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ce8b4d1a-9bb8-4689-a24d-7ad8de8cd37c | Urteilskopf
93 I 632
80. Urteil vom 14. November 1967 i.S. Rialto Film AG gegen Wallis, Kanton und Justiz- und Polizeidepartement. | Regeste
Gewaltentrennung. Gebühr.
Das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage gilt nicht für blosse Kanzleigebühren; Begriff derselben (Erw. 2 und 3).
Das Filmgesetz des Kantons Wallis vom 12. November 1915 stellt für die Erhebung einer andern als einer Kanzleigebühr keine gesetzliche Grundlage dar (Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 633
BGE 93 I 632 S. 633
A.-
Das Gesetz des Kantons Wallis betreffend die kinematographischen Vorstellungen und ähnliche Aufführungen vom 12. November 1915 verbietet alle Vorführungen, die gegen die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung verstossen oder offenkundig beleidigend sind und namentlich solche, welche die Leidenschaften wecken oder zu Verbrechen oder Vergehen aufreizen. Der Staatsrat wird ermächtigt, ein Ausführungsreglement zu erlassen. Gestützt hierauf erging am 9. Mai 1952 ein Reglement des Staatsrates. Dieses bestimmt in Art. 52 Abs. 2, dass, falls ein Film der zuständigen Kommission zur Kontrolle vorgelegt wird, das Polizeidepartement das Kinotheater bestimmt, in welchem der Film vorzuführen ist. Die Kosten dieser Kontrollbesichtigung ("frais de visionnement") hat der Filmverleiher zu tragen.
Am 30. Dezember 1966 beschloss der Staatsrat, mit Wirkung seit dem 1. Januar 1967 Art. 52 Abs. 2 Satz 2 des Reglementes zur Anwendung zu bringen. Am gleichen Tage bestellte er die für die Kontrollbesichtigung der Filme zuständige Kommission von drei Mitgliedern. Das kantonale Justiz- und Polizeidepartement gab den Filmverleihgeschäften vom Beschluss des Staatsrates Kenntnis und kündigte an, dass inskünftig für jede Filmkontrolle eine Gebühr zu Lasten des Filmverleihers bezogen werde. Der Rialto Film AG stellte es am 25. Juli 1967 für die Besichtigung des Filmes "Eva s'éveille à l'amour" im Betrag von Fr. 50.- Rechnung.
B.-
Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Rialto Film AG, die Verfügung des Justiz- und Polizeidepartements
BGE 93 I 632 S. 634
vom 25. Juli 1967 aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
, von Art. 3 der Staatsverfassung (Rechtsgleichheit) sowie des Grundsatzes der Gewaltentrennung. Für die Begründung dieses Antrages wird auf die nachfolgenden Erwägungen verwiesen.
C.-
Der Staatsrat des Kantons Wallis beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
(Prozessuales).
2.
Die Beschwerdeführerin rügt das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung der ihr aufgelegten Gebühr. Um diesem Erfordernis zu genügen, hätte die Gebühr durch Verordnung umschrieben und auch ziffernmässig bestimmt werden müssen. Sie könne nicht durch "Generalklausel" festgesetzt werden. Ohne gesetzliche Grundlage könnte allenfalls bloss eine Kanzleigebühr erhoben werden. Doch handle es sich bei der der Beschwerdeführerin auferlegten nicht um eine solche, da sie zum Aufwand der Verwaltung nicht verhältnismässig sei.
Der Staatsrat bezeichnet die von der Beschwerdeführerin erhobene Gebühr als Kanzleigebühr, die sich im Rahmen dessen halte, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zulässig sei.
Die Parteien sind also darüber einig, dass die der Beschwerdeführerin auferlegte Abgabe eine Gebühr darstellt. Streitig ist, ob sie als solche einer gesetzlichen Grundlage bedarf und ob es sich um eine gewöhnliche oder um eine blosse Kanzleigebühr handle.
3.
Die Gebühr ist wie die Vorzugslast, aber im Gegensatz zur Steuer, die voraussetzungslos geschuldet ist, an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen geknüpft; sie wird deshalb auch als Kausalabgabe bezeichnet. Der Grund der Erhebung ist die Vornahme einer Massnahme oder Leistung der Behörde, eine Verwaltungstätigkeit oder das Bestehen einer Verwaltungseinrichtung, die vom Bürger benutzt oder in Anspruch genommen wird. Nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen bedarf die Gebühr als eine Art der öffentlichen Abgabe einer gesetzlichen Grundlage. Denn da sie zur Eingriffsverwaltung gehört, gilt für sie der Vorbehalt des Gesetzes (
BGE 82 I 27
,
BGE 84 I 89
mit Verweisungen). Für blosse Kanzleigebühren wird dagegen
BGE 93 I 632 S. 635
im allgemeinen anerkannt, dass sie von der vollziehenden Behörde im Rahmen einer Ausführungsverordnung ohne besondere gesetzliche Ermächtigung festgesetzt werden können (
BGE 82 I 27
mit Verweisungen).
Die Kanzleigebühr ist eine Abgabe für eine einfache, keinen besondern Prüfungs- oder Kontrollaufwand erfordernde Tätigkeit der Verwaltung. Sie hat sich dementsprechend in bescheidenem Rahmen zu halten. Amtshandlungen, die eine technisch, rechtlich oder sonst eingehende Prüfung verlangen und deshalb regelmässig mehr Zeit oder ein qualifiziertes Personal oder mehrere Personen in Anspruch nehmen, fallen nicht darunter. Die dafür erhobenen Abgaben sind Gebühren schlechthin. Als Kanzleigebühren galten bislang im Hinblick auf die Einfachheit der erforderlichen Kontrolle oder Prüfung etwa die Abgaben für die Legalisation von Unterschriften oder Urkunden und ähnliche Funktionen. Das Bundesgericht zählte dazu die Gebühr für die Erteilung von Berufsbewilligungen (
BGE 51 I 16
; bei den Berufsbewilligungen für Anwälte, wenn sie gestützt auf ein ausserkantonales Fähigkeitszeugnis erteilt wurden:
BGE 23 I 480
); es erklärte eine Gebühr von Fr. 130.-- nebst Kanzleiauslagen im gleichen Ausmass als Gebühr für eine Berufsbewilligung oder eine solche von Fr. 60.- für die Kontrolle des Gutachtens über die Zulassung kontrollpflichtiger Heilmittel als übersetzt und daher unzulässig (
BGE 75 I 116
,
BGE 81 I 358
).
Die Frage ist hier nicht zu entscheiden, wo im Einzelfall die obere Grenze der Kanzleigebühr liegt. Denn die der Beschwerdeführerin auferlegte Gebühr für die Kontrolle ihres Films "Eva s'éveille à l'amour" stellt keine blosse Kanzleigebühr dar.
4.
Der Staatsrat führt zu deren Rechtfertigung aus, sie sei die Folge der Vermehrung der Auslagen der Verwaltung, zu denen bei der Filmzensur ausser den Kosten für elektrische Beleuchtung, Saalmiete und Entschädigung des Operateurs auch diejenigen der Filmzensur-Kommission hinzukommen, die aus drei Beamten bestehe. Gerade im Hinblick auf diesen Zweck, Kosten der Zensurkommission decken zu helfen, steht jedoch keine blosse Kanzleigebühr in Frage. Die Filmzensur ist, wenn sie richtig ausgeführt werden soll, keine einfache, keinen besondern Prüfungs- und Personalaufwand voraussetzende Tätigkeit. Der Staatsrat anerkennt es selbst, indem er die dafür
BGE 93 I 632 S. 636
zuständige Kommission aus kantonalen Chefbeamten zusammensetzt. Deren Tätigkeit besteht in einer eingehenden Prüfung daraufhin, ob der Film nicht moralischen und ästhetischen Geboten oder Verboten widerspricht. Die Entschädigung für diese Arbeit kann nicht durch eine Kanzleigebühr bestimmt und dem Bürger belastet werden.
5.
Ist aber die von der Beschwerdeführerin erhobene Gebühr keine blosse Kanzleigebühr, so fehlt es dafür an einer gesetzlichen Grundlage.
Das kantonale Filmgesetz enthält keine Bestimmung, die den Staatsrat als Vollzugsbehörde ermächtigen würde, den Beteiligten für die allgemeinen Kosten der Kontrolle und Beaufsichtigung der Filmvorführungen Gebühren aufzuerlegen. Die Ermächtigung liegt nicht schon darin, dass den Behörden aufgetragen ist, dafür zu sorgen, dass Filme verboten werden, deren Vorführung die öffentliche Ordnung oder Sittlichkeit verletzen könnte. Ohne eine derartige Ermächtigung mag der Staatsrat anordnen, dass für notwendig werdende Kanzleiarbeiten der Verwaltung eine deren Umfang angepasste Kanzleigebühr erhoben wird. Er ist aber nicht befugt, Gebühren festzusetzen, die die aus der Vorführung und Überwachung entstehenden allgemeinen Kosten decken sollen. Der Staatsrat hat denn auch bis zum 31. Dezember 1966 aus Art. 52 Abs. 2 der Verordnung keine derartige Zuständigkeit abzuleiten versucht. Unter den darin genannten Vorführkosten wurden diejenigen aus der Vorzeigung des einzelnen Filmes für Licht, Saalmiete, Operateur usw. verstanden. Sie wurden jedoch bis zum Erlass des Beschlusses des Staatsrates von den Beteiligten direkt getragen, so dass der Staat sie nicht besonders auferlegen musste. Die vom Staatsrat mit dem Beschluss vom 30. Dezember 1966 allgemein und ohne Rücksicht auf solche besondern Auslagen festgesetzte Gebühr ist aber nicht diese, sondern allgemeine Kosten der Filmkontrolle und der Beaufsichtigung von Filmvorführungen zu decken bestimmt.
Dass bisher auch keine Kanzleigebühren erhoben wurden, hindert den Staatsrat allerdings nicht, für die Zukunft für die im Zusammenhang mit der Vorführung einzelner Filme für Korrespondenzen, Vorladungen, Entscheide über Bewilligung usw. entstehenden Kosten der zuständigen Kanzlei eine dem Umfang der Arbeiten angepasste bescheidene Gebühr festzusetzen, um damit veränderten Verhältnissen oder dem Postulat
BGE 93 I 632 S. 637
Rechnung zu tragen, dass auch derartige Kosten von denjenigen zu tragen sind, welche die Tätigkeit der Verwaltung in Anspruch nehmen oder durch ihre Tätigkeit veranlassen. Ob derartige Gebühren ganz generell oder aber mit Rücksicht auf die mit dem einzelnen Film verbundene Tätigkeit festzusetzen. und nach welchen Gesichtspunkten sie im ersten Fall zu bemessen sind, steht hier nicht zur Diskussion. Der Staatsrat wird hierüber allenfalls neu entscheiden. Dagegen, dass er für Kanzleikosten allein eine Gebühr in der Höhe der angefochtenen auferlegen könne, spricht der Umstand, dass diese allgemein der Deckung von Kosten der Filmkontrolle zu dienen hatte.
Dass das kantonale Recht für die Erhebung der Gebühr eine andere gesetzliche Grundlage enthalte als die Vollziehungsverordnung zum Filmgesetz, wird nicht behauptet und ist deshalb nicht zu prüfen. Der Staatsrat beruft sich insbesondere nicht auf das Dekret des Grossen Rates betreffend den Gebührentarif für Verwaltungsakte vom 18. November 1966 (Gesetzessammlung des Kts. Wallis Bd. V No. 2001), mit dem der Grosse Rat ermächtigt wird, die Verwaltungsgebühren festzusetzen, soweit diese nicht durch Gesetz oder Dekret des Grossen Rates festgelegt sind (Art. 2). Übrigens wäre zweifelhaft, ob die erforderliche gesetzliche Grundlage darin gefunden werden könnte. Denn die gesetzgebende Gewalt wird vom Grossen Rat nur unter dem Vorbehalt der dem Volk eingeräumten Rechte ausgeübt. Auch die Befugnis zum Erlass von Gebühren, die nicht bloss Kanzleigebühren sind, steht daher in Ermangelung einer Vorschrift der Staatsverfassung, die diese Kompetenz dem Grossen Rat übertragen würde, dem Volke zu. Das Dekret könnte sich deshalb bloss auf Kanzleigebühren beziehen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartements des Kantons Wallis vom 25. Juli 1967 aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ce8f3c63-7672-4415-8cab-0b386d3927b5 | Urteilskopf
139 I 206
20. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Amt für Migration und Personenstand und Kantonales Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_598/2013 vom 22. Juli 2013 | Regeste
Art. 5 Ziff. 1 lit. f und Ziff. 4 EMRK
;
Art. 29 und 29a BV
; Art. 13 und 15 Richtlinie 2008/115/EG; Art. 81 Abs. 1 und Art. 76 Abs. 4 AuG; Anfechtung eines ausländerrechtlichen Haftentscheids, wenn dieser durch einen Verlängerungsentscheid ersetzt worden ist; Tragweite des ausländerrechtlichen Beschleunigungsgebots; Verfahrensgarantien.
Dauert die ausländerrechtliche Festhaltung aufgrund eines neuen kantonalen Haftentscheids fort, welcher auf der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlage wie der beim Bundesgericht angefochtene beruht, tritt das Bundesgericht auf die bei ihm hängige Beschwerde ein (E. 1).
Das Beschleunigungsgebot gilt in der Regel als verletzt, wenn von den Behörden während zweier Monate keine zielgerichteten Massnahmen getroffen werden, die Identität des Betroffenen festzustellen und dessen Ausschaffung aktiv voranzutreiben; dabei spielt keine Rolle, welche Behörde (Bund oder Kanton) die Verzögerung zu verantworten hat (E. 2).
Zusammenfassung der Rechtsprechung zu den verfahrensrechtlichen Garantien: Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, Akteneinsicht, Protokollierungspflicht und Anwesenheit eines Vertreters der Migrationsbehörde an der Haftverhandlung (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 139 I 206 S. 207
A.
X. (geb. 1984) ist vermutlich tunesischer Staatsangehöriger, will aber nach eigenen Angaben aus Libyen stammen. Das Bundesamt für Migration trat am 7. September 2012 auf sein Asylgesuch nicht ein (...) und wies ihn weg. Vom 3. bis zum 23. August 2012 und vom 7. Dezember 2012 bis zum 20. Februar 2013 galt er als verschwunden.
BGE 139 I 206 S. 208
B.
Am 20. Februar 2013 wurde X. in einem Durchgangszentrum angehalten und in Ausschaffungshaft genommen. Das Kantonale Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern prüfte und bestätigte diese am 21. Februar 2013 bis zum 19. Mai 2013. Am 17. Mai 2013 genehmigte es die Verlängerung der Haft bis zum 19. August 2013. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die hiergegen gerichtete Beschwerde am 20. Juni 2013 teilweise gut und hob den Entscheid des Kantonalen Zwangsmassnahmengerichts vom 17. Mai 2013 insofern auf, als es die Ausschaffungshaft nur bis zum 25. Juni 2013 gestattete. Am 25. Juni 2013 bewilligte das Kantonale Zwangsmassnahmengericht eine weitere Verlängerung der Haft bis zum 19. August 2013. Hiergegen ist X. erneut an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern gelangt. Dessen Entscheid steht noch aus. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde von X. gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 20. Juni 2013 auf und ordnet an, dass X. unverzüglich aus der Haft zu entlassen sei.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Nach
Art. 89 Abs. 1 BGG
ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur legitimiert, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seiner Eingabe hat (lit. c). Dieses muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein (vgl.
BGE 123 II 285
E. 4 S. 286 f.). Fällt das schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (
BGE 137 I 23
E. 1.3 mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (
BGE 136 II 101
E. 1.1 S. 103;
BGE 135 I 79
E. 1.1 S. 81).
1.2
1.2.1
Der Beschwerdeführer befand sich gestützt auf die dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende richterliche Haftprüfung
BGE 139 I 206 S. 209
bis zum 25. Juni 2013 in Ausschaffungshaft; seine Festhaltung seit diesem Zeitpunkt beruht formell auf dem Haftverlängerungsentscheid vom gleichen Tag, der seinerseits noch nicht rechtskräftig ist und Gegenstand eines neuen Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht bildet. Zwar ist das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das bundesgerichtliche Verfahren, vorbehältlich besonderer Situationen, dahinfällt, wenn die Haft gestützt auf einen neuen, seinerseits wieder anfechtbaren Haftentscheid fortbesteht (vgl. Urteil 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2); diese Fälle sind jedoch zu präzisieren: Das Bundesgericht tritt - trotz Haftentlassung - auf Beschwerden gegen die Genehmigung der ausländerrechtlichen Festhaltung durch den Haftrichter bzw. den entsprechenden kantonalen Rechtsmittelentscheid ein, wenn der Betroffene rechtsgenügend begründet (
Art. 42 BGG
) und in vertretbarer Weise ("griefs défendables") die Verletzung einer Garantie der EMRK rügt (vgl. Urteil 2C_548/2011 vom 26. Juli 2011 E. 1-4.4 unter Hinweis auf
BGE 137 I 296
ff. und
BGE 136 I 274
ff.). Die freiheitsentziehenden ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen fallen in den Anwendungsbereich von
Art. 5 und
Art. 13 EMRK
(vgl. Urteil des EGMR
Jusic gegen Schweiz
vom 2. Dezember 2010 [Nr. 4691/06], §§ 67 ff.) bzw. der von der Schweiz im Rahmen des Schengen-Besitzstands übernommenen sog. "Rückführungsrichtlinie" (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98 ff.; vgl. zu deren Tragweite etwa Urteile 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 3.2 und 2C_749/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1.2).
1.2.2
Diese Regelungen setzen die Möglichkeit einer
wirksamen nationalen Beschwerde
voraus (vgl. MARTIN SCHIEFFER, Termination of Residence, in: EU Immigration and Asylum Law, Commentary, Kay Hailbronner [Hrsg.], 2010, S. 1489 ff., dort N. 4 zu Art. 13 bzw. N. 7 ff. zu Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG; Urteil 2C_749/2012 vom 28. August 2012 E. 3.1.2 in fine), wozu nach dem nationalen Recht (BGG) auch der Zugang zum Bundesgericht zählt. Prüft dieses - wie dargelegt - die konventions- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Zwangsmassnahmen heute unter Umständen auch nach einer Haftentlassung, muss das auch gelten, wenn der Betroffene sich gestützt auf einen inzwischen ergangenen Verlängerungsentscheid weiterhin in derselben Haft befindet. Heisst das
BGE 139 I 206 S. 210
Bundesgericht die Beschwerde gegen den bei ihm angefochtenen Entscheid gut, wird in den meisten Fällen der Haftverlängerung die Grundlage entzogen, womit der Betroffene früher eine Haftentlassung erwirken kann, als wenn er erst erneut den - wie im Kanton Bern - unter Umständen zweistufigen Rechtsweg (vgl.
BGE 135 II 94
ff.) zu beachten hat. Je nach verfahrensrechtlicher Ausgestaltung des kantonalen Rechts, der Auslastung der Beschwerdeinstanz und der verfügten Haftdauer könnte dem Betroffenen im unglücklichsten Fall dauernd der Zugang zum Bundesgericht vereitelt bleiben, da der im Rahmen des Bundesgerichtsgesetzes anfechtbare Entscheid immer wieder durch einen neuen kantonalen Verlängerungsentscheid ersetzt würde, bevor das Bundesgericht entscheiden könnte (vgl. etwa die Regelung der erstmals auf einen Monat beschränkten Durchsetzungshaft: Art. 78 Abs. 2 AuG [SR 142.20]; siehe auch Urteil 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2). Dies wäre mit den allgemeinen Verfahrensgarantien (
Art. 29 BV
) bzw. der Rechtsweggarantie (
Art. 29a BV
), wie sie der Bundesgesetzgeber im BGG umgesetzt hat, sowie mit dem Erfordernis eines wirksamen (nationalen) Rechtswegs für eine einheitliche Auslegung und Anwendung der bundesrechtlichen Normen nicht vereinbar.
1.2.3
Dauert die ausländerrechtliche Festhaltung fort, hält bei einem vor oder im bundesgerichtlichen Verfahren ergangenen kantonalen Verlängerungsentscheid, der auf der gleichen rechtlichen wie tatsächlichen Grundlage wie der beim Bundesgericht angefochtene Haft(verlängerungs)entscheid ergangen ist, das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an und ist auf ihre Eingabe einzutreten, falls sich im bundesgerichtlichen Verfahren - wie hier - in materiell- wie verfahrensrechtlicher Hinsicht Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen, die im öffentlichen Interesse zu beantworten sind, wobei eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall wegen der Dauer der kantonalen Verfahren bzw. der jeweils genehmigten Verlängerung der Festhaltung kaum möglich wäre (vgl. Urteile 2C_386/2010 vom 1. Juni 2010 E. 1.2 [Ausschaffungshaft] und 1B_79/2013 vom 13. März 2013 E. 1.1 [Untersuchungshaft]; THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, N. 10.126 Fn. 336). Da der Beschwerdeführer sich nach wie vor in derselben, auf der gleichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlage beruhenden Ausschaffungshaft befindet und er ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seiner Beschwerde hat, ist auf diese
BGE 139 I 206 S. 211
einzutreten, obwohl sie erst am 28. Juni 2013 und damit nach Ablauf der genehmigten Haftdauer eingereicht worden ist.
2.
2.1
Der Beschwerdeführer macht in materieller Hinsicht ausschliesslich geltend, die für die Ausschaffung zuständigen Behörden hätten das
Beschleunigungsgebot
verletzt; die anderen Haftvoraussetzungen stellt er nicht infrage. Nach Art. 76 Abs. 4 AuG sind die für den Vollzug der Weg- oder Ausweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gilt das Beschleunigungsgebot als verletzt, wenn während mehr als zwei Monaten keinerlei Vorkehren mehr im Hinblick auf die Ausschaffung getroffen wurden (Untätigkeit der Behörden), ohne dass die Verzögerung in erster Linie auf das Verhalten ausländischer Behörden oder des Betroffenen selber zurückgeht (
BGE 124 II 49
E. 3a S. 51 mit Hinweisen; bestätigt in den Urteilen 2C_285/2013 vom 23. April 2013 E. 5.1 und 2C_804/2008 vom 5. Dezember 2008 E. 4). Die Behörden sind gestützt auf das Beschleunigungsgebot nicht gehalten, in jedem Fall schematisch bestimmte Handlungen vorzunehmen. Umgekehrt müssen die angerufenen Vorkehrungen zielgerichtet sein; sie haben darauf ausgelegt zu sein, die Ausschaffung voranzubringen. Die Frist von zwei Monaten ist nicht als Freibrief dafür zu verstehen, dass nach Anordnung der Ausschaffungshaft nichts getan werden müsste oder auf die erfolgversprechendsten Vorkehrungen verzichtet werden könnte. Das Bundesgericht hat das Beschleunigungsgebot in einem Fall als verletzt erachtet, in dem während dreier Monate mit den Behörden des Landes, aus dem der Betroffene stammen wollte, kein Kontakt aufgenommen und während rund sechs Wochen überhaupt nichts vorgekehrt worden war (so Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002 E. 3c-e).
2.2
In Übereinstimmung mit der Auffassung des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass die Behörden im vorliegenden Fall zu lange untätig geblieben sind: Der Migrationsdienst des Kanton Bern führte am 25. März 2013, d.h. erst einen Monat nach der Inhaftierung, ein Ausreisegespräch mit dem Beschwerdeführer durch, dies, obwohl er nach Angaben des Dienstes selber "gut französisch" spricht. Weshalb die Rekrutierung eines Dolmetschers für dieses Gespräch "einige Zeit" in Anspruch genommen haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hat immer erklärt, nicht bereit zu sein, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren, was sich im Ausreisegespräch lediglich bestätigt hat. Das Gesuch um
BGE 139 I 206 S. 212
Vollzugsunterstützung durch das Bundesamt reichte der Migrationsdienst erst am
28. März 2013
ein, d.h. wiederum über einen Monat nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers, obwohl dies bei Berücksichtigung des im Asylverfahren erstellten Lingua-Gutachtens von Anfang an die erfolgversprechendste Massnahme gewesen wäre, zumal bekannt ist, dass die Organisation unfreiwilliger Rückführungen nach Tunesien zeitintensiv ist. Vor dem Antrag auf Haftverlängerung erkundigten sich die kantonalen Behörden beim Bundesamt nach dem Verfahrensstand, worauf dieses mitteilte, dass am
22. Mai 2013
bei der tunesischen Botschaft ein Antrag auf Identifizierung des Beschwerdeführers eingereicht werde. Dieser befand sich somit vom 20. Februar 2013 bis zum 22. Mai 2013 in Haft, bis die Behörden erstmals die naheliegendste und erfolgversprechendste Massnahme ergriffen und bei der von ihnen seit dem Asylverfahren als zuständig erachteten tunesischen Behörde eine Identitätsabklärung eingeleitet haben.
2.3
Das Bundesgericht hat zwar festgehalten, dass Verzögerungen, die auf eine fehlende Kooperation des Ausländers zurückgehen, den Behörden nicht entgegengehalten werden können, doch setzt dies voraus, dass die Behörden nicht - wie hier - ihrerseits untätig geblieben sind; die Ausschaffungshaft verlangt im Rahmen von
Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK
ein
ernsthaft und mit Nachdruck
vorangetriebenes hängiges Wegweisungsverfahren (vgl. Art. 15 Ziff. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Die Mitwirkung des Beschwerdeführers hätte - wie die kantonalen Behörden geltend machen - das Verfahren zwar vereinfacht; dies genügt indessen nicht, um untätig bleiben, mit der Anfrage an die zuständige Botschaft über Monate zuwarten und den Betroffenen in Ausschaffungshaft behalten zu können. Welche schweizerische Behörde (Kanton oder Bund) die Verzögerung zu verantworten hat, ist dabei unerheblich (vgl. HUGI YAR, a.a.O., N. 10.100 mit Hinweisen). Die Vollzugsbehörden dürfen nicht untätig bleiben; sie müssen versuchen, die Identität der ausländischen Person festzustellen und die für ihre Ausschaffung erforderlichen Papiere auch ohne deren Mitwirkung zügig zu beschaffen (HUGI YAR, a.a.O., N. 10.101 und Fn. 281).
2.4
Die Verletzung des Beschleunigungsgebots führt in der Regel zur Haftentlassung, selbst wenn vom Betroffenen ein gewisses Sicherheitsrisiko ausgehen sollte (vgl. Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002 E. 4a; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.103 mit weiteren Hinweisen in Fn. 294; TARKAN GÖKSU, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen
BGE 139 I 206 S. 213
und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 23 zu Art. 76 AuG). Die Ausschaffungshaft dient als Administrativmassnahme der Sicherung des Vollzugs der Wegweisung und hat keinen strafrechtlich präventiven Hintergrund (vgl. HUGI YAR, a.a.O., N. 10.103). Im Übrigen ginge vom Beschwerdeführer keine qualifizierte Gefahr aus: Wohl ist er verschiedentlich in der Drogenszene aufgegriffen worden, konsumierte Cannabis und handelte als Kleindealer mit solchem. Dies genügt indessen nicht, um über die Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die zuständigen Ausländerrechtsbehörden (Migrationsdienst, BFM) hinwegzusehen (vgl. zu den Verfahrensgarantien: Urteil 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 4). Den Behörden ist es unbenommen, dem Beschwerdeführer gegenüber eine Ein- oder Ausgrenzung anzuordnen (Art. 74 Abs. 1 lit. a und b AuG). Zweck dieser Massnahme ist es, den Verbleib der ausländischen Person zu kontrollieren sowie ihre Verfügbarkeit für die Vorbereitung und Durchführung der Ausschaffung weiterhin sicherzustellen (ANDREAS ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 5 zu Art. 74 AuG). Sie ist milderes Mittel zum ausländerrechtlich begründeten Freiheitsentzug und kann und darf analog diesem auch eine gewisse Druckwirkung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht entfalten. Die Missachtung einer Ein- oder Ausgrenzung kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden (Art. 119 AuG; vgl. Urteile 2C_1044/2012 vom 5. November 2012 E. 3.1 und 2C_1089/2012 vom 22. November 2012 E. 5).
3.
Da die Beschwerde bereits wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots gutzuheissen ist, erübrigt es sich, auf die formellen Rügen im Einzelnen einzugehen. Es genügt in diesem Zusammenhang, den kantonalen Behörden die bundesgerichtliche Praxis in Erinnerung zu rufen:
3.1
Der inhaftierte Ausländer hat Anspruch darauf, mit dem von ihm bezeichneten Rechtsvertreter mündlich und schriftlich zu verkehren (Art. 81 Abs. 1 AuG). Ist er im Verfahren vor dem Haftrichter nicht vertreten, weil die Behörden nichts unternommen haben, um ihm den Kontakt zu ermöglichen, bzw. weil sie seinen Anwalt nicht über die Festhaltung oder den Hafttermin informiert haben, verletzt dies den Anspruch auf rechtliches Gehör (so Urteile 2A.236/2002 vom 27. Mai 2002 E. 2 und 3, in: Pra 2002 Nr. 142 S. 769 ff.; 2A.346/2006 vom 4. Juli 2006 E. 4.1; 2C_334/2008 vom 30. Mai 2008 E. 4; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.40).
BGE 139 I 206 S. 214
3.2
Eine wirksame Vertretung setzt voraus, dass der Betroffene oder sein Rechtsvertreter die Möglichkeit erhält, die Verhandlung vorzubereiten, was nur realistisch erscheint, wenn ein allfälliges Akteneinsichtsgesuch prioritär geprüft und die Unterlagen dem Rechtsvertreter möglichst umgehend zur Verfügung gestellt werden. Dieser muss rechtzeitig zumindest in diejenigen Akten Einsicht nehmen können, welche als Grundlage des Entscheids dienen sollen (vgl. Urteile 2C_756/2009 vom 15. Dezember 2009 E. 1.2 und 2A.294/2002 vom 3. Juli 2002 E. 2). Es ist im Verfahren der Haftprüfung trotz Zeitdrucks Aufgabe des Haftrichters, sicherzustellen, dass die Rechte des Inhaftierten gewahrt bleiben (vgl. Urteil 2C_168/2013 vom 7. März 2013 E. 2.2; HUGI YAR, a.a.O., S. 435 N. 10.24 und 10.25).
3.3
3.3.1
Die bedürftige Partei hat gestützt auf
Art. 29 Abs. 3 Satz 2 BV
einen Anspruch darauf, dass ihr auf Gesuch hin ein unentgeltlicher Rechtsvertreter bestellt wird, falls dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig erscheint; nach
Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BV
muss jede Person, welcher die Freiheit entzogen wird, die Möglichkeit haben, ihre Rechte - in einer den Umständen angemessenen, wirksamen Weise - geltend zu machen. Das Erfordernis der fehlenden Aussichtslosigkeit ist bei einem Freiheitsentzug von einer gewissen Intensität bzw. Dauer im Hinblick hierauf jeweils sachgerecht zu relativieren und das Kriterium der Erfolgsaussichten differenziert zu handhaben (
BGE 134 I 92
E. 3.2.3). Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass dem Ausländer bei der Haftverlängerung nach drei Monaten bzw. einer Haftanordnung von über drei Monaten eine schwere Freiheitsbeschränkung droht, die für ihn mit rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist, denen er - auf sich selber gestellt - mangels Kenntnis der Sprache und der hiesigen Verhältnisse nicht gewachsen erscheint. Es ist ihm in dieser Situation selbst in "einfachen" Fällen kaum möglich, das administrative Haftverlängerungsverfahren ohne anwaltliche Hilfe zu verstehen. Die wirksame Geltendmachung seiner Rechte setzt deshalb spätestens in diesem Verfahrensabschnitt voraus, dass einem Antrag auf unentgeltliche Verbeiständung entsprochen wird (
BGE 134 I 92
E. 3.2.2 und 3.2.3; Urteil 2C_332/2012 vom 3. Mai 2012 E. 2.3 mit Hinweisen).
3.3.2
Das Gleiche ergibt sich aus
Art. 5 Ziff. 4 EMRK
: Im Rahmen dieser Bestimmung sind dem Inhaftierten die der Haftart
BGE 139 I 206 S. 215
angepassten grundlegenden Rechte zu gewähren; das richterliche Prüfungsverfahren muss "fair" sein. Der Betroffene hat das Recht, sich selber zu vertreten, sich durch den Anwalt seiner Wahl vertreten zu lassen oder die Bestellung eines unentgeltlichen Vertreters zu verlangen, wenn er bedürftig ist und seine Verbeiständung "im Interesse der Rechtspflege erforderlich" erscheint (so auch
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
für den Strafprozess;
BGE 134 I 92
E. 3.2.4). Entsprechende Anforderungen ergeben sich heute indirekt zudem aus der für die Schweiz ebenfalls massgebenden europäischen Rückführungsrichtlinie, die festhält, dass die von ihr betroffenen Drittstaatsangehörigen "rechtliche Beratung, rechtliche Vertretung und - wenn nötig - Sprachbeistand in Anspruch nehmen können" bzw. ihnen auf Antrag die erforderliche Rechtsberatung und/oder -vertretung gemäss dem einschlägigen Prozesskostenhilferecht (Art. 15 Ziff. 3-6 der Richtlinie 2005/85/EG) bereitzustellen ist (Art. 13 Ziff. 3 und 4 der Richtlinie 2008/115/EG; Urteil 2C_548/2011 vom 26. Juli 2011 E. 4).
3.4
3.4.1
Sollte der Beschwerdeführer - wie er geltend macht - vor dem Haftgericht um unentgeltliche Verbeiständung ersucht und ihm der Richter dargelegt haben, dass er einen Anwalt selber zu bezahlen hätte, wäre ihm damit rechtswidrig sein Anspruch auf Verbeiständung im Haftprüfungsverfahren verweigert worden. Die entsprechende Frage kann vorliegend nicht definitiv geklärt werden, weil das Zwangsmassnahmengericht zugestanden hat, dass es möglich sein könnte, dass er um einen Anwalt ersucht habe; das Protokoll enthalte praxisgemäss wegen der Vielzahl von Verfahren gewisse Vorformulierungen, welche im Einzelfall allenfalls zu relativieren seien. Es ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass die Protokollierung nicht freigestellt ist. Das Ergebnis der Haftverhandlung, deren Ablauf und die gestellten Anträge sind gestützt auf
Art. 29 Abs. 2 BV
korrekt zu protokollieren. Nur in diesem Fall lässt sich der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör wahren und ist es den Rechtsmittelinstanzen überhaupt möglich, den Haftgenehmigungsentscheid in der Folge sinnvoll auf seine Bundesrechtskonformität hin zu überprüfen (
BGE 125 II 377
E. 1 S. 378; HUGI YAR, a.a.O., N. 10.24 mit weiteren Hinweisen). Zwar hat auch der ausländische Inhaftierte vor seiner Unterschrift die Richtigkeit des Protokolls zu kontrollieren, doch trägt der Haftrichter - bereits mit Blick auf die sprachlichen Kompetenzen - hierfür die Hauptverantwortung; ihn trifft aufgrund der spezifischen Situation
BGE 139 I 206 S. 216
ausländerrechtlich festgehaltener Personen diesbezüglich eine gewisse verfahrensrechtliche Fürsorgepflicht.
3.4.2
Der Beschwerdeführer kritisiert auch, dass im Haftprüfungsverfahren kein Vertreter des Migrationsamts anwesend gewesen sei, weshalb er keine Ergänzungsfragen habe stellen können. Ob in jedem Fall ein Vertreter der haftanordnenden Behörde der Verhandlung beiwohnen muss oder der Inhaftierte dies ausdrücklich zu beantragen hat, kann dahingestellt bleiben. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Haftprüfung durch den Richter ein kontradiktorisches Verfahren bildet. Nimmt die Ausländerbehörde nicht daran teil, trägt sie jedenfalls das Risiko, dass eine Haftentlassung oder eine Haftverkürzung erfolgt, wenn gewisse Punkte nicht abgeklärt werden können. Kein taugliches Abgrenzungskriterium wäre es, wenn der Migrationsdienst nur in Fällen vertreten wäre bzw. zur Verhandlung aufgeboten würde, in denen sich ein Anwalt eingeschaltet hat. Entscheidend müssen für den Haftrichter die materiellen Fragen oder allfällige Unklarheiten im konkreten Fall sein, nicht der Aspekt, ob der Betroffene mit oder ohne Anwalt erscheinen wird. | public_law | nan | de | 2,013 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ce9466d1-a0ba-44e5-a73c-21dc459c20c6 | Urteilskopf
109 II 375
79. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1983 i.S. Christ gegen Mills (Berufung) | Regeste
Klage auf Abänderung eines amerikanischen Urteils betreffend Kinderzuteilung als Nebenfolge der Scheidung der Eltern; örtliche Zuständigkeit.
Eine solche Klage fällt in den Anwendungsbereich des Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA): Der angerufene schweizerische Richter hat sie deshalb ohne weiteres an die Hand zu nehmen, wobei er vorab freilich zu prüfen hat, ob das minderjährige Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von
Art. 1 MSA
in der Schweiz habe. | Sachverhalt
ab Seite 376
BGE 109 II 375 S. 376
Mit Urteil vom 1. August 1978 wurden Paul R. und Jane S. Mills, damals beide Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika, durch das Obergericht des DeKalb County in Georgia geschieden. In einem besonderen Verfahren wurden am 9. Januar 1979 die drei aus der Ehe hervorgegangenen Kinder dem Vater zur Pflege und Erziehung zugesprochen. Eine Abänderungsklage der Mutter wurde vom Bezirksgericht Tuscaloosa County in Alabama (USA) am 28. April 1980 abgewiesen.
Zufolge einer neuen Ehe nahm Jane Mills den Namen Christ an und wurde schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin. Nachdem die am 25. Januar 1967 geborene Tochter Heidi Marie zu ihr nach Liestal gezogen war, reichte sie mit Eingabe vom 18. Februar 1981 beim dortigen Bezirksgericht Klage auf Abänderung des Scheidungsurteils ein. Sie stellte dabei folgendes Rechtsbegehren:
"Es sei in Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Tuscaloosa im Staate Alabama/U.S.A. vom 28. April 1980 das Scheidungsurteil des Obergerichts von DeKalb County im Staate Georgia/U.S.A. vom 1. August 1978 bzw. das Urteil betreffend Kinderzuteilung vom 9. Januar 1979 in dem Sinne abzuändern, dass das Kind Heidi Marie Mills, geboren am 25. Januar 1967, der Klägerin und Mutter zur Pflege und Erziehung zuzuweisen und bis zur Volljährigkeit unter deren elterliche Gewalt zu stellen ist."
In seinem Urteil vom 4. November 1982 lehnte es das Bezirksgericht Liestal ab, auf die Abänderungsklage einzutreten, da es an der örtlichen Zuständigkeit fehle. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte diesen Entscheid am 7. Juni 1983.
Gegen das obergerichtliche Urteil hat die Klägerin Berufung an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und auf die Abänderungsklage einzutreten. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist die Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Beurteilung einer Klage auf Abänderung eines Scheidungsurteils, das gegenüber amerikanischen Staatsbürgern von einem amerikanischen Gericht ausgesprochen worden und nach erfolgtem Wohnsitzwechsel der einen Partei von einem weiteren amerikanischen Gericht bestätigt worden ist. Diese Frage stellt sich im Rahmen einer nichtvermögensrechtlichen Zivilrechtsstreitigkeit
BGE 109 II 375 S. 377
im Sinne von
Art. 44 OG
, so dass die Berufung unabhängig von einem bestimmten Streitwert zulässig ist. Angesichts der Tatsache, dass die Vorinstanz die örtliche Zuständigkeit verneint hat und auf die Abänderungsklage nicht eingetreten ist, kann auch keinem Zweifel unterliegen, dass ein Endentscheid im Sinne von
Art. 48 OG
vorliegt.
2.
Das Obergericht hat die Klage nicht an die Hand genommen, weil sie nicht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA; SR 0.211.231.01) falle. Die örtliche Zuständigkeit sei nach den Kriterien des schweizerischen internationalen Privatrechts zu beurteilen, das davon ausgehe, dass Klagen auf Abänderung eines ausländischen Scheidungsurteils grundsätzlich am Wohnsitz des Beklagten einzureichen seien; es sei für die Klägerin durchaus möglich, die Klage am Wohnsitz des Beklagten in Tuscaloosa/Alabama einzuleiten. Ob die Tochter der Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von
Art. 1 MSA
in der Schweiz habe, brauche bei dieser Sachlage gar nicht erörtert zu werden.
Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, es habe den Anwendungsbereich des MSA zu eng umschrieben und dadurch Bundesrecht verletzt.
3.
Nach seiner Präambel soll das MSA "gemeinsame Bestimmungen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen" festlegen. Mit den staatsvertraglichen Zuständigkeitsregeln sollen positive und negative Kompetenzkonflikte im internationalen Bereich vermieden und gleichzeitig die Anerkennung und Durchsetzung von Massnahmen zum Schutze von Minderjährigen in den Vertragsstaaten gefördert werden. Dabei soll auch die internationale Zusammenarbeit der mit Minderjährigenschutz befassten Behörden vertieft werden. Erst dadurch lässt sich auch im internationalen Bereich ein kontinuierlicher Rechtsschutz für den Minderjährigen verwirklichen. Indem für die örtliche Zuständigkeit und das anwendbare Recht der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes des Minderjährigen als massgebend erklärt wurde (vgl.
Art. 1 und 2 MSA
), sollte eine Vereinfachung des Rechtsschutzes erreicht werden.
Während die Fragen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts im MSA eingehend geregelt wurden, ist der
BGE 109 II 375 S. 378
sachliche Anwendungsbereich des Abkommens nur sehr allgemein umschrieben. Gegenstand des Übereinkommens sind nach dem Wortlaut von Art. 1 die "Massnahmen zum Schutze der Person oder des Vermögens des Minderjährigen". Damit wurde der Vielfalt in Betracht fallender Massnahmen und der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung durch die verschiedenen nationalen Gesetzgeber Rechnung getragen (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 4. März 1966 zum MSA, BBl 1966 I S. 352).
4.
a) Was die zu beurteilende Frage betrifft, ob die Zuteilung eines Kindes geschiedener Eltern vom MSA erfasst wird, ist vorab darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat in seiner Botschaft vom 10. November 1982 zum Bundesgesetz über das internationale Privatrecht im Zusammenhang mit
Art. 7 MSA
(Anerkennung und Vollstreckung von Massnahmen) ausdrücklich und ohne jeden Vorbehalt die Übertragung der elterlichen Gewalt erwähnt hat (BBl 1983 I S. 378). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ergibt sich aus dem Schlussbericht der Expertenkommission zum Entwurf zu einem Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (Schweizer Studien zum internationalen Recht, Band 13) keineswegs das Gegenteil. Im Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des MSA und demjenigen des innerstaatlichen Kollisionsrechtes im Bereiche des internationalen Privatrechts betreffend die Wirkungen des Kindesverhältnisses wird im Bericht davon gesprochen, dass dem nicht staatsvertraglich geregelten Wirkungsstatut bei der Eltern-Kind-Beziehung insofern Raum bleibe, als Rechtsfragen allein aufgrund der Tatsache der Abstammung zu beantworten seien, während der Minderjährigenschutz erst dort eingreife, wo es eine Gefahr für das bestehende Eltern-Kind-Verhältnis abzuwehren gelte (vgl. S. 145). Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, die Zuteilung der elterlichen Gewalt als Nebenfolge einer Scheidung bzw. die Scheidung selber sei nicht ihrerseits als Gefährdungstatbestand im Sinne des MSA zu werten. Freilich ist die Frage der Zuteilung der elterlichen Gewalt im Zusammenhang mit einer Scheidung eine nicht zu vermeidende Folge dessen, dass die tatsächliche Lebensgemeinschaft zwischen den beiden Eltern und ihrem Kind mit der Scheidung aufhört, und der gesetzlich gewollten Unmöglichkeit, die elterliche Gewalt trotzdem beiden Eltern zu belassen. Insofern kann nicht von einer aussergewöhnlichen Bedrohung gesprochen werden. Stellt sich in einem späteren Zeitpunkt indessen die Frage der Umteilung der elterlichen Gewalt, wird deutlich, dass es darum
BGE 109 II 375 S. 379
geht, für das Kind eine bessere Lösung zu finden und damit eine weniger befriedigende auszuschalten. Sodann kann nichts darauf ankommen, dass im Bereiche des internen Rechts eines Vertragsstaates die Grenzziehung zwischen der Zu- und Umteilung der elterlichen Gewalt im Zusammenhang mit einer Scheidung einerseits und den Kindesschutzmassnahmen andererseits allenfalls anders verläuft als diejenige, die sich aufgrund des MSA ergibt. Die Kompetenzen verschiedener Behörden können sich im übrigen auch dort überschneiden, wo allein schweizerisches Recht anzuwenden ist. So ist das Bundesgericht in seiner jüngsten Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Umteilung der elterlichen Gewalt über ein Kind geschiedener Eltern wenigstens dann zu einer konkurrierenden Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde mit derjenigen des Richters führen kann, wenn der bisherige Inhaber der elterlichen Gewalt verstorben und die Frage der Übertragung auf den überlebenden Ehegatten zu entscheiden ist (
BGE 108 II 375
ff.).
b) Der Beklagte glaubt, aus
Art. 15 MSA
etwas für seinen Standpunkt ableiten zu können. Gemäss Absatz 1 dieser Bestimmung kann jeder Vertragsstaat, dessen Behörden dazu berufen sind, über eine Klage auf Nichtigerklärung, Auflösung oder Lockerung des zwischen den Eltern eines Minderjährigen bestehenden Ehebandes zu entscheiden, die Zuständigkeit dieser Behörden für Massnahmen zum Schutze der Person oder des Vermögens des Minderjährigen vorbehalten. Die Schweiz hat von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und erachtet den Richter, der über Ungültigkeit, Scheidung oder Trennung der Ehe zu befinden hat, als zuständig, im Rahmen der
Art. 133 Abs. 2, 156 und 157 ZGB
Massnahmen zum Schutze der Person oder des Vermögens eines Minderjährigen zu treffen.
Gewiss waren die ursprünglichen Absichten der Schweizer Delegation an der Haager Konferenz darauf gerichtet, die nach schweizerischem Recht in die Zuständigkeit des Scheidungsrichters fallenden Massnahmen, die minderjährige Kinder betreffen, aus dem Anwendungsbereich des MSA auszuklammern (vgl. KAUFMANN, Die Anerkennung von Entscheiden über die Gestaltung der Elternrechte bei Ehescheidung, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Max Guldener, S. 159 f.; zur Entstehungsgeschichte von
Art. 15 MSA
vgl. auch KROPHOLLER, in: Kommentar Staudinger, N. 740 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB). In seiner Botschaft vom 4. März 1966 betreffend die Genehmigung des
BGE 109 II 375 S. 380
MSA (BBl 1966 I S. 349 ff.) erläuterte der Bundesrat Art. 15 jedoch dann nicht in dem Sinne, dass die Anordnungen des Scheidungsrichters bezüglich Minderjähriger ganz allgemein vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen bleiben sollen. Vielmehr wurde zu
Art. 15 Abs. 2 MSA
, wonach Massnahmen im Bereiche des Vorbehaltes von
Art. 15 Abs. 1 MSA
von den andern Vertragsstaaten nicht anzuerkennen sind, bemerkt, dass dadurch kein grösserer Einbruch in die gegenseitige Anerkennung von Kindesschutzmassnahmen erfolge, "da die (vorbehaltene) Zuständigkeit des Scheidungsrichters oft mit den vom Übereinkommen anerkannten Zuständigkeiten zusammenfallen dürfte" (a.a.O., S. 358). Daraus ist zu schliessen, dass
Art. 15 MSA
für einen bestimmten Fall eine besondere Zuständigkeit im Rahmen des Übereinkommens schafft, ohne dass dessen sachlicher Anwendungsbereich eingeschränkt würde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Meinungsäusserungen der schweizerischen Lehre (vgl. BAECHLER, Fragen des internationalen Minderjährigenschutzes aus schweizerischer Sicht, in: ZVW 30/1975, S. 1 ff., insbes. S. 5 f.; KAUFMANN, a.a.O., S. 160). Dass die Frage der Kinderzuteilung im Zusammenhang mit einer Scheidung durch das MSA erfasst wird, nehmen im übrigen auch die deutsche und die österreichische Rechtsprechung an (vgl. KROPHOLLER, a.a.O., N. 276 zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB).
c) Beim Verfahren betreffend Abänderung eines Scheidungsurteils hinsichtlich der Zuteilung der elterlichen Gewalt kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht einfach darum gehen, die Interessenabwägung des Scheidungsrichters neu vorzunehmen. Vielmehr ist eine Abänderung des scheidungsrichterlichen Entscheides nur dann zulässig, wenn eine Veränderung der massgeblichen Verhältnisse eine andere Regelung zwingend erfordert (vgl.
BGE 100 II 77
). Um so weniger würde es sich rechtfertigen, Entscheide dieser Art vom Anwendungsbereich des MSA auszunehmen.
5.
a) Die Anwendbarkeit des MSA und die Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen schweizerischen Richters können nach dem Gesagten nur dann verneint werden, wenn die Tochter der Parteien im Zeitpunkt der Klageeinleitung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von
Art. 1 MSA
nicht in der Schweiz gehabt haben sollte. Die Vorinstanz wird diese Frage deshalb noch zu prüfen haben. Dabei ist ihr darin beizupflichten, dass die Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht leichthin
BGE 109 II 375 S. 381
als gegeben betrachtet werden darf. Es sei in diesem Zusammenhang auf das Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung hingewiesen (BBl 1983 I S. 139 ff.), das für die Schweiz am 1. Januar 1984 in Kraft treten wird (vgl. AS 1983, S. 1711) und aus dessen Art. 3 zu schliessen ist, dass das widerrechtliche Vorenthalten eines Kindes gegenüber dem Inhaber der elterlichen Gewalt als eine Form von Kindesentführung betrachtet wird. Ferner ist zu berücksichtigen, dass verschiedene Vertragsstaaten des MSA sich auch dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts (vgl. BBl 1983 I S. 127 ff.) angeschlossen haben (vgl. AS 1983, S. 1692) und dass es auch unter diesem Gesichtspunkt gilt, Konventionskonflikte zu vermeiden. Wie bei den erwähnten Übereinkommen geht es beim MSA darum, Massnahmen, die in einem anderen Staat getroffen wurden, anzuerkennen und durchzusetzen. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der erhöhte Schutz für die im Heimatstaat erlassenen Massnahmen (
Art. 5 Abs. 3 MSA
) in Anbetracht des
Art. 13 Abs. 2 MSA
nach einem Aufenthaltswechsel nicht gewährleistet sein soll, wenn es sich dabei um einen Nichtvertragsstaat handelt (vgl. KROPHOLLER, a.a.O., N. 591 ff. zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB).
b) Im Lichte des Gesagten dürfte ein Aufenthalt von vierzehn Tagen zur Erfüllung der Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne von
Art. 1 MSA
in der Regel nicht ausreichen. Indessen kann - wie auch die Vorinstanz andeutet - die nach Einreichung eines Massnahmebegehrens verstrichene Zeit nicht gänzlich ausser acht bleiben. Es ist nicht darüber hinwegzusehen, dass nach einer gewissen Zeitspanne - wegen der sozialen Desintegrierung im einen Staat und der Integrierung im andern (Aufenthalts-) Staat - eine Veränderung der massgeblichen Verhältnisse unabhängig davon eintreten kann, ob der Aufenthaltswechsel unter dem Gesichtspunkt der elterlichen Gewalt und des damit verbundenen Bestimmungsrechtes bezüglich des Aufenthaltes des Minderjährigen als widerrechtlich zu bezeichnen ist oder nicht (vgl. KROPHOLLER, a.a.O., N. 604 f. zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB). Dem Gedanken des widerrechtlichen Aufenthaltswechsels ist in einem solchen Fall bei der materiellen Beurteilung der im neuen Aufenthaltsstaat verlangten Schutzmassnahme Rechnung zu tragen. Auch bei einer die elterliche Gewalt betreffenden
BGE 109 II 375 S. 382
Abänderungsklage, für die der schweizerische Richter gestützt auf das MSA zuständig ist, bleibt so genügend Raum, den Gesichtspunkt der Kindesentführung, deren nähere Umstände im konkreten Fall aufgrund eines Beweisverfahrens festzustellen sind, gebührend zu berücksichtigen. Das Eintreten auf die von der Klägerin beim Bezirksgericht Liestal eingereichte Klage bedeutet keineswegs, der Umstand bleibe ausser acht, dass amerikanische Gerichte im Zusammenhang mit der Scheidung der Parteien die Tochter Heidi Marie dem Vater zur Pflege und Erziehung zugesprochen und eine spätere Abänderungsklage seitens der Mutter abgewiesen haben. Sind die Voraussetzungen für die Anerkennung dieser Urteile in der Schweiz erfüllt, kann dies dazu führen, dass eine Umteilung der elterlichen Gewalt vom Beklagten auf die Klägerin als nicht angezeigt erscheint. In diesem Sinne ist auch KROPHOLLER (a.a.O., N. 641 zu den Vorbemerkungen zu Art. 18 EGBGB) zu verstehen, auf den sich die Vorinstanz beruft. Entgegen der Annahme des Obergerichts zieht dieser Autor jedoch nicht auch den Schluss, dass, sollte sich bei materieller Prüfung der Kindesschutzmassnahme herausstellen, dass sich eine solche Massnahme im Aufenthaltsstaat nicht aufdrängt, auf das entsprechende Begehren gar nicht erst einzutreten sei.
c) Im vorliegenden Fall fällt in Betracht, dass das Verfahren vor dem Bezirksgericht fast zwei Jahre gedauert hat. Es ist deshalb nicht von vornherein auszuschliessen, dass eine allenfalls eingetretene Veränderung der massgeblichen Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils aus der Sicht des Kindeswohls als zwingend erforderlich erscheinen lässt, auch wenn dies gestützt auf die bisherige Aktenlage kaum als sehr wahrscheinlich angesehen werden kann. Abschliessend wird darüber jedoch erst nach durchgeführtem Beweisverfahren zu entscheiden sein. Was dabei die Frage der Einvernahme der Tochter der Parteien betrifft, so ist zu bemerken, dass die von der Klägerin ins Recht gelegten Briefe des Mädchens dessen Befragung nicht überflüssig zu machen vermögen. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ce9b3e46-9d6f-4e96-b682-f5e0a208cda5 | Urteilskopf
97 I 839
119. Urteil vom 22. September 1971 i.S. Müller-Gilliers gegen Verwaltung des Bezirksgefängnisses Zürich und Bezirksanwaltschaft Zürich. | Regeste
Persönliche Freiheit; Untersuchungshaft.
1. Begriff der persönlichen Freiheit (Erw. 3).
2. Grundsätzliches über die Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen der Untersuchungsgefangenen (Erw. 4 und 5).
3. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 6).
4. Das den Untersuchungsgefangenen des Bezirksgefängnisses Zürich auferlegte Verbot des direkten Bezugs einer beliebigen Zeitung und des Gebrauchs eines eigenen Transistorradios verstösst nicht gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Erw. 8). | Sachverhalt
ab Seite 839
BGE 97 I 839 S. 839
A.-
Der seit 24. April 1971 im Bezirksgefängnis Zürich inhaftierte Untersuchungsgefangene Fernand Müller-Gilliers richtete am 29. April 1971 eine Eingabe an die Bezirksanwaltschaft Zürich, in welcher er sich über den Vollzug der Untersuchungshaft beschwerte. Er machte geltend, die Gefängnisverwaltung zwinge Untersuchungshäftlinge zur Arbeit, untersage ihnen, tagsüber das Bett zu benutzen und gebe ihnen
BGE 97 I 839 S. 840
keine Gelegenheit zu einem ausreichenden täglichen Spaziergang. Ferner rügte er, die Gefängnisverwaltung habe ihm zu Unrecht untersagt, eine Zeitung seiner Wahl zu abonnieren, im Verlaufe einer Woche mehr als 80 Zigaretten zu rauchen und in seiner Zelle einen Radioempfänger zu benutzen. Weiter brachte er vor, die Besuchszeit sei in unzulässiger Weise auf 15 Minuten beschränkt worden. Schliesslich beanstandete er, dass das elektrische Licht in den Zellen bereits um 20.30 Uhr abgeschaltet werde.
Mit Beschluss vom 5. Mai 1971 wies die Bezirksanwaltschaft Zürich den Rekurs ab. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, die angefochtenen Freiheitsbeschränkungen beständen zum Teil überhaupt nicht und entsprächen zum andern Teil den Vorschriften der Verordnung über die Bezirksgefängnisse vom 7. Februar 1963 (GefängnisVO), weshalb kein Anlass zum Einschreiten bestehe. Im Hinblick auf bestimmte Reformbestrebungen sah die Bezirksanwaltschaft jedoch davon ab, dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
B.-
Fernand Müller-Gilliers führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und der persönlichen Freiheit (Art. 7 KV). Er beantragt, die angefochtene Verfügung vom 5. Mai 1971 teilweise aufzuheben und die Bezirksanwaltschaft anzuweisen, ihm den Bezug der Neuen Zürcher Zeitung sowie die Benutzung eines Transistorradios zu gestatten und das elektrische Licht in seiner Zelle erst um 22.30 Uhr abzuschalten. Die Beschwerdebegründung ergibt sich, soweit wesentlich, aus den nachfolgenden Erwägungen.
C.-
Die Bezirksanwaltschaft Zürich beantragt die Abweisung der Beschwerde und verweist in ihren Gegenbemerkungen auf eine gleichzeitig vorgelegte Stellungnahme der Gefängnisverwaltung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und der persönlichen Freiheit sind erst gegen letztinstanzliche kantonale Entscheidungen zulässig (Art. 86 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 87 OG
). Die Eingabe des Beschwerdeführers vom 29. April 1971 war als Rekurs gegen Anordnungen der Gefängnisverwaltung von der Bezirksanwaltschaft zu beurteilen (§ 58 Abs. 1 lit. a GefängnisVO). Deren Entscheid vom 5. Mai 1971 war kantonal letztinstanzlich (§ 58 Abs. 3 GefängnisVO).
BGE 97 I 839 S. 841
Auf die vorliegende Beschwerde ist daher einzutreten, und zwar auch insoweit, als der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung des angefochtenen Urteils verlangt, denn der verfassungsmässige Zustand könnte in der Tat nur durch eine dem Beschwerdeantrag entsprechende Weisung an die Bezirksanwaltschaft wiederhergestellt werden, falls sich die erhobenen Verfassungsrügen als begründet erweisen sollten (vgl.
BGE 97 I 225
/6,
BGE 96 I 355
,
BGE 95 I 242
).
Der Beschwerdeführer ist zwar während der Rechtshängigkeit der vorliegenden Beschwerde aus der Untersuchungshaft entlassen worden; sein aktuelles praktisches Interesse an der Überprüfung des angefochtenen Entscheids ist demnach dahingefallen. Dieser Umstand hindert das Bundesgericht jedoch nicht, die erhobenen Rügen materiell zu beurteilen, denn der Beschwerdeführer beanstandet ein Verhalten der Gefängnisverwaltung, das sich jederzeit wiederholen kann und wirft Fragen auf, deren Beantwortung von grundsätzlicher Bedeutung ist (vgl.
BGE 96 I 553
Erw. 1 mit Verweisungen).
2.
§ 32 Abs. 1 GefängnisVO schreibt vor, dass das elektrische Licht in den Zellen um 20.30 abzuschalten ist; vorbehalten bleiben besondere Weisungen der Justizdirektion. Gemäss § 48 Abs. 2 GefängnisVO können die Gefangenen nach einer Haftdauer von einer Woche einmal wöchentlich eine von der Gefängnisverwaltung abonnierte Zeitung oder Zeitschrift beziehen. § 49 Abs. 3 GefängnisVO untersagt den Gefangenen den Gebrauch eines eigenen Radioempfängers.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die erwähnten Bestimmungen der GefängnisVO verletzten - soweit sie auf Untersuchungshäftlinge angewendet würden - die Garantie der persönlichen Freiheit (Art. 7 KV) und seien darüberhinaus gesetzwidrig, zumal § 76 Abs. 3 der zürcherischen Strafprozessordnung (StPO) ausdrücklich vorschreibe, dass die Untersuchungsgefangenen in ihrer Freiheit nicht mehr eingeschränkt werden dürften, als es der Zweck der Verhaftung erfordere. Diese Rügen fallen sachlich zusammen (vgl. unten Erw. 4) und sind daher im folgenden gemeinsam zu behandeln.
3.
Die Garantie der persönlichen Freiheit gehört dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an (
BGE 97 I 49
Erw. 2 mit Hinweisen auf frühere Urteile). Die entsprechenden Gewährleistungen in den kantonalen Verfassungen haben demnach keine selbständige Bedeutung, sofern sie nicht weiter
BGE 97 I 839 S. 842
gehen als das Bundesrecht. Dass dies für Art. 7 KV zutreffe, behauptet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. Soweit er die Garantie der persönlichen Freiheit anruft, bleibt somit bloss zu prüfen, ob der angefochtene Entscheid vor dem ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes standhält.
