planungsrecht teilweise in diese Richtung zu ergänzen (vgl. § 44a des Antrags des Regierungsrats vom 11. Oktober 1989 (3027) betreffend die Revision des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (Planungs- und Baugesetz, PBG, vom 7. September 1975)).
4.
a) Im vorliegenden Verfahren hat die Baudirektion und danach der Regierungsrat als Rekursbehörde im angefochtenen Entscheid über zwei Spezialbewilligungen nach
Art. 30 Abs. 2 USG
(Deponiebewilligung) und nach
Art. 27 GSchG
(gewässerschutzrechtliche Bewilligung für Deponien) entschieden. Dabei wurden im wesentlichen Fragen geprüft, die in gleicher Weise auch in den von diesem Deponiebewilligungsverfahren völlig getrennt geführten baurechtlichen Bewilligungsverfahren im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
) zu beurteilen sind. Wenn für ein Vorhaben in mehreren getrennten kantonalen und kommunalen Verfahren die gleichen bundesrechtlichen Vorschriften umfassend anzuwenden sind, so dass aus verfassungsrechtlichen Gründen eine wirksame materielle und verfahrensmässige Koordination erfolgen muss (
Art. 22quater Abs. 3 BV
), ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Grundsatz zu beachten, dass das kantonale Recht nicht so ausgestaltet oder angewendet werden darf, dass dadurch die Verwirklichung des Bundesrechts vereitelt, verunmöglicht oder wesentlich erschwert wird (
BGE 107 Ib 397
f.;
BGE 103 Ib 146
;
BGE 100 Ib 370
, je mit Hinweisen; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 92 ff.). Dies verlangt, dass die Koordination gewährleistet wird. Der Grundsatz gilt nicht nur für das Rechtsmittel-, sondern insbesondere auch für das erstinstanzliche kantonale Verfahren. Andernfalls besteht die Gefahr materiell unkoordinierter, mitunter sogar einander widersprechender Entscheide sowie der Vereitelung des Bundesrechts, was dem Prinzip der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) widerspräche und zu sachlich
BGE 116 Ib 50 S. 57
unhaltbaren Ergebnissen (
Art. 4 BV
) führen könnte. So hat das Bundesgericht in einem Fall entschieden, dass ein kantonales Verwaltungsgericht gegen
Art. 4 BV
und Art. 2 ÜbBest. BV verstossen hat, weil es sich gestützt auf das kantonale Verfahrensrecht mit der Rüge der Verletzung des Umweltschutzrechts des Bundes nicht befasste, obwohl ein enger Sachzusammenhang zwischen materiellem eidgenössischem und kantonalem Recht bestand, der eine Aufteilung der zu beurteilenden Fragen nicht erlaubte. Damit war die Durchsetzung des Bundesrechts ohne sachliche Gründe erschwert worden (
BGE 114 Ib 351
ff.).
b) Sind für die Verwirklichung eines Projekts verschiedene materiellrechtliche Vorschriften anzuwenden und besteht zwischen diesen Vorschriften ein derart enger Sachzusammenhang, dass sie nicht getrennt und unabhängig voneinander angewendet werden dürfen, so muss diese Rechtsanwendung materiell koordiniert erfolgen (vgl.
BGE 114 Ib 129
f. E. 4). Dies wird am besten erreicht, wenn dafür eine einzige erste Instanz zuständig ist. Sind zur Beurteilung einzelner der materiellen Koordination bedürftiger Rechtsfragen verschiedene erstinstanzliche Behörden zuständig, so müssen diese die Rechtsanwendung in einer Weise abstimmen, dass qualitativ ein gleichwertiges Koordinationsergebnis erzielt wird. Die koordinierte Anwendung des materiellen Rechts kann durch die Kantone somit auf verschiedene Weise sichergestellt werden. Die in der Regel wohl zweckmässigste Möglichkeit besteht darin, die verschiedenen anwendbaren bundes- und kantonalrechtlichen Vorschriften durch eine Instanz erstinstanzlich beurteilen zu lassen. Wird das nicht gemacht, so müssen die verschiedenen zuständigen kantonalen und gegebenenfalls auch kommunalen Behörden die Rechtsanwendung im erstinstanzlichen Verfahren zunächst materiell koordinieren und anschliessend verfahrensmässig so vorgehen, dass die verschiedenen getrennt erlassenen Entscheide in einem einheitlichen Rechtsmittelverfahren angefochten werden können. Das kann etwa so geschehen, dass mehrere getrennt zu treffende Entscheide, in denen materielle Rechtsfragen mit engem Sachzusammenhang beurteilt werden, gleichzeitig eröffnet werden, am besten gesamthaft und zusammengefasst durch die erstinstanzliche Behörde, die für dasjenige Verfahren zuständig ist, das eine frühzeitige und umfassende Prüfung ermöglicht (Leitverfahren, massgebliches Verfahren; vgl.
Art. 5 Abs. 3 UVPV
). Bei einer solchen einheitlichen und gleichzeitigen Eröffnung verschiedener getrennt getroffener kantonaler bzw. kommunaler erstinstanzlicher
BGE 116 Ib 50 S. 58
Entscheide durch eine Behörde ist, aus Gründen des Sachzusammenhangs, ein gegen alle Entscheide zulässiges Rechtsmittel vorzusehen. In Rechtsmittelbelehrungen ist auf dasjenige Rechtsmittel hinzuweisen, das für das Leitverfahren gegeben ist. Werden die getrennt zu treffenden Entscheide zwar zeitlich und inhaltlich koordiniert, aber getrennt eröffnet, - was sich in der Regel als unzweckmässig erweist, - so ist trotz dieses Vorgehens ebenfalls dasjenige Rechtsmittel offenzuhalten, welches gegen den Entscheid besteht, der im Leitverfahren getroffen wird. Nur so kann bei bestehendem engem Sachzusammenhang die sachgerechte Anwendung des materiellen Rechts gewährleistet werden (vgl.
BGE 114 Ib 129
ff. E. 4). Diese Grundsätze gelten bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen sowohl für nicht UVP-pflichtige als auch für UVP-pflichtige Vorhaben. Bei UVP-pflichtigen Projekten entspricht das Leitverfahren dem massgeblichen Verfahren im Sinne von
Art. 5 UVPV
.
Ein von diesen Darlegungen abweichendes Vorgehen drängt sich auf, wenn die zur Bewilligung eines Vorhabens zu beurteilenden Rechtsfragen mit engem Sachzusammenhang erstinstanzlich teils durch Bundesbehörden und teils durch kantonale Behörden zu beurteilen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Projekt, für das mehrere kantonale Bewilligungen erforderlich sind, noch einer in der Zuständigkeit einer Bundesbehörde liegenden Bewilligung bedarf (z.B. Rodungsbewilligung nach
Art. 25bis FPolV
, SR 921.01, vgl.
BGE 113 Ib 150
E. 2c, 403 ff.). In solchen Fällen muss die materielle Koordination zwischen den erstinstanzlichen Behörden auch sichergestellt werden. Eine verfahrensrechtlich und zeitlich verbundene Eröffnung der Bewilligungen mit anschliessendem einheitlichem Rechtsmittelverfahren ist indessen hier bei der gegebenen Rechtslage nicht möglich. Wie in solchen Fällen vorzugehen ist, muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. Denkbar wäre beispielsweise bei der Erteilung von Rodungsbewilligungen nach
Art. 25bis FPolV
, dass die Bundesbehörde im Koordinationsprozess im erstinstanzlichen und in allfälligen kantonalen Rechtsmittelverfahren bis zur letzten kantonalen Instanz mitwirken würde. Sie wäre dabei vorbehältlich neuer Erkenntnisse im Laufe des Verfahrens an ihre gegenüber der ersten kantonalen Instanz abgegebene Stellungnahme gebunden. Würden aber im weiteren Verfahren etwa durch betroffene Dritte neue Gesichtspunkte vorgebracht, hätte die Bundesbehörde diese zu berücksichtigen und allenfalls von ihrer ersten Stellungnahme abzurücken.
BGE 116 Ib 50 S. 59
Eine anfechtbare Bewilligung der in ihre Zuständigkeit fallenden Rodung hätte die Bundesbehörde in der Regel erst dann zu erteilen, wenn die damit zusammenhängenden kantonalen Entscheide von der letzten kantonalen Instanz beurteilt worden wären. Würden die kantonalen Entscheide auf unterer Verfahrensstufe rechtskräftig, so könnte der Entscheid der Bundesbehörde schon im Anschluss daran getroffen werden. Ein solches zeitlich gestaffeltes Vorgehen dürfte den Anforderungen an die gebotene materielle Koordination genügen. Möglicherweise kann dieses Zusammenwirken von Behörden des Bundes und der Kantone aber auch auf andere Weise sachgerecht sichergestellt werden.
c) Bei der Bewilligung von grösseren Deponien ist nach den vorstehenden Ausführungen ein Nutzungsplanungsverfahren durchzuführen (vgl. vorne E. 3). Daneben ist die Erteilung der mit der Planungsfrage zusammenhängenden Bewilligungen notwendig, jedenfalls soweit für die Planfestsetzung unentbehrliche Anordnungen zu treffen sind. In der Regel dürfte es sich dabei um den wesentlichen Inhalt der Deponiebewilligungen nach
Art. 30 Abs. 2 USG
und
Art. 27 GSchG
handeln. Im vorliegenden Fall scheint nach den Akten überdies eine Rodungsbewilligung der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion erforderlich zu sein. Da im Verfahren, in welchem der Nutzungsplan erlassen wird - in der Regel dürfte es sich um einen nach kantonalem Recht ausgestalteten Sondernutzungsplan handeln -, eine umfassende Prüfung sämtlicher kantonal- und bundesrechtlicher Anforderungen erfolgt, stellt es das Leitverfahren und für UVP-pflichtige Vorhaben zugleich das massgebliche Verfahren dar (
Art. 5 Abs. 3 UVPV
). Koordiniert mit der Festsetzung dieses Nutzungsplans können die genannten Spezialbewilligungen eröffnet werden. Anschliessende Rechtsmittel sind in einem einheitlichen Verfahren zusammenzufassen. Wird anstelle eines Nutzungsplanungsverfahrens ein Ausnahmebewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
durchgeführt, so gilt nichts anderes: Da in diesem Fall die umfassende Interessenabwägung in diesem Verfahren vorzunehmen ist (
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
), bildet dieses bei einer Verfahrensordnung, wie sie derzeit im Kanton Zürich gilt, richtigerweise das Leitverfahren und bei UVP-pflichtigen Vorhaben zugleich das massgebliche Verfahren im Sinne von
Art. 5 UVPV
. Die Spezialbewilligungen sind zusammen mit dem Ausnahmebewilligungsentscheid anfechtbar, und zwar mit dem gegen diesen zulässigen Rechtsmittel, womit die vom Bundesrecht verlangte umfassende, volle
BGE 116 Ib 50 S. 60
Überprüfung durch eine Rechtsmittelinstanz (
Art. 33 Abs. 3 lit. b RPG
) sichergestellt ist.
Wie erwähnt gelten diese Grundsätze bei Vorliegen der entsprechenden materiellrechtlichen Voraussetzungen allgemein. Sie sind für UVP-pflichtige Vorhaben zum Teil auch in der UVPV enthalten. Soweit das nicht der Fall ist, sind sie auch bei UVP-pflichtigen Projekten in Ergänzung der genannten Verordnung zu beachten.
d) Die dem angefochtenen Entscheid zugrundeliegende Verfügung der Direktion der öffentlichen Bauten vom 26. September 1988 ist gestützt auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ergangen. Dass die umstrittene Deponie einer solchen Prüfung im Sinne von
Art. 9 USG
bedarf, ist unbestritten und geht überdies aus Ziffer 40.5 des Anhangs zur UVPV hervor. Wird der vorliegende Fall unter dem Gesichtspunkt der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPV) betrachtet, so ist zu beachten, dass nach Ziff. 40.5 des Anhangs zur UVPV zwar das massgebliche Verfahren zur Durchführung der UVP durch das kantonale Recht zu bestimmen ist, der kantonale Gesetzgeber sich bei dieser Wahl des Verfahrens allerdings an die dafür bestehenden bundesrechtlichen Grundsätze zu halten hat. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass im Hinblick auf
Art. 5 Abs. 3 UVPV
das Nutzungsplanungsverfahren das massgebliche Verfahren gewesen wäre. Was im speziellen die Koordination mit den erforderlichen Bewilligungen betrifft, ist
Art. 21 UVPV
zu berücksichtigen. Soweit die vorn dargelegten Grundsätze darin nicht enthalten sind, gelten sie ergänzend dazu. Aufgrund der Ausführungen in E. 4a-c hiervor ist bei Rechtsfragen mit engem Sachzusammenhang von der Pflicht einer materiell abgestimmten, umfassenden Prüfung auszugehen. Das muss in besonderem Masse für UVP-pflichtige Projekte gelten. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Prüfung der zuständigen Behörde, ob das Vorhaben den Vorschriften über den Umweltschutz entspricht (
Art. 18 Abs. 1 UVPV
), umfassend sein muss und vor allem auch die Anliegen der Raumplanung miteinzuschliessen hat. Auch
Art. 3 UVPV
ist in diesem Sinne zu verstehen. Die dortige Aufzählung von Rechtsgebieten kann aus materiellrechtlichen Gründen sachgerechter Weise nur als beispielhafte, nicht abschliessende Aufzählung verstanden werden.
e) Der Rechtsschutz ist durch die bundes- und kantonalrechtlichen Vorschriften der Raumplanungsgesetzgebung (vgl.
Art. 33 und 34 RPG
) und des Umweltschutzrechts (
Art. 54 ff. USG
) gewährleistet. Auch wenn ein Deponieplan im Sinne eines
BGE 116 Ib 50 S. 61
Sondernutzungsplans regelmässig verfügungsgleiche Wirkungen aufweist, ist auf Bundesebene die planungsrechtliche Problematik - mit Ausnahme derjenigen von
Art. 5 und 24 RPG
- dem Bundesgericht mittels staatsrechtlicher Beschwerde zu unterbreiten (
Art. 34 RPG
). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist indessen die Festsetzung der Lärm-Empfindlichkeitsstufen (Art. 43 f. LSV) dann im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln, wenn es sich bei dem in Frage stehenden Plan um derart detaillierte, das nachfolgende Baubewilligungsverfahren präjudizierende Anordnungen handelt, dass sie einer Verfügung (
Art. 5 VwVG
) gleichkommen. Werden die Empfindlichkeitsstufen nicht im Rahmen eines Plans mit verfügungsgleicher Wirkung festgesetzt, so sind die die Empfindlichkeitsstufen betreffenden Fragen als zum Planinhalt gehörende Fragen zusammen mit anderen Aspekten der Nutzungsplanung mit staatsrechtlicher Beschwerde vorzubringen (
BGE 115 Ib 351
). Die weiteren bundesrechtlichen Fragen, namentlich des Umweltschutzrechts, sind dem Bundesgericht grundsätzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu unterbreiten, sofern es sich abgesehen von
Art. 5 und 24 RPG
nicht um solche der Raumplanung handelt. Wird der Weg über eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
eingeschlagen, was bei kleineren Vorhaben nach wie vor ohne weiteres zulässig ist, so unterliegen auch die planungsrechtlichen Aspekte der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (
Art. 34 Abs. 1 RPG
;
BGE 115 Ib 350
E. 1a,
BGE 114 Ib 132
E. 2, 112 Ib 96, 156 E. 1a).
5.
Der Regierungsrat und vor ihm bereits die Baudirektion haben die Überprüfung des vorliegenden Projekts in bezug auf den Lärmschutz und die Luftreinhaltung bewusst unterlassen. Sie sind der Auffassung, diese Prüfung habe im baurechtlichen Bewilligungsverfahren zu erfolgen. Die Erteilung einer Deponiebewilligung im Sinne von
Art. 30 Abs. 2 USG
setzt jedoch, wie auch das BUWAL zutreffend darlegt, voraus, dass die Vorschriften des Bundesumweltschutzrechts betreffend den Lärmschutz und die Luftreinhaltung eingehalten werden. Dies geht auch aus der Botschaft des Bundesrats zum Umweltschutzgesetz hervor, wo ausgeführt wird, die Abfallbeseitigung dürfe zu keinen Schäden für die Umwelt führen. Deshalb unterstehe sie auch den Bestimmungen über die Luftreinhaltung, den Lärm und umweltgefährdende Stoffe etc. Die Bewilligungspflicht für den Betrieb der Anlage erlaube es, Auflagen für die Betriebsführung zu machen und namentlich die Abfallarten zu bezeichnen, die abgelagert werden dürften. Bei
BGE 116 Ib 50 S. 62
bereits bewilligten Deponien könnten durch Abänderung der Bewilligung noch Massnahmen zur Verminderung von schädlichen oder lästigen Einwirkungen im Sinne dieses Gesetzes angeordnet werden (BBl 1979 III 808).
6.
a) Die Behörden des Kantons Zürich haben für die Verwirklichung des Regionaldeponieprojekts Chrüzlen in sorgfältiger Weise umfangreiche Vorarbeiten geleistet, welche auf die Durchführung eines Ausnahmebewilligungsverfahrens nach
Art. 24 RPG
ausgerichtet waren. Bei Beginn der Planungsarbeiten für die Deponie Chrüzlen war die bundesgerichtliche Praxis zur Planungspflicht noch nicht bekannt. Auch die nach dem Inkrafttreten des Umweltschutzgesetzes entstandene Koordinationsproblematik war damals zu wenig geklärt. Die diese Fragen teilweise regelnde Verordnung zur Umweltverträglichkeitsprüfung lag zudem überhaupt noch nicht vor. Im Hinblick auf diese intertemporalrechtliche Situation ist es im vorliegenden Fall ausnahmsweise zulässig, den eingeschlagenen Weg weiterzufolgen und die Regionaldeponie Chrüzlen im Bewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
zu beurteilen und gegebenenfalls zu bewilligen. Allerdings ist in diesem Fall die umfassende Abwägung von sämtlichen für und gegen die Deponie sprechenden öffentlichen und privaten Interessen gemäss
Art. 24 Abs. 1 lit. b RPG
koordiniert durchzuführen, was die materielle Prüfung sämtlicher vom Sachzusammenhang erfasster Bereiche (hier insbesondere Raumplanungs-, Umwelt-, Gewässerschutz- und Forstrecht) erfordert (vgl.
BGE 114 Ib 227
f.,
BGE 113 Ib 154
). Das Ausnahmebewilligungsverfahren nach
Art. 24 RPG
hat in diesem Fall auch als das massgebliche Verfahren zur Durchführung der UVP im Sinne von
Art. 5 UVPV
zu gelten.
Für das vorliegende Projekt ist indessen die Baudirektion als zuständige Behörde im Sinne von
Art. 5 UVPV
und das Bewilligungsverfahren vor der Baudirektion nach
Art. 30 Abs. 2 USG
und
Art. 27 GSchG
als massgebliches Verfahren bezeichnet worden, was im übrigen den am 12. April 1989 nachträglich vom Regierungsrat erlassenen Einführungsbestimmungen für die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung entspricht. Das BUWAL hat in seiner Vernehmlassung diese Regelung der Zuständigkeiten nicht beanstandet. Im Lichte der vorstehenden Erwägungen ergibt sich indessen, dass mit dem angefochtenen Entscheid des Regierungsrats, der die Verfügung der Baudirektion bestätigt, die verfassungsrechtliche Koordinationspflicht sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht verletzt worden ist.
BGE 116 Ib 50 S. 63
Auch wenn das vorliegende Deponiebewilligungsverfahren lange Zeit vor Inkrafttreten der UVPV angehoben worden ist (vgl.
Art. 24 UVPV
), durfte es nicht in einem Verfahren durchgeführt werden, das keine Gewähr für die umfassende frühzeitige Koordination bietet. Der angefochtene Entscheid verletzt deshalb Bundesrecht (
Art. 104 lit. a OG
).
b) Im Kanton Zürich findet zur Erteilung einer Bewilligung nach
Art. 24 RPG
und damit zur Durchführung dieses ausnahmsweise noch als zulässig bezeichneten Leitverfahrens für die Deponiebewilligung grundsätzlich ein kommunales Bewilligungsverfahren vor der örtlichen Baubehörde (
§ 318 PBG
) statt. Der nach
Art. 25 Abs. 2 RPG
erforderliche Entscheid einer kantonalen Behörde erfolgt aufgrund des Meldeverfahrens gemäss § 18 der kantonalen Bauverfahrensordnung vom 19. April 1978 (BauVO). Die Baudirektion entscheidet demnach innert dreissig Tagen seit der Meldung des Bauvorhabens, ob sie dieses ihrer Genehmigung unterstellen will oder nicht (§ 18 Abs. 3 BauVO und Ziff. 2.23 Anhang BauVO; vgl. W. HALLER/P. KARLEN, Raumplanungs- und Baurecht, Zürich 1990, § 16,. N 28).
Die vom Gemeinderat Egg am 18. August 1988 und vom Gemeinderat Oetwil a.S. am 22. August 1988 erteilten baurechtlichen Bewilligungen sind gegenwärtig vor der Baurekurskommission II hängig. In diesem Rekursverfahren kann die in den vorstehenden Erwägungen umschriebene umfassende Prüfung des Deponieprojekts auf seine Übereinstimmung mit sämtlichen für die Bewilligung massgebenden Vorschriften über den Schutz der Umwelt (vgl.
Art. 3 UVPV
und vorne E. 4d) noch vorgenommen werden. Dabei ist jedoch auch die Verfügung der Baudirektion über die Genehmigung oder die Nichtunterstellung unter
Art. 24 RPG
in die umfassende Prüfung miteinzubeziehen (
BGE 115 Ib 402
ff).
Wäre das Verfahren noch im Anfangsstadium, so müssten die genannten von den kantonalen Behörden zu treffenden Verfügungen im erstinstanzlichen Verfahren mit den kommunalen baurechtlichen Bewilligungen koordiniert, und danach mit einheitlicher Weiterzugsmöglichkeit an die Baurekurskommission, gleichzeitig eröffnet werden. Da das baurechtliche Bewilligungsverfahren mit Einschluss eines Teils des Verfahrens im Sinne von
Art. 24 RPG
und damit das Leitverfahren und das massgebliche Verfahren im vorliegenden Fall schon vor dieser Kommission hängig ist und diese eine umfassende Prüfungsbefugnis besitzt, können die erforderlichen, von den kantonalen Behörden zu treffenden
BGE 116 Ib 50 S. 64
Verfügungen ausnahmsweise unabhängig von den bereits ergangenen kommunalen baurechtlichen Bewilligungen getroffen und eröffnet werden. Dabei ist allerdings auf die Möglichkeit der Anfechtung dieser Verfügungen bei der Baurekurskommission II hinzuweisen. Es bleibt den zuständigen Behörden im übrigen unbenommen, von dieser Abkürzungsmöglichkeit wie auch von der intertemporalrechtlich begründeten Möglichkeit, ausnahmsweise kein Nutzungsplanungsverfahren durchzuführen, nicht Gebrauch zu machen. Die Baurekurskommission II wird bei der Anwendung des genannten abgekürzten Verfahrens dafür sorgen, dass den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör in ausreichender Weise gewährt wird. Da alle Bewilligungen, die einen engen Sachzusammenhang im geschilderten Sinne aufweisen, in einem mit dem Verfahren im Sinne von
Art. 24 RPG
zusammenhängenden Verfahren zu beurteilen sind, müssen die kantonalen Behörden zudem prüfen, ob noch weitere Verfügungen zu erlassen sind, bevor die Baurekurskommission II das in der dargelegten Weise vervollständigte Verfahren weiterführt und abschliesst.
c) Der Vollständigkeit halber ist im übrigen darauf hinzuweisen, dass die umfassende Interessenabwägung mit Einschluss der vollen Ermessensüberprüfung nicht im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht, das nicht als erste Rechtsmittelinstanz entscheidet, erfolgen kann, da dessen Kognition auf Rechtsverletzungen und unrichtige oder ungenügende Sachverhaltsfeststellungen beschränkt ist (§§ 50 f. VRG; vgl. W. HALLER/P. KARLEN, a.a.O.,
§ 18, N 10
). Der Entscheid der Baurekurskommission ist jedoch beim Verwaltungsgericht anfechtbar (
§ 329 Abs. 2 PBG
). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d0bb9947-03b3-4c5f-87a1-e949b528884c | Urteilskopf
95 I 193
29. Urteil vom 7. Mai 1969 i.S. Grolimund und Hug gegen Grolimund und Regierungsrat des Kantons Solothurn. | Regeste
Öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher Immissionenschutz.
Legitimation der Nachbarn zur staatsrechtlichen Beschwerde bei Verweigerung des öffentlichrechtlichen Schutzes (Erw. 1).
Verhältnis zwischen öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Immissionenschutz (Erw. 3).
Auslegung des § 1 des solothurn. Gesetzes vom 6. Mai 1882 über öffentliche Gesundheitspflege, der den Staat und die Gemeinden berechtigt und verpflichtet, "zum Zweck der möglichsten Abhaltung und Beseitigung gesundheitsschädlicher Einflüsse die nötigen Massnahmen zu treffen". Begriff der Gesundheitsschädlichkeit. Anwendung auf die von einer Geflügelmastfarm ausgehenden Staub- und Geruchsimmissionen (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 95 I 193 S. 194
A.-
Das solothurn. Gesetz vom 6. Mai 1882 über öffentliche Gesundheitspflege und Lebensmittelpolizei (GPfIG) bestimmt in § 1:
"Es ist Recht und Pflicht des Staates und der Gemeinden, die öffentlichen Gesundheitsinteressen zu fördern und zum Zweck der möglichsten Abhaltung und Beseitigung gesundheitsschädlicher Einflüsse die nötigen Massnahmen zu treffen".
Der öffentlichen Kontrolle sind unter anderem Wohnungen und Stallungen (§ 2 lit. d) sowie Gewerbe, soweit sie gesundheitsschädlich sind (§ 2 lit. g), unterstellt. Die Handhabung der öffentlichen Gesundheitspflege liegt unter der Oberaufsicht des Regierungsrates in erster Linie den örtlichen Gesundheitsbehörden (Ortsgesundheitskommission) und den Oberamtmännern ob (§ 3).
B.-
Im März 1962 ersuchte Oskar Grolimund bei der Baukommission der Gemeinde Balsthal um die Bewilligung, auf seinem Grundstück am obern Steinackerweg eine Geflügelmastfarm zu erstellen. Nachdem sowohl der Bauherr als auch die Optigal SA in Lausanne, für welche die Geflügelfarm betrieben werden sollte, erklärt hatten, dass die Nachbarschaft weder durch lästige Gerüche noch durch Geräusche oder sonstige Auswirkungen gestört werde, wurde die Baubewilligung erteilt, worauf die Geflügelmastfarm erstellt und im Sommer 1963 in Betrieb genommen wurde.
Im November 1963 beschwerte sich Hermann Grolimund-Allemann, der auf dem südlich angrenzenden Grundstück wohnt und sich bereits im Baugesuchsverfahren gegen die Bewilligung der Baute gewandt hatte, zusammen mit vier anderen Nachbarn, darunter Walter Hug, bei der Gesundheitskommission Balsthal darüber, dass von der Geflügelfarm lästige Gerüche ausgingen und feiner Staub auf die Nachbarliegenschaften gelange, was es verunmögliche, die Fenster offen zu halten. Die Gesundheitskommission untersuchte die Sache und beschloss dann am 17. September 1964 gestützt auf die §§ 1 und 2 GPfIG, den weiteren Betrieb der Geflügelmastfarm mit Wirkung ab 1. November 1964 zu untersagen.
Hiegegen erhoben die Betriebsinhaber Oskar und René Grolimund beim Oberamt Balsthal Beschwerde. Der Oberamtmann holte, nach Einvernahme mehrerer Zeugen, beim Gerichtlich-Medizinischen Institut der Universität Bern ein Gutachten ein, das am 29. Dezember 1966 erstattet wurde. Am 28. November
BGE 95 I 193 S. 195
1967 wies der Oberamtmann die Beschwerde ab. Er nahm an, dass die lästigen Geruchs- und Staubimmissionen sich nach dem Gutachten in mindestens zwei Fällen als zweifellos gesundheitsschädlich erwiesen hätten und für die Nachbarschaft in einem ausgesprochenen Wohnquartier auch vom Standpunkt des normalen Durchschnittsmenschen als übermässig zu betrachten seien. Im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege müsse Abhilfe geschaffen werden, und zwar, da die Betriebsinhaber zu wirksamen Verbesserungen nicht bereit seien, durch Einstellung des Betriebes.
Oskar und René Grolimund beschwerten sich gegen diesen Entscheid beim Regierungsrat des Kantons Solothurn, indem sie vor allem geltend machten, dass die von der Geflügelmastfarm ausgehenden Immissionen nicht gesundheitsschädlich seien.
Der Regierungsrat liess durch drei Beamte des Sanitätsdepartements einen Augenschein vornehmen und hiess hierauf die Beschwerde am 6. August 1968 gut, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Über die zentrale Frage, ob die Geflügelmastfarm durch Staubeinwirkung und lästigen Geruch die Gefahr gesundheitsschädlicher Einflüsse in sich trage, sei von der Vorinstanz ein Gutachten eingeholt worden. Nach diesem seien die der Farm entströmenden Dünste nicht unmittelbar gesundheitsschädigend und sei mit der Verstaubung keine Infektionsgefahr verbunden. Das Gutachten bejahe die Gesundheitsschädlichkeit der Immissionen für den Knaben Beat Hug und die Eheleute Grolimund-Allemann. Dass die Staubimmission die Gesundheit des Knaben beeinträchtigt habe, sei auf dessen besondere Disposition (Überempfindlichkeit gegen Hausstaub und anderen Staub) zurückzuführen; eine entsprechende Behandlung und die Zuteilung eines Zimmers, dessen Fenster sich nach der der Geflügelmastfarm entgegengesetzten Seite öffnen, habe den gewünschten Erfolg gezeitigt. Bei den Eheleuten Grolimund habe der tägliche Ärger über die Farm und über die von dieser ausgehenden Immissionen das Nervensystem angegriffen; aufgrund ihrer persönlichen Disposition könnten die Immissionen jedoch nicht als gesundheitsschädlich gelten. Zwischen dem privatrechtlichen und dem öffentlichrechtlichen Begriff der Immission bestehe entgegen der Auffassung des Oberamtes ein Unterschied. Der solothurnische Gesetzgeber habe bewusst nicht den Wortlaut des
Art. 684 ZGB
übernommen, sondern habe den öffentlich-rechtlichen Schutz auf ganz bestimmte, nämlich
BGE 95 I 193 S. 196
gesundheitsschädliche Immissionen eingeschränkt. Es sei verfehlt, heute im Zuge der Zeit eine Immission als gesundheitsschädlich zu betrachten, die bloss übermässig im Sinne des Privatrechts sei; eine solche Ausdehnung (des Schutzbereichs) sei nur auf dem Wege der Änderung des GPfIG möglich. Gesundheitsschädlich sei eine Immission erst, wenn sie sich bei einem normal disponierten Durchschnittsmenschen auf den menschlichen Organismus negativ auswirke, d.h. eine manifeste Krankheit auszulösen vermöge, und das treffe für die fraglichen Immissionen nach dem Gutachten nicht zu, wenn sie auch, wie der Augenschein von Vertretern des Sanitätsdepartementes ergeben habe, so stark seien, dass sie als "übermässig" im Sinne des ZGB qualifiziert werden könnten.
C.-
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellen Hermann Grolimund-Allemann und Walter Hug den Antrag, der Beschluss des Regierungsrates vom 6. August 1968 sei aufzuheben und damit der Entscheid des Oberamtmannes Balsthal vom 28. November 1967 zu bestätigen. Sie machen als Verletzung des
Art. 4 BV
geltend,
a) dass die vom Regierungsrat vertretene einschränkende Auslegung des Begriffes "gesundheitsschädlich" im Sinne des GPfIG willkürlich sei und auch krass der Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 87 I 363
) widerspreche, die sich auf allgemein gültige Grundsätze des Verwaltungsrechts stütze;
b) dass die Annahme des Regierungsrates, die fraglichen Immissionen seien nicht gesundheitsschädlich, im Hinblick auf das vom Oberamt eingeholte Gutachten nicht nur willkürlich, sondern auch aktenwidrig sei.
Die nähere Begründung dieser Rügen ergibt sich, soweit notwendig, aus den nachstehenden Erwägungen.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt, auf die Beschwerde mangels Legitimation der Beschwerdeführer nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Oskar und René Grolimund beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Regierungsrat bestreitet die Legitimation der Beschwerdeführer mit der Begründung, nach
BGE 93 I 171
ff. sei der Bürger zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung einer Bestimmung des kantonalen Rechts nur legitimiert, wenn diese Bestimmung seine persönlichen Interessen schütze, nicht
BGE 95 I 193 S. 197
dagegen, wenn sie ausschliesslich im öffentlichen Interesse erlassen worden sei. Aus § 1 GPfIG gehe eindeutig hervor, dass die Vorschrift die "öffentlichen Gesundheitsinteressen" tangiere, also zum Schutz der Öffentlichkeit ganz allgemein aufgestellt worden sei.
Das GPfIG gewährt indessen, wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid selber ausführt, einen öffentlich-rechtlichen Schutz gegen bestimmte, von einem Grundstück ausgehende Immissionen. Insoweit ordnet das GPfIG nachbarliche Beziehungen sowohl im Interesse der Öffentlichkeit als auch im Interesse der Nachbarn (
BGE 91 I 415
ff.,
BGE 92 I 208
Erw. 2). Im vorliegenden Falle ist gerade streitig, welche Tragweite die Regeln des GPfIG als Normen des Immissionenschutzes haben. Der angefochtene Entscheid berührt deshalb die Rechtsstellung der durch diese Regeln geschützten Nachbarn, so dass diese befugt sind, eine Verletzung dieser ihrer rechtlich geschützten Interessen mit der staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen.
2.
Staatsrechtliche Beschwerden haben, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, rein kassatorische Funktion, können also nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen (
BGE 94 I 202
und 221 je Erw. 1b mit Hinweisen auf frühere Urteile). Soweit die Beschwerdeführer mehr, nämlich die Bestätigung des Entscheides des Oberamtes beantragen, ist deshalb auf ihre Beschwerde nicht einzutreten.
3.
Der Regierungsrat nimmt an, der polizeiliche Schutz gegen Immissionen gehe im Kanton Solothurn weniger weit als der zivilrechtliche und erstrecke sich nicht auf alle übermässigen Einwirkungen im Sinne des
Art. 684 ZGB
, sondern beschränke sich auf gesundheitsschädliche Immissionen. Die Beschwerdeführer betrachten diese Auffassung als unhaltbar, indem sie sich auf
BGE 87 I 363
berufen und behaupten, die in diesem Urteil enthaltenen Ausführungen stellten "allgemein gültige Grundsätze des Verwaltungsrechts" dar. Dabei verkennen sie jedoch den Sinn dieses Urteils. Wohl erklärte das Bundesgericht dort, die Abwehr der in
Art. 684 ZGB
untersagten übermässigen Immissionen sei nicht nur eine Sache des Privatrechts, sondern grundsätzlich auch eine solche des öffentlichen Rechts. Der zivilrechtliche und der öffentlichrechtliche Immissionsschutz sind indessen nicht nur, was das Verfahren zur Geltendmachung, sondern auch was den Inhalt des Schutzes betrifft, völlig unabhängig voneinander. Wie weit der öffentlichrechtliche Schutz
BGE 95 I 193 S. 198
geht, bestimmt sich nicht nach
Art. 684 ZGB
, sondern nach dem kantonalen öffentlichen Recht, das weiter oder weniger weit als diese zivilrechtliche Bestimmung gehen kann (HAAB N. 56/57 zu Art. 641, N. 3 zu
Art. 684 ZGB
; MEIER-HAYOZ N. 20 ff. und 41 ff. zu
Art. 680 ZGB
; IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 3. Aufl. Nr. 114 I). In
BGE 87 I 362
ging es, wie schon in
BGE 53 I 401
, um die Anwendung einer Bestimmung des kantonalen öffentlichen Rechts, die inhaltlich mit
Art. 684 ZGB
übereinstimmte und den Nachbarn berechtigte, zunächst den Schutz der Polizei anzurufen. Eine derartige Vorschrift besteht im Kanton Solothurn offenbar nicht und wird denn auch von den Beschwerdeführern nicht angerufen. In Betracht fällt einzig § 1 GPfIG, nach welchem die Behörden das Recht und die Pflicht haben, zum Zwecke der möglichsten Abhaltung und Beseitigung gesundheitsschädlicher Einflüsse die nötigen Massnahmen zu treffen. Es erscheint daher als zutreffend und ist jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Regierungsrat annimmt, die Verwaltungsbehörden seien zum Eingreifen nicht befugt, wenn Immissionen bloss übermässig, jedoch nicht gesundheitsschädlich seien. Ernstlich fragen kann sich nur, ob der Regierungsrat annehmen durfte, die von der Geflügelmastfarm der Beschwerdegegner ausgehenden Immissionen seien nicht gesundheitsschädlich im Sinne des § 1 GPfIG. Diese Frage der Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechtes kann das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür und der rechtsungleichen Behandlung überprüfen (
BGE 87 I 363
und dort angeführte frühere Urteile).
4.
Das GPfIG umschreibt den in den §§ 1 und 2 verwendeten Begriff "gesundheitsschädlich" nicht näher. Nach dem angefochtenen Entscheid ist eine Immission gesundheitsschädlich, wenn sie sich auf den menschlichen Organismus negativ auswirkt, beim normal disponierten Durchschnittsmenschen "eine manifeste Krankheit auszulösen vermag". Ob der Regierungsrat darunter nur körperliche oder auch seelische Krankheiten versteht, ist nicht klar; daraus, dass er von negativen Auswirkungen auf den "Organismus" spricht, scheint hervorzugehen, dass er lediglich an körperliche Leiden denkt. Wie dem auch sei, wollte er mit seiner Umschreibung offenbar den Gegensatz zwischen seiner und der in
BGE 56 II 359
ff. vertretenen Auffassung betonen. Dort hatte nämlich das Bundesgericht bei Anwendung
BGE 95 I 193 S. 199
des
Art. 684 ZGB
angenommen, als gesundheitsschädlich sei nicht nur eine Einwirkung anzusehen, die eine manifeste Krankheit auszulösen vermag, sondern jede, die das körperliche oder seelische Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt. Es fragt sich somit, ob der Regierungsrat annehmen durfte, der Begriff "gesundheitsschädlich" habe in § 1 GPfIG nicht diese weite, sondern eine wesentlich engere Bedeutung.
Im erwähnten weiten Sinn wird der Begriff "gesundheitsschädlich" nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch, sondern, wie sich aus
BGE 56 II 357
und aus dem vom Oberamt Balsthal eingeholten Gutachten ergibt, auch von den Medizinern verstanden und verwendet. Die Annahme des Regierungsrates, dass er in § 1 GPfIG einen engeren Sinne habe, wäre unter diesen Umständen nur dann haltbar, wenn hiefür ernsthafte Anhaltspunkte bestünden. Das ist indes nicht der Fall. Da das GPfIG von 1882 lange vor der Ausarbeitung der ersten Entwürfe zum ZGB erlassen worden ist, kann keine Rede davon sein, dass der Gesetzgeber, wie der angefochtene Entscheid behauptet, "bewusst nicht den Wortlaut des
Art. 684 ZGB
übernommen hat". Bedeutungslos ist auch, dass der heutige Stand der Hygiene und Medizin ein anderer ist als 1882. Eine Vorschrift, die so allgemein gefasst ist und die Behörden nicht nur zu Massnahmen gegenüber gesundheitsschädlichen Einflüssen, sondern darüber hinaus zur Förderung der öffentlichen Gesundheitsinteressen berechtigt, ja verpflichtet, darf nicht einfach aus der Sicht der zur Zeit ihres Erlasses herrschenden Anschauungen ausgelegt werden. Eine solche historische Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut, Sinn und Zweck des § 1 GPfIG nicht vereinbaren. Die Aufgaben des Gemeinwesens auf dem Gebiete des Gesundheitswesens werden darin in einer Art und Weise umschrieben, die eine den heutigen Anforderungen entsprechende Anwendung nicht nur ohne weiteres gestattet, sondern geradezu fordert, wenn man die Bedeutung berücksichtigt, die der menschlichen Gesundheit als Rechtsgut zukommt.
Wenn der Regierungsrat, wie es den Anschein hat, der Auffassung sein sollte, gesundheitsschädlich sei nur eine Immission, die unmittelbar eine manifeste, d.h. ohne weiteres feststellbare körperliche Krankheit auszulösen vermag, so würde der angefochtene Entscheid schon deshalb gegen
Art. 4 BV
verstossen, weil diese enge Auslegung des § 1 GPfIG nach dem Gesagten als unhaltbar erscheint. Wenn man nicht so weit gehen und jede
BGE 95 I 193 S. 200
Immission, die das körperliche oder seelische Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt, als gesundheitsschädlich betrachten will, so muss dies mindestens für solche Einwirkungen angenommen werden, welche nach medizinischer Auffassung eine ernsthafte Gefahr für die menschliche Gesundheit bilden und geeignet sind, eine eigentliche, sei es körperliche oder seelische, Krankheit zu verursachen. Das trifft aber auf die in Frage stehenden Immissionen nach den Akten offensichtlich zu.
5.
Der Oberamtmann hat angenommen, dass diese Immissionen sich in mindestens zwei Fällen, nämlich beim Knaben Beat Hug und bei den Eheleuten Grolimund-Allemann, als zweifellos gesundheitsschädlich erwiesen hätten. Der Regierungsrat hat dies für beide Fälle verneint in der Annahme, dass die bei diesen Personen im Zusammenhang mit den Immissionen eingetretenen Störungen der Gesundheit auf eine spezielle persönliche Disposition zurückzuführen seien.
Soweit der Regierungsrat annimmt, dass bei der Beurteilung einer eventuellen Gesundheitsschädlichkeit vom normal disponierten Durchschnittsmenschen auszugehen sei, ist sein Entscheid nicht zu beanstanden, da sich mit guten Gründen die Auffassung vertreten lässt, dass der polizeiliche Schutz, den § 1 GPfIG vor gesundheitsschädlichen Immissionen gewährt, nur auf die normale Empfindlichkeit des Durchschnittsmenschen, nicht auf besondere Veranlagungen einzelner Personen Rücksicht zu nehmen habe. Zu prüfen bleibt, wie es sich in dieser Beziehung mit den in Frage stehenden gesundheitlichen Störungen verhält.
a) Der Knabe Beat Hug litt schon vor der Erstellung der Geflügelmastfarm an Bronchialasthma. Dieses Leiden, das sich infolge der Staubimmission der Farm verschlimmerte, ist jedoch, wie die Beschwerdeführer selber anerkennen, auf eine besondere Disposition (abnormale Empfindlichkeit gegen Staubimmissionen) zurückzuführen. Auch das vom Oberamtmann eingeholte Gutachten, das die Staubimmissionen für Beat Hug als "ausgesprochen gesundheitsschädlich" bezeichnet, hebt wiederholt hervor, dass dies auf seine individuelle Disposition zu allergischen Organreaktionen zurückzuführen sei. Berücksichtigt man weiter, dass die gesundheitliche Störung jetzt nach entsprechender Behandlung und Zuweisung eines anderen Zimmers offenbar behoben ist, so ist es keineswegs willkürlich, wenn angenommen wird, der Einfluss der Immissionen auf den Gesundheitszustand
BGE 95 I 193 S. 201
des Knaben Beat Hug bilde keinen Grund, sie als gesundheitsschädlich im Sinne des § 1 GPfIG zu betrachten.
b) Anders verhält es sich dagegen mit den Ehegatten Grolimund-Allemann, bei denen die Immissionen, ohne dass eine besondere Disposition bestand, nicht nur zu einer Störung des seelischen Wohlbefindens, sondern zu einer eigentlichen psychischen Erkrankung geführt haben. Die gegenteilige Auffassung des Regierungsrates beruht auf einer einseitigen Würdigung der ärztlichen Gutachten, die sich lediglich an einzelne Sätze hält und den übrigen Inhalt der Gutachten übergeht.
Der Psychiater Dr. Wehrle, den der Oberamtmann mit der Untersuchung der Ehegatten beauftragt hatte, stellte bei ihnen eine "handgreifliche reaktive Depression" fest, die "durchaus echt und objektiv" sei und "ausschliesslich durch äussere Faktoren", nämlich durch die lästigen Fernwirkungen der Geflügelmastfarm seit mehr als zwei Jahren, hervorgerufen sei. Auch das Gutachten des gerichtlich-medizinischen Instituts der Universität Bern, das die Geflügelmastfarm als für die Eheleute "ausgesprochen gesundheitsschädlich" bezeichnet, führt aus, dass ihre Krankheitserscheinungen "vollumfänglich als Reaktion auf die Belästigung durch die Geflügelmastfarm aufgefasst werden können". Die Annahme des Regierungsrates, diese Erscheinungen seien wie bei Beat Hug auf eine persönliche Disposition zurückzuführen, findet in den Akten keine Stütze. Im Gegenteil erklären sowohl Dr. Wehrle als auch die beiden anderen Gutachter ausdrücklich, dass Hinweise auf ein organisches, von den Immissionen unabhängiges Nervenleiden oder gar auf eine Psychose (z.B. eine endogene Depression) nicht bestehen. In ihrem Ergänzungsbericht vom 19. September 1967 stellen die Gutachter überdies fest, dass bei Immissionen, wie sie von der Geflügelfarm ausgehen, "nach längerer Zeit selbst bei Gesunden Schädigungen (z.B. neurasthenische Symptomkomplexe) auftreten können" und die Immissionen bei den Ehegatten Grolimund-Allemann "aus medizinischer Sicht als Teilfaktor eines psychischen Insultes zu gelten haben, welcher vorgängig psychisch Gesunde getroffen" hat. Angesichts dieser zahlreichen und eindeutigen Äusserungen mehrerer medizinischer Fachleute, deren Richtigkeit vom Regierungsrat in keiner Weise in Zweifel gezogen wird, muss seine Annahme, die Immissionen der Geflügelmastfarm seien nicht gesundheitsschädlich, als unhaltbar und willkürlich bezeichnet werden. Zum gleichen Ergebnis
BGE 95 I 193 S. 202
kann man übrigens schon aufgrund des Augenscheinprotokolls der Vertreter des Sanitätsdepartements kommen, wonach der "Gestank, welcher der Anlage entströmt, sehr stark exkrementhaltig, konzentriert wie im Innenraum des Gebäudes" ist, denn es ist klar, dass ein solcher Gestank, dem die Anwohner neben der Staubbelästigung ausgesetzt sind, auf die Länge die seelische Gesundheit ernstlich gefährden kann und daher in einem ausgesprochenen Wohnquartier, wie es die Umgebung der Geflügelfarm nach der unbestrittenen Feststellung des Oberamtsmanns ist, gesundheitsschädlich wirkt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 6. August 1968 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0bba516-9906-4c73-b973-ff4f8d09c64c | Urteilskopf
115 V 1
1. Auszug aus dem Urteil vom 23. Februar 1989 i.S. X AG gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern und Versicherungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 5 Abs. 2 und
Art. 9 Abs. 1 AHVG
,
Art. 6 ff. AHVV
: Beitragsrechtliche Qualifikation von "Schmiergeldern".
Die Frage, ob es sich bei "Schmiergeldzahlungen um Einkommen aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt, lässt sich nicht in generell gültiger Weise beantworten, sondern ist in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen. | Erwägungen
ab Seite 1
BGE 115 V 1 S. 1
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht Erwerbstätiger richtet sich unter anderem danach, ob das in einem bestimmten Zeitraum erzielte Erwerbseinkommen als solches aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist (
Art. 5 und 9 AHVG
sowie
Art. 6 ff. AHVV
). Nach
Art. 5 Abs. 2 AHVG
gilt als massgebender Lohn jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit; als Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit gilt nach
Art. 9 Abs. 1 AHVG
jedes Einkommen, das nicht Entgelt für in unselbständiger Stellung geleistete Arbeit darstellt.
Nach der Rechtsprechung beurteilt sich die Frage, ob im Einzelfall selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit vorliegt,
BGE 115 V 1 S. 2
nicht aufgrund der Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien. Entscheidend sind vielmehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die zivilrechtlichen Verhältnisse vermögen dabei allenfalls gewisse Anhaltspunkte für die AHV-rechtliche Qualifikation zu bieten, ohne jedoch ausschlaggebend zu sein. Als unselbständig erwerbstätig ist im allgemeinen zu betrachten, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifisches Unternehmerrisiko trägt.
Aus diesen Grundsätzen allein lassen sich indessen noch keine einheitlichen, schematisch anwendbaren Lösungen ableiten. Die Vielfalt der im wirtschaftlichen Leben anzutreffenden Sachverhalte zwingt dazu, die beitragsrechtliche Stellung eines Erwerbstätigen jeweils unter Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Weil dabei vielfach Merkmale beider Erwerbsarten zutage treten, muss sich der Entscheid oft danach richten, welche dieser Merkmale im konkreten Fall überwiegen (
BGE 110 V 78
Erw. 4a mit Hinweisen).
4.
b) Unbestrittenermassen richtete die Beschwerdeführerin X AG verschiedenen Empfängern Zahlungen als Entschädigung dafür aus, dass diese ihr zu Grossaufträgen der Firmen, bei denen sie selber angestellt waren, verhalfen. Dabei durften die Arbeitgeber der Zahlungsbezüger von dieser Vermittlungstätigkeit keine Kenntnis erhalten. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden diese Beträge ausdrücklich als "Schmiergelder" bezeichnet. Da sie als Gegenleistung für die von den Empfängern geleisteten Dienste ausgerichtet wurden, ist vom Vorliegen eines beitragspflichtigen Erwerbseinkommens auszugehen. Ob die Ausgleichskasse die dafür zu entrichtenden Beiträge zu Recht von der X AG forderte, hängt von der beitragsrechtlichen Qualifikation der Zahlungsempfänger ab.
c) Bereits im vorinstanzlichen Verfahren wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die fraglichen Entschädigungen nicht als Aufwand verbucht werden konnten und von der Steuerverwaltung dementsprechend als Gewinn behandelt wurden. Daraus kann sie indessen bezüglich der beitragsrechtlichen Qualifikation dieser Gelder nichts zu ihren Gunsten ableiten. Bezüglich solcher im täglichen Geschäftsleben unter verschiedensten Bezeichnungen geläufigen Zahlungen entwickelten sich zwar im Fiskalrecht zahlreiche Grundsätze über deren steuerrechtliche Erfassung (vgl. STAMPFLI, Die Leistung geheimer Kommissionen und ihre
BGE 115 V 1 S. 3
steuerrechtliche Behandlung, Diss. Bern 1986, S. 152 ff. und 161 ff.; HERITIER, Les Pots-de-vin, Diss. Genf 1981, S. 126 ff.). Bei der beitragsrechtlichen Beurteilung sind die für die Steuerbehörden ausschlaggebenden Gesichtspunkte jedoch nicht in gleichem Mass von Bedeutung, weshalb sich die Ergebnisse in diesen beiden Bereichen nicht zwangsläufig zu decken brauchen (vgl.
BGE 110 V 371
).
Die Frage, ob es sich bei den sog. Schmiergeldern um Einkommen aus selbständiger oder aus unselbständiger Erwerbstätigkeit handelt, lässt sich denn aus beitragsrechtlicher Sicht auch nicht zum vornherein in generell gültiger Weise beantworten. Sie ist vielmehr in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu prüfen. Dabei gilt es zu beachten, dass sich die Bezüger solcher Gelder kaum je als Selbständigerwerbende bei der Ausgleichskasse melden werden, weshalb solche Erwerbseinkommen wie im vorliegenden Fall praktisch nur aufgrund von Arbeitgeberkontrollen entdeckt werden können. Um der damit verbundenen Gefahr einer Verwirkung erheblicher Beitragsforderungen gebührend Rechnung zu tragen, ist aus Praktikabilitätsgründen in der Annahme selbständiger Erwerbstätigkeit Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sich ein Betrieb deshalb seiner Abrechnungspflicht nicht lediglich mit dem Hinweis auf die angeblich selbständige Erwerbstätigkeit der Zahlungsempfänger entziehen können, ohne deren Identität preiszugeben.
d) Nach den Angaben der Beschwerdeführerin handelte es sich bei den Provisionsbezügern durchwegs um Angestellte ihrer Kundenfirmen, welche die jeweiligen Arbeitgeberbetriebe zur Erteilung von Grossaufträgen an sie veranlassten oder gar selbst die Kompetenz zu solchen Auftragsvergebungen innehatten. Bei dieser Sachlage kann nicht von einem von den Zahlungsempfängern zu tragenden Unternehmerrisiko gesprochen werden, welches die Annahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit rechtfertigen liesse. Die Gefahr von Sanktionen infolge Verletzungen der zivilrechtlichen Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder gar der Verwirklichung eines Straftatbestandes kann entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als solches betrachtet werden, da es sich dabei nicht um ein geschäftliches Risiko handelt. Dass die Vorinstanz unter diesen Umständen und in Würdigung der der Beschwerdeführerin vorzuhaltenden Auskunftspflichtverletzung auf das Vorliegen einer unselbständigen Erwerbstätigkeit für die X AG schloss, lässt sich nicht beanstanden. Daran vermögen auch die notariell beglaubigten Bestätigungen
BGE 115 V 1 S. 4
von zwei Zahlungsempfängern, wonach zwischen diesen und der Beschwerdeführerin keine gegenseitigen wirtschaftlichen Verpflichtungen bestanden, nichts zu ändern. Wie das kantonale Gericht zu Recht erkannte, können diese Urkunden lediglich die Behauptungen dieser Personen, nicht jedoch deren inhaltliche Richtigkeit bestätigen. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d0bd24d7-9576-4a51-9805-1993579e68b7 | Urteilskopf
123 III 67
10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1996 i.S. M. gegen G. (Berufung) | Regeste
Mietstreitigkeit; Verhältnis von Bundesrecht und kantonalem Recht bei der Bemessung der Klage- oder Anfechtungsfrist im Anschluss an Entscheide der Schlichtungsbehörde (
Art. 274f Abs. 1 OR
).
Berufungsfähigkeit eines Urteils, das die Frage der Klageverwirkung wegen Fristversäumnis im Anschluss an Entscheide der Schlichtungsbehörde betrifft (E. 1).
Die Bemessung der Anfechtungsfrist von
Art. 274f Abs. 1 OR
richtet sich ausschliesslich nach Bundesrecht. Kantonale Vorschriften über den Friststillstand während der Gerichtsferien kommen nicht zur Anwendung (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 68
BGE 123 III 67 S. 68
Frau M. mietete von Frau G. mit Vertrag vom 1. Dezember 1992 das Restaurant S. in D.. Differenzen unter den Parteien mündeten im Jahre 1995 in insgesamt fünf Verfahren vor der Schlichtungsbehörde des Bezirks Oberlandquart. Diese stellte am 29. November/13. Dezember 1995 fest, über die nicht in ihre Entscheidungskompetenz fallenden Begehren der Parteien sei keine Einigung erzielt worden, entschied daneben, dass zwei angefochtene Kündigungen der Vermieterin nichtig, eine dritte dagegen gültig sei, und erstreckte das Mietverhältnis erstmalig bis zum 30. April 1996. Alle diese Erkenntnisse wurden den Parteien am 14. Dezember 1995 eröffnet und von der Mieterin nach ihren eigenen Angaben am 18. Dezember 1995 in Empfang genommen.
M. gelangte mit Eingabe vom 1. Februar 1996 an das Bezirksgericht Oberlandquart mit den Anträgen, die Entscheide der Schlichtungsbehörde aufzuheben und ihre Begehren gutzuheissen.
Das Bezirksgericht trat am 22. Februar 1996 mit der Begründung auf die Klage nicht ein, die bundesrechtliche Klagefrist nach
Art. 274f Abs. 1 OR
sei verwirkt, da die kantonalen Bestimmungen über die Gerichtsferien darauf keine Anwendung fänden.
Eine dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wies der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden mit Urteil vom 23. April 1996 ab. Die Klägerin hat dieses Urteil mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der angefochtene Entscheid ist von einem oberen kantonalen Gericht gefällt worden und mit keinem ordentlichen kantonalen Rechtsmittel anfechtbar. Soweit er die Rechtskraft von Entscheiden der Schlichtungsbehörde zur Folge hat (
Art. 274f Abs. 1 Satz 1 OR
), stellt er einen Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
dar. Soweit er der Klägerin bloss die Prosequierung der von der Schlichtungsbehörde nicht beurteilten Ansprüche mit der angehobenen Klage verwehrt, deren Geltendmachung aber in einem weiteren, bei der Schlichtungsbehörde erneut anhängig zu machenden Verfahren nicht ausschliesst, ist er als Zwischenentscheid nach Massgabe von
Art. 49 OG
selbständig anfechtbar, da die sachliche Zuständigkeit im Sinne dieser Bestimmung ebenfalls eine funktionelle ist, das heisst die Aufteilung der Rechtspflegeinstanzen in ein und demselben Rechtsstreit auf verschiedene Organe erfasst (POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, N. 1.6.2 zu
BGE 123 III 67 S. 69
Art. 49 OG
; zur funktionellen Zuständigkeit KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Auflage, S. 49). Auch in dieser Richtung deckt der Zuständigkeitsbegriff aber alle bundesrechtlichen Verfahrensbestimmungen, welche die Zulässigkeit eines Rechtswegs oder die Zuständigkeit eines Rechtspflegeorgans zum Gegenstand haben (POUDRET, a.a.O., N. 1.6.1 zu
Art. 49 OG
).
b) Obgleich das Kantonsgericht sich entgegen
Art. 51 Abs. 1 lit. a OG
zum Streitwert nicht äussert, ist die Berufungssumme (
Art. 46 OG
) offensichtlich erreicht, standen im kantonalen Verfahren doch unter anderem Rückforderungsansprüche der Klägerin von über Fr. 200'000.-- und die Fortsetzung eines jährlich mit Fr. 180'000.-- zu entschädigenden Mietverhältnisses im Streit.
2.
Zu entscheiden ist im vorliegenden Verfahren allein die Frage, ob das Kantonsgericht zu Unrecht erkannt hat, die Anwendung kantonalen Prozessrechts sei für die Bemessung der Klagefrist von
Art. 274f Abs. 1 OR
bundesrechtlich ausgeschlossen.
a) Aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt, dass die Berechnung einer Frist sich nach dem Recht richtet, welches die Frist setzt (JdT 1988 III 43 Ziff. 12; POUDRET, JdT 1990 III 114). Dies gilt auch für den Bereich des Bundesrechts, das gesamtschweizerisch einheitlich anzuwenden ist. Damit kann nicht den Kantonen überlassen werden, den Lauf einer bundesrechtlichen Frist eigenständig zu bestimmen, ergäben sich daraus doch Rechtsungleichheiten nach Massgabe des jeweils anwendbaren kantonalen Prozessrechts. Bundesrechtliche Klagefristen werden daher durch kantonale Regelungen über laufhemmende Gerichtsferien nicht erstreckt (
BGE 119 II 434
E. 2a; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Auflage, S. 234 Rz. 110a). Für die Klagefrist nach
Art. 274f Abs. 1 OR
gilt nichts anderes.
b) Zwar hat das Bundesgericht in
BGE 114 Ia 296
für die Rechtsmittelfrist nach Schiedsgerichtskonkordat abweichend von diesem Grundsatz entschieden, doch ist die dort beurteilte Konstellation der vorliegenden von vornherein nicht vergleichbar, weil Konkordatsfristen kantonale Fristen sind und daher mit guten Gründen auch einer jeweils zusätzlich anwendbaren kantonalen Regelung unterstellt werden können. Hinzu kommt, dass der Entscheid auf Kritik gestossen ist (POUDRET, JdT 1990 III 114), mit der sich im vorliegenden Verfahren indessen bereits wegen der unterschiedlichen Regelungszuständigkeit über die in Frage stehenden Fristen eine Auseinandersetzung erübrigt. Für bundesrechtliche Fristen bleibt es dabei, dass sie durch kantonale Stillstandsvorschriften nicht gehemmt werden.
BGE 123 III 67 S. 70
c) Die Fristbestimmungen in
Art. 34 OG
sodann finden bloss auf Verfahren nach Massgabe dieses Gesetzes vor Bundesgericht, nicht auch auf Verfahren vor kantonalen Instanzen Anwendung (POUDRET, a.a.O., N. 2.1 zu
Art. 34 OG
).
d) Begann die bundesrechtliche Klagefrist aber am 19. Dezember 1995, das heisst am Tag nach Empfangnahme der Erkenntnisse der Schlichtungsbehörde durch die Klägerin zu laufen, und wurde sie durch das kantonale Fristenrecht nicht gehemmt, endete sie am 17. Januar 1996. Die Klage wurde demzufolge am 1. Februar 1996 verspätet eingereicht, so dass das Kantonsgericht zutreffend entschieden hat, das Bezirksgericht Oberlandquart sei bundesrechtskonform auf die Klage nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d0bd6509-7ddf-47f9-b9d3-b4b650e76c95 | Urteilskopf
102 II 343
49. Arrêt de la Ire Cour civile du 15 octobre 1976 dans la cause Zufferey contre Etat du Valais | Regeste
Art. 58 OR
. Verkehrsunfall auf einer kantonalen Nebenstrasse. Haftung des Strasseneigentümers.
1. Bisherige Rechtsprechung (Erw. 1).
2. Sicherheitsschranken sind auf Bergstrassen nur an Stellen anzubringen, wo eine wirkliche Unfallgefahr besteht (Erw. 2a).
3. Randsteine sollen die Fahrbahn begrenzen, nicht von der Bahn abgekommene Fahrzeuge aufhalten (Erw. 2b).
4. Auf Bergstrassen muss der Fahrer im Winter mit Fahrrinnen, die sich im harten Schnee bilden, rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen (Erw. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 343
BGE 102 II 343 S. 343
A.-
a) Le 5 février 1967, vers 15 h 30, Jean-Yves Zufferey descendait de Vercorin à Chalais au volant d'une automobile qui lui avait été prêtée. La chaussée était recouverte d'une couche de neige glacée dans laquelle le passage des véhicules avait formé des ornières de 7 à 10 cm de profondeur et 15 à 20 cm de largeur. Arrivé un peu au-dessus de Briey, sur un tronçon rectiligne, Zufferey vit venir, en sens inverse, une voiture conduite par Roger Gutmann, qui s'arrêta pour faciliter le croisement. Zufferey ralentit et braqua le volant à droite
BGE 102 II 343 S. 344
pour gagner une place d'évitement. Son automobile continua cependant à avancer dans les ornières; à 4 ou 5 m du véhicule de Gutmann, elle quitta brusquement les ornières, traversa la place d'évitement et fut précipitée dans le vide sur une pente très raide, où elle ne s'arrêta que 200 m plus bas. Le conducteur fut éjecté au cours de la chute et grièvement blessé.
b) Se fondant sur l'
art. 58 CO
, Zufferey a ouvert action contre l'Etat du Valais, propriétaire de la route, en réparation des dommages causés par l'accident. Il faisait état d'un vice de construction, faute de barrières de sécurité à l'endroit de l'accident, et d'un défaut d'entretien, le sablage de la chaussée glacée n'étant, selon lui, pas suffisant et les ornières n'ayant pas été supprimées.
B.-
Le Tribunal cantonal valaisan a rejeté la demande le 25 novembre 1975. Il a considéré en substance que la responsabilité de l'Etat du Valais n'était pas engagée, car il n'y avait en l'espèce ni vice de construction, ni défaut d'entretien: l'accident était dû exclusivement à la faute du demandeur.
C.-
Jean-Yves Zufferey a interjeté un recours de droit public et un recours en réforme. Dans ce dernier recours, il demande principalement que le jugement attaqué soit annulé, la cause étant renvoyée au Tribunal cantonal pour nouveau jugement dans le sens des considérants; subsidiairement, il conclut à la réforme en ce sens que l'Etat du Valais est condamné à lui verser la somme de 48'000 fr., avec intérêt à 5% dès le 5 février 1967.
L'Etat du Valais conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) L'
art. 58 CO
est applicable lorsqu'il s'agit de juger si une route propriété d'une corporation publique est affectée d'un vice de construction ou présente un défaut d'entretien (
ATF 72 II 201
,
ATF 98 II 42
).
Le Tribunal fédéral a apporté cependant une restriction à ce principe: les modalités de l'entretien d'une route sont déterminées par le droit public cantonal; quand ces dispositions sont observées, on ne peut parler d'un défaut d'entretien qu'en cas d'omission de mesures élémentaires (
ATF 76 II 217
/218,
ATF 78 II 152
,
ATF 89 II 334
, consid. 4,
ATF 91 II 199
). Dans l'arrêt
ATF 98 II 42
/43, le Tribunal fédéral a laissé indécise la question de
BGE 102 II 343 S. 345
savoir si cette restriction peut être maintenue eu égard à l'accroissement continuel du trafic automobile; il a estimé également qu'il n'était pas nécessaire de décider si l'obligation de sabler les routes en dehors des localités doit être niée, comme le dit OFTINGER (Haftpflichtrecht II/1, p. 90), ou au contraire admise, tout au moins pour les routes principales, même si le droit public ne le prescrit pas. Dans la cause jugée dans l'arrêt précité, il s'agissait en effet d'un accident survenu sur une route du canton du Valais. Or la loi valaisanne sur les routes, du 3 septembre 1965, prescrit les mesures qui doivent être prises pour l'entretien des routes en hiver.
b) L'existence d'une réglementation cantonale ne signifie pas cependant que tout accident qui est en rapport avec la présence de verglas ou de neige sur une route implique un défaut d'entretien au sens de l'
art. 58 CO
. Il faut examiner dans chaque cas si la corporation publique propriétaire de la route était en mesure de remplir ses obligations tant sur les plans technique et financier qu'au point de vue du temps disponible. Un réseau routier ne peut pas être surveillé d'aussi près qu'un immeuble, et les dépenses publiques pour l'entretien hivernal des routes doivent rester dans une proportion raisonnable avec les moyens financiers à disposition (
ATF 78 II 152
/153,
ATF 89 II 334
consid. 4,
ATF 98 II 43
consid. 2). Plus le réseau routier est étendu, plus l'obligation de sabler se limitera aux tronçons particulièrement dangereux. Il ne faut pas oublier non plus que le verglas peut se former subitement et que l'action du sel, comme aussi du sable, peut perdre son efficacité en quelques heures déjà, sans qu'on puisse exiger de l'autorité qu'elle fasse procéder constamment à de nouveaux sablages (
ATF 98 II 44
).
C'est en premier lieu à l'automobiliste de tenir compte de l'état de la chaussée et des changements qui peuvent s'y produire: il a l'obligation d'adapter sa manière de rouler aux conditions de la route (
art. 32 al. 1 LCR
), lorsque celle-ci est rendue glissante en raison du verglas ou de la neige. Celui qui ne prend pas ces facteurs en considération et ne circule pas avec l'attention et la prudence commandées par les circonstances ne peut se prévaloir de la responsabilité du propriétaire de la route, selon l'
art. 58 CO
(
ATF 98 II 44
).
c) Une route, comme tout autre ouvrage, doit être construite et aménagée de manière à offrir une sécurité suffisante
BGE 102 II 343 S. 346
aux usagers eu égard à la circulation à laquelle elle est affectée (
ATF 56 II 92
).
Toute source de danger d'un ouvrage ne constitue pas un vice de construction, ni un défaut d'entretien au sens de l'
art. 58 CO
(
ATF 59 II 395
). Un ouvrage n'est défectueux que s'il n'offre pas une sécurité suffisante pour l'usage auquel il est destiné et non dès qu'il ne présente pas tous les avantages de la technique la plus récente (
ATF 58 II 360
,
ATF 59 II 395
).
D'autre part, comme en matière d'entretien, les dépenses publiques pour l'aménagement des routes doivent rester dans une proportion raisonnable avec les moyens financiers à disposition. On ne saurait exiger des cantons qu'ils munissent immédiatement leurs routes de toutes les installations techniques nouvelles propres à améliorer la sécurité de la circulation. Ils doivent pouvoir y procéder d'après un programme correspondant à leurs moyens financiers, en tenant compte des besoins du trafic suivant l'importance des routes (
ATF 100 II 139
/140 consid. 4 et les références).
2.
La route Chalais-Vercorin est une route cantonale secondaire au sens de l'art. 5 al. 2 de la loi valaisanne sur les routes. L'accident est survenu sur un tronçon rectiligne où la visibilité est excellente; des places d'évitement y sont aménagées.
a) Contrairement à ce qu'affirme le recourant, le fait que ce secteur de route surplombe une pente abrupte ne commandait pas, comme une précaution élémentaire, la pose de barrières de sécurité ("glissières"). En effet, la route étant droite sur une longueur de quelque 100 m et la visibilité bonne, même lorsque la chaussée est glissante en raison de la neige ou du verglas, un conducteur qui est attentif à ces conditions et qui y adapte sa manière de conduire peut circuler sans être exposé au risque de sortir de la route et de dévaler la pente raide qu'elle domine. L'absence de barrières de sécurité ne constitue dès lors pas un vice de construction.
Certes, une barrière aurait empêché la voiture de Zufferey de quitter la route et de s'abîmer dans la pente, mais cela ne signifie pas qu'il était indispensable d'en installer une pour que la circulation pût se dérouler normalement en hiver sur ce tronçon. En effet, les premiers juges ne constatent pas que d'autres accidents du genre de celui dont le recourant a été victime se soient produits à cet endroit ou qu'ils auraient pu y survenir. Ils estiment avec raison que l'installation de barrières
BGE 102 II 343 S. 347
de sécurité ne s'impose, sur les routes de montagne, qu'aux endroits où il existe un réel danger d'accident, en particulier dans les virages masqués.
b) Le recourant relève que la banquette de la route n'a pas retenu la voiture lorsqu'elle est sortie des ornières, après qu'il eut braqué de plus en plus à droite, et n'a pas empêché le véhicule de quitter la chaussée et de dévaler la pente. Mais il ne s'en découle nullement que la route ait présenté un vice de construction. Comme le dit justement le Tribunal cantonal, la banquette sert à délimiter la chaussée et n'est pas destinée à retenir une voiture déviée de sa course par une manoeuvre intempestive de celui qui la conduit. Selon les constatations des premiers juges, la banquette aménagée sur le tronçon où l'accident est survenu correspond à celles qui existent communément sur les routes de montagne. Il n'est pas établi qu'elle ait été défectueuse ni insuffisante pour délimiter la chaussée de manière appropriée.
3.
L'art. 103 de la loi valaisanne sur les routes prescrit ce qui suit:
"Les routes publiques sont maintenues praticables également en hiver, compte tenu des nécessités du trafic et dans la mesure pouvant être exigée de celui qui en assume la charge.
Le service hivernal comprend essentiellement le déblaiement des neiges et les mesures à prendre contre les effets du verglas et de la neige glissante.
Son étendue dépend de la largeur de la chaussée. Si elle ne permet pas le croisement des véhicules, des places d'évitement sont aménagées partout où cela est possible."
Il est constant qu'à l'endroit où l'accident s'est produit la chaussée était bien déblayée sur la quasi-totalité de sa longueur; la route était verglacée, mais en partie sablée; les roues de l'automobile de Zufferey roulaient dans des ornières, formées dans la glace, qui avaient une profondeur de 7 à 10 cm et une largeur de 15 à 20 cm; le fond des ornières était recouvert d'une glace qui avait légèrement fondu, ce qui la rendait très glissante. Les travaux d'entretien effectués sur la route Chablais-Vercorin, les jours qui ont précédé l'accident ainsi que le lendemain, ont été les suivants:
1o Travaux faits par le cantonnier Caloz: "mercredi 1er, sablage 4 h; jeudi 2, sablage 5 h; vendredi 3, sablage 5 h; samedi 4, nettoyage cailloux 3 h; dimanche 5, néant; lundi 6, sablage 4 h, etc."
2o Travaux effectués par l'entreprise Rémy Voide: "1er février, sablage 3 h; 2 février, sablage 3 h 1/2; 3 février, sablage 3 h 1/2; 6 février, sablage 3 h."
BGE 102 II 343 S. 348
S'agissant d'une route secondaire, ces travaux étaient suffisants, même si l'état de la chaussée imposait aux usagers d'être attentifs et prudents, en particulier lorsque la route devenait plus glissante en raison de l'abaissement de la température au coucher du soleil.
Contrairement à l'opinion du recourant, on ne saurait exiger des cantons d'éliminer les ornières qui se sont formées dans la neige durcie à la suite du passage des véhicules sur les routes secondaires de montagne aux endroits qui ne présentent pas un danger particulier pour le conducteur prudent et avisé. Cela impliquerait l'emploi de moyens qui entraîneraient des dépenses hors de proportion avec les possibilités financières des cantons.
C'est à l'automobiliste qu'il appartient de tenir compte de la présence d'ornières et d'y adapter sa manière de conduire. Le conducteur qui n'a pas l'expérience nécessaire pour affronter les risques de la circulation hivernale sur une route de montagne doit s'abstenir de s'y aventurer; il recourra au besoin à l'aide d'un automobiliste habitué à ces conditions particulières.
4.
L'accident est dû à la manoeuvre intempestive du conducteur. Il a vu à une distance de 100 m la voiture de Gutmann qui montait et que celui-ci a arrêtée pour faciliter le croisement. Se rendant compte qu'il ne parvenait pas à sortir des ornières, le demandeur devait au besoin s'arrêter, au lieu de s'obstiner à chercher à gagner à tout prix la place d'évitement, en braquant de plus en plus à droite. Cette manoeuvre, évidemment inadaptée aux conditions de la route, est à l'origine de l'accident. L'appréciation divergente de témoins, d'ailleurs erronée, n'y change rien. Le braquage insistant à droite a dévié brusquement la voiture hors des ornières et a entraîné sa sortie de la route.
On peut laisser indécise la question de savoir si la faute commise par le demandeur présente une certaine gravité, comme l'admettent les premiers juges. Il suffit qu'elle ait provoqué l'accident: la victime ne saurait réclamer à l'Etat du Valais réparation d'un dommage dont elle est seule responsable.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0bffe64-80fb-41de-b1e1-42f54afedc7c | Urteilskopf
92 I 246
42. Estratto della sentenza 8 giugno 1966 nella causa eredi Realini contro FFS. | Regeste
Art. 19 lit. a EntG
.
Der Umstand allein, dass der Enteignete einen ihm unterbreiteten Vergleichsvorschlag des Enteigners ablehnt, kann noch nicht als ein trölerisches, gegen Treu und Glauben verstossendes Manöver betrachtet werden.
Es würde dem System des Gesetzes widersprechen, den Enteigneten eines Teils des Wertes, den das Grundstück im massgebenden Zeitpunkt des Entscheids der eidgenössischen Schätzungskommission hat, nur deshalb verlustig gehen zu lassen, weil er frühere Vergleichsofferten nicht angenommen hat. | Erwägungen
ab Seite 247
BGE 92 I 246 S. 247
Considerando in diritto:
Secondo un principio giurisprudenziale recentemente stabilito, la data determinante per la fissazione dell'indennità di esproprio è quella del giudizio della Commissione federale di stima (RU 89 I 343 e segg.).
Nella fattispecie, le esproprianti vorrebbero però che l'indennità sia stabilita sulla base del valore che il fondo espropriato aveva precedentemente, nel 1963, all'epoca cioè in cui esse hanno fatto all'espropriata una ragionevole proposta transattiva. Secondo le esproprianti l'espropriata, rifiutando la proposta, avrebbe perduto il diritto di prevalersi degli aumenti di valore posteriori ad essa. Il rifiuto dell'espropriata dovrebbe infatti essere considerato come un atto di speculazione tendente a un ingiustificato prolungamento della procedura, e suscettibile pertanto di simile sanzione. Esse si riferiscono, a questo riguardo, ad un brano della sentenza RU 89 I 343 (e più precisamente al consid. 5 lett. e a p. 351), ove è contenuta una allusione a tale quesito, senza che peraltro esso sia stato risolto.
L'opinione delle esproprianti non può però essere condivisa in concreto. L'espropriato, che viene costretto a cedere il suo bene attraverso l'espropriazione, non commette un atto sleale se rifiuta offerte transattive per rimettersi al giudizio dell'autorità competente, reso nelle forme della procedura. È ciò anche qualora le sue pretese si rivelassero eccessive, una volta la procedura terminata. La riserva formulata nella sentenza suesposta ha certo una ragione d'essere nel caso possibile in cui una parte si è sforzata di guadagnare tempo con manovre dilatorie contrarie alla buona fede. Ma nulla di simile è stato addotto in concreto a carico dell'espropriata. Da sè solo, il fatto di rifiutare un'offerta transattiva formulata con la riserva di tutti i diritti - ciò che deve valere per entrambe le parti - non può considerarsi una manovra di tal genere. La legge favorisce il ricorso alla procedura d'espropriazione da parte dell'espropriato, a tal punto che, di regola, anche le spese dei suoi ricorsi infondati proposti davanti al Tribunale federale non sono messe a suo carico (art. 116 LEspr.). Sarebbe contrario al sistema legale privare l'espropriato d'una parte del valore che il fondo ha alla data determinante della decisione, per il solo motivo ch'egli non ha accettato offerte transattive anteriori. L'adozione di un simile criterio sarebbe per di più di natura tale da creare
BGE 92 I 246 S. 248
la confusione e l'incertezza e obbligherebbe le Commissioni federali di stima a scegliere per le loro valutazioni date determinanti diverse a seconda che ci sia stata o no una offerta transattiva. Tale soluzione comporterebbe una insicurezza giuridica e annullerebbe il beneficio risultante dalla sentenza sopra citata.
Di conseguenza, non potendosi affermare che l'espropriata ha adottato in mala fede manovre dilatorie, al fine di ritardare il giudizio della Commissione per trarne un indebito profitto, è determinante, in concreto, il valore del fondo alla data in cui la Commissione lo ha stimato. | public_law | nan | it | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0c0534a-a374-4969-b330-f0e25afd7ecd | Urteilskopf
135 III 59
9. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_538/2008 vom 3. November 2008 | Regeste
Art. 125 ZGB
; nachehelicher Unterhalt, Berücksichtigung eines vorehelichen Konkubinates.
Ein voreheliches Konkubinat darf bei der Festsetzung des nachehelichen Unterhalts nur in qualifizierten Ausnahmefällen bis zu einem gewissen Grad mitberücksichtigt werden (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 135 III 59 S. 59
Die 1945 geborene Ehefrau und der 1940 geborene Ehemann sind beide kinderlos. Nach knapp zehnjährigem Konkubinat heirateten sie am 1. Februar 1996; seit Februar 2000 leben sie getrennt.
In seinem Scheidungsurteil vom 16. November 2007 setzte das Amtsgericht Luzern-Stadt u.a. nachehelichen Unterhalt zugunsten der Ehefrau von Fr. 2'100.- pro Monat ab Rechtskraft des Urteils bis Februar 2009 (Erreichen des AHV-Alters) fest.
In appellatorio verlangte die Ehefrau unbefristeten nachehelichen Unterhalt von Fr. 3'900.-. Das Obergericht wies dieses Begehren mit Urteil vom 11. Juni 2008 ab.
BGE 135 III 59 S. 60
Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Ehefrau am 18. August 2008 Beschwerde in Zivilsachen erhoben mit den Begehren um Zuspruch nachehelichen Unterhalts von Fr. 2'100.- pro Monat während vier Jahren ab März 2008.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Obergericht ging von der Sachverhaltsbasis aus, dass beide Ehepartner sowohl während der knapp zehnjährigen Konkubinatszeit als auch während des vierjährigen ehelichen Zusammenlebens voll erwerbstätig waren, und es hielt die von der Gegenseite bestrittene Behauptung der Ehefrau, sie habe den gemeinsamen Haushalt alleine geführt, für unbewiesen. Es erachtete deshalb die Ehe als nicht lebensprägend, woran auch das vorausgegangene Konkubinat nichts zu ändern vermöge, und verneinte eheliche Nachteile im Vergleich zur Lage, wie sie sich für die Ehefrau ohne Eheschluss präsentieren würde.
3.
Die Ehefrau kritisiert, dass das Konkubinat, das während fast zehn Jahren dem ehelichen Zusammenleben vorausging, von den kantonalen Instanzen unberücksichtigt geblieben sei. Dies sei umso stossender, als der Ehemann sie angehalten habe, bei der W. AG zwecks Steueroptimierung einen Lohn von nur Fr. 1'800.- pro Monat zu beziehen, weshalb sie keine hinreichende Altersvorsorge habe aufbauen können; darüber sei das Obergericht ebenfalls hinweggegangen. Wenn jedoch die Parteien während des Konkubinats und der Ehe aufgrund ihres Zusammenlebens und wegen des gemeinsam betrachtet hohen Einkommens sich entschlossen hätten, die für die Höhe der Rente massgeblichen Beiträge an die Pensionskasse mittels anderweitiger Auszahlungen statt Lohnzahlungen zu minimieren, so stünden ehebedingte Nachteile zur Diskussion und seien diese folglich entscheidrelevant. Insgesamt sei von einer lebensprägenden Ehe auszugehen, wobei sogar im gegenteiligen Fall ein vorübergehender nachehelicher Unterhalt nicht ausgeschlossen wäre. Sie weise in ihrer Bedarfsrechnung ein erhebliches Manko auf (IV- Rente von weniger als Fr. 1'000.- zuzüglich Vermögensertrag), so dass sie auf nachehelichen Unterhalt angewiesen sei.
4.
Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt selbst aufkommt, so hat ihm der andere Teil
BGE 135 III 59 S. 61
gestützt auf
Art. 125 Abs. 1 ZGB
angemessenen nachehelichen Unterhalt zu leisten, soweit er hierzu in der Lage ist. Nebst weiteren Kriterien sind dabei insbesondere die Aufgabenteilung während der Ehe, die Dauer der Ehe sowie die Lebensstellung während der Ehe zu berücksichtigen (
Art. 125 Abs. 2 Ziff. 1-3 ZGB
).
4.1
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum nachehelichen Unterhalt fusst auf der Unterscheidung, ob eine Ehe lebensprägend war oder nicht; bei fehlender Prägung wird an den vorehelichen Verhältnissen angeknüpft (Urteile 5C.278/2000 vom 4. April 2001 E. 3a und 3c; 5C.149/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 4.3; 5C.49/2005 vom 23. Juni 2005 E. 2.1; 5C.169/2006 vom 13. September 2006 E. 2.5; 5C.244/2006 vom 13. April 2007 E. 2.4.8; 5C.261/2006 vom 13. März 2007 E. 3), während die Partner bei der lebensprägenden Ehe Anspruch auf Fortführung der ehelichen Lebenshaltung haben (
BGE 132 III 593
E. 3.2 S. 594 f.). Der Grund hierfür liegt darin, dass das Vertrauen des ansprechenden Ehegatten auf Fortführung der Ehe und auf den Weiterbestand der bisherigen, frei vereinbarten Aufgabenteilung objektiv schutzwürdig ist (Urteile 5C.169/2006 vom 13. September 2006 E. 2.4; 5C.244/2006 vom 13. April 2007 E. 2.4.8); für oder gegen die Annahme einer Lebensprägung spielen verschiedene Vermutungen: So wird bei einer Kurzehe von weniger als fünf Jahren vermutet, dass keine Lebensprägung vorliegt, während eine Ehe, die mehr als zehn Jahre gedauert hat, vermutungsweise lebensprägend war (Urteile 5C.111/2001 vom 29. Juni 2001 E. 2c; 5C.149/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 4.3; 5C.171/2005 vom 14. September 2005 E. 3.1; 5C.308/2005 vom 12. April 2006 E. 2.3; 5A_167/2007 vom 1. Oktober 2007 E. 4); unabhängig von der Dauer gilt die Ehe in der Regel als lebensprägend, wenn aus ihr gemeinsame Kinder hervorgegangen sind (Urteile 5C.278/2000 vom 4. April 2001 E. 3a; 5C.149/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 4.3; 5C.171/2005 vom 14. September 2005 E. 3.1; 5C.308/2005 vom 12. April 2006 E. 2.3; 5C.169/2006 vom 13. September 2006 E. 2.4; 5C.261/2006 vom 13. März 2007 E. 3; 5C.40/2007 vom 6. Juni 2007 E. 5; 5A_167/2007 vom 1. Oktober 2007 E. 4).
Dem Eheschluss geht heute häufig ein mehr oder weniger langes Konkubinat voraus. Hat der eine Partner bereits im Rahmen dieser Form des Zusammenlebens seine Erwerbsarbeit aufgegeben, um beispielsweise den gemeinsamen Haushalt zu besorgen oder Kinder zu betreuen, hat die entscheidende Lebensprägung letztlich schon in diesem Stadium stattgefunden oder doch zumindest begonnen, so
BGE 135 III 59 S. 62
dass die anschliessende Ehe insoweit nicht mehr im eigentlichen Sinn prägend wirken kann. Wer bereits vor der Ehe in einer stabilen Partnerschaft gelebt und insbesondere gemeinsame voreheliche Kinder hat oder die Kinder des Partners aufzieht, geht aber auf einer anderen (Vertrauens-)Basis in die Ehe und darf von ihr auch anderes erwarten, als derjenige, der erst bei der Heirat das gemeinsame Leben aufnimmt, muss sich doch das eheliche Zusammenleben im letzteren Fall (auch angesichts der relativ leichten Scheidungsmöglichkeiten) erst bewähren, damit sich die in sie gesetzte Hoffnung in berechtigtes Vertrauen wandeln kann.
Es stellt sich daher die Frage, ob der vom Institut der Ehe gewährte rechtliche Schutz nicht auch lebensprägende Elemente vorehelichen Zusammenlebens zu berücksichtigen hat - lebensprägende Elemente, die ebenfalls gegenseitiges Vertrauen voraussetzten, auch wenn dieses keinen Rechtsschutz genoss. Eine Anrechnung der Konkubinatszeit auf die Ehedauer könnte sich umso mehr aufdrängen, als nach ständiger (und in der Lehre unbestritten gebliebener) bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine langdauernde Trennungsphase für die Berechnung der massgeblichen Ehedauer ausser Acht zu lassen ist (
BGE 127 III 136
E. 2c S. 140;
BGE 132 III 598
E. 9.2 S. 600).
4.2
Das Parlament hat sich anlässlich der Scheidungsrechtsrevision im gegenteiligen Sinn entschieden. Der betreffende Minderheitsantrag, in
Art. 125 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
die "Dauer des Zusammenlebens" (durée de l'union) anstelle der "Dauer der Ehe" als massgebliches Kriterium festzuschreiben, wurde im Nationalrat mit 91 zu 50 Stimmen verworfen (AB 1997 N 2702). In diesem Zusammenhang führte Nationalrätin Lili Nabholz als Berichterstatterin namens der Kommissionsmehrheit aus: "Der Antrag der Minderheit ... kollidiert mit dem Grundproblem, dass wir hier das Scheidungsrecht als Liquidation der ehelichen Gemeinschaft regeln wollen. Dabei geht es um die Auflösung der Ehe - nur um die Auflösung der Ehe - und nicht um die Auflösung irgendeiner Partnerschaft, auch wenn diese noch so lange gedauert haben mag" (AB 1997 N 2700), und Bundesrat Arnold Koller hielt fest, der Minderheitsantrag würde dazu führen, "dass eine blosse Realbeziehung zwischen Partnern nachträglich zur Rechtsbeziehung umfunktioniert wird. Es gibt aber keinen überzeugenden Grund, eine persönliche Beziehung zwischen zwei erwachsenen Menschen, die bewusst ausserhalb der Ehe eingegangen worden ist, im Falle einer späteren Ehe und Scheidung im Rahmen der nachehelichen Unterhaltsregelung von Gesetzes wegen einer Ehe gleichzustellen" (AB 1997 N 2701).
BGE 135 III 59 S. 63
Beim verabschiedeten, mit dem bundesrätlichen Vorentwurf übereinstimmenden Gesetzeswortlaut von
Art. 125 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB
, der ausdrücklich "die Dauer der Ehe" als massgebend erklärt, handelt es sich mithin nicht um eine zufällige oder gar auslegebedürftige Formulierung. Die zitierten Voten zeigen ausserdem, dass sich der Gesetzgeber bei seinem Entscheid von der Überlegung hat leiten lassen, dass das Konkubinat nicht nur jederzeit formlos aufgelöst werden kann, sondern insbesondere auch keine gegenseitige Unterstützungspflicht im Sinn von
Art. 163 ZGB
und noch weniger ein Unterhaltsanspruch für die Zeit danach begründet, dass es den Partnern mit anderen Worten keine rechtlich geschützte Vertrauensposition verschafft und eine solche auch nicht durch eine nachfolgende Heirat rückwirkend auf den Zeitpunkt der Aufnahme des Zusammenlebens begründet werden soll.
4.3
An diese Wertung des Gesetzgebers ist die rechtsanwendende Gewalt grundsätzlich gebunden, umso mehr als die parlamentarischen Beratungen erst rund zehn Jahre zurückliegen bzw. die Scheidungsrechtsrevision am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist und sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seither nicht wesentlich verändert haben. Im Jahr 2003 wurde die Thematik im Zusammenhang mit dem Partnerschaftsgesetz nochmals aufgebracht, der Einbezug des heterosexuellen Konkubinats in die neue Regelung aber abgelehnt; dabei wurde hervorgehoben, dass damit punktuelle Anpassungen für Konkubinatspaare mit Kindern nicht ausgeschlossen würden. Als Beispiel wurde auf die Möglichkeit der gemeinsamen elterlichen Sorge gemäss
Art. 298a ZGB
hingewiesen, die mit dem revidierten Scheidungsrecht geschaffen wurde (Botschaft zum Partnerschaftsgesetz, BBl 2003 1310 Ziff. 1.6.3; siehe auch BÜCHLER/HERZ/BERTSCHI, in: FamKomm, Eingetragene Partnerschaft, 2007, S. 80 N. 11).
Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, dass als stossend empfundene Resultate weniger auf der Ausgestaltung des Scheidungsrechts als vielmehr auf dem fehlenden Schutz des finanziell schwächeren Konkubinatspartners beruhen. Dabei ist das Konkubinat, sei es als selbständige Form des Zusammenlebens, sei es als mehr oder weniger lang dauernde Vorstufe der Ehe, in der heutigen Lebenswirklichkeit eine verbreitete Erscheinung. Eine allfällige Korrektur der mitunter als ungerecht empfundenen Rechtslage durch Ausstattung stabiler und lebensprägender Partnerschaften mit angemessenen Rechtswirkungen ist aber Sache des Gesetzgebers.
BGE 135 III 59 S. 64
4.4
Diese Ausgangslage schliesst indes nach der jüngsten Rechtsprechung nicht aus, dass bei besonderen Umständen ("circonstances particulières de l'espèce") ein qualifiziertes Konkubinat bis zu einem gewissen Grad Berücksichtigung finden kann, wenn es nicht bei diesem geblieben, sondern tatsächlich eine Ehe geschlossen worden ist, weil diesfalls die Parteien unter anderen Vorzeichen in den Ehestand getreten sind (dazu E. 4.1). In Präzisierung von
BGE 132 III 598
, bei welchem zufolge sehr einseitiger Interessenverteilung solche "besonderen Umstände" angenommen worden sind, ist allerdings klarzustellen, dass es entgegen dem Anschein, den dieser Entscheid erwecken mag, nicht darum gehen kann, gleichsam in einer arithmetischen Operation die Konkubinatsjahre aufzuaddieren bzw. zu Ehejahren zu erklären (vgl. dazu HEINZ HAUSHEER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 2006, ZBJV 143/2007 S. 605). Vielmehr ist zu prüfen, ob das Vertrauen in die vor dem Hintergrund des vorangehenden Konkubinats geschlossene Ehe als schutzwürdig und die Ehe in diesem Sinn als lebensprägend anzusehen ist. Das kann dazu führen, dass die Vermutung, wonach eine Kurzehe von weniger als fünf Jahren nicht lebensprägend sei, umgestossen und im konkreten Einzelfall auch eine kürzere Ehe mit vorangegangenem langem Konkubinat als lebensprägend angesehen wird.
Wie bereits angesprochen, kann das vorausgegangene Konkubinat freilich nur in eng begrenzten bzw. qualifizierten Ausnahmefällen überhaupt in die Gesamtbetrachtung einbezogen werden. Eine unabdingbare Voraussetzung hierfür ist, dass das Konkubinat das Leben der Partner nachhaltig geprägt hat, so dass mit dem Eheschluss hierfür Verantwortung übernommen und bereits begründetes Vertrauen bestätigt worden ist. Dies kann namentlich der Fall sein, wenn der eine Partner auf eine eigene ausserhäusliche Entfaltung verzichtet hat, um sich in den Dienst des anderen zu stellen und dessen wirtschaftliches Fortkommen entscheidend zu fördern bzw. zu ermöglichen oder um die gemeinsamen Kinder aus dem Konkubinat bzw. diejenigen des anderen Partners zu betreuen. Bei der Anerkennung und Würdigung solcher Umstände ist der Richter - wie bei der Bestimmung des nachehelichen Unterhalts überhaupt - auf sein Ermessen verwiesen, von dem zugeschnitten auf den konkreten Einzelfall sachgemässer Gebrauch zu machen ist. Insoweit als er seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen hat (
Art. 4 ZGB
), lassen sich auch keine starren Regeln aufstellen.
BGE 135 III 59 S. 65
4.5
Im vorliegenden Fall sind beide Ehegatten kinderlos, und sie waren sowohl vor als auch während des Zusammenlebens erwerbstätig. Im Scheidungszeitpunkt war die Ehefrau zwar gesundheitlich schwer beeinträchtigt, so dass sie nunmehr eine halbe Invalidenrente erhält (ab März 2009 wird sie eine AHV-Rente beziehen). Die gesundheitlichen Probleme stehen indes in keinem Zusammenhang mit der Ehe. Vor diesem Hintergrund lässt sich weder sagen, dass die Ehefrau ihre bisherige Lebensstellung aufgegeben hat, um sich fortan dem Wohlergehen und wirtschaftlichen Fortkommen des Partners zu widmen, noch ist anzunehmen, dass ihr Leben durch das bloss vierjährige eheliche Zusammenleben anderweitig eine entscheidende Wende erfahren hat und die Ehe insofern als lebensprägend anzusehen wäre. Vielmehr liegt eine typische Situation vor, auf welche die Vermutung zielt, wonach eine kinderlose Ehe von weniger als fünf Jahren nicht lebensprägend ist. Es bleibt zu prüfen, ob das der Ehe vorangegangene fast zehnjährige Konkubinat geeignet ist, diese Vermutung umzustossen.
Die Lebensstellung der Partner scheint während des Konkubinates nicht anders gewesen zu sein als während der Ehe. Nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen vermochte die Ehefrau die alleinige Haushaltsführung nicht nachzuweisen; dieser Punkt ist aber ohnehin von untergeordneter Bedeutung. Im Vordergrund steht die Tatsache, dass sich die Ehefrau weder um gemeinsame noch um voreheliche Kinder des Ehemannes kümmern musste, sondern vielmehr beide Ehegatten voll berufstätig waren; diese konnten sich mit anderen Worten gleichermassen in ihrem beruflichen Umfeld verwirklichen, und sie profitierten in ökonomischer Hinsicht zu gleichen Teilen von den Vorteilen einer Verbrauchsgemeinschaft. Damit fehlen Elemente, für die mit der Heirat in einer qualifizierten Weise die Verantwortung hätte übernommen werden können, und das Konkubinat hat vor dem geschilderten Hintergrund trotz seiner erheblichen Dauer auch in jeder anderen Hinsicht nicht die Tragweite, welche das kurze eheliche Zusammenleben als prägend im Sinn von E. 4.4 erscheinen lassen könnte.
Daran vermag ferner die Tatsache nichts zu ändern, dass die Ehefrau weniger verdient hat als der Ehemann, was nach ihrer Darstellung zur Steueroptimierung so gehandhabt worden sei. Umso weniger kann dieser Umstand für sich genommen eine Lebensprägung im rechtlichen Sinn begründen, als nach ihrer eigenen Darstellung an die Stelle von höheren Lohnzahlungen andere Leistungen traten
BGE 135 III 59 S. 66
und diese Handhabung offenbar im gegenseitigen Einvernehmen geschah: Modalitäten in der Ausgestaltung des Arbeitsentgeltes können nicht entscheidend sein für die Frage, ob eine Ehe lebensprägend war oder nicht.
4.6
Wenn die Ehefrau schliesslich geltend macht, selbst bei nicht lebensprägenden Ehen sei ein vorübergehender Unterhaltsanspruch nicht ausgeschlossen, so ist sie darauf hinzuweisen, dass ihr die kantonalen Instanzen bis zum Erreichen ihres AHV-Alters nachehelichen Unterhalt von Fr. 2'100.- pro Monat zugesprochen haben. Nebst der güterrechtlichen Zahlung von Fr. 370'000.- und der Freizügigkeitsleistung von Fr. 62'000.- hat der Ehemann seit der Trennung erhebliche Leistungen an die Ehefrau erbracht und wird dies bis Februar 2009 auch weiterhin tun. So ist er unbestrittenermassen während der ganzen Zeit für die Miete aufgekommen und hat er jedenfalls seit Januar 2005 zusätzlich Unterhaltszahlungen erbracht. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist daher festzuhalten, dass der Ehemann seinen Verpflichtungen aus (nach)ehelicher Solidarität bei einer massgeblichen Ehedauer von vier Jahren nachgekommen ist bzw. bis Februar 2009 nachkommen wird und kein Raum für weitere Unterhaltszahlungen im Sinn von
Art. 125 ZGB
bleibt. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d0c31245-dc19-48f0-9bee-05d2c517b05e | Urteilskopf
99 Ia 331
36. Urteil vom 13. Juni 1973 i.S. Nater gegen Regierungsrat und Obergericht des Kantons Schaffhausen | Regeste
Art. 4 BV
; Baupolizeirecht.
1. Die Auslegung kantonalen Gesetzes- und Verordnungsrechtes durch die zuständige kantonale Behörde prüft das Bundesgericht auch im Rahmen einer Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (Erw. 1).
2. Befugnisse des schaffhauserischen Regierungsrates als Aufsichtsbehörde in Bausachen (Erw. 2).
3. Die Erstellung von Ferien- und Wochenendhäusern ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes verstösst gegen Art. 20 des eidg. Gewässerschutzgesetzes vom 8. Oktober 1971 (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 331
BGE 99 Ia 331 S. 331
A.-
Das Baugesetz für den Kanton Schaffhausen vom 9. November 1964 (BauG) enthält unter dem Titel "Kantonale Bauvorschriften" in den Art. 28-71 eine Reihe von Grundsätzen und Minimalbestimmungen, die für das ganze Kantonsgebiet gelten und von den Gemeinden beim Erlass von Vorschriften oder bei der Erteilung von Bewilligungen zu beachten sind (Art. 28 Abs. 1 BauG). Im Rahmen ihrer Zuständigkeit, wie sie
BGE 99 Ia 331 S. 332
in Art. 2 ff. BauG umschrieben ist, dürfen die Gemeinden weitergehende Vorschriften aufstellen (Art. 28 Abs. 2 BauG).
Das BauG enthält u.a. folgende Minimalbestimmungen:
Art. 37. "Gebäude dürfen nur auf Grundstücken errichtet werden, die eine genügende Zufahrt haben."
Art. 46. "Zum Aufenthalt von Menschen bestimmte Bauten dürfen nur bewilligt werden, wenn die Versorgung mit Trinkwasser und die einwandfreie Beseitigung des Abwassers sichergestellt sind."
Gemäss Art. 76 BauG obliegt dem Regierungsrat der Erlass der zur Ausführung des BauG erforderlichen Vorschriften und die Überwachung des Vollzuges. Gestützt auf diese Bestimmung erliess der Regierungsrat am 6. April 1971 eine Verordnung "betreffend die Erschliessung von Grundstücken für die Überbauung" (Erschliessungsverordnung), welche am 16. April 1971 in Kraft trat. Nach § 5 Abs. 1 lit. b der Verordnung ist eine "hinreichende Zufahrt" nur vorhanden, wenn die zu benützende Strasse eine Fahrbahnbreite von wenigstens 4,5 m aufweist. Nach § 6 gilt die Voraussetzung der Versorgung mit Trink- und Löschwasser als erfüllt, wenn das Grundstück an die Wasserversorgung der Gemeinde angeschlossen werden kann und die Zuleitung des Wassers mit 4 atü Druck sichergestellt ist. Nach § 7 Abs. 1 kann die Baudirektion eine Ausnahme von dieser Regelung gestatten, wenn nachgewiesen wird, dass das in Aussicht genommene Trinkwasser hygienisch einwandfrei und ausreichend ist. Nach § 8 kann die Baubewilligungsbehörde einen von § 6 abweichenden Brandschutz gestatten, wenn nachgewiesen wird, dass die in Aussicht genommenen Löschvorrichtungen den Richtlinien der kantonalen Gebäudeversicherung entsprechen. Gemäss § 10 gilt die Voraussetzung der einwandfreien Abwasserbeseitigung als erfüllt, wenn das Grundstück über eine bestehende Kanalisation der Gemeinde an die Abwasserreinigungsanlage angeschlossen werden kann oder wenn bis zur Erstellung einer solchen Anlage eine nach den Richtlinien der Vereinigung Schweizerischer Abwasserfachleute dimensionierte biologische Kläranlage betrieben wird. § 11 der Erschliessungsverordnung lautet:
"Sonderfälle
1 Die Baudirektion kann für kleinere Gebäude und Anlagen innerhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes, die aus zwingenden Gründen noch nicht an die Abwasseranlagen angeschlossen werden können, Ausnahmen gewähren, sofern die Voraussetzungen
BGE 99 Ia 331 S. 333
für den Anschluss kurzfristig geschaffen werden. Sie hat die Bewilligung mit den im Interesse des Gewässerschutzes liegenden Bedingungen und Auflagen zu verbinden.
2 Ausnahmen für Gebäude und Anlagen ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes können vom Regierungsrat erteilt werden, wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Bedürfnis, so z.B. die Standortgebundenheit, nachweist. Mit der Ausnahmebewilligung sind die im Interesse des Gewässerschutzes liegenden Bedingungen und Auflagen zu verbinden."
Zuständig zur Erteilung der Baubewilligung ist, von in Art. 61 BauG umschriebenen, hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, der Gemeinderat (Art. 60 BauG). Das Forstgesetz für den Kanton Schaffhausen vom 16. Dezember 1904 (ForstG) enthält indessen in Art. 34 folgende Regelung:
"Um die Wälder vor Feuersgefahr zu schützen, dürfen Gebäude ohne vorhergegangene Untersuchung und Bewilligung durch den Regierungsrat nicht näher als 100 m entfernt von einer Waldung aufgeführt werden."
Die vom Regierungsrat zum ForstG erlassene Verordnung "über Zweckentfremdungen von Waldareal und die Errichtung von Bauten im Waldinnern und in Waldnähe" vom 28. Juli 1965 umschreibt in den §§ 8 und 9 die Voraussetzungen, die für eine Näherbaubewilligung nach Art. 34 ForstG erfüllt sein müssen. Gebäude mit Hochdruckwasserversorgung dürfen bis auf eine Entfernung von 10 m vom geschlossenen Wald zugelassen werden (§ 8). Gebäude ohne Hochdruckwasserversorgung dürfen bewilligt werden, wenn die Entfernung vom geschlossenen Wald wenigstens 30 m beträgt und im Gebäude ein frostsicherer Handfeuerlöscher vorhanden ist (§ 9).
B.-
Ernst Nater ist Eigentümer einer Reihe von Grundstücken mit einem gesamten Flächeninhalt von rund 10 000 m2 im Gebiet der Stieghalde auf dem Hemmentaler Randen (Gemeinde Hemmental). Am 5. August 1971 ersuchte er den Gemeinderat Hemmental um die Baubewilligung für eine auf seinem Grundstück Nr. 1810 in der Stieghalde geplante hölzerne "Schutzhütte". Gemäss den eingereichten Plänen soll die überdachte Grundfläche etwa 6 m x 8 m betragen. Im Innern ist ein Aufenthaltsraum von ca. 36 m2 vorgesehen mit einem Wohn-, Koch- und Schlafteil sowie einem WC. Da ein Anschluss an die kommunale Wasserversorgung nicht möglich ist und auch keine andere Wasserfassung zur Verfügung steht, soll das Trinkwasser
BGE 99 Ia 331 S. 334
aus einem mit einer Filtrieranlage versehenen Wassertank bezogen werden. Anstelle des Anschlusses an eine Kanalisation ist der Bau einer abflusslosen Grube vorgesehen. Das Grundstück ist über einen 1,3 km langen Weg vom Dorf Hemmental aus erreichbar.
Da die Distanz der geplanten Baute zum Waldrand rund 40 m, d.h. weniger als 100 m beträgt, leitete der Gemeinderat Hemmental unter Hinweis auf Art. 34 ForstG das Baugesuch an den Regierungsrat weiter. Er stellte den Antrag, die Baute zu bewilligen, da bereits in nächster Nähe des betreffenden Grundstückes in den letzten Jahren Wochenendhäuser gebaut worden seien. Es sei zu erwarten, dass das Gebiet - welches zur Zeit weit ausserhalb der Bauzone liegt - in einem späteren Zeitpunkt einer Zone für Wochenendhäuser zugeteilt werde. Die Zufahrt zum Baugrundstück sei genügend; ein Anschluss an das Stromnetz werde nicht gewünscht, und es sei vorgesehen, für allfällige Abwässer eine feste und geschlossene Grube zu erstellen.
C.-
Mit Beschluss vom 28. Dezember 1971 lehnte es der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen ab, dem Gesuch, die Hütte weniger als 100 m vom Wald entfernt bauen zu dürfen, zu entsprechen. Zur Begründung machte er geltend, dass die geplante Baute den Vorschriften der Erschliessungsverordnung widerspreche:
a) Das Grundstück verfüge über keine hinreichende Zufahrt. Die Erschliessungsverordnung verlange eine Fahrbahnbreite von mindestens 4,5 m.
b) Das Grundstück sei nicht an die Wasserversorgung der Gemeinde angeschlossen. Die Baudirektion könne zwar eine anderweitige Trinkwasserversorgung gestatten, doch sei sie hiezu nicht verpflichtet.
c) Eine einwandfreie Abwasser- und Kehrichtbeseitigung sei nicht gesichert. Ausnahmen könnten vom Regierungsrat nur für standortgebundene Bauten bewilligt werden.
D.-
Gegen diesen Beschluss des Regierungsrates erhob Ernst Nater beim Obergericht des Kantons Schaffhausen Verwaltungsgerichtsbeschwerde, welche mit Urteil vom 14. April 1972 indessen abgewiesen wurde.
E.-
Ernst Nater führt gegen dieses Urteil staatsrechtliche Beschwerde. Er rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
, der Gemeindeautonomie und des Grundsatzes der Gewaltentrennung und stellt den Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben.
BGE 99 Ia 331 S. 335
Die Begründung des angefochtenen Entscheides und der hiegegen erhobenen Rügen geht, soweit erforderlich, aus den folgenden Erwägungen hervor.
F.-
Regierungsrat und Obergericht beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dass der Beschwerdeführer legitimiert ist, den Entscheid des Obergerichtes wegen Verletzung von
Art. 4 BV
anzufechten, steht ausser Zweifel. Ob er darüber hinaus vorfrageweise auch eine Verletzung der Gemeindeautonomie rügen kann (vgl. ZIMMERLI, ZBl 1972 S. 272 f) und ob eine solche hier überhaupt in Betracht käme, braucht nicht geprüft zu werden. Da einzig die Anwendung kantonalen Gesetzes- und Verordnungsrechtes in Frage steht, dessen Auslegung durch die kantonale Behörde das Bundesgericht auch im Rahmen einer Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft, hat die Rüge der Verletzung der Gemeindeautonomie neben derjenigen des Verstosses gegen
Art. 4 BV
keine selbständige Bedeutung (ZIMMERLI, a.a.O. S. 269 ff;
BGE 99 Ia 74
f, 68 E. 6, mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer ist schliesslich auch legitimiert, eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung zu rügen, welche er darin erblickt, dass die Vorschriften der Erschliessungsverordnung in bezug auf die Mindestbreite der Zufahrtsstrasse und in bezug auf die Kanalisationsanschlusspflicht durch das BauG nicht gedeckt seien (vgl.
BGE 96 I 141
E. 3).
2.
Der vom Obergericht bestätigte Entscheid des Regierungsrates erging in Anwendung von Art. 34 des Forstgesetzes und betraf formell an sich nur die Frage, ob die geplante Hütte näher als 100 m an den Waldrand gestellt werden dürfe. Nach dem Wortlaut von Art. 34 ForstG sowie den einschlägigen Vorschriften der zu diesem Gesetz erlassenen Verordnung (§ 8 und § 9) dient die für waldnahe Bauten vom Regierungsrat einzuholende Sonderbewilligung einem feuerpolizeilichen Zweck, nämlich dem Schutz des Waldes vor Brandgefahr. Der Abstand der geplanten Hütte zum Waldrand beträgt rund 40 m. Dass durch ihre Errichtung und Benützung eine besondere Waldbrandgefahr geschaffen würde, wurde im Entscheid des Regierungsrates nicht ausdrücklich geltend gemacht, und auch das Obergericht stellte nur beiläufig die Brandsicherheit des Gebäudes als solchen in Frage, ohne zu behaupten, dass die in der Verordnung
BGE 99 Ia 331 S. 336
zum ForstG genannten Voraussetzungen für eine Näherbaubewilligung nicht erfüllt seien. Das Obergericht durfte indessen ohne Willkür annehmen, dass der Regierungsrat als Aufsichtsbehörde in Bausachen (Art. 76 BauG) befugt war, die Bewilligung nach Art. 34 ForstG trotz Vorliegens der in der Forstgesetzgebung genannten feuerpolizeilichen Voraussetzungen zu verweigern, wenn er gestützt auf seine Aufsichtsbefugnis gegen die Erteilung der Baubewilligung durch den Gemeinderat von Amtes wegen einschreiten könnte. Diese letztere Bedingung ist nach Lehre und Rechtsprechung dann erfüllt, wenn klares Recht, wesentliche Verfahrensvorschriften oder öffentliche Interessen offensichtlich missachtet worden sind (
BGE 97 I 10
E. 2). Eine derartige umfassende Prüfung durch die Aufsichtsbehörde war umso eher zulässig, als eine formell rechtskräftige Baubewilligung bei Einreichung des Näherbaugesuches nach Art. 34 ForstG noch gar nicht vorlag (vgl.
BGE 97 I 10
/11). Wenn der Regierungsrat bei der Prüfung des Baugesuches zum Schluss kam, dass es zwar nicht gegen die Forstgesetzgebung, aber offensicntlich gegen anderweitige Bauvorschriften verstiess, so brauchte er zur Ausübung seiner Aufsichtsbefugnisse nicht zuzuwarten, bis die Baubewilligung durch den Gemeinderat erteilt war, sondern er konnte schon die Sonderbewilligung nach Art. 34 ForstG verweigern. Jedenfalls hält die Auffassung des Obergerichtes in diesem Punkt vor
Art. 4 BV
durchaus stand. Es ist darüber hinaus sogar anzunehmen, dass der Regierungsrat in bezug auf diejenigen baupolizeilichen Vorschriften, deren Anwendung ohnehin ausschliesslich in seine Zuständigkeit fiel, an die genannten aufsichtsrechtlichen Schranken nicht gebunden war und die Sonderbewilligung nach Art. 34 ForstG schon dann verweigern durfte, wenn das Baugesuch zwar nicht offensichtlich, aber bei freier Prüfung gegen die betreffenden Vorschriften verstiess. Eine solche weitergehende Prüfungsbefugnis stand dem Regierungsrat zum Beispiel zu in der Frage, ob die Hütte ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes gebaut werden dürfe; denn die Erteilung einer entsprechenden Ausnahmebewilligung lag nach § 11 Abs. 2 der Erschliessungsverordnung einzig in seiner Kompetenz. Ergibt sich, dass die fragliche Baute gestützt auf diese Vorschrift ohne Verfassungsverletzung, d.h. ohne Willkür und ohne Verletzung des Prinzips der Gewaltentrennung, untersagt werden durfte, so vermag die Beschwerde zum vornherein nicht durchzudringen,
BGE 99 Ia 331 S. 337
und es braucht auf die übrigen Einwände nicht mehr eingegangen zu werden.
3.
Die in Art. 46 BauG statuierte Pflicht zur einwandfreien Abwasserbeseitigung gilt nach § 10 der Erschliessungsverordnung als erfüllt, wenn das Grundstück über eine bestehende Kanalisation der Gemeinde an die Abwasserreinigungsanlage angeschlossen werden kann oder wenn bis zur Erstellung einer solchen Anlage eine nach den Richtlinien der Vereinigung Schweizerischer Abwasserfachleute dimensionierte biologische Kläranlage betrieben wird. Im vorliegenden Fall ist weder der Anschluss an ein Kanalisationsnetz noch der Bau einer biologischen Kleinkläranlage vorgesehen. Nach unwiderlegter Feststellung des Obergerichts verfügt die Gemeinde Hemmental zur Zeit selbst im Ortskern über kein ausgebautes Kanalisationsnetz. Dessen Ausbau in der Bauzone und die Erstellung einer Kläranlage sind zwar geplant, doch soll es in absehbarer Zeit nicht möglich sein, das abgelegene Gebiet der Stieghalde, in dem sich das Baugrundstück befindet, an das Kanalisationsnetz anzuschliessen. Der Beschwerdeführer scheint dies nicht zu bestreiten. Er macht jedoch geltend, dass die Erschliessungsverordnung in bezug auf die Frage der Abwasserbeseitigung über das, was der Gesetzgeber in Art. 46 BauG angeordnet habe, hinaus gehe und daher ein Verstoss gegen den Grundsatz der Gewaltentrennung vorliege. Diese Rüge ist unbegründet. Der kantonale Gesetzgeber ordnete in Art. 46 BauG an, dass die Abwässer "einwandfrei" zu beseitigen seien, und überliess es im übrigen dem Regierungsrat, auf dem Verordnungswege festzulegen, auf welche Weise diesem Erfordernis nachgekommen werden soll. Der Regierungsrat konnte ohne Überschreitung der ihm zustehenden Kompetenzen vorschreiben, dass die Abwasserbeseitigung grundsätzlich über eine zentrale Anlage zu erfolgen habe und Ausnahmen nur unter bestimmten Voraussetzungen zu bewilligen seien. Dies entspricht der allgemeinen heutigen Auffassung, und wenn streitig ist, wieweit solche Ausnahmen zugelassen werden müssen, so handelt es sich nicht um eine Frage der Gewaltentrennung, sondern um eine solche der inhaltlichen Verfassungsmässigkeit, die hier nur unter dem Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
zu prüfen ist. Entscheidend ist dabei, dass die in § 10 und § 11 der Erschliessungsverordnung getroffene Regelung im wesentlichen derjenigen entspricht, welche das neue eidgenössische Gewässerschutzgesetz vom 8. Oktober 1971 (nGSchG)
BGE 99 Ia 331 S. 338
und die dazugehörige Allgemeine Gewässerschutzverordnung vom 19. Juni 1972 vorsieht. Die beiden Erlasse, welche gegenüber den kantonalen Vorschriften den Vorrang haben, traten am 1. Juli 1972 in Kraft und finden auf alle Verfahren Anwendung, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen waren (
BGE 99 Ib 153
E. 1). Nach Art. 20 nGSchG sind Bauten ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes bzw. ausserhalb der Bauzone (Art. 15 u. 27 der Allg. Gewässerschutzverordnung) - und um eine solche Baute handelt es sich hier - zum vornherein unzulässig, wenn der Gesuchsteller dafür kein "sachlich begründetes Bedürfnis" nachweisen kann; d.h. die Behörde ist verpflichtet und befugt, die Bedürfnisfrage unabhängig von den Möglichkeiten der Abwasserbeseitigung zu prüfen (
BGE 99 Ib 156
E. 2 b am Ende). Da für ein Ferienhaus oder ein Wochenendhaus kein sachlich begründetes Bedürfnis im Sinne von Art. 20 nGSchG besteht (Art. 27 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung; BBl 1970 II 453), kommt eine Bewilligung des streitigen Projektes heute von Bundesrechts wegen nicht mehr in Frage. Doch durfte der Regierungsrat schon vor Inkrafttreten des neuen eidgenössischen Gewässerschutzgesetzes ohne Verletzung von
Art. 4 BV
davon ausgehen, dass die vom Beschwerdeführer geplante Hütte mangels eines Kanalisationsanschlusses unzulässig sei. Die Regelung in §§ 10/11 der Erschliessungsverordnung, wonach Gebäude ausserhalb des im generellen Kanalisationsprojekt abgegrenzten Gebietes nur bei Vorliegen eines sachlich begründeten Bedürfnisses bewilligt werden dürfen, deckt sich im wesentlichen mit derjenigen des nGSchG, an dessen Entwurfman sich beim Erlass der Erschliessungsverordnung offenbar angelehnt hatte; sie kann schon aus diesem Grunde nicht als willkürlich bezeichnet werden. Es lässt sich im übrigen mit Grund die Meinung vertreten, dass eine dauerhafte Lösung des Abwasserproblems nur möglich sei, wenn Baubewilligungen in Zukunft grundsätzlich nur für solche Gebäude erteilt werden, die sofort oder wenigstens in absehbarer Zeit an eine zentrale Abwasserreinigungsanlage angeschlossen werden können, und dass ausserhalb des Kanalisationsrayons gelegene Bauten, die auf behelfsmässige und schwer kontrollierbare Einzelkläranlagen angewiesen sind, nur bei Vorliegen eines qualifizierten Bedürfnisses (z.B. Standortgebundenheit) zu bewilligen seien. Wenn der Regierungsrat gestützt auf die Erschliessungsverordnung diese nunmehr auch im Bundesrecht verankerte Regel konsequent handhabte und der vom
BGE 99 Ia 331 S. 339
Beschwerdeführer geplanten Hütte aus grundsätzlichen Erwägungen des Gewässerschutzes die nach Art. 34 ForstG erforderliche Sonderbewilligung versagte, verstiess er nicht gegen das Willkürverbot, umso weniger, als das Baugrundstück auch in anderer Hinsicht nicht oder zumindest nur mangelhaft erschlossen ist (Trinkwasserversorgung, Zufahrt, Kehrichtbeseitigung). Dass beim Entscheid des Regierungsrates allgemeine planerische Überlegungen mitspielten und es ihm offenbar auch darum ging, eine ungeordnete Besiedelung des betreffenden Gebietes zu verhindern, ändert nichts. Ausschlaggebend ist, dass schon die fehlende Möglichkeit eines Kanalisationsanschlusses ausreichte, um die nachgesuchte Sonderbewilligung ohne Willkür verweigern zu können, weshalb die Frage, ob das Projekt auch gegen anderweitige Bauvorschriften verstösst, hier nicht weiter geprüft zu werden braucht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird, soweit auf sie einzutreten ist, abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0c5bd12-d6d4-45c3-b99b-ac60503e7c0f | Urteilskopf
93 II 151
21. Arrêt de la IIe Cour civile du 14 juillet 1967 dans la cause Montandon contre Friedli. | Regeste
Berufung in einem Verfahren auf Revision des Urteils in einem Scheidungsprozesse.
1. Unterliegt der Berufung an das Bundesgericht ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid, der ein Revisionsgesuch auf Grund der Beurteilung einer bundesrechtlichen Vorfrage als unzulässig erklärt? (Erw. 1 und 2).
2. Erlaubt das Bundesrecht die Revision eines Scheidungsurteils nach dem Tode eines der geschiedenen Ehegatten? (Erw. 3 bis 6). | Sachverhalt
ab Seite 151
BGE 93 II 151 S. 151
A.-
André-Roger Friedli et Colette Montandon-Varoda se sont mariés le 11 juin 1948 à La Chaux-de-Fonds. Un fils, Pierre-André, est issu de leur union, le 29 décembre 1948.
Le 7 novembre 1963, le mari a introduit une action en divorce, à laquelle sa femme a acquiescé.
Par jugement du 28 mai 1964, devenu définitif et exécutoire le 10 juin 1964, le Tribunal du district de La Chaux-de-Fonds a admis la demande, prononcé le divorce et attribué au père la puissance paternelle sur l'enfant.
André-Roger Friedli est décédé à La Chaux-de-Fonds le 27 juin 1964. L'enfant Pierre-André a été recueilli par sa mère et pourvu d'un tuteur.
BGE 93 II 151 S. 152
B.-
Le 25 mai 1965, dame Colette Montandon, divorcée Friedli, a introduit contre son fils Pierre-André, au nom de qui agit son tuteur Maurice Dubois, une demande de revision tendant à faire prononcer la nullité du jugement de divorce. Elle affirmait qu'elle a été amenée à acquiescer à la demande en divorce sous l'effet de menaces graves et que le jugement est vicié de ce fait. Elle invoquait les art. 403 ss. CPC neuch.
Le défendeur a conclu à l'irrecevabilité et subsidiairement au rejet de la demande de revision. Il a notamment contesté sa qualité pour défendre.
Statuant séparément le 15 décembre 1966 sur ce moyen préjudiciel, le Tribunal matrimonial du district de La Chaux-de-Fonds a prononcé que Pierre-André Friedli n'avait pas qualité pour défendre et déclaré la demande de revision irrecevable.
C.-
Saisi d'un appel de dame Montandon, le Tribunal cantonal neuchâtelois l'a rejeté le 6 février 1967, en confirmant le jugement de première instance. Il a considéré, en bref, que le droit de demander le divorce est un droit strictement personnel, incessible et intransmissible aux héritiers. Seul le mari et la femme peuvent l'exercer. La même règle vaut pour la demande de revision d'un jugement de divorce. Les héritiers de l'époux divorcé qui est décédé ne peuvent soutenir à sa place une pareille procédure.
D.-
Dame Montandon recourt en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut à la modification de l'arrêt cantonal en ce sens que la qualité pour défendre soit reconnue à son fils et la demande de revision déclarée recevable.
L'intimé Pierre-André Friedli conclut au rejet du recours. Il plaide au bénéfice de l'assistance judiciaire gratuite, selon décision du 19 avril 1967.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'
art. 43 OJ
, le recours en réforme n'est recevable que pour violation du droit fédéral. Or le droit de demander le divorce est un droit strictement personnel (RO 78 II 100) régi par la législation fédérale (art. 19 al. 2 et 137 ss. CC). A ce droit correspond celui de l'autre conjoint de s'opposer au divorce en alléguant que les conditions posées par la loi ne sont pas réunies. Lajouissance et l'exercice de ce droit sont également réglés par le droit privé fédéral (cf. RO 85 II 223 s., consid. 1). La recourante demande en l'espèce la revision du jugement de
BGE 93 II 151 S. 153
divorce et son annulation. Elle exerce ainsi son droit de s'opposer au divorce. Elle prétend que les juges cantonaux ont nié à tort la qualité pour défendre de l'intimé. Elle invoque dès lors la violation d'un principe découlant de la législation fédérale (
art. 43 al. 2 OJ
).
2.
Sous réserve des exceptions prévues aux
art. 49 et 50 OJ
, le recours en réforme est recevable uniquement contre les décisions finales rendues en dernière instance cantonale (
art. 48 OJ
). En règle générale, les décisions des tribunaux cantonaux qui statuent sur l'admissibilité d'une demande de revision formée contre un jugement rendu par les autorités cantonales ne sont pas des décisions finales, parce qu'elles ne tranchent pas le fond du droit, mais seulement une question de procédure régie par la loi cantonale (RO 63 II 181, 62 II 48, 54 II 473, 45 III 162, 31 II 771, 11, 44; LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3e éd., n. 1 ad art. 364, p. 343 et n. 4 ad.
art. 371 CPC
bernois, p. 350; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme..., thèse Lausanne 1964, no 252, p. 187, et les références citées; FAVEY, Les conditions du recours de droit civil au Tribunal fédéral, JdT 1907 I 396, sous lettre p). Mais il en va différemment lorsque, comme en l'espèce, la juridiction cantonale déclare une demande de revision irrecevable par un motif préjudiciel de droit fédéral. Bien qu'elle n'aborde pas le fond, la décision attaquée fixerait définitivement, si elle était maintenue, le sort d'une action en divorce admise par le jugement dont la recourante demande la revision. L'arrêt entrepris est donc une décision finale au sens de l'
art. 48 OJ
(cf. RO 76 II 261, consid. 1, 91 II 59 s., consid. 1; voir au sujet du défaut de qualité pour agir ou pour défendre RO 67 II 240, 64 II 232, 53 II 511; cf. encore RO 50 II 210).
Le recours est dès lors recevable.