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichts garantiert das Grundrecht der persönlichen Freiheit nicht bloss das Recht auf freie Bewegung und körperliche Unversehrtheit, sondern es schützt den Bürger auch in der ihm eigenen Fähigkeit, eine bestimmte tatsächliche Begebenheit zu würdigen und danach zu handeln; es gewährleistet als verfassungsrechtlicher Leitgrundsatz ferner alle Freiheiten, die elementare Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen darstellen und bietet auf diese Weise einen umfassenden Grundrechtsschutz, der sich auf den Inhalt und Umfang der übrigen verfassungsmässigen Freiheitsrechte entscheidend auswirkt (
BGE 97 I 49
/50). Es schützt den Bürger somit auch in seiner Freiheit, über seine Lebensweise zu entscheiden, insbesondere seine Freizeit zu gestalten, Beziehungen zu seinen Mitmenschen anzuknüpfen und sich Kenntnis über das Geschehen in seiner näheren und weiteren Umgebung zu verschaffen.
Wie andere verfassungsmässig gewährleistete Freiheitsrechte ist indessen auch die Garantie der persönlichen Freiheit bestimmten Beschränkungen unterworfen. Eingriffe sind jedoch grundsätzlich nur zulässig, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen und verhältnismässig sind; sie dürfen das Grundrecht weder völlig unterdrücken noch seines Gehaltes als fundamentale Institution unserer Rechtsordnung entleeren (
BGE 97 I 50
mit Verweisungen). Droht indessen eine unmittelbare, direkte und schwere Gefährdung oder Störung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit, so sind verhältnismässige Freiheitsbeschränkungen auch bloss gestützt auf die allgemeine Polizeiklausel zulässig (vgl.
BGE 91 I 326
/7,
BGE 92 I 30
ff. Erw. 5).
4.
Auch der Untersuchungsgefangene kann sich grundsätzlich auf die Garantie der persönlichen Freiheit im soeben umschriebenen Sinne berufen. Er steht jedoch in einem sog. besonderen Gewaltsverhältnis zum Staat und hat deshalb bestimmte Freiheitsbeschränkungen in Kauf zu nehmen (vgl. unten Erw. 5). Diese bedürfen - im Gegensatz zur Begründung des Gewaltverhältnisses als solchen - keiner ausdrücklichen
BGE 97 I 839 S. 843
gesetzlichen Grundlage (
BGE 97 I 52
). Ihre Zulässigkeit hängt demnach entscheidend davon ab, ob sie verhältnismässig sind d.h. nicht weiter gehen, als es das Gewaltverhältnis erfordert. Der Beschwerdeführer, der die Rechtmässigkeit seiner Verhaftung nicht bestreitet, beruft sich in diesem Zusammenhang auf
§ 76 Abs. 3 StPO
, wonach der Untersuchungsgefangene in seiner Freiheit nicht mehr eingeschränkt werden darf, als es der Zweck der Verhaftung erfordert. Nach Wortlaut und Sinn verpflichtet diese Bestimmung die zuständigen Behörden, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten, wie er sich bereits aus der Verfassung ergibt. Die Rüge des Beschwerdeführers, die angefochtenen Freiheitsbeschränkungen verstiessen gegen die genannte Vorschrift der Strafprozessordnung, fällt demnach mit dem Vorwurf zusammen, der angefochtene Entscheid verletze die Garantie der persönlichen Freiheit.
5.
Ihrem Zweck entsprechend (vgl.
BGE 97 I 52
/3 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre) erheischt die Untersuchungshaft zunächst eine Beschränkung der Beziehungen zur Aussenwelt, und zwar - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch dann, wenn die Verhaftung ausschliesslich wegen Fluchtgefahr erfolgt ist (LÖWE-ROSENBERG-DÜNNEBIER, Die Strafprozessordnung, 21. Aufl., Berlin 1967, Ergänzungsband, S. 203 Ziff. 2). Weitere Freiheitsbeschränkungen rechtfertigen sich sodann im Interesse einer vernünftigen Gefängnisordnung (
BGE 97 I 53
). Im Gegensatz zum BG über die Bundesstrafrechtspflege (Art. 48 Abs. 1) ist davon in der zürcherischen Strafprozessordnung zwar nicht ausdrücklich die Rede. Dass solche Eingriffe zulässig sind, erscheint jedoch als selbstverständlich und wird im übrigen vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Aus praktischen Gründen hat der Untersuchungsgefangene somit auch Freiheitsbeschränkungen auf sich zu nehmen, die mit dem Zweck der Untersuchungshaft in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen. So wünschenswert es auch immer ist, beim Vollzug der Untersuchungshaft die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen, so unerlässlich ist es doch anderseits, für jene Belange, die für eine vernünftige Anstaltsordnung wesentlich sind, einheitliche und von allen Gefangenen zu beachtende Regeln aufzustellen. Lässt es sich nicht vermeiden, Straf- und Untersuchungsgefangene in der gleichen Anstalt unterzubringen, so ist jedoch streng darauf zu achten, dass dem verschiedenen Haftzweck auch beim
BGE 97 I 839 S. 844
Vollzug Rechnung getragen wird (vgl.
BGE 97 I 53
). Untersuchungs- und Strafgefangene müssen voneinander getrennt bleiben, wie es in Ziff. 85/1 der "Règles minima pour le traitement des détenus" der Vereinigten Nationen (vgl.
BGE 97 I 54
Erw. 4) ausdrücklich gefordert wird und übrigens auch im zürcherischen Recht vorgesehen ist (
§ 76 StPO
und § 59 GefängnisVO).
Unzulässig, weil mit Wesen und Zweck der Untersuchungshaft nicht vereinbar und für eine vernünftige Gefängnisordnung nicht erforderlich, sind Freiheitsbeschränkungen mit Strafcharakter, sofern sie nicht Disziplinarmassnahmen darstellen. Daran ändert nichts, dass die Untersuchungshaft unter bestimmten Voraussetzungen von Gesetzes wegen auf Freiheitsstrafen anzurechnen ist (
Art. 69 StGB
;
BGE 97 I 53
). Weiter dürfen Untersuchungsgefangene während ihrer Inhaftierung nicht zur Arbeit gezwungen werden (
BGE 97 I 52
ff.). Schliesslich sind auch jene Freiheitsbeschränkungen verfassungswidrig, die darauf abzielen, den Untersuchungsgefangenen zum Eingeständnis der ihm vorgeworfenen Verfehlungen zu nötigen.
6.
Im Gegensatz zur Beurteilung der gesetzlichen Grundlage, wo die Kognition von der Schwere der umstrittenen Freiheitsbeschränkung abhängt (
BGE 97 I 51
/2 mit Verweisungen), prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei, ob Eingriffe in die persönliche Freiheit verhältnismässig sind (vgl.
BGE 97 I 52
Erw. 4 b).
Richtet sich die Beschwerde jedoch gegen Freiheitsbeschränkungen, die dem Untersuchungsgefangenen im Interesse der Anstaltsordnung auferlegt werden, so rechtfertigt sich eine gewisse Zurückhaltung, denn der Entscheid hängt wesentlich von den Verhältnissen im betreffenden Gefängnis, insbesondere von den verfügbaren personellen und finanziellen Mitteln ab und wird zudem - wenn auch nur in geringem Masse - von den örtlichen Gebräuchen beeinflusst. Es ist nicht Sache des Verfassungsgerichts, eine einheitliche gesamtschweizerische Gefängnisordnung zu schaffen. Seine Aufgabe ist vielmehr darauf beschränkt, die Untersuchungsgefangenen insoweit vor übermässigen und daher verfassungswidrigen Eingriffen in die Garantie der persönlichen Freiheit zu schützen.
In ähnlicher Weise ist Zurückhaltung geboten, wenn es über die Verhältnismässigkeit von Freiheitsbeschränkungen zu entscheiden gilt, die den Untersuchungsgefangenen mit Rücksicht auf den Zweck der Untersuchungshaft auferlegt werden.
BGE 97 I 839 S. 845
Welche Massnahmen im Einzelfall zulässig sind, hängt ebenfalls wesentlich von der Grösse, Lage und Organisation der betreffenden Anstalt ab. Es rechtfertigt sich daher, den Gefängnisverwaltungen und Aufsichtsbehörden einen gewissen Beurteilungsspielraum zuzugestehen.
7.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das elektrische Licht in den Zellen des Bezirkgsgefängnisses Zürich werde zu früh ausgeschaltet.
§ 32 GefängnisVO setzt das Lichterlöschen auf 20.30 Uhr fest. Diese Ordnung erscheint zwar ziemlich streng, und es mag durchaus zutreffen, dass es einzelnen Gefangenen vorübergehend schwer fällt, sich daran zu gewöhnen. Nach den Ausführungen des Gefängnisverwalters wird sie jedoch tolerant gehandhabt (Beginn der Nachtruhe um 21.30 Uhr), nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass die Gefängnisverordnung insoweit abgeändert werden soll. Unter diesen Umständen kann darin kein Verstoss gegen die Garantie der persönlichen Freiheit erblickt werden, denn die Beschränkung ist nicht unverhältnismässig.
8.
Im Gegensatz zur soeben behandelten Freiheitsbeschränkung, die den Untersuchungsgefangenen ausschliesslich mit Rücksicht auf die Gefängnisordnung auferlegt wird, sind die übrigen, vom Beschwerdeführer als verfassungswidrig gerügten Eingriffe (Verbot des direkten Bezugs einer beliebigen Zeitung; Verbot des Gebrauchs eines eigenen Transistorradios) auch dazu bestimmt, den Zweck der Untersuchungshaft zu gewährleisten.
a) § 48 Abs. 2 GefängnisVO sieht vor, dass die Gefangenen nach einer Haftdauer von einer Woche einmal wöchentlich eine von der Gefängnisverwaltung abonnierte Zeitung oder Zeitschrift beziehen dürfen. Nach den Angaben der Gefängnisverwaltung wird diese Vorschrift im Bezirksgefängnis Zürich in der Weise gehandhabt, dass die im Verlaufe der Woche eintreffenden 144 Zeitungen aller drei Landessprachen jeweils am Samstag gleichmässig auf die vier Stockwerke der Anstalt verteilt werden; im weitern darf jeder Gefangene die Zeitung "Der Sport" verlangen, die während der ganzen Woche in 12 Exemplaren zirkuliert. Ausländer, die keine der drei Landessprachen beherrschen, erhalten einmal wöchentlich Zeitungen, die ihnen von den Angehörigen zugestellt werden.
Gefängnisverwaltung und Bezirksanwaltschaft lehnen es ab, diese Ordnung zu lockern. Sie machen geltend, die Ermächtigung zum direkten Bezug von Zeitungen eigener Wahl, wie sie
BGE 97 I 839 S. 846
vom Beschwerdeführer verlangt werde, gefährde den Zweck der Untersuchungshaft, zumal eine wirksame Kontrolle und Überwachung durch die Gefängnisverwaltung aus sachlichen und personellen Gründen nahezu ausgeschlossen sei. Die Gefahr des Zuspielens geheimer Mitteilungen würde dadurch wesentlich erhöht, was der Kollusion Vorschub leisten würde und geeignet wäre, eine Flucht zu erleichtern. In diesem Zusammenhang sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass es sich beim Bezirksgefängnis Zürich um eine grosse Anstalt handle, in der sich durchschnittlich rund 110 Gefangene aufhielten.
Die angefochtene Ordnung ist reichlich streng und hat für den Untersuchungsgefangenen, der gewohnt ist, am Geschehen in der näheren und weiteren Umgebung Anteil zu nehmen, erhebliche Einschränkungen zur Folge. Anderseits kann nicht bestritten werden, dass eine allzu weitreichende Lockerung den Zweck der Untersuchungshaft ernstlich in Frage stellen und die Kontrolle unverhältnismässig erschweren würde. So erscheint es zum vorneherein ausgeschlossen, Untersuchungsgefangene zum Bezug beliebig vieler Zeitungen freier Wahl zu ermächtigen. Fraglich ist dagegen, ob dem Gefangenen eine einzelne, frei gewählte und von ihm abonnierte Zeitung vorenthalten werden darf. In diesem Zusammenhang fällt in Betracht, dass die Gefahr der Verbreitung geheimer, den Zweck der Untersuchungshaft gefährdender Nachrichten auch in diesem Fall besteht und besonders in grösseren Gefängnissen nicht unterschätzt werden darf. Dazu kommt, dass die vom Beschwerdeführer verlangte Lockerung einen erheblichen Ausbau des Überwachungsdienstes erfordern würde (Durchblättern der eingehenden Zeitungen), was angesichts des heutigen Personalmangels mit grösseren Schwierigkeiten verbunden sein dürfte und aller Voraussicht nach unverhältnismässige finanzielle Aufwendungen des Gemeinwesens mit sich bringen würde, zumal eine Kontrolle nur dann sinnvoll sein könnte, wenn sie qualifizierten und erfahrenen Beamten übertragen würde. Wohl sind auch die privaten Interessen des Untersuchungsgefangenen grundsätzlich schutzwürdig, denn auch dieser ist unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit berechtigt, sich ein bestimmtes Mindestmass an Nachrichten über das Geschehen ausserhalb der Anstalt zu verschaffen. Selbst nach den erwähnten, für schweizerische Gerichte freilich nicht bindenden
BGE 97 I 839 S. 847
"Règles minima pour le traitement des détenus" der Vereinigten Nationen (vgl.
BGE 97 I 54
Erw. 4) ist indessen anerkannt (Ziff. 90), dass dieses Recht mit Rücksicht auf den Zweck der Verhaftung und im Interesse einer vernünftigen Gefängnisordnung beschränkt werden darf. In Würdigung aller Umstände erscheint die dem Beschwerdeführer auferlegte Freiheitsbeschränkung nicht unverhältnismässig. Im Lichte der persönlichen Freiheit hält die angefochtene Regelung des § 48 Abs. 2 GefängnisVO somit vor der Verfassung stand. Sie liegt jedoch an der Grenze des Zulässigen, denn es dürfte sich grundsätzlich wohl ohne wesentliche Gefährdung des Haftzweckes und der Gefängnisordnung rechtfertigen lassen, die von der Gefängnisverwaltung abonnierten Zeitungen und Zeitschriften häufiger als bloss einmal wöchentlich zu verteilen und auf diese Weise den Interessen der Untersuchungsgefangenen vermehrt Rechnung zu tragen. Den Entscheid darüber, ob sich eine solche Lockerung auch im Bezirksgefängnis Zürich durchführen lässt, hat das Bundesgericht jedoch den zuständigen kantonalen Behörden zu überlassen (vgl. oben Erw. 6).
b) Zu prüfen bleibt, ob das gemäss § 49 Abs. 3 GefängnisVO bestehende Verbot eines eigenen Radioempfängers vor der Verfassung standhält. Bezirksanwaltschaft und Gefängnisverwaltung begründen diese Freiheitsbeschränkung übereinstimmend damit, die Zulassung solcher Geräte verursache übermässigen Lärm und störe dadurch die Hausordnung; ferner könnten die Apparate in einer den Haftzweck gefährdenden Weise verwendet werden.
Wie die Anklagekammer des Bundesgerichts im Urteil i.S. Frauenknecht (
BGE 96 IV 45
ff.) erkannt hat, schliesst eine vernünftige Gefängnisordnung die Zulassung privater Radioempfänger nicht zum vorneherein aus, sofern die Gefangenen Kopfhörer verwenden. Die entsprechenden Erwägungen treffen sinngemäss auch auf den vorliegenden Fall zu, so dass an dieser Stelle darauf verwiesen werden kann. Würde das angefochtene generelle Verbot bloss mit der Gefährdung der Hausordnung begründet, so hielte es daher vor der Verfassung nicht stand, denn es wäre diesfalls offensichtlich unverhältnismässig. Bezirksanwaltschaft und Gefängnisverwaltung weisen jedoch nachdrücklich auf die Gefahren eines Missbrauchs hin. Sie bringen vor, solche Geräte eigneten sich vorzüglich als Versteck
BGE 97 I 839 S. 848
für Ausbruchswerkzeuge (kleine Sägen, Feilen u.a.m.), könnten unter Umständen zum unbefugten Abhören von nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Sendungen verwendet werden und ohne grossen Aufwand auch von einem Nichtfachmann in einen kleinen Sender umgebaut werden. Selbst strengste Sicherheitsvorkehren und Kontrollen vermöchten solche Missbräuche nicht zu verhindern, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft ohne weiteres ein generelles Verbot rechtfertige. Die Untersuchungsgefangenen würden dadurch in ihrer persönlichen Freiheit nicht übermässig eingeschränkt, denn im Bezirksgefängnis Zürich bestehe eine Lautsprecheranlage, die an Sonntagen während ungefähr 4 Stunden und am Montag- und Donnerstagabend während je ungefähr 2 Stunden in Betrieb genommen werde und den Gefangenen seelsorgerische und unterhaltende Sendungen vermittle.
Die von den kantonalen Behörden vorgebrachten Gründe reichen in der Tat aus, um den angefochtenen Eingriff in die persönliche Freiheit als verhältnismässig und daher zulässig erscheinen zu lassen. Erkundigungen bei den schweizerischen PTT-Betrieben haben nämlich ergeben,
- dass mit gewöhnlichen, tragbaren Radio- und Fernsehgeräten unter bestimmten Bedingungen und in beschränktem Umfang Sendungen empfangen werden können, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind oder in gesetzwidriger Weise von Privaten ausgestrahlt werden,
- dass Geräte im Handel sind, die sich besonders gut zum Empfang solcher Sendungen eignen oder eigens dafür eingerichtet sind,
- dass auch gewöhnliche Empfangsgeräte mittels leicht vorzunehmender und schwer feststellbarer Änderungen zum Empfang solcher Sendungen umgebaut werden können,
- dass in solche Apparate mit verhältnismässig geringem Aufwand kleine Sender mit beschränkter Reichweite eingebaut werden können und dass derartige Abänderungen auch von Fachleuten nur anlässlich einer eingehenden Überprüfung des Geräts festgestellt werden können.
Unter diesen Umständen erscheint es durchaus verständlich und sachgemäss, wenn in kantonalen Gefängnisverordnungen die Benutzung von privaten Radioempfängern ausdrücklich
BGE 97 I 839 S. 849
untersagt wird, um den Zweck der Untersuchungshaft zu gewährleisten. Auch für diese Freiheitsbeschränkung bestehen mithin ausreichende öffentliche Interessen, welche gegenüber den privaten Interessen der Untersuchungsgefangenen überwiegen, so dass darin kein unzulässiger Eingriff in die Garantie der persönlichen Freiheit erblickt werden kann. Was die angefochtene Regelung für das Bezirksgefängnis Zürich anbelangt, so erscheint sie umso eher mit der Verfassung vereinbar, als die Untersuchungsgefangenen über die hauseigene Lautsprecheranlage ausgewählte Radiosendungen anhören können. Immerhin wäre es wünschenswert, wenn den Gefangenen vermehrt Gelegenheit zum Empfang solcher Programme gegeben würde, ist doch nicht ohne weiteres einzusehen, welche Unzukömmlichkeiten sich daraus ergeben könnten. Da jedoch das allein angefochtene generelle Verbot privater Radioempfänger nicht gegen die Verfassung verstösst und dem Vernehmen nach Reformbestrebungen im soeben angeregten Sinne im Gange sind, besteht für das Bundesgericht als Verfassungsgericht kein Grund zum Einschreiten.
Aus dem Entscheid i.S. Frauenknecht (
BGE 96 IV 45
ff.) vermag der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten abzuleiten, denn die Anklagekammer des Bundesgerichts hatte damals als Aufsichtsbehörde eine Haftbeschwerde eines auch hinsichtlich des Haftvollzugs unmittelbar dem Bundesrecht unterstehenden Untersuchungsgefangenen zu beurteilen und schenkte den oben erörterten technischen Belangen keine besondere Beachtung, nicht zuletzt weil sie darauf weder von der Bundesanwaltschaft noch vom eidgenössischen Untersuchungsrichter aufmerksam gemacht worden war.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ce9c02d5-c9de-42e0-86c2-e2641edf8a55 | Urteilskopf
113 Ib 276
43. Sentenza del 28 gennaio 1987 della I Corte di diritto pubblico nella causa X. c. Ufficio federale di polizia (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Europäisches Auslieferungs-Übereinkommen (EAUe), Rechtshilfegesetz (IRSG). Überprüfung des Alibis.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde und Kognition des Bundesgerichts (E. 1).
2. Prüfung des Alibibeweises unter der Herrschaft des aufgehobenen Auslieferungsgesetzes vom 22. Januar 1892; Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 3a).
3. Auslegung des
Art. 53 IRSG
im Lichte der Gesetzesmaterialien. Der Begriff des Alibis ist im herkömmlichen Sinn zu verstehen, nämlich als Beweis, dass sich der Verfolgte im Zeitpunkt der Tat, für die die Auslieferung nachgesucht wird, nicht am Ort der Tatbegehung aufgehalten hat: der Begriff lässt sich nicht auf jeden Beweis der Nicht-Schuld des Auszuliefernden ausdehnen (E. 3b).
4.Übereinstimmung des
Art. 53 IRSG
mit dem EAUe insbesondere mit seinem Art. 1, der den Grundsatz der Auslieferungspflicht aufstellt (E. 3c).
5. Im konkreten Fall Anwendung von
Art. 53 Abs. 2 Satz 2 IRSG
, da das vom Verfolgten behauptete Alibi weder klar noch eindeutig ist (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 277
BGE 113 Ib 276 S. 277
In data 5 giugno 1986 l'Ambasciata d'Italia a Berna ha chiesto l'estradizione del cittadino italiano M. X., detenuto a Lugano, per i fatti posti alla base del mandato di cattura n. 44/86 R.M.C. emesso l'11 marzo 1986 dal Giudice istruttore del Tribunale di Fermo. X. s'è opposto all'estradizione invocando un alibi.
L'Ufficio federale di polizia (UFP) ha accolto la domanda con decisione del 22 agosto 1986, che il perseguito ha tempestivamente impugnato con ricorso di diritto amministrativo: egli ha chiesto che il Tribunale federale l'annulli e, in via principale, rifiuti l'estradizione; in via subordinata, che faccia obbligo all'UFP di comunicare allo Stato richiedente le prove a discarico, invitandolo a dichiarare se intende mantenere la domanda, in applicazione dell'art. 53 cpv. 2, frase 2 AIMP.
L'UFP ha concluso per la reiezione integrale del gravame.
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
Ai rapporti italo-svizzeri in materia di estradizione sono applicabili la CEEstr e, in via sussidiaria, nella misura in cui non contrasti con la lettera o lo spirito della Convenzione, l'AIMP (
DTF 109 Ib 62
/63). Colpito dalla decisione, X. ha indubbiamente qualità (
art. 103 lett. a OG
) per impugnarla col ricorso di diritto amministrativo previsto dagli art. 25 cpv. 1 e 55 cpv. 3 AIMP, per cui il gravame - tempestivo - è ricevibile in linea di principio. Su di esso il Tribunale federale giudica senza esser vincolato dalle conclusioni delle parti (
art. 25 cpv. 6 AIMP
), il che significa che, nel quadro dell'oggetto del litigio, esso
BGE 113 Ib 276 S. 278
può procedere anche ad una reformatio in pejus sive in melius (
DTF 112 Ib 585
/86 consid. 3; cfr., sotto il dominio della cessata LEstr del 1892:
DTF 100 Ia 410
consid. 1c/d, 99 Ia 554 consid. 2, 97 I 375 consid. 1, 95 I 467 consid. 5).
2.
a) Come evincesi dal mandato di cattura e dalla relazione che l'accompagna, l'autorità italiana imputa a X. la partecipazione (concorso, art. 110 CPI) ad una tentata rapina commessa a Fermo (Marche, provincia di Ascoli Piceno) il 26 settembre 1985 da G.F. e P.F. - nel frattempo arrestati - e da un terzo individuo ai danni dei coniugi R.-I. nell'abitazione stessa delle vittime. Dall'esposto dei fatti, non è chiaro se gli inquirenti italiani ritengano che X. abbia direttamente partecipato alla rapina commessa il 26 settembre 1985 (egli sarebbe in tal caso il terzo protagonista del fatto, non identificato), oppure se l'autorità italiana considera il ricorrente implicato già solo per aver partecipato - come essa afferma - il 23 settembre 1985, verso le ore 18.00, ad un sopralluogo preparatorio insieme con un secondo individuo. Certo è che, secondo la descrizione dei fatti, l'autorità italiana considera che X. sia stato presente a questo sopralluogo, perché una testimone l'avrebbe identificato come uno dei due protagonisti, sulla base di una documentazione fotografica sottopostale. È appena il caso di ricordare qui che il diritto italiano, a differenza di quello svizzero, non conosce più, per quanto concerne la compartecipazione di persone nel reato, la distinzione fra correità, istigazione e complicità (cfr.
DTF 112 Ib 227
/28 consid. 3,
DTF 101 Ia 63
), per cui il concorso potrebbe a ragione esser dedotto anche dalla semplice preparazione del preventivo sopralluogo. Aggiunge l'autorità italiana che la vettura, a bordo della quale il 23 settembre 1985 i due individui si sono allontanati, risulta appartenere a tale M.B., già convivente prima della latitanza con il ricercato stesso e cognata di G.F., uno degli accertati autori diretti della rapina. Inoltre, secondo la domanda, relazioni di conoscenza, anzi d'amicizia sarebbero sussistite tra il ricorrente e gli altri due autori.
b) È pacifico che all'epoca determinante X. si spacciava, usando documenti di legittimazione falsi, per tale Oreste G.: la circostanza è confermata dalla condanna a 15 giorni di detenzione da lui subita in Svizzera in virtù di un decreto d'accusa 23 maggio 1986 del Sostituto Procuratore pubblico sottocenerino, per essersi egli legittimato con carte false a partire dal settembre 1985 presso le autorità doganali e di polizia svizzere. Ora, A., a quel tempo titolare di un studio di architettura
BGE 113 Ib 276 S. 279
a Lugano, ha reso una dichiarazione giurata davanti al notaio S., secondo cui egli avrebbe fatto la conoscenza verso il 15 settembre 1985 a Breganzona di un certo Oreste, che si interessava per trovare finanziatori di un brevetto di macchina scioglineve, e l'avrebbe a tal fine indirizzato all'arch. Y. Inoltre, l'arch. Y. ha rilasciato il 24 luglio 1986 davanti al notaio L. una dichiarazione giurata, secondo la quale, a seguito della presentazione fattagli da A. il 16 o 17 settembre 1985, egli avrebbe avuto con Oreste G. - alias X. - numerosi lunghi colloqui per motivi d'affari nel suo studio di Massagno il 20 settembre, il 23 settembre (ore 10.00), il 25 settembre (ore 16.00), il 26 settembre (ore 10.30), il 27 settembre (ore 15.00) e il 30 settembre (ore 11.30), nonché altri numerosi incontri nei mesi di ottobre e di gennaio, febbraio e marzo 1986. Il ricercato ha infine prodotto dichiarazione giurata di F.B., cittadina italiana residente a Ronago (Como), un paese vicino alla frontiera a Novazzano, attestante di aver alloggiato l'"Oreste" dal 3/4 settembre 1985 sino all'1/2 ottobre 1985; la teste ha confermato che, nella notte del 26 settembre 1985, l'"Oreste" era in casa.
Da questa documentazione, il ricercato ha dedotto davanti all'UFP - come sostiene oggi davanti al Tribunale federale - esser raggiunta la prova che, contrariamente all'asserzione dell'autorità italiana, egli non poteva trovarsi a Fermo né il giorno 23 settembre né il 26 successivo, onde l'identificazione fotografica, sulla scorta della quale codesta autorità ha principalmente fondato l'imputazione di partecipazione agli atti delittuosi commessi dai due autori materiali della rapina, non potrebbe esser esatta, ed egli dovrebbe esser posto al beneficio dell'alibi previsto dall'
art. 53 AIMP
.
c) Nella decisione impugnata, pronunciandosi su questa obiezione, l'UFP ha rilevato innanzitutto che non ci si trova in presenza di un caso palese, legittimante senz'altro il rifiuto dell'estradizione (art. 53 cpv. 2, frase 1 AIMP). Ha poi aggiunto che, per espressa richiesta del precedente difensore del ricercato, la dichiarazione resa da F.B. - che temerebbe di esser accusata in Italia di infrazioni doganali - non può esser comunicata all'autorità italiana, e ne ha concluso che, facendo astrazione da tale dichiarazione, l'alibi per la giornata del 26 settembre 1985 si sgretola e perde ogni significato, non senza rilevare che - oltretutto - si porrebbe il "problema dell'inchiesta relativa ad una persona - F.B. - che fa dichiarazioni in siffatte circostanze". Per quanto poi
BGE 113 Ib 276 S. 280
riguarda l'alibi del 23 settembre 1985 - aggiunge l'UFP - va notato che è senz'altro possibile recarsi "da Lugano a Roma in 6/7 ore" e che "da Chiasso a Porta S. Giorgio (casello autostradale) vi sono circa 600 km: Porta S. Giorgio dista da Fermo 10 km".
A questo ultimo riguardo va subito rilevato che la decisione dell'UFP può dar luogo ad equivoco. La distanza fra Lugano e Roma, rispettivamente il tempo necessario per la percorrenza, sono affatto inconferenti, poiché la città di Fermo si trova sul versante adriatico, a sud di Ancona, sicché chi la volesse raggiungere da Lugano percorrerebbe, lasciando l'autostrada del sole a Bologna, l'autostrada A 14 Adriatica. Per contro è esatto che tra il casello d'uscita di Porto (e non "Porta") S. Giorgio sull'Adriatica e Fermo vi sono ca 10 km. Queste imperfezioni della decisione sono per finire irrilevanti, poiché è esatto che tra Lugano e Fermo intercorre una distanza di ca 600 km.
d) Nel gravame il ricercato ribadisce le ragioni già invocate davanti all'UFP. Egli rileva, per quanto riguarda il furto dell'arma con la quale è stata commessa la rapina, avvenuto il 1o dicembre 1985, che egli non può avervi partecipato, essendo a quell'epoca detenuto in Italia; quanto ai fatti di Fermo, ribadisce di essersi trovato in Svizzera, rispettivamente a Ronago, presso la frontiera svizzera, cioè a oltre 600 km di distanza dal luogo di commissione.
3.
a) Per costante giurisprudenza, il Tribunale federale si considera vincolato dalla descrizione dei fatti contenuta nella domanda d'estradizione e nella documentazione allegata, a meno che essa sia manifestamente inesatta o contenga lacune o contraddizioni (
DTF 109 Ib 324
consid. 11b,
DTF 107 Ib 254
consid. 2b/aa, 267 consid. 3a): l'esame della colpevolezza è per principio riservato al giudice straniero del merito, non a quello svizzero dell'estradizione o - in genere - dell'assistenza. Sotto l'impero della cessata legge d'estradizione del 22 gennaio 1892, che non conteneva alcuna disposizione particolare concernente l'alibi, il Tribunale federale ha costantemente rifiutato di entrare nel merito di tale obiezione sollevata dal ricercato. In
DTF 92 I 114
/15 (caso Kroeger), esso si è tuttavia posto - lasciandola aperta - la domanda di sapere se la questione della colpevolezza non dovesse esser esaminata dal giudice dell'estradizione, almeno allorquando un alibi allegato dal ricercato fosse agevolmente e sicuramente controllabile, così come d'altronde già soleva fare la Divisione federale di polizia (cfr. rapporto di gestione del Consiglio federale, ediz. ted., 1920 pag. 305 n. 13, 1925 pag. 264 n. 8,
BGE 113 Ib 276 S. 281
1926 pag. 267 n. 13) e come veniva auspicato dalla dottrina svizzera, con riferimento anche alla soluzione mediana adottata a tal riguardo nel diritto austriaco (SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, pag. 202 e note 223/224, pag. 234; SCHEIM/MARKEES, SJK n. 755 pag. 10 n. 4c; PFENNINGER, Ein Typus-Auslieferungsvertrag, RDS 54/1935 pag. 95 segg.). In
DTF 95 I 467
/68 (caso Della Savia), il Tribunale federale ha nuovamente rifiutato di riesaminare la sua giurisprudenza concernente l'alibi con l'argomento che - anche per i fautori di una modificazione - occorreva che il prevenuto fosse in grado di dimostrare immediatamente e direttamente l'impossibilità che egli fosse l'autore materiale dell'atto, ciò che in casu - trattandosi della deposizione a discarico fatta da una coimputata - non si verificava (in senso analogo la sentenza Castori del 19 marzo 1975, consid. 4 non pubblicato in DTF
DTF 101 Ia 60
segg., con conferma in
DTF 101 Ia 424
consid. 5). In
DTF 101 Ia 611
/12 (caso Schlegel), il problema dell'eventuale verifica dell'alibi fu lasciato nuovamente aperto, stavolta con la motivazione che il ricercato doveva comunque venir estradato in ogni caso per altri fatti, onde l'esame era inutile. Nella sentenza Federici (
DTF 109 Ib 63
/64 consid. 5a), emanata dopo l'entrata in vigore dell'AIMP, la questione della portata dell'art. 53 della novella fu ancora evitata, poiché nel frattempo le stesse autorità dello Stato richiedente avevano lasciato cadere la relativa accusa.
b) Nel progetto del Consiglio federale dell'8 marzo 1976 relativo all'AIMP, l'art. 48 cpv. 1 prevedeva soltanto che, se il perseguito affermava di poter provare che, al momento del fatto, non si trovava nel luogo di commissione, la Divisione di polizia poteva ordinare indagini. Il capoverso secondo del progetto era già identico all'attuale art. 53 cpv. 2 della legge. Nel messaggio il Consiglio federale si limitava lapidariamente a rilevare che il fatto che un alibi univoco importasse il rifiuto dell'estradizione era nuovo e che in tal modo si colmava una lacuna urtante nella legislazione vigente (FF 1976 II pag. 481); nessuna allusione veniva fatta invece alla seconda frase del capoverso 2 di questo disposto. Maggiori lumi, a parte l'accenno alla lacuna urtante del diritto da novellare, non si traggono neppure dal rapporto 22 dicembre 1972 della Commissione d'esperti, chiamata a pronunciarsi sull'avamprogetto elaborato nel 1968 dalla Divisione federale di polizia (ivi, pag. 115). Commentando il disegno di legge il disegno di legge del Consiglio federale, SCHULTZ
BGE 113 Ib 276 S. 282
rileva comunque espressamente che con l'art. 48 cpv. 1 (ora 53) "wird der von der Praxis zugelassene Alibibeweis ausdrücklich anerkannt und das Bundesamt mit den erforderlichen Abklärungen betraut. Ist die Angelegenheit nicht so eindeutig, dass einzig die Ablehnung der Auslieferung in Frage kommt, so wird der ersuchende Staat aufgefordert, in kurzer Frist zu erklären, ob er das Ersuchen aufrechthält" (Das neue Schweizer Recht der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, SJZ 77/1981 pag. 96).
Nel corso dei dibattiti parlamentari, quella che secondo il progetto era semplicemente una facoltà dell'UFP fu trasformata, attraverso l'adozione della dizione "... l'Ufficio federale procede ai chiarimenti necessari" ("... nimmt die gebotenen Abklärungen vor"; "... procède aux vérifications nécessaires") in un'imposizione (cfr. Boll.uff. CN 1979 pag. 851; CSt 1980 pag. 218; inoltre sentenze 5 marzo 1986 in re Ursino e 13 dicembre 1986 in re Gameiro; MARKEES, SJK n. 422a pagg. 15/16). Dal testo della legge e dai lavori legislativi che la confortano, nonché dalla dottrina che si è riferita sopra, risulta con chiarezza che il legislatore - rompendo con le esitazioni della giurisprudenza citata, che si era sempre limitata ad evocare il problema senza fornire una risposta, se non generica - ha voluto innovare, stabilendo precisi obblighi a carico dell'autorità amministrativa, prima, e di quella giudiziaria, poi. Ciò è stato del resto riconosciuto nella sentenza Gelli del 19 agosto 1983 (
DTF 109 Ib 325
consid. 11b) e nella sentenza Bufano, Bosch de Sanchez-Reisse e Martinez del 21 maggio 1986 (
DTF 112 Ib 220
consid. 5b), dove il Tribunale federale ha esposto che l'
art. 53 AIMP
costituisce un'innovazione introdotta dal legislatore, avendo cura di precisare subito che, come risulta più chiaramente dai testi tedesco e italiano della legge piuttosto che da quello francese, il termine di "alibi" deve intendersi nel suo senso classico, cioè di prova che al momento del fatto la persona perseguita - contrariamente a quanto assume la domanda d'estradizione - non si trovava nel luogo di commissione del reato, e non può invece esser esteso ad ogni prova di non colpevolezza del ricercato, ciò che evidentemente restringe la portata di applicazione a casi ben precisi, in cui la presenza della persona sul luogo del reato è premessa fattuale necessaria dell'imputazione. La soluzione adottata per finire dal legislatore svizzero presenta analogie con la regola più generica introdotta nella recente legge austriaca d'estradizione e assistenza
BGE 113 Ib 276 S. 283
giudiziaria del 4 dicembre 1979 (BGBl 1979 n. 529 pag. 2551 segg.), secondo la quale (§ 31 cpv. 1) "ob die auszuliefernde Person der ihr zur Last gelegten strafbaren Handlung nach den Auslieferungsunterlagen hinreichend verdächtig ist, ist nur zu prüfen, wenn insoweit erhebliche Bedenken bestehen, insbesondere wenn Beweise vorliegen oder angeboten werden, durch die der Verdacht ohne Verzug entkräftet werden könnte".
c) Vero è che, in virtù dell'
art. 1 CEEstr
, la Svizzera in quanto Stato richiesto ha l'obbligo di concedere l'estradizione allorché le relative condizioni sono adempiute ed è prodotta la documentazione prescritta dall'art. 12 (sentenza 14 giugno 1985 in re Boccardi, consid. 6). Ciò non significa tuttavia che l'
art. 53 AIMP
non sia compatibile con la Convenzione e contrasti in modo particolare con l'obbligo di estradare da essa previsto.
Innanzitutto, dev'essere premesso che la Convenzione non vieta alle autorità dello Stato richiesto di verificare un alibi e di controllare in modo più generale le prove d'innocenza fornite dal ricercato. D'altra parte, se questi produce un alibi nel senso appena descritto, le autorità svizzere possono inferirne che il mandato di cattura e l'esposizione dei fatti allegati alla domanda contengono un errore e che esse non sono più tenute in tal modo a considerarsi vincolate da questi documenti (supra, consid. 3a). Ora, se l'alibi è evidente ed univoco, l'estradizione dev'essere negata già in virtù di un principio generale del diritto estradizionale, da tempo invalso, secondo cui non può prestarsi aiuto al perseguimento e alla consegna di persone manifestamente innocenti, che sono cioè del tutto estranee all'atto incriminato (
DTF 103 Ia 629
consid. 4; sentenze 27 aprile 1977 in re Fioroni, Prampolini e Cazzaniga, consid. 4, 12 ottobre 1979 in re Bruno, consid. 4, 21 dicembre 1979 in re Tetteroo, consid. 3a, 29 febbraio 1980 in re Groppelli, consid. 4). Ne consegue che l'art. 53 cpv. 2, prima frase AIMP - che consente di rifiutare l'estradizione nei casi palesi - si rivela compatibile con il testo e lo spirito della Convenzione e risponde anzi ad un principio fondamentale del diritto internazionale. Né contrasta con la Convenzione la seconda frase dello stesso disposto, che obbliga la Svizzera a comunicare alla Parte richiedente le prove a discarico prodotte dal ricercato allorché l'alibi da questi invocato non è chiaro ed univoco: come lo Stato richiesto può domandare allo Stato richiedente un complemento d'informazioni (
art. 13 CEEstr
), così esso può anche sottoporgli codesti mezzi di prova, offrendogli la possibilità di recedere eventualmente dalla domanda e di risparmiare quindi al perseguito i disagi
BGE 113 Ib 276 S. 284
dell'estradizione. Con questo sistema la Svizzera non vien meno agli impegni internazionali assunti, né pregiudica gli obiettivi perseguiti dagli Stati contraenti con la ratifica della Convenzione.
4.
a) Nel caso in esame si desume dalla domanda italiana che, dal punto di vista fattuale, le autorità inquirenti attribuiscono alla controversa presenza del ricercato al sopralluogo preparatorio del 23 settembre 1985 un'importanza fondamentale ai fini dell'imputazione, mentre le altre allegazioni (pretesa relazione con M.B., conoscenza degli altri protagonisti) non costituiscono che argomenti aggiuntivi di secondario rilievo. Si deve quindi riconoscere che, in linea di principio, si è in presenza di un caso in cui l'alibi, nel preciso senso di non presenza sul luogo di commissione, entra in considerazione e l'
art. 53 AIMP
è di conseguenza applicabile.
Ciò premesso, dev'essere aggiunto che, dal profilo formale, le tre dichiarazioni giurate prodotte tempestivamente dal ricercato non prestano il fianco alla critica (cfr. art. 85 segg. della legge ticinese sul notariato del 23 febbraio 1983): esse sono state fatte in Svizzera davanti ad un pubblico ufficiale ed i testi risultano dall'atto notarile essere stati resi attenti sull'obbligo di dire la verità e sulle conseguenze di una falsa testimonianza. In queste circostanze l'UFP non era neppure tenuto a procedere ad ulteriori accertamenti secondo l'
art. 53 cpv. 1 AIMP
, anche se nulla gli impediva comunque di far sentire i testi, sull'oggetto delle loro dichiarazioni, dalla competente autorità giudiziaria ticinese.
La questione di sapere se - come pretende l'UFP, contrariamente a quanto il ricorrente assevera - fosse stato formalmente richiesto all'Ufficio di non utilizzare nei confronti dell'autorità italiana la dichiarazione della teste F.B. non ha bisogno di esser risolta: determinante è che questa dichiarazione si trova in atti, e che al ricorrente non può esser inibito di invocarla, così come non gli potrà esser vietato di invocarla in Italia, ove fosse estradato. D'altronde, contrariamente alla tesi dell'UFP, non è nemmeno esatto che - facendo astrazione dalla deposizione di F.B. - l'alibi invocato per la giornata del 26 settembre (giorno della rapina) perda ogni consistenza: l'UFP omette infatti di considerare che dalla dichiarazione giurata dell'arch. Y. risulta che il ricercato sarebbe stato a Lugano non solo nella tarda mattinata del 26 settembre 1985, ma anche nel primo pomeriggio del giorno successivo.
BGE 113 Ib 276 S. 285
b) Fatte queste considerazioni, va tuttavia concluso che non si è in presenza di un caso palese ai sensi dell'art. 53 cpv. 2, frase 1 AIMP, che legittimi puramente e semplicemente il rifiuto dell'estradizione.
A voler prestar fede alle testimonianze relative alla giornata del 26 settembre, quella di F.B. inclusa, si dovrebbe invero escludere che il ricercato si sia trovato a Fermo il giorno 26 settembre; facendo astrazione dalla dichiarazione di F.B. relativa al pernottamento a Ronago (la teste non spiega per quale preciso motivo si ricordi proprio della notte del 26), la possibilità per X. di esser stato a Fermo non può esser esclusa in modo categorico, ma appare comunque altamente dubbia. Questa questione non ha tuttavia bisogno d'esser risolta, poiché nella domanda italiana - determinante ai fini del giudizio - non è chiaramente affermata la presenza di X. a Fermo il 26 settembre, né la sua partecipazione diretta alla rapina, e quindi un alibi per tal giorno può anche non esser ritenuto indispensabile. Sulla scorta della domanda italiana, essenziale è invece l'affermata presenza di X. al sopralluogo preparatorio del 23 settembre, alle ore 18.00. A questo proposito, l'opinione dell'UFP per cui non può escludersi tassativamente che il ricercato, finito il colloquio con l'arch. Y. iniziato alle 10.00 a Massagno, abbia potuto recarsi a Fermo per le ore 18.00 ed esser rientrato a Lugano per il successivo 24, giorno in cui ebbe nel pomeriggio (ore 16.00) un nuovo incontro con Y. a Massagno, può esser condivisa in relazione alle distanze da percorrere (2 volte 600 km) e all'agibilità dell'autostrada. Se ne deve concludere che l'UFP, in esercizio corretto dell'apprezzamento che gli compete (cfr.
DTF 107 Ib 257
consid. 2b/bb in fine), poteva senza violare il diritto federale escludere il "caso palese" previsto dall'art. 53 cpv. 2, frase 1 AIMP, che solo legittima il rifiuto puro e semplice dell'estradizione: ciò porta alla reiezione della domanda principale formulata dal ricorrente.
c) Per contro, il gravame appare fondato nella sua domanda subordinata.
Non può esser seriamente contestato che gli elementi a discarico prodotti dal ricorrente fanno perlomeno apparire dubbio ch'egli abbia effettivamente partecipato al sopralluogo del 23 settembre 1985 su cui essenzialmente poggia l'imputazione formulata dall'autorità italiana. A ciò si aggiunga che, secondo l'esposto dei fatti determinante, X. non sembra esser stato direttamente riconosciuto da una testimone che lo conoscesse personalmente, bensì individuato da detta testimone sulla base
BGE 113 Ib 276 S. 286
base di una documentazione fotografica sottopostale dagli inquirenti: ora, è notorio che il possibile margine d'errore di tali identificazioni, rispettivamente la loro incertezza, sono più elevati che in caso di riconoscimento diretto di persona nota. L'Ufficio non poteva pertanto, senza esorbitare dal margine di apprezzamento che gli compete, denegare implicitamente alle prove a discarico prodotte ogni apprezzabile rilievo: solo se ciò fosse stato il caso, l'Ufficio poteva procedere senz'altro all'estradizione. Nel caso in esame, in presenza di prove a discarico rilevanti concernenti un alibi in senso tecnico del termine, l'art. 53 cpv. 2, frase 2 AIMP gli faceva obbligo invece di comunicare all'autorità italiana tali prove, invitandola a dichiarare entro breve termine se intendesse mantenere la domanda. Il testo chiaro della disposizione non consente altra interpretazione, e quella data (implicitamente) dall'UFP a tale norma non può esser ammessa, poiché condurrebbe ad un risultato che il legislatore non ha manifestamente voluto. In effetti, non si vedrebbe quale portata pratica il disposto dell'art. 53 cpv. 2, frase 2 ancora potrebbe conservare, se ci si rifiutasse di applicarlo in un caso come quello controverso. Il legislatore ha manifestamente voluto, in casi del genere, offrire una "chance" al ricercato, rispettivamente creare le premesse per consentire all'autorità richiedente di riesaminare alla luce delle nuove risultanze la propria presa di posizione, evitando eventualmente inutili durezze connesse con l'arresto estradizionale e la consegna (SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, pag. 202). Certo, non spetta all'autorità svizzera dell'estradizione, in questi casi, di decidere al posto dell'autorità italiana, né di sindacarne la successiva presa di posizione: tuttavia, il diritto interno svizzero - compatibile in tal punto con il testo e lo spirito della Convenzione (supra, consid. 3c) - fa obbligo all'autorità dello Stato richiesto di interpellare nuovamente, con assegno di termine, quella della Parte richiedente.
Ne discende che la domanda subordinata del ricorso dev'essere accolta e che la decisione impugnata dev'essere annullata. Dopo aver vagliato eventualmente l'opportunità di far risentire i testi residenti in Svizzera dal competente magistrato ticinese, l'UFP dovrà quindi far luogo alla procedura stabilita dall'art. 53 cpv. 2, seconda frase AIMP e dovrà poi emanare una nuova decisione in base all'attitudine dell'autorità richiedente.
5.
Visto l'esito parzialmente positivo del gravame, si può rinunciare al prelevamento di spese e tassa di giustizia; il ricorrente
BGE 113 Ib 276 S. 287
- che s'è fatto assistere da un avvocato - ha diritto ad una corresponsione di ripetibili ridotte (
art. 159 OG
).
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
La domanda principale del ricorso di diritto amministrativo è respinta; quella subordinata è accolta e la decisione impugnata è annullata.
Gli atti sono ritornati all'Ufficio federale di polizia affinché, ai sensi dei considerandi, faccia luogo alla procedura prevista dall'art. 53 cpv. 2, frase 2 della legge federale sull'assistenza internazionale in materia penale. | public_law | nan | it | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ce9e0ee1-d201-46d2-9939-5687e126c7e3 | Urteilskopf
119 III 70
19. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 5. Mai 1993 i.S. X. (Rekurs) | Regeste
Lohnpfändung (
Art. 93 SchKG
,
Art. 19 SchKG
,
Art. 79 Abs. 1 OG
und
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
).
1. Der Schuldner ist gegenüber dem Betreibungsamt zur Mitwirkung bei der von Amtes wegen zu erfolgenden Feststellung seines Existenzminimums verpflichtet, womit er allfällige Beweismittel bereits anlässlich der Pfändung und nicht erst vor Bundesgericht anzugeben hat (E. 1).
2. Mit dem Rekurs nach
Art. 19 SchKG
kann einzig die Missachtung von Bundesrecht mit Einschluss von Staatsverträgen des Bundes vorgebracht werden; die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist hingegen mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen (E. 2).
3. Bei der Berechnung des Existenzminimums können die Kosten für die Privatschule der Kinder nicht und die Wohnkosten des Schuldners nur entsprechend seiner familiären Situation und den ortsüblichen Ansätzen berücksichtigt werden; in beiden Fällen ist dem Schuldner der zur Anpassung dieser Auslagen angemessene Zeitraum zuzugestehen (E. 3a-d). | Sachverhalt
ab Seite 71
BGE 119 III 70 S. 71
Nachdem das Betreibungsamt Basel-Stadt am 16. Oktober 1992 für die Pfändungsgruppe Nr. ... bei X. von seinem Einkommen Fr. 890.-- pro Monat für die Zeit vom 1. Juli bis 15. Oktober 1993 gepfändet hatte, prüfte es dessen Existenzminimum am 4. Januar 1993 erneut und setzte den pfändbaren Lohnanteil ab diesem Zeitpunkt bis zum 1. Juli 1993 auf Fr. 310.-- und anschliessend auf Fr. 1'050.-- pro Monat fest. Am 4. Januar 1993 pfändete das Betreibungsamt Basel-Stadt für die Pfändungsgruppe Nr. ... das Einkommen von X. in der gleichen Höhe für die Dauer eines Jahres, bis zum 15. Oktober 1993 jedoch nur einen allfälligen Überschuss vorangehender Pfändungen.
Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt wies die gegen die Berechnung des Existenzminimums bei ihr erhobene Beschwerde am 23. März 1993 ab.
X. hat sich mit Rekurs vom 5. April 1993 an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gewandt. Er verlangt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Sache an die kantonale Aufsichtsbehörde zur Neubeurteilung, eventualiter die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und der Lohnpfändungen vom 4. Januar 1993 und vom 16. Oktober 1992 sowie die Feststellung, dass er fortan keiner Lohnpfändung unterliege.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Betreibungsbeamte hat die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Ermittlung des pfändbaren Erwerbseinkommens nötig sind, von Amtes wegen abzuklären. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner hier von jeder Mitwirkungspflicht befreit ist. Es obliegt
BGE 119 III 70 S. 72
ihm im Gegenteil, die Behörde über die wesentlichen Tatsachen zu unterrichten und die ihm zugänglichen Beweise anzugeben (
BGE 112 III 80
E. 2;
BGE 112 III 21
E. 2d); dies hat bereits anlässlich der Pfändung und nicht erst im anschliessenden Beschwerdeverfahren zu geschehen, wie der Rekurrent sich dies anscheinend vorstellt. Soweit die kantonalen Behörden den massgeblichen Sachverhalt genügend abgeklärt und für das Bundesgericht verbindlich festgestellt haben, besteht kein Grund, die Angelegenheit zur Vervollständigung des Sachverhaltes an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen, noch ist dem Rekurrenten Gelegenheit zu geben, das von ihm erst vor Bundesgericht angebotene schulpsychologische Gutachten beizubringen (
Art. 79 Abs. 1 OG
).
2.
Mit dem Rekurs nach
Art. 19 SchKG
kann einzig geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf einer Verletzung von Bundesrecht mit Einschluss von Staatsverträgen des Bundes; wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte des Bürgers bleibt die staatsrechtliche Beschwerde vorbehalten (
BGE 114 III 89
E. 2a;
BGE 107 III 12
E. 1). Soweit im vorliegenden Verfahren die Verletzung des Willkürverbotes, des Verbotes des überspitzten Formalismus, des rechtlichen Gehörs und des Grundrechtes der persönlichen Freiheit geltend gemacht wird, ist auf die entsprechenden Vorbringen nicht einzutreten.
3.
Anlass zum Rekurs gibt die Berechnung des Existenzminimums, soweit der Betreibungsbeamte dabei die monatlichen Auslagen von Fr. 891.-- für den Besuch der Rudolf-Steiner-Schule durch zwei Kinder des Schuldners nicht und seine Wohnkosten nur mit Fr. 2'500.-- statt mit Fr. 4'311.-- berücksichtigt hat.
a) Einkünfte können nur soweit gepfändet werden, als sie nicht nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie unumgänglich notwendig sind (
Art. 93 SchKG
). Das Gesetz behandelt den Schuldner damit nicht als Einzelperson, sondern nimmt Rücksicht auf dessen Zugehörigkeit zur Familie als wirtschaftliche Gemeinschaft (LÜCHINGER, Begriff und Bedeutung der Familie im schweizerischen Recht, Diss. Zürich 1987, S. 257). Die von den kantonalen Aufsichtsbehörden erlassenen Weisungen zur Berechnung des Existenzminimums (für den Kanton Basel-Stadt in BJM 1992, S. 139 ff.) richten daher den Grundbetrag nach der familiären Wohnsituation aus, sehen für den Unterhalt von Kindern altersmässig abgestufte Unterhaltszuschläge vor und berücksichtigen auch besondere Auslagen für die Ausbildung von Kindern wie öffentliche Verkehrsmittel und Schulmaterial. Nicht vorgesehen sind
BGE 119 III 70 S. 73
hingegen Schulgelder, die durch den Besuch von entgeltlichen Lehranstalten anfallen.
b) Ob der Rekurrent und seine Ehefrau der Unterhalts- und Erziehungspflicht gegenüber ihren unmündigen Kindern (
Art. 302 Abs. 1 und
Art. 276 Abs. 1 ZGB
) durch die Unterbringung in einer entgeltlichen Privatschule nachkommen möchten, steht ihnen selbstverständlich frei. Bei der Berechnung des Existenzminimums ist allerdings der tatsächliche, objektive Notbedarf des Schuldners und seiner Familie, nicht etwa der standesgemässe oder gar gewohnte Lebensaufwand zu berücksichtigen (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. A. Bern 1993, S. 185 N 54). Nur so ist es nämlich möglich, sowohl den Interessen des Schuldners wie des Gläubigers Rechnung zu tragen (
BGE 116 III 21
E. 2d). Dass den zwei Kindern des Rekurrenten der Besuch einer unentgeltlichen, staatlichen Schule nicht möglich wäre oder sie nur in der Rudolf-Steiner-Schule den ihrem Alter und ihren Fähigkeiten entsprechenden Unterricht erhalten können, hat die Aufsichtsbehörde nicht festgestellt. Der Rekurrent seinerseits beschränkt sich darauf, seine Absicht darzulegen, diese beiden Kinder in der anthroposophischen Lebensweise erziehen zu wollen. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat somit Bundesrecht nicht verletzt, als sie die monatlichen Schulkosten von Fr. 891.-- bei der Berechnung des Existenzminimums nicht berücksichtigte. Den Interessen des Rekurrenten ist sie gerecht geworden, indem sie ihm diese Auslagen immerhin bis Ende des Schuljahres zugestand. Es steht ihm auf diese Weise frei, auf Beginn des neuen Schuljahres seine Kinder allenfalls auf eine staatliche Schule zu schicken oder sich bei der Rudolf-Steiner-Schule um eine Anpassung des Schulgeldes zu bemühen.
c) Der Grundsatz, dass der von der Lohnpfändung betroffene Schuldner seine Lebenshaltung einschränken und mit dem ihm zugestandenen Existenzminimum auskommen muss, gilt auch in bezug auf die Wohnkosten. Die hier effektiv anfallenden Auslagen können nur vollumfänglich berücksichtigt werden, wenn sie der familiären Situation des Schuldners und den ortsüblichen Ansätzen entsprechen. Ob es sich dabei um Aufwendungen für eine Mietwohnung oder für ein Eigenheim handelt, spielt grundsätzlich keine Rolle. In beiden Fällen ist dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, seine Wohnkosten innert einer angemessenen Frist den für die Berechnung des Notbedarfs massgebenden Verhältnissen anzupassen (
BGE 116 III 21
E. 2d).
BGE 119 III 70 S. 74
d) Was der Rekurrent in bezug auf seine Wohnkosten vorbringt, ist nicht geeignet, der kantonalen Aufsichtsbehörde eine Verletzung von Bundesrecht nachzuweisen. Das dem Betreibungsamt bei der Berechnung des Existenzminimums zustehende Ermessen ist durch die Festsetzung der monatlichen Wohnkosten auf Fr. 2'500.-- im vorliegenden Falle weder überschritten noch missbraucht worden. Hingegen hat der Betreibungsbeamte dem Rekurrenten keine Möglichkeit gelassen, die zur Senkung seiner Wohnkosten nötigen Vorkehren zu treffen. Die Sache ist daher an die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt zurückzuweisen, damit sie den dem Rekurrenten für die Anpassung seiner Wohnverhältnisse angemessenen Zeitraum zugestehe und in einem neuen Entscheid festhalte, bis zu welchem Zeitpunkt die effektiven Wohnkosten in das Existenzminimum aufzunehmen sind und wie hoch anschliessend die pfändbare Quote ausfällt (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 81 OG
). | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cea1e86d-740d-4230-9829-b803d8266261 | Urteilskopf
115 V 341
45. Urteil vom 31. Oktober 1989 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen H. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden | Regeste
Art. 20 Abs. 2 AHVG
.
Zulässigkeit der Verrechnung der vom verstorbenen geschiedenen Mann geschuldeten und im öffentlichen Inventar angemeldeten persönlichen Beiträge (inkl.
Verwaltungskosten und Betreibungsspesen) mit der Witwenrente der geschiedenen Frau, soweit deren Existenzminimum nicht berührt wird. | Sachverhalt
ab Seite 341
BGE 115 V 341 S. 341
A.-
Am 10. März 1986 wurde die Ehe der Margrit und des Erwin H.-H. geschieden. Erwin H. verstarb am 10. Mai 1988. Im darauffolgenden öffentlichen Inventar machte die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden eine Forderung von nicht bezahlten Sozialversicherungsbeiträgen des Erwin H. in der Höhe von Fr. 16'609.65 geltend.
Mit Verfügung vom 11. August 1988 sprach die Ausgleichskasse Margrit H. in Anwendung der Rentenskala 44 eine Witwenrente von monatlich Fr. 1'200.-- zu. Der Rentenbestimmung hatte sie ein durchschnittliches Einkommen beider Ehegatten von Fr. 67'500.-- aus 27 Jahren zugrundegelegt. In der gleichen Verfügung teilte die Ausgleichskasse Margrit H. mit, dass die noch ausstehenden Beiträge des verstorbenen Mannes bis zur Tilgung der Schuld mit der Witwenrente verrechnet würden.
B.-
Margrit H. beschwerte sich gegen diese Verfügung beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Dieses verneinte die Zulässigkeit der Verrechnung der Beitragsforderung mit der Witwenrente, hiess die Beschwerde am 4. November 1988 gut und
BGE 115 V 341 S. 342
wies die Ausgleichskasse an "die fälligen Rentenanteile der Beschwerdeführerin auszuzahlen".
C.-
Das Bundesamt für Sozialversicherung erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es seien der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Festsetzung des verrechenbaren Rentenbetrages unter Berücksichtigung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen.
Margrit H. hat sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht vernehmen lassen.
Die Ausgleichskasse beantragt die Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
; betreffend Kognition insbesondere bei Streitigkeiten aus Verrechnungsansprüchen vgl.
BGE 111 V 102
Erw. 3a und
BGE 104 V 6
Erw. 1).
2.
a) Gemäss
Art. 20 Abs. 2 AHVG
können die AHV-Beiträge mit fälligen AHV-Renten verrechnet werden. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung zwingenden Charakter hat und die Ausgleichskassen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet sind, geschuldete Beiträge mit fälligen Leistungen zu verrechnen (
BGE 111 V 102
/103 Erw. 3b; EVGE 1961 S. 29; ZAK 1971 S. 508).
In die Verrechnungsforderung können praxisgemäss auch die Betreibungsspesen und die übrigen Verwaltungskosten mit einbezogen werden (EVGE 1956 S. 190 Erw. 1, 1953 S. 288 Erw. 2; ZAK 1971 S. 508).
b) Durch
Art. 20 Abs. 2 AHVG
wird für die Verrechnung eine eigene Ordnung geschaffen, welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im AHV-Bereich zugeschnitten ist (
BGE 104 V 7
Erw. 3b). Dabei geht die Verrechenbarkeit von Beiträgen mit
BGE 115 V 341 S. 343
Leistungen gemäss
Art. 20 Abs. 2 AHVG
über die obligationenrechtlichen Regeln (
Art. 120 Abs. 1 OR
) hinaus; denn nach ständiger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts sind versicherungsrechtlich bzw. versicherungstechnisch zusammenhängende Beiträge und Renten ohne Rücksicht auf die pflichtige bzw. berechtigte Person und ungeachtet erbrechtlicher Gegebenheiten verrechenbar (EVGE 1969 S. 94 Erw. c, 1966 S. 88 Erw. 3, 1951 S. 41 Erw. 2; nicht veröffentlichtes Urteil O. vom 30. Juli 1982). Daher ist - unter Beachtung bestimmter Rücksichtnahmen - auch nach amtlicher Liquidation (EVGE 1969 S. 95 Erw. g) und selbst bei Ausschlagung der Erbschaft (
BGE 111 V 2
Erw. 3a; EVGE 1956 S. 190 Erw. 1, 1953 S. 287, 1951 S. 41 Erw. 2) Verrechnung möglich. Hingegen sind Beitragsforderungen, die aus Verschulden im öffentlichen Inventar nicht angemeldet worden sind, nicht mehr verrechenbar, weil solche nicht angemeldeten Forderungen allgemein und insbesondere auch im Bereich der AHV infolge Verwirkung untergehen und daher auch nicht als Naturalobligation weiterbestehen (
BGE 111 V 3
Erw. 3b).
Die Verrechenbarkeit von Renten mit nicht bezahlten geschuldeten Beiträgen liegt häufig im Interesse der anspruchsberechtigten Personen, namentlich auch der Hinterlassenen selber. Unterbliebe nämlich die Verrechnung (insbesondere von rentenbildenden Beiträgen), so müsste die Ausgleichskasse das für die Rentenbestimmung massgebende Durchschnittseinkommen nachträglich neu berechnen, unter Umständen mit der Wirkung, dass bereits laufende Renten rückwirkend dauernd gekürzt werden müssten. Gerade dies soll aber mit der Verrechnung vermieden werden (vgl. EVGE 1956 S. 191 Erw. 1).
c) Nach der Rechtsprechung darf die Verrechnung geschuldeter persönlicher Beiträge - ob diese rentenbildend sind oder nicht - mit der Rente nur insoweit erfolgen, als der Verrechnungsabzug an den monatlichen Renten das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht beeinträchtigt.
Wenn die Einkünfte des Versicherten das Existenzminimum nicht übersteigen, ist eine Verrechnung ausgeschlossen. Sind hingegen die Einkünfte des Beitragspflichtigen höher als sein Existenzminimum, so darf in der Weise verrechnet werden, dass das Existenzminimum nicht berührt wird. Ist die Verrechnung des vollen Betrages auf einmal nicht möglich, so sind entsprechende Teilbeträge monatlich zur Verrechnung zu bringen (
BGE 111 V 103
Erw. 3b).
BGE 115 V 341 S. 344
Diese Ordnung hat auch dann zu gelten, wenn es darum geht, die nicht bezahlten persönlichen Beiträge eines verstorbenen Versicherten mit Hinterlassenenrenten zu verrechnen.
3.
Im bereits zitierten
BGE 111 V 2
Erw. 3a hat das Eidg. Versicherungsgericht befunden, dass ein versicherungsrechtlicher Zusammenhang insbesondere bestehe zwischen den ausstehenden persönlichen Beiträgen eines verstorbenen Ehemannes und der Witwenrente bzw. den Waisenrenten, weil diese nach Art. 33 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 32 Abs. 1 AHVG
vorab aufgrund des durchschnittlichen Jahreseinkommens des Ehemannes berechnet werden. Folglich könnten die vom Verstorbenen geschuldeten persönlichen Beiträge mit der der Ehefrau grundsätzlich zustehenden Witwenrente verrechnet werden. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob eine Verrechnung mit der Witwenrente auch dann möglich ist, wenn der verstorbene Ehemann geschieden war.
a) Die Vorinstanz verneint die Zulässigkeit der Verrechnung in diesem Fall, weil "sie zu den zivilrechtlichen Wirkungen der Ehescheidung in unauflösbarem Widerspruch steht und fundamentalen Gerechtigkeitsvorstellungen zuwiderläuft". Insbesondere bemerkt die Vorinstanz: In der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts zur Verrechnungsfrage sei nirgends von einer geschiedenen Witwe die Rede. Diese Rechtsprechung könne auf den vorliegenden Fall höchstens analog angewendet werden. Wollte man argumentieren, die Gleichstellung der geschiedenen Frau mit der Witwe in
Art. 23 Abs. 2 AHVG
unter den kumulativen Voraussetzungen der mindestens 10jährigen Ehedauer und der Unterhaltspflicht des Mannes sei auch auf die Verrechnung geschuldeter Beiträge zu beziehen, so widerspräche dies den grundlegenden Wertungen des Zivilrechts, weil die Scheidung die Ehe als gesetzliches Verhältnis beendige und die Ehefrau dadurch jegliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Bezahlung der Beiträge durch den geschiedenen Mann verliere. Zudem würde die Verrechnung der geschuldeten persönlichen Beiträge des geschiedenen Mannes mit der Witwenrente zu dem stossenden Ergebnis führen, dass der erfolglos betriebene und gepfändete Ehemann die Rente seiner Frau beeinflussen würde. Damit wären auch Manipulationen möglich, indem der geschiedene Mann dafür sorgen könnte, dass er AHV-Beiträge schuldig bleibe und so den Rentenanspruch seiner Frau verkürze. Die Zulassung der Verrechnung würde den Grundsatz der Auflösung der gegenseitigen finanziellen Auseinandersetzung durchbrechen und Wirkungen weit über die Eheauflösung
BGE 115 V 341 S. 345
hinaus begründen. Ein so krasser Widerspruch zum Zivilrecht erscheine ungerechtfertigt, da der enge sachliche Zusammenhang, den die versicherungsgerichtliche Rechtsprechung fordere, durch die Scheidung aufgehoben werde. Schliesslich erscheine es stossend, dass in den Fällen, in denen die Ausgleichskasse auch auf dem Wege der Betreibung nicht zu den ihr zustehenden Beiträgen gelange, ausgerechnet die geschiedene Frau für den der Verwaltung erwachsenen Schaden einstehen müsste. In einem Falle wie dem vorliegenden bestehe kein genügender sachlicher Zusammenhang.
b) Der vorinstanzlichen Auffassung kann aus folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden:
aa) Bereits in Erw. 2 ist mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung dargelegt worden, dass
Art. 20 Abs. 2 AHVG
für die Verrechnung eine eigene Ordnung schafft, welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im AHV-Bereich zugeschnitten ist. Die zivilrechtliche Betrachtungsweise bezüglich der Wirkungen der Ehescheidung ist daher nicht massgebend. Wesentlich ist aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht die Überlegung, dass sich die in Frage stehende Verrechnung aus der AHV-rechtlichen Gleichstellung der geschiedenen Frau mit der Witwe (vgl.
Art. 23 Abs. 2 AHVG
) ergibt. Es wäre - wie das Bundesamt mit Recht bemerkt - stossend, diese Gleichstellung nicht auch im Bereich des
Art. 20 Abs. 2 AHVG
gelten zu lassen, da schon die Gewährung der Witwenrente an die geschiedene Frau Folgen zeitigt, welche über die zivilrechtlichen Wirkungen der Ehe hinausgehen (vgl.
BGE 110 V 244
Erw. 1b und
BGE 100 V 89
Erw. 1 und 2).
Die vom Verwaltungsgericht befürchteten Manipulationsmöglichkeiten des geschiedenen Mannes im Hinblick auf eine Minderung des allfälligen Witwenrentenanspruchs seiner geschiedenen Frau sind im übrigen nicht derart gravierend, dass sie die Anwendung der AHV-rechtlichen Grundsätze verbieten würden.
bb) Zu prüfen ist demnach, ob die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen der Konnexität (vgl. oben Erw. 2) erfüllt sind. Der enge rechtliche und versicherungstechnische Zusammenhang zwischen Beitragsschuld und Rentenanspruch wird durch die Ehescheidung deswegen nicht unterbrochen, weil die für die Berechnung der Witwenrente anwendbaren AHV-rechtlichen Bemessungsgrundlagen auch für den Witwenrentenanspruch geschiedener Frauen gelten. Insbesondere wird die Witwenrente - wie gesagt - vorab aufgrund des durchschnittlichen Erwerbseinkommens
BGE 115 V 341 S. 346
des Ehemannes berechnet (Art. 33 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 32 Abs. 1 AHVG
). Daher ist das Vorliegen der massgeblichen Konnexität zwischen den vom verstorbenen Beitragspflichtigen geschuldeten persönlichen Beiträgen und der Witwenrente der geschiedenen Frau zu bejahen.
4.
Gesamthaft ergibt sich demnach, dass die vom verstorbenen Erwin H. geschuldeten Beiträge mit der Margrit H. grundsätzlich zustehenden Witwenrente verrechnet werden dürfen. Verrechenbar sind aber, wie in Erw. 2 dargelegt, nur die nicht bezahlten persönlichen Beiträge (nicht aber die paritätischen Beiträge) sowie die den persönlichen Beiträgen entsprechenden Betreibungsspesen und Verwaltungskosten. Darauf hat die Ausgleichskasse selbst in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort hingewiesen und den verrechenbaren Schuldbetrag von insgesamt Fr. 7'842.85 sowie ihr Restguthaben nach bereits erfolgter Verrechnung von Fr. 4'800.-- per 1. Oktober 1988 auf Fr. 3'042.85 beziffert. Dieser Betrag ist mit der Witwenrente so weit zu verrechnen, als dadurch das betreibungsrechtliche Existenzminimum der Margrit H. nicht berührt wird. Die Ausgleichskasse beziffert dieses in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort in Übereinstimmung mit den Angaben des Betreibungsamtes ihres Wohnsitzes unwidersprochen auf monatlich Fr. 1'720.--.
Es wird nun Sache des kantonalen Verwaltungsgerichts sein, den monatlich verrechenbaren Rentenbetrag den vorstehenden Erwägungen entsprechend festzusetzen. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cea317e3-c9e6-443a-b2c9-55e025746be1 | Urteilskopf
95 I 556
80. Urteil vom 12. Dezember 1969 i.S. Kaiser und Konsorten gegen Einwohnergemeinde Rorschach und Regierungsrat des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 86, 96 Abs. 2 OG
.
Der Beschwerdeentscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen gegen einen Beschluss eines Gemeindeparlamentes ist, wenn die Verletzung von Volksrechten geltend gemacht wird, nicht letztinstanzlich (Erw. 3);
Voraussetzungen, unter denen das Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde der zuständigen letztinstanzlichen kantonalen Behörde überweisen kann (Erw. 4). | Erwägungen
ab Seite 556
BGE 95 I 556 S. 556
1.
Der Gemeinderat von Rorschach beschloss am 30. Juni 1969 auf Antrag des Stadtrates, der Interessengemeinschaft Bootsbetrieb Rorschach-Rheineck zur Finanzierung eines neuen Motorbootes ein Darlehen von Fr. 385'000.-- zu gewähren. Dr. Kaiser rekurrierte dagegen an den Regierungsrat mit dem Antrag, den Beschluss als ungültig zu erklären und den Gemeinderat anzuhalten, das Kreditgesuch dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Der Regierungsrat lehnte das Eintreten auf den Rekurs mit Entscheid vom 19. August 1969 ab.
Dr. E. Kaiser führt für sich und weitere Stimmberechtigte staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Nichteintretensentscheid
BGE 95 I 556 S. 557
des Regierungsrates wegen Gehörsverweigerung und Willkür aufzuheben.
Die Stadt Rorschach und der Regierungsrat des Kantons St. Gallen beantragen, auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sie abzuweisen. Sie machen geltend, die Beschwerdeführer hätten gemäss Art. 59 lit. c Ziff. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes zunächst an das Verwaltungsgericht gelangen müssen.
2.
Die Beschwerdeführer erklären zwar, die staatsrechtliche Beschwerde gestützt auf die Art. 38, 39 Abs. 4, Art. 45 und 46 der Kantonsverfassung sowie auf Grund von
Art. 85 lit. a OG
erheben zu wollen. Indes geht es lediglich um eine Frage des kantonalen Verwaltungsverfahrens, nämlich darum, ob gegen einen Beschluss des Gemeindeparlamentes die Möglichkeit des Weiterzuges an den Regierungsrat besteht. Diese Frage ist vom Bundesgericht bloss daraufhin zu prüfen, ob
Art. 4 BV
verletzt ist.
3.
Beschwerden wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger sind erst zulässig, nachdem von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch gemacht worden ist (
Art. 86 Abs. 2 OG
). Nach st. gallischem Recht können Verfügungen der Verwaltungsbehörden mit dem Rechtsmittel des Rekurses an den Regierungsrat weitergezogen werden, sofern nicht der Weiterzug an die Verwaltungsrekurskommission oder an das Versicherungsgericht offen steht (
Art. 43 VRP
). Doch kann in den im Gesetz (Art. 49 Abs. 1 lit. c ebenda) bezeichneten Fällen gegen Verfügungen und Entscheide des Regierungsrates noch beim Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden, sofern gegen den letztinstanzlichen Entscheid kein anderes Rechtsmittel des Bundesrechts als die staatsrechtliche Beschwerde zulässig wäre. Zu den so mit der kantonalen Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Entscheiden gehören solche über die Ausübung von Volksrechten, die Fälle ausgenommen, in denen Kassations- oder Minderheitsbeschwerde erhoben werden kann.
Die Beschwerdeführer behaupten nicht, dass sie eine Kassations- oder Minderheitsbeschwerde erhoben haben; sie vertreten dagegen die Auffassung, dass zur Anfechtung des Gemeindebeschlusses der Rekurs an den Regierungsrat gegeben gewesen wäre. Ob dies zutreffe, d.h. ob der Entscheid des Regierungsrates die Ausübung von Volksrechten betreffe, hat aber das Verwaltungsgericht als diejenige Behörde zu befinden, welche in der Sache selbst zu entscheiden hätte.
BGE 95 I 556 S. 558
Es fehlt daher an der in
Art. 86 OG
geforderten Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges.
4.
Die Beschwerdeführer haben diese Tatsache in ihrer nachträglichen Eingabe vom 21. November 1969 nicht in Abrede gestellt. Sie verweisen aber darauf, dass der Entscheid des Regierungsrates keine Rechtsbelehrung enthält. Damit werde Art. 24 Abs. 1 lit. d verletzt, wonach die Verfügung u.a. die Belehrung über das zulässige ordentliche Rechtsmittel, die Frist sowie die Instanz enthalten muss. Sie verlangen deshalb, dass die Beschwerde, weil rechtzeitig bei einer unzuständigen Stelle eingereicht, vom Bundesgericht entsprechend
BGE 94 I 285
an das Verwaltungsgericht weitergeleitet werde.
Im zitierten Fall hatte das Bundesgericht als Instanz der Verwaltungsrechtspflege zu entscheiden. Darin wird ein vor kantonalen oder eidgenössischen Behörden eingeleitetes und beurteiltes Verwaltungsverfahren fortgesetzt und entschieden. Die staatsrechtliche Beschwerde leitet dagegen ein neues, selbständiges Verfahren ein, in dem über die Verfassungsmässigkeit eines kantonalen Hoheitsaktes zu befinden ist. Geht es darin um die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, so ist vor der Anrufung des Bundesgerichts der kantonale Instanzenzug zu erschöpfen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so ist die Unzulässigkeit der Beschwerde durch Nichteintretensentscheid festzustellen, nicht durch eine Abschreibung, wie die Beschwerdeführer sie verlangen.
Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde schliesst freilich die Möglichkeit nicht aus, eine Beschwerde auf Antrag oder von Amtes wegen der vom Beschwerdeführer übergangenen kantonalen Instanz weiterzuleiten, sofern nicht von vorneherein ersichtlich ist, dass die Frist zur Erhebung des in Frage kommenden kantonalen Rechtsmittels bereits verstrichen, und der Beschwerdeführer mit solcher Weiterleitung einverstanden ist und die zuständige kantonale Behörde es nicht ablehnt, die staatsrechtliche Beschwerde als kantonales Rechtsmittel entgegenzunehmen. Ob sie das tun kann und ob die Voraussetzungen für die Erhebung des kantonalen Rechtsmittels erfüllt sind, hat sie nach dem massgebenden kantonalen Recht zu entscheiden.
Der Überweisung der staatsrechtlichen Beschwerde an das st. gallische Verwaltungsgericht steht nichts im Wege. Zwar ist hierüber das kantonale Verwaltungsgericht nicht angehört worden. Doch ist das Bundesgericht zu solcher Anhörung nicht verpflichtet.
BGE 95 I 556 S. 559
Die Rechtsmittelfrist von
Art. 47 Abs. 3 VRP
, die mangels einer Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Entscheid 30 Tage beträgt, ist gewahrt, wenn auf den Eingang der Beschwerde beim Bundesgericht abzustellen ist. Die Beschwerdeführer verlangen die Überweisung.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.- Die Beschwerdeschrift sowie die eingeholten Vernehmlassungen werden im Sinne der Erwägungen dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen weitergeleitet. | public_law | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cea3c0ff-bdb4-4b78-92da-6dad36d68599 | Urteilskopf
121 V 165
26. Urteil vom 22. Mai 1995 i.S. S. gegen Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI) und Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich | Regeste
Art. 11 Abs. 1, 2 und 4 AVIV
: Ermittlung der Beitragszeit. Begriff des Beitragsmonats bei unregelmässig arbeitenden Versicherten; Anwendungsbereich von
Art. 11 Abs. 2 AVIV
.
Art. 37 Abs. 3 und 3bis AVIV
: Bemessungszeitraum für den versicherten Verdienst.
- Der Begriff "Monate" meint in
Art. 37 Abs. 2 AVIV
Beitragsmonate, in
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
hingegen Kalendermonate.
-
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
setzt einen besonderen, in der Art des Arbeitsverhältnisses angelegten Grund für die Lohnschwankungen voraus.
- Annahme einer vom Richter auszufüllenden unechten Lücke bejaht, da die Festsetzung des Bemessungszeitraumes nach
Art. 37 Abs. 3 AVIV
(unter Berücksichtigung von
Art. 11 AVIV
) zu einem verfassungswidrigen Ergebnis (
Art. 34novies BV
) führen würde.
- Wenn bei den letzten zwölf Monaten im Sinne von
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
jene Monate unberücksichtigt bleiben, in denen der Versicherte keine Beschäftigung ausübte, wird Bundesrecht nicht verletzt. | Sachverhalt
ab Seite 166
BGE 121 V 165 S. 166
A.-
S., von Beruf Filmschaffender, meldete sich Anfang November 1991 bei der Arbeitslosenkasse GBI (damals noch GBH) zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung ab 21. Oktober 1991 an und unterzog sich ab diesem Datum der Stempelkontrolle. Zuvor hatte er als Beleuchter oder Bühnenbauer an verschiedenen Stellen gearbeitet, wobei es sich in der Regel um befristete Einsätze handelte, die häufig auf Abruf erfolgten. Auf diese Weise war er innerhalb der für ihn geltenden Beitragsrahmenfrist (21. Oktober 1989 bis 20. Oktober 1991) nach Lage der Akten an insgesamt 134,1 Tagen für verschiedene Arbeitgeber tätig gewesen.
Mit Verfügung vom 16. Juli 1992 setzte die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst für S. gestützt auf
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
aufgrund des in den letzten zwölf Monaten (8. Oktober 1990 bis 7. Oktober 1991) erzielten Gesamteinkommens von Fr. 32'447.55 auf Fr. 2'704.-- pro Monat fest.
B.-
Beschwerdeweise liess der Versicherte die Erhöhung des versicherten Verdienstes auf Fr. 6'605.05 beantragen. Demgegenüber errechnete das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), Zürich, - seinerseits ausgehend von einem nach Abs. 3 von
Art. 37 AVIV
festgelegten Bemessungszeitraum (Juli 1990 bis August 1991) und einem in diesem erzielten Gesamteinkommen von Fr. 34'992.55 - einen versicherten Verdienst von monatlich Fr. 2'916.05.
BGE 121 V 165 S. 167
Mit Entscheid vom 29. März 1993 hiess die Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons Zürich die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, dass sie den versicherten Verdienst auf Fr. 2'809.80 anhob. Dabei erachtete sie mit dem KIGA
Art. 37 Abs. 3 AVIV
als anwendbar. Weiter hielt die Rekurskommission im wesentlichen fest, dass als "Beitragsmonat" gemäss
Art. 11 Abs. 1 AVIV
jeder volle Kalendermonat gelte, in dem der Versicherte beitragspflichtig sei, wobei sich der Beitragsmonat in zeitlicher Hinsicht mit dem Kalendermonat decke. Folglich dienten vorliegendenfalls die letzten zwölf Beitragsmonate als Bemessungsgrundlage, doch sei dabei - entgegen dem KIGA - auch der Monat April 1991 zu berücksichtigen, weil es bei der Anwendung von
Art. 40 AVIV
nicht auf den einzelnen Monatsverdienst, sondern auf den Durchschnittslohn im Bemessungszeitraum ankomme. Letzterer erstrecke sich von August 1990 bis August 1991, in welcher Zeit der Versicherte ein Einkommen von Fr. 33'717.55 erzielt habe.
C.-
S. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Begehren, der versicherte Verdienst sei auf monatlich Fr. 7'551.-- zu erhöhen.
Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) deren Abweisung beantragt.
Auf die Begründung der Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand der vom Beschwerdeführer angefochtenen Kassenverfügung vom 16. Juli 1992 bildete allein die Frage der Höhe des versicherten Verdienstes. Auch im vorliegenden Verfahren gilt es daher einzig über dieses Element der Leistungsberechnung zu befinden, während die Anspruchsberechtigung an sich (
Art. 8 AVIG
) ausser Frage steht.
2.
a) Die Arbeitslosenkasse hat bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums Abs. 3bis von
Art. 37 AVIV
angewandt, während KIGA und Vorinstanz dessen Abs. 3 als massgeblich erachten.
Nach Abs. 1 des als Ausführungsnorm zu
Art. 23 Abs. 1 AVIG
erlassenen
Art. 37 AVIV
gilt als Bemessungszeitraum für den versicherten Verdienst in der Regel der letzte Beitragsmonat (
Art. 11 AVIV
) vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug (
Art. 37 Abs. 1 AVIV
). Weicht der Lohn im letzten Beitragsmonat um mindestens 10 Prozent vom Durchschnittslohn der letzten
BGE 121 V 165 S. 168
sechs Monate (vor dem 1. Januar 1992: drei Monate) ab, so wird der versicherte Verdienst aufgrund dieses Durchschnittslohnes berechnet (
Art. 37 Abs. 2 AVIV
). Wirkt sich die Bemessung aufgrund der Abs. 1 und 2 für den Versicherten unbillig aus, so kann die Kasse auf einen längeren Bemessungszeitraum, höchstens aber auf die letzten zwölf Beitragsmonate, abstellen (
Art. 37 Abs. 3 AVIV
). Schliesslich legt Abs. 3bis fest, dass bei Lohnschwankungen, die auf einen branchenüblichen Arbeitszeitkalender zurückzuführen sind oder in der Art des Arbeitsverhältnisses liegen, der versicherte Verdienst auf den letzten zwölf Monaten, jedoch höchstens aufgrund der vertraglich vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit ermittelt wird.
Die dargelegte Fassung von Abs. 2 des
Art. 37 AVIV
steht wie dessen neugeschaffener Abs. 3bis seit dem 1. Januar 1992 in Kraft. Da die entsprechende Verordnungsnovelle vom 28. August 1991 keine besondere Übergangsordnung enthält (AS 1991 III 2132), gelten die allgemeinen übergangsrechtlichen Regeln zur (unechten) Rückwirkung (vgl.
BGE 119 V 206
Erw. 5c/dd,
BGE 110 V 254
Erw. 3a mit Hinweisen).
b) Der Beschwerdeführer begründet seinen Standpunkt im wesentlichen unter Berufung auf
Art. 11 Abs. 2 AVIV
.
Art. 11 AVIV
, auf den
Art. 37 Abs. 1 AVIV
hinsichtlich des "Beitragsmonats" verweist, regelt die Ermittlung der Beitragszeit. Nach Abs. 1 zählt als Beitragsmonat jeder volle Kalendermonat, in dem der Versicherte beitragspflichtig ist. Gemäss Abs. 2 werden Beitragszeiten, die nicht einen vollen Kalendermonat umfassen, zusammengezählt (Satz 1), wobei je 30 Kalendertage als ein Beitragsmonat gelten (Satz 2). Sodann bestimmt Abs. 3 unter anderem, dass Zeiten, für die der Versicherte einen Ferienlohn bezogen hat, in gleicher Weise zählen. Aus Abs. 4 schliesslich geht hervor, dass die Beitragszeit von Teilzeitbeschäftigten nach den gleichen Regeln ermittelt wird wie bei Arbeitnehmern mit Vollzeitbeschäftigung; übt der Versicherte gleichzeitig mehrere Teilzeitbeschäftigungen aus, so wird die Beitragszeit nur einmal gezählt.
Das Eidg. Versicherungsgericht hat in einem zu
Art. 11 Abs. 2 AVIV
ergangenen Urteil entschieden, dass die effektiven Arbeitstage (= Tage einer beitragspflichtigen Beschäftigung) mit dem Faktor 1,4 in Kalendertage umzurechnen sind, damit - wie beim vollen Kalendermonat nach
Art. 11 Abs. 1 AVIV
- auch Tage der Nichtbeschäftigung (wie Samstage und Sonntage) im Ergebnis als Beitragszeit berücksichtigt werden (ARV 1992 Nr. 1 S. 70 Erw. 3). Gemäss einem früheren Urteil ist sodann eine Ferienentschädigung in der
BGE 121 V 165 S. 169
Weise in Beitragszeit umzurechnen, dass einerseits der Betrag, auf den sich die Ferienentschädigung in Franken beziffert, ermittelt und anderseits festgestellt wird, wieviele Ferientage oder -wochen durch die Entschädigung abgegolten werden. Dabei hat das Eidg. Versicherungsgericht indes zugleich die vom BIGA aufgeworfene Frage offengelassen, wie die Ferienentschädigung in Beitragszeit umzurechnen ist, wenn man es mit einer Teilzeitbeschäftigung zu tun hat (
BGE 112 V 226
Erw. 2d).
c) Im folgenden scheint es angezeigt, zunächst der Frage nachzugehen, was unter einem Beitragsmonat im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 AVIV
insbesondere bei jenen Versicherten zu verstehen ist, die unregelmässig arbeiten.
aa) Für die Beurteilung dieser von der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bislang nicht ausdrücklich aufgegriffenen Frage ist von
Art. 11 Abs. 4 Satz 1 AVIV
auszugehen, wonach für die Ermittlung der Beitragszeit bei Teilzeitbeschäftigten die gleichen Regeln gelten wie bei Vollzeitbeschäftigten. Welche Tätigkeitsformen unter den Begriff der Teilzeitbeschäftigung fallen sollen, wird indes - obwohl der Begriff verschiedentlich auftaucht (
Art. 10 Abs. 2 AVIG
) - im Recht der Arbeitslosenversicherung nicht näher umschrieben. Auch die Rechtsprechung hat sich dazu nicht grundsätzlich, sondern eher beiläufig und punktuell geäussert. Insofern wurde etwa erkannt, dass Teilzeitarbeit auch dann vorliegen kann, wenn die Arbeitsleistung nicht in zusammenhängenden Zeitabschnitten erfolgt (
BGE 115 V 432
Erw. 2c/aa in fine). Weiter wurde Teilzeitbeschäftigung in einem Fall angenommen, in dem sich der Versicherte im Rahmen einer über den einzelnen Arbeitseinsatz hinausgreifenden vertraglichen Bindung verpflichtet hatte, sich während einer nicht bestimmten Dauer zur Arbeitsleistung auf Abruf bereitzuhalten (ARV 1991 Nr. 7 S. 81 Erw. 2b).
Werden die Begriffe "Arbeitsverhältnis" (
Art. 10 AVIG
) und "Teilzeitbeschäftigung" (
Art. 10 AVIG
,
Art. 11 AVIV
) als Rechtsverhältnis im schuldrechtlichen Sinne verstanden (ARV 1989 Nr. 5 S. 82 Erw. 4; vgl. ferner 1991 Nr. 7 S. 81 Erw. 2b), kann auf die gesetzliche Umschreibung in
Art. 319 Abs. 2 OR
zurückgegriffen werden. Danach definiert sich Teilzeitarbeit als regelmässige Leistung von stunden-, halbtage- oder tageweiser Arbeit im Dienst des Arbeitgebers, zu der sich ein Arbeitnehmer vertraglich verpflichtet. Das Merkmal der Regelmässigkeit gilt nach herrschender Lehre nicht als begriffsnotwendig. Entscheidend ist nicht der Rhythmus, sondern allein die Dauer des Arbeitsverhältnisses. Auf diese
BGE 121 V 165 S. 170
Weise lässt sich die Teilzeitarbeit gegenüber der nur vorübergehend ausgeübten Aushilfs- oder Abrufertätigkeit abgrenzen, bei der mit dem jeweiligen Einsatz ein neues Arbeitsverhältnis begründet wird (zum Ganzen vgl. BRUNNER/BÜHLER/WAEBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, 1990, S. 285; REHBINDER, Berner Kommentar, VI/2, 2. Teilband, 1985, N. 27 f. zu Art. 319, der "wiederholt" mit "fortgesetzt" berichtigt, und Vischer, Der Arbeitsvertrag, 2. Aufl. 1994, S. 6 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
bb) Dieser Betrachtungsweise haben sich sowohl Literatur als auch Verwaltungspraxis zur Arbeitslosenversicherung angeschlossen, welche Teilzeitbeschäftigung als regelmässige oder unregelmässige Arbeitsleistung von stunden-, halbtage- oder tageweiser Arbeit im Rahmen eines ununterbrochenen Arbeitsverhältnisses definieren (GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. 1, 1987, N. 25 und 27 zu
Art. 10 AVIG
, vgl. auch N. 6 zu
Art. 13 AVIG
; Rz. 15 des ab 1. Januar 1992 geltenden BIGA-Kreisschreibens über die Arbeitslosenentschädigung [KS-ALE]). Deshalb wird nicht nur in bezug auf
Art. 13 Abs. 1 AVIG
, sondern namentlich auch auf
Art. 11 Abs. 1 AVIV
festgehalten, dass es für die Bestimmung des Beitragsmonats auf die formale Dauer des Arbeitsverhältnisses ankomme (a.a.O., N. 4 und 8 zu
Art. 13 AVIG
). Nachdem das AVIG im Gegensatz zum früheren Recht nicht mehr mit vollen Arbeitstagen, sondern mit Beitragsmonaten rechnet (vgl. auch STAUFFER, Die Arbeitslosenversicherung, 1984, S. 14), werde erreicht, dass auch solche Teilzeitbeschäftigte die Beitragszeit erfüllen können, die "nur während sehr weniger Stunden im Kalendermonat" eine beitragspflichtige Beschäftigung ausüben (GERHARDS, a.a.O., N. 5 zu
Art. 13 AVIG
). Für einen Arbeitnehmer, der im Rahmen eines sich über mehrere Monate erstreckenden Arbeitsverhältnisses regelmässig oder unregelmässig (unter Umständen auf Abruf) eine Arbeitsleistung erbringt, folgt hieraus zwangsläufig, dass jeder Kalendermonat, in dem Arbeit geleistet wird, als (ein) Beitragsmonat gilt, während jene Kalendermonate innerhalb dieses Arbeitsverhältnisses ausser Betracht fallen, in denen der Arbeitnehmer an gar keinem Tag gearbeitet hat (GERHARDS, a.a.O., N. 9 zu
Art. 13 AVIG
). Dies kann - wie der Beschwerdeführer an sich richtig vorbringt - so weit gehen, dass mit sechs Arbeitstagen verteilt auf sechs verschiedene Monate die Mindestbeitragszeit erfüllt wird. Ein solches Ergebnis mag krass anmuten, steht indes zum übergeordneten
Art. 13 Abs. 1 AVIG
keineswegs in Widerspruch, welche
BGE 121 V 165 S. 171
Bestimmung nämlich nicht eine Mindestzahl von vollen Arbeitstagen verlangt, sondern bloss die Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung während mindestens sechs Monaten. Abgesehen davon ergäbe sich in jenem Fall eine Korrektur in der Weise, dass ein Leistungsbezug am Erfordernis des anrechenbaren Arbeitsausfalls (
Art. 11 AVIG
) und/oder an der Mindestgrenze des versicherten Verdienstes (
Art. 23 Abs. 1 Satz 2 AVIG
,
Art. 40 AVIV
) scheitern würde (GERHARDS, a.a.O., N. 5 zu Art. 13 und N. 29 zu
Art. 23 AVIG
).
Wenn sich der Beschwerdeführer für seinen Standpunkt auf den zweiten Absatz von
Art. 11 AVIV
beruft, erscheint dies auf den ersten Blick als naheliegend. Bei näherer Betrachtung dringt er damit freilich nicht durch. Denn wenn
Art. 11 Abs. 1 AVIV
in Einklang mit
Art. 13 Abs. 1 AVIG
jenen Monat als vollen Kalendermonat gelten lässt, in dem der Versicherte aufgrund eines während dieses ganzen Monats dauernden Arbeitsverhältnisses eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, so kommt
Art. 11 Abs. 2 AVIV
eben nur zur Anwendung bei angebrochenen Kalendermonaten (Beginn oder Ende des Arbeitsverhältnisses im Laufe des Monats) oder aber bei Arbeitsverhältnissen, die nicht den ganzen Monat angedauert haben (GERHARDS, a.a.O., N. 10 zu
Art. 13 AVIG
; im gleichen Sinne STAUFFER, a.a.O., S. 14).
cc) Wird
Art. 11 AVIV
im soeben dargelegten Sinne verstanden, so kommt es im hier zu beurteilenden Fall für die Ermittlung des Bemessungszeitraums darauf an, ob der Beschwerdeführer seine Arbeit aufgrund von Teilzeitarbeitsverhältnissen oder im Rahmen von Einzeleinsätzen mit je neuem Arbeitsvertrag erbracht hatte. Ob und wie lange ein Arbeitsverhältnis bestand, ist dabei aufgrund einer faktischen Betrachtungsweise zu beurteilen (ARV 1989 Nr. 5 S. 82 f. mit Hinweis).
3.
Die Beitragsrahmenfrist dauerte im Falle des Beschwerdeführers unbestrittenermassen vom 21. Oktober 1989 bis am 20. Oktober 1991. In dieser Zeit war er zumeist als Beleuchter tätig. Die Arbeitgeberbescheinigungen bezeichnen die Art der Arbeitsverhältnisse sehr unterschiedlich. Einmal wird von Temporärarbeitsverhältnis mit festem Beginn und Ende gesprochen, in andern Fällen von Vollzeitbeschäftigung, sei es mit, sei es ohne Angabe der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Mitunter ist von Teilzeitbeschäftigung, in den meisten Fällen jedoch von einer Beschäftigung auf Abruf oder von kurzen befristeten Einsätzen die Rede. Im allgemeinen vermitteln indes die Arbeitgeberbescheinigungen den Eindruck, dass es eher von Zufälligkeiten abhing, wie die nach dem Auswahlsystem
BGE 121 V 165 S. 172
(multiple choice) gestellten Fragen zur Art des Arbeitsverhältnisses beantwortet wurden.
4.
Vorweg fragt sich, ob vorliegendenfalls der Bemessungszeitraum für den versicherten Verdienst nach Abs. 3 von
Art. 37 AVIV
oder aber nach dessen Abs. 3bis festzulegen ist.
a) Die Arbeitslosenkasse hat
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
angewandt, dies in Übereinstimmung mit der vorgängig vom BIGA eingeholten Stellungnahme. Demgegenüber hat sich das KIGA ausdrücklich für
Art. 37 Abs. 3 AVIV
ausgesprochen mit dem Hinweis auf Rz. 149 KS-ALE, wonach diese Bestimmung dann anzuwenden sei, wenn Versicherte in der Beitragsrahmenfrist keinen "normalen" Verdienst ausweisen (z.B. Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen). Die Vorinstanz ist dieser Betrachtungsweise gefolgt mit der Begründung, dass Abs. 3bis auf "Personen beispielsweise aus dem Baugewerbe oder dem Forst- und Gartenbau" abziele, während Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen, zu denen namentlich auch Filmtechniker gehören (
Art. 8 Abs. 1 AVIV
), unter Abs. 3 fallen. Der Beschwerdeführer pflichtet der Vorinstanz bei und hält fest, dass in bezug auf die Anwendbarkeit von
Art. 37 Abs. 3 AVIV
Einigkeit bestehe. Ob diese Rechtsauffassung standhält, ist im folgenden von Amtes wegen zu prüfen.
b) Bei näherer Betrachtung der ersten drei Absätze von
Art. 37 AVIV
fällt auf, dass hier der letzte bzw. die sechs (vor 1992: drei) oder höchstens zwölf letzten Beitragsmonate den Bemessungszeitraum bilden. Dass Abs. 2 bloss von "Monaten" spricht, kann nicht bedeuten, es gehe hier um Kalendermonate. Denn wenn nach Abs. 2 der Lohn des letzten "Beitragsmonats" mit demjenigen aus einem längeren Zeitraum zu vergleichen ist, so können unter den Monaten dieses längeren Zeitraums nicht unmittelbar vorangehende Kalendermonate, sondern allein gleichartige Perioden, also - wie auch in Abs. 3 (dazu ARV 1992 Nr. 1 S. 71 Erw. 4) - ebenfalls nur Beitragsmonate gemeint sein. In diesem Sinne geht denn auch GERHARDS (a.a.O., N. 18 zu
Art. 23 AVIG
) bei Abs. 2 zu Recht von Beitragsmonaten aus.
Weiter fällt auf, dass die beiden Ausnahmen (Abs. 2 und 3) zur Grundregel in Abs. 1 sich gegenüber dieser abgrenzen, indem der auf dem längeren Bemessungszeitraum ermittelte Verdienst sich bloss quantitativ von demjenigen nach Abs. 1 unterscheidet (Abs. 2: Abweichung um mind. 10% nach unten oder oben; Abs. 3: für den Versicherten günstigerer, also höherer Verdienst). Die Gründe für diese quantitativen Schwankungen können etwa
BGE 121 V 165 S. 173
darin liegen, dass der Versicherte vielleicht wiederholt die Stelle gewechselt und allenfalls nur eine Teilzeitarbeit verrichtet hat (vgl.
BGE 112 V 220
, ARV 1992 Nr. 1 S. 70 f.; ferner
BGE 111 V 244
), dass der Lohn leistungsabhängig bemessen ist (etwa bei Vertretern auf Provisionsbasis) oder dass ein Versicherter, der in einem Dauerarbeitsverhältnis steht und nur auf Abruf zum Einsatz kommt, eben nur in unterschiedlichem Masse abgerufen wird (z.B. Aushilfsverkaufspersonal, Securitas-Wächter). Demgegenüber bringt der nachträglich eingefügte Abs. 3bis von
Art. 37 AVIV
zwei neue Kriterien ins Spiel. Erstens stellt diese Bestimmung keine Ausnahme zu Abs. 1 dar, knüpft also nicht an den dortigen "Beitragsmonat" an, sondern enthält einen neuen, eigenständigen Bemessungszeitraum, nämlich die letzten zwölf Kalendermonate. Dies gelangt zwar im Wortlaut nicht zum Ausdruck, da Abs. 3bis nur von den "letzten zwölf Monaten" spricht. Indes kann kein anderer Zeitraum als ein solcher von Kalendermonaten gemeint sein, ansonsten Abs. 3bis keinen Sinn ergäbe im Vergleich zu Abs. 3, der ja bereits an (max. 12) Beitragsmonate anknüpft. Sodann kommt mit Abs. 3bis ein neuer, qualitativer Gesichtspunkt zum Tragen, indem nicht irgendwelche Lohnschwankungen (denen bereits die Abs. 2 und 3 Rechnung tragen) Anlass für die Anwendung von Abs. 3bis geben, sondern nur solche Lohnschwankungen, die "auf einen branchenüblichen Arbeitszeitkalender zurückzuführen sind" oder die "in der Art des Arbeitsverhältnisses liegen". Mit andern Worten setzt Abs. 3bis einen besonderen, in der Art des Arbeitsverhältnisses angelegten Grund für die Lohnschwankungen voraus. Das BIGA erwähnt in seinem Kreisschreiben als Beispiele für solche Arbeitsverhältnisse diejenigen von Abrufbeschäftigten und Heimarbeitern im Auftragsverhältnis (Rz. 150 KS-ALE), während es als Anwendungsbeispiele für
Art. 37 Abs. 3 AVIV
"Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen" nennt (Rz. 149 KS-ALE), mithin solche Personen, auf die
Art. 8 AVIV
(Wartezeit) zugeschnitten ist, in welcher Bestimmung Filmtechniker ausdrücklich erwähnt sind. Die Vorinstanz beruft sich denn auch - wie erwähnt - für die Anwendbarkeit von
Art. 37 Abs. 3 AVIV
ausdrücklich auf das betreffende Kreisschreiben und
Art. 8 AVIV
. Allerdings wurde das Beispiel vom BIGA zu
Art. 37 Abs. 3 AVIV
unglücklich gewählt, während sich anderseits die vorinstanzliche Auffassung als falsch erweist. Bei den in
Art. 8 Abs. 1 AVIV
genannten Personen geht es nämlich gerade um solche, die eine Tätigkeit ausüben, die durch Arbeitseinsätze von unregelmässiger Dauer und
BGE 121 V 165 S. 174
Häufigkeit, dies verbunden mit Beschäftigungslücken zwischen den Engagements, gekennzeichnet sind, und deren Einkommen eben wegen dieser Art der Beschäftigung grossen Schwankungen unterliegt. Der neue Abs. 3bis von
Art. 37 AVIV
zielt, soweit es um die dort genannte Variante "Art des Arbeitsverhältnisses" geht, ebenfalls genau auf diese Gruppe von Personen ab.
c) aa) Im vorliegenden Fall verteilen sich die verschiedenen Einsätze während der Beitragsrahmenfrist auf insgesamt 13 Arbeitgeber. Die Länge der Einsätze variiert von einem Tag über wenige Tage bis zu insgesamt 24 Tagen, wobei sich letztere auf acht Monate innerhalb von 22 Monaten verteilen. Die längsten Einsätze je Firma und Monat machen in einem Fall neun Tage, in zwei Fällen acht Tage und in vier Fällen sieben Tage aus. Dementsprechend schwanken die Verdienste. Sie gehen - laut der in den Akten enthaltenen Aufstellung des KIGA vom 7. September 1992 - von Fr. 400.-- bis Fr. 500.-- im Kalendermonat (März, Mai und November 1990 sowie April 1991) über rund Fr. 4'200.-- bis Fr. 4'500.-- (April, September 1990 und März 1991) bis zu rund Fr. 5'300.-- bis Fr. 5'400.-- (Juni 1990 sowie Januar und Juli 1991). Wenngleich die Firmen mehr oder weniger genau den Beginn und das Ende des Arbeitsverhältnisses angeben, können nach den gesamten Umständen und im Hinblick auf die massgebende faktische Betrachtungsweise keine unregelmässigen Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse angenommen werden. Vielmehr liegt ein typischer Fall vor, bei dem die Lohnschwankungen ihren Grund in der speziellen Art der Arbeitsverhältnisse haben. Dies spricht entgegen KIGA und Vorinstanz für die Anwendbarkeit von
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
.
bb) Ausgehend von den unbestritten gebliebenen Angaben in der KIGA-Aufstellung vom 7. September 1992 ergibt sich für den Beschwerdeführer in Anwendung von
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
ein versicherter Verdienst von monatlich Fr. 2'703.--. Als Bemessungszeitraum dienen dabei die letzten zwölf Kalendermonate (vgl. Erw. 4b), mithin die Zeit von September 1990 bis August 1991, in welcher Periode der Beschwerdeführer ein Gesamteinkommen von Fr. 32'432.55 erzielte. Dabei ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass bei der Bestimmung des Bemessungszeitraumes auch diejenigen Monate zu berücksichtigen sind, in denen der Verdienst weniger als Fr. 500.-- ausmachte (vgl. Rz. 151 KS-ALE). Denn wie im angefochtenen Gerichtsentscheid richtig ausgeführt wird, handelt es sich bei dem in
Art. 40 AVIV
verankerten Mindestverdienst von monatlich Fr. 500.-- aufgrund des in der fraglichen Bestimmung enthaltenen Zusatzes "während des
BGE 121 V 165 S. 175
Bemessungszeitraumes" um einen Durchschnittswert.
cc) Im übrigen hat die Vorinstanz ihrerseits einen versicherten Verdienst von Fr. 2'809.80 ermittelt, wobei sie sich ausdrücklich darauf beruft, dies ergebe sich aus der Anwendung von Art. 37 Abs. 3 in Verbindung mit
Art. 11 Abs. 1 AVIV
. Dies trifft indes nicht zu. Richtig besehen hat die Vorinstanz nämlich nicht Abs. 3, sondern Abs. 3bis von
Art. 37 AVIV
angewandt. Dies folgt daraus, dass sie letztlich den "Beitragsmonat" (gemäss
Art. 11 Abs. 1 AVIV
) mit dem Kalendermonat gleichgesetzt und daher genauso mit zwölf Kalendermonaten gerechnet hat. Hinzu kommt, dass sie dabei nur die zwölf letzten Kalendermonate berücksichtigt hat, in denen der Beschwerdeführer tatsächlich einer Beschäftigung nachging. Wird in diesem Sinne im vorliegenden Fall der Monat Juni 1991 ausser acht gelassen, ergibt sich für den Beschwerdeführer ein Bemessungszeitraum von August 1990 bis August 1991.
dd) Würde demgegenüber tatsächlich gemäss
Art. 37 Abs. 3 AVIV
vorgegangen und dies unter Berücksichtigung von "Beitragsmonaten", wie sie aufgrund von
Art. 11 AVIV
zu verstehen sind, so ergäbe sich ein völlig anderes Bild:
Ausgehend davon, dass keine längerdauernden, sich über mindestens einen Kalendermonat erstreckenden Arbeitsverhältnisse vorliegen, wären zunächst alle Beschäftigungstage innerhalb der Beitragsrahmenfrist zusammenzuzählen. Gemäss KIGA-Aufstellung vom 7. September 1992 ergäbe dies nach Aufrundung der angebrochenen auf ganze Tage insgesamt deren 136. Diese wären alsdann im Sinne von
Art. 11 Abs. 2 AVIV
mit Faktor 1,4 (ARV 1992 Nr. 1 S. 70) in 190,4 Kalendertage umzurechnen. Sodann müsste - in Anwendung von
Art. 11 Abs. 3 AVIV
und
BGE 112 V 226
Erw. 2d - die im Lohn enthaltene Ferienentschädigung in entsprechende Beitragszeit um- und angerechnet werden (zum Ganzen vgl. Erw. 2b). Wird dabei der Einfachheit halber und ohne Präjudizierung der seit
BGE 112 V 227
Erw. 2d noch immer offenen Frage davon ausgegangen, es handle sich bei den Arbeitstagen des Beschwerdeführers um ganze Tage, und wird im übrigen auf einen durchschnittlichen Ferienentschädigungssatz von 9,45% abgestellt, ergäben sich weitere 18 Tage, die zu den 190,4 Tagen hinzuzuzählen wären. Wenn nun der Gesamtverdienst gemäss KIGA-Aufstellung vom 7. September 1992 von Fr. 55'701.75 durch das so ermittelte Total von 208,4 Tage geteilt und mit 30 multipliziert würde (vgl.
BGE 112 V 228
Erw. 3b), resultierte daraus ein versicherter Monatsverdienst von Fr. 8'018.50. Die - nach Massgabe von
BGE 121 V 165 S. 176
Art. 11 AVIV
, auf den
Art. 37 Abs. 1 AVIV
für den Beitragsmonat verweist - korrekt durchgeführte Ermittlung von Bemessungszeitraum und versichertem Verdienst führte damit zu einem Ergebnis, das schlechthin nicht vertretbar wäre. Erfolgte die Berechnung hingegen in der vom Eidg. Versicherungsgericht in ARV 1992 Nr. 1 S. 71 bestätigten Weise, nämlich indem das Gesamteinkommen nicht durch die Zahl der Kalender-, sondern der möglichen Arbeitstage (= Beschäftigungstage) geteilt und mit 21,7 zum Monatsverdienst hochmultipliziert würde, so ergäbe sich gar ein noch höherer versicherter Monatsverdienst von Fr. 8'887.70.
Beide der aufgezeigten Berechnungsverfahren führten somit zu einem versicherten Verdienst von mehr als Fr. 8'000.-- monatlich, mithin zu einem Betrag, den der Beschwerdeführer in dieser Höhe in keinem der in die Beitragsrahmenfrist fallenden Monate auch nur annähernd zu erzielen vermochte.
Art. 37 Abs. 3 AVIV
zeitigt somit bei Arbeitsverhältnissen, die sich wie im vorliegenden Fall durch sporadische, kurzfristige Einsätze mit Beschäftigungslücken kennzeichnen, hinsichtlich der Höhe des versicherten Verdienstes und damit des Taggeldanspruchs (
Art. 22 AVIG
) Ergebnisse, die nicht mehr als "angemessener" Ersatz für den Erwerbsausfall aus einer normalen, üblichen Arbeitnehmertätigkeit gewertet werden können, wie dies gemäss Bundesverfassung (
Art. 34novies Abs. 3 BV
) und Gesetz (
Art. 1 Abs. 1 AVIG
) das Ziel der Arbeitslosenversicherung sein sollte (vgl.
BGE 116 V 283
Erw. 2d mit Hinweis). Abgesehen davon ginge mit einem derart hohen versicherten Verdienst die Folge einher, dass dem Versicherten unter dem Gesichtspunkt des Lohn-/Taggeldvergleichs (
Art. 16 Abs. 1 lit. e AVIG
) praktisch keine Arbeit mehr zumutbar wäre.
d) Angesichts des Ergebnisses, welches die Anwendung von
Art. 37 Abs. 3 AVIV
im vorliegenden Fall zeitigt, müsste - wenn es dessen Abs. 3bis noch nicht gäbe - auf eine unechte Lücke in
Art. 37 AVIV
geschlossen werden (
BGE 111 V 327
, 106 V 70 Erw. 2a). Zwar enthält die alte Fassung von
Art. 37 AVIV
an sich eine Lösung. Diese führt aber in Fällen wie dem vorliegenden zu derart unbefriedigenden, ja verfassungswidrigen Ergebnissen, dass der Richter hier eingreifen und nach der Regel entscheiden muss, die er als Gesetzgeber (
Art. 1 Abs. 2 ZGB
) aufstellen würde (
BGE 118 V 173
Erw. 2b; RKUV 1985 Nr. K 620 S. 78 je mit weiteren Hinweisen). Nun verhält es sich allerdings so, dass der Verordnungsgeber mit dem Erlass von Abs. 3bis zu
Art. 37 AVIV
bereits gehandelt und eine solchen Sonderfällen hinreichend
BGE 121 V 165 S. 177
gerecht werdende Lösung getroffen hat. Insofern erübrigt sich ein richterliches Eingreifen. Dies gilt aber nur soweit, als ein konkreter Fall nach dem seit 1992 geltenden neuen Recht zu entscheiden ist. Vorliegend trifft dies gerade nicht zu, nachdem der Beschwerdeführer bereits am 21. Oktober 1991 zum ersten Mal die Stempelkontrolle besuchte und der ab diesem Tag für die Taggeldberechnung massgebende versicherte Verdienst folglich aufgrund des damals geltenden alten Rechts zu ermitteln wäre. Weil dieses aber nach dem Gesagten zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führt, ist es angezeigt, den erst am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Abs. 3bis von
Art. 37 AVIV
im Sinne richterlicher Lückenfüllung auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
e) Zu prüfen bleibt schliesslich, wie es sich mit der Differenz verhält zwischen dem Ergebnis, wie es in Anwendung von
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
unter Erw. 4c/bb ermittelt worden ist, und demjenigen im angefochtenen Gerichtsentscheid, das sich - wie gezeigt (Erw. 4c/cc) - faktisch auf dieselbe Bestimmung abstützt. Der Unterschied gründet darin, dass in der ersten Lösung die dem letzten Arbeitstag unmittelbar vorangehenden letzten zwölf Monate als Bemessungszeitraum dienen, während die Vorinstanz jenen Monat ausser acht gelassen hat, in dem keine Beschäftigung ausgewiesen war. Diese Lösung lässt sich durchaus mit
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
vereinbaren. Zwar spricht der Wortlaut von den "letzten zwölf Monaten", was aber keineswegs bedingt, darunter nur die unmittelbar vorausgehenden zwölf Monate zu verstehen. So wie bei
Art. 37 Abs. 3 AVIV
zwischen einzelnen Beitragsmonaten Zeitlücken liegen können (ARV 1992 Nr. 1 S. 71), bestehen auch aufgrund des Wortlauts von Abs. 3bis keine Bedenken, jene Monate wegzulassen, in denen der Versicherte überhaupt keine Beschäftigung ausübte. Daher erweist sich die von der Vorinstanz getroffene Lösung im Ergebnis als richtig, dies mit der zu korrigierenden Begründung, dass vorliegend
Art. 37 Abs. 3bis AVIV
anwendbar ist. Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cea70dc9-42cf-4b32-9838-6e395870b900 | Urteilskopf
84 II 281
39. Arrêt de la IIe Cour civile du 27 mars 1958 dans la cause Unlon de banques suisses contre Société Rue de Lausanne 51 SA | Regeste
Inhaberpapiere.
Art. 978 und 979 OR
.
1. Der Inhaber, der vom Eigentümer ein Inkassomandat mit Ermächtigung zur Einforderung im eigenen Namen erhalten hat, ist der Berechtigte im Sinn von
Art. 978 OR
.
2. In diesem Falle sind die dem Schuldner persönlich gegen den jeweiligen Gläubiger zustehenden Einreden, die er nach
Art. 979 Abs. 1 OR
der Forderung aus dem Inhaberpapier entgegensetzen kann, diejenigen, die ihm gegen den auf Grund des Inkassomandates handelnden Inhaber zustehen. | Sachverhalt
ab Seite 281
BGE 84 II 281 S. 281
A.-
La société immobilière Rue de Lausanne 51 SA, à Fribourg, a été inscrite au registre du commerce le 29 juin 1932. Selon l'art. 17 de ses statuts, elle était engagée par la signature individuelle de ses administrateurs, qui étaient alors Albert Calame, Joseph Pizzera et Paul Baillod, avocat et notaire à Neuchâtel. Le 4 août 1932, elle a fait l'acquisition du bâtiment Rue de Lausanne 51, à Fribourg, art. 3856 du registre foncier de la commune de Fribourg. Lors de l'assemblée générale du 8 novembre 1946, la totalité du capital-actions, comprenant 50 actions nominatives de 1000 fr., était en main du "Placement immobilier de Neuchâtel", société coopérative représentée par Paul Baillod et Bernard de Chambrier. Cette société cherchait alors à réaliser ses actifs en vue de dissolution.
BGE 84 II 281 S. 282
Le 10 mars 1947, Guillaume de Weck, qui exploitait un bureau d'affaires à Fribourg, a conclu avec Edouard Romanens, alors laitier à Chavannes-sur-Romont, la convention suivante:
"1. 'agence immobilière Guillaume de Weck vend à Monsieur Edouard Romanens le capital-actions de la Société immobilière rue de Lausanne 51 dont le capital est de fr. 50 000.--, divisé en 50 actions de fr. 1000.-- chacune, entièrement libérées, pour le prix de fr. 320 000.-- (trois cent vingt mille francs).
2. Ce capital-actions au nominal de fr. 50 000.-- a comme actif l'immeuble sis rue de Lausanne 51, à Fribourg, selon extrait de cadastre annexé à la présente convention.
3. Le passif de la Société immobilière rue de Lausanne 51 est représenté par l'hypothèque en premier rang de fr. 140 000.-- auprès de la Caisse nationale suisse d'assurances en cas d'accidents à Lucerne.
4. Monsieur Edouard Romanens paie le capital-actions de la Société immobilière rue de Lausanne 51 de la manière suivante:
a) reprise de l'hypothèque en 1er rang auprès de la Caisse
nationale suisse d'assurances en cas d'accidents à
Lucerne fr. 140 000.--
b) Versements en espèces, avec intérêt au
4 1/2 % jusqu'au 25 avril 1947 " 120 000.--
c) Solde avance provisoire de l'agence im-
mobilière G. de Weck jusqu'au 30 sep-
tembre 1947 " 60 000.--
fr. 320 000.--
5. L'entrée en jouissance est fixée au 25 avril 1947. Les produits et charges seront repris par Monsieur Edouard Romanens au prorata à la même date.
6. L'agence immobilière Guillaume de Weck déclare que la Société immobilière rue de Lausanne 51 ne possède pas d'autres dettes que celles inscrites au registre foncier et s'en porte garante.
7. Sitôt le paiement des actions réalisé, Monsieur Guillaume de Weck remettra à Monsieur Edouard Romanens les actions formant le capital social de la société immobilière rue de Lausanne 51.
8. Monsieur Edouard Romanens donne par les présentes décharge au vendeur l'Agence immobilière Guillaume de Weck, de toutes autres prestations apportées à l'immeuble rue de Lausanne 51 à Fribourg, lequel est vendu par cette convention de vente d'actions, dans l'état où il se trouve ce jour.
9. L'avance momentanée de fr. 60 000.-- est productive d'un intérêt au taux de 4 1/2 % à partir de l'entrée en jouissance.
Ainsi fait à Fribourg, le 10 mars 1947.
(signé) Guillaume de Weck Edouard Romanens."
BGE 84 II 281 S. 283
Lors de la conclusion de cette convention, Weck n'était pas propriétaire des actions qu'il vendait à Romanens. C'est le 24 novembre 1947 seulement que le Placement immobilier de Neuchâtel céda et transféra à Weck la totalité des actions de la S.I. Rue de Lausanne 51 SA, pour le prix de 300 000 fr., payable le 20 décembre 1947 au plus tard. Le Placement immobilier s'engagea alors à tenir une assemblée générale qui nommerait comme administrateurs, à la place de Georges Vaucher et Joseph Pizzera, Weck et son fondé de pouvoir Louis Muller.
Le 24 novembre 1947 également, Me Baillod signa et remit à Weck la pièce suivante:
"P r o c u r a t i o n
Je soussigné Paul Baillod, agissant en ma qualité d'administrateur avec signature individuelle de la société Rue de Lausanne 51 s.a. à Fribourg, donne procuration à Monsieur Guillaume de Weck, Agence immobilière à Fribourg, pour et au nom de la société Rue de Lausanne 51 s.a. prendre une hypothèque au porteur de fr. 100 000.-- (cent mille francs) sur l'immeuble propriété de la dite société.
Neuchâtel, le vingt-quatre novembre mil neuf cent quarantesept.
(signé) Baillod."
Agissant en vertu de cette procuration, Weck fit établir, le 4 décembre 1947, six obligations hypothécaires au porteur d'une valeur totale de 100 000 fr., savoir quatre titres de 20 000 fr. et deux de 10 000 fr. Deux obligations de 20 000 fr. et une de 10 000 fr. furent constituées en deuxième rang, après la dette existante, à parité de rang entre elles; les autres le furent en troisième rang, également à parité de rang. La société ne toucha jamais la somme correspondante.
Le 23 janvier 1948, Paul Baillod démissionna comme administrateur de la S.I. Rue de Lausanne 51 SA; il décéda le 4 décembre 1950; l'extinction de ses pouvoirs ne fut toutefois inscrite au registre du commerce qu'en 1953. En revanche, les démissions de Vaucher et Pizzera et les nominations de Weck, comme président de l'administration,
BGE 84 II 281 S. 284
et de Muller, en qualité de secrétaire, furent inscrites au registre du commerce le 9 février 1948.
En exécution de la convention du 10 mars 1947, Romanens paya à Weck, en plusieurs versements, entre le 11 mars et le 21 juin 1947, la somme totale de 156 000 fr.
Weck est décédé subitement le 31 décembre 1952. Sa succession fut répudiée et la faillite ouverte le 25 mars 1953.
Au début de décembre 1951, l'Union de banques suisses, à Lausanne (ci-après: UBS) était entrée en possession des six obligations hypothécaires au porteur de 100 000 fr. au total qui lui avaient été remises en dépôt. Le 25 février 1953, elle somma la S.I. Rue de Lausanne 51 SA de payer l'intérêt semestriel échu le 31 décembre 1952, savoir 2500 fr. Pour ce montant, elle lui fit notifier, le 11 mai 1953, une poursuite en réalisation de gage no 1784. Les intérêts dus au 31 juin 1953, par 2500 fr., firent à leur tour l'objet d'une poursuite no 5930 signifiée le 8 juillet 1953. Les oppositions faites à ces poursuites ayant été levées provisoirement, la S.I. Rue de Lausanne 51 SA a introduit une action en libération de dette contre l'UBS en concluant à ce qu'il fût prononcé:
"1o) que la société demanderesse ne lui doit pas (c'est-à-dire à la défenderesse) l'intérêt de fr. 2500.--, objet de la poursuite no 1784 de l'Office des poursuites de la Sarine, ni non plus les intérêts du capital mis en poursuite sous no 1784, ni les frais de la poursuite précitée, ni non plus les frais et dépens de la procédure de mainlevée y relative (décision du juge de mainlevée du 13 juin 1953);
2o) que la société demanderesse ne lui doit pas l'intérêt de fr. 2500.--, objet de la poursuite no 5930 de l'Office des poursuites de la Sarine, ni non plus les intérêts du capital mis en poursuite sous no 5930, ni les frais de la poursuite précitée, ni non plus les frais et dépens de la procédure de mainlevée y relative (décision du juge de mainlevée du 8 août 1953);
3o) que la société demanderesse ne lui doit pas le capital, ni les intérêts des six obligations hypothécaires au porteur créées le 4 décembre 1947 et représentant ensemble un montant nominal de fr. 100 000.-- (cent mille francs), garanti par hypothèque sur l'immeuble désigné au registre foncier de la commune de Fribourg, par l'article 3856."