3.
a) La jurisprudence ne s'est pas encore déterminée sur l'admissibilité d'une revision du jugement prononçant le divorce, après le décès de l'un des anciens époux, dans une instance opposant l'autre conjoint divorcé aux héritiers de celui qui est décédé. Le Tribunal fédéral a jugé cependant que l'action en divorce est de nature éminemment personnelle; une fois introduite, elle ne peut pas être continuée par les héritiers de l'époux qui serait décédé en cours d'instance (RO 51 II 541). Et lorsque l'un des conjoints décède après le dépôt d'un recours en réforme contre un jugement de divorce,
BGE 93 II 151 S. 154
mais avant que le Tribunal fédéral ait rendu son arrêt, le décès rend le recours sans objet et met fin au procès, qui est rayé du rôle (RO 46 II 178 s.). De même, si un époux meurt avant que le jugement cantonal soit définitif, son décès met fin à l'instance et le mariage est dissous par la mort (RO 76 II 254).
b) Plusieurs juridictions cantonales ont exclu la revision d'un jugement de divorce passé en force, lorsque l'un des conjoints a contracté un nouveau mariage; en revanche, la revision est ouverte quant aux effets accessoires du divorce (ZR 35, 1936, p. 144, no 67, Obergericht Zurich, 21 décembre 1935; ZR 55, 1956, p. 166 ss., no 77, Obergericht Zurich, 31 janvier 1955; BJM 1963, p. 32 s., Obergericht Bâle-Campagne, 6 novembre 1962; JdT 1960 III 57, Tribunal cantonal vaudois, 19 février 1957; RSJ 22, 1925/1926, p. 67 s., no 70, Kantonsgericht St-Gall, 6 février 1924; cf. dans le même sens HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3e éd., p. 234 et LEUCH, op.cit., n. 3 ad
art. 367 CPC
bernois, p. 345).
La même solution a été adoptée par le législateur vaudois à l'art. 476 al. 2 du Code de procédure civile du 14 décembre 1966 - dont l'entrée en vigueur n'est pas encore fixée - qui dispose:
"La demande de revision d'un jugement de divorce n'est recevable, si l'un des ex-conjoints est remarié, que dans la mesure où elle a pour objet l'allocation d'une indemnité ou d'une pension alimentaire ou la liquidation du régime matrimonial."
c) Saisi d'une demande de revision d'un arrêt qu'il avait rendu dans une cause en divorce, le Tribunal fédéral a relevé que cette voie de recours extraordinaire n'était pas admissible en la matière d'une façon aussi générale que dans les contestations pécuniaires; l'ordre public et l'intérêt des tierces personnes dont le statut familial repose directement ou indirectement sur la situation juridique créée par le jugement de divorce, par exemple en cas de remariage de l'un des époux divorcés, exigent impérieusement le maintien de l'arrêt déjà rendu (RO 28 II 173).
d) BIRCHMEIER (Bundesrechtspflege, n. 3 ad
art. 136 OJ
, p. 499 s.) se prononce dans le même sens. Il rappelle que l'art. 142 al. 3 de l'avant-projet de loi d'organisation judiciaire fédérale excluait la revision du jugement de divorce en cas de remariage d'un époux; cette disposition n'a pas été introduite dans la loi parce qu'il peut y avoir d'autres motifs d'exclure la
BGE 93 II 151 S. 155
revision et que l'on a préféré laisser à la jurisprudence le soin de trancher la question. Suivant l'opinion de LEUCH (op.cit., n. 3 ad
art. 367 CPC
bernois, p. 345), il estime que la revision du jugement de divorce ne doit pas être admise lorsque la situation de droit qu'il a créée dure depuis quelques années. Il n'envisage pas, en revanche, le cas d'une demande de revision formée par un époux divorcé après le décès de son ex-conjoint, contre les héritiers de celui-ci.
4.
La recourante invoque, à l'appui de ses conclusions, la jurisprudence et la doctrine allemandes qui permettraient, ditelle, la revision d'un jugement de divorce même après le décès de l'un des époux divorcés.
En procédure civile allemande, la revision (Wiederaufnahme, § 578 ZPO) d'un procès qui s'est terminé par un jugement final passé en force peut être demandée par la voie de l'action en nullité (Nichtigkeitsklage, § 579 ZPO) pour vice de procédure (wegen prozessualer Mängel), d'une part, et par l'action en restitution (Restitutionsklage, § 580 ZPO) pour vice affectant le fond de la cause (wegen sachlicher Mängel), d'autre part (BLOMEYER, Zivilprozessrecht, 1963, § 106, p. 593). La jurisprudence admet qu'un époux divorcé peut, même après la mort de son ex-conjoint, former contre les héritiers de celui-ci une demande de revision en vue de faire annuler le jugement de divorce qui serait affecté d'un vice de procédure; elle n'est pas fixée quant à la recevabilité d'une action en restitution: d'abord résolue par la négative, la question a été laissée ensuite indécise (RGZ 149, p. 112 ss.). En doctrine, les auteurs divergent d'opinion (cf. JAUERNIG, Tod eines Ehegatten vor Beginn, während oder nach Abschluss des Eheprozesses, dans Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Fam. R Z, 1961, p. 98 ss.; BLOMEYER, op.cit., § 120, ch. VII/3, p. 682; BAUMBACH/LAUTERBACH, Zivilprozessordnung, n. 2 ad § 628 ZPO).
Ni la doctrine, ni la jurisprudence allemandes ne sont donc fixées définitivement en ce qui concerne la recevabilité d'une demande de revision du jugement de divorce après le décès de l'un des époux divorcés.
5.
La question doit être résolue en fonction de la nature de l'action en divorce et des effets que produit le jugement de divorce, tels qu'ils résultent du droit privé fédéral.
Le droit de demander le divorce est un droit éminemment personnel. Seuls les époux ont qualité pour agir et pour défendre
BGE 93 II 151 S. 156
au procès en divorce. Le jugement qui prononce le divorce peut être considéré comme un jugement formateur (Gestaltungsurteil) qui modifie les rapports de droit de famille. Il dissout le lien conjugal et apporte un changement fondamental au statut personnel, ainsi qu'à l'état civil des parties. Il s'ensuit que seuls les époux divorcés peuvent être parties à une instance en revision qui, si elle aboutit à l'annulation du jugement de divorce par un nouveau prononcé judiciaire, modifiera en sens inverse les rapports de droit de famille, le statut personnel et l'état civil des plaideurs. Après le décès de l'un des époux divorcés, son ex-conjoint ne peut donc plus demander la revision du jugement de divorce en vue de faire modifier la situation juridique créée par ce prononcé.
La sécurité du droit s'oppose également à ce qu'un divorce prononcé par un jugement passé en force soit remis en question et, le cas échéant, annulé dans une procédure de revision, alors que l'un des époux divorcés est décédé. Du reste, les héritiers de l'ex-époux décédé ne seraient pas en mesure de faire valoir, dans l'instance en revision, les moyens de défense dont leur auteur aurait disposé.
6.
Il n'y a pas lieu d'examiner en l'espèce si et à quelles conditions l'un des époux divorcés pourrait introduire, après le décès de son ex-conjoint, une demande en revision concernant les effets accessoires d'un jugement de divorce.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme l'arrêt rendu le 6 février 1967 par le Tribunal cantonal neuchâtelois. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0c9091b-ba8d-4253-b277-4848163dbb0f | Urteilskopf
108 Ib 417
72. Estratto della sentenza 2 agosto 1982 della I Corte civile nella causa A. contro Confederazione svizzera (azione di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 20 Abs. 3 Verantwortlichkeitsgesetz und
Art. 119 Abs. 3 OG
.
Natur und Zweck des beim Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartementes vor Einreichung der gerichtlichen Klage anzuhebenden Verfahrens; dieses Vorverfahren ist freiwillig; wird es durchgeführt, ohne dass die Parteien alle ihre Argumente geltend machen, so kann das - wie im Fall des Verzichtes auf das Vorverfahren - bei der Verteilung der Kosten für das nachfolgende Gerichtsverfahren berücksichtigt werden, ohne im übrigen aber einen Nachteil mit sich zu bringen. | Sachverhalt
ab Seite 417
BGE 108 Ib 417 S. 417
Il creditore A. della Banque de crédit international in liquidazione concordataria, dopo avere invano presentato una domanda di risarcimento al Dipartimento federale delle finanze, ha avviato un'azione di diritto amministrativo contro la Confederazione svizzera, chiedendo il risarcimento del danno subito nel concordato con abbandono d'attivi della banca, a suo dire consecutivo ad atti illeciti commessi dalla Commissione federale delle banche nell'esercizio della sua vigilanza. La
BGE 108 Ib 417 S. 418
Confederazione ne ha chiesto la reiezione, invocando in primo luogo l'estinzione dell'azione secondo l'art. 20 cpv. 1 della legge sulla responsabilità del 14 marzo 1958. Il Tribunale federale ha accolto l'obiezione e ha respinto l'azione. In precedenza esso aveva respinto l'azione presentata per gli stessi motivi dalla banca medesima, negandole la qualità per agire (
DTF 106 Ib 357
).
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
L'attore, riferendosi a
DTF 106 Ib 364
, sostiene che la prescrizione dei crediti di diritto pubblico non deve essere sollevata d'ufficio qualora essa sia sfavorevole al cittadino che agisce contro lo stato. A mente sua l'argomento della prescrizione è stato eccepito tardivamente, poiché la Confederazione l'ha sollevato per la prima volta nella risposta presentata al Tribunale federale, mentre l'aveva trascurato nella procedura che la opponeva alla banca e il Dipartimento federale delle finanze l'aveva ignorato in quella precedente la presente azione. L'attore ritiene il comportamento della parte convenuta contrario alle regole della buona fede.
La determinazione della Confederazione secondo l'art. 20 cpv. 3 della legge sulla responsabilità non è una decisione ai sensi dell'
art. 5 PA
, contro la quale sono aperti i rimedi giuridici, bensì una semplice presa di posizione, del resto non indispensabile affinché l'interessato possa agire giudizialmente (
art. 119 cpv. 3 OG
e art. 20 cpv. 3 della legge sulla responsabilità a contrario;
DTF 103 Ib 66
consid. 2a). La procedura preventiva persegue lo scopo di evitare processi inutili; se l'attore omette d'esperirla o le parti l'avviano ma non espongono sufficientemente tutti i loro argomenti, possono risultarne conseguenze soltanto per la fissazione delle spese processuali, senza pregiudizio alcuno per il procedimento giudiziario di merito. Nella fattispecie non può quindi essere mosso rimprovero alla Confederazione per avere formulato l'eccezione di prescrizione o perenzione (sulla questione terminologica, qui irrilevante, cfr.
DTF 86 I 64
consid. 5) solo nella procedura davanti al Tribunale federale. L'attore si oppone all'eccezione derivata dall'art. 20 cpv. 1 della legge sulla responsabilità, così com'è motivata dalla convenuta nella risposta; si può ragionevolmente ammettere che questo comportamento non ha influito sull'apertura dell'azione e neppure sulle spese giudiziarie.
BGE 108 Ib 417 S. 419
L'attore non è nemmeno protetto dalla buona fede, poiché difettano le condizioni eccezionali che permettono di prescindere dall'applicazione di una norma del diritto positivo in virtù di tale principio (
DTF 107 V 160
consid. 2).
(Per gli ulteriori motivi che hanno condotto il Tribunale federale ad ammettere l'estinzione dell'azione vedi l'analoga sentenza X. et Y. contro Confederazione svizzera del 17 maggio 1982, pubblicata in
DTF 108 Ib 97
.) | public_law | nan | it | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d0ccadc8-8905-4290-9e03-970bf8d01f7c | Urteilskopf
124 II 361
35. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 23. Juni 1998 i.S. H. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG und
Art. 105 Abs. 2 OG
,
Art. 4 ANAG
und
Art. 17 Abs. 2 ANAG
,
Art. 8 EMRK
sowie Art. 9, 10 und 12 der UNO-Kinderrechtekonvention; Verweigerung des Nachzugs der Kinder eines Ausländers aus einer früheren Beziehung.
Bestätigung der Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sowie zur Bindung des Bundesgerichts an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz als richterlichen Behörde (E. 1 und 2).
Bestätigung der Rechtsprechung, wonach ein Nachzugsrecht bei Kindern getrennt lebender ausländischer Eltern voraussetzt, dass zum in der Schweiz lebenden Elternteil die vorrangige familiäre Beziehung besteht. Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit der UNO-Kinderrechtekonvention. Bedeutung des Anspruches der Kinder gemäss diesem Übereinkommen, sich in allen sie berührenden Angelegenheiten frei zu äussern bzw. angehört zu werden (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 362
BGE 124 II 361 S. 362
Der am 10. Oktober 1957 geborene pakistanische Staatsangehörige H. war in Pakistan verheiratet und ist Vater der Kinder I., geb. 1981, A., geb. 1982, und R., geb. 1989. Am 11. Januar 1991 reiste er in die Schweiz ein und stellte hier ein Asylgesuch. Am 18. Februar 1991 wurde seine Ehe in Pakistan geschieden. Nach Abweisung des Asylgesuchs wurde H. am 9. Januar 1992 aus der Schweiz ausgeschafft. Am 1. Juni 1992 reiste er erneut in die Schweiz ein und heiratete hier am 5. Juni 1992 die Schweizerin J. In der Folge erteilte ihm die Fremdenpolizei des Kantons Zürich die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei der schweizerischen Ehefrau. Am 9. Juli 1995 stellte H. ein Gesuch um Einreisebewilligung für zwei seiner aus erster Ehe stammenden Kinder, nämlich für I. und A. Im Verlauf des Verfahrens wurde das Gesuch auch auf das dritte Kind ausgeweitet, mit Eingabe an die Fremdenpolizei vom 20. April 1996 aber wieder auf die beiden älteren Kinder beschränkt.
Am 5. Juni 1996 wies die Fremdenpolizei das Gesuch ab. Dagegen erhob H. Rekurs beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Am 29. Mai 1997 erteilte die Fremdenpolizei H. die Niederlassungsbewilligung. Am 17. September 1997 wies der Regierungsrat den Rekurs gegen die Verweigerung der Einreisebewilligung für die beiden älteren Kinder ab. H. erhob dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. Dieses wies die Beschwerde am 28. Januar 1998 ab, soweit es darauf eintrat. Zur Begründung hielt es im wesentlichen fest, auf die Beschwerde könne insoweit nicht eingetreten werden, als damit die Aufenthaltsbewilligung für den Sohn R. beantragt werde, da dieses Begehren nicht Gegenstand des Rekursentscheides des Regierungsrates
BGE 124 II 361 S. 363
gewesen sei. Im übrigen bestehe zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Bewilligungen, doch scheitere dieser in der Sache daran, dass die Kinder weiterhin in Pakistan ihren Lebensmittelpunkt hätten, bzw. nicht ersichtlich sei, weshalb die beiden älteren Kinder dem Vater näher stehen sollten als der Mutter.
Gegen dieses Urteil reichte H. am 8. April 1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht ein. Er stellt die folgenden Anträge:
"1. Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und den Kindern des Beschwerdeführers I., geb. 1981, A., geb. 1982, sowie R., geb. 1989, im Rahmen des Familiennachzuges Einreise und Aufenthalt zwecks Verbleib beim Beschwerdeführer zu bewilligen.
2. Eventualiter sei die Angelegenheit zwecks mündlicher Anhörung der Kinder bzw. von deren Vater und Neubeurteilung an die Vorinstanz bzw. die erstentscheidende Instanz zurückzuweisen.
3. Es seien die Kosten des Beschwerdeverfahrens (einschliesslich des kantonalen Beschwerdeverfahrens) auf die Amts- bzw. Staatskasse zu nehmen.
Ferner sei der Beschwerdeführer für die ihm im Beschwerdeverfahren (einschliesslich dem kantonalen Verfahren) entstandenen Anwaltskosten angemessen zu entschädigen."
Zur Begründung beruft sich H. auf Art. 17 Abs. 2 dritter Satz des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20), auf Art. 8 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK; SR 0.101) sowie auf Art. 10 und 12 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (UNO-Kinderrechtekonvention; BBl 1994 V 62 ff. und BBl 1996 V 1014; SR 0.107).
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und das Bundesamt für Ausländerfragen (für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement) schliessen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatskanzlei des Kantons Zürich beantragt für den Regierungsrat die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
Erwägungen
aus den folgenden Erwägungen:
1.
a) Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG schliesst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus gegen die Erteilung oder Verweigerung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt.
BGE 124 II 361 S. 364
Gemäss
Art. 4 ANAG
entscheidet die zuständige Behörde, im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Verträge mit dem Ausland, nach freiem Ermessen über die Bewilligung von Aufenthalt und Niederlassung. Der Ausländer hat damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist ausgeschlossen, soweit er sich nicht auf eine Norm des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt (
BGE 122 II 1
E. 1a, 289 E. 1a, 385 E. 1a;
BGE 120 Ib 257
E. 1a; je mit Hinweisen).
b) Gemäss Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG haben ledige Kinder unter 18 Jahren Anspruch auf Einbezug in die Niederlassungsbewilligung ihrer Eltern, wenn sie mit diesen zusammen wohnen. Ferner garantiert
Art. 8 EMRK
den Schutz des Familienlebens. Gestützt darauf ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung ersuchenden Ausländers oder seiner hier anwesenden nahen Verwandten zulässig, wenn diese über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht (insbesondere Niederlassungsbewilligung) in der Schweiz verfügen und die familiäre Beziehung tatsächlich gelebt wird und intakt ist (
BGE 109 Ib 183
;
BGE 122 II 1
E. 1e, 289 E. 1c, 385 E. 1c;
BGE 120 Ib 1
E. 1d, 6 E. 1, 16 E. 3a und 257 E. 1c, mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer hat die Niederlassungsbewilligung. Seine Beziehung zu seinen Kindern ist intakt und wird im Rahmen des Möglichen, und soweit dies vernünftigerweise verlangt werden kann, gelebt. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird daher eingetreten, soweit es um die Erteilung der Einreisebewilligung an die beiden älteren Kinder geht.
c) Nicht eingetreten werden kann indessen, soweit der Beschwerdeführer auch eine Einreisebewilligung für seinen jüngsten Sohn beantragt. Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind grundsätzlich nur Rechtsverhältnisse zu überprüfen bzw. zu beurteilen, zu denen die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und soweit keine Verfügung ergangen ist (
BGE 122 V 34
E. 2a;
BGE 119 Ib 33
E. 1b;
BGE 110 V 48
E. 3b mit Hinweisen). Die Vorinstanz ist auf die Frage des Nachzuges des jüngsten Sohnes ausdrücklich nicht eingetreten. Da sie somit nicht Gegenstand des angefochtenen
BGE 124 II 361 S. 365
Entscheides bildet, kann sie auch nicht vor Bundesgericht zum Streitgegenstand erhoben werden. Ein Ausnahmefall (vgl. dazu
BGE 122 V 34
E. 2a) liegt nicht vor.
Der Beschwerdeführer macht im übrigen nicht geltend, und es ist auch nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht gegen Bundesrecht verstossen hat, indem es insoweit auf die bei ihm erhobene Beschwerde nicht eintrat. Der Beschwerdeführer hat seinerzeit am 20. April 1996 selber über seinen damaligen Rechtsvertreter um Beschränkung des Verfahrens auf die beiden älteren Kinder ersucht. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erläutert er dazu, diese Beschränkung hänge mit den (jedenfalls im damaligen Zeitpunkt) engen Wohnraumverhältnissen zusammen, wie schon damals ausgeführt worden sei. Nachdem das Verfahren damit im Einverständnis mit dem Beschwerdeführer bis vor dem Regierungsrat auf den Nachzug der beiden älteren Kinder beschränkt war, durfte die Vorinstanz, ohne Bundesrecht zu verletzen, entscheiden, der Streitgegenstand gehe nicht über diese Frage hinaus.
2.
a) Im Fremdenpolizeirecht stellt das Bundesgericht nur dann auf die aktuellen tatsächlichen und rechtlichen Umstände ab, wenn nicht eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden hat. Diesfalls gilt die Regelung von
Art. 105 Abs. 2 OG
(
BGE 122 II 1
E. 1b mit Hinweisen, 385 E. 2), wonach das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden ist, wenn die richterliche Vorinstanz diesen nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen erhoben hat. Da im vorliegenden Fall der angefochtene Entscheid durch ein Gericht erging, gelangt
Art. 105 Abs. 2 OG
zur Anwendung.
b) Für die Feststellung des Sachverhalts gilt im Verwaltungsverfahren grundsätzlich die Untersuchungsmaxime. Diese wird jedoch relativiert durch die Mitwirkungspflicht der Parteien (vgl.
Art. 13 VwVG
), welche namentlich insoweit greift, als eine Partei das Verfahren durch eigenes Begehren eingeleitet hat oder darin eigene Rechte geltend macht. Die Mitwirkungspflicht gilt vorab gerade für solche Tatsachen, welche eine Partei besser kennt als die Behörden und welche diese ohne ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand erheben können. Im vorliegenden Zusammenhang trifft das insbesondere auf die vom Beschwerdeführer angerufenen Umstände - namentlich persönlicher Art - in seiner Heimat zu; solche Tatsachen lassen sich erfahrungsgemäss von den schweizerischen Behörden, wenn überhaupt, nur mit erhöhtem Aufwand abklären (
BGE 122 II 385
E. 4c/cc).
BGE 124 II 361 S. 366
3.
a) Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG verschafft nicht ein vorbehaltloses Recht auf Nachzug der Kinder. Zusätzliche Anforderungen müssen sich freilich aus dem Gesetz ergeben (vgl.
BGE 119 Ib 81
E. 2). Ähnliches gilt für
Art. 8 EMRK
. Der Familienschutz, wie er in dieser Bestimmung gewährleistet wird, kann zwar unter Umständen einer Entfernungsmassnahme wie einer Ausweisung - und damit einer zwangsweisen Trennung von Angehörigen - entgegenstehen, wenn dadurch die Fortführung des Familienlebens verunmöglicht oder stark beeinträchtigt wird.
Art. 8 EMRK
vermittelt jedoch nicht ein absolutes Recht auf Einreise und Aufenthaltsbewilligung von Familienmitgliedern (
BGE 122 II 289
E. 3b), namentlich wenn ein Ausländer selbst die Entscheidung getroffen hat, von seiner Familie getrennt in einem anderen Land zu leben (
BGE 122 II 385
E. 4b;
BGE 119 Ib 81
E. 4a;
BGE 118 Ib 153
E. 2b).
Auch wenn Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG sowie 8 EMRK unter anderem die familiäre Beziehung getrennt lebender Eltern zu ihren Kindern schützen, räumen die Bestimmungen grundsätzlich nicht demjenigen Elternteil ein Recht auf Nachzug eines Kindes ein, der freiwillig ins Ausland verreist ist, der ein weniger enges Verhältnis zum Kind hat als der andere Elternteil oder sonstige Verwandte, die für das Kind sorgen, und der seine bisherigen Beziehungen zum Kinde weiterhin pflegen kann. In solchen Fällen gibt es keinen bedingungslosen Anspruch auf Nachzug des Kindes durch den in der Schweiz lebenden Elternteil. Ein entsprechendes Recht setzt vielmehr voraus, dass das Kind zum hier ansässigen Elternteil die vorrangige familiäre Beziehung unterhält und sich der Nachzug als notwendig erweist. Dabei kommt es zwar nicht nur auf die bisherigen Verhältnisse an, sondern es können auch nachträglich eingetretene oder künftige Umstände wesentlich werden. In der Regel ist dafür aber zunächst der privatrechtliche Weg zu beschreiten, d.h. es ist die rechtlich verbindliche Zuteilung des Sorgerechts anzustreben. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen klare Anhaltspunkte für neue familiäre Abhängigkeiten oder für eine wesentliche Verlagerung der Beziehungsintensitäten bestehen, wie etwa beim Hinschied desjenigen Elternteils, der das Kind bisher betreut hat (
BGE 122 II 385
E. 4b;
BGE 118 Ib 153
E. 2b). Die Verweigerung einer Bewilligung lässt sich somit jedenfalls dann nicht beanstanden, wenn die Familientrennung von den Betroffenen ursprünglich selbst freiwillig herbeigeführt worden ist, für die Änderung der bisherigen Verhältnisse keine überwiegenden familiären Interessen bestehen bzw. sich ein Wechsel nicht als zwingend erweist und die Fortführung
BGE 124 II 361 S. 367
und Pflege der bisherigen familiären Beziehungen nicht behördlich verhindert wird (
BGE 122 II 385
E. 4b;
BGE 119 Ib 81
E. 4a und b;
BGE 118 Ib 153
E. 2c und d; ALAIN WURZBURGER, La jurisprudence récente du Tribunal fédéral en matière de police des étrangers, in RDAF 53/1997, S. 280 ff.; kritisch: MARC SPESCHA, Abwehrmentalität und Defizite in der ausländerrechtlichen Bewilligungspraxis, in AJP 1997, S. 481 f.).
b) An dieser Rechtslage ändert auch die UNO-Kinderrechtekonvention nichts. Trotz grundsätzlichem Inkrafttreten am 26. März 1997 wurde dieses Übereinkommen bisher noch nicht formell in der Amtlichen Sammlung der Eidgenössischen Gesetze publiziert. Das allein schliesst zwar nicht aus, dass sich der Beschwerdeführer darauf berufen kann (vgl.
BGE 124 III 90
E. 3a). Aus Art. 9 und 10 des Abkommens vermögen aber weder ein Kind noch dessen Eltern einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Familienzusammenführung abzuleiten. Das Recht der Staaten, ihre Einwanderungsgesetze selbst auszugestalten, wird durch diese Bestimmungen nicht beeinträchtigt (BBl 1994 V 33f.). Im übrigen hat die Schweiz gerade im Hinblick auf die Gesetzgebung über die Familienzusammenführung einen Vorbehalt zu Art. 10 Abs. 1 der UNO-Kinderrechtekonvention angebracht (BBl 1994 V 36 und 77; unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 6. März 1998 i.S. Herrera, E. 1b/bb; PETER HÄNNI/EVA MARIA BELSER, Die Rechte der Kinder, in AJP 1998, S. 150).
Der Beschwerdeführer trägt vor, die nationale Gesetzgebung sei wenigstens in dem Sinne im Lichte der UNO-Kinderrechtekonvention auszulegen und anzuwenden, dass Anträge auf Familienzusammenführung im Rahmen der Gesetzgebung wohlwollend, human und beschleunigt zu bearbeiten seien. Wieweit der Auffassung des Beschwerdeführers zu folgen ist, kann indessen offenbleiben. Zwar lässt sich entgegen der Ansicht des Bundesamts für Ausländerfragen nicht mit dem allgemeinen Verweis darauf, im Jahr 1997 seien 46% der neu eingereisten Ausländer im Rahmen der Bestimmungen über den Familiennachzug zugelassen worden, nachweisen, dass das fragliche Gesuch auch im vorliegenden Fall wohlwollend, human und beschleunigt behandelt worden ist. Der Beschwerdeführer vermag aber nicht zu belegen, und es ist auch nicht ersichtlich, weshalb in seinem Fall gegen ein entsprechendes Prinzip verstossen worden sein soll, denn auch ein solcher Rechtsgrundsatz könnte eine Bewilligungsverweigerung nicht von vornherein ausschliessen. Entscheidend sind vielmehr die gesamten Umstände des Einzelfalles, die im Rahmen der Anwendung der einschlägigen Rechtsnormen angemessen
BGE 124 II 361 S. 368
und fallbezogen abgewogen werden müssen (vgl. PHILIP GRANT, L'art. 8 CEDH, les étrangers et les voies de recours au Tribunal fédéral: entre innovation et cul-de-sac, in AJP 1998, S. 275; WURZBURGER, a.a.O., S. 280).
c) Der Beschwerdeführer beruft sich weiter auf Art. 12 der UNO-Kinderrechtekonvention, wonach die Vertragsstaaten dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zusichern, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten bzw. Gerichts- oder Verwaltungsverfahren unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle frei zu äussern und angehört zu werden. Dieses Recht gilt grundsätzlich auch in fremdenpolizeilichen Verfahren (MARIE-FRANÇOISE LÜCKER-BABEL, La garantie des droits des mineurs migrants par les conventions internationales et la législation interne suisse, in Zeitschrift für Vormundschaftswesen 53/1998, S. 61).
Art. 12 der UNO-Kinderrechtekonvention ist unmittelbar anwendbar (
BGE 124 III 90
E. 3a), und der Beschwerdeführer kann sich somit darauf berufen. Grundsätzlich wären die Kinder bei der vorliegenden Ausgangslage zwar eher bereits im zivilrechtlichen Verfahren über die Zuteilung des Sorgerechts anzuhören gewesen, wobei freilich offenbleiben kann, ob dies stattgefunden hat und ob die UNO-Kinderrechtekonvention von Pakistan ratifiziert worden ist. So oder so schliesst dies die allfällige Notwendigkeit einer Anhörung im schweizerischen fremdenpolizeilichen Verfahren nicht von vornherein aus. Indessen ist das Kind auch nach der Kinderrechtekonvention nicht zwingend persönlich (mündlich), sondern lediglich in angemessener Weise anzuhören. Die Anhörung kann je nach der zu behandelnden Problematik und den Umständen des Einzelfalles auch schriftlich oder über einen Vertreter vorgenommen werden (vgl. den Wortlaut von Art. 12 der UNO-Kinderrechtekonvention; vgl. auch
BGE 124 III 90
E. 3b und c; BEA VERSCHRAEGEN, Die Kinderrechtekonvention, Wien 1996, S. 84 f.). Im vorliegenden Fall hat sich die älteste Tochter in zwei Briefen, die dem Verwaltungsgericht vorlagen, geäussert. Zudem kann im Sinne des Antrags des Beschwerdeführers davon ausgegangen werden, dass er selber den Standpunkt der Kinder vertritt und diese somit einen Wechsel in die Schweiz grundsätzlich ebenfalls befürworten. Die Anforderungen von Art. 12 der UNO-Kinderrechtekonvention erweisen sich damit als erfüllt.
4.
a) Der Beschwerdeführer hat im Jahre 1991 seine Heimat freiwillig verlassen und dabei seine Kinder bei der Mutter in Pakistan
BGE 124 II 361 S. 369
zurückgelassen. Seit dem Jahr 1992 ist er mit einer Schweizerbürgerin verheiratet. Obwohl er von diesem Zeitpunkt an den Nachzug seiner Kinder hätte beantragen können, hat er damit bis 1995 zugewartet. Er begründet dies damit, die Beziehungsverhältnisse hätten sich erst nachträglich verändert. Sinngemäss macht er geltend, die Beziehung der Kinder habe sich in jüngerer Zeit von der Mutter weg zu ihm hin entwickelt, was unter anderem aus den Briefen der ältesten Tochter hervorgehe. Weiter habe sein Übertritt zum Christentum im mehrheitlich muslimischen Umfeld der Kinder zu belastenden Diskriminierungen geführt. Die Mutter habe daher beim zuständigen örtlichen Familiengericht die Übertragung der Obhuts- und Erziehungspflichten an den Vater beantragt, was vom Gericht auch so angeordnet worden sei. Damit sei eine wesentliche Verlagerung der Beziehungsintensitäten nachgewiesen.
Die Vorinstanz hat im angefochtenen Urteil festgestellt, aus dem Schreiben der ältesten Tochter ergebe sich nicht, dass die familiären Verhältnisse in der Heimat ein Herausreissen der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung und ein Überführen in einen völlig anderen Kulturkreis geböten. Wenn ein örtliches Familiengericht in Pakistan die Obhuts- und Erziehungspflichten der Mutter entzogen und dem Beschwerdeführer übertragen habe, sei damit die vorrangige Beziehung der Kinder zum Vater nicht erstellt. Offenbar hege die Mutter den Wunsch, sich wieder zu verheiraten, wobei der künftige Ehemann nicht bereit sei, die Kinder in die Ehe zu nehmen. Die Mutter sei aber weiterhin die wichtigste Bezugsperson für die Kinder. Die älteste Tochter besuche sodann eine Internatsschule und lebe damit nicht regelmässig im Haushalt der Mutter. Schliesslich seien den Kindern die Lebensverhältnisse in der Schweiz völlig fremd.
b) Der Beschwerdeführer vermag nicht darzutun, dass diese Sachverhaltsfeststellung unvollständig, offensichtlich unrichtig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen ergangen ist (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Im Gegenteil geht er selber im wesentlichen von den gleichen tatsächlichen Grundlagen wie die Vorinstanz aus. Wohl trifft zu, dass die beabsichtigte Wiederverheiratung der Mutter zu einer gewissen Entfremdung von den Kindern führen kann, vor allem weil der künftige Stiefvater diese abzulehnen scheint. Damit ist aber genausowenig wie durch die briefliche Darstellung der familiären Schwierigkeiten bzw. durch den schriftlichen Hilfeappell der ältesten Tochter widerlegt, dass die Mutter weiterhin die wichtigste Bezugsperson der Kinder bleibt. Sodann ist
BGE 124 II 361 S. 370
nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz auch dem Urteil des Familiengerichts, mit dem die Obhuts- und Erziehungsregelung geändert wurde, keine entscheidende Bedeutung zumisst. Die vom Verwaltungsgericht angeführten Zweifel, ob das Urteil im wohlverstandenen Kindesinteresse ergangen ist, sind nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer trägt zwar vor, die familiären Verhältnisse seien auf privatrechtlichem Weg rechtsverbindlich angepasst worden. Weder widerlegt er aber die Zweifel der Vorinstanz, noch weist er nach, das Nötige dafür unternommen zu haben, dass das Urteil in der Schweiz anzuerkennen wäre. Namentlich legt er keine Beglaubigung der schweizerischen Vertretung in Pakistan vor (vgl. Art. 29 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht, IPRG; SR 291).
Für die Frage des Eintretens auf ein Gesuch um Familiennachzug gemäss Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG bzw. auf ein Rechtsmittel gegen einen entsprechenden ablehnenden Entscheid ist grundsätzlich - im Unterschied zu dem auf
Art. 8 EMRK
gestützten Nachzugsfall - auf das Alter der Kinder im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen (BGE 120 1b 257 E. 1f S. 262 f.;
118 Ib 153
E. 1b). Bei der Prüfung der materiellen Rechtslage durfte das Verwaltungsgericht indessen ohne Verletzung von Bundesrecht berücksichtigen, dass die beiden Kinder, welche der Beschwerdeführer nachziehen will, inzwischen ein Alter erreicht haben, in dem sie nicht mehr ständig einer persönlichen Betreuung bedürfen. Dabei ist nicht ersichtlich, dass die notwendige altersgerechte Betreuung durch die Eltern in der Heimat ausgeschlossen wäre. Schliesslich macht der Beschwerdeführer nicht geltend, seine persönlichen Beziehungen zu den Kindern, wie sie bisher bestanden haben, würden behördlich verhindert.
c) Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, der von der Vorinstanz geforderte Beweisgrad führe zu einer gesetzwidrigen Überdehnung der Beweisanforderungen, da faktisch der aus
Art. 17 Abs. 2 ANAG
folgende Rechtsanspruch bei Kindern von Scheidungsfamilien vereitelt werde. Wohl trifft zu, dass die Rechtsprechung in solchen Fällen hohe Anforderungen an die Beweislage stellt. Das hängt indessen damit zusammen, dass Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG an sich auf intakte Familienverhältnisse zugeschnitten ist, d.h. das Zusammenleben der Gesamtfamilie ermöglichen soll (
BGE 118 Ib 153
E. 2b; vgl. auch WURZBURGER, a.a.O. S. 281). Bei Scheidungskindern ist das Erreichen dieses Gesetzeszwecks von vornherein unmöglich, und es rechtfertigt sich daher, grundsätzlich auf die
BGE 124 II 361 S. 371
Familienverhältnisse abzustellen, wie sie sich unmittelbar nach der Scheidung ergeben. Als Ausnahme lässt die Rechtsprechung die nachträgliche Änderung der Beziehungsintensitäten als Grund für einen fremdenpolizeilich abgesicherten Nachzug von Scheidungskindern zwar zu, dass dafür aber hohe Beweisanforderungen verlangt werden, erscheint durchaus als folgerichtig. Dies gilt um so mehr, als regelmässig solche Tatsachen abzuklären und wesentlich sind, die von den Behörden nicht ohne weiteres nachgeprüft werden können (vgl. dazu E. 2b). Wenn jedoch nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Änderung der Familienverhältnisse bestehen und sich diese auch belegen lassen, wird der nachträgliche Nachzug von Scheidungs- oder Trennungskindern nicht vereitelt (so etwa ein unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 12. September 1997 i.S. Sadiku).
d) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im vorliegenden Fall die Familientrennung von den Betroffenen selbst freiwillig herbeigeführt worden ist. Weder erscheint sodann der nachträgliche Wechsel der Betreuungspflicht von der Mutter zum Beschwerdeführer als zwingend, noch kann als nachgewiesen gelten, dass die privatrechtlichen Betreuungsverhältnisse in auch für die Schweiz rechtsgültiger Weise geändert haben. Schliesslich wird die Fortführung und Pflege der bisherigen familiären Beziehungen nicht behördlich verhindert. Damit hält die Verweigerung der Einreisebewilligung für die beiden älteren Kinder des Beschwerdeführers vor Art. 17 Abs. 2 dritter Satz ANAG, vor
Art. 8 EMRK
sowie der UNO-Kinderrechtekonvention stand. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, welche rechtliche Bedeutung der Tatsache zukommt, dass sich das im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Nachzugsgesuch lediglich auf zwei von drei Kindern bezieht (vgl. dazu die kritischen Bemerkungen zur Praxis bei SPESCHA, a.a.O., S. 482). | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0cd5dc8-1ec9-4153-aa52-2b784040cb2c | Urteilskopf
115 Ia 378
58. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Dezember 1989 i.S. K. AG gegen Baudepartement des Kantons Basel-Stadt, Appellationsgericht als Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt und X. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter BV
; gesetzliche Grundlage des baselstädtischen Wohnanteilplans.
1. Die Delegation des Erlasses von Richtlinien für den bei Neubauten einzuhaltenden Mindestwohnanteil an den Regierungsrat genügt dem verfassungsrechtlichen Erfordernis, wonach die Delegationsnorm selbst die Grundzüge der Regelung enthalten muss (E. 3).
2. Ein Wohnanteilplan muss nicht als Nutzungsplan im Sinne von
Art. 21 RPG
festgesetzt werden. Es genügt vielmehr, wenn der Regierungsrat einen Wohnanteilplan mit Richtzahlen erlässt und die Festsetzung des einzuhaltenden Mindestwohnanteils im Einzelfall dem pflichtgemässen Ermessen der Baubewilligungsbehörde überlässt (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 378
BGE 115 Ia 378 S. 378
Die K. AG ist Eigentümerin des Eckgrundstücks Allschwilerstrasse/Friedrichstrasse in Basel, das gemäss dem Bauzonenplan für die Stadt Basel zum kleineren Teil in der Bauzone 4 für viergeschossige Bauweise, zum grösseren Teil in der Bauzone 5a für
BGE 115 Ia 378 S. 379
Neubauten mit fünf Vollgeschossen liegt. Am 27. Juni 1986 erhielt die K. AG vom Bauinspektorat Basel-Stadt die Bewilligung zur Erstellung eines Geschäftshausneubaues; dabei bewilligte das Bauinspektorat in Anwendung von § 6 Abs. 1 des Hochbautengesetzes vom 11. Mai 1939 (HBG) für den Neubau die Anwendung der Vorschriften der Bauzone 5a. Das Vorhaben sieht zwei Untergeschosse für Lager und Laden vor. Die anschliessenden drei Obergeschosse sind für Büros vorgesehen. Im vierten Obergeschoss und im Dachgeschoss sollten gemäss den bewilligten Plänen vier Wohnungen eingerichtet werden (je eine 3 1/2-, 2 1/2-, 2- und 1 1/2-Zimmerwohnung).
Am 18. Februar 1987 reichte die K. AG ein Baugesuch für die Zweckänderung des vierten Obergeschosses und des Dachgeschosses ein. Anstelle der vier Wohnungen sollten auch in diesen beiden Geschossen Büros eingerichtet werden. Begründet wurde das Begehren mit dem Platzbedarf des Unternehmens und der schlechten Lage der Wohnungen. Mit Entscheid vom 26. Juni 1987 wies das Bauinspektorat dieses Begehren ab. Es stützte sich dabei auf § 15 des Gesetzes zur Förderung des Wohnungsbaus vom 15. Januar 1970 (WBFG) sowie die gestützt auf § 15 Abs. 5 WBFG erlassene regierungsrätliche Verordnung betreffend den Wohnflächenanteil vom 29. Januar 1985 (WAV) und den in
§ 3 Abs. 1 WAV
für verbindlich erklärten Wohnanteilplan Nr. 11 163 vom April 1983. Gegen diesen Entscheid ergriff die K. AG ohne Erfolg Rekurs an die Baurekurskommission sowie gegen deren Entscheid vom 3. Februar 1988 an das kantonale Verwaltungsgericht. Dieses wies ihren Rekurs mit Entscheid vom 6. Januar 1989 ab. Eine gegen diesen Entscheid gerichtete staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der dem Regierungsrat in § 15 Abs. 5 WBFG erteilte Auftrag, Richtlinien für die Festsetzung des Mindestanteils der Wohnfläche zu erlassen, genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Delegation gesetzgeberischer Befugnisse.
a) Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Delegation rechtssetzender Befugnisse an die Verwaltungsbehörde zulässig, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen ist, wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt wird und das
BGE 115 Ia 378 S. 380
Gesetz die Grundzüge der Regelung selbst enthält - soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt - und wenn sie in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz enthalten ist (
BGE 112 Ia 254
E. 2a mit Hinweisen).
b) Im vorliegenden Falle steht fest, dass das WBFG dem Referendum unterstand; dies galt auch für die Änderung von § 15 Abs. 4 und 5 WBFG durch Gesetz vom 15. September 1976. Das baselstädtische Recht schliesst die Delegation rechtssetzender Befugnisse an die Verwaltungsbehörde nicht aus. Schliesslich beschränkt sich die in § 15 WBFG enthaltene Delegation auf ein bestimmtes Gebiet, nämlich den Wohnungsbau. Fraglich kann somit nur sein, ob § 15 WBFG in verfassungsrechtlich genügendem Masse die Grundzüge der Regelung selbst enthält.
aa) § 15 WBFG lautet wie folgt:
"Bei der Änderung der Bauzoneneinteilung, der Festsetzung von Bebauungsplänen, dem Erlass spezieller Bauvorschriften sowie der Erteilung von Baubewilligungen ist den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen.
Im Rahmen der Berücksichtigung einer städtebaulich ausgeglichenen Entwicklung ist auf eine wirtschaftlich günstige Anordnung und Erschliessung der Gebäude sowie auf eine rationelle Geschosszahl zu achten.
Die entsprechenden Beschlüsse und Ausnahmebewilligungen können mit der Verpflichtung für den Gesuchsteller verbunden werden, einen Teil der geplanten Gebäude für Wohnungen zu reservieren oder die Hilfe des Bundes und des Kantons oder des Kantons allein zur Verbilligung des Mietzinses in Anspruch zu nehmen.
Die Bewilligungsbehörde kann in Baubewilligungen den Mindestanteil der Wohnfläche in Gebäuden vorschreiben.
Der Regierungsrat erlässt die entsprechenden Richtlinien."
bb) Bei der Beantwortung der Frage, ob die angeführte Bestimmung in verfassungsrechtlich genügendem Masse selbst die Regelung der Wohnanteilflächen enthält, ist davon auszugehen, dass die Festsetzung eines Mindestwohnanteiles für Neubauten, die in einer für den Wohnungsbau bestimmten Zone errichtet werden, keinen besonders schweren Eigentumseingriff darstellt (vgl.
BGE 112 Ib 267
f. E. 4 mit Hinweisen).
cc) § 15 Abs. 1 WBFG verlangt, es sei bei der Erteilung von Baubewilligungen den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen. Diese Anweisung ist pflichtgemäss auszuüben. Im regierungsrätlichen Bericht Nr. 7238 betreffend weitere Massnahmen auf dem Gebiete des Wohnschutzes, mit welchem der Regierungsrat dem Grossen Rat die Änderung und Ergänzung von § 15
BGE 115 Ia 378 S. 381
WBFG beantragte, wird dargelegt, dass bei einem Neubau in einem Wohngebiet eine sinnvolle Anpassung der Nutzung an die bestehende Umgebung vorgeschrieben werden müsse. Wie im Bericht bei der Erläuterung des Gesetzesvorschlages dargelegt wird, sei auf die Bauzonenvorschriften und auf die Verhältnisse in der Nachbarschaft abzustellen. Dabei sei im Zweifel zugunsten der Wohnnutzung zu entscheiden. Diese Prinzipien seien den Richtlinien für die Bewilligungsbehörden zugrunde zu legen. Aus der Verweisung des Gesetzes auf die Bedürfnisse des Wohnungsbaues und aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich somit schlüssig, dass sich die Richtlinien von den genannten sachgerechten Kriterien für die Festsetzung des Mindestwohnanteiles im Einzelfall leiten lassen müssen.
dd) Die WAV, auf die sich die Verweigerung des Umbaugesuchs der Beschwerdeführerin stützt, enthält solche sachgerechten Kriterien. Diese decken sich im übrigen auch mit den Grundsätzen und Zielen des RPG, gemäss denen bei der Ordnung der Besiedlung auf die Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft zu achten ist sowie Wohn- und Arbeitsgebiete einander zweckmässig zugeordnet und durch das öffentliche Verkehrsnetz hinreichend erschlossen werden sollen (
Art. 1 Abs. 1 und
Art. 3 Abs. 3 lit. a RPG
). Die Vorschriften der Bauzone 5a für fünfgeschossige Überbauung, welche im gesamten Umfange auf die Liegenschaft der Beschwerdeführerin zur Anwendung gebracht wurden, entsprechen diesen Anforderungen. Es handelt sich um eine hinsichtlich der Nutzung gemischte Zone, in der neben Wohnungen auch Gewerbebetriebe zulässig sind, die zu keinen erheblichen Belästigungen der Nachbarn führen (§§ 1 und 24 Anhang zum HBG i.V.m. § 133 HBG). Die in der Allschwilerstrasse verlaufende Strassenbahnlinie bildet Teil des öffentlichen Verkehrsnetzes. Die Liegenschaft befindet sich im Geviert Allschwilerstrasse/Friedrichstrasse/Spalenring, in welchem der durchschnittliche Wohnanteil gemäss den im Jahre 1980 durchgeführten Erhebungen 72% beträgt, was die Beschwerdeführerin nicht in Abrede stellt.
ee) Bei dieser Sachlage ergibt sich somit bereits aus der Anwendung der im formellen Gesetz enthaltenen Regel von § 15 Abs. 1 WBFG die Verpflichtung der Beschwerdeführerin, bei ihrem Neubau den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen. Wohl trifft es zu, dass bei der Erstellung von Wohnungen auch darauf zu achten ist, dass sie von lästigen Einwirkungen wie Lärm und Erschütterungen möglichst verschont werden (
Art. 3 Abs. 3
BGE 115 Ia 378 S. 382
lit. b RPG
), doch ist dieser Regel bei Wohnbauten, die an eine innerstädtische Strasse mit Durchgangsverkehr anstossen, durch geeignete bauliche Massnahmen Rechnung zu tragen. Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dies sei nicht möglich. Sie wird bei der Erstellung ihres Neubaues und der Einrichtung der Wohnungen den Anforderungen der eidgenössischen Umweltschutzgesetzgebung, insbesondere der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV) Rechnung zu tragen haben (siehe insbesondere
Art. 7 LSV
und Anhang 1 zur LSV betreffend Anforderungen an die Schalldämmung von Fenstern). Auch an Strassen mit starker Verkehrslärmbelastung darf ein Wohnanteil verbindlich vorgeschrieben werden, doch ist darauf zu achten, dass beim Bau mit entsprechenden Massnahmen ein ausreichender Lärmschutz erreicht wird (
BGE 111 Ia 97
E. 2a; Urteil vom 11. Februar 1986, in ZBl 87/1986 S. 334 f.).
4.
a) Die Beschwerdeführerin beanstandet die vom Basler Gesetzgeber in § 15 WBFG und vom Regierungsrat in der WAV getroffene gesetzliche Regelung schliesslich mit der Einwendung, der Wohnanteilplan Nr. 11 163 vom April 1983 des Amtes für Kantons- und Stadtplanung, dem für die Einhaltung eines Mindestwohnflächenanteiles Richtzahlen für die zum Wohnen geeigneten Gebiete entnommen werden können, sei ein Nutzungsplan. Für dessen Erlass bilde § 15 WBFG keine genügende Grundlage. Auch dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
b) Der baselstädtische Gesetzgeber hat bewusst im Unterschied zu anderen Kantonen davon abgesehen, für die Festsetzung eines Mindestwohnanteiles einen für jedermann verbindlichen Nutzungsplan im Sinne von
Art. 21 RPG
festzusetzen. Er hat es dabei bewenden lassen, die eindeutige gesetzliche Verpflichtung aufzustellen, bei Neu- und Umbauten den Bedürfnissen des Wohnungsbaues Rechnung zu tragen. Zur Durchsetzung dieser Regel hat er die Baubewilligungsbehörde ermächtigt, in Baubewilligungen den Mindestanteil der Wohnfläche gemäss den vom Regierungsrat zu erlassenden Richtlinien vorzuschreiben. Diese Ermächtigung ist nach pflichtgemässem Ermessen auszuüben. Als Instrument zur Sicherung einer rechtsgleichen und verhältnismässigen Rechtsanwendung dient der genannte Wohnanteilplan, der in Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse Richtzahlen für die zum Wohnen geeigneten Gebiete angibt. Diese bedürfen im Einzelfall der Konkretisierung, wobei der Lage der Liegenschaft sowie auch den Interessen des Eigentümers im
BGE 115 Ia 378 S. 383
Rahmen einer nach sachlichen Kriterien vorzunehmenden Interessenabwägung Rechnung zu tragen ist. Wohl hat eine solche Verweisung auf sachgerecht auszuübendes Ermessen zur Folge, dass ein Liegenschaftseigentümer nicht dem Gesetz verbindlich entnehmen kann, welchen Wohnanteil er genau einhalten muss. Als nachteilig kann dies jedoch kaum bezeichnet werden. Eine Regelung, die sich mit der Festsetzung von Richtzahlen begnügt, die im Einzelfall sachgerecht zu konkretisieren sind, vermeidet die Gefahr zu grosser Wohnanteile, die im Einzelfall möglicherweise für den Eigentümer eine unbillige Härte bedeuten können. Sie gestattet es, den Bedürfnissen des Eigentümers in ausreichendem Masse Rechnung zu tragen. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, hat doch die Baubewilligungsbehörde der Beschwerdeführerin gegenüber der zur Anwendung gelangenden Richtzahl gestützt auf
§ 5 WAV
eine Vergrösserung des Anteils an gewerblich genutzter Fläche zugestanden.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, der genannte Wohnanteilplan Nr. 11 163 sei deshalb ein Nutzungsplan, weil er im Wohnmischgebiet jede Parzelle mit der Auflage belaste, einen Wohnflächenanteil zu realisieren, geht deshalb fehl, weil sich diese Verpflichtung unmittelbar aus § 15 WBFG sowie aus der WAV ergibt. Dass der Plan als Instrument für die sachgerechte Betätigung des Ermessens zu verstehen ist, ergibt sich deutlich aus
§ 3 WAV
, der von der Einhaltung der Richtzahlen spricht und die Bewilligungsbehörde anweist, innerhalb der Richtzahlen den bestehenden Verhältnissen, namentlich den Eigenschaften des Grundstücks und dem Charakter des Quartiers, Rechnung zu tragen (
§ 3 Abs. 2 WAV
). Im übrigen trifft es auch nicht zu, dass aus dem Wohnanteilplan für die Stadt Zürich, auf den die Beschwerdeführerin verweist und der ein Nutzungsplan im Sinne der RPG ist, für jede einzelne Parzelle genau entnommen werden kann, wie hoch deren Mindestwohnanteil ist. Auch die Ausführungsvorschriften der Bauordnung der Stadt Zürich enthalten notwendigerweise Ausnahmeregelungen, um zu starre Festsetzungen zu vermeiden (
BGE 111 Ia 98
E. 2a). Wenn der baselstädtische Gesetzgeber bewusst eine flexible Regelung gewählt hat, so werden die Grundeigentümer dadurch nicht benachteiligt. Ihr umfassender Rechtsschutz bleibt vielmehr gewährleistet, indem sie im Einzelfall darlegen können, dass ein ihnen auferlegter Wohnanteil in Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse, der Eigenschaft ihres Grundstücks und des Charakters des Quartiers sowie in Abwägung ihrer
BGE 115 Ia 378 S. 384
Interessen durch kein ausreichendes öffentliches Interesse gedeckt und unverhältnismässig sei. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0ce1fd4-b337-4cf2-a749-f41b28913b35 | Urteilskopf
121 IV 109
21. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 17 février 1995 dans la cause R. contre Procureur général du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 204 aStGB, unzüchtige Veröffentlichungen, und
Art. 197 Ziff. 1 StGB
, Pornographie.
Live-Gespräche obszönen Inhalts, auch wenn sie telefonisch mitgehört werden können, stellen (im Unterschied zu entsprechenden Aufzeichnungen) keine unzüchtige Veröffentlichung bzw. pornographische Vorführung dar (E. 2c).
Art. 25 StGB
, Gehilfenschaft zur Pornographie.
Der für die Einführung des sogenannten Telekiosks Verantwortliche der PTT macht sich der Gehilfenschaft zur unzüchtigen Veröffentlichung bzw. zur Pornographie schuldig, wenn er die für den Betrieb des Telekiosks notwendigen Einrichtungen zur Verfügung stellt im Wissen darum, dass damit pornographische Tonaufnahmen verbreitet werden, die Personen unter 16 Jahren zugänglich sind (E. 3).
Art. 32 StGB
, Rechtfertigung durch Gesetz.
Das Gesetz verpflichtet die PTT nicht, ihre Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, wenn sie zur Begehung strafbarer Handlungen verwendet werden (E. 4).
Art. 19 StGB
, Irrtum über den Sachverhalt, und
Art. 20 StGB
, Rechtsirrtum.
Der Verantwortliche für den Telekiosk, auf dessen illegalen Gebrauch hingewiesen und auf das Risiko der Strafbarkeit im Falle der Fortführung des illegalen Gebrauchs aufmerksam gemacht, kann sich weder auf Sachverhaltsirrtum (E. 5a) noch auf Rechtsirrtum (E. 5b) berufen. | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 121 IV 109 S. 110
A.-
R., ressortissant suisse né en 1941, licencié en droit, a été nommé par le Conseil fédéral, le 1er octobre 1989, directeur général du département des télécommunications des PTT. Marié et père de trois enfants à sa charge, il réalise un salaire annuel brut de 250'000 fr. environ et il est imposé sur une fortune de 75'000 fr. Il bénéficie d'une excellente réputation et son casier judiciaire est vierge.
Le 7 mai 1991, R., agissant dans l'exercice de ses fonctions, a pris seul la responsabilité d'ordonner, à titre d'essai, l'introduction du télékiosque 156. Il s'agit d'un système permettant à un exploitant de fournir des messages au public, moyennant paiement, par le truchement de plusieurs lignes téléphoniques commençant par le numéro 156; toute personne
BGE 121 IV 109 S. 111
disposant d'un raccordement téléphonique a la possibilité d'accéder, en composant le numéro qui lui est indiqué dans la publicité, aux messages proposés, moyennant une taxe facturée ensuite par les PTT, dont une part revient à l'exploitant et l'autre aux PTT. R. devait savoir, sur la base des expériences déjà réalisées à l'étranger, que le télékiosque serait largement utilisé pour diffuser des messages érotiques.
L'essai d'exploitation du télékiosque 156 a débuté, comme prévu, le 1er octobre 1991. Le 8 octobre 1991 déjà, le Juge d'instruction du canton de Vaud ouvrait une enquête contre inconnu pour publications obscènes. Les investigations menées ont montré que les prestations offertes par les exploitants dans le domaine du sexe pouvaient être divisées en trois catégories:
- il y a tout d'abord des messages préenregistrés consistant le plus souvent dans la description de pratiques sexuelles de tout genre et évoquant en termes non équivoques l'excitation sexuelle et l'orgasme;
- il est aussi possible d'accéder à une conversation de vive voix à deux ou plusieurs personnes avec une hôtesse; dans ce cas, le fait que les propos soient tenus par des personnes en direct, avec des expressions et des bruitages évocateurs, rend ces conversations encore plus choquantes;
- il est possible enfin d'entendre une bande d'annonces émanant de particuliers recherchant des contacts, d'insérer soi-même une telle annonce ou de répondre à une annonce existante; certaines annonces, au contenu souvent provocateur, décrivent en termes crus les pratiques sexuelles les plus diverses.
Dans un petit nombre de cas, il était question de pratiques avec des mineurs. Parfois, il était fait allusion à l'utilisation d'excréments humains.
Dans la presse quotidienne, les exploitants ont publié de nombreuses annonces, souvent illustrées et suggestives, pour faire connaître au public leurs prestations et leur numéro d'appel; ainsi, les mineurs étaient parfaitement renseignés sur les possibilités d'accès à ces prestations. Tout abonné appelant le numéro diffusé par la publicité pouvait accéder librement à l'écoute des bandes enregistrées, des dialogues de vive voix et des annonces; même un enfant pouvait donc, par exemple en utilisant le raccordement de son domicile en l'absence de ses parents, accéder à l'ensemble de ces messages. Dans un cas de conversation de vive voix, il fut constaté que l'hôtesse avait décelé la présence d'un enfant, mais qu'il
BGE 121 IV 109 S. 112
a néanmoins pu rester en ligne et assister à la suite de la discussion entre les autres participants.
Le 11 octobre 1991, le Procureur général du canton de Vaud a adressé une lettre au Directeur général des PTT, en joignant la transcription de trois messages mis à disposition des usagers par le biais du no 156, dans laquelle il l'informe qu'il a dénoncé les auteurs de ces messages pour publications obscènes, l'avertit du fait que le transport de tels messages peut être constitutif à tout le moins de complicité de publications obscènes et lui impartit un délai de cinq jours pour qu'il se détermine sur la façon dont il entend mettre un terme à de tels agissements.
R. a admis avoir pris connaissance de cette lettre, mais n'en avoir pas lu les annexes.
Par lettre du 17 octobre 1991, la Division principale du service du contentieux des PTT a répondu au Procureur général du canton de Vaud que l'entreprise des PTT n'avait pas à procéder au contrôle du contenu des messages et que des mesures ne pourraient être prises que lorsqu'un jugement pénal définitif et exécutoire rendu contre les abonnés concernés aurait été notifié aux PTT.
A la suite de ce courrier, le Ministère public vaudois a formellement dénoncé les PTT pour complicité de publications obscènes.
Le 31 octobre 1991, le Ministère public de la Confédération a fait paraître un communiqué de presse annonçant qu'il avait engagé une procédure d'autorisation de poursuites pénales contre les fonctionnaires des PTT.
De leur côté, les PTT ont fait paraître un communiqué de presse le 5 novembre 1991 exposant aux usagers les mesures qu'ils pouvaient prendre, à leurs frais, pour empêcher que leur raccordement ne soit utilisé pour appeler un numéro 156.
Par ailleurs, les PTT se sont déterminés à l'égard du Département fédéral des transports, des communications et de l'énergie (ci-après: DFTCE); ils ont repris en substance l'opinion figurant déjà dans la lettre adressée au Procureur général vaudois, rappelant qu'ils n'ont ni le devoir ni le droit de soumettre les conversations téléphoniques à des contrôles et que l'abonné est seul responsable de ses messages. Cette lettre désigne R. comme fonctionnaire responsable pour le système télékiosque 156. R. s'est expressément rallié à ces déterminations.
Le 23 janvier 1992, le DFTCE a transmis la prise de position des PTT au Ministère public de la Confédération et a demandé que l'autorisation de poursuites pénales ne soit pas accordée, en reprenant en substance les
BGE 121 IV 109 S. 113
mêmes arguments et en concluant qu'il ne peut y avoir d'infraction de la part des PTT.
Le 25 mars 1992, le Département fédéral de justice et police (ci-après: DFJP) a accordé l'autorisation de poursuivre pénalement R., ainsi que d'éventuels autres fonctionnaires des PTT. Dans ses considérants, le DFJP a réfuté de manière précise et détaillée les arguments présentés par les PTT. Il a laissé aux cantons intéressés le soin de fixer le for.
Le canton de Vaud a accepté sa compétence en application de l'
art. 346 al. 2 CP
.
L'accusé a été délié du secret de fonction par le DFTCE le 22 juin 1992.
A la suite de l'entrée en vigueur, le 1er mai 1992, de la loi fédérale du 21 juin 1991 sur les télécommunications (LTC; RS 784.10) et de l'ordonnance du 25 mars 1992 sur les services de télécommunications (OST; RS 784.101.1), le télékiosque a été instauré de manière définitive.
A la fin de l'année 1992, le Ministère public de la Confédération a tenté en vain d'expliquer au DFTCE et à l'entreprise des PTT que la pratique de cette dernière consistant à attendre l'entrée en force de jugements pénaux était erronée.
Le 18 février 1993, le DFTCE a proposé au Conseil fédéral de modifier l'OST en introduisant un nouvel art. 18a précisant notamment que les fournisseurs de service n'ont pas le droit de diffuser des messages pornographiques au sens de l'
art. 197 CP
. A cette époque, le Conseil fédéral, tout en partageant l'opinion des PTT selon laquelle il n'appartenait pas à cette entreprise de surveiller ou de censurer le contenu des informations transmises sur leur téléréseau, s'est déclaré préoccupé par le développement du télékiosque sous l'angle des messages érotiques, respectivement de la protection de la jeunesse, et a demandé qu'un rapport lui soit présenté au plus tard à la fin de l'année 1994.
Au 30 juin 1993, 51 condamnations avaient été prononcées dans les cantons de Zurich, du Tessin et de Vaud. A cette date, les PTT n'avaient révoqué l'abonnement que dans un seul cas, prononçant par ailleurs 24 avertissements.
Le 25 juin 1993, la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral a rendu, dans un cas concernant le télékiosque 156, un arrêt déclarant punissable le fait de rendre accessible à tout public, sans distinction d'âge, l'enregistrement de propos obscènes relevant de la pornographie douce (
ATF 119 IV 145
ss).
BGE 121 IV 109 S. 114
Le 6 décembre 1993, le Conseil fédéral a adopté une modification de l'
art. 18a OST
, entrée en vigueur le 14 décembre 1993, tenant compte des principes dégagés dans cet arrêt (RO 1993 p. 3134).
L'exploitation du télékiosque 156 a donné sur le plan financier des résultats largement supérieurs aux prévisions. Au total, pour la période allant du 1er octobre 1991 jusqu'à la fin du mois d'août 1993, le montant des recettes globales s'élève à 242'300'186 fr. et la quote-part des PTT se monte à 69'877'647 fr. A ce chiffre, il convient d'ajouter le montant des abonnements par 350 fr. par mois et par ligne; à la fin du mois de septembre 1993, le nombre des numéros 156 s'élevait à 1500 pour 780 fournisseurs. Pour les lignes ayant fait l'objet d'enquête pénale et de confiscation selon jugement, il fut déterminé que le chiffre d'affaires global se montait à 39'110'405 fr. 10 et la quote-part des PTT à 10'987'443 fr.
B.-
Par jugement du 29 octobre 1993, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné R., pour complicité de publications obscènes (
art. 25 CP
et 204 aCP) et de pornographie (
art. 25 et 197 CP
), à la peine de 2 mois d'emprisonnement avec sursis pendant 2 ans ainsi qu'à une amende de 20'000 fr. avec délai de radiation de 2 ans, mettant à sa charge les frais de la procédure.
Le tribunal a observé que R., responsable du télékiosque 156, n'a pas contesté qu'une partie des prestations des fournisseurs revêtait un caractère obscène ou pornographique; il a toutefois soutenu qu'il n'était pas responsable du contenu des messages et que ses services ne pouvaient prendre une décision qu'après un jugement pénal. Se référant en particulier aux art. 11 al. 2 let. a, 12 al. 3 let. b LTC et 6 OST, le tribunal a estimé que l'accusé, dès qu'il a su par le procureur vaudois que certains raccordements étaient utilisés régulièrement pour diffuser des messages illicites, aurait dû intervenir comme il en avait le pouvoir et qu'en continuant de mettre à disposition les installations téléphoniques nécessaires à la répétition des infractions, il s'était rendu complice de leurs auteurs au moins par dol éventuel. Il a été constaté en particulier qu'il n'avait pas reçu l'ordre d'une autorité supérieure de mettre les installations des PTT à disposition de personnes qui émettaient régulièrement des messages tombant sous le coup de la loi pénale.
Statuant le 25 avril 1994, la Cour de cassation cantonale a estimé notamment qu'il fallait tenir compte, pour apprécier l'ampleur de l'activité coupable, non pas seulement des enregistrements pornographiques, mais également des conversations pornographiques tenues de vive voix. Elle a souligné par ailleurs qu'il fallait prendre en considération, au stade de
BGE 121 IV 109 S. 115
la fixation de la peine, le fait que la position du service juridique des PTT et le soutien du DFTCE et du Conseil fédéral avaient mis l'accusé dans une situation inconfortable. Réformant le jugement entrepris, la cour cantonale a condamné R., pour complicité de publications obscènes et de pornographie, à une amende de 20'000 fr. avec délai de radiation de 2 ans, mettant à sa charge les frais de la procédure jusqu'au jugement de première instance.
C.-
Contre cet arrêt, R. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Il a conclu à l'annulation de la décision attaquée en vue de son acquittement, d'une exemption ou d'une réduction de peine. A l'appui de ses conclusions, il fait valoir:
- que son comportement lui a été dicté par la loi, par le devoir de fonction ou par le droit coutumier;
- que la cour cantonale a violé le droit fédéral en considérant que des conversations de vive voix pouvaient tomber sous le coup des art. 204 aCP et 197 CP;
- qu'il n'avait ni la compétence, ni les moyens, ni le devoir d'agir autrement qu'il l'a fait;
- que vu les avis recueillis, il devrait être mis au bénéfice de l'erreur de droit, voire de l'erreur de fait;
- qu'en admettant la complicité, la cour cantonale ne paraît pas avoir fait application de l'
art. 65 CP
;
- que si son pourvoi est admis, la décision cantonale sur les frais et dépens devra être annulée.
Le recourant a par ailleurs requis l'effet suspensif, qui lui a été refusé en date du 6 septembre 1994.
Le Procureur général du canton de Vaud a présenté des observations et conclu au rejet du pourvoi avec suite de frais. La cour cantonale a renoncé à présenter des observations.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Le recourant a été condamné pour complicité (
art. 25 CP
) de publications obscènes (art. 204 aCP) et de pornographie (
art. 197 CP
).
Cette qualification suppose tout d'abord que les exploitants des numéros 156 se soient rendus coupables de publications obscènes (art. 204 aCP) et de pornographie (
art. 197 CP
). Il convient donc tout d'abord d'examiner cette question.
BGE 121 IV 109 S. 116
b) Pour les motifs déjà expliqués dans la jurisprudence, il faut appliquer l'ancien droit aux faits qui se sont produits sous son empire (
ATF 119 IV 145
consid. 2c) et le nouveau droit aux faits survenus depuis son entrée en vigueur (
art. 2 al. 1 CP
).
Ainsi qu'il a déjà été jugé, l'activité commerciale consistant à mettre à disposition du public, y compris des jeunes de moins de 18 ans, des enregistrements dont le contenu est obscène tombe sous le coup de l'art. 204 ch. 1 al. 3 aCP (
ATF 119 IV 145
consid. 2a). Il a été constaté - d'une manière qui lie la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que des exploitants de ligne 156 ont, sous l'empire de l'ancien droit, rendu accessibles à des jeunes de moins de 18 ans des messages dont le contenu relève de la pornographie douce; ces faits sont constitutifs de publications obscènes au sens de l'art. 204 aCP.
Le nouvel
art. 197 CP
, entré en vigueur le 1er octobre 1992 (RO 1992 p. 1678), réprime expressément le fait de rendre accessibles à une personne de moins de 16 ans des enregistrements sonores pornographiques (
art. 197 ch. 1 CP
). Il a été constaté en fait - d'une manière qui lie la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que des messages enregistrés relevant de la pornographie douce ont été rendus accessibles, par le canal du télékiosque 156, à des jeunes de moins de 16 ans, ce qui est constitutif de pornographie au sens de l'
art. 197 ch. 1 CP
(voir
ATF 119 IV 145
consid. 2b). Il n'y a pas à examiner s'il y a eu également de la pornographie dure (
art. 197 ch. 3 CP
) en raison de l'interdiction de la reformatio in pejus (
ATF 119 IV 44
consid. 2c,
ATF 111 IV 51
consid. 2,
ATF 110 IV 116
consid. 2).
c) Pour apprécier l'ampleur de l'activité délictueuse à laquelle l'accusé a participé en tant que complice, la cour cantonale a tenu à préciser qu'il n'y avait pas seulement infraction dans les cas où des enregistrements pornographiques étaient rendus accessibles, mais également dans les cas où il y a eu des conversations de vive voix dont le contenu relevait de la pornographie douce.
La jurisprudence avait laissé cette question ouverte, en citant un avis de doctrine qui apportait une réponse négative (
ATF 119 IV 145
consid. 2a). Comme cette question a manifestement joué un rôle en l'espèce dans la détermination de l'activité délictueuse et, par voie de conséquence, dans la fixation de la peine, elle doit être maintenant tranchée.
Sous l'empire de l'ancien droit, l'art. 204 aCP se référait expressément à "des écrits, images, films ou autres objets obscènes". La loi exigeait donc clairement un objet, c'est-à-dire un support matériel de l'évocation
BGE 121 IV 109 S. 117
obscène. On ne peut pas imaginer, à la lecture de l'art. 204 aCP, que le législateur ait voulu réprimer de simples discussions entre deux ou plusieurs personnes, que celles-ci soient présentes ou conversent par le truchement du téléphone. Il faut donc admettre, avec la doctrine, que des propos tenus de vive voix ne constituent pas des publications obscènes au sens de l'art. 204 aCP (RUDOLF GERBER, Unzüchtige Veröffentlichungen [Art. 204 StGB] und Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder [Art. 212 StGB], Kriminalistik 1967 p. 380). Certes, l'exploitation d'une ligne 156 présente, par son aspect commercial et son ouverture au public, une certaine analogie avec les situations prévues par l'art. 204 aCP. Il n'en demeure pas moins qu'il manque l'objet obscène requis expressément par l'art. 204 aCP, de sorte que seul le législateur, face à ce phénomène nouveau, aurait pu étendre le champ d'application de la disposition pénale par une modification de la loi; faute de réaliser l'un des éléments constitutifs - l'objet obscène - prévus par la loi pénale, cette activité n'est pas punissable (
art. 1 CP
).
Le nouvel
art. 197 CP
évoque tout d'abord "des écrits, enregistrements sonores ou visuels, images ou autres objets pornographiques". Pour les raisons qui viennent d'être évoquées, une conversation de vive voix n'est pas visée par cette liste, en l'absence d'un objet pornographique.
A côté des objets pornographiques, le nouvel
art. 197 ch. 1 CP
vise également les représentations (en allemand "Vorführungen", en italien "rappresentazioni") pornographiques. Ce terme a manifestement pour but d'étendre la répression à des cas où il n'y a pas de support matériel, c'est-à-dire d'objet proprement dit.
Utilisé dans ce contexte, après avoir parlé des enregistrements et des images et avant de citer la radio et la télévision, le terme de représentation fait immédiatement penser à la présentation à un certain public d'un spectacle ou d'une pièce que ce soit à l'opéra, au théâtre, dans un cabaret, un music hall, sur une place publique ou, en direct, par le moyen de la radio ou de la télévision.
S'il est vrai que le mot "représentation" vise le fait de représenter une pièce au public (GRAND ROBERT, 2ème éd., vol. 8 p. 279; de même en allemand pour "vorführen": DUDEN, Das grosse Wörterbuch der deutschen Sprache vol. 6 p. 2813), il peut aussi signifier le seul fait de représenter par le discours, étant alors synonyme de description ou d'évocation (GRAND ROBERT, op.cit., p. 279; mais le mot allemand ne semble pas avoir une acception aussi large, DUDEN, op.cit., p. 2813).
BGE 121 IV 109 S. 118
Le terme "représentation" figurant à l'
art. 197 ch. 1 CP
se trouvait déjà dans le projet du Conseil fédéral (FF 1985 II 1132). Si l'on se réfère au message en langue française, on constate que le mot de "représentation" est employé dans un sens très large (cf. FF 1985 II 1105 s.). Si l'on consulte cependant le texte allemand, on constate qu'il emploie les mots "Darstellung" ou "Darbietung" dans le sens général (BBl 1985 II 1089 s.), tandis que le mot "Vorführung" n'apparaît que dans un sens étroit, pour la projection d'un film (BBl 1985 II 1090). Sachant que c'est le mot "Vorführung" qui a été retenu dans le texte légal en allemand et que ce terme a un sens plus étroit qu'en français (cf. DUDEN, op.cit., p. 2813), on doit en déduire que le législateur avait en vue la représentation d'un spectacle ou d'une pièce, ce qui correspond au sens qui vient naturellement à l'esprit en français dans le contexte de cette disposition. Il n'est d'ailleurs en tout cas pas usuel en français d'employer le terme de "représentation" pour une description ou une évocation faite lors d'une conversation de vive voix.
La doctrine ne s'est guère penchée sur le problème d'interprétation qui se pose en l'espèce. TRECHSEL envisage la punissabilité des interlocuteurs lors d'une conversation par le télékiosque 156, mais il ne semble pas voir le problème d'interprétation qui se pose ici (STEFAN TRECHSEL, Fragen zum neuen Sexualstrafrecht, RJB 1993 p. 579). REHBERG pense qu'il y a une lacune de la loi dans le domaine du téléphone, mais il ne s'exprime pas directement sur le problème qui se pose ici (JÖRG REHBERG, Das revidierte Sexualstrafrecht, AJP/PJA 1/1993 p. 28). STRATENWERTH semble donner un sens très général aux termes légaux, mais il ne précise pas les raisons de son opinion (STRATENWERTH, Bes.Teil, I, 5ème éd., p. 180 nos 8 et 10). Seule URSULA CASSANI se pose directement la question et y apporte une réponse plutôt négative en écrivant: "il est cependant douteux qu'une conversation interactive puisse être qualifiée de [représentation]" (URSULA CASSANI, Les représentations illicites du sexe et de la violence, RPS 1993 p. 434 note 29).
Tandis que l'ancien droit exigeait un objet obscène, le nouveau droit a étendu la portée de la disposition pénale en mentionnant également des représentations. Selon le contexte et le sens ordinaire des mots, ce terme vise la présentation à un certain public d'un spectacle ou d'une pièce. Cela apparaît encore plus clairement dans le texte allemand, dont le terme "Vorführungen" est plus restrictif. Rien ne justifie une autre interprétation. Si le projet avait voulu viser de simples discussions entre particuliers, il aurait certainement employé les termes de "description" ou
BGE 121 IV 109 S. 119
"évocation" plutôt que "représentation"; surtout, le message du Conseil fédéral n'aurait pas manqué de le dire, parce qu'il se serait agi d'une extension considérable du champ d'application de la norme, de nature à susciter des débats et des hésitations. Il faut donc conclure qu'une conversation de vive voix ne tombe pas sous le coup de l'
art. 197 ch. 1 CP
, en raison de l'absence d'un objet ou d'une représentation pornographique.
Il est vrai que le télékiosque 156 présente une certaine analogie avec les hypothèses visées par la loi, si l'on songe à la publicité, au caractère commercial, à l'organisation mise en place et au fait que le thème des conversations est plus ou moins convenu par avance. Ces éléments ne suffisent cependant pas pour transformer les conversations plus ou moins improvisées en une représentation, puisqu'il n'y a pas présentation à un certain public d'un spectacle ou d'une pièce. Comme l'a observé REHBERG (op.cit., loc.cit.), le législateur n'a manifestement pas envisagé l'hypothèse de ces conversations téléphoniques et les termes qu'il a employés ne l'englobent pas; on ne sait d'ailleurs pas si et dans quelle mesure il aurait rendu punissable des conversations de vive voix plus ou moins improvisées. Ce comportement ne tombe donc pas sous le coup de la loi pénale (
art. 1 CP
) et il appartient au législateur, si cette situation lui apparaît insatisfaisante, d'adopter les dispositions nécessaires.
Le pourvoi doit donc être admis sur ce point. Comme l'ampleur de l'infraction à laquelle le recourant a participé s'en trouve réduite, la peine devra être fixée à nouveau.
3.
Après avoir constaté, pour ce qui est des enregistrements de messages et d'annonces relevant de la pornographie douce, que les exploitants des lignes 156 s'étaient rendus coupables sous l'empire de l'ancien droit de publications obscènes et sous l'empire du nouveau droit de pornographie, il faut ensuite se demander si le recourant a été complice de ces infractions.
a) Selon l'
art. 25 CP
, le complice est "celui qui aura intentionnellement prêté assistance pour commettre un crime ou un délit"; la complicité, qui est une forme de participation accessoire à l'infraction, suppose que le complice apporte à l'auteur principal une contribution causale à la réalisation de l'infraction, de telle sorte que les événements ne se seraient pas déroulés de la même manière sans cet acte de favorisation; il n'est toutefois pas nécessaire que l'assistance du complice soit une condition sine qua non à la réalisation de l'infraction (
ATF 119 IV 289
consid. 2c); l'assistance prêtée par le complice peut être matérielle, intellectuelle ou consister en une simple abstention; le complice peut
BGE 121 IV 109 S. 120
apporter sa contribution jusqu'à l'achèvement de l'infraction (
ATF 118 IV 309
consid. 1a et les arrêts cités). Subjectivement, il faut que le complice sache ou se rende compte qu'il apporte son concours à un acte délictueux déterminé et qu'il le veuille ou l'accepte; à cet égard, il suffit qu'il connaisse les principaux traits de l'activité délictueuse qu'aura l'auteur, lequel doit donc avoir pris la décision de l'acte (
ATF 117 IV 186
consid. 3 et les arrêts cités). Le dol éventuel suffit pour la complicité (
ATF 118 IV 309
consid. 1a,
ATF 109 IV 147
consid. 4,
ATF 108 Ib 301
consid. 3b).
b) Le recourant soulève la question de savoir s'il lui est reproché une action ou une abstention. On vient de voir que la complicité est concevable sous ces deux formes, mais une pure omission ne serait punissable que si l'intéressé avait l'obligation juridique d'agir.
Il a été constaté en fait que le recourant avait ordonné l'introduction du télékiosque 156 et que c'est donc sur son ordre que les installations téléphoniques nécessaires à la réalisation de l'infraction ont été fournies. La mise à disposition de ces installations constitue une prestation positive. Que cette prestation ait pu être licite si elle s'était accompagnée de mesures de précaution n'a pas pour effet de transformer l'action en une omission. Il est fréquent que l'on reproche à une personne la manière dont elle a agi et, en définitive, des omissions dans son action; dans ces cas délicats, la jurisprudence a admis, dès lors que l'on discerne action et omission, qu'il fallait traiter le cas comme une action (
ATF 115 IV 199
consid. 2a; cf. CORBOZ, L'homicide par négligence, SJ 1994 p. 177 s. et les références citées). Lorsqu'il a été mis en garde par le procureur vaudois, le recourant n'a pas révoqué ses ordres, de sorte que les installations téléphoniques ont continué d'être régulièrement mises à disposition des exploitants sur son ordre, ce qui constitue une action.
c) Il est évident que les exploitants des lignes 156 n'auraient pas pu faire entendre, notamment à des jeunes, leurs enregistrements obscènes, si les services obéissant aux ordres du recourant ne leur avaient pas mis à disposition les installations téléphoniques nécessaires à cette fin. Le mode choisi pour la réalisation de l'infraction supposait l'usage du téléphone et, en le fournissant, le recourant a objectivement apporté une contribution causale à la réalisation des infractions, en ce sens que les événements ne se seraient pas déroulés de la même manière si ces installations n'avaient pas été disponibles.
Sur le plan subjectif, le recourant a su, dès la lettre du procureur vaudois, que certains exploitants utilisaient régulièrement le télékiosque
BGE 121 IV 109 S. 121
156 pour commettre l'infraction de publications obscènes. Il a choisi alors, en toute connaissance de cause, de continuer de fournir sa prestation, c'est-à-dire de mettre à disposition le télékiosque 156. L'attitude identique qu'il a adoptée après les prises de position du Ministère public fédéral et du DFJP corrobore l'interprétation qui a été faite de son comportement au moment où il a reçu la lettre du procureur vaudois. Voulant assurer le succès du télékiosque 156 qu'il avait lancé, il a décidé de mettre à disposition le plus longtemps possible un service spécial servant des prestations qui allaient bien au-delà des installations téléphoniques usuelles et par lequel les PTT ont réalisé des profits considérables, et ce alors même qu'il savait que certains exploitants utilisaient régulièrement et constamment ces services pour diffuser des messages pornographiques accessibles aux jeunes; il n'ignorait pas le fait que l'institution de mesures permettant d'éviter que des enfants n'aient accès à ces messages ne pourraient pas être prises sans entraîner un manque à gagner non seulement pour les exploitants des lignes du télékiosque mais également pour les PTT. Il faut relever de surcroît qu'il ne s'agissait nullement d'une opération commerciale courante (voir
ATF 119 IV 289
consid. 2c), mais au contraire d'une prestation tout à fait spécifique que seuls les PTT étaient en mesure de fournir. Dans ces circonstances, et face à un tel état d'esprit - constaté en fait d'une manière qui lie la Cour de cassation -, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral en constatant que le recourant avait eu le dol d'un complice.
Il importe peu qu'il n'ait pas lui-même voulu faire entendre des enregistrements pornographiques à des enfants. Il ne lui est en effet pas reproché d'avoir commis l'infraction en qualité d'auteur ou de coauteur. Il est manifeste qu'il poursuivait un but différent, à savoir le succès du télékiosque 156; il n'empêche qu'ayant été informé et mis au pied du mur par la lettre du procureur vaudois, il a accepté, en persistant à fournir ses prestations, d'apporter une contribution causale à des exploitants dont il savait qu'ils utilisaient ce moyen pour commettre régulièrement des infractions. L'état de fait décrit correspond bien à la notion de complicité définie par l'
art. 25 CP
(également dans le sens d'une punissabilité de la participation des PTT: CASSANI: op.cit., p. 434 no 30).
Le recourant ne peut pas être suivi lorsqu'il soutient qu'il ne pouvait pas agir autrement. Il ressort des constatations de fait - qui lient la Cour de cassation - que c'est lui qui a décidé d'introduire à l'essai le système du télékiosque. On en déduit donc qu'il aurait aussi pu décider de ne pas
BGE 121 IV 109 S. 122
l'introduire. Il en résulte nécessairement qu'il aurait pu également fixer des conditions. S'agissant d'un essai, il pouvait donner des ordres pour l'adapter en fonction de l'évolution des circonstances, étant entendu qu'il devait veiller au respect de l'ordre juridique dans son ensemble, y compris les normes pénales. Lorsqu'il a été décidé d'instaurer le télékiosque 156 de manière définitive, il est évident que le recourant, en fonction de sa position, jouait un rôle moteur décisif et qu'il pouvait influencer les décisions à prendre. La rapidité avec laquelle il a été possible de faire entrer en vigueur la nouvelle version de l'
art. 18a OST
après l'arrêt rendu par la Cour de cassation du Tribunal fédéral montre qu'il était possible de réagir efficacement. Il est sans importance que le recourant n'ait pas pu prendre les décisions seul ou que les mesures n'aient pas pu être immédiatement efficaces; ce qui est décisif, pour retenir la complicité, c'est que le recourant a continué de fournir les prestations des PTT, sans rien entreprendre, alors même qu'il savait que certains exploitants des lignes 156 utilisaient régulièrement ce canal pour commettre des infractions.
Il importe peu également que le recourant n'ait pas su exactement, dès réception de la lettre du procureur vaudois, quelles étaient les mesures définitives à prendre. Dès lors qu'il savait de manière précise que certains exploitants particuliers utilisaient régulièrement le télékiosque 156 pour commettre des infractions, il devait en tout cas ordonner à ses services d'entreprendre la procédure de révocation des abonnements pour que cela cesse. Lorsque le télékiosque n'existait qu'à titre d'essai, sans être codifié, cette mesure pouvait déjà être fondée sur l'interdiction, découlant de l'
art. 25 CP
, de prêter assistance à la commission d'une infraction. Depuis l'entrée en vigueur du nouveau droit des télécommunications, les art. 11 al. 2 let. a et 12 al. 3 let. b LTC prévoient expressément le refus ou la révocation de l'abonnement en cas d'utilisation à des fins illicites.
Se référant à l'
ATF 119 IV 289
consid. 2c/bb, le recourant observe que celui qui fournit une prestation courante, de nature neutre, n'est pas punissable du seul fait qu'en raison des circonstances il pourrait avoir conscience de collaborer à la réalisation d'une infraction. Ces réflexions ne sont pas transposables au cas d'espèce. Le recourant a été informé par le procureur vaudois que certains exploitants déterminés du télékiosque 156 utilisaient régulièrement les installations mises à disposition pour commettre des infractions; il a été expressément mis en garde qu'en cas de persistance, il se rendrait coupable de complicité; une telle situation ne
BGE 121 IV 109 S. 123
correspond pas à celle envisagée par la jurisprudence, puisqu'il ne s'agit plus d'une prestation neutre dont l'usage pourrait être illicite, mais bien d'une contribution indispensable à la commission de l'infraction qui a été signalée comme telle à l'intéressé par l'autorité pénale, avant qu'il ne continue à fournir la prestation qui lui est reprochée.
L'idée que le recourant pouvait attendre un jugement pénal définitif est insoutenable. Le recourant fait observer que l'on ne saurait reprocher à un directeur du service des automobiles d'attendre le jugement pénal pour statuer sur un retrait du permis de conduire. Il perd de vue cependant que lorsque le directeur du service des automobiles est saisi, l'infraction à la circulation routière est déjà commise et qu'il n'existe alors aucune certitude raisonnable qu'une nouvelle infraction va être commise, de sorte que l'on ne saurait imputer au directeur la volonté de prêter assistance à une infraction future suffisamment déterminée. Au surplus, il faut relever que l'autorité administrative ne doit surseoir à statuer jusqu'à droit connu sur la question pénale que s'agissant d'un retrait d'admonestation. Lorsqu'un retrait de sécurité est en jeu, elle peut, voire doit, intervenir immédiatement si elle soupçonne une incapacité permanente de conduire. D'autres domaines du droit administratif fournissent également des exemples; ainsi, la mise en vente d'un fromage peut et doit même le cas échéant être interdite avant que la causalité avec la propagation d'une maladie n'ait été établie sur le plan pénal. Il y aura éventuellement lieu d'intervenir avant que la cause exacte d'une contamination soit établie, voire avant que l'épidémie elle-même n'ait été constatée de manière absolument certaine. Dès lors que le recourant avait été informé par le procureur vaudois, sur la base des constatations faites, que certains exploitants du télékiosque 156 allaient utiliser effectivement à l'avenir le téléphone pour commettre des infractions, il ne pouvait, sans réagir, continuer de fournir les prestations des PTT nécessaires à la réalisation de l'infraction, dès lors qu'il n'avait aucune raison sérieuse de penser - comme on le verra - que le procureur vaudois se trompait dans son appréciation juridique des faits.
4.
Le recourant soutient qu'il n'est pas punissable car il doit être mis au bénéfice de l'
art. 32 CP
.
a) Il fait valoir tout d'abord que son comportement lui aurait été "ordonné par la loi".
Il ne peut cependant citer aucune disposition qui ordonnerait au directeur des télécommunications de mettre un raccordement téléphonique à disposition
BGE 121 IV 109 S. 124
d'une personne dont il sait qu'elle va l'utiliser afin de commettre une infraction.
Il n'existe en particulier aucune disposition qui exonérerait les fonctionnaires des PTT de toute responsabilité pénale, ni aucune disposition qui, à l'instar de l'
art. 179quinquies CP
et 23 al. 2 LStup (RS 812.121), rendrait non punissable un comportement qui tombe normalement sous le coup de la loi pénale. On ne peut donc pas parler non plus d'un acte "que la loi déclare permis ou non punissable" (
art. 32 CP
).
Que les PTT soient un service public ne signifie pas que ses fonctionnaires, dans un cas concret, peuvent mettre les installations téléphoniques à disposition d'une personne afin de lui permettre de commettre une infraction, alors qu'ils connaissent son projet.
Que les PTT n'aient ni le droit, ni le devoir de contrôler le contenu des communications téléphoniques n'est d'aucun secours pour le recourant. En effet, il a été informé d'une manière circonstanciée par le procureur vaudois et il ne saurait se retrancher derrière le fait qu'il ne savait pas quelle utilisation était faite des raccordements.
Que les dispositions du droit administratif prévoient la responsabilité des abonnés pour les messages transmis par les PTT (
art. 8 et 28 OST
) résulte manifestement du fait que le contenu de ces messages est en principe ignoré des PTT. On ne peut interpréter ces dispositions en ce sens qu'elles exonéreraient sur le plan pénal les fonctionnaires des PTT qui, en toute connaissance de cause, favoriseraient la commission d'une infraction pénale en fournissant des installations des PTT.
b) Le recourant invoque également le devoir de fonction au sens de l'
art. 32 CP
et se réfère à ce sujet à la prise de position du DFTCE et du Conseil fédéral (transmise en particulier par une lettre du chancelier).
Si l'on examine les opinions exprimées dans l'ordre chronologique - selon des constatations de fait qui lient la Cour de cassation -, il apparaît d'emblée que la position de défense adoptée par le recourant a été formulée d'abord par la Direction des PTT, puis adoptée par le DFTCE, et enfin, bien que de manière plus dubitative, par le Conseil fédéral. Il ne s'agissait donc en aucune façon d'ordres qui venaient d'en haut, mais bien d'une prise de position émanant des services du recourant qui a été approuvée par les autorités supérieures. Le recourant n'a jamais reçu l'ordre d'agir comme il l'a fait, mais c'est au contraire sa prise de position qui a été approuvée par l'autorité supérieure. Il pouvait certes se sentir soutenu, ce qui est
BGE 121 IV 109 S. 125
de nature à influencer la gravité de sa faute et a été pris en compte, à juste titre, au stade de la fixation de la peine. Il n'empêche que les idées émanaient de ses services (comme il l'explique très bien pour l'adoption du nouvel
art. 18a OST
) et qu'il n'a jamais reçu l'ordre d'agir comme il l'a fait, pas plus que son comportement ne lui était dicté par une prescription de service. Savoir s'il a été induit en erreur par les juristes des PTT est une question qui sera examinée sous l'angle de l'erreur de droit, puisqu'il apparaît que ces fonctionnaires n'avaient pas le pouvoir de décision et qu'ils n'avaient donc pas compétence pour déterminer le devoir de fonction.
Lorsque le recourant conteste qu'il ait été, au sein des PTT, le responsable du télékiosque 156 auquel on faisait confiance et qui prenait les décisions à ce sujet, il s'écarte des constatations de fait de l'autorité cantonale, ce qui n'est pas admissible dans un pourvoi en nullité.
c) Le recourant soutient enfin que son comportement était commandé ou autorisé par la loi coutumière.
Il ne démontre cependant pas l'existence d'une coutume et cite des dispositions de droit administratif, reprenant les arguments déjà discutés ci-dessus.
On ne voit en tout cas pas qu'une coutume permette à un fonctionnaire des PTT, en toute connaissance de cause, de favoriser la commission d'une infraction en fournissant des installations dont il sait qu'elles seront utilisées à cette fin.
En refusant d'appliquer l'
art. 32 CP
, l'autorité cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral.
5.
Le recourant invoque ensuite l'erreur sur les faits (
art. 19 CP
) ou l'erreur de droit (
art. 20 CP
).
a) Il ressort des constatations de fait cantonales - qui lient la Cour de cassation - que le recourant a su, par la lettre du procureur vaudois, que certains exploitants déterminés utilisaient le télékiosque 156 pour diffuser des enregistrements relevant de la pornographie douce; des transcriptions lui ont été soumises, de sorte qu'il a pu se faire son opinion personnelle. Il savait également, en tant que responsable du télékiosque 156, que ce système, tel qu'il était pratiqué, permettait même à des enfants d'accéder aux messages. Il a été informé par le procureur vaudois que ces enregistrements allaient continuer d'être diffusés. Dans de telles circonstances, il n'y a pas de place pour une erreur sur les faits.
b) Comme on vient de le voir, le DFTCE et le Conseil fédéral n'ont fait que reprendre la ligne de défense adoptée précédemment par la Direction des
BGE 121 IV 109 S. 126
PTT, ce qui ne pouvait échapper au recourant. Il ressort du mémoire du recourant que cette position avait été adoptée en réalité par les juristes des PTT. La question est de savoir si leur avis donnait au recourant, en sa qualité d'autorité de décision, "des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir" (
art. 20 CP
).
Dans un arrêt récent (
ATF 115 IV 67
ss), le Tribunal fédéral a réprouvé l'Entreprise des PTT qui s'était opposée à l'autorité pénale en se fondant exclusivement sur le droit administratif des PTT. Ce précédent, qui n'est pas sans analogie, aurait dû inciter les membres de la Direction générale, y compris le recourant, à faire preuve de prudence à l'égard des avis d'un service qui semble raisonner en matière pénale exclusivement en fonction des dispositions administratives propres aux PTT. La circonspection était d'autant plus requise que cet avis allait manifestement dans le sens des intérêts financiers de l'entreprise.
De toute manière, le recourant avait été informé, par la lettre du Procureur général du canton de Vaud, que s'il continuait de mettre les installations téléphoniques à la disposition des exploitants qui diffusaient des messages obscènes, il se rendait coupable de complicité de publications obscènes. Cette lettre n'était pas rédigée de manière dubitative, mais au contraire sur un ton affirmatif et comminatoire. En présence d'opinions contradictoires, celle des services juridiques des PTT d'une part et celle du Procureur général du canton de Vaud d'autre part, le recourant, qui est lui-même juriste, devait procéder à une appréciation raisonnable. Il ne pouvait lui échapper que le Procureur général du canton de Vaud est l'autorité pénale chargée de poursuivre les infractions relevant de la juridiction du canton; il devait prendre en compte que cette autorité, bien plus que les services juridiques des PTT, est spécialisée dans l'interprétation et l'application du droit pénal ordinaire et qu'elle ne peut en aucune façon être encline à favoriser exagérément les intérêts financiers de l'entreprise. Vu le ton adopté et l'autorité dont elle émanait, la lettre du procureur vaudois était suffisante pour détruire dans l'esprit du recourant, même s'il ne pratique plus le droit depuis longtemps, les certitudes qu'il pouvait avoir acquises sur la base de l'avis des juristes des PTT. Dans une telle situation, tout homme raisonnable serait à tout le moins resté dubitatif. On ne peut donc pas dire que le recourant "avait des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir" au sens de l'
art. 20 CP
, puisque les circonstances devaient en tout cas le laisser dans le doute à ce sujet.
BGE 121 IV 109 S. 127
Lorsque le recourant affirme que des dizaines de magistrats et de juristes fédéraux étaient opposés à la thèse du procureur vaudois, il s'écarte des constatations de fait cantonales, ce qui n'est pas admissible dans le cadre d'un pourvoi en nullité.
La situation ne s'est pas modifiée par la suite en ce sens que le recourant aurait acquis ultérieurement des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir. Certes, la position de l'entreprise des PTT a été reprise par le DFTCE et, dans une certaine mesure, par le Conseil fédéral. Il faut cependant signaler que parallèlement et relativement peu de temps après la lettre du procureur vaudois, le Ministère public de la Confédération a pris position dans le même sens que ce dernier. Il ne s'agissait alors plus, comme le recourant se plaît à le dire, d'un procureur cantonal parmi d'autres, mais de l'organe fédéral chargé spécialement de la poursuite des infractions pénales, dont l'autorité ne pouvait lui échapper. Quelques temps plus tard, le DFJP s'est exprimé dans le même sens, en autorisant la poursuite pénale, avec une argumentation détaillée. En définitive, toutes les autorités extérieures à la hiérarchie des PTT (au sens large) qui ont été amenées à s'exprimer ont régulièrement et de façon catégorique émis l'opinion que le fait de mettre à disposition dans ces circonstances des installations PTT constituait une infraction. On ne saurait donc dire que le recourant ait eu des raisons suffisantes de se croire en droit d'agir.
L'autorité cantonale n'a donc pas violé le droit fédéral en écartant l'application des
art. 19 et 20 CP
.
6.
a) Le recourant se plaint de ce que l'autorité cantonale, ayant admis la complicité, n'aurait pas fait application de l'
art. 65 CP
.
Il ressort clairement de l'arrêt cantonal que le recourant a été condamné comme complice, et non pas comme auteur ou coauteur. C'est également une activité de complice qui est analysée, pour apprécier la faute, au moment de la fixation de la peine. On ne saurait donc dire que la peine a été mesurée en perdant de vue que le recourant était complice; s'il est vrai que l'
art. 65 CP
n'est pas expressément mentionné dans l'arrêt attaqué, il figure dans le jugement de première instance, qui a été confirmé sur ce point, de sorte que l'on doit considérer qu'il a été repris par l'autorité cantonale.
b) Le grief du recourant concernant les frais et dépens vise manifestement l'hypothèse où la Cour de cassation serait parvenue à la conclusion qu'il ne devait pas être condamné et puni. Cette hypothèse n'étant pas réalisée, ce grief est dépourvu de tout fondement.
BGE 121 IV 109 S. 128
7.
Il résulte de ce qui précède que l'arrêt attaqué doit être annulé et que l'autorité cantonale doit fixer à nouveau la peine en tenant compte du fait qu'il n'y a pas de complicité de publications obscènes ou de pornographie lorsqu'il s'agissait de conversations de vive voix. Tous les points qui n'ont pas été remis en cause ici demeurent acquis (
art. 277ter al. 2 PPF
;
ATF 119 IV 10
consid. 4c/bb,
ATF 117 IV 97
consid. 4,
ATF 106 IV 194
consid. 1c,
ATF 103 IV 73
consid. 1).
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d0d59fab-0282-43fc-abc7-ea3613855f36 | Urteilskopf
125 I 369
34. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 30. Juni 1999 i.S. Verein «Scientology Kirche Basel und M. gegen Regierungsrat und Grosser Rat des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 2 ÜbBest. BV,
Art. 2-8 UWG
,
Art. 4 BV
und
Art. 49 BV
sowie
Art. 9 EMRK
; kantonales Übertretungsstrafrecht: Verbot des unlauteren oder täuschenden Anwerbens auf öffentlichem Grund und Ermächtigung der Polizei, Anwerbende wegzuweisen. Abstrakte Normenkontrolle.
Beschwerdelegitimation eines Vereins «Scientology-Kirche» und seines Mitglieds (E. 1).
Die kantonale Regelung ist kein gegen
Art. 4 BV
verstossendes Einzelfallgesetz (E. 3).
Verhältnis der kantonalen Norm zum Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (E. 4).
Die umstrittene Vorschrift kann einen Eingriff in die Religionsfreiheit bewirken. Sie ist im vorliegenden Fall nicht auf ihre Vereinbarkeit mit anderen Grundrechten zu prüfen (E. 5). Die Bestimmung ist nicht zu unbestimmt (E. 6), dient einem öffentlichen Interesse und kann verfassungs- und verhältnismässig ausgelegt und angewandt werden (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 125 I 369 S. 370
Der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt überwies am 12. Juni 1996 dem Regierungsrat eine Motion «betreffend Scientology: Forderung nach Massnahmen für einen hinreichenden Konsumentinnen-Konsumentenschutz». Darin wurden die Scientology-Organisation und ihre Praktiken, insbesondere bei der Mitgliederwerbung, kritisiert. Es wurde gewünscht, die Regierung solle u.a. ein Gesetz vorlegen, das es Personen «mit offensichtlich und erwiesenem sektiererischem Verhalten verbietet, mit aggressiven, suggestiven und rücksichtslosen Methoden neue Anhängerinnen und Anhänger auf öffentlichem Grund zu rekrutieren...».
Aufgrund dieser Motion verabschiedete der Regierungsrat am 7. Juli 1998 den Ratschlag Nr. 8838 «betreffend Ergänzung des kantonalen
BGE 125 I 369 S. 371
Übertretungsstrafrechts ... mit einer Norm betreffend Anwerbung auf Allmend». Er schlug darin eine Strafnorm gegen aufdringliche Anwerbemethoden auf der Allmend vor. Ebenso wollte er die Polizei mit einer Norm ermächtigen, Anwerbende wegzuweisen, wenn sie aufdringliche oder widerrechtliche, insbesondere täuschende oder sonst unlautere Methoden benutzen.
Der Regierungsrat betonte in seinem Ratschlag, ein Einzelfallgesetz gegen die Scientologen wäre unzulässig. Daher sollten alle aufdringlichen Formen der Anbahnung von Kundenbeziehungen im Bereich der Allmend unterbunden werden. Er analysierte die Verfassungsmässigkeit seines Vorschlags und kam zum Schluss, dieser sei «grundrechtskompatibel». Er gehe jedoch «gesetzgeberisch an die Grenzen, die mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat und unserer liberalen Grundauffassung noch vertretbar sind.»
Am 16. September 1998 fügte der Grosse Rat in das kantonale Übertretungsstrafgesetz vom 15. Juni 1978 (ÜStG/BS, SG 253.100) folgenden neuen § 23a ein:
«(Nach diesem Gesetz wird bestraft:)
§ 23a Anwerbung auf Allmend
Wer durch täuschende oder unlautere Methoden Passantinnen und Passanten auf der Allmend anwirbt oder anzuwerben versucht. Die Polizei ist befugt, Anwerbende von einzelnen Orten oder generell wegzuweisen, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass bei der Anwerbung widerrechtliche, insbesondere täuschende oder sonst unlautere Methoden angewendet oder Passantinnen und Passanten in unzumutbarer Weise belästigt werden».
Diese Gesetzesänderung wurde am 19. September 1998 im Kantonsblatt publiziert. Das Referendum wurde nicht ergriffen. Der Erwahrungsbeschluss wurde am 7. November 1998 publiziert, und die Änderung ist am 25. November 1998 in Kraft getreten.
Mit Eingabe vom 19. Oktober 1998 erheben der Verein «Scientology Kirche Basel» und M. staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, die Änderung des kantonalen Übertretungsstrafgesetzes vom 16. September 1998 (§ 23a) sei aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Erlass zwecks einer abstrakten Normenkontrolle ist legitimiert (
Art. 88 OG
), wer durch die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar
BGE 125 I 369 S. 372
oder zumindest virtuell, das heisst mit einer minimalen Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal, in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (
BGE 125 I 173
E. 1b mit Hinweis). Die Beschwerdeführerin M. ist Einwohnerin des Kantons Basel-Stadt und Mitglied des Vereins «Scientology Kirche Basel», dessen Anwerbemethoden Anlass zur Gesetzesänderung gaben. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie einmal gestützt auf die umstrittene Vorschrift bestraft oder von der Polizei weggewiesen werden könnte. Sie ist somit zur Beschwerde legitimiert.
Vereine können die Verletzung von Freiheitsrechten ihrer Mitglieder mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend machen, wenn sie nach ihren Statuten die durch die angerufenen verfassungsmässigen Rechte geschützten Interessen ihrer Mitglieder zu wahren haben, und die Mehrheit oder zumindest eine Grosszahl ihrer Mitglieder vom angefochtenen Erlass direkt oder virtuell betroffen ist (
BGE 123 I 221
E. 2 S. 225 mit Hinweisen). Nach Art. 3 lit. o seiner Statuten bezweckt der beschwerdeführende Verein u.a., die Glaubensansichten seiner Mitglieder zu verteidigen. Da diese Mitglieder selbst beschwerdebefugt sind, ist es auch der Verein, dem sie angehören.
b) Es ist zu prüfen, ob ein Verein «Scientology Kirche» und die Beschwerdeführerin, soweit sie sich auf ihre Tätigkeit als «Scientologin» beruft, legitimiert sind, eine Verletzung der Religionsfreiheit geltend zu machen. Eine juristische Person selbst kann sich auf dieses Grundrecht berufen, wenn sie nach ihren Statuten ein religiöses oder kirchliches Ziel verfolgt (
BGE 118 Ia 46
E. 3b S. 52 mit Hinweisen). Nach Art. 3 seiner Statuten hat der beschwerdeführende Verein u.a. zum Zweck, «für die Reinheit ... der Scientology Religion» einzutreten, sie vorzustellen und zu praktizieren, Gottesdienste abzuhalten und eine religiöse Gemeinschaft zu errichten. An der Qualifikation von «Scientology» als Religion können jedoch Zweifel bestehen angesichts der psychologischen Methoden, die «Scientologen» propagieren, und weil von ihnen diese Methoden und andere Leistungen und Güter gegen Entgelt als religiöse angeboten werden, dieselben aber auch auf dem Markt der nicht religiösen Güter und Dienstleistungen erhältlich sind. Der Staat ist aufgrund der Religionsfreiheit zur Unparteilichkeit gegenüber den in einer pluralistischen Gesellschaft auftretenden religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen verpflichtet (vgl.
BGE 125 I 347
E. 3a S. 354 mit Hinweisen). Eine Gruppierung kann sich jedoch nur auf dieses Grundrecht berufen, wenn sie eine genügend grundsätzliche, gesamtheitliche Sicht der Welt zum Ausdruck bringt (
BGE 119 Ia 178
E. 4b S 183).
BGE 125 I 369 S. 373
Nach der Praxis des Bundesgerichts und der Strassburger Organe kann sich ein Verein «Scientology Kirche» auf
Art. 49 BV
bzw. auf
Art. 9 EMRK
berufen (
BGE 118 Ia 46
E. 3b S. 52; Entscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte [EKMR] i.S. Church of Scientology c. Schweden vom 5. Mai 1979, Décisions et Rapports, Band 16 (1979), S. 68, Ziff. 2, S. 76). Im Ausland haben Gerichte die Frage, ob «Scientology» eine Religion ist, unterschiedlich beantwortet. Das deutsche Bundesarbeitsgericht hat diese Frage mit ausführlicher Begründung verneint (BAGE 79, 319 S. 337-355). Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Frage mehrmals offengelassen (Beschluss vom 28. August 1992, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 1993 S. 357 f.; Beschluss vom 7. Mai 1997 in: Neue Juristische Wochenschrift 1997 S. 2669 f.). Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hat «Scientology» hingegen als Religionsgemeinschaft anerkannt (vgl. Beschluss vom 24. August 1994, in NVwZ 1995 S. 498). Implizit hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht gleich entschieden (vgl. Beschluss vom 16. Februar 1995, in: NVwZ 1995 S. 473-475). Die italienische «Corte suprema di cassazione» hat mit ausführlicher Begründung zweimal Entscheide aufgehoben, die «Scientology» die Religionseigenschaft absprachen. Dabei hat sie alle üblicherweise gegen eine solche Religionseigenschaft vorgebrachten Argumente für nicht stichhaltig befunden (vgl. Entscheide der Corte suprema di cassazione vom 9. Februar 1995, wiedergegeben in: Il Foro Italiano, Raccolta di giurisprudenza, Band 118 (1995), Teil II, S. 689-730, insb. 697-700, und vom 8. Oktober 1997, zusammengefasst in: Repertorio del Foro Italiano, 1997, S. 1869, N. 15). Das Spanische Tribunal supremo de justicia hat hingegen Scientology die Religionseigenschaft abgesprochen (vgl. Entscheid i.S. Lourdes c. Ministerio de Justicia vom 25. Juni 1990, zusammengefasst in: Repertorio del Foro Italiano, 1992, S. 784 N. 275). Verschiedene US-amerikanische Urteile anerkannten «Scientology» implizit als Religionsgemeinschaft (vgl. Urteile der United States Court of Claims i.S. The Founding Church of Scientology v. The United States vom 16. Juli 1969 und der United States Court of Appeals, Ninth Circuit, i.S. Church of Scientology of California v. Commissioner of Internal Revenue vom 28. Juli 1987, in denen ihr jedoch der Status einer steuerprivilegierten Religionsgemeinschaft verweigert wurde, weil ein zu umfangreicher Teil ihres Einkommens dem Religionsgründer und seiner Familie zugute kam).
Diese im Ausland unterschiedlichen Beurteilungen der Frage, ob «Scientology» eine Religion ist, ändern nichts daran, dass im vorliegenden
BGE 125 I 369 S. 374
Fall gestützt auf die erwähnte Praxis des Bundesgerichts und der Strassburger Organe auf die Rüge der Verletzung der Religionsfreiheit einzutreten ist. Ob die von «Scientology» vertretenen Lehren und deren Praktiken in jeder Hinsicht religiösen Charakter haben und damit dem Schutz der Religionsfreiheit unterstehen, ist damit nicht entschieden.
c) Da auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle kantonaler Erlasse prüft das Bundesgericht frei, ob diese verfassungsmässige Rechte verletzen (
BGE 123 I 112
E. 2a S. 116;
BGE 123 I 313
E. 2b S. 317, je mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei dieser Prüfung massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungs- oder EMRK-Garantien vereinbar erscheinen lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich einer verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist. Es ist mitzuberücksichtigen, unter welchen Umständen und von wem die betreffende Bestimmung anzuwenden ist. Der Verfassungsrichter hat die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht nur abstrakt zu untersuchen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit verfassungstreuer Anwendung miteinzubeziehen, um das Risiko einer Verfassungsverletzung möglichst gering zu halten (
BGE 125 I 65
E. 3b S. 67 f. mit Hinweisen). Dabei dürfen auch die Erklärungen der Behörden über die beabsichtigte künftige Anwendung der Vorschrift berücksichtigt werden (
BGE 118 Ia 427
E. 3b S. 433 mit Hinweis).
3.
a) Die angefochtene Bestimmung besteht aus zwei Sätzen. Der erste enthält eine Strafnorm, der zweite eine Ermächtigung der Polizei einzuschreiten, wenn Anzeichen für eine Verletzung der Strafnorm bestehen oder Passanten in unzumutbarer Weise belästigt werden. Ziel des § 23a ÜStG ist es, Passanten auf der Allmend vor täuschenden, unlauteren oder aggressiven Anwerbemethoden zu schützen. Der Begriff Allmend wird in Basel als Synonym für den öffentlichen Grund gebraucht (vgl. ALEXANDER RUCH, Bau- und Raumplanungsrecht, in: Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, 1984, S. 577 f.).
b) Die umstrittene Bestimmung richtet sich nach ihrem Wortlaut nicht speziell an Religionsgemeinschaften oder an Scientologen. Die Beschwerdeführer machen aber geltend, sie ziele nach ihrer
BGE 125 I 369 S. 375
Entstehungsgeschichte eindeutig auf Scientologen ab und sei daher ein Einzelfallgesetz, das sie in Verletzung von
Art. 4 BV
diskriminiere. Dass die Norm in Folge einer Motion ausgearbeitet wurde, die namentlich gegen die Praktiken der Scientologen gerichtet war, macht sie aber nicht zum Einzelfallgesetz. Der Gesetzgeber wird häufig aufgrund von einzelnen Ereignissen tätig. Solange das Ergebnis, wie im vorliegenden Fall, ein generell-abstrakter Erlass ist, ist dagegen nichts einzuwenden. Die angefochtene Bestimmung diskriminiert nach ihrem Wortlaut keine bestimmte Gemeinschaft oder Personengruppe. Soweit die Beschwerdeführer eine rechtsungleiche Handhabung befürchten oder Beispiele eines Einschreitens der Polizei gegen Scientologen anführen, betrifft dies eine Frage der konkreten Rechtsanwendung, auf die im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle nicht weiter einzugehen ist. Die Rüge, die angefochtene Bestimmung verletze
Art. 4 BV
, erweist sich somit als unbegründet.
4.
Die Beschwerdeführer bringen vor, § 23a ÜStG verstosse gegen Art. 2 ÜbBest. BV, weil das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986 (UWG; SR 241) unlauteres, insbesondere täuschendes Geschäftsgebaren und besonders aggressive Methoden bei der Anwerbung von Kunden verbiete und diesen Bereich abschliessend regle.
a) Der Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts (Art. 2 ÜbBest. BV) schliesst in Sachgebieten, welche die Bundesgesetzgebung abschliessend geregelt hat, eine Rechtsetzung durch die Kantone aus. In Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet, dürfen die Kantone nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (
BGE 125 II 56
E. 2b S. 58 mit Hinweis).
Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
behält den Kantonen zwar das Übertretungsstrafrecht vor, aber nur soweit es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
b) Wie die hier umstrittene Norm regelt auch das UWG die Zulässigkeit von Werbemethoden. Zu prüfen ist, ob es den von der angefochtenen Bestimmung anvisierten Sachbereich abschliessend regelt.
Art. 2 UWG
definiert unlauteres Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst. Die
Art. 3-8 UWG
zählen Einzeltatbestände auf. Insbesondere die in
Art. 2 und 3 UWG
verwendeten unbestimmten Gesetzesbegriffe kommen zum Teil ebenfalls in § 23a ÜStG und im Ratschlag des Regierungsrats vor. Das UWG ist freilich nur auf Tätigkeiten anwendbar, die auch wirtschaftlichen Charakter
BGE 125 I 369 S. 376
haben, nicht aber auf den reinen Ideenwettbewerb zwischen Weltanschauungen oder das Streben nach der letzten Wahrheit unter den Religionsgemeinschaften und gegenüber (potentiellen) Gläubigen.
c) aa) Die Beschwerdeführer erklären ausführlich, warum ihre Mitgliederwerbung auch - in untergeordneter Weise - wirtschaftlichen Charakter habe. Im Hinblick auf spätere Mitgliederbeiträge und den späteren Kauf von religiösen Schriften und Gütern ziele diese Mitgliederwerbung auch auf die Deckung der Unkosten des Vereins ab. Daher falle sie unter das UWG. Die kantonalen Behörden sind hingegen der Auffassung, das Werben um Mitglieder für einen Verein mit hauptsächlich ideellem Zweck könne in keinem Fall eine wirtschaftliche, wettbewerbsrelevante Tätigkeit sein, die unter das UWG falle. Diese Ansicht liegt auch einem von den Beschwerdeführern eingereichten Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 6. September 1994 zugrunde. Es sprach Scientologinnen vom Vorwurf der Benützung öffentlichen Grundes zu (gewerblichen) Sonderzwecken frei, weil deren Anwerbung mittels Umfragen auf öffentlichem Grund keine kommerzielle Tätigkeit sei und nicht in genügendem Zusammenhang mit späteren Verkäufen stehe.
bb) Es kann offen bleiben, welche Auffassung zutrifft. Das UWG kann zwar auch auf Vereine mit ideeller, politischer oder religiöser Zielsetzung anwendbar sein (vgl. URS SAXER, Die Anwendung des UWG auf ideelle Grundrechtsbetätigungen: eine Problemskizze, AJP 1993 S. 604 ff.). Vom Bundesgericht wurde es bereits auf Journalisten und auf Tierschützer angewandt (
BGE 117 IV 193
und
BGE 123 IV 211
E. 2 S. 214) und vom Zürcher Obergericht auf den Abstimmungskampf von Verkehrsverbänden (Entscheid vom 31. Oktober 1991 i.S. VCS, in: SMI 1991 S. 247 ff.). Dies heisst aber nicht, dass das UWG das Verhältnis zwischen solchen Vereinen oder zwischen ihnen und ihrem Zielpublikum umfassend und abschliessend regeln würde, sodass kantonales Recht in diesem Bereich ausgeschlossen wäre. Vielmehr schützt das UWG nur den wirtschaftlichen Wettbewerb und dessen Lauterkeit (vgl. JÜRG MÜLLER in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Band V/1, 2. Auflage, 1998, S. 4-16 und 20-28). Ein Kanton darf, auch gegenüber Wirtschaftssubjekten, andere Ziele verfolgen. Zum Beispiel darf er zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder von Passanten gegenüber Gewalt oder Belästigungen legiferieren. Die angefochtene Norm zielt nicht darauf ab, die Lauterkeit im wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Religionsgemeinschaften sicherzustellen,
BGE 125 I 369 S. 377
sondern bezweckt, Passanten auf öffentlichem Grund zu schützen. Dass Verstösse gegen § 23a ÜStG von Amtes wegen, Verletzungen des UWG aber nur auf Antrag bestraft werden, ist eine logische Konsequenz dieses Unterschieds in Bezug auf den Schutzzweck. Darin liegt keine Verletzung von Art. 2 ÜbBest. BV.
Immerhin wird bei der Anwendung des § 23a ÜStG zu beachten sein, dass der Verkauf von Kursen, Geräten und Publikationen durch Scientologen und die Werbung dafür wirtschaftliche Tätigkeiten sind.
Nach der Praxis der Strassburger Organe können sich Scientologen bei dieser Werbung nicht auf die Religionsfreiheit berufen (vgl. Entscheid der EKMR i.S. Church of Scientology, a.a.O., Ziff. 4, S.78). Die Praxis der deutschen Gerichte zu dieser Frage ist nuancierter. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine Berufung auf die Religionsfreiheit nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Glaubenslehre nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke dient (BVerwGE 90, 112 S. 116-118). Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hat eine Berufung auf die Religionsfreiheit in dieser Situation in einem Fall ausgeschlossen (vgl. Urteil vom 6. Juli 1993, in: NVwZ 1994 S. 192), in einem anderen entschieden, dass die Religionsfreiheit berücksichtigt werden muss, aber zurückgedrängt wird, soweit dies zum Schutz kollidierender Rechtsgüter Dritter erforderlich ist (Beschluss vom 16. Februar 1995 in: NVwZ 1995 S. 473).
Jedenfalls darf der Kanton eine solche Werbung für Produkte und Dienstleistungen auf öffentlichem Grund regeln und Passanten vor unzumutbaren Belästigungen schützen. Welche Methoden dabei täuschend oder unlauter sind, regelt allerdings das UWG abschliessend. Der erste Satz der angefochtenen Regelung kann daher nur auf die Anwerbung von Mitgliedern, nicht aber auf die Werbung für Produkte und Leistungen angewandt werden. Die nicht immer leichte Unterscheidung zwischen vom UWG geregelten Tätigkeiten und solchen, die unter § 23a ÜStG fallen, obliegt in erster Linie den Strafbehörden. Für die Befugnis der Polizei einzuschreiten, wenn widerrechtliche Tätigkeiten auf öffentlichem Grund Polizeigüter gefährden, spielt es hingegen keine Rolle, ob die betreffende Tätigkeit unter das UWG oder das ÜStG fällt.
Damit verletzt die umstrittene Norm Art. 2 ÜbBest. BV nicht. Sie verfolgt einen anderen Schutzzweck als das UWG. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle kann davon ausgegangen werden, dass die kantonalen Behörden bei Überschneidungen zwischen § 23a
BGE 125 I 369 S. 378
ÜStG und dem UWG die Abgrenzung bundesrechtskonform vornehmen werden.
5.
a) Die umstrittene Bestimmung ist im vorliegenden Verfahren im Folgenden auf ihre Vereinbarkeit mit
Art. 49 BV
und
Art. 9 EMRK
zu prüfen. Der beschwerdeführende Verein versteht sich als Religionsgemeinschaft und in der Beschwerde wird eine Verletzung der in der BV und der EMRK garantierten Religionsfreiheit gerügt. Dabei wird geltend gemacht, § 23a ÜStG verletze nicht nur die darin enthaltene Glaubens- und Gewissensfreiheit im engeren Sinne (
Art. 49 BV
), sondern auch die Kultusfreiheit (
Art. 50 BV
). Letzteres Vorbringen ist jedoch nicht substanziiert, da die Beschwerdeführer nicht darlegen, inwiefern das Anwerben Bestandteil des Kultus der Scientologen wäre. Insofern ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
).
b) Die Beschwerdeführer berufen sich auch auf die Versammlungsfreiheit, die Meinungsäusserungsfreiheit und die persönliche Freiheit. Diese Grundrechte weisen zum Teil Schutzbereiche auf, die im vorliegenden Fall im Grundrecht der Religionsfreiheit aufgehen. In diesem Sinn schützt die Religionsfreiheit die Äusserung religiöser Auffassungen (
BGE 62 I 218
E. 1 S. 222) und sie ist für religiöse Versammlungen massgebend (
BGE 49 I 138
E. 4a S. 151), soweit § 23a ÜStG überhaupt Versammlungen zum Gegenstand hat. Gleich verhält es sich mit der persönlichen Freiheit: gewisse Komponenten dieses Grundrechts fallen - soweit es um religiöse Betätigungen geht - unter den Schutz der Religionsfreiheit. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern durch die erhobenen Rügen Schutzbereiche betroffen sind, welche die Religionsfreiheit nicht miteinschliesst, sondern die nur von einem anderen Grundrecht erfasst werden, auf das sich die Beschwerdeführer berufen. Die angefochtene Regelung ist demnach in Bezug auf die Beschwerdeführer nur unter dem Aspekt der Religionsfreiheit zu prüfen. Die Verfassungsmässigkeit der vom Kanton beabsichtigten Anwendung der angefochtenen Regelung auf andere Gruppierungen und das Anwerben für andere ideelle Zwecke kann erst im Einzelfall und auf Beschwerde solcher Betroffener hin geprüft werden.
c) Es ist unbestritten, dass § 23a ÜStG in den Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit eingreifen kann, wenn er auf das Anwerben religiöser Gruppierungen angewandt wird. Das Bundesgericht hat schon früh das Recht, für Glaubensansichten zu werben, um neue Anhänger zu gewinnen, als Aspekt der Glaubens- und Gewissensfreiheit angesehen (
BGE 57 I 112
E. 2 S. 116;
BGE 118 Ia 46
BGE 125 I 369 S. 379
E. 4c S. 56 f. mit Hinweisen; ebenso, in Bezug auf
Art. 9 EMRK
, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil i.S. Kokkinakis c. Griechenland vom 25. Mai 1993, Serie A, Band 260, Ziff. 31, bestätigt im Urteil i.S. Larissis c. Griechenland vom 24. Februar 1998,
Recueil des arrêts et décisions 1998-I S. 362
, Ziff. 38, S. 378). Die Religionsfreiheit schützt jedoch nicht das Anwerben unter religiösem Deckmantel, das in Wirklichkeit materielle oder soziale Ziele verfolgt (vgl. Urteil des EGMR i.S. Larissis, a.a.O., Ziff. 45). Die angefochtene Bestimmung schützt andererseits auch die Religionsfreiheit des Publikums, nämlich dessen negative Religionsfreiheit, oder Freiheit, keiner Religion anzugehören.
d) Da § 23a ÜStG in die Religionsfreiheit eingreift, ist im Folgenden zu prüfen, ob er die Anforderungen für einen Eingriff in Grundrechte erfüllt. Dazu muss er eine genügende gesetzliche Grundlage bieten, einem überwiegenden öffentlichen Interesse entsprechen, der vorgesehene Eingriff muss verhältnismässig sein und er darf nicht in den Kerngehalt des Grundrechts eingreifen (
BGE 123 I 221
E. 4 S. 226;
BGE 117 Ia 472
E. 3d S. 479 mit Hinweisen).
6.
Die angefochtene Norm ist ein formelles Gesetz und sie stellt generellabstrakte Regeln auf. Es fragt sich jedoch, ob sie, wie die Beschwerdeführer geltend machen, zu unbestimmt ist, um als Grundlage für Eingriffe in Grundrechte zu dienen.
Das Gebot der Bestimmtheit von Rechtsnormen darf nach der Praxis des Bundesgerichts nicht in absoluter Weise verstanden werden. Der Gesetzgeber kann nicht völlig darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht eindeutig umschrieben werden können und die an die Auslegung durch die Behörde besondere Anforderungen stellen; denn ohne die Verwendung solcher Begriffe wäre er nicht in der Lage, der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse Herr zu werden (
BGE 123 I 112
E. 7a S. 124 f.;
BGE 117 Ia 472
E. 3e S. 479 f., je mit Hinweisen).
In ähnlicher Weise hat sich der EGMR zur Frage der Bestimmtheit der Gesetze geäussert. Er führt aus, es sei kaum möglich, ein Gesetz zu formulieren, das jedes mögliche Ereignis abdecke. Daher sei es unvermeidlich, dass viele Gesetze mehr oder minder vage Begriffe enthielten, deren Auslegung und Anwendung der Praxis zu überlassen seien (Urteil i.S. Müller c. Schweiz vom 24. Mai 1988, Serie A, Band 133, Ziff. 29; Urteil i.S. Tolstoy c. Vereinigtes König- reich vom 13. Juli 1995, Serie A, Band 316, Ziff. 37, und das vorzitierte Urteil i.S. Kokkinakis, a.a.O., Ziff. 40). Eine ständige, reichhaltige und publizierte Gerichtspraxis könne einen vagen
BGE 125 I 369 S. 380
gesetzlichen Begriff genügend präzisieren, um seine Anwendung vorhersehbar zu machen (Urteil i.S. Kokkinakis, a.a.O, Ziff. 40).