L'UBS a conclu à libération.
BGE 84 II 281 S. 285
Par jugement du 28 mars 1956, le Tribunal civil de la Sarine a admis les conclusions de la demanderesse, considérant que l'UBS n'était pas titulaire des droits incorporés dans les obligations hypothécaires qu'elle détenait seulement comme gérante.
B.-
Saisie d'un recours formé par l'UBS, la Cour d'appel de l'Etat de Fribourg, par arrêt du 3 juin 1957, a confirmé ce jugement et prononcé:
"L'action de la société immobilière Rue de Lausanne 51 s.a. est admise, en ce sens que dite société ne doit à l'Union de Banques suisses ni les intérêts faisant l'objet des poursuites nos 1784 et 5930 de l'Office des poursuites de Fribourg, ni les intérêts échus ultérieurement, ni le capital des six obligations hypothécaires au porteur du 4 décembre 1947, d'un total de fr. 100 000.--, grevant l'immeuble désigné par l'article 3856 du registre foncier de la commune de Fribourg."
La Cour d'appel fribourgeoise a considéré en particulier ce qui suit:
Lors de son interpellation, le sous-directeur de l'UBS, Georges Strohm, a déclaré que la banque n'était que dépositaire des six obligations hypothécaires, qu'elle en avait seulement la gérance et que les titres ne figuraient pas à son bilan. S'agissant d'un dépôt libre ou ouvert, la banque n'a pas le pouvoir d'agir en justice. Selon l'art. 479 al. 2 CO, le dépositaire, en cas de saisie ou de revendication, doit immédiatement avertir le déposant; ses obligations s'arrêtent là. Il est d'autre part de jurisprudence (RO 57 III 131 et 160, 42 III 385, 78 III 8) que le mandataire ne peut intervenir dans une faillite pour une créance sans nommer son mandant. Si la possession de titres au porteur fait présumer que le détenteur en est le propriétaire, cette présomption n'est pas irréfragable. Le débiteur peut la renverser en établissant que le possesseur n'est pas le créancier. Or, c'est ce qui a été fait en l'espèce par l'aveu du représentant de l'UBS.
C.-
L'UBS a recouru en réforme au Tribunal fédéral, en reprenant ses conclusions libératoires.
L'intimée conclut au rejet du recours.
BGE 84 II 281 S. 286
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Procédure.)
2.
La juridiction cantonale a admis la validité des six obligations hypothécaires au porteur créées le 4 décembre 1947. Ce point n'est pas discuté dans la procédure de réforme. Dans sa réponse au recours, l'intimée déclare expressément que la seule question qui reste litigieuse est celle de savoir si l'UBS peut exercer les droits incorporés dans ces titres.
Se fondant sur les déclarations du sous-directeur Strohm, qui avait exposé, lors de son interpellation devant le juge de première instance, que l'UBS n'était pas propriétaire des obligations au porteur se trouvant en sa possession, qu'elle les avait seulement en dépôt et était chargée de leur gérance, la Cour cantonale a jugé que la recourante ne pouvait pas faire valoir les droits constatés par ces titres. Elle a considéré d'une part que, d'après l'art. 479 al. 2 CO et l'arrêt RO 63 II 242, les pouvoirs du dépositaire n'allaient pas aussi loin et d'autre part que, selon la jurisprudence (RO 57 III 131 et 160, 42 III 385 et 78 III 8), celui qui exerce des droits tirés de papiers-valeurs au porteur dans une procédure d'exécution forcée doit faire connaître le nom du véritable créancier.
Cette argumentation ne saurait toutefois être admise.
a) Il n'est pas contesté dans l'espèce que les obligations hypothécaires constituées à la charge de l'intimée sont des papiers-valeurs au porteur: dans chacun des six titres, la débitrice a en effet "reconnu devoir légitimement au porteur de la présente obligation" la somme qui s'y trouve indiquée, et déclaré créer, pour le montant correspondant, une hypothèque sur son immeuble en garantie du paiement du capital, des intérêts et de tous accessoires légaux. Il s'agit ainsi de titres au porteur incorporant des droits de créances, lesquels sont garantis par des hypothèques (RO 49 II 19, 77 II 360). Or, il ressort de l'art. 978 al. 1 CO, selon lequel "est titre au porteur tout papier-valeur dont
BGE 84 II 281 S. 287
le texte ou la forme constate que chaque porteur en sera reconnu comme l'ayant droit", que tout porteur d'un tel titre - "der jeweilige Inhaber", dit le texte allemand de la disposition - doit être considéré comme ayant le pouvoir d'exercer les droits qui y sont incorporés; le débiteur n'a pas à rechercher si le porteur est l'ayant droit.
Qu'en est-il toutefois lorsque le porteur déclare luimême, ainsi que c'est le cas dans l'espèce, qu'il n'est pas propriétaire du titre mais que, tout en faisant valoir en son nom les droits qui en découlent, il agit pour le compte du propriétaire? Tout créancier peut donner mandat à un tiers de le représenter pour réclamer au débiteur l'exécution de ses obligations. Lorsqu'il s'agit d'un papier-valeur au porteur, celui qui en est propriétaire et qui est titulaire des droits en dérivant peut charger le représentant de les exercer en son nom et pour le compte du représenté et, à cet effet, lui transférer la possession du titre qui lui permettra de se légitimer envers le débiteur. En tant qu'il est porteur du titre, le représentant doit être tenu pour l'ayant droit; le fait qu'il détient le titre et qu'il le produit suffit à justifier son droit d'exiger le paiement en son nom, même s'il agit pour le compte du représenté et qu'il le déclare. En vertu de la clause "au porteur", le pouvoir d'exercer les droits incorporés dans le papier-valeur est établi par la simple présentation de celui-ci: sauf les cas où il a des motifs fondés de suspicion, le débiteur est tenu de s'exécuter envers le porteur; pour les papiers-valeurs au porteur, il n'y a pas de distinction à faire entre la justification de la qualité de créancier, des pouvoirs de représentation et de l'identité de l'ayant droit avec le porteur (cf. JÄGGI, notes 222 et 315 à l'art. 965, 130 et 133 à l'art. 966). Dès lors, tout porteur qui exerce en son nom les droits qu'incorpore le titre, qu'il soit propriétaire ou qu'il agisse comme représentant de ce dernier, peut poursuivre le recouvrement de la créance, si besoin est par une action en justice, et le débiteur n'a ni le devoir ni le droit d'exiger qu'il se légitime de plus ample façon que par la
BGE 84 II 281 S. 288
présentation du titre, sous réserve des cas où il existe des motifs fondés de suspicion. Admettre le contraire reviendrait à vider de son contenu la notion même du papiervaleur au porteur.
b) Dans l'espèce, il est constant que l'UBS est porteur des titres dont elle déduit les droits qu'elle exerce contre l'intimée, qu'elle a reçu les obligations hypothécaires en dépôt et qu'elle était chargée de leur gérance. La société débitrice n'a, d'autre part, à aucun moment contesté que la recourante avait mandat de faire valoir en son nom les droits découlant des titres. Elle prétend en revanche, avec la Cour cantonale, que seul le propriétaire d'un titre au porteur est créancier des droits qui y sont incorporés et que, dès l'instant où l'UBS reconnaît n'avoir pas la propriété des obligations litigieuses, elle n'a pas la qualité pour exercer en son nom les droits qui en dérivent. L'intimée et la juridiction cantonale perdent cependant de vue que le droit du porteur sur le titre et la qualité pour faire valoir les droits qui y sont constatés peuvent résulter non seulement de la propriété mais aussi notamment de pouvoirs conférés au porteur, par un mandat d'encaissement, de réclamer l'exécution en son nom. Cela découle de la nature même du papier-valeur au porteur et est admis par la doctrine (BEELER, Die Wertpapiere im schweizerischen Recht, p. 158; COSACK/MITTEIS, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, II, 1re partie, 7e et 8e éditions, 1924, p. 452; Das bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, II, 10e édition, 1953, note 4 au § 793, p. 621; STAUDINGERS Kommentar zum BGB, 10e édition, 1943, note 10 no 1 litt. c au § 793, p. 2395; PALANDT, Bürgerliches Gesetzbuch, 17e édition, 1958, note 3 au § 793, p. 641; ENNECCERUS/LEHMANN, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, II, Recht der Schuldverhältnisse, 13e édition, 1950, p. 801, no II/1). Le fait que le porteur déclare agir en vertu d'un mandat de faire valoir en son nom les droits qu'incorpore le papiervaleur, conféré par le propriétaire, et qu'il reconnaît
BGE 84 II 281 S. 289
objectivement ne pas en avoir la propriété ne change rien à ses pouvoirs et à la justification de sa qualité découlant de la possession et de la présentation du titre. Si l'on admettait le contraire, on favoriserait en définitive les manoeuvres visant à cacher la véritable situation du porteur: il suffirait en effet à celui-ci de ne pas révéler le rapport de représentation et d'exiger purement et simplement du débiteur l'exécution de ses obligations sur la base de la production du titre au porteur, sans fournir de plus amples explications.
c) La juridiction cantonale s'est livrée à une analyse des droits et des obligations découlant en général du contrat de dépôt dit ouvert ou libre, combiné avec la gestion de titres, conclu entre une banque et son client. Les modalités de la convention passée par le propriétaire des obligations litigieuses avec l'UBS n'ayant pas été précisées par la procédure, la Cour d'appel a jugé que, d'après les principes généraux régissant les relations entre le déposant et le dépositaire chargé de la gérance de titres, la recourante n'avait pas qualité pour exercer en son nom les droits compétant à son client. A cet égard également, l'argumentation de l'arrêt attaqué est erronée. Comme la recourante, qui est porteur de titres, affirme agir en vertu de pouvoirs lui conférant le droit de réclamer en son nom l'exécution des obligations assumées par la débitrice et que celle-ci ne conteste pas ses pouvoirs, mais se borne à prétendre que seul le propriétaire peut exiger les prestations auxquelles elle s'est engagée, il n'y a pas lieu de rechercher comment l'UBS et son client avaient aménagé leurs rapports. Il suffit de constater que les pouvoirs de la banque ne sont en soi pas contestés, ce qui a pour conséquence qu'elle doit être considérée comme ayant qualité pour exercer les droits découlant des titres dont elle est porteur.
d) A l'appui de sa décision, la Cour cantonale invoque les arrêts publiés au RO 57 III 131 et 160, selon lesquels celui qui veut faire valoir une prétention dans une procédure
BGE 84 II 281 S. 290
d'exécution forcée doit révéler son nom et son domicile, même s'il la fonde sur un titre au porteur, et qu'il ne peut garder l'anonymat en se bornant à faire agir un représentant à sa place. Elle cite également l'arrêt RO 42 III 385 où il a été jugé que, par l'effet de la production et de la collocation dans la faillite, la créance résultant d'un titre au porteur est fixée sur la personne du créancier colloqué et que, si celui-ci cède ensuite son titre à un tiers, l'acquéreur ne peut exercer aucun droit contre la masse. Elle se réfère enfin à l'arrêt RO 78 III 8 qui prononce que, lorsque des biens sont saisis en main d'un tiers, ce dernier ne peut se retrancher derrière le secret professionnel pour refuser de révéler le nom du propriétaire, car cette indication est indispensable pour l'introduction de la procédure de revendication.
En l'espèce, on ne saurait cependant tirer argument de cette jurisprudence. Dans les cas qui ont fait l'objet des arrêts publiés au RO 57 III 131 et 160, le représentant ne prétendait nullement être l'ayant droit et ne faisait pas valoir en son nom les droits découlant du titre au porteur; il se bornait à intervenir au nom et pour le compte du créancier, dont il refusait de révéler l'identité, en sorte que l'ayant droit demeurait inconnu et qu'il était ainsi impossible aux intéressés de lui intenter un procès s'ils entendaient contester sa prétention. De même, dans l'affaire tranchée par l'arrêt RO 78 III 8, l'avocat D. n'alléguait pas être titulaire de droits quelconques sur les actions saisies en ses mains, mais soutenait simplement qu'il les détenait pour le compte d'un tiers dont il n'était pas autorisé à indiquer le nom; là encore, l'absence de cette indication empêchait les créanciers saisissants de se déterminer sur la revendication et les mettait dans l'impossibilité de faire reconnaître en justice le droit d'obtenir la réalisation des titres saisis, leur action ne pouvant évidemment être introduite contre le représentant d'un mandant non désigné. Dans l'espèce, la situation est complètement différente. L'UBS agit en son nom, bien que pour le
BGE 84 II 281 S. 291
compte de son client; comme elle est porteur des titres et qu'elle est au bénéfice d'un mandat non contesté d'exercer en son nom les droits qui y sont incorporés, elle est l'ayant droit et poursuit en cette qualité l'exécution des obligations assumées par la débitrice. L'ayant droit des obligations litigieuses n'est nullement inconnu: c'est la recourante qui agit comme tel et c'est contre elle que peuvent et doivent être dirigées les procédures visant à contester les droits qu'elle fait valoir en son nom.
Quant à l'arrêt RO 42 III 385, il ne fournit également aucun appui à l'opinion de la Cour cantonale. Etant l'ayant droit, l'UBS eût été, en cas de faillite, colloquée en cette qualité et les droits qu'elle exerce en son nom auraient été fixés sur elle.
e) De par l'art. 979 al. 1 CO, le débiteur peut opposer à l'action dérivant d'un titre au porteur les exceptions qu'il a personnellement contre le créancier. La juridiction cantonale estime qu'il est impossible au débiteur de faire valoir ces exceptions si le mandataire du créancier lui cache le nom de ce dernier. Elle perd cependant de vue que, dans l'espèce, l'ayant droit est l'UBS et que ce sont les exceptions qui existent contre celle-ci que la débitrice pourrait opposer aux prétentions déduites des titres litigieux. Celui qui émet un titre au porteur accepte par là même de ne pouvoir faire valoir que les exceptions qu'il possède personnellement contre le porteur qui justifie de sa qualité de créancier. Or, comme on l'a vu, cette qualité peut résulter non seulement de la propriété du titre, mais aussi notamment de pouvoirs conférés au porteur de réclamer en son nom l'exécution, dérivant d'un mandat d'encaissement donné dans ce sens par le propriétaire. Si tel est le cas, le débiteur ne peut soulever que les exceptions qu'il a personnellement contre le porteur agissant en son nom, quand bien même celui-ci serait un représentant du propriétaire. Inversement, le propriétaire d'un titre au porteur, qui donne un mandat d'encaissement en vertu duquel le représentant doit exercer en son nom les droits
BGE 84 II 281 S. 292
incorporés dans le papier-valeur, ne peut empêcher le débiteur de faire valoir les exceptions qu'il a personnellement contre le mandataire. En conférant au représentant le pouvoir d'agir en son nom et, partant, la qualité d'ayant droit envers le débiteur, le propriétaire du titre au porteur assume le risque de voir opposer à la prétention exercée de cette façon les exceptions que le débiteur a personnellement contre celui qui apparaît comme créancier.
Il n'y a pas lieu d'examiner si l'intimée aurait pu invoquer le moyen prévu à l'art. 979 al. 2 CO, car elle n'a allégué aucun fait à cet égard.
f) De ces considérants, il suit que la recourante est, à l'égard du débiteur, l'ayant droit des obligations dont elle est porteur et dont elle déduit les prétentions qu'elle exerce en son nom, et que la demande doit être rejetée, l'intimée n'ayant pas justifié de sa libération.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
Le recours est admis et l'arrêt attaqué est réformé en ce sens que la demande est rejetée. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ceac364f-0ed7-4923-a504-3caa5bc1ef2b | Urteilskopf
87 II 269
37. Extrait de l'arrêt de la Ie Cour civile du 14 novembre 1961 dans la cause Fabrique des montres Vulcain et Studio SA contre Enicar SA | Regeste
Patentrecht.
Begriff des Standes der Technik bei der Beurteilung der Neuheit, des technischen Fortschrittes und der Erfindungshöhe. | Erwägungen
ab Seite 269
BGE 87 II 269 S. 269
Il faut d'abord rechercher quel était l'état de la technique lors du dépôt du brevet litigieux, puisque c'est au regard de cette situation qu'on doit juger si le dispositif breveté a réalisé un progrès technique nettement établi et procédait d'une idée créatrice d'un niveau suffisamment élevé.
Une antériorité peut consister, selon l'art. 4 LBI de 1907, dans une réalisation ou une publication antérieure ignorée ou complètement oubliée des techniciens. Cette disposition légale introduit donc, en matière de nouveauté, une notion
BGE 87 II 269 S. 270
de l'état de la technique qui est une pure fiction (cf. BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, I, ad art. 7 rem. 6, p. 342; TROLLER, Immaterialgüterrecht, I, p. 202 et suiv.).
Il n'en est pas de même dans le domaine du progrés technique et du niveau inventif. Ici, l'état de la technique s'apprécie selon les connaissances effectives des hommes du métier. On ne doit tenir compte d'une invention antérieure que si elle a réellement exercé une influence sur le développement de la technique. Lors donc que, par exemple, une publication n'a pas été divulguée ou est tombée dans l'oubli, on ne peut la prendre en considération pour juger si l'objet d'un brevet litigieux constitue une invention (MATTER, Aktuelle Fragen aus dem Gebiet des Patent- und des Patentprozessrechtes, dans RDS 1944 p. 30 a; TROLLER, op.cit., p. 199). | public_law | nan | fr | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ceadd4b9-d3fc-41fa-adfb-92ce68543b54 | Urteilskopf
101 IV 149
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Mai 1975 i.S. Zahnd gegen Generalprokurator des Kantons Bern und Gabriele | Regeste
Art. 117 StGB
.
Bei Unterlassungsdelikten ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolg zu bejahen, wenn ohne die Unterlassung der Erfolg mit Sicherheit oder an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre.
Es genügt nicht, dass die unterlassene Handlung den Erfolg bloss möglicher- oder sehr wahrscheinlicherweise verhindert hätte. | Sachverhalt
ab Seite 149
BGE 101 IV 149 S. 149
A.-
Am 24. Juli 1972 richtete der dipl. Installateur Aebi in der Küche der Carmen Gabriele an der Werkgasse 21a in Bern einen Gasdurchlauferhitzer ein. (Gleichzeitig installierte er im Wohnzimmer einen Gasofen und am 6. September 1972 in der Küche einen weitern solchen Apparat). Den Gasdurchlauferhitzer hatte Aebi beim Städtischen Gaswerk Bern bezogen.
Am 31. Januar 1973 meldete Aebi auf dem Formular G4 die am 24. Juli und 6. September 1972 in der Wohnung der Carmen Gabriele vorgenommenen Installationen dem Gaswerk Bern gemäss Art. 10 und 11 der städtischen Verordnung vom 31. März 1971. Er tat dies, indem er die Meldung dem als Werber beim Gaswerk angestellten Zahnd persönlich übergab. Dieser hatte zwar mit den von den Installateuren zu erstattenden Meldungen und mit der Kontrolle von Installationen grundsätzlich nichts zu tun. Da er auf Grund seines Arbeitsverhältnisses jedoch mit den privaten Installateuren einen guten Kontakt hatte, weigerte er sich auch nicht, Meldungen von Installateuren über ausgeführte Installationen entgegenzunehmen
BGE 101 IV 149 S. 150
und an die zuständige Installationskontrolle des Gaswerkes weiterzuleiten. So kam es, dass Zahnd die genannte Meldung von Aebi zur Registrierung zunächst an das Erdgasbüro weitergab. Von dort gingen die Meldungen jeweils wieder an Zahnd zurück, der sie dann an die Installations-Kontrolle weiterzuleiten hatte. Im Falle der Carmen Gabriele verlegte jedoch Zahnd die an ihn zurückgelangte Meldung in seinem Büro. Die Weiterleitung an das für Kontrollen zuständige Installationsbüro unterblieb.
Am 24. Juli 1973 fand die von der Arbeit heimkehrende Carmen Gabriele den bei ihr zu Besuch weilenden Bruder Salvatore Gabriele im Wohnschlafzimmer tot vor. Anlässlich der durchgeführten Legalinspektion wurde im Blut der Leiche 70% CO-Hb vorgefunden. Todesursache war eine akute Kohlenmonoxydvergiftung. Das giftige Gas stammte von dem in der Küche eingerichteten Durchlauferhitzer. Das Kohlenmonoxyd hatte sich wegen unvollständiger Verbrennung des an sich kohlenmonoxyd-freien Erdgases gebildet.
B.-
Mit Urteil vom 5. September 1974 erklärte der Gerichtspräsident VII von Bern Aebi schuldig der fahrlässigen Tötung i.S. von
Art. 117 StGB
und der fahrlässigen Gefährdung durch giftige Gase gemäss
Art. 225 StGB
und verurteilte ihn zu 20 Tagen Gefängnis, unter Zubilligung des bedingten Strafvollzuges auf eine Probezeit von 2 Jahren.
Mit gleichem Urteil wurde Zahnd der fahrlässigen Tötung schuldig erklärt und mit Fr. 300.-- gebüsst.
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 10. Dezember 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.
C.-
Zahnd führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe.
D.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Zivilkläger Giovanni und Irma Gabriele beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht wirft dem Beschwerdeführer vor, in die von Aebi durch die unsorgfältige Einstellung des installierten Durchlauferhitzers geschaffene tödliche Gefahrsituation in pflichtwidriger Weise nicht eingegriffen zu haben, indem er die ihm von Aebi zugekommene Installationsmeldung vom
BGE 101 IV 149 S. 151
31. Januar 1973 nicht an die Installationskontrolle des Gaswerkes weiterleitete und so eine diese Gefahr voraussichtlich behebende Kontrolle des Durchlauferhitzers verunmöglichte. Damit wird dem Beschwerdeführer ein unechtes Unterlassungsdelikt zur Last gelegt (dazu HAFTER: Lehrbuch, allg. Teil, S. 77 Ziff. 2 und SCHWANDER: Schweiz. Strafgesetzbuch, 2. Aufl. Nr. 156). Wie die Begehungsdelikte, sind auch die Unterlassungsdelikte nur strafbar, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Unterlassung für den eingetretenen, vom Strafgesetz verpönten Enderfolg kausal war. Schon HAFTER stellt fest (a.a.O. S. 83 Ziff. IV), dass mechanisch betrachtet das Nichthindern eines von einem Dritten geschaffenen tödlichen Gefahrszustandes bei Verwirklichung der Gefahr (z.B. Tötung) zwar an sich nicht Verursachung dieses Erfolgs sein kann; beim Unterlassungsdelikt fehle also der mechanische Kausalzusammenhang zwischen menschlichem Versagen und dem strafbaren Erfolg. Juristisch - sagt HAFTER - sei jedoch natürliche Kausalität vorhanden, "wenn ohne die pflichtwidrige Untätigkeit der schädigende Erfolg nicht eingetreten wäre". Diese juristische Deutung des natürlichen Kausalitätsbegriffes und seine Anwendung auf Unterlassungsdelikte sei gerechtfertigt, da es den Anschauungen des täglichen Lebens und dem Sprachgebrauch entspreche, wenn man erkläre, dass der Bahnwärter, Bergführer oder Soldat, welcher pflichtwidrig untätig geblieben sei, den eingetretenen Schaden "verursacht" habe. Ähnlich überlegt auch SCHWANDER, wenn er sagt (a.a.O.): "Dem Täter wird vorgeworfen, er habe an der Gefährdung oder Verletzung insofern Anteil, als er es unterlassen habe, in einen gefährlichen Kausalverlauf - für den der Täter selber nicht verantwortlich zu sein braucht - einzugreifen und den Erfolg abzuwenden". Dem Täter werde also vorgeworfen, einen verhängnisvollen Kausalverlauf nicht unterbrochen zu haben. In solchen Fällen bestehe natürlicher Kausalzusammenhang, "wenn die vom Täter erwartete Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der verbotene Erfolg entfiele". Denselben Standpunkt vertritt auch SCHULTZ (Das Unterlassungsdelikt, S. 24). Nach diesen Autoren ist beim Unterlassungsdelikt mithin erforderlich, dass der vom Gesetz verpönte Erfolg ohne die pflichtwidrige Unterlassung nicht eingetreten wäre, oder dass die vom Täter erwartete Handlung zum sonstigen Geschehen
BGE 101 IV 149 S. 152
nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der verbotene Erfolg entfiele.
2.
a) Das Obergericht betrachtet - im Gegensatz zum Beschwerdeführer - diese Voraussetzungen im vorliegenden Falle als erfüllt. Die gegensätzlichen Ansichten sind darauf zurückzuführen, dass die Vorinstanz die Auffassung vertritt, zur Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges bei Unterlassungsdelikten genüge es, wenn bei pflichtgemässem Tätigwerden des Täters der Eintritt des schädigenden Erfolgs "sehr wahrscheinlich" verhindert worden wäre, währenddem der Beschwerdeführer die Meinung verficht, zur Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhanges bei Unterlassungsdelikten sei unerlässlich, dass feststehe, dass der schädigende Erfolg durch die Vornahme der vom Täter geforderten Handlung "mit Sicherheit oder wenigstens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" verhindert worden wäre.
b) Es ist zunächst abzuklären, ob der Kassationshof diese Streitfrage prüfen darf, da nach der Rechtsprechung der Entscheid, ob in einem konkreten Straffall zwischen dem Verhalten des Täters und dem strafbaren Enderfolg ein natürlicher Kausalzusammenhang bestehe, in den Bereich des Tatsächlichen gehört, welcher der Überprüfung durch den Kassationshof nicht untersteht (
Art. 277 bis Abs. 1 BStP
;
BGE 97 IV 245
E. 4;
BGE 98 IV 173
E. 2). Wenn der Kassationshof an die Feststellung des Sachrichters, ob zwischen dem Verhalten des Täters und dem strafbaren Enderfolg ein natürlicher Kausalzusammenhang bestehe oder nicht, an sich auch gebunden ist, so darf er bei seiner Rechtskontrolle doch stets dann eingreifen, wenn in einer an ihn gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht wird, der Sachrichter sei bei seiner Entscheidung von einem bundesrechtswidrigen Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges ausgegangen. Denn die Frage, ob dem so sei oder nicht, ist eine Rechtsfrage.
c) In Übereinstimmung mit der oben zitierten Lehre ist davon auszugehen, dass der Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges zwischen dem Verhalten des Täters und dem strafbaren Enderfolg wie bei den Begehungsdelikten so auch bei den (echten und unechten) Unterlassungsdelikten seinem Wesen und Begriffe nach stets voraussetzt, dass das Verhalten des Täters nicht bloss möglicher- oder wahrscheinlicherweise, sondern mit einem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit oder
BGE 101 IV 149 S. 153
mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ursache des strafbaren Enderfolgs sei (
BGE 86 IV 220
E. 2; SCHULTZ, a.a.O. S. 40; ferner die bei KARL ENGISCH: Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 30 und Anm. 2 zustimmend zitierte Reichsgerichtspraxis; ebenso Kommentar SCHÖNKE/SCHRÖDER, 16. Auflage, S. 49 Note 141). Trifft dies nämlich bloss möglicher- oder nur wahrscheinlicherweise zu, so bedeutet das nichts anderes, als dass das Verhalten des Täters ebensowohl auch nicht die Ursache des strafbaren Erfolgs sein könnte. Der verpönte Erfolg kann in einem solchen Falle also - unbekümmert um das Verhalten des Täters - möglicherweise auch durch ganz andere Ursachen bewirkt worden sein.
Im vorliegenden Fall stellt die Vorinstanz fest, dass das Gaswerk die Installation bei Eingang der Meldung "zwar nicht mit Sicherheit", aber "sehr wahrscheinlich" kontrolliert hätte. Eine amtliche Kontrolle hätte m.a.W. auch aus anderen, betriebsinternen Gründen unterbleiben können. In der Tat ergibt sich aus den weiteren, noch zu erörternden Feststellungen des angefochtenen Urteils, dass im Jahre 1973 ein einziger aus einer grösseren Zahl neu installierter Durchlauferhitzer kontrolliert wurde, und dass sogar der Installationschef des Gaswerks diesen Kontrollen keine grosse Bedeutung zumass. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, die pflichtgemässe Weiterleitung der Installationsmeldung vom 31. Januar 1973 durch den Beschwerdeführer hätte den Tod Salvatore Gabrieles mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ceade57e-5480-47d3-8069-3099eb7ef82c | Urteilskopf
116 Ia 289
45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. April 1990 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK; Recht des Angeschuldigten, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen.
Umstände, unter denen die dem Angeschuldigten einmalig (im Ermittlungsverfahren) eingeräumte Möglichkeit, die ihn belastenden Personen zu befragen, dem durch
Art. 6 EMRK
bzw.
Art. 4 BV
garantierten Anspruch auf ein faires Verfahren bzw. auf rechtliches Gehör nicht zu genügen vermag (E. 2, 3). | Sachverhalt
ab Seite 289
BGE 116 Ia 289 S. 289
Mit Urteil vom 2. Februar 1989 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt X. wegen wiederholter und qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer mehrjährigen
BGE 116 Ia 289 S. 290
Gefängnisstrafe. Das Gericht stützte den Schuldspruch im wesentlichen auf die Aussagen von C., M., E. und K., welche - selbst des Verstosses gegen die Betäubungsmittelgesetzgebung angeschuldigt - in eigenen Strafverfahren einvernommen worden waren und auch bei den im Ermittlungsverfahren durchgeführten Gegenüberstellungen mit X. ihre belastenden Aussagen aufrecht gehalten hatten. Einzig K. hatte seine Aussage später - in der Hauptverhandlung des gegen ihn geführten Verfahrens - widerrufen. Den Beweisantrag des Angeklagten, C., M. und E. seien als Zeugen zur Hauptverhandlung zu laden und einzuvernehmen, wies das Gericht ab.
Auf Appellation von X. hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 4. Juli 1989 das strafgerichtliche Urteil vollumfänglich. Den im Appellationsverfahren erneut gestellten Antrag auf Ladung und Einvernahme von C., M. und E. als Zeugen, eventuell als Auskunftspersonen, wies das Appellationsgericht ab.
Gegen dieses Urteil führt X. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
. Das Bundesgericht heisst sie gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das Strafgericht Basel-Stadt, auf dessen Begründung das Appellationsgericht vollumfänglich verweist, hatte den seinerzeit bereits von der damaligen Offizialverteidigerin des Beschwerdeführers gestellten Antrag auf Einvernahme der drei genannten Personen in der Hauptverhandlung mit der Begründung abgelehnt, eine erneute Befragung sei überflüssig. C., M. und E. hätten bei mehreren Einvernahmen im Ermittlungsverfahren im Kernpunkt stets gleichbleibend ausgesagt und seien auch bei den Konfrontationen mit dem Beschwerdeführer bei ihren Darstellungen geblieben. Es sei daher zu erwarten, dass sie im Falle einer erneuten Einvernahme in der Hauptverhandlung ihre früheren Aussagen bestätigen würden. Sie könnten auch nicht wie Zeugen mit sanktionsbewehrter Wahrheitspflicht zu einer wirklichkeitsgetreueren Darstellung angehalten werden. Ihre Aussagen besässen daher vor Gericht nicht mehr Gewicht und Überzeugungskraft als ihre Angaben im Ermittlungsverfahren. In bezug auf
Art. 6 EMRK
hielt das Gericht fest, mit der Konfrontation im Ermittlungsverfahren sei dem Erfordernis, einem Beschuldigten die Gelegenheit zu bieten,
BGE 116 Ia 289 S. 291
der Einvernahme ihn belastender Personen beizuwohnen und diesen Fragen zu stellen, Genüge getan worden.
b) Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Betrachtungsweise. Nach seiner Auffassung wäre eine erneute Konfrontation mit den genannten Personen für die Beurteilung der Richtigkeit des ihm vorgeworfenen Verhaltens von entscheidender Bedeutung gewesen, weil sich sowohl Anklageschrift als auch erstinstanzliches Urteil im wesentlichen auf deren Aussagen gestützt hätten. Die Gegenüberstellungen im Ermittlungsverfahren hätten den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit nicht genügt. Der Beschwerdeführer sei weder anwaltlich verbeiständet gewesen, noch habe er "de facto" die Möglichkeit gehabt, Fragen an die ihn belastenden Personen zu stellen. C. habe zudem wesentliche Belastungen erst nach der Konfrontationseinvernahme erhoben. Mit diesen Vorwürfen sei der Beschwerdeführer überhaupt nie direkt konfrontiert worden. Da auch das Appellationsgericht wie zuvor das Strafgericht eine Wiederholung der Konfrontation im Beisein der Privatverteidigerin nicht zugelassen habe, sei dem angefochtenen Urteil "Rechtsverweigerung", "Verletzung der Verteidigungsrechte" und Willkür, somit Verletzung von
Art. 4 BV
und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
vorzuwerfen.
3.
Nach
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
steht jedem Angeklagten das Recht zu, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Dasselbe Recht ergibt sich auch aus dem in
Art. 4 BV
verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl.
BGE 114 Ia 181
).
a) Das Strafgericht geht unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung grundsätzlich zutreffenderweise davon aus, dass sich aus der zitierten Konventionsbestimmung nicht ableiten lässt, dem Angeschuldigten müsse mehrmals Gelegenheit geboten werden, den ihn belastenden Personen Fragen zu stellen oder stellen zu lassen. Insbesondere besteht auch kein Anspruch, dass alle Zeugenaussagen vor dem Richter in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht zu erfolgen hätten;
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK
will lediglich ausschliessen, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal Gelegenheit gegeben worden wäre, Ergänzungsfragen zu stellen. Dabei genügt es, wenn diese Gelegenheit irgend einmal im Lauf des Verfahrens gewährt wird (
BGE 113 Ia 422
E. 3c mit
BGE 116 Ia 289 S. 292
Hinweisen; VOGLER, in: Internationaler Kommentar zur EMRK, N. 151 zu Art. 6).
b) Wenn auch die Rechtsprechung somit eine nur einmalige Gelegenheit zur Stellungnahme als genügend ansieht, so steht die Zulässigkeit dieser Beschränkung doch unter dem Vorbehalt, dass der Angeschuldigte mit dieser Gelegenheit seine Verteidigungsrechte auch tatsächlich wirksam ausüben konnte. Wie die übrigen in Ziff. 3 von
Art. 6 EMRK
gewährleisteten Garantien ist auch das in lit. d enthaltene Recht auf Befragung der Belastungszeugen Ausfluss und Konkretisierung des Anspruchs des Angeklagten auf ein faires Verfahren; es ist daher immer im Zusammenhang mit Art. 6 Ziff. 1 zu sehen (vgl. etwa
BGE 104 Ia 317
E. 4c;
BGE 102 Ia 200
; Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Kostovski vom 20. November 1989, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 166 Ziff. 39). Grundlegendes Element dieses Anspruchs auf ein "fair hearing" oder, nach der deutschen Übersetzung, auf Anhörung "in billiger Weise" bildet die Garantie, dass dem Angeklagten in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht ausreichende und angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird und er gegenüber der Anklagebehörde nicht benachteiligt wird (
BGE 113 Ia 222
E. 3c mit Hinweisen). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Gerichtshof in seinem Urteil in Sachen Kostovski (betreffend eine Verurteilung, die sich auf die Aussagen zweier anonym gebliebener Zeugen abstützte, welche der Angeklagte weder direkt noch indirekt befragen konnte) in allgemeiner Weise festgehalten, dass die Beweisführung grundsätzlich vor dem Angeklagten, in öffentlicher Verhandlung und in kontradiktorischem Verfahren zu erfolgen habe. Dies bedeute zwar nicht, dass eine Zeugenaussage nur dann taugliches Beweismittel sein könne, wenn sie öffentlich und vor Gericht gemacht worden sei. Die Verwertung von Aussagen aus dem Ermittlungsverfahren bleibe mit Art. 6 Ziff. 3 lit. d in Verbindung mit Ziff. 1 EMRK vereinbar, solange die Verteidigungsrechte des Angeklagten gewahrt würden. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn der Angeklagte angemessene und ausreichende Gelegenheit gehabt habe, den ihn belastenden Aussagen entgegenzutreten (Urteil in Sachen Kostovski, a.a.O., Ziff. 41; in Sachen Barberà vom 6. Dezember 1988, Série A, vol. 146 Ziff. 78). Vor kurzem hat die Europäische Kommission für Menschenrechte diese Auffassung in einem Fall bestätigt, welcher dem vorliegend zu beurteilenden auch in tatsächlicher Hinsicht vergleichbar ist (Bericht der
BGE 116 Ia 289 S. 293
Kommission in Sachen Isgrò c/I vom 14. Dezember 1989; zu Zulassungsentscheid vgl. EuGRZ 1989, 465 f.). Der Beschwerdeführer war im wesentlichen gestützt auf die Aussage eines Zeugen verurteilt worden, dem er im Ermittlungsverfahren, allerdings ohne anwaltlichen Beistand, gegenübergestellt war. Der Zeuge wurde zur Hauptverhandlung geladen, war jedoch unauffindbar, so dass er von der Verteidigung nie befragt werden konnte. Die Kommission bejahte eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 3 lit. d in Verbindung mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
. Zwar sei der Beschwerdeführer im Untersuchungsverfahren mit dem Belastungszeugen konfrontiert worden und habe bei dieser Gelegenheit dessen Aussagen bestreiten und seine eigene Darstellung der Ereignisse entgegensetzen können. Er habe jedoch weder selbst noch durch den Untersuchungsrichter Fragen gestellt. Vor allem aber sei der Beschwerdeführer bei dieser Gegenüberstellung ohne Anwalt gewesen, welcher zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugelassen gewesen sei. Diesem Umstand, so die Kommission, komme rückblickend besondere Wichtigkeit zu, da der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr habe befragt werden können (Bericht vom 14. Dezember 1989, Ziff. 57 f.).
c) Auch im vorliegenden Fall vermag die dem Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren eingeräumte Möglichkeit, die ihn belastenden Personen zu befragen, den durch
Art. 6 EMRK
sowie
Art. 4 BV
garantierten Ansprüchen auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör nicht zu genügen. Der Beschwerdeführer war bei den Konfrontationen im Ermittlungsverfahren noch ohne Rechtsbeistand. Wie aus den Einvernahmeprotokollen zu schliessen ist, hat er zwar auf Fragen des Untersuchungsbeamten geantwortet, jedoch den ihn belastenden Personen selbst keine Fragen gestellt oder durch den Untersuchungsbeamten stellen lassen. Die Frage, ob er nicht schon im Stadium des Ermittlungsverfahrens, sei es gestützt auf kantonales Recht (vgl. § 112 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt), sei es gestützt auf die aus
Art. 4 BV
und Art. 6 Ziff. 3 lit. c folgenden Mindestansprüche (zum letzteren vergleiche den Kommissionsbericht in Sachen Q. c/CH vom 12. Februar 1990, insbesondere Ziff. 63, 66 f.), hätte anwaltlich vertreten sein müssen, ist vorliegend nicht zu beurteilen. Mangels entsprechender Rüge ist ebensowenig zu prüfen, ob das Strafgericht (bzw. das dessen Urteil bestätigende Appellationsgericht) in haltbarer Auslegung und Anwendung des kantonalen Prozessrechts auf eine unmittelbare Beweisaufnahme in der erstinstanzlichen
BGE 116 Ia 289 S. 294
Hauptverhandlung verzichten (bzw. diesen Verzicht schützen) durfte. Für die Beurteilung der Rüge des Beschwerdeführers ist jedenfalls davon auszugehen, dass er seine Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren nicht gleich wirksam hat ausüben können, wie dies bei Anwesenheit eines Rechtsbeistandes der Fall gewesen wäre, und dass in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht die damalige Offizialverteidigerin keine Möglichkeit hatte, die drei den Beschwerdeführer belastenden Personen zu befragen. Bei dieser Sachlage hätte das Appellationsgericht den im Rechtsmittelverfahren erneut gestellten Beweisantrag auf Ladung und Einvernahme dieser Personen nicht ablehnen dürfen. Immerhin haben auch die Untersuchungsbehörden den Fall als so schwer bzw. so schwierig angesehen, dass sie dem Beschwerdeführer am 4. Januar 1989 die Offizialverteidigung bewilligt haben. Darüber hinaus fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer sämtliche der gegen ihn erhobenen Vorwürfe abgestritten hat. Das Bundesgericht hat diesbezüglich in einem ein Strafverfahren im Kanton Waadt betreffenden Urteil erwogen, dass in solchen Fällen eine für die Beweisführung wesentliche Zeugenanhörung im Ermittlungsverfahren auch in Anwesenheit des Angeschuldigten nicht genüge, um die dem Angeklagten aus
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
zustehenden Rechte zu gewährleisten (unveröffentlichtes Urteil vom 8. Dezember 1987 in Sachen D., E. 2a). Auch im vorliegend zu beurteilenden Fall stützt das Appellationsgericht die Verurteilung im wesentlichen auf die den Beschwerdeführer belastenden Aussagen von vier Personen, deren Richtigkeit der Beschwerdeführer bestreitet. Dass eine dieser Personen (K.) seine Beschuldigung in der gegen ihn durchgeführten Hauptverhandlung widerrufen hat und die Aussagen von C., wie der Beschwerdeführer mit Recht vorbringt, nicht frei von Unsicherheiten und Widersprüchen waren, kommt hinzu.
d) Unter den vorstehend dargelegten Umständen konnte das Appellationsgericht den Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Ladung und Vernehmung von C., M. und E. in der Hauptverhandlung nicht ablehnen, ohne
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
zu verletzen. Der Beschwerdeführer wurde in einem Fall, in dem die Offizialverteidigung bewilligt wurde und vom Beschwerdeführer sämtliche Vorwürfe bestritten wurden, im wesentlichen gestützt auf Aussagen schuldig gesprochen, die ohne jede Kontrolle durch die Verteidigung im Ermittlungsverfahren abgegeben worden waren. Damit wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf
BGE 116 Ia 289 S. 295
rechtliches Gehör ebenso verletzt wie sein Recht auf ein faires Verfahren. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ceb1b4ce-91b3-416a-9319-0c43e63d6f11 | Urteilskopf
111 II 398
79. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1985 i.S. A. und B. gegen X. (Berufung und staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Unzulässige Berufung.
1.
Art. 57 Abs. 5 OG
. Umstände, die es rechtfertigen, über die Zulässigkeit einer Berufung und einer staatsrechtlichen Beschwerde gleichzeitig zu entscheiden (E. 1).
2. Art. 55 Abs. 1 und 90 Abs. 1 OG. Beruht der angefochtene Entscheid auf zwei selbständigen Begründungen, so müssen beide angefochten werden, gegebenenfalls die eine mit Berufung und die andere mit staatsrechtlicher Beschwerde (E. 2b). | Erwägungen
ab Seite 398
BGE 111 II 398 S. 398
Aus den Erwägungen:
1.
Berufung und Beschwerde richten sich gegen die gleichen Entscheidungsgründe des Obergerichts. Die Rügen der Beschwerde decken sich zudem inhaltlich weitgehend mit solchen in der
BGE 111 II 398 S. 399
Berufung, auch wenn in diesem Rechtsmittel von Verletzung des
Art. 8 ZGB
und von offensichtlichen Versehen, in jenem dagegen von willkürlicher Beweiswürdigung, Aktenwidrigkeiten und Verweigerung des rechtlichen Gehörs die Rede ist. Es rechtfertigt sich daher, die beiden Rechtsmittel gleichzeitig zu beurteilen, statt gemäss
Art. 57 Abs. 5 OG
über die Beschwerde vorweg zu entscheiden.
2.
Das Obergericht hat die Klage mit zwei verschiedenen Begründungen abgewiesen, wobei es zu deren Ergänzung wiederholt auf Feststellungen und Erwägungen des Kantonsgerichts verweist. Das erstinstanzliche Urteil ist insoweit als Teil des angefochtenen mitzuberücksichtigen. Die beiden Begründungen des Obergerichts haben selbständigen Charakter.
b) Berufung und Beschwerde richten sich ausschliesslich gegen die erste Begründung des Obergerichts, wobei im ersten Rechtsmittel die Auffassung der Vorinstanz gestützt auf
Art. 8 ZGB
und
Art. 55 Abs. 1 lit. d OG
, im zweiten hingegen gestützt auf
Art. 4 BV
kritisiert und durch die "prozessentscheidenden Aussagen" des W. ersetzt wird.
Art. 8 ZGB
soll dadurch verletzt sein, dass das Obergericht die Zeugenaussagen eines anerkannten Sachverständigen entweder im Widerspruch zu deren Inhalt oder überhaupt nicht gewürdigt habe. Damit verkennen die Berufungskläger, dass diese Bestimmung dem Richter nicht vorschreibt, wie die Beweise zu würdigen sind (
BGE 102 II 279
mit Hinweisen). Auch liegen keine "sofort erkennbaren versehentlichen Feststellungen" im Sinne von
Art. 55 Abs. 1 lit. d OG
vor, welche das Bundesgericht angeblich anhand der Aussagen des sachverständigen Zeugen W. mühelos richtigstellen könnte. Die Vorinstanz hat die Aussagen dieses Zeugen nicht übersehen, sondern gewürdigt, aber nicht in dem von den Berufungsklägern gewünschten Sinn.
Entscheidend ist indes, dass die Berufungskläger die zweite Begründung des Obergerichts weder mit dem einen noch mit dem andern Rechtsmittel anfechten. Beruht ein Urteil wie hier auf verschiedenen Begründungen, die unabhängig voneinander bestehen,
BGE 111 II 398 S. 400
so hat der Berufungskläger beide anzufechten, wenn er das Urteil zu Fall bringen will; andernfalls läuft die Berufung auf einen blossen Streit über Entscheidungsgründe hinaus, die für sich allein keine Beschwer bedeuten und daher die Berufung zum vornherein unzulässig machen (
BGE 103 II 159
E. 3 mit Hinweisen). Wird ein solches Urteil in tatsächlicher Hinsicht mit Rügen angefochten, die über die Ausnahmen des
Art. 63 Abs. 2 OG
hinausgehen, so hat der Berufungskläger dagegen auch staatsrechtliche Beschwerde einzureichen. Das eine wie das andere Rechtsmittel ist zudem nach den dafür geltenden Vorschriften zu begründen.
Vorliegend bleibt die zweite Begründung des Obergerichts jedenfalls bestehen, weshalb weder auf die Berufung noch auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (siehe auch hiervor S. 397 f.). | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ceb7a618-640d-45a7-a0d8-5cbd9e498c9e | Urteilskopf
119 II 297
57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Mai 1993 i.S. M. gegen M.-N. (Berufung) | Regeste
Art. 43 Abs. 1 OG
. Berufungsfähigkeit von Revisionsentscheiden. Zivilrechtliche Anfechtung einer gerichtlich genehmigten Ehescheidungskonvention. Bundesrechtlicher Revisionsgrund.
1. Voraussetzungen, unter denen ein kantonaler Revisionsentscheid berufungsfähig ist (E. 2).
2. Für eine gemäss
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
gerichtlich genehmigte Ehescheidungskonvention ist die zivilrechtliche Anfechtung ausgeschlossen. Es bleiben einzig die Anfechtungsmöglichkeiten des kantonalen Prozessrechts, die auf Berufung hin nicht überprüft werden können (E. 3; Änderung der Rechtsprechung).
3. Das Ehescheidungsrecht kennt keinen bundesrechtlichen Revisionsgrund für den Fall einer mit einem Willensmangel behafteten, gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 298
BGE 119 II 297 S. 298
Die Ehe von W. und M. M.-N. ist mit Urteil vom 5. Dezember 1989 des zuständigen Bezirksgerichts geschieden worden. Die Regelung der Nebenfolgen beruhte auf einer Konvention vom 25. April 1989. Am 16. Februar 1990 ersuchte M. M.-N. das Bezirksgericht um eine Neuaufnahme der Verhandlungen. Nach einem Briefwechsel verlangte sie am 5. Dezember 1990 die Revision des Scheidungsurteils bezüglich der Ansprüche gemäss
Art. 151 und 152 ZGB
sowie der Ansprüche aus Güterrecht. Sie berief sich auf Täuschung, Drohung und Grundlagenirrtum, was gemäss Art. 435 Ziff. 2 aZP/SG einen Revisionsgrund darstelle. Der geschiedene Ehemann bestritt die Revisionsgründe.
Das Bezirksgericht bejahte mit Urteil vom 26. Februar 1991 das Vorliegen eines Revisionsgrundes. Auf Berufung von W. M. erkannte das Kantonsgericht St. Gallen am 30. Oktober 1991 ebenfalls, dass das Revisionsgesuch gutgeheissen und das Urteil des Bezirksgerichts vom 5. Dezember 1989 aufgehoben werde, soweit es die Kinderunterhaltsbeiträge, die Frauenrente und die güterrechtliche Auseinandersetzung betreffe.
Mit Berufung vom 24. Januar 1992 beantragt W. M., Ziffer 1 bis 4 des kantonsgerichtlichen Entscheids aufzuheben und auf das Revisionsbegehren von M. M.-N. nicht einzutreten.
M. M.-N. beantragt, die Berufung sei vollumfänglich abzuweisen.
BGE 119 II 297 S. 299
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um ein Revisionsurteil, welches gestützt auf Art. 435 Ziff. 2 aZP/SG ergangen ist. Nach der vom Kantonsgericht angeführten Praxis zur alten Zivilprozessordnung ist ein wegen Willensmangels unwirksamer Vergleich wie eine "neue Tatsache" im Sinne der genannten Bestimmung zu behandeln. Es stellt sich die Frage, ob ein solches Urteil Gegenstand der bundesrechtlichen Berufung sein kann.
a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Entscheide, die aufgrund eines ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittels ergangen sind, nicht berufungsfähig, es sei denn, die Rechtsmittelinstanz urteile in der Sache selbst neu. Das gilt namentlich auch für kantonale Revisionsurteile, mit denen nicht materiell über den streitigen Anspruch befunden, sondern nur über eine prozessuale Frage entschieden wird (
BGE 116 II 91
f. mit Hinweisen; POUDRET/SANDOZ, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. II, Bern 1990, S. 135, und Bd. V, Bern 1992, S. 238, je Ziff. 1.4.2.17 zu
Art. 43 OG
).
Im Verfahren vor den kantonalen Instanzen wurde bisher einzig geprüft, ob die Voraussetzungen für eine Revision erfüllt sind oder nicht. Nachdem nicht nur die erste Instanz, sondern auch das Kantonsgericht die Unwirksamkeit der seinerzeit gerichtlich genehmigten Ehescheidungskonvention und damit das Vorliegen des Revisionsgrundes gemäss Art. 435 Ziff. 2 aZP/SG bejaht hat, ist zwar die Rechtskraft des Scheidungsurteils hinsichtlich der Kinderunterhaltsbeiträge, der Frauenrente und der güterrechtlichen Auseinandersetzung beseitigt. Indessen wurde über diese sich wiederum nach Bundesrecht richtenden Nebenfolgen der Ehescheidung noch nicht neu geurteilt.
b) Die Vorschriften über die Revision gehören zum Prozessrecht, das gemäss
Art. 64 Abs. 3 BV
den Kantonen vorbehalten ist. Beruht ein kantonaler Entscheid ausschliesslich auf solchem Recht, so kann er auf Berufung hin nicht überprüft werden (
Art. 43, 55 Abs. 1 lit. c OG
).
Die Schranken dieses Ausschlusses der Berufung nach
Art. 43 ff. OG
liegen ganz allgemein dort, wo der kantonale Richter verpflichtet ist, bundesrechtlichen Bestimmungen Rechnung zu tragen, sei es bei der Beurteilung einer Streitsache gestützt auf kantonales Recht, sei es in einem grundsätzlich durch den kantonalen Gesetzgeber zu ordnenden Verfahren (vgl. POUDRET/SANDOZ, a.a.O., Bd. II, S. 130, Ziff. 1.4.1 zu
Art. 43 OG
). Zu prüfen ist daher, ob unter diesem Gesichtswinkel die vorliegende Berufung zulässig ist.
BGE 119 II 297 S. 300
3.
Der mit
BGE 60 II 82
und 170 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung zufolge wird die Ehescheidungskonvention mit der richterlichen Genehmigung, welcher sie nach
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
zur Rechtsgültigkeit bedarf, vollwertiger Urteilsbestandteil. Sie verliert daher anders als der Prozessvergleich ihren privatrechtlichen Charakter (zuletzt bestätigt in
BGE 105 II 168
f. E. 1). Die fast einhellige Lehre teilt diese Auffassung über die Rechtsnatur der gerichtlich genehmigten Konvention (BÜHLER/SPÜHLER und SPÜHLER/FREI-MAURER, je N. 172 zu
Art. 158 ZGB
; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. A., Zürich 1967, S. 187; HINDERLING, Fragen aus dem Grenzbereich zwischen Privat- und Verfahrensrecht, in Ausgewählte Schriften, Zürich 1982, S. 278; TUOR/SCHNYDER, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 10. A., Zürich 1986, S. 178; DROIN, La nature et le contenu des conventions relatives aux effets accessoires du divorce, in Journées juridiques de Genève, Genf 1970, S. 56 und 62; LEUCH, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 3. A., Bern 1956, N. 1 zu
Art. 367 ZPO
/BE; a. M. ADRIAN STAEHELIN, Rechtsnatur und Anfechtung der Scheidungskonvention, in Familienrecht im Wandel, Festschrift für Hans Hinderling, Basel 1976, S. 293 f.).
a) Folgerichtig hielt bereits
BGE 60 II 82
E. 1 fest, eine Anfechtung der Ehescheidungskonvention sei nach deren Genehmigung nur noch mit den Mitteln des Prozessrechts möglich, also in der Regel auf dem Wege der Revision (vgl. dazu BÜHLER/SPÜHLER und SPÜHLER/FREI-MAURER, je N. 204 zu
Art. 158 ZGB
; selbst ADRIAN STAEHELIN, a.a.O., S. 294, der die zivilrechtliche Anfechtung auch einer Scheidungskonvention auf dem ordentlichen Prozessweg zulassen will, hält einzig den Revisionsweg gegeben, wenn die Konvention wegen Rechts- und Sittenwidrigkeit oder wegen Übervorteilung angefochten wird). Dass die klageweise Anfechtung einer gerichtlich genehmigten Ehescheidungskonvention ausgeschlossen ist, wurde in
BGE 99 II 361
E. 3b erstmals in Frage gestellt. Mit
BGE 117 II 218
ff. wurde dann die bisherige Rechtsprechung insofern geändert, als das Bundesgericht dort erklärte, ein Revisionsurteil, mit welchem festgehalten werde, beim Abschluss der Konvention habe sich die klagende Partei weder in einem Irrtum befunden noch sich getäuscht, weshalb es am Nachweis einer zivilrechtlich unwirksamen Parteierklärung fehle, unterliege der Berufung an das Bundesgericht. Denn damit werde endgültig über eine an sich nach Bundesrecht zu beurteilende Frage entschieden, über jene nämlich, ob eine Scheidungsvereinbarung wegen Willensmängeln angefochten werden könne
BGE 119 II 297 S. 301
(
BGE 117 II 221
f. E. 1). In Anwendung dieser Grundsätze wäre auf die vorliegende Berufung mit Blick auf
Art. 43 Abs. 1 OG
einzutreten. An dieser neuesten Rechtsprechung, die der bisherigen Eintretenspraxis widerspricht, kann jedoch nicht festgehalten werden.
b) Vorab ist zu bemerken, dass auch der zuletzt genannte Entscheid an der bisherigen Rechtsprechung, wonach die richterlich genehmigte Ehescheidungskonvention Urteilsbestandteil ist, nichts ändern wollte. Unterbleibt die Genehmigung, folgt umgekehrt aus
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
, dass die vor der Scheidung abgeschlossene Konvention keine Rechtswirkungen entfaltet und folglich gegenüber den Parteien ihre bis dahin bestehende Verbindlichkeit verliert (vgl.
BGE 102 II 68
f. E. 2), und zwar unabhängig davon, ob sie den disponiblen oder den nichtdisponiblen Teil der scheidungsrechtlichen Auseinandersetzung betrifft (
BGE 105 II 168
f. E. 1). Darin liegt entgegen der Auffassung von ADRIAN STAEHELIN (a.a.O., S. 296 f.) ein wesentlicher Unterschied zum gewöhnlichen Vergleich, der auch ohne bloss deklaratorisch wirkenden, gerichtlichen Beschluss für die Parteien verbindlich bleibt. Am vertraglichen Charakter des gewöhnlichen Prozessvergleichs vermag nichts zu ändern, wenn er - wie beispielsweise im Kanton Zürich - zu einem Erledigungsentscheid führt, der in Rechtskraft erwächst; der allgemeine Anspruch auf Anfechtung eines Vertrags wegen Willensmangels wird durch das Bundesrecht selbst unter der Herrschaft einer solchen kantonalen Prozessregelung gewährleistet (
BGE 110 II 46
ff. E. 4).
Bei
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
handelt es sich um eine Verfahrensbestimmung, welche insbesondere dem Schutz jener Partei dient, die in Folge der noch bestehenden Ehe und der durch den Scheidungsprozess geschaffenen besonderen Situation zu Zugeständnissen gezwungen werden kann, die als unangemessen und unbillig erscheinen. Diesem Zweckgedanken folgend verpflichtet sie den Scheidungsrichter, die von den Parteien geschlossene Vereinbarung auf ihre rechtliche Zulässigkeit, ihre Klarheit und ihre sachliche Angemessenheit hin zu untersuchen (
BGE 107 II 13
;
BGE 102 II 68
E. 2; BÜHLER/SPÜHLER, N. 158 zu
Art. 158 ZGB
). Diese Prüfungspflicht geht damit weit über das hinaus, was der Richter bei gewöhnlichen gerichtlichen Vergleichen lediglich in formeller Hinsicht noch prüfen kann, und übersteigt auch die Kognition der Urkundsbeamten in Registersachen (
BGE 99 II 360
f. E. 3a).
Genehmigt der Richter nach erfolgter Überprüfung die Ehescheidungskonvention, wird sie - wie dargelegt - von Bundesrechts wegen unweigerlich zum Bestandteil des Urteils, an dessen Rechtskraft
BGE 119 II 297 S. 302
sie teilnimmt. Das ist auch der Grund, weshalb eine gerichtlich genehmigte Konvention als definitiver Rechtsöffnungstitel im Sinne von
Art. 80 SchKG
gilt (BÜHLER/SPÜHLER, N. 96 zu
Art. 151 ZGB
) und für die nachträgliche Abänderung oder Ergänzung einer in der Konvention festgelegten Rente die Verfahren nach
Art. 153 Abs. 2 und
Art. 157 ZGB
vorgesehen sind (
BGE 105 II 169
E. 1 mit Hinweisen; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, Zusatzband, Zürich 1981, S. 136). Ist die Rechtskraft erst einmal eingetreten, führt das anderseits dazu, dass die zivilrechtliche Anfechtung der Konvention ausgeschlossen ist. Das bedeutet freilich eine erhebliche Beschränkung, weil die prozessualen Anfechtungsgründe gegenüber Urteilen durchwegs enger sind und innert kürzeren Fristen geltend gemacht werden müssen als die privatrechtlichen Anfechtungsgründe gegenüber Verträgen. Allein das ist für die gerichtlich genehmigte Ehescheidungskonvention die notwendige Folge ihrer Urteilsnatur, deren Unzukömmlichkeiten mit ihren Vorteilen hingenommen werden müssen und wenigstens teilweise durch die - vorstehend erwähnte - richterliche Überprüfung der Konvention ausgeglichen werden (
BGE 60 II 82
f. E. 1).
c) Auf die Berufung ist nicht etwa schon deshalb einzutreten, weil der kantonale Richter die Frage des Vorliegens des Revisionsgrundes gemäss Art. 435 Ziff. 2 aZP/SG nach bundesrechtlichen Gesichtspunkten beurteilte, indem er die fragliche Ehescheidungskonvention als mit einem Willensmangel behaftet ansah. Ist er nach dem Gesagten nicht einmal verpflichtet, die Willensmängelanfechtung zuzulassen, so wendet er das entsprechende Bundesrecht lediglich als kantonales Ersatzrecht an, dessen Verletzung mit der Berufung nicht gerügt werden darf (
BGE 116 II 92
und
BGE 108 II 495
E. 7 mit Hinweisen).
4.