An den ersten Satz des § 23a ÜStG müssen in Bezug auf seine Bestimmtheit höhere Anforderungen gestellt werden als an den zweiten Satz, weil der erste Satz eine Strafnorm ist, die den aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» (
BGE 120 Ia 31
E. 2b S. 35 f.) verletzen würde, wenn sie zu unbestimmt wäre.
Im Folgenden ist zu prüfen, wie die für beide Sätze des § 23a ÜStG zentralen Begriffe «täuschend», «unlauter» und «Anwerbung» zu verstehen sind und ob sie, insbesondere für eine Strafnorm, genügend bestimmt sind.
a) Was täuschend ist, kann einer reichhaltigen Gerichtspraxis zu
Art. 146 StGB
(Betrug; vgl. dazu etwa STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage, 1997, S. 539-542 und 546; MARTIN SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, N. 11-30 zu Art. 148; GÜNTHER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 3. Auflage, 1983, S. 231-239) und zu
Art. 28 OR
(Absichtliche Täuschung; vgl. dazu etwa BRUNO SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 16-107 zu
Art. 28 OR
) entnommen werden. Im Gegensatz zu
Art. 146 StGB
stellt die angefochtene Norm in ihrem eingeschränkten Anwendungsbereich nicht nur die arglistige, sondern jede Täuschung beim Anwerben auf öffentlichem Grund unter Strafe, und weder eine Vermögensverfügung des Getäuschten ist notwendig, noch dass er einen Vermögensschaden erleidet. Es ist den Kantonen aber nicht verwehrt, Täuschungstatbestände, die nicht unter das StGB fallen, weil ein Tatbestandselement des
Art. 146 StGB
fehlt, aus Gründen der öffentlichen Ordnung unter Übertretungsstrafe zu stellen (
BGE 70 IV 197
).
b) Was unlautere Anwerbemethoden sind, ist schwieriger auszumachen. Zwar definiert Art. 2 des UWG «unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten». Auch der Kanton verweist zum Verständnis, was «unlauter» sei, unter anderem auf das UWG.
aa) Zunächst ist dabei aber zu beachten, dass sich diese Vorschrift des UWG auf wirtschaftliche, wettbewerbsrelevante Tätigkeiten bezieht. Für das UWG ist der Wettbewerb lauter, wenn die Leistung eines Wettbewerbsteilnehmers klar wahrgenommen werden kann, und das Adjektiv betrifft dort die wirtschaftliche Leistung des Wettbewerbers (vgl. zum Ganzen ALOIS TROLLER, Immaterialgüterrecht, Bd. II, 3. Auflage, 1985, S. 909 f.). Beides lässt sich aber nicht einfach
BGE 125 I 369 S. 381
auf den Ideenwettbewerb übertragen, in welchem die Leistung eines Teilnehmers nicht objektiv bewertbar ist.
Sodann stellt
Art. 23 UWG
nicht eine Verletzung des allgemein lautenden
Art. 2 UWG
, sondern nur Verletzungen der Einzeltatbestände in Art. 3 bis 6 UWG unter Strafe. Diese Einzeltatbestände können aber nicht einfach zum Verständnis des § 23a ÜStG beigezogen werden, da dieser gerade nicht die Lauterkeit im Geschäftsleben schützen will und darf (vgl. vorne E. 4c). Viele Einzeltatbestände (z.B.
Art. 3 lit. g und i UWG
) können nicht auf religiöse oder andere ideelle Angebote angewandt werden, da deren Wert nicht quantifizierbar ist oder jedenfalls nicht quantifiziert werden darf. Auch kann ein humanitärer oder sozialer Zweck Mittel heiligen, die, wenn sie zu geschäftlichen Zwecken verwendet würden, als aggressive Werbemethoden nach
Art. 3 lit. h UWG
verboten wären (so ausdrücklich TROLLER, a.a.O., S. 946). Im wirtschaftlichen Wettbewerb ist es etwa unlauter, den Vertragsschluss durch Appell an Dankbarkeits-, Anstands- oder Peinlichkeitsgefühle des Konsumenten zu erlangen (vgl. Botschaft zum UWG vom 18. Mai 1983, BBl 1983 II S. 1068), während dies bei der Anwerbung für ideelle Zwecke üblich ist und grundsätzlich als erlaubt betrachtet werden kann. In der Lehre wird auch vertreten,
Art. 3 lit. h UWG
verbiete schon den Verkauf durch Ansprechen auf der Strasse an sich (vgl. MÜLLER, a.a.O., S. 50 mit Hinweisen). Zu Recht pönalisiert die angefochtene Übertretungsstrafnorm jedoch nicht das blosse Ansprechen von Passanten, wenn dabei nicht besondere unzulässige Methoden angewandt werden. In der Tat ergibt sich - wie vorne (E. 5c) dargestellt - aus der Religionsfreiheit, dass religiöses Anwerben auf öffentlichem Grund prinzipiell erlaubt ist; dies umfasst das Recht, Passanten anzusprechen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das UWG keine hinreichenden Anhaltspunkte zum Verständnis des Begriffs «unlauter» in der angefochtenen Bestimmung enthält, weil es auf den grundsätzlich andersartigen wirtschaftlichen Wettbewerb zugeschnitten ist (vgl. MÜLLER, a.a.O., S. 4-16 und 20-28).
bb) Der Begriff «unlauter» kommt hingegen in der Rechtsordnung auch ausserhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs vor. So sanktionieren verschiedene Prüfungsordnungen unter dem Titel «Unlauterkeit» das Erwirken der Zulassung zu einer Prüfung durch unrichtige oder unvollständige Angaben (vgl. etwa Art. 23 der Verordnung über das eidgenössische Patent für Ingenieur-Geometerinnen und Geometer, SR 211.432.261). Die allgemeine Medizinalprüfungsverordnung (SR 811.112.1) sanktioniert in Art. 45 eine Beeinflussung des
BGE 125 I 369 S. 382
Prüfungsergebnisses mit unlauteren Mitteln. Das Bundesgericht selbst benutzt «unlauter» als Oberbegriff für widerrechtliches, täuschendes oder sonstwie gegen Treu und Glauben verstossendes Verhalten (vgl.
BGE 123 II 595
E. 5a S. 607 zur Herkunft von Geldern;
BGE 109 II 123
E. 2b S. 125 zum Steigerungswettbewerb;
BGE 117 Ia 66
E. 1d/cc S. 67 zur Stimmrechtsbeschwerde wegen unlauterer Beeinflussung der Willensbildung).
Bei diesem Verständnis des Begriffs unlauter werden mit der angefochtenen Regelung nicht nur Anwerbemethoden, die durch die übrige Rechtsordnung verboten sind (z.B. wucherisches, nötigendes oder an Religionsunmündige gerichtetes Anwerben) unter Strafe gestellt. Vielmehr richtet sich die umstrittene Bestimmung allgemein gegen solche Anwerbemethoden, die gegen Treu und Glauben verstossen. Zur Konkretisierung dieses Begriffs kann der Strafrichter auf Praxis und Lehre zu
Art. 2 ZGB
zurückgreifen, und dabei hauptsächlich die Fälle der Vertrauenshaftung bei sozialen Beziehungen ohne oder im Hinblick auf eine rechtsgeschäftliche Bindung berücksichtigen (vgl. dazu insb. MAX BAUMANN, Zürcher Kommentar, N. 109-133 und 144-191 zu
Art. 2 ZGB
). Wie bei diesen Fällen von Vertrauenshaftung ist das Besondere an den von § 23a ÜStG anvisierten Situationen, dass in der Regel noch keine Sonderverbindung oder qualifizierte Beziehungsnähe zwischen Anwerbendem und Anzuwerbendem besteht. Für die meisten Verstösse gegen
Art. 2 ZGB
ist eine solche Beziehung nötig und in den vorerwähnten Bestimmungen, in denen die Rechtsordnung den Begriff «unlauter» verwendet, ist sie auch gegeben. Bei Anwerbeversuchen auf der Allmend dürfte sie aber nur sehr selten vorhanden sein. Ohne eine solche Beziehung und wenn es nicht zumindest um einen künftigen Vertragsschluss geht, dürften sich aber Pflichten aus Treu und Glauben über das Verbot der absichtlichen Täuschung hinaus nur ausnahmsweise ergeben (
BGE 108 II 305
E. 2b S. 311).
cc) Auch welche Formen des Anwerbens unlauter sind, ist somit dank anderer Bestimmungen der Rechtsordnung und der Praxis und Lehre dazu genügend verständlich und bestimmt. Der Begriff ist daher entsprechend verfassungskonform anwendbar.
c) Die Beschwerdeführer kritisieren, auch der Begriff des Anwerbens sei zu unbestimmt. Sie selbst definieren diesen aber zutreffend als Anbahnung von Kontakten zur Bevölkerung mit dem Ziel, neue Mitglieder oder Kunden zu gewinnen. Somit ist auch der Begriff des Anwerbens genügend verständlich und anwendbar, ohne die Verfassung zu verletzen.
BGE 125 I 369 S. 383
d) Der zweite Satz des § 23a ÜStG erweist sich ebenfalls als hinreichend bestimmt. Er kann als zulässiger Versuch verstanden werden, die polizeiliche Generalklausel zu konkretisieren und ist jedenfalls bestimmter als diese. Die Beschwerdeführer kritisieren sogar, er sei unnötig, weil die polizeiliche Generalklausel genüge. Mit diesem Vorwurf widersprechen sie sich aber selbst, wenn sie ihm gleichzeitig seine Unbestimmtheit vorwerfen. Selbst wenn die polizeiliche Generalklausel als Grundlage für Wegweisungen genügen sollte, würde dies einer gesetzgeberischen Konkretisierung derselben nicht entgegenstehen. Es ist im Übrigen fraglich, ob die in § 23a ÜStG definierten Anwerbemethoden die öffentliche Ordnung derart schwer, direkt und unmittelbar stören und ihre Unterbindung zeitlich genügend dringend ist, dass der Kanton unmittelbar gestützt auf die polizeiliche Generalklausel eingreifen könnte (
BGE 121 I 334
E. 4c S. 343;
BGE 103 Ia 310
E. 3a S. 311 f.;
BGE 83 I 111
E. 2c S. 117).
Wie die einzelnen Elemente der Ermächtigung an die Polizei zu verstehen sind, ist zusammen mit der Frage zu prüfen, ob sie im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind (vgl. hinten E. 7b).
e) Es ergibt sich somit, dass § 23a ÜStG und die darin enthaltenen Begriffe genügend bestimmt sind, um als gesetzliche Grundlage für Eingriffe in Grundrechte zu dienen. Daher ist im Folgenden zu prüfen, ob die vorgesehenen Eingriffe auch im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind.
7.
Es liegt im öffentlichen Interesse, Polizeigüter wie Ruhe, Ordnung, Sicherheit, Gesundheit und Sittlichkeit sowie Treu und Glauben im Geschäftsverkehr zu schützen. Dieses Ziel mit einer Übertretungsstrafnorm zu verfolgen, widerspricht dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht.
Art. 9 Ziff. 2 EMRK
präzisiert ausdrücklich, dass eine Beschränkung der Religionsfreiheit nicht nur zulässig ist, wenn sie im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, sondern auch dann, wenn dies in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
a) Es fragt sich zunächst, ob ein öffentliches Interesse an einem Verbot täuschender oder unlauterer Anwerbemethoden auf öffentlichem Grund besteht, und ob dieses Verbot verhältnismässig angewandt werden kann.
Das Bundesgericht hat in einem unveröffentlichten Entscheid vom 27. Juni 1995 i.S. W. ausgeführt, dass die Anwerbemethoden der Scientologen bekanntermassen diskutabel sind. Es liegen auch Strafurteile von kantonalen Gerichten vor, die zum Teil vom Bundesgericht
BGE 125 I 369 S. 384
bestätigt wurden und in denen die Verkaufsmethoden gewisser Scientologen als Betrug und Wucher qualifiziert wurden (vgl. Entscheid des Bundesgerichts vom 14. Dezember 1994 in: Praxis 1996 Nr. 2 S. 4 mit Hinweisen;
BGE 125 IV 109
ff.;
BGE 119 IV 210
). Bei dieser Sachlage entspricht es einem öffentlichen Interesse, wenn der Kanton auf der Allmend schon bei der Anwerbung durch Scientologen oder durch andere Gruppierungen, die gleich vorgehen sollten, täuschende und unlautere Praktiken unterbinden will. Personen, die sich einmal mit einer Scientology-Organisation eingelassen haben, scheinen oft Mühe zu haben, sich wieder von ihr zu lösen. Deren Werbung hat sich auch schon an geistig Behinderte und wenig Bemittelte gerichtet (vgl. Entscheid des Bundesgerichts vom 14. Dezember 1994 in: Praxis 1996 Nr. 2 S. 4).
Auch der EGMR hat entschieden, dass ein gesetzliches Verbot des Missionierens («prosélytisme») mit betrügerischen Mitteln, unter Missbrauch der Unerfahrenheit oder des Vertrauens des Angeworbenen oder in Ausnützung von Geistesschwäche oder Unbedarftheit, ein legitimes gesetzgeberisches Ziel verfolgt und eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahme ist (Urteil i.S. Kokkinakis, a.a.O., Ziff. 44 und 48). Hingegen wäre es unverhältnismässig, ein Anwerben ohne missbräuchlichen Druck zu verbieten, wenn die Anzuwerbenden in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Anwerbenden stehen und sich nicht verpflichtet fühlen, dem Anwerbenden zuzuhören (Urteil i.S. Larissis, a.a.O., S. 381 f.).
Die Pönalisierung des Anwerbens mit täuschenden und unlauteren Methoden durch den ersten Satz der angefochtenen Norm liegt somit im öffentlichen Interesse, ist verhältnismässig und stellt eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Massnahme dar. Die Konkretisierung der Begriffe «täuschend» und «unlauter» im Anwendungsfall (vgl. vorne E. 6a und b) gibt, wie der Regierungsrat in seinem Ratschlag ausführt, den staatlichen Organen Auslegungsfragen auf, die unvermeidbarerweise mit Werturteilen verbunden sind. Diese Werturteile müssen sich an den betroffenen Grundrechten orientieren. Aus dem Wesen der Religionsfreiheit ergibt sich zum Beispiel, dass das Anwerben für eine Religion grundsätzlich nicht wegen deren Inhalts als täuschend oder unlauter angesehen werden darf. Die Tatsachen, über die getäuscht wird, müssen sich regelmässig ausserhalb des Inhalts einer Religion befinden, da sich die Wahrheit von transzendenten Aussagen definitionsgemäss einer Überprüfung durch staatliche Gerichte entzieht. Einzig die Methode des Anwerbens für irgendeine Sache darf in einer
BGE 125 I 369 S. 385
demokratischen Gesellschaft als täuschend oder unlauter angesehen werden, wenn sie die Freiheit, sich für oder gegen diese Sache zu entscheiden, nicht respektiert oder Personen betrifft, die sich nicht frei entscheiden können. In diesem Fall ist eine Beschränkung der Religionsfreiheit zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig. Diesen nicht immer leichten Weg der verfassungsmässigen Auslegung zu gehen, kann insbesondere den Gerichten, als juristisch geschulten Behörden durchaus zugetraut werden (
BGE 125 I 127
E. 10b S. 159). Solange keine Gerichtspraxis dazu besteht, wird die Polizei von sich aus eine Anwerbemethode nur zurückhaltend als täuschend oder unlauter betrachten können.
b) Der zweite Satz der angefochtenen Bestimmung ermächtigt die Polizei, Anwerbende von einzelnen Orten oder generell wegzuweisen, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass bei der Anwerbung widerrechtliche, insbesondere täuschende oder sonst unlautere Methoden angewendet oder Passantinnen und Passanten in unzumutbarer Weise belästigt werden. Es ist zu prüfen, wie diese Ermächtigung zu verstehen ist, ob sie im öffentlichen Interesse liegt und ob sie verhältnismässig ist.
aa) Die Beschwerdeführer kritisieren die Befugnis, Anwerbende «von einzelnen Orten oder generell wegzuweisen». Diese muss verfassungsmässig und im Gesamtzusammenhang der Norm, die das Anwerben auf der Allmend betrifft, ausgelegt werden. Daher kann sie nicht in dem Sinne wörtlich verstanden werden, dass Anwerben-de, und haben sie auch die im ersten Satz beschriebene Übertretung begangen, aus dem Kantonsgebiet oder von der gesamten Allmend des Kantons weggewiesen werden dürften. Verfassungsmässig ausgelegt kann der gerügte Passus nur bedeuten, dass die Polizei in diesen Fällen eingreifen und das Anwerben entweder ganz (etwa bei täuschendem Anwerben) oder zumindest an dieser Stelle (zum Beispiel wenn die Belästigung für Passanten nur wegen der Schmalheit eines Trottoirs unzumutbar ist) verbieten darf. Die Zuweisung eines anderen Ortes kann aus der Sicht der Verhältnismässigkeit des Eingriffs in Grundrechte bei belästigendem Anwerben geradezu geboten sein, zumal davon auszugehen ist, dass es Orte auf der Basler Allmend gibt, an denen die Anwerbung nicht zu einer unzumutbaren Belästigung von Passanten führt. Hingegen kann täuschendes oder unlauteres Anwerben ganz generell verboten werden, und die in solcher Weise Anwerbenden können «generell» von der Allmend weggewiesen werden, soweit sie der unzulässigen Tätigkeit nachgehen. Ansonsten müsste die Polizei Anwerbende an einen neuen Standort
BGE 125 I 369 S. 386
verfolgen, obwohl der Standort für die Beantwortung der Frage, was täuschend oder unlauter ist, keine Rolle spielt. Dass die Polizei bei der Anordnung von Wegweisungen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten hat, ergibt sich im Übrigen nicht zuletzt aus Art. 7 des Gesetzes betreffend die Kantonspolizei des Kantons Basel-Stadt vom 13. November 1996 (SG 510.100).
bb) Weiter beanstanden die Beschwerdeführer, dass die Polizei Anwerbende bereits wegweisen darf, wenn «Anzeichen» für das umschriebene Verhalten bestehen. Die Beschwerdeführer verstehen dies als Ermächtigung der Polizei, auch dann einzuschreiten, wenn erst Anzeichen bestehen, dass Anwerbende künftig unerlaubte Methoden anwenden werden. So kann die Norm aber bereits aufgrund ihres Wortlauts nicht verstanden werden. Soweit sie ein Eingreifen der Polizei erlaubt, wenn Passanten belästigt «werden» oder gewisse Methoden angewandt «werden», handelt es sich bei diesem «werden» um die Gegenwartsform des Passivs und nicht um eine Zukunftsform. Anders als die Beschwerdeführer befürchten, darf die Polizei nicht schon bei Vorbereitungshandlungen zu verbotenem Anwerben eingreifen. Der umstrittene Satz bedeutet nichts anderes, als dass die Polizei eingreifen darf, wenn aufgrund konkreter Anzeichen der dringende Verdacht besteht, dass unerlaubte Methoden benutzt werden. Ob Anwerbende tatsächlich täuschende oder unlautere Methoden anwandten, darf erst der Strafrichter nach einer Straf-untersuchung entscheiden. Die Polizei darf auch, ausser in klaren Wiederholungsfällen, nicht schon die Organisation, für die bestimmte Personen anwerben, als Anzeichen dafür ansehen, dass dabei unlautere Methoden angewandt werden.
cc) Dass Personen, die widerrechtliche Methoden anwenden, im vorne definierten Sinne weggewiesen werden dürfen, ist nicht zu beanstanden. Es entspricht der allgemeinen Aufgabe der Polizei, für die Einhaltung der Rechtsordnung auf der Allmend zu sorgen. Die Beschwerdeführer rügen, die generalpräventive Wirkung der Strafnorm genüge und der zweite Satz sei daher unverhältnismässig. Sie verkennen dabei, dass Strafnormen keine Alternative zum Eingreifen der Polizei sind, sondern eine der möglichen Rechtfertigungen für ein solches Eingreifen darstellen. Ausserdem bezweckt die in § 23a Satz 1 ÜStG enthaltene Strafnorm selbst nicht direkt den Schutz des Publikums vor unzumutbaren Belästigungen. Dieser im öffentlichen Interesse liegende Schutz wird nur mit der in Satz 2 normierten Wegweisungsbefugnis der Polizei erreicht. Die Beschwerdeführer kritisieren, die Wegweisungskompetenz der Polizei verletze die
BGE 125 I 369 S. 387
Gewaltentrennung und gegen Wegweisungen bestünde kein Rechtsbehelf. Da es aber die Aufgabe der Polizei ist, Polizeigüter zu schützen und bei widerrechtlichem Verhalten auf der Allmend einzuschreiten, muss sie auch vorfrageweise und vorläufig entscheiden können, ob Polizeigüter verletzt oder gefährdet sind und ob das betreffende Verhalten widerrechtlich ist. Das liegt im Wesen polizeilicher Aufgaben, in deren ordnungsgemässer Erfüllung keine Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu erblicken ist.
dd) Schliesslich bringen die Beschwerdeführer vor, die Kompetenz der Polizei einzugreifen, wenn Passantinnen und Passanten «in unzumutbarer Weise belästigt werden», sei zu unbestimmt. Bei diesem Anwendungsfall der Ermächtigung handelt es sich um eine Konkretisierung der polizeilichen Generalklausel, nach der es Aufgabe der Polizei ist, Einzelpersonen auf der Allmend vor unzumutbaren Belästigungen zu schützen. Die Einschränkung, dass die Polizei nicht bei jeder Belästigung, sondern nur bei solchen, die als unzumutbar zu qualifizieren sind, eingreifen darf, stellt sicher, dass ein objektiver Massstab angewandt wird. Es kann nicht allein auf das subjektive Empfinden der Belästigten ankommen, auch wenn es sich um das Empfinden einer Mehrheit des Publikums handeln sollte. Die blosse Tatsache, dass Personen es als lästig empfinden, auf der Allmend angesprochen zu werden, um sie von einer Sache zu überzeugen, darf nicht als Belästigung ausgelegt werden, unabhängig davon, wie unbeliebt diese Sache in der Öffentlichkeit ist. Die negative Religionsfreiheit schützt das Publikum nicht vor der Konfrontation mit religiösen Überzeugungen anderer (
BGE 118 Ia 46
E. 4c S. 56 f.; Peter Karlen, Umstrittene Religionsfreiheit, ZSR 1997 Band 1 S. 197). In der Öffentlichkeit darf jeder Mensch zumindest im Schutzbereich der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der politischen Rechte auch unbeliebte Meinungen äussern. Die angesprochenen Personen haben aber das Recht, diese Meinungen abzulehnen oder gar nicht auf sie einzutreten. Sobald ein Passant oder eine Passantin dies kundtut - aber auch erst dann -, hat der Anwerbende auf weitere Anwerbebemühungen zu verzichten. Wird diese Grenze überschritten, dann stellt das Anwerben eine unzumutbare Belästigung dar. Aus der negativen Religionsfreiheit der Passanten ergibt sich, dass der Staat gegen ein solches übermässiges Missionieren einschreiten darf.
c) § 23a ÜStG entspricht somit einem überwiegenden öffentlichen Interesse und er sieht angesichts seiner Formulierung und der Grundrechte Dritter einen verhältnismässigen Eingriff in die Grund-rechte der Anwerbenden vor.
BGE 125 I 369 S. 388
9.
a) Zusammenfassend ergibt sich, dass die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die angefochtene Norm kann im Hinblick auf die Beschwerdeführer und ihre Rügen verfassungsmässig ausgelegt werden und sie verunmöglicht nur besonders unerwünschte Formen des Anwerbens. Die Tatsache, dass gewisse Elemente der Bestimmung auch verfassungswidrig ausgelegt werden könnten und dass es insbesondere für die Polizei nicht leicht sein wird, den zweiten Satz in der Praxis anzuwenden und zu erkennen, wann ein Anwerben täuschend oder unlauter ist, kann nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen. Falls bei der konkreten Anwendung des § 23a ÜStG verfassungsmässige Rechte verletzt werden sollten, könnten sich die Beschwerdeführer wiederum mit Rechtsmitteln dagegen zur Wehr setzen. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0d6a447-5386-4233-9267-b134effa4ae0 | Urteilskopf
93 II 1
1. Arrêt de la IIe Cour civile du 23 février 1967 dans la cause X. contre X. | Regeste
Eheschutzmassnahmen. Örtliche Zuständigkeit.
1. Zum Erlass von Eheschutzmassnahmen ist der Richter am Wohnsitze des Gesuchstellers zuständig (Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. 2).
2. Zur Aufhebung oder Abänderung von Eheschutzmassnahmen, die auf Gesuch des andern Ehegatten angeordnet wurden, ist der Richter am Wohnsitze der Partei zuständig, gegen welche das Aufhebungs- oder Abänderungsgesuch sich richtet. Was gilt, wenn der Ehegatte, der die Massnahmen erwirkt hat, selber ihre Abänderung oder Aufhebung verlangt? Frage offen gelassen (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 93 II 1 S. 1
A.-
X. et Y. se sont mariés à La Chaux-de-Fonds le 29 avril 1936. Ils ont eu leur dernier domicile conjugal au Locle. Le 9 avril 1958, l'épouse a requis des mesures protectrices de l'union conjugale. Par ordonnance du 28 avril 1958, le Président
BGE 93 II 1 S. 2
du Tribunal civil du district du Locle a autorisé la requérante "à se créer un domicile séparé au domicile conjugal". Il a intimé au mari l'ordre de quitter ce domicile dans un délai de dix jours et l'a condamné à verser à sa femme une pension mensuelle de 350 fr. L'ordonnance était fondée sur la liaison adultère que le mari reconnaissait entretenir avec une dame V., à Genève. La validité des mesures ordonnées était limitée à dix mois.
Par la suite, le Président du Tribunal civil du district du Locle a rendu de nouvelles ordonnances maintenant l'autorisation accordée à l'épouse d'avoir un domicile séparé et fixant la pension due par le mari. Les deux derniers prononcés portent les dates du 2 février 1961 et du 28 juin 1966. Ils sont motivés, comme les précédents, par la liaison adultère du mari.
Dame X. est demeurée au Locle, tandis que son mari a quitté cette ville; en août 1966, il était établi à La Sagne, dans le district de La Chaux-de-Fonds.
B.-
Le 18 août 1966, X. a requis le Président du Tribunal civil du district du Locle de révoquer l'ordonnance de mesures protectrices du 28 avril 1958 et les décisions complémentaires, jusques et y compris celle du 28 juin 1966. Il alléguait qu'il avait rompu sa liaison adultère et qu'il attendait une réponse convenable de sa femme pour reprendre la vie commune.
Dans sa détermination du 3 octobre 1966, dame X. a contesté la compétence du magistrat saisi, en relevant que le requérant, bien que domicilié à La Chaux-de-Fonds, prétendait l'être à La Sagne, dans le district de La Chaux-de-Fonds.
A l'audience du 4 octobre 1966, le mari a confirmé sa requête. L'épouse a conclu principalement à l'incompétence du Tribunal du Locle et subsidiairement au rejet de la requête.
Par ordonnance du 7 octobre 1966, le Président du Tribunal civil du district du Locle a rejeté l'exception d'incompétence soulevée par l'épouse, admis la requête du mari et révoqué l'ordonnance du 28 avril 1958, ainsi que les décisions complémentaires. Se référant à la jurisprudence du Tribunal supérieur d'Argovie (RSJ 38, 1941-1942, no 129 p. 283), il a estimé que le juge du domicile de la partie intimée était compétent pour statuer sur une requête en modification ou en révocation d'une ordonnance de mesures protectrices de l'union conjugale, en invoquant par analogie la règle jurisprudentielle sur le for de l'action en modification du jugement de divorce visée aux art. 153 et 157 CC. Il a estimé que cette norme de compétence
BGE 93 II 1 S. 3
à raison du lieu était propre à "éviter que l'époux coupable, renvoyé du domicile conjugal, puisse obliger son conjoint à plaider à l'autre bout de la Suisse où il pourrait, sans ménage, se constituer facilement un domicile".
C.-
Dame X. a formé un recours en cassation. Par arrêt du 13 décembre 1966, la Cour de cassation civile du canton de Neuchâtel a déclaré ce recours irrecevable quant au grief d'incompétence à raison du lieu et l'a rejeté pour le surplus.
D.-
Agissant par la voie du recours en nullité fondé sur l'art. 68 al. 1 lettre b OJ, dame X. requiert le Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance présidentielle du 7 octobre 1966. Elle estime que le juge compétent pour statuer sur une requête de mesures protectrices de l'union conjugale est celui du domicile de l'époux requérant, même s'il s'agit de modifier ou de révoquer un prononcé antérieur. Elle critique l'argumentation du président en relevant qu'en l'espèce, le Tribunal de La Chauxde-Fonds n'est distant du Locle que de 8 kilomètres et qu'on ne saurait lui opposer l'inconvénient prétendu de plaider à l'autre extrémité de la Suisse.
L'intimé conclut au rejet du recours.
Le Président du Tribunal du Locle n'a formulé aucune observation.
Erwägungen
Considérant en droit:
A.- (Recevabilité du recours en nullité au regard de l'art. 68 al. 1 lettre b OJ).
2.
Le Code civil ne désigne pas l'autorité compétente à raison du lieu pour ordonner des mesures protectrices de l'union conjugale en vertu des art. 169 ss. La jurisprudence considère que le législateur fédéral n'a pas voulu abandonner la détermination du for au droit cantonal. Elle estime que la loi présente à cet égard une lacune que le juge doit combler conformément à l'art. 1er CC. S'inspirant de l'art. 144 CC qui déclare le juge du domicile de la partie demanderesse compétent pour connaître d'une demande en divorce ou en séparation de corps, le Tribunal fédéral a jugé que le magistrat compétent pour ordonner des mesures protectrices de l'union conjugale est celui du domicile de la partie requérante (RO 86 II 305 s., consid. 1, et références citées). Il s'agit d'une règle fédérale qui détermine le for non seulement dans les rapports intercantonaux, mais aussi à l'intérieur de chaque canton (LEMP, n. 11 ad art. 169 CC). La recourante estime que la norme jurisprudentielle s'applique
BGE 93 II 1 S. 4
également lorsque la requête tend à faire modifier ou supprimer les mesures protectrices ordonnées précédemment.
3.
Selon l'art. 172 CC, les mesures prescrites par le juge en vertu des
art. 169 à 171
CC sont rapportées, à la demande de l'un des époux, lorsque les circonstances qui les ont déterminées n'existent plus. La loi ne précise pas quel est le juge compétent à raison du lieu pour révoquer une ordonnance antérieure. Elle présente une lacune qu'il appartient à la jurisprudence de combler. Le Tribunal fédéral a certes laissé entendre que les mesures prises en vertu des art. 169 et 170 al. 1 CC seront, le cas échéant, rapportées à la demande d'un des époux "par le juge qui les a ordonnées" (RO 42 I 97). Mais il n'avait pas à trancher la question dans l'espèce qui lui était soumise.
La doctrine et la jurisprudence des tribunaux cantonaux n'ont pas encore dégagé une règle uniforme. Assurément, il paraît logique, au premier abord, de laisser au juge qui a ordonné les mesures en question le soin de les modifier ou de les supprimer (J. STREBEL, Zum Gerichtsstand im Eheschutz- und Ehescheidungsverfahren, Mélanges François Guisan, Lausanne 1950, p. 57 ou tirage à part, p. 17). Toutefois, cette solution présente des inconvénients lorsque les époux ont changé de domicile entre-temps (LEMP, n. 12 ad art. 172 CC). Certains auteurs et une juridiction cantonale s'en tiennent à la compétence du juge du domicile de l'époux qui requiert la modification (Juge d'appel du canton de St-Gall, 1er juillet 1948, Entscheidungen des Kantonsgerichtes St. Gallen, 1948, no 41 p. 76; A. M. SCHLATTER, Der Schutz der ehelichen Gemeinschaft, thèse Zurich 1920, p. 108; H. R. LEUENBERGER, Der Schutz der ehelichen Gemeinschaft, thèse Berne 1944, p. 188). D'autres se réfèrent à la jurisprudence qui déclare le juge du domicile de la partie défenderesse compétent pour connaître de l'action en modification du jugement de divorce fondée sur les art. 153 et 157 CC (RO 46 II 335 ss., 51 II 109, 61 II 226, 63 II 70, 81 II 315 s., consid. 2, 89 II 14). Appliquant cette règle par analogie, ils estiment que la requête en modification ou en suppression des mesures protectrices de l'union conjugale prises en vertu des art. 169 ss. CC doit être portée devant le juge du domicile de l'époux intimé (Tribunal supérieur du canton d'Argovie, 18 avril 1941, Vierteljahresschrift für aargauische Rechtsprechung, vol. 41, 1941, no 2 p. 4 ss. ou RSJ 38, 1941/1942, no 129, p. 283; Président du Tribunal supérieur d'Appenzell Rhodes
BGE 93 II 1 S. 5
Extérieures, 12 janvier 1961, Rechenschaftsbericht 1960/1961, p. 59 s. ou RSJ 59, 1963, no 107, p. 205; LEMP, n. 12 ad art. 172 CC; cf. aussi R. DES GOUTTES, La procédure des mesures protectrices de l'union conjugale, Semaine judiciaire 1955, p. 143, note 48, qui rapporte l'opinion du commentateur précité, sans formuler aucune critique). Il faut donner la préférence à cette dernière solution.
Contrairement aux allégations de la recourante, la requête fondée sur l'art. 172 CC ne tend pas à obtenir de nouvelles mesures protectrices de l'union conjugale. Elle ne vise qu'à faire rapporter les mesures ordonnées antérieurement parce que les circonstances qui les rendaient nécessaires n'existent plus. Comme le relève LEMP (loc. cit.), c'est l'époux qui a obtenu des mesures protectrices de l'union conjugale en raison de la violation, par son conjoint, des devoirs découlant du mariage qui est lésé - au moins virtuellement - par une requête en modification ou en suppression de ces mesures. L'époux ainsi exposé à un préjudice ne saurait être contraint d'aller défendre sa cause devant le juge du domicile de l'autre conjoint. Il sera mieux protégé, en règle générale, s'il peut plaider au for de son propre domicile. On s'en tiendra donc au principe général de la procédure civile selon lequel le demandeur doit saisir le juge du domicile du défendeur.
Point n'est besoin de décider si l'époux qui requiert le juge de rapporter des mesures protectrices de l'union conjugale ordonnées à sa demande pourrait agir au for de son propre domicile, comme le propose LEMP (n. 12 in fine ad art. 172 CC). En effet, l'intimé sollicite en l'espèce la suppression de mesures qui avaient été requises par la recourante. Le juge du domicile de l'épouse était dès lors compétent pour statuer sur la demande de révocation formée par le mari.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0d90298-3e02-44ef-abc1-b39c77c00c94 | Urteilskopf
125 II 508
51. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1999 i.S. Heer AG und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde Reinach, Regierungsrat sowie Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 31b USG
,
Art. 12 TVA
; Monopol des Gemeinwesens zur Entsorgung von Siedlungsabfall.
Anwendbarkeit neuer umweltschutzrechtlicher Bestimmungen in hängigen Verfahren (E. 3b).
Begriff des Siedlungsabfalls: Vermischte Abfälle unterstehen unabhängig von ihrer Menge dem Entsorgungsmonopol des Gemeinwesens (E. 6). Die Zusammensetzung des Abfalls spricht im vorliegenden Fall nicht gegen die Annahme, es handle sich um Siedlungsabfall (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 509
BGE 125 II 508 S. 509
Mit gleichlautenden Verfügungen vom 3. Mai 1994 verpflichtete der Gemeinderat Reinach die Heer AG sowie weitere Gewerbebetriebe in Reinach, ihre vermischten Abfälle ab 1. August 1994 durch das von der Gemeinde beauftragte Entsorgungsunternehmen abführen zu lassen und die dafür vorgesehenen Gebühren zu entrichten.
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft wies eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde der Verfügungsadressaten am 19. Dezember 1995 ab.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft führte am 18. Februar 1998 eine Parteiverhandlung durch und wies anschliessend die gegen den Regierungsratsentscheid erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
Die Verfügungsadressaten haben gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben. Sie beantragen, das Verwaltungsgerichtsurteil vom 18. Februar 1998 sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht können die Verletzung von Bundesrecht - einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens - und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (
Art. 104 lit. a und b OG
). Zum Bundesrecht im Sinne von
Art. 104 lit. a OG
ist auch das Bundesverfassungsrecht zu zählen (
BGE 121 II 39
E. 2d/bb S. 47 mit Hinweisen). Hat allerdings - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden, ist das Bundesgericht an den festgestellten Sachverhalt gebunden, es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden (
Art. 105 Abs. 2 OG
).
b) Während der Hängigkeit der Beschwerde vor dem kantonalen Verwaltungsgericht ist am 1. Juli 1997 die Revision des Umweltschutzgesetzes des Bundes vom 21. Dezember 1995 in Kraft getreten (AS 1997 1155, 1174; BBl 1993 II 1445). Dabei sind insbesondere die Vorschriften über das Abfallrecht einer weitreichenden Überarbeitung unterzogen worden. Diese Vorschriften sind um der öffentlichen Ordnung willen bzw. zur Durchsetzung der erheblichen öffentlichen Interessen an einem wirksamen Schutz der Umwelt
BGE 125 II 508 S. 510
sofort, d.h. auch in hängigen Verfahren, anwendbar (
BGE 123 II 359
E. 3;
BGE 112 Ib 39
E. 1c, je mit Hinweisen). Die vorliegende Situation lässt sich mit dem Fall Neuenhof (Urteil des Bundesgerichts vom 31. Oktober 1997, zusammengefasst in URP 1998 61) nicht vergleichen. Dort war die staatsrechtliche Beschwerde gegen eine Bussenverfügung zu beurteilen. Dies hatte gemäss der Rechtslage im Zeitpunkt des letzten kantonalen Entscheids zu geschehen (
BGE 120 Ia 126
E. 3b), in welchem die USG-Revision vom 21. Dezember 1995 noch nicht in Kraft stand. Im Übrigen hat schon das Verwaltungsgericht die USG-Revision in seinem hier angefochtenen Entscheid mitberücksichtigt, wobei es der Auffassung war, die Revision habe keine wesentliche Änderung der Rechtslage bewirkt.
4.
Das Verwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, die Beschwerdeführer hätten über ihren Transporteur nicht nur betriebsspezifischen Abfall, sondern auch Kehrichtsäcke, Waschmittelpackungen, Büroabfälle, Alugetränkedosen, Speiseölflaschen, Verpflegungsreste usw. entsorgt. Die Beschwerdeführer bezeichnen diese Feststellung als aktenwidrig und beanstanden eine Verletzung des Willkürverbots sowie ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Diese Rügen sind unbegründet.
Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts stützen sich auf Erhebungen der Abteilung Tiefbau/Entsorgung/Naturschutz der Bauverwaltung Reinach, die im März, im Juni, im August und im September 1994 vorgenommen wurden. Jedenfalls die Erhebung vom März stammt aus der Zeit vor dem Erlass der kommunalen Verfügung, die dem vorliegenden Verfahren zu Grunde liegt. Um ihren Zweck zu erfüllen, waren diese Erhebungen unangemeldet durchzuführen und genügte es für die Gewährung des rechtlichen Gehörs, dass die Beschwerdeführer nachträglich zum Beweisergebnis Stellung nehmen konnten (
BGE 113 Ia 81
E. 3a mit Hinweis), wie dies geschehen ist. Anlässlich der Kontrollen wurden Protokollnotizen erstellt, welche datiert, aber nicht unterzeichnet sind. Die Gemeinde Reinach hat indessen bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in welchem die Beschwerdeführer erstmals Einwände gegen die Protokollnotizen erhoben, den Verfasser derselben bezeichnet und seine Befragung angeboten. Es kann daher entgegen der Behauptung der Beschwerdeführer keine Rede davon sein, dass «keine diesbezüglichen Zeugenaussagen» erhältlich zu machen gewesen wären.
Die von den Beschwerdeführern erwähnten Abfalldeklarationsformulare stellen kein Beweismittel dar, welches die auf das Jahr
BGE 125 II 508 S. 511
1994 bezogenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts als offensichtlich unzutreffend erscheinen lassen. Sie können, nachdem sie erst im Verlaufe des Jahres 1996 für die damals vorgenommene Entsorgung erstellt wurden, von vornherein keinen Beweis für die Situation im Jahr 1994 erbringen. Ausserdem müssen sie zumindest so lange als reine Parteibehauptungen qualifiziert werden, als sie nicht behördlich abgenommen worden sind. Entsprechende Bestätigungen haben die Beschwerdeführer indessen nicht ins Recht gelegt.
Es spielt deshalb auch keine Rolle, ob die Beschwerdeführer keine Veranlassung hatten, schon vor 1996 eine Abfalldeklaration zu erstellen. Soweit sie darlegen, sie hätten keine entsprechende Möglichkeit gehabt, ist ihr Einwand offenkundig verfehlt. Die Möglichkeit der Abfalldeklaration wurde bereits mit dem Inkrafttreten von § 24 des Kantonalen Umweltschutzgesetzes am 1. Januar 1992 (USG/BL) geschaffen.
5.
a) Die Art. 31b und 31c des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG; SR 814.01) regeln die Verantwortung für die Abfallentsorgung. Gemäss
Art. 31b Abs. 1 USG
ist es Aufgabe der Kantone, Siedlungsabfälle, Abfälle aus dem öffentlichen Strassenunterhalt und der öffentlichen Abwasserreinigung sowie Abfälle, deren Inhaber nicht ermittelt werden kann oder zahlungsunfähig ist, zu entsorgen. Die Kantone können diesen Entsorgungsauftrag an die Gemeinden delegieren (
BGE 123 II 359
E. 5a S. 367). Der Kanton Basel-Landschaft hat von dieser Möglichkeit insofern Gebrauch gemacht, als gemäss
§ 21 Abs. 1 USG
/BL die Sammlung der Siedlungsabfälle Aufgabe der Gemeinden ist, während der Kanton für deren Beseitigung sorgt (
§ 22 Abs. 1 USG
/BL). Die Entsorgung aller anderen Abfälle obliegt gemäss
Art. 31c Abs. 1 USG
deren Inhaber. Dieser kann Dritte mit der Entsorgung beauftragen.
b)
Art. 31b Abs. 2 USG
verpflichtet die Kantone, für die genannten Abfälle Einzugsgebiete festzulegen, und Abs. 3 dieser Bestimmung hält fest, dass der Abfallinhaber die Abfälle den von den Kantonen vorgesehenen Sammlungen oder Sammelstellen übergeben muss. Damit wird - wie schon nach
Art. 31 Abs. 2 USG
in der alten Fassung - für die in
Art. 31b Abs. 1 USG
genannten Abfälle ein kantonales Entsorgungsmonopol statuiert, was mit der Handels- und Gewerbefreiheit vereinbar ist (
BGE 123 II 359
E. 5b S. 368; Urteil des Bundesgerichts vom 31. Oktober 1997, Gemeinde Neuenhof, zusammengefasst in URP 1998 61, E. 3). Das anerkennen
BGE 125 II 508 S. 512
inzwischen auch die Beschwerdeführer. Hingegen übersehen sie, dass dieses Monopol, wie in der zitierten Rechtsprechung dargelegt wird, schon von Bundesrechts wegen besteht und daher keiner besonderen kantonalrechtlichen Grundlage mehr bedarf.
Gemäss
§ 36 Abs. 1 KV/BL
mit dem Titel «Übertragung von Befugnissen» darf der Gesetzgeber die Befugnis zum Erlass grundlegender und wichtiger Bestimmungen nicht auf andere Organe übertragen. Diese Bestimmung betrifft die Aufgaben- bzw. Gewaltenteilung innerhalb des Kantons. Nachdem das kantonale Monopol für die Entsorgung von Siedlungsabfällen schon von Bundesrechts wegen besteht und diese Aufgabe (sowie das damit verbundene Monopol), soweit es die Sammlung der Abfälle betrifft, in einem formellen Gesetz auf die Gemeinden übertragen wurde, können die Beschwerdeführer aus
§ 36 KV/BL
nichts für sich ableiten. Ihre Rüge, der angefochtene Entscheid missachte diese Verfassungsbestimmung, ist offensichtlich unbegründet.
6.
Die Beschwerdeführer bringen vor, bei ihren Abfällen handle es sich um gewerblichen Abfall, für dessen Entsorgung sie selbst zuständig seien. Sie vertreten insbesondere die Auffassung, ihre Abfälle könnten aus quantitativen Gründen nicht als Siedlungsabfälle bezeichnet werden.
a) Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 25. Juni 1998 (auszugsweise publiziert in URP 1998 522) in Erw. 5c festgestellt, dass es sich beim Begriff der Siedlungsabfälle um einen bundesrechtlichen Begriff handelt. Die Beschwerdeführer können daher aus dem kantonalen Umweltschutzgesetz nichts für die Unterscheidung von Siedlungsabfällen und Abfällen aus Industrie und Gewerbe ableiten.
b) Das Umweltschutzgesetz und die zugehörigen Verordnungsbestimmungen (vgl. insbesondere die Technische Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 [TVA; SR 814.600]) verwenden einen allgemeinen Abfallbegriff (vgl.
Art. 7 Abs. 6 USG
) sowie verschiedene Unterbegriffe wie «Siedlungsabfälle», «Bauabfälle», «Sonderabfälle», deren Abgrenzung nicht restlos klar erscheint (HERIBERT RAUSCH, Abfälle als Gegenstand der Umweltschutzgesetzgebung, in URP 1999 S. 5 ff., S. 11 ff.). Insbesondere lässt sich feststellen, dass die Unterbegriffe nicht abschliessend Kategorien von unterschiedlichen Abfallarten bezeichnen, sondern dass Überschneidungen bestehen. So sind etwa Sonderabfälle gemäss
Art. 30f Abs. 1 USG
Abfälle, deren umweltverträgliche Entsorgung besondere Massnahmen erfordert (vgl. auch
Art. 3
BGE 125 II 508 S. 513
Abs. 2 TVA
). Das schliesst nicht aus, dass Sonderabfälle sowohl als Siedlungsabfälle im Sinne von
Art. 31b USG
wie auch als übrige Abfälle im Sinne von
Art. 31c USG
vorkommen (vgl.
Art. 8 TVA
).
Das Umweltschutzgesetz verwendet den Begriff der «Siedlungsabfälle» in den Art. 31b und 32e Abs. 3 lit. c, ohne ihn näher zu umschreiben. In
Art. 31b USG
wird der Begriff in Gegensatz zu den «übrigen Abfällen» gemäss
Art. 31c USG
gestellt. Er dient in diesem Zusammenhang dazu, die Verantwortung bzw. Zuständigkeit für die Abfallentsorgung zu bestimmen. Die Auslegung und die Abgrenzung der beiden Begriffe muss diese Funktion beachten. Anzustreben ist eine dem Sinn von
Art. 31b und 31c USG
entsprechende, zweckmässige und praktikable Aufteilung der Entsorgungs-Zuständigkeit und der damit verbundenen Belastungen.
c) Als Siedlungsabfälle gelten Abfälle, die aus Haushalten stammen, sowie andere Abfälle vergleichbarer Zusammensetzung, zum Beispiel aus Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben (Botschaft des Bundesrats vom 7. Juni 1993 zu einer Änderung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz in BBl 1993 II 1495; vgl.
Art. 3 Abs. 1 TVA
und Anhang 2 Ziff. 711 Abs. 2 der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 [LRV, SR 814.318.142.1]).
Nicht zum Siedlungsabfall zu zählen ist spezifischer Betriebsabfall, der nach seiner Zusammensetzung mit Haushaltkehricht nicht vergleichbar ist, wie z.B. Produktionsrückstände aus der Kunststoff- oder Metallverarbeitung oder Altholzabfälle des Baugewerbes. Im Einzelnen kann die Abgrenzung schwierig sein (zum Beispiel bei Papierabfällen, vgl. Botschaft zur Revision des USG, BBl 1993 II 1496). Bei vermischten Abfällen, wie sie hier zur Diskussion stehen, stellt sich die Frage, ob die Zusammensetzung jener von Haushaltabfällen vergleichbar sei oder nicht. Jedenfalls lässt sich kaum ohne weiteres annehmen, dass schlechthin alle vermischten Abfälle aus Industrie und Gewerbe Abfällen aus Haushalten allein schon deshalb vergleichbar seien, weil sie vermischt sind.
d) Während der Bundesrat in seiner Botschaft zu einem Bundesgesetz über dem Umweltschutz vom 31. Oktober 1979 (BBl 1979 III 749, 809) unter Siedlungsabfällen offenbar vorwiegend die Abfälle der privaten Haushaltungen verstand, sollen Abfälle von Industrie- und Gewerbebetrieben gemäss der neueren Literatur dem Siedlungsabfall gleichgestellt sein, wenn sie diesem sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung als auch hinsichtlich der Menge vergleichbar sind (ANDREAS TRÖSCH, Das neue Abfallrecht, in: URP 1996 S. 467 ff., S. 475; derselbe, Kommentar USG, N. 8 f. zu Art. 31).
BGE 125 II 508 S. 514
Im Urteil vom 25. Juni 1998 (URP 1998 520) hat das Bundesgericht die Frage aufgeworfen, ob am Mengenkriterium festzuhalten sei. Es hat darin in E. 5d/cc ausgeführt,
Art. 31b USG
wolle den Kantonen eine zweckmässige Planung und Organisation der Entsorgung ermöglichen und ökologisch problematische Partikularlösungen verhindern. Daher liege es nahe, jedenfalls gemischte Betriebsabfälle, welche nach ihrer Zusammensetzung den Abfällen aus den Haushalten entsprechen, generell durch die öffentliche Hand entsorgen zu lassen. Sowohl die hohen technischen, logistischen und finanziellen Anforderungen an den Betrieb einer umweltgerechten Kehrichtverbrennung wie auch die Tatsache, dass die Kantone bzw. Gemeinden ohnehin verpflichtet seien, entsprechende Anlagen zu betreiben, sprächen für diese Auslegung.
Das BUWAL gelangt in seiner Stellungnahme zur vorliegenden Beschwerde ebenfalls zum Schluss, dass Abfälle aus Industrie und Gewerbe, die von ihrer Zusammensetzung her mit Abfällen aus Haushalten vergleichbar seien, als Siedlungsabfall zu betrachten seien. Hinsichtlich der Frage, ob sie deshalb dem Entsorgungsmonopol des Gemeinwesens unterstehen, unterscheidet das BUWAL zwischen vermischten und sortenreinen Abfällen. Die vermischten Abfälle seien mengenunabhängig dem Entsorgungsmonopol zu unterstellen. Hingegen könne eine Entsorgungspflicht für grosse Mengen sortenreiner Abfälle die Gemeinwesen vor logistische und finanzielle Probleme stellen. Allerdings liege die Entsorgungspflicht für Abfälle, welche nach besonderen Vorschriften des Bundes vom Inhaber verwertet oder von Dritten zurückgenommen werden müssten, beim Inhaber (Art. 31b Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit
Art. 31c Abs. 1 USG
). Hier gelte das Entsorgungsmonopol der Kantone daher nicht. Eine besondere Vorschrift des Bundes im Sinne von
Art. 31b Abs. 1 Satz 2 USG
erblickt das BUWAL in
Art. 12 TVA
. Gemäss
Art. 12 Abs. 3 TVA
kann die Behörde von Inhabern von Abfällen verlangen, dass sie für die Verwertung bestimmter Abfälle sorgen, wenn die Verwertung technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist (lit. a) und die Umwelt dadurch weniger belastet wird als durch die Beseitigung und Neuproduktion (lit. b).
e) Diesen Ausführungen halten die Beschwerdeführer nichts Überzeugendes entgegen. Namentlich wird durch die beschriebene Lösung nicht ausgeschlossen, dass Betriebe, die grosse Mengen sortenreiner oder leicht sortierbarer Abfälle erzeugen, diese separat entsorgen. Inwiefern es dem Sinn des USG widersprechen sollte, dass
BGE 125 II 508 S. 515
die SBB oder andere Produzenten grösserer Mengen vermischter Abfälle, die ihrer Zusammensetzung nach mit Haushaltabfällen vergleichbar sind, diese über die kantonalen bzw. kommunalen Infrastrukturen entsorgen, machen die Beschwerdeführer nicht deutlich. Im Weiteren versteht es sich, dass die Kantone und Gemeinden, welche das Entsorgungsmonopol beanspruchen, zweckmässige, den gerechtfertigten Bedürfnissen der Abfalllieferanten entsprechende Entsorgungslösungen anzubieten haben. Andererseits können die Abfallinhaber nicht davon ausgehen, dass ihnen in jedem Fall die ihnen bequemste Lösung anzubieten sei. Vielmehr haben sie ihren Beitrag zur Vermeidung, Verminderung und sachgerechten Entsorgung zu leisten (vgl.
Art. 30 USG
,
Art. 6 und 12 TVA
;
§
§ 20 und 24 USG
/BL).
Es ergibt sich somit, dass Abfälle aus Industrie und Gewerbe, die von ihrer Zusammensetzung her mit Abfällen aus Haushalten vergleichbar sind, grundsätzlich unabhängig von der Menge als Siedlungsabfall zu gelten haben. Sofern diese Abfälle unsortiert und damit vermischt anfallen, sind sie entsprechend
Art. 31b Abs. 1 Satz 1 USG
von den Kantonen zu entsorgen, die dafür das Entsorgungsmonopol beanspruchen können.
Soweit diese Abfälle sortenrein bereitgestellt werden können (z.B. als Glas, Karton, Altpapier etc.), besteht in
Art. 12 Abs. 3 TVA
eine Vorschrift des Bundes, welche es den Kantonen ermöglicht, die Entsorgungspflicht entsprechend
Art. 31b Abs. 1 Satz 2 USG
auf die Inhaber zu übertragen. Umgekehrt können die Abfallinhaber in solchen Fällen das Recht beanspruchen, diese Abfälle in Eigenverantwortung zu entsorgen. Die Kantone haben in diesen Fällen in pflichtgemässer Anwendung von
Art. 31b Abs. 1 Satz 2 USG
und
Art. 12 Abs. 3 TVA
die Entsorgung durch Dritte zu gestatten.
Diese Lösung hat zur Folge, dass gleichartige Abfälle im einen Betrieb als gemischter Abfall und damit als Siedlungsabfall entsorgt werden müssen, während sie in einem anderen Betrieb mit einer besseren internen Abfallsortierung unter eigener Verantwortung als sortenreiner Abfall entsorgt werden können, sofern dies für den Betrieb vorteilhaft erscheint. Diese Folge ist hinzunehmen, umso mehr als sie dem Grundgedanken entspricht, die Abfalltrennung an der Quelle und die Verwertung von Abfällen zu fördern (
Art. 30 Abs. 1 USG
).
f) Kommt nach dem Gesagten dem Mengenaspekt für die Qualifikation der Abfälle der Beschwerdeführer als Siedlungsabfall grundsätzlich kein Gewicht zu, erübrigt es sich, auf ihre Ausführungen hinsichtlich der erzeugten Abfallmengen und den
BGE 125 II 508 S. 516
Vergleich mit der durchschnittlichen Abfallmenge eines einzelnen Haushalts einzugehen.
7.
Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, ihre Abfälle dürften auch von der Zusammensetzung her nicht den Siedlungsabfällen gleichgestellt werden.
a) Sie führen in qualitativer Hinsicht aus, ihr Abfall bestehe aus Verpackungsmaterial wie Papier und Karton, aus Holz, aus Kabeln und Schläuchen (von reparierten Maschinen) sowie aus Plastik (Heer AG); aus Teppichresten, Parkett- und Sockelleisten sowie Bodenbelägen (Tewoba Service AG); aus Dämmplatten, Kunststoff-Folien und Verpackungskarton (Spaini Bau AG); aus verschmutztem Papier und Abdeckmaterial sowie Altholz, Möbeln und Teppichresten (Markus Brodmann); schliesslich aus Holzabfällen, Wischgut und Verpackungsmaterial (Ernst Messerli). Wie das Verwaltungsgericht willkürfrei festgestellt hat, wurden diese Abfälle vermischt mit Abfällen wie Getränkedosen, Speiseresten, aber auch ganzen Abfallsäcken und weiteren Haushaltabfällen entsorgt.
Wären allein die Abfälle der Spaini Bau AG (ohne Beigabe von eigentlichem Hauskehricht) zu beurteilen, könnte sich ernsthaft die Frage stellen, ob dieser Abfall nicht als Bauabfall im Sinne von
Art. 9 TVA
zu qualifizieren wäre. Indessen haben die Beschwerdeführer eine gemeinsame Beschwerde eingereicht und machen ausdrücklich geltend, insgesamt rechtswidrig behandelt worden zu sein. Es ist bei dieser prozessualen Situation nicht Sache des Bundesgerichts, Differenzierungen vorzunehmen, auf welche die Beschwerdeführer bewusst verzichtet haben. Überdies kann auch die Spaini Bau AG nicht geltend machen, ihre Bauabfälle ohne Vermischung mit eigentlichem Hauskehricht entsorgt zu haben.
Selbst wenn mit den Beschwerdeführern davon ausgegangen würde, dass die soeben aufgeführten betriebsspezifischen Abfälle den Hauptanteil ihres gesamten Abfalls ausmachen, so kann nicht gesagt werden, die Qualifikation als Abfall, der dem Haushaltabfall vergleichbar sei, sei unzutreffend. Die erwähnten Abfälle kommen wohl im durchschnittlichen Hauskehricht kaum oder nur in geringen Mengen vor. Hingegen stellen sie weitgehend durchaus typische Bestandteile einer Sperrgutabfuhr dar. Statistisch gesehen machen Papier 21%, Kunststoffe 14%, Karton 7%, Mineralien 6%, Verbundverpackungen und Textilien je 3% der Siedlungsabfälle aus (BUWAL, Abfallstatistik 1996, Umweltmaterialien Nr. 90, Bern 1998, S. 143).
BGE 125 II 508 S. 517
Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb es dem gesunden Menschenverstand widersprechen sollte, den nach Meinung der Beschwerdeführer quantitativ vernachlässigbaren Anteil an Siedlungsabfall, dessen Entsorgung sie allerdings einräumen, separat zu sammeln. Gerade wenn es zutreffen sollte, dass der eigentliche gewerbliche Abfall den Hauptanteil ausmacht, sollte es nach der Lebenserfahrung möglich sein, diesen separat vom Haushaltabfall zu sammeln und der Wiederverwertung zuzuführen.
b) Wie bereits vom Verwaltungsgericht sowie vorne (E. 4) festgestellt wurde, kommt es für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens auf den Inhalt der Abfalldeklarationen der Beschwerdeführer von 1996 nicht entscheidend an. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Spaini Bau AG und Markus Brodmann eine Abfalldeklaration eingereicht haben, und ob den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang ein Schreiben des kantonalen Amtes für Umweltschutz zur Kenntnis gebracht wurde. Immerhin sei angemerkt, dass das Protokoll des Verwaltungsgerichts die Entgegennahme eines solchen Schriftstücks in Anwesenheit des Vertreters der Beschwerdeführer vermerkt. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0d9dfba-d017-4f96-9276-00ba85ea1e3e | Urteilskopf
106 Ia 241
46. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Mai 1980 i.S. Baukonsortium Giessen und Mitbeteiligte gegen Gemeinde Andermatt und Regierungsrat des Kantons Uri (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; Kanalisationsanschlussgebühr.
1. Allgemeine Grundsätze der Gebührenerhebung (E. 3b).
2. Es verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
, für Neubauten höhere Kanalisationsanschlussgebühren vorzusehen als für Altbauten (E. 4a-c).
3. Inwieweit darf bei der Bemessung der Kanalisationsanschlussgebühren auf den steueramtlichen Liegenschaftsschatzungswert abgestellt werden (E. 4d)? | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 106 Ia 241 S. 241
Meinrad Camenzind und Anton Zgraggen errichteten in den Jahren 1973-1975 unter der Bezeichnung Baukonsortium Giessen ein Mehrfamilienhaus in Andermatt. Das Haus ist 7stöckig; im 2. Untergeschoss befinden sich 18 Autoabstellplätze und ein kleiner Lagerraum, im 1. Untergeschoss 9 Autoabstellplätze,
BGE 106 Ia 241 S. 242
ein Heiz- und ein Tankraum, die Waschküche sowie ein Schutzraum. Im Erdgeschoss und in den 4 Obergeschossen sind 24 1-4 Zimmer Wohnungen eingerichtet. Der steueramtliche Schatzungswert der Liegenschaft beträgt Fr. 2'671'000.--. Anfangs 1976 stellte der Gemeinderat Andermatt den Bauherren Rechnung für die einmalige Kanalisationsanschlussgebühr im Betrag von Fr. 80'130.--. Das entspricht 3% des steueramtlichen Schatzungswerts der Liegenschaft. Ein Wiedererwägungsgesuch blieb ohne Erfolg. Mit Entscheid vom 31. Juli 1978 wies der Regierungsrat des Kantons Uri die gegen die Gebührenerhebung gerichtete Beschwerde ab.
Das Baukonsortium Giessen, Meinrad Camenzind und Anton Zgraggen erheben staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Uri sei aufzuheben. Gerügt wird eine Verletzung von
Art. 4 BV
, unter anderem mit der Begründung, für Neubauten würden doppelt so hohe Kanalisationsanschlussgebühren erhoben wie für Altbauten. Das verstosse gegen die Rechtsgleichheit, was umso mehr gelte, als Grundlage für die Gebührenbemessung der steueramtliche Schatzungswert sei, der bei Altbauten zumeist nicht den wahren Verhältnissen entspreche.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
b) Die Kanalisationsanschlussgebühr ist die einmalige Gegenleistung des Grundeigentümers dafür, dass er das Recht erhält, die Kanalisation für die Ableitung des Abwassers zu benutzen. Die Anschlussgebühr ist geschuldet, wenn der Anschluss an die Kanalisation erfolgt und deren Benutzung möglich ist. Der Nachweis der tatsächlichen Benutzung des Anschlusses durch den Grundeigentümer ist dagegen nicht erforderlich. Zur Deckung des Aufwandes für die Erstellung von Abwasserableitungs- und Reinigungsanlagen kann der kantonale oder kommunale Gesetzgeber auch die Erhebung von Kanalisationsbeiträgen (Vorzugslasten) vorsehen. Diese werden im Gegensatz zu den Gebühren bereits dann erhoben, wenn der betroffene Grundeigentümer die blosse Möglichkeit des Anschlusses an die Kanalisation besitzt. Ist die Anschlussmöglichkeit gegeben, so sind die entsprechenden Beiträge geschuldet, selbst wenn der Anschluss selber nicht erfolgt ist und die Kanalisation vom Grundeigentümer noch nicht benutzt
BGE 106 Ia 241 S. 243
werden kann (
BGE 92 I 454
E. 2; vgl. auch
BGE 102 Ia 72
, 402 E. 5 und 6;
101 Ia 195
E. 2). Die hier streitige Abgabe stellt eine Gebühr, genauer eine sogenannte Benutzungsgebühr, dar. Sie wird denn auch im Reglement der Gemeinde Andermatt als Kanalisationsanschlussgebühr bezeichnet. Diese Benennung ist freilich nicht entscheidend; massgebend ist vielmehr die konkrete Ausgestaltung der Abgabe, d.h. im vorliegenden Fall der Umstand, dass sie erst dann zu entrichten ist, wenn der Anschluss an die öffentliche Kanalisation erfolgt ist und deren Benutzung möglich ist. Dass das kantonale Gewässerschutzgesetz die Gemeinden zur Erhebung von "Beiträgen" ermächtigt, führt zu keinem anderen Schluss. Es handelt sich hierbei lediglich um eine ungenaue Ausdrucksweise, wie sie im Bereich der Kausalabgaben häufig vorkommt und welche die Erhebung von Gebühren nicht ausschliessen will (vgl. auch
BGE 92 I 455
).
Gebühren bedürfen einer Grundlage im formellen Gesetz, sofern es sich nicht um blosse Kanzleigebühren handelt. Inwieweit das formelle Gesetz selber die Grundsätze der Gebührenerhebung zu regeln hat, hängt nach der Rechtsprechung freilich von den Besonderheiten der in Frage stehenden Abgabe ab (vgl.
BGE 104 Ia 115
E. 3 und 4). Die Gebühren unterstehen sodann grundsätzlich dem Kostendeckungs- und dem aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit folgenden Äquivalenzprinzip. Nach dem Kostendeckungsprinzip soll der Gesamtertrag der Gebühren die Gesamtkosten des Gemeinwesens für den betreffenden Verwaltungszweig oder die betreffende Einrichtung nicht übersteigen. Das Kostendeckungsprinzip gilt nach der Rechtsprechung aber nicht uneingeschränkt. Der Überprüfung nach diesem Grundsatz entziehen sich namentlich gewisse Benutzungsgebühren (z.B. für die Sondernutzung des öffentlichen Grundes, vgl.
BGE 104 Ia 116
;
BGE 100 Ia 140
E. 6c; ferner IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. A., Bd. II, S. 779). Für Kanalisationsanschlussgebühren gilt eine derartige Einschränkung jedoch nicht, da diese Abgaben anders als Gebühren für die Benutzung des öffentlichen Grundes einen engen Bezug zu den Erstellungskosten einer öffentlichen Einrichtung haben und dazu bestimmt sind, diese Kosten auf die interessierten Grundeigentümer zu verteilen. Nach dem Äquivalenzprinzip soll die Höhe der einzelnen Gebühr in einem angemessenen Verhältnis zu der
BGE 106 Ia 241 S. 244
vom Gemeinwesen erbrachten Leistung stehen. Die Gebühr darf zum objektiven Wert der Leistung nicht in ein offensichtliches Missverhältnis geraten und muss sich in vernünftigen Grenzen bewegen. Der Gebührenerhebung sind durch das Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsgleichheit weitere Schranken gesetzt: Der Tarif muss nach sachlich haltbaren Gesichtspunkten ausgestaltet sein und darf keine Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist (
BGE 103 Ia 88
E. 5b). Wie das Bundesgericht wiederholt entschieden hat, ist es jedoch zulässig, bei der Abgabenerhebung nach schematischen, aufgrund der Durchschnittserfahrung aufgestellten Massstäben vorzugehen. Das gilt nicht nur für die Bemessung von Beiträgen (Vorzugslasten), wo eine genaue Schätzung des entstehenden Sondervorteils schwierig und oft gar unmöglich ist, sondern auch bei der Bemessung von Gebühren (
BGE 98 Ia 174
E. 4b;
BGE 94 I 278
;
BGE 93 I 114
;
BGE 74 I 225
; Urteil vom 1. März 1967 i.S. W.I. AG, in BJM 1967, S. 143). Erforderlich ist aber auch bei der Anwendung derartiger Massstäbe, dass sie nicht zu einem unhaltbaren, mit sachlichen Gründen schlechterdings nicht mehr vertretbaren Ergebnis führen und dass sie keine Unterscheidungen treffen, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist.
4.
a) Die Beschwerdeführer beanstanden in erster Linie, dass die Gemeinde Andermatt für den Anschluss einer vor der Erstellung der Kanalisation errichteten Baute nur halb so hohe Gebühren erhebe wie für den Anschluss einer Neubaute. Sie rügen, dass die Eigentümer von Neubauten dadurch rechtsungleich behandelt würden. Eine rechtsungleiche Behandlung trete umso mehr ein, als der Abgabenerhebung der amtliche Liegenschaftsschatzungswert zugrunde gelegt werde. Da die letzte allgemeine Liegenschaftsschatzung im Jahre 1963 durchgeführt worden sei und der Schatzungswert der Altbauten in aller Regel zu tief sei, würden diese Liegenschaften doppelt privilegiert. Als Folge werde den Eigentümern von Neubauten ein unangemessen hoher Teil der Kanalisationsbaukosten überbürdet.
b) Das Bundesgericht hat bei den Kantonen eine Erhebung über die Frage durchgeführt, ob hinsichtlich der Höhe der Kanalisationsanschlussgebühren ein Unterschied gemacht werde, je nachdem ob die Abgabe eine bereits vor der Erstellung der Kanalisation errichtete Baute betreffe oder sich auf
BGE 106 Ia 241 S. 245
eine später errichtete Baute beziehe. Die Auswertung der Antworten zeigt, dass die Rechtssetzung in diesem Bereich den Gemeinden überlassen ist, unter Vorbehalt gewisser kantonaler Empfehlungen und Grundsätze. Die getroffenen Lösungen sind ausserordentlich vielgestaltig und im Einzelnen nur schwer miteinander vergleichbar, da sie von unterschiedlichen Grundlagen ausgehen. Namentlich ist von Bedeutung, ob neben den Anschlussgebühren auch Kanalisationsbeiträge erhoben werden, ferner, welches die Bemessungsgrundlage für die Gebührenerhebung ist. Ein Vergleich wird zudem dadurch erschwert, dass innerhalb der einzelnen Kantone sehr unterschiedliche Regelungen Anwendung finden. Sieht man von Einzelheiten ab, so lassen sich im grossen und ganzen aber dennoch folgende Gruppen unterscheiden: In mehr als einem Drittel der Kantone werden für den Anschluss von Altbauten generell weniger hohe Gebühren erhoben als für den Anschluss von Neubauten. Die Differenz ist unterschiedlich. Die Reduktion beträgt häufig weniger als die Hälfte, doch kommen auch grössere Differenzen nicht selten vor. In knapp einem Viertel der Kantone wird eine unterschiedliche Gebührenerhebung für den Anschluss von Alt- und Neubauten nicht generell zugelassen, sondern eine Reduktion der Abgabe für Altbauten nur vorgesehen, wenn private Hauskläranlagen, Sickergruben, usw., vorhanden sind, die infolge des Kanalisationsanschlusses unbrauchbar werden. In etwas weniger als einem Viertel der Kantone ist eine generelle Differenzierung zwar möglich, doch wird sie als überholt erachtet und findet sich daher in der Praxis eher selten. Ebenfalls in etwas weniger als einem Viertel der Kantone wird jede Differenzierung der Kanalisationsanschlussgebühr abgelehnt. Für den Anschluss von Altbauten wird die gleiche Gebühr wie für den Anschluss von Neubauten erhoben.
Wo für den Anschluss von Altbauten eine niedrigere Gebühr vorgesehen ist, wird das in der Regel damit begründet, dass die Eigentümer solcher Bauten bereits gewisse Investitionen für die Reinigung und Ableitung der Abwässer getroffen und unter Umständen auch schon früher Gebühren für derartige Anlagen entrichtet hätten. Da diese Einrichtungen nun wertlos würden, rechtfertigt sich eine Reduktion der Kanalisationsanschlussgebühr. Geltend gemacht wird auch, Altbauten würden die Kanalisation in der Regel weniger belasten als Neubauten, da ihre sanitären Einrichtungen zumeist schlechter seien als diejenigen
BGE 106 Ia 241 S. 246
der Neubauten und sich somit ein geringer Abwasseranfall ergebe. Die Differenzierung der Gebührensätze wird ferner damit begründet, dass der Anschluss von Altbauten den Eigentümern ganz allgemein höhere Kosten verursache, da die Möglichkeit der Standortwahl entfalle, oft die hausinterne Abwasseranlage angepasst werden müsse und sich besondere Ausgaben für die Wiederherstellung von Vorplätzen und Vorgärten ergäben. In den Kantonen, die eine Differenzierung nicht vornehmen, herrscht dagegen die Auffassung, die Leistung des Gemeinwesens sei bei Altbauten und bei Neubauten die gleiche. Das Vorhandensein einer Hauskläranlage vermöge daran nichts zu ändern.
c) Die Gründe, die für eine generelle Differenzierung der Anschlussgebühren vorgebracht werden, lassen sich nicht als unhaltbar erachten. Es ist vertretbar, wenn bei der Bemessung der Abgabe Rücksicht darauf genommen wird, dass der Eigentümer einer Altbaute vor dem Anschluss der Liegenschaft an die Kanalisation bereits gewisse Vorkehren zur Reinigung und Beseitigung des Abwassers getroffen hat. Es lässt sich auch mit haltbaren Gründen annehmen, für den Eigentümer einer Altbaute entständen aus dem Kanalisationsanschluss und den notwendig werdenden Anpassungs- und Wiederherstellungsarbeiten grössere Kosten als für den Eigentümer einer Neubaute. Es lässt sich sodann mit ernsthaften Gründen die Auffassung vertreten, aus Altbauten ergebe sich wegen der weniger guten sanitären Installationen und wegen der oft weniger intensiven Nutzung eine geringere Beanspruchung der Kanalisation als aus Neubauten. Werden zur Deckung der Kanalisationsbaukosten keine Beiträge (Vorzugslasten) erhoben, sondern lediglich einmalige Anschlussgebühren gefordert, so ist es deshalb nicht willkürlich, den dargelegten Besonderheiten durch eine Reduktion der Gebühr für Altbauten Rechnung zu tragen. Es lässt sich ohne Verstoss gegen
Art. 4 BV
annehmen, dass deren Eigentümer aus dem Anschluss an die Kanalisationen im ganzen gesehen einen geringeren Nutzen ziehen als die Eigentümer von Neubauten. Freilich tragen diejenigen kommunalen Reglemente den für eine Abstufung der Gebühr sprechenden Überlegungen besser Rechnung, die eine Reduktion nur dann vorsehen, wenn im Einzelfall dargetan ist, dass eine Baute bereits über gewisse Anlagen zur Reinigung und Beseitigung der Abwässer verfügt. Es lässt sich aber vertreten, wenn der Gesetzgeber auf einen solchen Nachweis im Einzelfall verzichtet und für
BGE 106 Ia 241 S. 247
Altbauten generell eine Reduktion vorsieht. Was das Ausmass betrifft, so erscheint eine Reduktion um die Hälfte zwar als hoch und an er oberen Grenze des Zulässigen liegend. Es kann auch insoweit nicht gesagt werden, dass eine derartige Regelung geradezu unhaltbar sei und damit gegen
Art. 4 BV
verstosse.
Die Beschwerdeführer wenden im vorliegenden Fall freilich zu Recht ein, zugunsten der Altbauten entstehe eine zusätzlich Privilegierung, wenn auf die steueramtlichen Schatzungswerte abgestellt werde und diese nicht nachgeführt seien. Stehen die Schatzungen der Altbauten in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Schatzungen der Neubauten, so ist zweifelhaft, ob diese Art der Gebührenbemessung überhaupt mit
Art. 4 BV
vereinbar sei. Was die Gemeinde Andermatt betrifft, so hat die letzte allgemeine Liegenschaftsschatzung vor ungefähr 15 Jahren stattgefunden. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass für Altbauten generell zu tiefe Schatzungswerte gelten würden. Nach der urnerischen Verordnung über die steueramtliche Schatzung der Grundstücke vom 17. Dezember 1962 ist nämlich bei einer grösseren Zahl von Vorkommnissen, namentlich bei Handänderungen, Änderungen in der Benutzungsart, Neu- und Umbauten oder sonstigen speziellen Wertveränderungen eine Neuschatzung vorzunehmen. Wenn der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung ausführt, dass in der Gemeinde Andermatt, die seit der letzten allgemeinen Liegenschaftsschatzung einen grossen baulichen Aufschwung genommen habe, zahlreiche Liegenschaften neu geschätzt worden seien, so kann das nicht als unhaltbar erachtet werden. Es lässt sich daher nicht sagen, dass für die vor der Erstellung der Kanalisation errichteten Bauten generell Schatzungswerte gelten würden, die zu den Schatzungswerten der mit Neubauten versehenen Liegenschaften in einem offenkundigen Missverhältnis ständen. Auch in dieser Hinsicht verstösst die streitige Kanalisationsanschlussgebühr daher nicht gegen
Art. 4 BV
.
d) Die Beschwerdeführer halten die Erhebung der Kanalisationsanschlussgebühr nach Massgabe des Liegenschaftsschatzungswertes aus einem weiteren Grunde für verfassungswidrig. Sie machen geltend, diese Berechnungsweise lasse den Umstand unberücksichtigt, dass der Abwasseranfall aus der Liegenschaft im Verhältnis zu deren hohen Schatzungswert gering sei. Der hohe Schatzungswert ergebe sich nämlich unter Einbezug der zwei Untergeschosse, die, soweit sie als Autoeinstellhallen
BGE 106 Ia 241 S. 248
dienten, praktisch kein Abwasser lieferten. Zudem ergebe sich der hohe Schatzungswert namentlich aufgrund des technisch komplizierten und teueren Autolifts. Auch damit sei indes kein Abwasseranfall verbunden. Diese Vorbringen vermögen den für die Erhebung der Kanalisationsanschlussgebühr gewählten Massstab nicht als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Namentlich ist der Einwand nicht stichhaltig, dass die Autoeinstellhallen für den Abwasseranfall ohne Bedeutung seien. Es ist im Gegenteil eine Erfahrungssache, dass die Autos namentlich im Winter Schnee und Eis mit sich führen, das in den Einstellhallen auftaut und als Schmutzwasser, häufig vermischt mit Öl- und Benzinrückständen, der Kanalisation zugeleitet wird. Es trifft freilich zu, dass der steueramtliche Liegenschaftsschatzungswert in der Regel nicht als Grundlage für die Bemessung der Kanalisationsanschlussgebühr genommen wird und auch nicht als idealer Massstab gelten kann. Weitaus häufiger wird auf den Brandversicherungswert des anzuschliessenden Gebäudes (vgl. z.B.
BGE 94 I 278
;
BGE 93 I 114
; Urteil vom 1. März 1967 i.S. W.I. AG, in BJM 1967, S. 143 ff.) oder auf sonstige, feinere Kriterien abgestellt, welche die Menge des Abwassers und das Ausmass des Nutzens, das aus dem Kanalisationsanschluss entsteht, besser zum Ausdruck bringen (vgl. namentlich den Entscheid des aargauischen Verwaltungsgerichts in AGVE 1978, S. 159 ff.). Dass die Liegenschaftsschatzungswerte als Massstab jedoch geradezu unhaltbar und das Abstellen auf diese Werte mit sachlichen Gründen schlechterdings unvereinbar sei, lässt sich aber nicht sagen. Das gilt jedenfalls solange, als Gewähr dafür besteht, dass die Schatzungswerte der einzelnen Liegenschaften - d.h. der bereits seit längerer Zeit und der erst kürzlich überbauten - in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen und dass keine Sonderfälle vorliegen, in denen der Wert des nicht überbauten Bodens einen aussergewöhnlich hohen Teil des gesamten Liegenschaftswertes ausmacht. Dass es sich hier so verhalte, ist nicht dargetan.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d0dd112d-22ae-41f5-b752-7aea244e11ce | Urteilskopf
83 I 212
28. Extrait de l'arrêt du 21 juin 1957 dans la cause Confédération suisse contre Schenk SA | Regeste
Klage auf Rückerstattung von Bundesbeiträgen.
1. Zuständigkeit des Bundesgerichtes,
Art. 110 OG
(Erw. 1-3).
2. Rechtliche Natur der Klage. Öffentlichrechtliche oder privatrechtliche Klage? (Erw. 3).
3. Verjährung der Klage (Erw. 5, 6).
4. Voraussetzungen der Klage. Ist sie an allgemeine Voraussetzungen geknüpft? (Erw. 9). | Sachverhalt
ab Seite 213
BGE 83 I 212 S. 213
A.-
A la fin de 1947, le marché des vins était presque paralysé. Les encaveurs et les négociants détenaient en effet d'importants stocks de vins blancs, qui formaient un véritable "bouchon" et qui étaient constitués par les vins indigènes de 1946, des vins coupés et des vins étrangers. L'existence de ces stocks empêchait les acheteurs d'acquérir la récolte indigène de 1947 et posait la question du logement de celle de 1948. Une action de prise en charge fut décidée.
B.-
Le 6 juillet 1948, après des travaux préliminaires assez longs, le Conseil fédéral adopta un arrêté "sur la prise en charge de vins blancs". Selon son préambule, cet arrêté (ci-après ACF) est fondé sur "l'arrêté fédéral du 14 octobre 1933 concernant les mesures de défense économique contre l'étranger, dans sa teneur du 22 juin 1939, prorogé pour la dernière fois par l'arrêté fédéral du 17 juin 1948". Il prévoit notamment que les importateurs, qui désirent obtenir des permis d'importation, doivent prendre en charge, c'est-à-dire acheter une certaine quantité des vins se trouvant dans le pays et que, pour leur faciliter cette opération, la Confédération leur remboursera, sous forme de contributions, une partie du prix qu'ils verseront à ceux qui leur vendront ce vin. L'art. 5 al. 3 dispose:
"Les contributions perçues indûment devront être remboursées."
C.-
Au cours de l'exécution de la prise en charge, qui avait été confiée en particulier à la Coopérative d'achat des vins indigènes (ci-après CAVI), diverses fraudes furent commises. C'est ainsi que la société Schenk SA mit en charge d'une part des vins blancs coupés contenant une proportion excessive de vin étranger, d'autre part certains vins du pays dans une quantité dépassant les normes admises par la Confédération. Elle reçut néanmoins des contributions pour la totalité des vins mis en charge et qu'elle prit elle-même en charge. Ces fraudes ayant été découvertes, la Confédération décida de lui demander le remboursement des contributions qu'elle avait versées à
BGE 83 I 212 S. 214
tort et dont la dernière tranche avait été payée le 8 avril 1949. Le 5 février 1953, elle lui réclama par lettre la somme de 600 361 fr. 45. Le 21 février 1953, Schenk SA contesta la devoir. Le 1er mai 1953, la Confédération lui fit notifier un commandement de payer ce montant. Schenk fit opposition totale.
D.-
Le 24 juillet 1953, la Confédération introduisit devant le Tribunal fédéral contre Schenk SA la présente action, qu'elle définit notamment comme l'action en restitution de subsides prévue par l'art. 5 al. 3 ACF.
Schenk SA fit valoir entre autres que le Tribunal fédéral était incompétent, que la prescription était acquise et que les conditions de l'action qui lui était intentée n'étaient pas réunies. Ces moyens ont été rejetés.
Erwägungen
Extrait des motifs:
I.
- Compétence du Tribunal fédéral.
1.
La Confédération entend fonder la compétence du Tribunal fédéral sur l'art. 110 al. 1 OJ. Cette disposition est applicable lorsque l'action est de nature pécuniaire, qu'elle dérive de la législation fédérale, qu'elle est formée par ou contre la Confédération et qu'elle a sa source dans le droit public. Il n'y a pas de doute que les trois premières conditions sont réalisées. On peut se demander en revanche si l'action introduite par la Confédération relève du droit public ou du droit privé. Cette question est litigieuse entre parties et c'est de sa solution que dépend en définitive la compétence du Tribunal fédéral.
2.
Pour déterminer si l'action de la Confédération contre la société Schenk SA relève du droit public ou du droit privé, il faut d'abord en définir la nature. La Confédération affirme, à titre principal, que son action est celle prévue par l'art. 5 al. 3 ACF.
Les contributions qui font l'objet de cette disposition constituent des subsides. L'action de la Confédération ne pourra être caractérisée comme l'action en restitution de subsides de l'art. 5 al. 3 ACF que si le litige roule en
BGE 83 I 212 S. 215
réalité sur des contributions au sens de cette disposition, si la demanderesse prétend qu'elle a payé ces contributions à Schenk SA et qu'elle ne les devait pas et si elle en réclame le remboursement.
Il n'y a pas de doute que le litige a pour objet les contributions prévues par l'art. 5 ACF. Cela résulte de plusieurs allégués de la demanderesse. La défenderesse non seulement ne le conteste pas, mais admet au contraire qu'elle a reçu des contributions de cette nature. Il ressort également des allégués de la demande que la Confédération prétend avoir versé ces contributions à Schenk SA sans les lui devoir. Enfin, les conclusions prises en procédure montrent clairement que la Confédération réclame le remboursement de ces sommes. Dans ces conditions, l'action de la demanderesse doit être définie comme l'action en restitution de subsides au sens de l'art. 5 al. 3 ACF.
Schenk SA objecte, il est vrai, que l'art. 5 al. 3 ACF ne permet pas à lui seul de définir la nature de l'action intentée par la Confédération; à son avis, il faut faire rentrer cette action dans le cadre plus général de l'action en répétition de l'indu en droit public; or, dit-elle, une action de ce genre ne peut être intentée en l'espèce, car les conditions n'en sont manifestement pas réunies. Toutefois, ce moyen concerne le fond et il sera examiné à ce propos (consid. 9 ci-dessous). Du point de vue de la recevabilité, il suffit de constater que le procès a pour objet les contributions de l'art. 5 ACF et que la Confédération fonde son action sur l'art. 5 al. 3 ACF.
Schenk SA soutient également qu'il faut distinguer suivant qu'elle a agi comme metteur en charge ou comme preneur en charge; à son avis, les contributions de l'art. 5 ACF sont versées uniquement au preneur en charge; or en cette qualité, dit-elle, elle n'a commis aucune irrégularité, de telle sorte qu'elle n'a pas bénéficié d'un paiement indu. Cependant, elle méconnaît qu'elle a pris elle-même en charge tous les vins qu'elle avait mis en charge. De plus, dans la mesure où il tend à montrer que les contributions
BGE 83 I 212 S. 216
étaient dues, l'argument ainsi invoqué relève non de la recevabilité mais du fond et sera examiné à ce sujet.
3.
La question de savoir si une action ressortit au droit public ou au droit privé dépend de la nature du droit déduit en justice. En l'espèce, l'action a pour objet un droit à la restitution de certains montants prétendument remis à tort. Un droit à la restitution d'une somme versée est, en règle générale, soumis aux règles du droit public lorsque le paiement lui-même est intervenu en vertu du droit public. En conséquence, il sera possible de dire que la présente action en restitution de subsides est formée en vertu du droit public (art. 110 OJ) si les subsides ou les contributions au remboursement desquels elle tend relèvent eux-mêmes du droit public.
Ce qui est décisif à cet égard, c'est de savoir si l'Etat a effectué le paiement en accomplissant une des tâches publiques qui lui sont propres ou au contraire simplement en administrant son patrimoine fiscal. Lorsque l'Etat fait certains actes relatifs à l'administration de son patrimoine fiscal, il agit comme un simple particulier et les rapports de droit qui naissent de ces actes sont soumis au droit privé. En revanche, lorsqu'il agit comme titulaire de la puissance publique, qu'il ne traite pas avec les particuliers sur pied d'égalité mais exécute dans l'intérêt général une de ses tâches propres, les rapports de droit qui en découlent sont en principe soumis au droit public, lors même qu'ils ne naîtraient qu'avec le consentement des personnes privées avec lesquelles l'Etat entre en relation ou qu'ils revêtiraient la forme d'un contrat. Il n'y a d'exception que lorsque l'Etat se soumet au droit privé ou que l'application du droit privé est prescrite par la loi (arrêts non publiés du 10 juin 1948 dans la cause canton des Grisons c. communes de Coire et d'Arosa, et du 8 octobre 1948 dans la cause Confédération c. Parcofil-Textilmaschinenbau AG).
En l'espèce, la Confédération a décrété la prise en charge des vins blancs indigènes de 1946 et 1947 en exécution de l'une de ses tâches propres, qui est d'assurer une certaine
BGE 83 I 212 S. 217
stabilité économique à l'intérieur du pays. L'ACF est du reste fondée sur l'AF du 14 octobre 1933 concernant les mesures de défense économique contre l'étranger, qui autorise le Conseil fédéral à prendre les mesures nécessaires notamment pour "sauvegarder la production nationale, là où ses intérêts vitaux sont menacés". Il s'agit là manifestement d'une tâche que la Confédération a entreprise dans l'intérêt général. En imposant certaines obligations aux importateurs désireux d'obtenir un permis d'importation et en leur assurant le paiement de certaines contributions, la Confédération a agi à leur égard comme puissance publique. Les rapports de droit nés de ses actes sont soumis dès lors au droit public. Ainsi en va-t-il du paiement des contributions et, partant, de leur remboursement.
Il résulte de ce qui précède que, dans la mesure où l'action de la Confédération se caractérise comme une action en restitution de subsides au sens de l'art. 5 al. 3 ACF, elle est formée en vertu du droit public. Le droit public fédéral connaît du reste d'autres actions du même genre (cf. art. 47 LAVS, 35 LF du 22 juin 1951 sur l'assurance chômage, 11 LF du 20 juin 1952 fixant le régime des allocations familiales aux travailleurs agricoles et aux paysans de la montagne, 20 LF du 25 septembre 1952 sur les allocations aux militaires pour perte de gain, 105 LF du 3 octobre 1951 sur l'agriculture). Certains textes le montrent clairement, qui soumettent expressément l'action à la compétence exclusive du Tribunal fédéral en vertu de l'art. 110 OJ (cf. art. 40/41 AF du 19 juin 1953 concernant le ravitaillement du pays en céréales panifiables; art. 27 al. 3 LF du 30 septembre 1955 sur la préparation de la défense nationale économique; message du Conseil fédéral à l'appui du projet précité, FF 1955, p. 841).
Schenk SA allègue toutefois que l'ACF est anticonstitutionnel parce qu'il excède le cadre de l'AF du 14 octobre 1933 concernant les mesures de défense économique contre l'étranger; elle en conclut que la prise en charge ordonnée
BGE 83 I 212 S. 218
en 1948 est un pur accord contractuel. Il est évident cependant que l'ACF ne sort pas du cadre de l'AF de 1933. Il a été pris pour assurer l'écoulement de la récolte indigène de 1946 et 1947, dont la mévente était de nature à porter un préjudice grave à la viticulture suisse. Or il s'agit bien là d'une mesure destinée, comme le dit l'art. 1er de l'AF de 1933, à "sauvegarder la production nationale là où ses intérêts vitaux sont menacés". Quant aux obligations prévues par l'ACF du 1er septembre 1936 tendant à protéger la production vinicole suisse et à promouvoir le placement des vins indigènes, il importe peu qu'elles soient différentes de celles découlant de l'ACF de 1948. Ces deux arrêtés sont en effet sur le même pied. Pris tous deux en application de l'AF de 1933, ils peuvent ordonner des mesures différentes sans qu'il y ait rien là de critiquable. D'ailleurs, supposé même que l'ACF de 1948 soit inconstitutionnel, cela ne signifierait pas nécessairement que la prise en charge est purement contractuelle. Il n'en resterait pas moins en effet que la Confédération a agi dans l'intérêt général et qu'elle a traité avec les particuliers comme puissance publique.
Dans ces conditions, il faut admettre que l'action de la Confédération contre Schenk SA, intentée sur la base de l'art. 5 al. 3 ACF et tendant à la restitution de subsides, est formée en vertu du droit public. Les autres conditions de l'art. 110 OJ étant réunies (cf. consid. 1 ci-dessus), elle est recevable...
II.
- Prescription.
5.
La défenderesse soulève l'exception de prescription. Il résulte du considérant 3 ci-dessus que l'action intentée à Schenk SA relève du droit public, tend à la restitution de subsides et a son fondement dans l'art. 5 al. 3 ACF. Il n'existe aucune disposition indiquant comment se prescrit une action de cette nature. Il convient dès lors de statuer en s'inspirant des règles existant dans des hypothèses voisines et dans d'autres domaines du droit, et en distinguant deux questions: celle du point de
BGE 83 I 212 S. 219
départ du délai de prescription tout d'abord, puis celle de la durée du délai de prescription, la solution de chacune d'elles dépendant d'ailleurs dans une certaine mesure de la réponse donnée à l'autre.
6.
- Selon la règle générale de l'art. 130 al. 1 CO, le droit civil fixe le point de départ du délai de prescription au jour de l'exigibilité de la créance. Dans l'action en répétition de l'indu des art. 62 ss. CO, qui est, dans le domaine du droit civil, la voie de droit la plus proche de l'action en restitution de subsides de l'art. 5 al. 3 ACF, le point de départ du délai de prescription peut aussi être le jour de l'exigibilité de la créance. Cependant, il est en principe fixé au jour où le lésé a eu connaissance de son droit de répétition (art. 67 CO).
Le droit public, qui connaît d'autres actions analogues à celle de l'art. 5 al. 3 ACF, prévoit souvent dans ces hypothèses que la prescription commence à courir déjà à la date du paiement indu (art. 125 al. 2 LF du 1er octobre 1925 sur les douanes; art. 69 LF du 21 juin 1932 sur l'alcool; art. 35 LF du 22 juin 1951 sur l'assurance chômage; art. 126 AIN). Dans d'autres cas, il combine le point de départ à la date du paiement avec un point de départ fixé à la date de la connaissance du caractère indu du paiement (art. 99 LAMA, qui renvoie à l'art. 67 CO; art. 47 LAVS; art. 48 LAM; art. 20 LF du 25 septembre 1952 sur les allocations aux militaires pour perte de gain; art. 11 LF du 20 juin 1952 fixant le régime des allocations familiales aux travailleurs agricoles et aux paysans de la montagne).
On ne saurait appliquer à la présente action en répétition un délai courant du jour de la connaissance du caractère indu du paiement. En effet, lorsque le point de départ est ainsi fixé, le délai lui-même est en général bref, le plus souvent d'un an seulement, car il est de l'intérêt des parties que celui qui connaît son droit le fasse valoir sans tarder. Toutefois, un délai aussi court ne peut être imposé qu'autant qu'il résulte d'une disposition claire de la loi. Sinon
BGE 83 I 212 S. 220
il serait excessif d'exiger des parties qu'elles s'attendent à une prescription si rapide. Or en l'espèce, il n'existe aucune disposition à cet égard. Il est donc préférable de fixer le point de départ du délai au jour du paiement.
Quant à la durée du délai, il convient de rappeler que le Tribunal fédéral a déjà eu l'occasion de se prononcer, en l'absence de toute disposition légale, au sujet du temps dans lequel se prescrivent certaines réclamations de droit public. Il a jugé ainsi que le délai de prescription doit être de 10 ans dès le paiement lorsque l'action tend au remboursement d'impôts non périodiques (in casu droit de timbre fédéral, RO 71 I 209) et de 5 ans lorsqu'elle vise à la restitution de contributions périodiques (en l'espèce impôts cantonaux ordinaires, RO 78 I 191/192). S'agissant de la répétition d'une indemnité versée par l'administration militaire pour les dommages causés à un hôtel, le Tribunal fédéral a fixé à 5 ans le délai de prescription (RO 78 I 90). Ces précédents peuvent servir de base à la décision à prendre en l'espèce.
Ainsi qu'on l'a déjà dit, l'absence de toute disposition légale relative à la prescription permet d'affirmer qu'un délai d'un an partant du jour du paiement serait trop court. La Confédération n'était pas tenue d'admettre qu'elle devait agir aussi rapidement. D'un autre côté, un délai de 10 ans serait trop long. Déjà avant l'expiration de 10 ans, la sécurité du droit exige que le paiement d'un subside accordé par la Confédération ne soit plus remis en discussion. C'est pourquoi un délai - de 5 ans dès le paiement est celui qui convient le mieux à la prescription de l'action dérivant de l'art. 5 al. 3 ACF. Il tient compte à la fois des intérêts de la Confédération et de ceux des bénéficiaires des contributions, en donnant à la première le temps d'agir sans précipitation et aux seconds la certitude qu'après l'écoulement d'un délai convenable, les subventions touchées leur sont définitivement acquises.
Etant donné ce délai, l'action en restitution de subsides intentée à Schenk SA n'est pas prescrite. En effet, la
BGE 83 I 212 S. 221
Confédération a fait son dernier paiement à Schenk SA le 8 avril 1949. Or elle lui a fait notifier un commandement de payer du montant de 600 361 fr. 45 le 1er mai 1953 et a introduit action le 24 juillet 1953. Ces deux opérations sont donc intervenues avant l'expiration du délai de 5 ans, qui venait à échéance le 8 avril 1954...
IV.
- Les conditions de l'action en restitution de subsides.
9.
- Selon la défenderesse, l'action en restitution de subsides ne dépend pas seulement des conditions... de l'art. 5 ACF; elle doit être définie à la lumière d'une notion plus générale de l'action de droit public tendant à la restitution de subsides, laquelle suppose la réunion de conditions plus nombreuses.
Il importe de souligner d'emblée qu'il ne saurait être question d'affirmer l'existence d'un type unique d'action en répétition de droit public. Un principe de ce genre se heurterait à l'extrême diversité des situations créées par le droit public et à la très grande variété des conditions dans lesquelles doit se faire la comparaison des intérêts publics et des intérêts privés en présence. De fait, le droit positif ne s'est pas arrêté à une seule notion de l'action en répétition de droit public, en particulier dans les cas où l'action est intentée par l'Etat ou par l'un de ses organes. Tantôt il subordonne l'action en répétition à la simple condition du caractère indu de la prestation, tout en réservant parfois le cas du défendeur de bonne foi, que la restitution mettrait dans une situation difficile. Tantôt il la fait dépendre de l'enrichissement du bénéficiaire, sauf par exemple le cas de dol. Tantôt enfin il prévoit que l'action en répétition n'est ouverte que si le bénéficiaire a commis un acte dolosif ou une négligence grave (cf. art. 105 LF sur l'agriculture; art. 20 LF sur les allocations militaires; art. 35 LF sur l'assurance chômage; art. 11 LF sur les allocation familiales aux travailleurs agricoles; art. 47 LAVS; art. 27 LF sur la préparation de la défense nationale économique; art. 48 LF sur l'assurance militaire).
BGE 83 I 212 S. 222
Du moment que le droit public suisse ne connaît pas une notion unique de l'action en répétition de l'indu, la question des conditions auxquelles est soumise l'action de l'art. 5 al. 3 ACF doit être résolue pour elle-même.
A cet égard, il y a lieu d'observer tout d'abord que les contributions versées à Schenk SA ont été payées en vertu d'une décision administrative (ou d'un complexe de décisions administratives) prise par CAVI, organe de la Confédération, et admettant que le vin annoncé par Schenk SA était du vin d'action, qu'il avait été coupé, que ce coupage avait été certifié à temps et qu'ainsi Schenk SA, qui s'était conformée aux instructions reçues, remplissait toutes les conditions nécessaires pour recevoir le subside du fonds vinicole. Or la présente action en restitution a été introduite après cette décision administrative et, si elle était admise, elle aurait pour effet de la modifier, puisque la Chambre de céans constaterait alors qu'une ou plusieurs des conditions auxquelles le versement de la contribution était soumis n'étaient pas réunies. Il s'agit donc d'examiner si la décision administrative de CAVI peut être modifiée par la voie de l'action en restitution et dans quelles conditions. Ainsi qu'on va le voir, la solution de cette question dépend du rôle de l'action en répétition dans le système de l'arrêté.
Il est clair qu'au moment de rédiger cet arrêté, le législateur, qui connaissait déjà les quantités de vin annoncées à l'action, s'est rendu compte que les décisions en vertu desquelles les contributions seraient versées auraient pour la Confédération une portée financière considérable. Il savait en effet que la prise en charge porterait sur des millions de litres de vin et que le fonds vinicole aurait à payer de ce fait des sommes très importantes. Il n'ignorait pas non plus que CAVI - collectivité professionnelle privée - serait chargée, comme organe de la Confédération, de l'exécution de la prise en charge et qu'elle devrait jouir à cet égard d'une certaine liberté d'appréciation.
BGE 83 I 212 S. 223
Ainsi, les décisions de CAVI présentaient incontestablement un plus grand risque d'inexactitude que celles d'un organe officiel de la Confédération, sur lequel un contrôle peut être exercé plus aisément. Le problème posé au législateur était dès lors celui de savoir comment protéger le fonds vinicole, qui allait être mis à contribution dans une mesure importante, contre les risques inhérents au système de la prise en charge. Il aurait été possible de prévoir à ce sujet que les décisions de CAVI seraient susceptibles d'un recours hiérarchique ou d'un recours de droit administratif. Il faut convenir qu'à l'époque un système de ce genre ne devait guère paraître opportun. Il s'agissait en effet de débarrasser les producteurs de leur récolte de 1947 afin notamment qu'ils puissent loger la récolte de 1948. Il importait donc d'agir rapidement, ce que l'existence d'une voie de recours ordinaire aurait risqué d'empêcher. Du reste, on ne voit guère qui aurait pu agir en qualité de recourant. Au système d'un recours hiérarchique ou de droit administratif, le législateur a donc préféré le système de l'action judiciaire prévue par l'art. 5 al. 3 ACF. Mais cette action n'est évidemment destinée qu'à remplacer le recours ordinaire. Sans doute, cela a-t-il pour conséquence que la décision administrative de CAVI ne devient définitive qu'après l'expiration du délai de prescription de l'action ou, quand un procès a été introduit, après le rejet de la demande. Toutefois, si cela constitue un inconvénient pour le bénéficiaire, qui demeure un certain temps dans l'incertitude quant à son droit aux subsides touchés, le législateur y a paré en confiant au juge le soin de revoir la décision administrative.
Du moment que l'action de l'art. 5 al. 3 ACF ne constitue en fait qu'une voie de recours contre une décision qui n'est pas devenue définitive, elle doit être admise dès qu'est établi le caractère indu de la prestation, c'est-à-dire dès qu'il est démontré que l'une ou l'autre des
BGE 83 I 212 S. 224
exigences auxquelles l'arrêté subordonne le paiement du subside n'était pas satisfaite. En d'autres termes, le mérite de l'action ne dépend d'aucune autre condition que de celles fixées par l'art. 5 ACF... | public_law | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0dd153f-9078-4ce8-aa9a-9e391a6b95fd | Urteilskopf
104 IV 160
39. Urteil des Kassationshofes vom 15. September 1978 i.S. H. gegen Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern | Regeste
Art. 165 Ziff. 1 StGB
. Leichtsinniger Konkurs und Vermögensverfall.
1. Auch die Verschlimmerung der Vermögenslage muss durch eine der am Anfang von
Art. 165 Ziff. 1 StGB
umschriebenen Verhaltensweisen verursacht worden sein (E. 2a).
2. Sowohl die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit wie die Verschlimmerung der Vermögenslage durch den Schuldner sind als Fahrlässigkeitsdelikte zu verstehen. Für die Erfüllung beider Tatbestände ist indessen grobe Fahrlässigkeit erforderlich. Eine Schädigungsabsicht gehört nicht zum subjektiven Tatbestand (E. 4a). | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 104 IV 160 S. 161
A.-
Im Jahre 1943 wurde die B. & Co. GmbH gegründet. H. trat zunächst als Büroangestellter in den väterlichen Betrieb ein und übte später, nachdem er selber Gesellschafter geworden war, vornehmlich die Tätigkeit eines Vertreters aus. Nachdem sein Onkel G. aus der Gesellschaft ausgeschieden war, holten die Gesellschafter im Jahre 1955 bei der Treuhand- und Verwaltungs AG Bern einen "Bericht über die Möglichkeiten zur rentableren Weiterführung des Unternehmens" ein. In dem Bericht wurde den Gesellschaftern empfohlen, das Unternehmen zu liquidieren, falls es nicht durch erhebliche Mehrumsätze oder durch Aufgabe der Fabrikation und Beschränkung auf den Handel saniert werden könne. Die vorangegangenen Geschäftsjahre hatten bereits mit Verlusten abgeschlossen, obwohl die überalterten Anlagen vollständig abgeschrieben waren. Auch waren keine Reserven vorhanden, noch hatten Rückstellungen gemacht werden können. Die Gesellschafter konnten sich jedoch weder zu einer durchgreifenden Sanierung noch zur Liquidation des Unternehmens entschliessen. Nachdem in der Folge R. und S. aus der Firma ausgeschieden waren, führte H. das Unternehmen ab 1970 als Einmanngesellschaft weiter. Dabei blieb alles beim alten mit der Folge, dass die Gesellschaft weiter mit Verlust arbeitete, der im Jahre 1972 Fr. 40 589.05, im Jahre 1973 Fr. 74 111.20 und 1974 Fr. 37 251.- betrug. In diesem Jahr wurde die Liegenschaft, in der der Verkaufsladen untergebracht war, verkauft. H. verwendete seinen Anteil am Verkaufserlös sowie denjenigen aus einem anderen Liegenschaftsverkauf zur Tilgung fälliger Gesellschaftsschulden, wobei seine Aufwendungen zugunsten der Gesellschaft in deren Bilanzen jeweils als Darlehensschulden erschienen.
Am 11. März 1976 eröffnete der Gerichtspräsident II von A. den Konkurs über die B. & Co. GmbH. Nach der Verteilungsliste
BGE 104 IV 160 S. 162
vom 20. Juli 1977 entstand ein Verlust von Fr. 78 156.15, der sich auf rund Fr. 298 000.- belaufen hätte, wenn H. und seine Frau die der Gesellschaft im Verlauf der Jahre gewährten Darlehen im Konkurs angemeldet hätten.
B.-
Am 6. Oktober 1977 verurteilte der Gerichtspräsident I von A. H. wegen leichtsinnigen Konkurses und Vermögensverfalls zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 10 Tagen.
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 27. Januar 1978 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung
1.
Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer aufgrund des an zweiter Stelle in
Art. 165 Ziff. 1 StGB
geregelten Tatbestandes des Vermögensverfalls, weil er als Alleingesellschafter der B. & Co. GmbH die Vermögenslage der Gesellschaft im Bewusstsein ihrer Zahlungsunfähigkeit in arg leichtsinniger Weise verschlimmert und eine Gefährdung der Gläubigerinteressen in Kauf genommen habe (Art. 165 Ziff. 1/172 Abs. 2 StGB).
Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die ihm von der Vorinstanz zur Last gelegte Vermögensverschlimmerung der GmbH. Diese ist indessen nach verbindlicher Feststellung des Obergerichts (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) objektiv gegeben, belief sich doch der Verlustvortrag für die Gesellschaft per 31. Dezember 1970 auf Fr. 233 927.54, per Ende 1974 aber auf Fr. 418 193.19. Dass der Konkurs im Jahre 1976 nur mit einem Verlust von Fr. 78 156.15 endete, ändert am Gesagten nichts. Dieses Ergebnis erklärt sich einzig daraus, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau die der Gesellschaft während Jahren gewährten Darlehen im Konkurs der Gesellschaft nicht angemeldet haben. Tatsächlich aber war bis zu diesem Zeitpunkt die Vermögenslage der Gesellschaft dennoch von Jahr zu Jahr schlechter geworden, zumal auch das, was der Beschwerdeführer und seine Ehefrau der Gesellschaft aus privaten Mitteln hatten zukommen lassen, nicht als Schenkung in Erscheinung
BGE 104 IV 160 S. 163
getreten, sondern in der Buchhaltung der Gesellschaft stets als Darlehensschulden aufgeführt worden war. Es kann deshalb der Beschwerdeführer nicht gehört werden, wenn er heute behauptet, die fraglichen der Gesellschaft geleisteten Beiträge seien von ihm und seiner Frau à fonds perdu erbracht worden.
2.
Nicht im klaren war sich die Vorinstanz darüber, ob die Verschlimmerung der Vermögenslage des zahlungsunfähigen Schuldners (oder im vorliegenden Fall der zahlungsunfähigen Gesellschaft) nur strafbar sei, wenn sie sich wie die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit auf argen Leichtsinn, unverhältnismässigen Aufwand, gewagte Spekulation oder grobe Nachlässigkeit in der Berufsausübung zurückführen lasse. In einer Eventualbegründung wirft sie dem Beschwerdeführer jedoch vor, er habe die Vermögenslage der GmbH in arg leichtsinniger Weise verschlimmert, da er die Geschäftstätigkeit fortgesetzt habe, obwohl daraus seit Jahren nur noch Verluste resultierten. Der Beschwerdeführer macht dagegen geltend, in Anbetracht der von ihm als Privatmann an die Gesellschaft geleisteten Zuschüsse rechtfertige sich dieser Vorwurf nicht.
a) Wie schon in
BGE 102 IV 22
ohne nähere Begründung festgestellt wurde, muss auch die Verschlimmerung der Vermögenslage des zahlungsunfähigen Schuldners (oder der zahlungsunfähigen juristischen Person oder Handelsgesellschaft) durch eine der am Anfang von
Art. 165 StGB
umschriebenen Verhaltensweisen verursacht worden sein. An dieser Auffassung ist festzuhalten. Nicht jede Verschlimmerung der finanziellen Lage soll - sofern auch die subjektiven Voraussetzungen gegeben sind und später der Konkurs eröffnet oder ein Verlustschein ausgestellt worden ist - eine Bestrafung des Schuldners zur Folge haben, sondern nur diejenige, die er durch ein besonders vorwerfbares Verhalten herbeigeführt hat. Diese Auslegung entspricht sowohl dem wahren Sinn von
Art. 165 StGB
, der unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit kaum jede ungerechtfertigte Vermögensverminderung des Schuldners bestraft wissen will (ebenso: LOGOZ, Commentaire, N. 2b zu Art. 165; THORMANN/VON OVERBECK, N. 2 zu Art. 165). Sie wird aber auch durch seine Entstehungsgeschichte gestützt. Die heutige Fassung des Artikels geht dem Grundsatz nach insoweit auf einen Beschluss der 2. Expertenkommission aus dem Jahre 1913 zurück, aus dem sich klar ergibt, dass die Voraussetzung
BGE 104 IV 160 S. 164
des argen Leichtsinns auch auf den 2. Tatbestand des Vermögensverfalls bezogen werden wollte (vgl. Prot. 2. Expertenkommission IV, S. 118; siehe auch Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch vom 23. Juli 1918, BBl 1918 IV, S. 37).
b) Wie bereits in Erwägung 1 erwähnt, stellte die Vorinstanz die Vermögensverminderung bei der GmbH für den Kassationshof verbindlich fest. Nicht zu hören ist deshalb der Einwand des Beschwerdeführers, er könne die Verschlimmerung der Vermögenslage der Gesellschaft nicht durch argen Leichtsinn herbeigeführt haben, da es schon an der Vermögensverminderung fehle. Auch die Tatsache, dass er die entstehenden Verluste aus privaten Mitteln deckte, vermag ihn nicht vom Vorwurf zu entlasten, er habe die Vermögenslage der GmbH in arg leichtsinniger Weise verschlimmert. Die Zuschüsse des Beschwerdeführers an die Gesellschaft waren in der Gesellschaftsbuchhaltung als Darlehen verbucht. Sie bewirkten demnach, auch wenn mit ihnen Gesellschaftsgläubiger befriedigt wurden, lediglich eine Umverteilung der Schulden, indem sie den Beschwerdeführer zum neuen Gesellschaftsgläubiger machten. Eine Verbesserung der Finanzlage oder gar eine dauernde Sanierung der GmbH hatten sie nicht zur Folge. Zu Recht wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer deshalb vor, er habe, obwohl er geschulter Kaufmann sei, die in der Bilanz mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommenden Warnzeichen jahrelang missachtet; er habe den Rat von Buchhalter und Ehefrau, das Unternehmen zu liquidieren, in den Wind geschlagen und sich der Hoffnung hingegeben, er könne die Schulden der Gesellschaft begleichen, ohne im Unternehmen selber Sanierungsmassnahmen zu treffen. Die Geschäftstätigkeit in Anbetracht dieser Umstände und trotz Kenntnis von
Art. 817 OR
fortzuführen, muss mit der Vorinstanz als arg leichtsinnig bezeichnet werden.
3.
In subjektiver Beziehung verlangt
Art. 165 StGB
für die Erfüllung des zweiten von ihm geregelten Tatbestandes vorerst ausdrücklich, dass der Täter im Bewusstsein seiner bzw. als Organ einer juristischen Person im Bewusstsein ihrer Zahlungsunfähigkeit gehandelt habe. Dieses Bewusstsein hat die Vorinstanz in casu als Teil des inneren Sachverhalts für den Kassationshof verbindlich festgestellt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
; BGE
BGE 104 IV 160 S. 165
100 IV 221) und wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten.
4.
Nach Meinung der Vorinstanz erfüllte der Beschwerdeführer auch die weitern subjektiven Erfordernisse von
Art. 165 StGB
, da er trotz Kenntnis des misslichen Zustandes des Unternehmens dieses weitergeführt und damit die Gläubigerinteressen eventualvorsätzlich gefährdet habe. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, das Obergericht gehe von einem falschen Vorsatzbegriff aus. Die Benachteiligungsabsicht gehöre nicht zum subjektiven Tatbestand von
Art. 165 StGB
. Der ihm nachgewiesene Eventualvorsatz reiche deshalb nicht aus, um seine Verurteilung aufrechtzuhalten. Da sich die Vorinstanz aber nicht zur Frage geäussert habe, ob der Tatbestand des leichtsinnigen Konkurses und Vermögensverfalls auch fahrlässig begangen werden könne, sei ihr Entscheid aufzuheben.
a) Die Frage nach der Schuldform von
Art. 165 StGB
ist umstritten. Eine Mehrheit von Autoren nimmt an, für eine Verurteilung wegen leichtsinnigen Konkurses und Vermögensverfalls reiche neben der vorsätzlichen auch eine grob fahrlässige Begehungsweise aus (GERMANN, Verbrechen, N. 3.2 zu Art. 165; LOGOZ, Commentaire, N. 3 zu Art. 165; THORMANN/VON OVERBECK, StGB, N. 5 zu Art. 165; SCHWANDER, SJK Nr. 1129, IV S. 4; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht I, S. 280). Soweit das Schrifttum zwischen den beiden Tatbestandsvarianten von
Art. 165 StGB
unterscheidet, wird die Meinung vertreten, bei der Verschlimmerung der Vermögenslage komme der vorsätzlichen Begehungsform der Vorrang zu, sofern sie nicht sogar allein in Betracht falle (CASPAR, Betrügerischer Konkurs, Pfändungsbetrug und leichtsinniger Konkurs, in ZStR 1971 (87), S. 41; HAFTER, Bes. Teil I, S. 349; LOGOZ, a.a.O. N. 3a zu Art. 165).
Ohne zwischen den beiden Tatbestandsvarianten zu unterscheiden, vertrat das Bundesgericht bis jetzt die Auffassung, auch die fahrlässige Begehungsweise werde von
Art. 165 StGB
erfasst. Es führte aus, einerseits komme die Fahrlässigkeit schon in der Umschreibung des Tatbestandes selbst zum Ausdruck, andrerseits sei der leichtsinnige Konkurs so sehr Fahrlässigkeitsdelikt, dass seine vorsätzliche Begehung eher die Ausnahme bilde (nicht publizierte Entscheide des Kassationshofes i.S. Grobéty, 13. November 1970; Zbinden, 15. November 1963; Muggler, 29. Februar 1952; Freymond, 20. September
BGE 104 IV 160 S. 166
1946). An dieser Rechtsprechung ist insbesondere auch bezüglich des Tatbestandes des Vermögensverfalls festzuhalten. Fahrlässigkeit im Falle von
Art. 165 StGB
nicht zu bestrafen, hiesse den Sinn des Gesetzes verkennen, was sich auch aus den Arbeiten der 2. Expertenkommission ergibt (vgl. E. 2a), denen zufolge die Verschlimmerung der Vermögenslage durch den Schuldner ebenso als Fahrlässigkeitsdelikt zu verstehen ist wie die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit. Dabei ist indessen nicht zu übersehen, dass - was schon der Wortlaut der Bestimmung nahelegt - für die Erfüllung beider Tatbestände nur grobe Fahrlässigkeit genügt, verlangt das Gesetz doch "argen Leichtsinn" oder "grobe Nachlässigkeit". Nicht ausgeschlossen wird dadurch freilich, dass der Täter gegebenenfalls auch vorsätzlich handeln kann. Er ist in diesem Fall erst recht strafbar, doch gehört eine Schädigungsabsicht nicht zum subjektiven Tatbestand (CASPAR, a.a.O. S. 36; HAFTER, a.a.O. S. 348; LOGOZ, N. 2b zu Art. 165; R. MÜLLER, Die Betreibungs- und Konkursdelikte in der Judikatur, in BlSchK 1956, S. 35 unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Obergerichts des Kantons Zürich; a.M.: SCHWANDER, SJK 1129 S. 5; GERMANN, a.a.O. S. 294).
b) Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer zur Hauptsache eine eventualvorsätzliche Begehung des Deliktes vor, weil er eine Gefährdung der Gläubigerinteressen in Kauf genommen habe. Damit aber bezieht sie - wie bereits ausgeführt - zu Unrecht die Absicht der Gläubigerbenachteiligung in den Tatbestand von
Art. 165 StGB
ein. Dieser der Vorinstanz unterlaufene Irrtum muss jedoch nicht zur Aufhebung des Urteils führen, weil dieses jedenfalls mit der subsidiär gegebenen Begründung hält. Wie nämlich die Vorinstanz darlegt, hätte der Beschwerdeführer wissen müssen, dass bei einer Fortführung der Geschäftstätigkeit auch in den Jahren nach 1970 weitere Verluste unvermeidbar waren. Die Jahresbilanzen, von denen er Kenntnis hatte, wiesen seit vielen Jahren Verlustvorträge aus, die das Stammkapital bei weitem überstiegen. H. kannte somit den misslichen Zustand des Unternehmens, führte dieses jedoch in der gewohnten Weise weiter, obschon bereits ein treuhänderischer Bericht vom Jahre 1955 empfohlen hatte, das überalterte Unternehmen zu liquidieren, sofern nicht in erheblichem Masse Sanierungsmassnahmen getroffen würden. Dazu kommt nach dem angefochtenen Urteil, dass der
BGE 104 IV 160 S. 167
Beschwerdeführer die Geschäftstätigkeit auch entgegen den Empfehlungen des Buchhalters und dem Rat seiner Ehefrau bei ständig zunehmenden Verlusten fortgesetzt hat, ohne seinen ihm nach Art. 817/725 OR obgelegenen Pflichten nachzukommen. Diese Feststellungen der Vorinstanz lassen ohne weiteres den Schluss auf grobe Fahrlässigkeit zu. Die Beschwerde ist daher mit dieser Begründung abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d0dd6123-f0b1-4a4f-be7c-f8635ddd12d1 | Urteilskopf
119 Ib 23
3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Februar 1993 i.S. Storit-Werke AG gegen Dorfkorporation Gretschins-Fontnas und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Anfechtung einer Konzession zur Ableitung von Trinkwasser aus einem öffentlichen Gewässer durch den Inhaber einer bestehenden unterliegenden Wasserkraftkonzession. BG über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916 (WRG), Art. 43, 70;
Art. 99 lit. d, 101 lit. d OG
.
1. Unzulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die neue Konzession gemäss
Art. 99 lit. d OG
. In der Erteilung der neuen Wassernutzungskonzession, welche mit der bestehenden Wasserkraftkonzession kollidieren könnte, liegt auch kein Widerruf dieser bestehenden Konzession, gegen den gemäss
Art. 43 WRG
i.V.m.
Art. 101 lit. d OG
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig wäre (E. 2c).
2. Rechtsweg für Streitigkeiten zwischen dem Beliehenen und den Inhabern früherer Verleihungen oder anderweitiger bestehender Rechte (E. 2c, cc).
3. Verhältnis der Vorschriften des WRG über Wasserkraftkonzessionen zu den kantonalen Vorschriften über sonstige Wassernutzungskonzessionen (E. 2c, dd).
4. Unzulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Nichterschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, wenn gegen den beanstandeten Eingriff kantonale (und allfällige anschliessende eidgenössische) Klageverfahren zur Verfügung stehen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 24
BGE 119 Ib 23 S. 24
A.-
Die Storit-Werke AG, Azmoos, nutzt aufgrund einer unbefristeten altrechtlichen Konzession des st. gallischen Regierungsrates vom 16. Februar 1866 (Wasserrecht Nr. III/17) eine Gefällsstufe des Mühlbaches von 107,96 m für den Betrieb eines Wasserkraftwerkes (88 l/s; 126,67 PS). Zum Einzugsgebiet des Mühlbaches gehört u.a. die - seit 1961 von Gesetzes wegen als öffentliche Bachquelle geltende - Haberbündtliquelle (mittlere Schüttung 1650 l/m); ihr Wasser
BGE 119 Ib 23 S. 25
fliesst, soweit es nicht in die Trinkwasserversorgung der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas abgeleitet wird, über den Saschelabach oberhalb der von der Storit-Werke AG genutzten Gefällsstufe in den Mühlbach.
B.-
Die Dorfkorporation Gretschins-Fontnas, welche für den Bezug des Trinkwassers von der Haberbündtliquelle (Grundstück Nr. 2571 in der Gemeinde Wartau) heute keinen formellen Rechtstitel besitzt und ihre bisherige baufällige Fassungsanlage erneuern möchte, stellte am 8. Juli 1988 beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen das Gesuch um Erteilung einer auf 50 Jahre befristeten Konzession zur Neufassung und Nutzung dieser Quelle im Umfang von 800 l/m bzw. 420'000 m3 pro Jahr.
Das Gesuch wurde während 30 Tagen öffentlich aufgelegt. Während der Auflagefrist erhob u.a. die Storit-Werke AG Einsprache mit dem Einwand, die von der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas anbegehrte Konzession verstosse gegen Dienstbarkeiten, welche die Ortsgemeinde Wartau als Eigentümerin des Quellengrundstückes am 17. Januar 1959 und am 30. September 1959 mit der Weberei Azmoos AG sowie den damals getrennten Brunnengenossenschaften Gretschins und Fontnas vereinbart habe. Danach habe die Storit-Werke AG als Rechtsnachfolgerin der Weberei Azmoos AG ein Wassernutzungsrecht an allen bekannten und allfällig noch zum Vorschein kommenden Quellen im Einzugsgebiet des Mühlbaches, und das Überwasser der von der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas zu Trinkwasserzwecken genutzten Haberbündtliquelle müsse im bisherigen Rahmen den berechtigten Werken belassen (d.h. in den Mühlbach abgeleitet) werden. Im Laufe der an diese Einsprache anschliessenden Verhandlungen machte die Storit-Werke AG zudem geltend, der mit der beabsichtigten neuen Quellfassung verbundene gesteigerte Wasserverbrauch beeinträchtige den Betrieb ihrer Turbinenanlage; sie verlangte eine Beschränkung der Trinkwasserentnahme auf maximal 300 m3 pro Tag (Eingabe vom 28. März 1990).
Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen stellte mit Beschluss vom 9. April 1991 zunächst fest, dass die Haberbündtliquelle (als Bachquelle) ein öffentliches Gewässer im Sinne von Art. 2 des kantonalen Gesetzes über die Gewässernutzung vom 5. Dezember 1960 darstelle und dass im Grundwasserverzeichnis kein Wasserrecht zur Nutzung der Haberbündtliquelle zugunsten der Storit-Werke AG begründet worden sei (Ziff. I). Auf die "privatrechtliche Einsprache" der Storit-Werke AG vom 14. September 1988 trat der Regierungsrat nicht ein und verwies die Einsprecherin diesbezüglich, unter
BGE 119 Ib 23 S. 26
Ansetzung einer Frist von 14 Tagen, auf den Zivilrechtsweg (Ziff. II/1/a und b). Auf die "öffentlichrechtliche Einsprache" der Storit-Werke AG (betreffend die Beeinträchtigung ihrer Wasserrechtskonzession Nr. III/17) wurde, wegen Nichteinhaltung der Frist, ebenfalls nicht eingetreten (Ziff. II/2). Unter Ziff. III des Entscheides wird der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas, unter Vorbehalt der Erledigung der privatrechtlichen Einsprache der Storit-Werke AG, die anbegehrte Wasserrechtskonzession als Wasserrecht Nr. Q 13 mit gewissen mengenmässigen Einschränkungen (max. 800 l/m; höchstens 600 m3 pro Tag und 220'000 m3 pro Jahr) sowie einer Reihe von Auflagen und Vorbehalten für die Dauer von 50 Jahren erteilt.
C.-
Die Storit-Werke AG erhebt gegen diesen Entscheid des Regierungsrates mit Eingabe vom 21. Mai 1991 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV
und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides.