Ein ausschliesslich auf Verfahrensrecht gestütztes Revisionsurteil ist ferner insoweit berufungsfähig, als der kantonale Gesetzgeber Sondervorschriften des Bundesrechts, die nach Art. 2 ÜbBest. BV vorgehen, zu beachten hat. Unter bestimmten Umständen kann derart eine Vorfrage, die sich im kantonalen Verfahren stellt, nach Bundesrecht zu beurteilen sein (
BGE 115 II 241
E. 1c und
BGE 102 II 54
E. 1 mit Hinweisen;
BGE 93 II 153
E. 2). Im Interesse der Verwirklichung des materiellen Bundesrechts enthält gerade das Ehescheidungsrecht verschiedene prozessuale Vorschriften. Unter ihnen befindet sich jedoch keine Bestimmung, welche einen bundesrechtlichen Revisionsgrund für jenen Teil des Scheidungsurteils vorsieht, der auf einer angeblich mit einem
BGE 119 II 297 S. 303
Willensmangel behafteten Ehescheidungskonvention beruht. Auf die Berufung kann auch unter diesem Gesichtswinkel nicht eingetreten werden. | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cebc8638-06cf-4417-986b-d16809068fb8 | Urteilskopf
112 IV 14
5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Januar 1986 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 139 Ziff. 3 StGB
. Raub unter Drohung mit scharf geladener Schusswaffe.
Eine konkrete Lebensgefahr für das Opfer ist auch dann zu bejahen, wenn die Waffe gesichert und nicht durchgeladen ist (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 14
BGE 112 IV 14 S. 14
Aus den Erwägungen:
4.
Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, selbst wenn der Beurteilung seines Falles
BGE 109 IV 106
uneingeschränkt zugrunde gelegt werde, sei der Tatbestand von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
BGE 112 IV 14 S. 15
nicht erfüllt; diese Bestimmung setze nämlich nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine konkrete Gefährdung voraus, die in seinem Fall zu verneinen sei; beim Einsatz einer gesicherten und nicht durchgeladenen Pistole könne nur von einer mittelbaren, abstrakten Gefahr für das Opfer gesprochen werden, weil "erst durch mehrere gezielte und bewusst vorzunehmende Manipulationen" das Gefährdungspotential der Pistole aktiviert werden könne; die Vorinstanz habe diese abstrakte Gefährdung genügen lassen und dadurch in unzulässiger Weise die Bundesgerichtspraxis verschärft.
Wohl war in dem vom Beschwerdeführer angerufenen
BGE 107 IV 110
die Rede von einer "gesicherten oder nicht durchgeladenen Pistole". Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, Entsicherung und Durchladung würden "alternativ als tatbestandsbegründend erachtet" bzw. bei gesicherter und nicht durchgeladener Waffe sei hochgradige Lebensgefahr nicht gegeben. Das Gegenteil ist der Fall. Die Vorinstanz stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Beschwerdeführer "in Sekundenschnelle und ohne besondere Mühe einen Schuss hätte abgeben können; mit praktisch der gleichen Handbewegung kann der Sicherungshebel umgelegt und die Ladebewegung vollzogen werden. Dass er in der anderen Hand einen Plastiksack trug, vermag daran ebenfalls nichts zu ändern". Die Tatsache aber, dass eine Pistole in der Regel erfahrungsgemäss - so wie in casu auch die "F.N. Browning" des Beschwerdeführers - innert Sekundenschnelle und ohne Mühe entsichert und durchgeladen bzw. schussbereit gemacht werden kann, schafft nicht eine abstrakte, sondern eine konkrete Lebensgefahr für das Opfer. Die vorinstanzliche Auslegung von
Art. 139 Ziff. 3 StGB
erfolgte somit offensichtlich in zutreffender Anwendung der von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausgebildeten Kriterien und geht nicht, wie behauptet, weiter als diese. Die Beschwerde erweist sich demzufolge auch in diesem Punkt als unbegründet. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cec0d7e8-d5df-4065-afce-71b0809b6e55 | Urteilskopf
81 I 26
6. Auszug aus dem Urteil vom 26. Januar 1955 i.S. J. Küng & Co. gegen Einwohnergemeinde Interlaken und Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
Erfordernis der klaren gesetzlichen Grundlage für Vorschriften eines Gemeinde-Baureglementes, die ein bestimmtes Gemeindegebiet als Hotelzone ausscheiden- Sie liegt nicht schon in der Befugnis der bernischen Gemeinde zum Erlass baupolizeilicher Vorschriften.
Gemeindeautonomie oder Gewohnheitsrecht als gesetzliche Grundlage? | Sachverhalt
ab Seite 26
BGE 81 I 26 S. 26
A.-
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstückes Nr. 446 zwischen Aare und Höheweg in Interlaken. Das Grundstück bildet zusammen mit dem östlich anstossenden Hotel Beau-Rivage und den auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse befindlichen Hotels den östlichen Abschluss des am Höheweg gelegenen Hotelquartiers. Auf dem dem Fluss zu gelegenen nördlichen Teil der Liegenschaft befindet sich das ziemlich überalterte Hotel Bavaria mit den direkt an der Aare gelegenen Ökonomiegebäuden; der gegen den Höheweg zu gelegene Teil ist noch unüberbaut und findet teils als Park, teils als Garten Verwendung. Die Eigentümerin beabsichtigte,
BGE 81 I 26 S. 27
diesen Teil der Liegenschaft mit Geschäftsgebäuden (Autogarage mit Werkstatt, Ausstell- und Einstellräumlichkeiten sowie Tankstelle) zu überbauen. Die Baubewilligungsbehörden lehnten jedoch das Baugesuch ab, weil die projektierten Bauten das Ortschaftsbild verunstalten müssten. Um die Gefahr einer unerwünschten Entwicklung auch für die Zukunft auszuschliessen, fasste die Gemeinde eine Ergänzung des Baureglementes der Gemeinde vom 6. März/10. April 1923 sowie eine Abänderung der Alignementslinien ins Auge, mit denen erreicht würde, dass das Gebiet zwischen Höheweg und Aare sowie einige kleinere Parzellen in der nähern Umgebung als eigentliche Hotelzone erhalten blieben. In der Sitzung vom 20. Juni 1952 beschloss der Grosse Gemeinderat von Interlaken, das Baureglement, das in Art. 46 unter dem Titel: "Gewerbliche Einrichtungen" schützende Bestimmungen enthält zugunsten von Hotels, Pensionen, von Kirchen, Schul- und Krankenhäusern sowie Villenquartieren, zu ergänzen durch Einfügung eines Art. 46bis mit folgendem Wortlaut:
Zum Schutze des Fremdenverkehrs wird eine Hotelzone geschaffen. Dieselbe ist im Plan vom 6. Juni 1952 eingezeichnet, der einen Bestandteil des Baureglementes bildet. In den in diesem Plan festgelegten Gebieten dürfen, mit Ausnahme von Verkaufsmagazinen, nur Hotels und Pensionen und mit dem Betrieb derselben zusammenhängende Bauten wie Dependencen, Ökonomiegebäude, Schlafstätten für Besitzer und Personal, Wäschereien, Einstellräume für Autos der Hotelgäste, erstellt werden. Diese Gebäude sind nur auf dem hinter den Hauptgebäuden liegenden Areal zulässig. Verboten sind auf der ganzen Hotelzone gewerbliche Anlagen und Fabrikbetriebe jeder Art. Bestehende Gebäude und Anlagen, die mit diesen Bestimmungen im Widerspruch stehen, dürfen wohl in ihrem Bestande erhalten, dagegen weder erweitert noch erhöht werden. Die vorhandenen Gartenanlagen sind, soweit immer möglich, zu erhalten.
Gleichzeitig wurde am Höheweg eine neue Vorbautenlinie und eine neue Baulinie gezogen. Die Gemeinde stimmte in der Urnenabstimmung vom 9./10. August 1952 der ihr unterbreiteten Vorlage zu. Der Regierungsrat genehmigte die Ergänzung des Baureglementes mit Beschluss vom 2. März 1954 und wies eine Beschwerde der Firma Küng & Co. als unbegründet ab, mit der geltend gemacht worden
BGE 81 I 26 S. 28
war, die Schaffung der Hotelzone mit den neuen Alignementslinien entwerte ihr Grundstück und könne sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen. Dagegen wurde mit Beschluss des Regierungsrates vom gleichen Tage die Genehmigung des ebenfalls angefochtenen Alignementsplanes verweigert.
C.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragen die Kommanditgesellschaft Küng & Co. sowie deren Gesellschafter, die Ergänzung des Baureglementes durch Art. 46bis mit zugehörigem Zonenplan aufzuheben, eventuell mit Bezug auf die Parzelle der Beschwerdeführerin.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Bern und die Einwohnergemeinde Interlaken beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Beschränkungen, die sich aus der das Baureglement ergänzenden Vorschrift von Art. 46bis für das Grundstück der Beschwerdeführer ergeben, stellen eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung im Sinne von
Art. 702 ZGB
dar. Es ist kein Zweifel darüber möglich, dass sie für ein Grundstück wie dasjenige der Beschwerdeführer, bestehend aus einem veralteten, renovationsbedürftigen Hotel und einem grössern noch unüberbauten Landkomplex an der Strasse, für die künftige wirtschaftliche Benützung des Grundstückes von sehr tiefgreifender Wirkung ist. Sie wirkt sich dahin aus, dass die Beschwerdeführer genötigt wären, entweder das bisherige Hotel, eventuell nach Vornahme eines Umbaues, weiter zu betreiben, wobei ihnen nur gestattet würde, an der Strasse gewisse Vorbauten (Souvenirläden) zu erstellen, oder dass sie nur einen Hotelneubau errichten könnten. In beiden Fällen wären sehr erhebliche Mittel aufzuwenden, zu denen der zu erwartende Ertrag voraussichtlich in keinem richtigen Verhältnis stehen würde. Die bezüglichen Anbringen der Beschwerdeführer über die Baukosten und deren unzureichende
BGE 81 I 26 S. 29
Verzinsung sind denn auch nicht bestritten worden und ihr Zutreffen ergibt sich aus den Ausführungen der bundesrätlichen Botschaft vom 10. Dezember 1954 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über rechtliche und finanzielle Massnahmen für das Hotelgewerbe (BBl 1954 II Nr. 50, 1181). Dort ist ausgeführt, dass anhand der Ergebnisse von 600 Revisionen in bestehenden Hotelunternehmungen (d.h. also in zu den früheren Baukosten erstellten Betrieben) noch heute trotz des vermehrten Fremdenzustroms von einer eigentlichen Ertragskrise gesprochen werden müsse.
Derartige Beschränkungen der Eigentumsfreiheit sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der Eigentumsgarantie, wie Art. 89 bern. KV sie gewährleistet, nur vereinbar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, d.h. wenn sie insbesondere auf gesetzlicher Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse gelegen sind, und wenn sie, sofern sie in ihren Wirkungen einer Enteignung gleichkommen, gegen Entschädigung erfolgen. Wenn dabei die Eingriffe von besonderer Intensität sind, über dasjenige hinausgehen, was bisher in der Schweiz als öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung gebräuchlich war, so bedarf es dafür einer unzweideutigen gesetzlichen Vorschrift, sollen sie die Eigentumsgarantie nicht verletzen (
BGE 74 I 156
,
BGE 77 I 218
,
BGE 78 I 427
,
BGE 79 I 228
). Vom Erfordernis einer genügenden gesetzlichen Grundlage gilt auch dann keine Ausnahme, wenn die Beeinträchtigung aus allgemeinen polizeilichen Kompetenzen der Bewilligungsbehörde abgeleitet wird (Urteil vom 10. November 1954 i.S. Aecherli Erw. 1).
3.
Das bernische Alignementsgesetz, auf das sich der angefochtene Entscheid als gesetzliche Grundlage des Art. 46bis beruft, ermächtigt die Gemeinden, für ihr ganzes Gebiet oder für einzelne Teile desselben Alignementspläne und Baupolizeivorschriften mit allgemeiner Verbindlichkeit aufzustellen. Über den zulässigen Inhalt dieser Erlasse ist der Kompetenzvorschrift des
§ 1 AIG
nichts zu entnehmen.
BGE 81 I 26 S. 30
Er ergibt sich vielmehr erst aus den nachfolgenden Bestimmungen, nämlich bezüglich der Alignementspläne aus den §§ 2 ff., bezüglich der baupolizeilichen Vorschriften aus § 18. Hier ist bestimmt, dass die aufzustellenden Bestimmungen baupolizeilichen Charakter haben sollen, und es wird präzisiert, dass sie, soweit nicht bereits kantonale Vorschriften über den betreffenden Gegenstand bestehen, den Bedürfnissen der Verkehrs-, Gesundheits- oder Feuerpolizei oder denjenigen der Bausicherheit zu dienen haben, und dass sie angeordnet werden können, soweit sie zur Verhütung von Verunstaltungen des Orts- oder Landschaftsbildes dienen. Die weitern in Abs. 2 von § 18 den Gemeinden überlassenen Bestimmungen sind hier ohne Bedeutung.
Die Vorschrift des
§ 18 AIG
ist nicht für sich allein, wohl aber in Verbindung mit einer gemeindlichen Bauordnung die gesetzliche Grundlage für den Erlass von Bauvorschriften, dies dann und soweit, als diese den Rahmen der gesetzlichen Vorschriften nicht sprengen, d.h. also noch baupolizeilichen Charakter haben. Um derartige baupolizeiliche Vorschriften handelt es sich, wenn sie die Frage ordnen, ob offen oder geschlossen gebaut werden soll, wenn sie Bestimmungen enthalten über die Gebäudehöhe, über die Zahl der zulässigen Stockwerke, über das Verhältnis von Grundfläche zu Baukörper, wenn sie das Bauen aus feuerpolizeilichen oder verkehrspolizeilichen Gründen einschränken und schliesslich, nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 18, wenn sie dazu dienen sollen, ein Landschafts-, Orts- oder Strassenbild vor Verunstaltung zu bewahren. In diesen Rahmen baupolizeilicher Vorschriften gehen nach der herrschenden Auffassung auch noch Zonenvorschriften, die bestimmte Bauten für gewisse Quartiere reservieren oder andere davon ausschliessen, die also z.B. Fabrikbauten und gewerbliche Betriebe störender Art von bestimmten Siedlungsbezirken ausschliessen. Denn dafür können Erwägungen baupolizeilicher Art, solche des Verkehrs, der Gesundheit oder der Ästhetik namhaft gemacht werden.
BGE 81 I 26 S. 31
Eigentliche Planungsmassnahmen, mit denen erreicht werden soll, dass bestimmte Gebiete ohne Rücksicht darauf, ob das Terrain baureif ist oder nicht, überhaupt nicht überbaut werden dürfen (Grünzonen zum Zwecke städtebaulicher Gliederung), oder dass darauf nur ganz bestimmte Bauten, etwa solche für den Bedarf des Landwirts und seiner Familie mit den für einen Landwirtschaftsbetrieb erforderlichen Annexbauten errichtet werden dürfen (Landwirtschaftszonen), lassen sich mit baupolizeilichen Anforderungen und Rücksichten im bisherigen Sinne, und damit auch im Sinne des bernischen Alignementsgesetzes vom Jahre 1894, schlechterdings nicht mehr rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts bedarf es dazu einer sie besonders zulassenden gesetzlichen Vorschrift (
BGE 74 I 147
,
BGE 77 I 217
,
BGE 78 I 427
,
BGE 79 I 228
). Die von der Gemeinde Interlaken beschlossene Hotelzone ist von grundsätzlich gleicher Art wie jene Zonen. Sie will dem Eigentümer von Grundstücken in einem im übrigen überbauten Quartier verbieten, darauf etwas anderes als ein Hotel, eine Pension, gewisse Verkaufsmagazine und allfällige Annexbauten zu Hotels zu erstellen, und damit die weitere wirtschaftliche Verwertung auf einen sehr engen Kreis von Objekten einschränken. Da sie dabei nicht auf die Tatsache Rücksicht nimmt, dass für solche als zulässig bezeichnete Bauten auf absehbare Zeit praktisch keinerlei Bedarf vorhanden ist, läuft sie jedenfalls in ihrer Wirkung für das Grundstück der Beschwerdeführer auf ein Bauverbot hinaus. Für ein solches Verbot bestehen keine baupolizeilichen Gründe. Die Baubeschränkung wird begründet mit dem Charakter der am Höheweg bereits erstellten Gebäude. Ihre Berücksichtigung könnte aber lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verunstaltung des Strassenbildes von Bedeutung sein. Dafür würde nicht genügen, dass das Hinzutreten einer neuen Baute unter Umständen als nicht sehr schön empfunden werden könnte. Es müsste vielmehr eine Verunstaltung entstehen, die Neubaute eine hässliche und ärgerliche Wirkung schaffen (
BGE 39 I 556
). Es ist
BGE 81 I 26 S. 32
jedoch schlechterdings nicht einzusehen, dass ein anderer als ein Hotelneubau notwendigerweise als hässlich oder auch nur unpassend empfunden werden müsste, warum nicht auch ein Wohnhaus, das dem Strassenbild angeglichen würde, oder ein Geschäftshaus, das nicht bloss Souvenirartikel führt, oder ein Gebäude, das ausser einem derartigen Saisonbetrieb andere Räumlichkeiten, Wohnungen oder Praxisräume für Inhaber freier Berufe usw. aufwiese, sollte erstellt werden können, ohne das Strassenbild zu beeinträchtigen oder zu verunstalten. Bloss geringfügige Abweichungen in der Bauart vermöchten eine solche Verunstaltung auch deshalb nicht zu bewirken, weil nach dem Ergebnis des Augenscheins die Gebäude am Höheweg durchaus keinen absolut einheitlichen Charakter besitzen, sodass nicht gesagt werden könnte, das Ortsbild werde durch eine andere als eine Hotelneubaute in seiner bisherigen Wirkung nur ungünstig beeinflusst. Der Gesichtspunkt der Verunstaltung wird also angerufen, um ein Ziel zu erreichen, das bedeutend weiter geht, das eine eigentliche Planung will. Eine solche ist aber nicht ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung der Gemeinde hiezu möglich.
Art. 46bis enthält freilich nicht bloss eine positive Vorschrift über die in der Zone gestatteten Bauten, sondern auch eine negative, nämlich das Verbot neuer gewerblicher Anlagen und Fabrikbetriebe jeder Art, sowie der Erweiterung bereits bestehender. Er geht damit weiter als Art. 46 Abs. 1 BO, der solche Betriebe nur verbietet, wenn sie mit belästigenden Einflüssen verbunden sind, und geht dieser als neuere, nur für ein bestimmtes Quartier geltende Sondervorschrift offenbar vor. Der baupolizeiliche Charakter lässt sich ihr nicht ohne weiteres absprechen, weil dem Gesichtspunkt der Verunstaltung eine gewisse Berechtigung zukommen kann. Denn gewerbliche Anlagen oder gar eigentliche Fabrikbetriebe können, selbst wenn davon nicht besondere Immissionen auf die Nachbarschaft ausgehen, in der Regel, insbesondere bei der herkömmlichen
BGE 81 I 26 S. 33
Bauweise, ohne Willkür als Verunstaltung des Strassen- oder Quartierbildes betrachtet werden. Garagehallen, Einstellräume und Benzintankstellen könnten übrigens wegen der damit verbundenen Einwirkungen auf die Umgebung und der Gefährdung des Verkehrs auf der Promenade am Höheweg schon auf Grund von Art. 46 Abs. 1 BO verboten werden. Die Frage braucht nicht abschliessend entschieden zu werden. Denn es steht nicht mit Sicherheit fest, dass dieser Teil der Vorschrift für sich allein zur Einfügung von Art. 46bis BO Anlass gegeben hätte und ob die Gemeinde es bei Aufhebung der Hotelzone nicht bei der bisherigen Ordnung bewenden lassen will. Nur wenn dies feststünde, würde es sich rechtfertigen, bloss auf teilweise Nichtigkeit der Vorschrift zu erkennen.
4.
Dass sich die Revision der Bauvorschriften auf das Alignementsgesetz stützen soll, das die Gemeinden zum Erlass von Bauvorschriften ermächtigt, und gleichzeitig auf die Befugnis der Gemeinde, derartige Bestimmungen aus eigener, autonomer Kompetenz zu erlassen, erscheint zum vorneherein als widerspruchsvoll. Denn die Tatsache, dass es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung der Gemeinde zum Erlass von Alignementsplänen und von Bauvorschriften bedarf, und dass der Regierungsrat die Übereinstimmung des Erlasses der Gemeinde mit dem Inhalt des Ermächtigungserlasses zu überprüfen hat, zeigt, dass das Recht zur Gesetzgebung im Gebiet der Baupolizei der Gemeinde nicht aus eigener Kompetenz zustehen kann. Dass dem so ist, ergibt sich übrigens zweifelsfrei aus dem Gesetz über das Gemeindewesen, das in Art. 2 Ziff. 1 lit. a die Strassen- und Baupolizei als eine übertragene Angelegenheit der bernischen Gemeinde bezeichnet, was ihre autonome Rechtssetzungsbefugnis in diesem Gebiet ausschliesst. Was aber für die baupolizeilichen Vorschriften rechtens ist, muss umso mehr gelten, wenn Bestimmungen in Frage stehen, die nicht baupolizeilichen Charakter haben, sondern darüber hinausgehen und nur Gegenstand eines kantonalen Erlasses bilden könnten.
BGE 81 I 26 S. 34
Mit der Behauptung, dass, falls die Befugnis der Gemeinde, ihr Gebiet in Bauzonen einzuteilen, sich nicht aus dem Alignementsgesetz ableiten liesse, sie sich zum mindesten aus einer jahrzehntelangen gewohnheitsrechtlichen Entwicklung ergeben müsste, scheint die gesetzliche Grundlage in einem Gewohnheitsrecht erblickt zu werden. Für die Bildung von Gewohnheitsrecht ist nach allgemeinen Grundsätzen erforderlich, dass eine Regel während längerer Zeit geübt wurde und dass diese Übung auf einer Rechtsüberzeugung, der opinio necessitatis beruht (
BGE 56 I 42
, nicht veröffentlichte Urteile vom 20. Januar 1949 i.S. Forrer, Erw. 5 lit. b und dortige Zitate, und vom 17. Juni 1953 i.S. Billeter S. 16). Die Gemeinde, die sich auf solche Übung zu berufen scheint, unterlässt es jedoch, darzulegen, dass in der Gemeinde oder im Kanton bisher eine Übung im Sinne der von ihr beschlossenen Ordnung bestanden habe, und seit wann und durch welche Entscheide der zuständigen Behörden sich eine Rechtsüberzeugung von der Zulässigkeit von Hotelzonen entwickelt hätte. Vollends könnte von einem autonomen Gewohnheitsrecht im behaupteten Sinne keine Rede sein.
5.
.....
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Regierungsrates vom 2. März 1954 insoweit aufgehoben, als damit der Vorschrift von Art. 46bis des Baureglementes der Gemeinde Interlaken die Genehmigung erteilt und die Einsprache der Beschwerdeführer abgewiesen wird. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cec66b59-e09b-40fc-a9db-16a24221e0b9 | Urteilskopf
101 Ia 502
80. Arrêt du 5 février 1975 dans la cause Chambre vaudoise immobilière et consorts contre Grand Conseil du canton de Vaud | Regeste
Art. 2 ÜbBest. BV, derogatorische Kraft des Bundesrechts;
Art. 22ter BV
, Eigentumsgarantie.
Kantonales Dekret, das den Umbau und Abbruch von Wohnhäusern an Orten mit grosser Wohnungsnot einer Bewilligungspflicht unterwirft, wobei die Bewilligung mit Bedingungen bezüglich Kontrolle der Mietzinse neuer und der Verkaufspreise aller Wohnungen versehen werden kann. Dieses Dekret ist vereinbar mit dem Bundesprivatrecht (Art. 19 und 267a bis f OR; E. 3), mit der Eigentumsgarantie - namentlich auch mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip (E. 5) - und mit dem Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 502
BGE 101 Ia 502 S. 502
A.-
Le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté le 5 décembre 1962 un décret concernant la démolition et la transformation de maisons d'habitation. Ce décret soumet à une
BGE 101 Ia 502 S. 503
autorisation de l'Office cantonal du logement (OCL), dans les communes où sévit la pénurie de logements, la démolition totale ou partielle de maisons d'habitation, ainsi que la transformation ou l'utilisation de logements à d'autres fins que l'habitation (art. 1er). En règle générale, l'autorisation est refusée lorsque l'immeuble en cause comprend des logements d'une catégorie où sévit la pénurie (art. 2). L'autorisation est accordée lorsque la démolition apparaît indispensable pour des motifs de sécurité, de salubrité ou d'intérêt général; elle peut l'être à titre exceptionnel, si d'autres circonstances le commandent impérativement (art. 3). En cas de refus d'autorisation, la décision de l'OCL peut faire l'objet d'un recours à la Commission cantonale de recours en matière de démolition et de transformation de maisons d'habitation (art. 6 al. 1). Une amende pouvant aller jusqu'à 10'000 fr. est prévue à l'encontre des contrevenants (art. 9 al. 1).
La Chambre vaudoise immobilière avait formé contre ce décret un recours de droit public que le Tribunal fédéral a rejeté le 8 mai 1963 (RO 89 I 178).
B.-
Par décret du 21 novembre 1973, le Grand Conseil a modifié le décret de 1962, en lui donnant un nouvel intitulé ("décret du 5 décembre 1962 concernant la démolition et la transformation de maisons d'habitation et l'utilisation de logements à d'autres fins que l'habitation") et en le complétant par les dispositions nouvelles suivantes:
"Art. 3 al. 2. - L'OCL peut alors soumettre pendant dix ans la vente par appartement, sous quelque forme que ce soit, à une autorisation, pour éviter la diminution de logements loués dans une catégorie où sévit la pénurie. Il peut également contrôler pendant dix ans les loyers des logements qui remplacent ceux qui ont été démolis ou des immeubles transformés et interdire des augmentations qui iraient à l'encontre du but visé par le présent décret. Ces restrictions sont opposables à tout acquéreur de l'immeuble; l'OCL requiert l'inscription de leur mention au Registre foncier pour la durée de leur validité. Cette inscription doit être radiée, lorsque la commune où est situé l'immeuble ne figure plus dans la liste des communes où sévit la pénurie de logements au sens de l'article premier, alinéa 2, du présent décret.
Art. 3bis. - Lorsque le mauvais état de l'immeuble est dû à un défaut d'entretien intentionnel ou résultant de négligence, l'autorisation sera, en règle générale, refusée.
Toutefois, si des circonstances le justifient, une autorisation pourra être délivrée, aux conditions que fixera l'OCL, conformément à l'article 3, alinéa 2.
BGE 101 Ia 502 S. 504
Art. 6 al. 1, deuxième phrase. - Les conditions imposées pour l'octroi de l'autorisation peuvent également faire l'objet d'un recours à la commission."
Il a enfin porté à 20'000 fr. le montant maximum de l'amende prévue à l'art. 9 al. 1, en ajoutant qu'est également passible d'une amende "celui qui ne respecte pas les conditions fixées à l'autorisation reçue".
C.-
Agissant par la voie du recours de droit public, la Chambre vaudoise immobilière, une propriétaire d'immeuble et quatre sociétés immobilières requièrent l'annulation du décret du 21 novembre 1973, soit les art. 3 al. 2 et 3, 3bis, 6 al. 1, 2e phrase et, "dans la mesure où il se réfère à l'art. 3 al. 2", 9 al. 1 nouveau du décret du 5 décembre 1962. Elles allèguent la violation de la force dérogatoire du droit fédéral, de la garantie de la propriété (art. 22ter Cst.) et de l'égalité devant la loi (art. 4 Cst.).
Erwägungen
Considérant en droit: I. (Recevabilité.) II. Force dérogatoire du droit fédéral
2.
La violation du principe de la force dérogatoire du droit fédéral, alléguée par les recourantes contre le décret du 21 novembre 1973, l'avait été aussi dans le recours formé contre le décret de 1962. Mais les dispositions fédérales en vigueur à l'époque ont été abrogées; d'autres dispositions ont en revanche été adoptées depuis lors, notamment l'art. 34septies Cst., accepté en votation populaire du 5 mai 1972, ainsi que l'arrêté fédéral "instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif", du 30 juin 1972 (RS 221.213.1), qui a été ensuite modifié provisoirement par l'arrêté fédéral "sur la surveillance des prix, des salaires et des bénéfices" du 20 décembre 1972 (RS 942.20). D'autre part, la loi fédérale du 24 juin 1970 a complété le code des obligations par l'adjonction des nouveaux articles 267a à 267f, relatifs à la restriction du droit de résilier les baux.
Les recourantes soutiennent que les modifications introduites par le décret du 21 novembre 1973 seraient en opposition avec ces nouvelles dispositions constitutionnelles et légales fédérales. Il faut relever d'emblée, à la suite de l'arrêt Righi (RO 99 Ia 625), que l'art. 34 septies Cst. ne prive pas
BGE 101 Ia 502 S. 505
ipso facto les cantons de leur compétence de légiférer en la même matière. Il s'agit en revanche d'examiner si le décret vaudois de 1973 est compatible avec les nouvelles dispositions légales fédérales.
a) Ainsi que le Tribunal fédéral l'a déjà relevé (RO 99 Ia 626), l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 contient des règles qui ressortissent en partie au droit public et en partie au droit civil. Il utilise des moyens de droit civil en tant qu'il contient des dispositions dérogeant aux règles du code des obligations sur le bail à loyer; mais il utilise aussi des moyens de droit public, notamment en prévoyant des sanctions pénales dans certains cas particuliers (art. 31 et 32 de l'arrêté). Le but de l'arrêté est décrit dans son art. 1er: il s'agit de "protéger les locataires contre les loyers abusifs ou d'autres prétentions abusives des bailleurs". Selon le message du Conseil fédéral du 24 avril 1972 relatif à cet arrêté, les limitations de la liberté contractuelle dont le principe est déjà consacré par le droit privé (art. 2 al. 2 CC, 19 et 20 CO) doivent être définies spécialement en matière de loyer afin d'améliorer la position juridique du locataire dans les régions où règne la pénurie de logements ou de locaux commerciaux (cf. FF 1972 I 1223). Par la suite, le champ d'application de l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 a été étendu à l'ensemble du pays par l'arrêté fédéral urgent du 20 décembre 1972 sur la surveillance des prix, des salaires et des bénéfices, applicable jusqu'au 31 décembre 1975. Dans son message du 4 décembre 1972 relatif à ce dernier arrêté, le Conseil fédéral a notamment relevé que la nécessité de modérer la surexpansion et de combattre les abus était dans l'intérêt majeur du pays et que le critère de la pénurie de logements et de locaux commerciaux devait "passer après des objectifs jouissant d'une priorité encore plus grande et intéressant l'ensemble du pays: la modération de la surchauffe et la lutte contre les abus" (FF 1972 II 1543/4).
b) Dans les domaines régis par le droit civil fédéral, les cantons conservent la compétence d'édicter des règles de droit public, en vertu de l'art. 6 CC; pour qu'ils puissent le faire dans une matière déterminée, il faut cependant que trois conditions soient remplies, savoir: que le législateur fédéral n'ait pas entendu réglementer cette matière de façon exhaustive; que les règles cantonales soient motivées par un intérêt
BGE 101 Ia 502 S. 506
public pertinent; que ces règles n'éludent pas le droit civil fédéral, ni n'en contredisent le sens ou l'esprit (RO 99 Ia 626, 98 Ia 495).
Quant au droit public fédéral, il prime d'emblée et toujours le droit public cantonal, dans les domaines que la Constitution ou un arrêté fédéral urgent placent dans la compétence de la Confédération et que celle-ci a effectivement réglementés; c'est dire que les règles cantonales qui seraient contraires au droit fédéral, notamment par leur but ou les moyens qu'elles mettent en oeuvre, devraient céder le pas devant le droit fédéral. Mais le principe rappelé ci-dessus n'exclut pas en soi toute réglementation cantonale; elle ne l'exclut que dans les matières que le législateur fédéral a entendu régler de façon exhaustive (cf. RO 97 I 503 s. consid. 3a et c). Ainsi les cantons restent compétents pour édicter, dans les domaines non réglés de façon exhaustive par le droit public fédéral, des dispositions de droit public dont les buts et les moyens envisagés convergent avec ceux que prévoit le droit fédéral.
Dans le domaine qui fait l'objet du présent litige, on peut affirmer que ni en 1960 (cf. RO 89 I 178 ss), ni en 1972, le législateur fédéral n'a entendu s'opposer à ce que les cantons édictent des règles en matière de démolition d'immeubles. S'il avait voulu le faire en 1972, il n'aurait pas manqué de le dire de façon expresse, au moins au cours des débats parlementaires. Il faut donc admettre non seulement que l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 n'a pas entraîné l'abrogation des dispositions cantonales en vigueur à l'époque dans plusieurs cantons, mais encore que les cantons continuent de pouvoir légiférer en cette matière. Cependant, pour trancher la question de la compatibilité de ces dispositions cantonales avec le droit public fédéral, il faut examiner si les règles posées par les deux législateurs convergent par leurs buts et les moyens qu'elles mettent en oeuvre.
c) En vue de résoudre la question précitée, il convient d'examiner d'abord le sens et la portée de la réglementation cantonale litigieuse.
Le décret attaqué est destiné à compléter le décret de base de 1962, qui soumet à autorisation la démolition et la transformation de maisons d'habitation. Le Conseil d'Etat a indiqué, dans son exposé des motifs, les raisons essentielles qui l'ont amené à proposer la modification du décret de 1962:
BGE 101 Ia 502 S. 507
il s'agit, en bref, d'empêcher que les propriétaires autorisés à démolir ou transformer un bâtiment ne vendent les nouveaux logements à des prix inabordables pour les locataires ou ne les soumettent à des augmentations de loyers excédant largement celles qui avaient été annoncées initialement, en vue d'obtenir l'autorisation requise; pour cela, il convient d'assortir ladite autorisation de conditions restreignant la vente par appartements et permettant le contrôle des logements loués; la menace d'une amende est insuffisante pour empêcher les abus, les avantages espérés par le bénéficiaire de l'opération étant souvent beaucoup plus importants.
Ainsi, la nature et le but du décret attaqué ne diffèrent pas, dans l'ensemble, de ceux du décret de base de 1962. Comme ce dernier, le texte revisé tend à combattre la pénurie de logements, tout en instituant des règles nouvelles, destinées à renforcer celles qui avaient été prévues dès 1962; il agit par des procédés de droit administratif (exigence d'une autorisation délivrée par l'autorité) et la violation des règles prévues est sanctionnée par la commination d'une peine. Comme le décret de base, il a été édicté dans l'intérêt public et fait partie du droit public cantonal (RO 89 I 180).
Mais les recourantes affirment que le décret de 1973 s'écarte, en ce qui concerne les moyens qu'il utilise, de celui de 1962, car son objet résiderait dans une intervention du législateur dans les relations entre bailleur et locataire, et le moyen mis en oeuvre est un contrôle des loyers, que ne connaissait pas le décret de 1962.
Alors même que, pour l'essentiel, le décret attaqué édicte des mesures de contrôle pour certains loyers et d'autorisation pour la vente de certains appartements, il convient de souligner que ces mesures ne peuvent être prises qu'en relation avec celles que prévoit le décret de 1962. Il ne s'agit en aucun cas de mesures décrétées pour elles-mêmes, d'une façon autonome, mais bien de mesures accessoires à une autorisation de démolir ou de transformer. Le fait que le décret de 1973 porte essentiellement sur les mesures précitées ne joue pas de rôle décisif, puisqu'il n'est destiné qu'à s'insérer dans celui de 1962, qu'il complète et renforce. Il ne peut donc être apprécié qu'en fonction du décret de 1962, et sous le même angle que si les dispositions nouvelles avaient été inscrites dès l'origine dans le texte de 1962.
BGE 101 Ia 502 S. 508
d) Dans l'arrêt Righi du 4 avril 1973 (RO 99 Ia 626), le Tribunal fédéral a déclaré compatible avec l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 la législation genevoise soumettant à un contrôle étatique certains cas de loyers et de ventes d'appartements. Les considérations qu'il a émises à cette occasion peuvent s'appliquer, mutatis mutandis, à l'examen de la compatibilité du décret attaqué avec le même arrêté fédéral.
La législation fédérale est exhaustive en ce sens que le canton ne pourrait pas compléter les dispositions fédérales en prévoyant d'autres règles sur les rapports directs entre bailleur et locataire, avec cependant la réserve relative aux sûretés fournies par le preneur (art. 6 al. 2 AF). Mais le décret vaudois n'a pas pour objectif premier d'intervenir dans lesdits rapports. Le locataire, après comme avant l'adoption du décret de 1973, n'est pas partie à la procédure créée par ce texte, qu'il s'agisse de l'octroi du permis (RO 89 I 182) ou du respect des conditions mises à cet octroi, notamment en ce qui concerne l'autorisation de la vente par appartement et le contrôle des loyers. Certes, les mesures instituées par la novelle de 1973 conduisent à améliorer dans certains cas la protection accordée par le droit fédéral aux locataires. Mais il s'agit de mesures prises dans le cadre de la lutte contre la pénurie de logements, considérée pour elle-même, alors que l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 ne s'est préoccupé de la pénurie que dans la mesure où celle-ci se trouvait à l'origine d'abus commis par des propriétaires à l'égard de locataires, et encore la pénurie de logements a-t-elle passé à l'arrière-plan dans le système fédéral depuis l'arrêté urgent du 20 décembre 1972. Le décret attaqué n'introduit pas un contrôle général des loyers ou des prix de vente, qui serait destiné à protéger les locataires en général; il n'introduit un contrôle que dans les cas où il s'agit d'assurer l'application de règles tendant à combattre la pénurie de logements et dans les communes où sévit cette pénurie. Il s'agit donc de mesures accessoires à celles qui sont prises en vue de maintenir à la disposition de la population un nombre suffisant d'appartements dans les catégories où sévit la pénurie. Ces mesures, prises dans un autre cadre que celui de l'arrêté fédéral, ne peuvent ainsi que renforcer la protection des locataires voulue par le droit fédéral; elles ne contrecarrent pas l'arrêté fédéral, mais en accroissent l'efficacité (RO 99 Ia 627).
BGE 101 Ia 502 S. 509
3.
Les recourantes considèrent comme contraire au droit privé fédéral, savoir aux art. 267a ss et 19 CO, notamment la disposition de l'art. 3 al. 2 du décret attaqué, qui permet à l'Office cantonal, lors de l'octroi de l'autorisation visée à l'art. 3 al. 1, de soumettre à autorisation pendant dix ans la vente par appartement, pour éviter la diminution de logements loués dans une catégorie où sévit la pénurie.
a) Les
art. 267a à 267
f CO, adoptés le 24 juin 1970, permettent au locataire de demander à l'autorité judiciaire de prononcer la prolongation d'un bail lorsque la résiliation ou l'expiration de celui-ci aurait des conséquences pénibles pour lui ou sa famille. Les recourantes soutiennent que le législateur fédéral ayant délibérément remplacé le système de l'annulation du congé - en vigueur sous le régime antérieur - par une prolongation pour une durée limitée à un ou trois ans, les cantons ne sauraient empêcher le propriétaire de disposer du logement pendant dix ans; ce serait, disent-elles, tourner le droit fédéral, qui a précisément voulu apporter plus de mesure dans la protection des locataires et éviter de décourager l'initiative privée en matière de logement.
Mais la disposition en cause n'a qu'un rapport très lointain avec les mesures d'annulation du congé donné par le propriétaire ou de prolongation du bail. Elle n'empêche en aucune façon un propriétaire de donner congé à l'un quelconque de ses locataires, de sorte que l'on ne voit pas en quoi les
art. 267a à 267
f s'opposeraient à la validité de la condition mise par l'autorité vaudoise à l'octroi d'une autorisation de transformer ou de démolir.
b) Les recourantes affirment que le décret attaqué aboutit à empêcher la libre conclusion de contrats portant sur des logements reconstruits ou transformés sans aucune aide des pouvoirs publics; contrairement à ce qui se présentait dans l'arrêt Chailly Vallon SA (RO 98 Ia 498), il ne s'agit pas ici de restrictions minimes apportées à la liberté des conventions et qui ne porteraient que sur des clauses accessoires du contrat; c'est la conclusion même de la vente par appartements qui serait subordonnée à une autorisation officielle.
Si l'art. 19 al. 1 CO pose le principe de la liberté des conventions, cette liberté n'est pas illimitée; elle est subordonnée aux restrictions qui sont réservées dans cet alinéa et précisées dans l'alinéa 2 du même article, ainsi qu'à l'art. 20 CO;
BGE 101 Ia 502 S. 510
en vertu des compétences qui lui sont reconnues au sens de l'art. 6 CC, le canton peut introduire de telles restrictions (RO 99 Ia 623/4). Il est vrai que l'atteinte à la liberté des conventions est ici plus caractérisée qu'elle ne l'était dans l'arrêt Chailly Vallon S.A., car c'est la convention même de vente par appartements qui est soumise à autorisation et peut ne pas recevoir l'agrément de l'autorité; mais, dans l'arrêt précité, le considérant mentionné par les recourantes n'avait qu'une valeur accessoire. Le Tribunal fédéral a admis que certaines dérogations à la liberté des conventions peuvent se justifier dans le domaine du logement, ce problème présentant un caractère général et les mesures prises pour le résoudre relevant de la préoccupation des pouvoirs publics d'assurer à chacun un logement décent (RO 98 Ia 498, 88 I 170, 254).
L'intimé relève, dans sa réponse, que le seul but de l'art. 3 al. 2 du décret attaqué est d'assurer la bonne exécution des dispositions légales, en faisant effectivement respecter les conditions qui ont permis l'octroi de l'autorisation; il souligne que le caractère précis et limité de cette faculté résulte du texte légal, qui prévoit expressément que l'OCL ne peut imposer au propriétaire l'obligation de requérir une autorisation pour la vente par appartements que "pour éviter la diminution de logements loués dans une catégorie où sévit la pénurie".
Le décret vaudois n'institue donc pas un contrôle général de la vente de maisons d'habitation par appartements, mais il impose, pour des motifs raisonnables et pertinents d'intérêt général, au propriétaire qui désire obtenir l'autorisation de reconstruire ou de transformer un appartement auparavant loué dans une catégorie et dans une commune où sévit la pénurie, l'obligation d'être soumis pendant une période de dix ans à une approbation de la vente par l'autorité compétente. Etant donné l'intérêt public que revêt actuellement le problème du logement, une mesure de cette nature, limitée quant à son objet et à sa durée, ne contredit pas le droit civil fédéral comme tel et ne vide pas la liberté contractuelle de son contenu, ainsi que le Tribunal fédéral l'a déjà jugé dans l'arrêt Righi (RO 99 Ia 623/4; cf. GRISEL, Des rapports entre le droit civil fédéral et le droit public cantonal, RDS 1951, p. 300 ss; DESCHENAUX, Traité de droit civil suisse, II 1; p. 28 ss).
4.
...
BGE 101 Ia 502 S. 511
III.
Garantie de la propriété
5.
Les recourantes allèguent que le décret attaqué est contraire à la garantie de la propriété, consacrée par l'art. 22ter Cst. et par l'art. 6 Cst. vaud. Cette dernière disposition n'ayant pas une portée plus large que l'art. 22ter Cst., le grief soulevé ne sera examiné que par rapport à la disposition constitutionnelle fédérale (cf. RO 98 Ia 199 consid. 1).
a) En vertu de l'art. 22ter Cst., les cantons peuvent édicter des restrictions de la propriété par voie législative et pour des motifs d'intérêt public. Les recourantes ne contestent l'existence ni d'une base légale, ni d'un intérêt public, mais soutiennent que les dispositions attaquées violent les principes de proportionnalité et d'égalité auxquels sont aussi soumises les restrictions de droit public à la propriété.
b) Selon la jurisprudence, une restriction de propriété ne doit pas entraîner une atteinte plus grave que ne l'exige le but d'intérêt public recherché. Si l'Etat peut obtenir le même résultat par l'emploi de moyens moins rigoureux, la restriction en cause devra être considérée comme contraire au principe de la proportionnalité; elle le sera aussi s'il n'existe pas de rapport raisonnable entre la limitation de la propriété et le résultat recherché (RO 99 Ia 41, 475).
Les recourantes ne contestent pas que les mesures prévues à l'art. 3 al. 2 nouveau soient propres, dans certains cas, à atteindre le but visé, soit la lutte contre la pénurie de logements à loyers modérés; mais elles estiment que le législateur peut y parvenir en recourant à des moyens moins restrictifs: sanctions pénales aggravées à l'égard des promoteurs peu scrupuleux qui induiraient l'autorité en erreur ou contreviendraient à l'autorisation reçue (art. 9 al. 1 du décret); ordre donné par l'Office cantonal du logement de rétablir l'état antérieur lorsque les travaux ont été exécutés en violation de l'autorisation (art. 10). Elles soutiennent enfin que l'application des mesures de protection des locataires (art. 17 ss de l'AF du 30 juin 1972), de même que les art. 267a et ss CO suffiraient pour éviter des abus.
Le Conseil d'Etat souligne la nécessité des mesures décrétées par le Grand Conseil et cite une série d'exemples d'abus graves qui ont été constatés: des propriétaires ont fixé le loyer des logements reconstruits à des prix bien supérieurs à ceux
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qu'ils avaient indiqués en vue d'obtenir l'autorisation de démolir ou de transformer; d'autres ont mis en vente à des prix très élevés les appartements rénovés, après avoir annoncé leur intention de les louer.
Dans leur réplique, les recourantes contestent la réalité des abus allégués par le Conseil d'Etat, mais elles n'en excluent pas la possibilité. Elles prétendent cependant que ces abus peuvent être combattus par l'utilisation des moyens qu'elles ont mentionnés. Mais le Conseil d'Etat relève que les sanctions pénales ne sont pas suffisantes pour dissuader les propriétaires peu scrupuleux de commettre des abus: le montant maximum de l'amende, même porté à 20'000 fr. par le décret de 1973, est peu de chose en comparaison du bénéfice que permet de réaliser le détournement de la loi; de plus, il est souvent difficile d'établir les conditions spéciales, propres à la répression pénale, et le véritable but à atteindre n'est pas de faire condamner les auteurs d'abus, mais d'empêcher la disparition de logements dans une catégorie où sévit la pénurie, ce qui n'est possible qu'avec les moyens de droit administratif introduits à l'art. 3 al. 2. Enfin, dans la plupart des cas, les abus relevés ne consistent pas dans l'exécution de travaux non autorisés; et même lorsqu'il s'agit de tels travaux, il est souvent impossible d'exiger la remise en l'état des lieux, en vertu précisément du principe de la proportionnalité.
c) L'argumentation des recourantes apparaît en réalité contradictoire. En effet, si elles ne mettent pas en cause, à l'art. 9 al. 1 nouveau, l'augmentation de la pénalité jusqu'à un maximum de 20'000 fr., elles demandent cependant l'annulation de la phrase qui permet de punir "celui qui ne respecte pas les conditions fixées à l'autorisation reçue", estimant qu'il serait inconstitutionnel de fixer de telles conditions. Or si aucune condition - à part celles qui ont trait à la nature des travaux - ne peut être imposée à celui qui entend faire démolir ou transformer son immeuble, on ne voit pas comment il serait possible de condamner le propriétaire qui n'aurait pas tenu ses promesses.
Quant aux mesures fédérales de protection des locataires, elles ne constituent pas des mesures de caractère général, pouvant être appliquées d'office. L'arrêté fédéral du 30 juin 1972 institue une procédure qui permet au locataire individuel de contester le montant du loyer, dans la mesure où il l'estime
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abusif, c'est-à-dire "visant à obtenir un rendement inéquitable du logement" (art. 14 AF). Cet arrêté ne permet pas à la collectivité d'intervenir pour empêcher la disparition de logements à loyers modérés. De même, les règles du code des obligations sont des règles de droit civil, applicables uniquement dans les rapports individuels entre bailleur et locataire.
Dans la mesure donc où il peut y avoir, comme l'admettent les recourantes, des "promoteurs peu scrupuleux" qui induiraient l'autorité en erreur et feraient disparaître des logements à loyers modérés pour les remplacer par des logements d'une autre catégorie, un moyen efficace de combattre les abus en cette matière semble être effectivement la possibilité d'imposer des conditions à celui qui requiert une autorisation de démolition ou de transformation, et d'avoir la possibilité de contrôler la réalisation de ces conditions. En revanche, les moyens proposés par les recourantes ne permettraient pas d'obtenir ce résultat. On ne saurait donc dire qu'à ce point de vue le décret attaqué viole le principe de la proportionnalité.
d) Les recourantes prétendent aussi que les mesures prévues à l'art. 3 al. 2 du décret (contrôle des loyers et de la vente par appartements pendant 10 ans) portent atteinte à l'essence même de la propriété, à l'Institutsgarantie, car elles restreignent de façon grave et durable les droits de disposition et de jouissance du propriétaire. La disposition en cause serait d'autant moins admissible qu'en raison de sa rédaction tout à fait générale, elle permettrait d'imposer un contrôle non seulement dans les cas visés par l'exposé des motifs, c'est-à-dire lorsque l'autorisation est accordée "pour maintenir ou augmenter le nombre de logements loués à des prix raisonnables", mais également dans les cas où le propriétaire invoque un juste motif à l'appui de sa demande, en particulier l'état de vétusté de l'immeuble, des exigences d'hygiène ou de sécurité, éventuellement des besoins personnels. Dans tous ces cas, un refus d'autorisation violerait la garantie de la propriété; aussi l'Etat ne saurait-il subordonner son autorisation, qui est due, à de nouvelles restrictions de la propriété, qui n'ont aucune contrepartie. Le fait d'imposer alors les conditions mentionnées à l'art. 3 al. 2 du décret attaqué porterait atteinte au principe de la proportionnalité.
aa) La garantie institutionnelle de la propriété est violée lorsque le législateur édicte des normes, notamment des restrictions
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de propriété, qui vident la propriété privée de son contenu en tant qu'institution fondamentale de l'ordre juridique suisse (RO 96 I 558). Mais on ne peut pas prétendre sérieusement que les restrictions de la propriété instituées par le législateur vaudois, qui tendent à maintenir pendant quelques années la destination de certaines maisons d'habitation, puissent avoir pour résultat de vider la propriété privée de sa substance. Le mode d'utilisation de la propriété foncière peut être limité tant en vertu de l'art. 22ter al. 2 Cst. qu'en vertu de l'art. 22quater Cst. (aménagement du territoire), sans que le principe même de la propriété privée puisse être considéré comme affecté.
bb) Mais si on l'examine sous l'angle de la proportionnalité, le problème posé par les recourantes est délicat. Le décret ne dit pas clairement si les conditions prévues à l'art. 3 al. 2 peuvent être imposées au propriétaire lorsque la démolition apparaît indispensable, par exemple pour des motifs de sécurité ou de salubrité, alors que dans de tels cas la démolition peut même être imposée par les pouvoirs publics contre le gré du propriétaire (art. 63 de la loi vaudoise sur les constructions et l'aménagement du territoire, du 5 février 1941).
Ce problème n'a pas été examiné dans l'exposé des motifs du décret de 1973, ni lors des débats parlementaires. Dans sa réponse au recours, le Conseil d'Etat relève que les propriétaires ont un droit à obtenir l'autorisation sollicitée, si les conditions légales sont réunies; l'autorité a alors l'obligation de délivrer une autorisation, en exerçant son pouvoir d'appréciation dans les limites précisées par la doctrine et la jurisprudence. De plus, dit-il, il est en général difficile d'isoler les motifs justifiant une autorisation, car il est fort rare qu'une requête soit admise uniquement pour un seul motif. Une appréciation d'ensemble de la situation s'impose.
Il n'est cependant pas nécessaire de statuer dès maintenant sur l'interprétation qui pourra être donnée aux dispositions peu claires du décret vaudois. Il appartiendra à l'autorité compétente de se déterminer dans chaque cas de requête en autorisation de démolir ou de transformer. Elle devra se prononcer sur le point de savoir si, compte tenu des circonstances de la cause, elle peut imposer des conditions quant à l'utilisation du bâtiment après reconstruction ou transformation. Le propriétaire qui prétend être lésé par la décision de l'Office cantonal
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des logements peut, aux termes de l'art. 6 du décret, former un recours auprès d'une commission cantonale de recours en matière de démolition et de transformation de maisons d'habitation. La décision de la Commission de recours peut elle-même faire l'objet d'un recours de droit public. Il est dès lors prématuré de définir au stade actuel, où le Tribunal fédéral n'est saisi que d'une situation abstraite et non d'un cas concret, les limites exactes dans lesquelles pourra se mouvoir l'autorité administrative. Celle-ci sera tenue dans chaque cas de procéder à la pesée des intérêts en présence, en appliquant les principes de l'égalité de traitement et de la bonne foi (cf. RO 99 Ia 41).
e) Dans leur mémoire de réplique, les recourantes contestent aussi, sous l'angle de la proportionnalité, le caractère d'intérêt public du but recherché; elles déclarent qu'on ne se trouve plus dans un état de pénurie de logements, ou en tout cas que cette pénurie n'est pas comparable à celle d'il y a quelques années. Elles tirent de là la conclusion que l'intérêt public en jeu se trouve réduit et ne justifie pas dès lors la gravité de la restriction apportée à la propriété privée.
N'ayant pas été présenté dans le mémoire de recours, ce grief est tardif et, partant, irrecevable (RO 98 Ia 494; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, ad art. 93, p. 400).
6.
Les recourantes soutiennent que le décret de 1973 est contraire au principe d'égalité, du fait qu'il permettrait de soumettre à un contrôle des loyers ou à une interdiction de vente par appartements le propriétaire d'un immeuble vétuste, tandis que cette possibilité n'existerait pas à l'égard du propriétaire d'un terrain qui ne comporte pas de maison d'habitation. Il y aurait là une différence de traitement inadmissible, car elle ne trouverait pas de justification raisonnable dans les faits.
S'il est exact que les restrictions de la propriété sont soumises au principe d'égalité formulé par l'art. 4 Cst., cela ne signifie pas que tous les propriétaires doivent pouvoir utiliser leurs fonds dans la même mesure (GRISEL, op.cit., p. 400). Pour qu'il y ait inégalité de traitement contraire à cette disposition constitutionnelle, il faut ou bien que la règle critiquée fasse entre divers cas des distinctions juridiques qu'aucun fait important ne justifie, ou bien qu'elle soumette à un régime identique des situations de fait qui présentent entre elles des
BGE 101 Ia 502 S. 516
différences importantes et de nature à rendre nécessaire un traitement différent (RO 100 Ia 328 consid. 4b, 93 I 418; arrêt Weber du 11 décembre 1974). En l'espèce, le décret n'opère pas de distinction arbitraire entre les différents propriétaires. Les raisons pour lesquelles les propriétaires qui désirent démolir ou transformer une maison d'habitation peuvent être soumis au régime de l'autorisation de la vente par appartements ou du contrôle des loyers ont été exposées; il s'agit de raisons objectives, qui trouvent une justification raisonnable dans les faits. Certes, un propriétaire peut s'en trouver favorisé par rapport à un autre; la situation est la même en matière d'aménagement du territoire; certains propriétaires peuvent voir leurs terrains affectés à une zone à bâtir, d'autres à une zone agricole, sans qu'ils puissent se plaindre d'une violation du principe de l'égalité de traitement, si des raisons objectives ont présidé à la classification.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cecc9c77-a578-486f-8a69-cf07de0b2ab3 | Urteilskopf
101 Ib 70
13. Urteil vom 14. Februar 1975 i.S. Eidg. Departement des Innern c. von Burg und Konsorten und Kantonale Rekurskommission Solothurn | Regeste
Giftgesetz, Gebührentarif, Zulässigkeit der Subdelegation.
Eine Verfügung, die in Anwendung eines Tarifs im Einzelfall ergeht, ist mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar. Zulässigkeit der Subdelegation der Rechtsetzungsbefugnis beim Erlass von Gebührenordnungen; im konkreten Fall Unzulässigkeit der Delegation durch den Bundesrat an das Eidg. Departement des Innern. | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 101 Ib 70 S. 70
Das Bundesgesetz über den Verkehr mit Giften vom 21. März 1969 (GG) unterwirft den Verkehr mit Giften grundsätzlich der Bewilligungspflicht (Art. 7 GG). Ihr sind auch Ärzte unterstellt, wenn sie in ihrer Tätigkeit mit Giften umzugehen haben. Nach Art. 39 Abs. 2 GG erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen. Kantonale Vorschriften, die vom Gesetz geregelte Sachgebiete betreffen, sind mit dem Inkrafttreten des Gesetzes aufgehoben. Dessen Vollzug ist nach Art. 21 GG in erster Linie Sache der Kantone, die namentlich für die Erteilung der erforderlichen Bewilligungen
BGE 101 Ib 70 S. 71
sowie für besondere Kontrollen innerhalb eines vom Bundesrat festzusetzenden Rahmens Gebühren erheben können (Art. 21 Abs. 2 GG).
Der Bundesrat hat am 23. Dezember 1971 die Vollziehungsverordnung zum Giftgesetz (VV) erlassen. Die Art. 29 ff. VV sehen vier Arten von Bewilligungen vor. Die Bewilligung A ist eine sog. allgemeine Bewilligung, die u.a. an praktizierende Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte abgegeben wird (Art. 29 VV). Art. 29 Abs. 4 VV besagt, diese Bewilligung sei mit der Bewilligung zur Ausübung der genannten Berufe ohne besonderes Gesuch gleichzeitig zu erteilen. Nach Art. 86 VV veröffentlicht das Gesundheitsamt periodisch das Verzeichnis der Inhaber einer allgemeinen Bewilligung mit Ausnahme der Apotheken, Drogerien, amtlichen Laboratorien, Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte. Art. 82 VV führt Art. 21 Abs. 2 GG näher aus. Danach können die Kantone für die Erteilung der Verkehrsbewilligung innerhalb eines vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) in einem besonderen Reglement festgesetzten Rahmens Gebühren erheben. In Art. 3 des vom EDI am 22. März 1972 erlassenen Gebührenreglementes zum GG, das am 1. April 1972 in Kraft trat, ist für die Erteilung der Bewilligung A eine Gebühr von Fr. 100.-- bis Fr. 150.-- vorgesehen.
Am 1. April 1973 stellte das Kantonale Laboratorium Solothurn zusammen mit einem Rundschreiben den praktizierenden Ärzten des Kantons Solothurn eine Bewilligung A zu mit einer Gebührenrechnung von je Fr. 100.-- Die Ärzte-Gesellschaft des Kantons Solothurn beschwerte sich deswegen im Namen aller ihr angeschlossenen Ärzte beim Finanzdepartement des Kantons und, als dieses die Beschwerde abwies, bei der Kantonalen Rekurskommission Solothurn (Rekurskommission).
Diese hiess die Beschwerde am 4. Juni 1974 teilweise gut und setzte die Bewilligungsgebühr auf Fr. 25.-- herab mit der Begründung, der reglementarische Tarif beruhe auf einer unzulässigen Subdelegation, so dass lediglich eine keiner gesetzlichen Grundlage bedürfende Kanzleigebühr von Fr. 25.-- erhoben werden könne.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 13. September 1974 beantragt das EDI, es sei die Gesetzmässigkeit des Gebührenreglementes festzustellen und das Urteil der Rekurskommission aufzuheben.
BGE 101 Ib 70 S. 72
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 97 Abs. 1 OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
, die von einer der in
Art. 98 OG
aufgezählten Instanzen stammen, mit keinem der in
Art. 102 OG
genannten Rechtsmittel angefochten werden können und unter keine der Ausnahmebestimmungen von
Art. 99-101 OG
fallen. Die ersten drei Voraussetzungen sind ohne Zweifel erfüllt; zu prüfen bleibt, ob der angefochtene Entscheid unter eine der Ausnahmebestimmungen fällt.
Unzulässig ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
Art. 99 lit. b OG
gegen Verfügungen über Tarife, ausser - was vorliegend nicht in Frage steht - über Tarife auf dem Gebiete der Privatversicherung und der Verwertung von Urheberrechten. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde jedenfalls gegen Verfügungen ausgeschlossen ist, die den Erlass oder die Genehmigung eines Tarifes als Ganzes zum Gegenstand haben, und demgemäss ist auf Beschwerden nicht einzutreten, mit denen ein Tarif unmittelbar angefochten wird, auch dann, wenn nur einzelne Bestimmungen des Tarifs Anfechtungsobjekt sind (
BGE 100 Ib 330
).
Dagegen findet sich in der Entstehungsgeschichte der revidierten Bestimmungen über die Verwaltungsrechtspflege durch das Bundesgericht (
Art. 97 ff. OG
) kein Anhaltspunkt dafür, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Verfügungen im Einzelfall ausgeschlossen wäre, in denen ein Tarif angewendet wird. Den Beratungen der parlamentarischen Kommissionen kann im Gegenteil entnommen werden, dass man immer davon ausging, die Anwendung eines Tarifs im Einzelfall sei beim Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, wurde doch der Ausschluss der Beschwerde gegen die Genehmigung oder Nichtgenehmigung von Tarifen unter anderem damit begründet, dass das Gericht sonst Gefahr laufe, bei der Überprüfung der Anwendung eines Tarifs im Einzelfall seinem vorgängigen Entscheid über die Genehmigung widersprechen zu müssen (Protokoll der Kommission des Nationalrates vom 6./7. September 1966, S. 76; nicht veröffentlichtes Urteil Serapharm
BGE 101 Ib 70 S. 73
SA vom 22. Dezember 1972, E. 1). Die gleiche Praxis verfolgt auch das Eidgenössische Versicherungsgericht bei der Auslegung von
Art. 129 Abs. 1 lit. b und e OG
(
BGE 100 V 3
f.).
Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Anwendung von Art. 3 des Gebührentarifs auf die Beschwerdeführer, also gegen die Anwendung einer Bestimmung des Tarifs in einer Anzahl gleicher Fälle. Freilich betrifft das Urteil der Rekurskommission den Tarif insgesamt, indem er - jedenfalls in den Urteilserwägungen - ungültig erklärt wird. Dennoch hat die Rekurskommission keine Verfügung über einen Tarif getroffen, sondern Einzelfälle beurteilt. Ihrem Entscheid kann keine andere Bedeutung zukommen, als dass der Tarif auf die Beschwerdeführer nicht anwendbar ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich deshalb als zulässig. Das EDI ist nach
Art. 103 lit. b OG
zur Beschwerde legitimiert; auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Das Gebührenreglement ist eine Rechtsverordnung, die auf einer Delegation bzw. Subdelegation des Bundesrates beruht. Eine solche Verordnung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes daraufhin überprüfbar, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten Befugnisse hält (
BGE 99 Ib 165
). Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, prüft der Richter auch die Verfassungsmässigkeit der unselbständigen Verordnung. Was insbesondere die Bemessung von Gebühren anbelangt, unterliegt der richterlichen Prüfung, ob das Kostendeckungsprinzip, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und das Gebot der rechtsgleichen Behandlung beachtet worden sind. Nicht von Bedeutung ist, dass die Verordnung im wesentlichen einen Tarif zum Inhalt hat, denn nach dem Gesagten kommt
Art. 99 lit. a und b OG
nicht der Sinn zu, die Prüfung der Rechtsmässigkeit von Erlassen oder Tarifen bei deren Anwendung im Einzelfall einzuschränken.
3.
Ob die in Art. 21 Abs. 2 GG enthaltene Delegation der rechtsetzenden Befugnisse an den Bundesrat verfassungsmässig ist und den Anforderungen entspricht, die das Bundesgericht in seiner staatsrechtlichen Rechtsprechung an Delegationsnormen in Abgabesachen aufstellt (
BGE 99 Ia 700
ff., insbesondere 704, mit Hinweisen), kann nicht überprüft werden, da das Bundesgericht an die Bundesgesetze und damit
BGE 101 Ib 70 S. 74
auch an die in ihnen enthaltenen Delegationsnormen gebunden ist (
Art. 1 Abs. 3 BV
).
4.
a) In Rechtslehre und Rechtsprechung ist umstritten, ob eine Subdelegation von rechtsetzenden Befugnissen auch ohne ausdrückliche verfassungsmässige Regelung allgemein oder in bestimmten Fällen zulässig ist (vgl.
BGE 92 I 45
f. E. 2 mit zahlreichen Hinweisen auf die Literatur). Anders als z.B. Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland regelt die Bundesverfassung die Frage, ob eine Subdelegation an vollziehende Behörden im Rechtsetzungsverfahren des Bundes zulässig ist, nicht ausdrücklich. Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 12. März 1948 über die Rechtskraft der bereinigten Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen für die Jahre 1848-1947 (Rechtskraftgesetz) erklärt, dass Dienstabteilungen der Departemente zum Erlass allgemein verpflichtender Vorschriften inskünftig nur zuständig sind, wenn ein Bundesgesetz oder Bundesbeschluss dies vorsieht. Das Bundesgesetz vom 6. Oktober 1966 über die Herausgabe einer neuen bereinigten Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen hat diesen Rechtssatz in Art. 4 Abs. 2 bestätigt. Die Tragweite der Bestimmung ist nicht ohne weiteres klar. Ihre Bedeutung ergibt sich auch nicht eindeutig aus ihrer Entstehungsgeschichte. Der Bundesrat berief sich in seiner Ergänzungsbotschaft zum Rechtskraftgesetz auf eine Expertenkommission, die Art. 7 Abs. 1 einführen wollte, damit Verordnungen künftig von einer Behörde ausgingen, die dem Parlament verantwortlich sei (BBl 1948 I 806). Das liesse eher darauf schliessen, dass nur der Gesamtbundesrat zum Erlass von Verordnungen ermächtigt sein sollte. In den parlamentarischen Verhandlungen wurde jedoch das Gewicht darauf gelegt, dass der Erlass allgemeinverbindlicher Vorschriften gestützt auf eine Subdelegation künftig auf das Departement beschränkt sein solle (Kommissionspräsident Bucher, Sten. Bull. N 1948 S. 14, Kommissionsreferent Flückiger, Sten. Bull. S 1948 S. 27). Bei der Auslegung von Art. 7 Rechtskraftgesetz drängt sich der Umkehrschluss auf, dass eine Subdelegation an die Departemente durch den Bundesrat grundsätzlich nicht ausgeschlossen sein sollte. Dieser Auslegung entspricht die Rechtsprechung des Bundesgerichtes (
BGE 87 IV 38
E. 3,
BGE 92 I 46
). Da, wie ausgeführt, das Bundesgericht an die Bundesgesetze gebunden ist, ist die Verfassungsmässigkeit dieser
BGE 101 Ib 70 S. 75
Regelung nicht zu überprüfen und davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Subdelegation an die Departemente zulässt, ebenso an Verwaltungsabteilungen, wenn dies ausdrücklich beschlossen wird.
b) Ist die Subdelegation der Rechtsetzungsbefugnis an ein Departement grundsätzlich zulässig, so fragt es sich weiter, ob sie unbeschränkt möglich oder an gewisse Voraussetzungen gebunden ist. Das Rechtskraftgesetz äussert sich dazu nicht.
Das Bundesgericht hat bereits in
BGE 87 IV 38
f. eine Beschränkung angedeutet, indem es ausgeführt hat, dass die Weitergabe von Rechtsetzungsbefugnissen mindestens dann zuzulassen ist, wenn in der auf Subdelegation beruhenden Verordnung Fragen vorwiegend technischer Natur geregelt werden sollen, die keine Verfassungsgrundsätze gefährden, und in
BGE 92 I 47
hat das Gericht die Subdelegation ausdrücklich ausgeschlossen, wo sie gegen fundamentale Rechtsgrundsätze verstossen würde.
Besondere Grundsätze sind für die öffentlichen Abgaben entwickelt worden. Hier gilt nach ausdrücklicher Vorschrift oder aufgrund ungeschriebenen Verfassungsrechts der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Steuer (
BGE 92 I 47
,
BGE 99 Ia 542
E. 4a). Das bedeutet, dass zumindest in Fällen der Kompetenzdelegation an die vollziehende Behörde Objekt und Höhe der Abgabe im delegierenden Erlass, d.h. in der Verfassung oder im formellen Gesetz, festgelegt sein muss (
BGE 99 Ia 542
E. 4a,
BGE 97 I 804
, je mit Hinweisen). Anderen Regeln folgen einzig die Delegation an die gesetzgebende Behörde selber (
BGE 99 Ia 542
F. E. 4 b) sowie die Weitergabe von Befugnissen an eine Selbstverwaltungskörperschaft, wobei in diesem zweiten Fall besser von Kompetenzausscheidung als von Delegation gesprochen wird (
BGE 97 I 805
).
Diese Regeln, denen praktisch Verfassungsrang zukommt, gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes für die Gebühren mit Ausnahme der Kanzleigebühren ebenfalls. Auch die Gebühren müssen grundsätzlich in einem Gesetz im formellen Sinn verankert sein (
BGE 95 I 251
). Freilich hat das Bundesgericht in jüngster Zeit wiederholt die Frage aufgeworfen, ob eine formelle gesetzliche Grundlage für jede Gebühr erforderlich ist, wobei es bisher noch keine generellen Regeln aufgestellt hat. In
BGE 97 I 204
und 348 hat es die Frage offen gelassen, in
BGE 99 Ia 603
für die Vorzugslasten bestimmt,
BGE 101 Ib 70 S. 76
dass die Grundzüge der Abgabe und deren Höchstbetrag im Gesetz selbst festgelegt sein müssen. In
BGE 99 Ia 701
ff. dagegen ist das Erfordernis der formellen gesetzlichen Grundlage für eine kantonale Fleischschaugebühr, die einen stark technischen Charakter aufwies, aufgegeben worden, wobei offenblieb, ob es sich dabei um eine echte Kontrollgebühr, um eine Gebühr eigener Art oder um eine blosse Maximalgebühr handle. Das Bundesgericht hat allerdings beigefügt, aus dem Urteil dürfe keineswegs der Schluss gezogen werden, dass auf das Erfordernis der formellen gesetzlichen Grundlage nun für alle Gebühren oder sogar für sämtliche Kausalabgaben verzichtet werde, und im Urteil
BGE 100 Ia 142
schliesslich hat das Gericht die für die Fleischschaugebühr gewählte flexiblere Lösung bestätigt, gleichzeitig aber für Benutzungsgebühren mit steuerähnlichem Charakter, namentlich für Konzessions- und Nutzungsgebühren, auf der formellen gesetzlichen Grundlage bestanden.
Die für die öffentlichen Abgaben aufgestellten Grundsätze führen mithin zu einer weiteren Einschränkung der Delegationsbefugnis. Obwohl vom Bundesgericht in erster Linie für das kantonale Staatsrecht entwickelt, können diese Grundsätze nicht nur für das kantonale Recht gelten; aus rechtsstaatlichen Prinzipien hergeleitet sind sie auch für den Bund als Rechtsstaat verbindlich, und das Bundesgericht hat sie zu berücksichtigen, soweit es die delegierende Norm und den gestützt darauf ergangenen Erlass auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen kann. Folgerichtig ist ferner, dass die Grundsätze, die für die Delegation vom Gesetzgeber an die Exekutive gelten, auch auf die Weitergabe von Befugnissen der Exekutive an untergeordnete Verwaltungsbehörden Anwendung finden müssen. Eine Subdelegationsnorm muss deshalb den gleichen Anforderungen genügen wie die Delegationsnorm selbst (im gleichen Sinn die Auslegung von Art. 80 Abs. 1 Satz vier Grundgesetz bei MAUNZ-DÜRIG, Grundgesetzkommentar Art. 80 N. 7), jedenfalls dann, wenn nicht bereits die Delegationsnorm entsprechend konkretisiert ist.
c) Zu prüfen bleibt somit, ob im vorliegenden Fall die Anforderungen erfüllt sind, die an eine Subdelegationsnorm gestellt werden müssen. Handelte es sich bei den in der bundesrätlichen VV genannten Gebühren um steuerähnliche Leistungen, wäre die Subdelegationsnorm offensichtlich ungenügend,
BGE 101 Ib 70 S. 77
und die Verordnung des EDI würde der hinreichenden gesetzlichen Grundlage ermangeln, weil die Angabe des Gebührenrahmens und der Höchstgebühr fehlt. Zweifellos handelt es sich aber bei den in Art. 3 des Gebührenreglementes genannten Abgaben um echte Gebühren, d.h. um Entgelte für behördliche Leistungen. Nach der im genannten Urteil
BGE 99 Ia 700
ff. präzisierten Rechtsprechung ist die Delegation zum Erlass von Gebührenordnungen in Abweichung vom Grundsatz dann zulässig, wenn es sich um die Erhebung von Gebühren handelt, deren Festsetzung von der Berücksichtigung technischer Einzelheiten abhängt, die rasch sich ändernden Verhältnissen anzupassen sind und die deshalb nicht leicht generell rechtlich umschrieben werden können, und wenn sich zudem der Bundesrat die Genehmigung des Tarifs vorbehalten hat.
Wendet man die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich, dass die Voraussetzungen für eine Zulässigkeit der Subdelegation ohne einschränkende Bestimmungen hinsichtlich des angefochtenen Gebührentarifs nicht gegeben sind. Der Tarif umfasst keine grosse Spannweite für die verschiedenen Arten der zu entrichtenden Gebühren. Die Aufstellung der Gebührenordnung hängt nicht von der Prüfung schwieriger technischer Verhältnisse ab, und der Tarif bedarf wohl auch nicht der stetigen Anpassung an rasch sich ändernde Bedürfnisse. Damit ist fraglich, ob eine Subdelegation zum Erlass der Gebührenregelung überhaupt zulässig war; ohne Zweifel jedenfalls war die Delegation nicht unbeschränkt zulässig, also ohne Festlegung des Rahmens der zu erhebenden Gebühr. Der Bundesrat hätte deshalb den Tarif selber aufstellen oder zumindest dessen Rahmen festlegen müssen und dem EDI nur die Regelung besonderer Einzelheiten überlassen dürfen.
Aus diesen Gründen kann dem Begehren des Beschwerdeführers, es sei festzustellen, dass die Verordnung gesetzmässig sei, nicht entsprochen werden und damit auch nicht dem Antrag, das Urteil der Rekurskommission sei aufzuheben.
d) Ermangelt das Gebührenreglement der gesetzlichen Grundlage, so ist, wie die Rekurskommission erkannt hat, nur die Erhebung einer Kanzleigebühr möglich, die nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht in einem Gesetz im formellen Sinne verankert sein muss (
BGE 99 Ia 700
f. mit Hinweisen)
BGE 101 Ib 70 S. 78
und vom Kanton deshalb auch ohne bundesrechtliche Ordnung erhoben werden darf. Dr. von Burg und die mitbeteiligten Ärzte haben das Urteil der Rekurskommission nicht angefochten, so dass es bei der Erhebung einer Gebühr von Fr. 25.-- für die Bewilligung A sein Bewenden haben muss.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cecd8791-a86c-44cf-bc69-ba9f69f3bb1c | Urteilskopf
118 Ia 245
35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Juli 1992 i.S. X. gegen Schulverwaltung und Berufsschulkommission der Stadt St. Gallen sowie Erziehungsdepartement und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und
Art. 22ter BV
; Subdelegation; wohlerworbene Rechte; Festsetzung der Anfangsbesoldung einer Berufsschullehrerin im Kanton St. Gallen.
1. Bundesrechtliche Anforderungen an die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen (Präzisierung der Praxis; E. 3b).
2. Zulässigkeit einer Subdelegation (E. 3c); bejaht für die in Art. 3 der st. gallischen Dienst- und Besoldungsordnung vom 29. April 1986 vorgesehene Regelung, wonach die Berufsschulkommissionen ergänzende Vorschriften über das Dienstverhältnis erlassen (E. 3d-E. 3f).
3. Vertrauensschutz (E. 4b) und Rückwirkungsverbot (E. 4c).
4. Verhältnis wohlerworbener Rechte zum Prinzip des Vertrauensschutzes und zur Eigentumsgarantie (E. 5a); Charakter eines wohlerworbenen Rechtes im vorliegenden Fall verneint (E. 5b). Es ist grundsätzlich weder willkürlich, noch verstösst es gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit, vor und nach einer Besoldungsrevision in Dienst genommene Beamte nach unterschiedlichen Kriterien einzustufen (E. 5c und E. 5d). | Sachverhalt
ab Seite 246
BGE 118 Ia 245 S. 246
Die Schulverwaltung der Stadt St. Gallen wählte X. am 19. November 1985 auf den 15. April 1988 unter der Bedingung zur hauptamtlichen Berufsschullehrerin, dass sie den entsprechenden Ausbildungsgang am Schweizerischen Institut für Berufspädagogik erfolgreich abschliesse. Die Wahlanzeige enthielt den vorgedruckten Vermerk, über die Besoldung gebe die Verordnung vom 18. November 1969 über die Dienst- und Besoldungsverhältnisse der städtischen Lehrerschaft Auskunft.
Am 20. April 1988 stufte die Schulverwaltung X. gestützt auf eine am 17. März 1988 erlassene und auf Beginn des Schuljahres 1988/89 in Kraft getretene "Ergänzende Dienst- und Besoldungsordnung für die Lehrer an Berufsschulen" (ErgDBO) in die Besoldungsgruppe C 2 mit fünf Dienstjahren ein. Diesen Entscheid korrigierte sie am 17. Juni 1988, wobei sie X. neu sieben Dienstjahre anrechnete.
X., welche der Meinung war, ihre bisherige Tätigkeit als Volksschullehrerin hätte ihr der im November 1985 geltenden Praxis entsprechend voll und nicht nur teilweise angerechnet werden müssen, focht diese Einstufung zuerst bei der Berufsschulkommission der Stadt und hernach beim Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen erfolglos an. Der Regierungsrat wies eine bei ihm eingereichte Rechtsverweigerungsbeschwerde am 17. Dezember 1991 ab.
Gegen diesen Entscheid führt X. staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragt, die Entscheide des Regierungsrates vom 17. Dezember 1991, des Erziehungsdepartementes vom 18. Januar 1991 und der Berufsschulkommission vom 1. Dezember 1988 sowie die Verfügung der Schulverwaltung vom 17. Juni 1988 vollumfänglich aufzuheben. Die Angelegenheit sei zur Neubeurteilung an den Regierungsrat, eventuell an das Erziehungsdepartement zurückzuweisen; subeventuell sei die Beschwerdeführerin "mit Wirkung ab Beginn
BGE 118 Ia 245 S. 247
des Sommersemesters 1988 als hauptamtliche Berufsschullehrerin in die Besoldungsklasse C 2 im 10. Dienstjahr (und für die folgenden Schuljahre entsprechend höher) einzustufen". X. begründet ihre Anträge mit einer Verletzung des Legalitätsprinzips, des Grundsatzes von Treu und Glauben, des Rückwirkungsverbotes, der Rechtsgleichheit sowie der Eigentumsgarantie. Zudem macht sie geltend, das einschlägige kantonale Recht sei willkürlich angewandt worden.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt,
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
3.
Die Beschwerdeführerin rügt in erster Linie, die dem Einstufungsentscheid zugrundeliegende Regelung beruhe auf einer unzulässigen Subdelegation. Der Regierungsrat habe Art. 23 ErgDBO, welcher vorsieht, dass nur die nach dem 25. Altersjahr erbrachten Dienstjahre an einer Volksschule bei der Einstufung voll angerechnet werden (lit. a), die anderen dagegen lediglich zur Hälfte (lit. b), in willkürlicher Auslegung des einschlägigen kantonalen Gesetzesrechts und in Verletzung des Legalitätsprinzips als verbindlich erachtet.
a) Nach Art. 27 lit. b des Einführungsgesetzes vom 19. Juni 1983 zur Bundesgesetzgebung über die Berufsbildung (im folgenden: Einführungsgesetz, EG BBG; sGS 231.1) erlässt der Regierungsrat Vorschriften über die "Anstellungsbedingungen und Besoldung der Lehrer" an Berufsschulen. Diesem Regelungsauftrag ist er am 29. April 1986 in der "Dienst- und Besoldungsordnung für die Lehrer an Berufsschulen" (DBO; sGS 231.31) nachgekommen. Art. 3 dieser Verordnung sieht vor, dass die Berufsschulkommissionen "durch Reglement ergänzende Vorschriften über das Dienstverhältnis der Lehrer" erlassen. Die Berufsschulkommission der Stadt St. Gallen hat dies am 17. März 1988 mit der "Ergänzenden Dienst- und Besoldungsordnung für die Lehrer an Berufsschulen" getan; der heute umstrittene Art. 23 ihrer Regelung beruht insofern auf einer sogenannten Subdelegation.
b) Ob und wieweit der kantonale Gesetzgeber oder ein ihm nachgeordnetes Organ seine Zuständigkeit zur Rechtssetzung an ein anderes Organ delegieren darf, ist vorab eine Frage des kantonalen Verfassungsrechts, welches hierzu aber häufig keine ausdrückliche Regelung enthält. Bundesrechtlich ist die Delegation von
BGE 118 Ia 245 S. 248
Rechtssetzungskompetenzen vom kantonalen Gesetzgeber an eine Verwaltungsbehörde nach der Rechtsprechung zulässig, wenn sie nicht durch das kantonale Recht ausgeschlossen ist, sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt und das Gesetz die Grundzüge der Regelung selbst enthält, soweit sie die Rechtsstellung der Bürger schwerwiegend berührt. Als weiteres Erfordernis wird vorausgesetzt, dass die Delegation in einem Gesetz enthalten sei, welches der Volksabstimmung unterliege (
BGE 115 Ia 379
E. 3a, 290 E. 7c;
BGE 112 Ia 254
E. 2a, 139 E. 3b). Dieser Punkt ist in Übereinstimmung mit der Formulierung in älteren Entscheiden (vgl.
BGE 98 Ia 109
E. 2 mit Hinweisen) wieder dahin gehend zu präzisieren, dass auch allein vom Parlament beschlossene Erlasse die Funktion des formellen Gesetzes erfüllen können, wenn die entsprechende kantonale Verfassungsordnung dies so vorsieht. Die Kantone sind von Bundesrechts wegen nämlich nicht gehalten, ihre Gesetze dem Referendum zu unterstellen (vgl. ANDREAS AUER, La notion de la loi en droit cantonal: Carrefour du fédéralisme et de la démocratie suisse, in: Das Gesetz im Staatsrecht der Kantone, Chur/Zürich 1991, S. 22-25, vgl. auch FN 23; GEORG MÜLLER, Legalitätsprinzip und kantonale Verfassungsautonomie, in: Im Dienst an der Gemeinschaft, Festschrift für Dietrich Schindler, Basel/Frankfurt a.M. 1989, S. 747 ff., 756). Ob eine Delegationsnorm diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (
BGE 112 Ia 139
E. 3b mit Hinweis).
Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass die in Art. 27 lit. b EG BBG enthaltene Gesetzesdelegation an den Regierungsrat gegen kantonales Verfassungsrecht verstosse oder den erwähnten bundesrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Sie bestreitet indessen die Zulässigkeit der in Art. 3 DBO enthaltenen teilweisen Subdelegation der betreffenden Regelungskompetenz an die Berufsschulkommissionen: Der Gesetzgeber habe diese Rechtssetzungsbefugnis dem Regierungsrat eingeräumt; die Möglichkeit einer Weiterdelegation sei nicht vorgesehen.
c) Nach
Art. 7 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 19. September 1978 über die Organisation und die Geschäftsführung des Bundesrates und der Bundesverwaltung (VwOG; SR 172.010)
darf der Bundesrat seine Verordnungskompetenz an andere nachgeordnete Organe als die Departemente nur dann delegieren, wenn ein Bundesgesetz oder ein allgemeinverbindlicher Bundesbeschluss ihn dazu ausdrücklich ermächtigt; eine Subdelegation an die Departemente ist nach der Rechtsprechung dagegen auch ohne spezielle Ermächtigung zulässig
BGE 118 Ia 245 S. 249
(
BGE 101 Ib 74
E. 4a; CHRISTIAN FURRER, Bundesrat und Bundesverwaltung, Bern 1986, S. 41, N 6 und 7), zumindest wenn sie sich auf Vorschriften vorwiegend technischer Natur bezieht und kein Rechtsgrundsatz - namentlich des Verfassungsrechts - betroffen wird (
BGE 105 V 184
E. 2b mit Hinweisen,
BGE 92 I 45
E. 2).
In
BGE 92 I 47
E. 2 liess das Bundesgericht die Frage offen, ob der im Bund statuierten Regelung die Bedeutung eines allgemeingültigen Prinzips beizumessen ist. In einem neueren, die Raumplanung betreffenden Entscheid scheint es - ohne weitere Begründung in einem obiter dictum - davon ausgegangen zu sein, die Zulässigkeit der Subdelegation hänge zumindest davon ab, dass das entsprechende Gesetz sie vorsehe (
BGE 110 Ib 140
E. 3b). Die Stellungnahmen der Lehre zur Subdelegation sind kontrovers (vgl. die Übersicht in
BGE 92 I 45
f.). Die neuere schweizerische Doktrin und Praxis vertritt vorwiegend die Auffassung, dass das Gesetz bzw. der Erlass, welcher die Zuständigkeit der subdelegierenden Behörde begründet, die Möglichkeit der Subdelegation ausdrücklich vorzusehen habe (THOMAS COTTIER, Die Verfassung und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, 2. Aufl., Chur/Zürich 1991, S. 47; YVETTE KOVACS, No Taxation Without Representation, Die Gesetzesdelegation im Steuerrecht unter besonderer Berücksichtigung des zürcherischen Steuergesetzes, Diss. ZH 1991, S. 66 ff.; ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1988, S. 311, Rz. 1017; FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 81; THOMAS FLEINER-GERSTER, Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts, Zürich 1980, S. 63, Rz. 34; MAX IMBODEN/RENÉ A. RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl., Basel/Frankfurt a.M. 1986, Bd. I, Nr. 63, B/VIII; RENÉ A. RHINOW/BEAT KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel/Frankfurt a.M. 1990, Nr. 63, B/VIII). Nach YVO HANGARTNER muss aus der Gesetzesdelegation "hervorgehen, dass der Subdelegation nichts entgegensteht" (Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, Zürich 1980, S. 204); BLAISE KNAPP beschränkt sich auf die Forderung, dass die Subdelegationsklausel den allgemeinen bundesgerichtlichen Anforderungen an die Gesetzesdelegation zu genügen habe, im übrigen sei für ihre Zulässigkeit und Form das kantonale Recht massgebend (Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Basel/Frankfurt a.M. 1992, Ziff. 347).
An diese letztere Auffassung ist angesichts der Verschiedenheit der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnungen in den einzelnen
BGE 118 Ia 245 S. 250
Kantonen und im Hinblick auf die Vielfalt der möglichen Tatbestände anzuknüpfen. Allgemeingültige, aus dem Bundesverfassungsrecht herzuleitende Minimalanforderungen für die Subdelegation von Rechtssetzungsbefugnissen lassen sich kaum aufstellen. Dies gilt insbesondere für die in der Doktrin vertretene Forderung, wonach der Erlass, welcher die Kompetenz der subdelegierenden Behörde begründet, die Möglichkeit der Weiterdelegation selber ausdrücklich vorzusehen habe. Die entsprechende Voraussetzung ginge in dieser allgemeinen Form weiter als die dargelegte positivrechtliche Regelung im Bund und würde im Bereich des kantonalen Staatsrechtes jenen Fällen nicht gerecht, in denen die subdelegierende Behörde ohne die verlangte spezielle Ermächtigung, aber durchaus im Einklang mit der kantonalen Zuständigkeitsordnung einem nachgeordneten, gemäss Verfassung oder Gesetz in einem bestimmten Rahmen grundsätzlich zur Rechtssetzung befugten Organ legislatorische Kompetenzen einräumt bzw. diese potentielle Rechtssetzungsbefugnis durch einen entsprechenden Regelungsauftrag "aktualisiert". Neuere Kantonsverfassungen schreiben die Gesetzesform nur noch für wichtige, grundlegende Normen vor und ermächtigen bestimmte, dem Gesetzgeber nachgeordnete Organe generell zum Erlass ausführender, konkretisierender oder ergänzender Regelungen (vgl. § 78/91 der Verfassung vom 25. Juni 1980 des Kantons Aargau, SR 131.227; § 63/74 der Verfassung vom 17. Mai 1984 des Kantons Basel-Landschaft, SR 131.222.2; § 90 der Verfassung vom 28. Oktober 1984 des Kantons Uri, SR 131.214; Art. 71/79 der Verfassung vom 8. Juni 1986 des Kantons Solothurn, SR 131.221). Wenn das betreffende Organ - Parlament, Regierungsrat, Anstalt oder öffentlichrechtliche Körperschaft - von dieser im einschlägigen Organisationsrecht im Grundsatz bereits vorgesehenen Regelungskompetenz Gebrauch macht, so liegt darin keine "Gesetzesdelegation" im eigentlichen Sinn mehr; soweit besondere Ermächtigungen im vorangehenden höherstufigen Erlass überhaupt erforderlich sind, bewirken sie lediglich die "Aktualisierung" der an sich schon von Verfassungs wegen bestehenden Rechtssetzungskompetenz (vgl. dazu YVETTE KOVACS, a.a.O., S. 50 ff. mit weiteren Hinweisen; KURT EICHENBERGER, Verfassung des Kantons Aargau, Aarau 1986, S. 261, Rz. 19/23 zu § 78 und S. 310 ff.).
Massgebend für die Zulässigkeit einer Subdelegation bleibt daher, von den erwähnten allgemeinen bundesrechtlichen Delegationsschranken abgesehen (vgl. E. 3b), die jeweilige kantonale Kompetenzordnung; zusätzlich ist im Einzelfall abzuklären, ob die in Frage
BGE 118 Ia 245 S. 251
stehende Subdelegation mit Wortlaut und Sinn der einschlägigen höherstufigen Vorschriften vereinbar ist (vgl. unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 10. Mai 1989 i.S. R. P. c. RR/GR, E. 2e). Die Auslegung des kantonalen Gesetzesrechts prüft das Bundesgericht dabei, wenn wie im vorliegenden Fall kein besonders schwerer Eingriff in ein spezielles Grundrecht in Frage steht, lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür (
BGE 102 Ia 115
E. 4; vgl. JÖRG PAUL MÜLLER, in: Kommentar BV, Einleitung zu den Grundrechten, Rz. 116).
d) Nach der st. gallischen Staatsrechtspraxis gilt der Regierungsrat auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung dann als zur Weitergabe von Rechtssetzungskompetenzen befugt, wenn ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber der Regierung in dieser Frage einen Gestaltungsspielraum belassen wollte, was vor allem dann anzunehmen ist, wenn der Regierungsrat pauschal zu weiteren Regelungen ermächtigt wird (YVO HANGARTNER, Das Gesetz im st. gallischen Staatsrecht, in: Das Gesetz im Staatsrecht der Kantone, Chur/Zürich 1991, S. 290). Diese Auffassung liegt stillschweigend dem angefochtenen Regierungsratsentscheid zugrunde, welcher die umstrittene Subdelegation trotz fehlender Ermächtigung im Einführungsgesetz als gültig bezeichnet.
Ob diese Betrachtungsweise vor dem st. gallischen Verfassungsrecht standhält, ist nicht zu untersuchen; die Beschwerdeführerin erhebt in dieser Hinsicht keine begründete Rüge (vgl.
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
). Sie macht, ohne Anknüpfung an die kantonale Zuständigkeitsordnung, lediglich geltend, das Einführungsgesetz sehe die Weitergabe der betreffenden Rechtssetzungskompetenz nicht ausdrücklich vor. Darin allein liegt jedoch nach dem Gesagten noch kein Verstoss gegen Bundesverfassungsrecht.
e) Zu prüfen bleibt der Einwand, die angeordnete Subdelegation lasse sich nicht mit Wortlaut und Sinn der im Einführungsgesetz getroffenen Regelung vereinbaren.
Art. 27 lit. b EG BBG hält fest, dass der Regierungsrat die Anstellungsbedingungen und Besoldung der Lehrer regelt. Eine Weitergabe dieser Kompetenz an die Berufsschulkommissionen, welche nach Art. 26 EG BBG im Schulreglement die Organisation und Leitung der Schule, den Schulbetrieb und das Rechnungswesen ordnen, sieht das Einführungsgesetz, wie bereits dargelegt, nicht vor. Der Wortlaut von Art. 27 EG BBG ("Der Regierungsrat erlässt durch Verordnung Vorschriften über:)...") legt indessen nicht zwingend nahe, dass die betreffende kantonale Regelung abschliessend zu sein
BGE 118 Ia 245 S. 252
habe; auch aus der regierungsrätlichen Botschaft vom 12. Januar 1982 zum Einführungsgesetz ergeben sich keine schlüssigen Hinweise hierauf (vgl. Amtsblatt des Kantons St. Gallen 1982, S. 197 ff.). In den Ausführungen zu Art. 27 EG BBG wird dort lediglich das Fehlen kantonaler Vorschriften über die Anstellungsbedingungen und Besoldung der Berufsschullehrer als Mangel der bisherigen Ordnung beklagt (S. 212) und von einem "verstärkten Einfluss" des Kantons gesprochen (S. 203 und 204), gleichzeitig aber auch bemerkt, dass den einzelnen Berufsschulen wegen der unterschiedlichen Verhältnisse bei der Rekrutierung der Lehrer weiterhin "ein gewisser Entscheidungsspielraum" belassen werden soll (S. 212).
Wenn der Regierungsrat unter diesen Umständen den Berufsschulkommissionen im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis der Lehrer Raum für ergänzende eigene Regelungen liess (Art. 3 DBO), so kann er sich hiefür zwar nicht auf den Wortlaut von Art. 27 lit. b EG BBG, wohl aber auf dessen Sinn und Zweck sowie auf die besondere Natur der Materie berufen (vgl. dazu
BGE 106 Ia 30
E. 2a). Die Auffassung, der Regierungsrat dürfe sich auf dem (weiten) Gebiet des Dienst- und Besoldungsrechtes der Berufsschullehrer auf die Normierung jener Fragen beschränken, welche sinnvollerweise - d.h. im Hinblick auf den öffentlichen Auftrag der Berufsschulen und ihre Subventionierung durch Bund und Kantone - für den ganzen Kanton einheitlich zu regeln sind, erscheint nicht schlechterdings unhaltbar und damit willkürlich. Dass der Gesetzgeber selber die Berufsschulkommissionen zum Erlass von anstaltseigenen Reglementen geeignet und legitimiert erachtet, ergibt sich aus Art. 26 EG BBG. Zu berücksichtigen ist schliesslich auch, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Weitergabe einer Verordnungskompetenz an eine in die Verwaltungshierarchie eingegliederte nachgeordnete Dienststelle, sondern um die Anerkennung einer subsidiären Rechtssetzungsbefugnis der einzelnen Berufsschulen geht, welche ungeachtet der bundes- und kantonalrechtlichen Normierung des Berufsschulwesens eine gewisse organisatorische Autonomie bewahrt haben. Insofern liegt eine der Weitergabe von Befugnissen an Gemeinden oder sonstige Selbstverwaltungskörper ähnliche Situation vor; für diese gelten aber, wie das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat, andere Regeln als für die Rechtssetzungsdelegation an Verwaltungsorgane (
BGE 104 Ia 340
E. 4b,
BGE 102 Ia 10
E. 3b,
BGE 101 Ib 75
E. 4b, 97 I 202 E. 5a, 804/5 E. 7; vgl. auch
BGE 115 Ia 47
ff.).
BGE 118 Ia 245 S. 253
f) Die Beschwerdeführerin beruft sich zur Begründung ihrer Auffassung, Art. 23 ErgDBO sei unzulässig, auch auf Art. 32 Abs. 1 DBO, der lautet:
"Die Berufsschulkommission setzt innerhalb der entsprechenden Kategorie die Anfangsbesoldung fest. Dabei werden Dienstjahre an anderen Berufsschulen sowie besondere Umstände, besondere Fähigkeiten, Kenntnisse und Vorbildung angemessen berücksichtigt."
Diese Bestimmung schliesse eine weitere Konkretisierung der genannten Kriterien durch generell-abstrakte Vorschriften im Rahmen der den Berufsschulkommissionen eingeräumten Kompetenz, ergänzende Regelungen über das Dienstverhältnis zu erlassen (Art. 3 DBO), aus.
Die Folgerung ist nicht zwingend. Die in Art. 32 Abs. 1 DBO verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe räumen den Berufsschulkommissionen einen weiten Beurteilungsspielraum ein. Weshalb dessen Handhabung nicht durch ein Reglement weiter konkretisiert werden dürfte, begründet die Beschwerdeführerin nicht in rechtsgenügender Weise (vgl.
BGE 110 Ia 3
E. 2a).
g) Zusammenfassend ergibt sich damit, dass der Regierungsrat weder gegen anerkannte Delegationsgrundsätze des Bundesverfassungsrechts noch gegen das Willkürverbot verstossen hat, wenn er die gestützt auf Art. 3 DBO ergangene ergänzende Regelung der Berufsschulkommission der Stadt St. Gallen als grundsätzlich zulässig und mit der vom Gesetzgeber im Einführungsgesetz - und von ihm selber in der Dienst- und Besoldungsordnung - getroffenen Regelung vereinbar erachtete.
4.
a) Die Beschwerdeführerin erblickt in der bloss teilweisen Anrechnung ihrer Dienstjahre als Volksschullehrerin auch eine unzulässige, gegen das Gebot der Rechtsgleichheit sowie den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende "Praxisänderung".
Der Einwand erweist sich nach dem soeben Ausgeführten als unbegründet. Der Regierungsrat durfte die in Art. 23 ErgDBO getroffene Regelung über die Festsetzung der Anfangsbesoldung ohne Verfassungsverletzung als verbindlichen Rechtssatz bezeichnen; damit ging es beim streitigen Einstufungsentscheid aber nicht mehr um eine blosse "Praxisänderung", sondern um die Anwendung einer geänderten bzw. neu geschaffenen Rechtsnorm. Zu prüfen ist deshalb einzig noch, ob die Anwendung dieser Regelung auf den vorliegenden Fall gegen verfassungsrechtliche Garantien verstösst.
b) Die Beschwerdeführerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf das in
Art. 4 BV
enthaltene Gebot des Vertrauensschutzes. Sie
BGE 118 Ia 245 S. 254
habe sich 1985 zur Wahl als Berufsschullehrerin erst zur Verfügung gestellt, nachdem sie beim Schulbuchhalter abgeklärt habe, welches Einkommen sie in dieser neuen Funktion erzielen und wie viele Dienstjahre ihr angerechnet würden. Sie habe in die erhaltene Auskunft, die bisherigen Dienstjahre würden voll angerechnet, berechtigtes Vertrauen gesetzt, weil diese Information der seit 1969 geltenden Praxis entsprochen habe. Die Ausbildung zur Berufsschullehrerin habe sie gestützt hierauf absolviert und den damit verbundenen Einkommensausfall in Kauf genommen.
Der Schutz in eine (selbst unrichtige) Auskunft oder Zusicherung einer Behörde setzt voraus, dass sich die Angabe auf eine konkrete, den betreffenden Bürger berührende Angelegenheit bezieht, dass die Amtsstelle, welche die Auskunft erteilt hat, hierfür zuständig war, dass der Bürger die Unrichtigkeit des Bescheides nicht ohne weiteres hat erkennen können und dass er im Vertrauen auf die erhaltene Auskunft nicht wieder rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat. Eine behördliche Information steht zudem immer unter dem Vorbehalt einer allfälligen späteren Rechtsänderung; eine vertrauensschutzbegründende Auskunft kann deshalb nur vorliegen, wenn die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung des Tatbestandes die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunfterteilung (
BGE 117 Ia 287
E. 2b mit Hinweisen).
Weil im vorliegenden Fall der Regierungsrat von einer nachträglichen Rechtsänderung ausgehen durfte, beruft sich die Beschwerdeführerin vergeblich auf die vom Schulbuchhalter 1985 erteilte Auskunft und die damals geltende kommunale Besoldungsregelung. Sie tut darüber hinaus nicht dar, dass sie nach der im Zeitpunkt der Wahlverfügung geltenden Praxis eine höhere Besoldung in Aussicht gehabt hätte, als ihr nach den neuen, gemäss den Vorgaben des Kantons revidierten Vorschriften zusteht. Um den Vorwurf der Willkür und der Missachtung des Vertrauensschutzes zu begründen, müsste sie indessen nicht nur das Vorliegen einer qualifizierten Zusicherung darlegen, sondern auch aufzeigen, dass die ihr aufgrund der neuen Besoldungsordnung gewährte Entlöhnung gesamthaft tiefer ausfällt, als sie beim Entscheid über die Annahme der Wahl und die Absolvierung der Ausbildung erwarten durfte.
c) Ebenfalls unbehelflich ist ihr Hinweis auf das in
Art. 4 BV
enthaltene Rückwirkungsverbot.
Der Regierungsrat ging im angefochtenen Entscheid davon aus, das Beamtenverhältnis mit der Beschwerdeführerin sei erst bei Antritt der Stelle als Berufsschullehrerin, d.h. am 15. April 1988,
BGE 118 Ia 245 S. 255
entstanden. Am 17. Juni 1988 sei bei der Einstufung das in diesem Moment geltende Recht angewandt worden; es liege deshalb weder eine echte noch eine - an sich zulässige - unechte Rückwirkung vor.
Die Beschwerdeführerin wendet ein, massgebender zeitlicher Anknüpfungspunkt sei nicht ihr Stellenantritt, sondern die unter dem alten Recht erfolgte Wahl. Der Regierungsrat habe das Vorliegen einer unechten Rückwirkung in willkürlicher Weise verneint. Weshalb und inwiefern die Annahme des Regierungsrates, das Dienstverhältnis sei erst mit Antritt der Stelle begründet worden, offensichtlich unhaltbar ist, führt sie indessen nicht weiter aus. Sie übersieht zudem, dass eine allfällige unechte Rückwirkung - bei der auf Verhältnisse abgestellt wird, die zwar unter der Herrschaft des alten Rechtes entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechtes aber noch andauern - verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist (
BGE 113 Ia 425
E. 6, 107 Ib 196 E. 3b). Warum dies im vorliegenden Fall anders sein sollte, legt sie wiederum nicht dar; auf ihren Einwand ist deshalb nicht weiter einzugehen (vgl.
BGE 110 Ia 3
E. 2a).
5.
Es stellt sich noch die Frage, ob die Anwendung der neuen Regelung von Art. 23 ErgDBO allenfalls in wohlerworbene Rechte eingreift. Die Beschwerdeführerin erhebt eine entsprechende Rüge und beruft sich in diesem Zusammenhang neben
Art. 4 BV
auch auf die Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
).
a) Eingriffe in wohlerworbene Rechte können sowohl das Prinzip des Vertrauensschutzes wie die Eigentumsgarantie verletzen. Je nachdem, ob beim betreffenden wohlerworbenen Recht die sachenrechtliche Fixierung oder die vertrauensbildende Beziehung zwischen Bürger und Staat im Vordergrund steht, ist entweder primär die Eigentumsgarantie oder aber das Prinzip des Vertrauensschutzes als Anknüpfungspunkt zu behandeln (vgl. ZBl 86/1985 S. 500 E. 2c;
BGE 106 Ia 167
E. 1b; ferner
BGE 117 Ia 38
/39 E. 3b). Im vorliegenden Fall, in dem die Beschwerdeführerin 1985 zwar gewählt, aber eben noch nicht eingestuft worden ist, fehlt jegliche sachenrechtliche Fixierung und überwiegt eindeutig der Aspekt von Treu und Glauben, weshalb die erhobene Rüge auf diesem Hintergrund zu prüfen ist.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt den finanziellen Ansprüchen der Beamten in der Regel nicht der Charakter wohlerworbener Rechte zu. Das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis ist durch die jeweilige Gesetzgebung bestimmt; es macht
BGE 118 Ia 245 S. 256
daher, auch was seine vermögensrechtliche Seite betrifft, die Entwicklung mit, welche die Gesetzgebung erfährt. Besoldungs- und Pensionsansprüche können nur dann als wohlerworbene Rechte eingestuft werden, wenn das Gesetz die entsprechenden Beziehungen ein für alle Mal festlegt und von den Einwirkungen der gesetzlichen Entwicklung ausnimmt oder wenn bestimmte, mit einem einzelnen Anstellungsverhältnis verbundene Zusicherungen abgegeben worden sind (
BGE 106 Ia 166
E. 1a mit Hinweis). Soweit die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten keine wohlerworbenen Rechte darstellen, sind sie gegenüber Anordnungen des Gesetzgebers nur nach Massgabe des Willkürverbots und des Gebots der Rechtsgleichheit geschützt; der Beamte kann sich aufgrund von
Art. 4 BV
dagegen zur Wehr setzen, dass solche Ansprüche willkürlich abgeändert, nachträglich entzogen oder im Wert herabgesetzt werden und dass Eingriffe ohne besondere Rechtfertigung einseitig zu Lasten einzelner Berechtigter oder bestimmter Gruppen erfolgen (
BGE 106 Ia 169
E. 1c mit Hinweisen).
In der Wahlverfügung vom 19. November 1985 ist die Besoldung der Beschwerdeführerin noch nicht festgelegt, sondern lediglich in allgemeiner Weise auf die damals geltende Regelung verwiesen worden. Die Beteiligten gingen davon aus, dass beim Amtsantritt, d.h. nach erfolgreicher Absolvierung der Ausbildung zur Berufsschullehrerin, noch eine zusätzliche Verfügung über die Einstufung in die Besoldungsskala nach den massgebenden Vorschriften zu ergehen hatte. Eine qualifizierte, verbindliche Zusicherung über die Höhe der Besoldung oder über die Zahl der anzurechnenden Dienstjahre, welche im Sinne der erwähnten Rechtsprechung ein wohlerworbenes Recht hätte begründen können, wurde nie abgegeben. Bei der angerufenen - an sich unbestrittenen - Erklärung des Schulbuchhalters handelte es sich bloss um eine Auskunft, welche bei späterer Rechtsänderung schon nach den allgemeinen Regeln des Vertrauensschutzes keine Bindungswirkung mehr entfalten, geschweige denn eigentliche wohlerworbene Ansprüche verschaffen konnte. Dass und inwiefern allenfalls das Gesetz selber die in Frage stehenden Ansprüche der Beschwerdeführerin als unentziehbar oder unabänderlich und damit als wohlerworben behandelt wissen wollte, wird in der staatsrechtlichen Beschwerde nicht dargetan. Art. 42 DBO sieht lediglich eine zeitlich limitierte Besitzstandsgarantie für Lehrkräfte vor, welche bei "Vollzugsbeginn dieser Verordnung", d.h. am 1. Januar 1987 (Art. 44 DBO), bereits an einer Berufsschule im Kanton St. Gallen unterrichteten. Dies trifft für die
BGE 118 Ia 245 S. 257
Beschwerdeführerin nicht zu; sie beruft sich denn auch zu Recht nicht auf diese Regelung.
c) Es bleibt die Rüge zu prüfen, Art. 23 ErgDBO greife willkürlich und rechtsungleich in die Besoldung der Beschwerdeführerin ein.
Nach den Ausführungen des Regierungsrates liegt der Regelung von Art. 23 ErgDBO, wonach Dienstjahre als Volksschullehrer erst ab dem vollendeten 25. Altersjahr voll angerechnet werden, die Überlegung zugrunde, dass die Wahlvoraussetzungen als Berufsschullehrkraft in der Regel erst nach dem 25. Altersjahr erfüllt sind. Die Tätigkeit als Volksschullehrer vor Erreichung dieses Alters könne jener des Berufsschullehrers nicht gleichgestellt werden. In seiner Vernehmlassung erklärt der Regierungsrat ergänzend, dass für den Eintritt ins Schweizerische Institut für Berufspädagogik ein Mindestalter von 24 Jahren, eine erfolgreiche Tätigkeit im Schuldienst sowie eine nebenamtliche Unterrichtserteilung an einer Berufsschule vorausgesetzt sind; die ersten Unterrichtsjahre an der Volksschule müssten daher als "Lehrjahre" betrachtet werden.
Inwiefern diese Begründung unhaltbar sein soll, ist nicht ersichtlich. Die beanstandete Differenzierung beruht auf vertretbaren sachlichen Gründen und hält sich, wie der Regierungsrat - ohne in Willkür zu verfallen - annehmen durfte, auch im Rahmen von Art. 32 Abs. 1 DBO, welcher die Anerkennung von Dienstjahren nur für die Tätigkeit "an anderen Berufsschulen" ausdrücklich vorsieht und im übrigen den Schulorganen einen weiten Beurteilungsspielraum zugesteht.
d) Die Beschwerdeführerin wendet schliesslich ein, sie verdiene jährlich mehrere tausend Franken weniger als die früher umgeschulten ehemaligen Volksschullehrkräfte, welche ihre nach alter Praxis ergangene Einstufung beibehalten könnten. Im Vergleich zu ihrem Arbeitskollegen Y., der sein Amt im April 1987 angetreten habe und bezüglich der Anrechnung der Dienstjahre noch im Genuss der bisherigen, günstigeren Regelung stehe, werde sie rechtsungleich behandelt.
Die Rüge erweist sich als unbegründet. Ungleichheiten wie die von der Beschwerdeführerin geschilderten lassen sich bei Einführung einer neuen Besoldungsordnung kaum vermeiden. Dass die bei Inkrafttreten einer Besoldungsrevision bereits im Dienste stehenden Beamten ihre bisherigen Besoldungen oder Zulagen im Sinne einer dauernden oder befristeten Besitzstandsgarantie beibehalten und einschränkende Vorschriften zunächst nur gegenüber neu eintretenden Bediensteten vollumfänglich angewandt werden, ist eine im
BGE 118 Ia 245 S. 258
Personalrecht häufig vorkommende Regelung, die sich sachlich begründen lässt und nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot verstösst, solange die Unterschiede in der Besoldung kein unvertretbares Mass annehmen. Wenn im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin aufgrund ihres späteren Amtsantrittes ungünstiger behandelt worden ist als früher umgeschulte und in die Berufsschule übergetretene ehemalige Volksschullehrer, so bedeutet dies noch keine Verletzung der Rechtsgleichheit; der Zeitpunkt des Amtsantrittes ist für die vorzunehmende Abgrenzung ein durchaus vertretbares Kriterium. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
ced3bccf-aad8-4a00-b7c3-937e82d5de2e | Urteilskopf
95 II 87
14. Arrêt de la IIe Cour civile du 2 mai 1969 dans la cause S.I. Semailles-Voirets "A" SA contre Macullo | Regeste
Gesetzliches Grundpfandrecht der Handwerker und Unternehmer (
Art. 837 ZGB
).
Der Unterakkordant, der nicht bezahlt wurde, behält das Recht, zur Sicherung seiner Forderung die Eintragung eines gesetzlichen Grundpfandrechts zu verlangen, selbst wenn der Eigentümer des Grundstücks den Generalunternehmer für dessen Forderung befriedigt hat. | Sachverhalt
ab Seite 87
BGE 95 II 87 S. 87
A.-
Le 5 mars 1963, la société anonyme Constructions Balency, à Genève (en abrégé: Balency SA), a passé avec les huit sociétés immobilières Semailles-Voirets "A" à "H", représentées par la régie Naef et Cie, en dite ville, un contrat d'entreprise à forfait par lequel elle s'engageait à construire et livrer huit bâtiments, clés en main, dans un délai déterminé, pour le prix de 9 735 000 fr. En vertu d'un contrat passé avec Balency SA, Charles Macullo a exécuté les travaux d'isolation et d'étanchéité des toitures et terrasses des huit bâtiments. Le devis s'élevait à 90 840 fr.
Selon la 24e situation provisoire qui porte les travaux effectués au 23 mars 1965, l'ensemble de prestations fournies par Balency SA pour le compte des huit sociétés immobilières était estimé à 8 650 297 fr., dont 135 000 fr. pour ce qui concerne Macullo, et les approvisionnements s'élevaient à 241 660 fr. Le 26 mars 1965, le maître de l'ouvrage a versé à l'entrepreneur général, au moyen de trois chèques, le montant de 99 497 fr. Compte tenu de ce versement, il lui a payé le 90% du premier article
BGE 95 II 87 S. 88
de la situation provisoire, soit 7 785 267 fr. 40, et le 50% du second, soit 120 830 fr., au total 7 906 097 fr. 40.
Balency SA a été déclarée en faillite le 1er avril 1965.
Macullo lui a réclamé le paiement de 97 730 fr. Il a reçu d'elle deux acomptes, l'un de 13 000 fr. le 10 décembre 1964, l'autre de 20 000 fr. le 26 février 1965. En garantie du paiement du solde de sa créance, soit 64 730 fr., il a requis et obtenu en temps utile l'inscription provisoire d'une hypothèque légale d'entrepreneur à raison de 8091 fr. 25 avec intérêt à 5% dès le 26 avril 1965 à l'encontre de chacune des huit sociétés immobilières.
B.-
Par exploit déposé en vue de conciliation le 15 juin 1966, Macullo a intenté à la S.I. Semailles-Voirets "A" SA une action en inscription définitive de l'hypothèque légale sur la parcelle 2509, plan 34 de la commune de Lancy, propriété de la défenderesse. En outre, il a requis le paiement de 8091 fr. 25 avec intérêt à 5% dès le 12 mars 1965.
La défenderesse a conclu au rejet de la demande. Elle a pris des conclusions reconventionnelles en remboursement des frais consécutifs à l'inscription provisoire de l'hypothèque légale. Elle soutient qu'ayant payé intégralement Balency SA pour les travaux exécutés par Macullo, elle n'a pas à souffrir l'inscription définitive d'une hypothèque légale en faveur de cet entrepreneur.
Statuant le 15 juin 1967, le Tribunal de première instance de Genève a autorisé Macullo à requérir l'inscription définitive de l'hypothèque légale et débouté les parties de leurs conclusions pour le surplus.
C.-
Le 27 décembre 1968, la Première Chambre de la Cour de justice du canton de Genève a rejeté l'appel de la société défenderesse et confirmé le jugement de première instance. Dans les motifs de son arrêt, la juridiction cantonale admet que le droit du sous-traitant de requérir l'inscription d'une hypothèque légale d'entrepreneur subsiste même lorsque le propriétaire et maître de l'ouvrage a payé l'entrepreneur général et que celui-ci n'a pas du tout ou n'a pas intégralement payé le soustraitant.
D.-
Contre cet arrêt, la S.I. Semailles-Voirets "A" recourt en réforme au Tribunal fédéral. Elle conclut au rejet de la demande en inscription définitive de l'hypothèque légale d'entrepreneur requise par Macullo, à la radiation de l'inscription
BGE 95 II 87 S. 89
provisoire et au remboursement des frais afférents à ces opérations.
L'intimé Macullo conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'art. 837 al. 1 ch. 3 CC permet aux artisans et entrepreneurs qui ont exécuté un ouvrage sur un immeuble de faire inscrire une hypothèque légale en garantie de leurs créances contre le propriétaire ou un autre entrepreneur. La loi n'institue pas directement une hypothèque qui existerait sans inscription au registre foncier; elle confère uniquement au bénéficiaire le droit personnel de faire inscrire un gage immobilier (RO 40 II 452, confirmé sur ce point au RO 92 II 227 et par l'arrêt du 6 février 1969 dans la cause Masse en faillite de Michel Demierre c. Gabriel Python, publié au RO 95 II 31). Selon la jurisprudence récente, l'obligation de souffrir la constitution d'une hypothèque légale fondée sur l'art. 837 al. 1 ch. 3 CC est une obligation propter rem, attachée à la propriété de l'immeuble sur lequel le bâtiment a été érigé ou l'ouvrage exécuté (RO 92 II 227). Peu importe dès lors que la recourante ait eu connaissance ou non du contrat passé entre l'intimé et Balency SA Du reste, l'arrêt déféré constate que le maître de l'ouvrage connaissait le nom du sous-traitant.
3.
La recourante estime que le droit du sous-traitant à l'inscription d'une hypothèque légale s'éteint lorsque le propriétaire, maître de l'ouvrage, s'est acquitté envers l'entrepreneur général du prix convenu qui, dans la construction à forfait, comprend le coût des travaux exécutés et des matériaux fournis par le sous-traitant. Le Tribunal fédéral a dénié au propriétaire, maître de l'ouvrage, le droit d'opposer au soustraitant qui requiert l'inscription d'une hypothèque légale en garantie de sa créance la compensation avec une créance dont le propriétaire se prétend lui-même titulaire envers l'entrepreneur général (RO 39 II 217). Saisi d'un recours de droit public contre une décision de la Cour de justice de Genève qui refusait l'inscription provisoire d'une hypothèque légale en faveur du sous-traitant, alors que le propriétaire et maître de l'ouvrage avait payé l'entrepreneur général, il a considéré que cette question délicate ne pouvait pas être résolue dans une procédure sommaire, mais devait être tranchée par le juge du fond (RNRF 1960 p. 48 ss. ou SJ 1959 p. 97).
BGE 95 II 87 S. 90
L'institution de l'hypothèque légale des artisans et entrepreneurs tend à leur procurer une garantie pour le paiement des matériaux qu'ils fournissent et des travaux qu'ils exécutent. Leurs prestations devenant partie intégrante de l'immeuble bâti, les artisans et entrepreneurs ne peuvent pas exercer un droit de rétention, ni assurer le paiement de leurs créances par le jeu d'un pacte de réserve de propriété. Le législateur leur a dès lors accordé le bénéfice d'une garantie réelle qui grève l'immeuble sur lequel ils ont exécuté leur ouvrage. Peu importe que le propriétaire du bien-fonds ne soit pas lui-même le débiteur de la créance garantie. C'est précisément pour éviter que le propriétaire ne tourne la loi en interposant entre lui et l'auteur des travaux un tiers, envers lequel seul il deviendrait débiteur, que l'art. 837 al. 1 ch. 3 CC confère aux artisans et entrepreneurs le droit de faire inscrire une hypothèque légale sur l'immeuble bâti, même pour garantir leurs créances contre un autre entrepreneur (cf. RO 56 II 167). Le droit du sous-traitant à l'inscription d'une hypothèque légale est un droit propre, distinct de celui de l'entrepreneur général. Il en résulte que la constitution d'un gage en faveur de l'entrepreneur général n'empêcherait pas l'inscription d'une hypothèque légale au bénéfice du sous-traitant. Et si le propriétaire paie l'entrepreneur général, seul s'éteint le droit de celui-ci à l'inscription d'une hypothèque légale. Le sous-traitant ne perd son propre droit que s'il est payé lui-même. Aussi longtemps qu'il n'est pas complètement désintéressé, il conserve la faculté de requérir l'inscription d'une hypothèque légale à l'encontre du propriétaire, nonobstant le fait que celui-ci s'est acquitté intégralement de sa dette envers l'entrepreneur général (cf. dans le même sens LEEMANN, n. 45 ad art. 837 CC et n. 52 ad art. 839 CC; WIELAND, n. 2 e ad art. 839 CC; HOFMANN, Die gesetzlichen Grundpfandrechte des
Art. 837 ZGB
, insbesondere das Bauhandwerkerpfandrecht, thèse Zurich 1940, p. 62; SIMOND, L'hypothèque légale de l'entrepreneur, thèse Lausanne 1924, p. 41 et 162 s; MAILLEFER, Le privilège de l'hypothèque légale des artisans et des entrepreneurs, thèse Berne 1961, p. 32).
4.
Sans doute la solution adoptée par le législateur obliget-elle le propriétaire, maître de l'ouvrage, qui s'est acquitté d'une dette échue envers l'entrepreneur général, à souffrir l'inscription d'une hypothèque légale en faveur du sous-traitant qui n'a pas été payé par l'entrepreneur général. Et le propriétaire
BGE 95 II 87 S. 91
risque d'être contraint, pour éviter la réalisation du gage immobilier, d'acquitter une seconde fois la facture du soustraitant, dont les prestations étaient pourtant comprises dans le prix qu'il a payé à l'entrepreneur général. Mais cet inconvénient n'a pas échappé au législateur, lequel a estimé en connaissance de cause que les intérêts du sous-traitant l'emportaient sur ceux du propriétaire. Au demeurant, celui-ci n'est pas dépourvu de tout moyen de défense. Il lui est loisible de se prémunir contre le risque d'un double paiement en insérant dans le contrat qu'il passe avec l'entrepreneur général une clause qui garantisse le paiement des sous-traitants. Les parties peuvent convenir, par exemple, que le propriétaire paiera directement les sous-traitants, selon les instructions de l'entrepreneur général (cf. WIELAND, n. 2 e ad art. 839 CC; LEEMANN, n. 46 ad art. 837 CC). Assurément, ce mode de faire permet au propriétaire de calculer les marges de bénéfice de l'entrepreneur général. Mais il est loisible aux parties contractantes de recourir aux services d'un tiers, qui recevrait les fonds à titre fiduciaire, à charge de payer les sous-traitants aux conditions convenues, et prendrait un engagement de discrétion quant au montant des factures qui lui seraient soumises. Du reste, le propriétaire dispose encore d'autres moyens pour atteindre le but recherché. Il a la faculté de consigner le montant qu'il doit à l'entrepreneur général et de convenir avec celui-ci que le tiers dépositaire - par exemple une banque - ne lui délivrera les fonds que s'il justifie du paiement des sous-traitants. Si l'entrepreneur général n'apporte pas cette preuve, le propriétaire peut se réserver le droit de différer le paiement des montants correspondant au coût de certains travaux jusqu'à l'expiration du délai de trois mois dès leur achèvement (cf. art. 839 al. 2 CC) et subordonner ce paiement à la condition que les sous-traitants qui ont exécuté les travaux en question n'aient pas requis l'inscription d'une hypothèque légale (cf. LEEMANN, n. 53 ad art. 839 CC).
Les garanties conventionnelles supposent, il est vrai, qu'au moment où les parties discutent les clauses du contrat, le propriétaire soit conscient du risque que lui fait courir l'institution d'une double hypothèque légale, d'une part, et que l'entrepreneur général consente à souscrire une clause qui élimine ce risque, d'autre part. Or les parties ne sauront pas toujours mesurer l'inconvénient et ne seront pas toujours disposées à y remédier. En particulier, les petits propriétaires
BGE 95 II 87 S. 92
qui construisent à forfait ne songeront le plus souvent ni à vérifier la solvabilité de l'entrepreneur général avec lequel ils traitent, ni à prendre conseil avant de souscrire le contrat qu'il leur propose. L'institution d'une double hypothèque légale en faveur de l'entrepreneur général, d'une part, et du sous-traitant, d'autre part, entraîne ainsi des conséquences extrêmement rigoureuses pour le propriétaire, surtout s'il est de condition modeste. Il apparaît dès lors souhaitable que le législateur examine à nouveau si la stricte application du droit en vigueur n'appelle pas un tempérament. Dans l'affirmative, il pourrait compléter la loi en édictant des dispositions impératives qui assurent au propriétaire une protection efficace contre le risque de payer deux fois les travaux qu'exécute sur son immeuble un sous-traitant commis par l'entrepreneur général.