D.-
Unter dem gleichen Datum führte die Storit-Werke AG mit einer weiteren Eingabe Verwaltungsbeschwerde beim Bundesrat mit dem Antrag, Ziff. I, II und III/1 ("Nutzungsumfang") des Entscheides des st. gallischen Regierungsrates seien aufzuheben und es sei der Nutzungsumfang auf "höchstens 800 Minutenliter, aber höchstens 300 Kubikmeter je Tag und höchstens 110'000 Kubikmeter je Jahr" festzulegen; eventuell sei die ganze Verfügung des Regierungsrates aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Nach Durchführung eines Meinungsaustausches mit dem Bundesamt für Justiz, Abteilung für Beschwerden an den Bundesrat, übernahm das Bundesgericht auch die Behandlung der an den Bundesrat gerichteten Eingabe als Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
E.-
Das Baudepartement des Kantons St. Gallen stellt in seiner Vernehmlassung vom 26. August 1992 namens des Regierungsrates den Antrag, es sei auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen. Ebenso sei auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen. Im gleichen Sinne liess sich die (nachträglich zur Stellungnahme eingeladene) Dorfkorporation Gretschins-Fontnas am 17. Dezember 1992 zu den beiden Beschwerden vernehmen. Das Eidgenössische Departement des Innern verzichtete auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht tritt auf die beiden Beschwerden nicht ein
BGE 119 Ib 23 S. 27
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid über die Erteilung einer Konzession zur Nutzung eines Wasservorkommens zu Trinkwasserzwecken. Eine solche Konzession unterliegt, soweit sie vom kantonalen Recht beherrscht wird, nach Massgabe von
Art. 84 ff. OG
allein der staatsrechtlichen Beschwerde. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde fällt nur insofern in Betracht, als der angefochtene Entscheid Fragen beschlägt, in denen direkt anwendbares Bundesrecht Platz greift, und als die Voraussetzungen nach
Art. 98 ff. OG
erfüllt sind. Soweit dies der Fall ist, sind die vorliegenden beiden Rechtsmitteleingaben als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln.
b) Das Bundesgesetz über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916 (WRG; SR 721.80) enthält Vorschriften über die Inanspruchnahme von Gewässern zum Zwecke der Energiegewinnung. Nach
Art. 43 WRG
verschafft die Verleihung einer Wasserkraftkonzession dem Beliehenen ein wohlerworbenes Recht, das nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und gegen volle Entschädigung zurückgezogen oder geschmälert werden kann (Abs. 1 und 2). Gegen entsprechende letztinstanzliche kantonale Entscheide steht heute die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offen (vgl.
Art. 101 lit. d OG
; HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. II, Bern 1986, S. 262, N. 8). Die Beschwerdeführerin beruft sich in ihrer an den Bundesrat gerichteten Eingabe ausdrücklich auf
Art. 43 WRG
.
c) Das der Beschwerdeführerin gemäss Wasserrechtsverzeichnis zustehende Wasserrecht Nr. III/17, aufgrund dessen sie eine unterliegende Gefällsstufe des Mühlbachs für ihre Wasserkraftanlage benutzt, wird durch die der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas neu erteilte Konzession formell nicht berührt; der Inhalt des im Wasserrechtsverzeichnis unter Nr. III/17 registrierten Wasserrechts bleibt unverändert. Von der Rücknahme oder Schmälerung einer verliehenen Wasserkraftkonzession im Sinne von
Art. 43 WRG
kann insofern nicht die Rede sein. Im blossen Umstand, dass der Regierungsrat einem Drittbewerber ein Wasserrecht verliehen hat, welches rechtlich oder faktisch mit dem bestehenden Wasserrecht der Beschwerdeführerin kollidieren könnte, liegt noch kein Eingriff gemäss
Art. 43 WRG
, gegen den sie sich mittels Verwaltungsgerichtsbeschwerde unmittelbar beim Bundesgericht zur Wehr setzen könnte.
aa) Zu bemerken ist zunächst, dass
Art. 43 WRG
auf Wasserrechte, die vor dem 25. Oktober 1908 (Zeitpunkt der Volksabstimmung
BGE 119 Ib 23 S. 28
über
Art. 24bis BV
) begründet worden sind, zumindest formell gar nicht anwendbar ist (
Art. 74 Abs. 2 WRG
).
bb) Der angefochtene Konzessionsentscheid hat im übrigen auch nicht jene rechtliche Tragweite, welche ihm die Beschwerdeführerin beimisst. In der Regel werden Privatrechte Dritter sowie "frühere Verleihungen" durch eine neue Verleihung nicht berührt (
Art. 45 WRG
). Das einem neuen Bewerber verliehene Nutzungsrecht steht unter dem Vorbehalt vorgehender früherer Verleihungen (Botschaft des Bundesrates zum WRG vom 19. April 1912, BBl 1912 II 693; GEISER/ABBÜHL/BÜHLMANN, Einführung und Kommentar zum WRG, Zürich 1921, S. 176 ff.;
BGE 90 I 125
). Wo bestehende Nutzungsrechte mit einer vorgesehenen Verleihung nicht vereinbar sind, können sie, wenn die neue Nutzung im öffentlichen Wohle liegt, enteignet werden (
Art. 46 WRG
). Ferner kann ein Nutzungsrecht gegen Entschädigung beschränkt werden, wenn ein zweckmässiger Ausgleich mit einem kollidierenden andern Nutzungsrecht nicht möglich ist (
Art. 32 Abs. 3 WRG
). Die Regel von
Art. 45 WRG
über den Vorrang bestehender Verleihungen gilt allerdings nur für Wasserrechte, die nach dem 25. Oktober 1908 begründet worden sind (
Art. 74 Abs. 2 WRG
). Wieweit dieser übergangsrechtliche Vorbehalt hier zum Zuge kommt, braucht nicht abgeklärt zu werden. Jedenfalls wollte der Regierungsrat mit dem angefochtenen Entscheid gar nicht in die bestehende Wasserkraftkonzession der Beschwerdeführerin eingreifen. Wenn er die anbegehrte neue Konzession trotz der im Einspracheverfahren erhobenen Einwendungen erteilte, so deshalb, weil er dem Wasserrecht Nr. III/17 aufgrund einer vorfrageweisen Beurteilung einen engeren Umfang beimass als die Beschwerdeführerin, und in bezug auf die geltend gemachten privatrechtlichen Hindernisse (Dienstbarkeit) behielt der Regierungsrat den Entscheid des Zivilrichters ausdrücklich vor.
cc) Gemäss
Art. 70 WRG
fällt der Entscheid über Streitigkeiten zwischen Beliehenen und anderen Nutzungsberechtigten über den Umfang ihrer Nutzungsrechte in die Zuständigkeit der Gerichte. Zwar muss der Verleihung einer Wasserkraftkonzession ein Auflage- und Einspracheverfahren vorausgehen (
Art. 60 WRG
). Damit soll erreicht werden, dass die Behörde in Kenntnis der berührten privaten und öffentlichen Interessen über die Erteilung der anbegehrten Konzession entscheidet. Diese Einsprachemöglichkeit stellt nach der Rechtsprechung des Bundesrates zu
Art. 60 WRG
aber kein Rechtsmittel dar, welches von Bundesrechts wegen Anspruch auf Fällung und Eröffnung eines begründeten materiellen Entscheides
BGE 119 Ib 23 S. 29
geben würde (vgl. VPB 32 Nr. 121 S. 160 f.; 29 Nr. 180; 28 Nr. 108; 22 Nr. 129). Dies schliesst nicht aus, dass die Verleihungsbehörde, je nach Ausgestaltung des kantonalen Verfahrensrechtes, erhobene Einsprachen förmlich behandelt, beim Entscheid über die Erteilung der Konzession gegebenenfalls berücksichtigt und über gewisse öffentlichrechtliche Einwendungen Dritter allenfalls verbindlich entscheidet. Sie kann, wie im st. gallischen Gesetz über die Gewässernutzung vom 5. Dezember 1960 (GNG) vorgesehen, den Konzessionsgesuchsteller anhalten, über bestrittene Privatrechte innert Frist den Entscheid des Richters anzurufen (Art. 17 Abs. 2 GNG) oder die Konzession unter dem Vorbehalt der Erledigung der privatrechtlichen Einsprachen erteilen (Art. 19 Abs. 3 GNG). Das Auflage- und Einspracheverfahren soll dazu beitragen, spätere Konflikte zwischen dem Beliehenen und berührten Dritten möglichst zu vermeiden. Doch wird mit der Verleihung über die Rechte Dritter nicht verbindlich entschieden. Das kommt schon darin zum Ausdruck, dass die Auflage des Konzessionsgesuches nicht mit der Androhung verbunden werden darf, nicht rechtzeitig angemeldete Rechte seien verwirkt (
Art. 60 Abs. 3 WRG
, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GNG). Dieser Vorbehalt gilt nicht nur für berührte Privatrechte, sondern auch für kollidierende frühere Verleihungen bzw. andere Nutzungsrechte (
Art. 70 WRG
, Art. 47 GNG). Das WRG wollte die Befugnisse der Verwaltungsbehörden in dieser Hinsicht bewusst beschränken; sie sollen bei der Begründung und Gestaltung der Nutzungsrechte mitwirken, über den Einsatz der dem Gemeinwesen zustehenden Zwangsmittel entscheiden und die Aufsicht über den Betrieb der Werke führen, während Anstände über Bestand und Umfang privater Rechte und über den Inhalt von Verleihungen sowie der Entscheid über Entschädigungsansprüche und Beitragspflichten in die Zuständigkeit der Gerichte fallen (MERZ, Die Befugnis der Bundesbehörden auf dem Gebiet der Nutzbarmachung der Wasserkräfte, ZSR 45/1926 S. 450 ff., 459; REINHARD ISLER, Die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen auf dem Gebiet der Wasserkraftausnutzung, Diss. Zürich 1935, S. 95 f.).
dd) Die erwähnten Vorschriften des WRG gelten an sich nur für Verleihungen, die unter dieses Gesetz fallen, d.h. für Konzessionen zur Nutzung der Wasserkraft. Die im vorliegenden Fall angefochtene Konzession dient der Trinkwasserversorgung und steht insofern ausserhalb des Regelungsbereiches des WRG. Nach Sinn und Zweck dieses Bundesgesetzes, welches die Nutzung der Wasserkraft fördern und erleichtern will, müssen die erwähnten bundesrechtlichen
BGE 119 Ib 23 S. 30
Regelungen aber auch dann zum Zuge kommen, wenn es um das Verhältnis von Wasserkraftkonzessionen zu anderweitigen Wassernutzungsrechten geht. Das st. gallische Gesetz über die Gewässernutzung unterwirft alle Arten von Wasserrechtsverleihungen einer einheitlichen, den Vorgaben des WRG folgenden Ordnung, so dass die Verschiedenheit der hier einander gegenüberstehenden Konzessionen insofern zu keinen Schwierigkeiten führt.
ee) Der angefochtene Regierungsratsbeschluss vom 9. April 1991, durch den der Dorfkorporation Gretschins-Fontnas die anbegehrte Konzession zur Wasserentnahme aus der Haberbündtliquelle erteilt und auf die öffentlichrechtliche Einsprache der Beschwerdeführerin nicht eingetreten wird, führt demnach rechtlich zu keiner Einschränkung des bestehenden Wasserrechtes Nr. III/17, gegen welche gestützt auf
Art. 43 Abs. 3 WRG
in Verbindung mit
Art. 101 lit. d OG
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geführt werden könnte. Mit dem angefochtenen Entscheid ist über das Verhältnis der neuen Wasserrechtskonzession zur bestehenden Konzession der Beschwerdeführerin nicht verbindlich entschieden, da ihr in dieser Frage der Zugang zu den kantonalen Gerichten offensteht (Art. 47 Ziff. 3 GNG). Dass der Regierungsrat auf die bestehende Wasserrecht Nr. III/17 betreffende "öffentlichrechtliche Einsprache" wegen verspäteter Erhebung derselben nicht eingetreten ist, ändert daran nichts. Der Beschluss des Regierungsrates stellt insofern in bezug auf den behaupteten Rechtsverlust keinen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im Sinne von
Art. 98 lit. g OG
dar. Zum Zuge kommt vielmehr die Vorschrift von
Art. 99 lit. d OG
, wonach gegen Entscheide über die Erteilung oder Verweigerung von Konzessionen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig ist. Da sich die angefochtene Konzession als solche ausschliesslich auf kantonales Recht stützt, fällt auch die Beschwerde an den Bundesrat ausser Betracht (
Art. 72 ff. VwVG
; vgl. auch CHRISTIAN VOGEL, Einschränkungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht, Diss. Zürich 1973, S. 145 f.).
d) Der Vollständigkeit halber sei beigefügt, dass entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin auch nicht
Art. 53 WRG
zur Anwendung gelangt ist, wonach der Inhaber einer Wasserkraftkonzession bei dringendem Bedürfnis zur Wasserabgabe an Gemeinden verhalten werden kann. Der Regierungsrat machte nicht von dieser Regelung Gebrauch, sondern die Zuweisung von Trinkwasser an die Dorfkorporation Gretschins-Fontnas erfolgte in Form einer selbständigen neuen Konzession, in der Annahme, dass damit nicht in das
BGE 119 Ib 23 S. 31
Wasserrecht der Beschwerdeführerin eingegriffen werde. Es liegt auch kein Tatbestand gemäss
Art. 44 WRG
vor (bleibende Verringerung der durch die Verleihung garantierten Wassermenge infolge öffentlicher, den Wasserlauf verändernden Arbeiten, vgl.
BGE 90 I 125
). Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde (oder eine Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat) fällt auch in dieser Hinsicht nicht in Betracht.
e) Dasselbe gilt schliesslich für die im angefochtenen Entscheid (Ziff. I) getroffenen Feststellungen, dass die Haberbündtliquelle ein öffentliches Gewässer gemäss Art. 2 GNG darstelle und dass im Grundwasserverzeichnis zugunsten der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin kein Wasserrecht zur Nutzung dieser Quelle begründet worden sei. Diese Feststellungen beinhalten ebenfalls keine verbindliche Beschränkung des Wasserrechtes Nr. III/17; es handelt sich letztlich nur um die Begründung für die vom Regierungsrat in Anspruch genommene Kompetenz zur Erteilung der streitigen neuen Konzession. Der Vorbehalt der gerichtlichen Beurteilung, soweit es um den Umfang der der Beschwerdeführerin zustehenden Rechte geht, gilt auch in diesen Punkten.
3.
a) Da nach dem Gesagten kein Raum für ein ordentliches eidgenössisches Rechtsmittel (Verwaltungsgerichtsbeschwerde oder Verwaltungsbeschwerde) besteht, unterliegt der angefochtene Entscheid einzig der staatsrechtlichen Beschwerde. Diese setzt jedoch, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, die Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges voraus (Art. 86/87 OG); zu den zu ergreifenden kantonalen Rechtsbehelfen gehören auch Klagen, wenn sie geeignet sind, die gerügte Rechtsverletzung zu beseitigen (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 281, 284).
b) Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde vorab eine Verletzung der Eigentumsgarantie. Soweit sie diese in der behaupteten Missachtung ihr zustehender privater Rechte (Dienstbarkeiten) sieht, kann darauf nicht eingetreten werden, weil in diesem Punkt gemäss ausdrücklicher Anordnung im angefochtenen Entscheid (Ziff. II/1/b) der Weg an den Zivilrichter offensteht (vgl. auch
BGE 80 I 244
E. 2,
BGE 68 I 157
). Die Beschwerdeführerin hat denn auch innert der ihr gesetzten Frist eine entsprechende Klage eingereicht, die zur Zeit beim Kantonsgericht hängig ist.
c) Soweit die Beschwerdeführerin in der neu erteilten Konzession zugleich eine Einschränkung ihres eigenen Wasserrechtes Nr. III/17 erblickt und in diesem Zusammenhang eine Verletzung der
BGE 119 Ib 23 S. 32
Eigentumsgarantie rügt, kann auf das oben (E. 2) Gesagte verwiesen werden. Die angefochtene Konzession führt rechtlich noch zu keiner Beschränkung des bestehenden Nutzungsrechtes Nr. III/17; es steht der Beschwerdeführerin auch in diesem Punkt der Zugang zu den kantonalen Gerichten offen.
d) Aus den genannten Gründen kann sich die Beschwerdeführerin gegenüber dem angefochtenen Entscheid in den erwähnten beiden Fragebereichen auch nicht auf das allgemeine Willkürverbot (
Art. 4 BV
) berufen. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d0ddde90-6cfc-4d16-a76a-12c44cfdc5a2 | Urteilskopf
100 IV 155
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Mai 1974 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Hadorn und Bruchez. | Regeste
Art. 137 StGB
. Übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund.
Erlaubt ein Grundeigentümer auf seinem Grund und Boden das Ausbeuten von Mineralien (sog. Strahlen) durch Dritte nur unter der Bedingung, dass bestimmte Regeln eingehalten werden, dann kann sich derjenige, der diese Übung missachtet, nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Grundeigentümers berufen. | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 100 IV 155 S. 155
A.-
1.
Im Jahre 1966 fand Rufibach am Zinggenstock im Grimselgebiet im Kanton Bern auf 2750 Meter über Meer eine Kluft mit Rauchquarzen. Da das Loslösen von Rauchquarzgruppen in dieser Höhe zeitraubend ist, weil die im vereisten Lehm und Fluoritsand festgehaltenen Mineralien vorerst abgeschmolzen und danach von Staub und Stein gereinigt werden müssen, und die Arbeitsleistung pro Tag deshalb sehr gering ist, musste Rufibach mit einer sich über eine längere Zeit hinziehenden Ausbeutung rechnen. Aus diesem Grund belegte er die Kluft, indem er seine Werkzeuge an Ort und Stelle zurückliess. Nach allgemeinem und überliefertem Strahlerbrauch ist damit ein Dritter von einer Ausbeutung der betreffenden Höhle ausgeschlossen. Zur wirksameren Sicherung gegen "Wilderer" brachte Rufibach in der Folge beim Einstieg in die Kluft ein in den Felsen eingemauertes Eisentor an.
Laut Grundbuch gehört das Gebiet, in dem diese Mineralien liegen, der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO).
Erwägungen
2.
Als sich Rufibach zusammen mit einem Kollegen am 28. August 1970 in der genannten Kluft befand, kam Hadorn mit seinen zwei Söhnen anlässlich einer Bergwanderung bei
BGE 100 IV 155 S. 156
der Höhle vorbei. Rufibach zeigte den Knaben die Kluft und beschenkte sie mit Rauchquarzstückchen.
Am 11. September 1970 begab sich Hadorn zusammen mit Bruchez zur Kluft. Sie hatten sich entschlossen, das Eisentor aufzubrechen und sodann in die Höhle einzusteigen, wo sie sich Kristalle aneignen wollten. Mit entsprechendem Werkzeug ausgerüstet machten sie sich gegen 22.00 Uhr auf den Weg und erreichten die Kluft nach etwa zwei Stunden. Gemeinsam brachen sie das Eisentor auf, indem sie drei Vorhängeschlösser aufsprengten und einige Schrauben lösten. Hierauf drangen sie in die Höhle ein, brachen Stücke aus einer Mineraliengruppe ab und behändigten diese zusammen mit lose auf dem Boden liegenden Kristallstücken.
B.-
Am 6. Dezember 1972 sprach das Strafamtsgericht von Oberhasli Hadorn und Bruchez des Diebstahls und der Sachbeschädigung schuldig. Es verurteilte Hadorn zu sieben und Bruchez zu acht Monaten Gefängnis, gewährte beiden Angeschuldigten den bedingten Strafvollzug und setzte die Probezeit auf drei Jahre an.
Am 17. April 1973 gab das Obergericht des Kantons Bern dem Verfahren gegen die beiden Verurteilten wegen Sachbeschädigung, angeblich begangen durch Beschädigung von Kristallen und des Eisentors, keine weitere Folge. Es sprach Hadorn und Bruchez von der Anschuldigung des Diebstahls frei, verurteilte sie jedoch wegen Sachbeschädigung (Vorhängeschlösser) zu je Fr. 50.- Busse.
C.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt u.a. die Angeschuldigten wegen Diebstahls zu verurteilen.
D.-
Hadorn und Bruchez beantragen Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es ist unbestritten und ergibt sich aus den Fotos und den vorinstanzlichen Feststellungen, dass die Kluft in kulturunfähigem Felsgebiet in einer Höhe von 2750 m liegt.
Nach
Art. 664 Abs. 2 ZGB
besteht an nicht kulturfähigem Land wie Felsen und Schutthalden, Firnen und Gletschern vorbehältlich anderweitigen Nachweises kein Privateigentum. Der Beschwerdeführer schliesst daraus, die Kristallkluft gehöre
BGE 100 IV 155 S. 157
nicht der KWO, sondern dem Staate Bern. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegner verweisen jedoch zutreffend auf die Unterlagen, aus denen sich das Privateigentum der KWO ergibt. Laut Grundbuch Meiringen wurde das Grundstück im Jahre 1514 von der Burgergemeinde Törbel erworben und seither unangefochten besessen und am 7. August 1911 in die kantonalen Bücher eingetragen. Bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches war das Gebiet somit nicht herrenlos, sondern stand im Privateigentum der Burgergemeinde. Von ihr erwarb es die KWO mit Kaufvertrag von 1948. Diese wurde unter Nr. 949 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Burgergemeinde Törbel habe das Felsgebiet nicht wirtschaftlich genutzt, daran also auch kein Eigentum erworben und kein solches auf die KWO übertragen können. Der Einwand hält nicht stand. Für den räumlichen Inhalt des Grundstückes wird zwar auf 35 Kuhrechte Weide verwiesen, das Recht selber aber nicht etwa als blosses Alprecht bezeichnet. Der ursprüngliche Eintrag bezieht sich auf einen Kaufvertrag über eine geographisch genau umschriebene Besitzung. Das vom Grundbuch ausgewiesene Eigentum der Burgergemeinde und seit 1948 der KWO ist bis heute unangefochten geblieben. Der Kanton Bern selbst hat zwar diese Liegenschaft zusammen mit andern am 1. August 1958 unter Naturschutz gestellt, in Ziffer III/7 seines Beschlusses aber ausdrücklich "alle Rechte der Kraftwerke Oberhasli AG als Eigentümerin der Grimsel-, Oberaar- und Räterichsbodenbesitzungen..." vorbehalten, also nicht etwa nur im Rahmen der bestehenden Kraftwerkanlagen und der gegenwärtigen Nutzungsart. Auch die kantonale Forstverwaltung verweist auf das grundbuchlich eingetragene Privatrecht. In ihrem Schreiben vom 29. Dezember 1972 beansprucht die KWO selbst das volle Eigentumsrecht am betreffenden Grundstück.
Übrigens ist der Einwand des Beschwerdeführers unbeachtlich, weil die vorinstanzlichen Feststellungen über den Eigentumserwerb der Burgergemeinde Törbel die Anwendung kantonalen Rechts betreffen, die vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann (
BGE 89 II 295
Erw. 3).
2.
Die Beschwerdegegner berufen sich auf
Art. 667 ZGB
, wonach sich das Eigentum so weit nach unten in das Erdreich erstreckt, als für die Ausübung des Eigentums ein Interesse
BGE 100 IV 155 S. 158
besteht. Dieses bestimmt sich nach Auffassung der Beschwerdegegner nach der gegenwärtigen Nutzung durch den derzeitigen Eigentümer. Die KWO sei nicht an den Mineralien interessiert, weshalb sie kein Eigentum an den in der Kluft befindlichen Kristallen habe. Die betreffenden Mineralien stellten demnach herrenlose Sachen dar.
Für die vertikale Abgrenzung des Grundeigentums kommt es nicht auf die gegenwärtige Nutzung durch den konkreten Eigentümer an. Vielmehr ist der künftigen möglichen Entwicklung Rechnung zu tragen (HAAB, N. 5 zu
Art. 667 ZGB
). Der Grundeigentümer ist vorbehältlich des Bergregals (das im Kanton Bern die Kristallvorkommen nicht erfasst) berechtigt, Bodenmaterialien auszubeuten (HAAB, a.a.O., N. 12). Ob er ein schutzwürdiges Interesse hat, sein Eigentum bis in eine bestimmte Tiefe auszunutzen, entscheidet sich nicht nach der gegenwärtigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Eigentümers, sondern danach, ob er den betreffenden Raum überhaupt beherrschen und daran aus dem Eigentum fliessende Nutzungsbefugnisse ausüben kann (
BGE 93 II 175
Erw. 5 mit Verweisungen); es genügt das Interesse an einer allfällig künftigen Nutzung (
BGE 97 II 338
Erw. 2).
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz stehen die fragliche Kluft und alle darin mit dem Fels verbundenen Mineralien im Eigentum der KWO. Diese übt ihr Recht an den Mineralien gegenwärtig nicht aus, könnte dies aber jederzeit tun. Sie hat daher ein schutzwürdiges Interesse daran, das Eigentum an ihrem Grundstück nach unten bis zu diesen Mineralien geltend zu machen.
Ist dem aber so, dann trifft die Behauptung des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegner, die Kristalle seien herrenlose Sachen gewesen, nicht zu.
3.
Waren die fraglichen Mineralien nicht herrenlos und konnten die Beschwerdegegner demnach nicht durch blosse Aneignung Eigentum daran erwerben, so ist zu prüfen, ob die übrigen Tatbestandsmerkmale des Diebstahls erfüllt sind.
a) Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz war die Kristallkluft im Zeitpunkt der Tat erschlossen und die KWO hatte den Herrschaftswillen über das Gebiet, einschliesslich der Mineralien. Sie hatte also Gewahrsam an der Kluft, auch wenn sie Strahlern unter gewissen Voraussetzungen die Ausbeutung gestattete. Die Beschwerdegegner haben diesen Gewahrsam
BGE 100 IV 155 S. 159
durch das Aufsprengen des Tors, das Abbrechen der mit dem Felsen verbundenen Mineralien und deren nachträgliche Wegschaffung gebrochen. Dass die Eigentümerin zur Zeit der Tat vorübergehend nicht in der Lage war, die Sache tatsächlich zu beherrschen (
BGE 80 IV 153
), ändert entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner nichts.
b) Sodann stellt die Vorinstanz verbindlich fest, dass die Täter die Rauchquarze aus dem Eigentum der KWO weggenommen und in ihr eigenes Vermögen überführt haben. Dadurch strebten sie den Erwerb von Kristallen an, für den sie sonst Zeit, Arbeit und Geld hätten aufwenden müssen. Die unrechtmässige Bereicherung ist damit ausgewiesen. Was die Beschwerdegegner dazu ausführen, ist unzulässige Kritik an tatsächlichen Feststellungen (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
c) Endlich haben die Täter nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz vorsätzlich gehandelt.
4.
Obschon die Tatbestandselemente des Diebstahls erfüllt sind, hat die Vorinstanz die Beschwerdegegner freigesprochen mit der Begründung, es liege der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Verletzten vor.
Sind die einzelnen Merkmale eines Delikts erfüllt, so macht sich der Täter dann nicht strafbar, wenn die Tat ausschliesslich private Vermögensinteressen verletzt und der Verletzte im voraus die Einwilligung dazu erteilt (SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Nr. 173). Auch eine bloss mutmassliche EinWilligung des Verletzten kommt, wo dieser nicht rechtzeitig einwilligen kann, für eine in seinem Interesse liegende Tat als Rechtfertigungsgrund in Betracht (GERMANN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 9. Auflage, S. 61).
Die Vorinstanz stellt fest, die KWO erlaube auf dem in ihrem Eigentum stehenden Gebiet grundsätzlich jedem Dritten das Strahlen; diese Erlaubnis habe somit auch für die beiden Täter gegolten. Diese könnten sich deshalb auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung der Verletzten berufen. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die KWO hat die Aneignung von Kristallen aus dem ihr gehörenden Grund und Boden, insbesondere des Zinggenstocks nicht vorbehaltlos zugelassen. Vielmehr gestattete sie das Strahlen lediglich grundsätzlich, d.h. unter bestimmten Voraussetzungen. Diese hat sie in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1973 unzweideutig genannt: sie erlaubt das Strahlen nur unter der Bedingung,
BGE 100 IV 155 S. 160
dass die allgemeinen überlieferten Strahlerregeln eingehalten werden. Insbesondere darf eine bereits belegte oder gar durch ein Tor gesicherte Fundstelle nur durch die ursprünglichen Entdecker, die die Kluft belegt haben, nicht aber durch Dritte ausgebeutet werden. Die Vorinstanz verneint die Rechtsverbindlichkeit dieser an sich unbestrittenen Beschränkungen für die Beschwerdegegner mit dem Hinweis darauf, die Bedingungen seien nicht öffentlich kundgegeben worden. Darauf kommt jedoch nichts an. Für die Einwilligung des Verletzten gilt das Willensprinzip: Der tatsächliche Umfang der Erlaubnis hängt ausschliesslich vom Willen des Verletzten ab (NOLL, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 130 ff.). Im vorliegenden Fall ergibt sich dieser eindeutig aus den nicht in Frage gestellten Erklärungen der KWO. Deshalb kann sich derjenige nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Grundeigentümers berufen, der sich nicht an die überlieferten Strahlerregeln hält oder gar an einer bereits belegten Kluft "wildert".
Die KWO hat zudem nicht etwa früher eine Erklärung veröffentlicht, die eine bedingungslose Einwilligung darstellen würde. Wussten die Beschwerdegegner aber nur ganz allgemein, dass das Strahlen erlaubt worden sei, so hätten sie erst recht Anlass gehabt, sich über die Modalitäten zu vergewissern. Die Rechtswidrigkeit der von den Beschwerdegegnern begangenen Handlungen wurde demnach durch die grundsätzliche Strahlerbewilligung der KWO nicht ausgeschlossen. Deshalb haben sich jene des Diebstahls schuldig gemacht. Das angefochtene Urteil ist in diesem Punkte aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Beschwerdegegner des Diebstahls schuldig erkläre und entsprechend bestrafe.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d0de0dfd-e5c9-48f3-a80c-38092480f29e | Urteilskopf
89 IV 178
36. Entscheid der Anklagekammer vom 11. September 1963 i.S. Düringer und Jetzer gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
1.
Art. 29 Abs. 2 OG
. Ein Redaktor ist nicht befugt, einen Mitbeschuldigten vor der Anklagekammer zu vertreten (Erw. 1).
2.
Art. 351 StGB
,
Art. 264 BStP
. Bei Antragsdelikten tritt die Anklagekammer auf das Gerichtsstandsgesuch des Beschuldigten ein, selbst wenn im Kanton, den er für zuständig hält, nicht ein dem dort geltenden Prozessrecht entsprechender Strafantrag gestellt worden ist. Es steht ihr jedoch nicht zu, diesen Kanton trotz Fehlens des Strafantrages zur Verfolgung zu verpflichten (Erw. 2).
3.
Art. 347 Abs. 1 StGB
. Gerichtsstand der Presse. Wo wirwird die Druckschrift herausgegeben (Erw. 3)? | Sachverhalt
ab Seite 178
BGE 89 IV 178 S. 178
A.-
Am 6. März 1963 übergab der Neue Gotthardbund der Poststelle Zürich 1930 Ausfertigungen eines Flugblattes, das als "Extrablatt, Neuer Gotthardbund, Organ des Neuen Gotthardbundes" überschrieben ist und am Kopfe den Vermerk trägt "Redaktion: Walter Düringer, Friedensgasse 3, Zürich 2. Druck: Adolf Fehr, Oberleimbach ZH". Das Flugblatt enthält einen einzigen, mit "Hütet Euch am Morgarten!" überschriebenen Aufruf, der mit "Der Drachentöter" unterzeichnet ist. Die Post wurde
BGE 89 IV 178 S. 179
beauftragt, dieses Blatt in Zurzach (Aargau) allen Haushaltungen zuzustellen.
Am Morgen des 8. März 1963 fand Gemeindeammann Dr. Edelmann, Zurzach, eine Ausfertigung des Flugblattes in seinem Postfach. Da es Äusserungen über ihn enthält, die er als ehrverletzend erachtete, liess er durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau alle Ausfertigungen, soweit sie noch auf der Poststelle Zurzach lagen, beschlagnahmen und erstattete am gleichen Tage, den 8. März 1963, bei der erwähnten Behörde gegen unbekannte Täter Strafanzeige wegen Amtsehrverletzung.
Der Neue Gotthardbund liess hierauf das gleiche Flugblatt in etwa tausend Ausfertigungen nochmals drucken. Düringer und Jetzer, die beide im Kanton Zürich wohnen, begaben sich damit am 9. März 1963 nach Zurzach und verteilten es, indem sie es in Briefkästen einwarfen und Leuten auf der Strasse überreichten. Ein Dritter war ihnen dabei behilflich. Dieses Vorgehen wurde von Jetzer am 12. März 1963 vor der aargauischen Kantonspolizei zugegeben. Düringer anerkannte seine Tat am 3. Juli 1963 vor dem Präsidium des Bezirrksgerichts Horgen, das ihn auf Veranlassung der aargauischen Staatsanwaltschaft einvernahm.
B.-
Am 25. Juli 1963 erliess die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau nach vorgängiger Fühlungnahme mit der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eine Verfügung, in der sie die aargauischen Behörden als zuständig erklärte, die Strafverfolgung gegen Düringer und Jetzer durchzuführen.
C.-
Mit Eingabe vom 6. August 1963 beantragt Düringer der Anklagekammer des Bundesgerichts im eigenen Namen und im Namen des Jetzer, von dem er Vollmacht einreicht, Zürich als einzigen Gerichtsstand zu bezeichnen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hält die aargauischen Behörden für zuständig, weil Zurzach Herausgabeort sei. Sie erklärt aber, nichts dagegen einzuwenden,
BGE 89 IV 178 S. 180
wenn die zürcherischen Behörden zuständig erklärt würden.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich weist darauf hin, dass im Kanton Zürich kein Privatstrafklageverfahren anhängig gemacht worden sei. Für den Fall, dass auf das Gesuch eingetreten werde, beantragt sie, die Behörden des Kantons Aargau zuständig zu erklären.
Erwägungen
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
1.
Düringer gibt sich als Redaktor aus. Er behauptet nicht, patentierter Anwalt zu sein. Gemäss
Art. 29 Abs. 2 OG
ist er daher nicht befugt, Jetzer vor der Anklagekammer zu vertreten. Zwar ist nicht zu entscheiden, ob Jetzer sich strafbar gemacht habe. Dennoch liegt eine "Strafsache" im Sinne der erwähnten Bestimmung vor; denn Jetzer als Mitbeschuldigter beschwert sich gegen die Strafverfolgung durch die Behörden des Kantons Aargau, die er für unzuständig hält. Wenn die Anklagekammer auf Begehren eines Beschuldigten den Gerichtsstand bestimmt, trifft sie einen Vor- oder Zwischenentscheid in einer Strafsache. Ob das auch zutrifft, wenn Kantone untereinander über den Gerichtsstand streiten, kann offen bleiben.
Soweit das Gesuch Jetzer betrifft, ist daher nicht darauf einzutreten.
2.
Die Anklagekammer pflegt in Fällen, in denen die strafbare Handlung nur auf Antrag verfolgt wird, auf das Gerichtsstandsgesuch eines Kantons nicht einzutreten, wenn im Kanton, gegen den es sich richtet, nicht ein dem dort geltenden Prozessrecht entsprechender Strafantrag gestellt worden ist. Die Beantragung der Strafverfolgung im gesuchstellenden Kanton genügt nicht von Bundesrechts wegen, um auch den andern Kanton zur Verfolgung zu verpflichten (
BGE 73 IV 207
sowie
BGE 89 IV 176
).
Diese Rechtsprechung lässt sich nicht auch auf den Fall anwenden, wo der Beschuldigte die Anklagekammer anruft. Das hätte zur Folge, dass er sich gegen die Verfolgung
BGE 89 IV 178 S. 181
in einem nicht zuständigen Kanton nicht wehren könnte, bloss weil der Verletzte es unterlassen hat, auch im zuständigen Kanton Strafantrag zu stellen. Immerhin steht der Anklagekammer in einem solchen Falle nicht zu, diesen Kanton trotz Fehlens des Strafantrages zur Verfolgung zu verpflichten. Sie hat sich darauf zu beschränken, den Kanton, dessen Gerichtsbarkeit der Beschuldigte bestreitet, unzuständig zu erklären und es im übrigen dem Verletzten zu überlassen, das Strafverfahren im zuständigen Kanton nach den Vorschriften des dortigen Prozessrechts anhängig zu machen.
Soweit das Gesuch Düringer betrifft, ist daher auf dasselbe einzutreten.
3.
Bei strafbaren Handlungen, die im Inland durch das Mittel der Druckerpresse begangen wurden, sind, soweit für sie die Verantwortlichkeit besonders geordnet ist, ausschliesslich die Behörden des Ortes zuständig, wo die Druckschrift herausgegeben wurde (
Art. 347 Abs. 1 Satz 1 StGB
). Eine Ausnahme besteht, wenn der Verfasser der Druckschrift bekannt ist und er seinen Wohnort in der Schweiz hat. Diesfalls sind ausser den Behörden des Herausgabeortes auch jene dieses Wohnortes zuständig und ist das Verfahren dort durchzuführen, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (
Art. 347 Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB
).
a) Soweit die am 8. März 1963 in geringem Umfange durch die Post verteilte erste Auflage des "Extrablattes" in Frage steht, lässt sich die Zuständigkeit der aargauischen Behörden nicht damit begründen, Zurzach sei Herausgabeort. Der Herausgabeort darf nicht dem Ort der Verbreitung gleichgesetzt werden. Die beiden Begriffe sind, wie sich aus Art. 347 Abs. 3 im Gegensatz zu
Art. 347 Abs. 1 StGB
ergibt, auseinanderzuhalten.
BGE 66 I 225
ff., auf den sich die beiden Staatsanwaltschaften berufen, betrifft einen Fall, in dem die Druckschrift von Zürich aus in 2000 Exemplaren an einen Journalisten in St. Gallen gesandt wurde, der sie dort absetzen liess. Sie wurde also
BGE 89 IV 178 S. 182
von einem besonderen Herausgabeort aus, der im Kanton der Verteilung lag, an die Öffentlichkeit gebracht. Im vorliegenden Falle übergaben dagegen die Hersteller des "Extrablattes" - nach den Angaben Düringers soll der Drucker das getan haben - die Schrift in Zürich der Post, mit dem Auftrag, sie in Zurzach zu verteilen. Die für die Herausgabe verantwortlichen Personen haben also alle ausschliesslich in Zürich gehandelt. Dort gaben sie das Blatt aus den Händen und entglitt es ihrer Verfügungsmacht. Herausgabeort war somit Zürich. Dass alle Ausfertigungen gemeinsam nach Zurzach versandt wurden und erst dort von der Post verteilt werden sollten, ändert nichts. Da die Beamten der Post als Herausgeber zum vornherein ausser Betracht fallen, kann die Herausgabe nicht in Handlungen der Post, sondern nur in solchen der Absender gesehen werden. Es verhält sich nicht grundlegend anders, als wenn diese selber alle Ausfertigungen an die Empfänger adressiert und sie in Zürich einzeln aufgegeben hätten. Würde anders entschieden, so käme man in Fällen, wo die Verteilung durch die Post "in alle Haushaltungen" an verschiedenen Orten erfolgt, zu einem "fliegenden Gerichtsstand", den
Art. 347 StGB
durch Festsetzung des Gerichtsstandes des Herausgabeortes vermeiden will.
In
BGE 83 IV 115
ff., den die beiden Staatsanwaltschaften ferner anführen, stellte die Anklagekammer auf den Herausgabeort Zürich ebenfalls nicht deshalb ab, weil die Druckschrift in Zürich verteilt, sondern weil sie dort der Post übergeben wurde, nachdem sie im Kanton St. Gallen verfasst und in Bern gedruckt worden war. Die Anklagekammer sagte, der Gerichtsstand des
Art. 347 Abs. 1 StGB
sei der Ort, "von dem aus" (also nicht etwa an dem) die Druckschrift an die Öffentlichkeit gelangte.
b) Es erübrigt sich aber, zu dieser Frage abschliessend Stellung zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau legt den Beschuldigten in der Verfügung vom 25. Juli 1963 auch die am 9. März 1963 erfolgte Verteilung
BGE 89 IV 178 S. 183
der zweiten Auflage zur Last. Diese Handlung ist deshalb für die Bestimmung des Gerichtsstandes ebenfalls zu berücksichtigen.
Sie hat unbestrittenermassen durch Düringer, Jetzer und einen weiteren Gehilfen in Zurzach stattgefunden. Diese Personen haben die zweite Auflage somit nicht wie die erste in Zürich, sondern in Zurzach herausgegeben. Erst dort gaben sie das Blatt aus der Hand. Gemäss
Art. 347 Abs. 1 StGB
sind daher für die Verfolgung dieser Tat die Behörden des Kantons Aargau zuständig. Dass Düringer im Kanton Zürich wohnt, ändert nichts, da eine Untersuchung nur im Aargau angehoben wurde. Seine Behauptung, er sei Verfasser des Extrablattes, hilft ihm daher nicht.
c) Sind die Behörden des Kantons Aargau zuständig, Düringer wegen der Verteilung der zweiten Auflage zu verfolgen, so steht ihnen die Gerichtsbarkeit auch hinsichtlich der ersten zu. Das folgt aus
Art. 350 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
, wonach die Behörden des Ortes zuständig sind, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde.
In bezug auf Jetzer käme man übrigens zum gleichen Ergebnis, wenn auf sein Gesuch einzutreten wäre. Der Gerichtsstand zur Verfolgung Jetzers befindet sich schon deshalb im Aargau, weil er als Mittäter oder Gehilfe belangt wird (
Art. 349 StGB
) und seine Handlung - Mitwirkung bei der Verteilung vom 9. März 1963 - im Aargau ausgeführt hat (
Art. 346 StGB
).
Dispositiv
Demnach erkennt die Anklagekammer:
1.- Auf das Gesuch Jetzers wird nicht eingetreten.
2.- Das Gesuch Düringers wird abgewiesen, und es werden demnach die Behörden des Kantons Aargau zuständig erklärt, die dem Gesuchsteller zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. | null | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d0e0cc31-bbb9-4f44-9694-3a153b89d86f | Urteilskopf
121 III 483
92. Estratto della sentenza 21 dicembre 1995 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa F contro ditta N S.A. (ricorso LEF) | Regeste
Beneficium excussionis realis (
Art. 41 Abs. 1 SchKG
und
Art. 85 Abs. 2 VZG
).
Wird ein Pfandrecht erst nach der Zustellung des Zahlungsbefehls - und nachdem dieser rechtskräftig geworden ist - begründet, so kann der Schuldner nicht die Einrede des Rechtes auf Vorausverwertung des Pfandes erheben. | Sachverhalt
ab Seite 483
BGE 121 III 483 S. 483
Il 20 giugno 1995 è stato notificato all'ingegnere F un precetto esecutivo (esecuzione ordinaria in via di pignoramento) per un credito della ditta N S.A. di fr. 46'600.- oltre interessi. Questa ha ottenuto il 19 giugno 1995 l'iscrizione provvisoria dell'ipoteca degli imprenditori per lo stesso credito. L'ipoteca legale è poi stata iscritta in via definitiva il 28 settembre 1995.
Con atto del 29 settembre 1995 il debitore ha sollevato reclamo, sostenendo che la creditrice era garantita per il suo credito dall'ipoteca iscritta in via definitiva e non poteva far luogo per il credito stesso ad una esecuzione ordinaria in via di pignoramento.
Il 2 novembre 1995 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha dichiarato inammissibile il reclamo per tardività.
BGE 121 III 483 S. 484
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Il ricorso solleva la questione di sapere se il debitore possa opporre l'eccezione del beneficio d'escussione reale (
art. 41 LEF
in relazione con l'
art. 85 cpv. 2 RFF
; RS 281.42) allorquando, come in concreto, la costituzione del diritto di pegno (iscrizione in via definitiva dell'ipoteca legale) sia stata posteriore alla notifica del precetto esecutivo.
a) La giurisprudenza del Tribunale federale ha sinora lasciato aperta tale questione: nella
DTF 59 III 251
consid. 1 perché il debitore stesso ammetteva che la costituzione del pegno era anteriore alla notifica del precetto esecutivo; nella
DTF 104 III 9
seg. consid. 3 invece perché il quesito non era decisivo ai fini dell'esito del ricorso. Invero, nella decisione pubblicata in
DTF 87 III 50
, la Camera delle esecuzioni e dei fallimenti ha affermato che il creditore che ha promosso un'esecuzione mediante precetto esecutivo per l'esecuzione in via di realizzazione del pegno non può proseguirla in via di pignoramento o di fallimento, anche se - nella domanda di proseguimento dell'esecuzione - dichiara che il diritto di pegno è decaduto.
Dal canto suo, la dottrina dominante ritiene che in simile evenienza è esclusa la possibilità d'invocare il beneficio d'escussione reale (FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Vol. 1, pag. 92 n. 8 e pag. 477 n. marginale 12; ZOBL, in BK, Systematischer Teil, n. 624; ed implicitamente FAVRE, Droit des poursuites, pag. 125 in fondo). Di diverso avviso è invece BRANDT (FJS n. 991, pag. 1) che, facendo riferimento ad una sentenza della Camera di esecuzione e fallimenti di Zurigo (v. ZR 1929, pag. 28 seg., n. 12), afferma che, se il diritto di pegno è stato costituito dopo l'introduzione dell'esecuzione ordinaria ma prima del pignoramento, il debitore può esigere che l'esecuzione sia continuata in via di realizzazione del pegno.
Le autorità cantonali non hanno risolto in modo univoco la questione. Oltre alla già citata sentenza dell'autorità di Zurigo, si è pronunciata a favore del debitore l'autorità di Basilea Campagna (v. BlSchK 1982, pag. 222 con nota critica). Di diversa opinione sono invece l'autorità di Basilea Città (v. BlSchK 1968, pag. 180 segg.) e quella di Ginevra (v. BlSchK 1980, pag. 136 segg.).
b) Nel caso di specie, risulta dagli accertamenti di fatto contenuti nella sentenza impugnata che il precetto esecutivo è stato intimato al debitore il 20 giugno 1995, mentre il decreto ordinante l'iscrizione provvisoria
BGE 121 III 483 S. 485
dell'ipoteca legale reca la data del 19 giugno 1995. A quel momento - diversamente da quanto sembra affermare l'autorità cantonale - l'esecuzione poteva essere promossa unicamente in via ordinaria, atteso che faceva difetto l'esistenza di un diritto di pegno (
DTF 58 III 36
segg.), né si poteva pretendere dal creditore di attendere l'iscrizione definitiva dell'ipoteca legale per promuovere l'esecuzione in via di realizzazione del pegno. Fatti questi rilievi, ed accertato in particolare che l'esecuzione è stata correttamente promossa in via ordinaria, rimane da vagliare se il debitore possa appellarsi posteriormente al beneficio d'escussione reale, ossia una volta trascorso il termine di dieci giorni (
art. 85 cpv. 2 RFF
) per contestare l'esecuzione in via ordinaria, e chiedere l'annullamento di un precetto esecutivo passato in giudicato risp. di tutta la procedura di esecuzione.
A tale quesito deve essere data risposta negativa. In effetti, come rileva a ragione la dottrina dominante (v. segnatamente FRITZSCHE/WALDER, op.cit., pag. 92 n. 8; nota redazionale alla citata sentenza apparsa in BlSchK 1982, pag. 222 segg., spec. pag. 224), se il pegno è costituito dopo che il precetto volto all'esecuzione ordinaria è passato in giudicato, non v'è motivo di modificare il modo d'esecuzione (v. in tal senso anche FAVRE, loc.cit., secondo il quale l'esecuzione deve essere continuata secondo il modo stabilito, indipendentemente dai cambiamenti che possono prodursi; ed inoltre la già citata sentenza pubblicata in
DTF 87 III 50
[52]). È quindi il precetto esecutivo che stabilisce definitivamente il modo d'esecuzione. Questa soluzione è d'altronde conforme alla ragion d'essere dell'
art. 85 cpv. 2 RFF
, ossia alla necessità che sia fissata una volta per sempre - e precisamente già all'inizio della procedura - la via esecutiva che dovrà essere seguita (v.
DTF 59 III 251
[252]).
Ne segue che la Corte cantonale, con la precisazione di cui si è detto, ha a giusta ragione considerato che il ricorrente non poteva prevalersi del beneficio di escussione reale.
c) Da ultimo, giova ancora sottolineare che il ricorrente si richiama a torto alla
DTF 119 III 105
segg. In tale sentenza è stata infatti affrontata la questione di sapere se ad un'esecuzione ordinaria promossa ai sensi dell'
art. 158 cpv. 2 LEF
ostava l'esistenza di un diritto di pegno precedentemente costituito e acquistato agli incanti dalla creditrice. | null | nan | it | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d0ea3d48-d49c-4984-8518-1856a769a548 | Urteilskopf
85 III 14
4. Entscheid vom 20. Februar 1959 i.S. Näpflin. | Regeste
Ist die trotz Rechtsvorschlag erfolgte Fortsetzung der Betreibung nur auf rechtzeitige (innert zehn Tagen seit Zustellung der Pfändungsurkunde eingereichte) Beschwerde hin oder von Amtes wegen aufzuheben? | Sachverhalt
ab Seite 14
BGE 85 III 14 S. 14
A.-
Von Schmid für eine Forderung von Fr. 496.25 mit Zahlungsbefehl vom 29. September 1958 betrieben, brachte Näpflin auf der für ihn bestimmten Ausfertigung des Zahlungsbefehls in der Rubrik für den Rechtsvorschlag die Bemerkung an: "Wegen unrichtiger Aufstellung der Rechnung bin ich gezwungen, Rekurs zu erheben", und sandte diese Urkunde am 30. September an das Betreibungsamt zurück. Gleichwohl setzte dieses auf das Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls den Vermerk "Kein Rechtsvorschlag". Als der Gläubiger hierauf die Fortsetzung der Betreibung verlangte, teilte ihm das Betreibungsamt am 6. November mit, die Betreibung könne nicht fortgesetzt werden, weil der Schuldner "Rekurs" erhoben habe. Auf eine Reklamation des Gläubigers hin kündigte es dem Schuldner am 11. November die Pfändung auf den 13. November an, schrieb dann aber dem Gläubiger am 12. November, der Schuldner habe bereits Vermittlung anbegehrt (die Anordnung eines Vermittlungsvorstandes verlangt), weshalb weitere Betreibungshandlungen nicht vorgenommen würden. Die hiegegen gerichtete Beschwerde des Gläubigers, zu welcher der Schuldner sich nicht äussern konnte, hatte den Erfolg, dass die untere Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt mit Entscheid vom 19. November 1958 anwies, dem Fortsetzungsbegehren Folge zu geben, da kein Rechtsvorschlag vorliege. Auf Grund dieses
BGE 85 III 14 S. 15
Entscheides, der dem Schuldner nicht mitgeteilt wurde, vollzog das Betreibungsamt am 26. November die Pfändung.
B.-
Am 24. Dezember 1958 bescheinigte das Betreibungsamt dem Schuldner, dass er am 30. September "Rekurs mit Rechtsvorschlag gemacht" habe, was es seinerzeit übersehen habe. Gestützt hierauf führte der Schuldner am 3. Januar 1959 Beschwerde mit dem Begehren, die Fortsetzung der Betreibung sei aufzuheben. Die untere Aufsichtsbehörde wies diese Beschwerde am 19. Januar 1959 wegen Verspätung ab, weil der Schuldner es unterlassen habe, binnen zehn Tagen seit der Zustellung der Pfändungsankündigung vom 11. November bezw. seit der Pfändung vom 24. (richtig 26.) November Beschwerde zu führen, obwohl er aus diesen Massnahmen habe schliessen müssen, dass das Betreibungsamt seine Mitteilung vom 30. September nicht als Rechtsvorschlag berücksichtigt habe.
Die kantonale Aufsichtsbehörde hat diesen Entscheid am 31. Januar 1959 bestätigt.
C.-
Mit seinem Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Schuldner sein Beschwerdebegehren.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
In
BGE 73 III 147
f. hat das Bundesgericht erklärt, wenn feststehe, dass ein Zahlungsbefehl infolge Rechtsvorschlags nicht zum vollstreckbaren Titel geworden sei, aber versehentlich gleichwohl eine Fortsetzungshandlung stattfinde, so sei die Fortsetzung der Betreibung als nichtig zu betrachten "und jederzeit als solche aufzuheben"; wenn jedoch das Betreibungsamt die Gültigkeit eines Rechtsvorschlags verneint und dies den Beteiligten sei es auch nur in konkludenter Weise durch Fortsetzung der Betreibung zur Kenntnis gebracht habe, so werde seine Verfügung rechtskräftig, falls der Schuldner nicht binnen der Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
Beschwerde führe. In
BGE 85 III 14 S. 16
BGE 73 III 154
wurde beigefügt, wenn das Betreibungsamt seine Auffassung, dass der Rechtsvorschlag ungültig sei, durch Fortsetzung der Betreibung bekunde, so habe der Schuldner, der diese Auffassung nicht gelten lassen wolle, "die vom Empfang der Pfändungsankündigung an laufende Beschwerdefrist zu beobachten". In
BGE 75 III 88
hat das Bundesgericht dann aber in Abweichung vom zuletzt genannten Präjudiz entschieden, die Frist für eine Beschwerde dieser Art beginne, wenn das Betreibungsamt dem Schuldner seinen Entscheid über die Gültigkeit des Rechtsvorschlags nicht schon vor der Fortsetzung der Betreibung durch eine formelle Verfügung eröffnet habe, erst mit der Zustellung der Pfändungsurkunde, da erst dieser Akt dem Schuldner mit Bestimmtheit zeige, dass das Betreibungsamt die Frage, ob die Betreibung fortgesetzt werden dürfe, endgültig zu seinen Ungunsten beantwortet habe.
Man kann sich ernstlich fragen, ob einem Schuldner, dessen rechtzeitig erklärter Rechtsvorschlag vom Betreibungsamt als ungültig zurückgewiesen wird, wirklich zugemutet werden dürfe, bei Gefahr der Unwirksamkeit des Rechtsvorschlags binnen der Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
Beschwerde zu führen, wenn ihm das Betreibungsamt seine Entscheidung nicht durch eine formelle Verfügung, sondern einfach dadurch zur Kenntnis bringt, dass es die Betreibung fortsetzt. Gegen eine solche Zumutung bestehen auf jeden Fall dann erhebliche Bedenken, wenn nicht gesagt werden kann, der Schuldner oder ein Dritter, für den einzustehen dem Schuldner zugemutet werden darf (wie etwa seine Ehefrau; vgl.
BGE 73 III 145
ff.), habe durch eine missverständliche und vom Betreibungsamt auch tatsächlich missverstandene Erklärung oder auf andere Weise zur Fortsetzung der Betreibung Anlass gegeben. Es lässt sich die Ansicht vertreten, in solchen Fällen dürfe der Schuldner, der fristgemäss Rechtsvorschlag erhoben hat, nicht durch blosse Fortsetzung der Betreibung nochmals vor eine - ihm zudem nicht ausdrücklich
BGE 85 III 14 S. 17
angesetzte - Verwirkungsfrist gestellt werden, sondern unter derartigen Umständen seien die Fortsetzungshandlungen ohne Rücksicht darauf, ob die Beschwerdefrist eingehalten worden sei oder nicht, von Amtes wegen aufzuheben. Zu dieser Ansicht abschliessend Stellung zu nehmen, ist jedoch im vorliegenden Falle nicht notwendig, weil hier die Fortsetzung der Betreibung schon auf Grund der bisherigen Rechtsprechung, von der zu Ungunsten des Schuldners abzuweichen nach dem Gesagten keinesfalls in Frage kommt, aufgehoben werden muss.
a) Das Betreibungsamt hat die Erklärung, die der Rekurrent innert der Frist für den Rechtsvorschlag ihm gegenüber abgegeben hatte und mit der er unzweifelhaft die in Betreibung gesetzte Forderung bestreiten wollte, trotz ihrer etwas ungeschickten Fassung nicht missverstanden, sondern zutreffend als Rechtsvorschlag aufgefasst, als sie ihm zu Gesicht kam. Wenn es auf dem Gläubigerdoppel des Zahlungsbefehls gleichwohl den Vermerk "Kein Rechtsvorschlag" anbrachte, so geschah dies zugegebenermassen einfach deswegen, weil es die Erklärung des Rekurrenten zunächst verlegt hatte. Die Pfändungsankündigung vom 11. November 1958 erliess es nur darum, weil der Gläubiger sich ihm gegenüber auf den eben erwähnten, aus Versehen angebrachten Vermerk berief (der jedoch dem Schuldner nicht schaden konnte, vgl.
BGE 84 III 13
ff.). Die untere Aufsichtsbehörde, die in die Akten des Betreibungsamtes nicht Einsicht nahm und auch den Rekurrenten nicht anhörte, ordnete den Vollzug der Pfändung am 19. November 1958 in der irrigen Meinung an, der Rekurrent habe keinen Rechtsvorschlag erhoben. Unter diesen Umständen kann die Fortsetzung der Betreibung unmöglich als Folge und Kundgabe einer Entscheidung des Inhalts angesehen werden, dass der Rechtsvorschlag ungültig sei. Vielmehr ist sie darauf zurückzuführen, dass das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag zunächst übersah und ihn dann (bei Erlass der Pfändungsankündigung) einfach in den Wind schlug, und
BGE 85 III 14 S. 18
dass mangels Beizugs der Akten des Betreibungsamtes auch die untere Aufsichtsbehörde bei ihrem Entscheid vom 19. November 1958 davon nichts wusste. Die gegenüber dem Rekurrenten vollzogenen Fortsetzungshandlungen beruhen also letzlich auf Versehen bezw. auf einer Unkenntnis oder Missachtung des Akteninhalts, die einem Versehen gleichzustellen ist. Daher sind sie gemäss
BGE 73 III 147
als nichtig von Amtes wegen aufzuheben, ohne dass zu untersuchen wäre, ob sie innert der Frist von
Art. 17 Abs. 2 SchKG
angefochten worden seien.
b) Der angefochtene Entscheid könnte im übrigen auch dann nicht bestätigt werden, wenn man annehmen wollte, der Rekurrent habe zur Wahrung seiner Rechte innert der eben erwähnten Frist Beschwerde führen müssen. Diese Frist wäre nach
BGE 75 III 88
nicht durch den Empfang der Pfändungsankündigung oder den Pfändungsvollzug, sondern erst durch die Zustellung der Pfändungsurkunde in Gang gesetzt worden. Im angefochtenen Entscheid ist aber nur von der Ankündigung und vom Vollzug der Pfändung (11. bezw. 26. November 1958) die Rede. Dass das Betreibungsamt dem Rekurrenten auch bereits die Pfändungsurkunde zugestellt habe und wann dies gegebenenfalls geschehen sei, wird in diesem Entscheid nicht festgestellt und ist auch aus den übrigen Akten nicht ersichtlich. Insbesondere steht nicht etwa fest, dass der Rekurrent die Pfändungsurkunde schon mehr als zehn Tage vor Beginn der Weihnachts-Betreibungsferien (18. Dezember 1958 bis 1. Januar 1959) empfangen habe, so dass die Beschwerdefrist schon vor diesem Zeitpunkt abgelaufen wäre. Unter diesen Umständen war es unzulässig, seine Beschwerde, die innert drei Tagen nach Ablauf dieser Betreibungsferien (
Art. 63 SchKG
) eingereicht worden war, kurzerhand als verspätet zu erklären.
Wie zu entscheiden wäre, wenn der Rekurrent den Entscheid der untern Aufsichtsbehörde vom 19. November 1958, der die Beschwerde des Gläubigers guthiess, zugestellt erhalten und nicht weitergezogen hätte, kann dahingestellt
BGE 85 III 14 S. 19
bleiben, weil ihm dieser Entscheid unter Verletzung von
Art. 77 OG
vorenthalten wurde.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid sowie die Fortsetzung der Betreibung werden aufgehoben. | null | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d0eb5613-f855-498b-9077-5447e9e53318 | Urteilskopf
105 II 209
35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1979 i.S. "Waadt"-Versicherungen, Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, gegen Schweizerische Eidgenossenschaft (Berufung) | Regeste
Motorfahrzeughaftpflicht
- Wirkung der Beweislastvorschrift von
Art. 59 Abs. 1 SVG
, wenn über die Urteilsfähigkeit eines Fahrzeugführers Ungewissheit besteht (E. 3).
- Verteilung des Schadens auf die beteiligten Haftpflichtigen gemäss
Art. 60 Abs. 2 SVG
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 105 II 209 S. 209
A.-
Am Morgen des 15. Juni 1976 fuhr Raimund Bischof, Assistent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, mit einem Wagen des Bundes (VW 1600 A Variant) auf der Autobahn N 13 von Sargans in Richtung Chur. Wegen Belagsarbeiten war der Streckenabschnitt zwischen Bad Ragaz und Landquart nur auf den beiden nach Chur führenden Fahrspuren befahrbar. Die in Richtung Sargans fahrenden Fahrzeuge wurden deswegen auf die Überholspur der Gegenfahrbahn umgeleitet, wo sich die in Richtung Chur fahrenden Fahrzeuge mit den in Richtung Sargans fahrenden kreuzten. Diese Verkehrsführung war vorschriftsgemäss ausgeschildert.
BGE 105 II 209 S. 210
Ungefähr 250 m vor der Ausfahrt Maienfeld geriet das von Bischof gelenkte Fahrzeug auf die linke Strassenseite, wo es frontal mit dem korrekt von Ernst Kalberer gesteuerten, in Gegenrichtung fahrenden Lastwagen Mercedes Benz Kipper des Walter Kressig zusammenstiess. Durch die Wucht der Kollision wurde der Personenwagen abgedreht und über den rechten Fahrbahnrand hinaus gegen den Wildschutzzaun geschleudert, wobei Bischof auf der Stelle getötet wurde. Demgegenüber wurde der Lastwagen gegen die Leitplanke getrieben und kam ungefähr 50 m nach der Kollisionsstelle zum Stillstand. Der Lastwagenlenker blieb unverletzt.
In der Folge richtete der Bund als Arbeitgeber Bischofs dessen Witwe sowie dem von ihm hinterlassenen Sohn Lukas die in Art. 73 der Angestelltenordnung (SR 172.221.104) vorgesehenen Leistungen aus. Die Witwe Bischofs trat deshalb in ihrem eigenen Namen sowie im Namen ihres Sohnes Lukas im Sinne von Art. 73 Abs. 6 der Angestelltenordnung die Ansprüche auf Ersatz der Bestattungskosten und des Versorgerschadens gegen einen allfällig haftpflichtigen Dritten an den Bund bis auf die Höhe dessen Leistungen ab.
B.-
Im Februar 1978 erhob die Schweizerische Eidgenossenschaft gegen die "Waadt"-Versicherungen, Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, den Haftpflichtversicherer des Lastwagenhalters Kressig, Klage auf Zahlung von Fr. 428'893.- nebst Zins. Damit machte sie den Versorgerschaden der Witwe Bischofs, seines Sohnes Lukas sowie den Ersatz der Beerdigungskosten geltend.
Mit Urteil vom 12. Juli 1978 hiess das Kantonsgericht von Graubünden die Klage zur Hälfte, nämlich im Betrage von Fr. 214'446.50 nebst Zins, gut.
C.-
Gegen das kantonsgerichtliche Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage. Die Klägerin stellt den Antrag auf Verwerfung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz berechnet den infolge des Todes von Raimund Bischof entstandenen Schaden, nämlich den Versorgerschaden seiner Witwe und seines Sohnes Lukas, auf über Fr. 428'893.-. Diese Schadensberechnung wird von der
BGE 105 II 209 S. 211
Berufung ebensowenig angefochten wie die Feststellung der Vorinstanz, dass die Fürsorgeleistungen der Klägerin den eingeklagten Betrag übersteige.
Die Klägerin, Zessionarin der Geschädigten, belangt die Beklagte als Versicherer des Lastwagenhalters Kressig. Sie stützt sich damit auf
Art. 65 SVG
, wonach dem Geschädigten im Rahmen der vertraglichen Versicherungsdeckung ein Forderungsrecht unmittelbar gegen den Versicherer zusteht.
2.
Das Kantonsgericht zieht in Betracht, dass die Klägerin als Halterin eines der am Unfall beteiligten Fahrzeuge für den entstandenen Schaden ebenso aufzukommen habe wie die Beklagte als Versicherer eines der Unfallfahrzeuge. Deshalb sei die Aufteilung des Schadens gestützt auf
Art. 60 SVG
vorzunehmen. Zu berücksichtigen sei dabei, dass den Führer des Lastwagens kein Verschulden treffe und Bischof kein solches nachzuweisen sei. Wegen der unterschiedlichen Betriebsgefahren der am Unfall beteiligten Fahrzeuge rechtfertige es sich unter diesen Umständen, beide Fahrzeughalter für je die Hälfte des Schadens aufkommen zu lassen. Der Klägerin sei deshalb nur der halbe eingeklagte Betrag zuzusprechen. Mit dieser Betrachtungsweise hat sich die Klägerin abgefunden. Demgegenüber verlangt die Beklagte die Abweisung der Klage im wesentlichen mit der Begründung, Bischof, der Führer des Bundesfahrzeuges, habe den Unfall schuldhaft verursacht.
3.
Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet, so haftet der Halter für den Schaden (
Art. 58 Abs. 1 SVG
). Allerdings wird der Halter von der Haftpflicht befreit, wenn er beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt oder grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten verursacht wurde, ohne dass ihn oder eine Person, für die er verantwortlich ist, ein Verschulden trifft, und ohne dass die fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat (
Art. 59 Abs. 1 SVG
).
Am in Frage stehenden Unfall war der Lastwagen Kressigs beteiligt. Unbestritten ist, dass den Führer des Lastwagens kein Verschulden trifft, dass auch höhere Gewalt als Unfallursache ausscheidet und dass schliesslich der Lastwagen in betriebsbereitem Zustand war. Zu prüfen ist unter dem Gesichtspunkt des
Art. 59 Abs. 1 SVG
somit nur noch, ob Bischof den Unfall durch grobes Verschulden verursacht habe. Die Beklagte behauptet dies sinngemäss, indem sie vorträgt, Bischof habe elementare
BGE 105 II 209 S. 212
Vorsichtsmassregeln verletzt und gerade das ausser acht gelassen, was jedem verständigen Menschen in der gleichen Lage und unter den gleichen Umständen hätte einleuchten müssen. Dass es sich so verhält, hat nach der ausdrücklichen Vorschrift von
Art. 59 Abs. 1 SVG
die Beklagte zu beweisen.
Das angefochtene Urteil hält fest, dass das von Bischof gesteuerte Fahrzeug auf die linke Fahrbahnhälfte geraten sei. Gemäss den eingeholten Gutachten sei der Unfall nicht auf einen technischen Mangel des Bundesfahrzeuges zurückzuführen. Ausser Betracht falle auch, dass Bischof im kritischen Zeitpunkt geblendet worden sei. Aber auch ein menschliches Versagen seitens Bischofs sei nicht ersichtlich. Weder habe dieser ein unbedachtes Überholmanöver ausführen wollen, noch sei er übermüdet oder alkoholisiert gewesen, noch gebe es Anhaltspunkte für Selbstmord. Auf Grund des Berichtes des medizinischen Sachverständigen sei es aber möglich, dass Bischof wegen der Residuen einer abgelaufenen Herzmuskelentzündung von einem Unwohlsein oder einer Bewusstlosigkeit befallen worden sei und dass das zum Unfall geführt habe. Gewissheit darüber bestehe indes nicht, doch komme eine Bewusstlosigkeit Bischofs mit "einiger Wahrscheinlichkeit" als Unfallursache in Frage.
Aus diesen vom Kantonsgericht festgestellten Umständen folgt, dass die Urteilsfähigkeit Bischofs im Zeitpunkt des Unfalles nicht erstellt ist. Auf Grund der im Interesse des Geschädigten aufgestellten besonderen Beweislastvorschrift des
Art. 59 Abs. 1 SVG
hat die Beklagte das grobe Verschulden und damit auch die Urteilsfähigkeit Bischofs im Zeitpunkt des Unfalles zu beweisen. Sie beruft sich deshalb in diesem Zusammenhang vergeblich darauf, dass nach
Art. 16 ZGB
die Urteilsfähigkeit Bischofs zu vermuten sei. Auf der Hand liegt zwar, dass Bischof objektiv eine Verkehrsregel verletzte, indem er sein Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn geraten liess (
Art. 34 Abs. 1 SVG
), und damit rechtswidrig handelte. In subjektiver Hinsicht setzt ein Verschulden zwar nicht voraus, dass sich Bischof dieser Rechtswidrigkeit bewusst war (
BGE 91 II 42
,
BGE 82 II 317
E. 3). Zu einem solchen gehörte aber, dass er eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verletzte und in bezug darauf auch urteilsfähig war (OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Aufl., Zürich 1975, S. 142 und 154; vgl.
BGE 104 II 98
E. 2,
BGE 97 II 126
E. 2 und 3,
BGE 93 II 341
E. 6,
BGE 91 II 189
E. 2c). Gerade
BGE 105 II 209 S. 213
letzteres ist nach dem Gesagten vorliegend aber nicht erwiesen. Vermag die Beklagte somit kein Verschulden Bischofs nachzuweisen, so ist sie von ihrer grundsätzlichen Haftung für die Unfallfolgen nicht befreit (
Art. 59 Abs. 1 SVG
).
4.
a) Da am fraglichen Unfall mehrere Fahrzeuge beteiligt waren, haften deren Halter für den entstandenen Schaden solidarisch (
Art. 60 Abs. 1 SVG
). Das sind hier die Klägerin als Halterin des Personenwagens sowie der Lastwagenhalter Kressig bzw. sein Versicherer. Fest steht sodann, dass die Klägerin über ihre Fürsorgeeinrichtungen für den gesamten Schaden aufkommt und dass die Geschädigten auf Grund dieser Sachlage ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten haben (Art. 73 Abs. 6 der Angestelltenordnung). Die Klägerin befindet sich somit in der Lage jenes Halters, der infolge seiner solidarischen Haftbarkeit für den Ersatz des gesamten Schadens aufgekommen ist und nun im Innenverhältnis auf den andern - ebenfalls solidarisch haftenden - Halter zurückgreift. Dieses Innenverhältnis ist vorliegend ausschliesslich nach
Art. 60 Abs. 2 SVG
zu beurteilen. Von vornherein unbehelflich ist es, wenn sich die Beklagte auf die Regelung von
Art. 61 SVG
beruft, der vom Schadenersatz zwischen Motorfahrzeughaltern handelt, denn vorliegend geht es um eine andere Frage, nämlich darum, wer endgültig und in welchem Ausmasse für den Dritten entstandenen Schaden einstehen muss.
Art. 61 SVG
betrifft hingegen den Fall, dass ein Halter durch das Unfallereignis geschädigt worden ist.
b) Nach
Art. 60 Abs. 2 SVG
ist der Schaden auf die beteiligten Haftpflichtigen unter Würdigung aller Umstände zu verteilen, wobei in erster Linie das von den betreffenden Motorfahrzeughaltern zu vertretende Verschulden massgebend sein soll, es sei denn, "besondere Umstände, namentlich die Betriebsgefahren", rechtfertigten eine andere Verteilung.
Auszugehen ist nach dem Gesagten davon, dass keiner der Halter der am Unfall beteiligten Fahrzeuge ein Verschulden zu vertreten hat. Abzustellen ist somit nach
Art. 60 Abs. 2 SVG
"namentlich" auf die Betriebsgefahren der Unfallfahrzeuge. In diesem Zusammenhang machen die Beklagten mit der Berufung geltend, dass nicht auf die latente, sondern allein auf die verwirklichte Betriebsgefahr abzustellen sei. Demgemäss dürfe nur die Betriebsgefahr des von Bischof gelenkten Fahrzeuges als für den Schaden kausal betrachtet werden. Für die Verwirklichung
BGE 105 II 209 S. 214
einer Betriebsgefahr genügt es, dass das Unfallereignis mit der Eigenart des Betriebes des Fahrzeuges zusammenhängt (OFTINGER, a.a.O., S. 25). Dies trifft indes auch auf den am Unfall beteiligten Lastwagen zu. Nur weil dieser im Unfallzeitpunkt auf der Gegenfahrbahn im Betrieb war, stellte er für das Bundesfahrzeug ein Hindernis dar, das den eingetretenen Schaden schliesslich bewirkte. Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich, dass beide Unfallfahrzeuge vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 80 km/h gefahren sind. Sodann hält die Vorinstanz fest, dass der Lastwagen voll beladen war und damit ein Gewicht von 15 Tonnen aufgewiesen habe, wogegen der Personenwagen nur rund eine Tonne gewogen habe. Dass Kalberer unmittelbar vor der Kollision die Bremsen betätigt habe, habe die Geschwindigkeit des Lastwagens bis zum Augenblick des Zusammenpralls nur unwesentlich herabzusetzen vermocht. Infolge des viel höheren Fahrzeuggewichtes des Lastwagens war unter diesen Umständen auch die von diesem beim Unfall freigesetzte zerstörerische Wucht viel höher als diejenige, die vom Personenwagen ausging; entsprechend ist die durch den Lastwagen verwirklichte Betriebsgefahr höher zu veranschlagen (OFTINGER, a.a.O., S. 324).
In Anbetracht des fehlenden Verschuldens beider Fahrzeugführer und der erheblich höheren verwirklichten Betriebsgefahr des Lastwagens erscheint die von der Vorinstanz vorgenommene hälftige Aufteilung des Schadens auf die Fahrzeughalter als angemessen. Das fährt zur Abweisung der Berufung und zur Bestätigung des angefochtenen Urteils. Ergibt sich somit, dass Bundesrecht nicht verletzt ist, so spielt auch keine Rolle, dass die Vorinstanz
Art. 60 SVG
in seiner alten Fassung zitiert.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 12. Juli 1978 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0fad899-7cc4-4693-9ef5-25417e77011e | Urteilskopf
108 II 92
18. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Februar 1982 i.S. X. (Berufung) | Regeste
Entmündigung wegen Misswirtschaft (
Art. 370 ZGB
).
1. Begriff der Misswirtschaft (E. 2).
2. Nicht jede Person, die öffentliche Unterstützung beansprucht, ist zu entmündigen; massgebend ist der Grund der Unterstützungsbedürftigkeit (E. 3c).
3. Eine vormundschaftsrechtliche Massnahme ist nicht nur dann unverhältnismässig, wenn sie zu einschneidend ist, sondern auch dann, wenn das angestrebte Ziel nur mit einem stärkeren Eingriff erreicht werden kann (E. 4). | Erwägungen
ab Seite 93
BGE 108 II 92 S. 93
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss
Art. 370 ZGB
gehört unter Vormundschaft jede mündige Person, die durch Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandel oder durch die Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung sich oder ihre Familie der Gefahr eines Notstandes oder der Verarmung aussetzt, zu ihrem Schutze dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit anderer gefährdet. Misswirtschaft im Sinne dieser Bestimmung besteht zunächst in einer ausserordentlichen Vernachlässigung der eigenen Vermögensverwaltung, die ihren subjektiven Grund in einer Schwäche des Intellekts oder des Willens hat. Nach der Rechtsprechung ist sie jedoch nicht nur dort gegeben, wo ein bereits vorhandenes Vermögen in unsinniger und unverständiger Weise verwaltet wird; sie kann sich vielmehr auch auf die Gestaltung der Einkommensverhältnisse beziehen. So ist auch zu entmündigen, wer aus Energielosigkeit, Leichtfertigkeit oder ähnlichen Gründen sich nicht die nötigen Subsistenzmittel verschafft (vgl.
BGE 92 II 143
E. 1 mit Hinweisen). Es betreibt mit andern Worten Misswirtschaft auch derjenige, der schuldhaft ausserstande ist, ein genügendes Einkommen zu erzielen, oder sein Einkommen auf eine unvernünftige, wirtschaftlich sinnlose Weise ausgibt, z.B. Aufwendungen für die notwendigsten Lebensbedürfnisse nicht bezahlt und seine Einkünfte sonstwie verwendet (vgl. ZVW 33/1978 S. 115).
3.
...
c) Unbehelflich ist auch das Vorbringen der Berufungsklägerin, die von der Vorinstanz vertretene Ansicht habe zur Folge, dass praktisch bei allen Personen, die öffentliche Unterstützung beanspruchten, eine Vormundschaft in Erwägung gezogen werden müsste. Entscheidend ist, worauf die Unterstützungsbedürftigkeit zurückzuführen ist. Liegt der Grund in vorübergehenden Schwierigkeiten, die der Betroffene aus eigener Kraft wird überwinden können, besteht für eine Entmündigung kein Anlass. Das gleiche gilt auch für eine Person, die zufolge Krankheit für ihren Lebensunterhalt nicht selbst aufkommen kann, jedoch durchaus in der Lage ist, die ihr zur Verfügung gestellten Mittel vernünftig einzuteilen. Wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt, lassen sich
BGE 108 II 92 S. 94
die vorliegenden Verhältnisse nicht mit diesen Fällen vergleichen.
...
4.
Die Berufungsklägerin ist der Ansicht, ihre Entmündigung verletze auf jeden Fall den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Hilfsweise verlangt sie deshalb, dass statt der Vormundschaft eine Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft im Sinne von
Art. 395 ZGB
angeordnet werde. Es trifft zu, dass die Beiratschaft auch persönliche Fürsorge umfassen kann, sofern allerdings die körperliche und psychische Gesundheit nicht alleiniges Schutzobjekt ist (vgl.
BGE 103 II 83
unten). Damit sie anstelle der Vormundschaft angeordnet werden kann, muss jedoch gewährleistet sein, dass sie dem Betroffenen in jeder Hinsicht ausreichenden Schutz vermittelt. Unverhältnismässig ist ein vormundschaftsrechtlicher Eingriff nämlich nicht nur dann, wenn er zu stark ist, sondern auch dann, wenn er zu schwach ist, das Ziel also nur mit einem stärkeren Eingriff erreicht werden kann (vgl. RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, S. 30). Bei der Berufungsklägerin, die ihre Einkünfte nicht zweckmässig zu verwalten vermag, trifft letzteres zu. Weder ein Verwaltungsbeirat noch ein Mitwirkungsbeirat noch ein Beirat, dem beide Funktionen übertragen sind, wäre befugt, auf die Verwaltung der Erträgnisse und anderer Einkünfte der Berufungsklägerin Einfluss zu nehmen (vgl. Art. 395 Abs. 2 am Ende ZGB). Gerade letzteres ist aber am dringendsten. Unter den gegebenen Umständen kommt die Anordnung einer Beiratschaft somit von vornherein nicht in Frage. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0faed5e-24a7-48ba-be13-5767f0bf6131 | Urteilskopf
121 IV 303
49. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1995 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 und Ziff. 3 Abs. 2 StGB; Vollzug der zugunsten einer ambulanten Massnahme aufgeschobenen Freiheitsstrafe.
Der Entscheid, ob sich die ambulante Behandlung als unzweckmässig erweist, ist von der zuständigen Vollzugsbehörde in einer separaten Verfügung zu treffen, die nach Ausschöpfung der kantonalen Rechtsmittel mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kann die festgestellte Aussichtslosigkeit der Massnahme nicht angefochten werden (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).
Beim nachträglichen Vollzug einer ursprünglich aufgeschobenen Freiheitsstrafe ist die ambulante Behandlung in dem Mass anzurechnen, als der Betroffene in seiner persönlichen Freiheit tatsächlich eingeschränkt war. Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit von ambulanter Massnahme und Strafvollzug kommt in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der Behandlung in Frage (Klarstellung der Rechtsprechung; E. 4b). | Sachverhalt
ab Seite 304
BGE 121 IV 303 S. 304
A.-
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte G. mit Urteil vom 6. November 1987 des leichtsinnigen Konkurses, der ungetreuen Geschäftsführung, der fortgesetzten Unterlassung der Buchführung und der fortgesetzten Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr Gefängnis, unter Anrechnung von 14 Tagen Untersuchungshaft, sowie zu einer Busse von Fr. 20'000.--. Die Freiheitsstrafe schob es zugunsten einer ambulanten Behandlung im Sinne von
Art. 43 StGB
auf. Mit der ambulanten Massnahme verknüpfte das Obergericht die Weisung, G. dürfe während der Behandlungsdauer keinerlei selbständige Finanzgeschäfte tätigen. Zur Überwachung ordnete es eine Schutzaufsicht an.
Mit Verfügung vom 28. Juli 1994 betrachtete das Amt für Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Zürich die ambulante Massnahme als gescheitert und stellte ihren Vollzug ein. Es beantragte ferner dem Obergericht, es sei im Sinne von
Art. 43 Ziff. 3 StGB
zu entscheiden, ob bzw. wieweit die zugunsten dieser Massnahme aufgeschobene Freiheitsstrafe noch vollstreckt werden solle oder ob eine andere sichernde Massnahme anzuordnen sei.
Mit Beschluss vom 18. November 1994 ordnete das Obergericht des Kantons Zürich den Vollzug der mit Urteil vom 6. November 1987 ausgefällten Freiheitsstrafe an. Ferner stellte es fest, dass bezüglich einer von der Justizdirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 27. November 1987 zugunsten der ambulanten Massnahme aufgeschobenen Reststrafe von acht Monaten Gefängnis (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. Mai 1980) die Vollstreckungsverjährung eingetreten ist.
B.-
Gegen diesen Beschluss führt G. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei von einem gänzlichen oder teilweisen Vollzug der Freiheitsstrafe abzusehen. Ferner ersucht er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
C.-
Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 14. August 1995 ab, soweit es darauf eintrat.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf Vernehmlassung, das Obergericht auf Gegenbemerkungen verzichtet.
BGE 121 IV 303 S. 305
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Eintretensfrage).
2.
a) Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, der Beschwerdeführer habe gegen die ihm auferlegte, eng mit der Massnahme verknüpfte Weisung verstossen und wiederum im alten Stil selbständig Finanzgeschäfte getätigt sowie sich in spekulative Geschäfte eingelassen. Das Therapieziel, den Beschwerdeführer durch ständige Begleitung in die Lage zu versetzen, sich im Bewusstsein seiner Persönlichkeitsstörung zu kontrollieren und künftigen Versuchungen zu widerstehen, riskante und spekulative Finanzgeschäfte zu tätigen, sei nicht erreicht worden. Die Behandlung sei deshalb gescheitert. Aus diesem Grund müsse die zu ihren Gunsten aufgeschobene Freiheitsstrafe vollzogen werden. Ein Grund für einen gänzlichen oder teilweisen Verzicht auf den Vollzug liege nicht vor. Ein durch die abgebrochene Behandlung relevanter Heilerfolg, der durch einen Vollzug beeinträchtigt werden könnte, sei nicht erzielt worden. Ein anderweitig begründeter Anlass, die Vollzugsdauer zu reduzieren, bestehe nicht.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, Sinn und Zweck der Massnahme sei es gewesen, eine erneute Straffälligkeit zu verhindern. Dies sei mit der Massnahme vollumfänglich gelungen. Die Bezirksanwaltschaft Uster habe die neue Strafuntersuchung gegen ihn mit Verfügung vom 31. Oktober 1994 eingestellt. Ausserdem sei er seit dem obergerichtlichen Urteil aus dem Jahre 1987 nie mehr selbständig tätig gewesen, sondern habe als Angestellter der M. AG gehandelt und den Anordnungen von Herrn S. strikte Folge geleistet. Schliesslich habe er auch keine spekulativen Geschäfte getätigt. Er habe sich vielmehr in guten Treuen - auch mit Zustimmung seines zur Überwachung eingesetzten Therapeuten - für alle seine Managertätigkeiten als Angestellter von S. halten dürfen. Im übrigen treffe nicht zu, dass mit der ambulanten Therapie nicht mindestens ein Etappenziel erreicht worden sei. Schliesslich sei er nicht mehr straffällig geworden. Selbst wenn er in einigen Nebenpunkten die Auflagen verletzt hätte, würde die Anordnung des nachträglichen Strafvollzuges eine unverhältnismässige Härte bedeuten. Er sei heute 60 Jahre alt. Eine Strafverbüssung würde ihm jegliche Chance nehmen, ein anständiges Leben auf gesicherter Grundlage zu führen, und das intakte Familienleben zerstören.
3.
Gemäss
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
kann der Richter zwecks ambulanter Behandlung den Vollzug der Strafe aufschieben, um der Art der Behandlung
BGE 121 IV 303 S. 306
Rechnung zu tragen. Er kann in diesem Falle entsprechend
Art. 41 Ziff. 2 StGB
Weisungen erteilen und wenn nötig eine Schutzaufsicht anordnen. Erweist sich die ambulante Behandlung als unzweckmässig, ordnet der Richter nach Ziff. 3 Abs. 2 derselben Bestimmung die Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn der Geisteszustand des Täters eine ärztliche Behandlung oder besondere Pflege erfordert. Ist die Behandlung in einer solchen Anstalt unnötig, so entscheidet der Richter, ob und wieweit aufgeschobene Strafen noch vollstreckt werden sollen. An Stelle des Strafvollzugs kann er eine andere sichernde Massnahme anordnen, wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind (
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 3 StGB
).
Der Entscheid, ob sich die Behandlung nach
Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
als unzweckmässig erweist, ist nicht vom Richter, sondern von der zuständigen Vollzugsbehörde in einer separaten Verfügung zu treffen (
BGE 119 IV 190
E. 1). Im zu beurteilenden Fall hat das hiefür zuständige Amt für Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Zürich (§ 2 Strafvollzugsverordnung des Kantons Zürich) diesen Entscheid mit Verfügung vom 28. Juli 1994 gefällt, die ambulante Massnahme als gescheitert betrachtet und ihren Vollzug eingestellt. Die Frage, ob sich eine Behandlung als erfolglos oder unzweckmässig erwiesen hat, ist eine typische Vollzugsentscheidung, die nach Ausschöpfung der kantonalen Rechtsmittel mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann (BGE a.a.O.). Gemäss § 10 Abs. 2 der Strafvollzugsverordnung des Kantons Zürich hätte der Beschwerdeführer diese Verfügung mit Rekurs (
§
§ 402 ff. StPO
/ZH, vgl. auch
§ 27 StVG
/ZH) beim Regierungsrat als letzter kantonalen Instanz (
§ 409 Abs. 1 StPO
/ZH) anfechten müssen. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde kann die festgestellte Aussichtslosigkeit der Massnahme nicht mehr angefochten werden. Soweit sich die Beschwerde gegen die Aufhebung der Massnahme richtet, ist daher auf sie nicht einzutreten.
4.
Zu prüfen ist allein, ob und wieweit der Vollzug der aufgeschobenen Strafe zu Recht angeordnet wurde.
a) Die zuständige Vollzugsbehörde stellte im Verfahren vor der Vorinstanz keinen Antrag auf Anordnung von Ersatzmassnahmen (Verwarnung, weitere Weisungen) gemäss
Art. 45 Ziff. 3 StGB
, welche Ziffer gemäss Abs. 7 derselben Bestimmung sinngemäss für ambulante Behandlungen unter Aufschub der Strafe gilt, auch wenn keine bedingte Entlassung aus der Massnahme erfolgte (vgl. dazu STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil
BGE 121 IV 303 S. 307
II., § 11 N. 100/101). Sie brach vielmehr die ambulante Behandlung als erfolglos ab, weshalb die Vorinstanz nach Art. 43 Ziff. 3 Abs. 2 und 3 über den nachträglichen Strafvollzug oder die Anordnung einer anderen sichernden Massnahme zu entscheiden hatte.
Es kann hier offenbleiben, ob der Beschwerdeführer den Entscheid des Amtes für Straf- und Massnahmenvollzug, der nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, heute noch anfechten kann, weil die Nichtigkeitsbeschwerde aus einem anderen Grunde gutzuheissen und der angefochtene Entscheid des Obergerichts aufzuheben ist. Das gleiche gilt in bezug auf die Frage, ob eine andere sichernde Massnahme hätte angeordnet werden müssen, was der Beschwerdeführer vor der Vorinstanz nicht beantragte und diese daher auch nicht prüfte.
b) Die Dauer freiheitsentziehender Massnahmen ist grundsätzlich auf die aufgeschobene Freiheitsstrafe anzurechnen (
BGE 120 IV 176
E. 2a mit Hinweisen). Dabei braucht die anrechenbare Dauer nicht mit der Massnahmedauer übereinzustimmen. Namentlich wenn die persönliche Freiheit durch den Vollzug der stationären Massnahme weniger beschränkt wird als durch den Freiheitsentzug in einer Strafanstalt, ist die anrechenbare Dauer entsprechend zu kürzen (BGE a.a.O.). Dabei sind dem Vergleich jedoch die günstigsten in Frage kommenden Vollzugsformen, namentlich etwa Halbgefangenschaft, zugrundezulegen (vgl. BGE
BGE 117 IV 225
E. 2b). Auch bei der ambulanten Behandlung ist beim nachträglichen Vollzug der ursprünglich aufgeschobenen Freiheitsstrafe zu prüfen, ob und inwiefern der Verurteilte durch die ambulante Massnahme in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt wurde. In dem Masse, wie eine tatsächliche Beschränkung der persönlichen Freiheit vorliegt, ist die Behandlung auf die Freiheitsstrafe anzurechnen. Von Bedeutung ist hiefür im wesentlichen, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand die Massnahme für den Betroffenen verbunden war (
BGE 120 IV 176
E. 2b mit Hinweisen). Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit von ambulanter Massnahme und Strafvollzug kommt in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der ambulanten Behandlung in Frage. Dem Richter steht in der Frage, ob und in welchem Umfang die Behandlung anzurechnen ist, ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe in den mehr als sieben Jahren seiner Behandlung rund 700 Sitzungen à je 2 1/2 Stunden (2 Sitzungen pro Woche, berechnet auf 50 Wochen pro Jahr) sowie jährlich ca. 8 Wochenend-Gruppentherapie-Behandlungen (Sa/So mit Übernachtung) absolviert. Dies
BGE 121 IV 303 S. 308
entspreche einem Zeitaufwand von 1750 Stunden und 112 Tagen. Die Vorinstanz führt an, der Beschwerdeführer habe regelmässig zweimal wöchentlich die Therapiesitzungen besucht.
Die Vorinstanz nahm an, eine Anrechnung auf die Freiheitsstrafe sei nicht angebracht, da die ambulante Behandlung nicht mit Freiheitsentzug oder einer ähnlichen eingreifenden Beschränkung der Freiheit verbunden gewesen sei. Damit trägt sie der zitierten Rechtsprechung über die Anrechnung der ambulanten Massnahme nicht Rechnung, nach welcher auch die mit einer ambulanten Behandlung verbundene Freiheitsbeschränkung eine beschränkte Anrechnung rechtfertigt und erheischt. Die Beschwerde ist daher in diesem Punkt gutzuheissen. Die Vorinstanz wird nach den dargelegten Grundsätzen zu prüfen haben, inwieweit der Beschwerdeführer durch die ambulante Therapie in seiner persönlichen Freiheit eingeschränkt war und ob sowie gegebenenfalls in welchem Ausmass deren Dauer an die aufgeschobene Freiheitsstrafe anzurechnen ist. Dabei wird sie im vorliegenden Fall auch berücksichtigen dürfen, dass die Freiheitsbeschränkung des Beschwerdeführers grösser gewesen wäre, wenn er sich an die ihm auferlegten Weisungen gehalten hätte, und dass ihm die Therapie letztlich zur Tarnung dafür diente, dass er den Weisungen zuwiderhandelte, und er sie insofern missbraucht hat (vgl.
BGE 117 IV 404
E. 2b zu
Art. 69 StGB
).
5.
(Kostenfolgen). | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d0fb6fdb-243b-4564-9d4c-051c017ecf6a | Urteilskopf
116 IV 338
63. Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 198 f. StGB; Kuppelei, Vorschubleisten.
1. Nicht jede noch so entfernte oder geringfügige Form der gewinnsüchtigen Begünstigung oder Förderung der Unzucht stellt strafbare Kuppelei dar. Die sexuellen Handlungen müssen durch das Vorschubleisten erst ermöglicht oder zumindest wesentlich erleichtert werden. Überdies muss zum Zeitpunkt der Kuppelei das Zustandekommen sexueller Kontakte praktisch ermöglicht und in einem gewissen Umfang nach Ort und Zeit konkretisiert sein.
2. Kuppelei bei einem schweizerischen Verbindungsmann zum ausländischen Milieu bejaht, der mit der Vermittlung von Bürgerrechtsehen und weiteren Hilfeleistungen bezweckte, dass sich ausländische Dirnen legal in der Schweiz aufhalten konnten, um hier unbehelligt von fremdenpolizeilichen Massnahmen der Gewerbsunzucht nachzugehen. | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 116 IV 338 S. 339
X. vermittelte von Ende 1985 bis Anfang 1987 fünf österreichischen Dirnen gegen ein Entgelt von insgesamt über Fr. 10'000.-- heiratswillige Schweizer Männer. In keinem der Fälle beabsichtigten die Eheleute, eine wirkliche Ehe zu führen. X. gab ihnen Anweisungen, wie sie sich zu verhalten hätten, damit die Bürgerrechtsehen nicht als solche erkannt würden, erledigte Pass- und Anmeldeformalitäten und stellte sich teilweise als Trauzeuge zur Verfügung. Zusätzlich verschaffte er den Dirnen Wohnungen und in einem Fall eine Absteige. X. wird vorgeworfen, mit seinem Verhalten beabsichtigt zu haben, dass die Dirnen Schweizerinnen wurden und hier unter Umgehung der Vorschriften des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) der Gewerbsunzucht nachgehen konnten.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. am 1. Dezember 1989 im Berufungsverfahren (nebst hier nicht interessierenden Delikten) der fortgesetzten Kuppelei im Sinne von
Art. 198 Abs. 1 StGB
schuldig und bestrafte ihn mit acht Monaten Gefängnis und einer Busse von Fr. 500.--. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aufgeschoben und in bezug auf die Busse die vorzeitige Löschbarkeit des Eintrags im Strafregister gewährt. Die Probezeit wurde auf vier Jahre festgesetzt.
BGE 116 IV 338 S. 340
Gegen dieses Urteil führt X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zum Freispruch vom Vorwurf der Kuppelei an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich gegen den Schuldspruch wegen Kuppelei. Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass ihm die kantonalen Vorinstanzen ausschliesslich das Vermitteln der Scheinehen zur Last gelegt hätten, nicht aber die übrigen in der Anklageschrift erwähnten Verhaltensweisen. Er macht geltend, der Straftatbestand der Kuppelei sei nicht erfüllt, weil zwischen der ihm vorgeworfenen Vermittlung der Scheinehen und dem Ausüben der Gewerbsunzucht kein direkter Zusammenhang bestehe. Nicht jede Handlung, die im weitesten Sinn eine Prostituierte unterstütze, stelle ein "Vorschubleisten" im Sinne von
Art. 198 StGB
dar. Vielmehr müsse sich die Unterstützungshandlung konkret auf die Ausübung des Unzuchtsgewerbes, d.h. auf eine nach Ort und/oder Zeit konkretisierte Gelegenheit zu sexuellen Handlungen, beziehen.
2.
Was die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tatsachen betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass die Vorinstanz ausdrücklich den gesamten Sachverhalt, auf den sich die Anklage stützte, als erstellt betrachtete. Es trifft also nicht zu, dass alle Handlungen des Beschwerdeführers, die über die eigentliche Vermittlung der Ehen hinausgingen, für die Beurteilung des Falles ohne Bedeutung sind. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wird ihm nicht einfach vorgeworfen, er habe Bürgerrechtsehen mit ausländischen Dirnen vermittelt. Wie sich aus dem Urteil des Bezirksgerichtes, auf welches die Vorinstanz verweist, ergibt, wird dem Beschwerdeführer angelastet, er habe mit der Vermittlung der Ehen den österreichischen Dirnen ermöglicht, dass sie Schweizerinnen wurden und somit keine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung benötigten, um in der Schweiz der Gewerbsunzucht nachgehen zu können. Die Ermöglichung der Gewerbsunzucht (und nicht die Bürgerrechtsehen als solche) war das eigentliche Ziel der Aktionen des Beschwerdeführers. Genau dieser Vorwurf ist auch ausdrücklich in der Anklageschrift enthalten, wonach der Beschwerdeführer "in der Absicht (gehandelt habe, den Dirnen) zu ermöglichen, in der
BGE 116 IV 338 S. 341
Schweiz der Gewerbsunzucht nachzugehen", und "mit dem Ziel (vorgegangen sei), die Vorschriften des BG über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu umgehen". Der strafrechtliche Vorwurf an den Beschwerdeführer umfasst klarerweise auch die weiteren in der Anklageschrift genannten Tätigkeiten, wie das Erteilen von Verhaltensanweisungen und das Erledigen von Anmeldeformalitäten. Soweit das Bezirksgericht schliesslich eher am Rande feststellt, der Beschwerdeführer habe mindestens in einem Fall einer Dirne auch einen Arbeitsplatz verschafft, ist allerdings einzuräumen, dass weder aus der Anklageschrift noch aus der Begründung der kantonalen Entscheide hervorgeht, dass er dafür noch speziell entschädigt worden wäre. Dies hat aber nur zur Folge, dass das Vermitteln einer Absteige für sich allein nicht zu einem Schuldspruch wegen Kuppelei führen könnte, nicht aber, dass dieser Umstand im Zusammenhang der gesamten Handlungen des Beschwerdeführers von vornherein keine Bedeutung hätte (s. unten E. 3b).
3.
a) Der Kuppelei gemäss
Art. 198 StGB
macht sich schuldig, wer aus Gewinnsucht der Unzucht Vorschub leistet, sie also begünstigt und fördert, indem er z.B. Voraussetzungen dazu schafft oder Hindernisse beseitigt (
BGE 98 IV 257
E. 2; HAUSER/REHBERG, Strafrecht IV, Zürich 1989, S. 48; PAUL USTERI, Strafwürdigkeit der Kuppelei, Diss. Zürich 1972, S. 78). Im deutschen Recht (§ 180 dtStGB) ist das Vorschubleisten konkretisiert als Vermittlung, Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit zu sexuellen Handlungen (ebenso für das schweizerische Strafrecht STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht BT II, 3. Aufl. Bern 1984,
§ 26 N 8
).
Nun kann aber klarerweise nicht jede noch so entfernte oder geringfügige Form der gewinnsüchtigen Begünstigung oder Förderung der Unzucht strafbare Kuppelei im Sinne von
Art. 198 StGB
darstellen. Ein zu weit gedehnter Begriff des Vorschubleistens würde zu geradezu "unsinnigen" Ergebnissen führen (PAUL USTERI, a.a.O., S. 80). Es liegt auf der Hand, dass sich z.B. ein Architekt, der einen besonders lukrativen Auftrag zum Bau eines Hauses in einem Vergnügungsviertel übernimmt, selbst dann nicht der Kuppelei schuldig macht, wenn er annehmen muss, dass im Gebäude mit einiger Wahrscheinlichkeit irgendwann auch Massagesalons eingerichtet werden. Sowohl die Putzfrau, die gegen ein erhöhtes Entgelt einen Salon reinigt, als auch der Coiffeur, der eine Dirne für einen etwas höheren Preis verschönt, damit sie bei ihren
BGE 116 IV 338 S. 342
Kunden bessere Chancen hat, begünstigen zwar in gewisser Weise die Gewerbsunzucht, aber dennoch ist offensichtlich, dass deren Handlungsweisen noch keine strafwürdige Kuppelei darstellen. Die Beispiele zeigen, dass der Begriff des Vorschubleistens nach zwei Richtungen eingeschränkt werden muss. Zum einen muss zum Zeitpunkt der angeblichen Kuppelei die Möglichkeit des Zustandekommens des sexuellen Kontakts in greifbare Nähe gerückt und in einem gewissen Umfang nach Ort und Zeit konkretisiert sein (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Kommentar zum Deutschen Strafgesetzbuch, 23. Aufl. München 1988, N 6 zu § 180). Zum zweiten muss die Vornahme der sexuellen Handlungen durch das Vorschubleisten erst ermöglicht oder zumindest wesentlich erleichtert werden (SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, a.a.O., N 9 zu § 180). Völlig untergeordnete oder mit der Unzucht in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehende Beihilfehandlungen sind strafrechtlich ohne Bedeutung.
b) Im vorliegenden Fall ist nicht zu untersuchen, ob das reine Vermitteln von Bürgerrechtsehen bereits Kuppelei darstellen kann. Aufgrund der Feststellungen der kantonalen Gerichte ist davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer darauf ankam, den ausländischen Dirnen durch die Vermittlung der Scheinehen zu ermöglichen, sich "legal" in der Schweiz aufzuhalten, um hier unbehelligt von fremdenpolizeilichen Massnahmen der Gewerbsunzucht nachzugehen. Er wusste, dass sich die Ausländerinnen zu diesem Zweck in der Schweiz aufhalten wollten, durch die strengen fremdenpolizeilichen Vorschriften und Kontrollen daran aber gehindert oder zumindest stark behindert würden. Er beseitigte dieses Hindernis nicht nur durch das blosse Vermitteln von heiratswilligen Schweizern, sondern auch durch die Erteilung von Verhaltensanweisungen und durch die Erledigung von Pass- und Anmeldeformalitäten. Indem er den Dirnen derart half, die Vorschriften des ANAG zu umgehen, machte er es ihnen möglich, in der Schweiz ungestört und damit jedenfalls entsprechend intensiver als Prostituierte tätig zu sein. Wie gesagt, war genau dies auch seine Absicht. Damit aber hat er nicht nur irgendeinen völlig untergeordneten Beitrag zur Ausübung der Gewerbsunzucht geleistet, sondern das Betreiben der Gewerbsunzucht bis zu einem gewissen Grad überhaupt erst ermöglicht, jedenfalls aber wesentlich gefördert.
Im übrigen kannte sich der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der kantonalen Richter nicht nur im österreichischen
BGE 116 IV 338 S. 343
Milieu sehr gut aus und hatte er dort zu führenden Leuten Kontakt, sondern war er gewissermassen deren Verbindungsmann in Zürich. Zum Zeitpunkt der Vermittlung der Scheinehen musste ihm also bewusst sein, dass die Ausübung der Gewerbsunzucht durch die gerade zu diesem Zweck Schweizerinnen gewordenen Dirnen in nächste Nähe gerückt war, nicht aber bloss in ferner, unbestimmter Zukunft lag. Nachdem er überdies den Dirnen Wohnungen bzw. eine Absteige vermittelte und ihre Anmeldeformalitäten erledigte, ist schliesslich davon auszugehen, dass deren künftige Unzuchtstätigkeit auch in örtlicher Hinsicht ausreichend konkret feststand.
Nach dem Gesagten bejahte die Vorinstanz das Tatbestandsmerkmal des Vorschubleistens zu Recht. Die übrigen Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Gewinnsucht, blieben unbestritten. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d1047871-a71e-42d4-8854-350978054798 | Urteilskopf
124 IV 121
22. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 30 avril 1998 dans la cause P. contre Ministère public du canton de Neuchâtel (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 58 StGB
und
Art. 261bis Abs. 1 StGB
; Einziehung von Gegenständen, die dazu gedient haben, das Vergehen der Rassendiskriminierung zu begehen.
Unter
Art. 261bis Abs. 1 StGB
fällt eine Behauptung, in welcher Form und über welches Medium sie auch verbreitet wird, die Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion im Bereich ihrer Menschenwürde einen minderen Wert zuschreibt (E. 2b).
Einziehung von Zeitschriften und CDs, die solche Behauptungen enthalten (E. 2a und c). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 124 IV 121 S. 121
A.-
En octobre 1996, l'inspection des douanes de l'aéroport de Genève a saisi un colis, en provenance de Detroit (Michigan/USA), contenant 20 numéros identiques d'une revue intitulée "Resistance" et 30 CD, destinés à "M. c/o K., CP 108, 2005 Neuchâtel", dont le contenu a été considéré comme raciste.
Un article de cette revue reflète des idées telles que "we think all black people are bad"; ainsi, sont cités les propos d'un comédien noir, lequel aurait affirmé que le peuple noir est plus raciste que le peuple blanc, car il hait aussi les noirs; y figurent également une distinction entre les "noirs" et les "nègres", une description de l'homme noir, et la constatation, sous le couvert de chiffres invérifiables, selon laquelle les noirs sont plus violents que les blancs; en conclusion, il y est indiqué que "tous les noirs ne sont pas des criminels mais qu'une Amérique sans noirs serait plus sûre, plus propre et plus riche". D'autres passages de la revue affichent de la haine
BGE 124 IV 121 S. 122
pour ce qui n'est pas blanc et rabaissent la race noire en la traitant de race boueuse, sous-humaine, sauvage, semblable à des singes.
De plus, cette revue publie deux entretiens à propos de l'holocauste. Le premier indique qu'il faut croire aux thèses révisionnistes selon lesquelles il n'y a pas eu un programme d'extermination systématique des juifs mais que les seules victimes du génocide étaient le peuple d'Europe et en particulier le million de "SS" qui ont donné leur vie pour la race aryenne et qui étaient les créatures les plus évoluées dans l'histoire de la planète. Dans le second entretien, il est relevé que l'holocauste des juifs, "la nation la plus haïe", était le processus le plus sensationnel.
En ce qui concerne le CD, il a été retenu qu'il était lié à la revue. Les chansons contiennent des propos tels que "solution finale" ou "si tu n'es pas blanc, tu seras mort". La suprématie de la race blanche y est prônée, alors que les autres races, en particulier la noire, sont rabaissées.
B.-
Par jugement du 8 avril 1997, le Tribunal de police du district de Neuchâtel a acquitté K., qui avait été renvoyé en jugement sous l'accusation de discrimination raciale (
art. 261bis CP
), et a ordonné la restitution des revues et CD séquestrés.
Statuant sur un pourvoi du Ministère public, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal neuchâtelois, par arrêt du 29 décembre 1997, a réformé partiellement ce jugement, en ce sens qu'elle a ordonné la confiscation et la destruction du CD et des 20 exemplaires de la revue encore séquestrés.
La cour cantonale a d'abord relevé que, contrairement à l'opinion du premier juge, tant la revue que le CD tombaient objectivement sous le coup de l'
art. 261bis CP
; en revanche, le premier juge devait être suivi, lorsqu'il niait la réalisation de l'élément subjectif de cette infraction chez K. Elle a ensuite estimé que tant la morale que l'ordre public exigeaient que des pièces d'un tel contenu fussent confisquées et détruites, en application de l'
art. 58 al. 1 let. b CP
.
C.-
K. se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral contre cet arrêt. Soutenant que les conditions légales de la confiscation ne sont pas réunies, il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de la décision attaquée, au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour restitution du matériel saisi et sollicite par ailleurs l'effet suspensif.
Le Tribunal fédéral a rejeté le pourvoi dans la mesure où il était recevable.
BGE 124 IV 121 S. 123
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Seule la confiscation du matériel encore saisi reste litigieuse.
En citant l'
art. 58 al. 1 let. b CP
, la cour cantonale se réfère manifestement à tort à l'ancien texte de cette disposition, ce qui, en l'occurrence, reste sans conséquence.
Selon le texte actuel de l'
art. 58 al. 1 CP
entré en vigueur le 1er août 1994 (RO 1994 p. 1614 et 1618), "alors même qu'aucune personne déterminée n'est punissable, le juge prononcera la confiscation d'objets qui ont servi ou devaient servir à commettre une infraction ou qui sont le produit d'une infraction, si ces objets compromettent la sécurité des personnes, la morale ou l'ordre public".
Cette disposition permet donc notamment de confisquer des objets qui ont servi à commettre une infraction ou devaient servir à la commettre (les "instrumenta sceleris"; cf. TRECHSEL, Kurzkommentar, 2ème éd. Zurich 1997, art. 58 no 7), à la condition toutefois qu'ils compromettent la sécurité des personnes, la morale ou l'ordre public. On ne saurait cependant émettre des exigences élevées en ce qui concerne ce danger; il suffit qu'il soit vraisemblable qu'il y ait un danger si l'objet n'est pas confisqué en mains de l'ayant droit (TRECHSEL, op.cit., art. 58 no 9; cf. également FF 1993 III p. 297 s.). Comme il ressort du texte légal, la confiscation sera prononcée même si l'auteur n'est pas punissable. Il importe donc peu que l'auteur reste inconnu ou qu'il ait agi à l'étranger, au moins lorsque, comme c'est le cas en l'espèce, le matériel était notamment destiné à être diffusé au public en Suisse (cf. TRECHSEL, op.cit., art. 58 no 10).
b) La cour cantonale a estimé que le matériel confisqué était l'instrument d'une discrimination raciale au sens de l'
art. 261bis CP
.
Cette disposition pénale a été examinée à l'
ATF 123 IV 202
, auquel il convient de se référer.
La revue et le disque en cause n'étaient pas destinés à être remis directement à des noirs ou à des juifs, mais bien à des tiers, ce qui exclut d'emblée l'application de l'
art. 261bis al. 4 et 5 CP
; on ne saurait parler d'une idéologie dûment développée (
art. 261bis al. 2 CP
) ou d'une mesure d'organisation (
art. 261bis al. 3 CP
), de sorte que le cas doit être examiné à la lumière de l'
art. 261bis al. 1 CP
(cf.
ATF 123 IV 202
consid. 3b p. 207).
Cette disposition déclare punissable "celui qui, publiquement, aura incité à la haine ou à la discrimination envers une personne ou
BGE 124 IV 121 S. 124
un groupe de personnes en raison de leur appartenance raciale, ethnique ou religieuse".
L'auteur doit donc agir publiquement, ce qui suppose qu'il s'adresse à un large cercle de destinataires (
ATF 123 IV 202
consid. 3d p. 208). En l'espèce, il est manifeste - et non contesté - que les auteurs de la revue et du disque en ont créé de nombreux exemplaires et qu'ils les ont distribués largement.
Il faut également que le message, quelle qu'en soit la forme ou le support, s'en prenne - en s'adressant à des tiers (REHBERG, Strafrecht IV, Zurich 1996, p. 186) - à une ou plusieurs personnes en raison de leur appartenance raciale, ethnique ou religieuse. En l'espèce, le message s'en prend à tous les noirs et tous les juifs, exclusivement parce qu'ils sont noirs ou juifs. La race, au sens de l'
art. 261bis CP
, se caractérise notamment par la couleur de la peau (STRATENWERTH, Bes. Teil II, Berne 1995, § 39, no 26, p. 167; TRECHSEL, op.cit., art. 261bis no 11; NIGGLI, Rassendiskriminierung, Zurich 1996, no 368, p. 101); il n'est donc pas douteux que les noirs constituent une race au sens de cette disposition. Le judaïsme constitue une religion au sens de l'
art. 261bis CP
(
ATF 123 IV 202
consid. 4c p. 209; STRATENWERTH, op.cit., no 27, p. 168; TRECHSEL, op.cit., art. 261bis no 13).
Il faut encore, selon l'
art. 261bis al. 1 CP
, que le message incite à la haine ou à la discrimination. Par inciter, il faut entendre le fait d'éveiller le sentiment de haine ou d'appeler à la discrimination (cf.
ATF 123 IV 202
consid. 3b p. 207). La discrimination consiste à traiter injustement de façon moins favorable (REHBERG, op.cit., p. 184).
Le contenu que doit avoir le message n'est pas décrit plus précisément par l'
art. 261bis al. 1 CP
; il suffit qu'il soit propre à éveiller la haine ou à appeler à la discrimination. Les autres alinéas de l'
art. 261bis CP
, où l'on parle d'abaisser, de dénigrer, et de discriminer d'une façon qui porte atteinte à la dignité humaine, permettent de mieux cerner l'idée. N'importe quelle critique ou la constatation objective d'une différence ne suffisent pas; le message doit atteindre la personne dans sa dignité d'être humain, et ceci en raison de son appartenance raciale, ethnique ou religieuse. Le message doit faire apparaître les personnes qui appartiennent à une race, une ethnie ou une religion comme étant de moindre valeur du point de vue de la dignité humaine (TRECHSEL, op.cit., art. 261bis no 22; REHBERG, op.cit., p. 184; GUYAZ, L'incrimination de la discrimination raciale, Berne 1996, p. 255; NIGGLI, op.cit., no 767 et 769, p. 204 s.). Dans les cas
BGE 124 IV 121 S. 125
extrêmes, il s'agit de dénier toute dignité humaine, voire même le droit à l'existence (REHBERG, op.cit., p. 184). Nier, minimiser grossièrement ou tenter de justifier un génocide est mentionné à l'
art. 261bis al. 4 CP
(STRATENWERTH, op.cit., no 37, p. 171; TRECHSEL, op.cit., art. 261bis no 35; REHBERG, op.cit., p. 187).
Déterminer le contenu d'un message relève des constatations de fait qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
); dire si ce contenu correspond aux notions figurant dans la loi est une question de droit.
En l'espèce, la cour cantonale a constaté que la revue contenait l'affirmation selon laquelle une Amérique sans noirs serait plus sûre, plus propre et plus riche; la race noire y est traitée de race sale, de race boueuse, sous-humaine, sauvage, semblable à des singes. En tout cas, ce dernier passage, lequel assimile les noirs à des bêtes, tend à les abaisser, en raison de leur race, dans leur dignité d'être humain. De telles affirmations, attentatoires à la dignité de l'être humain, sont manifestement de nature à éveiller le mépris et la haine, de sorte qu'elles tombent sous le coup de l'
art. 261bis al. 1 CP
. Il n'est donc pas nécessaire d'examiner la portée du passage concernant l'holocauste des juifs.
S'agissant du disque, la cour cantonale a constaté que son contenu était violent, abaissait systématiquement les noirs et contenait la phrase "si tu n'es pas blanc, tu seras mort". Ce passage peut effectivement être interprété en ce sens qu'il dénie aux noirs, en raison de leur race, jusqu'au droit à l'existence; il s'agit de la forme suprême du mépris de toute dignité humaine, qui appelle à la haine, voire à la discrimination. Ce passage du disque tombe donc également sous le coup de l'
art. 261bis al. 1 CP
.
Sur le plan subjectif, l'infraction implique un comportement intentionnel, dicté par des mobiles de discrimination raciale; le dol éventuel suffit (
ATF 123 IV 202
consid. 4c p. 210). Il n'est ni contesté ni contestable que les auteurs de la revue et du disque les ont diffusés intentionnellement, en toute connaissance de cause, dans un but de discrimination raciale.
Les éléments de l'infraction sont donc réunis.
c) Les revues et les disques étaient les moyens de commettre l'infraction, c'est-à-dire de rendre le message public. Ils ont donc servi à commettre l'infraction au sens de l'
art. 58 al. 1 CP
("instrumenta sceleris").
L'infraction prévue par l'
art. 261bis CP
, qui est conçu en première ligne pour protéger la dignité humaine, est classée parmi les infractions
BGE 124 IV 121 S. 126
contre la paix publique (
ATF 123 IV 202
consid. 2 p. 206), de sorte que l'on peut admettre que la propagation de tels messages comporte un risque pour l'ordre public. Il est évident que ce risque n'a pas disparu, puisque le recourant pourrait remettre ces objets à des tiers, les prêter ou même se les faire voler. L'existence de ces objets, qui sont, par leur nature, destinés à être diffusés, est propre à perpétuer les effets de l'infraction et laisse subsister le risque pour l'ordre public.
Comme on l'a vu, la confiscation est possible "alors même qu'aucune personne déterminée n'est punissable". Il importe donc peu que les personnes qui ont diffusé ces revues et ces disques ne puissent pas être identifiées ou poursuivies en Suisse. Il est également sans pertinence que le recourant ne soit pas lui-même auteur de l'infraction ou participant à celle-ci.
Le recourant ne demande pas de faire expurger à ses frais les revues et le disque, en supprimant les passages condamnables, de sorte qu'il n'y a pas lieu d'examiner la question sous cet angle. La mesure prononcée n'apparaît pas disproportionnée et ne viole donc pas l'
art. 58 al. 1 CP
.
3.
(Suite de frais) | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d1076a7a-4a60-4434-af8a-044b199934cd | Urteilskopf
138 II 545
38. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und B.X. gegen Steuerverwaltung des Kantons Freiburg (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_565/2011 vom 26. Oktober 2012 | Regeste a
Art. 9 BV
; Treu und Glauben; kein verbindliches "Ruling" der Eidgenössischen Steuerverwaltung oder anderer kantonaler Steuerverwaltungen im Bereich der Kantons- und Gemeindesteuern.
Im Bereich der Staats- und Gemeindesteuern sind einzig die Steuerbehörden des betroffenen Kantons zuständig, auf vorherige Anfrage hin über die Zulässigkeit eines gegebenenfalls problematischen Sachverhalts zu befinden. Werden diese Behörden nicht angefragt, sind sie durch allfällige Zusicherungen einer anderen kantonalen oder der Eidgenössischen Steuerverwaltung nicht gebunden (E. 2).
Regeste b
Art. 34 Abs. 1 lit. a DStG/FR (übereinstimmend mit
Art. 33 Abs. 1 lit. a DBG
);
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
; Verweigerung des Schuldzinsenabzugs bei ungerechtfertigter (doppelter) Inanspruchnahme der im Privatvermögensbereich an sich vorgesehenen Steuervorteile.
Der Schuldzinsenabzug ist unzulässig im Falle von Darlehen, welche eine Gesellschaft einer an ihr beteiligten oder ihr sonst wie nahestehenden natürlichen Person (E. 3.3, 3.4 und 4.2.2) unter Bedingungen gewährt, die von denen des üblichen Geschäftsverkehrs zwischen unabhängigen Dritten erheblich abweichen (E. 4.2.1). | Sachverhalt
ab Seite 546
BGE 138 II 545 S. 546
A.
A. und B.X. machten in ihrer Steuererklärung für die Periode 2006 einen Schuldzinsenabzug von Fr. 44'854.- im Zusammenhang mit zwei Darlehen geltend, die ihnen durch eine australische Finanzgesellschaft gewährt worden waren.
B.
Der Schuldzinsenabzug wurde durch die Steuerverwaltung des Kantons Freiburg in ihrer Veranlagungsverfügung vom 19. Juni 2008
BGE 138 II 545 S. 547
und ihrem Einspracheentscheid vom 27. Oktober 2008 als missbräuchlich eingestuft und infolge Steuerumgehung beim steuerbaren Einkommen der Eheleute A. und B.X. für die Staats- und die direkte Bundessteuer 2006 aufgerechnet. Dagegen gelangten die Pflichtigen an den Steuergerichtshof des Kantonsgerichts Freiburg; dieser schützte mit Urteil vom 27. Mai 2011 die Einschätzung der Steuerverwaltung hinsichtlich der Kantons- und Gemeindesteuern 2006, hiess aber die Beschwerde in Bezug auf die direkte Bundessteuer der gleichen Periode mit folgender Begründung gut: Für das australische Anlagekonzept sei im Vorfeld die Zusage der Eidgenössischen Steuerverwaltung erwirkt worden, dass der geplante Schuldzinsenabzug zulässig sei; an diese Zusage seien auch die kantonalen Behörden bei der Anwendung der direkten Bundessteuer unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gebunden.
C.
Am 5. Juli 2011 haben die Ehegatten A. und B.X. beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht. Sie stellen in Bezug auf die Staatssteuer 2006 den Antrag, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und den Schuldzinsenabzug zu gewähren, eventuell teilweise; subeventuell sei die Sache zur Neufestsetzung des abziehbaren Schuldzinses an die Veranlagungsbehörde zurückzuweisen. Weiter sei festzustellen, dass das Urteil des Steuergerichtshofs insoweit in Teilrechtskraft erwachsen sei, als es die direkte Bundessteuer 2006 betreffe. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Beschwerdeführer machen geltend, der Schuldzinsenabzug sei schon deswegen zu bejahen, weil in dieser Sache übereinstimmende sog. "Rulings" der Eidgenössischen Steuerverwaltung sowie einiger kantonaler Steuerbehörden ergangen seien, welche das gewählte Vorgehen als zulässig und den geltend gemachten Abzug als rechtskonform eingestuft hätten. Dagegen hat die Vorinstanz indessen überzeugend festgehalten, dass im hier zu beurteilenden Bereich der Staats- und Gemeindesteuern einzig die Steuerbehörden des Kantons Freiburg zuständig gewesen wären, im Vorfeld über die Zulässigkeit eines gegebenenfalls problematischen Sachverhalts zu befinden. Da diese Behörden jedoch nicht angefragt wurden, sind sie nun durch die Zusagen anderer Steuerverwaltungen nicht gebunden.
BGE 138 II 545 S. 548
2.2
Vor Bundesgericht behaupten die Beschwerdeführer nicht, dass die Zusage eines anderen Kantons für den Kanton Freiburg verbindlich gewesen wäre. Eine massgebliche Bindungswirkung nehmen sie jedoch im Zusammenhang mit dem "Ruling" der Eidgenössischen Steuerverwaltung an.
Entgegen dieser Sichtweise heben sowohl die kantonale als auch die Eidgenössiche Steuerverwaltung zutreffend hervor, dass die in
Art. 102 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11)
vorgesehene Aufsichtsfunktion der Eidgenössischen Steuerverwaltung nur die direkte Bundessteuer betrifft. Im vorliegend zu beurteilenden Bereich der Staatssteuer kann eine Stellungnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung für den Kanton Freiburg selbst unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht verbindlich sein.
Daran ändert auch nichts, dass die Anwendung des kantonalen Steuerrechts den zwingenden Vorgaben des Harmonisierungsrechts unterworfen und die Eidgenössische Steuerverwaltung dazu berufen ist, die Einhaltung dieser Vorgaben (mit) zu gewährleisten. Deswegen steht es der Eidgenössischen Steuerverwaltung auch zu, bei Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht bezüglich der Kantons- und Gemeindesteuern eine Vernehmlassung einzureichen, soweit die genannten Harmonisierungsbelange betroffen sind. Selbst eine solche Vernehmlassung ist aber für die Behörden des betroffenen Kantons im Bereich der Staatssteuer nicht verbindlich. Damit steht es im Einklang, wenn die Vorinstanz dem "Ruling" der Eidgenössischen Steuerverwaltung für den Bereich der Staatssteuer die von den Beschwerdeführern behauptete Bindungswirkung abgesprochen hat.
3.
3.1
Nach Massgabe von Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 1 des Gesetzes des Kantons Freiburg vom 6. Juni 2000 über die direkten Kantonssteuern (DStG/FR; SGF 631.1) können von den Einkünften die privaten Schuldzinsen im Umfang der steuerbaren Vermögenserträge und weiterer Fr. 50'000.- abgezogen werden (übereinstimmend:
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
[SR 642.14] und Art. 33 Abs. 1 lit. a Satz 1 DBG). Satz 2 derselben kantonalrechtlichen Bestimmung lautet: "Nicht abzugsfähig sind Schuldzinsen für Darlehen, die eine Kapitalgesellschaft einer an ihrem Kapital massgeblich beteiligten oder ihr sonstwie nahestehenden natürlichen Person zu Bedingungen gewährt, die erheblich von den im Geschäftsverkehr unter Dritten üblichen
BGE 138 II 545 S. 549
Bedingungen abweichen." Dieser zweite Satz ist in
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
nicht enthalten, was unter dem Gesichtspunkt der vertikalen Steuerharmonisierung (vgl. dazu u.a.
BGE 133 II 314
E. 3.2 S. 116; ASA 80 S. 617 E. 2.2; 75 S. 253 E. 6-7; StR 67/2012 S. 683 E. 2.2; je mit weiteren Hinweisen) aber nicht gegen die Vorschrift kantonalen Rechts spricht. Denn derselbe Satz 2 ist - mit dem genau gleichen Wortlaut - auch in
Art. 33 Abs. 1 lit. a DBG
enthalten. Diese Übereinstimmung rechtfertigt es, in der Folge für die Auslegung der kantonalrechtlichen Bestimmung ebenfalls Lehrmeinungen zur DBG-Vorschrift zu zitieren.
3.2
Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR bezieht sich von Wortlaut und Inhalt her auf die allgemeine Praxis zu geldwerten Leistungen und auf den dafür massgeblichen sog. Drittvergleich. In diesem Bereich gelten namentlich folgende Grundsätze: Es ist einer Aktiengesellschaft an sich unbenommen, sogar ihrem Alleinaktionär ein Darlehen in dem Umfang und zu den Bedingungen zu gewähren, in deren Genuss auch ein unbeteiligter Dritter unter gleichen Umständen gekommen wäre (sog. Prinzip des "dealing at arm's length"). Dabei wird - unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des abgeschlossenen Geschäfts - geprüft, ob die zu beurteilende Leistung im Vergleich zu üblichem und marktgerechtem Geschäftsgebaren als derart ungewöhnlich einzustufen ist, dass sie (so) nicht erbracht worden wäre, wenn der Leistungsempfänger der Gesellschaft oder dem Anteilsinhaber nicht nahestehen würde (vgl. u.a.
BGE 138 II 57
E. 2.2, 2.3 und 3.1 S. 59 f. mit weiteren Hinweisen). Im Darlehensbereich gilt als geldwerte Leistung nicht nur der Verzicht auf Darlehens- und Vergütungszinsen zugunsten von Aktionären oder ihnen nahestehenden Dritten (vgl. u.a. StR 66/2011 S. 62 E. 3; 60/2005 S. 24 E. 3.3 und 4.2). Darüber hinaus kann sich die Leistung - ganz oder nur teilweise (vgl. u.a. StR 60/2005 S. 24 E. 3.3 und 4.2 sowie ASA 53 S. 54 E. 7) - auf den Darlehensbetrag als solchen erstrecken, ob nun das Darlehen von Anfang an als simuliert einzustufen und mit dessen Rückerstattung von Beginn weg nicht zu rechnen ist (vgl. ASA 72 S. 736 E. 2.2) oder weil die Gesellschaft gegenüber ihrem Anteilsinhaber oder der nahestehenden natürlichen Person erst im Nachhinein auf die Rückerstattung des Darlehens verzichtet (vgl. u.a. StE 2001 B 24.4 Nr. 58 E. 3).
Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR bezieht sich nicht auf die Aufrechnung von als Aufwendungen deklarierten Erträgen, sondern nur auf die Frage, ob der geltend gemachte Schuldzinsenabzug als
BGE 138 II 545 S. 550
zulässig anerkannt werden kann. Dabei geht es nicht so sehr um bevorzugte Zinskonditionen, sondern um Fälle, in denen die Darlehensgewährung als solche dem Drittvergleich nicht standhält (vgl. dazu schon ASA 53 S. 54 E. 3-5 sowie AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 3 zu
Art. 33 DBG
; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, Teil I, 2001, N. 11 zu
Art. 33 DBG
; ZIGERLIG/JUD, in: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, 2. Aufl. 2008, N. 6 zu
Art. 33 DBG
; YVES NOËL, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, Yersin/Noël [Hrsg.], 2008, N. 12 zu
Art. 33 DBG
).
3.3
Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR beschränkt sich weiter auf solche Darlehensgestaltungen, bei denen der Kredit durch eine Gesellschaft an eine natürliche Person vergeben wird. Diese Beschränkung ergibt sich direkt aus dem Zweck und der Systematik von
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
sowie Art. 34 Abs. 1 lit. a DStG/FR, d.h. der Notwendigkeit einer Begrenzung des Schuldzinsenabzugs gegenüber grundsätzlich ungerechtfertigten Inanspruchnahmen der im Privatvermögensbereich an sich vorgesehenen Steuervorteile. Das gilt namentlich gegenüber Schuldzinsen, die für ertragslose, nur auf die Erzielung von steuerfreien privaten Kapitalgewinnen (vgl.
Art. 7 Abs. 4 lit. b StHG
und Art. 17 Abs. 3 DStG/FR) ausgerichtete Investitionen aufgewendet werden und dem Pflichtigen bei uneingeschränkter Abzugsgewährung einen doppelten Steuervorteil verschaffen würden (vgl. BBl 1999 I 84 f.; MARKUS REICH, in: Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, 2. Aufl. 2002, N. 32 zu
Art. 9 StHG
; NOËL, a.a.O., N. 5 zu
Art. 33 DBG
; ZIGERLIG/JUD, a.a.O., N. 8 zu
Art. 33 DBG
; GION CLOPATH, La déduction de la charge d'intérêts dits privés, Der Schweizer Treuhänder [ST] 1999 S. 247 f.).
Gegenüber einer doppelten Inanspruchnahme von Steuervorteilen im Privatvermögensbereich kann Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 1 DStG/FR (d.h. die Begrenzung des Schuldzinsenabzugs auf Fr. 50'000.-) bestenfalls bestimmte, besonders krasse Auswüchse unterbinden (vgl. REICH, a.a.O., N. 32 zu
Art. 9 StHG
; NOËL, a.a.O., N. 5 zu
Art. 33 DBG
; ZIGERLIG/JUD, a.a.O., N. 8 zu
Art. 33 DBG
). Diese Regelung stellt aber nur eine erste äussere Grenze dar, innerhalb derer zwei weitere und strengere Einschränkungen zum Tragen kommen müssen: zum einen der Ausschluss rechtsmissbräuchlicher Schuldzinsenabzüge unter dem
BGE 138 II 545 S. 551
Gesichtspunkt der Steuerumgehung, zum anderen eben die in Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR festgehaltene Verweigerung des Zinsenabzugs bei Darlehen, welche gegenüber Beteiligten oder Nahestehenden unter erheblicher Abweichung von zwischen unabhängigen Dritten üblichen Geschäftsbedingungen gewährt worden sind.
3.4
Im Rahmen von Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR geht es vorab um "Schuldzinsen für Pseudodarlehen" (vgl. LOCHER, a.a.O., N. 11 zu
Art. 33 DBG
, siehe auch RICHNER/FREI/KAUFMANN/MEUTER, Handkommentar zum DBG, 2. Aufl. 2009, N. 25 zu
Art. 33 DBG
), d.h. um Fälle, in denen sich Pflichtige mit einer beherrschenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft von dieser formell Darlehen einräumen lassen, deren Zweck letztlich darin liegt, bei der Gesellschaft angehäufte Gewinne steuerfrei in das persönliche Vermögen zu überführen und dabei gleichzeitig noch vom Abzug der vereinbarten Schuldzinsen zu profitieren (vgl. ZIGERLIG/JUD, a.a.O., N. 6 zu
Art. 33 DBG
; NOËL, a.a.O., N. 12 zu
Art. 33 DBG
).
Der Ausschluss der Abzugsfähigkeit soll aber keineswegs nur gegenüber direkten Anteilsinhabern bei der Darlehensgeberin gelten, sondern auch für Kredite an nahestehende Personen, d.h. solche, zu denen wirtschaftliche oder persönliche (u.a. verwandtschaftliche) Verbindungen bestehen, welche nach den gesamten Umständen als eigentlicher Grund der zu besteuernden Leistung betrachtet werden müssen. Nahestehend sind auch Personen, denen der Aktionär erlaubt, die Gesellschaft wie eine eigene zu benutzen (vgl. zum Ganzen
BGE 138 II 57
E. 2.2 und 2.3 S. 59 f.; StR 66/2011 S. 62 E. 2.2; 65/2010 S. 66 E. 2.2; 64/2009 S. 588 E. 3.2; ASA 72 S. 736 E. 1; 68 S. 596 E. 2; 65 S. 397 E. 2a; je mit weiteren Hinweisen). Der Wortlaut von Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR bezieht sich auf "sonstwie nahestehende Personen". Diese weite Formulierung stimmt einerseits mit dem Zweck von
Art. 9 Abs. 2 lit. a StHG
und Art. 34 Abs. 1 lit. a DStG/FR insgesamt überein, in bestimmten Fällen ungerechtfertigte Inanspruchnahmen des Schuldzinsenabzugs auch noch dort zu verhindern, wo die Beschränkung von Satz 1 zu kurz greift (vgl. oben E. 3.3 in fine). Andererseits wird deutlich, dass im hier massgeblichen Spezialbereich keine engere Betrachtungsweise als im Rahmen der allgemeinen Praxis gelten soll: Als nahestehende Personen der kreditgewährenden Gesellschaft können hier ebenfalls all diejenigen eingestuft werden, zu denen wirtschaftliche oder persönliche Verbindungen irgendwelcher Art bestehen,
BGE 138 II 545 S. 552
solange diese nur nach den gesamten Umständen als ursächlich für die unübliche Darlehensgestaltung zu betrachten sind.
4.
4.1
Im vorliegend zu beurteilenden Fall stellt sich die Frage einer Verweigerung des Schuldzinsenabzugs namentlich deshalb, weil die zum Abzug geltend gemachten Schuldzinsen auf einem Anlagekonzept beruhten, das im Wesentlichen durch das Zusammenspiel zweier steuervermindernder Mechanismen geprägt war:
4.1.1
Die Beschwerdeführer gehörten zu den in der Schweiz ansässigen Teilhabern einer australischen Limited Partnership, als deren unbeschränkt haftender General Partner eine dortige Bank fungierte. Diese war im Gegensatz zu den Schweizer Investoren einzig befugt, Anlageentscheide für die (gemäss australischem Recht über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügende) Limited Partnership zu treffen. Die getätigten Anlagen erfolgten in verschiedene Aktiven, einschliesslich Beteiligungen und Forderungen, auf dem Rohstoff-, Nahrungsmittel- und Viehmarkt usw., in vorbestimmten sog. Loan Notes (z.B. Index-Linked Notes oder Property-Linked Notes).
Die Limited Partnership legte sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Geldmittel über zwei zu 100 % gehaltene Tochtergesellschaften (die Anlagegesellschaften) an. Deren einzige Tätigkeit bestand darin, für die Limited Partnership vorbestimmte Vermögenswerte zu erwerben und zu halten. Die dabei angefallenen Erträge aus den Loan Notes gelangten zum grössten Teil nicht zur Ausschüttung, sondern wurden in der jeweiligen Anlagegesellschaft thesauriert; beim Verkauf ihrer Anteile an den beiden Kapitalgesellschaften realisierten die Investoren im Umfang der thesaurierten Erträge nach schweizerischem Einkommenssteuerrecht steuerfreie Kapitalgewinne. Auf diese Weise wurden Beträge, die bei üblichem und sachgerechtem Geschäftsgebaren steuerbare Vermögenserträge dargestellt hätten, in den steuerfreien Bereich verschoben.
4.1.2
Zur Erhöhung des verfügbaren Kapitals nahm die Limited Partnership für jeden von den Anlegern aufgebrachten australischen Dollar ein Darlehen von 9 AUD auf, welches ihr durch eine andere Gruppengesellschaft des General Partners (die Finanzierungsgesellschaft) verzinslich gewährt wurde.
Die sich aus der Fremdfinanzierung zu 90 % ergebenden jährlichen Schuldzinsen wurden bei ihrer Fälligkeit nicht durch die Investoren entrichtet, sondern jeweils zur Schuld geschlagen und durch
BGE 138 II 545 S. 553
zusätzliche Darlehen finanziert, welche die Limited Partnership ebenfalls bei der Finanzierungsgesellschaft für ihre Teilhaber aufnahm. Diese Geschäftsverhältnisse waren also auf eine Weise gestaltet, die es den Investoren erlauben sollte, die ihnen von der Limited Partnership belasteten Schulden und Schuldzinsen bei den Schweizer Steuern vollumfänglich zum Abzug zu bringen.
4.2
Aufgrund dieser Faktenlage muss die Anwendung von Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR im vorliegenden Fall dazu führen, den geltend gemachten Schuldzinsenabzug abzulehnen:
4.2.1
Einerseits beruhen die von den Beschwerdeführern deklarierten Schuldzinsen auf Darlehen, deren Ausgestaltung erheblich von den sonst im Geschäftsverkehr unter Dritten üblichen Bedingungen abwich:
Wenn die Schweizer Investoren hier nur beschränkt für die ihnen gewährten Kredite hafteten und der Rückgriff der Darlehensgeberin auf das sonstige Vermögen der Anleger ausgeschlossen war, so übernahm die kreditfinanzierende Tochtergesellschaft ein gänzlich unübliches Risiko, das jeglichen normalen Geschäftsrahmen sprengte. Ein Darlehen mit solchen Bedingungen und insbesondere einer derartigen Haftungsbeschränkung wäre im gängigen Verkehr unter unabhängigen Dritten nicht zugestanden worden.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist der Einsatz von erheblichen Fremdmitteln in der privaten Vermögensverwaltung unüblich. Deshalb stuft die Praxis eine beträchtliche Fremdfinanzierung regelmässig als gewichtiges Indiz gegen eine private Vermögensverwaltung und für das Vorliegen eines gewerbsmässigen Wertschriftenhandels ein (vgl. u.a. StR 66/2011 S. 950 E. 2.2; ASA 69 S. 652 E. 3a u. 788 E. 2c). Vorliegend ist an sich unbestritten, dass die Beschwerdeführer nicht als gewerbsmässige Wertschriftenhändler zu qualifizieren sind und sie die in Australien investierten Anlagemittel in ihrem Privatvermögen hielten. Dennoch wich das hier gewählte Geschäftsmodell entscheidend von einer üblichen Gestaltung privater Vermögensverwaltung ab. Das geschah insofern, als private Investoren in ein von Wertschriftenhändlern entwickeltes Modell gewerbsmässiger Anlage miteinbezogen wurden, und zwar so, dass dieses Modell ganz gezielt die in der Schweiz für den Privatvermögensbereich gesetzlich vorgesehenen Steuervorteile kumulativ und bis zur äussersten Grenze ausnutzen sollte (vgl. oben E. 4.1.1 und 4.1.2). Im genannten Rahmen ging es letztendlich nicht um
BGE 138 II 545 S. 554
börsenbezogene Faktoren (wie z.B. Anlagerentabilität oder -risiko), sondern um deren steuerminimierende Verwertung.
4.2.2
Andererseits muss angenommen werden, dass die hier massgeblichen Darlehen unter Nahestehenden gewährt wurden:
Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR stellt auf das Verhältnis zwischen Darlehensgeber und -nehmer ab, d.h. vorliegend weder (direkt) auf die gesellschaftlichen Verflechtungen innerhalb der Bankengruppe noch auf die Beziehung zwischen dem General Partner und den Schweizer Investoren. Insoweit ist an sich unbestritten, dass zwischen den Beschwerdeführern und der Finanzierungsgesellschaft kein Beherrschungs- oder auch nur Beteiligungsverhältnis vorlag. Das steht unter den gegebenen Umständen einer Anwendung der Vorschrift dennoch nicht entgegen (vgl. dazu schon oben E. 3.4).
Bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls ist vom General Partner auszugehen. Dieser nutzte die von ihm vollumfänglich beherrschten Anlagegesellschaften dazu, entgegen einer anlagesystematisch sachgerechten Vorgehensweise die von ihnen an sich erwirtschafteten Vermögenserträge in den steuerfreien Bereich der Kapitalgewinne zu verschieben. Gleichzeitig bewirkte der General Partner, dass die ihm ebenfalls gehörende Finanzierungsgesellschaft Darlehen gewährte, die so unter unabhängigen Dritten nicht zugestanden worden wären. Im einen wie im anderen Fall handelte es sich um geldwerte Vorteile, die unter Dritten und Marktbedingungen nicht vereinbart worden wären. Im hier zu beurteilenden Anlagesystem liessen die beherrschten Gesellschaften diese Vorteile aber nicht dem General Partner zukommen, dem sie gehörten, sondern den Schweizer Investoren. Dadurch und insoweit erlaubte der General Partner diesen Investoren, über die von ihm beherrschten Gesellschaften zu verfügen, wie wenn sie ihnen selber gehört hätten (vgl. oben E. 3.4). Das genügt unter den gegebenen Umständen, um die Schweizer Anleger als dem General Partner nahestehende Personen zu qualifizieren, der seinerseits der Kreditgeberin unzweifelhaft nahestand.
Dabei ergibt sich die hier anzunehmende Beziehungsnähe nicht nur aus der erheblichen Abweichung der Darlehensgestaltung gegenüber den unter Unabhängigen und Marktverhältnissen geltenden Geschäftsbedingungen (in dem Sinne, dass bei Erfüllung der einen Voraussetzung gleichzeitig auch die andere gegeben wäre). Zum Verhältnis zwischen den beiden Voraussetzungen ergibt sich vielmehr
BGE 138 II 545 S. 555
Folgendes: Unter dem ersten Gesichtspunkt geht es im Wesentlichen um die Gewährung einer gänzlich unüblichen Haftungsbeschränkung in einem nicht primär (nur) auf die Erzielung von Börsengewinnen, sondern auf deren steuerminimierende Ausnutzung ausgerichteten Anlagemodell. Beim zweiten Aspekt steht im Vordergrund, dass das spezifische Anlagemodell auf dem ebenso aussergewöhnlichen Miteinbezug der Investoren in das innerhalb der australischen Bankengruppe herrschende Gesellschaftsgeflecht beruhte. Durch die den Investoren gebotene Möglichkeit, über die vom General Partner beherrschten Gesellschaften im genannten Sinn und Ausmass zu verfügen, wurde eine besondere Beziehungsnähe geschaffen. Diese Beziehungsnähe, ohne welche die erheblichen Abweichungen von den Marktbedingungen nicht zugestanden worden wären, muss somit als wesentliche Ursache der unüblichen Geschäftsbedingungen betrachtet werden.
4.3
Die Vorinstanz hat sich auf die bundesgerichtliche Praxis zur Steuerumgehung gestützt, um den von den Beschwerdeführern beantragten Schuldzinsenabzug zu verweigern. Es erübrigt sich, den vorliegenden Fall unter diesem Gesichtspunkt näher zu prüfen, nachdem schon die Auslegung der spezifischen kantonalrechtlichen Bestimmung zum gleichen Ergebnis führen muss (vgl. dazu auch nicht publ. E. 1.4).
5.
Was die Beschwerdeführer gegen die Aufrechnung der geltend gemachten Schuldzinsen bei ihrem steuerbaren Einkommen einwenden, vermag ein anderes Ergebnis nicht zu rechtfertigen:
Vorab ist festzuhalten, dass sie diesbezüglich nur unter dem Gesichtspunkt der Steuerumgehung argumentieren und den hier im Mittelpunkt stehenden Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR ausser Acht lassen. Es trifft zwar zu, dass sich auch die Vorinstanz nur auf den Aspekt der Steuerumgehung gestützt hat (vgl. oben E. 4.3). Die rechtskundig vertretenen Beschwerdeführer müssen indessen sowohl um ihre Begründungspflicht gemäss
Art. 42 BGG
(vgl. nicht publ. E. 1.3) als auch darum gewusst haben, dass das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen anwendet (vgl. nicht publ. E. 1.4). Wer darzulegen hat, inwiefern das angefochtene Urteil die massgeblich anwendbaren Rechtsvorschriften verletzt, der muss das - innerhalb der gleichen Gesetzesbestimmung - auch in Bezug auf den zweiten Satz desselben Absatzes tun. Es erübrigt sich indessen, dieser Frage weiter nachzugehen, da die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Argumente unter den gegebenen Umständen als auf beide Probleme bezogen betrachtet werden können und ohnehin nicht zu überzeugen vermögen.
BGE 138 II 545 S. 556
Unzutreffend ist namentlich die Behauptung, es sei der Wille des Gesetzgebers gewesen, die von einem Steuerpflichtigen geltend gemachten Schuldzinsen bis zu einem die entsprechenden Vermögenserträge um Fr. 50'000.- übersteigenden Betrag aus Gründen der Rechtssicherheit auf jeden Fall zum Abzug zuzulassen. Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 1 DStG/FR kann keineswegs so verstanden werden, dass in einem solchen vermeintlichen "Freibereich" u.a. nicht mehr geprüft werden dürfte, ob die Inanspruchnahme des Schuldzinsenabzugs eine Steuerumgehung darstellt oder unter Art. 34 Abs. 1 lit. a Satz 2 DStG/FR fällt (vgl. oben E. 3.3 in fine). Die von den Beschwerdeführern in diesem Sinne vorgebrachten Zitate aus dem Gesetzgebungsprozess bzw. aus der Lehre sagen denn auch nichts aus, was mit der genannten Behauptung übereinstimmen würde.
Hier beruhte jeder der beiden steuervermindernden Mechanismen (vgl. oben E. 4.1.1 und 4.1.2) auf dem Zusammenspiel mehrerer Elemente. Dann kann es aber nicht genügen, wie die Beschwerdeführer dies tun, in Bezug auf solche einzelne Elemente und bei isolierter Betrachtung zu argumentieren, es handle sich jeweils um durchaus marktübliche bzw. keineswegs missbräuchliche Vorgänge. Das gilt umso mehr, als das erwähnte Zusammenspiel der Elemente und Mechanismen in durchaus ausgeklügelter Form auf die doppelte Inanspruchnahme bzw. Maximierung von Steuervorteilen ausgerichtet war. Durch einen aussergewöhnlichen Miteinbezug der Investoren in das Gesellschaftsgeflecht der australischen Bankengruppe ermöglichte das Anlagemodell als Ganzes, Darlehensbedingungen zu gewähren, die erheblich von den gängigen Marktbedingungen abwichen.
Für die Widerlegung zahlreicher anderer Argumente der Beschwerdeführer kann auf die verschiedenen Stellungnahmen der kantonalen und der eidgenössischen Steuerverwaltung verwiesen werden, sei es gegenüber dem kantonalen Steuergerichtshof oder im vorliegenden Verfahren. Wenn z.B. die Argumentation der Vorinstanz, es liege kein ordentliches Darlehen vor, von den Beschwerdeführern als neu und deshalb unzulässig eingestuft wird, so ist dem zutreffend entgegengesetzt worden, dass das Kantonsgericht nicht an die Vorbringen der Parteien gebunden ist und auch nicht dem Novenverbot untersteht. Überzeugend sind die genannten Stellungnahmen auch insoweit, als sie aufzeigen, dass der hier massgebliche Sachverhalt nicht ohne weiteres mit der Fremdfinanzierung einer
BGE 138 II 545 S. 557
Kapitalversicherung mittels Einmalprämie gleichgesetzt werden darf, genauso wenig mit der von Banken verlangten Eigenmittelquote oder der steuerlichen Behandlung von Termingeschäften. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d10d183e-b09c-4eb8-97db-69f58144e065 | Urteilskopf
141 III 382
52. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Staat Belgien, Société Fédérale de Participations et d'Investissement (S.F.P.I.) SA und SA Zephyr-Fin gegen Nachlassmasse der SAirLines AG in Nachlassliquidation und Nachlassmasse der SAirGroup AG in Nachlassliquidation (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_491/2013 vom 29. Mai 2015 | Regeste
Lugano-Übereinkommen (LugÜ); Kollokationsklage im Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Art. 321 Abs. 1 i.V.m.
Art. 250 Abs. 1 SchKG
).
Das LugÜ stellt kein Hindernis dar, um in der Schweiz als Staat der Insolvenzeröffnung über die Kollokation zu entscheiden; das gilt auch bei einem bereits im Ausland anhängigen Prozess gegen den Schuldner über eine zu kollozierende Forderung (E. 3-6). | Sachverhalt
ab Seite 383
BGE 141 III 382 S. 383
A.
A.a
Am 5. Oktober 2001 gingen die SAirGroup AG und die SAirLines AG in die (provisorische, dann definitive) Nachlassstundung, und am 20. Juni 2003 bestätigte das Bezirksgericht Zürich (als Nachlassgericht) die Nachlassverträge mit Vermögensabtretung (
Art. 317 ff. SchKG
). Zur Feststellung der am Liquidationsergebnis teilnehmenden Gläubiger erstellten die Liquidatoren die Kollokationspläne (
Art. 321 SchKG
).
A.b
In beiden Nachlassverfahren hatten der Staat Belgien, die Société Fédérale de Participations et d'Investissement (S.F.P.I.) SA (bzw. deren Rechtsvorgänger) sowie die SA Zephyr-Fin, alle drei Sabena-Aktionäre, Forderungen im Umfang von mehreren Milliarden Franken angemeldet. Die Forderungen dieser Gläubiger wurden von den Liquidatoren der SAirGroup AG und der SAirLines AG in Nachlassliquidation im Kollokationsplan (Auflage vom 19. Juli 2006) nicht zugelassen.
A.c
Gegen die abweisende Kollokationsverfügung erhoben die Gläubiger der SAirLines AG Beschwerde. Sie machten geltend, bereits im Juli 2001, vor Gewährung der (provisorischen) Nachlassstundung, in Belgien einen Prozess gegen die SAirLines AG anhängig gemacht zu haben, dessen Gegenstand die angemeldeten Forderungen seien. Sie verlangten, dass die angemeldeten Forderungen im Kollokationsplan
pro memoria
mit Fr. 1.- bis zur rechtskräftigen Erledigung der von ihnen in Belgien anhängig gemachten Klage vorzumerken seien. Die Kompetenz der Liquidatoren zum Entscheid über die Kollokation wurde von den kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen des Kantons Zürich sowie vom Bundesgericht am 23. April 2007 jedoch bestätigt (
BGE 133 III 386
).
BGE 141 III 382 S. 384
A.d
Gegen die abweisenden Kollokationsverfügungen erhoben die Gläubiger am 8. August 2006 bzw. 2. November 2006 jeweils Klage beim Bezirksgericht Zürich (als Kollokationsgericht) gemäss
Art. 250 Abs. 1 SchKG
gegen die Nachlassmassen SAirGroup AG und SAirLines AG. Die Kläger verlangen je Nachlassmasse die Kollokation von Forderungen in der Dritten Klasse von 746,7 Mio. Franken.
A.e
Mit der Kollokationsklage vom 8. August 2006 stellten die Kläger u.a. den Antrag, die Kollokationsklage sei bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils der Cour d'Appel de Bruxelles zu sistieren. Mit Verfügung vom 29. September 2006 sistierte der Einzelrichter den Kollokationsprozess. Das Bundesgericht hob die Sistierung des Kollokationsprozesses am 30. September 2008 auf (
BGE 135 III 127
).
A.f
Die beiden Kollokationsklagen wurden am 11. Mai 2009 vereinigt. Mit Urteil vom 22. Februar 2011 wies der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich die Klagen ab, soweit darauf eingetreten wurde.
B.
Gegen das Urteil gelangten die Kläger mit Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Im Berufungsverfahren legten sie das Urteil der Cour d'Appel de Bruxelles vom 27. Januar 2011 vor (R.G. 2004/AR/1114, 2004/AR/1190; Appellation gegen das Urteil des Tribunal de commerce de Bruxelles vom 20. November 2003). Mit dem Urteil wurden Ansprüche teils gutgeheissen, teils abgewiesen und die Beurteilung weiterer Ansprüche bis zum Abschluss der in Belgien hängigen Strafverfahren ausgesetzt. Die Kläger verlangten im Berufungsverfahren die Teilanerkennung des Urteils der Cour d'Appel de Bruxelles vom 27. Januar 2011 und die Verfahrenssistierung bis zum vollständigen Abschluss der Zivilverfahren in Belgien sowie die nachfolgende Neubeurteilung der Sache und die Kollokation der von den belgischen Gerichten zugesprochenen Forderungen. Mit Urteil vom 28. Mai 2013 wies das Obergericht sowohl den Sistierungsantrag als auch die Klagen ab.
C.
Der Staat Belgien, die Société Fédérale de Participations et d'Investissement (S.F.P.I.) SA sowie die SA Zephyr-Fin haben am 1. Juli 2013 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführer beantragen die Aufhebung des Urteils des Obergerichts vom 28. Mai 2013 und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Eventualiter verlangen sie (wie im kantonalen Verfahren) die Anerkennung des Urteils der Cour d'Appel de Bruxelles vom 27. Januar 2011 und die Verfahrenssistierung. Subeventuell wird die Kollokation der Forderungen verlangt. (...)
BGE 141 III 382 S. 385
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde geben die Kollokationsklagen der Beschwerdeführer, mit welchen sie die Kollokationsverfügungen in den Nachlassverfahren der SAirGroup AG und der SAirLines AG anfechten.
3.1
Das Obergericht hat die Kollokationsklagen der Beschwerdeführer abgewiesen, was zur Folge hat, dass ihre Forderungen am Liquidationsergebnis nicht teilnehmen (Art. 321 i.V.m.
Art. 250 Abs. 1 SchKG
). Die Beschwerdeführer machen geltend, dass die Forderungen, welche im Kollokationsprozess zur Diskussion stehen, Gegenstand eines in Belgien hängigen Prozesses seien, welcher am 3. Juli 2001 - schon vor der Bewilligung der (provisorischen) Nachlassstundung vom 5. Oktober 2001 - eingeleitet worden sei. Die Beschwerdeführer werfen dem Obergericht im Wesentlichen eine Verletzung des Lugano-Übereinkommens (LugÜ; SR 0.275.12) sowie von Bundesrecht vor, weil es die Anerkennbarkeit des in jenem Prozess ergangenen Urteils der Cour d'Appel de Bruxelles vom 27. Januar 2011 sowie dessen Verbindlichkeit im Kollokationsverfahren verneinte und sich weigerte, den Entscheid über die Kollokationsklage auszusetzen.
3.2
Ob das in Belgien am 27. Januar 2011 ergangene Urteil in der Schweiz anerkannt und vollstreckt werden kann, richtet sich nach dem (revidierten) Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Art. 63 Abs. 2 Bst. a LugÜ). Streitpunkt ist im Wesentlichen, ob das belgische Urteil gestützt auf das LugÜ im schweizerischen Kollokationsverfahren anzuerkennen ("verbindlich") ist.
3.3
Das Bundesgericht folgt bei der Auslegung des Lugano-Übereinkommens nach ständiger Praxis grundsätzlich (unter Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Grundsätze) der Rechtsprechung des EuGH zum Europäischen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) sowie zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
BGE 141 III 382 S. 386
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO; ABl. L 12 vom 16. Januar 2001 S. 1 ff.), die das EuGVÜ für die Vertragsstaaten der Europäischen Union ersetzt hat (vgl.
BGE 139 III 232
E. 2.2 S. 234;
BGE 135 III 185
E. 3.2 S. 189).
3.4
Die schweizerischen Konkurs- und Nachlassverfahren fallen als eigentliche Insolvenzverfahren nicht unter das LugÜ. Sie fallen unter die sog. "Gesamtverfahren", welche auf der Zahlungseinstellung bzw. Erschütterung des Kredits des Schuldners beruhen oder in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest eine Kontrolle durch die Gerichte münden (Art. 1 Abs. 2 Bst. b LugÜ; vgl. Urteil des EuGH vom 22. Februar 1979 C-133/78
Gourdain gegen Nadler
, Randnr. 4; GAUDEMET-TALLON, Competénce et exécution des jugements en Europe, 4. Aufl. 2010, Ziff. 44, S. 39). Aber auch Einzelverfahren im Zusammenhang mit einem Gesamtverfahren (sog. "Annexverfahren") sind vom Ausnahmebereich erfasst. Voraussetzung ist, dass die Einzelverfahren Entscheidungen sind, die unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens in dem vorgenannten Sinne halten (Urteil
Gourdain gegen Nadler
, a.a.O., Randnr. 4). Es handelt sich grundsätzlich um Klagen, die ohne Eröffnung des Gesamtverfahrens ihrerseits keine Grundlage hätten bzw. nicht geführt würden (
BGE 133 III 386
E. 4.3.1 S. 389; vgl. MARKUS, Internationales Zivilprozessrecht, 2014, S. 189 ff., Rz. 704 ff., 711).
3.5
Zweck des Kollokationsverfahrens im Konkurs (Art. 244 bis 251 SchKG) ist - wie im Nachlassverfahren (
Art. 321 SchKG
) - die Feststellung der Passivmasse, d.h. der Forderungen, die am Konkurs- bzw. Liquidationsergebnis nach Bestand, Höhe, Rang und allfälligen Vorzugsrechten am Vermögen des Schuldners teilzunehmen haben.
3.5.1
Der Kollokationsprozess dient ausschliesslich der Bereinigung des Kollokationsplanes und hat so wenig wie dieser irgendwelche Rechtskraftwirkung über das Konkursverfahren hinaus. Das Schuldverhältnis als solches - zwischen Schuldner und Gläubiger - wird dadurch nicht rechtskräftig festgelegt. Im Kollokationsprozess kann der Bestand einer Forderung wohl Gegenstand gerichtlicher Prüfung (Vorfrage), nicht aber Gegenstand rechtskräftiger Beurteilung sein. Vielmehr ist Gegenstand des Kollokationsurteils nur die Feststellung, inwieweit die streitigen Gläubigeransprüche bei der Liquidationsmasse zu berücksichtigen sind (
BGE 65 III 28
E. 1 S. 30).
BGE 141 III 382 S. 387
3.5.2
Die Kollokationsklage (
Art. 250 SchKG
) als sog. konkursrechtliche Klage mit Reflexwirkung auf das materielle Recht (
BGE 133 III 386
E. 4.3.3 S. 390 f.) ist ein Rechtsbehelf, der eng mit der Struktur des Konkursrechts und seinen Besonderheiten verbunden ist und einen integrierenden Bestandteil der Konkursliquidation bildet (
BGE 35 II 341
E. 2 S. 358, 359; GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. III, 2001, N. 47 zu
Art. 247 SchKG
). Die Klage ist daher im Lichte der erwähnten Rechtsprechung zu den konkursrechtlichen Verfahren gemäss Art. 1 Abs. 2 Bst. b LugÜ (Ausschluss) zu zählen. Das wird in der Rechtsprechung (
BGE 133 III 386
E. 4.3.2 und 4.3.3 S. 389 ff.;
BGE 140 III 320
E. 7.3 S. 328) sowie in der Lehre bestätigt (anstelle vieler BUCHER, in: Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, N. 13 zu
Art. 1 LugÜ
; ACOCELLA, in: Lugano- Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Schnyder [Hrsg.], 2011, N. 110 zu
Art. 1 LugÜ
; ROHNER/LERCH, in: Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, N. 93 Bst. e zu
Art. 1 LugÜ
mit weiteren Hinweisen; ferner Engl. High Court of Justice vom 16. Januar 2014,
Enasarco gegen Lehman Brothers
, [2014] EWHC 34 (Ch), Ziff. 42, in:
www.bailii.org
).
4.
Beruht eine angemeldete Forderung auf einem bereits
vor
der Konkurseröffnung in Rechtskraft erwachsenen und - nach Staatsvertrag oder IPRG - anerkenn- und vollstreckbaren Gerichtsurteil, ist die Konkursverwaltung an die urteilsmässigen Feststellungen über Bestand und Höhe der Forderung gebunden (vgl. HIERHOLZER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 2. Aufl. 2010, N. 15 zu
Art. 244 SchKG
). Andere Konstellationen von Kollokationsverfahren und ausländischem Prozess bildeten - wie folgt - bereits Gegenstand gerichtlicher Beurteilung.
4.1
In
BGE 140 III 320
wurde die Frage der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung - wie im konkreten Fall - des Urteils der Cour d'Appel de Bruxelles vom 27. Januar 2011 (R.G. 2004/AR/1114, 2004/AR/1190) beurteilt, mit welchem auch über die Klage der
Sabena SA (en faillite)
gegen die Beschwerdegegnerinnen entschieden wurde. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die betreffenden Forderungen (der Sabena) zu einem Zeitpunkt vor dem belgischen Gericht geltend gemacht wurden, als sich die SAirGroup AG und die SAirLines AG
bereits
im Nachlassverfahren und somit in einem Gesamtverfahren befanden. Nach dem Urteil des EuGH vom 2. Juli 2009, C-111/08
SCT Industri gegen Alpenblume
, sei die
BGE 141 III 382 S. 388
"Enge des Zusammenhangs" massgeblich (
BGE 140 III 320
E. 6.4 S. 323), und diese spreche für den Ausschluss vom Lugano-Übereinkommen, da bei Anhängigmachung der Klage absehbar war, dass das Urteil ausschliesslich im schweizerischen Nachlassverfahren würde vollstreckt werden können. Die resultierende Konzentration (vis attractiva) der nach Insolvenzeröffnung eingeleiteten Verfahren am Konkursort komme letztlich der Gläubigergesamtheit zu Gute. Der Zusammenhang sei vorliegend sogar enger als im Ausgangsverfahren von
SCT Industri gegen Alpenblume
, indem sich hier nicht bloss eine insolvenzrechtliche Vorfrage stelle, sondern die insolvenzrechtliche Wirkung des Entscheids das eigentliche Klageziel gewesen sei. Nach dem Urteil des Bundesgerichts stellten die
nach
Insolvenzeröffnung erhobenen Klagebegehren ihrer Funktion nach ein insolvenzrechtliches Verfahren dar (Art. 1 Abs. 2 Bst. b LugÜ), das nicht unter das LugÜ fiel; das Urteil konnte daher nicht nach dessen Bestimmungen anerkannt werden (
BGE 140 III 320
E. 9.4 S. 333).
4.2
In
BGE 135 III 127
(vgl. lit. A.e) ging es um die Sistierung des Kollokationsprozesses gegen die SAirLines AG in Nachlassliquidation im Hinblick auf den in Belgien gegen dieselbe Beklagte
hängigen
Zivilprozess. Das Bundesgericht hob die kantonal gewährte Sistierung auf. Es verneinte, dass der belgische Richter für den schweizerischen Kollokationsrichter verbindlich über den Bestand der Forderung entscheiden könne (
BGE 135 III 127
E. 3.3.2 S. 132 f.), und lehnte die "Anerkennbarkeit eines ausländischen Urteils als Kollokationsurteil" ab (
BGE 135 III 127
E. 3.3.3 S. 133 f.). Es wies darauf hin, dass
Art. 207 Abs. 1 SchKG
sowie
Art. 63 KOV
(SR 281.32) für das Binnenverhältnis anordnen, dass ein bei Konkurseröffnung bereits hängiger Zivilprozess grundsätzlich eingestellt wird, später aber von der Masse oder von einzelnen Gläubigern nach
Art. 260 SchKG
fortgeführt werden kann und der Zivilprozess deshalb (
ex lege
) zum Kollokationsprozess wird (
BGE 135 III 127
E. 3.3.1 S. 132). Dadurch werde grundsätzlich verhindert, dass während des Konkursverfahrens parallel zum Kollokationsstreit ein Zivilprozess über die zu kollozierende Forderung stattfindet und darin ein Urteil ergeht. Im internationalen Verhältnis, wo entsprechende Koordinationsregeln fehlen, nehme das Kollokationsverfahren am schweizerischen Konkursort demgegenüber unbeeinflusst von der Rechtshängigkeit eines ausländischen Forderungsprozesses seinen Lauf (vgl.
BGE 140 III 320
E. 7.1 S. 326).
BGE 141 III 382 S. 389
4.3
Bereits in
BGE 133 III 386
(vgl. lit. A.c) erkannte das Bundesgericht, dass die blosse Vormerkung von im Ausland streitigen Forderungen (
pro memoria
) im Kollokationsplan der SAirLines mangels Rechtsgrundlage ausser Betracht falle. Entscheidend sei die verfahrensrechtliche Natur der Auseinandersetzung, aus welcher sich ergibt, dass das Territorialitätsprinzip gilt und die Schweiz für das Kollokationsverfahren (Art. 244 bis 251 SchKG) im hierzulande durchgeführten Nachlassvertrag international zuständig ist; das LugÜ biete jedenfalls keine staatsvertragliche Grundlage, um die hoheitliche Kompetenz der schweizerischen Konkursverwaltung zu beschneiden (
Art. 245 SchKG
) und ihre Kollokationsverfügung der Anfechtung vor dem schweizerischen Kollokationsrichter zu entziehen (
BGE 133 III 386
E. 4.3.3 S. 390 ff.).
5.
Die Beschwerdeführer betonen, dass das belgische Urteil im Zivilprozess erging, welcher von ihnen
vor
Eröffnung des Gesamtverfahrens in der Schweiz eingeleitet worden ist. Sie leiten aus dem LugÜ im Wesentlichen ab, dass die materiellen und insolvenzrechtlichen Aspekte der Kollokationsklage zu unterscheiden seien, weshalb dem belgischen Urteil im schweizerischen Kollokationsprozess verbindliche Wirkung mit Bezug auf materielle Vorfragen zuerkannt werden müsse. Sie wenden sich im Wesentlichen gegen den Schluss des Bundesgerichts, wonach das in Belgien ergehende Urteil "hinsichtlich der Konkursforderungen in materieller Hinsicht für den schweizerischen Kollokationsrichter nicht verbindlich sei". Nach ihrer Auffassung übernimmt das belgische Verfahren gestützt auf das LugÜ die Kontrolle von Forderungsbestand und Gläubigereigenschaft.
5.1
Mit Bezug auf den LugÜ-Anwendungsbereich halten die Beschwerdeführer fest, dass für den Ausschluss (Art. 1 Abs. 2 Bst. b LugÜ) einer Klage nicht die blosse Tatsache ausreicht, dass eine Konkurs- oder Insolvenzverwaltung am Rechtsstreit beteiligt ist (vgl. Urteil des EuGH vom 4. September 2014 C-157/13
Nickel u. Goeldner Spedition gegen Kintra UAB
, Randnr. 26 ff. betreffend Aktivprozess eines Insolvenzverwalters). Etwas anderes lässt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht entnehmen (vgl.
BGE 125 III 108
E. 3d S. 110 f.). In dem von den Beschwerdeführern zitierten Urteil des EuGH vom 10. September 2009 C-292/08
German Graphics Graphische Maschinen GmbH gegen van der Schee
(Randnr. 33) ging es um eine Klage der deutschen Verkäuferin (German Graphics) auf Sicherung bzw. Herausgabe von Eigentum an
BGE 141 III 382 S. 390
Mobilien, welche in den Niederlanden - bei der in den Konkurs gefallenen Beklagten - lagen. Für den EuGH war klar, dass die konkrete Klage eine
Aussonderungsklage
darstellte, welche ohnehin nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO; ABl. L 160 vom 30. Juni 2000 S. 1 ff.) fiel (vgl. THOLE, Vis attractiva concursus europei? [...], in: Zeitschrift für europäisches Privatrecht [ZEuP] 2010 S. 922; MANKOWSKI, in: Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Rauscher [Hrsg.], 2011, N. 21 zu Art. 1 Brüssel I-VO). Daran änderte die Beteiligung der betreffenden Insolvenzverwaltung am Rechtsstreit nichts. Die Vorbringen der Beschwerdeführer vermögen nicht in Frage zu stellen, dass das Verfahren der
Kollokation
(Verfügung und Klage) vom LugÜ nicht erfasst ist.
5.2
Wohl ist hier die ausländische Forderungsstreitigkeit - der belgische Prozess - nicht aus dem Insolvenzrecht entstanden, wie die Beschwerdeführer betonen. Nach der neuesten Rechtsprechung schliesst allerdings der Umstand, dass ein Verfahren nicht unmittelbar aus dem Nachlassverfahren hervorgeht, nicht aus, dass es dennoch unter den LugÜ-Ausschluss fällt, wenn Ziel und Funktion des ausländischen Verfahrens insolvenzrechtlich sind. Entscheidend ist gemäss
BGE 140 III 320
(E. 9.4 S. 333 f.) die "Enge des Zusammenhangs", d.h. die Frage, ob für die Klägerin "absehbar" bzw. "klar" sein musste, dass die Auseinandersetzung über die Forderung im Kollokationsprozess stattfinden werde. Ob den Beschwerdeführern - aufgrund von Kenntnissen im Juli 2001 über die finanzielle Situation der Beschwerdegegnerinnen - eine "Absehbarkeit" bzw. "Klarheit" für ihre drei Monate
vor
der Bewilligung der Nachlassstundung eingeleitete Klage vorgehalten werden kann, ist hier nicht erheblich. Selbst wenn der belgische Prozess ein LugÜ-Verfahren bleibt, heisst das nicht, dass das entsprechende Zivilverfahren bzw. -urteil den Kollokationsrichter bindet. Dies ergibt sich aus der Rechtshängigkeit und der
vis attractiva concursus
(vgl.
BGE 140 III 320
E. 8.3.2 S. 330, E. 9.4 S. 334). Darauf ist im Folgenden einzugehen.
5.3
Der Ausschluss der Kollokationsklage (
Art. 250 SchKG
) vom Anwendungsbereich des LugÜ bedeutet zunächst, dass das Institut der Rechtshängigkeit keine Rolle spielt, wenn es um einen Rechtsstreit in einem anderen Vertragsstaat geht (vgl. RODRIGUEZ, Belgium vs. Switzerland on Airline Insolvencies - High noon at The Hague called off, in: International Insolvency Law Review [IILR]2011 S. 427; vgl. SIMONS, in: unalex Kommentar, Brüssel
BGE 141 III 382 S. 391
I-Verordnung, 2012, N. 6 zu Art. 27). Am Ausschluss und damit an der generellen Nichtanwendbarkeit des LugÜ - wie betreffend die Kollokationklage (
Art. 250 SchKG
) - ändert nichts, falls sich vorfrageweise eine an sich dem LugÜ unterstehende Rechtsfrage stellt (vgl. Urteil des EuGH vom 25. Juli 1991 C-190/89
Rich gegen Società Italiana Impianti
, Randnr. 26; GAUDEMET-TALLON, a.a.O., Ziff. 50 a.E. S. 47 f.). Entsprechend ist in der Schweiz für die Frage, ob das ausländische Verfahren berücksichtigt werden kann, schweizerisches Recht massgebend (RODRIGUEZ, a.a.O., S. 427, 429). Nach der (in E. 4) dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichts nimmt das Kollokationsverfahren unbeeinflusst von der Rechtshängigkeit eines ausländischen (LugÜ-)Prozesses seinen Lauf.
5.4
Das Bundesgericht gibt in
BGE 140 III 320
(E. 9.4 S. 334) dem schweizerischen Kollokationsverfahren den Vorrang auch mit Blick auf die
vis attractiva concursus
. Damit wird bestätigt, dass die Hängigkeit des ausländischen Prozesses weder die hoheitliche Kompetenz der schweizerischen Konkursverwaltung (
Art. 245 SchKG
) zu beschneiden, noch deren Kollokationsverfügung der Anfechtung vor dem schweizerischen Kollokationsrichter zu entziehen vermag. Für den Kollokationsstreit als betreibungsrechtliche Zwischenstreitigkeit in einem in der Schweiz durchgeführten Zwangsvollstreckungsverfahren sind alle in dessen Verlauf auftauchenden, mit ihm zusammenhängenden Rechtsfragen im Streitfall ausschliesslich von den in der Schweiz örtlich zuständigen Behörden (Aufsichtsbehörden und Gerichte) zu beurteilen; die Anerkennbarkeit eines ausländischen Urteils als Kollokationsurteil wurde verneint (
BGE 135 III 127
E. 3.3.2, 3.3.3 S. 132 f. mit Hinweisen). Wenn das Bundesgericht zum Schluss gelangt ist, das in Belgien ergehende Urteil sei betreffend "Konkursforderungen in materieller Hinsicht für den schweizerischen Kollokationsrichter nicht verbindlich" (
BGE 135 III 127
E. 3.3.4 S. 134), wurde - unabhängig von der Eigenschaft des belgischen Prozesses als LugÜ-Verfahren - entschieden, dass das schweizerische Recht die Entscheidung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 244 bis
Art. 251 SchKG
von den schweizerischen Behörden und Gerichten verlangt. Damit kommt zum Ausdruck, dass der Kollokationsplan und -prozess (
Art. 250 SchKG
) von der
vis attractiva concursus
geprägt ist (
BGE 35 II 341
E. 2 S. 359, 360: "comme étant de droit impératif, ou d'ordre public").
5.5
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer verbietet das LugÜ der Schweiz nicht, die Zuständigkeit für die Kollokationsklage an sich zu ziehen.
BGE 141 III 382 S. 392
5.5.1
Die Konzentrierung sämtlicher sich unmittelbar aus der Insolvenz ergebenden Klagen vor den Gerichten des Staates, welcher für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig ist, entspricht dem Zweck, die Effizienz des Insolvenzverfahrens zu verbessern und dieses zu beschleunigen. Dieses Prinzip (
vis attractiva
) ist in verschiedenen Rechtsordnungen sowie in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt. Im Urteil des EuGH vom 12. Februar 2009 C-339/07
Seagon gegen Deko Marty Belgium NV
(Randnr. 18 ff.) wurde entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht nur die direkte Zuständigkeit, sondern auch eine
vis attractiva concursus
für insolvenzrechtliche Annexverfahren vorsieht (vgl.
BGE 140 III 320
E. 9.4 S. 334). Die Attraktivzuständigkeit in einem Mitgliedstaat gilt sogar ohne Rücksicht auf einen Gerichtsstand - wie Wohnsitz des Beklagten - in einem LugÜ-Staat (Urteil des EuGH vom 16. Januar 2014 C-328/12
Schmid gegen Hertel
, Randnr. 33).
5.5.2
Weiter regelt Art. 15 EuInsVO mit der Verweisung auf das Recht des Staates, in dem die Streitigkeit über einen Gegenstand oder ein Recht der Masse (d.h. allgemein "un droit dont le débiteur est dessaisi") bereits anhängig ist, dass eine Attraktivzuständigkeit der Gerichte im Insolvenzstaat für bereits anhängige Klagen gerade
verhindert
wird (MOSS/FLETCHER/ISAACS, The EC Regulation on Insolvency Proceedings, 2. Aufl. 2009, Rz. 8.238, S. 298). Die EuInsVO schliesst sodann die Anerkennung von ausländischen Annexentscheidungen ausdrücklich mit ein (vgl. Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuInsVO).
5.5.3
Allein diese Regeln zeigen, dass für EU-Staaten mit der EuInsVO das Instrument besteht, von dessen Anwendungsbereich die insolvenzrechtlichen (Annex-)Verfahren aufgefangen werden. Die hier relevanten Fragen - Eröffnung des Insolvenzverfahrens im einen Staat, Wirkung auf ein hängiges Verfahren im anderen Staat sowie Anerkennung der Annexentscheidung - werden von der EuInsVO erfasst. Die EuInsVO ist indes komplementär zur EuGVVO (vgl. GAUDEMET-TALLON, a.a.O., Ziff. 44 S. 38). Im Verhältnis zur Schweiz besteht kein paralleles Instrument, sondern mit dem LugÜ lediglich das Parallelinstrument zur EuGVVO. Das fehlende komplementäre Instrument kann indessen nicht durch das bestehende Instrument - das LugÜ - ersetzt werden (vgl. bereits WALDER, in: Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, 4. Aufl. 1997/2001, Bd. III, S. 369, zum Koordinationsbedarf). Das LugÜ selber stellt daher kein Hindernis dar, um über
BGE 141 III 382 S. 393
die Kollokation - Verfügung und Klage - in der Schweiz als Staat der Insolvenzeröffnung zu entscheiden, auch nicht bei einem bereits anhängigen Prozess gegen den Schuldner über eine zu kollozierende Forderung (vgl. RODRIGUEZ, a.a.O., S. 429, 430).
5.6
Das Bundesgericht hat in
BGE 140 III 320
(E. 9.4 a.E. S. 334) festgehalten, dass die Konzentration "nicht so weit" gehe, dass "jedem hängigen Zivilprozesses mit Eröffnung des Gesamtverfahrens die zuständigkeitsrechtliche Grundlage entzogen" oder "ausländische Entscheidungen generell nicht mehr unter dem LugÜ anerkannt und vollstreckt werden könnten, wenn ein Schuldner der Generalexekution unterliegt". Das
obiter dictum
kann Anlass zur Frage geben, ob ein ausländisches Verfahren berücksichtigt werden könnte, falls das ausländische Gericht
Art. 207 SchKG
anwenden würde.
5.6.1
Erfahrungsgemäss wird sich der ausländische Richter zwar kaum je dem schweizerischen Konkursrecht unterziehen (HIERHOLZER, a.a.O., N. 76 a.E. zu
Art. 247 SchKG
). Das Vorgehen gemäss
Art. 207 SchKG
i.V.m.
Art. 63 KOV
(vgl. LORANDI, Grenzüberschreitende Aspekte in der Insolvenz - ausgewählte Fragen, in: Sanierung und Insolvenz von Unternehmen II, in: Sprecher [Hrsg.], 2012, S. 35) kann anders als in der Schweiz (vgl.
BGE 133 III 377
E. 9 S. 386) auch nicht durchgesetzt werden. Es ist immerhin denkbar, dass ein ausländisches Gericht den gegen den Schuldner laufenden Forderungsprozess bei Ausbruch eines Insolvenzverfahrens
sistiert
und die Koordination von hängigem Verfahren und Kollokation gemäss
Art. 207 SchKG
und dem darauf beruhenden
Art. 63 KOV
(
BGE 88 III 42
E. 1 S. 45) vornimmt (vgl. Urteil der Cour de cassation, Nr. 04-17326, vom 30. Oktober 2006, Ziff. 1, in:
www.legifrance. gouv.fr
, wonach mit Exequatur des schweizerischen Konkursdekrets in Frankreich grundsätzlich die Wirkungen des schweizerischen Konkursrechts eintreten).
5.6.2
Im konkreten Fall wird indessen weder behauptet, noch gibt es Anhaltspunkte, noch lässt sich
BGE 133 III 386
- d.h. dem Entscheid über die Frage, ob die Forderung nur
pro memoria
vorzumerken sei - entnehmen, dass der umstrittene Prozess in Belgien wegen des schweizerischen Nachlassverfahrens sistiert wurde; aus
BGE 135 III 127
(E. 3.3.2 S. 132, 133; ferner Urteil 4F_16/2014 vom 27. Februar 2015 E. 3.3.2) geht weiter hervor, dass der belgische Richter im betreffenden Prozess gerade keine Einstellung des Prozesses mit Rücksicht auf das schweizerische Konkursrecht
BGE 141 III 382 S. 394
vorgenommen hat. Da es insoweit keine Rechtfertigung gab, eine blosse Vormerkung gemäss
Art. 63 KOV
vorzunehmen (vgl. HIERHOLZER, a.a.O., N. 76 a.E. zu
Art. 247 SchKG
), besteht überhaupt kein Grund, die Attraktivzuständigkeit des Kollokationsgerichts in der Schweiz für bereits anhängige Klagen zu beschränken. Einen Anlass, um den Kollokationsverfügungen - welche Gegenstand des Kollokationsprozesses sind (
BGE 35 II 341
E. 2 S. 359, 360) - nachträglich die Grundlage zu entziehen, gibt es nicht.
5.7
Nach dem Dargelegten hat die Vorinstanz - entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführer - das LugÜ nicht verletzt, wenn sie zum Schluss gelangt ist, im Kollokationsprozess sei das belgische Urteil nicht verbindlich; die Rüge einer Verletzung von
Art. 33 LugÜ
(Anerkennung) oder
Art. 37 LugÜ
(Sistierung) ist unbegründet. Die Lücke des fehlenden - aber wünschbaren - komplementären parallelen Instrumentes zur EuInsVO kann nicht durch das LugÜ gefüllt werden.
6.
Schliesslich lässt sich weder aus dem Abkommen zwischen der Schweiz und Belgien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 29. April 1959 (SR 0.276.191.721), sofern es im LugÜ-Bereich überhaupt anwendbar ist (KROPHOLLER/VAN HEIN, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. 2011, Einleitung, N. 70), noch aus
Art. 25 ff. IPRG
eine Einschränkung der schweizerischen Kompetenzen im Kollokationsverfahren ableiten. Da das belgische Urteil nicht berücksichtigt werden muss, gehen die Vorbringen betreffend eine Berücksichtigung von Amtes wegen fehl; das Gleiche gilt für die Vorbringen, dass die Bestimmungen der ZPO betreffend Sistierung und Rückweisung (vgl.
Art. 126,
Art. 318 Abs. 1 ZPO
) verletzt worden seien. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Obergericht kein Urteil erlassen, welchem der zwingende Inhalt fehlt und welches daher die Beurteilung durch das Bundesgericht gar nicht erlaubt (
Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG
;
BGE 135 II 145
E. 8.2 S. 153), oder welches den Begründungsanforderungen nicht genügt und den Gehörsanspruch der Beschwerdeführer verletzen würde (vgl.
Art. 29 Abs. 2 BV
;
BGE 138 I 232
E. 5.1 S. 237). Die Rüge einer unrichtigen Sachverhaltsfeststellung läuft auf eine - unbegründete - Kritik an der Rechtsauffassung der Vorinstanz hinaus. Dass die Abweisung der Kollokationsklage (unabhängig vom belgischen Urteil) rechtswidrig sei, wird schliesslich nicht begründet. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d10d184b-7c10-4c31-ab89-cd9d9606c92c | Urteilskopf
136 III 571
84. Estratto della sentenza della II Corte di diritto civile nella causa A. contro B., Stato del Cantone Ticino e Ufficio di esecuzione e fallimenti di Locarno (ricorso in materia civile)
5A_830/2009 del 2 settembre 2010 | Regeste
Art. 22 Abs. 1 und
Art. 66 Abs. 4 Ziff. 1 SchKG
; Nichtigkeit einer Betreibung.
Ein Betreibungsverfahren, das nach vorangegangener ungerechtfertigter öffentlicher Bekanntmachung und ohne Wissen des Schuldners zur Verwertung seines Grundstücks geführt hat, ist nichtig (E. 4-6). | Sachverhalt
ab Seite 571
BGE 136 III 571 S. 571
A.
Lo Stato del Cantone Ticino ha chiesto all'Ufficio di esecuzione e fallimenti di Locarno, indicando nella domanda di esecuzione che il debitore era di ignota dimora, di spiccare un precetto esecutivo in via di realizzazione del pegno nei confronti di B. per l'incasso di
BGE 136 III 571 S. 572
fr. 729.10, oltre interessi e spese, per le imposte cantonali 1991/92. Il precetto esecutivo è stato pubblicato sul Foglio ufficiale del Cantone Ticino e sul Foglio ufficiale svizzero di commercio. Anche i successivi atti esecutivi sono stati notificati in via edittale e al pubblico incanto del 5 marzo 2009 un fondo di proprietà dell'escusso è stato aggiudicato ad A. per fr. 3'500.-. Il 4 e il 18 maggio 2009 B. ha presentato allo Stato del Cantone Ticino una richiesta di risarcimento per aver causato la vendita del fondo, senza avergli fatto notificare gli atti esecutivi all'indirizzo del suo domicilio di Berna, facilmente reperibile e noto perché utilizzato in pratiche fiscali più recenti.
B.
Con decisione 23 novembre 2009 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino, quale autorità di vigilanza sugli uffici di esecuzione, ha accolto un'istanza dello Stato del Cantone Ticino tendente alla constatazione della nullità dell'esecuzione e ha segnatamente pronunciato la nullità dell'aggiudicazione del fondo. L'autorità di vigilanza ha considerato che in concreto l'irregolarità della notifica edittale era a giusta ragione pacifica e ha accertato che l'escusso non è venuto a conoscenza della procedura esecutiva prima dell'asta.
C.
Con ricorso in materia civile del 10 dicembre 2009 A. ha postulato l'annullamento della decisione dell'autorità di vigilanza.
Il Tribunale federale ha respinto il ricorso.
(riassunto)
Erwägungen
Dai considerandi:
4.
Giusta l'
art. 22 cpv. 1 LEF
l'autorità di vigilanza constata d'ufficio la nullità anche quando la decisione non sia stata impugnata. La nullità dev'essere constatata in ogni tempo (
DTF 129 I 361
consid. 2). Ne segue che se, come ritenuto dall'autorità inferiore, l'esecuzione risulta nulla, è - in linea di principio - del tutto irrilevante che essa sia stata segnalata alcuni mesi dopo l'aggiudicazione e le argomentazioni ricorsuali attinenti alla tardività dell'agire del creditore o alla passività del debitore risulterebbero senza pertinenza. Occorre quindi esaminare se l'esecuzione si appalesa nulla - e non esplica quindi alcun effetto (
DTF 129 I 361
consid. 2.3) - o se essa non è inficiata di tale vizio e l'aggiudicazione avrebbe unicamente potuto essere annullata se contestata con un ricorso ai sensi dell'
art. 132a LEF
, come preteso dal ricorrente.
BGE 136 III 571 S. 573
5.
Giusta l'
art. 66 cpv. 4 n. 1 LEF
la notificazione di un precetto esecutivo si fa mediante pubblicazione quando il domicilio del debitore è sconosciuto. La notificazione edittale del precetto esecutivo costituisce la soluzione estrema; non vi si può far capo prima che il creditore e l'ufficio delle esecuzioni abbiano effettuato tutte le ricerche adeguate alla situazione di fatto per reperire un indirizzo ove possa essere eseguita la notificazione al debitore (
DTF 112 III 6
).
5.1
L'autorità di vigilanza ha considerato che l'Ufficio di esecuzione non ha contestato che la notifica del precetto esecutivo mediante pubblicazione fosse stata irregolare e non ha preteso di aver compiuto indagini sul domicilio del debitore o di aver chiesto al creditore procedente di effettuarne. Essa ha ritenuto che trovare l'indirizzo dell'escusso sarebbe stato facile, atteso che egli compare nell'elenco telefonico e che il creditore gli ha notificato, ad un precedente indirizzo nella medesima città in cui risiede ora, ulteriori tassazioni.
5.2
Contro tali accertamenti il ricorrente non formula alcuna censura conforme alle predette esigenze di motivazione (consid. 2, non pubblicato). Ne segue che l'autorità di vigilanza ha a giusta ragione ritenuto che in concreto l'
art. 66 cpv. 4 n. 1 LEF
non permetteva una notifica edittale. Giova tuttavia precisare che nella fattispecie la notifica in quanto tale non è avvenuta in modo irregolare, come ad esempio accade quando il precetto esecutivo viene lasciato nella buca delle lettere dell'escusso (
DTF 117 III 7
), atteso che non risulta né viene preteso che la pubblicazione, se fossero state realizzate le condizioni per ordinarla, sia stata inficiata da vizi.
6.
6.1
Un precetto esecutivo che viene notificato in via edittale senza che siano dati presupposti per procedere in tal modo non può essere considerato nullo, ma dev'essere impugnato entro il termine previsto dall'
art. 17 cpv. 2 LEF
, che inizia a decorrere dalla conoscenza della notifica edittale. Se, come accade di regola, la procedura continua prima che tale termine sia scaduto o abbia addirittura iniziato a decorrere, il debitore può attaccare anche gli atti successivi facendo valere che la notifica edittale del precetto esecutivo era avvenuta a torto ed impedire così che tali atti crescano in giudicato (
DTF 75 III 81
consid. 2;
98 III 57
consid. 2). A giusta ragione, quindi, il ricorrente sostiene che una notifica edittale del precetto esecutivo avvenuta in dispregio dell'
art. 66 cpv. 4 n. 1 LEF
è unicamente annullabile. La fattispecie in esame non si caratterizza tuttavia in primo luogo per la discussa notifica del precetto esecutivo, ma
BGE 136 III 571 S. 574
si contraddistingue per la circostanza che tutta la procedura si è svolta ad insaputa del debitore, nonostante il fatto che il suo recapito fosse facilmente reperibile.
6.2
Secondo la giurisprudenza decisioni viziate sono nulle, se il vizio che le inficia è particolarmente grave, se è manifesto o almeno facilmente riconoscibile e se la sicurezza del diritto non viene seriamente messa in pericolo (
DTF 129 I 361
consid. 2.1 con rinvii). Il Tribunale federale ha già avuto modo di specificare che una sentenza contumaciale emanata in seguito ad un'inammissibile convocazione edittale e senza che il convenuto fosse a conoscenza del processo e abbia potuto parteciparvi è toccata da un vizio procedurale talmente grave da risultare nulla (
DTF 129 I 361
consid. 2.2; v. anche
DTF 102 III 133
consid. 3).
6.3
Come già osservato, in concreto tutta la procedura di esecuzione si è svolta - con riferimento alle comunicazioni da trasmettere all'escusso - in via edittale, senza che fossero dati i presupposti per procedere in tal modo ed impedendo così al debitore di tutelare i suoi diritti. Quest'ultimo è inoltre venuto a conoscenza della procedura esecutiva unicamente ad incanto avvenuto (consid. 3 cpv. 2, non pubblicato). Nella fattispecie in esame l'escusso è quindi stato - senza motivo - escluso dalla procedura che ha portato all'alienazione del suo fondo in modo analogo a quanto accaduto nel processo contumaciale di cui alla
DTF 129 I 361
. In queste circostanze, la procedura esecutiva risulta essere inficiata da un vizio talmente grave da dover essere considerata nulla.
6.4
Il ricorrente ritiene che la sicurezza del diritto, la sua buona fede e le spese già sopportate per il fondo in discussione siano di ostacolo alla reiezione del rimedio. Giova innanzi tutto rilevare che l'argomentazione è, per quanto concerne i pretesi investimenti sostenuti per il ripristino del fondo, inammissibilmente (consid. 2 e 3 cpv. 2, non pubblicati) fondata su circostanze non accertate dall'autorità di vigilanza e nemmeno fatte valere nella sede cantonale. Per il resto si può osservare che la contestazione dell'aggiudicazione è stata segnalata al ricorrente prima che fosse trascorso un anno dall'incanto (
DTF 98 III 57
consid. 1 pag. 60), periodo durante il quale l'aggiudicatario - indipendentemente dalla sua buona fede - deve aspettarsi una possibile impugnazione (
art. 132a cpv. 3 LEF
) e la conseguente revoca dell'aggiudicazione. | null | nan | it | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d10d7ef9-5670-471c-8e36-ac100a16f463 | Urteilskopf
117 V 257
33. Urteil vom 31. Oktober 1991 i.S. Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes gegen P. P. u. P. und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 23 Abs. 3, 25 Abs. 2 AHVG,
Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 ZStV
.
- Für den Beginn der Hinterlassenenrenten ist nicht der im Todesregister verurkundete Zeitpunkt des Leichenfundes massgebend, sondern es ist nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beurteilen, wann der Tod des Versicherten eingetreten ist.
- Fall eines Versicherten, der zweieinhalb Jahre nach seinem Verschwinden tot aufgefunden wurde. | Sachverhalt
ab Seite 257
BGE 117 V 257 S. 257
A.-
Der verheiratete U. P., Vater zweier Kinder, war seit dem 13. Mai 1987 vermisst. Am 26. November 1989 wurde seine Leiche aufgefunden. Im Januar 1990 meldeten sich seine Witwe E. P. und seine beiden Kinder zum Bezug von Hinterlassenenrenten an. Mit Verfügung vom 18. April 1990 sprach die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes E. P. und den beiden Kindern ordentliche volle Witwen- und Waisenrenten mit Wirkung ab 1. Dezember 1989 zu.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft mit Entscheid vom
BGE 117 V 257 S. 258
12. September 1990 gut und verpflichtete die Ausgleichskasse, die Hinterlassenenrenten mit Wirkung ab 1. Juni 1987 zu erbringen und auf den zwischen 1. Juni 1987 und 30. November 1989 aufgelaufenen Rentenbeträgen ab 17. Mai 1990 einen Verzugszins auszubezahlen.
C.-
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides.
E. P. und ihre Kinder lassen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist zunächst, in welchem Zeitpunkt der Anspruch der Beschwerdegegner auf die Hinterlassenenrenten entstanden ist.
a) Nach
Art. 23 Abs. 3 AHVG
entsteht der Anspruch auf eine Witwenrente am ersten Tag des dem Tode des Ehemannes folgenden Monats. Der Anspruch auf eine einfache Waisenrente entsteht am ersten Tag des dem Tode des Vaters folgenden Monats (
Art. 25 Abs. 2 AHVG
).
Gemäss Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 der Zivilstandsverordnung (ZStV) soll das Todesregister über den Tod und über den Fund der Leiche einer bekannten Person enthalten: Tag, Monat (in Buchstaben), Jahr, Stunde und Minute des Todes oder des Leichenfundes.
Die Verwaltungspraxis gemäss der Wegleitung über die Renten (RWL; gültig ab 1. Januar 1986), auf welche sich die Ausgleichskasse beruft, lautet:
"2. Tod und Verschollenheit
a) Zeitpunkt des Todes
132
Massgebend ist der im Todesregister eingetragene Zeitpunkt des Todes
(siehe Rz. 1026 ff.). Dies gilt auch dann, wenn die Leiche nicht
aufgefunden wurde, der Tod aber gemäss
Art. 49 ZGB
ins Todesregister
eingetragen wurde.
133 1/88
Ist der Zeitpunkt des Todes im Todesregister nicht eingetragen, so gilt
der Zeitpunkt des Leichenfundes als massgebendes Todesdatum. Vorbehalten
bleibt eine nachträgliche Ergänzung der Eintragung im Todesregister, wenn
der Zeitpunkt des Todes noch festgestellt wird. Ist das Todesdatum zwar
festgestellt, aber nicht im Todesregister eingetragen worden, so sind die
Akten dem BSV zum Entscheid über das massgebende Todesdatum zu
unterbreiten.
BGE 117 V 257 S. 259
b) Verschollenheit
134
Die richterliche Verschollenerklärung gemäss
Art. 35-38 ZGB
ist dem Tod
gleichgestellt. Als Zeitpunkt des Todes gilt in diesen Fällen der im
Todesregister eingetragene Zeitpunkt, auf den die richterliche
Verschollenerklärung zurückbezogen wird."
b) Die beschwerdeführende Ausgleichskasse rügt, dass sie sich, entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen, nicht auf Rz. 132 RWL gestützt habe, sondern auf Rz. 133, wonach der Zeitpunkt des Leichenfundes als massgebendes Todesdatum gelte, wenn der Zeitpunkt des Todes im Todesregister nicht eingetragen sei. So verhalte es sich hier. Dem kantonalen Gericht stehe es nicht zu, eigene Kriterien zum Beweis des Todeszeitpunktes zu entwickeln, welche den hiezu erlassenen behördlichen Weisungen diametral entgegenstünden. Im vorliegenden Falle sei nicht der Todeszeitpunkt, sondern der Zeitpunkt des Leichenfundes im Todesregister eingetragen, "so dass das Datum des letzteren für die AHV-Leistungen massgeblich" sei; im übrigen sei der Todeszeitpunkt laut gerichtsmedizinischem Institut nicht feststellbar.
Das BSV unterstützt die beschwerdeführende Ausgleichskasse mit dem Argument, nach konstanter Rechtsprechung (Berufung auf
BGE 102 V 37
) stelle das Zivilrecht eine Ordnung dar, welche von der Sozialversicherung vorausgesetzt werde und dieser grundsätzlich vorgehe. Sei anstelle des Zeitpunkts des Todes derjenige des Leichenfundes im Todesregister eingetragen, so habe dieser als massgebliches Todesdatum zu gelten, selbst wenn gewisse Anhaltspunkte vermuten liessen, der Tod sei bereits vor dem eingetragenen Zeitpunkt eingetreten. Die Berichtigung des Todesregistereintrags müsse im Interesse der Rechtssicherheit durch den Richter angeordnet werden. In diesem Sinne habe das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 110 V 250
auch die Wirkung einer Verschollenerklärung bis zu deren richterlicher Aufhebung weiterwirken lassen, obwohl der Verschollene erwiesenermassen noch gelebt habe. Mit der Berichtigungsklage nach
Art. 45 ZGB
habe denn auch das Zivilrecht einen entsprechenden Rechtsbehelf vorgesehen.
c) Der Argumentation von Ausgleichskasse und BSV kann nicht beigepflichtet werden. Zwar stellt das Zivilrecht nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts eine Ordnung dar, welche von der Sozialversicherung vorausgesetzt wird und dieser daher grundsätzlich vorgeht (
BGE 112 V 102
oben mit
BGE 117 V 257 S. 260
Hinweis). Dieser Grundsatz führt aber nicht zu den Schlussfolgerungen, welche Ausgleichskasse und BSV aus dem Umstand ziehen, dass im vorliegenden Fall im Todesregister der Zeitpunkt des Leichenfundes eingetragen worden ist. Wenn gemäss
Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 ZStV
anstelle des Todeszeitpunktes der Zeitpunkt des Leichenfundes in das Todesregister einzutragen ist, so heisst dies nicht, der Zeitpunkt des Leichenfundes sei identisch mit dem Zeitpunkt des Todes. Eine solche Gleichsetzung verbietet sich insbesondere auch aus zivilstandsrechtlicher Sicht: Falls wegen Unkenntnis des Todeszeitpunktes der Zeitpunkt des Leichenfundes im Todesregister eingetragen wird, so besagt dieser Eintrag einzig, dass der Tod nicht später als im Zeitpunkt des Auffindens der Leiche eingetreten ist. Einzig diese Tatsache ist im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZGB
durch öffentliche Urkunde ausgewiesen. Dagegen sagt der Eintrag des Zeitpunktes des Leichenfundes nach
Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 ZStV
auch zivilstandsrechtlich nichts darüber aus, wann der Tod in der Zeit vor dem Auffinden der Leiche eingetreten ist. Die Eintragung des Zeitpunktes des Leichenfundes im Todesregister vermag folglich den zivilrechtlichen Todeszeitpunkt und damit den für die sozialversicherungsrechtliche Leistungsberechtigung massgeblichen Zeitpunkt des Todeseintritts (Erw. 1a) im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZGB
nicht schlüssig zu beweisen. Allein schon unter diesem Gesichtswinkel geht die Gleichsetzung vom Zeitpunkt des Leichenfundes und Zeitpunkt des Todes als materielle Anspruchsvoraussetzung gemäss Rz. 133 1/88 am Anfang RWL fehl. Die Berufung des BSV auf die Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Verschollenerklärung (
BGE 110 V 248
) ist sodann nicht stichhaltig, weil in diesem Bereich zivilrechtlich das Verschollensein dem Tod gleichgesetzt wird, das heisst, der Verschollene gilt zivilrechtlich als tot (
Art. 38 Abs. 1 und 2 ZGB
), woran das Sozialversicherungsrecht anknüpft (BGE
BGE 110 V 249
Erw. 1 mit Hinweisen). Eine solche zivilrechtliche Gleichsetzung, welche allenfalls auch sozialversicherungsrechtlich beachtlich wäre, besteht indessen, wie dargetan, zwischen dem (nicht verurkundeten) Todeszeitpunkt und dem (eingetragenen) Zeitpunkt des Leichenfundes gerade nicht. Bei dieser zivilrechtlichen Rechtslage besteht denn auch kein Anlass, Hinterlassene, welche einen früheren Todeszeitpunkt des Versicherten behaupten als den im Todesregister eingetragenen Zeitpunkt des Leichenfundes, auf den Weg der Abänderungsklage nach
Art. 45 Abs. 1 ZGB
zu verweisen.
BGE 117 V 257 S. 261
2.
Nach dem Gesagten ist im Bereich des Sozialversicherungsrechts für den Rentenbeginn (Art. 23 Abs. 3 und 25 Abs. 2 AHVG) eine Bindung an das im Todesregister verurkundete Datum des Leichenfundes zu verneinen. Vielmehr ist nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (
BGE 115 V 142
Erw. 8b mit zahlreichen Hinweisen) zu beurteilen, wann der Tod eines Versicherten eingetreten ist.
Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdegegner am 13. Mai 1987 das letzte Mal lebend gesehen worden ist. Für die Zeit danach sind keine Lebenszeichen mehr bekannt. Der Zustand des am 26. November 1989 gefundenen Leichnams wird als "Fundskelett" beschrieben (Schreiben des Gerichtlich-Medizinischen Instituts der Universität Zürich vom 27. März 1990). Ferner wurden die Überreste der Kleider gefunden, welche der Verstorbene am Tag seines Verschwindens am 13. Mai 1987 getragen hatte. Aufgrund dieser Umstände ist der Schluss zu ziehen, dass der Tod des Ehemannes bzw. Vaters der Beschwerdegegner mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Mai 1987 eingetreten ist. Dies führt zur Zusprechung von Hinterlassenenrenten ab dem ersten Tag des auf den Eintritt des Todes folgenden Monats (Art. 23 Abs. 3 und 25 Abs. 2 AHVG), d.h. ab 1. Juni 1987.
3.
(Verzugszinsen)
4.
(Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d116c011-a858-42e9-8c68-86b9af8ccc1c | Urteilskopf
140 V 328
44. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Stadt X. gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_113/2014 vom 25. Juni 2014 | Regeste
Art. 111 Abs. 1 und
Art. 89 Abs. 1 BGG
.
Grundsätzliche Ausführungen zur Beschwerdelegitimation einer Gemeinde im kantonalen Verfahren im Rahmen der Sozialhilfe (E. 3-6). | Sachverhalt
ab Seite 329
BGE 140 V 328 S. 329
A.
A. wurde von der Sozialbehörde X. zwischen August und Dezember 2011 wirtschaftlich unterstützt. Am 12. Februar 2013 verlangte die Sozialbehörde X. unter anderem die Rückerstattung von Fr. 11'902.15. Den dagegen erhobenen Rekurs hiess der Bezirksrat X. mit Entscheid vom 13. Juni 2013 gut und hob die Verfügung vom 12. Februar 2013 bezüglich der Rückerstattungspflicht auf.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat auf die dagegen erhobene Beschwerde der Stadt X. am 5. Dezember 2013 nicht ein.
C.
Die Stadt X. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Beschluss vom 5. Dezember 2013 sei aufzuheben und die Angelegenheit an die Vorinstanz zum Entscheid in der Sache zurückzuweisen.
A. lässt auf Nichteintreten auf die Beschwerde schliessen; eventualiter sei die Beschwerde abzuweisen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob das Verwaltungsgericht zu Recht auf die Beschwerde der Stadt X. nicht eingetreten ist.
3.
Die Vorinstanz hat zur Beschwerdelegitimation der Stadt X. im Rahmen des kantonalen Verfahrens ausgeführt, wer zur Beschwerde ans Bundesgericht berechtigt sei, müsse sich am Verfahren vor allen kantonalen Instanzen als Partei beteiligen können (
Art. 111 Abs. 1 BGG
). Es hat daher die Frage nach der Beschwerdelegitimation nach
Art. 89 BGG
geprüft und diese - mit Mehrheitsentscheid - verneint. Damit wird auch die Frage des Eintretens vor Vorinstanz zu einer solchen des Bundesrechts (vgl. zur bundesrechtlichen Verpflichtung der Kantone bezüglich der Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de la LTF, Corboz und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 3 zu Art. 110 und N. 3 f. zu
Art. 111 BGG
; BERNHARD EHRENZELLER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 3 ff. zu Art. 110 und N. 4 zu
Art. 111 BGG
; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2008, N. 3045 f. zu
Art. 89 BGG
), welche vom Bundesgericht frei zu überprüfen ist.
4.
4.1
Nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten befugt, wer vor der Vorinstanz am
BGE 140 V 328 S. 330
Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Diese Regelung ist in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten, doch kann sich auch das Gemeinwesen darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater oder aber in spezifischer Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen wird und nicht bloss das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung geltend macht (
BGE 138 I 143
E. 1.3.1 S. 149;
BGE 137 IV 269
E. 1.4 S. 273;
BGE 136 I 265
E. 1.4 S. 268). Gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
dürfen Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zugelassen werden (
BGE 136 II 274
E. 4.2 S. 279).
Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften sind nach
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt. Für das Eintreten ist allein entscheidend, dass die Beschwerde führenden Gemeinden durch einen Akt in ihrer Eigenschaft als Träger hoheitlicher Gewalt berührt sind und eine Verletzung der Autonomie geltend machen. Ob die beanspruchte Autonomie tatsächlich besteht, ist hingegen keine Frage des Eintretens, sondern eine materielle Beurteilung. Dasselbe gilt für die Frage, ob die Autonomie im konkreten Fall tatsächlich verletzt worden ist (
BGE 135 I 43
E. 1.2 S. 45).
4.2
Nach Ansicht der Mehrheit der Vorinstanz können Fragen der richtigen Rechtsanwendung oder Auslegung des kantonalen Rechts allein weder legitimations- noch autonomiebegründend sein. Es genüge nicht, dass ein Gemeinwesen in einem Bereich, in dem es für die Rechtsanwendung zuständig sei, eine bestimmte Rechtsauffassung vertrete, die im Widerspruch zu einer übergeordneten Instanz stehe. In casu liege auch kein wesentlicher Eingriff ins Finanz- oder Verwaltungsvermögen vor. Die Gemeinde sei auch nicht wie eine Privatperson betroffen, habe sie doch hoheitlich gehandelt.
4.3
Demgegenüber ist die Beschwerdelegitimation der Gemeinde nach Ansicht der Minderheit der Vorinstanz zu bejahen. Dies ergebe sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts, in welcher die Legitimation mit Blick auf den Streitwert oder die
BGE 140 V 328 S. 331
mögliche Präjudizwirkung des Entscheids stets bejaht worden sei. Gehe es um Sozialhilfegelder, sei regelmässig die kommunale Leistungsverwaltung tangiert, was mit erheblichen Kosten verbunden sei, sei es auf Grund der möglichen langen Zahlungsverpflichtung im Einzelfall oder wegen der Auswirkungen des Entscheids auf andere Fälle bzw. auf die gesamte Staatsaufgabe.
4.4
Die Stadt X. stützt ihre Legitimation sowohl auf die allgemeine Legitimationsklausel als auch auf die Gemeindeautonomie. Mit Blick auf
Art. 89 Abs. 1 BGG
führt sie aus, im Sozialhilfebereich stehe den Gemeinden regelmässig ein erheblicher Beurteilungsspielraum offen. Er belaste auch das Gemeindebudget wesentlich und habe daher beachtliche Folgen für die kommunale Handlungsfreiheit. Das Bundesgericht sei denn auch bis anhin stets auf Beschwerden von Gemeinden in diesem Bereich eingetreten, weil diese Interessen vertreten würden, welche über die richtige Rechtsanwendung hinausgehen.
4.5
Nach Auffassung des Beschwerdegegners darf auf die Beschwerde nicht eingetreten werden, weil es nicht um die Leistung von Sozialhilfe, sondern um die Rückerstattung bereits erbrachter Hilfe gehe. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die Stadt X. in der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben tangiert sei. Der umstrittene Betrag sei angesichts des Gesamtbudgets relativ geringfügig.
5.
5.1
Die allgemeine Legitimationsklausel nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
setzt eine besondere Betroffenheit voraus. Sie verlangt eine beachtenswerte, nahe Beziehung der Beschwerdeführenden zur Streitsache. Ob und inwieweit diese Vorschrift auf Gemeinden anwendbar sein soll, kann nicht generell beantwortet werden. Die Diskussion darüber steht im Spannungsfeld des Individualrechtsschutzes einerseits und der Verwirklichung des objektiven Rechts im Sinne einer richtigen Rechtsanwendung andererseits.
5.2
Die Regelung der Beschwerdebefugnis im BGG geht auf die Art. 88 und 103 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 531) zurück (Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202, 4328 f. Ziff. 4.1.3.3 zu Art. 83 E-BGG; vgl. auch FLORENCE AUBRY GIRARDIN, in: Commentaire de la LTF, Corboz und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 1 f. zu
Art. 89 BGG
; HEINZ AEMISEGGER, in: Bundesgerichtsgesetz, Praxiskommentar,
BGE 140 V 328 S. 332
Spühler und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 9 zu
Art. 89 BGG
; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 5 zu
Art. 89 BGG
). Im Entwurf des Bundesrates war gegenüber dem bisherigen Recht ein Beschwerderecht der Kantonsregierungen gegen Entscheide einer letzten kantonalen Gerichtsinstanz, die für den Kanton bedeutende Mehrausgaben oder einen erheblichen Verlust von Einnahmen zur Folge haben, vorgesehen (BBl 2001 4480, 4502 zu Art. 84 lit. d E-BGG). Der Ständerat hat diese spezielle Legitimation gestrichen und der Nationalrat ist ihm gefolgt (AB 2003 S 909; 2004 N 1607). Zur Beschwerdebefugnis von Gemeinden nach der allgemeinen Legitimationsklausel äussert sich der Bundesrat in seiner Botschaft nicht explizit (vgl. BBl 2001 4328 ff.). Immerhin wird festgehalten, das besondere Beschwerderecht wegen Verletzung der Gemeindeautonomie schliesse nicht aus, dass sich Gemeinden in bestimmten Fällen auf das allgemeine Beschwerderecht stützen könnten (BBl 2001 4330 zu Art. 84 lit. c E-BGG). Damit verweisen die Materialien in Bezug auf die hier interessierende Frage auf die unter dem OG geltende Rechtsprechung.
5.3
Schon gestützt auf das OG hat das Bundesgericht die Beschwerdebefugnis von Gemeinden unter der Voraussetzung, dass diese gleich oder ähnlich wie eine Privatperson in ihren materiellen oder vermögensrechtlichen Interessen berührt sind, seit jeher bejaht (statt vieler
BGE 107 Ib 170
). Ebenfalls bejaht wurde die Legitimation des Gemeinwesens dann, wenn es durch den angefochtenen Akt in seinen hoheitlichen Befugnissen berührt ist und ein eigenes schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (
BGE 122 II 382
mit Verweis auf
BGE 110 Ib 148
). Seither ist die Beschwerdelegitimation für Gemeinden gestützt auf die allgemeine Klausel auf verschiedene Rechtsgebiete ausgedehnt worden (vgl. dazu WALDMANN, a.a.O., N. 43 ff. zu
Art. 89 BGG
). Stets wurde aber betont, dass diese Beschwerdebefugnis nur ausnahmsweise angenommen werden dürfe und das Interesse an der richtigen Rechtsanwendung allein dafür nicht ausreiche. Zu fordern sei ein qualifiziertes Interesse. In einem neueren Urteil, in welchem die Frage ausführlich thematisiert wurde und in dem es um die Beschwerde einer Gemeinde gegen eine Verfügung einer übergeordneten Instanz ging, wurde die Beschwerdebefugnis verneint (
BGE 140 I 90
).
5.4
In den Kommentaren zum BGG wird auf die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichts hingewiesen. Es wird
BGE 140 V 328 S. 333
festgestellt, dass die Legitimation je nach Rechtsgebiet gelegentlich bejaht oder verneint wird (vgl. AUBRY GIRARDIN, a.a.O., N. 39 ff. zu
Art. 89 BGG
; WALDMANN, a.a.O., N. 37 ff. zu
Art. 89 BGG
; HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 34 ff. zu
Art. 89 BGG
). Eine grundsätzliche Kritik an der geltenden Rechtsprechung kommt darin nicht zum Ausdruck.
In einer neueren, grundlegenden Publikation zum Beschwerderecht von Gemeinden (MICHAEL PFLÜGER, Die Legitimation des Gemeinwesens zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, 2013) wird die Rechtsentwicklung aufgezeichnet und es werden Vorschläge für eine Neuordnung gemacht. Der Autor spricht sich eher für eine Erweiterung der Beschwerdebefugnis von Gemeinden aus.
6.
6.1
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Änderung der Rechtsprechung. Eine solche wird von den Parteien auch nicht beantragt. Daher ist die Beschwerdelegitimation einer Gemeinde nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
zu bejahen, wenn sie gleich oder ähnlich wie eine Privatperson betroffen ist; darüber hinaus ist sie ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein qualifiziertes schutzwürdiges Interesse nachgewiesen wird. Letzteres ist in casu mit Blick auf den Zuständigkeitsbereich der Sozialhilfe zu prüfen.
6.2
Das Bundesgericht hat bislang die Frage der Beschwerdelegitimation einer Gemeinde im Bereich der Sozialhilfe nie verneint. Es hat sie, sei es gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von
Art. 89 Abs. 1 BGG
(vgl. etwa
BGE 136 V 345
) oder als Autonomiebeschwerde nach
Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG
(vgl. Urteil 8C_500/2012 vom 22. November 2012 E. 2.2.2) bejaht oder hat die Frage offengelassen.
6.3
Unbestrittenermassen sind die Gemeinden im Bereich der Sozialhilfe von kantonalen Entscheiden nicht gleich oder ähnlich wie eine Privatperson betroffen. Eine vergleichbare Betroffenheit ist etwa im öffentlichen Personalrecht anzunehmen, da sich diesfalls die Stellung der öffentlichen Hand als Arbeitgeberin von derjenigen von privaten Arbeitgebern kaum unterscheidet (
BGE 134 I 204
E. 2.3 S. 206). Im Rahmen der vorliegenden Streitsache handelt die Gemeinde aber hoheitlich. Immerhin bleibt anzumerken, dass die Sozialhilfe, etwa im Bereich der immateriellen Hilfe, auch privatrechtliche Züge aufweisen kann. So werden von Sozialdiensten
BGE 140 V 328 S. 334
situationsbezogen Zusammenarbeitsverträge mit den betroffenen Personen abgeschlossen, die etwa die Stellen- oder Wohnungssuche oder weitere Elemente der Beratung oder Betreuung zum Thema haben. Auch im Bereich der Rückerstattung von Sozialhilfegeldern kommt es nicht selten zu Rückzahlungsvereinbarungen, die durchaus privatrechtlichen Charakter haben können. In der Regel handelt aber die Gemeinde in der Sozialhilfe hoheitlich, indem sie ihre Leistungen verweigert, mit Auflagen versieht oder - wie vorliegend - erbrachte Leistungen zurückfordert.
6.4
Zu prüfen ist daher, ob die Gemeinde generell oder im Einzelfall eine besondere Betroffenheit bzw. ein schutzwürdiges Interesse geltend machen kann, welches ausnahmsweise ein Eintreten auf ihre Beschwerde angezeigt erscheinen lässt. Zu denken ist an spezifische eigene Sachanliegen, an einen eigenständigen Politikbereich, an erhebliche vermögensrechtliche Interessen oder an einen fachspezifischen materiellen bzw. organisatorischen Autonomiebereich (vgl. dazu PFLÜGER, a.a.O., S. 140 ff.).
6.4.1
Das Fürsorgewesen gehört seit jeher zu den klassischen Gemeindeaufgaben. Die kommunale Zuständigkeit wird mit der Nähe zu den Betroffenen begründet. Die geeignete, massgeschneiderte Hilfe kann vor Ort in der Tat am besten eruiert und bemessen werden. Es ist daher von einer Kernkompetenz der Gemeinden in einer angestammten Tätigkeit auszugehen.
6.4.2
Daran ändert nichts, dass die gesetzlichen Grundlagen zu Art und Ausmass der Hilfe in der Regel kantonalrechtlich bestimmt werden. Immer noch verbleibt den Gemeinden in der individuellen Ausgestaltung der Hilfe ein grosser Ermessensspielraum. Zudem verweisen die meisten Kantone für die Detailregelung integral oder doch weitgehend auf die Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe. Diese werden von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) erlassen, deren Mitglieder sich vor allem aus Kantonen und Gemeinden zusammensetzen. Sie lassen den Rechtsanwendern eigene Entscheidungsspielräume. Diese betreffen nicht nur das Ausmass, sondern vor allem auch die Art der Hilfe und die Festsetzung von Weisungen und Auflagen.
6.4.3
Im Rahmen dieser Zuständigkeit geniessen die Gemeinden im Übrigen eine weitgehende organisatorische Autonomie. Sie können diese Aufgabe durch die eigene Verwaltung erfüllen, ganz oder teilweise an Dritte übertragen oder regional lösen.
BGE 140 V 328 S. 335
6.4.4
Die finanzielle Belastung der Gemeinden ist im Bereich der Sozialhilfe erheblich und in den letzten Jahren angestiegen. Der erhöhte Aufwand und die damit verbundene Problematik sind zunehmend auch von (finanz)politischem Interesse. Verantwortliche werden je nach Sichtweise zum Masshalten oder zu grosszügigeren Leistungen aufgefordert. Auch werden die Gemeinden angehalten, diesen Bereich eigenständiger zu gestalten und die ihnen zustehenden Freiräume besser zu nutzen.
6.4.5
Schliesslich können kantonale Gerichtsentscheide, auch wenn sie bloss einen Einzelfall betreffen, für weitere Betroffene und eine Vielzahl von Gemeinden präjudizierend sein. Solche Entscheide haben eine nicht unerhebliche Signalwirkung auf die Ausgestaltung der Sozialhilfe vor Ort. Zu denken ist etwa an die Auflage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder an einem Arbeitseinsatz teilzunehmen (
BGE 139 I 218
), sowie an die Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung von obdachlosen Personen (
BGE 139 I 272
).
6.5
Wenn auch nicht alle massgebenden Kriterien, welche den Gemeinden nach der allgemeinen Legitimationsklausel den Zugang ans Bundesgericht ausnahmsweise ermöglichen, in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sein mögen, ergibt sich doch aus einer Gesamtbetrachtung, dass die Legitimation in der Regel gegeben sein soll (vgl. zum Ganzen auch URSPRUNG/RIEDI HUNOLD, Zur neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf dem Gebiet der Sozialhilfe, ZBl 115/2014 S. 231, 245 ff.). Gemeinden sind im Bereich der Sozialhilfe in spezifischer Weise in der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben betroffen und sollen sich daher gegen Entscheide, die ihr Verwaltungshandeln in diesem Bereich einschränken, zur Wehr setzen können. Diese Beschwerdelegitimation entspricht der langjährigen Praxis des Bundesgerichts.
Es kann nicht gesagt werden, die Gemeinden hätten bislang von der Möglichkeit Beschwerde zu führen, übermässig Gebrauch gemacht, werden doch am Bundesgericht jährlich nur vereinzelt Beschwerden von Gemeinden eingereicht (sowohl 2012 wie auch 2013 wurden beim Bundesgericht von 89 resp. 87 Beschwerden auf dem Gebiet der Sozialhilfe je deren zwei von Gemeinden eingereicht). Sie betreffen in der Regel grundlegende Fragen und beziehen sich nicht auf zu vernachlässigende Aspekte in Einzelfällen.
6.6
Dies will nicht heissen, dass die Beschwerdelegitimation ausnahmslos zu bejahen ist. Sie kann etwa verneint werden, wenn die
BGE 140 V 328 S. 336
präjudizielle Wirkung eines Entscheids weder geltend gemacht noch ersichtlich ist oder wenn ganz unerhebliche Rechtsfolgen zur Beurteilung anstehen. In solchen Fällen kann von einem besonderen schutzwürdigen Interesse der Gemeinde nicht mehr gesprochen werden, sondern es muss angenommen werden, dass es diesfalls nur noch um die richtige Rechtsanwendung oder gar um eine Frage des Prestiges geht, welche die Legitimation ausschliessen.
6.7
Im vorliegenden Fall geht es um die Rückerstattung nicht unerheblicher Sozialhilfeleistungen. Der Bezirksrat hat die Rückerstattungspflicht verneint. Zur Begründung bezog er sich nicht nur auf die Besonderheiten des Einzelfalls, sondern auf grundsätzliche Überlegungen, die sich auf die Rückerstattungspflicht im Allgemeinen auswirken; davon sind nebst der Stadt X. über den aktuellen Fall hinaus auch weitere Gemeinden besonders berührt. Dass es dabei nicht um die Zusprechung von Sozialhilfeleistungen, sondern um deren Rückerstattung geht, spielt keine Rolle. Denn die Gemeinde ist im einen wie im anderen Fall in gleicher Weise in ihren schutzwürdigen Interessen betroffen. Zudem steht ihr gerade bei der Frage, ob und inwieweit vom Rückforderungsrecht Gebrauch gemacht werden soll, ein erheblicher Entscheidungs- bzw. Ermessensspielraum zu. Die Vorinstanz hat demnach Bundesrecht verletzt (Art. 111 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 89 Abs. 1 BGG
), indem sie der Gemeinde die Beschwerdelegitimation im kantonalen Verfahren absprach. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d125b947-7643-4f84-894e-56f98b1cff30 | Urteilskopf
103 Ia 394
60. Auszug aus dem Urteil vom 5. Oktober 1977 i.S. Beeli gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 85 lit. a OG
, § 35 Abs. 3 KV; Numerus-clausus bei der Zulassung zu einem staatlichen Lehrerseminar.
1. Ein soziales Grundrecht auf Bildung bzw. Mittelschulbildung ist weder aus dem Verfassungsrecht des Bundes noch des Kantons Basel-Landschaft abzuleiten (E. 2a). Dagegen hat der Einzelne aufgrund von
Art. 4 BV
Anspruch auf rechtsgleiche und willkürfreie Behandlung beim Zugang zu den staatlichen Bildungseinrichtungen.
2. Zulässigkeit des Numerus-clausus:
a) Ein Numerus-clausus bei der Zulassung zu einer staatlichen Bildungseinrichtung ist mit
Art. 4 BV
vereinbar, wenn die Gründe für seine Einführung und die Vollzugsregelung im einzelnen vor dem Verfassungsrecht standhalten (E. 2b).
- Ein Numerus-clausus zum Zwecke der Ausbildungslenkung nach dem zukünftigen Lehrerbedarf hält grundsätzlich vor
Art. 4 BV
stand (E. 2b/aa).
- Es ist mit
Art. 4 BV
vereinbar, bei der Durchführung des Numerus-clausus auf die Eignung des Bewerbers abzustellen (E. 2b/bb).
b) Wer Zutritt zu einer staatlichen Bildungseinrichtung verlangt, deren Ausbildung zur Ausübung eines öffentlichen Amtes (z.B. des Lehrerberufes an einer öffentlichen Schule) befähigt, kann sich nicht auf die Handels- und Gewerbefreiheit berufen. Das genannte Grundrecht gewährleistet die Berufswahlfreiheit nur für die privatwirtschaftlichen Berufe (E. 2c).
3. Zulässigkeit der Gesetzesdelegation:
a) Der Gesetzesvorbehalt und die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit der Gesetzesdelegation gelten grundsätzlich auch in der Leistungsverwaltung (E. 3a).
b) Eine gesetzliche Ermächtigung an die Exekutive, bei der Zulassung zu einem staatlichen Lehrerseminar einen Numerus-clausus zum Zwecke der Ausbildungslenkung nach dem zukünftigen Lehrerbedarf einzuführen, muss zumindest Art und Zweck der Massnahme in der Delegationsnorm nennen. § 8 Abs. 3 des Maturitätsschulgesetzes des Kantons Basel-Landschaft erfüllt diese Anforderungen nicht (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 396
BGE 103 Ia 394 S. 396
§ 8 Abs. 3 des "Gesetzes betreffend Errichtung und Führung kantonaler Maturitätsschulen (Gymnasien) mit Seminarabteilung sowie betreffend Schulabkommen für den Besuch von Maturitäts- und Mittelschulen anderer Kantone" (vom 24. August 1961) des Kantons Basel-Landschaft (Maturitätsschulgesetz) bestimmt unter dem Marginalie "Zulassung und Patentierung" für die "Seminarabteilung":
"Die Erziehungsdirektion ordnet die Zulassung zur Seminarabteilung und die Patentierung der Schüler."
Die Seminarabteilung der Maturitätsschulen ist inzwischen als Lehrerseminar rechtlich verselbständigt worden.
§ 1 des "Reglementes über Aufnahme, Promotion und Diplomierung der Primarlehrer am Lehrerseminar Liestal" (Aufnahmereglement) in der Fassung vom 22. November 1974 macht die Aufnahme in die Primarlehrerkurse des Lehrerseminars Liestal vom Besitz eines Maturitätszeugnisses bzw. bestimmter Diplome kantonaler Mittelschulen, von der Absolvierung eines Praktikums und dem Bestehen einer Eignungsprüfung abhängig.
Am 4. November 1975 fasste der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft unter dem Titel "Festlegung einer
BGE 103 Ia 394 S. 397
Kapazitätsgrenze und Erhebung einer Anmeldegebühr für die Primarlehrerkurse am Lehrerseminar" folgenden Beschluss:
"1. § 1 Absatz 1 des Reglementes über Aufnahme, Promotion und Diplomierung der Primarlehrer am Lehrerseminar in der Fassung vom 22. November 1974 wird wie folgt geändert:
"In die Primarlehrerkurse des Lehrerseminars wird innerhalb der vom Regierungsrat festgelegten Kapazitätsgrenze aufgenommen, wer..."
2. In den Primarlehrerkurs 11 mit Beginn am 20. April 1976 werden 100 Bewerber aufgenommen.
3. Jeweils im Juni des laufenden Schuljahres entscheidet der Regierungsrat auf Antrag der Erziehungsdirektion, wieviele Bewerber in den im darauf folgenden Frühling beginnenden Primarlehrerkurs aufzunehmen sind.
4. Zur teilweisen Deckung der Kosten der Eignungsabklärung wird eine Anmeldegebühr von Fr. 50.-- erhoben. Sie ist von allen Bewerbern um die Aufnahme in die Primarlehrerkurse zu bezahlen, erstmals für Bewerber in den Primarlehrerkurs 12 (Beginn: April 1977)."
Mit Eingabe vom 29. November 1975 erhebt Robert Beeli, der im Kanton Basel-Landschaft stimmberechtigt ist, staatsrechtliche Beschwerde gegen den regierungsrätlichen Beschluss vom 4. November 1975. Er rügt eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung und des Stimmrechts (
Art. 85 lit. a OG
), des "Rechtes auf Mittelschulbildung" als "verfassungsmässiges Recht des Kantons Basel-Landschaft", sowie der Rechtsgleichheit.
Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde, soweit es darauf eintreten konnte, teilweise gutgeheissen aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2.
Gegenüber Ziff. 1 (§ 1 Abs. 1 des Aufnahmereglements in der Fassung vom 4. November 1975) und Ziff. 3 des angefochtenen Beschlusses (regierungsrätliche Kompetenz zur Festlegung einer Kapazitätsgrenze beim Eintritt ins Lehrerseminar Liestal) rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des "Rechtes auf Bildung" als "verfassungsmässiges Recht des Bundes", und einen Verstoss gegen das "Recht auf Mittelschulbildung" als "verfassungsmässiges Recht des Kantons Basel-Landschaft".
Der bundesrechtliche Anspruch ergebe sich aus der "freiheitlich-demokratischen Ordnung" und aus dem Zusammenhang mit andern Verfassungsbestimmungen (
Art. 27 BV
) und
BGE 103 Ia 394 S. 398
Grundrechten (Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Handels- und Gewerbefreiheit), deren Ausübung ein Recht auf Bildung voraussetze. Das "in der Bundesverfassung implizierte allgemeine Recht auf Bildung" sei in der gesamten Bildungsgesetzgebung des Bundes und der Kantone konkretisiert.
Das kantonale "Recht auf Mittelschulbildung" ergebe sich aus § 35 Abs. 3 der Staatsverfassung des Kantons Basel-Landschaft und sei ein "typisches Sozialrecht".
In bezug auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit dieser Rechte bemerkt der Beschwerdeführer, diese sei jedenfalls unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit jederzeit möglich.
a) Im Verfassungsrecht des Bundes auferlegt
Art. 27 BV
den Kantonen die Verpflichtung, für einen genügenden, unter staatlicher Leitung stehenden, obligatorischen und unentgeltlichen Primarunterricht zu sorgen (vgl. BURCKHARDT, Kommentar zur BV, 3. Aufl., zu
Art. 27 BV
; SALADIN, Das Recht auf Bildung, ZSR 90/1971 I S. 140). Es kann offen bleiben, ob diese Verfassungsbestimmung ein soziales Grundrecht gewährleistet, das dem Einzelnen einen durchsetzbaren Anspruch auf Primarschulbildung verschafft, weil es im vorliegenden Fall um den Zugang zu einer staatlichen Einrichtung der sogenannten Mittelschulbildung geht, welche an die Primar- oder Volksschulbildung anschliesst.
Die konstitutionelle Verankerung eines - über
Art. 27 BV
hinausgehenden - allgemeinen Sozialrechts auf Bildung ist in der Volksabstimmung vom 4. März 1973 trotz knappem Volksmehr abgelehnt worden (vgl. BBl 1972 I 421ff.
;
1973 I 1730
f.; hierzu: E. GRISEL, Les droits sociaux, ZSR 92/1973 II S. 73 f.; J.P. MÜLLER, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, ZSR 92/1973 II S. 864 ff., 872 ff.; HÄRING, Grundrechte im Bereich der Bildung, Diss. Basel 1976, S. 76 ff.). Es kann schon deswegen keine Rede davon sein, ein solches Grundrecht in den Katalog der ungeschriebenen Verfassungsrechte auf dem (Um)weg der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzunehmen, wie das Bundesgericht in BGE
BGE 100 Ia 194
E. 3c schon angetönt und in
BGE 102 Ia 324
/25 - jedenfalls für den Zugang zum akademischen Studium - implizite bestätigt hat (
BGE 103 Ia 377
E. 4a).
Was das kantonale Verfassungsrecht betrifft, so lassen weder der Wortlaut, noch die Materialien oder eine bestehende
BGE 103 Ia 394 S. 399
Praxis den Schluss zu, Art. 35 Abs. 3 der Kantonsverfassung (KV, vom 4. April 1892) gewährleiste einen individuell durchsetzbaren Anspruch auf Mittelschulbildung. Bei der Bestimmung handelt es sich dem Wortlaut gemäss um Richtlinien für das staatliche Handeln im Bereich des Mittelschulwesens - verbunden mit einem Gesetzgebungsauftrag (vgl. J.P. MÜLLER, a.a.O., S. 900 ff.; HÄFELIN, Verfassungsgebung ZSR 93/1974 II S. 94 ff., 97 ff.). Adressat sind die staatlichen Behörden, nicht der einzelne Bürger. Solche Verfassungsnormen können im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde nicht angerufen werden (
BGE 96 I 626
E. 3
;
91 I 114
E. 2; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 3. Aufl., N. 38 S. 33 f.).
Der Beschwerdeführer selbst räumt ein, dass das postulierte Sozialrecht nicht unmittelbar gerichtlich durchgesetzt werden könne. Der gerichtliche Schutz sei nur unter dem Gesichtswinkel der Rechtsgleichheit möglich. Trifft dies aber zu, so fragt sich, ob überhaupt noch von einem Grundrecht gesprochen werden kann (E. GRISEL, a.a.O., S. 116; J.P. MÜLLER, a.a.O., S. 852; HÄFELIN, a.a.O., S. 91). Es ist dann jedenfalls nicht einzusehen, warum der Beschwerdeführer die genannte Verfassungsbestimmung als "verfassungsmässiges Recht der Bürger" im Sinne von
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
anruft, denn diese Bestimmung setzt eine subjektive Berechtigung und eine individuelle Durchsetzbarkeit der angerufenen Verfassungsnormen klarerweise voraus. Ist die Durchsetzbarkeit nur unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
möglich, dann bleibt für die Erhebung einer selbständigen Rüge wegen Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts auf Bildung oder Mittelschulbildung kein Raum.
b) Aus
Art. 4 BV
ergibt sich der Anspruch auf rechtsgleiche und willkürfreie Behandlung beim Zugang zu den staatlichen Leistungseinrichtungen (
BGE 102 Ia 325
E. 3c, 328 E. 5
;
92 I 510
E. 2b; J.P.MÜLLER, a.a.O., S. 886 ff.; IMBODEN/RHINOW, Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. II, Nr. 140, S. 1035 ff.), wie sie das Lehrerseminar Liestal darstellt.
Es lässt sich nicht sagen, dass schon die Festlegung einer Kapazitätsgrenze als solche gegen die Rechtsgleichheit verstösst, genausowenig wie das für die natürlichen - platz- oder personalbedingten - Grenzen der Aufnahmefähigkeit einer
BGE 103 Ia 394 S. 400
staatlichen Bildungseinrichtung gilt (
BGE 103 Ia 373
E. 2). Entscheidend ist vielmehr, ob die Gründe für die Einführung des Numerus-clausus, sowie dessen Vollzug, d.h. die Selektion der aufzunehmenden Seminaristen aus dem Kreis der Bewerber, vor
Art. 4 BV
standhalten.
aa) Der Regierungsrat begründet die Festsetzung einer sog. Kapazitätsgrenze am Lehrerseminar Liestal nicht mit der Kapazität, d.h. den natürlichen - platz- oder personalbedingten - Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Bildungseinrichtung, sondern mit der Notwendigkeit, die "realen Möglichkeiten und Bedürfnisse des Kantons" zu berücksichtigen. Es sei dem Kanton angesichts eines drohenden Lehrerüberflusses und im Hinblick auf die herrschende Finanzknappheit nicht zuzumuten, unabhängig vom Bedarf beliebig viele Lehrer auszubilden.
Unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
können diese Gründe nur auf Willkür hin überprüft werden. Sie sind sachlich vertretbar. In der Tat liegt es weder im Interesse des Staates noch des einzelnen Bewerbers, in einem Beruf ausgebildet zu werden, der mangels Stellenangebot kein wirtschaftliches Auskommen verschafft. Eine gewisse Problematik der staatlichen Ausbildungslenkung nach dem Bedarf liegt freilich darin, dass sie das Lehrerangebot für Jahrzehnte bestimmen kann, was naturgemäss das Risiko einer Fehlplanung erhöht. Das spricht aber nicht gegen den Grundsatz der Bedarfslenkung an sich, sondern legt Vorsicht in deren Handhabe nahe.
bb) In bezug auf die Durchführung des Numerus-clausus steht fest, dass nach § 1 Abs. 4 des Aufnahmereglementes für die Zulassung innerhalb der vom Regierungsrat festgelegten Kapazität (§ 1 Abs. 1) weiterhin die Eignungsprüfung massgebend sein wird. Durch das Abstellen auf die Eignung des Bewerbers bei der Zulassung werden das Gebot rechtsgleicher Behandlung und das Willkürverbot nicht verletzt.
cc) Gemäss Schlussbestimmung § 25 des Aufnahmereglementes in der Fassung vom 19. Februar 1974 (GS Bd. 25 S. 364 ff.) gelten die Zulassungsbedingungen des Lehrerseminars erst für die 1974 oder später ins Gymnasium eingetretenen oder eintretenden Absolventen des Typus M. Diese zeitlich befristete Privilegierung einer Kategorie von Bewerbern, auf die der Beschwerdeführer Bezug nimmt, ist vom Bundesgericht in seinem Entscheid vom 21. September 1976 i.S. Popp
BGE 103 Ia 394 S. 401
unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (
Art. 4 BV
) ausdrücklich gutgeheissen worden.
c) Der Beschwerdeführer erwähnt die Handels- und Gewerbefreiheit im Zusammenhang mit der Herleitung eines Rechts auf Bildung als ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes, behauptet aber nicht, sie sei im vorliegenden Fall verletzt und inwiefern (
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). Eine solche Rüge wäre denn auch unbegründet: Zwar verbietet die Handels- und Gewerbefreiheit (
Art. 31 BV
) den Kantonen wirtschaftspolitische Massnahmen, was die staatliche Ausbildungslenkung nach dem Bedarf darstellt (vgl.
BGE 103 Ia 387
E. 7c/bb,
BGE 101 Ia 486
E. 5 mit Hinweisen; SALADIN, a.a.O., S. 137). Sie gewährleistet aber nur die Freiheit privatwirtschaftlicher Betätigung; wer öffentliche Aufgaben erfüllt, kann sich nicht auf sie berufen (
BGE 100 Ia 318
E. 4; MARTI, Die Wirtschaftsfreiheit der schweizerischen BV, S. 40 ff.). Dies muss sinngemäss auch für denjenigen gelten, der Zulassung zu einer staatlichen Bildungseinrichtung verlangt, deren Ausbildung zur Ausübung eines öffentlichen Amtes (Primarlehrer) befähigt. Nach schweizerischem Recht beschränkt sich demnach - anders als in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 12 Grundgesetz (MAUNZ/DÜRIG/HERZOG/SCHOLZ, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12 GG N. 29 ff., 95/6, 108 ff.) - die Berufswahlfreiheit auf die privatwirtschaftlichen Berufe.
d) Das Grundrecht der persönlichen Freiheit hat der Beschwerdeführer nicht angerufen. Es liesse sich auch wohl erst im konkreten Anwendungsfall entscheiden, ob in der angefochtenen regierungsrätlichen Massnahme - Festlegung einer Kapazitätsgrenze für den Eintritt ins Lehrerseminar Liestal - ein Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung liegt (
BGE 103 Ia 388
E. 7d/bb;
BGE 102 Ia 324
f. E. 3a).
3.
Der Beschwerdeführer erblickt in der Ermächtigung des Regierungsrates zur Festlegung einer Kapazitätsgrenze für den Zugang zum Lehrerseminar eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltentrennung und damit eine Beeinträchtigung seines Stimmrechts (
Art. 85 lit. a OG
). § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz ermächtige die Erziehungsdirektion bzw. den Regierungsrat, qualitative Anforderungen an den Eintritt ins Seminar aufzustellen, nicht aber eine quantitative Beschränkung der Zahl der aufzunehmenden Bewerber einzuführen.
BGE 103 Ia 394 S. 402
Dies ergebe sich auch aus den Materialien. § 1 Abs. 1 des Aufnahmereglementes in der Fassung vom 4. November 1975 fehle damit eine gesetzliche Grundlage. Zudem entbehre § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz als Delegationsnorm der nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung erforderlichen Bestimmtheit.
Der Regierungsrat stellt in seiner Vernehmlassung das Fehlen einer verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Grundlage für die Einführung einer quantitativen Beschränkung der Zahl der ins Seminar aufzunehmenden Bewerber grundsätzlich nicht in Abrede. Er ist der Auffassung, es genüge, wenn eine solche "im Interesse des Volkswohls" angeordnete Massnahme von Verfassung oder Gesetz nicht ausgeschlossen werde.
a) Das Bundesgericht ist in seinem Grundsatzentscheid i.S. Waeffler etc. (
BGE 103 Ia 376
E. 3b, 4, 5, 6) zum Schluss gekommen, dass der Gesetzesvorbehalt und die von ihm entwickelten Grundsätze über die Zulässigkeit der Gesetzesdelegation im Prinzip auch in der Leistungsverwaltung gelten. Die Frage, wie konkret und detailliert von Verfassungs wegen der Inhalt der Delegationsnorm im Bereich der leistenden Verwaltung sein müsse, hat es allerdings der Beurteilung im Einzelfall überlassen, hiefür aber gewisse Richtlinien gegeben. Da sich im vorliegenden Fall die Frage der Gesetzmässigkeit und der Zulässigkeit der Gesetzesdelegation im Bereich der leistenden Verwaltung (Bildungswesen) stellt, sind die vom Bundesgericht entwickelten Grundsätze hier anzuwenden.
b) aa) Gemäss § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz ordnet die Erziehungsdirektion die "Zulassung" zum Lehrerseminar. Diese Kompetenz ist in der Schaffung des Aufnahmereglements nicht von der Erziehungsdirektion, sondern vom Regierungsrat wahrgenommen worden, was aber zu keiner Erweiterung der Ermächtigung führen kann.
Vom Wortlaut her kann § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz durchaus im Sinne einer Ermächtigung zur Einführung auch quantitativer Beschränkungen bei der Zulassung zum Seminar verstanden werden. Die Behauptung des Beschwerdeführers ist aber unbestritten geblieben, dass bei Erlass des Gesetzes und dessen Ausführung in Form eines Reglementes bisher nur an die Setzung qualitativer Anforderungen an die Eignung des Bewerbers gedacht worden sei. Ihre Richtigkeit ergibt sich im
BGE 103 Ia 394 S. 403
übrigen aus den Gesetzesmaterialien und dem Inhalt des Aufnahmereglementes vor der angefochtenen Änderung vom 4. November 1975.
Grundsätzlich darf in objektiv-zeitgemässer Auslegung einer Gesetzesnorm ein Sinn gegeben werden, der für den historischen Gesetzgeber infolge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nicht voraussehbar war und in der bisherigen Anwendung auch nicht zum Ausdruck gekommen ist, wenn er noch mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar ist. Im vorliegenden Fall aber fragt sich, ob nicht eine Massnahme wie die Einführung des Numerus-clausus, der eine Zäsur gegenüber der früheren offenen Zulassungspolitik bildet und tiefgreifend in die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen eingreifen kann, einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl.
BGE 103 Ia 387
E. 7d). Die Frage ist umso mehr berechtigt, als hier der Numerus-clausus nicht wie üblich mit der beschränkten Aufnahmekapazität der Bildungseinrichtung gerechtfertigt wird, sondern Mittel zu einer staatlichen Ausbildungslenkung nach dem Bedarf bildet. Eine staatliche Ausbildungslenkung ist - wie schon ausgeführt - sachlich und rechtlich nicht unproblematisch, vor allem bezüglich ihrer Planungsgrundlagen und der konkreten Durchführung, und dürfte aus diesem Grunde auch politisch nicht unbestritten sein, sodass der Stimmbürger ein Interesse haben kann, darüber zu entscheiden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass vor allem in der Bundesrepublik Deutschland das Postulat erhoben wird, die wesentlichen das öffentliche Bildungswesen betreffenden Fragen vermehrt dem Gesetzesvorbehalt und damit demokratischer Kontrolle zu unterstellen (vgl. OPPERMANN, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen?, Gutachten zum 51. Deutschen Juristentag, München 1976 Bd. I S. C 3 ff., insbes. C 46 ff., C 58; Beschlüsse des Juristentages Bd. II S. M 230 ff.; PIESKE in DVBl. 92 1977 S. 673 ff.).
Die Frage, ob § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz als gesetzliche Grundlage der angefochtenen Massnahme genügt, kann jedoch offen bleiben, wenn die Bestimmung so oder so den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt, die an eine Delegationsnorm zu stellen sind. Dies ist im folgenden zu prüfen.
BGE 103 Ia 394 S. 404
bb) Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Delegation rechtsetzender Befugnisse an Verwaltungsbehörden oder untergeordnete Subjekte des öffentlichen Rechts zulässig, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen wird, wenn sie auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt wird und das Gesetz die Grundzüge der Regelung selbst enthält, soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt, und wenn sie in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz enthalten ist (
BGE 102 Ia 64
E. 2). Ob die Delegationsnorm diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, prüft das Bundesgericht frei (
BGE 99 Ia 453
E. 4b in fine).
Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführer nicht geltend, der Delegation von Rechtsetzungsbefuguissen an die Exekutive stehe eine Norm des kantonalen Rechts entgegen. Die Delegation beschränkt sich auf den Gegenstand der "Zulassung" zum Seminar, und die Delegationsnorm ist in einem der Volksabstimmung unterliegenden Gesetz enthalten (§ 11 KV). Fraglich ist dagegen, ob § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz als Delegationsnorm die "Grundzüge der Regelung" selber enthält, wenn man davon ausgeht, diese berühre die Rechtsstellung der Bürger in schwerwiegender Weise (
BGE 103 Ia 387
E. 7d). Davon kann keine Rede sein. § 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz nennt nicht einmal die angefochtene Massnahme als solche (Numerus-clausus), und auch nicht deren Zielsetzung (Ausbildungslenkung nach dem zukünftigen Lehrerbedarf). Es ist nach dem Gesagten auch nicht so, dass man bisher mit dem Begriff der "Zulassung" (§ 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz) irgendwelche Vorstellungen dieser Art verbunden hätte. Vielmehr soll hier eine gesetzliche Ermächtigung mit einem bestimmten, bisher feststehenden Inhalt (Umschreibung der Aufnahmebedingungen in qualitativer Hinsicht: Alter, Vorbildung, Eignung) eine völlig neuartige Massnahme (Numerus-clausus mit dem Ziel einer staatlichen Ausbildungslenkung nach dem Bedarf) stützen.
Nun hat freilich das Bundesgericht in
BGE 103 Ia 381
E. 6 und 7d/ee die Anforderungen an die Bestimmtheit der Delegationsnorm im konkreten Fall aus sachlichen Gründen herabgesetzt. Die Beschwerdeführer rügten dort das weitgehende Fehlen gesetzlicher Auswahlkriterien bei der Durchführung des Numerus-clausus. Das Bundesgericht führte hierzu aus,
BGE 103 Ia 394 S. 405
auf die gesetzliche Verankerung dieser Kriterien habe ohne Verletzung von Verfassungsrecht verzichtet werden können, weil sie im Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes noch nicht genügend bestimmt und bei einer Regelung durch die Exekutive schneller veränderten Verhältnissen oder Bestrebungen interkantonaler Koordination angepasst werden könnten.
Es fragt sich zunächst, wieweit die Verhältnisse an einer Universität und an einem staatlichen Lehrerseminar hinsichtlich einer Zulassungsbeschränkung überhaupt vergleichbar sind. Es trifft zu, dass es an den staatlichen Mittelschulen in der Form der Aufnahmeprüfung schon immer eine Zulassungsbeschränkung gegeben hat, während an den Universitäten bis in die jüngste Zeit grundsätzlich jedermann aufgenommen wurde, der eine eidgenössisch anerkannte Maturität vorweisen konnte. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass gerade unter diesem Gesichtspunkt die Maturitätsprüfung ihrer Funktion nach als Zulassungsprüfung zur Universität verstanden werden durfte. Allen diesen Prüfungen ist gemeinsam, dass sie der Abklärung der Befähigung und Eignung dienen, und - jedenfalls nach bisherigem Verständnis - nicht Mittel zu einer quantitativen Beschränkung aus Kapazitätsgründen oder gar zur Bedarfslenkung bilden.
Es ist ferner richtig, dass Universität und Lehrerseminar unterschiedliche Ausbildungsziele haben. Die Universität verschafft dem Studenten eine akademische Ausbildung, während das Lehrerseminar die Ausbildung zum Lehrerberuf vermittelt, der vorwiegend an öffentlichen Schulen und demnach als öffentliches Amt ausgeübt wird. Das Lehrerpatent befähigt aber auch zur Erteilung von Privatunterricht, und ist insofern dem akademischen Abschluss durchaus vergleichbar. Es verschaffte zudem bis in jüngster Zeit - jedenfalls an einzelnen Universitäten und für bestimmte Ausbildungsrichtungen (eventuell unter der Voraussetzung eines bestimmten Notendurchschnittes oder bei Bestehen von Zusatzprüfungen) - den Zugang zur Universität wie eine Matura. Die Frage einer Ausbildungslenkung nach dem Bedarf stellt sich bei einer Institution, die vorwiegend den Zweck hat, die Befähigung zur Ausübung eines öffentlichen Amtes zu vermitteln, sicher anders als bei einer nicht in dieser Weise auf eine öffentlichrechtliche Anstellung ausgerichteten Bildungseinrichtung. Es besteht aber kein Anlass, die Frage der Notwendigkeit einer
BGE 103 Ia 394 S. 406
gesetzlichen Grundlage und der erforderlichen Bestimmtheit einer Delegationsnorm deshalb wesentlich verschieden zu beurteilen. Es ist nicht einzusehen, warum in dieser Hinsicht unterschiedliche rechtsstaatliche Anforderungen gelten sollten, besteht doch das Gebot demokratischer Kontrolle und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit in beiden Bildungsbereichen grundsätzlich gleichermassen. Es ist demnach gerechtfertigt, eine Zulassungsbeschränkung an einer Universität und an einem staatlichen Lehrerseminar unter dem Gesichtspunkt ihrer Gesetzmässigkeit und der Anforderungen an die Bestimmtheit einer Delegationsnorm im wesentlichen gleich zu behandeln.
Im übrigen unterscheidet sich der vorliegende Fall in wesentlichen Punkten vom zitierten i.S. Waeffler etc. (
BGE 103 Ia 369
ff.). Dort war der Entscheid über die mögliche Einführung des Numerus-clausus an der Universität Basel in einer eigenen Gesetzesvorlage dem Volk vorgelegt worden; Art und Zweck der Massnahme sowie das zu verfolgende Verfahren wurden in der Vorlage genannt, einzig die Nennung der Zulassungskriterien bei der Durchführung des Numerus-clausus war aus den genannten Gründen unterblieben. Hier aber wird eine allgemein gehaltene Ermächtigung an die Exekutive zur Schaffung einer Zulassungsordnung als gesetzliche Grundlage für eine in dieser Form und mit dieser Zielsetzung neuartige Massnahme in Anspruch genommen; nicht einmal die Art der Massnahme (Numerus-clausus) und deren Zweck (Ausbildungslenkung) werden im Gesetz genannt. Dabei sind bezüglich Gesetzesvorbehalt und Anforderungen an die Bestimmtheit einer Delegationsnorm sicherlich höhere Anforderungen zu stellen, wenn die Einführung des Numerus-clausus eine staatliche Ausbildungslenkung bezweckt, als wenn sie infolge Erschöpfung der Aufnahmekapazität der Bildungseinrichtung aus einem gewissen Sachzwang heraus geboten ist.
Schliesslich hat auch das Argument, es sei die Möglichkeit schneller Anpassung an veränderte tatsächliche Verhältnisse und interkantonale Bestrebungen der Koordination zu wahren, bei einem staatlichen Lehrerseminar, das im wesentlichen Lehrer für den kantonalen Bedarf ausbildet, bedeutend weniger Gewicht als bei einer Universität von nationaler Bedeutung. Aber selbst dann, wenn die beiden Bildungseinrichtungen in dieser Hinsicht gleich zu behandeln wären, müsste
BGE 103 Ia 394 S. 407
jedenfalls verlangt werden, dass Art und Zweck der angefochtenen Massnahme im Gesetz genannt werden, wie das im baselstädtischen Universitätsgesetz geschehen ist. Zeitgründe allein erlauben es nicht, auf die Schaffung einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für eine derart einschneidende Massnahme zu verzichten, vor allem dann nicht, wenn diese nicht durch eine eigentliche Notlage (Erschöpfung der Aufnahmekapazität) bedingt ist. Der mögliche Einwand, die angestrebte zahlenmässige Beschränkung der aufzunehmenden Seminaristen nach dem künftigen Lehrerbedarf hätte sich auch durch eine Verschärfung der Aufnahmeprüfung verwirklichen lassen, führt zu keinem andern Ergebnis. Damit würde die Aufnahmeprüfung für einen ihr - zumindest bisher - fremden Zweck eingesetzt, was als Umgehung des Legalitätsprinzips und der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit der Delegationsnorm zu qualifizieren wäre.
§ 8 Abs. 3 Maturitätsschulgesetz genügt demzufolge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, welche an die Bestimmtheit einer Delegationsnorm zu stellen sind, und die Beschwerde ist in diesem Punkte gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d128d1fb-1f34-4eaa-8989-f6021924b7a3 | Urteilskopf
87 I 371
61. Urteil vom 25. Oktober 1961 i.S. Weber A.-G. gegen Schurter A.-G. und Obergericht des Kantons Luzern. | Regeste
Art. 87 OG
: Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides, mit dem im Sinne von § 272 luz. ZPO die Revision bewilligt wird. | Erwägungen
ab Seite 371
BGE 87 I 371 S. 371
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen das Urteil des luzernischen Obergerichtes vom 10. August 1961, mit dem dieses ein Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 25. September 1958 um Revision eines Urteils des Obergerichtes vom 12. Juni 1958 abgewiesen und ein weiteres Revisionsgesuch vom 18. Februar 1961 bezüglich desselben Urteils als begründet erklärt hat. Mit dem Urteil vom 12. Juni 1958 hatte es den Hauptanspruch und mehrere Unteransprüche des Patentes Nr. 279'752 sowie Hauptanspruch und sämtliche Unteransprüche des Patentes Nr. 286'654 als nichtig erklärt, dagegen das Begehren um Nichtigerklärung des Unteranspruches Ziff. 10 des Patentes Nr. 279'752 im Sinne der Motive abgewiesen. In der Folge hat das Obergericht mit Urteil vom 15. Januar 1959 das Patent Nr. 279'752 wegen Teilnichtigkeit neu gefasst. Die Gutheissung des Revisionsgesuches vom 18.