5.
L'art. 839 al. 2 CC confère à l'entrepreneur le droit de requérir l'inscription d'une hypothèque légale jusqu'à l'expiration des trois mois qui suivent l'achèvement des travaux. L'intimé était fondé à attendre la fin du délai légal avant de former une pareille réquisition. On ne saurait lui faire grief d'avoir tardé à exercer son droit.
En revanche, on pourrait se demander si la recourante n'a pas commis une imprudence. En effet, elle a versé un dernier acompte à Balency SA le 26 mars 1965, soit six jours avant la déclaration de faillite. Certes, son entrepreneur général la pressait de payer. Mais elle avait perçu en décembre 1964 les premiers signes d'un malaise dans la société et elle savait, à fin mars 1965, que la situation financière s'était détériorée au point que "le torchon brûlait". Malgré cela, elle n'a exigé aucune assurance quant à l'affectation de ses versements au paiement des sous-traitants. Quoi qu'il en soit, l'attitude de la recourante dans ses relations avec Balency SA n'est pas décisive pour reconnaître les droits que l'art. 837 al. 1 ch. 3 CC confère à l'intimé.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours dans la mesure où il est recevable et confirme l'arrêt rendu le 27 décembre 1968 par la Première Chambre de la Cour de justice du canton de Genève. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ced61790-cca8-4acc-b0df-747c05fee12a | Urteilskopf
99 V 1
1. Extrait de l'arrêt du 27 mars 1973 dans la cause Caisse-maladie et accidents L'Avenir contre Tornior et Cour de Justice du canton de Genève | Regeste
Rechtskraft einer Verwaltungsverfügung.
Hat die Krankenkasse über einen Sachverhalt bereits rechtskräftig befunden, so darf sie keine zweite gleichlautende Verfügung erlassen, um erneut ein Beschwerderecht zu gewähren. Dies gilt in der Regel auch für Verfügungen, mit denen die Haftung für die Folgen eines bestimmten Ereignisses abgelehnt wird:
Art. 30 KUVG
(Erw. 2).
Vereinbarung mit Drittleistungspflichtigem.
Sanktionsweise Verweigerung von Leistungen der Krankenkasse, wenn ihr der Versicherte die Vereinbarung nicht gemeldet hat:
Art. 3 Abs. 3 KUVG
(Erw. 3).
Stellung des Chiropraktikers in der Krankenversicherung (
Art. 21 Abs. 4 KUVG
). Wahl des Chiropraktikers bei vertragslosem Zustand sowie bei vertraglicher Regelung (Erw. 4).
Guter Glaube des Versicherten (Erw. 5)? | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 99 V 1 S. 2
A.-
Jean-François Tornior, né en 1960, est assuré auprès de la Caisse-maladie L'Avenir (désigné ci-après par L'Avenir) contre la maladie et les accidents. Il fut victime d'un accident de voiture le 21 février 1966, mais ne subit que des blessures légères. Constatant que leur enfant se tenait mal, les parents consultèrent un chiropraticien quelques mois plus tard, en la personne du Dr I. Celui-ci diagnostiqua une "déviation de la colonne vertébrale dans le plan frontal avec une accentuation de la lordose lombaire", un "torticolis, une démarche en dedans et un défaut de posture instable". Selon ce praticien, les troubles de la colonne étaient d'origine traumatique, opinion partagée par le Dr R., chiropraticien-conseil de la Fédération genevoise des caisses-maladie... Le Prof. T. qui, après le Prof. W., avait examiné Jean-François Tornior le 9 septembre 1970, arriva aux conclusions suivantes: "...Nous ne disposons pas d'arguments suffisants pour admettre l'origine traumatique des symptômes fonctionnels et anatomiques qu'a présentés cet enfant et je vous propose d'accepter la conclusion du Professeur W... lorsqu'il estime qu'il n'y a aucun rapport entre l'accident subi et la scoliose qu'il présente maintenant." (Rapport du 2 avril 1971 du Prof. T. à la Bâloise-accidents.)
B.-
Les parents de Jean-François Tornior s'adressèrent à L'Avenir ainsi qu'à la Bâloise, compagnie auprès de laquelle le tiers responsable de l'accident du 21 février 1966 avait conclu une assurance de responsabilité civile, pour obtenir notamment la réparation du dommage subi par leur fils. Le 22 mai 1966, la caisse-maladie, par son avocat-conseil, informa les intéressés qu'elle ne participerait pas au paiement des frais d'hospitalisation, dont la prise en charge incombait exclusivement à la Bâloise, selon elle.
Dans le courant de juin ou juillet 1968, le père de l'assuré transmit une note d'honoraires du Dr I. à L'Avenir, qui refusa de la prendre en considération parce que, à son avis, le traitement
BGE 99 V 1 S. 3
en cause était consécutif à l'accident de 1966... Le 11 mars 1969, L'Avenir rendit d'autre part la décision suivante, adressée à Marie-Louise Tornior:
"A la suite de votre demande, nous nous permettons de vous rappeler notre lettre du 30 juillet 1968 par laquelle nous vous informions que nous renoncions à couvrir l'affection dont a souffert votre fils, car il s'agit d'une affection survenue après un accident qui vous a été indemnisé par la 'Bâloise'..."
Cette communication était complétée par l'indication habituelle des voies et délai de recours... Le 2 avril 1969, soit avant l'échéance du délai de recours contre la décision précitée, l'avocat-conseil de L'Avenir invita une nouvelle fois les parents de l'assuré à s'adresser à la Bâloise pour obtenir le paiement des honoraires du Dr I. Il écrivait entre autres:
"Pour ce qui concerne la caisse-maladie L'Avenir, je ne puis que vous confirmer une fois de plus qu'elle n'entend pas intervenir pour les suites de l'accident du 20 février 1966. Elle ne pourrait le faire que dans le cas où un tribunal admettrait que le traitement du chiropraticien n'a aucun rapport avec les conséquences de l'accident du 20 février 1966..."
Le 28 avril 1971, B., inspecteur des sinistres de la Bâloise chargé de liquider le cas litigieux, écrivit notamment ce qui suit au conseil de la famille Tornior:
"J'ai le regret de devoir constater que rien ne justifie la prise en charge de la facture de M.I., tant par ma Compagnie que par notre assuré...
Consécutivement aux renseignements des experts, ne restent en cause que les conclusions... déclarant "qu'il ne subsistait qu'une petite cicatrice visible de 3 mm sur l'aile du nez, ne justifiant pas une indemnisation". Je ne pense pas, de mon côté, en me référant à la jurisprudence, que cette petite cicatrice chez un enfant du sexe mâle, représente un préjudice ou justifie une indemnisation. Tout au plus peut-on admettre un "tort moral" qui ne peut être que fort modeste au regard de la blessure.
Cependant, pour mettre un terme à la discussion et tenir compte de l'ensemble de la situation et après en avoir référé à ma Direction, je suis disposé à porter bénévolement l'offre de règlement définitifà fr. 2000.-- à la condition expresse qu'elle soit acceptée d'ici le 15 mai prochain. Passé ce délai elle sera considérée comme annulée..."
Cette offre fut acceptée. On ignore cependant les termes exacts de l'arrangement intervenu.
En octobre 1971, les parents de Jean-François Tornior s'adressèrent une nouvelle fois à L'Avenir pour obtenir le remboursement des honoraires du Dr 1. Le 22 novembre 1971, après
BGE 99 V 1 S. 4
lui avoir demandé divers renseignements complémentaires, la caisse réitéra à Martin Tornior son refus antérieur de fournir des prestations pour le traitement suivi chez ce chiropraticien. Elle relevait notamment ce qui suit, dans sa lettre:
"Sur la base du dossier complet..., nous devons constater que vous avez été entièrement indemnisé pour les suites de cet accident et qu'en particulier le capital que vous avez touché couvre intégralement les factures de Monsieur I..., chiropraticien, pour le traitement...
Par ailleurs, nous vous rappelons notre lettre du 11 mars 1969 dans laquelle nous vous informions de notre refus d'intervenir pour la couverture des frais de traitement de votre fils et constatons qu'à cette époque vous n'aviez pas recouru contre notre décision."
Ce refus fit l'objet d'une décision formelle le 28 décembre 1971.
C.-
Le père de l'assuré recourut...
Par jugement du 15 septembre 1972, la Cour de justice de Genève admit le recours, annula la décision attaquée et mit à la charge de L'Avenir 20 séances de chirothérapie "dans les limites du tarif conventionnel"...
D.-
L'Avenir interjette recours de droit administratif. Elle conclut à l'annulation du jugement attaqué et, principalement, au rétablissement de sa décision de refus du 28 décembre 1971, subsidiairement, au renvoi de la cause aux premiers juges pour instruction complémentaire portant sur le contenu de la transaction passée avec la Bâloise...
Dans son préavis, l'Office fédéral des assurances sociales propose d'admettre la conclusion subsidiaire de la recourante. Selon ledit office, le contenu de la transaction serait décisif pour la solution du présent litige.
E.-
L'Association des chiropraticiens du canton de Genève et la Fédération genevoise des caisses-maladie ont conclu une convention le 31 décembre 1965. Aux termes de cet accord, les soins des assurés sont confiés exclusivement aux chiropraticiens y ayant adhéré (art. 4 chiffre 1). Les assurés ont le droit de choisir librement leur chiropraticien "dans le cadre de la convention" (art. 4 chiffre 2).
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
...
2.
Tout d'abord, il y a lieu de décider si, en l'occurrence, la question de la responsabilité de L'Avenir a été définitivement réglée par la décision du 11 mars 1969, passée en force.
BGE 99 V 1 S. 5
a) Suivant la jurisprudence, l'administration n'a en principe pas la faculté de rendre une nouvelle décision sur l'état de fait examiné dans une décision antérieure non attaquée en temps utile et d'ouvrir ainsi un nouveau droit de recours (RCC 1971 p. 491 et les arrêts cités; voir également RCC 1972 p. 335 et RJAM 1971 p. 51). Il faut donc rechercher si le même état de fait est à la base de la décision du 11 mars 1969 et de celle aujourd'hui litigieuse. Il en est bien ainsi. En effet, dans les deux cas, il s'agit de savoir si le traitement fourni par le Dr I. est en relation avec l'accident survenu en 1966. Or les deux rapports d'expertise postérieurs à la première des décisions sus-mentionnées n'ont apporté aucun fait nouveau déterminant pour statuer sur l'existence d'un lien de causalité entre les mesures litigieuses et l'accident dont répond la Bâloise. Ils n'ont fait qu'introduire dans la discussion une appréciation nouvelle de faits déjà connus ou qui auraient dû l'être en mars 1969. Si la décision prise à cette époque était erronée, l'assuré - ou pour lui ses parents - se trouvait dans la situation typique du justiciable qui doit recourir pour faire valoir son droit. A cet égard, l'erreur sur les faits et sur le droit n'est pas en soi un motif de prolongation du délai de recours (RCC 1968 p. 586; arrêt non publié Gauchat, du 25 avril 1972).
Certes le Dr I. a-t-il encore fourni des soins à l'assuré après le 11 mars 1969. Cela ne change toutefois rien à ce qui vient d'être exposé, sans quoi il s'ensuivrait quele principe du refus d'assurer les conséquences d'un événement déterminé pourrait être remis en cause constamment, ce qui ne saurait être admis (v., pour l'assurance-accidents, MAURER, "Recht und Praxis", 2e éd., p. 368: "Die grundsätzliche Ablehnung schliesst auch jegliche spätere Verschlimmerung des Leidens in sich"; ATFA 1940 p. 87). Reste réservé, il est vrai, le réexamen par l'administration d'une décision sans nul doute erronée qui n'a pas été attaquée en temps utile et qui est par conséquent passée en force. Mais on ne peut dire que la décision du 11 mars 1969 fût sans nul doute erronée (RJAM 1971 p. 51). La question de la responsabilité de L'Avenir à raison du traitement suivi chez le Dr I. a donc été en principe tranchée définitivement le 11 mars 1969; elle ne pouvait faire l'objet d'une nouvelle décision le 28 décembre 1971.
b) Toutefois, la lettre de la caisse du 2 avril 1969 était de nature à induire les parents de l'intéressé en erreur et à leur laisser croire qu'un recours contre la décision du 11 mars 1969 n'était
BGE 99 V 1 S. 6
pas nécessaire pour sauvegarder les droits de leur fils. Une personne non avertie pouvait inférer de cette communication que la question de la responsabilité de L'Avenir serait au besoin réexaminée en cas d'échec de la tentative de faire supporter les frais du traitement chez le Dr I. par la Bâloise. C'est donc à bon droit que les premiers juges n'ont pas retenu le moyen tiré de l'entrée en force de l'acte administratif du 11 mars 1969.
3.
a) Aux termes de l'art. 53 chiffre 4 in fine des conditions d'assurance de L'Avenir, "si le membre conclut un accord avec un tiers responsable, avec abandon de la totalité ou d'une partie du dommage, sans l'approbation préalable de la caisse, il perd tout droit aux prestations de cette dernière". Selon la jurisprudence (RO 97 V 70), "sauf circonstances exceptionnelles, on ne saurait... sanctionner la transgression d'une semblable règle seulement lorsque la caisse subit un préjudice direct... Il importe que cette dernière ait une possibilité de contrôle, afin de sauvegarder ses droits et de faire respecter le principe de subsidiarité prévu à l'art. 26 al. 3 LAMA. Or un tel contrôle suppose l'observation de règles d'ordre, dont la violation doit être réprimée..."
b) Lorsqu'un tiers conteste être responsable de certaines conséquences d'un événement déterminé et qu'une caisse-maladie affirme au contraire que ledit tiers doit assumer ces conséquences, l'accord passé par l'assuré avec le tiers en question est de nature à constituer un "abandon du dommage", au sens de la règle sus-mentionnée des conditions d'assurance de L'Avenir. Tel est bien le cas en l'espèce. Car ou bien la transaction passée couvrait la totalité des frais aujourd'hui en cause - et la réclamation à l'endroit de L'Avenir n'est pas fondée - ou bien cet accord ne comprenait pas ces frais, ou il les comprenait en partie seulement - et il importait d'obtenir l'accord préalable de la caisse, qui soutènait qu'un tiers devait les supporter. C'est du reste dans des circonstances semblables à celles de la présente espèce qu'une avance des prestations moyennant cession des droits de l'assuré contre le tiers présentera un grand intérêt (art. 53 chiffre 4 des conditions d'assurance de L'Avenir). La négligence des intéressés est d'autant moins compréhensible que la caisse avait à réitérées reprises déclaré ne pas vouloir intervenir pour les frais du traitement suivi chez le Dr I. Contrairement à ce qu'admettent les premiers juges, l'accord préalable de la caisse s'imposait en l'occurrence pour les raisons évoquées par la jurisprudence rappelée plus haut. Pour ce motif déjà, le refus de
BGE 99 V 1 S. 7
L'Avenir était fondé et il n'est pas nécessaire de décider si l'accident de 1966 était effectivement responsable des troubles ayant amené les parents de l'assuré à consulter le Dr I. Est sans intérêt également la question de savoir ce que la Bâloise entendait effectivement payer dans le cadre de la transaction conclue.
4.
A supposer même qu'on ne puisse retenir l'argument tiré par la caisse de l'art. 53 chiffre 4 de ses conditions d'assurance, les prestations litigieuses ne pourraient pas être accordées pour les raisons suivantes:
Il n'est pas contesté que le Dr I. n'a pas adhéré à la convention conclue par les caisses-maladie et les chiropraticiens de Genève. Or, aux termes de l'art. 21 al. 4 LAMA, "les personnes autorisées à exercer la chiropratique en vertu d'un certificat de capacité obtenu grâce à une formation professionnelle spéciale et reconnu par le Conseil fédéral peuvent, dans les limites de cette autorisation, pratiquer pour l'assurance-maladie. Les articles 15, 1er alinéa, et 17, 1er alinéa, sont applicables par analogie." L'art. 21 al. 4 LAMA ne renvoie donc pas à l'art. 16 LAMA, qui institue le libre choix conditionnel du médecin. Faut-il en inférer, comme le fait l'Office fédéral des assurances sociales, que l'assuré a droit de choisir, pour se faire soigner aux frais de la caisse, n'importe quel chiropraticien? Si l'on répondait affirmativement, il faudrait admettre que le chiropraticien consulté est lié par le tarif, conventionnel ou édicté par le Gouvernement cantonal (art. 22 quater al. 2 LAMA). On en arriverait ainsi à constater que la LAMA oblige les chiropraticiens à soigner les assurés comme tels - ce qu'elle n'a pas prévu pour le corps médical, sous réserve de la situation particulière mentionnée à l'art. 22ter LAMA (voir sur ce point le message complémentaire du 16 novembre 1962 du Conseil fédéral à l'appui du projet de loi modifiant la LAMA, pp. 14-15 lit. c; v. aussi l'ACF du 29 août 1967 garantissant le traitement des personnes assurées contre la maladie dans la région de Bâle et l'ordonnance du Conseil d'Etat du canton de Bâle-Ville concernant la garantie du traitement médical des assurés à ressources modestes et le tarif de remboursement, du 4 juillet 1967). Il faut par conséquent admettre que la loi n'oblige en principe pas non plus les chiropraticiens à soigner les assurés comme tels, encore qu'à l'instar des médecins ils ne puissent refuser de cas en cas de le faire (cf. le passage précité du message du 16 novembre 1962). Lorsqu'il existe un régime conventionnel, le chiropraticien qui ne veut pas adhérer à
BGE 99 V 1 S. 8
l'accord conclu est censé avoir renoncé à soigner les assurés comme tels, du moins lorsque, comme dans le canton de Genève, un nombre suffisant de ses confrères travaillent pour le compte des caisses (il n'est pas nécessaire d'examiner ici en revanche s'il y a lieu d'appliquer par analogie l'art. 16 al. 1 in fine LAMA en cette matière). Les assurés dûment informés de ce fait, par la caisse ou par le chiropraticien, ne sauraient prétendre des prestations pour les traitements suivis chez ce praticien indépendant, qui n'est pas lié par les tarifs convenus. A cet égard, il ne faut pas oublier que les conventions contiennent souvent des clauses imposant des obligations de part et d'autre et que la solution proposée par l'Office fédéral des assurances sociales pourrait conduire à enlever une grande partie de l'intérêt que présente une convention pour les chiropraticiens. Il n'est pas indispensable de décider aujourd'hui déjà quelle devrait être la solution en l'absence de convention. On pourrait cependant imaginer l'application par analogie de l'art. 22bis al. 5 LAMA, dans ce sens tout au moins que la renonciation à la pratique pour le compte de l'assurance-maladie devrait être générale et connue tant des caisses que des assurés.
5.
Reste à examiner si l'assuré peut se prévaloir en l'espèce des règles de la bonne foi pour obtenir le paiement de la note d'honoraires du Dr I. La Cour de céans a déjà jugé que, dans certains cas, de faux renseignements d'un organe administratif compétent peuvent lier l'assurance. Mais il faut que l'intéressé n'ait pas été en mesure d'en reconnaître l'inexactitude et que, sur la base des renseignements donnés sans réserve, il ait pris des dispositions irréversibles (v. p.ex. RO 97 V 217 consid. 4, ATFA 1967 p. 35 et la jurisprudence ainsi que la doctrine citées). Ces conditions ne sont pas remplies en l'occurrence. En effet, on ne peut dire que le traitement chez le Dr I. ait été entrepris sur la foi d'assurances données par la caisse... La lettre du 2 avril 1969 n'a été pour rien dans la poursuite du traitement, qui avait du reste commencé longtemps auparavant.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis et le jugement cantonal, annulé. | null | nan | fr | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cedccb55-0180-4266-9413-106bf9b8bb6e | Urteilskopf
106 III 21
6. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 5 mars 1980 dans la cause W. (recours LP) | Regeste
Aufhebung des Steigerungszuschlages wegen Missachtung der Vorschrift von
Art. 125 Abs. 3 SchKG
(Beschwerde des Schuldners). | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 106 III 21 S. 22
A.-
Dans le cadre d'une poursuite en réalisation de gage, l'Office des poursuites de Genève a été requis de procéder à la vente du gage, un canot automobile Abatte Mercruiser de 1974, estimé à 20'000 fr. Les enchères publiques ont été fixées au 25 mai 1979. Le débiteur, W., ainsi que le créancier et son mandataire en ont été avisés par lettres recommandées du 14 mai 1979. Le jour de la vente, aucun amateur ne s'est présenté; ni le créancier ni le débiteur ne se sont manifestés.
L'Office a décidé de procéder à une nouvelle vente aux enchères, qu'il a fixée au 13 juillet 1979. A cette occasion, il a fait une importante publicité dans plusieurs quotidiens genevois, ainsi que dans la Feuille d'avis officielle, mais il n'en a pas avisé les parties personnellement: il n'est pas établi que le débiteur ait su que cette seconde vente aurait lieu.
De nombreux amateurs se sont présentés aux enchères, et le bateau a été adjugé à G. pour la somme de 14'000 fr. Le 6 août 1979, l'Office a expédié aux parties l'avis du décompte final de la poursuite.
B.-
Le 17 août 1979, W. a porté plainte à l'Autorité cantonale de surveillance, demandant l'annulation de l'adjudication du 13 juillet 1979, l'Office étant invité à procéder à de nouvelles enchères publiques après avoir dûment informé le débiteur des jour, heure et lieu de la vente. Il faisait valoir qu'il y avait eu violation de l'
art. 125 al. 3 LP
lui causant un préjudice certain, dès lors que le bateau avait été vendu à un prix très inférieur à l'estimation: il produisait une lettre d'un sieur X., qui affirmait qu'à l'époque de la vente il aurait été prêt à acheter le canot pour 22'000 fr. et qu'il était encore disposé à offrir un prix dépendant de l'état actuel du bateau.
L'Autorité cantonale de surveillance a rejeté la plainte le 30 janvier 1980.
C.-
W. a recouru au Tribunal fédéral, reprenant les conclusions articulées dans l'instance cantonale. Le recours a été admis et l'adjudication attaquée annulée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
En vertu de l'
art. 125 al. 3 LP
, si, comme en l'espèce, le débiteur a en Suisse une résidence connue, il doit être informé, au moins trois jours à l'avance, des jour, heure et lieu de la vente. Cette règle n'est pas une simple prescription d'ordre; son inobservation comporte une violation de la procédure de réalisation,
BGE 106 III 21 S. 23
qui est ainsi viciée, et justifie l'annulation des enchères (
ATF 82 III 38
; cf. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2e éd., p. 277; JAEGER, n. 2 ad
art. 136bis LP
).
2.
L'autorité cantonale admet qu'"en droit" il faudrait annuler la vente, mais elle s'y refuse "pour des raisons d'opportunité", "afin de ne pas léser les droits acquis légitimement et de bonne foi par l'adjudicataire"; "au surplus", ajoute-t-elle, "il est très vraisemblable que la valeur actuelle du canot litigieux a évolué depuis le 13 juillet 1979 et qu'une nouvelle vente ne donnerait pas un résultat supérieur à celle incriminée": le plaignant a été renvoyé à saisir l'autorité judiciaire compétente d'une éventuelle action en dommages-intérêts contre l'Office des poursuites.
a) On ne saurait refuser d'annuler l'enchère en considération des droits de l'adjudicataire. Selon l'
art. 136bis LP
, applicable également au gage mobilier (
ATF 79 III 116
consid. 1,
ATF 73 III 141
,
ATF 54 III 297
), l'acquisition de la propriété par l'adjudicataire ne peut être attaquée qu'au moyen d'une plainte tendant à ce que l'adjudication soit annulée. L'adjudicataire doit donc compter avec le risque d'être privé de la propriété de la chose vendue, du fait que l'enchère a été remise en cause. Pour atténuer la rigueur de cette situation, le Tribunal fédéral a, par voie jurisprudentielle, posé le principe que, après l'écoulement d'une année depuis les enchères, l'adjudication ne peut plus être annulée à cause d'un vice de forme dont l'enchérisseur n'est pas responsable (
ATF 98 III 59
consid. 1,
ATF 73 III 26
). Mais, avant l'expiration de ce délai, l'annulation de l'adjudication doit demeurer possible.
Par ailleurs, en l'espèce, l'autorité cantonale a attribué l'effet suspensif à la plainte le 17 août 1979, soit à peine plus d'un mois après la vente: normalement, cette décision doit avoir été communiquée à l'adjudicataire, encore que cela ne résulte pas du dossier. De toute façon, on constate que l'Office des poursuites a soumis la plainte à l'adjudicataire, qui en a eu connaissance le 10 septembre 1979 au plus tard. Dès ce moment en tout cas, il ne pouvait plus être de bonne foi: s'il a fait des dépenses pour réparer ou transformer le bateau, c'est à ses risques et périls.
b) Le produit de la vente n'a pas été distribué: de ce point de vue non plus, rien ne fait obstacle à l'annulation de l'adjudication.
BGE 106 III 21 S. 24
c) Tout au plus peut-on se demander si on pourrait l'éviter du fait que, selon l'autorité cantonale, il est très vraisemblable que la valeur du canot a évolué depuis le 13 juillet 1979 et qu'une nouvelle vente ne donnerait pas un produit supérieur à celui de l'enchère attaquée. Mais il ne s'agit pas là de constatations arrêtées. D'ailleurs, on ne saurait admettre à la légère que de nouvelles enchères n'aboutiraient pas à un meilleur résultat: dans la plupart des cas, l'inobservation du devoir d'aviser les intéressés demeurerait alors sans sanction. Il faut assumer le risque que le produit soit inférieur et le danger qu'entre-temps des droits de tiers aient été constitués sur la chose mise à l'encan (cf.
ATF 42 III 223
ss.). En principe, on ne doit refuser l'annulation de l'adjudication que si la chose adjugée a été revendue depuis lors à un tiers et qu'il ressorte des allégations mêmes du plaignant que ce dernier n'a pas de motifs valables à faire valoir pour contester la propriété du tiers (
ATF 73 III 141
s.). Mais en l'espèce rien ne permet de penser que tel soit le cas.
Vu ce qui précède, il y a eu fausse application du droit fédéral. | null | nan | fr | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cee42603-506a-4aec-90ad-37ef49a9ff45 | Urteilskopf
121 V 28
6. Urteil vom 18. April 1995 i.S. O. gegen Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft und Versicherungsgericht des Kantons Aargau | Regeste
Art. 1 Abs. 1 UVG
,
Art. 3 Abs. 3 UVG
,
Art. 72 UVV
.
Zur Tragweite der Informationspflichten von Versicherer und Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich der Abredeversicherung; Beweislast und Folgen der Verletzung der Informationspflicht. | Sachverhalt
ab Seite 28
BGE 121 V 28 S. 28
A.-
Der portugiesische Staatsangehörige O., geboren 1956, arbeitete seit 1989 als Saisonnier in der Firma X, Gemüsebau. Als Angestellter dieser Firma war er bei der Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Winterthur) obligatorisch gegen Betriebs- und Nichtbetriebsunfälle versichert. Im Spätherbst 1991 kehrte O. zu seiner Familie nach Portugal zurück. Nachdem ihm sein bisheriger Arbeitgeber eine erneute Anstellung für das Jahr 1992 vertraglich zugesichert hatte, erteilte die Fremdenpolizei des Kantons Aargau wiederum eine Saisonbewilligung mit Gültigkeit für die Zeit vom 1. März 1992 bis 20. November 1992. O. hätte seine Saisonstelle am Montag, den 2. März 1992 antreten sollen. Am Sonntag, den 1. März 1992 reiste er in die Schweiz ein.
BGE 121 V 28 S. 29
Auf der Autobahn N1 Bern-Zürich, Höhe Deitingen, wollte er bei einem Verkehrsunfall Hilfe leisten. Dabei wurde er von einem vorbeifahrenden Fahrzeug erfasst und schwer verletzt. Der diesen Unfall verursachende Fahrzeuglenker ergriff die Flucht und konnte nicht ermittelt werden. Der Unfall wurde am 2. März 1992 der Winterthur gemeldet. Mit Verfügung vom 3. Juni 1992 lehnte diese ihre Leistungspflicht ab, weil O. im Zeitpunkt des Unfalls die Arbeit noch nicht angetreten und deshalb keine Versicherungsdeckung bestanden habe. Auf Einsprache hin bestätigte die Winterthur ihre Ablehnungsverfügung (Entscheid vom 7. September 1992).
B.-
O. liess beschwerdeweise die Erbringung der gesetzlichen Leistungen beantragen. Er machte im wesentlichen geltend, die Winterthur sei ihrer Obliegenheit, ihn über die Möglichkeit einer Abredeversicherung für die Zeit, in welcher das Arbeitsverhältnis ruhte, aufzuklären, nicht nachgekommen. Deshalb sei sie nach den verfassungsmässigen Grundsätzen des rechtlichen Gehörs und des Handelns nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr leistungspflichtig, wie wenn die Abredeversicherung abgeschlossen worden wäre. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau erwog, dass weder aus den gesetzlichen oder verordnungsmässigen Bestimmungen noch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben eine solche Aufklärungspflicht des Unfallversicherers hergeleitet werden könne. Mit Entscheid vom 5. Mai 1993 wies das kantonale Gericht deshalb die Beschwerde ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert O. das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren. Er führt aus, dass - entgegen der Annahme des kantonalen Gerichts - das Bestehen einer Aufklärungspflicht gegenüber dem Versicherten klarem gesetzgeberischem Willen entspreche. Die Winterthur sei dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Im weiteren habe sie auch den Arbeitgeber nicht über die Möglichkeit, eine Abredeversicherung abzuschliessen, orientiert. Dieser sei deshalb seinerseits nicht in der Lage gewesen, seinen Angestellten darüber zu informieren. Es sei daher stossend, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Unfallversicherers auf den Versicherten abgewälzt werde.
Die Winterthur bestreitet in ihrer Vernehmlassung erneut das Vorhandensein der geltend gemachten Aufklärungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherten und beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung beschränkt sich, ohne ausdrücklichen Antrag, auf den Hinweis, dass der Verordnungsgeber den Vorschlag einer besonderen Aufklärungspflicht bezüglich der Abredeversicherung diskutiert,
BGE 121 V 28 S. 30
ihn jedoch nicht in die Verordnung aufgenommen habe.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist im vorliegenden Fall, ob der Beschwerdeführer für den erlittenen Unfall Anspruch auf Leistungen kraft Abredeversicherung (
Art. 3 Abs. 3 UVG
) hat.
a) Nach dieser Bestimmung hat der Versicherer dem Versicherten die Möglichkeit zu bieten, die Versicherung durch besondere Abrede um bis zu 180 Tage zu verlängern. Abreden mit dem Versicherer über die Verlängerung der Nichtberufsunfallversicherung müssen einzeln oder kollektiv vor dem Ende dieser Versicherung getroffen werden (
Art. 8 UVV
). Nach
Art. 3 Abs. 2 UVG
endet die Versicherung mit dem 30. Tag nach dem Tage, an dem der Anspruch auf mindestens den halben Lohn (aus dem die Versicherung begründenden Arbeitsverhältnis [vgl.
Art. 3 Abs. 1 UVG
]) aufhört.
Der Beschwerdeführer hat unbestrittenermassen keine Abredeversicherung im Sinne vorgenannter Bestimmungen abgeschlossen, als er im Spätherbst 1991 seine Saisontätigkeit bei der Firma X beendigte und zu seiner Familie nach Portugal zurückkehrte. Materiellrechtlich kann er sich daher mit Blick auf den Unfall vom 1. März 1992 nicht über die für eine Leistungspflicht erforderliche Versicherteneigenschaft ausweisen (Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 3 UVG
).
b) Der Beschwerdeführer macht indessen - sinngemäss - geltend, er hätte, sofern er über die Möglichkeit dieses Versicherungsabschlusses orientiert worden wäre, für die Weitergeltung des Versicherungsschutzes bis zum Antritt der neuen Saisonbeschäftigung im März 1992 durch Abschluss einer Abredeversicherung gesorgt. Dass er hierüber nicht aufgeklärt worden sei, bedeute eine Pflichtwidrigkeit des Unfallversicherers, für welche dieser nun im Versicherungsfall einzustehen habe. Es sei stossend, ihn die Folgen dieser Verletzung der Aufklärungspflicht tragen zu lassen, weshalb er so zu stellen sei, wie wenn er die Abredeversicherung abgeschlossen hätte. Der Beschwerdeführer ruft demnach, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, für die Leistungspflicht des Unfallversicherers den Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit behördlichen Aufklärungspflichten an (vgl. dazu insbesondere
BGE 112 V 119
ff. Erw. 3 und 4; vgl. auch
BGE 116 V 298
ff. Erw. 3 und 4). Zu prüfen ist damit, ob und welche Informationspflichten
BGE 121 V 28 S. 31
Versicherer und Arbeitgeber wahrzunehmen haben und welche Folgen sich aus deren Verletzung ergeben.
c) aa) Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Versicherter bei Aufgabe seiner Arbeitsstelle über die Möglichkeit, den Versicherungsschutz durch Abrede bis maximal 180 Tage zu verlängern, unmittelbar gestützt auf
Art. 3 UVG
und
Art. 8 UVV
zu orientieren ist. Das kantonale Gericht hat
Art. 3 Abs. 3 UVG
nach den hiefür gemäss Rechtsprechung und Lehre massgebenden Regeln ausgelegt (vgl. nebst den im angefochtenen Entscheid zitierten
BGE 117 Ia 331
Erw. 3a, 117 III 45 Erw. 1,
BGE 117 V 5
Erw. 5a und 109 Erw. 5b, je mit Hinweisen, auch
BGE 119 Ia 248
Erw. 7a,
BGE 119 II 151
Erw. 3b, 355 Erw. 5,
BGE 119 V 126
Erw. 4, 204 Erw. 5c, 274 Erw. 3a, 429 Erw. 5a,
BGE 118 Ib 191
Erw. 5a, 452 Erw. 3c, 555 Erw. 4d,
BGE 118 II 342
Erw. 3e, je mit Hinweisen). Dabei kam es zum Schluss, dass die vom Beschwerdeführer im Ergebnis vertretene Auffassung, wonach die gesetzlich eingeräumte Befugnis zum Abschluss von Abredeversicherungen als solche gleichzeitig auch eine besondere diesbezügliche Informationspflicht bedeute, weder gestützt auf grammatikalische Überlegungen noch auf solche entstehungsgeschichtlicher, systematischer oder teleologischer Art zutreffend sei.
Art. 3 Abs. 3 UVG
umschliesse lediglich die Obliegenheit des Versicherers, die Abredeversicherung zu führen und anzubieten, nicht jedoch die Verpflichtung, jeden einzelnen Versicherten im Rahmen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses rechtzeitig über die Möglichkeit der Verlängerung des Versicherungsschutzes durch Abschluss einer Abredeversicherung zu informieren.
bb) Den Erwägungen der Vorinstanz ist beizupflichten. Was der Beschwerdeführer vorträgt, vermag deren überzeugende Auslegung von
Art. 3 Abs. 3 UVG
, für welche im einzelnen auf den angefochtenen Entscheid verwiesen wird, nicht zu widerlegen. Die geltende Formulierung dieser Bestimmung geht auf einen Antrag von Nationalrat Wagner im Gesetzgebungsverfahren zurück. Der Gesetzesentwurf wollte den Versicherern lediglich die Befugnis einräumen, Abreden über das (zeitlich unbestimmte) Weiterbestehen der Versicherung zu treffen (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III 241). Die Intervention Wagner zielte indessen darauf ab, die verschiedenen Versicherungsträger gleichermassen zu verpflichten, die Abrede über eine maximal 180 Tage dauernde Weiterversicherung anzubieten. Aus der in diesem Zusammenhang geführten Diskussion ergibt sich eindeutig, dass der Gesetzgeber in
Art. 3 Abs. 3 UVG
nichts zur Frage, wie der Versicherte über
BGE 121 V 28 S. 32
die Abredeversicherung aufgeklärt werden soll, anordnen wollte (vgl. insbesondere die Voten von Bundesrat Hürlimann und Nationalrätin Meier anlässlich der Beratung des Gesetzesentwurfs in der Kommission des Nationalrates [Protokoll der Sitzung vom 25./26. August 1977, S. 40]).
cc) Nichts anderes ergibt sich aus dem Verordnungsrecht zur Abredeversicherung. Zwar haben das Bundesamt für Sozialversicherung und die Winterthur darauf hingewiesen, dass die Kantone Basel-Stadt und Waadt im Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf die Statuierung einer speziellen Informationspflicht - analog derjenigen in der Krankenversicherung beim Ausscheiden aus der Kollektivversicherung oder bei Vorhandensein des Zügerrechtes (vgl.
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
; Art. 12 Vo II KUVG) - vorgeschlagen haben. Im heutigen Verordnungstext findet sich jedoch keine solche Norm. Im Hinblick auf den dargelegten (Erw. 1c/aa und bb) Bedeutungsgehalt von
Art. 3 Abs. 3 UVG
war der Verordnungsgeber gesetzlich auch nicht gehalten, eine den kantonalen Anregungen entsprechende Vorschrift in die Verordnung aufzunehmen.
2.
Zu prüfen ist im weitern, ob der Beschwerdeführer etwas zu seinen Gunsten ableiten kann aus der allgemeinen Informationspflicht des Versicherers, wie sie im fünften Verordnungstitel über die Organisation der Unfallversicherung (
Art. 72 UVV
) geregelt ist:
"Die Versicherer sorgen dafür, dass die Arbeitgeber über die Durchführung der Unfallversicherung ausreichend informiert werden. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, die Information an die Arbeitnehmer weiterzugeben."
a)
Art. 72 UVV
stipuliert somit zwei Informationspflichten, wobei der angestrebte Informationsfluss kaskadenartig verläuft: In einem ersten Schritt wird der Versicherer verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren (Satz 1), in einem zweiten Schritt dem Arbeitgeber die Verpflichtung auferlegt, die Information an seine Arbeitnehmer weiterzuleiten (Satz 2). Verlangt wird eine "ausreichende" Aufklärung über die "Durchführung der Unfallversicherung". Die Verordnung verpflichtet daher die Versicherer zu einer substantiellen Information ihrer angeschlossenen Arbeitgeber von Amtes wegen. Diese Verfahrenspflicht geht über die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitete allgemeine Pflicht der Sozialversicherungsträger, die an der Versicherung Beteiligten auf Verlangen in Einzelfragen zu beraten oder ihnen Auskunft zu erteilen (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. Bern 1989, S. 75, insbesondere Fn. 95 mit Hinweisen), erheblich hinaus. Zwar verzichtet
BGE 121 V 28 S. 33
die Verordnung darauf, die Themen zu bezeichnen, welche der Informationspflicht nach
Art. 72 UVV
unterliegen. Die Materialien (Kommission zur Vorbereitung der Verordnung über die obligatorische Unfallversicherung, Beilage der Arbeitsgruppe "Information der Versicherten" zum Protokoll der Sitzung vom 29./30. April und 5. Mai 1981, S. 79) belegen indessen einwandfrei, dass der zentrale, weil für die Erhaltung des Versicherungsschutzes bedeutsame Themenbereich "Ende der Versicherung/Möglichkeit der Abrede" dazugehört. Mit dem Erlass des
Art. 72 UVV
, womit eine wirksame, Versicherer und Arbeitgeber treffende Informationspflicht sichergestellt werden soll, hat der Bundesrat zweifellos im Rahmen des Gesetzes gehandelt. Dass es einer gesetzlichen Grundlage für die Verpflichtung, nebst anderm über die Möglichkeit des Abschlusses einer Abredeversicherung zu informieren, ermangele, kann daher nicht gesagt werden.
b) Die Rechtsnatur der Informationsobliegenheiten nach
Art. 72 UVV
als Amtspflichten ergibt sich daraus, dass der Versicherer und auch der Arbeitgeber in diesem Regelungszusammenhang Organe der Versicherungsdurchführung sind. Daraus wiederum folgt, dass die Wahrnehmung dieser Informationspflichten institutionalisiert werden muss. Wie dies zu geschehen hat, schreibt die Verordnung nicht vor. Das liegt vielmehr in der Gestaltungsfreiheit der beteiligten Versicherer und Arbeitgeber. Allerdings muss die Erfüllung der Informationspflicht manifestiert werden und insbesondere im Hinblick auf die Weiterleitungspflicht des Arbeitgebers (
Art. 72 Satz 2 UVV
) vom Versicherten erkennbar sein. Damit wird von den Durchführungsorganen organisatorisch nicht mehr verlangt, als nach jahrzehntelanger Verwaltungspraxis in der von der SUVA betriebenen obligatorischen Unfallversicherung schon unter der Geltung des KUVG (bis 31. Dezember 1983 [vgl. Verfügung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements vom 19. November 1917]) beachtet wurde, nämlich beispielsweise ein Aushang am ständigen Anschlag im unterstellten Betrieb, Informationen an Betriebsversammlungen usw. (MAURER, a.a.O., S. 75 f.). Ungenügend sind dagegen blosse Korrespondenzen zwischen Versicherer und Arbeitgeber, weil diese (wenn erstellt) nur den Informationsfluss in der ersten Stufe belegen, für sich allein aber nichts darüber aussagen, ob der Arbeitgeber in der zweiten Stufe seinen Pflichten genügt hat. Können sich somit Versicherer und Arbeitgeber den Beweis der ihnen obliegenden Information mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
BGE 121 V 28 S. 34
(vgl. dazu
BGE 121 V 5
, Erw. 3 sowie
BGE 120 V 35
Erw. 3,
BGE 119 V 9
Erw. 3c/aa,
BGE 118 II 238
Erw. 3c,
BGE 117 V 265
f.) durch zumutbare Vorkehren ohne weiteres sichern, rechtfertigt es sich, dem Versicherer die Beweislast hiefür auch insoweit aufzuerlegen, als die Erfüllung der Informationspflichten des Arbeitgebers in Frage steht. Alles andere beraubte die Vorschrift des
Art. 72 UVV
ihrer Wirksamkeit und machte sie zur lex imperfecta, was in diesem heiklen Bereich der Informations- und damit der Rechtssicherheit abträglich wäre. Umgekehrt verhindert die Erfüllung der Informationspflichten gemäss diesen Grundsätzen, dass der Arbeitnehmer nach Eintritt eines Unfalles eine Verletzung der Aufklärungspflicht rügen und daraus die Versicherteneigenschaft ableiten kann, die ihm materiellrechtlich nicht zusteht.
c) Was die Rechtsfolge bei Verletzung der Informationspflichten anbelangt, so kann nach der bisherigen Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutz (vgl. oben Erw. 1b) nicht zweifelhaft sein, dass der Versicherer für seine Unterlassungen (
Art. 72 Satz 1 UVV
) einzustehen hat. Dies steht unter dem Vorbehalt, dass die weiteren Voraussetzungen für eine erfolgreiche Berufung auf den Vertrauensschutz, insbesondere die kausal verursachte Disposition seitens des Arbeitnehmers aus unterbliebener Information, die allerdings beweismässig keinen hohen Anforderungen unterliegt (ARV 1990 Nr. 18 S. 110 Erw. 3c; nicht publiziertes Urteil R. vom 25. November 1992, Erw. 4d; vgl. auch LGVE 1981 II Nr. 26 S. 181 Erw. 5a/ee), erfüllt sind. Weist sich hingegen der Versicherer über die Erfüllung seiner Informationspflichten aus (
Art. 72 Satz 1 UVV
), vermag aber der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Weiterleitungspflicht (
Art. 72 Satz 2 UVV
) - unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere auch früherer getätigter Abschlüsse von Abredeversicherungen durch Angehörige seiner Belegschaft - nicht zu beweisen, dann hat der Versicherer sich dennoch die Unterlassung oder die nicht bewiesene Weiterleitung der Information durch den Arbeitgeber als Organ der Versicherungsdurchführung leistungsmässig anrechnen zu lassen, freilich mit dem gleichen Vorbehalt, wie bei eigenem Fehlverhalten. Ob sich aus einem solchen Tatbestand ein Regressrecht des Versicherers gegen den Arbeitgeber ergäbe und auf welchem Verfahrensweg es geltend zu machen wäre (vgl. IV-Praxis betreffend Streitigkeiten zwischen der Invalidenversicherung und dem Leistungserbringer [keine Verfügungsbefugnis; erwogen wurde dort die verwaltungsrechtliche Klage], vgl. auch
BGE 119 V 309
ff. zu den
BGE 121 V 28 S. 35
Schiedsgerichtszuständigkeiten), braucht hier nicht entschieden zu werden.
3.
Die Frage, ob im vorliegenden Fall eine genügende Information, sowohl auf der ersten Stufe (vom Versicherer an den Arbeitgeber) als auch und insbesondere auf der zweiten Stufe (Weiterleitungspflicht des Arbeitgebers) stattgefunden hat, lässt sich aufgrund der Akten nicht beantworten; denn über die weitgehend konträren Aussagen des Versicherers und des Arbeitgebers wurden keine Beweismassnahmen durchgeführt. Die Vorinstanz, an welche die Sache hiefür zurückzuweisen ist, wird unter Berücksichtigung der dargelegten Beweis- und Beweislastgrundsätze beim Versicherer und dem angeschlossenen Arbeitgeber sachdienliche Abklärungen vorzunehmen haben. Alsdann wird sie neu darüber befinden, ob dem Beschwerdeführer gestützt auf den Vertrauensschutz Leistungen aus der Abredeversicherung zustehen oder nicht. Bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Versicherungsabschlusses im Informationsfall (Kausalität der Nichtdisposition [vgl. Erw. 2c]) wird sie allenfalls Branchengebräuche sowie die Erfahrungen anderer Unfallversicherer, wie etwa der SUVA, welche gemäss Jahresbericht 1992 ein Prämienaufkommen aus Abredeversicherung von über Fr. 900'000.-- ausweist, einbeziehen.
4.
(Kostenpunkt) | null | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cee477c4-7dd6-45b1-be7f-f8aa28c9b11a | Urteilskopf
99 IV 156
33. Urteil des Kassationshofes vom 5. Oktober 1973 i.S. Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland gegen X. | Regeste
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 5 StGB.
Den erhöhten Schutz dieser Bestimmungen geniesst eine sog. Babysitterin, die gegen Entgelt täglich während einer gewissen Zeit die Kinder des Täters beaufsichtigt, zu diesem in einem besonderen Vertrauensverhältnis steht, von ihm Weisungen anzunehmen und zu befolgen hat und in dessen Wohnung jederzeit ein- oder ausgehen kann. | Sachverhalt
ab Seite 156
BGE 99 IV 156 S. 156
A.-
In der Zeit zwischen Ende Juni 1971 und Ende Januar 1972 war H. Z., geb. 4. Februar 1957, in der Familie des X. als sog. "Gaumermeitschi" im Wochenplatz tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, die drei Kinder dieser Familie jeweils täglich ab 16.30 Uhr während der arbeitsbedingten Abwesenheit der Frau X. in deren Wohnung zu beaufsichtigen und sie bei der Erledigung der Schulaufgaben zu überwachen. Darüber hinaus verbrachte H. Z. oft ihre schulfreien Nachmittage mit dem Hüten der Kinder. X. kehrte üblicherweise um 17.45 Uhr nach Hause. Von diesem Zeitpunkt an durfte H. Z. zu ihren eigenen Eltern zurückkehren. Sie hielt sich jedoch öfters noch eine Weile in der Wohnung X. auf. Für das Kinderhüten erhielt sie von Frau X. alle zwei Wochen Fr. 20.- ausbezahlt. Bisweilen wurde sie von X. zu verschiedenen Handreichungen angehalten.
Während der Dauer dieses Wochenplatzverhältnisses kam es zwischen X. und H. Z. zweimal - im Oktober 1971 und im Januar 1972 - zum Geschlechtsverkehr und zu einer unbestimmten
BGE 99 IV 156 S. 157
Zahl anderer unzüchtiger Handlungen (Zungenküsse).
Nach der Auflösung des Wochenplatzverhältnisses Ende Januar 1972 verkehrte X. noch weitere fünfmal geschlechtlich mit ihr.
B.-
Die Kriminalkammer des Kantons Bern sprach X. schuldig der wiederholten qualifizierten Unzucht mit Kindern gemäss Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 5 StGB sowie der wiederholten einfachen Unzucht mit Kindern gemäss
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
und verurteilte ihn zu 30 Monaten Zuchthaus.
C.-
Gegen diesen Entscheid führen sowohl die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland als auch der Verurteilte eidg. Nichtigkeitsbeschwerde und beantragen Schuldigsprechung wegen wiederholter einfacher Unzucht gemäss Art. 191 Ziff. 1 und 2 je Abs. 1 StGB und entsprechend mildere Bestrafung.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die beiden Beschwerdeführer machen geltend, die Kriminalkammer habe Bundesrecht dadurch verletzt, dass sie die Beziehungen zwischen H. Z. und X. als Dienstbotenverhältnis gewertet habe. In Wirklichkeit sei das Kind bei Familie X. aber bloss als "Babysitterin" tätig gewesen; einer solchen komme nicht die Stellung eines Dienstboten im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 bzw. Ziff. 2 Abs. 5 StGB zu.
2.
a)
Art. 191 StGB
unterstellt die Unzucht mit einem Kind dann einer qualifizierten Bestrafung, wenn zwischen Täter und Opfer ein besonders nahes Verhältnis besteht, welches dem Täter eine besondere Autorität über das Kind verschafft und dieses in eine besondere Abhängigkeit zum Täter bringt. Dies trifft nach dem Gesetz dann zu, wenn das Opfer der Schüler, Zögling, Lehrling, Dienstbote oder das Kind, Grosskind, Adoptivkind, Stiefkind, Mündel oder Pflegekind des Täters ist. Ein solches Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis zu einem Kinde durch Unzuchtshandlungen zu missbrauchen, erscheint dem Gesetzgeber als besonders verwerflich und hat ihn daher veranlasst, derartige Fälle besonders streng zu ahnden.
Ist nach der Rechtsprechung der Kreis der Opfer, welche dieses qualifizierten Schutzes teilhaftig werden sollen, schon wegen des hohen Strafminimums einerseits nicht durch extensive Auslegung von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 bzw. Ziff. 2 Abs. 5 StGB auszudehnen (
BGE 71 IV 192
Erw. 4), so besteht doch
BGE 99 IV 156 S. 158
anderseits kein Grund, die in dieser Bestimmung erwähnten besonderen Verhältnisse bloss deshalb restriktiv auszulegen, weil die im Gesetz festgelegte Mindeststrafe dem Richter allgemein oder im konkreten Einzelfall aus bestimmten Gründen als zu hart erscheint. Deshalb muss auch bei neuen, im Laufe der Zeit entstandenen sozialen Verhältnissen zwischen Täter und Opfer, wie z.B. demjenigen der "Babysitterin" zur Dienstherrschaft, der qualifizierte Schutz des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 bzw. Ziff. 2 Abs. 5 StGB Platz greifen, sofern diese ihrem Wesen nach einem der in der genannten Bestimmung aufgezählten Erschwerungsgründe entsprechen.
b) Ein Dienstbotenverhältnis im Sinne der genannten Bestimmung liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn sich einerseits das Kind vertraglich zur Leistung von Diensten auf Zeit und gegen Entgelt verpflichtet hat und anderseits durch dieses Dienstverhältnis auf seiten des Täters eine besondere Autorität und auf seiten des Kindes eine besondere Abhängigkeit begründet wurde (
BGE 78 IV 158
Erw. 1, 160). Endlich wird als wesentlich erklärt, dass das Kind wegen der ihm obliegenden Verrichtungen im Haushalt des Dienstherrn ähnlich einem zur Familie gehörenden Kinde ein- und ausgehen kann und zum Täter eine enge persönliche Beziehung hat (
BGE 80 IV 65
). Als entscheidend erachtet der Kassationshof ferner, dass das Kind als Dienstpflichtiger vom Dienstherrn - solange es in dessen Dienst steht - Weisungen anzunehmen und zu befolgen hat (
BGE 80 IV 66
Erw. 2).
Belanglos für die Qualifikation eines Kindes als Dienstbote ist, ob dieses zur Zeit der Tat nur die Kinder betreute oder auch schon weitergehende Arbeiten verrichtete (
BGE 78 IV 160
), ferner ob der Dienstvertrag von der Ehefrau als Partei abgeschlossen wurde; denn dem Kinde kommt die Stellung als Dienstbote nicht bloss gegenüber dem Vertragsgegner, sondern gegenüber jedem zu, dem es auf Grund des Dienstbotenverhältnisses unterstellt ist (
BGE 78 IV 160
unten).
c) Legt man diese Kriterien dem vorliegenden Fall zugrunde, so hat H. Z. in der Zeit von Juni 1971 bis Ende Januar 1972 als "Gaumermeitschi" im Haushalt der Familie X. Dienstbotenarbeit verrichtet. Sie hat nach den Feststellungen der Vorinstanz während Monaten regelmässig nach der Schule die drei Kinder dieser Familie gehütet und bei der Erledigung ihrer Schulaufgaben beaufsichtigt. Zur Entlastung der Ehefrau X.
BGE 99 IV 156 S. 159
tat sie dies darüber hinaus aber zudem auch noch oft an ihren schulfreien Nachmittagen. Für diese nicht unwesentliche Verrichtung im Haushalt X. bezog sie einen Lohn. Durch den sozusagen täglichen und intensiven Kontakt mit den Kindern kam sie zwangsläufig auch in engen Kontakt mit den beiden Eltern. Die Enge dieser Beziehungen geht u.a. auch daraus hervor, dass H. Z. dem Angeschuldigten zum Geburtstag Zigaretten schenkte und dafür auf ausdrückliches Geheiss von Frau X. von diesem geküsst wurde. Die Vorinstanz stellt aber auch im übrigen verbindlich fest, dass die Eheleute X. H. Z. ihr volles Vertrauen schenkten und diese sich an ihrem Wochenplatz wie zuhause fühlen konnte; zum Zeitvertreib habe das Kind während des Kinderhütens denn auch fernsehen dürfen. Der Umstand, dass während des eigentlichen Kinderhütens weder Frau X. noch der Beschwerdeführer anwesend waren, ändert an der Enge der Beziehungen zwischen diesem und dem Kinde nichts, da solches in der Natur des Kinderhütens an Elternstatt liegt. Der dem "Gaumermeitschi" zugebilligte regelmässige, aber unkontrollierte Aufenthalt in der Wohnung der Familie X., das Anvertrauen der drei Kinder und der Auftrag zur Kontrolle der Schulaufgaben verraten das Bestehen eines gegenseitigen besondern Vertrauensverhältnisses zwischen beiden Eltern X. und H. Z., auch wenn der persönliche Kontakt sich vor allem auf Anfang und Ende der Beaufsichtigungszeit beschränkt hat.
Da H. Z. den Kindern überdies das Abendessen zubereitete, empfing sie von Frau X. Weisungen für diese Tätigkeit. Es steht fest, dass sie solche aber auch vom Angeschuldigten erhalten hat. Denn das Obergericht führt aus, X. habe bisweilen von H. Z. Handreichungen verlangt, indem er sie beispielsweise hiess, für ihn Bier zu holen. Nach dieser tatsächlichen und für den Kassationshof verbindlichen Feststellung (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
) stand somit auch dem Angeschuldigten sogut wie seiner Ehefrau ein Weisungsrecht gegenüber dem "Gaumermeitschi" zu.
H. Z. anderseits konnte in der Wohnung ihrer Dienstherren jederzeit ein- oder ausgehen, sei es mit den zu hütenden Kindern, sei es allein, etwa zur Einnahme des Abendessens.
3.
Unbehelflich ist der Einwand, die sexuellen Verfehlungen des Angeschuldigten hätten jeweils nach dessen Heimkehr von der Arbeit stattgefunden, also nachdem das Kinderhüten
BGE 99 IV 156 S. 160
bereits beendigt war; in jenem Zeitpunkt sei aber H. Z. nicht mehr der Dienstbote der Familie X. gewesen. Mit Recht führt schon die Vorinstanz aus, dass das besondere Autoritäts- bzw. Abhängigkeitsverhältnis, aber auch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen H. Z. und den Eltern X. mit der jeweiligen Heimkehr des Beschwerdeführers nicht aufgelöst wurde. Tatsächlich wirkte die besondere Beziehung der Autorität bzw. Abhängigkeit wie auch diejenige des Vertrauens über die Zeit der Verrichtung der von H. Z. übernommenen Dienste im Haushalt X. hinaus weiter. Mit andern Worten: Der Beschwerdeführer blieb auch nach seiner Heimkehr von der Arbeit für das Kind der Dienstherr, von dem dieses Weisungen zu empfangen und zu befolgen hatte. Das durch den persönlichen Kontakt zwischen H. Z. und dem Beschwerdeführer geschaffene Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis mit Versuchungssituation bestand fort, ebenso die erhöhte Schutzbedürftigkeit der minderjährigen Dienstbotin gegen sexuellen Missbrauch durch den Dienstherrn. Wäre die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach das Dienstverhältnis mit der zeitlichen Unterbrechung der Verrichtung des Dienstboten dahinfallen würde, richtig, so hätte das zur Folge, dass eine noch im kindlichen Alter stehende Dienstbotin, die beispielsweise während ihrer Zimmerstunde vom Dienstherrn sexuell missbraucht wird, des qualifizierten strafrechtlichen Schutzes von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 bzw. Ziff. 2 Abs. 5 StGB verlustig ginge, während ihr dieser Schutz unmittelbar nach Beendigung der Zimmerstunde wieder zuteil würde. Ein solches Ergebnis kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein.
War nach dem Gesagten H. Z. während des ganzen von Juni 1971 bis Ende Februar 1972 dauernden Wochenplatzverhältnisses bei Familie X. Dienstbotin im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 5 StGB, dann hat die Vorinstanz den Beschwerdeführer aber mit Recht nach diesen Bestimmungen verurteilt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerden des X. und der Staatsanwaltschaft werden abgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cee86938-fdb9-43ff-937a-b440a26a3fbe | Urteilskopf
102 II 401
59. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1976 i.S. Boejti gegen Metro Bank AG | Regeste
Art. 20 OR
. Vertrag mit widerrechtlichem Inhalt.
1. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung vom 10. Januar 1973 über die Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte. Zweck des Verbotes, vor der vollen Rückzahlung eines älteren Darlehens ein neues zu gewähren (Erw. 1).
2. Ein diesem Verbot widersprechender Darlehensvertrag ist nach dem Sinn und Zweck der Norm als nichtig zu betrachten. Auslegung des Verbotes nach den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte ähnlicher Normen (Erw. 2 und 3).
3.
Art. 66 OR
. Umstände, die eine Rückforderung der Darlehenssumme nicht zulassen (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 4 und 5). | Sachverhalt
ab Seite 402
BGE 102 II 401 S. 402
Die Metro Bank AG gewährte Laszlo Boejti am 7. November 1973 Fr. 3'000.--, am 4. April 1974 Fr. 10'000.-- und am 19. April 1974 Fr. 15'000.-- als Darlehen, die er in monatlichen Raten zurückzahlen sollte, das erste in zehn Raten zu Fr. 324.50, das zweite in 24 Raten zu Fr. 494.75 und das dritte in 24 Raten zu Fr. 742.15. Die Kreditbelastung, bestehend aus Zins, Gebühren, Verwaltungskosten und Risikoprämie, betrug jeweils 18%. Falls Boejti den Termin für eine Rate versäumte, sollte das ganze Restdarlehen fällig und ein Verzugszins von 12% bezahlt werden.
Als die ab 1. Juni 1974 vereinbarten Rückzahlungen ausblieben, betrieb die Bank den Schuldner für die Fr. 15'000.-- aus dem dritten Darlehen nebst Zins und Spesen. Boejti erhob Rechtsvorschlag.
Am 29. April 1975 erwirkte die Bank die provisorische Rechtsöffnung für Fr. 15'000.-- nebst 18% Darlehenszins vom 19. April bis 21. August 1974, 12% Verzugszins auf Fr. 15'000.-- ab 22. August 1974 und 12% Verzugszins auf dem Darlehenszins ab 22. August 1974; dazu kamen die Kosten des Zahlungsbefehls und der Rechtsöffnung, während Fr. 800.-- als Zahlung vom 21. November 1974 abzuziehen waren.
Im Juni 1975 klagte Boejti gegen die Metro Bank AG auf Aberkennung dieser Forderungen. Er machte insbesondere geltend, die Bank habe bei der Gewährung der Darlehen Vorschriften der Verordnung vom 10. Januar 1973 über Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte missachtet, was die Beklagte bestritt.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 4. Juni 1976 auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage ab und erklärten die Rechtsöffnung als definitiv.
Der Kläger hat Berufung eingelegt. Er beantragt, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell seien die in Betreibung gesetzten Darlehenszinse von 18% und die Verzugszinse von mehr als 5% abzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Als die Beklagte dem Kläger das streitige Darlehen von Fr. 15'000.-- gewährte, war die Verordnung vom 10. Januar 1973
BGE 102 II 401 S. 403
über Kleinkredit- und Abzahlungsgeschäfte (VKA) mit den Änderungen vom 16. Januar 1974 (AS 1973 S. 88, 1974 S. 235) noch in Kraft. Sie stützte sich auf Art. 6 des Bundesbeschlusses vom 20. Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens (KB), wonach der Bundesrat insbesondere den Abschluss von Kleinkreditgeschäften erschweren konnte (AS 1972 S. 3068). Zu diesem Zwecke bestimmte der Bundesrat in der Verordnung, dass die Höchstdauer für die Rückzahlung eines Kleinkredites 24 Monate betrage (Art. 2 Abs. 1), ein neuer Kredit weder versprochen noch ausbezahlt werden dürfe, solange ein früher gewährter nicht vollständig zurückbezahlt ist (Art. 3 Abs. 1), und dass die Kreditkosten im Vertrag in Franken und Prozenten anzugeben seien (Art. 4). Bei Widerhandlungen hatte die Bank Verwaltungsmassnahmen und der Täter Haft oder Busse bis zu 100'000 Franken zu gewärtigen (Art. 9 und 10 KB).