BGE 87 I 371 S. 372
Februar 1961 wird zur Folge haben, dass das Obergericht in einem neuen Verfahren das Urteil zu fällen hat (
§ 274 Abs. 1 ZPO
).
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird beantragt, den Revisionsentscheid aufzuheben und das Revisionsgesuch abzuweisen, eventuell die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Es wird die Rüge der Verletzung von
Art. 4 BV
erhoben.
2.
Das angefochtene Urteil beendigt das Revisionsverfahren nicht, sondern geht dem eigentlichen Revisionsprozess voran, in dem das Obergericht ein neues Urteil über die Patentnichtigkeit zu fällen haben wird, ist also ein Zwischenentscheid im Revisionsverfahren. Derartige Zwischenentscheide einer letzten kantonalen Instanz sind mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
nur anfechtbar, wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (
Art. 87 OG
).
Nachteil in diesem Sinne ist ein dem Beschwerdeführer erwachsender Rechtsnachteil, der auch durch einen dem Beschwerdeführer günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (
BGE 79 I 46
Erw. 3 mit Zitaten, 153), wie denn
Art. 88 OG
ganz allgemein zur Beschwerdelegitimation eine bloss tatsächlich nachteilige Folge nicht genügen lässt. Darum liegt kein Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG
vor, wenn die Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides bloss eine Verlängerung des Verfahrens zur Folge hat und dieser im Anschluss an den später ergehenden Endentscheid zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde gemacht werden kann (
BGE 79 I 154
). Dass durch den Zwischenentscheid eine bisherige Rechtslage nicht bloss in Frage gestellt, sondern vorderhand beseitigt wird, hat nicht unbedingt auch schon einen nicht wiedergutzumachenden Rechtsnachteil zur Folge. Daher ist der Zwischenentscheid nicht anfechtbar, mit dem der Gegenpartei im kantonalen Verfahren Restitution gewährt, sie in ihre frühere Rechtsstellung
BGE 87 I 371 S. 373
für das weitere Verfahren wieder eingesetzt wird, die durch Fristverwirkung verloren gegangen war; erst aus dem Endurteil geht hervor, ob das Verfahren für den Beschwerdeführer ungünstig oder günstig ausfällt und er daher einen bleibenden Rechtsnachteil erleidet oder nicht (nicht veröffentlichte Urteile vom 2.5.52 i.S. Simoness, 10.10.55 i.S. Ghale und vom 19.6.57 i.S. Hänggi). Ein Rechtsnachteil, der später nicht mehr behoben werden könnte, ist erst anzunehmen, wenn über eine bestimmte Rechtsfrage abschliessend entschieden wird, wie beim Rückweisungsentscheid einer Kassationsinstanz, wenn damit über die Zulässigkeit der Kassation befunden wird, oder beim Rückweisungsentscheid, wenn mit der Beschwerde geltend gemacht werden will, die kantonale Behörde habe ihm vorausgehend zu Unrecht ein Wiedererwägungsgesuch als zulässig betrachtet (
BGE 87 I 177
Erw. 2), d.h. also, wenn eine Frage streitig ist, die später nicht mehr zur Diskussion gestellt werden kann (nicht veröffentlichte Urteile vom 14.3.56 i.S. Nauer und vom 16.11.60 i.S. Trillhaase).
Der Nachteil, welcher der Beschwerdeführerin aus der Zulassung des Revisionsverfahrens entsteht, liegt darin, dass sie vorläufig, bis zum neuen Entscheid in der Sache, sich auf das Revisionsverfahren einzulassen hat und dass für solange, als der Sachentscheid nicht ergangen ist, nicht feststeht, ob das Patent Nr. 279'752 teilweise gültig ist, eine Frage, die auf Grund des allenfalls zu revidierenden Urteils feststand. Die Frage nach dem Rechtsbestand bleibt also bis dahin in der Schwebe, und der Schwebezustand wird erst durch das neue Urteil in der Sache behoben. Bis dahin ist über die Frage der Gültigkeit nicht entschieden. Obsiegt die Beschwerdeführerin im neuen Sachurteil, so bleibt es beim bisherigen Rechtszustand. Sie hat durch den Zwischenentscheid keinen Rechtsnachteil erlitten. Unterliegt sie dagegen, so kann sie die Zulässigkeit der Revision im Anschluss an das Endurteil, und allenfalls zusammen mit diesem, zum Gegenstand einer staatsrechtlichen
BGE 87 I 371 S. 374
Beschwerde machen. Die Verlängerung des Verfahrens, die sie hinzunehmen hat, stellt für die Beschwerdeführerin nach ständiger Rechtsprechung keinen Nachteil im Sinne von
Art. 87 OG
dar. Dass und welcher Rechtsnachteil ihr aus der Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides entstehen könnte, ist nicht ersichtlich. Dass vorläufig, bis zum neuen Sachurteil nicht feststeht, ob das Patent in vollem Umfang zu Recht besteht, oder dass, wie sie behauptet, "die Rechtslage der Petentin erneut dem Gutdünken von Experten überliefert wird", ist kein rechtlicher Nachteil, verändert die Rechtslage nicht anders, als es sonst bei Abnahme eines Beweismittels der Fall wäre, das den Richter in die Lage setzen soll, den Anstand neu entscheiden zu können. Es ist auch nicht behauptet, die Beschwerdeführerin werde durch den Entscheid daran gehindert, über das Patent zu verfügen, sodass dahingestellt bleiben kann, ob allenfalls darin ein rechtlicher Nachteil gesehen werden könnte, oder darin, dass eine Verfügung über das Patent nicht in gleicher Weise, zu gleichen Bedingungen möglich wäre, wie wenn über dieses jetzt ein Revisionsverfahren nicht erginge.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d12a5384-1fa7-4fed-ba06-1eed653ca0c9 | Urteilskopf
127 III 33
6. Estratto della sentenza del 11 luglio 2000 della I Corte civile nella causa Jumbo Sud SA contro Brico SA (ricorso per riforma) | Regeste
Markenschutzrecht; unlauterer Wettbewerb; Namensrecht. Möglichkeit des Schutzes eines Zeichens des Gemeingutes, das sich nur regional durchgesetzt hat?
Das Zeichen "Brico" ist wie ein Zeichen des Gemeingutes zu behandeln (E. 1).
Art. 2 lit. a MSchG
. Ein Zeichen des Gemeingutes kann ausnahmsweise als Marke geschützt sein, wenn es sich in allen Sprachregionen für die Waren oder Dienstleistungen, für die es beansprucht wird, durchgesetzt hat (E. 2).
Kumulative Anwendung von MSchG und UWG (E. 3a).
Im vorliegenden Fall ist das Zeichen weder nach UWG (E. 3b und c) noch nach den Bestimmungen des Namensrechts (
Art. 29 Abs. 2 ZGB
; E. 4) zu schützen. | Sachverhalt
ab Seite 34
BGE 127 III 33 S. 34
A.-
La presente vertenza vede coinvolte due società ticinesi attive nel settore "fai da te".
La Brico S.A. (di seguito: Brico), con sede a Lamone, è iscritta a registro di commercio dal 1983 e possiede cinque negozi nel Cantone Ticino. Dal 1985 essa è titolare di un marchio verbale-figurativo che, oltre alla menzione "Brico - Centro del fai da te", comprende la raffigurazione grafica di un omino con un martello in mano che pronuncia la frase "Salve amico - vieni anche tu alla Brico!".
La Jumbo Sud S.A. (di seguito: Jumbo), con sede a Canobbio, è iscritta a registro di commercio dal 1985 e gestisce in Ticino tre centri commerciali, appartenenti alla catena Jumbo, diffusa in tutta la Svizzera. Dal 1997 essa ha inserito nella pubblicità e nelle insegne ticinesi la menzione "Brico & Hobby" accanto al logo "Jumbo"; nella svizzera romanda usa invece "Brico & Loisirs" e nella svizzera tedesca "Bau & Freizeit".
B.-
Ritenendo l'espressione utilizzata da Jumbo in Ticino in contrasto con le norme sulla protezione dei marchi e sulla concorrenza sleale, nonché con quelle sul diritto del nome, il 26 giugno 1997 la Brico ha convenuto la Jumbo e la Jumbo-Markt AG di Dietlikon direttamente dinanzi al Tribunale d'appello. L'attrice ha chiesto - previa l'adozione di misure cautelari - di ordinare alle convenute la cessazione, immediatamente e per il futuro, dell'uso in Ticino della parola "Brico" su tutto il loro materiale pubblicitario di propaganda, così come in ogni altro contesto. In prosieguo di causa le parti hanno deciso di rinunciare alla procedura provvisionale e di dimettere dalla lite la Jumbo-Markt AG.
Con sentenza del 21 luglio 1999 la II Camera civile del Tribunale d'appello del Cantone Ticino ha accolto la petizione.
C.-
Prevalendosi della violazione del diritto federale la Jumbo è insorta il 1o settembre 1999 dinanzi al Tribunale federale con un ricorso per riforma volto alla modifica del giudizio impugnato nel senso di respingere la petizione. Nella risposta del 25 ottobre 1999 la Brico propone la reiezione del gravame.
BGE 127 III 33 S. 35
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
Premesso che la registrazione di un marchio da parte dell'Ufficio federale della proprietà intellettuale non vincola il giudice civile, la Corte cantonale ha esaminato la tesi - addotta dalla convenuta - secondo la quale il termine "Brico" non potrebbe beneficiare della protezione quale marchio in quanto segno di dominio pubblico.
Dalla perizia giudiziaria è emerso che tale vocabolo, pur non figurando nei dizionari italiani, francesi e tedeschi come sinonimo di "bricolage", gode effettivamente di una certa diffusione nelle aree francofone come mozzatura di questa stessa parola, la quale in tempi recenti è divenuta sinonimo dei prodotti del genere "fai da te" e va pertanto considerata di dominio pubblico, siccome descrittiva di un determinato tipo di merce. In queste circostanze, non risultando la troncatura del termine francese particolarmente fantasiosa né originale - tant'è che il vocabolo da cui deriva è facilmente riconoscibile - l'autorità ticinese ha concluso di dover assimilare "Brico" a un segno di dominio pubblico, ciò che ne esclude, di principio, la protezione come marchio (
art. 2 lett. a LPM
; RS 232.11).
Considerato però che in Ticino il segno "Brico" viene ormai chiaramente identificato con la ditta attrice ed i suoi prodotti, la Corte cantonale ha deciso di garantirgli ugualmente protezione, a titolo eccezionale, in applicazione dell'art. 2 lett. a seconda frase LPM. Tale disposto - in vigore dal 1o aprile 1993 e applicabile alla fattispecie in rassegna in virtù dell'art. 76 cpv. 1 e cpv. 2 lett. b LPM - prevede infatti la possibilità di proteggere i segni di dominio pubblico qualora essi "si siano imposti come marchi per i prodotti o i servizi ai quali si riferiscono".
Dovendosi ammettere l'asserita violazione del diritto dei marchi, alla convenuta è stato dunque ordinato di cessare immediatamente e per il futuro l'utilizzo, in Ticino, della parola "Brico".
2.
Il ricorso per riforma verte esclusivamente sull'applicazione dell'eccezione contemplata dalla citata norma, segnatamente sulla decisione di proteggere il segno in questione, di dominio pubblico, nonostante esso si sia imposto solamente nel Cantone Ticino. A mente della convenuta non è infatti pensabile un marchio "locale", i cui effetti siano limitati a una sola regione: la facoltà di concedere - eccezionalmente - a un segno di dominio pubblico una protezione uguale a quella di un marchio registrato presuppone ch'esso si sia imposto in tutta la Svizzera.
BGE 127 III 33 S. 36
a) Modificando la sua precedente giurisprudenza (
DTF 55 I 262
;
DTF 81 I 298
), nella
DTF 99 Ib 10
il Tribunale federale ha stabilito il principio secondo il quale, per essere protetto, un marchio dev'essersi imposto sul territorio svizzero (fanno eccezione solo le indicazioni di provenienza geografiche straniere, cfr.
DTF 117 II 327
"Montparnasse").
Questa giurisprudenza - ripetutamente confermata (cfr.
DTF 120 II 144
consid. 3c pag. 151, con rinvii) - non risolve però il problema in esame, siccome riferita a fattispecie nell'ambito delle quali la diffusione del marchio, rispettivamente del segno di dominio pubblico, in Svizzera viene contrapposta a quella riscontrata all'estero. Il Tribunale federale non si è per contro ancora pronunciato sulla questione specifica dell'estensione geografica dell'uso del marchio entro i confini nazionali.
b) A sostegno della loro decisione di proteggere un segno di dominio pubblico che si è imposto solo a livello locale, i giudici ticinesi hanno citato MARBACH (Markenrecht, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, vol. III, Basilea 1996, pag. 56). In realtà questo autore non è così categorico come lascia intendere la sentenza impugnata. Pur ritenendo la diffusione locale sufficiente qualora anche l'uso del segno sia limitato alla stessa zona, egli ha infatti rilevato il conflitto esistente tra la necessità - di per sé non esclusa dall'
art. 2 lett. a LPM
- di proteggere anche i segni diffusi localmente o regionalmente e l'esigenza più generale di mantenerli liberi, a disposizione di tutti, visto che si sono affermati - appunto - soltanto in uno spazio limitato.
Pochi sono invero gli autori che hanno trattato la questione.
MATTER (Kommentar zum Bundesgesetz betreffend den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken, der Herkunftsbezeichnungen von Waren und der gewerblichen Auszeichnungen, Zurigo 1939, art. 3 a pag. 63) propone di distinguere a seconda della natura del segno di dominio pubblico: un segno comune o banale (primitive Marke) è suscettibile d'essere protetto non appena i consumatori finali ne riconoscono la forza distintiva per l'uso anche solo locale; un segno libero (Freizeichen) può venire protetto tosto che sia cessato l'uso comune e che un unico titolare lo usi da molto tempo; una designazione generica o descrittiva (Beschaffenheitsangabe) esige invece di essere riconosciuta come marchio individualizzante in tutto il paese o, comunque, nelle parti in cui viene usata. Anche JENE-BOLLAG (Die Schutzfähigkeit von Marke und Ausstattung unter dem Gesichtspunkt des Freihaltebedürfnisses, Basilea 1981, pag. 128-133)
BGE 127 III 33 S. 37
auspica soluzioni differenziate. Per quest'autrice il segno di dominio pubblico può, di principio, essere registrato se l'uso individualizzante si è imposto in tutte le regioni della Svizzera. Deroghe sono però possibili nei settori per i quali l'interesse al mantenimento della libertà del segno è esiguo. Infatti, se l'intensità di questo interesse è di regola uguale su tutto il territorio svizzero per i segni banali, per quelli verbali a contenuto informativo esso può risultare differenziato, a dipendenza della regione linguistica e dei singoli settori economici.
Di parere decisamente contrario è MÜLLER (Unterscheidungskraft, Freihaltebedürfnis, Verkehrsdurchsetzung in: Marke und Marketing, Berna 1990, pag. 210-212), il quale ammette l'esistenza di differenze regionali ma nega ch'esse possano venire considerate nell'ambito del diritto dei marchi, dato che la protezione del marchio registrato si estende su tutto il territorio svizzero.
A titolo comparativo si può infine osservare che in Germania la protezione del marchio presuppone la sua diffusione in tutto il paese (cfr. ad esempio STRÖBELE, in: Althammer/Ströbele/Klaka, Markengesetz, 5a ed., 1997, n. 144 zu § 8).
c)La possibilità di proteggere un segno di dominio pubblico che si è imposto solo a livello regionale non può dunque venir esclusa d'acchito.
A favore di questa tesi depone, in particolare, il fatto che, in caso contrario, alle imprese attive solo localmente verrebbe definitivamente preclusa la possibilità di vedere il loro marchio protetto, nonostante esso si sia chiaramente imposto nella regione in cui operano.
Altre considerazioni risultano tuttavia preponderanti. Ritenuto che la protezione di un marchio si estende per legge su tutto il territorio svizzero risulta difficile ammettere di sottrarre all'uso generale, a causa della sua diffusione in una sola località o regione linguistica, un segno di dominio pubblico che nelle altre non solo non ha assunto una specifica funzione descrittiva in relazione a un determinato prodotto ma addirittura, come nel caso in esame, appartiene al linguaggio corrente. Già si è detto, infatti, che presso i francofoni la parola "Brico" viene facilmente identificata come mozzatura di "bricolage", la quale è sinonimo delle attività "fai da te". Ora, la necessità di mantenere libero il termine citato per indicare questo tipo di attività prevale, manifestamente, su quello di registrarlo solo perché si è imposto in una regione linguistica. Ammettere la possibilità di proteggere un segno affermatosi in una certa località limitatamente
BGE 127 III 33 S. 38
alla stessa, soluzione cui tende la decisione impugnata nel suo dispositivo, risulterebbe inoltre in contrasto con lo spirito del diritto dei marchi, che mira - come detto - a garantire una protezione globale e assoluta dei marchi registrati in tutta la Svizzera: vedere il medesimo segno protetto in regioni diverse per prodotti magari diversi rischierebbe infatti di ingenerare un'eccessiva confusione nel consumatore.
d) Alla luce delle considerazioni che precedono e nell'interesse della chiarezza e della sicurezza giuridica, la decisione pronunciata in sede cantonale non può dunque essere condivisa.
Un segno di dominio pubblico può, eccezionalmente, beneficiare della protezione quale marchio solamente qualora esso si sia imposto in ogni regione linguistica come tale, per i prodotti o i servizi ai quali si riferisce, ciò che in concreto non si è verificato.
3.
La fattispecie necessita comunque di essere esaminata anche dal profilo della legge contro la concorrenza sleale non potendosi ritenere, a priori, che la mancata sanzione di un certo comportamento secondo il diritto dei marchi elimini in maniera assoluta la possibilità di vietarlo in applicazione di quello della concorrenza.
a) L'introduzione del nuovo diritto dei marchi ha invero spinto parte della dottrina a proporne l'applicazione esclusiva, atteso ch'esso fornisce una protezione globale del segno (cfr. DAVID, in: Markenschutzgesetz, Muster- und Modellgesetz, Basilea 1999, n. 3 pag. 10). Altri autori continuano invece a sostenere l'applicazione cumulativa delle due normative (MARBACH, op. cit., pag. 13 seg.; HILTI, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, vol. III, pag. 455 segg.; STREULI-YOUSSEF, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, vol. V/1, pag. 145 segg.). A ragione. Anche la giurisprudenza del Tribunale federale ammette infatti l'applicazione cumulativa delle due legislazioni in considerazione degli scopi, diversi, ch'esse si prefiggono: il diritto dei marchi mira a proteggere il segno che contraddistingue il prodotto (rispettivamente un servizio), di modo ch'esso risulta violato mediante la sua copia o imitazione; il diritto della concorrenza, invece, vuole garantire il funzionamento corretto della concorrenza fra le varie aziende presenti sul mercato, di modo ch'esso risulta violato qualora una di queste adotti un comportamento sleale (cfr.
DTF 117 II 199
consid. 2 pag. 200 segg.).
b) Orbene, secondo prassi costante non si può, attraverso le norme sulla concorrenza sleale (LCSl), proibire l'uso di un segno appartenente al dominio pubblico: ciascun concorrente deve avere infatti la possibilità
BGE 127 III 33 S. 39
di designare un prodotto servendosi di espressioni che ne indicano la natura o le proprietà, senza essere ostacolato dal marchio di un altro. In caso contrario diverrebbe possibile, per mezzo della legge sulla concorrenza sleale, accordare una protezione che la legge sui marchi rifiuta espressamente. Solo circostanze particolari possono fare apparire un'imitazione sleale: tale è il caso, ad esempio, se il consumatore viene indotto in errore, in modo evitabile, circa la provenienza del prodotto oppure viene sfruttata, in modo parassitario, la reputazione di cui gode il prodotto concorrente (
DTF 120 II 144
consid. 5b pag. 154 con rinvii).
c) Nel caso in esame l'uso - da parte della convenuta - del segno "Brico", non soggetto alla protezione della LPM, non viola dunque, di principio, nemmeno la LCSl. I giudici ticinesi lo hanno tuttavia vietato, verificandosi, a loro modo di vedere, una delle circostanze particolari appena esposte: con il suo comportamento la convenuta avrebbe infatti creato presso i consumatori un pericolo di confusione, accentuato dal fatto che le due ditte vendono merce dello stesso genere nella medesima regione.
aa)Il pericolo di confusione configura una questione di diritto che il Tribunale federale esamina liberamente, perlomeno quando - come nel caso in rassegna - si tratta di valutare l'impatto del comportamento litigioso sul grande pubblico; non invece quando il prodotto è destinato a una speciale fascia di persone, dotate di conoscenze specifiche in un determinato settore (
DTF 126 III 239
consid. 3a pag. 245 seg.).
bb) Contrariamente a quanto asseverato dai giudici cantonali, in concreto l'esistenza di un pericolo di confusione va negata. Le parti utilizzano infatti il segno "Brico" in maniera diversa, combinato con i rispettivi loghi e un'espressione specifica, così da permettere a un consumatore attento l'immediata differenziazione fra le due imprese. L'attrice non solo si propone con "Brico - Centro del fai da te", ove la lettera "c" del termine "Brico" avvolge graficamente la successiva "o", ma aggiunge anche la raffigurazione grafica di un omino con in mano un martello che pronuncia la frase "Salve amico - vieni anche tu alla Brico!". Dal canto suo la convenuta aggiunge la menzione "Brico & Hobby" al logo "Jumbo".
Dagli accertamenti eseguiti in sede cantonale non emerge inoltre alcun elemento concreto a sostegno di uno sfruttamento parassitario della reputazione dell'attrice.
Ne discende che anche su questo punto il giudizio impugnato risulta in contrasto con il diritto federale.
BGE 127 III 33 S. 40
4.
Lo stesso vale, infine, con riferimento alle considerazioni concernenti la violazione delle norme sulla protezione del nome, segnatamente dell'
art. 29 cpv. 2 CC
, che la Corte cantonale ha ammesso.
Giusta l'
art. 29 cpv. 2 CC
chi subisce pregiudizio per il fatto che un altro usurpa il suo nome può chiedere in giudizio la cessazione dell'usurpazione. Come rettamente osservato nella sentenza impugnata, una simile circostanza non si verifica solo quando qualcuno utilizzi per sé il nome di un altro, bensì anche quando si limiti a usarne la parte principale creando così un pericolo di confusione (
DTF 116 II 463
consid. 3b pag. 469). Ciò non vale, però, qualora - come nel caso in esame - venga ripreso un elemento costitutivo di un vocabolo che appartiene, linguisticamente, al dominio pubblico (BÜHLER, in: Basler Kommentar, n. 34 ad
art. 29 CC
;
DTF 90 II 315
consid. 3a pag. 319).
La nozione di pericolo di confusione corrisponde comunque a quella considerata nel diritto della concorrenza (DTF citato consid. 4c pag. 470). Atteso che nella fattispecie in esame tale pericolo è stato negato, l'attrice non può prevalersi dei disposti sulla protezione del nome per ottenere la cessazione dell'uso del termine "Brico" da parte della convenuta.
5.
Da tutto quanto esposto discende che la decisione emanata dalla Corte cantonale risulta in contrasto con il diritto federale in materia di protezione dei marchi, concorrenza sleale e protezione del nome.
Il ricorso per riforma deve pertanto essere accolto. Ciò comporta l'annullamento e la modifica della sentenza impugnata nel senso di respingere integralmente la petizione presentata dalla Brico S.A. il 26 giugno 1997.
Gli oneri processuali e le spese ripetibili seguono la soccombenza (art. 156 cpv. 1 e
art. 159 cpv. 1 e 2 OG
). | null | nan | it | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d138c80d-84d5-4d89-80bc-81b38c0bfd72 | Urteilskopf
105 V 21
6. Auszug aus dem Urteil vom 2. Februar 1979 i.S. Krissler gegen Ausgleichskasse des Kantons Aargau und Obergericht des Kantons Aargau | Regeste
Anspruchsbegründende Geburtsgebrechen.
In Art. 13 Abs. 2, Satz 1, IVG wird dem Bundesrat eine umfassende Kompetenz erteilt, aus der Gesamtheit der Geburtsgebrechen im medizinischen Sinne jene Gebrechen auszuwählen, für welche die Massnahmen nach
Art. 13 IVG
zu gewähren sind (Geburtsgebrechen im Rechtssinne des IVG).
Ziff. 404 GgV ist gesetzeskonform. | Erwägungen
ab Seite 21
BGE 105 V 21 S. 21
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
a) Nach
Art. 13 Abs. 1 IVG
haben minderjährige Versicherte Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen notwendigen Massnahmen. Als Geburtsgebrechen gelten solche, die bei vollendeter Geburt bestehen und in der Liste gemäss
Art. 2 GgV
(Verordnung über die Geburtsgebrechen) enthalten sind oder gemäss
Art. 3 Abs. 2 GgV
vom Eidgenössischen Departement des Innern neu als solche bezeichnet werden (vgl.
Art. 1 GgV
). Laut Ziffer 404 GgV (in der Fassung gemäss Novelle vom 29. November 1976, in Kraft seit 1. Januar 1977) geben kongenitale Hirnstörungen einen Anspruch auf die zur Behandlung notwendigen medizinischen Massnahmen, sofern sie mit bereits gestellter Diagnose als solche vor Vollendung des neunten Altersjahrs behandelt worden sind. Demgegenüber
BGE 105 V 21 S. 22
musste nach der bis 31. Dezember 1976 gültigen Fassung von Ziffer 404 GgV dieses Gebrechen bis zum vollendeten 8. Lebensjahr manifest geworden sein.
b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die Auffassung vertreten, die in Ziffer 404 GgV festgesetzte Altersgrenze widerspreche klarem Recht, da sie mit
Art. 13 Abs. 1 IVG
unvereinbar sei. Bei dieser Behauptung wird indes übersehen, dass in
Art. 13 Abs. 2 Satz 1 IVG
dem Bundesrat eine umfassende Kompetenz erteilt wurde, aus der Gesamtheit der Geburtsgebrechen im medizinischen Sinne jene Gebrechen auszuwählen, für welche die Massnahmen nach
Art. 13 IVG
zu gewähren sind (Geburtsgebrechen im Rechtssinne des IVG). Soweit die gesetzliche Delegationsnorm dem Bundesrat einen Spielraum des Ermessens lässt, hat sich der Richter, da er nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates treten lassen kann, auf die Prüfung zu beschränken, ob die Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der delegierten Kompetenz herausfallen (
BGE 88 I 308
, nicht veröffentlichtes Urteil i.S. Gelzer vom 4. August 1977). Der Bundesrat durfte daher sowohl die generelle Regel von
Art. 1 GgV
als auch die speziellen Voraussetzungen in einzelnen GgV-Ziffern aufstellen, wobei er auch Zwecke der Praktikabilität berücksichtigen konnte. Bei verschiedenen Geburtsgebrechen ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich der Frage, ob diese Gebrechen bei vollendeter Geburt bestanden (
Art. 1 GgV
) oder erst später eingetreten sind. Aus Gründen der praktikabilität wurde in Ziffer 404 GgV die Abgrenzung in der medizinisch begründeten Annahme gefunden, dass das Gebrechen vor Vollendung des 9. Altersjahres diagnostiziert und behandelt worden wäre, wenn es angeboren gewesen wäre. Eine solche Abgrenzung ist durchaus berechtigt. Es kann keine Rede davon sein, dass die Umschreibung in Ziffer 404 GgV den Rahmen der delegierten Kompetenz offensichtlich sprenge.
c) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird sodann eingewendet, dass eine Diagnose nicht von den Eltern gesteuert werden könne. Wenn Eltern von den Ärzten abgewiesen würden, weil diese die kongenitale Hirnstörung nicht rechtzeitig erkannt hätten, dürfe daraus nicht eine rechtserhebliche Tatsache abgeleitet werden. Allenfalls sei eine Expertise anzuordnen zur Frage, ob die Hirnstörungen nicht schon vor der Vollendung des 9. Altersjahres hätten diagnostiziert werden können und
BGE 105 V 21 S. 23
demzufolge schon vor diesem Zeitpunkt vorhanden gewesen seien.
Da es nach Ziffer 404 GgV jedoch einzig darauf ankommt, ob die Diagnose vor Vollendung des 9. Altersjahres "bereits gestellt" war, ist die Frage, ob sie hätte gestellt werden können, irrelevant. Es bedarf daher auch keiner weiteren Abklärung mehr. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d1415555-5c36-4b26-a540-f430e6b53e6c | Urteilskopf
140 III 561
82. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre Communauté des propriétaires d'étages de l'immeuble B. (recours en matière civile)
5A_44/2014 du 10 novembre 2014 | Regeste
Art. 209 Abs. 4 zweiter Satz ZPO; Frist zur Einreichung der Klage nach Erteilung der Klagebewilligung.
Mit den "weiteren besonderen gesetzlichen Klagefristen", welche in Art. 209 Abs. 4 zweiter Satz ZPO vorbehalten werden, sind Fristen prozessualer Natur gemeint (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 561
BGE 140 III 561 S. 561
A.
Par acte authentique instrumenté le 19 octobre 1972, A. a constitué la propriété par étages (PPE) "B."sur l'immeuble feuillet n° 8465 sis à X. Il est propriétaire d'une unité d'étage représentant 12/1000 de l'immeuble de base.
Le 3 mars 2011, lors de l'assemblée générale ordinaire, les propriétaires d'étages, tous présents ou représentés, ont rendu une décision modifiant l'attribution des places de parc. A. a voté contre cette décision.
B.
Le 1
er
avril 2011, A. a déposé une requête en conciliation auprès du juge de commune de X., concluant à l'annulation de la décision. La tentative de conciliation a échoué; une autorisation de procéder a été délivrée au demandeur le 11 mai 2011.
BGE 140 III 561 S. 562
Le 28 juillet 2011, A. a ouvert action contre la Communauté des propriétaires d'étages de l'immeuble "B." (ci-après: la Communauté).
Par jugement du 8 novembre 2012, la juge II du district de Sierre a admis la demande et annulé la décision litigieuse. Statuant le 26 novembre 2013 sur appel de la Communauté, le Tribunal cantonal du canton du Valais l'a admis, rejetant ainsi la demande déposée le 28 juillet 2011 par A.
C.
Saisi d'un recours en matière civile de A., le Tribunal fédéral a statué par arrêt du 10 novembre 2014.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Dans ses déterminations, l'intimée revient sur le délai dans lequel le recourant a porté son action devant le tribunal, après l'échec de la tentative de conciliation. Même si elle ne le mentionne pas expressément, elle entend ainsi soutenir, en invoquant l'
art. 209 al. 4 CPC
, que dite demande aurait été déposée tardivement et que le Tribunal cantonal n'aurait en conséquence pas dû entrer en matière.
2.1
La cour cantonale a retenu que, le 1
er
avril 2011, à savoir dans le délai péremptoire d'un mois posé par l'
art. 75 CC
(applicable par renvoi de l'
art. 712m al. 2 CC
), le recourant avait déposé une requête en conciliation auprès du juge de commune de X. Suite à l'échec de la conciliation, une autorisation de procéder lui avait été délivrée le 11 mai 2011, autorisation reproduisant le texte de l'
art. 209 al. 3 CPC
en vertu duquel "le demandeur est en droit de porter l'action devant le tribunal dans un délai de trois mois à compter de la délivrance de l'autorisation de procéder". Le recourant avait déposé sa demande dans ce délai ordinaire de 3 mois, soit le 28 juillet 2011. Le Tribunal cantonal a ensuite noté que la portée de l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC, qui prévoit une exception au respect du délai de 3 mois pour ouvrir action sur le fond en réservant les "autres délais d'action légaux ou judiciaires", faisait l'objet de controverses doctrinales et que son interprétation n'avait jamais donné lieu à un arrêt du Tribunal fédéral, à tout le moins publié. La juridiction cantonale en a conclu que le recourant, même assisté d'un homme de loi, pouvait de bonne foi partir du principe que s'appliquait non pas le délai d'un mois prévu par le droit matériel (
art. 75 CC
) sur renvoi de l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC, mais le délai de 3 mois prévu par l'
art. 209 al. 3 CPC
, dont la teneur avait été reproduite dans l'autorisation de
BGE 140 III 561 S. 563
procéder et correspondait à la règle générale. Protégé par le principe de la confiance, il avait ainsi agi en temps utile.
2.2
Lorsque la tentative de conciliation n'aboutit pas, l'autorité de conciliation consigne l'échec au procès-verbal et délivre l'autorisation de procéder (
art. 209 al. 1 CPC
). Le demandeur est alors en droit de porter l'action devant le tribunal dans un délai de trois mois à compter de la délivrance de cette autorisation (
art. 209 al. 3 CPC
). L'
art. 209 al. 4 CPC
prévoit toutefois que ce délai est de 30 jours dans les litiges relatifs aux baux à loyer ou à ferme d'habitations ou de locaux commerciaux et aux baux à ferme agricoles (1
re
phrase),
les autres délais d'action légaux ou judiciaires prévus dans les dispositions spéciales étant réservés
(seconde phrase).
2.2.1
Il convient d'abord de noter que la réserve concernant les autres délais "judiciaires" est dépourvue de toute portée, les Chambres fédérales ayant en effet finalement décidé que le préalable de conciliation n'avait pas lieu lorsque le délai pour le dépôt de la demande était fixé par le tribunal (
art. 198 let
. h CPC; BOHNET, in CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, n° 14 ad
art. 209 CPC
[ci-après:Commentaire]; SUTTER-SOMM, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2
e
éd. 2012, n. 971 [ci-après: Zivilprozessrecht]; STAEHELIN ET AL., Zivilprozessrecht, 2
e
éd. 2013, § 20 n. 34).
2.2.2
Quant aux délais d'actions légaux réservés par l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC, il s'agit de déterminer s'ils visent non seulement les délais d'action de nature procédurale (
prozessuale Prosequierungsfristen
), à savoir les délais dans lesquels les parties doivent accomplir leurs actes de procédure autres que l'acte d'ouverture d'action (HOHL, Procédure civile, Tome II, 2
e
éd. 2010, n. 772 [ci-après:Tome II]), mais aussi les délais de péremption fixés par le droit matériel (
Verwirkungsfrist
), tel le délai de l'action en annulation au sens de l'
art. 75 CC
.
2.2.2.1
Le Tribunal de céans n'a jamais encore été amené à trancher cette question et la doctrine est divisée sur ce point. Certains auteurs affirment, sans toutefois l'expliquer, que la réserve aménagée par l'
art. 209 al. 4 CPC
porte tant sur les délais d'action procéduraux du droit fédéral que sur les délais d'action de droit matériel (SUTTER-SOMM, Zivilprozessrecht, n. 971 ss;
le même
, Das Schlichtungsverfahren der ZPO: Ausgewählte Problempunkte, RSPC 2012 p. 69 ss, 79 ss; STAEHELIN ET AL., op. cit., § 20 n. 34; TREZZINI, in Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC] del
BGE 140 III 561 S. 564
19 dicembre 2008, 2011, p. 940; SCHMID, Praktische Fragen zum Schlichtungsverfahren, PCEF 2011/2012 p. 182 ss, 185). Pour d'autres auteurs, l'exception posée par l'
art. 209 al. 4 CPC
vise en revanche uniquement les délais d'action procéduraux du droit fédéral, à l'exclusion des délais d'action de droit matériel (après une longue analyse: SPAHR, Zur Gültigkeitsdauer der Klagebewilligung, RSJ 109/ 2013 p. 273 ss; BOHNET, L'action en annulation du droit de la société anonyme [...], in Quelques actions en annulation, 2007, n. 97;
le même
, Actions civiles, Conditions et conclusions, 2014, § 47 n. 7; HONEGGER, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung[ZPO], Sutter-Somm et al. [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 11 ad
art. 209 CPC
; plus réservés: ALVAREZ/PETER, in Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, vol. II, 2012, n° 11 ad
art. 209 CPC
; implicitement: EGLI, in Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunneret al. [éd.], 2011, n° 20 ad
art. 209 CPC
).
2.2.2.2
Les travaux législatifs ne permettent pas de dégager l'interprétation à donner à la réserve de l'
art. 209 al. 4 CPC
. Pour illustrer celle-ci, le Conseil fédéral citait l'action en libération de dette (
art. 83 al. 2 LP
), l'action en validation de mesures provisionnelles avant la litispendance (
art. 263 CPC
) et l'action en validation du séquestre (
art. 279 LP
; Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse [CPC], FF 2006 6841 ss, 6941). A l'exception de l'action en validation du séquestre, les deux autres exemples invoqués n'ont toutefois aucune portée dès lors que tant l'action en validation des mesures provisionnelles que celle en libération de dette ne sontpas soumises à la conciliation préalable et doivent ainsi être portées directement devant le tribunal (
art. 198 let. a et
art. 198 let
. e ch. 1 CPC; INFANGER, in Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2
e
éd. 2013, n° 24 ad
art. 209 CPC
; HONEGGER, op. cit., n° 11 ad
art. 209 CPC
; ALVAREZ/PETER, op. cit., n° 11 ad
art. 209 CPC
; TAPPY/NOVIER, La procédure de conciliation et la médiation dans le Code de procédure civile suisse [
art. 197-218 CPC
], in Il Codice didiritto processuale civile svizzero, 2011, p. 81 ss, 130). Il n'en demeure pas moins que les exemples donnés constituent tous des délais de procédure, l'absence de référence à des délais de droit matériel pouvant ainsi constituer un indice que le législateur entendait précisément les exclure (SPAHR, op. cit., p. 276).
L'adoption de l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC n'a par ailleurs fait l'objet d'aucune discussion devant les Chambres fédérales (cf. BO 2007 CE 523; BO 2008 CN 956 ss; BO 2008 CE 728).
BGE 140 III 561 S. 565
2.2.2.3
En 2009, saisi d'un recours déposé dans le cadre d'une action en annulation d'une décision d'une association (
art. 75 CC
), le Tribunal fédéral a été appelé à se prononcer sur l'interprétation à donner à l'
art. 153 CPC
/BE, dont l'al. 3 prévoyait un délai ordinaire de 6 mois pour introduire action en cas d'échec de la tentative de conciliation préalable, tandis que l'al. 4 faisait exception à cette règle en prévoyant que "dans les litiges qui ont pour objet des prétentions liées à un délai de péremption inférieur à 6 mois, le délai pour le dépôt du mémoire demande est réduit à la durée du délai de péremption" (
ATF 135 III 489
consid. 3). Remarquant que l'
art. 153 al. 4 CPC
/BE était d'une teneur "pratiquement identique" à celle de l'
art. 209 al. 4 CPC
non encore entré en vigueur (
ATF 135 III 489
consid. 6.2), le Tribunal de céans est parvenu à la conclusion, en se référant essentiellement aux termes clairs utilisés par la loi de procédure cantonale, que lorsque l'action doit s'exercer dans un délai péremptoire inférieur à 6 mois, il faut déposer la requête en conciliation dans ce délai
et
également agir en justice dans ce délai plus court à compter de la réception de l'autorisation d'introduire l'instance (
ATF 135 III 489
consid. 3.4).
Les termes de l'
art. 153 al. 4 CPC
/BE et de l'
art. 209 al. 4 CPC
ne sont toutefois pas les mêmes, de sorte que la référence à l'
ATF 135 III 489
ne permet pas d'interpréter la réserve posée par le droit de procédure civile fédéral à l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC (cf. ALVAREZ/PETER, op. cit., n° 11 ad
art. 209 CPC
, qui soulignent la différence des termes utilisés dans les versions cantonale et fédérale et HONEGGER, op. cit., n° 11 ad
art. 209 CPC
; d'un avis contraire: CARRON/REETZ, Le nouveau CPC en droit de la construction: quelques forages juridiques, in Journées suisses du droit de la construction, 2011, p. 83 ss, 97 s. qui interprètent l'
art. 209 al. 4 CPC
en se référant à l'ATF 135 précité).
2.2.2.4
L'exception réservée par l'art. 209 al. 4 seconde phrase CPC doit en réalité être interprétée en lien avec les
art. 62 ss CPC
. Le dépôt de la requête en conciliation, acte introductif d'instance, crée la litispendance (
art. 62 al. 1 CPC
; ce qui n'était pas le cas sous le régime du Code de procédure civile du canton de Berne, selon lequel la litispendance était créée par le dépôt de la demande [art. 160 al. 1CPC/BE]) et entraîne l'ouverture d'action du droit matériel (
art. 64 al. 2 CPC
; arrêt 4A_592/2013 du 4 mars 2014 consid. 3.2). Les délais de péremption et de prescription sont ainsi sauvegardés par le fait d'entamer un procès (arrêt 4A_592/2013 précité ibid.;HOHL,
BGE 140 III 561 S. 566
Tome II, n. 1135 ss; BOHNET, Commentaire, n° 11 ad
art. 64 CPC
; INFANGER, op. cit., n
os
34 ss ad
art. 64 CPC
; SUTTER-SOMM/HEDINGER, in Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm et al. [éd.], 2
e
éd. 2013, n° 17 ad
art. 64 CPC
; SPAHR, op. cit., p. 277), le respect du délai de péremption étant néanmoins soumis à la condition que le requérant ne laisse pas l'instance se périmer et la poursuive en déposant sa demande dans le délai fixé par l'
art. 209 al. 3 et 4 CPC
(HOHL, Tome II, n. 1138; TAPPY/NOVIER, op. cit., p. 95). Si tel n'est pas le cas, soit le délai de péremption n'est pas encore échu et rien n'empêchera le demandeur d'introduire une nouvelle instance - pour laquelle il faudra cependant le cas échéant une nouvelle procédure de conciliation -, soit ce délai est passé et le droit litigieux est alors définitivement perdu (TAPPY/NOVIER, ibid.; HOHL, Procédure civile, Tome I, 2
e
éd. 2001, n. 191 s.). Le délai prévu par l'
art. 209 al. 3 et 4 CPC
, dès lors qu'il est fixé au demandeur pour poursuivre l'instance introduite par sa requête en conciliation, constitue manifestement un délai de procédure régi par le CPC (HOHL, Tome II, n. 862; cf. également dans ce sens la position exprimée par le canton de Berne, in Classement des réponses à la procédure de consultation de l'Avant-projet relatif à une loi fédérale sur la procédure civile suisse [PCS], p. 526 s.; l'on ne décèle aucune volonté d'aller dans l'autre sens dans les autres observations); il démontre donc bien qu'une fois l'instance introduite, la litispendance créée et le délai d'action de droit matériel ainsi sauvegardé, c'est le droit procédural qui mène le procès (cf. SPAHR, op. cit., p. 277). Dans ces conditions, il faut donc en déduire que la réserve introduite par l'
art. 209 al. 4 CPC
ne peut renvoyer qu'à des délais procéduraux, et non à des délais de droit matériel fédéral.
2.3
Dès lors que l'
art. 75 CC
n'est pas visé par la réserve de l'
art. 209 al. 4 CPC
, il faut admettre que le recourant a agi dans les délais en saisissant le tribunal dans les trois mois suivant l'échec de la tentative de conciliation (
art. 209 al. 3 CPC
). | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d1460da4-8938-418f-82a7-a4c19a1e3ed6 | Urteilskopf
115 II 349
64. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. November 1989 i.S. Konkursmasse im Konkurs über den Nachlass des M. Karpf gegen Zürcher Kantonalbank (Berufung) | Regeste
Anfechtung eines Kollokationsplans. Umfang der Sicherung für verfallene Zinsen beim Schuldbrief (
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
). Einreden des Schuldners (
Art. 872 ZGB
).
1. Es ist zulässig, Schuldbriefe sicherheitshalber zu Eigentum zu übertragen und zu vereinbaren, dass diese bis zum Betrag des Schuldbriefkapitals sowie des laufenden und dreier verfallener Jahreszinsen beliebige Forderungen sicherstellen sollen. Sofern eine Schuld in der entsprechenden Höhe besteht, dienen die Schuldbriefe diesfalls der Sicherung dieses gesamten Betrages, selbst wenn die verfallenen Zinsen aus dieser Schuld bezahlt sind (E. 3 und 4a-c).
2. Der Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1989 über eine Pfandbelastungsgrenze für nichtlandwirtschaftliche Grundstücke hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit einer Sicherungsvereinbarung, welche vor seinem Inkrafttreten geschlossen wurde (E. 4d). | Sachverhalt
ab Seite 350
BGE 115 II 349 S. 350
A.-
a) Gemäss Vereinbarung vom 29. November 1984 erwarb die Zürcher Kantonalbank von M. Karpf vier Inhaberschuldbriefe über insgesamt 1,6 Millionen Franken, lastend im 1.-4. Rang auf der Liegenschaft Rossacher 8 in Zumikon nach Massgabe folgender Bestimmungen zu Eigentum:
"Die Parteien vereinbaren, dass die Bank die oben erwähnte(n) Schuldbriefforderung(en) nebst drei verfallenen Jahreszinsen und dem laufenden Zins zu je 7% im Jahr, wofür der Schuldner seine persönliche Schuldpflicht anerkennt, anstelle von Forderungen irgendwelcher Art gegenüber dem Schuldner aus bereits abgeschlossenen oder im Rahmen der Geschäftsbeziehungen künftig abzuschliessenden Vertrügen geltend machen kann.
Bei Schuldbrieferhöhungen gilt die Vereinbarung auch für die erweiterten Schuldbriefforderungen.
Die einer Geschäftsstelle der Bank geleisteten Sicherheiten haften auch für die Forderungen aller andern Geschäftsstellen. Die Bank bestimmt, auf welche von mehreren Forderungen der Pfanderlös anzurechnen ist. Wird bei Veräusserung des(der) Pfandgrundstücke(s) die gesicherte Schuld vom Erwerber übernommen, so ist die Bank berechtigt, diese Vereinbarung mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Schuldner zu übertragen.
BGE 115 II 349 S. 351
Sobald die Bank gegen den Schuldner keine Ansprüche mehr hat, ist sie verpflichtet, den/die obgenannten Schuldbrief(e) in das Eigentum des Schuldners zurückzuübertragen. Dies gilt nicht, wenn ein Bürge oder ein sonstiger Dritter (z.B. Zessionar, Drittpfandsteller) die Bank befriedigt; in diesem Falle ist die Bank zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt, den/die Schuldbrief(e) auf den Bürgen oder den sonstigen Dritten zu übertragen.
Im übrigen gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank, von denen der Schuldner ein Exemplar erhalten und in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen hat."
Am 10. Dezember 1984 gewährte die Zürcher Kantonalbank M. Karpf zur Ablösung der Schweizerischen Kreditanstalt Kredite über insgesamt 4,6 Millionen Franken. 1,2 Millionen Franken wurden als I. Hypothek und Fr. 800'000.-- als II. Hypothek auf der Liegenschaft Rossacher 8 in Zumikon zum Zinssatz von 5,5 bzw. 6% jährlich gewährt, sichergestellt durch die bereits erwähnten Inhaberschuldbriefe "gemäss separater Vereinbarung vom 30. November 1984" (gemeint: die wiedergegebene Vereinbarung vom 29. November 1984) sowie durch Grundpfandverschreibung im 5. Rang auf der nämlichen Liegenschaft über Fr. 500'000.--. Ein Kredit über 2,6 Millionen wurde M. Karpf in einem neuen Konto "Braunwald" eröffnet, sichergestellt durch eine Grundpfandverschreibung und durch sieben der Zürcher Kantonalbank verpfändete Inhaberschuldbriefe. Hiezu erklärte M. Karpf unterschriftlich sein Einverständnis.
b) Am 27. Juli 1986 verstarb M. Karpf. Sein Nachlass wird konkursamtlich liquidiert. Mit Eingabe vom 21. April 1987 meldete die Zürcher Kantonalbank dem mit der Durchführung der Liquidation betrauten Konkursamt Küsnacht ihre Forderungen und Kreditsicherheiten an, unter anderem die Forderungen aus den genannten, auf der Liegenschaft in Zumikon lastenden Inhaberschuldbriefen über 1,6 Millionen Franken samt drei verfallenen Jahreszinsen à 7%, laufendem Zins à 7% bis 1.4.1987 und weiterem Zins à 7% ab 1.4.1987. Ebenso wurden Fr. 108'163.75 als Restforderung aus diesem Hypothekardarlehen, berechnet per 1.4.1987, angemeldet mit Zins à 5 3/4% ab 1.4.1987. Diese Positionen wurden wie folgt erläutert: Man habe seinerzeit M. Karpf zwei Hypothekardarlehen über 2 Millionen Franken gewährt, welche per Datum der Konkurseröffnung zusammen mit Fr. 2'090'811.-- zu Buche stünden. Dieser Betrag werde durch die zur Sicherheit übereigneten vier Inhaberschuldbriefe samt Titelzinsen nicht vollständig gedeckt, weswegen die genannte Restforderung verbleibe.
BGE 115 II 349 S. 352
Die Konkursverwaltung nahm in das Lastenverzeichnis zwar das in den vier Inhabertiteln verbriefte Kapital von 1,6 Millionen Franken auf, aber lediglich mit den viel geringeren Zinsen, wie sie auf den beiden Hypothekardarlehen gemäss Vertrag vom 10. Dezember 1984 tatsächlich noch ausstehend waren, und auch das nicht bezogen auf das Darlehenskapital von 2 Millionen Franken, sondern nur auf das Kapital von 1,6 Millionen Franken gemäss Schuldbriefen.
In einem Schreiben an die Gläubiger wurde dieser Standpunkt wie folgt umschrieben: "Die Konkursverwaltung vertritt die Auffassung, dass die Bank aus diesen Schuldbriefen lediglich eine Zinsforderung in der Höhe des normal vereinbarten Zinsfusses ab 1. Juni 1986 bzw. 30. Juni 1986 (ab diesem Datum ist die Verzinsung durch den Gemeinschuldner ausstehend) bis zum Tage der Pfandverwertung beanspruchen kann. Eine Parteivereinbarung, womit der gemäss
Art. 818 ZGB
umschriebene Umfang des Pfandrechtes ausgedehnt wird (über die tatsächlich geschuldeten Zinsen hinaus), erachtet die Konkursverwaltung als unmöglich."
B.-
Gegen die abweisende Verfügung der Konkursverwaltung erhob die Zürcher Kantonalbank beim Einzelrichter im beschleunigten Verfahren des Bezirkes Meilen innert Frist Kollokationsklage. Der Einzelrichter hat die Klage mit Urteil vom 28. Juli 1988 gutgeheissen. Das Obergericht des Kantons Zürich hat die von der beklagten Konkursmasse gegen dieses Urteil erhobene Berufung am 3. Februar 1989 abgewiesen und den erstinstanzlichen Entscheid bestätigt.
C.-
Die Beklagte ficht das Urteil des Obergerichts mit Berufung beim Bundesgericht an. Sie beantragt die Abweisung der Klage oder - eventuell - die Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Berufung verzichtet. Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des angefochtenen Entscheids.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Es ist unbestritten, dass aufgrund der Vereinbarung zwischen der Klägerin und M. Karpf vom 29. November 1984 das Eigentum an den dort aufgeführten vier Inhaberschuldbriefen im Gesamtbetrag von 1,6 Millionen Franken sicherungshalber auf die
BGE 115 II 349 S. 353
Klägerin übergegangen und dass diese damit Gläubigerin der Schuldbriefforderungen geworden ist. Die Sicherungsübereignung der vier Schuldbriefe sollte nach der erwähnten Vereinbarung der Sicherung von Forderungen irgendwelcher Art gegenüber M. Karpf aus bereits abgeschlossenen oder im Rahmen der Geschäftsbeziehungen künftig abzuschliessenden Verträgen dienen. Die Klägerin machte im Konkurs über den Nachlass ihres Schuldners die ihr aus der Sicherungsübereignung der Schuldbriefe zustehenden Rechte hinsichtlich der beiden, M. Karpf gewährten Darlehen von Fr. 1'200'000.-- und Fr. 800'000.-- geltend, die in der Kreditbestätigung der Klägerin an M. Karpf vom 10. Dezember 1984 als I. und II. Hypothek auf der Liegenschaft Rossacher 8 in Zumikon bezeichnet wurden. Unbestritten ist ebenfalls, dass die Forderung, die der Klägerin aus der Gewährung dieser beiden Darlehen zusteht, gesamthaft höher ist als jene, die sie aufgrund der ihr sicherungshalber übereigneten vier Schuldbriefe angemeldet hat. Es geht im vorliegenden Fall somit nicht darum, dass die Klägerin aus dem Sicherungsverhältnis rein betragsmässig mehr fordern wollte, als ihr aus dem Grundverhältnis, d.h. der Darlehensgewährung, zusteht. Umstritten ist hingegen, ob die Klägerin ausser den Schuldbriefforderungen im Gesamtbetrag von 1,6 Millionen Franken auch die von M. Karpf in der Sicherungsvereinbarung zusätzlich anerkannten drei verfallenen Jahreszinsen und den laufenden Zins von je 7% pro Jahr auf dem Schuldbriefkapital geltend machen kann, obwohl der im Grundverhältnis noch offene Darlehenszins erheblich geringer ist; M. Karpf hatte die Darlehenszinsen bis auf den letzten Halbjahreszins und den laufenden Zins bezahlt. Es fragt sich mit andern Worten, ob der sich aus den sicherungshalber übertragenen Schuldbriefen ergebende Zins auch zur Deckung einer Kapitalforderung aus dem Grundverhältnis beansprucht werden kann. Die Beklagte ist im Unterschied zur Klägerin und zu den kantonalen Instanzen der Auffassung, dass die Geltendmachung der sicherungshalber anerkannten Zinsen aus den Schuldbriefen gegen obligationenrechtliche und sachenrechtliche Regeln verstosse, soweit die Schuldbriefzinsen die effektiven Zinsschulden aus dem Grundverhältnis überstiegen.
3.
Es trifft zu, dass die auf den Schuldbriefforderungen geschuldeten Zinsen, wie in der Berufung ausgeführt wird, nicht in den Titeln selber verbrieft sind. In den Schuldbriefen sind nur die Zinspflicht als solche entsprechend "den mit dem Gläubiger
BGE 115 II 349 S. 354
vereinbarten Bestimmungen" und der Maximalzinsfuss, der 8% beträgt, geregelt. Zinscoupons fehlen. Damit sind die Schuldbriefzinsen im Unterschied zum Schuldbriefkapital nicht wertpapierrechtlich verurkundet. Sie beruhen vielmehr auf einer separaten Parteiabrede, nämlich der Sicherungsvereinbarung vom 29. November 1984 zwischen der Klägerin und M. Karpf, wo dieser eine Zinsschuld im Umfang von drei verfallenen Jahreszinsen und dem laufenden Zins zu je 7% anerkannt hat. In der Berufung wird daraus abgeleitet, die Forderung auf Schuldbriefzinsen sei anders als die in den Titeln verbriefte Kapitalforderung nicht materiell abstrakt, sondern von einem Grundverhältnis abhängig. Die Zinsen dürften deshalb nicht gleich behandelt werden wie diese Kapitalforderung.
In der Berufungsantwort wird mit Recht darauf hingewiesen, dass auch die Schuldbriefforderungen als solche nicht in dem Sinne abstrakter Natur sind, dass sie von einem sie begründenden Schuldverhältnis völlig unabhängig wären. Die Beklagte geht in Übereinstimmung mit der Vorinstanz selber zutreffend davon aus, die Klägerin sei bezüglich der von ihr sicherungshalber erworbenen Titel als erste Nehmerin zu betrachten, weshalb die dem Schuldner persönlich gegenüber der Gläubigerin zustehenden Einreden gemäss
Art. 872 ZGB
im Kollokationsverfahren erhoben werden könnten. Auch im Zusammenhang mit den Schuldbriefforderungen kann daher unbestrittenermassen auf die Sicherungsvereinbarung zwischen der Klägerin und M. Karpf zurückgegriffen und es können alle Einreden aus diesem Grundverhältnis erhoben werden. Ein Unterschied zu den Schuldbriefzinsen besteht nur insofern, als sich die Schuldpflicht für das Schuldbriefkapital direkt aus den Schuldbriefen ergibt, währenddem die Schuldbriefzinsen zur Hauptsache auf der Sicherungsvereinbarung zwischen der Klägerin und M. Karpf beruhen, wo der Zinssatz auf 7% festgelegt und die Verzinsung in zeitlicher Hinsicht näher umschrieben wird.
In der Berufung wird nun die Auffassung vertreten, dass M. Karpf sich in der Sicherungsvereinbarung nicht etwa zur Verzinsung der Schuldbriefforderungen verpflichtet, sondern lediglich eine persönliche Schuldpflicht im Umfange dreier verfallener Jahreszinsen und des laufenden Zinses, berechnet zu 7% auf einem Kapital von 1,6 Millionen Franken, als Kapitalschuld anerkannt habe. Hiefür spreche neben dem Wortlaut der Vereinbarung der Umstand, dass im Zeitpunkt des Abschlusses der Sicherungsvereinbarung keine Zinsen aus den auf die Klägerin übertragenen
BGE 115 II 349 S. 355
Schuldbriefen offen gewesen seien (was von der Klägerin allerdings bestritten wird); einer der Schuldbriefe sei im übrigen damals erst etwas mehr als ein Jahr alt gewesen, weshalb noch gar nicht drei Jahreszinsen hätten verfallen sein können. In der von M. Karpf hinsichtlich der Schuldbriefzinsen anerkannten Schuld sei somit ein Schuldbekenntnis ohne Angabe des Verpflichtungsgrundes im Sinne von
Art. 17 OR
zu erblicken; die Worte "Jahreszinsen" bzw. "laufender Zins" hätten nicht die Bedeutung der Angabe des Verpflichtungsgrundes, sondern sie dienten vielmehr nur der umfangmässigen Festlegung des Schuldbetrages.
Es bereitet in der Tat Mühe, in der Anerkennung der Schuldbriefzinsen durch M. Karpf eine eigentliche Verpflichtung zur Bezahlung von Zinsen zu erblicken. Unter Zins wird gemeinhin die Vergütung verstanden, "welche ein Gläubiger zu fordern hat für die Entbehrung einer ihm geschuldeten Geldsumme, sofern diese Vergütung sich nach der Höhe der geschuldeten Summe und der Dauer der Schuld bestimmt" (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweiz. OR, Zürich 1974, S. 68;
BGE 52 II 233
E. 3). Eine Zinsschuld liegt somit nur vor, wenn nicht nur eine Geldschuld vorhanden ist, sondern auch die Zeitdauer feststeht, während welcher der Gläubiger das Kapital entbehrt und entsprechend der sich die Vergütung berechnet. Nach dem Wortlaut der Sicherungsvereinbarung kann die Klägerin drei verfallene Jahreszinsen auf den Schuldbriefforderungen und den laufenden Zins auch für Forderungen geltend machen, die ihren Grund nicht in der Vorenthaltung von Kapital haben und die nicht in der entsprechenden Zeitspanne entstanden sind. Im Sinne des Sicherungszwecks der betreffenden Vereinbarung geht es vielmehr darum, den in den Schuldbriefen verurkundeten Kapitalbetrag, der anstelle irgendwelcher Forderungen gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden kann, um den Betrag dreier verfallener Jahreszinsen zu 7% sowie des laufenden Zinses zu erhöhen. Die Bezeichnung "Zins" dient damit im Grunde genommen, wie die Beklagte zutreffend geltend macht, nur der umfangmässigen Bestimmung des zum Zwecke der Sicherung insgesamt einsetzbaren Kapitalbetrages.
Daraus ergibt sich jedoch nicht zwingend die in der Berufung aus der Verneinung des Zinscharakters gezogene Konsequenz, nämlich dass die in der Sicherungsvereinbarung anerkannte Schuld hinsichtlich der Schuldbriefzinsen nur in dem Umfange Bestand haben könne, als im Grundverhältnis tatsächlich eine Zinsschuld bestehe. Nach
Art. 18 Abs. 1 OR
ist bei der Beurteilung eines Vertrages
BGE 115 II 349 S. 356
vielmehr der übereinstimmende wirkliche Wille zu beachten und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise. Die unzutreffende Verwendung der Bezeichnung "Zins" in der Sicherungsvereinbarung schadet der Klägerin daher nicht, sofern der Wille der Parteien nicht darauf gerichtet war, eine eigentliche Zinsabrede zu treffen, sondern nur den Umfang des als Sicherheit dienenden Gesamtbetrages festzulegen. Davon kann aufgrund des Sicherungszweckes, der mit der betreffenden Vereinbarung verfolgt wurde, ausgegangen werden. Die zur Sicherung der Forderungen aus dem Grundverhältnis dienenden Schuldbriefforderungen sollten offensichtlich um die im Rahmen von
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
pfandberechtigten Zinsforderungen erhöht werden. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass M. Karpf diese Ausdehnung des Umfanges der Sicherung durch die an die Klägerin übergebenen Schuldbriefe nicht hätte erkennen können.
Eine andere Frage ist hingegen, ob eine solche Ausdehnung des Sicherungsumfanges auch mit den Bestimmungen des Sachenrechts vereinbar ist und zu einer entsprechenden Erweiterung des Umfanges der Pfandsicherung führen kann.
4.
In der Berufung wird geltend gemacht, die in
Art. 818 Abs. 1 ZGB
vorgesehene Ausdehnung der Pfandsicherung über die Kapitalforderung hinaus habe insofern zwingenden Charakter, als sie nicht durch Parteivereinbarung auf andere Sachverhalte erstreckt werden könne. Eine solche über das Gesetz hinausgehende Erweiterung der Pfandsicherung lasse sich aber nur vermeiden, wenn das gesetzliche Pfandrecht einzig für solche Forderungen vorbehalten bleibe, die den in
Art. 818 Abs. 1 ZGB
erwähnten Anspruchstypen von ihrer Entstehung her entsprächen. Das in
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
vorgesehene Zinsenpfandrecht könne daher nur für tatsächlich als Zinsen entstandene Forderungen in Anspruch genommen werden. Bloss sicherungshalber begründete Forderungen wie die hier in Betracht fallenden Schuldbriefforderungen seien nicht zinstragend, da ihnen keine vom Schuldner abzugeltende Kapitalüberlassung zugrunde liege. Zinstragend seien allein die aufgrund der Sicherungsvereinbarung gesicherten Forderungen - hier also die als Hypotheken bezeichneten Darlehen -, für die M. Karpf aber die Zinsen bis auf den letzten Halbjahreszins und den laufenden Zins bezahlt habe. Nur im Umfang der aus dem Grundverhältnis noch offenen Zinsschuld könne daher das gesetzliche Pfandprivileg des
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
in Anspruch genommen werden.
BGE 115 II 349 S. 357
Es ist der Beklagten zuzugestehen, dass es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Schuldbriefzinsen aus den bereits dargelegten Gründen materiell nicht um echte Zinsforderungen handelt, sondern dass diese lediglich in abstrakter Weise wie Zinsen berechnet werden. Echte Zinsen können nur im Grundverhältnis zwischen den Beteiligten entstehen. Es fragt sich, ob dieser Umstand dazu führen muss, dass solche "Zinsen" der Pfandsicherung gemäss
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
nicht teilhaftig werden können.
a) Die Vorinstanz und die Klägerin haben mit Recht darauf hingewiesen, dass das Bundesgericht bei der Verpfändung von Eigentümergrundpfandtiteln eine Erstreckung der Pfandsicherung auf Zinsen, denen keine echte Zinsschuld zugrunde lag, stets zugelassen hat. Es ist in diesem Zusammenhang insbesondere auf
BGE 44 II 252
ff. zu verweisen, wo diese Praxis näher begründet wurde. In
BGE 51 II 152
ff. ist der zitierte Entscheid nicht nur vollumfänglich bestätigt, sondern es ist darin ausdrücklich als zulässig bezeichnet worden, dass Schuldbriefzinsen nicht nur zur Sicherung einer Darlehenszinsforderung, sondern auch zur Befriedigung für eine Kapitalforderung aus Darlehen dienen können (a.a.O., S. 154). Auf diese alte Rechtsprechung ist auch in neueren Entscheiden ohne Vorbehalt immer wieder verwiesen worden (
BGE 104 III 35
f.,
BGE 102 III 93
E. 3a). Entgegen den Ausführungen in der Berufung kann die Vergleichbarkeit dieser Tatbestände mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht verneint werden. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob bei der Behandlung von Schuldbriefzinsen in der Zwangsvollstreckung etwas darauf ankommen kann, dass den geltend gemachten Zinsen keine echten Zinsforderungen zugrunde liegen. Die Unterschiede zwischen der Faustpfandverwertung von Schuldbriefen und der Grundpfandverwertung rechtfertigen eine unterschiedliche Beurteilung dieser Frage entgegen der Auffassung der Beklagten nicht.
In der Berufung wird an der zitierten Rechtsprechung betreffend die Behandlung der Zinsen bei der Verpfändung von Eigentümerschuldbriefen beanstandet, sie habe nur den Gesichtspunkt des Schutzes der nachfolgenden Grundpfandgläubiger berücksichtigt. Weder das Bundesgericht noch einer der ihm seither kritiklos folgenden Autoren habe sich aber je die Frage gestellt, ob diese Praxis auch mit dem Prinzip der öffentlichen Beurkundung von Pfandbestellungsverträgen und dem Eintragungsprinzip vereinbar sei. Ein öffentlich beurkundeter Pfandvertrag gemäss
Art. 799
BGE 115 II 349 S. 358
Abs. 2 ZGB
ist indessen für die Errichtung eines Schuldbriefes nicht immer erforderlich. Der Grundeigentümer kann einen Eigentümer- oder Inhaberschuldbrief durch einfache schriftliche Anmeldung beim Grundbuchamt zur Entstehung bringen (Art. 20 Grundbuchverordnung;
BGE 71 II 265
E. 2). Im übrigen ist nicht einzusehen, weshalb die hier zu beurteilende Frage massgebend vom Prinzip der öffentlichen Beurkundung und vom Eintragungsprinzip beherrscht werden soll. Die in
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
geregelte Pfandsicherung für Zinsen stellt, wovon auch die Beklagte ausgeht, ein gesetzliches Pfandrecht dar. Entscheidend ist nun, wie dieses Zinsenpfandrecht zu verstehen und auszulegen ist. Wenn es sich mit dem Sinn des Gesetzes vereinbaren lässt, dass auch Schuldbriefzinsen darunter fallen, denen materiell keine Zinsforderung im üblichen Sinne zugrunde liegt, kann einer solchen Auffassung das Beurkundungs- und Eintragungsprinzip nicht entgegengehalten werden.
b) In der Berufung wird ferner vorgebracht, die Auffassung der Vorinstanz lasse sich mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu
Art. 818 Abs. 2 ZGB
nicht in Einklang bringen. In
BGE 101 III 75
habe das Bundesgericht eine auf einer gültigen Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner beruhende echte Zinsforderung von 5,5% nicht in vollem Umfang zur Grundpfanddeckung zugelassen, obwohl der dergestalt berechnete Zinsbetrag absolut kleiner gewesen sei als das maximal zulässige Zinsenpfandrecht von 5% berechnet für drei verfallene Jahreszinsen und den laufenden Zins. Damit habe das Bundesgericht dem
Art. 818 ZGB
eine über den blossen Schutz der nachfolgenden Grundpfandgläubiger hinausgehende Tragweite zugemessen; es habe die Zinsberechnung zu einem höheren Zinssatz als dem eingetragenen Maximalzinsfuss deshalb nicht zugelassen, weil es an der Pfandsicherung fehle.
Eine derart weitreichende Bedeutung kann indessen dem von der Beklagten angeführten Bundesgerichtsentscheid nicht beigemessen werden. Aus dessen - übrigens äusserst knappen - Begründung geht nicht hervor, dass die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer bei ihrem Urteil einem andern Gesichtspunkt als jenem des Schutzes nachgehender Grundpfandgläubiger Rechnung tragen wollte. Nur diesem Schutz dient denn auch, wie sich aus dem Gesetzeswortlaut klar ergibt, die Regelung in
Art. 818 Abs. 2 ZGB
. In
BGE 101 III 75
wurde von zwei theoretisch an sich denkbaren Berechnungsarten der pfandgesicherten drei verfallenen Jahreszinsen jener der Vorzug gegeben, die für die nachstehenden
BGE 115 II 349 S. 359
Grundpfandgläubiger günstiger war. Aus der Begründung ergibt sich, dass das Bundesgericht den im Gesetz vorgesehenen Zinssatz von 5% als eine Schranke betrachtete, die ohne Zustimmung der nachfolgenden Grundpfandgläubiger keinesfalls überschritten werden darf, sofern nicht von Anfang an ein höherer Zins vereinbart worden ist. Eine darüber hinausgehende Folgerung kann aus diesem Entscheid nicht abgeleitet werden.
c) Schliesslich macht die Beklagte noch geltend, dass die Auffassung der Vorinstanz darauf hinausliefe, eine beim Schuldbrief nicht mögliche Maximalhypothek einzuführen, welche für einen wesentlichen Teil des grundpfandgesicherten Betrages weder der öffentlichen Beurkundung noch der Eintragung im Grundbuch bedürfte; durch einfache Abrede könnte nämlich die Pfandhaft des Grundstücks um maximal den vierfachen Betrag des Jahreszinses, berechnet zum Maximalzinsfuss, erweitert werden, und zwar unabhängig von dem für die Kapitalüberlassung effektiv vereinbarten Darlehenszins.
Unter einer Maximalhypothek wird ein Pfandrecht verstanden, bei dem im Sinne von
Art. 794 Abs. 2 ZGB
ein Höchstbetrag angegeben wird, bis zu dem das Grundstück für alle Ansprüche des Gläubigers haftet; eine Erstreckung der Pfandhaft auf Zinsen im Sinne von
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
ist damit ausgeschlossen (
BGE 75 I 339
f.). Wenn es bei der Sicherungsübereignung von Schuldbriefen zulässig ist, im Rahmen von
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
Schuldbriefzinsen geltend zu machen, denen keine echte Zinsforderung zugrunde liegt, nähert sich das Schuldbriefpfandrecht in der Tat der Rechtsfigur der Maximalhypothek in dem Sinne an, dass die Schuldbriefzinsen im Grunde genommen der Erhöhung des pfandversicherten Kapitalbetrages dienen. Es liegt nahe, in einem solchen Fall von einer Maximalhypothek im Kleide einer Kapitalhypothek zu sprechen. Ein Nachteil für die andern Grundpfandgläubiger ergibt sich jedoch daraus nicht, da diese ohnehin davon ausgehen müssen, dass
Art. 818 Abs. 1 ZGB
in solchen Fällen zur Anwendung gelangt. Dass es sich bei den Schuldbriefzinsen nicht um Zinsen im üblichen Sinne handelt, betrifft allein das Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger, nicht aber die übrigen Gläubiger. Der Schuldner hat diese Form der Zinsberechnung, die einer Erhöhung des Schuldbriefkapitals gleichkommt, in der Sicherungsvereinbarung jedoch selber akzeptiert. Ob im übrigen der Grundsatz der Beurkundungspflicht und der Grundbucheintragung verletzt sei, wie in der
BGE 115 II 349 S. 360
Berufung vorgebracht wird, hängt davon ab, wie
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
auszulegen ist. Da unter Zinsen im Sinne dieser Bestimmung - wie dargelegt - auch solche verstanden werden dürfen, die es nur rechnungsmässig, nicht aber materiell sind, kann von einer Verletzung der Beurkundungs- und Eintragungspflicht nicht gesprochen werden. Das gleiche gilt in bezug auf die Frage, ob die Zuerkennung der Pfandsicherung für solche Zinsen gegen den Grundsatz des numerus clausus verstosse, der die sachenrechtlichen Einrichtungen beherrscht.
d) Im Parteivortrag hat die Beklagte schliesslich noch darauf hingewiesen, dass die Auffassung der Vorinstanz dem Bundesbeschluss vom 6. Oktober 1989 über eine Pfandbelastungsgrenze für nichtlandwirtschaftliche Grundstücke (AS 1989, S. 1978 ff.) zuwiderlaufe. Dieser dringliche Bundesbeschluss sieht vor, dass nichtlandwirtschaftliche Grundstücke während der ersten fünf Jahre seit dem letzten Eigentumserwerb nicht über vier Fünftel des Verkehrswertes mit Pfandrechten dinglich belastet werden dürfen. Die Beklagte macht geltend, dass die Haftung des Grundstückes nach
Art. 818 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB
auch für eine Kapitalschuld beansprucht werden könne, führe bei einem Zinssatz von gegen 7% dazu, dass auch während der ersten fünf Jahre der ganze Verkehrswert grundpfandrechtlich in Anspruch genommen werden könne. Es ist nicht zu verkennen, dass das diesem Fall zugrunde liegende Sicherungskonzept zu gewissen Schwierigkeiten bei der Durchführung des genannten Bundesbeschlusses Anlass geben kann. Das kann aber nicht dazu führen, die Zulässigkeit dieses Sicherungskonzepts als solchen zu verneinen. Die im vorliegenden Rechtsstreit zu beurteilenden Schuldbriefe wurden im übrigen vor dem Inkrafttreten des genannten Bundesbeschlusses errichtet. Dieser bestimmt in Art. 1 Abs. 1 ausdrücklich, dass bereits eingetragene Pfandrechte in ihrem Bestand nicht berührt werden. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d148f01a-fdfa-4a95-b5da-da355e53672c | Urteilskopf
116 II 515
94. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juli 1990 i.S. H. gegen C. und Obergericht des Kantons Nidwalden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 329d Abs. 1 und Abs. 2 OR
; Ferienentschädigung, Abgeltungsverbot, willkürliche Rechtsanwendung.
Eine Vereinbarung über den Einschluss der Ferienentschädigung im Arbeitslohn ist nur dann gültig, wenn der Anteil der Entschädigung prozentual oder ziffernmässig festgesetzt wird. Ein Entscheid, der diesen unumstrittenen Rechtsgrundsatz eindeutig verletzt, ist willkürlich. | Erwägungen
ab Seite 516
BGE 116 II 515 S. 516
Aus den Erwägungen:
1.
Aufgrund eines mündlich geschlossenen Vertrages arbeitete H. seit 1. März 1985 bei C. als Brandschutz-Monteur. Nachdem das Arbeitsverhältnis im Juni 1987 wegen Meinungsverschiedenheiten aufgelöst worden war, reichte H. im September des gleichen Jahres beim Kantonsgericht Nidwalden Klage ein. Er verlangte damit anfänglich die Zahlung von Fr. 12'420.80, schränkte die Klage im Laufe des Verfahrens aber dahingehend ein, dass er nur noch die Zahlung von Fr. 5'992.90 für nicht ausgerichteten Ferienlohn beantragte.
Das Kantonsgericht sprach H. am 15. Februar 1989 Fr. 5'447.60 nebst 5% Zins seit 23. Juni 1987 zu. C. appellierte an das Obergericht des Kantons Nidwalden, welches die Klage mit Urteil vom 29. März 1990 abwies.
H. hat gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
eingereicht. Er beantragt, diesen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Gutheissung der Klage im Betrag von Fr. 5'447.60 nebst 5% Zins seit 23. Juni 1987 sowie zur Zusprechung einer Parteientschädigung an das Obergericht zurückzuweisen. Das Obergericht und der Beschwerdegegner schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
2.
Soweit mit der Beschwerde mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides beantragt wird, ist darauf wegen ihrer rein kassatorischen Funktion nicht einzutreten (
BGE 114 Ia 212
E. 1b mit Hinweisen).
3.
Das Obergericht schloss aus den Zeugenaussagen von vier ehemaligen und gegenwärtigen Arbeitnehmern des Beschwerdegegners, dass dieser mit dem Beschwerdeführer vereinbart habe, der Ferienlohn sei im vereinbarten Stundenlohn eingeschlossen. Da nach seiner Ansicht eine solche Vereinbarung gültig ist, wies es die Klage ab.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht willkürliche Rechtsanwendung vor, weil sein Entscheid der Praxis anderer kantonaler Gerichte und des Bundesgerichts klar widerspreche. Nach deren Rechtsprechung sei eine Vereinbarung über den Einschluss des Ferienlohnes im Arbeitslohn nur dann gültig, wenn der Ferienzuschlag beziffert werde und sowohl aus dem Arbeitsvertrag wie den periodischen Lohnabrechnungen eindeutig ersichtlich sei. Der Beschwerdeführer rügt zudem, der angefochtene Entscheid beruhe auf willkürlicher Beweiswürdigung.
BGE 116 II 515 S. 517
4.
Gemäss
Art. 329d OR
hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Ferien den gesamten darauf entfallenden Lohn und eine angemessene Entschädigung für ausfallenden Naturallohn zu entrichten (Abs. 1). Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden (Abs. 2). Das Abgeltungsverbot gehört zu den absolut zwingenden, die Bestimmung über den Ferienlohn zu den relativ zwingenden Vorschriften des Arbeitsvertragsrechts (
Art. 361 und 362 OR
).
a) Bei der Durchsetzung des Abgeltungsverbots ergeben sich in bestimmten Fällen - insbesondere bei unregelmässiger Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten - Schwierigkeiten, welche die Gerichte verschiedener Kantone veranlasst haben, Abreden der Parteien über die Abgeltung der Ferien durch Geldleistungen ausnahmsweise als gültig zu betrachten. Voraussetzung ist aber, dass sowohl aus dem Vertrag wie aus den periodischen Lohnabrechnungen klar hervorgeht, welcher Teil des Lohnbetrages zur Abgeltung des Ferienanspruchs bestimmt ist. Die blosse Vereinbarung, der Ferienlohn sei im vereinbarten Arbeitslohn inbegriffen, genügt nicht (SJZ 85/1989, S. 321 f.; JAR 1989 S. 181 f., 1987 S. 186). Das Bundesgericht hat sich dieser Praxis schon in
BGE 107 II 434
- allerdings in einem obiter dictum - und später insbesondere in dem vom Beschwerdeführer erwähnten nicht publizierten Urteil vom 3. April 1989 angeschlossen. Die gleiche Auffassung wird auch in der Lehre vertreten (REHBINDER, N. 15 zu
Art. 329d OR
; STAEHELIN, N. 15 zu
Art. 329d OR
; BRÜHWILER, N. 4 zu
Art. 329d OR
; STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4. Aufl., N. 7 zu
Art. 329a OR
). Sie ist überdies in der Botschaft des Bundesrates zur Revision von 1984 gebilligt worden (BBl 1982 III 234).
b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn unbestritten oder bewiesen ist, dass der Arbeitnehmer die ihm zustehenden Ferien tatsächlich bezogen hat. Da das Abgeltungsverbot in solchen Fällen keine Rolle spielt, wird das Spezifikationserfordernis damit begründet, der Arbeitnehmer könne aufgrund einer unklaren Vertragsklausel in den falschen Glauben versetzt werden, mit dem vereinbarten Lohn werde er bloss für die Arbeitsleistung, nicht aber für den Anspruch auf Ferienlohn entschädigt, womit die Gefahr eines vorzeitigen Verbrauchs des Feriengeldes bestehe; die Gerichte seien zudem nur so in der Lage, zu überprüfen, ob die zwingenden Bestimmungen von
Art. 329a und d Abs. 1 OR
eingehalten worden seien. Daraus wird sowohl in der Literatur wie auch
BGE 116 II 515 S. 518
in der kantonalen Rechtsprechung gefolgert, die Klage auf Ferienlohn könne abgewiesen werden, falls der Arbeitgeber beweise, dass der Arbeitnehmer die Berechnungsweise der Lohnzahlung, d.h. den ziffernmässigen oder prozentualen Anteil des Feriengeldes, gekannt habe (REHBINDER, N. 12 zu
Art. 329d OR
; SJZ 85/1989 S. 322).
Auch dieser Auffassung hat sich das Bundesgericht in den unveröffentlichten Urteilen vom 25. November 1987 (auszugsweise zitiert bei KUHN, Aktuelles Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, Teil 5 Kapitel 4.A.1, S. 5/6) und vom 30. November 1988 angeschlossen, wobei im ersten Entscheid festgehalten worden ist, der Vertrauensgrundsatz gebiete, dass der Arbeitnehmer bei gehöriger Aufmerksamkeit sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses wie aufgrund der einzelnen Gehaltsabrechnungen klar erkennen könne, dass und in welcher Höhe ein Zuschlag als Feriengeld entrichtet werde; das dürfe grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn der Zuschlag zum Arbeitslohn durch Angabe eines bestimmten Betrags oder Prozentsatzes als solcher erscheine. Dem ist indessen beizufügen, dass das Vertrauensprinzip als massgebender Grundsatz auch eine weniger strenge Beurteilung nahelegen kann, falls es die besonderen Umstände des Einzelfalles - wie zum Beispiel ein mündlicher Vertragsschluss - gebieten.
c) Im Sinne dieser Ausführungen handelt es sich beim Erfordernis der Spezifikation des Ferienlohnes um einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz. Ein Entscheid, der einen solchen Rechtsgrundsatz offensichtlich verletzt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts willkürlich (
BGE 114 Ia 218
E. 2a,
BGE 113 Ia 20
E. 3a mit Hinweisen).
Das Obergericht hält als Ergebnis seiner Beweiswürdigung lediglich fest, die Feriengeldentschädigung sei bei sämtlichen Arbeitnehmern des Beschwerdegegners als im Lohn inbegriffen vereinbart worden. Zur Frage, ob der Beschwerdeführer den ziffernmässigen oder prozentualen Anteil des Ferienlohnes am vereinbarten Stundenlohn gekannt habe, äussert es sich dagegen nicht. Indem es auf dieser - lückenhaften - tatsächlichen Grundlage auf die Gültigkeit der Vereinbarung schliesst, verstösst es eindeutig gegen den erwähnten Rechtsgrundsatz. Sein Entscheid ist deshalb wegen Verletzung von
Art. 4 BV
aufzuheben.
d) Unter diesen Umständen ist die ebenfalls erhobene Rüge willkürlicher Beweiswürdigung nicht zu prüfen. Da das Obergericht von einer willkürlichen Rechtsauffassung ausgegangen ist
BGE 116 II 515 S. 519
und seine Beweiswürdigung darauf ausgerichtet hat, lässt sich nicht beurteilen, ob es auch bei richtiger Rechtsauffassung zum gleichen Beweisergebnis gelangt wäre. Die Überprüfung der Beweiswürdigung, so wie sie vom Obergericht vorgenommen worden ist, liefe deshalb auf die Beantwortung einer rein abstrakten, für den Verfahrensausgang unerheblichen Frage hinaus. Daran besteht nach ständiger Rechtsprechung kein hinreichendes Interesse (
BGE 114 II 190
mit Hinweisen). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d1534876-224a-4609-af89-6841c7967a2f | Urteilskopf
90 I 345
52. Estratto della sentenza 13 maggio 1964 sul riscorso Binda contro Consiglio di Stato del Cantone Ticino | Regeste
Art. 89 Abs. 1 OG
.
Beschränkung des Grundeigentums durch Bebauungsplan: allgemein verbindlicher Rechtssatz oder Einzelverfügung? Gegen Bestätigungs- oder Vollzugsentscheide ist die staatsrechtliche Beschwerde grundsätzlich nicht mehr zulässig, wenn der Grundeigentümer im Zeitpunkt der Annahme des Planes sich Rechenschaft geben konnte über den Umfang der Beschränkung und diese durch Rechtsmittel anfechten konnte.
Dagegen ist die Beschwerde zulässig um geltend zu machen, das öffentliche Interesse an der Beschränkung sei dahingefallen. | Sachverhalt
ab Seite 346
BGE 90 I 345 S. 346
A.-
Nel dicembre 1957, il comune di Sementina istituì un piano regolatore parziale, in virtù del quale il fondo alla particella N. 393, di mq. 11779, allora appartenente agli eredi fu Stefano Giacolini, venne destinato alla costruzione di un campo sportivo comunale ("campo da giuoco e di ginnastica per le scuole e per le manifestazioni").
Il 21 aprile 1960, il Consiglio comunale autorizzava il Municipio a procedere all'espropriazione del fondo e, a tale scopo, gli accordava un credito di fr. 23 866.--. Nel relativo procedimento, il terreno espropriando veniva stimato fr.7.- il mq. e cioè, complessivamente, fr. 82 453.--. Il Municipio, pur considerando il generale aumento dei prezzi dei terreni, reputò esagerata la somma stabilita dal perito. Sottopose pertanto nuovamente la pratica al Consiglio comunale, mettendo in rilievo che l'esistente campo destinato al giuoco del calcio, sistemato in una golena del fiume Ticino di proprietà patriziale, era stato, nel frattempo, allacciato alla rete stradale e alla rete di distribuzione dell'acqua potabile. Il Municipio faceva inoltre rilevare che era stata progettata la costruzione di una diga insommergibile atta ad eliminare le periodiche inondazioni dell'esistente campo da giuoco. Esso proponeva di "rinunciare - per il momento - alla espropriazione del mappale No. 393 di proprietà degli eredi
BGE 90 I 345 S. 347
Stefano Giacolini in Montecarasso". Il Consiglio comunale accolse tale proposta con risoluzione 27 luglio 1961. La restrizione di diritto pubblico a carico della particella N. 393, che il Comune aveva fatto iscrivere nel registro fondiario allo scopo suindicato, venne però mantenuta.
Successivamente, gli eredi Giacolini vendevano il loro fondo a Emilio Mazzolini e Guido Rohr, i quali provvedevano ad effettuare una nuova particellazione a scopo edilizio. La nuova particella N. 556 di mq. 796 e la relativa comproprietà su una strada privata vennero vendute a Martino Binda.
B.-
Il 14 marzo 1962, Binda chiese alle autorità competenti il permesso di costruire sul suo fondo una casa ad un unico appartamento. Il Municipio di Sementina respinse la domanda riferendosi al vincolo del piano regolatore. Un ricorso del proprietario venne respinto dal Consiglio comunale.
C.-
Binda si aggravò al Consiglio di Stato domandando, in via principale, che il permesso di costruire fosse accordato e, in via subordinata, che gli atti fossero trasmessi al Tribunale cantonale delle espropriazioni per la determinazione dell'indennità, da corrispondere a compenso della espropriazione materiale indirettamente conseguita dal comune.
Il Consiglio di Stato respinse tanto il ricorso di Binda, quanto un analogo gravame interposto da Rohr e Mazzolini. Le sue motivazioni possono essere riassunte come segue.
L'inclusione di un nuovo campo sportivo nel piano regolatore parziale, che prevedeva inoltre la costruzione di una palestra e di un asilo, si era imposta anche perchè il vecchio campo di calcio, trovandosi in una golena del fiume Ticino, era sottoposto a frequenti inondazioni. Successivamente, la situazione si è modificata in quanto il campo di calcio venne munito di migliori comunicazioni stradali e della possibilità di allacciamento alla rete di distribuzione dell'acqua potabile, ma è rimasto il più grave inconveniente delle periodiche inondazioni. Nè si sa quando tale inconveniente potrà essere eliminato, perchè l'esecuzione della diga insommergibile,
BGE 90 I 345 S. 348
benchè prevista nei piani di correzione del fiume, non è ancora stata decisa.
L'abbandono del procedimento di espropriazione, promosso nel 1960, significa soltanto che il Comune ha rinunciato alla immediata esecuzione dell'opera; se avesse inteso rinunciarvi definitivamente, avrebbe dovuto procedere alla modificazione del piano regolatore nelle forme prescritte per l'adozione del medesimo. Una siffatta modificazione non essendo stata effettuata, le relative restrizioni di diritto pubblico permangono fino al promovimento di un nuovo procedimento d'espropriazione o, al più tardi, fino alla scadenza del piano regolatore.
La censura di espropriazione materiale è infondata, perchè i proprietari gravati possono disporre dei propri fondi secondo l'uso che ne avevano fatto al momento dell'istituzione del piano.
D.-
Binda ha tempestivamente interposto un ricorso di diritto pubblico, domandando che, per quanto lo concerne, la decisione cantonale sia annullata. Egli chiede inoltre, in via principale, che la sua domanda intesa ad ottenere il permesso di costruzione sia accolta e, in via subordinata, che sia dato ordine al Consiglio di Stato di trasmettere gli atti al Tribunale delle espropriazioni per la determinazione dell'indennità di espropriazione materiale. Egli afferma che l'impugnata restrizione viola l'art. 4 CF, perchè difetta di base legale e, essendo divenuta inutile, è arbitraria. Costituirebbe, inoltre, un'espropriazione materiale.
E.-
Il Consiglio di Stato propone che il ricorso sia respinto in ordine e nel merito.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
In principio, il ricorso di diritto pubblico è rimedio di cassazione. Tale principio dovendo essere applicato anche nel caso particolare, le domande del ricorrente, in quanto intese a conclusioni diverse dal semplice annullamento della decisione cantonale, sono irricevibili (RU 89 I 368 consid. 1).
BGE 90 I 345 S. 349
Vero è che, per i casi di rifiuto di un permesso di polizia, la giurisprudenza ha istituito delle eccezioni alla regola suesposta, dovendo necessariamente riconoscere all'interessato anche la possibilità di chiedere che l'autorità cantonale sia obbligata a rilasciargli il permesso incostituzionalmente rifiutatogli (RU 82 I 111, consid. 6
;
84 I 113
, consid. 3
;
87 I 116
, consid. 1b, e 280). Il Tribunale federale può, tuttavia, giungere ad una siffatta decisione soltanto se può accertare che la domanda presentata dal ricorrente in sede cantonale adempie tutti i presupposti legali per il rilascio del permesso. In concreto tale non è il caso, perchè il ricorso è inteso soltanto a dimostrare l'incostituzionalità del divieto di costruire; e non poteva essere altrimenti inteso, dal momento che l'autorità cantonale si era limitata a giudicare sulla pregiudiziale validità della restrizione di piano regolatore. Qualora la censura di incostituzionalità di questa restrizione venisse accolta, la domanda di Binda risulterebbe nuovamente pendente presso l'autorità cantonale, che dovrebbe pronunciarsi sugli altri presupposti del permesso di costruzione. Una decisione in tal senso non essendo ancora intervenuta, il ricorso, in quanto inteso ad ottenere che sia fatto obbligo all'autorità cantonale competente di rilasciare il permesso di costruzione, è prematuro.
Nel caso che, come richiesto dal ricorrente in via subordinata, dovesse essere accolta la tesi secondo cui la controversa restrizione di piano regolatore costituisce espropriazione materiale, il Tribunale federale non potrebbe ammettere la domanda di inviare gli atti alTribunale cantonale delle espropriazioni per la determinazione dell'indennità, ma dovrebbe limitarsi ad annullare la decisione impugnata, dovendosi rispettare la facoltà di scelta del comune: o pagare l'indennità di espropriazione o rinunciare alla restrizione di piano regolatore.
2.
Secondo l'art. 89 cpv. 1 OG, l'atto di ricorso deve essere interposto entro trenta giorni dalla pubblicazione o dalla comunicazione del decreto o della decisione impugnati.
a) Se il ricorso è diretto ad ottenere l'annullamento di
BGE 90 I 345 S. 350
un "decreto" ("arrêté" "Erlass"), inteso come norma legale in senso lato o insieme di tali norme, il termine decorre perciò dalla pubblicazione o dalla comunicazione del decreto impugnato. Tuttavia, il Tribunale federale ha sempre riconosciuto al cittadino, già sotto l'impero delle precedenti OG, non solo il diritto di impugnare la norma in sè, in quanto virtuale violazione dei suoi diritti costituzionali, ma anche di impugnarne la validità e, quindi, l'applicabilità al momento della decisione che realizza la lesione del diritto individuale. Pertanto, anche se la norma giuridica non è stata impugnata entro 30 giorni dalla sua pubblicazione, l'interessato può ancora impugnarne l'applicazione entro lo stesso termine a decorrere dalla data in cui la relativa decisione gli è stata notificata (cfr. ad es. RU 5, 549 e, inoltre, 86 I 274
;
88 I 83
e 265).
Di massima, una "decisione" è invece impugnabile solo entro i trenta giorni dalla sua prima comunicazione; il diritto di ricorso non è ripristinato da un atto amministrativo di conferma o di esecuzione di una anteriore decisione materiale. Al riguardo, la giurisprudenza ha ammesso delle eccezioni soltanto per diritti personali inalienabili e imprescrittibili, nonchè, adempiuti determinati presupposti, per quelli fondati sugli art. 46 cpv. 2 e 59 CF (RU 88 I 265 e citazioni); diritti che, evidentemente, nel caso particolare non sono in discussione.
Secondo i principi suesposti, il ricorso di Binda appare tempestivo se il piano regolatore di Sementina deve essere considerato come un "decreto" e se il rifiuto del permesso di costruire costituisce una decisione di applicazione di una relativa norma. Se, invece - come implicitamente pretende il Consiglio di Stato - il piano regolatore costituisce esso stesso una decisione di applicazione della LE e il rifiuto di detto permesso non rappresenta che un atto di esecuzione di tale decisione, il ricorso in esame appare evidentemente tardivo e, quindi, irricevibile.
b) Inizialmente, la dottrina ha ravvisato nelle disposizioni di piano regolatore delle norme giuridiche (NABHOLZ,
BGE 90 I 345 S. 351
Das Institut der Bebauungspläne, 1923, pag. 55; MARMIER, Plans édilitaires et responsabilité administrative, 1932, p. 11; REICHLIN, Rechtsfragen der Landesplanung, in Rivista di diritto svizzero = RDS - vol. 66, p. 283 a) anche se espresse in una particolare forma tecnica (KIRCHHOFER: Eigentumsgarantie und Eigentumsbeschränkungen, RDS, vol. 58, p. 147), o, più precisamente, in forma grafica (BUSER, Baupolizei und Strassenrecht im Kanton Aargau, ZBl., vol. 33, p. 357). Successivamente, la dottrina le definì analoghe alle norme giuridiche, ma costituenti in realtà una somma di disposizioni concrete (IMBODEN, Festschrift für Prof. Fritzsche, 1952, p. 44 e 45). Dal profilo dell'
art. 89 OG
è stato poi proposto di riconoscere la disposizione di piano regolatore, di massima, come norma di ordinanza, ma di fare eccezione considerandola come decisione concreta agli effetti della persona che, essendo stata proprietaria del fondo gravato al momento dell'istituzione del piano, ha già avuto la possibilità di far valere i propri diritti (SCHAUMANN, Bemerkungen zur schweizerischen Rechtsprechung des Jahres 1958, RDS 78 I 478). Le posteriori pubblicazioni non hanno espresso una soluzione precisa, ammettendo gli uni, con qualche riserva, che trattasi di pluralità di decisioni concrete (MARTI, Probleme der staatsrechtlichen Beschwerde, RDS 81 II 99) e reputando, gli altri, che dette disposizioni rappresentano, in genere, norme giuridiche ma possono, in specie, apparentarsi a decisioni concrete, onde l'applicazione dell'art. 89 cpv. 1 OG dovrebbe essere fatta dipendere dalleparticolari circostanze (BONNARD, Problèmes relatifs au recours de droit public, RDS 81 II 399 e 400).
Anche il Tribunale federale è stato dapprima propenso a considerare il piano regolatore, agli effetti dell'art. 89 cpv. 1 OG, come norma di portata generale, riservando tuttavia i casi in cui concerne un unico fondo (RU 78 I 407/8, 86 I 148, 87 I 360). Ma, successivamente, trattandosi di un ricorso che doveva comunque essere respinto nel merito, ha preferito lasciare insoluto il problema che ci occupa (RU 88 I 83).
BGE 90 I 345 S. 352
In realtà, dovendosi considerare come norma giuridica una regola valida per una pluralità di situazioni concrete sumibili a una fattispecie tipica (IMBODEN, RDS 80 I 484), le disposizioni di piano regolatore non possono essere senz'altro considerate tali. Alle norme giuridiche si apparentano quelle disposizioni che designano una zona entro la quale i fabbricati devono avere determinate caratteristiche (ad es. fabbricati industriali, case ad un numero massimo di piani, ecc.) e quelle che prescrivono, in una determinata zona, un coefficiente massimo di edificabilità. Ne differiscono invece sostanzialmente quelle disposizioni che determinano, in modo preciso, la situazione e l'estensione di singole opere pubbliche (strade e piazze, edifici e impianti pubblici). Queste disposizioni si differenziano tuttavia anche dalle decisioni concrete, intese nel senso dell'art. 89 cpv. 1 OG, perchè stabilite nell'ambito di un programma d'assieme e non definitive. Infatti, secondo il diritto ticinese, il comune può modificare il piano per ragioni di pubblico interesse entro il termine di validità del medesimo e, decorso tale termine, procedere all'espropriazione solo se l'interessato ne fa domanda. Il piano non deve però essere riposto in discussione per ragioni di interesse individuale; altrimenti perderebbe il suo scopo. Almeno per quanto concerne il programma di opere pubbliche, il piano regolatore è appunto predisposto al fine di impegnare diversi fondi ancora disponibili per l'organica soluzione di opere pubbliche da istituire o ampliare nell'interesse della comunità. Dei legittimi interessi individuali deve perciò essere tenuto conto nel procedimento di istituzione del piano, nell'ambito del quale possono ancora essere studiate delle soluzioni diverse da quelle inizialmente previste. Successivamente, queste diverse soluzioni possono invece risultare pregiudicate dall'ulteriore sviluppo edilizio della zona.
Ciò stante e considerato che trattasi di materia disciplinata dal diritto cantonale, i cui istituti possono differire da cantone a cantone, nella disposizione di piano regolatore non può essere senz'altro ravvisata nè una norma giuridica
BGE 90 I 345 S. 353
nè una decisione concreta, ma una disposizione intermedia o diversa.
Ora, la regola stabilita in applicazione dell'art. 89 cpv.1 OG, secondo cui il diritto di ricorso contro le decisioni è unico, mentre quello diretto contro le norme giuridiche è duplice, perchè può essere fatto valere tanto in occasione dell'emanazione della norma quanto contro l'applicazione della stessa, non è fondata sulle diverse astratte caratteristiche delle due specie di disposizioni. Essa poggia sulla considerazione che sarebbe ingiustificato pretendere dal cittadino di rendersi immediatamente conto degli effetti di una norma sui propri interessi personali, questi effetti potendo spesso essere determinati soltanto in occasione dell'applicazione della norma stessa (cfr. RU 15, 203, GIACOMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit, p. 79/80, W. BURCKHARDT, Die Befristung des staatsrechtlichen Rekurses, in ZBJV, vol. 62, pag. 58 ultimo capoverso).
In questo ordine di idee, l'applicazione dell'art. 89 cpv. 1 OG si pone in termini analoghi a quanto già stabilito dalla giurisprudenza a proposito del diritto di essere sentiti. Infatti, recentemente, il Tribunale federale, premesso che questo diritto deve di regola essere riconosciuto ad ogni interessato solo a riguardo di decisioni concrete, ha lasciato aperta la questione di determinare se le disposizioni di piano regolatore siano da classificare fra le norme giuridiche o fra le decisioni. Per contro, ha statuito il principio che chi è menomato nella disponibilità dei propri fondi da un siffatto piano ha, tosto o tardi, il diritto di essere sentito. In quanto le norme cantonali non dispongano diversamente questo diritto è però sufficientemente tutelato, se l'interessato ha comunque avuto un'occasione di esprimersi (Sentenza 11 settembre 1963 sul ricorso della Basler Terraingesellschaft AG, ZBl 1964 p. 216 ss.).
In effetti, la regola giurisprudenziale stabilita in applicazione dell'art. 89 cpv. 1 OG è intesa a tutelare lo stesso sostanziale diritto: quello, cioè, di permettere al cittadino di difendere i suoi diritti individuali. Questi, però, dal momento
BGE 90 I 345 S. 354
che è stato reso chiaramente edotto della portata che l'atto di diritto pubblico può avere rispetto ai suoi diritti costituzionali ed ha avuto la possibilità di difenderli, è tenuto ad agire tempestivamente, onde non v'è motivo di riconoscergli nuovamente tale possibilità di difesa ogni volta che l'autorità passi ad un atto di esecuzione.
Contrariamente a quanto esposto nella dottrina (SCHAUMANN, 1.c.) non v'è neppure ragione di far risorgere il diritto di ricorso a favore di un successivo proprietario del fondo. Una restrizione di piano regolatore è valida anche indipendentemente dalla sua iscrizione nel registro fondiario (art. 680 cpv. 1 CC). Dovendosi perciò presumere che l'acquirente ne era edotto, questi non può rivendicare diritti maggiori di quelli spettanti al venditore.
Ne consegue che la questione di stabilire se per le restrizioni di piano regolatore il termine per interporre ricorso di diritto pubblico intercorra, in modo perentorio, dalla istituzione del piano o si rinnovi in occasione di ogni decisione di applicazione di una relativa disposizione, deve essere fatta dipendere, da una parte, dalla iniziale possibilità dell'interessato di rendersi conto della portata della restrizione e, dall'altra, dalle possibilità di difesa inizialmente offerte al medesimo.
In concreto, la restrizione concerne la destinazione dell'intera particella dell'interessato alla costruzione di un campo sportivo e la conseguente istituzione di un divieto di costruire. Scopo e portata della restrizione risultavano perciò, già dall'inizio, inequivocabilmente determinati. D'altronde, il piano regolatore è stato depositato presso la Cancelleria del comune di Sementina per un periodo di 30 giorni, previa pubblicazione sul Foglio ufficiale ed avviso personale al proprietario (art. 29 lett. a della legge edilizia cantonale - LE). All'interessato è stata data la possibilità di ricorrere al Consiglio comunale e di appellarsi alle autorità cantonali. Inoltre, si deve ritenere che, secondo l'art. 33 LE, il decreto di approvazione sia stato comunicato agli interessati con facoltà di ricorrere al Gran Consiglio. Il diritto di
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difesa del proprietario essendo perciò stato ampiamente tutelato già in occasione dell'istituzione del piano, l'interessato non ha, rebus sic stantibus, alcun ragionevole motivo di riproporre le sue contestazioni in occasione di ogni successiva decisione di conferma o di esecuzione.
c) Tuttavia, il piano regolatore non regola una situazione di fatto e di diritto esistente al momento della sua istituzione, ma, almeno in quanto concerne la riserva di terreni destinati all'esecuzione di opere pubbliche, è inteso a disciplinare il prevedibile "futuro sviluppo della località" (art. 27 cpv. 1 LE). La sua futura validità presuppone, pertanto, la permanenza delle condizioni essenziali che ne hanno giustificato l'istituzione. Se tali condizioni dovessero venire a mancare, la sua validità non potrebbe essere rivendicata con riferimento alla conclusione del procedimento di istituzione e di approvazione, perchè tali atti, essendo disciplinati dal diritto pubblico, non sono necessariamente immutabili (RU 88 I 227 e citazioni).
Ciò stante, la disposizione di piano regolatore potrebbe essere riposta in discussione se la norma della legge cantonale, su cui poggia, venisse modificata o se venisse meno l'interesse pubblico alla realizzazione dell'opera, che è presupposto fondamentale di ogni limitazione della proprietà privata. Tale sarebbe il caso, ad esempio, qualora un divieto di costruire su un fondo destinato alla costruzione di un edificio scolastico dovesse essere mantenuto anche dopo che un siffatto edificio, ampiamente soddisfacente ai bisogni del Comune, fosse stato successivamente costruito su un altro fondo. Senza previamente modificare il piano nelle forme stabilite dalla legge cantonale, la restrizione di non costruire non potrebbe essere mantenuta neppure in vista di utilizzare il fondo gravato per un'altra opera di pubblico interesse, ma di scopi chiaramente diversi.
I rimedi contro le restrizioni divenute caduche devono anzitutto essere dedotti dal diritto cantonale, ma non si può, a priori, escludere che il proprietario debba comunque avere la possibilità di opporsi in via di eccezione contro
BGE 90 I 345 S. 356
l'atto che vieta la disposizione del fondo e di impugnare, mediante ricorso di diritto pubblico, la decisione di reiezione dell'eccezione. Comunque, in concreto, la questione di sapere se l'interessato, agendo in tale modo, abbia rispettato le norme procedurali di diritto cantonale non si pone, perchè il Consiglio di Stato non ha proposto alcuna impugnazione al riguardo ed ha, anzi, esaminato ogni contestazione del ricorrente.
Solo in quanto intese a dimostrare che la controversa restrizione di piano regolatore è divenuta invalida a causa di circostanze posteriori all'approvazione del piano regolatore, le contestazioni del ricorrente sono perciò ricevibili.
3.
Il ricorrente nega anzitutto che l'inclusione di un campo sportivo in un piano regolatore trovi la sua base legale negli
art. 27 e 28
LE o in altre norme di diritto cantonale.
Questa impugnazione non è stata proposta al Consiglio di Stato, onde, trattandosi di un ricorso che presuppone l'esaurimento delle istanze cantonali (art. 86 cpv. 2 OG), dovrebbe, di massima, essere considerata irricevibile (RU 87 I 99 consid. 2 e citazioni). A questa regola fanno però eccezione i casi in cui l'autorità cantonale è tenuta ad applicare il diritto d'ufficio (RU 73 I 51). Si può presumere che in concreto tale sia il caso, ma la questione non deve necessariamente essere risolta, perchè la contestazione, essendo tardiva, è comunque irricevibile.
Infatti, il ricorrente si riferisce alla situazione giuridica esistente già al momento dell'istituzione del piano regolatore e non afferma che, nel frattempo, la base legale del piano regolatore dei comuni ticinesi sia stata modificata e definita in modo più restrittivo. Ciò stante, a questo proposito, vale il termine di ricorso di 30 giorni a decorrere dalla comunicazione di approvazione del piano, termine che è evidentemente da tempo trascorso.
Peraltro, l'opera controversa essendo di dimensioni normali, la questione dell'esistenza di una base legale potrebbe
BGE 90 I 345 S. 357
essere esaminata in questa sede solo dal profilo dell'arbitrio (RU 89 I 467 e citazioni). Ora, se è vero che i campi sportivi non sono esplicitamente enunciati agli
art. 27 e 28
LE, gli stessi costituiscono nondimeno opere di uso pubblico che sono normalmente incluse nei piani regolatori. Si può perciò ammettere, senza arbitrio, che l'indicazione legale de "le strade, le pubbliche piazze con le piantagioni e i giardini che ne costituiscono parte integrante", è stata espressa non a titolo esclusivo ma a titolo indicativo, per designare le opere tipiche comprese in un piano regolatore, e che non esclude, pertanto, altre opere di normale uso pubblico, come un campo sportivo, che dovrebbe, d'altronde, essere adibito anche a "piazzale per le manifestazioni".
4.
Anche a proposito della censura di espropriazione materiale, il ricorrente non ha addotto alcun effettivo nuovo elemento posteriore all'adozione del piano. A tale riguardo, la circostanza dell'avvenuto aumento dei prezzi dei terreni è - come peraltro ammette il ricorrente - irrilevante. Tale aumento può concernere solo la determinazione dell'indennità e può, pertanto, essere fatto valere solo in occasione dell'espropriazione del fondo ai fini dell'esecuzione dell'opera o quando, alla scadenza della validità del piano regolatore, il ricorrente avrà diritto di chiedere l'espropriazione immediata (art. 37 cpv. 2 LE).
5.
Invece, la censura di intervenuta carenza della pubblica utilità in conseguenza della sistemazione del preesistente campo di calcio e quella fondata sull'abbandono del procedimento di espropriazione, promosso nel 1960, concernono circostanze verificatesi posteriormente al procedimento di istituzione del piano e sono, pertanto, ricevibili.
In questa sede, la questione dell'esistenza della pubblica utilità di un'opera viene esaminata dal profilo dell'arbitrio, se concerne prevalentemente l'accertamento dei fatti (RU 88 I 252, 294
;
89 I 196
consid. 2) e liberamente se concerne il diritto o la probabile futura evoluzione di una situazione (RU 88 I 294). Nel caso particolare non è però necessario
BGE 90 I 345 S. 358
giudicare secondo tale duplice criterio, perchè, anche se esaminata liberamente, la contestazione deve essere respinta.
Infatti, il campo adibito al giuoco del calcio esisteva già al momento dell'istituzione del piano e non ha, di poi, modificato la sua destinazione. Ora è noto che questo sport si esercita in campi da giuoco esclusivamente, o quasi, adibiti a tale scopo. Anche se le migliorie, nel frattempo effettuate, ne avessero eliminato gli iniziali inconvenienti, la pubblica utilità del nuovo campo sportivo potrebbe essere fondata sulla necessità di conseguire gli altri scopi indicati nel messaggio municipale dell'11 luglio 1961: "campo da giuoco e di ginnastica per le scuole e piazzale per le manifestazioni".
D'altronde, anche se si dovesse ammettere che per il comune di Sementina un unico campo sportivo soddisfi all'esercizio di ogni disciplina sportiva, la contestazione del ricorrente potrebbe avere un fondamento solo se gli inconvenienti, che il vecchio campo di calcio presentava al momento dell'adozione del piano regolatore e che contribuirono a giustificare il progetto di costruzione di un nuovo campo di sports, fossero stati nel frattempo eliminati o fossero eliminabili a breve scadenza. Ora, tale non è il caso, perchè nella decisione impugnata è stato fatto rilevare - e il ricorrente non lo contesta - come la diga insommergibile, che dovrebbe impedire le ricorrenti inondazioni del campo di calcio, sia solo allo stadio di programma e la sua esecuzione non sia ancora deliberata. Anche a questo proposito, la situazione esistente al momento dell'adozione del piano regolatore non è quindi sostanzialmente modificata.
L'asserzione del ricorrente, secondo cui, abbandonando il procedimento di espropriazione promosso nel 1960, il comune avrebbe rinunciato all'esecuzione dell'opera, è infondata in fatto ed in diritto: in fatto, perchè il comune ha rinunciato solo "per il momento" all'espropriazione di cui si tratta; in diritto, perchè non risulta che una speciale norma di legge, derogante a quella concernente la durata
BGE 90 I 345 S. 359
di validità del piano, prescriva la caducità di una relativa disposizione qualora un procedimento di espropriazione, promosso per l'esecuzione di una prevista opera, venga abbandonato o sospeso. Il piano regolatore, costituendo un programma di lavori futuri, permane perciò valido per il periodo legalmente determinato, anche se l'autorità inizia un procedimento di espropriazione, ma poi lo abbandona, rinviando a più tardi l'esecuzione dell'opera.
Non vi è neppure motivo di dubitare della affermazione del Consiglio di Stato, secondo cui il comune di Sementina è in condizioni finanziarie che gli permetterebbero di procedere, in ogni tempo, alla esecuzione del nuovo campo sportivo. La contraria affermazione del ricorrente non è dimostrata, comunque, non documentata.
Dispositiv
Il Tribunale federale pronuncia:
In quanto ricevibile, il ricorso è respinto. | public_law | nan | it | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d15377c5-6580-4f27-b28d-0b04dcf3c301 | Urteilskopf
111 Ib 294
54. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 13 décembre 1985 en la cause Gaon contre Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision et Société Suisse de Radiodiffusion et de Télévision (recours de droit administratif) | Regeste
Bundesbeschluss über die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen.
1. Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid der unabhängigen Beschwerdeinstanz sind nur legitimiert der Veranstalter der Sendung sowie wer nach Art. 14 lit. b Bundesbeschluss durch den Gegenstand der Sendung unmittelbar betroffen ist (Erw. 1).
2. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens stehen dem Beschwerdeführer vor der unabhängigen Beschwerdeinstanz aus
Art. 4 BV
fliessende oder andere vor Bundesgericht gewährleistete Parteirechte zu. Die vom Veranstalter eingereichten Akten, bei denen Inhalt und Quellen der Informationen des Veranstalters nicht in Frage stehen, hätten daher dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht werden müssen (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 295
BGE 111 Ib 294 S. 295
Lors de l'émission "Téléjournal" diffusée le 23 mai 1984 à 19 h 30, la Télévision suisse romande a fait état de rumeurs au sujet de la vente éventuelle de l'Hôtel Noga Hilton à Genève. Estimant que l'émission n'était pas objective et qu'elle le discréditait dans ses activités, Nessim Gaon a, par lettre du 8 juin 1984, saisi l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (ci-après: l'Autorité de plainte) et lui a notamment demandé de constater la violation des art. 11 al. 1 et 13 al. 1 de la concession accordée par la Confédération à la Société Suisse de Radiodiffusion et de Télévision.
Par décision du 14 septembre 1984, l'Autorité de plainte a constaté que l'émission diffusée sur le canal romand le 23 mai 1984 n'avait pas violé la concession de la Société Suisse de Radiodiffusion.
Nessim Gaon a formé auprès du Tribunal fédéral un recours de droit administratif contre cette décision.
Le recourant se plaint de ne pas avoir eu connaissance des observations de la Société Suisse de Radiodiffusion et des pièces qu'elle a produites. Il demande l'annulation de la décision attaquée et le renvoi de la cause à l'Autorité de plainte, pour qu'il puisse prendre connaissance du dossier et se déterminer avant que l'Autorité de plainte ne rende une nouvelle décision. Subsidiairement, il demande à avoir connaissance des observations et des pièces et à pouvoir se déterminer dans le cadre de la procédure devant le Tribunal fédéral.
Au fond, le recourant reprend les arguments présentés devant l'Autorité de plainte et conclut à ce qu'il soit constaté, avec suite de frais et dépens, que l'émission viole les art. 11 al. 1 et 13 al. 1 de la concession.
Le Tribunal fédéral est entré en matière sur le recours et l'a admis pour violation du droit d'être entendu.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) L'arrêté fédéral du 7 octobre 1983 sur l'Autorité indépendante d'examen des plaintes en matière de radio-télévision (ci-après: l'arrêté fédéral; RS 784.45) est entré en vigueur le 1er février 1984. L'Autorité de plainte instituée par cet arrêté est chargée de statuer sur les réclamations concernant des émissions de radio et de télévision transmises par des diffuseurs suisses (art. 1er), en examinant si ces émissions ont violé les dispositions
BGE 111 Ib 294 S. 296
de la concession relatives aux programmes (art. 17). L'Autorité de plainte doit donc uniquement constater si la concession a ou non été violée; elle n'est pas habilitée à prendre des mesures en cas de violation de la concession, mais doit faire part de ses constatations au diffuseur et, si celui-ci ne remédie pas à la situation, s'adresser au Département fédéral des transports, des communications et de l'énergie (art. 22); le Département reste d'ailleurs compétent pour contrôler si les émissions compromettent la sécurité, l'ordre constitutionnel ou les relations internationales de la Suisse (art. 2 al. 1); enfin, l'Autorité de plainte n'a pas à se prononcer sur les litiges où le droit d'accès aux médias est en cause: dans un tel cas, la décision de refus du diffuseur est toujours susceptible d'être attaquée par la voie du recours administratif et, en dernière instance, par celle du recours de droit administratif (
ATF 97 I 731
).
b) L'Autorité de plainte doit obligatoirement être saisie par une réclamation, dont le législateur a voulu conserver le caractère de plainte populaire (voir aussi Message du Conseil fédéral du 8 juillet 1981 in FF 1981 III p. 113). Il a ainsi accordé la faculté de présenter une réclamation à tout citoyen suisse ou ressortissant étranger titulaire d'un permis d'établissement ou de séjour, âgé de 18 ans révolus, lorsqu'il est appuyé par au moins 20 personnes remplissant les mêmes conditions (art. 14 lettre a). En outre, un particulier a qualité pour agir seul, lorsqu'il peut prouver qu'il est personnellement concerné par l'objet de l'émission ou des émissions incriminées (art. 14 lettre b). Il en va de même pour les autorités ou les associations (art. 14 lettre c).
La différence entre la plainte populaire et la réclamation individuelle ne se limite cependant pas au fait que la première est collective et la deuxième formée par un seul intéressé. Il résulte en effet clairement des débats parlementaires que le législateur a expressément refusé d'ouvrir la voie du recours de droit administratif contre la décision rejetant une plainte populaire (BO CE 1983 p. 217/218 et 497; BO CN 1983 p. 1094 à 1096 et 1335). En revanche, il a voulu que les diffuseurs et les particuliers disposent d'armes égales et leur a donc ouvert la voie du recours de droit administratif (BO CE 1982 p. 467). Cette décision ne ressort pas directement du texte de l'arrêté fédéral, mais des débats au Parlement, au cours desquels le texte allemand de l'art. 25 du projet du Conseil fédéral a été modifié, le terme "Verfügungen" ayant été remplacé par "Entscheide". La qualité pour recourir se détermine d'après l'
art. 103 lettre a OJ
, c'est-à-dire qu'elle
BGE 111 Ib 294 S. 297
appartient à quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée. Or, en ce qui concerne les décisions prises par l'Autorité de plainte, ces conditions ne sont remplies que par le diffuseur, d'une part, et l'auteur de la réclamation directement touché par l'émission, d'autre part (art. 14 lettres b et c); eux seuls sont donc habilités à agir par la voie du recours de droit administratif.
c) Avant l'entrée en vigueur de l'arrêté, le Tribunal fédéral avait refusé d'entrer en matière sur le recours de droit administratif d'un auditeur - qui reprochait à une émission de radio d'être immorale - contre une décision de l'autorité de surveillance (
ATF 104 Ib 239
ss); il avait alors estimé que la diffusion d'une émission de radio ne saurait être considérée comme une décision susceptible d'être attaquée par la voie du recours de droit administratif. Cette motivation n'est plus valable depuis l'entrée en vigueur de l'arrêté fédéral, car les décisions de l'Autorité de plainte sont des décisions de constatation - positives ou négatives - qui, comme telles, peuvent faire l'objet d'un recours. L'issue de la procédure ne serait cependant pas modifiée pour l'auditeur qui contesterait aujourd'hui la moralité d'une émission: il n'aurait en effet pas qualité pour recourir, dans la mesure où il ne possède pas de liens étroits avec le contenu de l'émission, donc pas d'intérêt digne de protection à l'annulation de la décision de l'autorité de surveillance.
Au demeurant, l'interprétation de la qualité pour agir, telle qu'elle découle de l'art. 14 lettre b de l'arrêté fédéral, n'est pas nouvelle. Le Tribunal fédéral a en effet déjà reconnu que, dans certains cas, des tiers possèdent un droit à saisir l'autorité de surveillance et peuvent ensuite former un recours de droit administratif contre les décisions de cette autorité (voir
ATF 98 Ib 53
, au sujet de la surveillance des banques;
ATF 107 II 385
, au sujet de la surveillance des fondations).
d) En l'espèce, le recourant a présenté une réclamation sur la base de l'art. 14 lettre b de l'arrêté fédéral, qui lui reconnaissait une position de partie devant l'Autorité de plainte et lui donnait le droit d'obtenir une décision de constatation. Dès lors que l'émission incriminée le touchait personnellement dans ses activités d'homme d'affaires, il possède un intérêt spécial et direct, tel qu'il a été défini par la jurisprudence (
ATF 111 Ib 63
,
ATF 110 Ib 101
, 109 Ib 200), à faire constater devant le Tribunal fédéral la violation de la concession par la Société Suisse de Radiodiffusion. Tant que
BGE 111 Ib 294 S. 298
cette violation n'a pas été admise, l'intérêt du recourant doit en outre être considéré comme actuel, indépendamment du fait que le sujet traité par l'émission n'a plus d'impact sur le public.
Il en résulte que le recourant a un intérêt digne de protection, au sens de l'
art. 103 lettre a OJ
, pour agir par la voie du recours de droit administratif. Il y a lieu dès lors d'entrer en matière sur le présent recours, qui remplit par ailleurs les autres conditions de recevabilité des
art. 97 ss OJ
.
2.
a) Le recourant reproche tout d'abord à l'Autorité de plainte d'avoir violé son droit d'être entendu en ne lui communiquant pas la réponse de la Société Suisse de Radiodiffusion, ni les pièces déposées avec cette réponse. Du moment qu'il n'existait, en l'espèce, aucun motif d'intérêt public permettant de justifier cette absence de communication, l'Autorité de plainte aurait violé les
art. 4 Cst.
et 29 PA.
De son côté, la Société Suisse de Radiodiffusion relève que le rôle de l'Autorité de plainte consiste uniquement à examiner "si une ou plusieurs émissions ont violé les dispositions de la concession relatives aux programmes" (art. 17 de l'arrêté fédéral). Compte tenu de cette finalité, les exigences formulées par le recourant donneraient à la procédure un caractère que le législateur n'a pas voulu et mettraient en cause la protection de ses sources.
b) L'arrêté fédéral a pour but de régler la procédure de dénonciation qui, jusqu'ici, n'était pas assujettie à des exigences formelles (voir Message du Conseil fédéral du 8 juillet 1981, FF 1981 III p. 116). Le législateur a voulu clarifier la situation en adoptant l'art. 3 lettre ebis PA, lequel prévoit expressément que la procédure devant l'Autorité de plainte n'est pas régie par la loi fédérale sur la procédure administrative (art. 26 de l'arrêté fédéral). Dans sa réponse au présent recours, l'Autorité de plainte constate dès lors à juste titre que le plaignant ne peut se prévaloir des droits conférés aux parties par les art. 26 à 29 PA. Toutefois, selon le principe de l'unité de la procédure, la position de partie que le recourant a devant le Tribunal fédéral lorsqu'il agit par la voie du recours de droit administratif, n'est pas sans influence sur ses droits de partie devant l'autorité inférieure (
ATF 108 Ib 250
,
ATF 104 Ib 248
,
ATF 103 Ib 147
). Ainsi, celui qui a qualité pour interjeter un recours de droit administratif peut en principe invoquer devant l'Autorité de plainte les droits découlant directement de l'
art. 4 Cst.
ou d'autres droits de procédure qui lui sont reconnus devant le Tribunal fédéral.
BGE 111 Ib 294 S. 299
En l'espèce, il est constant que le recourant n'a pas eu connaissance de la réponse de la Société Suisse de Radiodiffusion, ni des pièces produites à l'appui de cette réponse, bien que l'Autorité de plainte les ait considérées comme des éléments essentiels pour la solution du litige. Or, le droit de prendre connaissance de la réponse de l'autorité intimée correspond à un droit qui est généralement reconnu au recourant devant le Tribunal fédéral. La protection du droit d'être entendu, telle qu'elle découle de l'
art. 4 Cst.
, exige aussi que le plaignant ait connaissance de l'essentiel de l'argumentation présentée par le diffuseur et ait la possibilité de s'expliquer à son sujet. Lui refuser cette faculté pourrait, suivant les circonstances, rendre illusoire le droit de plainte que le législateur a voulu lui accorder ou, à tout le moins, diminuer considérablement ses chances de succès devant l'Autorité de plainte. Enfin, on ne saurait déduire de l'omission du recourant de réclamer la communication du dossier, qu'il avait renoncé à s'expliquer (
ATF 101 Ia 313
).
c) La Société Suisse de Radiodiffusion insiste particulièrement sur le fait que la communication des pièces produites devant l'Autorité de plainte serait contraire à l'art 20 al. 3 de l'arrêté fédéral. Cette disposition se borne à renvoyer à l'
art. 16 PA
, qui permet aux rédacteurs, collaborateurs et responsables des programmes de refuser leur témoignage sur le contenu et les sources de leurs informations. L'
art. 16 PA
ne peut pas être invoqué pour refuser de produire les documents et les observations figurant déjà au dossier, qui ne mettent nullement en cause le contenu et les sources d'information de la Société Suisse de Radiodiffusion.
d) Dans ces conditions, l'Autorité de plainte a commis une violation du droit d'être entendu, prohibée par l'
art. 4 Cst.
, en ne communiquant pas le dossier au recourant.
Le recours doit donc être admis et la décision attaquée annulée, sans qu'il soit nécessaire de se demander si le déni de justice formel constaté a joué un rôle décisif (
ATF 109 Ia 5
). Il y a lieu dès lors de renvoyer la cause à l'Autorité de plainte afin que le recourant puisse avoir connaissance de la réponse de la Société Suisse de Radiodiffusion, ainsi que des pièces qui l'accompagnaient, et se détermine à leur propos avant que cette autorité rende une nouvelle décision. | public_law | nan | fr | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d1550584-e121-416c-a238-64c2ff830194 | Urteilskopf
123 II 295
35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14. März 1997 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Schweizerischen Hotelierverein, A. Hotel und B. Restaurationsbetriebe AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV;
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
; Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auf Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung, Getränke und Geschäftsreisen.
Kognition des Bundesgerichts betreffend Mehrwertsteuerverordnung (E. 3).
Regelung des Vorsteuerabzugsrechts (E. 4) und Grundzüge des Mehrwertsteuerrechts (E. 5).
Ein Vorsteuerabzugsrecht besteht nur für Ausgaben mit geschäftlichem Charakter, wobei weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Das Vorsteuerabzugsrecht geht als Prinzip dem Grundsatz der Besteuerung des Endverbrauchs nicht vor (E. 6).
Endverbrauch kann auch bei Ausgaben mit geschäftlichem Charakter vorliegen. Vergleich mit ausländischen Rechtsordnungen. Der den Ausgaben mit geschäftlichem Charakter für Unterkunft, Verpflegung, Getränke und Geschäftsreisen innewohnende Anteil an Endverbrauch rechtfertigt es, das Vorsteuerabzugsrecht auf diesen Ausgaben zu beschränken (E. 7, 9).
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
stellt eine Pauschalregelung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. l ÜbBest. BV dar (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 296
BGE 123 II 295 S. 296
Mit Schreiben vom 17. August 1994 an die Eidgenössische Steuerverwaltung ersuchten der Schweizerische Hotelierverein, das A. Hotel und die B. Restaurationsbetriebe AG die Eidgenössische Steuerverwaltung um einen Feststellungsentscheid in dem Sinn, dass die Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts bei Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung und Getränke sowie für die Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals auf 50 Prozent der darauf entfallenden Steuerbeträge (Art. 30 Abs. 2 lit. a und b der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer, MWSTV; SR 641.201) verfassungswidrig sei und dass sie Anspruch auf den vollen Vorsteuerabzug hätten.
Mit Entscheid vom 1. März 1995, bestätigt auf Einsprache hin am 30. Juni 1995, stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung fest, dass die Gesuchsteller auf Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung, Getränke und Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals einen allfälligen Vorsteuerabzug nur im Umfang von 50 Prozent der darauf entfallenden Steuerbeträge geltend machen können.
BGE 123 II 295 S. 297
Eine hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Eidgenössische Steuerrekurskommission am 30. April 1996 gut und hob den Einspracheentscheid der Eidgenössischen Steuerverwaltung auf. Sie stellte fest, dass im vorliegenden Fall
Art. 30 Abs. 2 lit. a und b MWSTV
(bzw.
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
in der seit 1. Januar 1996 geltenden Fassung, AS 1995 4669) die Anwendung zu versagen sei und die Beschwerdeführer berechtigt seien, bei nachgewiesenen Ausgaben mit geschäftlichem Charakter für Unterkunft, Verpflegung und Getränke sowie für die Beförderung bei eigenen Geschäftsreisen und solchen des Personals den Vorsteuerabzug mit Wirkung ab 1. Januar 1995 im Umfang von 100 Prozent der darauf entfallenden Steuerbeträge geltend zu machen, sofern auch die übrigen Voraussetzungen für den Abzug erfüllt seien. Die Steuerrekurskommission erwog im wesentlichen, nach dem System der Mehrwertsteuer sei der Unternehmer von allen Vorsteuern zu befreien, welche seine geschäftlichen Ausgaben belasten. Werde dieser Grundsatz nicht beachtet, so fliesse die Vorsteuerbelastung in die Preiskalkulation für das fertige Produkt ein, was zu einer Steuer auf der Steuer, zu einer sog. "taxe occulte" führe. Der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Mehrwertsteuer sei dadurch verletzt. Überdies stehe das Verbrauchssteuerprinzip in Frage, weil nicht nur der (private) Endverbrauch belastet werde. Im internationalen Verhältnis komme es zu einer Verletzung des Bestimmungslandprinzips, weil die Ausfuhren nicht vollständig von Vorsteuern befreit seien. Das Gemeinschaftsrecht enthalte keine Maxime, die es erlauben würde, von diesen übergeordneten, systemtragenden Grundprinzipien der Mehrwertsteuer abzuweichen. Wenn der geschäftliche Charakter von Ausgaben nachgewiesen und ein allfällig darin enthaltener Privatanteil ausgeschieden sei, müsse daher der Vorsteuerabzug uneingeschränkt gewährt werden. Insofern seien für die Ausgaben mit geschäftlichem Charakter die gleichen Kriterien massgebend wie für die geschäftsmässig begründeten Aufwendungen bei der direkten Bundessteuer. Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b) MWSTV verletze die in
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
sowie Art. 8 Abs. 2 lit. h und l ÜbBest. BV enthaltenen Grundsätze und sei verfassungswidrig.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Begehren, der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Beschwerdegegner ab 1. Januar 1995 auf Ausgaben für Verpflegung und Getränke einen allfälligen Vorsteuerabzug nur im
BGE 123 II 295 S. 298
Umfang von 50 Prozent der darauf entfallenden Steuerbeträge geltend machen können; ebenso auf den im Jahre 1995 angefallenen Ausgaben für Unterkunft und für Beförderung bei eigenen Geschäftsreisen und solchen des Personals.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der Begehren der Eidgenössischen Steuerverwaltung gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Gemäss
Art. 104 Abs. 1 lit. a OG
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden. Hingegen ist das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und frei, ob Bundesrecht verletzt worden ist. Zum Bundesrecht im Sinne dieser Bestimmung zählt auch die Bundesverfassung (
BGE 118 Ib 417
E. 2a; ferner
BGE 122 IV 8
E. 1b).
a) Bei der Mehrwertsteuerverordnung handelt es sich um eine selbständige, d.h. direkt auf der Verfassung beruhende Verordnung des Bundesrates. Sie stützt sich auf Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV und stellt gesetzesvertretendes Recht dar, bis der Gesetzgeber das Mehrwertsteuerrecht geregelt hat.
In
BGE 123 II 16
E. 3 hat das Bundesgericht die Grundsätze aufgestellt, nach denen es die Mehrwertsteuerverordnung überprüft. Selbständige Verordnungen des Bundesrates sind daraufhin zu kontrollieren, ob sie mit den sachbezogenen Vorgaben der Verfassungsvorschrift, auf welcher sie beruhen, harmonieren. Bei der Mehrwertsteuerverordnung ist somit zu prüfen, ob der Bundesrat die in Art. 8 ÜbBest. BV (und
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
) enthaltenen Grundsätze beachtet und sich an Gegenstand, Zweck und Umfang der ihm eingeräumten Kompetenz gehalten hat. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob die Verordnung nicht mit sonstigen Verfassungsnormen, besonders den Grundrechtsgarantien, kollidiert, soweit die ermächtigende Verfassungsnorm nicht selbst Abweichungen anordnet oder bewusst in Kauf nimmt.
Zu beachten ist besonders, dass dem Bundesrat - im Rahmen der ihm vom Verfassungsgeber übertragenen Kompetenz - der gleiche
BGE 123 II 295 S. 299
politische Entscheidungsspielraum zusteht wie dem Gesetzgeber. Diesen Entscheidungsspielraum darf das Gericht nicht durch eigene Ordnungsvorstellungen schmälern. Es hat sich vielmehr auf die Prüfung der Verfassungsmässigkeit der in Frage stehenden Regelung zu beschränken. Eine vom Bundesrat getroffene Lösung, die sich im Rahmen des ihm zustehenden gesetzgeberischen Ermessens hält, die in der Verfassung enthaltenen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätze beachtet und die weiteren Verfassungsrechte respektiert, darf deshalb durch das Bundesgericht nicht korrigiert werden. Einschreiten darf dieses nur, wenn der Bundesrat die ihm eingeräumte Kompetenz überschritten hat, wobei das Bundesgericht auch den Umfang dieser Kompetenz zu ermitteln hat.
b) Im übrigen überprüft das Bundesgericht die Anwendung des Bundesrechts frei. In diesem Rahmen befindet es auch über die Auslegung der Vorschriften der bundesrätlichen Verordnung durch die Vorinstanzen und darüber, ob das Auslegungsergebnis mit den sachbezogenen Vorgaben der Verfassung übereinstimmt.
4.
a) Gemäss
Art. 41ter Abs. 1 lit. a BV
kann der Bund eine Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) erheben. Nach Absatz 3 kann die Steuer "in der Form einer Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug auf den Lieferungen von Gegenständen, auf Dienstleistungen sowie auf den Einfuhren erhoben werden." Die Ausführung ist Sache der Bundesgesetzgebung (Abs. 6).
Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV beauftragt den Bundesrat, in Abweichung von
Art. 41ter Abs. 6 BV
die Ausführungsbestimmungen zur Umsatzsteuer nach
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
, die bis zum Inkrafttreten der Bundesgesetzgebung gelten, zu erlassen. Art. 8 Abs. 2 ÜbBest. BV enthält sodann die weiteren Grundsätze, welche der Bundesrat für die Ausführungsbestimmungen zu beachten hat. Abs. 2 lit. h bestimmt:
2 Für die Ausführungsbestimmungen gelten die folgenden Grundsätze:
h. Der Steuerpflichtige schuldet die Steuer auf seinem steuerbaren Umsatz; verwendet er die ihm gelieferten Gegenstände und die ihm erbrachten Dienstleistungen für steuerbare Umsätze im In- oder Ausland, so kann er in seiner Steuerabrechnung von der von ihm geschuldeten Steuer als Vorsteuer abziehen:
1. die von anderen Steuerpflichtigen auf ihn überwälzte und
2. die auf der Einfuhr von Gegenständen oder auf dem Bezug von Dienstleistungen aus dem Ausland entrichtete Steuer;
3. 1,9 Prozent des Preises der Urprodukte, die er von nicht steuerpflichtigen Unternehmen nach Buchstabe d Ziffer 3 bezogen hat.
BGE 123 II 295 S. 300
Für Ausgaben, die keinen geschäftlichen Charakter haben, besteht kein Vorsteuerabzugsrecht.
Gestützt auf Art. 8 ÜbBest.BV hat der Bundesrat am 22. Juni 1994 die Mehrwertsteuerverordnung erlassen. Deren Art. 30 Abs. 2 in der bis 31. Dezember 1995 geltenden Fassung lautete:
2 Vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen sind 50 Prozent der Steuerbeträge auf Ausgaben für:
a. Unterkunft, Verpflegung und Getränke;
b. Die Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals;
c. ...
Am 18. September 1995 hat der Bundesrat
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
mit Wirkung ab 1. Januar 1996 wie folgt geändert (AS 1995 4669):
2 Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind 50 Prozent der Steuerbeträge auf Ausgaben für Verpflegung und Getränke.
b) Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass nur Ausgaben mit "geschäftlichem Charakter" zum Vorsteuerabzug berechtigen können. Das ergibt sich aus den vorbereitenden Arbeiten zu den Verfassungsartikeln, wo darauf hingewiesen wird, dass auf Ausgaben für Zwecke ausserhalb des steuerpflichtigen Unternehmens, also vor allem für den Privatverbrauch oder -gebrauch oder für eine der Steuer nicht unterliegende Unternehmenstätigkeit sowie für eindeutige Konsumausgaben, Luxusausgaben und Repräsentationsaufwendungen, der Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht werden kann (Bericht Matthey, Amtl.Bull. N 1993 331, 336, [französisch] 339, 344), und folgt eindeutig aus dem letzten Satz von Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV: "Für Ausgaben, die keinen geschäftlichen Charakter haben, besteht kein Vorsteuerabzugsrecht." Das ist zwischen den Parteien nicht streitig.
Fraglich ist indes, ob aus Art. 8 Abs. 2 lit. h letzter Satz ÜbBest. BV durch Umkehrschluss abgeleitet werden kann, dass für alle Ausgaben mit "geschäftlichem Charakter" ein Vorsteuerabzugsrecht besteht. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegner bejahen diese Frage. Nach ihrer Ansicht belastet die Mehrwertsteuer nur den privaten Verbrauch (einschliesslich den Privatverbrauch im Rahmen von Privatbezügen und Privatanteilen). Die Vorinstanz hat deshalb Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b) MWSTV, der das Vorsteuerabzugsrecht auf Ausgaben für Verpflegung, Unterkunft, Getränke und Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals
BGE 123 II 295 S. 301
auf 50 Prozent der darauf entfallenden Steuerbeträge beschränkt, als verfassungswidrig erklärt. Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, dass geschäftlich begründete Ausgaben nicht ungeachtet eines allfälligen Anteils Endkonsum zum Vorsteuerabzug berechtigen können; eine Verbrauchssteuer, die umfassend sein soll, müsse auch geschäftlich bedingten Endverbrauch erfassen. - Wie es sich damit verhält, ist im folgenden zu prüfen.
5.
a) Bei der Mehrwertsteuer, wie sie in
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
vorgesehen und in Art. 8 ÜbBest.BV in den Grundsätzen festgelegt ist, handelt es sich um eine allgemeine Verbrauchssteuer, die den Inlandverbrauch belastet. Der Steuerbezug erfolgt aber aus Praktikabilitätsgründen nicht beim Verbraucher, sondern auf einer oder mehreren Wirtschaftsstufen vor dem Verbrauch, also bei den Produzenten, Händlern und Dienstleistungsunternehmen. Die Steuer, die den Verbrauch belastet, wird somit vom Verkäufer oder Lieferanten entrichtet, der sie, sofern es die Marktverhältnisse gestatten, auf die Preise und damit auf den Abnehmer der Ware oder Dienstleistung überwälzt. Das entspricht auch dem Willen des Verfassungsgebers, wonach der Endverbraucher die Steuer tragen soll (Bericht Matthey, Amtl.Bull. N 1993 329 ff. bzw. 337 ff.; vgl. auch den Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 28. August 1996 zur Parlamentarischen Initiative "Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer" [Dettling], BBl 1996 V 713, 725 f.). Die Mehrwertsteuer wird somit nach dem Allphasenprinzip bei den Steuerpflichtigen auf jeder Wirtschaftsstufe erhoben. Um eine Steuerkumulation zu vermeiden, kann aber der Steuerpflichtige die Vorsteuer abziehen, das heisst, er schuldet dem Fiskus als Steuerbetrag die Differenz zwischen der Bruttosteuer, berechnet auf seinen Einnahmen für Lieferungen und Dienstleistungen, und der Steuer, die ihm von den Lieferanten auf seinen Einkäufen in Rechnung gestellt worden ist. Unter dem Titel Vorsteuerabzug kann somit der Steuerpflichtige insbesondere diejenigen Vorsteuern abziehen, die ihm von anderen Steuerpflichtigen für Lieferungen und Dienstleistungen fakturiert worden sind, sofern er diese Lieferungen oder Dienstleistungen für eine Tätigkeit verwendet, die der Steuer unterliegt (Amtl.Bull. N 1993 336 bzw. 344).
b) Ein modernes Verbrauchssteuersystem - wie die Mehrwertsteuer - muss nach Möglichkeit neutral sein in seinen Auswirkungen auf die Wettbewerbsverhältnisse (Grundsatz der Wettbewerbsneutralität), es darf nur den Verbrauch im Inland belasten (sog. Bestimmungslandprinzip) und muss das Gleichbehandlungsgebot
BGE 123 II 295 S. 302
beachten. Diese Forderungen werden nur erfüllt, wenn möglichst alle wirtschaftlichen Aktivitäten der Steuer unterworfen sind und der Verbrauch aller Waren und Dienstleistungen im Inland gleichmässig belastet wird. Ein derart umfassendes Verbrauchssteuersystem findet sich kaum in einem Land. Sowohl im schweizerischen Recht wie auch im Recht der Europäischen Gemeinschaften sind bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten aus sozial-, kultur- und wirtschaftspolitischen Gründen von der Besteuerung ausgenommen (vgl.
Art. 14 MWSTV
als Konkretisierung des Art. 8 Abs. 2 lit. b ÜbBest.BV und dazu HÖHN/VALLENDER in Kommentar BV, Art. 41ter Rz. 63 ff.; s. auch die Ausnahmeliste in Art. 13 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 [77/388/EWG] zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften [Abl. EG] 1977 Nr. L 145, S. 9, im folgenden als "Sechste Richtlinie" zitiert).
Soll die Mehrwertsteuer den Endverbrauch belasten, muss der Steuerpflichtige zudem die Vorsteuern ausnahmslos abziehen können. Das Vorsteuerabzugsrecht beschränkt sich deshalb nicht auf den Einkauf von Handelswaren und Werkstoffen, es darf vielmehr auch beim Bezug von Investitions- und Anlagegütern sowie Betriebsmitteln ausgeübt werden. Damit wird die Steuerkumulation, die sogenannte "taxe occulte" der bisherigen Warenumsatzsteuer, weitgehend vermieden. Da jedoch der Abzug der Vorsteuer ausgeschlossen ist für Gegenstände und Dienstleistungen, die für nicht steuerbare Umsätze des Unternehmens (vgl. besonders Art. 8 Abs. 2 lit. b ÜbBest.BV,
Art. 14 MWSTV
) oder für private Zwecke verwendet werden, bleibt eine "taxe occulte" im Umfang der von der Steuer ausgenommenen Umsätze weiterhin bestehen.
Auf diesen Gesichtspunkt wurde bereits bei den vorbereitenden Arbeiten zu den Verfassungsartikeln hingewiesen (Amtl.Bull. N 1993 330 f., 338 f.). Er muss auch bei der Auslegung von Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3, Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV sowie
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
beachtet werden.
6.
Die Vorinstanz erachtet die Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auf den in Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b) MWSTV genannten Geschäftsspesen (für Unterkunft, Verpflegung, Getränke und Beförderung bei Geschäftsreisen) als verfassungswidrig. Sie argumentiert vor allem mit der Systematik und den Prinzipien der Mehrwertsteuer, die als Verbrauchssteuer den privaten Verbrauch (und nur diesen) belaste. Werde für einzelne geschäftliche Ausgaben das
BGE 123 II 295 S. 303
Vorsteuerabzugsrecht beschränkt, so blieben die Unternehmen mit Steuern belastet, welche sie nicht abziehen könnten. Das Verbrauchssteuerprinzip, wonach nur der (private) Verbrauch besteuert werden soll, werde dadurch verletzt.
a) Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV legt als Grundsatz fest, unter welchen Voraussetzungen ein Vorsteuerabzugsrecht besteht: Die Vorsteuer kann auf Gegenständen und Dienstleistungen nur abgezogen werden, wenn der Steuerpflichtige sie für steuerbare Umsätze im In- und Ausland verwendet. Für Ausgaben ohne geschäftlichen Charakter besteht kein Vorsteuerabzugsrecht (Art. 8 Abs. 2 lit. h letzter Satz ÜbBest. BV). Es handelt sich um eine negative Voraussetzung, die ein Vorsteuerabzugsrecht nicht entstehen lässt. Dies hat die Vorinstanz mit Recht erkannt.
Das bedeutet indessen nicht, dass Ausgaben mit geschäftlichem Charakter ohne weiteres zum Vorsteuerabzug berechtigen. Anspruch auf Vorsteuerabzug haben nur diejenigen Unternehmen, die der Mehrwertsteuerpflicht unterstehen und als solche registriert sind. Das folgt klar aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV ("Der Steuerpflichtige ...") und entspricht dem System der Mehrwertsteuer als Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug (vgl. dazu HEINZ KELLER, Vorsteuerabzug, ASA 63 S. 424 ff.).
Damit ein Vorsteuerabzugsrecht besteht, ist zudem erforderlich, dass die mit der Vorsteuer belasteten Gegenstände oder Dienstleistungen für "steuerbare Umsätze" verwendet werden, wie sich aus Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV ausdrücklich ergibt. Geschäftlich begründete Ausgaben, die nicht im Zusammenhang mit steuerbaren Lieferungen stehen, berechtigen nicht zum Vorsteuerabzug. Das ist beispielsweise der Fall für alle Ausgaben, die im Hinblick auf von der Steuer ausgenommene Umsätze getätigt werden (Art. 8 Abs. 2 lit. b ÜbBest. BV,
Art. 14 MWSTV
). Gleich verhält es sich bei geschäftlichen Ausgaben für Leistungen, die von einem der Steuer unterstellten bei einem der Steuer nicht unterstellten Unternehmen angefordert werden (mit Ausnahme der bei nicht steuerpflichtigen Urproduzenten und Viehhändlern bezogenen Erzeugnisse, Art. 8 Abs. 2 lit. h Ziff. 3 ÜbBest. BV,
Art. 29 Abs. 4 MWSTV
), sowie für die Gesamtheit der geschäftlichen Ausgaben eines nicht der Steuer unterstellten Unternehmens (
Art. 19 MWSTV
). Verwendet der Steuerpflichtige Gegenstände oder Dienstleistungen sowohl für Zwecke, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, als auch für andere Zwecke, so ist der Vorsteuerabzug nach dem Verhältnis der Verwendungen zu kürzen (
Art. 32 Abs. 1 MWSTV
).
BGE 123 II 295 S. 304
Es wird von keiner Seite geltend gemacht, dass diese Regelung des Rechts zum Vorsteuerabzug verfassungswidrig sei. Sie ergibt sich aus den in der Verfassung niedergelegten mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätzen, insbesondere über die Steuerpflicht und die steuerbaren sowie von der Steuer ausgenommenen Umsätze. Auch die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates hat in ihrem Bericht und Entwurf zu einem Mehrwertsteuergesetz (Art. 36 Abs. 4) zur Verdeutlichung Tatbestände aufgezählt, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen, wie namentlich die von der Steuer ausgenommenen Umsätze, die nicht als Umsätze geltenden Tätigkeiten (Bezahlung von Schadenersatz, von gesetzlichem Verzugszins usw.) und die Umsätze in Ausübung hoheitlicher Gewalt (BBl 1996 V 776, 908). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz nimmt der Verfassungsgeber auf diese Weise in Kauf, dass eine Steuerbelastung, eine "taxe occulte", nicht nur auf Ausgaben für nichtsteuerbare Umsätze (dem Gegenstand der Steuer) bestehen bleibt, sondern auch bei subjektiver Steuerbefreiung oder bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage.
b) Die Vorinstanz beruft sich für die Umschreibung der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgaben mit "geschäftlichem Charakter" auf das Recht der direkten Bundessteuer und den dort verwendeten Begriff der "geschäftsmässig begründeten Aufwendungen" (vgl. Art. 27 Abs. 1 und 58 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer, DBG, SR 642.11).
Dieser Vergleich weckt Bedenken. Auch wenn sich die Begriffe teilweise überschneiden, lassen sich daraus keine Anhaltspunkte für die Bestimmung des Umfangs der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgaben gewinnen. Den beiden Steuern liegen unterschiedliche Besteuerungsziele zugrunde. Die direkte Bundessteuer erfasst das reine Einkommen bzw. den Reinertrag, der Massstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmung bildet. Im Rahmen dieser Steuer gehören zu den Gewinnungskosten der Unternehmung alle Aufwendungen, die weder zum Erwerb aktivierungspflichtiger Wirtschaftsgüter oder zur Schuldenzahlung bestimmt sind, noch Privatentnahmen oder verdeckte (und offene) Gewinnausschüttungen darstellen. Ferner gehören die Abschreibungen und Rückstellungen dazu (ERNST HÖHN, Steuerrecht, 7. Aufl. 1993, § 15 Rz. 81, S. 245 f.). Diese Begriffsumschreibung ist für die Mehrwertsteuer offensichtlich nicht geeignet. Wie namentlich Reich hervorhebt, belastet die Mehrwertsteuer im Unterschied zur Einkommenssteuer,
BGE 123 II 295 S. 305
welche auf die Einkommenserzielung ausgerichtet ist, den Verbrauch. Erfasst wird aber nicht nur die Einkommensverwendung, sondern jede Mittelverwendung ungeachtet ihrer Herkunft, also auch der fremdfinanzierte Verbrauch. Die Mehrwertsteuer knüpft zwar rechtstechnisch bei den steuerpflichtigen Unternehmen an, doch sind diese nur für die Ablieferung der Steuer besorgt, während der Endverbraucher die Steuer schliesslich tragen soll (MARKUS REICH, Grundzüge der Mehrwertsteuerordnung in der Schweiz und in der EU, Der Schweizer Treuhänder 69/1995 S. 329 f.; ähnlich MAURICE LAURÉ, Science fiscale, Paris 1993, S. 229). Wegen der anders gearteten Steuersysteme lassen sich bei der Mehrwertsteuer die "Ausgaben mit geschäftlichem Charakter" daher nicht nach einkommenssteuerrechtlichen Kriterien bestimmen (vgl. auch zum deutschen Recht WOLFRAM BIRKENFELD, Das grosse Umsatzsteuer-Handbuch, 2. Aufl. Köln 1996, Einführung Rz. 290 f.; DZIADKOWSKI/WALDEN, Umsatzsteuer, 4. Aufl. München/Wien 1996, S. 148. Anderer Meinung: HÖHN/VALLENDER, a.a.O., Art. 41ter Rz. 79; R. WALDBURGER, Gutachten über die Frage der Verfassungsmässigkeit von Art. 30 Abs. 2 der Mehrwertsteuerverordnung vom 22. Juni 1994, St. Gallen, 4. Juli 1995, S. 10 ff.) Selbst wenn bei der direkten Bundessteuer zwischen den Ausgaben für die Erzielung des Einkommens (im organischen Sinn) und der Verwendung des Einkommens unterschieden wird, entspricht der Begriff der Einkommensverwendung bei der direkten Steuer nur teilweise demjenigen des Endverbrauchs im mehrwertsteuerrechtlichen Sinn. Darauf ist noch zurückzukommen (E. 7a).
Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest.BV führt zu keinem anderen Ergebnis. Es trifft zu, dass ein Vorentwurf zu Art. 8 ÜbBest. BV noch vorsah, dass für Ausgaben ohne "streng geschäftlichen Charakter" kein Vorsteuerabzugsrecht bestehe. Das Wort "streng" wurde von der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates in der Folge gestrichen. Aus dieser redaktionellen Änderung in der Kommission kann indes (entgegen HÖHN/VALLENDER, a.a.O., Art. 41ter Rz. 81) kaum geschlossen werden, dass beim Verfassungsgeber die Absicht bestanden habe, für den Vorsteuerabzug auf die Kriterien bei der direkten Bundessteuer zu verweisen. In den parlamentarischen Debatten gab denn auch dieser Satz zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass (vgl. Amtl.Bull. N 1993 336, 395, 399, 1246, S 1993 331, 336).
c) Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid hervorgehoben, dass es sich bei der Mehrwertsteuer nach ihrer Funktionsweise
BGE 123 II 295 S. 306
um eine Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug handelt. Das trifft zu, doch kommt deswegen dem Prinzip des Vorsteuerabzugsrechts gegenüber anderen Prinzipien nicht absolute Geltung zu, wie bereits dargelegt worden ist (vorn E. 5b, 6a). Schon die verschiedenen Bestimmungen in Art. 8 Abs. 2 ÜbBest.BV setzen diesem Prinzip Grenzen. So schliesst Buchstabe b den Vorsteuerabzug aus, soweit Leistungen erbracht werden, die von der Steuer ausgenommen sind (z.B. Leistungen im Bereich des Gesundheitswesens, der Sozialfürsorge oder Erziehung). Buchstabe d sieht vor, dass bestimmte Unternehmen der Mehrwertsteuerpflicht nicht unterstehen; diese Unternehmen sind zum Vorsteuerabzug nur berechtigt, wenn sie für die Steuerpflicht optieren können und davon auch Gebrauch machen (Buchstabe d in fine). Vor allem aber räumt Buchstabe h nicht generell die Möglichkeit ein, die Vorsteuer abzuziehen, sondern beschränkt den Vorsteuerabzug grundsätzlich auf die dort aufgezählten Fälle.
d) Aus den Vorarbeiten zur Mehrwertsteuerverordnung ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte, die dazu führen könnten, das Prinzip des Vorsteuerabzugs dem Grundsatz der Besteuerung des Endverbrauchs vorzuziehen:
Der Entwurf vom 28. Oktober 1993 zur Mehrwertsteuerverordnung (Art. 31 Abs. 4) beschränkte sich darauf zu erwähnen, vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen seien die Auslagen ohne geschäftlichen Charakter wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen oder Repräsentationsaufwendungen. Eine dem
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
entsprechende Vorschrift enthielt der Entwurf noch nicht. Im Kommentar zu diesem Entwurf unterscheidet das Eidgenössische Finanzdepartement deutlich zwischen dem Abzug der Vorsteuer im Rahmen der Mehrwertsteuer, die den Endverbrauch möglichst lückenlos und rechtsgleich erfassen soll, und den Abzügen bei den direkten Steuern. Die im Vernehmlassungsverfahren geäusserten Ansichten waren geteilt. Gewisse Kreise traten für eine restriktive Auslegung der Vorschrift ein, andere verlangten, dass sie vollumfänglich gestrichen werde (Bericht des Eidgenössischen Finanzdepartements über das Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf über die Mehrwertsteuer vom 28. Oktober 1993, S. 23 f.). Die Bestimmung im Verordnungsentwurf wurde teilweise in Art. 30 Abs. 1 der geltenden Mehrwertsteuerverordnung übernommen; sie ist hier nicht streitig. Art. 30 Abs. 2 wurde neu eingefügt. Die späteren parlamentarischen dringlichen Interpellationen (Amtl.Bull. N 1994 1812 ff., 1815 ff., 1838, bzw.
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die dringliche einfache Anfrage, 2569), bei welchen Gelegenheiten der Bundesrat seine Ansicht über die Begründetheit und Verfassungsmässigkeit des
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
zum Ausdruck brachte, ergeben keine neuen Gesichtspunkte. Der Bundesrat hat zwar mit Wirkung ab 1. Januar 1996 die Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auf Ausgaben für Unterkunft und Beförderung bei Geschäftsreisen in
Art. 30 Abs. 2 MWSTV
gestrichen, ohne jedoch eine Begründung für seinen Schritt zu geben (s. auch Amtl.Bull. S 1995 1147 f.). Was schliesslich den Entwurf zu einem Mehrwertsteuergesetz anbelangt, so hat die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates bei der Frage der Beschränkung des Vorsteuerabzugsrecht im wesentlichen den angefochtenen Entscheid kodifiziert (vgl. BBl 1996 V 775, 865 f.). Dass - aus verfassungsrechtlichen Gründen - dem Prinzip des Vorsteuerabzuges gegenüber dem Grundsatz der Besteuerung des Endverbrauchs der Vorrang eingeräumt werden muss, lässt sich daraus nicht ableiten.
7.
a) Die Mehrwertsteuer ist eine Verbrauchssteuer, die den Endverbraucher belasten soll. Der verfassungsmässigen Umschreibung der Mehrwertsteuer lässt sich nicht entnehmen, was Endverbrauch ist. Verbrauch wird im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer nicht im Sinne eines physischen Verzehrs, sondern als Einkommensverwendung für den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen für den persönlichen Gebrauch definiert (PETER WALDEN, Die Umsatzsteuer als indirekte Verbrauchssteuer, Berlin 1988, S. 48 mit Hinweisen). Endverbrauch liegt vor, wenn die fraglichen Güter oder Dienstleistungen nicht mehr Gegenstand von weiteren entgeltlichen Leistungen sein können. Endverbraucher ist somit derjenige, der einen Gegenstand oder eine Dienstleistung zu seinem persönlichen Gebrauch (und nicht für eine geschäftliche Tätigkeit) ersteht und der die Steuer schliesslich trägt, weil er sie nicht durch einen weiteren Umsatz überwälzen kann (BIRKENFELD/FORST, Das Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, Bielefeld 1994, S. 74; DZIADKOWSKI/WALDEN, a.a.O., S. 8 und 9). Der Endverbrauch ist grundsätzlich privat, doch ist das nicht zwingend, wie die Vorinstanz annimmt (BEN TERRA, Sales Taxation, The Case of Value Added Tax in the European Community, Deventer/Boston 1988, S. 5/6; WALDEN, a.a.O., S. 200 ff.). Gewisse - aus der Sicht des Einkommenssteuerrechts - geschäftliche Ausgaben können für Tätigkeiten erfolgen, die ausserhalb des Unternehmenszwecks liegen, das heisst für die betriebliche Leistungserstellung nicht unmittelbar notwendig sind. Dazu gehören namentlich alle Ausgaben, die
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durch die geschäftliche Tätigkeit veranlasst sind, aber die Lebensführung der Begünstigten berühren (vgl. WALDEN, a.a.O., S. 200-214, zur Besteuerung des "Aufwendungseigengebrauchs" im deutschen Recht). Inwieweit ein Endverbrauch auf der Stufe des steuerpflichtigen Unternehmens besteuert wird, hängt letztlich von der Regelung über den Vorsteuerabzug ab: Soweit ein Vorsteuerabzug nicht gegeben ist, bleibt der Unternehmer mit den Vorsteuern belastet, so dass ein "Verbrauch" unter Umständen bereits in der Unternehmenssphäre erfolgt. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, durch Regelung des Vorsteuerabzugsrechts den Verbrauchsbegriff enger oder weiter zu fassen. Er kann das Vorsteuerabzugsrecht einschränken oder gänzlich ausschliessen, sofern er der Auffassung ist, dass ein "Verbrauch" bereits auf der Stufe des steuerpflichtigen Unternehmens stattfindet. Dem Gesetzgeber wird schwerlich vorgeworfen werden können, er habe gegen "systemimmanente Prinzipien" des Mehrwertsteuerrechts oder gegen die Verfassung verstossen, wenn er dafür vernünftige Gründe anführen kann und eine Regelung trifft, die gerecht und rechtsgleich ausgestaltet ist und insbesondere die Wettbewerbsneutralität achtet. Nichts anderes kann für den Bundesrat gelten, solange er aufgrund der ihm eingeräumten Verordnungskompetenz anstelle des Gesetzgebers tätig werden muss.
Das trifft auch für die in Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b) MWSTV erwähnten Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung und Getränke sowie Beförderung bei Geschäftsreisen zu, für welche die Vorinstanz und die Parteien anerkennen, dass sie einen Anteil Endverbrauch enthalten. "Gemischte" Ausgaben dieser Art dürfen in einem Umsatzsteuersystem, das den Verbrauch möglichst umfassend belasten will, ebenfalls berücksichtigt werden. Der Einwand, dass sie geschäftsmässig begründet seien und daher nicht der Verbrauchssteuer unterliegen dürfen, entspringt einem am Einkommenssteuerrecht orientierten Denken, das den Reingewinn der Unternehmung als Steuerobjekt betrachtet. Verbrauch durch eine Unternehmung kann daher auch vorliegen, wenn sie Güter oder Dienstleistungen in einer Art verwendet, wie das im Rahmen des Privatverbrauchs der Fall sein kann. Offensichtlich zu weit geht jedoch die Ansicht des Eidgenössischen Finanzdepartements (Kommentar zur Mehrwertsteuerverordnung, S. 33, ad Art. 30), dass praktisch in jeder geschäftlichen Ausgabe Endverbrauch liege.
b) Die Ansicht, dass gewisse Ausgaben im Zusammenhang mit einer geschäftlichen Tätigkeit steuerbaren Endverbrauch darstellen, ist auch ausländischen Rechtsordnungen nicht fremd.
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aa) Bereits Art. 11 Ziff. 4 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 (67/228/EWG) zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (Abl. EG 1967 Nr. 71, S. 1303) sah vor, dass "bestimmte Gegenstände und bestimmte Dienstleistungen ... vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen werden (können), und zwar insbesondere die Gegenstände und Dienstleistungen, die ganz oder teilweise für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder seines Personals verwendet werden können." Daraus kann schwerlich abgeleitet werden, dass die Beschränkung oder der Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts bei geschäftlich motivierten Ausgaben, die Endverbrauch darstellen, unzulässig sein soll.
Eingehend geregelt ist das Vorsteuerabzugsrecht in den Art. 17 - 20 der Sechsten Richtlinie (zit. vorn E. 5b). Abziehbar sind Vorsteuern unter den in Art. 17 Abs. 2 bezeichneten allgemeinen und ausserdem in Art. 17 Abs. 3 aufgezählten besonderen Voraussetzungen. Gemäss Art. 17 Abs. 5 sind bei gemischter Verwendung die Vorsteuerbeträge pro rata aufzuteilen. Art. 17 Abs. 6 bestimmt sodann:
(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.
Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.
Der von der Kommission dem Rat vorgelegte Entwurf zu einem Art. 17 Abs. 6 sah noch vor, dass u.a. auf Ausgaben für Beherbergung (accomodation), Unterkunft, Bewirtung, Verpflegung, Getränke, Unterhaltung und Beförderung von Personen sowie für Luxusausgaben und Ausgaben für Vergnügungen die Vorsteuer nicht abgezogen werden kann. Im Bericht wird dazu ausgeführt, dass solche Ausgaben den Charakter von Endverbrauch haben, selbst wenn sie im Rahmen der üblichen Unternehmenstätigkeit anfallen und die Aufteilung in berufliche und private Ausgaben nicht genau nachprüfbar ist. Aus diesem Grund, und um eine einheitliche Steuererhebung
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zu erreichen und Missbräuchen vorzubeugen, sei auf diesen Ausgaben der Vorsteuerabzug nicht zuzulassen. Im Europäischen Parlament wurden Bedenken laut hinsichtlich der Ausgaben für Unterkunft und Beförderung von Personen: Das diesen Ausgaben innewohnende Element des privaten Verbrauchs sei derart untergeordnet, dass es sich nicht rechtfertige, den Vorsteuerabzug zu verweigern. In der Erklärung wird festgehalten, diese Ausgaben seien zu einer anderen Kategorie zu zählen und würden in vielen Fällen einen wesentlichen Anteil der Betriebsausgaben (operating costs) der Unternehmung ausmachen. Das Europäische Parlament schlug in der Folge vor, das Vorsteuerabzugsrecht nur auf den Ausgaben für Bewirtung, Verpflegung, Getränke und Unterhaltung auszuschliessen. Einzig der Wirtschafts- und Sozialausschuss hielt dafür, dass der Vorsteuerabzug auf allen Ausgaben, welche für die Tätigkeit der Unternehmung nötig seien, wie für Geschäftswagen, Beförderung, Hotels usw., zugelassen werden müsse. Der in der Folge übernommene, geltende Text des Art. 17 Abs. 6 zeigt, dass hinsichtlich der Umschreibung der Ausgaben, für welche kein Vorsteuerabzugsrecht beansprucht werden kann, die Mitgliedstaaten sich nicht auf eine gemeinsame Regelung einigen konnten (zum Ganzen TERRA/KAJUS, A Guide to the European VAT Directives, Volume 2, Amsterdam 1993, Kap. XI, S. 58-60).
Gestützt auf die Sechste Richtlinie und insbesondere auf deren Art. 17 Abs. 6 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften dem Rat am 25. Januar 1983 einen Vorschlag für eine Zwölfte Richtlinie vorgelegt (Abl. EG 1983 Nr. C 37, S. 8). Dieser Entwurf sieht (in seiner Fassung gemäss Änderungsvorschlag vom 20. Februar 1984, Abl. EG 1984 Nr. C 56, S. 7) den vollständigen Ausschluss vom Vorsteuerabzug auf Ausgaben im Zusammenhang u.a. mit Sportbooten und Sportflugzeugen (Art. 1), Ausgaben für die Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals (Art. 2), für Unterkunft, Verpflegung und Getränke (Art. 3), auf Repräsentationsaufwendungen einschliesslich Aufwendungen für die Bewirtung von Geschäftsfreunden und unternehmensfremden Personen (Art. 4) sowie auf Aufwendungen für Vergnügungen und Luxusausgaben (Art. 5) vor. Der Steuerpflichtige kann aber den vollständigen Abzug der Vorsteuer verlangen, wenn er nachweist, dass diese Ausgaben "ausschliesslich beruflichen Charakter" haben (Art. 3a) (vgl. Abl. EG Nr. C 37, S. 8). Dieser Ausschluss vom Vorsteuerabzug geht wesentlich weiter als in der Sechsten Richtlinie. Allerdings konnte eine Zwölfte Richtlinie bis
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heute nicht verabschiedet werden, was auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedstaaten zurückzuführen ist. Diese Differenzen sind bereits in den nationalen Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten angelegt, die gestützt auf Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie die in ihrem Recht vorgesehenen Beschränkungen bzw. Ausschlüsse vom Vorsteuerabzugsrecht beibehalten haben (vgl. PIERRE DI MALTA, Droit fiscal européen comparé, Paris 1995, Ziff. 289, S. 347-348, mit Übersicht zu den nationalen Gesetzgebungen; vgl. ferner Organisation de Coopération et de Développement Économiques [OCDE/OECD], L'impôt sur la consommation, Paris 1988, Ziff. 5.35 ff., S. 100 ff. Zu den Bestrebungen hinsichtlich einer Zwölften Richtlinie, vgl. TERRA/KAJUS, a.a.O., Kap. XI, S. 130.1 - 130.3.)
bb) Das französische Recht schliesst (mit gewissen Ausnahmen) den Abzug der Mehrwertsteuer, die auf den Ausgaben für Unterkunft, Bewirtung, Empfänge und Vergnügungen lastet, grundsätzlich aus (Art. 236 Annexe II Code général des impôts 1995, CGI). Gleich verhält es sich mit den Ausgaben für die Beförderung von Personen (Art. 240 Annexe II CGI).
cc) Die Regelung im deutschen Umsatzsteuergesetz, die allgemein als eher kompliziert erachtet wird, lässt zwar den Abzug der Vorsteuer auf Ausgaben für die Bewirtung und Beförderung aus geschäftlichem Anlass ohne Einschränkung zu. Doch sieht das Umsatzsteuergesetz (§ 1 Abs. 1 Ziff. 2 lit. c UStG 1993) die Besteuerung dieser Ausgaben als Eigenverbrauch vor, soweit sie nach den Vorschriften des Einkommenssteuergesetzes (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 - 7, Abs. 7 oder § 12 Nr. 1) nicht abgezogen werden können. Das gilt nicht für 20 Prozent der angemessenen und nachgewiesenen Bewirtungsaufwendungen, die bei der Einkommenssteuer nicht zum Abzug zugelassen werden. Diese Regelung schien dem Gesetzgeber geeigneter als der nach der Sechsten Richtlinie ebenfalls mögliche Ausschluss vom Vorsteuerabzug (vgl. BIRKENFELD, a.a.O., I Nr. 1419 ff., 1445 ff., 1488; DZIADKOWSKI/WALDEN, a.a.O., S. 147 ff.).
dd) Die übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft beschränken den Abzug der Vorsteuern oder schliessen ihn meistens aus auf Ausgaben für Personenwagen, Motorräder, Sportschiffe, Flugzeuge, Beförderung von Personen aus beruflichen Gründen, Unterkunft, Verpflegung, Bewirtungskosten, Geschenke, Repräsentationsspesen und Luxusausgaben (vgl. die Nachweise vorn E. aa in fine). In ihrem Bericht aus dem Jahre 1988 hielt die Organisation
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für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fest, dass alle Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen hätten, welche den Abzug der Vorsteuern auf dem Kauf bestimmter Güter (einschliesslich Dienstleistungen), die für den persönlichen Gebrauch von Personen in leitender Stellung, Angestellten und Aktionären bestimmt sind, beschränken wie auch auf bestimmten Aufwendungen der Unternehmen, die leicht für den persönlichen Gebrauch verwendet werden können. Die Besteuerung könne auf zwei Arten sichergestellt werden: Entweder dadurch, dass die Besteuerung ausdrücklich festgelegt werde, oder durch Ausschluss des Vorsteuerabzuges auf der Stufe der Unternehmung. Die meisten Staaten würden beide Methoden kombinieren (OECD, a.a.O., S. 187 ff., Ziff. 10.22 ff.).
ee) Es ergibt sich somit, dass das europäische Umsatzsteuerrecht keine Richtlinie enthält, welche die Mitgliedstaaten anhalten würde, wie die Besteuerung von Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung, Getränke, Beförderung bei Geschäftsreisen und ähnlichen Ausgaben zu regeln sei. Zwischen den Landesrechten bestehen erhebliche Divergenzen, doch beschränken die meisten Mitgliedstaaten das Vorsteuerabzugsrecht auf solchen Ausgaben oder schliessen es ganz aus.
c) Ausgaben für Verpflegung und Getränke sind im wesentlichen Verbrauchsausgaben, denen immer ein Anteil Endverbrauch anhaftet. In dieser Hinsicht kann dem Bundesrat nicht vorgeworfen werden, er habe die Ausgaben, auf denen er das Vorsteuerabzugsrecht beschränkt hat, nicht nach sachlichen Kriterien ausgewählt. Es handelt sich typischerweise um Ausgaben, für welche die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften das Vorsteuerabzugsrecht beschränken oder ausschliessen. Die Regelung trifft zudem alle steuerpflichtigen Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Ausgaben in gleicher Weise. Sie mag sich auf einzelne Branchen oder Wirtschaftszweige mit einem hohen Anteil solcher Ausgaben stärker auswirken als auf andere. Unter dem Gesichtswinkel der Wettbewerbsneutralität der Mehrwertsteuer als entscheidend erscheint indes, dass nicht einzelne Konkurrenten derselben Branche oder desselben Wirtschaftszweiges bevorteilt werden.
Das trifft auch auf die Ausgaben für Unterkunft und Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals zu. Zwar gehören Reisen und auswärtiges Übernachten nicht wie Verpflegung und Getränke zum lebensnotwendigen Bedarf. Es lässt sich daher durchaus die Auffassung vertreten, das diesen Ausgaben innewohnende Element des "privaten" Verbrauchs sei derart untergeordnet,
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dass sich eine Beschränkung des Vorsteuerabzugs für diese Ausgaben nicht rechtfertigt (so auch die Einwände, wie sie im Europäischen Parlament bei den Beratungen zum Entwurf für eine Zwölfte Richtlinie geäussert wurden, vgl. vorn E. b/aa). Doch ist zu beachten, dass dem Bundesrat im Rahmen der ihm durch die Verfassung eingeräumten Kompetenz das gleiche Ermessen zusteht wie dem Gesetzgeber (vorn E. 3). Zu verlangen ist, dass er die geschäftlichen Ausgaben, auf denen er den Vorsteuerabzug beschränken will, nach sachlichen Kriterien auswählt. Das ist hinsichtlich der Ausgaben für Reisen und Unterkunft der Fall, obschon das diesen Ausgaben innewohnende Element des Endverbrauchs, wegen des sehr engen geschäftlichen Bezuges dieser Ausgaben, weniger offenkundig zutage tritt als bei den Spesen für Verpflegung und Getränke. Wenn der Bundesrat daher auf diesen Ausgaben bis Ende 1995 den Vorsteuerabzug ebenfalls nur zur Hälfte zugelassen hat, kann nicht gesagt werden, er habe sein Ermessen überschritten oder missbraucht, auch wenn er dabei an die Grenze seines Ermessens gegangen sein mag.
Keine Regelung kann - für sich betrachtet - ganz befriedigen. Sowohl die uneingeschränkte Gewährung des Vorsteuerabzuges auf Geschäftsspesen wie auch der vollständige Ausschluss oder Zwischenlösungen haben ihre Vor- und Nachteile. Angesichts der unterschiedlichen Regelungen in den europäischen Staaten widerspricht die Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts in der Mehrwertsteuerverordnung dem System des europäischen Umsatzsteuerrechts nicht. Die meisten Länder schliessen das Vorsteuerabzugsrecht auf Geschäftsspesen teilweise oder vollständig aus. Das deutsche Recht verweist auf das Einkommenssteuerrecht, das seinerseits geschäftlich begründete Ausgaben nur insofern zum Abzug zulässt, als sie angemessen sind. Unter diesen Umständen entsteht den schweizerischen Unternehmungen durch Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b in der bis Ende 1995 gültigen Fassung) MWSTV kein Wettbewerbsnachteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten. Für die vom Bundesrat getroffene Lösung sprechen sachliche Gründe - Gleichbehandlung der Unternehmungen untereinander, konsequente Besteuerung des Endverbrauchs - so dass sie auch nicht gegen die Grundrechtsgarantien des
Art. 4 BV
oder gegen Grundsätze der
Art. 41ter Abs. 3 BV
und 8 ÜbBest. BV verstösst.
d) Der vollständige Abzug der Vorsteuern auf Geschäftsspesen, wie die Vorinstanz ihn vorsieht, würde jegliche Überbesteuerung vermeiden, aber dazu führen, dass der Endverbrauch, den diese
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Ausgaben für die Begünstigen darstellen, unbesteuert bliebe. Die Lösung der Vorinstanz hätte auch eine Ungleichbehandlung der Unternehmen zur Folge. Der Arbeitgeber, der für sein Personal Unterkunft oder Verpflegung zur Verfügung stellt, kann die darauf entfallenden Vorsteuern nicht oder nur in Abzug bringen, wenn er die diesbezüglichen Aufwendungen als Eigenverbrauch zu versteuern hat (vgl. Art. 8 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit
Art. 4 lit. c MWSTV
). Auch der Arbeitgeber, der seinem Personal als Aufwendungsersatz für Unterkunft, Beherbergung und Beförderung eine feste Entschädigung oder Pauschale nach
Art. 327a Abs. 2 OR
vergütet, kann keinen Vorsteuerabzug geltend machen, obschon er - indirekt - über die feste Entschädigung oder die Pauschale mit den von den Arbeitnehmern entrichteten Mehrwertsteuern belastet bleibt. Nur derjenige Arbeitgeber, der diese Kosten direkt bezahlt, könnte davon profitieren, wenn der Vorinstanz gefolgt würde.
Die Beschwerdeführerin rechtfertigt die Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auch damit, dass die in Frage stehenden Ausgaben ihrer Natur nach die Gefahr von Missbräuchen und Steuerhinterziehungen enthalten, was zu Wettbewerbsverzerrungen führen könne. Auf diesen Gesichtspunkt hat bereits die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Begründung zum Entwurf vom 25. Januar 1983 für eine Zwölfte Richtlinie (Abl. EG 1983 Nr. C 37, S. 8) hingewiesen. Zwar vermag die Gefahr von Missbräuchen allein keine Regelung zu rechtfertigen, die zu einer Überbesteuerung - insbesondere der ehrlichen Steuerzahler - führt. Wo aber verschiedene Lösungen gleichermassen denkbar sind und zu einer sachgerechten Besteuerung führen, kann eine Lösung nicht schon deshalb als verfassungswidrig bezeichnet werden, weil sie der Missbrauchsgefahr ebenfalls Rechnung zu tragen sucht. Eine Steuerrechtsordnung ist um so gerechter, als sie eine rechtsgleiche Behandlung aller Steuerpflichtigen sichert. Dazu gehört, dass sie für Missbräuche wenig anfällig ist. Das trifft auch auf die hier in Frage stehende Regelung zu.
8.
Gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. l ÜbBest. BV kann der Bundesrat Vereinfachungen anordnen, wenn sich daraus weder auf die Steuereinnahmen noch auf die Wettbewerbsverhältnisse in wesentlichem Ausmass Auswirkungen ergeben und sofern dadurch die Steuerabrechnung für andere Steuerpflichtige nicht übermässig erschwert wird. Gestützt auf diese Bestimmungen können den Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen Erleichterungen gewährt und insbesondere die annähernde Ermittlung der Steuer
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(Pauschalierung) gestattet werden, wenn die genaue Feststellung der für die Bemessung der Steuer massgebenden Tatsachen mit einem unverhältnismässigen Aufwand verbunden wäre (vgl. Amtl.Bull. N 1993 336, 344). Bei der Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts auf 50 Prozent bei Ausgaben für Unterkunft, Verpflegung und Getränke sowie für die Beförderung bei Geschäftsreisen des Steuerpflichtigen und seines Personals handelt es sich um eine solche Pauschalierung. Allerdings geht es nicht darum, einen geschäftlichen Anteil von einem Privatanteil abzugrenzen, wie die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat; in Frage steht einzig, wie dem in diesen geschäftlichen Ausgaben enthaltenen Anteil Endverbrauch Rechnung zu tragen sei. Es liegt auf der Hand, dass sich dieser Anteil nicht aufgrund feststehender Tatsachen ziffernmässig exakt festlegen lässt und es auch nicht den steuerpflichtigen Unternehmen überlassen sein kann, diesen Anteil selbst zu bestimmen, sondern dass der Bundesrat eine Pauschallösung treffen musste. Indem er eine mittlere Lösung (50 Prozent der Vorsteuern auf den fraglichen Ausgaben, die abgezogen werden können) getroffen hat, halten sich Steuerausfall und Mehrertrag gegenüber einer Lösung, die den Vorsteuerabzug auf Geschäftsspesen entweder ganz oder überhaupt nicht zulässt, die Waage. Die Steuerabrechnung wird für andere Steuerpflichtige dadurch nicht beeinflusst.
Es ist auch nicht zwischen den verschiedenen Arten von Ausgaben zu unterscheiden (Ausgaben für Verpflegung und Getränke einerseits und Ausgaben für Unterkunft und Beförderung bei Geschäftsreisen andererseits), weil es nicht darum gehen kann abzuklären, ob sie einen mehr oder weniger grossen Privatanteil enthalten, sondern einzig in Frage steht, ob ihr gemischter Charakter, der sich aus der engen Bindung an die geschäftliche Tätigkeit einerseits und aus dem Endverbrauch, den sie für die Begünstigten darstellen, anderseits ergibt, die Beschränkung des Vorsteuerabzuges zu rechtfertigen vermag. Insofern die Beschwerdegegner geltend machen, dass die Beschränkung des Vorsteuerabzuges höchsten 20 Prozent betragen dürfe - weil der Privatanteil nur soviel ausmache -, gehen ihre Ausführungen an der Sache vorbei.
9.
Aufgrund dieser Erwägungen kann die vom Bundesrat in der Mehrwertsteuerverordnung getroffene Lösung nicht als verfassungswidrig bezeichnet werden. Massgebend ist die Überlegung, dass den erwähnten Ausgaben (Geschäftsspesen) unabhängig von ihrer geschäftlichen Verwendung immer ein Anteil Endverbrauch innewohnt. Der Bundesrat besteuert ihn indirekt, indem er den
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vollständigen Abzug der diese Ausgaben belastenden Vorsteuern verweigert. Insofern hat der Bundesrat das ihm von der Verfassung eingeräumte gesetzgeberische Ermessen nicht überschritten. Wesentlich ist vor allem, dass der Bundesrat die nur beschränkt zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgaben nach sachlichen Kriterien ausgewählt hat, diese in einem ähnlichen Rahmen wie die übrigen europäischen Staaten festgelegt hat, die Regelung nicht zu einer Benachteiligung von einzelnen Unternehmen führt und sie insgesamt zur Steuergerechtigkeit beiträgt. Art. 30 Abs. 2 (lit. a und b) MWSTV, alte wie auch neue Fassung, halten sich im Rahmen des dem Bundesrat von der Verfassung eingeräumten Entscheidungsspielraums und verstossen nicht gegen andere Verfassungsgrundsätze. | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d1563b98-1e02-4e01-ab91-2a2809a67828 | Urteilskopf
113 V 280
46. Extrait de l'arrêt du 14 décembre 1987 dans la cause P. contre Caisse cantonale vaudoise de compensation et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 79bis AHVV
,
Art. 7 Abs. 1 ELG
, Art. 5 Abs. 2 und 41 Abs. 1 lit. a und b VwVG. Die Feststellung einer Ausgleichskasse über die Uneinbringlichkeit der Rückerstattung von Ergänzungsleistungen ist, selbst wenn sie in einer beschwerdefähigen Verfügung enthalten ist, kein Anfechtungsgegenstand, weil sie die Rückerstattungspflicht weder ändert noch aufhebt. Eine solche Feststellung ist vielmehr eine Vollstreckungsmassnahme, so dass sie im Rahmen der Beschwerde gegen eine den Erlass der Rückerstattung verweigernde Verfügung nicht dem Sozialversicherungsrichter unterbreitet werden kann (Erw. 4).
Art. 34quater Abs. 2 BV
,
Art. 93 SchKG
,
Art. 27 Abs. 2 ELV
. Wenn der Unterschied zwischen dem Roheinkommen eines Ergänzungsleistungsberechtigten und dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum sich ausschliesslich aus dem Bezug einer Ergänzungsleistung ergibt, so kann diese Leistung, auf die Anspruch besteht, nicht herabgesetzt werden, und zwar auch nicht zur verrechnungsweisen Tilgung einer Schuld des Versicherten (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 281
BGE 113 V 280 S. 281
A.-
Par décision du 29 mars 1985, la Caisse cantonale vaudoise de compensation a réclamé à Bruno P., né en 1913, la restitution de 14'388 fr. au titre de prestations complémentaires indûment touchées du 1er juillet 1981 au 31 décembre 1984.
L'assuré a, par requête du 23 avril 1985, sollicité la remise de sa dette en faisant valoir que son revenu consistait en une rente de vieillesse de 1'200 fr. par mois et que sa fortune se bornait à un livret d'épargne dont le solde s'élevait à 7'327 fr. 60 au 30 novembre 1984. Il exposait, en outre, qu'il n'avait jamais pensé que l'activité de quelques heures par jour qu'il avait exercée à partir de juillet 1981 avait une influence sur son droit aux prestations complémentaires.
Par décision du 20 mai 1985, la caisse rejeta la demande de remise, au motif que la condition de la bonne foi n'était pas réalisée en l'occurrence. Toutefois, elle déclarait qu'au vu de la situation économique de l'assuré, elle ramenait sa créance de 14'388 fr. à 7'100 fr. et renonçait au remboursement de 7'288 fr. (14'388 fr. - 7'100 fr.) qu'elle considérait comme irrécouvrables, pour autant qu'il ne revînt pas à meilleure fortune.
B.-
Bruno P. recourut contre la décision du 20 mai 1985 devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, en alléguant notamment que le montant de 7'100 fr. dont la caisse exigeait le remboursement représentait la totalité de ses économies.
Après que le juge délégué eut procédé à diverses mesures d'instruction et informé l'assuré que le tribunal envisageait de procéder à une réforme à son détriment de la décision administrative litigieuse, en attirant son attention sur la faculté qui était la sienne de retirer son recours, la juridiction cantonale, par jugement du 19 décembre 1985, rejeta le recours (ch. 1 du dispositif) et déclara que la décision attaquée était réformée au
BGE 113 V 280 S. 282
détriment du recourant, en ce sens que P. était débiteur de 14'388 fr. (ch. 2 du dispositif). Les premiers juges ont considéré, en substance, que l'assuré avait commis pour le moins une négligence grave excluant sa bonne foi en omettant d'aviser la caisse qu'il avait repris une activité lucrative qui lui avait rapporté 3'600 fr. en 1981, 7'200 fr. en 1982 et 9'000 fr. en 1983 et 1984; que, par ailleurs, l'instruction ayant établi qu'il disposait de ressources excédant "le minimum d'existence soustrait à la poursuite", il avait la possibilité d'éteindre la totalité de sa dette - et non seulement une partie - par compensation avec la rente de vieillesse et les prestations complémentaires auxquelles il avait droit, de telle sorte qu'au vu du ch. m. 377 des directives de l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) concernant les prestations complémentaires (DPC), les conditions qui auraient permis à la caisse de déclarer une partie de la dette irrécouvrable n'étaient pas réalisées.
C.-
Bruno P. a interjeté recours de droit administratif contre ce jugement dont il demandait implicitement l'annulation. Il est décédé en cours d'instance. Il faisait valoir, en bref, qu'il avait pour toutes ressources une rente AVS de 15'020 fr. ainsi qu'une prestation complémentaire de 6'530 fr. par an et que sa seule fortune consistait en un livret d'épargne de 7'518 fr. 10.
La caisse intimée, tout en relevant que le jugement attaqué est conforme aux dispositions légales applicables en la matière, considère qu'il aboutit à un résultat choquant, à savoir qu'un rentier qui remplit les conditions donnant droit à une prestation complémentaire, dont le but est d'assurer son minimum vital, doit utiliser celle-ci pour rembourser les prestations complémentaires touchées à tort, ce qui n'est guère logique. Aussi déclare-t-elle s'en remettre à justice. De son côté, l'OFAS renonce à formuler des conclusions, le jugement attaqué ne respectant à son avis ni le sens ni l'esprit de la LPC, pour les raisons pertinentes exposées par la caisse intimée, lesquelles vont dans le sens des nouvelles directives de l'office en la matière.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
a) Selon le ch. m. 377 des directives de l'OFAS sur les prestations complémentaires, dans sa teneur en vigueur jusqu'au 31 décembre 1986, lorsque la personne tenue à restitution a été poursuivie sans succès ou lorsqu'il est manifeste que la poursuite
BGE 113 V 280 S. 283
demeurerait infructueuse vu que le débiteur ne dispose pas du minimum d'existence soustrait à la poursuite, l'organe d'exécution des prestations complémentaires doit déclarer la créance en restitution de prestations complémentaires irrécouvrable.
Cette instruction administrative doit être rapprochée de l'
art. 79bis RAVS
qui s'applique par analogie au domaine des prestations complémentaires (arrêt non publié P. du 9 décembre 1969; v. en outre WIDMER, Die Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen in den Sozialversicherungen, thèse Bâle 1984, p. 184). Selon cette disposition réglementaire, la caisse de compensation déclarera irrécouvrables les rentes à restituer, lorsque les poursuites sont restées sans effet ou lorsqu'il est manifeste qu'elles demeureraient infructueuses, et que la dette ne peut être amortie par compensation. Si le débiteur revient à meilleure fortune, le paiement des montants déclarés irrécouvrables sera exigé.
b) En l'espèce, il faut d'abord examiner si la juridiction cantonale saisie du recours de l'assuré contre la décision par laquelle l'intimée avait refusé à ce dernier la remise de son obligation de restituer les prestations complémentaires indûment touchées, pouvait annuler ou modifier la déclaration de la caisse relative au caractère irrécouvrable de sa créance jusqu'à concurrence de 7'288 fr.
Or, tel n'est précisément pas le cas. En effet, la déclaration faite par la caisse au sujet du caractère irrécouvrable de sa créance n'a, en elle-même, rien à voir avec la question de la remise de l'obligation de restituer, bien qu'elle soit généralement la conséquence du refus de cette mesure de faveur. Car, même déclarée irrécouvrable, la créance subsiste et peut toujours être recouvrée par la suite, sous réserve de la péremption du droit de l'administration (
art. 47 al. 2 LAVS
), si le débiteur revient à meilleure fortune (ATFA 1957 p. 53 consid. 1). Aussi bien, la Cour de céans a-t-elle jugé qu'un assuré qui contestait son obligation de restituer des prestations indûment touchées avait qualité pour recourir même lorsque tout ou partie de la créance en restitution avait été déclaré irrécouvrable (arrêt non publié D. du 13 décembre 1971).
Il s'ensuit que l'intimée, quoiqu'elle ait déclaré qu'elle ramenait sa créance de 14'388 fr. à 7'100 fr., sous réserve de retour à meilleure fortune de l'assuré, n'a, en réalité, nullement fait abandon d'une partie de sa créance, contrairement à ce qui aurait été le cas dans
BGE 113 V 280 S. 284
l'hypothèse d'une remise partielle. Bien que sa déclaration figure dans une décision sujette à recours en vertu de l'
art. 7 al. 1 LPC
, elle n'en est pas pour autant l'objet, puisqu'elle ne modifie pas et n'annule pas non plus l'obligation de restitution mais constitue tout au plus une mesure d'exécution, qui ne saurait toutefois être assimilée à une décision au sens de l'
art. 41 al. 1 let. a et b PA
auquel renvoie l'art. 5 al. 2 de cette loi. Aussi, cette déclaration ne pouvait-elle, en tant que telle, être soumise au juge des assurances sociales dans le cadre du recours formé par l'assuré contre la décision de refus de la remise de son obligation de restitution, ni, par conséquent, être examinée d'office par les premiers juges du point de vue de sa conformité au ch. m. 377 de la directive précitée de l'OFAS.
Dès lors, le jugement attaqué doit être annulé sur ce point, la juridiction cantonale n'ayant pas de motif de réformer au détriment du recourant la décision litigieuse. Au demeurant, le ch. 2 du dispositif du jugement cantonal ne constitue pas à proprement parler une reformatio in pejus, dans la mesure où il y est constaté que le recourant "est débiteur de 14'388 francs", puisque, comme on l'a vu, l'intimée n'a fait que renoncer, sous réserve de retour à meilleure fortune du débiteur, à recouvrer sa créance jusqu'à concurrence de 7'288 fr., laquelle subsiste néanmoins dans son entier.
5.
La seconde question qui se pose est la suivante: lorsque, comme en l'espèce, l'assuré qui ne peut obtenir la remise de son obligation de restituer les prestations complémentaires qu'il a touchées sans droit, continue malgré tout à avoir droit à de telles prestations, est-il possible de compenser sa dette avec les prestations complémentaires qui lui sont dues?
a) Les premiers juges ont répondu implicitement de manière affirmative à cette question en se fondant d'une part sur la constatation qu'en l'occurrence, selon les calculs effectués à leur demande par la caisse intimée, les ressources de l'assuré, y compris une prestation complémentaire de 6'252 fr. par an, excédaient de 3'722 fr. le minimum vital du droit des poursuites, et d'autre part sur le texte du ch. m. 377 DPC dans sa version en vigueur jusqu'à fin décembre 1986.
Tant la caisse intimée dans sa réponse au recours de droit administratif que l'OFAS dans son préavis soulignent qu'il est choquant et même, selon l'OFAS, contraire au sens et à l'esprit de la législation en matière de prestations complémentaires, de
BGE 113 V 280 S. 285
compenser la dette de l'assuré qui ne possède aucune fortune avec les prestations complémentaires auxquelles il a droit. Aussi bien, le ch. m. 7046 des nouvelles directives de l'OFAS sur les prestations complémentaires, entrées en vigueur le 1er janvier 1987, est-il rédigé comme il suit:
"Lorsque la personne tenue à restitution a été poursuivie sans succès
ou qu'il est manifeste que la poursuite demeurerait infructueuse vu que le
débiteur ne dépasse pas la limite de revenu PC et qu'il ne possède ni
fortune ni revenu d'une activité lucrative, l'organe d'exécution des PC
doit déclarer la créance en restitution de PC irrécouvrable."
b) A l'appui de son opinion, l'OFAS invoque notamment le texte de l'art. 11 al. 1 Disp. trans. Cst. - qui contient la base constitutionnelle du régime fédéral des prestations complémentaires - où il est fait référence à la couverture des "besoins vitaux" des bénéficiaires de rentes AVS/AI au sens de l'
art. 34quater al. 2 Cst.
Or, cette notion est plus large, selon lui, que celle de minimum vital au sens du droit des poursuites (
art. 93 LP
). Dans cette mesure, il serait incompatible avec le but visé par le régime des prestations complémentaires, dont les limites du revenu déterminant en-deçà desquelles s'ouvre le droit aux prestations complémentaires (cf.
art. 2 al. 1 LPC
) expriment de manière chiffrée la notion de "besoins vitaux", de diminuer le montant de la prestation complémentaire allouée à un assuré jusqu'à concurrence du minimum vital du droit des poursuites, afin d'éteindre par compensation la dette qu'il a contractée en touchant sans droit des prestations d'assurance.
Ce raisonnement est exact. En effet, la limite de revenu fixée par la LPC a deux buts: d'une part c'est une clause de besoin et d'autre part, c'est un revenu minimal garanti (RCC 1986 p. 143 consid. 1; GREBER, Droit suisse de la sécurité sociale, p. 229; cf. aussi TSCHUDI, Die Sozialverfassung der Schweiz (Der Sozialstaat), p. 54 ss et l'exposé de l'OFAS intitulé "Repères pour une protection sociale efficace aux moindres frais" in RCC 1983 p. 256 ss). Il est vrai que depuis l'arrêt non publié R. du 28 avril 1980, le Tribunal fédéral des assurances adopte comme critère unique des limites de la compensation la notion de minimum vital du droit des poursuites (
ATF 111 V 103
consid. 3b,
ATF 107 V 75
consid. 2). Cependant, cela n'est pas incompatible avec ce qui précède. En effet, si la différence entre le revenu brut de l'ayant droit à la prestation complémentaire et le minimum vital au sens de l'
art. 93 LP
consiste exclusivement dans le produit d'une
BGE 113 V 280 S. 286
prestation complémentaire, il n'est pas possible, même si c'est pour éteindre une dette de l'assuré par compensation, de réduire le montant de la prestation complémentaire à laquelle l'assuré a droit. C'est dans ce sens qu'il faut interpréter l'
art. 27 al. 2 OPC-AVS/AI
, aux termes duquel les créances en restitution peuvent être compensées avec des prestations échues selon la LPC ainsi qu'en vertu de la LAVS et de la LAI.
c) Si la compensation n'est donc pas possible dans un tel cas, il n'y a pas lieu de se prononcer, en revanche, sur le point de savoir si, lorsqu'elle déclare la créance irrécouvrable, la caisse peut prendre en considération la fortune du débiteur, même modeste, comme l'a fait l'intimée dans le cas d'espèce. En effet, ainsi qu'on l'a vu, la question du caractère irrécouvrable d'une créance en restitution de prestations d'assurance indûment touchées est soustraite au pouvoir d'examen du juge puisqu'elle n'a trait ni à l'existence, ni à l'étendue, ni, enfin, à la remise de cette créance. C'est en quoi, par exemple, les principes développés dans l'
ATF 111 V 130
auquel se réfère l'intimée dans sa réponse au recours, ne trouvent pas application dans un tel cas. | null | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d1593ce2-1fab-4002-8acf-727fbe714200 | Urteilskopf
89 IV 167
33. Estratto della sentenza 21 giugno 1963 della Corte di cassazione penale nella causa Procuratore pubblico sottocenerino contro Tarenzi. | Regeste
Art. 87 Abs. 2 AHVG
.
Nach dieser Bestimmung ist nur strafbar, wer dem Gebot, bei der Feststellung seiner Beitragspflicht mitzuwirken, zuwiderhandelt, nicht auch, wer bloss seiner Pflicht, die Beiträge zu bezahlen, nicht nachkommt. | Sachverhalt
ab Seite 167
BGE 89 IV 167 S. 167
A.-
Mario Tarenzi, gerente e di fatto proprietario del ristorante "La Boschetto SA", in Lugano, ha omesso dal 15 maggio 1960 di versare alla Cassa di compensazione della Società Svizzera degli esercenti, i contributi dovuti dalla ditta e quelli trattenuti ai propri dipendenti.
Con atto 10 giugno 1962, il Procuratore pubblico sottocenerino
BGE 89 IV 167 S. 168
poneva il Tarenzi in stato d'accusa siccome prevenuto colpevole di continuata trasgressione dell'art. 87, cpv. 2 e 3, AVS per aver
1. omesso di versare alla Cassa di compensazione della Società svizzera degli Esercenti in Bellinzona i propri contributi 1960/1961;
2. dedotto a vari propri dipendenti i contributi AVS a loro carico, omettendo di riversarli alla Cassa.
La Corte delle Assise correzionali di Lugano-città ha riconosciuto il Tarenzi colpevole di trasgressione all'art. 87 cpv. 3 AVS per omesso versamento alla Cassa dei contributi trattenuti ai dipendenti, condannandolo ad una multa di fr. 200, ma lo prosciolse dall'imputazione di trasgressione all'art. 87 cpv. 2 AVS. Secondo la Corte cantonale, la semplice omissione del versamento di contributi, imputata a Tarenzi nella cifra 1 dell'atto di accusa, non costituisce sottrazione ai sensi di detta norma.
Un ricorso del Procuratore pubblico alla Corte di cassazione e di revisione penale è stato respinto.
B.-
Il Procuratore pubblico ha tempestivamente interposto al Tribunale federale un ricorso per cassazione, mediante il quale domanda che la sentenza cantonale sia annullata e la causa rimandata all'autorità cantonale per nuovo giudizio. Egli adduce che, contrariamente a quanto affermato nella sentenza impugnata, viola l'art. 87 cpv. 2 AVS, non solo chi fornisce indicazioni inesatte od incomplete, ma chiunque "in qualsiasi altro modo" si sottrae a detto obbligo. La relativa fattispecie sarebbe pertanto adempiuta già mediante semplice omissione intenzionale del pagamento dei contributi.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Secondo l'art. 87 cpv. 2 AVS è punibile "chiunque mediante indicazioni inesatte o incomplete o in qualsiasi altro modo si sottrae, in tutto o in parte, all'obbligo di pagare i contributi".
BGE 89 IV 167 S. 169
Dal testo letterale di questa disposizione si può dedurre soltanto che è punito chi si sottrae in qualsiasi modo allo "obbligo" del pagamento e non anche chi è in qualsiasi modo inadempiente. L'indicazione secondo cui è punibile chi fornisce indicazioni inesatte od incomplete non può pertanto rappresentare una diversa e speciale fattispecie, ma soltanto un esempio delle diverse forme del "sottrarsi" e dimostra che detta norma è intesa a garantire non il pagamento dei contributi ma l'accertamento dei relativi obblighi.
Del resto il termine di sottrarre ("hinterziehen", "éluder", "soustraire") o sottrarsi ("sich entziehen", "se soustraire") è adottato nel senso suesposto anche nel diritto tributario federale, segnatamente nell'art. 41 LTM, negli
art. 52 e 53
DCA, nell'art. 60 del RE del DCF 4 agosto 1934 concernente un'imposta federale sulle bevande, nell'art. 15 del DF 24 settembre 1940 sull'imposta compensativa, nell'art. 129 DIN e nell'art. 39 DCF 12 gennaio 1940 concernente la riscossione di un'imposta sui profitti dipendenti dalla guerra.
Secondo l'art. 59 cpv. 3 CF l'arresto personale per debiti è abolito. Conseguentemente, nel diritto svizzero l'inadempienza di un normale debito non trae seco una pena. A questa regola fanno eccezione solo alcuni casi speciali come quello previsto all'art. 42 LTM, per l'inadempienza del pagamento della tassa militare, e quello della trascuranza degli obblighi di assistenza familiare. Ma in questi casi non si tratta di debiti normali poichè nel primo il pagamento della tassa sostituisce l'adempimento di precisi obblighi militari (cfr. RU 76 IV 195) e nel secondo la pena è la conseguenza non solo dell'inadempimento di un debito ma anche della trascuranza di imperativi doveri di famiglia. Inoltre, in entrambi i casi per il procedimento penale le relative norme presuppongono in modo esplicito una inadempienza colposa. L'omissione del pagamento delle tasse AVS comporta una pena solo per le tasse a carico dei prenditori di lavoro (art. 87
BGE 89 IV 167 S. 170
cpv. 3), ma in questo caso l'inadempienza dcl datore di lavoro implica anche la violazione del dovere di dedurre i contributi dai salari dei dipendenti o la distrazione delle relative somme dalla loro destinazione (RU 80 IV 190). Del resto questa disposizione non avrebbe senso se, secondo il precedente capoverso, anche la semplice omissione del pagamento dei contributi normali cadesse sotto la sanzione penale.
Di una siffatta sanzione non è cenno neppure nei materiali legislativi. Al riguardo, il Consiglio federale nel suo messaggio si è limitato a indicare che erano state stabilite solo le norme indispensabili (FF 1946 p. 547); il che deve intendersi nel senso dell'adozione delle regole usuali del diritto fiscale e quindi, in genere, dell'applicazione di penalità solo nell'accertamento dell'obbligo del contributo.
Il giudizio impugnato non è in contraddizione nemmeno con la giurisprudenza del Tribunale federale. La sentenza RU 82 IV 136 concerneva, nel testo richiamato dal ricorrente, l'applicazione dell'art. 87 cpv. 3. In tale occasione il Tribunale federale si è occupato, è vero, anche dell'applicazione dell'art. 87 cpv. 2 (consid. 1 inedito), ma a proposito di un'inadempienza, ad onta di comminatoria, del datore di lavoro nel dare le indicazioni necessarie per l'accertamento dell'obbligo di contributo e quindi per una questione non pertinente al caso particolare.
2.
Nell'atto di accusa, a Tarenzi non è stato imputato di aver dato indicazioni inesatte od incomplete, di aver omesso di fornire le necessarie precisazioni sull'ammontare delle retribuzioni pagate e neanche di aver ostacolato l'accertamento dell'obbligo con un comportamento comunque contrario ai suoi doveri. Sotto la cifra 1 dello stesso atto di accusa, a Tarenzi è stato addebitato esclusivamente di aver omesso il pagamento dei suoi contributi alla Cassa. Ma ciò, come esposto, non adempie i presupposti dell'art. 87 cpv. 2 AVS. D'altronde non è consentito di porre a fondamento del giudizio di questa sede una fattispecie diversa da quella accertata dalla istanza precedente in applicazione
BGE 89 IV 167 S. 171
del diritto processuale cantonale. Il ricorso è pertanto infondato.
Dispositiv
La Corte di cassazione penale pronuncia:
Il ricorso per cassazione è respinto. | null | nan | it | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d15be786-4100-4088-a69e-7ee72fcf27e0 | Urteilskopf
125 III 175
32. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. März 1999 i.S. L. AG (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 2 BGBB
und
Art. 60 BGBB
; Geltungsbereich für Grundstücke mit gemischter Nutzung. Entlassung landwirtschaftlicher Gebäude.
Landwirtschaftliche Gebäude, die nicht mehr zweckentsprechend genutzt werden, sind aus dem Geltungsbereich des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB) zu entlassen, wenn sie auf Grund einer zukunftsgerichteten Beurteilung als für eine rentable und existenzsichernde landwirtschaftliche Nutzung entbehrlich erscheinen. Die Bewilligungsbehörden haben sich in erster Linie an den Vorgaben des Raumplanungsgesetzes zu orientieren. Das bodenrechtliche ist mit dem raumplanungsrechtlichen Verfahren zu koordinieren. | Sachverhalt
ab Seite 176
BGE 125 III 175 S. 176
A.-
Die L. AG ist Eigentümerin der Liegenschaft «Unterhorn», ..., im Halte von 387 a 28 m2, Wiese mit einem Wohnhaus und Stall.
B.-
Am 15. Juli 1997 stellte die L. AG das Gesuch, die Abparzellierung der Wohn- und Ökonomiegebäude der Liegenschaft «Unterhorn» und die Entlassung der Gebäulichkeiten aus dem Geltungsbereich des Bundesgesetzes über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB, SR 211.412.11) zu bewilligen. Der Präsident der kantonalen Bodenrechtskommission verweigerte die Bewilligung (Entscheid vom 31. Juli 1997). Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. ab (Urteil vom 2. Juni 1998).
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die L. AG dem Bundesgericht, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Abtrennung der Gebäulichkeiten ab der Liegenschaft «Unterhorn» gemäss Gesuch vom 15. Juli 1997 zu bewilligen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht Appenzell I.Rh. zurückzuweisen. Dieses hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement - das Bundesamt für Raumplanung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Justiz (Amt für Grundbuch- und Bodenrecht) - enthält sich in seiner Stellungnahme eines ausdrücklichen Antrags, vertritt aber die Meinung, die Abparzellierung sei unter anderem wegen der unbestrittenen Baufälligkeit der Gebäulichkeiten zu verweigern. In einer zusätzlichen Eingabe verlangt die L. AG, den Gebäudezustand im Hinblick auf eine Eignung zum Umbau gutachterlich abklären zu lassen.
Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der L. AG gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an das Kantonsgericht zurückgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das Kantonsgericht hat festgehalten, die Liegenschaft «Unterhorn» befinde sich in der Landwirtschaftszone. Es handle sich dabei um ein landwirtschaftliches Grundstück, auf welches das BGBB anwendbar sei. Streitig ist, ob eine Bewilligung gemäss
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
erteilt werden darf. Danach ist eine Ausnahme vom Realteilungs- und Zerstückelungsverbot (
Art. 58 BGBB
) zu bewilligen, wenn «a. das landwirtschaftliche Gewerbe oder Grundstück in einen Teil innerhalb und in einen Teil ausserhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes aufgeteilt wird». Die zwischenzeitlich in
BGE 125 III 175 S. 177
Kraft getretene Änderung des BGBB vom 26. Juni 1998 (AS 1998 S. 3009) hat die genannte Ausnahme nicht betroffen.
2.
Das bäuerliche Bodenrecht regelt den Rechtsverkehr mit landwirtschaftlichen Gewerben und landwirtschaftlichen Grundstücken. Wo eine landwirtschaftliche Nutzung zulässig ist, beantwortet hingegen das Raumplanungsrecht. Dessen Vorgaben sind bei der Anwendung des BGBB in mehrfacher Hinsicht zu beachten:
a) Das BGBB gilt für einzelne oder zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehörende landwirtschaftliche Grundstücke, die ausserhalb einer Bauzone im Sinne des Raumplanungsgesetzes (RPG, SR 700) liegen und für welche die landwirtschaftliche Nutzung zulässig ist (
Art. 2 Abs. 1 BGBB
). Für den örtlichen Geltungsbereich wird damit auf
Art. 15 RPG
verwiesen, der die Bauzonen definiert, aber auch auf alle Bestimmungen des RPG und des kantonalen Raumplanungsrechts über die Nichtbauzonen (statt vieler: HOTZ, Einfluss anstehender Neuerungen des Raumplanungsrechts auf das bäuerliche Bodenrecht, Blätter für Agrarrecht, BlAR 30/1996 S. 3 ff., S. 9 Ziffer 6.3). Das bäuerliche Bodenrecht hat sich somit auch mit den Gebäuden zu befassen, die ausserhalb der Bauzonen bestehen, unabhängig davon, ob sie seinerzeit als zonenkonform oder ausnahmsweise bewilligt worden sind (
Art. 22 und
Art. 24 RPG
) oder sich kraft Bestandesschutzes dort befinden (vgl. zu baurechtlichen Sonderfällen: BANDLI, in: Das bäuerliche Bodenrecht. Kommentar zum BGBB, Brugg 1995, N. 17 ff. zu
Art. 2 BGBB
).
b) Sachlich unterstehen dem BGBB einzelne oder zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe gehörende landwirtschaftliche Grundstücke (
Art. 2 Abs. 1 BGBB
), und als landwirtschaftlich gilt ein Grundstück, das für die landwirtschaftliche oder gartenbauliche Nutzung geeignet ist (
Art. 6 Abs. 1 BGBB
). Das BGBB knüpft damit an
Art. 16 Abs. 1 lit. a RPG
an, wonach die Landwirtschaftszonen Land umfassen, das sich für die landwirtschaftliche Nutzung oder den Gartenbau eignet. Der Begriff der Eignung von Land für die landwirtschaftliche Nutzung wird hier wie dort gleich verwendet und soll hier wie dort gleich verstanden werden (vgl. etwa HOTZ, a.a.O., S. 9 Ziffer 6.4; STALDER, Die öffentlich-rechtlichen Verfügungsbeschränkungen im bäuerlichen Bodenrecht - Grundlagen und Instrumente, ZSR NF 113/1994 I S. 73 ff., S. 77 Ziffer 3.1).
Für die - nach objektiven Massstäben vorzunehmende - Beurteilung, welche Gebäude dem Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung entsprechen, sind zur Hauptsache zwei Kriterien ausschlaggebend: Das Gebäude muss erstens für den Landwirtschaftsbetrieb
BGE 125 III 175 S. 178
unentbehrlich sein, d.h. vorab dessen Bedürfnissen in der richtigen Dimensionierung dienen. Für Wohngebäude ist zudem vorausgesetzt, dass aus betrieblichen Gründen eine ständige Anwesenheit der bewirtschaftenden Personen erforderlich und die nächste Wohnzone weit entfernt und schwer erreichbar ist; das Recht, ausserhalb der Bauzone zu wohnen, bleibt denjenigen vorbehalten, die als Betriebsinhaber oder Hilfskräfte unmittelbar in der Landwirtschaft tätig sind, den Familienangehörigen sowie der abtretenden Generation, die ein Leben lang in der Landwirtschaft tätig gewesen ist. Kumulativ zur «Unentbehrlichkeit» muss zweitens die landwirtschaftliche Nutzung, der das Gebäude dient, auch wirtschaftlich rentabel und existenzsichernd sein. Dies setzt ein Betriebskonzept und eine gewisse Grösse des Betriebs voraus; für Wohnraum kann auf den Gewerbebegriff des BGBB als Orientierungshilfe abgestellt werden (vgl. aus der Rechtsprechung z.B.
BGE 122 II 160
E. 3a S. 162;
BGE 121 II 67
E. 3a S. 68 sowie 307 E. 3b S. 310 und E. 5 S. 312; Urteil des Bundesgerichts vom 22. Dezember 1995, E. 2 und E. 5, in: ZBl 98/1997 S. 130 ff.; vgl. für Einzelheiten z.B. ZÜRCHER, Aménagement du territoire et droit foncier rural: convergences et divergences, BlAR 30/1996 S. 25 ff., S. 28 ff. Ziffer 2).
Bestehende Gebäude ausserhalb der Bauzonen, deren landwirtschaftliche Nutzung rechtmässig ist und die tatsächlich auch landwirtschaftlich genutzt werden, unterstehen dem BGBB ohne weiteres. Die erwähnten beiden Kriterien der Unentbehrlichkeit und Wirtschaftlichkeit spielen erst dann eine Rolle, wenn die landwirtschaftliche Nutzung aufgehört hat und die Bewilligungsbehörden um Entlassung vormals landwirtschaftlich genutzter Gebäude aus dem Geltungsbereich des BGBB ersucht werden (E. 2c sogleich).
c) In den Geltungsbereich des BGBB fallen «systemwidrig» auch Grundstücke mit gemischter Nutzung, die nicht in einen landwirtschaftlichen und einen nichtlandwirtschaftlichen Bereich aufgeteilt sind (
Art. 2 Abs. 2 lit. d BGBB
), und gemischte Gewerbe, wenn deren landwirtschaftlicher Charakter überwiegt (
Art. 7 Abs. 5 BGBB
). Da das BGBB den Schutz der nichtlandwirtschaftlichen Teile einer gemischten Nutzung nicht bezweckt (vgl.
Art. 1 Abs. 1 BGBB
), bleiben diese nur so lange dem BGBB unterstellt, bis sie mittels Ausnahmebewilligung (
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
) vom Realteilungs- und Zerstückelungsverbot (
Art. 58 BGBB
) entbunden sind; auf Erteilung der Ausnahmebewilligung besteht ein Rechtsanspruch (Wegleitung des Eidgenössischen Amtes für Grundbuch- und Bodenrecht, in: ZBGR 75/1994 S. 88 ff., S. 93 Ziffer 2.13; STALDER, a.a.O., S. 77
BGE 125 III 175 S. 179
bei Anm. 22; HUSER, Bäuerliches Bodenrecht und Raumplanung, BlAR 29/1995 S. 117 ff., S. 132 f. Ziffer IV mit weiteren Nachweisen; gl.M. nunmehr BANDLI, N. 28 zu
Art. 2 BGBB
sowie N. 3 und N. 5 zu
Art. 60 BGBB
; vgl. auch HOFER, in: BGBB-Kommentar, N. 23 zu
Art. 6 BGBB
).
Gemischte Nutzungen im Gesetzessinne entstehen häufig dadurch, dass ursprünglich landwirtschaftlich gebrauchte Wohn- und Ökonomiegebäude für die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr benötigt werden und leer stehen oder bestimmungswidrig anderen Zwecken, namentlich Wohnzwecken dienen. Es versteht sich, dass für die Aufteilung solch gemischter Nutzung nicht einfach der aktuelle Zustand massgebend sein kann. Die Landwirtschaft entwickelt sich, und heute nicht mehr genutzte landwirtschaftliche Wohn- und Ökonomiegebäude können inskünftig für die Landwirtschaft wieder benötigt werden (ZÜRCHER, a.a.O., S. 34 f. Ziffer 3). Beim Entscheid über die Entlassung aus dem Geltungsbereich des BGBB muss diesen künftigen Bedürfnissen Rechnung getragen werden (BANDLI, N. 6 zu
Art. 60 BGBB
). Die Beurteilung hat sich an den raumplanungsrechtlichen Vorgaben zu orientieren:
Das BGBB verfolgt in erster Linie eigentums- und strukturpolitische Ziele; insbesondere sollen Familienbetriebe erhalten bleiben und ihre Struktur verbessert werden. Das landwirtschaftliche Gewerbe (
Art. 7 BGBB
) und der landwirtschaftliche Betrieb (
Art. 5 lit. a BGBB
) geniessen denn auch besonderen Schutz (
Art. 4 Abs. 1 BGBB
); das BGBB will ihre Existenz sichern, nicht aber unerwünschte Strukturen zementieren (vgl. zu den Anliegen des BGBB: HOTZ, in: BGBB-Kommentar, N. 8 zu
Art. 1 BGBB
). Insoweit rechtfertigt es sich bei der zukunftsgerichteten Beurteilung, ob für landwirtschaftlich zur Zeit nicht mehr genutzte Gebäude noch ein zweckentsprechender Bedarf besteht, auf die erwähnten Kriterien der Unentbehrlichkeit und Wirtschaftlichkeit (E. 2b Abs. 2 hiervor) abzustellen. Die weiteren Anliegen des BGBB sind erst in zweiter Linie zu berücksichtigen (vgl. zu den Beurteilungskriterien: BANDLI, N. 7 zu
Art. 60 BGBB
). Damit übereinstimmend hat das Bundesgericht seine frühere Rechtsprechung bestätigt, wonach die Voraussetzungen für eine Entlassung aus der Unterstellung unter das BGBB im einzelnen Fall objektiv zu beurteilen sind, und zwar losgelöst von der momentanen Situation nach Massgabe der Bedürfnisse eines normalen Familienbetriebs (Urteil des Bundesgerichts vom 4. September 1995, E. 4b, in: ZBGR 78/1997 S. 180 mit weiteren Hinweisen). Die mögliche Entwicklung, d.h. eine neuerliche «Unentbehrlichkeit»
BGE 125 III 175 S. 180
der vormals landwirtschaftlich gebrauchten Wohn- und Ökonomiegebäude und die künftige «Wirtschaftlichkeit» des landwirtschaftlichen Betriebs, dem sie wieder dienen könnten, muss sich mit erheblicher Wahrscheinlichkeit und hinreichender Bestimmtheit abzeichnen (z.B.
BGE 113 Ib 138
E. 4c S. 140, die Zonenkonformität nach
Art. 16 RPG
betreffend).
Fällt eine Abparzellierung der Gebäude nach diesen Kriterien in Betracht, muss über deren künftige Verwendung Klarheit geschaffen werden (Bandli, N. 7 zu
Art. 60 BGBB
, a.E. unter Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts). Es trifft zu, dass gegen die zonenwidrige Nutzung bestehender landwirtschaftlicher Gebäude von Seiten der Raumplanungsbehörden nicht immer eingeschritten wird; spätestens bei Änderungen oder Erneuerungen von Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzonen aber stellen sich die raumplanungsrechtlichen Fragen. Es muss daher eine verbindliche Stellungnahme der kantonalen Raumplanungsbehörden zur beabsichtigten Weiterverwendung eingeholt werden. Die Verfahren sind von Amtes wegen zu koordinieren (vgl. zum Ganzen: BANDLI, N. 8 zu
Art. 60 BGBB
). Diese Koordination ist im BGBB zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, doch drängt dessen Abhängigkeit vom RPG auf, sie den Kantonen zur Pflicht zu machen; in der verfahrensmässigen Ausgestaltung bleiben sie allerdings frei, unter dem Vorbehalt unzulässiger Vereitelung oder schwerer Beeinträchtigung der Durchsetzung materiellen Bundesrechts (z.B. aus anderen Bereichen:
BGE 114 Ib 224
E. 5b S. 227;
BGE 116 Ib 50
E. 4b S. 57;
BGE 117 Ib 28
E. 2 S. 30).
Schliesslich haben die Bewilligungsbehörden sich darüber Rechenschaft zu geben, ob im Zeitpunkt des Abparzellierungsgesuchs für landwirtschaftlich nicht mehr genutzte Gebäude bereits eine raumplanerische Lösung besteht oder in Erarbeitung sein könnte (z.B.
BGE 124 II 391
E. 3 S. 394 mit Hinweisen, betreffend die Zulässigkeit von Kleinbauzonen; vgl. zu solchen Möglichkeiten: KARLEN, Planungspflicht und Grenzen der Planung, ZBJV 130/1994 S. 117 ff.; SPÜHLER, Die Nutzung leeren Gebäudevolumens ausserhalb der Bauzonen, ZBJV 125/1989 S. 337 ff.). Denn liegt eine raumplanerische Regelung vor, die eine nichtlandwirtschaftliche Nutzung erlaubt, ist die Entlassung aus dem Geltungsbereich des BGBB ohne weiteres zu bewilligen (HUSER, a.a.O., S. 132 bei Anm. 79; vgl. BANDLI, N. 27 zu
Art. 2 BGBB
).
3.
Das Kantonsgericht hat die Bewilligung nach
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
verweigert, weil bei objektiver Betrachtungsweise
BGE 125 III 175 S. 181
keine langfristig klaren Verhältnisse sich ergäben und langfristige Nutzungsprognosen nicht gesichert wären; das zur Liegenschaft gehörende Land sei verpachtet, ein Pachtvertrag aber kündbar. Es stelle sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob ein nachfolgender Pächter auf Grund anderer Bewirtschaftungsformen oder seiner eigenen Gebäudesituation nicht wieder auf die zu dieser Liegenschaft gehörenden Gebäude oder Teile davon angewiesen sei. Eine gesicherte Zuordnung des zur Liegenschaft gehörenden Landes könnte nur durch einen Verkauf eben dieses Landes erreicht werden. Dies entspreche ständiger kantonaler Gerichtspraxis, welche durch das Bundesgericht bestätigt worden sei (unter Hinweis auf ein nicht veröffentlichtes Urteil vom 25. März 1996, 5A.12/1995). Bei einem geplanten Verkauf des frei werdenden Landes an einen Selbstbewirtschafter könnte entschieden werden, ob dieser zukünftige Eigentümer konkret auf die Gebäulichkeiten angewiesen sei oder ob eine Abparzellierung derselben neue Baugesuche hervorrufen würde.
a) Õber Ausnahmen vom Realteilungs- und Zerstückelungsverbot gemäss
Art. 60 Abs. 1 lit. a BGBB
entscheidet der Präsident der Bodenrechtskommission und als Beschwerdeinstanz eine Abteilung des Kantonsgerichts (
Art. 90 lit. a und f BGBB
i.V.m. Art. 3 Abs. 2 und Art. 8 des kantonalen Einführungsgesetzes zum BGBB, EGzBGBB/AI, GS 1031). Die kantonsgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen binden das Bundesgericht, es wäre denn, dass sie offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen zustande gekommen sind (
Art. 105 Abs. 2 OG
;
BGE 123 II 49
E. 6 S. 54 mit Hinweisen).
Soweit die Beschwerdeführerin den Sachverhalt einfach ergänzt, kann auf ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten werden. Ob Anlass zu einer Vervollständigung der tatsächlichen Grundlage durch das Kantonsgericht besteht, weil die Unvollständigkeit des Sachverhalts ihren Grund angeblich in einer unzutreffenden Rechtsauffassung hat, wird deren Õberprüfung ergeben. Desgleichen kann auf die umfassende Beurteilung unter raumplanungsrechtlichen Gesichtspunkten durch das zuständige Bundesamt nicht eingegangen werden; gesicherte Feststellungen zu den entsprechenden kantonalen Bewilligungen und Verfahren sowie zum Zustand der abzutrennenden Gebäude fehlen.
Das Kantonsgericht hat im angefochtenen Urteil kommentarlos den Standpunkt der Beschwerdeführerin - nach deren Dafürhalten allerdings unvollständig - wiedergegeben, ohne eigene Tatsachenfeststellungen
BGE 125 III 175 S. 182
zu treffen. Demnach hatte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vertreten, eine landwirtschaftliche Nutzung der Gebäulichkeiten auf der Liegenschaft «Unterhorn» bestehe seit Jahren nicht mehr. Das Land sei seit rund dreissig Jahren verpachtet, seit vielen Jahren an die Familie H.; der Pachtvertrag sei letztmals am 1. Mai 1993 für die Dauer von zwölf Jahren abgeschlossen worden. Das mit dem Wohnhaus zusammenhängende Ökonomiegebäude sowie die Jauchegrube nutze der Pächter seit einigen Jahren nicht mehr, da er selber gebaut habe. Das Wohnhaus sei über Jahre an das Ehepaar T. vermietet gewesen.
b) Das Kantonsgericht hat das Gesuch nicht nach den gezeigten raumplanungsrechtlichen Kriterien beurteilt. Es wird sich mit der Unentbehrlichkeit der abzutrennenden Gebäude für die landwirtschaftliche Nutzung und mit der Wirtschaftlichkeit eines Betriebs, dem jene Gebäude wieder dienen könnten, in erster Linie noch zu befassen und die hiezu erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Die aus den nachrangig zu beachtenden Zielen des bäuerlichen Bodenrechts (z.B. Bedürfnisse der Pächterfamilie) gezogenen Schlüsse überzeugen nicht. Das Grundstück soll seit rund dreissig Jahren verpachtet und letztmals 1993 ein neuer Pachtvertrag für die Dauer von zwölf Jahren abgeschlossen worden sein. Was eine «längere Dauer» bei der Pacht ist, ergibt sich indirekt aus
Art. 7 BGBB
, wonach bei der Beurteilung, ob ein landwirtschaftliches Gewerbe vorliegt, «die für längere Dauer zugepachteten Grundstücke» zu berücksichtigen sind (Abs. 4 lit. c): «längere Dauer» bedeutet mindestens sechs Jahre für die erstmalige Verpachtung von einzelnen Grundstücken bzw. für die Fortsetzung der Pacht (HOFER, N. 93 zu
Art. 7 BGBB
; STALDER, a.a.O, S. 78 f. bei Anm. 32). Mit Blick darauf genügt das bestehende und ungekündigte Pachtverhältnis. Dieser Umstand und auch die Tatsache, dass das Grundstück unwidersprochen seit rund dreissig Jahren stets verpachtet gewesen ist, gestatten eine zukunftsgerichtete Beurteilung der Nutzungsverhältnisse. Soweit die Darstellung der Beschwerdeführerin zutreffen sollte, erscheint die langfristige Nutzungsprognose als gesichert. In diesem Zusammenhang wird das Kantonsgericht auch zu klären haben, ob der Pächter im konkreten Einzelfall auf die Gebäude überhaupt noch angewiesen ist.
Schliesslich werden Verfahren aufeinander abzustimmen sein. Nach Angaben der Beschwerdeführerin ist im Zeitpunkt der Ausfällung des kantonsgerichtlichen Urteils ein Gesuch um Umnutzung
BGE 125 III 175 S. 183
der Liegenschaft «Unterhorn» von zonenkonformem in zonenfremdes Wohnen hängig gewesen und die Umnutzungsbewilligung für das Wohnhaus kurz danach erteilt worden. Gegen die Verweigerung der Umnutzungsbewilligung für das Ökonomiegebäude will die Beschwerdeführerin rekurriert haben.
c) Aus den dargelegten Gründen trifft es nicht zu, dass nur bei einem geplanten Verkauf des freiwerdenden Landes an einen Selbstbewirtschafter entschieden werden könnte, ob dieser zukünftige Eigentümer konkret auf die Gebäulichkeiten angewiesen ist; diese Beurteilung kann und muss anhand der gezeigten Kriterien erfolgen. Ebenso wenig trifft es zu, dass nur bei einem derartigen Verkauf entschieden werden könnte, ob die nachgesuchte Abparzellierung neue Baugesuche hervorrufen könnte; ein entsprechendes Verbot kann als Nebenbestimmung mit der Abparzellierungsbewilligung verfügt und allenfalls im Grundbuch angemerkt werden (BANDLI, N. 8 zu
Art. 60 BGBB
, a.E.). Eine ständige kantonale Praxis - wie sie von der Beschwerdeführerin behauptet wird -, derzufolge eine Abparzellierung ohne gleichzeitigen Verkauf des unüberbauten Landes nicht bewilligt würde, lässt sich nicht feststellen, verstiesse aber klar gegen Bundesrecht. Entgegen der kantonsgerichtlichen Darstellung hat das Bundesgericht mit Urteil vom 25. März 1996 (5A.12/1995) die hier zur Anwendung gebrachte kantonale Gerichtspraxis nicht bestätigt. Das Bundesgericht hat aufgezeigt, auf welche «zutreffenden Ausführungen des Kantonsgerichts verwiesen werden (
Art. 36a Abs. 3 OG
)» kann (E. 2 Abs. 2 S. 3/4: gemischte Nutzung, objektive Beurteilung, Berücksichtigung der Bedürfnisse der Pächterfamilie und möglicher Änderungen der Bewirtschaftungsform sowie Klarheit über die Verwendung des verbleibenden landwirtschaftlichen Grundstücks). Es trifft zu, dass das Bundesgericht in jenem Urteil nicht eigens auf die zuerst massgebenden raumplanungsrechtlichen Kriterien eingegangen ist, die an der zitierten Kommentarstelle (BANDLI, N. 7 zu
Art. 60 BGBB
) vorweg genannt werden. Der Grund dafür liegt im Umstand, dass die Liegenschaft «Rosengarten», umfassend 174 a Wiese, 270 a Weide und 40 a Wald, insgesamt 484 a - von der blossen Fläche her und ohne Abschläge für bestimmte Kulturarten - als landwirtschaftliches Gewerbe kantonalen Rechts hätte durchgehen können (Art. 9 EGzBGBB/AI i.V.m.
Art. 5 lit. a BGBB
; vgl. E. 2 Abs. 1 S. 2). Da zu einem solchen geeignete Wohn- und Ökonomiegebäude regelmässig gehören dürften (BANDLI, N. 7 zu
Art. 5 BGBB
), ist den raumplanungsrechtlichen Kriterien in der zukunftsgerichteten Beurteilung keine weitere
BGE 125 III 175 S. 184
Bedeutung mehr zugekommen und das kantonsgerichtliche Vorgehen, einzig auf bodenrechtliche Momente abzustellen, auch nicht zu beanstanden gewesen. Von einem vergleichbaren Sachverhalt kann bei der hier in Frage stehenden Liegenschaft «Unterhorn» dagegen nicht ausgegangen werden. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d15cb43d-ab83-4cd3-bcd7-d83a97f6ecfb | Urteilskopf
116 II 667
117. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 8 novembre 1990 dans la cause dame T. contre C. et consorts (recours en réforme) | Regeste
Verfügungen unter Lebenden; Verknüpfung von Herabsetzungs- und Forderungsklage (
Art. 527 Ziff. 1 und 626 Abs. 2 ZGB
).
1. Die Bestimmung von
Art. 527 Ziff. 1 ZGB
ist nach ihrem objektiven Sinn zu verstehen: Sie ist auf sämtliche Zuwendungen anzuwenden, die ihrer Natur nach der Ausgleichung unterworfen waren, ihr aber durch eine entsprechende Verfügung des Erblassers entzogen sind (Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. 2).
2. Gemeinsam ist sämtlichen in
Art. 626 Abs. 2 ZGB
angeführten ausgleichungspflichtigen Verfügungen der Ausstattungscharakter: Die Verfügungen haben den Zweck, dem Empfänger eine Existenz zu verschaffen oder ihm die vorhandene Existenz zu sichern oder zu verbessern (Bestätigung der Rechtsprechung). Eine Zuwendung ist nicht nur dann gegeben, wenn die Leistung des Erblassers unentgeltlich ist, sondern auch dann, wenn der Erbe eine Gegenleistung erbringen muss, deren Wert jedoch merklich geringer ist, so dass zwischen den beiden Leistungen ein Missverhältnis besteht; Gegenstand der Herabsetzung ist in einem solchen Fall die Wertdifferenz (Bestätigung der Rechtsprechung). Fall zweier Grundstück-Schenkungen, von denen die eine angesichts des Werts der geschenkten Liegenschaften der Herabsetzung unterliegt, nicht aber die andere, da sie die Lage des Beschenkten nicht verbessert hat (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 668
BGE 116 II 667 S. 668
A.-
a) Joseph F., domicilié à P.-sur-B., est décédé à B. le 19 juillet 1984. Par testament olographe du 10 décembre 1971, il avait institué héritiers de ses biens les descendants de sa fille Anne C., prédécédée (savoir Yves et Pierre C.), pour un quart, son fils Luc F. ou ses descendants en cas de prédécès, pour un quart, sa fille Simone T., pour un quart, et son fils David F., pour un quart.
Luc F., décédé avant son père, a laissé deux filles, Agnès C. et Françoise K. L'actif net de la succession de Joseph F. n'est pas partagé.
b) Par acte notarié du 30 juin 1949, Joseph F. a fait donation à sa fille Simone T., "avec dispense expresse de rapport", d'un chalet et de terrains sis dans la commune de B., d'une surface totale de 42 558 m2. Ces biens-fonds, situés à une altitude moyenne de 1370 mètres, ne sont pas accessibles par une route ou un chemin carrossable. Le donateur les avait acquis en 1942 pour 2'000 francs et les avait grevés en 1947 d'une obligation hypothécaire en premier rang de 1'500 francs, au taux maximum de 6%. Lors de la donation, Simone T. a pris à sa charge cette obligation hypothécaire, qui s'élevait, à cette époque, à 1'528 francs, en capital
BGE 116 II 667 S. 669
et intérêts. Avant de donner les parcelles à sa fille, Joseph F. a procédé à une coupe de bois assez importante et a vendu le bois ainsi coupé.
Sur l'une des parcelles se trouvait un chalet comprenant alors une seule chambre, une grange et un local servant d'abri à moutons. Lors de la donation, ce chalet avait besoin d'importantes réparations, ce que mentionnait d'ailleurs l'acte du 30 juin 1949: il y avait longtemps que des travaux n'avaient pas été exécutés; l'intérieur était rudimentaire et un pan du toit était percé. Après la donation, Simone T. et son mari ont refait la toiture, aménagé l'intérieur pour le rendre habitable (sanitaires, cuisine avec carrelage, cheminée, amenée d'eau).
Simone T. a également reboisé une partie des parcelles, mais la forêt qu'elle y a plantée n'est guère exploitable.
c) Par acte notarié du 13 février 1969, Joseph F. a également fait don à Simone T. d'une parcelle de 5435 m2, sise à P., comprenant deux granges avec écuries, le tout estimé, entre les parties, à 30'000 francs. La donataire a repris une dette de 5'873 francs 25.
Dans cet acte, Joseph F. s'est réservé la jouissance gratuite, sa vie durant, de l'une des granges avec écurie et chambre, les transformations étant à la charge de la donataire. Ce droit d'habitation a été estimé, entre les parties, à 2'500 francs par an et sa valeur à 17'000 francs. Il a permis à Joseph F. d'être logé gratuitement jusqu'à la fin de ses jours.
La donation a été convenue rapportable pour une somme arrondie à 7'200 francs. Toutefois, dans son testament, Joseph F. a dispensé Simone T. de ce rapport.
Au moment où dame T. est devenue propriétaire de la parcelle, les deux bâtiments qui s'y trouvaient étaient inhabitables. Elle a entrepris d'importants travaux pour remettre à neuf le bâtiment destiné à être occupé par son père.
B.-
Le 18 juillet 1985, Yves et Pierre C., ainsi qu'Agnès et Françoise F. ont ouvert action contre Simone T. devant la Cour civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud aux fins de faire prononcer que leur part réservataire dans la succession de Joseph F. est au minimum de 25'379 francs pour chacun d'eux, que les deux donations immobilières des 30 juin 1949 et 13 février 1969 sont soumises à réduction dans la mesure nécessaire à la reconstitution de leur réserve et que la défenderesse est condamnée à leur verser leur part réservataire. La défenderesse a conclu au déboutement des demandeurs.
BGE 116 II 667 S. 670
Par jugement du 26 février 1990, la Cour civile a prononcé que les deux donations sont soumises à réduction, dit que la part réservataire de chaque demandeur est de 7'576 francs 10; condamné la défenderesse à payer à chacun d'eux la somme de 5'451 francs 10 en capital.
C.-
Simone T. a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Elle concluait principalement au déboutement des demandeurs. Le Tribunal fédéral a admis partiellement le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) L'action des demandeurs est fondée sur l'
art. 527 ch. 1 CC
, selon lequel sont sujettes à réduction comme les libéralités pour cause de mort les libéralités entre vifs faites à titre d'avancement d'hoirie sous forme de dot, d'établissement ou d'abandon de biens, quand elles ne sont pas soumises au rapport. S'en tenant à la jurisprudence fédérale et à la doctrine dominante, la Cour civile a admis que cette disposition s'applique quand bien même les libéralités consenties par le de cujus à sa fille ont été dispensées de rapport (
ATF 107 II 129
/130 consid. 3b,
ATF 98 II 356
consid. 3a,
ATF 76 II 192
,
ATF 71 II 77
consid. 4a; cf. notamment TUOR, n. 4 et ESCHER, n. 8 ad art. 527; GUBLER, Die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen, thèse Berne 1941, p. 126/127; GUISAN, La notion d'avancement d'hoirie aux art. 527 et 626 du Code civil, RDS 71 (1952) p. 489 ss, spécialement p. 508 et 512; WIDMER, Grundfragen der erbrechtlichen Ausgleichung, thèse Berne 1971, p. 94 ss; NEUKOMM/CZETTLER, Le droit successoral paysan, 5e éd., Brugg 1983, p. 363/364; GUINAND, Droits successoraux et matrimoniaux du conjoint survivant, SJ 106 (1984) p. 65 ss, spécialement p. 82/83; DRUEY, Grundriss des Erbrechts, 2e éd., Berne 1988, n. 74-77, p. 68; GUINAND-STETTLER, Droit civil II Successions, Fribourg 1990, n. 289-291, p. 132-133). Elle a ainsi écarté la thèse de PIOTET, selon lequel l'
art. 527 ch. 1 CC
ne concerne que les libéralités dont le rapport est ordonné, mais dont le bénéficiaire n'hérite pas et n'est pas représenté à la succession (Droit successoral, Traité de droit privé suisse, tome IV, p. 419 ss et les articles cités p. 419 n. 31 et 32; La réduction selon l'
art. 527 ch. 1 CC
de libéralités "faites à titre d'avancement d'hoirie" qui "ne sont pas soumises au rapport", JdT 1982 I p. 23 ss; Précis de droit successoral, 2e éd., Berne 1988, p. 86/87). De l'avis de la cour cantonale, cette thèse conduit à un résultat choquant dans la mesure où, par le biais des donations
BGE 116 II 667 S. 671
faites avec dispense expresse de rapport, le défunt aurait pu avantager sa fille au détriment de ses autres enfants.
La recourante se range à la conception de PIOTET, mais estime que la controverse de doctrine pourrait rester ouverte, étant donné que, selon elle, les libéralités que lui a faites son père ne sont pas des avancements d'hoirie.
b) Il convient cependant de déterminer la portée de l'
art. 527 ch. 1 CC
, car, si l'interprétation de PIOTET était retenue, les demandeurs devraient être déboutés.
aa) Dans l'arrêt K. contre K. et consorts, du 26 février 1981 (
ATF 107 II 130
consid. 3b), le Tribunal fédéral a confirmé sa jurisprudence relative à la portée de l'
art. 527 ch. 1 CC
. Ce n'est pas, a-t-il dit, la volonté du de cujus d'obliger le destinataire de la libéralité à laisser imputer celle-ci sur sa part qui est déterminante: en effet, une telle libéralité est de toute façon sujette au rapport selon l'
art. 626 al. 1 CC
et, dès lors, une réduction ne pourrait entrer en ligne de compte que si, pour une raison quelconque (répudiation de la succession, indignité, exhérédation), le destinataire de la libéralité ne devenait pas héritier, de sorte qu'il ne pourrait pas être effectué de rapport; il faut plutôt comprendre l'
art. 527 ch. 1 CC
dans son sens objectif: il s'applique à toutes les libéralités qui, par leur nature, sont sujettes au rapport, mais y échappent par une disposition contraire du de cujus.
bb) Commentant cet arrêt (La réduction selon l'
art. 527 ch. 1 CC
..., JdT 1982 I p. 23 ss), PIOTET a reproché au Tribunal fédéral d'avoir ignoré ses publications et de ne pas s'être prononcé sur ses arguments. Selon lui, comme on l'a vu, l'
art. 527 ch. 1 CC
rend réductible la dotation dont le rapport est ordonné par l'
art. 626 al. 2 CC
et qui a lieu plus de cinq ans avant l'ouverture de la succession, quand le débiteur de ce rapport légal (descendant héritant ab intestat) ne vient pas à la succession et n'y est pas "représenté"; l'
art. 527 ch. 1 CC
empêche ainsi que les réserves résultant du rapport légal soient diminuées par le fait du débiteur de ce rapport, notamment en cas de répudiation, ce qui est équitable et désirable. L'application de l'
art. 527 ch. 1 CC
à d'autres cas est contraire au texte légal et aboutit à des solutions insatisfaisantes, que rien ne justifie.
Cette façon d'interpréter l'
art. 527 ch. 1 CC
est partagée par THORENS, qui reproche au Tribunal fédéral et à la doctrine dominante de violer la loi (L'interprétation des art. 626 al. 2 et 527 ch. 1 et 3 CC, in Stabilité et dynamisme du droit dans la jurisprudence
BGE 116 II 667 S. 672
du Tribunal fédéral suisse, Bâle 1975, p. 355 ss, spécialement 361 ss). Pour cet auteur, la jurisprudence fédérale, en donnant un sens objectif à l'expression "avancement d'hoirie", ignore totalement les mots (du texte français de la disposition) "faites à titre d'". Selon lui, le législateur se trouvait devant un choix à opérer en ce qui concerne l'étendue de l'action en réduction des libéralités énumérées à l'
art. 626 al. 2 CC
; il devait opter entre l'intérêt de l'attributaire et celui de ses cohéritiers; il a choisi de protéger les cohéritiers sans limite dans le temps si les libéralités ont été faites à titre d'avancement d'hoirie (
art. 527 ch. 1 CC
) et seulement pendant cinq ans si elles ne constituent pas des avances d'hoirie, par exemple parce qu'elles ont été faites à des descendants avec dispense expresse de rapport (
art. 527 ch. 3 CC
): ce choix du législateur s'impose au juge, qui ne peut le remettre en question. Mais THORENS ajoute que "de lege ferenda, sur le plan téléologique et sur celui des intérêts en présence, l'opinion du Tribunal fédéral est plus satisfaisante que le texte légal et (lui) paraît souhaitable".
cc) Le Tribunal fédéral a relevé que, tel qu'il est rédigé, l'
art. 527 ch. 1 CC
contient une certaine contradiction, car les "libéralités entre vifs faites à titre d'avancement d'hoirie" sous forme de dot, etc., sont toujours rapportables; il n'était donc pas nécessaire de prévoir leur réduction, hors le cas où le bénéficiaire n'est pas héritier et, par conséquent, pas tenu au rapport (
ATF 71 II 77
consid. 4a). Le législateur paraît avoir commis une maladresse en introduisant les mots "quand elles ne sont pas soumises au rapport" (cf. GUISAN, La notion d'avancement d'hoirie... RDS 72 (1952) p. 509).
En présence d'un tel texte, une interprétation littérale ne s'impose pas. Il faut plutôt considérer que l'
art. 527 CC
doit se comprendre dans le cadre de l'institution de la réserve dont l'action en réduction des art. 522 et ss CC constitue la sanction. Les libéralités visées par l'
art. 527 ch. 1 CC
ne sont pas propres à léser la réserve dans la mesure où elles sont rapportables en application de l'
art. 626 al. 1 et 2 CC
. Si le de cujus pouvait dispenser du rapport en application de l'
art. 626 al. 2 CC
sans que la réduction prévue par l'
art. 527 ch. 1 CC
soit par là même applicable, il aurait la faculté de porter atteinte à la réserve des autres héritiers en faveur d'un seul d'entre eux, ce qui est contraire au système du code civil limitant la faculté de disposer à ce qui excède la réserve (
art. 470 al. 1 CC
). La dispense du rapport n'en est pas moins une institution utile pour celui qui en bénéficie: il n'est pas tenu de rapporter (en
BGE 116 II 667 S. 673
nature ou en valeur, selon l'
art. 628 al. 1 CC
) l'entier de ce qu'il a reçu; il doit seulement recomposer la réserve de ses cohéritiers légaux qui le lui demandent en vertu de l'
art. 527 ch. 1 CC
, savoir des règles que réserve l'
art. 628 al. 2 CC
.
Il n'y a donc pas de motifs d'abandonner une jurisprudence confirmée et approuvée par la majorité de la doctrine. Il suit de là que la Cour civile n'a pas violé l'
art. 527 ch. 1 CC
en admettant le principe de la réduction comme conséquence de la dispense de rapport.
3.
Selon la recourante, les libéralités qu'elle a reçues de son père ne sont pas visées par les
art. 527 ch. 1 et 626 al. 2 CC
, car, dit-elle, elles n'avaient pas pour objet de fonder, d'assurer ou d'améliorer l'existence de la donataire.
a) Les libéralités énumérées à l'
art. 527 ch. 1 CC
sont les mêmes que celles que mentionne l'art. 626 al. 2, soit les constitutions de dot, frais d'établissement, abandons de biens, remises de dettes et autres avantages semblables (
ATF 76 II 191
/192 consid. 2). Selon la jurisprudence, le caractère commun de toutes les libéralités rapportables indiquées à l'
art. 626 al. 2 CC
est la dotation: elles sont destinées à créer, assurer ou améliorer l'établissement du bénéficiaire dans l'existence (
ATF 76 II 196
; cf.
ATF 98 II 356
/357 consid. 3a). L'énumération des libéralités contenues aux
art. 527 ch. 1 et 626 al. 2 CC
n'est pas limitative, mais n'a qu'un caractère exemplaire: savoir si une libéralité entre vifs reçue par un héritier est sujette à réduction dépend du fait qu'elle a ou non un but semblable à celui des libéralités qui sont énumérées dans ces dispositions légales, soit, pour reprendre l'expression d'ESCHER (n. 14 ad
art. 527 CC
), la prévoyance en faveur de la famille (Familienfürsorge) (
ATF 107 II 130
/131). Ainsi, en 1950, le Tribunal fédéral a refusé de considérer que le don d'un bateau à moteur de 5'000 francs était une libéralité au sens des
art. 527 ch. 1 et 626 al. 2 CC
, car il s'agissait d'un engin sportif qui devait permettre au fils du défunt de se reposer, tandis que le commerce de cigares que le père avait acquis pour 4'300 francs et avait donné au même fils a été tenu pour une libéralité tombant sous le coup de ces dispositions et devant entrer en ligne de compte pour le calcul de la réserve (
ATF 76 II 199
ss consid. 8 et 9).
THORENS, qui observe que le critère de la dotation peut aboutir à un résultat choquant, propose de lui substituer le critère de l'importance relative et objective de la libéralité, l'importance relative étant déterminée par la situation économique et sociale du
BGE 116 II 667 S. 674
futur de cujus et l'importance objective par les moeurs et les usages locaux (Quelques considérations concernant les rapports en droit successoral, Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, No 43, Treizième journée juridique, Genève 1974, p. 27 ss, spécialement 33-39).
Le texte clair de la loi ne permet pas d'adopter un tel critère. Les
art. 527 ch. 1 et
art. 626 al. 1 CC
(que l'art. 626 al. 2 concrétise au sujet des libéralités faites en faveur des descendants) ne parlent pas seulement de libéralités entre vifs, mais précisent qu'elles doivent avoir été faites, respectivement reçues, à titre d'avancement d'hoirie, par quoi il faut entendre, précisément, en vue de créer, d'assurer ou d'améliorer l'établissement du bénéficiaire dans l'existence (cf.
ATF 76 II 196
; PIOTET, Droit successoral, p. 274-276; voir aussi ibidem, p. 274 n. 19, où PIOTET réfute la thèse de THORENS pour d'autres motifs encore).
b) Pour admettre que les libéralités reçues par la recourante de son père sont soumises à réduction, la cour cantonale a relevé que les parties aux actes de donations ont elles-mêmes envisagé le rapport, soit pour en prévoir la dispense expresse, en 1949, soit pour déterminer le montant du rapport, en 1969; ainsi le père et la fille auraient tous deux admis que les donations constituaient des avancements d'hoirie.
Ce raisonnement ne saurait être accueilli. Le critère de la dotation étant admis, c'est le but des libéralités qui importe, non la qualification juridique qu'ont pu leur conférer les parties. Il convient en conséquence d'examiner dans cette perspective les deux libéralités de 1949 et de 1969.
aa) Comme le rappelle pertinemment la Cour civile, il n'y a pas seulement libéralité lorsque la prestation du défunt est fournie à titre gratuit; tel est aussi le cas lorsque l'héritier doit fournir une contre-prestation pour l'avantage reçu, mais de valeur sensiblement moindre, de sorte qu'il y a disproportion entre les deux prestations. Dans cette éventualité, c'est la différence de valeur entre les prestations qu'il faut prendre en considération comme objet de la réduction. Il y a donation mixte (negotium cum donatione mixtum) quand, lors de la conclusion, l'attribution échangée contractuellement avec une contre-prestation dépasse celle-ci en valeur (élément objectif) et que les parties le savent et conviennent ainsi d'une libéralité (animus donandi) à l'une d'elles, qui est favorisée (élément subjectif) (
ATF 98 II 356
ss consid. 3).
BGE 116 II 667 S. 675
Les libéralités ayant pour objet des immeubles sont sujettes à réduction quand il s'agit de biens importants (
ATF 107 II 131
,
ATF 84 II 349
consid. 7b).
bb) En ce qui concerne la donation du 30 juin 1949, relative au chalet et au grand terrain qui l'entoure, on ignore tout de l'intention du donateur à ce sujet et du motif qui l'a conduit à faire don à sa fille de cet immeuble. Selon le jugement déféré, il s'agissait de biens-fonds auxquels ne menait aucune route, ni aucun chemin carrossable; seul un étroit sentier en permettait l'accès. Par ailleurs, la donataire, qui recevait un bien évalué à 2'500 francs, reprenait une obligation hypothécaire de 1'528 francs, et cela alors que le donateur avait procédé auparavant à une coupe de bois relativement importante. Enfin, l'état du chalet nécessitait des réparations étendues.
La recourante affirme qu'elle était alors déjà installée dans la vie, qu'elle n'avait aucun besoin d'assistance pour fonder, assurer ou améliorer son existence, et que son père lui a fait don de cet immeuble parce qu'il était incapable de l'entretenir et de le réparer. Il s'agit là de faits qui ne ressortent pas du jugement attaqué et que le Tribunal fédéral ne peut donc prendre en considération pour fonder son arrêt (
art. 63 al. 2 OJ
); il n'est cependant pas nécessaire de renvoyer la cause à la cour cantonale pour complément d'instruction sur ce point et nouvelle décision (
art. 64 al. 1 OJ
). Les éléments dont dispose la Cour de céans lui permettent d'admettre que la libéralité consentie par le de cujus ne tombe pas sous le coup de l'
art. 527 ch. 1 CC
: elle ne créait pas, n'assurait pas, ni même n'améliorait l'établissement de la recourante dans l'existence; au contraire, elle a exigé de la donataire et de son mari, ferblantier-couvreur, des travaux de rénovation étendus et, par conséquent, des investissements importants de leur part.
L'action des demandeurs n'est ainsi pas fondée dans la mesure où elle a pour objet de faire dire que la donation du 30 juin 1949 est soumise à réduction.
cc) La libéralité du 13 février 1969, elle, porte sur une parcelle d'une surface de 5435 m2, avec constructions, sise à P., sur le territoire de la commune de B. Selon l'expert, la valeur de l'immeuble lors de la donation était de 39'000 francs (soit 27'000 francs pour le terrain; 7'000 francs pour la grange-écurie et 5'000 francs pour la grange-écurie-chambre). La contre-prestation de la bénéficiaire consistait en la reprise de la dette hypothécaire (5'800 francs) et la valeur capitalisée de l'usufruit conservé par le donateur
BGE 116 II 667 S. 676
(estimée à 17'000 francs); elle s'élevait ainsi à 22'800 francs au total. Le montant de la libéralité était donc de 16'200 francs.
Aujourd'hui, l'immeuble, avec le bâtiment reconstruit, vaut 170'100 francs. La majeure partie de ce montant provient des terrains qui, du fait de la plus-value conjoncturelle acquise par une partie d'entre eux, sis en zone constructible, valent 132'600 francs.
La valeur de la libéralité en 1969 (16'200 francs) représentait, selon la méthode de la proportionnalité (
ATF 98 II 363
consid. 5b), les 41,54% de la valeur de l'immeuble (39'000 francs). Les 41,54% de la valeur actuelle de 170'100 francs font 70'660 francs. Il s'agit là de valeurs non négligeables, propres à améliorer la situation patrimoniale de la donataire. Les dépenses faites pour les travaux effectués par la donataire, estimées à 28'120 francs, se retrouvent dans la valeur actuelle du bâtiment, de 65'760 francs (savoir: valeur des travaux, par 60'760 francs + valeur initiale, estimée à 5'000 francs). Comme on l'a vu, le principal élément patrimonial réside dans les terrains en zone constructible.
Dans ces conditions, la Cour civile n'a pas violé le droit fédéral en estimant que la donation de 1969 est soumise à réduction. | public_law | nan | fr | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d15ce22e-111d-4353-ab96-169ba4663db0 | Urteilskopf
114 III 118
33. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 13 septembre 1988 dans la cause C. SA (recours de droit public) | Regeste
Art. 89 Abs. 1 OG
und
Art. 10 VZG
.
Wenn ein Dritter als Eigentümer des arrestierten Grundstückes im Grundbuch eingetragen ist, setzt ihn das Betreibungsamt unverzüglich und ohne besondere Aufforderung vom Arrest in Kenntnis (
Art. 10 VZG
). Die Frist für die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Arrestbefehl beginnt mit der dadurch erlangten Kenntnis vom Arrest zu laufen (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 118
BGE 114 III 118 S. 118
A.-
Le 13 juillet 1987, le Juge de paix du cercle de Lausanne a ordonné à la requête de X. le séquestre des biens de Y., les objets à séquestrer étant "les parcelles Nos ... inscrites au RF de Lausanne sous le nom de C. SA".
L'Office des poursuites de Lausanne-Ouest a reçu l'ordonnance de séquestre le 14 juillet 1987. Considérant que le poursuivant rendait vraisemblable que l'inscription des immeubles au registre foncier était inexacte au sens de l'art. 10 al. 1 ch. 3 ORI, l'Office introduisit la procédure de revendication (art. 10 al. 2 ORI),
BGE 114 III 118 S. 119
c'est-à-dire qu'il assigna à X. un délai de dix jours pour ouvrir action aux titulaires de l'inscription. Il requit en outre le conservateur d'annoter une restriction du droit d'aliéner frappant les immeubles visés par l'ordonnance de séquestre, ce qui fut fait le 20 juillet 1987. Ce même jour, l'Office avisa du séquestre le tiers C. SA ainsi que les créanciers hypothécaires. Cet avis donne tous renseignements sur le séquestre, le créancier et le débiteur, ainsi que sur les parcelles frappées par la mesure.
B.-
Par acte adressé au Tribunal fédéral le 2 juin 1988, C. SA déclare exercer un recours de droit public contre l'ordonnance de séquestre du 13 juillet 1987 dont elle requiert l'annulation dans la mesure où elle frappe les parcelles Nos ... qui sont sa propriété.
Le Tribunal fédéral déclare le recours irrecevable.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Aux termes de l'
art. 89 al. 1 OJ
, l'acte de recours doit être déposé devant le Tribunal fédéral dans les trente jours dès la communication, selon le droit cantonal, de l'arrêté ou de la décision attaquée. L'autorité de séquestre ne remet l'ordonnance qu'à l'office (
art. 274 al. 1 LP
), qui notifie au créancier et au débiteur une copie du procès-verbal du séquestre dressé au pied de l'ordonnance (
art. 276 LP
). Le tiers qui se prétend propriétaire des biens séquestrés ne reçoit pas communication de l'ordonnance, du moins pour autant qu'il ne détient pas ces biens. S'il entend se plaindre que le séquestre porte atteinte à ses droits constitutionnels, le délai pour former un recours de droit public ne peut courir que du moment où il a eu effectivement connaissance du séquestre (cf. MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, 4e éd., No 220 p. 126). A cet effet, s'il apprend l'existence du séquestre, il lui appartient de s'adresser sans retard à l'office chargé de l'exécution pour obtenir communication de l'ordonnance (
ATF 109 III 123
/4).
Il n'en va toutefois pas de même lorsque le tiers à la poursuite est le détenteur des biens séquestrés, ou lorsqu'il est inscrit au registre foncier comme propriétaire desdits biens. L'office doit alors aviser ce tiers du séquestre, soit pour lui permettre d'exercer sa revendication (
art. 109 LP
), soit, si le bien séquestré est un immeuble, pour appliquer les art. 10 ORI et 9 des Instructions du 7 octobre 1920 concernant la réalisation forcée des immeubles. Le tiers est donc avisé du séquestre par l'office immédiatement, et sans requête de sa part. Dans ces conditions, on ne saurait l'inviter à
BGE 114 III 118 S. 120
demander à l'office la communication de l'ordonnance de séquestre. C'est donc à tort que la recourante invoque le consid. 2 de l'arrêt Tegnon Securities Inc. (
ATF 109 III 123
/4) pour en déduire que son recours de droit public a été exercé en temps utile.
3.
En l'espèce, conformément aux prescriptions découlant des art. 10 ORI et 9 des Instructions concernant la réalisation forcée des immeubles, l'Office des poursuites de Lausanne-Ouest a effectivement avisé la recourante du séquestre immédiatement après l'avoir exécuté, le 14 juillet 1987 - selon la pièce que la recourante produit elle-même -, ou le 20 juillet 1987, selon le procès-verbal d'exécution de la mesure. Peu importe d'ailleurs la date exacte, car il est clair que la recourante connaissait l'ordonnance attaquée depuis plus de trente jours avant celui où elle a adressé au Tribunal fédéral son recours de droit public, qui est dès lors irrecevable. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d1642eb9-df24-4001-aa9c-86ac18e5a096 | Urteilskopf
86 II 196
32. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Juli 1960 i.S. Egli, Fischer & Co. gegen Jean Leimgruber, Ateliers Mécaniques de Précision SA | Regeste
Art. 67 OG
.
In Streitigkeiten über Erfindungspatente dürfen die Parteien im Berufungsverfahren Privatgutachten über technische Verhältnisse einreichen, doch können sie damit die Schranken, die ihren Vorbringen gesetzt sind, nicht umgehen. | Erwägungen
ab Seite 196
BGE 86 II 196 S. 196
Von früheren Urteilen abweichend, entschied das Bundesgericht in den Jahren 1932 und 1933, auch in Patentprozessen dürften im Berufungsverfahren keine Privatgutachten eingereicht werden (
BGE 58 II 282
,
BGE 59 II 327
). Unter der Herrschaft des durch
Art. 118 PatG
neu gefassten
Art. 67 OG
hat es diese Rechtsprechung aufgegeben (
BGE 82 II 245
und Urteil vom 1. Dezember 1959 i.S. Moser-Glaser & AG c. Maschinenfabrik Oerlikon). Da die Parteien die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz über technische Verhältnisse beanstanden können (
Art. 67 Ziff. 1 OG
) und unter den in
Art. 67 Ziff. 2 Abs. 2 OG
genannten Voraussetzungen neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen dürfen, müssen sie berechtigt sein, dem Bundesgericht die Meinung ihres technischen Beraters in der Urschrift zu unterbreiten. Damit gehen sie gleich vor, wie wenn sie - was immer zugelassen wurde - ihren Standpunkt im Berufungsverfahren mit Rechtsgutachten stützen.
Wie diese haben aber auch technische Gutachten nur die Bedeutung von Parteivorbringen. Sie sind nicht Beweismittel. Die Parteien können daher durch Gutachten die Schranken nicht umgehen, die ihren Vorbringen im Berufungsverfahren gesetzt sind.
BGE 86 II 196 S. 197
Sie haben namentlich die Fristen einzuhalten. Die Gutachten müssen vom Berufungskläger binnen der Frist zur Einlegung der Berufung (
Art. 54 Abs. 1 OG
) und vom Berufungsbeklagten binnen der Frist zu deren Beantwortung (
Art. 61 Abs. 1 OG
) eingereicht werden. Diese Fristen können nicht erstreckt werden (
Art. 33 Abs. 1 OG
). Es ändert nichts, dass die Beschaffung von Gutachten allenfalls mehr Zeit erfordert. Gerade in Streitigkeiten über Erfindungspatente besteht ein erhebliches Interesse an einer raschen und ordnungsgemässen Abwicklung des Verfahrens, weil die Parteien sonst die urteilsmässige Abklärung der Rechtslage so lange verzögern könnten, bis die Zeit des Patentschutzes annähernd oder ganz abgelaufen wäre. Vorbehalten bleibt der Fall, wo ausnahmsweise ein weiterer Schriftenwechsel stattfindet (
Art. 61 Abs. 5 OG
). Ordnet das Bundesgericht einen solchen an, so haben die Parteien Gelegenheit, binnen der Fristen, die es ihnen setzt, auch noch Gutachten einzureichen. Das kann auch vor Ablauf einer Frist geschehen, die es den Parteien auf Gesuch hin einräumt, um Anträge gemäss
Art. 67 Ziff. 2 Abs. 2 OG
zu stellen (
Art. 67 Ziff. 3 Abs. 1 Satz 2 OG
).
Durch die im Berufungsverfahren eingereichten Privatgutachten dürfen ferner die Bestimmungen nicht umgangen werden, die den Inhalt der vor dem Bundesgericht zulässigen Parteianbringen betreffen. Ein mit der Berufungsschrift eingelegtes Privatgutachten enthebt den Berufungskläger nicht der Pflicht, kurz darzulegen, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen mit Hilfe von Privatgutachten im Berufungsverfahren nur vorgebracht werden, wenn sie sich auf technische Verhältnisse beziehen und nachgewiesen wird, dass sie im kantonalen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten oder dass dort kein Anlass dazu bestand (
Art. 67 Ziff. 2 Abs. 2 OG
). Wird einer Partei Frist gesetzt, um Anträge auf Zulassung neuer Tatsachen und Beweismittel zu stellen, so hat das den Anträgen beigelegte Gutachten sich auf diese Punkte zu
BGE 86 II 196 S. 198
beschränken; es darf nicht benützt werden, um die Berufungsschrift oder die Berufungsantwort sonstwie zu ergänzen.
Das Urteil des Handelsgerichts wurde der Klägerin am 1. Februar 1960 zugestellt. Die Berufungsfrist lief daher Montag, den 22. Februar 1960 ab (
Art. 32, 54 Abs. 1 OG
). Ein Privatgutachten von Prof. Leyer, das die Klägerin dem Bundesgericht erst am 20. Mai 1960 einreichte, durfte daher nicht berücksichtigt werden. Es wurde ihr zurückgeschickt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d166e90a-df3d-4479-a6e7-e5ccc88ce4dd | Urteilskopf
93 I 597
76. Auszug aus dem Urteil vom 29. September 1967 i.S. Laager gegen Regierungsrat des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 105 OG
.
Das Bundesgericht kann Erhebungen über den Sachverhalt durchführen oder anordnen, wenn es nach pflichtgemässem Ermessen findet, dass dazu Anlass besteht (Erw. 7).
Sperrfrist für die Weiterveräusserung landwirtschaftlicher Grundstücke.
Art. 218 ff. OR
.
Mit einer früher gemäss
Art. 218bis OR
erteilten Bewilligung, ein landwirtschaftliches Grundstück vor Ablauf der Sperrfrist zum Zwecke der Überbauung zu veräussern, ist der Entscheidung darüber, ob das Grundstück nunmehr Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sei und daher der Sperre nicht mehr unterstehe, nicht vorgegriffen (Erw. 5).
Begriff des Baulandes. Bestätigung der in
BGE 92 I 338
/9 begründeten Rechtsprechnung (Erw. 6).
Ein Grundstück, dessen Überbauung zur Zeit von der zuständigen kantonalen Behörde mangels einer genügenden Möglichkeit der Abwasserbeseitigung nicht bewilligt wird, ist noch kein Bauland (Erw. 7).
Unter die Sperrfrist fällt auch die Einräumung eines Kaufsrechtes, das vor Ablauf der Frist ausgeübt werden kann (Erw. 8).
Wichtige Gründe für eine Abkürzung der Sperrfrist (
Art. 218bis OR
)? (Erw. 9). | Sachverhalt
ab Seite 599
BGE 93 I 597 S. 599
A.-
Die Nowo Immobilien AG in Wohlen erwarb im Jahre 1958 ein Grundstück in Jonen (Grundbuch Nr. 27, Parzelle Nr. 1143, 61,35 a Acker- und Wiesland), das im Jahre 1950 bei einer landwirtschaftlichen Güterzusammenlegung die heutige Form erhalten hatte. Im Jahre 1960 wollte sie es zur Überbauung veräussern. Sie vereinbarte einen Kaufvertrag mit Hans Laager in Zürich. Der Kaufpreis wurde auf Fr. 50 000.-- beziffert; er sollte vom Käufer durch Übernahme einer Grundpfandschuld in diesem Betrage getilgt werden. Die Vertragsparteien ersuchten die Landwirtschaftsdirektion des Kantons Aargau, die zehnjährige Sperrfrist des
Art. 218 OR
nicht anzuwenden, da es sich um Bauland handle, und die Erhöhung der Pfandbelastung des Grundstücks von Fr. 30 000.-- auf Fr. 50 000.-- nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 (LEG) zu genehmigen.
Die Landwirtschaftsdirektion bewilligte "die beabsichtigte Zweckentfremdung des Grundstücks" unter der Bedingung, dass vor dem Grundbucheintrag die von Bund und Kanton seinerzeit geleisteten Meliorationsbeiträge im Gesamtbetrage von Fr. 599.-- zurückzuerstatten seien; sie genehmigte auch die Erhöhung der Pfandbelastung; ferner gestattete sie gemäss
Art. 218bis OR
den Verkauf vor Ablauf der Sperrfrist; schliesslich verwies sie auf die vom Tiefbauamt und vom Gewässerschutzamt des Kantons gestellten weiteren, den Strassenanschluss und die Abwasserbeseitigung betreffenden Bedingungen (Verfügung vom 24. November 1960).
Darauf liessen die Vertragsparteien den Kaufvertrag am 21. März 1961 öffentlich beurkunden und die entsprechenden Eintragungen im Grundbuch vornehmen.
B.-
Durch öffentlich beurkundeten Vertrag vom 4. Juli 1966 räumte Hans Laager dem Architekten Ernst Kreiner in Zollikerberg an dem oben erwähnten Grundstück ein bis zum 31. Dezember befristetes, veräusserliches Kaufrecht ein. Der Preis wurde auf Fr. 35.- je m2 nebst Zins vom 1. Juli 1966 bis zur Ausübung des Kaufrechtes festgesetzt. Hans Laager und Ernst
BGE 93 I 597 S. 600
Kreiner ersuchten die kantonale Landwirtschaftsdirektion, die Vormerkung dieses Kaufrechtes im Grundbuch zu bewilligen.
Die Landwirtschaftsdirektion erklärte indessen durch Verfügung vom 12. Oktober 1966 den Kaufrechtsvertrag gemäss
Art. 218ter OR
als nichtig. Sie nahm an, das Grundstück sei für eine Überbauung nicht genügend erschlossen. Es sei daher kein Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
, weshalb nach Abs. 1 daselbst die Sperrfrist anwendbar sei. Der abgeschlossene Kaufrechtsvertrag bezwecke eine Umgehung der Sperrfrist.
Gegen diese Verfügung erhoben Hans Laager und Ernst Kreiner Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Aargau. Dieser wies die Beschwerde am 16. Februar 1967 ab. Er führte aus, ein Grundstück könne als Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
nur dann anerkannt werden, wenn es objektiv zur Überbauung geeignet, d.h. in bezug auf Kanalisation, Wasser, Elektrizität und Strassenzufahrt erschlossen sei und wenn der Erwerber die unmittelbare Überbauung beabsichtige. Im vorliegenden Fall fehle die Kanalisation. Das Grundstück Laagers liege zwar im Bereich des generellen Kanalisationsprojektes der Gemeinde Jonen, doch bestehe keine Entwässerungsmöglichkeit. Wohl sei in der Nähe wegen eines Neubaues eine Kanalisationsleitung erstellt worden; es handle sich aber um Stückwerk, das für die Beseitigung des Abwassers aus dem Grundstück Laagers nicht benützt werden könne. Die Hauptstränge der Kanalisation seien noch nicht gebaut, und die Kläranlage, welcher sie zugeführt werden sollen, befinde sich erst im Stadium der Projektierung. Stelle somit das Grundstück objektiv noch kein Bauland dar, so erübrige sich die Abklärung des Baulandcharakters in subjektiver Hinsicht. Mit Recht habe die Landwirtschaftsdirektion die Sperrfrist des
Art. 218 OR
angewendet und das Gesuch der Beschwerdeführer abgewiesen.
C.-
Hans Laager erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen:
"1. Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates des Kantons Aargau sei aufzuheben.
2. Die Vorinstanz sei anzuweisen,
a) festzustellen, dass das Kaufsobjekt Bauland im Sinne des
Art. 218 OR
darstelle;
b) festzustellen, dass der Kaufrechtsvertrag keiner Genehmigung bedürfe, eventuell..., dass der Kaufrechtsvertrag im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
als genehmigt gelte;
c) festzustellen, dass von einer Gesetzesumgehung nicht gesprochen werden könne..."
BGE 93 I 597 S. 601
Es wird geltend gemacht, auf Grund der Verfügung der Landwirtschaftsdirektion vom 24. November 1960 habe sich der Beschwerdeführer darauf verlassen dürfen, dass das Grundstück Bauland im Sinne des
Art. 218 OR
sei. Diesen Charakter habe es tatsächlich. In Jonen seien Bauten bewilligt worden, deren Abwässer in das am Grundstück des Beschwerdeführers vorbeiführende "Zwischenstück" der Kanalisation flössen, das vorläufig in den Jonenbach münde; auch an anderen Orten des Kantons Aargau seien unter ähnlichen Verhältnissen Baubewilligungen erteilt worden. Nach
Art. 4 BV
müsse der Beschwerdeführer gleich behandelt werden, so dass sein Grundstück als vollständig erschlossen zu gelten habe. Auch in subjektiver Beziehung sei es Bauland; sei doch bereits ein Baugesuch eingereicht worden. Die Sperrfrist sei aber auf Bauland nicht anwendbar.
Zudem handle es sich hier nicht um eine Veräusserung im Sinne des
Art. 218 Abs. 1 OR
, sondern um einen Kaufrechtsvertrag. Eine Umgehung des Gesetzes liege nicht vor. Der Regierungsrat habe die gegenteilige Auffassung der Landwirtschaftsdirektion überhaupt nicht überprüft, wiewohl die bei ihm erhobene Beschwerde eine längere Abhandlung hierüber enthalte ...
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Aargau und das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht folgt diesem Antrag.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Der Regierungsrat hat durch die Bestätigung der bei ihm angefochtenen Verfügung den Kaufrechtsvertrag gemäss
Art. 218ter OR
nichtig erklärt in der Meinung, dass das in Frage stehende Grundstück ein landwirtschaftliches Grundstück sei und daher unter die Sperrfrist des
Art. 218 Abs. 1 OR
falle, dass der Vertrag die Sperrfrist verletze und dass keine wichtigen Gründe für eine Ausnahmebewilligung nach
Art. 218 bis OR
dargetan seien. Es ist zu prüfen, ob diese Annahmen zutreffen.
5.
Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe sich auf Grund der Verfügung der Landwirtschaftsdirektion vom 24. November 1960 darauf verlassen dürfen, dass das Grundstück Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sei, ist unbegründet. Wohl hatten die Nowo Immobilien AG und Hans Laager die Landwirtschaftsdirektion
BGE 93 I 597 S. 602
ersucht, die Sperrfrist des
Art. 218 Abs. 1 OR
nicht anzuwenden, da es sich um Bauland handle. Die Landwirtschaftsdirektion hat jedoch in der Verfügung vom 24. November 1960 diesem Gesuch nicht entsprochen, sondern bloss eine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 218bis OR
erteilt. Sie hat also angenommen, dass das Grundstück ein landwirtschaftliches Grundstück im Sinne des
Art. 218 Abs. 1 OR
sei und daher grundsätzlich der Sperre unterliege. Dieser Annahme widerspricht es nicht, dass die Landwirtschaftsdirektion in der gleichen Verfügung "die beabsichtigte Zweckentfremdung des Grundstücks" - unter der Bedingung der Rückerstattung der von Bund und Kanton geleisteten Meliorationsbeiträge - und die Erhöhung der Pfandbelastung genehmigt hat. Die Zweckentfremdung tritt erst mit der Überbauung ein, zu der es bis jetzt nicht gekommen ist. Die Genehmigung der Höherbelastung ist "gemäss den Bestimmungen des LEG" erteilt worden. Die Landwirtschaftsdirektion hat demnach vorausgesetzt, dass das Entschuldungsgesetz anwendbar sei, d.h. dass ein landwirtschaftliches Grundstück im Sinne dieses Gesetzes und damit auch des durch dessen Art. 95 (und nachher erneut durch Art. 50 BG über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951) revidierten
Art. 218 OR
vorliege. Daran ändert es nichts, dass das Grundstück nie durch einen förmlichen, im Grundbuch angemerkten Entscheid gemäss Art. 2 und 3 LEG diesem Gesetz unterstellt worden ist. Es ist Praxis der aargauischen Landwirtschaftsdirektion, Pfandbelastungen nach den Bestimmungen des Entschuldungsgesetzes auch ohne Unterstellungsentscheid zu genehmigen, es sei denn, dass die Durchführung eines Schätzungsverfahrens zur Festlegung der Belastungsgrenze verlangt wird, was hier offenbar nicht geschehen ist.
Anders wäre es allenfalls, wenn die kantonale Behörde im Jahre 1960 durch förmlichen Entscheid festgestellt hätte, dass das Entschuldungsgesetz auf das Grundstück nicht anwendbar sei (vgl. Art. 4 LEG). Einen solchen Entscheid hat sie jedoch nicht getroffen. Durch die Verfügung vom 24. November 1960 ist die Umwandlung des bisher landwirtschaftlichen Grundstücks in Bauland zwar erlaubt, aber nicht vollzogen worden. Die Verfügung beruht auf der Voraussetzung, dass das Grundstück damals ein landwirtschaftliches Grundstück war.
6.
"Bauland" im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
ist ein Begriff des Bundesrechts, der jedoch in der Bundesgesetzgebung
BGE 93 I 597 S. 603
über das landwirtschaftliche Bodenrecht nirgends definiert ist, so dass es Sache der mit der Anwendung des Gesetzes betrauten Behörden ist, ihn näher zu bestimmen. Bis zum 1. Juli 1965 (Inkrafttreten des BG über die Änderung der Vorschriften des ZGB und des OR betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr) hatte das Bundesgericht die Auslegung des Baulandbegriffes durch die kantonalen Behörden nur unter dem beschränkten Gesichtspunkte der Willkür zu überprüfen. Diese Beschränkung führte dazu, dass jede Umschreibung dieses Begriffs anerkannt wurde, für die sachliche Gründe vorgebracht werden konnten (
BGE 92 I 338
und dort zitierte Urteile). Der Bundesrat wollte den Erlass des BG über die Änderung der Vorschriften des ZGB und des OR betreffend das Baurecht und den Grundstückverkehr benützen, um eine Sperrfrist auch für Bauland einzuführen und gleichzeitig den Baulandbegriff näher zu bestimmen. In seiner Botschaft vom 9. April 1963 und im Gesetzesentwurf (BBl 1963 I S. 969 ff.) bezeichnete er als Bauland Grundstücke, "die alle (objektiven) Voraussetzungen für die sofortige Überbauung erfüllen" (a.a.O. S. 1000 und 1011). Diese Umschreibung wurde allerdings nicht Gesetz, aber nicht, weil die Bundesversammlung sie als unrichtig beanstandet hätte, sondern weil die vom Bundesrat vorgeschlagene und vom Nationalrat zunächst gebilligte dreijährige Sperrfrist für Bauland (StenBull NR 1964 S. 379 ff.) gemäss Beschluss des Ständerates (StenBull StR 1964 S. 339 ff.) nicht eingeführt wurde. Das Bundesgericht aber schloss sich auf Grund der freien Prüfung, die ihm seit dem 1. Juli 1965 nach dem neuen
Art. 218quater OR
zusteht, der vom Bundesrat gegebenen Definition des Baulandbegriffs an; es erblickte das Kriterium des Baulandes darin, dass ein Grundstück "nach den objektiven Verhältnissen sofort überbaut werden kann" (
BGE 92 I 338
f.).
Man kann sich fragen, ob der Baulandbegriff etwas weiter zu umschreiben sei, in dem Sinne, dass darauf abgestellt würde, ob das Grundstück in naher Zukunft überbaut werden kann oder nicht. In zahlreichen Fällen werden Grundstücke zum Zwecke der baldigen Überbauung gekauft, obwohl sie noch nicht voll erschlossen sind, insbesondere noch nicht an eine Kanalisation angeschlossen werden können, und obwohl der Käufer weiss, dass die Überbauung erst nach der vollen Erschliessung oder auf deren Zeitpunkt hin bewilligt werden wird. In den Augen der Vertragsparteien und auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch
BGE 93 I 597 S. 604
sind solche Grundstücke Bauland. Indessen ist damit noch nicht gesagt, dass sie auch Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sein müssen. Die vom Gesetzesentwurf 1963 gegebene und vom Bundesgericht übernommene Umschreibung des Baulandbegriffs - "sofortige Überbaubarkeit" - weicht zwar vom allgemeinen Sprachgebrauch ab, hat aber den Vorteil, dass sie eine klare Abgrenzung erlaubt. Eine Änderung der in
BGE 92 I 338
f. begründeten Rechtsprechung liesse sich daher nur rechtfertigen, wenn diese zu derart stossenden Ergebnissen führen würde, dass an ihr nicht festgehalten werden könnte.
Das ist jedoch nicht der Fall. Es geht kaum an und es ist auch nicht damit zu rechnen, dass in einer Gemeinde schlechthin jede neue Baute untersagt wird, bevor das betreffende Grundstück voll erschlossen ist. Gewiss darf in einem Teil der Gemeinde, für den vorläufig noch keine Kanalisation erstellt ist, aus polizeilichen Gründen - zum Schutz der Gewässer gegen Verunreinigung - die Errichtung von Neubauten untersagt werden (
BGE 79 I 234
), wie es auch zulässig ist, zur Bekämpfung der Streubauweise die Zuleitung von Wasser und Strom zu beschränken (
BGE 92 I 379
). Fehlen solche Gründe für eine Ablehnung des Baugesuches, so hat aber der Grundeigentümer im Rahmen der Baugesetzgebung Anspruch auf eine Bewilligung. Wie das Bundesgericht in
BGE 92 I 339
f. festgestellt hat, kann jeder Grundeigentümer kraft Bundesrechts verlangen, dass die für die Erteilung von Baubewilligungen zuständige kantonale Behörde einen förmlichen weiterziehbaren Entscheid darüber trifft, ob sein Grundstück sofort überbaut werden kann oder nicht. Nach dieser Rechtsprechung ist es für den Baulandcharakter nicht entscheidend, ob das Grundstück an eine Kanalisation angeschlossen und in diesem Sinne voll erschlossen ist, sondern ob der Eigentümer Anspruch auf eine Baubewilligung hat. Allerdings kann das Fehlen einer Kanalisation ein Grund sein, dass die zuständige Behörde die Baubewilligung zunächst verweigert. Wo die Baubewilligung zugesichert ist oder verlangt werden kann, ohne dass ein Kanalisationsanschluss gefordert wird, kann aber auch ein nicht an eine Kanalisation angeschlossenes Grundstück als voll baureif betrachtet werden und damit Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sein.
7.
Der Regierungsrat nimmt im angefochtenen Entscheide an, das umstrittene Grundstück sei (noch) kein Bauland, weil zur Zeit mangels einer genügenden Kanalisation eine einwandfreie
BGE 93 I 597 S. 605
Beseitigung des Abwassers nicht gewährleistet sei. Der Entscheid ist so zu verstehen, dass aus diesem Grunde die sofortige Überbauung des Grundstücks nicht bewilligt wird.
Das Bundesgericht ist an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides nicht gebunden. Es "kann" sie nach
Art. 105 OG
überprüfen; es kann also Erhebungen über den Sachverhalt durchführen oder anordnen, wenn es nach pflichtgemässem Ermessen findet, dass dazu Anlass besteht.
Der Regierungsrat erklärt, die Hauptstränge der Kanalisation der Gemeinde Jonen seien noch nicht gebaut, und die Kläranlage, an die sie angeschlossen werden sollen, befinde sich erst im Stadium der Projektierung. Die in der Beschwerde als Kanalisation bezeichnete Leitung sei "Stückwerk"; sie könne für die Beseitigung des Abwassers, das im streitigen Grundstück nach der Überbauung anfallen würde, nicht benützt werden. Demgegenüber wird in der Beschwerde lediglich vorgebracht, das vorhandene "Zwischenstück" münde vorläufig in den Jonenbach und genüge als Kanalisationsbehelf. Damit sind aber jene Feststellungen des Regierungsrates keineswegs widerlegt. Die Beschwerde enthält keinerlei Ausführungen über die Eignung des Jonenbaches als Vorfluter für die Ableitung ungeklärter Abwässer. Es wird nicht einmal behauptet, dass eine solche Ableitung sich ohne Verstoss gegen das Gewässerschutzgesetz durchführen liesse. Es fehlen alle Angaben über die durch den Jonenbach ganzjährig abfliessende Wassermenge und das Gefälle wie auch darüber, dass die Einleitung der Abwässer aus dem überbauten Grundstück auch bei niederem Wasserstand und während längerer Trockenperioden möglich wäre.
Unter diesen Umständen darf aber die Feststellung des Regierungsrates, dass keine genügende Möglichkeit der Abwasserbeseitigung bestehe, ohne weiteres dem Urteil zugrunde gelegt werden. Ist diese Feststellung als richtig zu erachten, so kann auch die vom Regierungsrat daraus gezogene Folgerung, dass das Grundstück nicht sofort überbaut werden dürfe und daher (noch) kein Bauland im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
sei, nicht beanstandet werden.
Hieran ändert die Rüge der rechtsungleichen Behandlung, welche in diesem Zusammenhang erhoben wird, nichts. In der Beschwerde wird geltend gemacht, dass in Jonen und an anderen Orten unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen Baubewilligungen erteilt worden seien. Ob das zutreffe, braucht nicht untersucht
BGE 93 I 597 S. 606
zu werden. Denn von einer rechtsungleichen Behandlung kann nur die Rede sein, wenn eine und dieselbe Behörde eine Rechtsfrage ohne sachlichen Grund einmal so und einmal anders entscheidet (
BGE 90 I 8
Erw. 2, 226 f.;
BGE 91 I 171
f.). Die Beschwerde behauptet aber nicht, in den erwähnten anderen Fällen sei der Entscheid vom Regierungsrat ausgegangen, noch, dieser hätte sich mit ihnen als Aufsichtsbehörde von Amtes wegen befassen müssen; mehr noch, es wird nicht einmal behauptet, dass in jenen anderen Fällen der Baulandbegriff im Sinne des
Art. 218 OR
habe ermittelt und angewandt werden müssen.
8.
Da das umstrittene Grundstück kein Bauland ist, fällt es unter die Sperrfrist des
Art. 218 Abs. 1 OR
. Sie ist, weil die letzte Handänderung am 21. März 1961 stattgefunden hat, noch nicht abgelaufen. In der Beschwerde wird jedoch behauptet, der Kaufrechtsvertrag sei kein der Sperrfrist unterliegendes Rechtsgeschäft; er bilde nicht den Rechtsgrund für eine Handänderung.
Art. 218 Abs. 1 OR
unterstellt aber der Sperre allgemein die "Veräusserung" landwirtschaftlicher Grundstücke. Der Regierungsrat hat mit Recht angenommen, dass es sich hier um eine Veräusserung handle. Das Kaufsrecht, das der Beschwerdeführer dem Vertragspartner eingeräumt hat, ermächtigt diesen, das Grundstück bis zum 31. Dezember 1967 ganz oder in Stücken zu kaufen oder durch Dritte kaufen zu lassen. Dieses Recht kann vom Berechtigten durch einseitige Willenserklärung ausgeübt werden, in dem Sinne, dass der Beschwerdeführer ihm das Grundstück ganz oder teilweise verkaufen muss, und zwar vor dem Ablauf der Sperrfrist. Mit dem Kaufrechtsvertrag hat daher der Beschwerdeführer die Verfügung über das Grundstück auf den Vertragspartner übertragen. Das aber ist, wie in
BGE 92 I 337
Erw. 3 dargelegt wurde, eine Veräusserung im Sinne des
Art. 218 Abs. 1 OR
. Wenn dem nicht so wäre, könnte diese Bestimmung durch die Einräumung von Kaufsrechten umgangen werden, so dass der Zweck der Sperre, die Spekulation mit landwirtschaftlichen Grundstücken zu beschränken, in vielen Fällen nicht erreicht würde. Das zeigt übrigens gerade der vorliegende Fall: Hans Laager würde für das Grundstück, das er im Jahre 1961 für Fr. 50 000.-- erworben hat, nunmehr - abgesehen von den Zinsen - Fr. 214 725.-- einnehmen.
Unter diesen Umständen ist es unnötig, auf die Ausführungen des Beschwerdeführers über das Wesen der Gesetzesumgehung näher einzugehen. Auch der Regierungsrat brauchte sich damit nicht zu befassen.
BGE 93 I 597 S. 607
9.
In der Beschwerde wird beantragt, dass der Kaufrechtsvertrag zu genehmigen sei, falls er als genehmigungsbedürftig erachtet werden sollte. Verlangt wird eine Genehmigung "im Sinne des
Art. 218 Abs. 2 OR
". Allein in dieser Bestimmung ist keine Genehmigung vorgesehen. Die dort erwähnten Veräusserungen bedürfen just keiner Genehmigung. Als Genehmigung könnte im vorliegenden Fall lediglich die Erlaubnis einer vorzeitigen Veräusserung im Sinne des
Art. 218bis OR
in Betracht fallen. Voraussetzung dafür wäre der Nachweis wichtiger Gründe. Solche Gründe sind jedoch im hängigen Verfahren nicht geltend gemacht worden. Es ist deshalb nicht zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen bei Kaufrechtsverträgen von Architekten über noch nicht voll baureife Grundstücke wichtige Gründe für eine Abkürzung der Sperrfrist angenommen werden könnten. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d16899f6-0bd3-4dbf-a55e-b5953e0cfc90 | Urteilskopf
96 IV 148
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Dezember 1970 i.S. Verlag Finanz und Wirtschaft AG gegen Dr. Manfred Kuhn. | Regeste
Art. 173 ff. StGB
.
Die iuristischen Personen, deren Ehre verletzt wird, sind klageberechtigt. | Erwägungen
ab Seite 148
BGE 96 IV 148 S. 148
Aus den Erwägungen:
Der Kassationshof hat die Aktivlegitimation iuristischer Personen für Ehrverletzungsklagen in einem Urteil vom 2. Februar 1945 (
BGE 71 IV 36
) bejaht und daran in weitern nicht veröffentlichten Entscheidungen festgehalten, zuletzt in einer solchen vom 6. Mai 1966, welche die Verletzung der Ehre einer Aktiengesellschaft zum Gegenstand hatte.
Die Auffassung, dass neben den natürlichen auch die iuristischen Personen der Ehre fähig sind und Anspruch auf strafrechtlichen
BGE 96 IV 148 S. 149
Schutz ihres Rechts auf Achtung besitzen, wird nicht nur durch den Wortlaut des Gesetzes (
Art. 173, 174 und 177 StGB
) gedeckt, sondern ist entgegen den Einwänden des Beschwerdegegners auch mit dem strafrechtlichen Begriff der Ehre vereinbar. Der Wert der iuristischen Personen, auch der Aktiengesellschaften, erschöpft sich nicht in der wirtschaftlichen Tätigkeit, die sie ausüben; sie erfüllen noch weitere Aufgaben, insbesondere soziale, die für die Allgemeinheit von Bedeutung sind, weshalb sie auf Grund ihrer gesamten Stellung gesellschaftliche Geltung geniessen, die nicht weniger schützenswert ist als jene der natürlichen Personen. Dem Ehrenschutz iuristischer Personen steht auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sowohl die äussere Geltung der Persönlichkeit als auch ihr subjektives Ehrgefühl geschützt sind. Diese Umschreibung des Schutzobjektes bedeutet nicht, dass die Tatbestände der Verleumdung, üblen Nachrede und Beschimpfung eine Verletzung beider Seiten der Ehre voraussetzen. Vielmehr genügt das eine oder andere, je nachdem, ob die ehrbeleidigende Äusserung gegenüber Dritten getan und damit der Ruf des Verletzten geschädigt oder gefährdet wird oder ob sie ausschliesslich an den Verletzten selbst gerichtet ist und darum nur das Ehrgefühl betroffen sein kann (
BGE 77 IV 98
Erw. 1). Im vorliegenden Falle, wo die eingeklagten Äusserungen gegenüber Dritten getan wurden, stellt sich somit die Frage, ob bei iuristischen Personen eine Verletzung des Ehrgefühls möglich sei, nicht.
Richtig ist, dass die vom Bundesrat anlässlich der Teilrevision des StGB von 1950 vorgeschlagene Aufnahme eines Art. 177bis, worin die Beleidigungsfähigkeit von Behörden und Personenverbänden, die keine Rechtspersönlichkeit besitzen, hätte anerkannt werden sollen, vom Ständerat (Sten. Bulletin 1949 S. 613) und hierauf auch vom Nationalrat (Sten. Bulletin 1950 S. 203) abgelehnt wurde. Die Ablehnung dieser Vorlage ist jedoch kein Grund, die bisherige Rechtsprechung, die einzig den iuristischen Personen, nicht aber den Behörden und andern Personenverbänden den Ehrenschutz zuerkennt (
BGE 69 IV 83
,
BGE 71 IV 36
), aufzugeben. Dies umso weniger, als diese Praxis, auf die im Ständerat hingewiesen wurde, bei den Revisionsverhandlungen unangefochten war und auch in der Literatur gebilligt wird (HAFTER, Bes. Teil I S. 186 f.; LOGOZ, Bes. Teil I S. 240; THORMANN-OVERBECK, Vorbemerkungen zu Art. 173 ff. N. 1;
BGE 96 IV 148 S. 150
SCHENITZA, Die Beleidigung von Personenverbänden, S. 35, 62; BRUNSCHVIG, Die Kollektiv-Ehrverletzung, S. 16).
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher einzutreten. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d16ad21a-30ce-4322-a5b0-362eca124381 | Urteilskopf
85 I 276
45. Urteil vom 25. März 1959 i.S. T. gegen Solothurn Kanton und Regierungsrat. | Regeste
Kantonale Handänderungsabgabe, Willkür.
Kantonale Vorschrift, wonach beim "Übergang von Grundstücken auf einen neuen Eigentümer" eine Handänderungsgebühr zu entrichten ist. Anwendung auf die Begründung eines selbständigen und dauernden Baurechts. | Sachverhalt
ab Seite 276
BGE 85 I 276 S. 276
A.-
Das solothurn. Gesetz betreffend den Bezug von Handänderungsgebühren beim Eigentumsübergang an Liegenschaften vom 23. Februar 1919 (HGG) bestimmt in § 1 Abs. 1:
"Wenn Grundstücke auf einen neuen Eigentümer übergehen, so ist vom wahren Werte des veräusserten Grundstückes eine Handänderungsgebühr zu bezahlen..."
Der Steuersatz ist progressiv und beträgt je nach dem Wert des Grundstücks 1 bis 2% (§ 1 Abs. 2). Die Abgabe ist, sofern nicht das Gegenteil verurkundet ist, vom Erwerber zu entrichten (§ 3). Einschätzungsbehörde ist der Amtsschreiber als Grundbuchverwalter. B. - Die Kirchgemeinde X. ist Eigentümerin eines 1790 m2 haltenden Grundstücks. Durch öffentlich beurkundeten
BGE 85 I 276 S. 277
Vertrag vom 17. Juli 1957 räumte sie dem Architekten T. an diesem Grundstück auf unbestimmte Zeit ein selbständiges und dauerndes, als Grundstück in das Grundbuch aufzunehmendes Baurecht ein. Es besteht im Recht, auf dem Grundstück einen 12-Familien-Wohnblock zu erstellen und das dafür nicht benötigte Land als Zugang, Garten, Spielplatz usw. zu benutzen gegen Bezahlung eines Baurechtzinses, dessen Satz sich nach dem Hypothekarzinsfuss der Solothurner Kantonalbank bestimmt und der berechnet wird auf dem Bodenwert, welcher für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf Fr. 80'000.-- festgelegt und alle 40 Jahre sowie bei jeder Handänderung neu festzusetzen ist.
Die Amtsschreiberei erblickte in der Begründung dieses Baurechts ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 1 HGG, berechnete den Wert des Baurechts, von einer Dauer desselben von 99 Jahren ausgehend, durch Kapitalisierung des gegenwärtigen Baurechtszinses auf Fr. 89'127.-- und gelangte so zu einer Handänderungsgebühr von Fr. 1373.25.
T. rekurrierte hiegegen an den Regierungsrat des Kantons Solothurn. Dieser wies den Rekurs am 6. Januar 1959 ab, erhöhte den gebührenpflichtigen Wert auf Fr. 91'428.55 und setzte die Handänderungsgebühr auf Fr. 1508.55 fest. Zur Begründung dieses Entscheids wird ausgeführt: Da als Grundstücke im Sinne von § 1 HGG auch die im Grundbuch aufgenommenen selbständigen und dauernden Baurechte zu gelten hätten, begründe deren Verkauf zweifellos die Steuerpflicht. Fraglich könne höchstens sein, wie es sich mit der Einräumung eines solchen Rechts verhalte. Diese stelle rein zivilrechtlich keine Handänderung eines Grundstücks dar, da das Baurechtsgrundstück erst nach der Begründung des Baurechts und dessen Eintragung im Grundbuch entstehe. Die solothurnische Handänderungsgebühr sei jedoch nicht als Fertigungssteuer in dem Sinne ausgebaut, dass die Steuerpflicht immer erst dann eintrete, wenn ein Eigentumsübergang im Grundbuch eingetragen werde. Wesentlich sei vielmehr der wirtschaftliche Vorgang.
BGE 85 I 276 S. 278
Die Steuer wolle den Rechtsverkehr mit Grundeigentum, die "rechtsgeschäftliche Verschiebung von Grundeigentumswerten" (
BGE 53 I 191
) treffen. Bei dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise stelle die Abtretung eines dauernden und selbständigen Baurechts an einen Dritten mit der Möglichkeit der Begründung eines selbständigen Baurechtsgrundstücks bereits einen handänderungsgebührenpflichtigen Vorgang dar. Bei der Berechnung des Wertes des Baurechts sei der gegenwärtige Baurechtszins im Sinne einer ewigen Rente zu kapitalisieren (wird näher ausgeführt).
C.-
T. führt gegen diesen Rekursentscheid des Regierungsrates staatsrechtliche Beschwerde. Er beruft sich auf
Art. 4 BV
und macht geltend: Das HGG unterwerfe, wie sich aus dem Ingress sowie aus den §§ 1 und 3 klar ergebe, nur den Eigentumsübergang an Grundstücken der Gebührenerhebung. Die Begründung von Baurechten, bei der das Grundstück mit einer Dienstbarkeit belastet werde und kein Wechsel in den Eigentumsverhältnissen eintrete, werde im HGG nicht erwähnt und sei daher nicht gebührenpflichtig. Das HGG biete nach dem Wortlaut nicht die geringste Grundlage, um für die Begründung von Baurechten eine Gebühr zu erheben. Die gegenteilige Auffassung des Regierungsrates sei mit dem klaren Wortlaut des HGG unvereinbar und offensichtlich willkürrlich.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die solothurnische Handänderungsgebühr ist eine Verkehrssteuer (
BGE 53 I 191
). Eine solche Abgabe darf, wie allgemein anerkannt ist und vom Regierungsrat nicht bestritten wird, nur erhoben werden, wenn und soweit eine gesetzliche Grundlage dafür besteht. Das entspricht dem Wesen des Rechtsstaats und folgt auch aus dem in der solothurnischen Kantonsverfassung (Art. 62 Abs. 1) aufgestellten Grundsatz, dass die Bestimmungen über direkte
BGE 85 I 276 S. 279
Steuern und indirekte Abgaben "Sache der Gesetzgebung" sind, was bedeutet, dass Steuern und Abgaben nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und nur in dem vom Gesetz festgestellten Umfange erhoben werden dürfen (
BGE 80 I 327
Erw. 1 mit Zitaten; vgl. ferner
BGE 82 I 27
/28,
BGE 84 I 93
Erw. 2).
2.
Nach § 1 HGG wird die Handänderungsgebühr bezogen, wenn "Grundstücke auf einen neuen Eigentümer übergehen". Darunter fällt vor allem der zivilrechtliche Eigentumsübergang an Liegenschaften. Als Handänderung im Sinne von § 1 HGG ist sodann die Übertragung der in das Grundbuch aufgenommenen selbständigen und dauernden Rechte, also auch der Baurechte, zu betrachten, da solche Rechte gemäss
Art. 655 ZGB
als Grundstücke im Sinne des ZGB gelten und anzunehmen ist, dass das später als das ZGB erlassene HGG den Begriff Grundstück im gleichen Sinne verwendet wie das ZGB. Auf die Begründung eines Baurechts ist § 1 HGG jedenfalls dann ohne weiteres anwendbar, wenn schon ein (nicht vom Bauberechtigten erstelltes) Bauwerk vorhanden ist, denn in diesem Falle geht das Bauwerk, d.h. ein bisheriger Bestandteil der Liegenschaft (
Art. 667 Abs. 2 ZGB
), in das Eigentum des Bauberechtigten über (HAAB N. 9 zu
Art. 675 ZGB
und LEEMANN N. 1 zu
Art. 779 ZGB
). Kein solcher Übergang von Grundeigentum findet statt, wenn das Baurecht, wie im vorliegenden Fall, an einem unüberbauten Grundstück eingeräumt wird, weshalb dieses Rechtsgeschäft nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht unter § 1 HGG fällt. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Erhebung der Handänderungsgebühr bei Begründung eines solchen Baurechts gegen
Art. 4 BV
verstösst.
Das Bundesgericht hat von jeher anerkannt, es sei nicht willkürlich, bei der Anwendung des Steuerrechts nicht auf die äussere zivilrechtliche Form, sondern auf den wirtschaftlichen Charakter eines Tatbestandes abzustellen, sofern hiefür triftige sachliche Gründe bestehen (
BGE 79 I 19
und dort angeführte frühere Urteile; Urteil vom
BGE 85 I 276 S. 280
27. Juni 1956 i.S. Bühlmann, ASA Bd. 26 S. 155). So ist wiederholt entschieden worden, es sei aus dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
nicht zu beanstanden, wenn die Handänderungssteuer auch bei der Übertragung aller Aktien einer Immobiliengesellschaft, deren einziges Aktivum eine Liegenschaft bildet, erhoben werde, wiewohl dabei zivilrechtlich kein Übergang von Grundeigentum stattfindet. Und zwar wurde dies auch für Fälle entschieden, wo nicht, wie dies heute vielfach zutrifft, eine ausdrückliche Vorschrift ein Abweichen vom zivilrechtlichen Begriff der Handänderung gestattete (nicht veröffentlichte Urteile vom 1. Juli 1927 i.S. Breitenmoser c. Zürich und vom 2. Juli 1945 i.S. Müller und Gaegauf c. Luzern). Es fragt sich, ob ernsthafte, sachliche Gründe dafür bestehen, auch die Einräumung eines als Grundstück in das Grundbuch aufzunehmenden selbständigen und dauernden Baurechts als Handänderung zu betrachten. Das ist zu bejahen.
Durch die Begründung eines solchen Rechts überlässt der Liegenschaftseigentümer einen wesentlichen, wenn nicht sogar den hauptsächlichsten Teil seiner Befugnisse, nämlich das Recht, die Liegenschaft (tatsächlich) zu benutzen und darauf zu bauen, einem Dritten; es bleibt ihm nur noch die Befugnis, rechtlich über sie zu verfügen, d.h. sie - unter Vorbehalt des Baurechts - zu veräussern oder hypothekarisch zu belasten. Diese Preisgabe wichtigster Eigentümerbefugnisse erfolgt, wenn das Baurecht, wie dies regelmässig und auch hier der Fall ist, als Grundstück in das Grundbuch aufgenommen wird (
Art. 779 Abs. 3 ZGB
), auf sehr lange Zeit, nämlich für mindestens 30 Jahre (
Art. 7 Ziff. 2 GBV
) und mit der Wirkung, dass das zugunsten des Dritten bestellte Baurecht verselbständigt und dadurch seinerseits Gegenstand des Grundeigentums wird (
Art. 655 ZGB
), d.h. wie solches veräussert sowie mit Grundpfandrechten und Dienstbarkeiten belastet werden kann. EUGEN HUBER erblickte in der Begründung eines selbständigen und dauernden Rechts, sofern es als Grundstück in das Grundbuch aufgenommen wird, geradezu eine
BGE 85 I 276 S. 281
Teilung des Eigentums wie bei der körperlichen Teilung einer Liegenschaft oder bei der Begründung von Mit- oder Gesamteigentum (Zum schweiz. Sachenrecht, 1914, S. 6 ff. insb. 20 ff.). Mag diese Auffassung auch rechtlich nicht haltbar sein, da die Aufnahme eines beschränkten dinglichen Rechts als "Grundstück" in das Grundbuch an seiner rechtlichen Natur im Verhältnis zum belasteten Grundstück nichts ändert (
BGE 49 III 182
/3), so lässt sich die Begründung eines solchen Rechts und dessen Aufnahme als Grundstück in das Grundbuch doch als wirtschaftliche Teilveräusserung des Grundstücks betrachten (vgl. IRENE BLUMENSTEIN N. 6 zu Art. 80 bern. StG; REINHARDT N. 11 Abs. 2 zu § 1 soloth. HGG; MEIER, Die bern. Handänderungs- und Pfandrechtsabgaben, Diss. Bern 1946 S. 106; GUHL, Die Spezialbesteuerung der Grundstückgewinne in der Schweiz, Diss. Zürich 1953 S. 79/80). Es handelt sich um einen Vorgang, der angesichts seiner Wirkungen einem Eigentumswechsel an einem Grundstück wirtschaftlich derart nahe kommt, dass die steuerrechtliche Gleichbehandlung des Vorganges mit einem Eigentumswechsel sich sachlich rechtfertigen lässt. Anderseits ist die Begründung eines solchen Baurechts, jedenfalls vom Standpunkt des Bauberechtigten aus, wirtschaftlich der Übertragung dieses Rechts sehr ähnlich, kommt es doch für den Erwerber, der nach § 3 HGG die Handänderungsgebühr grundsätzlich schuldet, auf dasselbe heraus, ob er ein schon früher begründetes und verselbständigtes Baurecht erwirbt oder ob ihm ein neues Recht eingeräumt wird. Aus allen diesen Gründen ist die analoge Anwendung von § 1 HGG auf die Begründung eines als Grundstück in das Grundbuch aufzunehmenden selbständigen und dauernden Baurechts aus dem Gesichtswinkel von
Art. 4 BV
nicht zu beanstanden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d16b4541-605e-45ea-ab26-cc0e2dfb4090 | Urteilskopf
98 III 31
6. Auszug aus dem Entscheid vom 14. Juni 1972 i.S. Sch. | Regeste
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
. Unpfändbarkeit von Berufswerkzeugen (Automobil).
Massgebend für die Bestimmung der Kompetenzqualität eines Personenwagens im Konkursverfahren sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Inventaraufnahme (Bestätigung der Rechtsprechung). Die bevorstehende Kündigung des Arbeitsverhältnisses und die dadurch bedingte allfällige Veränderung der Lage des Schuldners können dabei keine Berücksichtigung finden. | Sachverhalt
ab Seite 31
BGE 98 III 31 S. 31
A.-
Das Konkursamt Zürich-Aussersihl eröffnete am 31. Januar 1972 über das Vermögen des Sch. auf Grund seiner Insolvenzerklärung den Konkurs. Am 10. Februar 1972 nahm das Konkursamt das Inventar über das zur Konkursmasse gehörende Vermögen auf. Da nachträglich festgestellt wurde, dass der Gemeinschuldner auch ein Personenauto besitzt, wurde das Inventar am 23. Februar 1972 diesbezüglich ergänzt. Das Konkursamt behielt sich jedoch vor, die Kompetenzqualität des Wagens zu prüfen. Mit Schreiben vom 10. März 1972 teilte es dem Schuldner mit, dass der Wagen nicht als Kompetenzstück anerkannt werden könne. Gleichzeitig forderte es den Schuldner auf, den Wagen bis spätestens 17. März 1972 einer Garage in Zürich abzuliefern. Inzwischen hatte der Schuldner sein Dienstverhältnis bei der Firma M. in Dielsdorf am 12. März 1972 gekündigt. Am 1. Mai 1972 trat er bei der Firma E. in Appenzell eine Stelle als Vertreter an.
BGE 98 III 31 S. 32
B.-
Gegen die Verfügung des Konkursamtes vom 10. März 1972 erhob der Schuldner Beschwerde an das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs und beantragte, das Automobil als Kompetenzstück im Sinne von
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
im Inventar zu streichen. Das Bezirksgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 14. April 1972 ab. Einen hiegegen erhobenen Rekurs wies das Zürcher Obergericht als obere kantonale Aufsichtsbehörde am 29. Mai 1972 ab.
C.-
Sch. erhebt gegen den Entscheid des Obergerichts Rekurs an das Bundesgericht.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab, soweit darauf eingetreten werden kann.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Der Entscheid über den vorliegenden Rekurs hängt davon ab, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Kompetenzqualität des Wagens massgebend ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie sie im Entscheid 97 III 59 Erw. 3 letztmals wiedergegeben wurde, ist hiefür allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Inventaraufnahme oder, anders ausgedrückt, zur Zeit der Konkurseröffnung und kurz danach (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 1. Mai 1965 i.S. Hamel, Erw. 2) abzustellen. Da der Konkursbeschlag schon mit der Konkurseröffnung wirksam wird (
Art. 197 Abs. 1 SchKG
), wäre im Grunde genommen dieser Zeitpunkt für die Beurteilung der Kompetenzqualität massgebend, wie bei der Pfändung und der Arrestnahme der Zeitpunkt des Vollzuges der Pfändung bzw. des Arrestes. Die Inventaraufnahme hat jedoch gemäss
Art. 221 Abs. 1 SchKG
unmittelbar im Anschluss an die Konkurseröffnung zu erfolgen, so dass der zeitliche Unterschied nicht gross ist, wenn für die Beurteilung der Kompetenzqualität eines Vermögensobjekts des Gemeinschuldners auf den Zeitpunkt der Inventaraufnahme und nicht auf denjenigen der Konkurseröffnung abgestellt wird.
Im vorliegenden Fall fand die Konkurseröffnung am 31. Januar 1972 und die Inventaraufnahme am 10. Februar 1972 statt. Die Aufnahme des streitigen Automobils ins Inventar erfolgte durch eine Ergänzung desselben am 23. Februar 1972, wobei sich das Konkursamt den Entscheid über die Kompetenzqualität des Wagens noch vorbehielt und diesen
BGE 98 III 31 S. 33
erst am 10. März 1972 traf. Während dieser ganzen Zeit stand der Rekurrent in ungekündigter Stellung bei der Firma M. in Dielsdorf. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass der Rekurrent während der Dauer seiner Anstellung bei dieser Firma nicht auf die Benützung eines Wagens angewiesen war, was von diesem übrigens auch nicht bestritten wird.
Hingegen beruft sich der Rekurrent auf die Tatsache, dass er das Dienstverhältnis mit der Firma M. am 12. März 1972, also zwei Tage nach dem negativen Entscheid des Konkursamtes über die Frage der Kompetenzqualität des Wagens, auf den 30. April 1972 gekündigt hat, und zwar, wie er unter Hinweis auf ein Arztzeugnis geltend macht, aus gesundheitlichen Gründen, die schon seit längerer Zeit bestanden haben sollen. In seiner Beschwerde an die Vorinstanz hat der Rekurrent sogar behauptet, schon vor Abgabe der Insolvenzerklärung sei festgestanden, dass er seine Stelle aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müsse, und diese Tatsache habe ihn u.a. zur besagten Erklärung bewogen. Das Konkursamt weist allerdings in seiner Vernehmlassung an die Vorinstanz darauf hin, dass der Rekurrent anlässlich seiner Einvernahme vom 8. Februar 1972 hierüber eine andere Darstellung gegeben habe. In seinerjetzigen Stellung als Vertreter der Firma E. in Appenzell soll der Rekurrent auf einen eigenen Wagen angewiesen sein. Mit diesen Vorbringen will er dartun, dass die bevorstehende Veränderung der Verhältnisse bereits im Zeitpunkt der Inventaraufnahme des Wagens hätte berücksichtigt werden sollen.
Dieser Auffassung des Rekurrenten kann indessen nicht beigepflichtet werden. Wenn die Verhältnisse im Zeitpunkt der Inventaraufnahme für die Kompetenzqualität eines Vermögensobjekts massgebend sind, so ist auf die Situation des Rekurrenten abzustellen, wie sie sich dem Konkursamt im Februar 1972 darbot. Dass der Rekurrent bereits damals, wie er behauptet, zur Kündigung entschlossen war, kann auf den Entscheid des Konkursamtes somit keinen Einfluss haben. Andernfalls wäre es nicht möglich, für die Feststellung der Aktivmasse im Konkurs möglichst rasch klare Verhältnisse zu schaffen. Wollte man die vom Rekurrenten nachträglich ausgesprochene Kündigung des Dienstverhältnisses bei der Beurteilung der Kompetenzqualität des Wagens noch berücksichtigen, würden hiefür Umstände massgebend, die erst einige Monate nach der Konkurseröffnung
BGE 98 III 31 S. 34
eintreten können und noch näherer Abklärung bedürfen; so hat denn auch der Rekurrent seine neue Stelle erst am 1. Mai 1972 angetreten. Das würde jedoch dem Sinn des Konkursverfahrens - das hier erst noch durch den Rekurrenten selber ausgelöst wurde - widersprechen und zu grosser Unsicherheit Anlass geben. Die im angefochtenen Entscheid erwähnte Gefahr, dass der Gemeinschuldner die Beurteilung der Kompetenzqualität gewisser Vermögensobjekte durch sein eigenes Verhalten nach der Konkurseröffnung beeinflussen könnte, wäre in der Tat nicht von der Hand zu weisen. Wenn das Bundesgericht im Entscheid 97 III 53 Erw. 1 gefunden hat, die im massgebenden Zeitpunkt bereits erfolgte Kündigung des Anstellungsverhältnisses sei bei der Beurteilung der Kompetenzqualität zu berücksichtigen, so kann daraus nicht abgeleitet werden, auch eine bevorstehende Kündigung müsse in Betracht gezogen werden. Es besteht für das Bundesgericht nach dem Ausgeführten kein Anlass, die erwähnte Praxis noch weiter auszudehnen. Dem Begehren des Rekurrenten, dem umstrittenen Personenwagen Kompetenzqualität im Sinne von
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
zuzuerkennen, kann somit nicht entsprochen werden. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d16b4e8c-9d06-4857-9fd0-25e468323986 | Urteilskopf
114 IV 103
31. Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 129 StGB
. Gefährdung des Lebens mit Todesfolge. Gewissenlosigkeit.
Eine Handlung ist dann im Sinne von
Art. 129 StGB
gewissenlos, wenn sie angesichts des Tatmittels und des Tatmotivs unter Berücksichtigung der Tatsituation, zu der auch der Zustand des Täters gehört, den allgemein anerkannten Grundsätzen von Sitte und Moral zuwiderläuft. Es ist unerheblich, ob der Täter die ethische Verwerflichkeit seines Verhaltens erkennen bzw. einer solchen Erkenntnis gemäss handeln konnte; es genügt, dass er die Umstände kannte, derentwegen sein Verhalten gemessen an den allgemeinen Grundsätzen von Sitte und Moral als gewissenlos erscheint. | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 114 IV 103 S. 104
A.-
Am 1. April 1985 übernahmen X. und seine Ehefrau die Führung des Hotels A. in B. In der Folge wurde vereinbart, dass die Ehefrau das Hotel alleine weiterführen und X. in Biel am 4. November 1985 eine neue Stelle antreten sollte. In der zweiten Oktoberhälfte fuhr X. daher fast täglich von B. nach Biel, um verschiedene Vorbereitungen am neuen Arbeitsort zu treffen. Am 30. Oktober 1985 musste er in Bern einen Arzt aufsuchen, der einen physischen Erschöpfungszustand feststellte. Am 1. November 1985 kehrte X. um ca. 19.30 Uhr von Biel nach B. zurück, wo er zusammen mit seiner Frau das Nachtessen einnahm. Dabei trank er Bier und Rosé, seine Frau Rosé. Während des Essens kam es zwischen den Eheleuten zu Meinungsverschiedenheiten wegen des Autos, das jeder am nächsten Tag für sich verwenden wollte. Zu einem eigentlichen Streit soll es aber nicht gekommen sein. Zwischen 21.30 Uhr und 22.00 Uhr ging X. allein in die Direktionswohnung, um zu schlafen. Seine Frau unterhielt sich noch an der Bar mit Angestellten und begab sich um ca. 23.30 Uhr in die Wohnung. Ungefähr zehn Minuten später
BGE 114 IV 103 S. 105
hörten verschiedene Angestellte des Hotels aus der Wohnung Lärm sowie einen Wortwechsel zwischen den Eheleuten. Kurz darauf ertönte ein Schuss.
X. sagte aus, er sei von seiner Frau unmittelbar vor dem Tatgeschehen mit lauten Vorwürfen betreffend anonyme, angeblich von einer gewissen Z. stammende Telefonanrufe aus dem Schlaf gerissen worden. Da seine Frau mit diesen Vorwürfen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht habe aufhören wollen, habe er - um sie zu beeindrucken und zur Ruhe zu bringen - nach dem Revolver im Nachttisch gegriffen, der dort aufbewahrt worden sei, damit sich seine Ehefrau in seiner Abwesenheit nötigenfalls hätte schützen können; im Hotel A. sei nämlich zwischen 1978 und 1984 rund 12mal eingebrochen worden. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung habe er sich mit dem Revolver in der gesenkten rechten Hand seiner Frau genähert und sie in den Polsterstuhl gestossen. Im anschliessenden Handgemenge habe er von seiner Gattin mit dem rechten Fuss einen Stoss in die Höhe des Beckens erhalten und sei deshalb nach vorne gestrauchelt. Dabei müsse er mit dem Finger an den Abzug des Revolvers geraten sein, der, was er in seinem halbschlafähnlichen Zustand nicht realisiert habe, bereits gespannt gewesen sei. Durch den dadurch ausgelösten Schuss wurde seine Frau am Kopf tödlich getroffen.
B.-
Die Staatsanwaltschaft stellte vor dem Kantonsgericht den Antrag, X. sei wegen Totschlags mit zwei Jahren Gefängnis zu bestrafen. X. beantragte seine Verurteilung zu einer bedingten dreimonatigen Haftstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Mit Entscheid vom 15. Juli/20. August 1987 sprach das Kantonsgericht Obwalden X. der Gefährdung des Lebens mit Todesfolge (
Art. 129 Abs. 3 StGB
) schuldig und verurteilte ihn zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren. Am 26. November 1987 verurteilte das Obergericht des Kantons Obwalden X. in teilweiser Gutheissung seiner Appellation und Abweisung der Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung zu 18 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von fünf Jahren.
C.-
Die Staatsanwaltschaft Obwalden führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, das Obergericht habe die Gewissenlosigkeit im Sinne von
Art. 129 StGB
zu Unrecht verneint.
BGE 114 IV 103 S. 106
X. beantragt in seiner Vernehmlassung die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
D.-
Die Obergerichtskommission des Kantons Obwalden wies am 1. Juli 1988 die von der Staatsanwaltschaft gegen den Entscheid des Obergerichts erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 129 Abs. 1 StGB
wird wegen Gefährdung des Lebens mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft, wer einen Menschen wissentlich und gewissenlos in unmittelbare Lebensgefahr bringt. Hat die Tat den Tod zur Folge gehabt, so wird der Täter mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft (Abs. 3).
a) Die Beschwerdeführerin wirft dem Obergericht vor, es habe bei der Beantwortung der Frage nach der Gewissenlosigkeit des Verhaltens des Beschwerdegegners der diesem zugebilligten - unbestrittenen - Verminderung der Zurechnungsfähigkeit eine Bedeutung beigemessen, die ihr nicht zukommen könne. Ob ein Täter gewissenlos im Sinne von
Art. 129 StGB
handelt oder nicht, ist nach den Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde "wohl bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen, bemisst sich dabei jedoch nach einem objektiven Massstab"; zu entscheiden ist nach der Meinung der Beschwerdeführerin die Frage, ob "ein gewissenhafter Mensch in gleicher Situation ebenso handeln (würde) oder nicht". Die Staatsanwaltschaft sieht eine Verletzung von Bundesrecht darin, dass das Obergericht aus der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit auf das Fehlen von Gewissenlosigkeit geschlossen habe. Sie geht zwar selber davon aus, "dass Gewissenlosigkeit desto weniger angenommen werden kann, je stärker die Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit ist"; sie ist aber der Meinung, dass "einem gewissenhaften Menschen selbst bei in mittlerem Grade verminderter Zurechnungsfähigkeit die krasse Ungehörigkeit seines Verhaltens bewusst sein" kann und es in der Regel auch sein wird, "wenn die von ihm geschaffene Gefahr derart offenbar ist wie im vorliegenden Fall". Nach Meinung der Staatsanwaltschaft war sich der Beschwerdegegner, zumal er ein "im Umgang mit Waffen geübter Schütze" ist, trotz Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade der "Verwerflichkeit seines Verhaltens bzw. des dadurch bewirkten Gefahrenzustandes
BGE 114 IV 103 S. 107
bewusst", und muss es daher "als gewissenlos bezeichnet werden, dass er davor nicht zurückgeschreckt ist".
b) Der Beschwerdegegner befand sich im Zeitpunkt der Tat schon seit einigen Tagen in einer Stresssituation; am 30. Oktober 1985 hatte ein Arzt in Bern einen physischen Erschöpfungszustand festgestellt. Der Beschwerdegegner war kurz vor der Tat von seiner Ehefrau mit Vorwürfen betreffend anonyme Anrufe aus dem Schlaf gerissen worden und befand sich im Moment der Auseinandersetzung in einem "halbschlafähnlichen Zustand". Er stand zudem unter dem Einfluss von Alkohol (1,23 Gew.-%o) und von Medikamenten (Halcion und Lexotanil). Das Obergericht billigte dem Beschwerdegegner unter Berücksichtigung dieser Umstände entgegen den Annahmen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht nur eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit "in mittlerem Grade", sondern eine "erhebliche" Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zu. Es vertrat entgegen den Andeutungen in der Beschwerde nicht die Auffassung, dass jede rechtlich erhebliche Verminderung der Zurechnungsfähigkeit zwangsläufig die Gewissenlosigkeit im Sinne von
Art. 129 StGB
ausschliesse; es hielt vielmehr fest, "je grösser" die Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit sei, "desto weniger" könne Gewissenlosigkeit angenommen werden, und es vertrat damit die gleiche Meinung wie die Beschwerdeführerin.
Die Tatsachen, dass der Beschwerdegegner im Zeitpunkt der Tat unter dem Einfluss von Alkohol und Medikamenten stand, kurz zuvor von seiner Ehefrau mit Vorwürfen betreffend anonyme Anrufe aus dem Schlaf gerissen worden war und sich schon seit einigen Tagen in einer Stresssituation befand, gehören zur konkreten Tatsituation, welche nach der insoweit übereinstimmenden und zutreffenden Auffassung der Beschwerdeführerin und der Vorinstanz bei der Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdegegner im Sinne von
Art. 129 StGB
gewissenlos handelte, mitzuberücksichtigen ist. Die Tatsachen, welche eine Verminderung der Zurechnungsfähigkeit bewirken, können auch für die Beantwortung der Frage nach der Gewissenlosigkeit von Bedeutung sein; insoweit kann, verkürzt dargestellt, die Zubilligung einer erheblichen Verminderung der Zurechnungsfähigkeit "gleichsam" zur Verneinung der Gewissenlosigkeit führen. Dabei besteht allerdings entgegen einigen missverständlichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid zwischen der Zubilligung erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit und der Verneinung der Gewissenlosigkeit nicht ein rechtlicher Zusammenhang, da die einzig das Mass des
BGE 114 IV 103 S. 108
Verschuldens berührende Verminderung der Zurechnungsfähigkeit als solche die Tatbestandsmässigkeit des Verhaltens nicht auszuschliessen vermag; es kann aber ein "faktischer" Zusammenhang in dem Sinne vorliegen, als dieselben zur Tatsituation gehörenden Tatsachen sowohl zur Zubilligung verminderter Zurechnungsfähigkeit als auch zur Verneinung der Gewissenlosigkeit führen können.
2.
a) Das Merkmal der Gewissenlosigkeit soll den Anwendungsbereich von
Art. 129 StGB
auf ein vernünftiges Mass beschränken. Nicht jede vorsätzliche unmittelbare Lebensgefährdung soll strafbar sein, sondern nur jene, welche das sittliche Empfinden schwer beleidigt (STOOSS, Thyrènes Präventionstheorie und der schwedische Strafgesetzentwurf, ZStrR 31/1918, S. 33; MAX WILLFRATT, Gefährdung des Lebens nach
Art. 129 StGB
, ZStrR 84/1968, S. 261; MAX FRÖHLICH, Das allgemeine Lebensgefährdungsdelikt ..., Diss. BE 1944, S. 65). Gewissenlos ist eine Handlung dann, wenn sie allgemein vom Standpunkt der Ethik aus missbilligt werden muss (THORMANN/VON OVERBECK, N 6 zu Art. 129), mit dem öffentlichen Gewissen nicht zu vereinbaren ist (FRÖHLICH, op.cit., S. 89/90), den anerkannten Grundsätzen von Sitte und Moral zuwiderläuft (WILLFRATT, op.cit., S. 261 unten). Massgebend sind somit nicht das individuelle Gewissen bzw. die Sitten- und Moralvorstellungen des Täters im Zeitpunkt der Tat, sondern die allgemein anerkannten Grundsätze von Sitte und Moral. Zu entscheiden ist, ob das Verhalten des Täters, das eine unmittelbare Lebensgefährdung zur Folge hatte, angesichts des Tatmittels (siehe
BGE 107 IV 166
) und der Tatmotive (
BGE 100 IV 218
,
BGE 94 IV 65
E. 4) unter Berücksichtigung der konkreten Tatsituation gemessen an den allgemein anerkannten Grundsätzen von Sitte und Moral als gewissenlos erscheint.
b) Der Beschwerdegegner nahm die geladene Schusswaffe zur Hand, um damit seine Gattin, die ihn mit Vorwürfen betreffend anonyme Anrufe überhäufte, zu beeindrucken und auf diese Weise zur Ruhe zu bringen. Es ist an sich einfühlbar, dass der Beschwerdegegner, der unter dem Einfluss von Alkohol und Medikamenten stand, aus dem Schlaf gerissen worden war und sich schon seit einigen Tagen in einer Stresssituation befand, sich diese Vorwürfe seiner Ehefrau zu nächtlicher Stunde nicht anhören wollte; das Tatmotiv ist insoweit nicht sittlich zu missbilligen, allerdings auch nicht achtenswert. Das Tatmittel, die Behändigung einer geladenen Schusswaffe, mit welcher sich der physisch und psychisch
BGE 114 IV 103 S. 109
angeschlagene Beschwerdegegner in ein Handgemenge mit seiner Gattin einliess, ist aber gemessen an den allgemeinen Grundsätzen von Sitte und Moral derart krass sittenwidrig, dass das Verhalten des Beschwerdegegners auch unter Berücksichtigung des in der konkreten Tatsituation noch einfühlbaren Tatmotivs als gewissenlos im Sinne von
Art. 129 StGB
erscheint.
c) Die Vorinstanz geht ebenfalls davon aus, dass eine Handlung dann im Sinne von
Art. 129 StGB
gewissenlos ist, wenn zwischen ihr und den "ethischen Wertmassstäben" eine "Diskrepanz" besteht. Der Begriff der Gewissenlosigkeit enthält ihres Erachtens, wie der Begriff der Zurechnungsfähigkeit, sowohl ein kognitives als auch ein voluntatives Element. Die Vorinstanz verneint im vorliegenden Fall die Gewissenlosigkeit im wesentlichen mit der Begründung, der Beschwerdegegner habe in seinem Zustand die Diskrepanz zwischen seiner Handlung und den ethischen Wertmassstäben nicht erkennen bzw. nicht entsprechend einer solchen Erkenntnis handeln können. Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Eine Handlung ist nach dem Gesagten gewissenlos, wenn sie angesichts des Tatmittels und des Tatmotivs unter Berücksichtigung der Tatsituation den allgemein anerkannten Grundsätzen von Sitte und Moral zuwiderläuft. Ob der Täter die Gewissenlosigkeit seiner Handlung erkennen bzw. dieser Erkenntnis gemäss handeln konnte, ist unerheblich. Die Situation des Täters ist lediglich insoweit von Bedeutung, als sie vom Richter bei der ethischen Bewertung der inkriminierten Handlung mitzuberücksichtigen ist. Erscheint dem Richter die Handlung unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände, zu denen auch die Situation des Täters gehört, als ethisch verwerflich, dann ist die Gewissenlosigkeit gegeben, auch wenn der Täter aus irgendwelchen Gründen nicht fähig gewesen sein sollte, die ethische Verwerflichkeit seiner Handlung zu erkennen bzw. gemäss einer solchen Erkenntnis von der Handlung Abstand zu nehmen. Es genügt, dass der Täter die Umstände kannte, derentwegen die inkriminierte Handlung gemessen an den allgemein anerkannten Grundsätzen von Sitte und Moral als gewissenlos erscheint. Das war vorliegend der Fall; der Beschwerdegegner wusste, dass und zu welchem Zweck er eine geladene Schusswaffe zur Hand nahm, mit welcher er sich in eine Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau einliess.
d) Die weitere Feststellung des Obergerichts, der Beschwerdegegner sei in seinem Zustand "nicht in der Lage (gewesen), das
BGE 114 IV 103 S. 110
Gefahrenpotential seines Revolvers und damit die Folge des Umstandes, dass er sich mit einer Waffe in ein Handgemenge einliess, zu erkennen", betrifft nicht die Gewissenlosigkeit, sondern die Frage, ob der Beschwerdegegner die im angefochtenen Entscheid bejahte unmittelbare Lebensgefahr im Sinne von
Art. 129 StGB
"wissentlich" geschaffen habe.
e) Da der Beschwerdegegner somit im Sinne von
Art. 129 StGB
gewissenlos handelte, ist die Sache in Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird zu prüfen haben, ob auch die übrigen Tatbestandsmerkmale von
Art. 129 StGB
erfüllt sind, und sich insbesondere mit der im angefochtenen Urteil nicht im einzelnen erörterten Frage befassen müssen, ob der Beschwerdegegner seine Ehefrau wissentlich in unmittelbare Lebensgefahr gebracht habe. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
d16fcf98-c762-4600-9833-0ac3a52abd63 | Urteilskopf
106 Ia 364
61. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 5 mars 1980 en la cause Delacuisine contre Vevey, Conseil communal et Vaud, Conseil d'Etat (recours de droit public) | Regeste
Quartierplan. Gesetzliche Grundlage.
Art. 22ter BV
.
Quartierplan für eine Gesamtüberbauung, die den Verwendungszweck der Gebäude und gewisser Räumlichkeiten festlegt und deren Verwirklichung den Abbruch der bestehenden Gebäude und eine Zusammenlegung der Parzellen bedingt.
Notwendige gesetzliche Grundlage. Fehlen einer solchen im konkreten Fall. | Sachverhalt
ab Seite 364
BGE 106 Ia 364 S. 364
La Commune de Vevey a mis à l'enquête publique un projet de "plan d'extension partiel" pour le "quartier de la Valsainte", dont le périmètre comprend sept parcelles - bâties en grande partie - d'une surface totale de 5128 m2 et appartenant à des personnes privées, sauf une petite parcelle de 78 m2, propriété de la Commune.
Le projet prévoit le maintien d'un seul des bâtiments existants et la construction d'un ensemble de nouveaux bâtiments, traités comme une unité architecturale. Selon l'art. 11 du règlement spécial y relatif, les bâtiments prévus sont destinés à l'habitation (le 20% des appartements étant réservé à des personnes du troisième âge), à des ateliers de petite industrie et d'artisanat, à de petits commerces et à des locaux communautaires (salles de gymnastique, d'ergothérapie et de conférences, piscine pour personnes âgées, cuisines et vestiaires communaux, places de jeux pour enfants, restaurants, etc.). Le projet prévoit aussi la construction d'un parc à voitures souterrain d'au moins 300 places, utilisable comme abri public en cas de nécessité. Deux des bâtiments prévus comportent cinq et six niveaux, les autres deux niveaux.
BGE 106 Ia 364 S. 365
Propriétaire de deux parcelles - comportant six bâtiments d'habitation - comprises dans le périmètre, Edouard Delacuisine a formé opposition contre ce plan: il soutenait que le projet, irréalisable dans l'état actuel des propriétés, diminuerait considérablement les possibilités de vendre isolément des fonds et porterait une atteinte importante à leur valeur vénale, les possibilités de bâtir sur l'une des parcelles n'étant que de deux niveaux. D'autres propriétaires privés dont les parcelles sont situées dans le périmètre du plan ont également formé opposition contre le projet de plan.
Après son adoption par l'autorité législative communale, le plan a été approuvé par le Conseil d'Etat, qui a d'autre part ordonné le remaniement parcellaire en vue du "nouvel aménagement de la propriété foncière permettant la réalisation dudit plan".
Agissant par la voie du recours de droit public, Edouard Delacuisine requiert l'annulation des décisions du Conseil d'Etat approuvant le plan et ordonnant le remaniement parcellaire. Il se plaint notamment de la violation de la garantie de la propriété.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Il n'est pas contesté que le "plan d'extension partiel", objet du présent recours, doit faire règle pour la construction dans le périmètre du quartier de la Valsainte, donc lier les propriétaires des parcelles qu'il englobe (cf. art. 38 de la loi vaudoise du 5 février 1941 sur les constructions et l'aménagement du territoire, en abrégé: LCAT). Il ne s'agit nullement d'un plan qui, comme le plan directeur d'extension (art. 19 LCAT) ne comporte aucune obligation pour la commune et aucune limitation des droits des propriétaires. Il ne s'agit pas non plus d'un des termes d'une alternative qui consisterait ou bien à construire selon les prescriptions générales de la zone, ou bien à construire en bénéficiant de certains avantages (par exemple d'un indice d'utilisation plus favorable) mais en se conformant au plan en question, alternative connue de certaines réglementations communales (cf. ZIMMERLIN, Bauordnung der Stadt Aarau, 1960, art. 30 al. 2 p. 148 ss.; FORESTIER, Der Gestaltungsplan nach aargauischem Baugesetz, thèse Zürich 1975, p. 86 ss.; ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau, 1977, n. 1 ad art. 141, p. 379 s.).
Le plan contesté est donc destiné à passer dans la réalité. Mais la construction des bâtiments qui y sont prévus implique la démolition des bâtiments existants, ainsi que l'obligation pour les
BGE 106 Ia 364 S. 366
propriétaires touchés de se prêter à un remaniement parcellaire et de construire ensemble des bâtiments selon un programme qui leur est imposé. D'autre part, les propriétaires en question ne sont pas libres d'utiliser les futurs locaux bâtis selon leurs propres désirs; ils doivent les consacrer aux différentes destinations énumérées à l'art. 11 du règlement spécial. Il s'agit là de graves atteintes à la liberté des propriétaires.
Or les restrictions à la propriété privée - garantie par l'
art. 22ter Cst.
- ne sont compatibles avec cette disposition constitutionnelle que si elles reposent sur une base légale et sont édictées dans l'intérêt public; si elles équivalent par leurs effets à une expropriation, elles doivent en outre donner lieu à une juste indemnité (
ATF 104 Ia 337
consid. 2,
ATF 103 Ia 587
,
ATF 101 Ia 218
consid. 4 et les arrêts cités).
2.
Lorsque les restrictions de droit public apportées à la propriété privée sont spécialement graves, la jurisprudence exige que la base légale soit claire et non équivoque; le Tribunal fédéral examine librement si cette exigence est satisfaite (
ATF 98 Ia 46
consid. 2 b,
ATF 91 I 332
consid. 1 a).
En l'espèce, le Conseil d'Etat soutient, dans ses observations sur le recours, que le plan litigieux se fonde sur l'art. 25 LCAT et le remaniement parcellaire sur l'art. 27 de la loi cantonale du 29 novembre 1961 sur les améliorations foncières (en abrégé: LAF).
a) Il est vrai que l'art. 25 LCAT, qui énumère les nombreuses dispositions que peuvent contenir les règlements communaux relatifs aux plans d'extension, indique aussi l'implantation parmi les autres conditions relatives aux constructions (ch. 10). On peut en déduire que cette implantation peut être fixée non seulement par les dispositions générales relatives à une zone à bâtir (indice d'utilisation, alignement, distances aux limites, à l'axe d'une rue ou entre bâtiments, etc.), mais qu'elle peut aussi être fixée directement par un plan de situation, comme c'est le cas pour un plan de quartier (cf. art. 42 LCAT), et pour un plan d'extension partiel également, selon ce qui est admis en droit vaudois depuis la modification apportée par la novelle du 26 février 1964, qui a donné sa teneur actuelle à l'art. 25 ch. 10 LCAT (cf. ALEXANDRE BONNARD, La loi sur les constructions et l'aménagement du territoire, RDAF 1964 p. 145 ss., notamment p. 154 lettre e; cf. aussi RDAF 1972 p. 416 s.).
En revanche, aucune disposition légale ne permet aux communes
BGE 106 Ia 364 S. 367
d'imposer la destination des locaux dans les bâtiments construits dans une zone d'habitation; l'art. 23 LCAT ne parle lui-même que de la destination du sol; les communes ne sauraient donc imposer aux particuliers, sans base légale - et sous réserve d'ailleurs de l'intérêt public - des installations destinées à l'usage commun, telles que salles de gymnastique, de physiothérapie, de conférences, restaurants, cuisines et vestiaires communaux.
La loi ne permet pas davantage de contraindre un propriétaire à démolir son bâtiment, à part les cas de construction érigées sans droit (art. 120 al. 3 LCAT, de même art. 88 LCAT; cf.
ATF 105 Ib 276
consid. 1 c, 100 I a 344 s. consid. 3 a) ou qui mettent en danger la sécurité publique (art. 63 LCAT) ou encore les constructions abandonnées qui nuisent à l'aspect du paysage (art. 59 al. 2 LCAT). Personne ne prétend que ces conditions exceptionnelles sont remplies en l'espèce.
La loi ne permet pas non plus d'obliger des propriétaires privés à se mettre ensemble pour construire un complexe de bâtiments à traiter comme une seule unité architecturale.
On doit donc retenir en conclusion que la loi vaudoise sur les constructions et l'aménagement du territoire ne permet pas aux pouvoirs publics d'imposer aux propriétaires des restrictions qui vont aussi loin que certaines de celles qui découlent du plan attaqué et de son règlement spécial.
b) Pour le remaniement parcellaire qu'il a ordonné simultanément avec l'approbation du plan litigieux, le Conseil d'Etat indique comme base légale l'art. 27 de la loi cantonale du 29 novembre 1961 sur les améliorations foncières.
Il est vrai que cette loi, édictée en application de la loi fédérale sur l'agriculture du 3 octobre 1951, s'applique aussi aux terrains à bâtir (art. 2), son article 4 permettant même au Conseil d'Etat de "subordonner l'exécution de travaux d'améliorations foncières à l'adoption ou à la modification d'un plan d'extension ou d'un plan d'aménagement prévu par la loi sur la police des constructions"; les dispositions qui règlent en détail le remaniement des terrains à bâtir se trouvent aux art. 81 à 98 de la loi cantonale. Quant à l'art. 27 LAF qui se trouve dans le chap. III intitulé "Syndicat d'améliorations foncières", il permet au Conseil d'Etat de "créer d'office et organiser des syndicats d'améliorations foncières, en vue du remaniement parcellaire, sur tout ou partie du territoire d'une ou de plusieurs communes, lorsque cette opération est rendue indispensable:
BGE 106 Ia 364 S. 368
1. pour remédier à un morcellement excessif du sol;
2. pour permettre la construction de voies publiques (routes, chemins de fer et canaux) et, d'une manière générale, la réalisation de grands travaux;
3. pour permettre la réalisation d'un plan d'extension ou d'un plan d'aménagement prévu par la loi sur la police des constructions."
Mais cette dernière disposition est manifestement destinée à permettre l'équipement (notamment en routes) de futurs terrains à bâtir compris dans un plan d'extension, c'est-à-dire de terrains qui étaient jusqu'ici utilisés à des fins agricoles (cf. art. 81 al. 1 i.f.). Ainsi la loi prévoit notamment, à l'art. 88 al. 2, la possibilité pour le syndicat de "recourir à l'expropriation pour permettre à l'Etat ou à la Commune d'obtenir les terrains réservés à des fins d'utilité publique, selon un plan d'extension ou un plan d'aménagement...", les art. 114 et 115 de la loi sur l'expropriation (du 25 novembre 1974) étant applicables, en vertu d'une adjonction apportée par cette dernière loi. Enfin, la commission de classification peut décider de soumettre certains bâtiments aux opérations de remaniement - lorsque la réalisation du but du syndicat l'exige - soit en vue de leur échange, soit en vue de leur démolition (art. 89).
Mais il s'agit toujours, dans ces différentes dispositions, de remaniements parcellaires où les propriétaires reçoivent, en échange de leurs anciennes parcelles, de nouvelles parcelles sur lesquelles ils sont libres, une fois le remaniement terminé, d'ériger individuellement des constructions conformes aux dispositions du plan de zones ou au règlement spécial d'un plan de quartier, libres également de choisir le moment où ils veulent réaliser ces constructions.
La loi vaudoise sur les améliorations foncières, si elle permet d'instituer un syndicat obligatoire dans les cas de l'art. 27, ne constitue cependant pas une base suffisante pour un remaniement parcellaire qui implique la démolition de tous les bâtiments d'un quartier d'habitation et leur remplacement par de nouveaux bâtiments à traiter comme une seule unité architecturale.
Sans doute la rénovation de quartiers d'habitation n'est-elle pas exclue par la voie d'un plan de quartier (ou d'un plan d'extension partiel) et d'une procédure de remaniement parcellaire. Elle est même expressément prévue par la loi fédérale du 4 octobre 1974 "encourageant la construction et l'accession à la propriété de logements" (RS 843, art. 7 à 11); mais il appartient aux cantons
BGE 106 Ia 364 S. 369
de régler notamment les principes de droit matériel qui régissent le regroupement des terrains à bâtir et d'assurer l'exécution de l'obligation de construire (art. 11 al. 1).
Quelques cantons ont réglé cette matière - parfois de façon très détaillée - même avant l'adoption de la loi fédérale précitée. Il s'agit notamment des cantons de Berne (décret du 13 mai 1965 sur les remaniements de fonds bâtis et non bâtis et les ajustements de limites, notamment art. 4, 8, 9, 37), de Genève (loi du 11 juin 1965 sur le remembrement foncier urbain, notamment art. 25-27, 97; cf. ZWAHLEN, Le remembrement foncier urbain par voie d'expropriation, RDAF 1978, p. 270 ss.), de Bâle-Ville (loi du 20 novembre 1969 "über Bodenordnungsmassnahmen", notamment art. 16, 20, 33 al. 2 lettre d, 39), d'Argovie (Baugesetz du 2 février 1971, art. 172 à 179, décret du 9 octobre 1974 "über das Verfahren bei Landumlegungen und Grenzbereinigungen in Baugebieten), de Zurich (Planungs- und Baugesetz du 7 septembre 1975, art. 186-202).
Mais le canton de Vaud n'a pas adopté de dispositions semblables, de sorte que la base légale fait défaut pour imposer aux propriétaires un remaniement parcellaire impliquant des obligations aussi importantes que celles que prévoient le plan litigieux et son règlement spécial.
c) Faute de base légale suffisante, les décisions du Conseil d'Etat approuvant le plan d'extension partiel et ordonnant la constitution d'un syndicat de remaniement parcellaire doivent être annulées.
... | public_law | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
d17745fd-3139-43b1-b456-7026aa58329f | Urteilskopf
117 II 273
53. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Juni 1991 i.S. Erich K. und Margot M. gegen S. AG (Berufung) | Regeste
Werklieferungsvertrag mit Suspensivbedingung; Rücktritt des Bestellers (
Art. 365 und 377 OR
).
1. Werklieferungsvertrag mit suspensiv bedingter Bauverpflichtung. Rechtsnatur und Inhaltskontrolle (E. 3).
2. Der Besteller kann jederzeit nach den Regeln von
Art. 377 OR
vom Werklieferungsvertrag zurücktreten (E. 4a). Rechtsnatur des dem Unternehmer nach
Art. 377 OR
zustehenden Anspruchs; Anwendung von
Art. 97 ff. OR
(E. 4b, 4c).
3. Auslegung der Bauverpflichtung (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 273
BGE 117 II 273 S. 273
A.-
Am 28. Oktober/20. November 1987 schlossen die Parteien einen mit "Bau-Auftrag" überschriebenen Vertrag über die Lieferung eines Typenhauses aus dem Sortiment der Firma S. AG (Klägerin) zum Preise von Fr. 98'849.- inklusive Architekturarbeiten,
BGE 117 II 273 S. 274
zu errichten auf einem bauseits zu erstellenden Fundament ab Oberkante Kellerdecke. Darin vereinbarten sie unter anderem:
"Dieser Bau-Auftrag wird erst ausgeführt, wenn Herr K./Frl. M. ein Grundstück erwirbt, das nach Lage, Grösse und Preis ihren Vorstellungen entspricht, oder auf einem sonstigen Grundstück baut. Sollten die Bebauungsvorschriften eine andere Hausform, Dachneigung usw. erfordern, wählt Herr K./Frl. M. ein entsprechendes Haus auf gleicher Preisbasis aus dem Programm der Firma aus."
Der Werkpreis wurde bis zum Oktober 1989 garantiert.
Mit Schreiben vom 25. November 1987 erklärten Erich K. und Margot M. (Beklagte), "ohne jede Verpflichtung" vom Vertrag zurückzutreten. In der am 27. Januar 1988 nachgereichten Begründung gaben sie an, aus finanziellen Erwägungen auf den Hausbau zu verzichten. Indessen hatten sie bereits im Dezember 1987 ein Baugesuch für die Überbauung eines inzwischen erworbenen Grundstückes eingereicht, welches sie in der Folge in Erfüllung einer im Kaufvertrag eingegangenen Bauverpflichtung ohne Zutun der Klägerin realisierten.
B.-
Die Klägerin belangte die Beklagten auf Schadenersatz für entgangenen Gewinn von Fr. 36'018.-- nebst Zins. Das Bezirksgericht Lenzburg wies die Klage am 8. Februar 1990 ab. In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Klägerin verpflichtete das Obergericht des Kantons Aargau am 16. August 1990 die Beklagten zur Bezahlung von Fr. 21'400.--. Eine Berufung der Beklagten heisst das Bundesgericht gut und weist die Klage ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Der Vertrag der Parteien hat die entgeltliche Erstellung eines Gebäudes oder - im Hinblick auf die bauseits zu erbringenden Fundationsarbeiten - eines Gebäudeteils mit Einschluss der Stofflieferung durch die Klägerin zum Gegenstand und erscheint damit als Werklieferungsvertrag (GAUCH, Werkvertrag, 3. Aufl. 1985, S. 31 Rz. 110). Ob er im Hinblick auf das Projekt oder die von der Klägerin zusätzlich zu erbringenden, in der Vertragsurkunde nicht näher umschriebenen Architekturarbeiten weitergehend als Totalunternehmervertrag zu qualifizieren ist, kann offenbleiben; im einen wie im andern Fall untersteht er den Regeln des Werkvertrags (für den Werklieferungsvertrag
Art. 365 OR
und GAUCH, Werkvertrag, S. 32 Rz. 112; für den Totalunternehmervertrag
BGE 114 II 54
E. 2).
BGE 117 II 273 S. 275
b) Die Parteien haben die Verbindlichkeit des Vertrags vom Eintritt einer ungewissen Tatsache, vom Erwerb eines geeigneten Baugrundstücks durch die Beklagten, abhängig gemacht; er steht damit unter einer Suspensivbedingung (
Art. 151 OR
). Die Vertragsleistungen der Parteien wurden hinreichend bestimmt (Haustyp aus dem Sortiment der Klägerin, Preis), mittelbar aber auch hinreichend für den Fall, dass baupolizeiliche Vorschriften eine Typenänderung erforderlich machen sollten; diesfalls genügte inhaltlich die auf das Sortimentsangebot der Klägerin eingegrenzte Bestimmbarkeit von Werk und Preis (
BGE 98 II 307
E. 1; BUCHER, Die verschiedenen Bedeutungsstufen des Vorvertrages, Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, S. 169 ff., 183 ff.; MERZ, Vertrag und Vertragsschluss, S. 155 Rz. 310; GAUCH, Werkvertrag, S. 89 Rz. 308). Ob von einem bedingten Hauptvertrag oder allenfalls hinsichtlich des Ersatzobjektes bloss von einem - ebenfalls bedingten - Vorvertrag auszugehen ist (dazu GAUTSCHI, N. 22d zu
Art. 365 OR
; GAUCH, Werkvertrag, S. 92 Rz. 317), kann wiederum offenbleiben, da die Beendigung des Vertragsverhältnisses - soweit hier von Interesse - in beiden Fällen sich nach
Art. 377 OR
bestimmt (GAUCH, Werkvertrag, S. 91 Rz. 315; GAUCH, Der Rücktritt des Bestellers vom Werkvertrag - Gedanken zu Art. 377 des Schweizerischen Obligationenrechts, FS Horst Locher, S. 35 ff., S. 46; MERZ, a.a.O., S. 158 Rz. 318).
c) Ob die Inhaltskontrolle zur Feststellung einer Vertragsnichtigkeit nach Massgabe von
Art. 20 OR
führt oder einen Verstoss gegen die Persönlichkeitsrechte der Beklagten ergibt, wie diese geltend machen, wird gegebenenfalls zu prüfen sein, wenn das Auslegungsergebnis feststeht; vorwegzunehmen ist jedoch, dass jedenfalls die Nichtigkeitsfolge nicht eintritt, sofern und soweit der Vertrag sich gesetzes- oder sittenkonform interpretieren lässt (KRAMER, N. 41 zu Art. 18 und N. 124 zu Art. 19/20 OR; JÄGGI/GAUCH, N. 441 ff. zu
Art. 18 OR
). Die Ungültigkeit des Vertrags ergibt sich überdies auch nicht bereits daraus, dass die Bauverpflichtung ausserhalb der Festpreisgarantie zeitlich nicht limitiert wurde, was allenfalls auf eine übermässige und damit nach
Art. 27 ZGB
unzulässige Bindung der Beklagten schliessen liesse (dazu GAUCH, Werkvertrag, S. 92 Rz. 316). Abgesehen davon, dass eine Befristung sich in solchen Fällen bereits aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt (
BGE 95 II 527
), bewirkt eine Verletzung des zeitlichen Übermassverbots im allgemeinen bloss die Herabsetzung der Bindungsdauer auf das zulässige Mass
BGE 117 II 273 S. 276
(
BGE 114 II 163
E. c). Dieses Höchstmass aber war im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung durch den Rücktritt der Beklagten klarerweise nicht überschritten.
4.
a) Solange das Werk unvollendet ist, kann der Besteller gegen Vergütung der bereits geleisteten Arbeit und gegen volle Schadloshaltung des Unternehmers jederzeit vom Vertrag zurücktreten (
Art. 377 OR
). Dieses Rücktrittsrecht, welches seinem Wesen nach ein ex nunc wirkendes Kündigungsrecht ist, steht dem Besteller jederzeit zu, solange das Werk nicht vollendet ist, mithin auch bereits vor Inangriffnahme der Arbeiten durch den Unternehmer und selbst bei bloss vorvertraglicher Bindung (GAUCH, Werkvertrag, S. 110 Rz. 389; GAUCH, FS Locher, S. 36). Die Bestimmung findet auch auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt Anwendung, zumal nicht geltend gemacht ist, sie habe hinter einer abweichenden Parteiabrede zurückzutreten; die Frage nach der zwingenden oder dispositiven Natur von
Art. 377 OR
kann damit offenbleiben (zu dieser Streitfrage
BGE 69 II 143
; GAUCH, Werkvertrag, S. 117 f. Rz. 412 ff.; GAUCH, FS Locher, S. 44 ff.; GAUTSCHI, N. 10 zu
Art. 377 OR
; TERCIER, La partie spéciale du Code des Obligations, S. 355 Rz. 2739; TERCIER, L'extinction prématurée du contrat, in Das Architektenrecht, S. 321 ff., 336 f. Rz. 1201 ff.; CHRISTOPH LEUENBERGER, Dienstleistungsverträge, ZSR 106/1987 II 1ff., 71 f.; DESSEMONTET, Les contrats de service, ZSR 106/1987 II 93ff., 196 ff.). Ebenfalls offenbleiben kann, ob die gesetzliche Ordnung der vorzeitigen Vertragsauflösung als abschliessend zu verstehen ist oder ob dem Besteller daneben ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zuzubilligen ist, welches unter bestimmten Voraussetzungen eine Lösung ohne Pflicht zur vollen Schadloshaltung zulässt (
BGE 96 II 199
E. 8; Pra 77 S. 629 E. 3 mit Hinweisen). Ein wichtiger Grund ist vorliegend nach Massgabe der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz jedenfalls zu verneinen; er könnte insbesondere nicht darin erblickt werden, dass die Beklagten zufolge eines geänderten Bauentschlusses für das vertragliche Werk keine Verwendung mehr hatten oder aus finanziellen Überlegungen von der Projektverwirklichung abgesehen haben (
BGE 69 II 143
E. b; GAUCH, Werkvertrag, S. 116 Rz. 410; GAUCH, FS Locher, S. 42 f.).
b) Die Regelung in
Art. 377 OR
ist insoweit ungewöhnlich, als sie einerseits einen einseitigen, zu Gunsten des Bestellers normierten Einbruch in den Grundsatz der Vertragstreue enthält,
BGE 117 II 273 S. 277
diesen aber gleichzeitig durch die Pflicht zur vollen Schadloshaltung relativiert (LEO R. GEHRER, Vom Recht des Unternehmers, den Werkvertrag zu lösen, Mélanges Assista 1989, S. 167 ff., 171; GAUCH, FS Locher, S. 41). Sie wird im allgemeinen aus dem Wesen des Werkvertrags hergeleitet, aus dem Grundsatz, dass die Ausführung des Werks nur eine Pflicht, nicht aber ein Recht des Unternehmers sei (
BGE 69 II 143
E. 4a; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1 zu
Art. 377 OR
; BECKER, N. 1 zu
Art. 377 OR
; GAUTSCHI, N. 10 zu
Art. 377 OR
). Es lässt sich aber auch die Frage stellen, ob sich das Interesse des Unternehmers wirklich in der Vergütung erschöpft, er nicht unter Umständen ebenfalls an der Werkausführung selbst interessiert ist, namentlich im Hinblick auf Referenzen und mögliche Folgebestellungen (STAUDINGER/PETERS, N. 3 zu § 649 BGB). Anderseits kann der Bestimmung auch der verallgemeinerungsfähige Gedanke zugrunde liegen, dass der Empfänger einer Sachleistung auf deren Entgegennahme soll verzichten können, wenn er bereit ist, die legitimen Interessen der Gegenseite zu wahren (STAUDINGER/PETERS, N. 42 zu § 649 BGB). Damit in Einklang steht die Feststellung, dass die Kündigung eines Werkvertrags nach
Art. 377 OR
dasselbe Ergebnis zeitigt wie die schuldhafte Nichterfüllung eines Kaufvertrags durch den Käufer; auch sie zieht die Pflicht zum Ersatz des positiven Vertragsinteresses nach sich (GAUTSCHI, N. 4b zu
Art. 377 OR
; GEHRER, a.a.O., S. 171 Fn. 4). Dem ist jedenfalls beizupflichten, sofern die Annahme des Kaufgegenstandes nicht als Vertragspflicht des Käufers verstanden wird (GIGER, N. 21 ff. zu
Art. 211 OR
), die Pflicht zur Schadloshaltung nach
Art. 377 OR
durch eine analoge Anwendung von Art. 43/44 OR (in Verbindung mit
Art. 99 Abs. 3 OR
) gemindert werden kann (verneinend
BGE 96 II 199
E. 8, offengelassen in Pra 77 S. 630 E. 3b) und nicht Genugtuungsansprüche in Frage stehen. Diesfalls unterscheidet sich der Rücktritt nach
Art. 377 OR
vor Fälligkeit der Arbeitsleistung des Unternehmers von der antizipierten Erfüllungsverweigerung des Sachleistungsempfängers in vergleichbaren Verträgen zwar in der Qualifikation der Haftungsvoraussetzungen, indem die Haftung entweder einer schuldhaften Vertragsverletzung oder einem rechtmässigen Verhalten folgt, nicht dagegen im schadenersatzrechtlichen Ergebnis, da beiden Haftungen derselbe Schadenbegriff zugrunde liegt (zum antizipierten Vertragsbruch
BGE 110 II 143
E. 1, grundlegend
BGE 69 II 243
; VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, S. 106 Fn. 83; BUCHER, Schweizerisches
BGE 117 II 273 S. 278
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 363 f.; GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1987, Band II, S. 94 Rz. 1611). Mithin spricht nichts dagegen,
Art. 97 ff. OR
auf den vorliegenden Tatbestand analog mitanzuwenden.
c) Das Obergericht lässt die Pflicht der Beklagten zur Schadloshaltung der Klägerin ohne weiteres der Rücktrittserklärung nach
Art. 377 OR
folgen. Damit verkennt es jedoch die Rechtsnatur des dem Unternehmer nach dieser Bestimmung zustehenden Anspruchs. Wie der Ersatzanspruch des Gläubigers nach
Art. 97 ff. OR
entsteht auch derjenige nach
Art. 377 OR
aus der ursprünglichen, bisher auf Erfüllung gerichteten Vertragsforderung und gilt als deren Fortsetzung. Dies bedeutet, dass die Ersatzforderung nur und in demselben Zeitpunkt fällig wird, in welchem bei ordnungsgemässer Vertragsabwicklung die Erfüllung hätte verlangt werden können (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band II, 3. Aufl. 1974, S. 104). Steht daher die Verbindlichkeit eines nach
Art. 377 OR
gekündigten oder vorzeitig gebrochenen Vertrags unter einer Suspensivbedingung, bestimmt die Bedingung nicht bloss den Erfüllungsanspruch, sondern auch die Ersatzforderung aus Nichterfüllung oder die Forderung auf Schadloshaltung aus dem Leistungsverzicht. Die Beklagten sind daher zur Schadloshaltung der Klägerin nur verpflichtet, wenn bei ungekündigtem Vertragsverhältnis die Bedingung eingetreten wäre, wobei dem Bedingungseintritt dessen treuwidrige Vereitelung gleichgesetzt ist (
Art. 156 OR
). Anders zu entscheiden wäre bloss, wenn bereits die Verletzung des Anspruchs auf die bedingte Forderung, die Beeinträchtigung der bedingt anwartschaftlichen Rechtsstellung des Gläubigers einen Schaden bewirkte, was indessen für den vorliegenden Sachverhalt nicht zutrifft. Damit verlagert die Streitentscheidung sich auf die Auslegung der Bedingung des Vertrages vom 28. Oktober/20. November 1987 und die Prüfung deren Eintritts.
5.
a) Vertragsbezogene Willenserklärungen sind - wenn kein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille festgestellt werden kann - nach dem Vertrauensgrundsatz so auszulegen, wie sie vom Empfänger in Treuen verstanden werden durften und mussten. Dies beurteilt sich nicht nur nach ihrem Wortlaut und dem gesamten Zusammenhang, in dem sie stehen, sondern auch nach den Umständen, die ihnen vorausgegangen und unter denen sie abgegeben worden sind. Zu welchem Ergebnis eine solche
BGE 117 II 273 S. 279
Auslegung führt, ist eine Frage der Rechtsanwendung, über welche das Bundesgericht frei entscheidet (
BGE 116 II 263
E. 5a). Gebunden ist es aber an die Feststellungen des kantonalen Richters über die Umstände des Vertragsschlusses und das Wissen der Vertragsparteien (
BGE 115 II 60
E. c mit Hinweisen).
b) Die Bauverpflichtung der Beklagten wurde unter die Bedingung des Erwerbs eines geeigneten Grundstücks oder der Bauverwirklichung auf einem sonstigen Grundstück gestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Vertragsinhalt nach
Art. 20 OR
durchaus zulässig. Die Alternative bezieht sich augenfällig auf den Eigentumserwerb an einem Baugrundstück einerseits, auf die Verwirklichung eines Bauvorhabens auf einem fremden Terrain, beispielsweise im Baurecht, anderseits. Dass die Verpflichtung sich bloss auf Liegenschaften und nicht auch auf die diesen im Rechtsverkehr nach
Art. 655 ZGB
(Abs. 2 Ziff. 2-4) gleichgestellten Rechte bezieht, bedarf keiner weiteren Erörterung. Abwegig ist auch die Meinung der Beklagten, ein Werkvertrag, welcher die Folgen seiner Verletzung oder eines Rücktritts nach
Art. 377 OR
unerwähnt lasse, verstosse bereits deswegen gegen das Persönlichkeitsrecht des Bestellers und sei daher gemäss
Art. 27 ZGB
nichtig.
c) In empirischer Vertragsauslegung stellt das Obergericht einzig fest, dass nach dem tatsächlichen Willen der Parteien die Bauverpflichtung der Beklagten bei Erwerb eines fertigen Hauses oder einer Eigentumswohnung nicht wirksam werden sollte. Weitergehend ist der Vertrag normativ auszulegen.
Auszugehen ist vom Grundsatz, dass bei der Potestativbedingung, wie eine hier zur Hauptsache vorliegt, eine Handlung im allgemeinen deswegen nicht als Verpflichtung, sondern als Bedingung in den Vertrag aufgenommen wird, weil der Kontrahent die Freiheit seines Entschlusses zwar beschränken, nicht aber aufgeben will. Erfüllung oder Nichterfüllung der Bedingung steht somit grundsätzlich im freien Willen dessen, der den Vertrag geschlossen hat (VON TUHR/ESCHER, a.a.O., S. 272). Daran hat sich auch die normative Vertragsauslegung zu orientieren. Liegt die mit der Potestativbedingung bewirkte Freiheitsbeschränkung einer Partei im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Vertragsgegners, ist nach dem Vertrauensprinzip im Zweifel von einer restriktiven Bedeutung der bedingten Bindung auszugehen. So verhält es sich vorliegend.
Nach dem empirischen Auslegungsergebnis waren die Beklagten frei, ein fertiges Objekt zu erwerben oder selbst zu bauen. Nur im
BGE 117 II 273 S. 280
letztgenannten Fall kam die Bauverpflichtung zum Tragen. Sollte der Vertragsgegenstand auf dem künftigen Baugrundstück den baupolizeilichen Vorschriften nicht entsprechen, hatten die Beklagten auf einen normenkonformen Typ des klägerischen Sortiments auszuweichen. Ungeregelt blieb im Vertrag der Fall, dass keiner der preiskonformen Sortimentstypen der Klägerin den baupolizeilichen Vorschriften entsprechen sollte; es versteht sich diesfalls von selbst, dass die Bauverpflichtung zufolge inhaltlicher Unmöglichkeit nicht wirksam geworden wäre. Nach dem Vertrauensgrundsatz aber durfte die Klägerin auch nicht davon ausgehen, die Beklagten hätten sich der Freiheit entäussern wollen, ein Baugrundstück zu erwerben, welches tatsächlich oder aufgrund privatrechtlicher Auflagen nicht mit einem Gebäude des klägerischen Sortiments überbaut werden konnte oder durfte (z.B. bei Verpflichtung zum Bau eines einheitlichen Reihenhauses, Erwerb einer Parzelle mit konkurrierender Bauverpflichtung). Die Bedingung des Vertrags ist daher so zu verstehen, dass die Bauverpflichtung nur wirksam wurde, wenn die Beklagten ein Grundstück erwarben oder überbauten, welches nach Massgabe der damit verbundenen öffentlich- und privatrechtlichen Bindungen die Erstellung des Vertragsgegenstandes gestattete. Allein diese Auslegung wird der konkreten Interessenlage gerecht. Sie trägt auch dem sich aus
Art. 27 ZGB
ergebenden Anliegen Rechnung, Beschränkungen der Entscheidungs- und Auswahlfreiheit durch Bauverpflichtungen nur in zumutbarem Rahmen zu gestatten (MERZ, a.a.O., S. 157 ff. Rz. 312 ff. mit Hinweisen).
Die Handlungsfreiheit des bedingt Verpflichteten wird indessen beschränkt durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach gilt eine Bedingung auch als eingetreten, wenn ihr Eintritt von einem Vertragspartner - und zwar demjenigen, zu dessen Nachteil der Bedingungseintritt gereichen würde (SECRETAN, L'article 156 du code des obligations et la condition potestative, in Aequitas und bona fides, FS Simonius 1955, S. 351 ff., 357) - wider Treu und Glauben verhindert worden ist (
Art. 156 OR
). Entgegen einer in der Literatur geäusserten Auffassung (BUCHER, a.a.O., S. 513; GAUCH/SCHLUEP, a.a.O., S. 321 Rz. 2665) findet die Bestimmung auch im Bereich der Potestativbedingungen Anwendung. Wann ein Verhalten in diesem Sinne gegen Treu und Glauben verstösst, ergibt sich in der Regel aus einer am Vertrauensprinzip orientierten Auslegung des dem Verhalten zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts (MERZ, N. 574 zu
Art. 2
BGE 117 II 273 S. 281
ZGB
). Es gilt dabei das Gesamtverhalten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu würdigen; das Verhalten erscheint namentlich dann als treuwidrig, wenn es gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts gerichtet ist. Nicht erforderlich ist dabei nach der Rechtsprechung, dass das den Bedingungseintritt hindernde Verhalten absichtlich erfolgt; es genügt, wenn es gegen den Vertrauensgrundsatz verstösst (
BGE 113 II 36
E. b,
BGE 109 II 20
mit Hinweisen); stets muss es aber unlauter sein (
BGE 44 II 499
; auch
BGE 113 II 35
E. 2b).
d) Nach dem Gesagten wurde die Bauverpflichtung der Beklagten nur wirksam, wenn diese nach dem Erwerb eines Grundstücks zu Überbauungszwecken die rechtliche Möglichkeit hatten, darauf den Vertragsgegenstand oder ein anderes Gebäude aus dem Sortiment der Klägerin zu errichten. Dagegen wurden sie aus dem Vertrag mit der Klägerin nicht verpflichtet, sofern öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen oder an die Erwerbsmöglichkeit geknüpfte privatrechtliche Bindungen entgegenstanden.
Art. 156 OR
sodann schliesst die Berücksichtigung rechtlicher Schranken in diesem Sinne im allgemeinen nur aus, wenn der Bedingungsverpflichtete sie zur Umgehung des Bedingungseintritts freiwillig errichtet. Von einem unredlichen Verhalten könnte aber nicht bereits gesprochen werden, wenn die Beklagten aus beachtlichen, ausserhalb der Bedingungsvereitelung liegenden Gründen von mehreren Angeboten dasjenige ausgewählt hätten, welches die Erfüllung des bedingten Werkvertrages nicht erlaubte. Insoweit blieb ihre Handlungsfreiheit nach dem Gesagten gewahrt.
Das Bezirksgericht wie die Minderheit des Obergerichts gehen davon aus, die von den Beklagten mit dem Erwerb des Baugrundstücks eingegangene Baumeisterverpflichtung sei Voraussetzung des Eigentumserwerbs gewesen; für die Mehrheit des Obergerichts stellt sich entsprechend der von ihr vertretenen Rechtsauffassung die Frage nicht. Die Klägerin wendet sich in ihren Rechtsschriften nicht gegen diese tatsächliche Feststellung, hält aber - entgegen der hier vertretenen Auffassung - dafür, eine solche Verpflichtung schliesse den Bedingungseintritt nicht aus. Damit ist in tatbeständlicher Hinsicht davon auszugehen, dass die zusätzliche Bauverpflichtung nicht treuwidrig eingegangen worden ist, womit
Art. 156 OR
keine Anwendung findet. Daran ändert nichts, dass die Beklagten in der Begründung ihrer Kündigung wahrheitswidrig angegeben haben, auf eine Baurealisierung überhaupt zu verzichten. Nicht darauf kommt es an, sondern allein auf die
BGE 117 II 273 S. 282
Frage, ob die Bedingung eingetreten oder treuwidrig vereitelt worden ist. Beides ist nach dem Gesagten zu verneinen. Dies führt zur Gutheissung der Berufung und zur Abweisung der Klage. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d17e7848-a2ef-4cb0-b7b9-c65626242ea1 | Urteilskopf
139 III 155
21. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank X. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_520/2012 vom 26. Februar 2013 | Regeste
Art. 322 und 322d OR
; Qualifikation einer Sondervergütung (Bonus) als freiwillige Gratifikation oder Lohnbestandteil?
Erreicht der eigentliche Lohn ein Mass, das die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers bei Weitem gewährleistet bzw. seine Lebenshaltungskosten erheblich übersteigt, ist die Höhe der Sondervergütung im Verhältnis zum Lohn kein Kriterium mehr, um über deren Qualifikation zu entscheiden (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 5). | Erwägungen
ab Seite 155
BGE 139 III 155 S. 155
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Beim von der Beschwerdegegnerin im Jahre 2005 neu eingeführten Bonusplan - dem Performance Incentive Plan (PIP) - handelt es sich um ein aktienbasiertes Vergütungsprogramm mit einer Laufzeit von 5 Jahren.
Dabei wurde vorgesehen, dass die PIP-Anteile über einen Zeitraum von 5 Jahren (während der sogenannten Vesting-Periode) gesperrt bleiben, wobei der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Laufzeit über den gesperrten Aktienbonus verfügen kann (Aufschubklausel). Während dieser Dauer können die Anteile linear zu 20 % pro Jahr (erstmals im Januar 2007) "gevestet" werden, d.h. der Anteil wird für den Arbeitnehmer damit unentziehbar. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Sperrfrist verliert der Arbeitnehmer die nicht "gevesteten" PIP-Anteile (Verfallklausel).
BGE 139 III 155 S. 156
2.2
Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, dass es sich bei den PIP-Anteilen, d.h. beim aufgeschobenen bzw. gesperrten Aktienbonus, um eine freiwillige Gratifikation handle, weshalb der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Auszahlung des Bonus habe.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe die PIP-Anteile zu Unrecht als Gratifikation qualifiziert. Bei den PIP-Anteilen handle es sich vielmehr um einen Anteil am Geschäftsergebnis, somit um einen Lohnbestandteil (s. E. 4). Hinzu komme, dass der Bonus im Verhältnis zum Fixlohn nicht akzessorisch sei, weshalb die PIP-Anteile auch aus diesem Grund im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als Lohnbestandteil zu qualifizieren seien (s. E. 5). Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, dass ihm unabhängig von der rechtlichen Qualifikation der PIP-Anteile mit Ziffer 4.7 des Dokuments "Salärrevision und Bonuszuteilung" zugesichert worden sei, dass er auch im Kündigungsfall Anspruch auf Barauszahlung des aufgeschobenen Aktienbonus habe (s. nicht publ. E. 6).
3.
Da der Begriff des Bonus im Obligationenrecht nicht definiert wird, ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein vereinbarter Bonus als Gratifikation im Sinne von
Art. 322d OR
oder als Teil des Lohnes im Sinne von
Art. 322 OR
zu qualifizieren ist.
3.1
Eine Gratifikation ist eine Sondervergütung, welche der Arbeitgeber neben dem Lohn bei bestimmten Anlässen, wie Weihnachten oder Abschluss des Geschäftsjahrs, ausrichtet (
Art. 322d Abs. 1 OR
). Sie zeichnet sich gegenüber dem Lohn dadurch aus, dass sie zum Lohn hinzutritt und immer in einem gewissen Masse vom Willen des Arbeitgebers abhängt. Die Gratifikation wird damit ganz oder zumindest teilweise freiwillig ausgerichtet (
BGE 131 III 615
E. 5.2 S. 620;
BGE 129 III 276
E. 2 S. 278). Dies ist anzunehmen, wenn dem Arbeitgeber zumindest bei der Festsetzung der Höhe des Bonus ein Ermessen zusteht. Ein solches Ermessen ist zu bejahen, wenn die Höhe des Bonus nicht nur vom Erreichen eines bestimmten Geschäftsergebnisses, sondern zudem auch von der subjektiven Einschätzung der persönlichen Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber abhängig gemacht wird (Urteil 4A_28/2009 vom 26. März 2009 E. 2.3 mit Hinweis). Ein im Voraus festgesetzter und fest vereinbarter Betrag kann daher keine Gratifikation sein (
BGE 136 III 313
E. 2 S. 317 mit Hinweisen).
3.2
Überdies darf eine Gratifikation, um den Charakter einer Sondervergütung zu wahren, neben dem Lohn nur eine zweitrangige
BGE 139 III 155 S. 157
Bedeutung haben. Die entsprechende Grenze kann nicht einfach in einer festen Verhältniszahl zwischen dem vereinbarten Lohn und der freiwilligen Gratifikation liegen. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So hat bei einem niedrigen Einkommen ein kleiner Einkommensunterschied mehr Bedeutung als bei einem hohen Einkommen. Entsprechend kann bei einem hohen Einkommen der als Gratifikation ausgerichtete Teil der Leistung prozentual zum Lohn grösser sein als bei einem niedrigen Einkommen (
BGE 131 III 615
E. 5.2. S. 621). Immerhin erscheint der akzessorische Charakter dann kaum mehr gewahrt, wenn die Gratifikation regelmässig einen höheren Betrag erreicht als der Lohn (
BGE 129 III 276
E. 2.1 S. 279 f.).
3.3
Gewährt der Bonus dem Arbeitnehmer hingegen einen vertraglichen Anspruch auf einen Anteil am Gewinn oder am Umsatz oder sonst am Geschäftsergebnis, so ist für die Berechnung dieses Ergebnisses massgebend, wie es nach den gesetzlichen Vorschriften und allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen festzustellen ist (
Art. 322a Abs. 1 OR
). Da bezüglich eines solchen objektiv bestimmbaren Bonus ein Ermessensspielraum des Arbeitgebers fehlt, ist nicht von einer Gratifikation, sondern von einem variablen Lohnbestandteil auszugehen (Urteil 4A_115/2007 vom 13. Juli 2007 E. 4.3.4 mit Hinweisen).
4.
4.1
Der Beschwerdeführer macht geltend, der aufgeschobene Aktienbonus bzw. die PIP's müssten als Gewinnanteil im Sinne von
Art. 322a OR
qualifiziert werden. Vergleiche man die Höhe des Fixlohns und die Höhe des Bonus der vergangenen Jahre, ergebe sich klar, dass der Bonus stets vom Geschäftsergebnis der Bank abhängig gewesen sei. Der Charakter des Bonus als Anteil am Geschäftsergebnis könne nicht einfach mit dem fehlenden Nachweis einer genauen Berechnungsformel verneint werden, dies umso mehr, als
Art. 322a OR
eine solche Berechnungsformel nicht verlange.
4.2
Die Vorinstanz hat unter Würdigung der Zeugenaussagen festgestellt, dass es keinen Schlüssel bzw. keine Formel für die Aufteilung oder die Berechnung des Bonus gegeben habe. Es sei ein Bonuspool für die ganze Bank gebildet worden, der auf verschiedene Einheiten verteilt worden sei. Die Bonuszuteilung auf die einzelnen Divisionen und alsdann auf die einzelnen Abteilungen und schliesslich auf die einzelnen Mitarbeiter sei eine reine Ermessenssache gewesen.
BGE 139 III 155 S. 158
4.3
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass es für die Berechnung des Bonus bzw. für die PIP's keine Formel gegeben habe. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Bonus denn auch nicht in einem zum Voraus festgesetzten und fest vereinbarten Betrag bestanden. Vielmehr kam die Vorinstanz zum Schluss, dass die Höhe des Bonus eine reine Ermessenssache und demnach vom Willen des Arbeitgebers abhängig gewesen sei. Nach der zitierten Rechtsprechung (vgl. E. 3.1) schliesst eine Qualifikation des Bonus als Gratifikation nicht aus, dass der Bonus in gewissem Masse auch vom Erreichen eines bestimmten Geschäftsergebnisses abhängig gemacht wurde. Dass für die Berechnung des Bonus bzw. der PIP's jedoch ausschliesslich das Geschäftsergebnis massgebend gewesen wäre resp. dass vertraglich vereinbart worden wäre, dass der Bonus ausschliesslich auf einer klaren Prozentzahl am Gesamtergebnis basiere, findet in den Feststellungen der Vorinstanz keine Stütze. Der Beschwerdeführer vermag denn auch nicht darzutun, dass die Parteien eine Beteiligung des Beschwerdeführers an einem jährlich messbaren Geschäftsergebnis vereinbart hätten. Die Rüge der Verletzung von
Art. 322a OR
ist unbegründet. Die Vorinstanz hat den Bonus bzw. die PIP-Anteile zu Recht als Gratifikation qualifiziert.
5.
5.1
Der Beschwerdeführer bringt sodann unter Hinweis auf
BGE 131 III 615
vor, dass eine Gratifikation, die 80 % des anspruchsberechtigten Lohnes ausmache (PIP's und LPA's [Longevity Premium Award] Fr. 1'615'320.- /Lohn [Fixum und Cash-Bonus] Fr. 2'015'294.-), nicht mehr als akzessorisch angesehen werden könne. Mit der Bezeichnung eines Anteils von 80 % des Lohnes als zweitrangigen Lohnbestandteil habe die Vorinstanz ihr Ermessen überschritten und
Art. 322, 322a und 322d OR
verletzt.
5.2
Die Vorinstanz hat erwogen, der aufgeschobene Aktienbonus in Form von PIP-Anteilen in der Höhe von Fr. 1'292'256.- sei zur noch höheren Barvergütung (Fixgehalt und Cash-Anteil des Bonus) in der Höhe von Fr. 2'015'294.- akzessorisch. Selbst unter Berücksichtigung der LPA-Anteile zusammen mit den PIP-Anteilen sei die sofort verfügbare Vergütung deutlich höher, weshalb der aufgeschobene Aktienbonus als Gratifikation zu qualifizieren sei.
5.3
Die zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. E. 3.2), wonach eine Gratifikation - um den Charakter einer
BGE 139 III 155 S. 159
Sondervergütung zu wahren - im Verhältnis zum Lohn akzessorisch sein muss, basiert auf dem Gedanken, dass es dem Arbeitgeber verwehrt sein soll, die eigentliche Vergütung des Arbeitnehmers in Form einer (freiwilligen) Gratifikation auszurichten. Der Lohn stellt einen notwendigen und wesentlichen Vertragsbestandteil eines arbeitsvertraglichen Verhältnisses dar, womit der Arbeitgeber zur Zahlung eines Lohnes verpflichtet ist. Es ist demnach nicht zulässig und widerspricht dem Sinn der Norm (
Art. 322d OR
), wenn die Gratifikation - als freiwillige, vom Wohlwollen und Ermessen des Arbeitgebers abhängige Sondervergütung - das ausschliessliche oder hauptsächliche Entgelt des Arbeitnehmers darstellt (vgl. Urteil 4C.364/2004 vom 1. Juli 2005 E. 2.2).
Sobald der eigentliche Lohn jedoch ein Mass erreicht, das die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers bei Weitem gewährleistet bzw. seine Lebenshaltungskosten erheblich übersteigt, kann die Höhe der Gratifikation im Verhältnis zum Lohn kein tragbares Kriterium mehr sein, um über den Lohncharakter der Sondervergütung zu entscheiden (sinngemäss WOLFGANG PORTMANN, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 19 zu
Art. 322d OR
; so auch REHBINDER/STÖCKLI, in: Berner Kommentar, 2010, N. 1 zu
Art. 322d OR
; REMY WYLER, Droit du travail, 2. Aufl. 2008, S. 169; CONRADIN CRAMER, Der Bonus im Arbeitsvertrag, 2007, S. 110 ff.). Bei derartigen Einkommensverhältnissen, die nicht nur bei Weitem die Kosten für einen angemessenen Lebensunterhalt des Arbeitnehmers, sondern auch den Durchschnittslohn um ein Vielfaches übersteigen, lässt sich ein Eingriff in die Privatautonomie der Parteien durch ein entsprechendes Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers nicht legitimieren. Es besteht kein Anlass mehr, mit Mitteln des Arbeitsrechts korrigierend zugunsten des Arbeitnehmers in das Verhältnis zwischen geschuldetem Salär und der im Ermessen des Arbeitgebers stehenden zusätzlichen (freiwilligen) Entschädigung einzuschreiten. Unter dieser Voraussetzung ist, in Präzisierung der Rechtsprechung, das Verhältnis der Höhe dieser Sondervergütung zum Fixlohn ohne Bedeutung.
5.4
Der Lohn des Beschwerdeführers für das Jahr 2005, bestehend aus dem Fixgehalt und dem Cash-Anteil des Bonus, betrug unbestrittenermassen Fr. 2'015'294.-. Dabei handelt es sich um ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, welches das Existenzminimum des Beschwerdeführers um ein Mehrfaches übersteigt. Nach dem Gesagten kann bei einem Jahreslohn von über 2 Mio. Schweizerfranken
BGE 139 III 155 S. 160
als Entgelt für eine vollzeitige Arbeitsleistung der soziale Schutzgedanke für die Qualifikation zusätzlicher Leistungen des Arbeitgebers keine Bedeutung mehr haben.
Das Verhältnis zwischen dem Bonus und dem Lohn ist demnach nicht entscheidrelevant, weshalb auf die diesbezüglichen Argumente des Beschwerdeführers nicht weiter eingegangen werden muss. In diesem Sinne hat die Vorinstanz die PIP-Anteile zu Recht als Gratifikation (
Art. 322d OR
) qualifiziert. Entsprechend hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf die Auszahlung des aufgeschobenen Aktienbonus. | null | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
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