Der Kreditbeschluss ist am 19. Dezember 1975 erneuert (AS 1975 S. 2568) und in der Abstimmung vom 5. Dezember 1976 von Volk und Ständen angenommen worden. Die VKA ist dagegen am 1. Mai 1975 teilweise und auf den 1. Januar 1976 ganz aufgehoben worden. Vorher begangene Widerhandlungen gegen die Verordnung bleiben jedoch strafbar und sind nach den zur Zeit ihrer Begehung geltenden Vorschriften zu ahnden (AS 1975 S. 838 und 2420).
2.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe die VKA insbesondere dadurch verletzt, dass sie ihm vor der vollen Rückzahlung des älteren Darlehens ein neues gewährt und dabei die Restforderung verrechnet habe. Die Beklagte behauptet dagegen, der Kläger habe jeweils vor Erhalt des neuen Darlehens den Restbetrag aus dem älteren zurückbezahlt. Ihre Buchungsbelege stimmen damit überein. Danach hat der Kläger z.B. das Darlehen vom 4. April 1974 am 19. April mit Fr. 10'075.-- zurückbezahlt und am gleichen Tage ein neues von Fr. 15'000.-- in Empfang genommen.
a) Das Obergericht lässt ausdrücklich offen, welche der beiden Darstellungen zutrifft, da so oder anders eine allfällige Verletzung der VKA den Darlehensvertrag über Fr. 15'000.-- nicht im Sinne von
Art. 20 Abs. 1 OR
nichtig gemacht habe. Nach der Auffassung der Vorinstanz dürfte die Beklagte den Betrag selbst dann zurückfordern, wenn Nichtigkeit des Vertrages wegen Widerrechtlichkeit oder Sittenwidrigkeit anzunehmen
BGE 102 II 401 S. 404
wäre, weil
Art. 66 OR
im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.
Damit unterstellt das Obergericht, dass das Vorgehen der Beklagten nach der Sachdarstellung des Klägers widerrechtlich gewesen wäre. Das lässt sich im Ernst denn auch nicht bestreiten. Die Beklagte verletzte
Art. 3 Abs. 1 VKA
, wenn sie ein neues Darlehen mit der Restforderung aus einem früheren verrechnete, und zwar selbst dann, wenn dabei formell eine Rückzahlung mit der Auszahlung verbunden wurde. Zulässig wäre bloss ein Kredit zur Überbrückung einer unvorhersehbaren Notlage gewesen (
Art. 3 Abs. 1 VKA
). Dass ein solcher hier vorliege, wird von der Beklagten indes nicht behauptet und ist angesichts der angeblichen Rückzahlung in bar auch nicht anzunehmen.
b) Nichtig im Sinne von
Art. 20 Abs. 1 OR
ist ein Vertrag jedoch nur, wenn sein Inhalt widerrechtlich ist. Es genügt nicht, dass nur die subjektive Beteiligung eines Vertragspartners verboten ist (
BGE 62 II 111
,
BGE 80 II 48
). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Art. 3 Abs. 1 VKA
untersagte schlechthin, neue Kleindarlehen zu gewähren, bevor ältere zurückbezahlt waren. Das Verbot betraf somit nicht bloss die Beteiligung einer Partei, sondern den Vertrag als solchen, auch wenn es nach seinem Wortlaut bloss gegen den Darlehensgeber gerichtet war (vgl.
BGE 80 II 330
; OFTINGER, ZSR 57 S. 552a).
Die Widerrechtlichkeit macht zudem einen Vertrag nur dann nichtig, wenn diese Rechtsfolge vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen wird oder sich aus dem Sinn und Zweck der verletzten Norm ergibt (statt vieler:
BGE 34 II 686
,
BGE 45 II 551
,
BGE 60 II 315
,
BGE 80 II 47
und 329,
BGE 95 II 538
,
BGE 96 II 20
; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 22 zu Art. 20; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 189). Das erstere ist weder dem Kreditbeschluss noch der VKA zu entnehmen, und das letztere wird vom Obergericht vor allem gestützt auf Gesetzesmaterialien verneint.
3.
Die Vorinstanz versucht den Sinn und Zweck der VKA nach dem mutmasslichen Willen des Gesetzgebers zu ermitteln. Sie schliesst aus der Botschaft des Bundesrates zu fünf dringlichen Bundesbeschlüssen über zusätzliche Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur sowie aus ähnlichen Erlassen, dass der Gesetzgeber sich über die Folgen
BGE 102 II 401 S. 405
widerrechtlicher Darlehensverträge durchaus Gedanken gemacht, sich aber bewusst mit Strafen begnügt habe.
a) Rechtsnormen sind in erster Linie aus sich selbst, d.h. nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck sowie nach den ihnen zugrunde liegenden Wertungen auszulegen. Lassen diese Auslegungsmethoden Zweifel offen oder vermag ihr Ergebnis sachlich nicht zu befriedigen, so können auch die Gesetzesmaterialien beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Richter damit weiterhelfen (
BGE 100 II 57
und 232 mit Zitaten). Von einer solchen Antwort kann hier aber nicht die Rede sein. Die vom Obergericht angeführte Botschaft zu Beschlussesentwürfen über zusätzliche Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur vom 4. Dezember 1972 (BBl 1972 II 1541 ff.) äussert sich weder über die zivilrechtlichen Auswirkungen von Verstössen, noch lässt sie erkennen, dass oder gar in welchem Sinne man dieser Frage bei den Vorarbeiten Beachtung geschenkt habe. Auch der Hinweis auf die Möglichkeit, Preiserhöhungen zeitweise zu verweigern (S. 1572), besagt nichts über die zivilrechtliche Gültigkeit oder Nichtigkeit widerrechtlicher Erhöhungen. Dass mit den Strafandrohungen zivilrechtliche Rechtsfolgen ausgeschlossen werden sollten, ist dieser Botschaft so wenig zu entnehmen wie derjenigen über den Schutz der Währung vom 8. September 1971 (BBl 1971 II 837 ff.), auf die in der ersten verwiesen wird (S. 1561).
Richtig ist dagegen, dass andere Wirtschaftsrechtliche Erlasse des Bundes ausdrücklich die zivilrechtliche Nichtigkeit verbotener Rechtsgeschäfte vorsehen. Das ist z.B. der Fall nach Art. 11 des Bundesbeschlusses vom 23. März 1961 über die Bewilligungspflicht für den Erwerb von Grundstücken durch Ausländer (BewB, Fassung vom 21. März 1973 Art. 20; AS 1961 S. 206, 1974 S. 89), nach Art. 23 des Bundesbeschlusses vom 30. Juni 1972 über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen (BMM, AS 1972 S. 1507) sowie nach Art. 4 des Bundesratsbeschlusses vom 26. Juni 1972 betreffend das Verbot der Anlage ausländischer Gelder in inländischen Grundstücken (AS 1972 S. 1063). In der Botschaft des Bundesrates wurde dazu jedoch bemerkt, die Nichtigkeit ergebe sich aus
Art. 20 OR
(BBl 1960 II 1285 zu
Art. 11 BewB
) oder die Vorschrift solle klare Verhältnisse schaffen (BBl 1972 I 1244 zu
Art. 23 BMM
).
BGE 102 II 401 S. 406
b) Daraus darf entgegen der Auffassung des Obergerichtes aber nicht gefolgert werden, die Verletzung eines Gebotes oder Verbotes führe nur dann zur Nichtigkeit des Vertrages, wenn sich diese Folge aus dem Erlass selber ergebe. Im Entscheid 93 II 106 hat das Bundesgericht vielmehr die Nichtigkeit eines Pachtvertrages wegen Verstosses gegen die Pachtzinskontrolle bejaht, obschon das Bundesgesetz vom 21. Dezember 1960 über die Kontrolle landwirtschaftlicher Pachtzinse diese Folge im Gegensatz zur vorausgehenden Verordnung vom 28. Dezember 1956 (Art. 7 Abs. 2; AS 1956 S. 1646) nicht vorsah; in der Botschaft zum Gesetz wurde das u.a. mit dem Hinweis auf
Art. 19 und 20 OR
begründet (BBl 1960 II 506). Ebenso hat das Bundesgericht im Entscheid 82 II 132 Erw. 3 Verträge, die gegen den Bundesratsbeschluss vom 28. März 1949 über das Kriegsmaterial verstiessen, als nichtig erklärt, obwohl der Beschluss sich mit Strafandrohungen und Verwaltungsmassnahmen begnügt hat. Es kann deshalb auch hier nicht entscheidend sein, dass der Kreditbeschluss und die VKA sich darüber ausschweigen, wie es sich mit der zivilrechtlichen Gültigkeit verbotener Rechtsgeschäfte verhält.
Sinn und Zweck einer Verbotsnorm ergeben sich aus der Bedeutung des zu bekämpfenden Erfolges (
BGE 81 II 619
,
BGE 82 II 132
Erw. 3,
BGE 95 II 538
,
BGE 96 II 20
); die Folge der Nichtigkeit muss dem Zweck der Norm angemessen sein (vgl. OFTINGER, ZSR 57 S. 549a, VON BÜREN, OR Allg. Teil S. 113). Das Bundesgericht hielt diese Folge für verbotene Geschäfte mit Kriegsmaterial für gerechtfertigt, weil es widersinnig wäre, solchen Verträgen den Rechtsschutz des Landes zu gewähren, dessen lebenswichtige Interessen sie gefährden (
BGE 82 II 132
Erw. 3). Das muss namentlich in Ausnahmezeiten auch für andere öffentliche Interessen gelten. Dass man mit den Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur vor allem allgemeine Interessen volkswirtschaftlicher Art schützen wollte, erhellt aus der Botschaft, in der der Bundesrat abschliessend ausführte, die Teuerung erfordere einschneidende Massnahmen, ansonst die Zukunft unserer Wirtschaft sowie unsere sozialen und staatspolitischen Einrichtungen gefährdet würden (BBl 1972 II 1574).
c) Zum gleichen Ergebnis wie diese allgemeinen Interessen führt die sinngemässe Auslegung des vorliegenden Erlasses.
BGE 102 II 401 S. 407
Für die Nichtigkeit spricht insbesondere, dass
Art. 3 VKA
die Gewährung von Kleinkrediten grundsätzlich verbot (Abs. 1); daran ändert nichts, dass der Kreditgeber sich auf die schriftliche Bestätigung des Darlehensnehmers verlassen durfte (Abs. 2), soweit es sich nicht um eigene frühere Kredite handelte. Es war nicht etwa ein Bewilligungsverfahren vorgesehen; die Möglichkeit eines solchen spräche eher gegen die Folge der Nichtigkeit (vgl. OFTINGER, ZSR 57 S. 549a; LEHNER, SJZ 52 S. 234). Das wird vom Obergericht übersehen, wenn es die Bundesbeschlüsse über Missbräuche im Mietwesen und über Grundstückverkäufe an Ausländer heranzieht; denn diese Beschlüsse kennen die Bewilligung. Richtig ist dagegen, dass
Art. 3 Abs. 1 VKA
den Fall einer unvorhersehbaren Notlage ausdrücklich vorbehielt, also sogar ohne Bewilligung rechtmässig machte, wie die Beklagte einwendet.
Eine ausdrückliche zivilrechtliche Regel war in
Art. 2 Abs. 2 VKA
enthalten, der bestimmte, dass der Anspruch auf den bei Ablauf der Höchstdauer von 24 Monaten noch ausstehenden Betrag erlosch, wenn der Darlehensnehmer nicht innert 30 Tagen betrieben wurde. Auch daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, für Verstösse gegen Art. 3 Abs. 1 sei eine zivilrechtliche Folge bewusst ausgeschlossen worden. In Art. 2 bedurfte es einer besonderen Vorschrift, weil es sich nicht aus
Art. 20 OR
ergäbe, dass ein vorerst gültig auf 24 Monate abgeschlossener Vertrag durch blosse Säumnis des Darlehensnehmers nachträglich teilweise ungültig werden könnte. Dass man für solche Fälle, die unter dem Gesichtspunkt der Konjunkturdämpfung kaum ins Gewicht fallen, die zivilrechtliche Verwirkung vorsah, spricht ebenfalls deutlich gegen die Annahme, dass Verträge trotz schwerwiegender Verstösse gegen Art. 3 Abs. 1 gültig sein sollten.
Welche Bedeutung der Gesetzgeber einem Verstoss gegen die Vorschrift beimessen wollte, die Kreditkosten im Vertrag anzugeben (Art. 4), ist der Verordnung nicht zu entnehmen und kann offen bleiben. Dagegen ist auf
Art. 4a VKA
hinzuweisen, womit auch für Kleinkreditinstitute eine Beschränkung des jährlichen Kreditzuwachses eingeführt wurde. Hier begnügte der Gesetzgeber sich mit Verwaltungszwang gemäss Art. 9 KB. Ein Verstoss gegen die Beschränkung könnte nach dem Sinn und Zweck der Norm nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führen, denn es wäre unhaltbar, dessen Gültigkeit
BGE 102 II 401 S. 408
davon abhängig zu machen, ob der Kreditgeber zur Zeit des Vertragsabschlusses die jährliche Zuwachsrate bereits überschritten habe.
d) Wollte man mit
Art. 3 Abs. 1 VKA
aus konjunkturpolitischen Gründen ein neues Darlehen verbieten, bevor ein älteres zurückbezahlt war, so muss nach dem Sinn und Zweck der Norm die Nichtigkeit des Vertrages bejaht werden, wenn eine Bank sich über das Verbot hinwegsetzte. Dass die Verletzung mit Haft oder Busse bis Fr. 100'000.-- bestraft werden kann, steht dem nicht entgegen. Es wäre gegenteils nicht zu verstehen, wenn man Verträge, deren Abschluss bei Strafe verboten ist, zivilrechtlich dennoch dulden und gerichtlich schützen würde (vgl. OFTINGER, ZSR 57 S. 550a). Die Nichtigkeit des Vertrages ist in einem solchen Falle nicht bloss sachlich gerechtfertigt, sondern auch das geeignete Mittel, Verstössen vorzubeugen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Rechtsprechung (
BGE 96 II 20
mit Zitaten) zudem nicht dahin zu verstehen, dass Nichtigkeit bei widerrechtlichen Verträgen nur dann anzunehmen sei, wenn der Wortlaut der Norm oder der zu bekämpfende Erfolg sie geradezu verlangen, mögen einzelne Entscheide (z.B.
BGE 95 II 538
) auch diese Meinung aufkommen lassen. Dass Sinn und Zweck einer Norm neben oder gar gegen ihren Wortlaut zu beachten sind, ist ein allgemein anerkannter Rechtssatz (
BGE 88 II 482
/3,
BGE 93 II 398
,
BGE 97 II 237
,
BGE 100 II 189
/90). Nichtigkeit ist daher zu verneinen, wo sie dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderliefe, was aber nicht heisst, diese Folge müsse sich nach dem Grundgedanken der Norm aufdrängen, um sie bejahen zu können; diesfalls wäre
Art. 20 OR
, wie der Kläger mit Recht einwendet, für widerrechtliche Verträge bedeutungslos.
Man braucht keineswegs so weit zu gehen wie OFTINGER in ZSR 57 S. 550a, der jeden widerrechtlichen Vertrag für nichtig hält. Es ist unerlässlich, aber auch ausreichend,
Art. 20 Abs. 1 OR
immer anzuwenden, wenn Sinn und Zweck der verletzten Norm keine andere Rechtsfolge nahelegen; die allgemeine Bestimmung enthält dann eine Vermutung für die Nichtigkeit (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 22 und 24 zu
Art. 20 OR
; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 67; VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 237). Gleich verhält es sich nach dem deutschen Recht. § 134 BGB bestimmt, dass ein Rechtsgeschäft,
BGE 102 II 401 S. 409
das gegen ein gesetzliches Verbot verstösst, nichtig ist, wenn sich nicht aus dem Gesetz anderes ergibt. Auf diese Bestimmung hat das Bundesgericht sich im Entscheid 41 II 485 denn auch ausdrücklich berufen. Wird
Art. 20 Abs. 1 OR
so verstanden, so wäre im vorliegenden Fall auch dann auf Nichtigkeit zu schliessen, wenn diese Wirkung sich nicht schon aus dem Sinn und Zweck der VKA ergäbe.
4.
Hat die Beklagte dem Kläger, wie dieser behauptet, einen neuen Kredit gewährt, bevor ein älterer zurückbezahlt worden ist, so muss der Vertrag über das Darlehen von Fr. 15'000.-- nicht bloss als widerrechtlich, sondern nach dem Gesagten als nichtig bezeichnet werden. Diesfalls ergibt sich für die Beklagte gemäss
Art. 62 Abs. 2 OR
ein Bereicherungsanspruch, der nach der Auffassung des Obergerichtes auf jeden Fall zu bejahen und zuzusprechen ist, weil
Art. 66 OR
hier nicht anwendbar sei.
a) Nach
Art. 66 OR
kann trotz ungerechtfertigter Bereicherung nicht zurückgefordert werden, was in der Absicht gegeben worden ist, einen rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolg herbeizuführen. Das Obergericht legt diese Bestimmung einschränkend aus. Sie gilt nach seiner Ansicht nur für Leistungen, die zur Belohnung einer zugesagten oder in Aussicht gestellten verbotenen oder unsittlichen Handlung gemacht werden, d.h. für den sog. Gaunerlohn, nicht aber für Zuwendungen, die nach Vertrag an den Leistenden zurückzugeben sind. Das Obergericht kann sich dafür insbesondere auf VON TUHR/SIEGWART (OR I S. 413) und VON BÜREN (OR Allg. Teil S. 302 und SJZ 58 S. 226) berufen.
Es nimmt jedoch zu Unrecht an, das Bundesgericht lege
Art. 66 OR
ebenfalls einschränkend aus. Eine solche Auslegung wurde vielmehr schon unter der Herrschaft von Art. 75 aOR (=
Art. 66 OR
) als unbefriedigend verworfen (
BGE 37 II 67
). In
BGE 53 II 41
wurde sie beiläufig übernommen, dann aber erneut mit der Begründung abgelehnt, ausgeschlossen von der Rückforderung sei nicht nur der sog. Gaunerlohn, sondern jede zur Herbeiführung des rechtswidrigen oder unsittlichen Erfolges gemachte Leistung (
BGE 66 II 258
,
BGE 74 II 27
). An dieser Rechtsprechung wurde seitdem trotz der Kritik GUHLS in ZBJV 86 S. 99 und 88 S. 365 festgehalten (
BGE 82 II 75
,
BGE 84 II 183
,
BGE 95 II 41
). Daran änderten auch Entscheide nichts, nach denen
Art. 66 OR
entfiel, weil
BGE 102 II 401 S. 410
ein nachträgliches gültiges Zahlungsversprechen vorlag (
BGE 75 II 297
) oder die Leistung durch Drohung erwirkt wurde (
BGE 76 II 370
). Ebensowenig kann die Vorinstanz aus
BGE 79 II 204
und
BGE 99 Ia 418
etwas für eine einschränkende Auslegung ableiten. Im ersten Entscheid war die Sondervorschrift von Art. 42 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 19. Januar 1940 über Massnahmen gegen die Bodenspekulation (BS 9 S. 165) zu beachten, und im zweiten entfiel
Art. 66 OR
schon mangels ungerechtfertigter Bereicherung. Von anderen Autoren ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu
Art. 66 OR
gebilligt worden, wenn auch häufig unter Kritik an der gesetzlichen Regelung (vgl. insbes. NIEDERLÄNDER, Festschrift für Max Gutzwiller S. 635; MERZ/KUMMER, SJK Karte 1040; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 205; MERZ, ZBJV 107 S. 122; ENGEL, a.a.O. S. 401; SECRETAN, Journées juridiques et économiques franco-suisses 1951 S. 47; RUSCH, SJZ 47 S. 369).
b) Die Vorinstanz beruft sich auf
BGE 74 II 29
/30, wo eingeräumt worden ist, dass auch bei beidseitiger widerrechtlicher oder unsittlicher Absicht besondere Umstände vorliegen können, welche die Verweigerung des Rückforderungsanspruches als unerträglich und missbräuchlich erscheinen lassen. Sie stützt sich ferner auf GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 205), die den Ausschluss der Rückforderung dann mit Treu und Glauben nicht vereinbar halten, wenn der Empfänger der Leistung ebenfalls unredlich gehandelt hat. In diesem Sinne wirft das Obergericht dem "sicher nicht geschäftsungewandten" Kläger vor, dass er mit der Unterzeichnung des Darlehensvertrages vom 19. April 1974 bestätigt habe, keine anderen Verpflichtungen gegenüber Kleinkreditinstituten zu haben; das sei bewusst falsch gewesen, wenn die Beklagte frühere Kredite, wie er behaupte, durch blosse Verrechnung getilgt habe. Nach seinen eigenen Angaben habe er somit an der Widerhandlung gegen die VKA teilgenommen und vom Darlehen profitiert.
Letzteres ist nicht zu bestreiten, jedoch unerheblich, weil das zur ungerechtfertigten Bereicherung gehört, die von
Art. 66 OR
ja stets vorausgesetzt wird. Zu Recht wendet der Kläger sich auch gegen den Vorwurf unredlichen Handelns. Gewiss bezog seine Unterschrift sich auf die vorgedruckte Klausel, dass er im Zeitpunkt der Kreditgewährung angeblich keine anderen Verpflichtungen gegenüber Kreditinstituten
BGE 102 II 401 S. 411
hatte. Ob der Kläger die früheren Kredite der Beklagten davon ausnehmen durfte, kann offen bleiben. Die Beklagte konnte die Klausel jedenfalls nicht in guten Treuen auf Kredite beziehen, die sie selbst gewährt hatte und deren Betrag, soweit er noch ausstand, nach der Behauptung des Klägers mit dem neuen Darlehen verrechnet wurde.
Abgesehen davon verbot
Art. 3 Abs. 1 VKA
aus guten Gründen nur das Versprechen und Auszahlen von Darlehen, nicht deren Entgegennahme. Der Kläger wäre als sog. notwendiger Teilnehmer nur strafbar, "wenn das Gesetz auch ihn zum Täter" gestempelt hätte (
BGE 80 IV 32
Erw. 2). Das traf nicht zu. Auch dies lässt sein Verhalten im vornherein als weniger tadelnswert erscheinen. Zudem ist zu bedenken, dass
Art. 66 OR
den Ausschluss der Rückforderung allein von der Absicht des Leistenden, nicht von jener des Empfängers abhängig macht (
BGE 74 II 27
,
BGE 95 II 41
; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 zu
Art. 66 OR
; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 205). Dass auf Seiten der Beklagten diese Absicht aber bestanden hat, wenn der Vertrag so abgeschlossen worden ist, wie der Kläger behauptet, lässt sich im Ernst nicht bestreiten.
c) Das Obergericht meint freilich, es verstiesse gegen Treu und Glauben, wenn der Kläger den streitigen Darlehensbetrag behalten könnte. Auch das Bundesgericht behält bei seiner strengen Anwendung des
Art. 66 OR
Fälle vor, in denen der Ausschluss der Rückforderung, namentlich wegen des eigenen unredlichen Verhaltens des Empfängers, missbräuchlich wäre (
BGE 74 II 29
,
BGE 76 II 370
; ebenso GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 205; MERZ, N. 568-572 zu
Art. 2 ZGB
und ZBJV 107 S. 122). Hier sind indes keine Umstände ersichtlich, die den Kläger mehr als die Beklagte oder auch nur gleich stark belasten würden, ganz abgesehen davon, dass die Beklagte die finanziellen Schwierigkeiten ihrer Kunden ausgenützt hat. Die Tatsache allein, dass der Kläger eine Leistung behalten kann, die er abredegemäss zurückerstatten müsste, begründet keinen Rechtsmissbrauch. Das ist vielmehr der Wille des Gesetzes, das pönalen Charakter hat und keine Klage auf Rückforderung des Geleisteten zulässt, weil die Forderung des staatlichen Schutzes nicht würdig ist (
BGE 66 II 259
, 74 II 27,
BGE 95 II 41
; ebenso VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 413). Dass sich eine stossende Begünstigung einer Vertragspartei ergeben kann, ist daher entsprechend dem Grundgedanken des
BGE 102 II 401 S. 412
Art. 66 OR
, der rechtswidrigen und unsittlichen Geschäften vorbeugen will, solange in Kauf zu nehmen, als das Gesetz selber keine bessere Lösung vorsieht (
BGE 84 II 184
).
5.
Die Rückforderung der Beklagten wäre somit gestützt auf
Art. 66 OR
zu verweigern, wenn die Beklagte dem Kläger, wie dieser behauptet, vor der vollen Rückzahlung des zweiten Darlehens ein neues gewährt und die Restanz aus dem zweiten mit dem dritten verrechnet haben sollte. Wie es sich damit verhält, hat das Obergericht ausdrücklich offen gelassen, ist für das Schicksal der Aberkennungsklage aber entscheidend. Das angefochtene Urteil ist daher gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes (II. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 4. Juni 1976 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cee8917d-0d68-437e-90e8-3323f5b41af8 | Urteilskopf
95 III 6
2. Entscheid vom 28. März 1969 i.S. X. | Regeste
Der Rechtsstillstand wegen Militärdienstes (
Art. 57 SchKG
) gilt nicht für einen in einer Klinik untergebrachten Patienten der Militärversicherung, der keinen Sold, sondern eine Invalidenrente bezieht. | Sachverhalt
ab Seite 6
BGE 95 III 6 S. 6
Am 14. November 1968 stellte B. gegen X. das Betreibungsbegehren für eine Forderung von Fr. 1508.90 nebst Zins. Das Betreibungsamt teilte ihm am 22. November 1968 mit, der Schuldner geniesse seit Juli 1968 als Militärpatient, der in einer psychiatrischen Klinik hospitalisiert sei, den gesetzlichen Rechtsstillstand.
Am 29. Januar 1969 verlangte der Gläubiger die unverzügliche Zustellung des Zahlungsbefehls, weil der Schuldner am Ort der Klinik seinen Beruf ausübe und daher den Rechtsstillstand nicht mehr beanspruchen könne. Das Betreibungsamt lehnte dieses Begehren am 5. Februar 1969 ab, weil der Rechtsstillstand fortbestehe.
Hierauf führte der Gläubiger Beschwerde mit dem Begehren, der Rechtsstillstand sei aufzuheben. Die kantonale Aufsichtsbehörde wies das Betreibungsamt mit Entscheid vom 7. März 1969 an, dem Betreibungsbegehren durch Zustellung des Zahlungsbefehls Folge zu geben.
BGE 95 III 6 S. 7
Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass er so lange Rechtsstillstand gemäss
Art. 57 SchKG
geniesse, als er als Militärpatient hospitalisiert sei.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Für einen Schuldner, der sich im Militärdienst befindet, besteht während der Dauer des Dienstes Rechtsstillstand (
Art. 57 Abs. 1 SchKG
). Hat der Schuldner vor der Entlassung oder Beurlaubung mindestens dreissig Tage ohne wesentlichen Unterbruch Dienst geleistet, so besteht der Rechtsstillstand auch noch während der zwei auf die Entlassung oder Beurlaubung folgenden Wochen (
Art. 57 Abs. 2 SchKG
). Als Militärdienst gilt nach
Art. 57 Abs. 3 SchKG
jeder besoldete schweizerische Militär- und Hilfsdienst, einschliesslich Luftschutzdienst. In Zeiten aktiven Dienstes sind nach Art. 51 des Bundesgesetzes über den Zivilschutz vom 23. März 1962 (AS 1962 S. 1089 ff.) die Bestimmungen über den Rechtsstillstand bei Militärdienst auch auf die in den örtlichen Schutzorganisationen und im Betriebsschutz Dienst Leistenden sinngemäss anwendbar. Keinen Rechtsstillstand geniessen Schuldner, die auf Grund eines Dienstverhältnisses zum Bund oder Kanton Militärdienst leisten (
Art. 57 e Abs. 2 SchKG
).
Der Rechtsstillstand wegen Militärdienstes wird dem Schuldner nicht bloss in seinem eigenen Interesse gewährt. Leitender Gedanke ist vielmehr die wehrpolitische Erwägung, dass der zu Ausbildungskursen oder Übungen oder zum Aktivdienst einberufene Milizsoldat nicht durch die Abwehr von Vollstreckungsmassnahmen in der militärischen Pflichterfüllung behindert werden soll (
BGE 66 III 50
/51; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs I, 1967, S. 93).
Art. 57 Abs. 2 SchKG
, der den Rechtsstillstand nach mindestens 30tägiger Dienstleistung auf die beiden der Entlassung oder Beurlaubung folgenden Wochen erstreckt, beruht auf der Erwägung, dass dem Schuldner in einem solchen Falle Zeit zu lassen ist, damit er zunächst einmal seine übrigen geschäftlichen und persönlichen Angelegenheiten in Ordnung bringen kann, bevor ein neues Vollstreckungsverfahren gegen ihn angehoben oder ein früher begonnenes fortgesetzt wird (Botschaft des Bundesrates über eine Teilrevision des SchKG, BBl 1948 I 1221).
BGE 95 III 6 S. 8
Der Rekurrent hält sich als Patient der Militärversicherung, von der er eine Invalidenrente bezieht, seit längerer Zeit in einer psychiatrischen Klinik auf. Einen Sold bezieht er nicht. Schon allein dieser letzte Umstand verbietet nach
Art. 57 Abs. 3 SchKG
, der nur den besoldeten Dienst als Militärdienst im Sinne von
Art. 57 SchKG
gelten lässt, die Annahme, dass sich der Rekurrent im Sinne dieser Bestimmung im Militärdienst befinde. Diese Vorschrift ist auf den Rekurrenten aber auch angesichts ihres Zweckes nicht anwendbar. Der Rekurrent braucht nicht im Interesse einer gehörigen Erfüllung der Militärdienstpflicht vor Vollstreckungsmassnahmen geschützt zu werden und befindet sich auch nicht in der Lage eines Wehrmannes, der soeben eine längere Dienstleistung beendet hat und daher vor der Einleitung oder Fortsetzung von Betreibungen gegen ihn Gelegenheit haben soll, seine übrigen Angelegenheiten zu ordnen. Der Umstand, dass beim Rekurrenten in einem früher geleisteten Militärdienst eine Gesundheitsschädigung eingetreten ist, hat betreibungsrechtlich nur zur Folge, dass die ihm deswegen gewährten Leistungen der Militärversicherung unpfändbar sind (Art. 47 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung vom 20. September 1949, AS 1949 S. 1671 ff.). Die Tatsache, dass nach Art. 1 Ziff. 9 dieses Gesetzes in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 19. Dezember 1963 (AS 1964 S. 253 ff.) gegen Unfall und Krankheit versichert ist, wer als Patient der Militärversicherung in einer Heilanstalt untergebracht ist, vermag die Auslegung des Begriffes des Militärdienstes im Sinne von
Art. 57 SchKG
nicht zu beeinflussen.
Der vom Betreibungsamt in seiner Vernehmlassung angerufene Entscheid der bernischen Aufsichtsbehörde vom 26. Dezember 1929 in der Betreibungssache Fifian (ZBJV 67/1931 S. 144 ff. Nr. 5), den das Bundesgericht am 16. Januar 1930 bestätigte, erging, bevor
Art. 57 SchKG
seine heute geltende Fassung erhalten hatte und insbesondere durch die in Absatz 3 enthaltene Definition des Militärdienstes ergänzt worden war, und die Vollziehungsverordnung vom 12. November 1901 zum Militärversicherungsgesetz von 1901, nach welcher die bernische Aufsichtsbehörde und das Bundesgericht damals beurteilten, ob ein Militärpatient sich im Militärdienst befinde, ist samt ihren seitherigen Abänderungen durch Art. 64 des Militärversicherungsgesetzes vom 20. September 1949 aufgehoben worden. Die Entscheide vom 26. Dezember 1929 und 16. Januar 1930 sind daher überholt.
BGE 95 III 6 S. 9
Der Bescheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts an die Aufsichtsbehörde des Kantons Basel-Landschaft vom 13. Mai 1941, auf den sich diese in ihrem Entscheid vom 27. Mai 1941 stützte (BlSchK 1941 S. 123 ff. Nr. 49), erblickte das Kriterium dafür, ob ein in einer zivilen Heilanstalt untergebrachter Wehrmann gemäss Art. 16 der damals massgebenden bundesrätlichen Verordnung vom 24. Januar 1941 über vorübergehende Milderungen der Zwangsvollstreckung (VMZ) Rechtsstillstand geniesse, ähnlich wie die heute massgebende Regelung darin, ob der Patient "als Angehöriger der Truppe gilt und Gradsold erhält, oder ob er sich auf Kosten der Militärversicherung im Spital befindet und die Versicherungsleistungen bezieht".
Der Entscheid der bernischen Aufsichtsbehörde vom 17. Februar 1949 (BlSchK 1950 S. 84 ff. Nr. 33), der einem in Hauspflege stehenden. Militärpatienten den Rechtsstillstand nach
Art. 57 SchKG
/Art. 16 VMZ verweigerte, liess offen, ob ein in Spitalpflege befindlicher Militärpatient im Militärdienst stehe und daher Rechtsstillstand geniesse, deutete aber immerhin an, dass diese Frage seit der Abänderung der im Entscheid vom 26. Dezember 1929 erwähnten Vollziehungsverordnung vom 12. November 1901 durch Bundesratsbeschluss vom 21. Januar 1930 nur noch ausnahmsweise (namentlich bei uniformtragenden Spitalinsassen) bejaht werden könnte.
Die angeführte Praxis vermag daher die Auffassung des Betreibungsamtes und des Rekurrenten, dass dieser im Sinne von
Art. 57 SchKG
im Militärdienst stehe, nicht zu stützen.
2.
Gegen die Annahme der Vorinstanz, die Voraussetzungen des Rechtsstillstands wegen schwerer Erkrankung (
Art. 61 SchKG
) seien im vorliegenden Falle zur Zeit nicht gegeben, wendet der Rekurrent nichts ein. Er anerkennt vielmehr, dass die bezüglichen Ausführungen der Vorinstanz zutreffen. | null | nan | de | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cefbb96e-327f-4322-bf45-1ad44ee559fe | Urteilskopf
107 III 75
18. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 20. Juli 1981 i.S. X. (Rekurs) | Regeste
Lohnpfändung für Unterhaltsansprüche bei bestehenden Lohnzessionen.
Verhältnis der Ansprüche der Alimentengläubiger zum Notbedarf des Schuldners (E. 1 und 2) und zu den Ansprüchen der Lohnzessionare (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 107 III 75 S. 76
In den von X. für ausstehende Unterhaltsbeiträge (von Fr. 120.-- im Monat; Forderungsbetrag Fr. 1'560.--) und von der früheren Ehefrau des Y. ebenfalls für Unterhaltsbeiträge (von Fr. 528.-- im Monat; ursprünglicher Forderungsbetrag Fr. 3'150.--) gegen diesen eingeleiteten Betreibungen vollzog das Betreibungsamt am 8. Januar 1981 die Pfändung. Dabei stellte es fest, dass keine beweglichen pfändbaren Aktiven vorhanden seien, dass der Betreibungsschuldner einen Arbeitsverdienst von Fr. 2'020.-- im Monat erziele, dass sich sein Notbedarf auf monatlich Fr. 1'445.45 belaufe und dass bereits Lohnzessionen im Umfange der pfändbaren Quote bestünden. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den in Betreibung gesetzten Forderungen um Unterhaltsansprüche handelt, verfügte das Betreibungsamt eine in das Existenzminimum des Schuldners eingreifende Lohnpfändung von Fr. 447.-- im Monat, wobei es bei der Ermittlung des Notbedarfs die erwähnten Unterhaltsansprüche von insgesamt Fr. 648.-- im Monat ausser acht liess. Daneben pfändete es einen Betrag von Fr. 120.-- im Monat als bestrittene Forderung mit der Begründung, die Lohnzessionen seien durch X. in dieser Höhe bestritten worden.
X. erhob gegen die Pfändung Beschwerde und verlangte, dass die in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge bei der Ermittlung des Notbedarfs des Betreibungsschuldners miteinbezogen würden. Mit Entscheid vom 26. März 1981 wies die untere Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab.
Auf einen Rekurs von X. hin hob die obere kantonale Aufsichtsbehörde durch Beschluss vom 5. Mai 1981 die Pfändung auf; sie wies das Betreibungsamt an, lediglich den Betrag von Fr. 120.-- im Monat - als bestrittene Forderung - zu pfänden und alsdann gegebenenfalls im Sinne von
Art. 131 Abs. 2 SchKG
zu verfahren.
Gegen den Entscheid der oberen kantonalen Aufsichtsbehörde hat X. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen, bei der Pfändung das Existenzminimum des Betreibungsschuldners um die monatlichen Unterhaltsbeiträge zu erhöhen und die pfändbare Quote entsprechend herabzusetzen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Gemäss ständiger Rechtsprechung sind familienrechtliche Unterhaltsbeiträge bei der Ermittlung des Existenzminimums des
BGE 107 III 75 S. 77
Schuldners als Notbedarfsausgaben mitzuberücksichtigen, soweit der Alimentengläubiger, was im Zweifelsfall vermutet wird, die Beiträge zur Bestreitung seines Unterhalts wirklich benötigt und vorausgesetzt, dass der Schuldner sie auch tatsächlich bezahlt (
BGE 89 III 66
f. mit Hinweisen). In Betreibung gesetzte Unterhaltsforderungen sind dabei stets zu berücksichtigen (vgl.
BGE 89 III 67
). Reicht der Verdienst des für Unterhaltsbeiträge Betriebenen nicht aus, den Notbedarf einschliesslich der für den Unterhalt des Gläubigers notwendigen Alimente zu decken, hat sich der betriebene Schuldner einen Eingriff in sein Existenzminimum gefallen zu lassen. Dieser Eingriff ist so zu bemessen, dass sich der Schuldner und der Gläubiger im gleichen Verhältnis einschränken müssen (
BGE 105 III 53
E. 3 mit Hinweisen).
2.
Aus dem Gesagten erhellt, dass der Vorinstanz nicht beizupflichten ist, wenn sie die Auffassung vertritt, die Lohnzessionare gingen den beiden betreibenden Alimentengläubigern grundsätzlich vor und es dürfe unter den gegebenen Verhältnissen nur insoweit eine Lohnpfändung vorgenommen werden, als die Lohnzessionen durch den Rekurrenten bestritten würden. Es verhält sich vielmehr so, dass Lohnzessionen, die in den - hier um die in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge zu erhöhenden - betreibungsrechtlichen Notbedarf eingreifen, nichtig sind (
Art. 325 Abs. 1 OR
; dazu auch
BGE 95 III 41
).
Die richtige Lösung der erwähnten Interessenkollision liegt in den Ausführungen unter Ziffer 2b der Begründung im angefochtenen Entscheid. Zu dem durch das Betreibungsamt mit Fr. 1'445.45 angegebenen Notbedarf des Betreibungsschuldners sind die in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge von Fr. 120.-- und Fr. 528.-- im Monat hinzuzuschlagen. Da dieser erweiterte Notbedarf von Fr. 2'093.45 den Monatsverdienst von Fr. 2'020.-- überschreitet, ist der pfändbare Betrag nach der in
BGE 71 III 177
f. E. 3 entwickelten Formel zu ermitteln, so dass dem Rekurrenten Fr. 115.80, der früheren Ehefrau des Schuldners Fr. 509.60 und dem Schuldner selbst Fr. 1'394.60 im Monat zukommen.
3.
Die Pfändung wurde nur durch den Rekurrenten angefochten. Sie ist indessen auch insoweit aufzuheben, als sie zu Gunsten der früheren Ehefrau des Schuldners vollzogen wurde, sind doch die für eine Lohnpfändung massgebenden Verhältnisse von Amtes wegen abzuklären (
BGE 105 III 55
E. 5 mit Hinweisen). Es ginge nicht an, das Betreibungsamt mit Bezug auf die Betreibung der früheren Ehefrau des Schuldners deshalb eine unrichtige
BGE 107 III 75 S. 78
Pfändung vornehmen zu lassen, weil diese Alimentengläubigerin die ursprüngliche Pfändung nicht beanstandet hat. Der angefochtene Entscheid ist nach dem Gesagten aufzuheben und das Betreibungsamt... anzuweisen, unter Beachtung des Ausgeführten eine neue Lohnpfändung zu vollziehen.
4.
Die Lohnzessionare werden bei der neuen Pfändung leer ausgehen. Das Betreibungsamt wird ihnen angesichts dieses Eingriffes in ihre Rechtsstellung von der Pfändung Kenntnis geben müssen, damit sie zur Wahrung ihrer Interessen gegebenenfalls die für die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer im vorliegenden Verfahren verbindlichen Feststellungen über den Lohn des Betreibungsschuldners bzw. über einzelne für dessen Notbedarf massgebende Positionen mit Beschwerde anfechten können. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cefd9196-513f-43c4-897b-def3acea9a9f | Urteilskopf
112 Ib 215
37. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 21 mai 1986 dans la cause Bufano, dame Bosch de Sanchez-Reisse et époux Martinez contre Office fédéral de la police (recours de droit administratif) | Regeste
Auslieferung; materielle Rechtskraft; Alibi; Rechtshängigkeit, ne bis in idem: internationaler ordre public.
1. Zulässigkeit eines neuen, sich auf eine neue Tatsache stützenden Auslieferungsgesuchs, nachdem bezüglich der gleichen Person in der gleichen Angelegenheit bereits ein Auslieferungsgesuch abgewiesen worden ist (E. 4).
2. Begriff des Alibis i.S. von
Art. 53 IRSG
(E. 5b).
3. Einwand der Rechtshängigkeit und des Grundsatzes ne bis in idem: Die Schweiz ist zur Auslieferung verpflichtet, wenn die staatsvertraglichen Voraussetzungen erfüllt sind und die Bewilligung nicht gegen den internationalen ordre public verstösst (E. 6).
4. Internationaler ordre public: er steht einer Auslieferung Verfolgter nach Argentinien nicht mehr entgegen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 216
BGE 112 Ib 215 S. 216
Par notes verbales des 6, 29 avril et 4 mai 1981, l'Ambassade de la République argentine à Berne a demandé formellement à l'Office fédéral de la police l'extradition de Ruben Osvaldo Bufano, Luis Alberto Martinez, Amalia Maria Covas de Martinez, Leandro Angel Sanchez-Reisse et Mariana Bosch de Sanchez-Reisse, tous ressortissants argentins, appréhendés les 12 et 13 mars 1981, à la suite d'une tentative d'extorsion sur la personne des familiers du banquier uruguayen Carlos David Koldobsky, enlevé à Buenos Aires le 19 février 1981. Par notes verbales des 8, 10 et 13 juillet 1981, l'Ambassade a présenté une deuxième demande tendant à l'extradition des mêmes personnes du chef d'un autre enlèvement, celui du financier argentin Fernando Alberto Combal perpétré à Buenos Aires le 8 mai 1979.
Les individus recherchés étaient également inculpés des délits de détention illicite d'armes de guerre et de falsifications de documents.
Par arrêt du 3 novembre 1982, le Tribunal fédéral a admis l'opposition et refusé l'extradition de Bufano et consorts à la République argentine en application de l'ordre public international. Il a motivé sa décision par le risque que la situation politique de la République argentine faisait courir aux opposants eu égard, notamment, à leur personnalité et à l'équivoque planant sur leurs activités au sein de l'appareil d'Etat. Il a enfin précisé que les
BGE 112 Ib 215 S. 217
infractions pour lesquelles l'extradition avait été requise, à l'exception de celle de détention d'armes de guerre, seraient poursuivies et jugées en Suisse conformément à l'art. IX al. 1 du Traité liant ce pays à l'Argentine (
ATF 108 Ib 408
).
Le 29 novembre 1983, la Première Chambre pénale du Tribunal supérieur du canton de Zurich a reconnu Ruben Osvaldo Bufano, Luis Alberto Martinez et Leandro Angel Sanchez-Reisse coupables de tentative d'extorsion au sens de l'
art. 156 ch. 1 al. 1 CP
en relation avec l'art. 22 al. 1 de la même loi; il a reconnu Amalia Maria Covas de Martinez et Mariana Bosch de Sanchez-Reisse coupables de complicité de ce même délit. Il a condamné, d'une part, Bufano, Martinez et Sanchez-Reisse, et, d'autre part, les épouses de ces deux derniers à des peines respectives de 4 ans et 9 mois de réclusion et de 2 ans et 6 mois de réclusion.
Par note verbale du 24 juillet 1984, l'Ambassade de la République argentine à Berne a adressé à l'Office fédéral de la police une nouvelle demande tendant à l'extradition de Bufano et consorts. Aux termes d'une commission rogatoire du 11 juin 1984 annexée à la demande, le juge national d'instruction de première instance en matière criminelle de Buenos Aires poursuit l'instruction des enlèvements à des fins d'extorsion dont ont été victimes les financiers Koldobsky et Combal. Cette commission rogatoire tend donc à la remise à l'Argentine de Bufano et consorts dès l'accomplissement des peines auxquelles les autorités pénales suisses les ont condamnés. La nouvelle demande renvoie aux faits exposés dans celles adressées aux autorités suisses en 1981, dont elle dit être le simple renouvellement. Ses conclusions visent toutefois exclusivement l'extradition des intéressés à l'Argentine pour y répondre du chef de l'enlèvement à des fins d'extorsion de Combal perpétré à Buenos Aires le 8 mai 1979. Elle met en évidence le processus de démocratisation intervenu en Argentine depuis la chute de la dictature militaire, l'objection que les autorités suisses avaient retenue à l'encontre des demandes formées en 1981 étant ainsi levée.
Par décision du 29 janvier 1986, l'Office fédéral de la police a accordé à l'Argentine l'extradition requise pour les infractions décrites dans la demande du 24 juillet 1984, à l'exception du délit de détention d'armes de guerre. Il a réservé le prononcé du Tribunal fédéral sur les objections de nature politique soulevées par les opposants.
BGE 112 Ib 215 S. 218
Agissant par la voie du recours de droit administratif, Ruben Osvaldo Bufano, Luis Alberto Martinez, Amalia Maria Covas de Martinez et Mariana Bosch de Sanchez-Reisse demandent au Tribunal fédéral d'annuler la décision de l'Office fédéral de la police du 29 janvier 1986 et d'ordonner qu'ils soient jugés par les autorités suisses compétentes pour les faits, objet de la demande d'extradition. A titre subsidiaire, les trois premiers nommés concluent à l'obtention de garanties expresses de l'Etat requérant relativement à un traitement conforme aux droits humanitaires.
Erwägungen
Considérant en droit:
4.
Les recourants, à l'exception de dame Sanchez-Reisse, soutiennent que la demande d'extradition déposée par les autorités argentines le 24 juillet 1984 met en question l'autorité de la chose jugée dont est revêtu l'arrêt rendu par le Tribunal fédéral le 3 novembre 1982.
Il sied à ce propos de souligner que, comme la procédure d'entraide proprement dite, la procédure d'extradition n'est pas une procédure pénale mais une procédure administrative engagée dans le cadre des relations internationales de la Suisse. Les décisions prises en ces matières sont donc des décisions administratives, qui sont revêtues de l'autorité matérielle de la chose jugée seulement dans une mesure limitée. Le caractère particulier de la coopération internationale en matière pénale donne à l'Etat requérant, dont la demande est écartée, la possibilité de provoquer une nouvelle décision de la part de l'Etat requis, en se fondant sur le nouveau droit en vigueur ou en alléguant un élément nouveau quelconque pour autant qu'il soit pertinent. Le refus d'une demande d'entraide n'est donc pas réellement définitif, étant donné qu'il n'existe à cet égard aucun intérêt juridique digne de protection (
ATF 109 Ib 62
consid. 2a, 157 consid. 3b et les arrêts cités).
En l'espèce, on doit constater que les deux demandes d'extradition déposées par la République argentine en 1981 ont été rejetées pour la seule raison que la situation politique qui régnait alors dans cet Etat constituait pour les opposants, eu égard à leur statut personnel, le risque d'un traitement discriminatoire ou contraire à certains droits élémentaires de l'individu garantis par l'ordre public international (
ATF 108 Ib 410
-413 consid. 8). Or la
BGE 112 Ib 215 S. 219
demande déposée par la République argentine le 24 juillet 1984, si elle porte sur les mêmes faits que ceux exposés dans une demande précédente, fait cependant état d'une modification fondamentale de la situation politique de l'Etat requérant, laquelle ne devrait plus faire obstacle à l'extradition des recourants. Il s'agit là évidemment d'un fait nouveau dont la portée commandait à l'autorité intimée d'entrer en matière sur la nouvelle demande d'extradition (cf. ROUILLER, L'évolution du concept de délit politique en droit de l'entraide internationale en matière pénale, dans RPS 1986, p. 44).
Le moyen tiré de l'autorité de la chose jugée doit donc être écarté.
5.
Dame Sanchez-Reisse conteste la régularité formelle de la demande d'extradition. Cette dernière, ainsi que les trois autres disent être en mesure de faire valoir un alibi. Tous les recourants critiquent l'insuffisance des charges exposées dans la demande.
a) Les conditions de forme auxquelles doit répondre une demande d'extradition sont énumérées à l'art. XIII de la convention d'extradition des criminels conclue entre la Confédération suisse et la République argentine le 21 novembre 1906 (RS 0.353.915.4; ci-après: le Traité). Cette disposition prévoit notamment que les documents fournis par l'Etat requérant indiquent le fait incriminé, le lieu où il a été commis et sa date (al. 2 ch. 1, 2e phrase). Ces exigences concordent pour l'essentiel, de manière générale, avec celles posées par l'
art. 28 EIMP
qui, en l'espèce, n'a, à cet égard, pas de portée propre.
La demande du 24 juillet 1984 était accompagnée d'une copie conforme d'une décision judiciaire qui renouvelait le mandat d'arrêt délivré initialement contre les recourants. Ces documents ont été munis d'une traduction officielle, suffisante pour la compréhension des faits litigieux. La nouvelle demande est certes sommaire. Elle se réfère toutefois expressément à la deuxième demande déposée en 1981 qu'elle dit simplement renouveler. La seule équivoque de cet acte porte sur la question de savoir si l'Etat requérant persiste à demander l'extradition pour l'enlèvement du banquier Koldobsky ou s'il se limite à la demander pour l'enlèvement du financier Combal. L'autorité intimée ayant cependant considéré que l'extradition était requise exclusivement pour les actes délictueux dont Combal a été la victime, les recourants n'ont aucun motif de se plaindre du caractère ambigu de la demande.
BGE 112 Ib 215 S. 220
Pour le surplus, force est de constater que la nouvelle demande est conforme à l'art. XIII du Traité.
b) S'agissant des faits reprochés aux recourants, il faut rappeler le principe fondamental selon lequel les autorités saisies d'une demande d'entraide n'ont pas, en principe, à examiner la culpabilité des personnes recherchées ou à vérifier la réalité des faits exposés par l'Etat requérant. Une exception à cette règle n'est admise que s'il n'est manifestement pas possible de retenir à la charge de l'intéressé les faits qui lui sont imputés. Un recourant ne saurait plaider en procédure d'extradition comme il le ferait devant l'autorité compétente pour connaître de son affaire au fond. Il n'appartient en effet ni à l'administration, ni au juge de l'extradition, de substituer préalablement leur pouvoir d'appréciation à celui des juridictions d'instruction pénale de l'Etat requérant, en opposant la version des faits présentée par l'individu réclamé à celle, à première vue soutenable, développée dans la demande (
ATF 109 Ib 63
consid. 5a, 324 consid. 11,
ATF 106 Ib 299
et les arrêts cités). Le Traité n'institue pas d'exception à cette règle.
Certes, l'
art. 53 EIMP
ordonne à l'Office fédéral de procéder aux vérifications nécessaires si la personne poursuivie affirme qu'elle est en mesure de fournir un alibi et de refuser l'extradition si le fait invoqué est évident. Si la preuve par alibi ne permet pas de conduire au refus de l'extradition, l'autorité administrative doit communiquer les preuves à décharge à l'Etat requérant et l'inviter à se prononcer à bref délai sur le maintien de la demande. Comme cela résulte clairement du texte allemand et italien (plus précis que le texte français) de cette disposition, le terme d'"alibi" doit être compris au sens étroit, à savoir comme un moyen de défense de la personne réclamée tiré du fait que - contrairement aux affirmations expresses ou tacites contenues dans la demande - elle ne se trouvait pas à l'endroit de l'infraction au moment où celle-ci a été commise (
ATF 109 Ib 325
consid. 11b).
En l'espèce, les déclarations faites par le recourant No 1 à l'Office fédéral de la police le 14 novembre 1985, selon lesquelles il ne serait pas concevable que les associés de Combal aient réuni un milliard deux cent millions de pesos, réclamés à titre de rançon, entre 8 h 15 et 11 h du matin et qu'ils aient relevé pendant le même laps de temps les numéros des billets de banque ne constituent pas un alibi, au sens limité donné à cette notion par la jurisprudence qui vient d'être évoquée. Il en va de même des déclarations faites par la victime soit dans le cadre de l'enquête de police ouverte à Genève
BGE 112 Ib 215 S. 221
en 1981, soit dans le cadre de la procédure pénale conduite dans le canton de Zurich. En particulier, ces déclarations ne suffisent pas à disculper dame Sanchez-Reisse. Combal s'est en effet limité à dire qu'il ne lui était pas possible d'affirmer objectivement que cette personne était mêlée à son enlèvement. Ce sont là des éléments qu'il appartiendra aux recourants de faire valoir devant le juge du fond après leur remise à l'Etat requérant. En l'absence d'un alibi digne de considération, il ne saurait évidemment être question de donner suite à la proposition des recourants qui tend à la communication de ces preuves à l'Etat requérant avec l'invitation à se prononcer à bref délai sur le maintien de la demande. L'
art. 53 EIMP
ne saurait en effet être interprété en ce sens qu'il y aurait lieu d'ouvrir en Suisse, chaque fois qu'un alibi est allégué, une procédure d'instruction spéciale et complexe, pour déterminer la réalité de cet alibi (cf.
ATF 111 Ib 141
/142 consid. 3,
ATF 109 Ib 63
/64 consid. 5a, 325 consid. 11b).
c) Quant au grief de violation du droit d'être entendu fondé sur l'ignorance dans laquelle les recourants Nos 3 et 4 auraient été laissés au sujet des renseignements fournis à l'autorité intimée par l'Etat requérant en septembre 1985, il peut être rejeté sommairement. Ces renseignements n'ont pas eu d'effet décisif sur le prononcé attaqué. L'autorité intimée n'a d'ailleurs nullement interdit aux recourants de prendre connaissance du dossier où se trouvaient ces renseignements, l'un d'eux y ayant même renoncé après en avoir fait la demande.
6.
Les recourants prétendent tous que la règle ne bis in idem et la litispendance en Suisse de l'affaire Combal feraient obstacle à leur extradition.
La règle ne bis in idem est énoncée à l'art. III ch. 4 du Traité aux termes duquel l'extradition n'aura pas lieu si la demande d'extradition est motivée par le même crime ou délit que celui pour lequel l'individu réclamé a été jugé, condamné ou absous dans le pays requis. Il s'agit là d'un texte dont la précision exclut le recours, à titre supplétif, au principe que le droit interne consacre à l'
art. 5 EIMP
.
L'argumentation des recourants se fonde essentiellement sur le précédent arrêt rendu par le Tribunal fédéral le 3 novembre 1982 selon lequel les infractions, objet des deux demandes d'extradition rejetées par les autorités suisses, devaient être jugées par celles-ci conformément à l'art. IX al. 1 du Traité. Il est cependant vain d'épiloguer sur la portée que le Tribunal fédéral entendait alors
BGE 112 Ib 215 S. 222
donner à cette disposition. Il suffit de constater que la demande d'extradition, telle qu'interprétée par l'autorité intimée, porte exclusivement sur l'enlèvement du financier argentin Fernando Alberto Combal perpétré à Buenos Aires le 8 mai 1979. Or cet acte criminel n'a nullement fait l'objet d'une enquête menée en Suisse, en vue d'y juger les recourants, comme l'a précisé le Ministère public du district de Zurich dans son rapport final du 8 août 1983 et comme le confirment les actes du dossier. Le Tribunal supérieur du canton de Zurich a d'ailleurs également précisé dans son arrêt du 29 novembre 1983 que l'objectif de la poursuite avait été réduit intentionnellement à la répression des faits commis en Suisse, les seuls pour lesquels les autorités cantonales étaient clairement compétentes en vertu de l'
art. 346 CP
.
On chercherait en vain dans le dossier un acte quelconque qui soit assimilable, pour les faits mentionnés dans la demande, à un jugement, à une condamnation ou à une absolution selon les termes de l'art. III ch. 4 du Traité. La question de savoir si l'art. IX al. 1 du Traité peut être interprété dans le sens que lui prêtent les recourants n'est donc plus d'actualité. Etant donné que la demande d'extradition répond à toutes les exigences formelles et matérielles posées par le Traité et que l'ordre public international ne fait pas obstacle à son exécution, l'Etat requis doit l'accorder, la disposition précitée ne lui donnant à tout le moins pas la faculté de choisir entre l'extradition et l'ouverture de poursuites. Le grief tiré de la règle ne bis in idem et de la litispendance doit donc être écarté.
7.
Les demandes d'extradition déposées par la République argentine en premier lieu les 6, 29 avril et 4 mai 1981 et en second lieu les 8, 10 et 13 juillet 1981 ont été rejetées par le Tribunal fédéral sur la base de principes qui appartiennent à l'ordre public international, et qui l'emportent sur toutes considérations faites à partir du droit conventionnel ou du droit interne. La situation politico-juridique particulière qui régnait en République argentine au moment où le Tribunal fédéral a statué sur ces demandes présentait pour les recourants, compte tenu de leur statut personnel et de leurs activités antérieures, le risque objectif sérieux d'un traitement discriminatoire ou contraire aux éléments essentiels du droit humanitaire (
ATF 108 Ib 410
-413 consid. 8). Les recourants ont ainsi bénéficié de la protection élargie qui doit être accordée, dans certaines circonstances exceptionnelles, aux individus réclamés, quelle que soit la nature des infractions objet
BGE 112 Ib 215 S. 223
de la demande (cf. ROUILLER, loc.cit., p. 38 ss). La présente demande de coopération insiste sur le fait que la situation politique dans l'Etat requérant s'est modifiée de manière essentielle depuis la date du prononcé de l'arrêt du 3 novembre 1982. Les recourants Nos 1, 3 et 4 contestent cette affirmation et prétendent courir, dans le cadre du fonctionnement des autorités policières et judiciaires de l'Etat démocratique argentin, des risques pratiquement équivalents à ceux qu'ils couraient du fait du fonctionnement des institutions mises en place par le régime militaire antérieur.
Le pouvoir autoritaire en place dans l'Etat requérant au moment où les autorités suisses se sont prononcées sur les premières demandes d'extradition a été renversé au cours de l'été 1983. L'état de siège proclamé le 6 novembre 1974 - dont les effets, définis à l'art. 23 de la Constitution argentine, étaient notamment la suspension des droits constitutionnels des citoyens et la faculté de placer toute personne en détention pour être mise à la disposition du pouvoir exécutif - a été levé sans délai. Le 30 octobre 1983 se sont déroulées dans l'Etat requérant des élections générales dominées par le principe du pluralisme des partis. Cette consultation populaire s'est notamment traduite par l'élection au suffrage universel de Raúl Alfonsin, candidat de l'Union civique radicale, qui s'est engagé, avec les autres forces politiques du pays, à instaurer un véritable régime fondé sur le droit. Le 13 décembre 1983, Alfonsin a signé un décret ordonnant "le jugement des trois juntes militaires ayant gouverné le pays entre 1976 et 1983, pour les délits d'homicide, de privation illégale de liberté et d'application de tourments aux détenus". Ce décret a conduit à la mise en accusation d'importants responsables du pouvoir précédent dont certains ont été condamnés à de lourdes peines de réclusion par jugement du 9 décembre 1985. Enfin, la République argentine a ratifié le 5 novembre 1984 la Convention interaméricaine des droits de l'homme et reconnu la juridiction de la Cour interaméricaine des droits de l'homme, ce qui laisse présumer de sa part le respect des garanties fondamentales contenues dans cette convention. Il ressort certes des rapports d'Amnesty International de 1984 et de 1985 que le pouvoir actuel se heurte à certaines difficultés pour éliminer toutes les séquelles du régime autoritaire précédent. Ces rapports font toutefois état d'une réforme complète des institutions et d'efforts sérieux - en règle générale couronnés de succès - pour adapter celles-ci à celles d'un Etat de droit
BGE 112 Ib 215 S. 224
(cf. également Bulletin romand de la section suisse d'Amnesty International, février 1986, p. 6 ss; Encyclopaedia universalis 1984 p. 198/199 et 1985 p. 618/619).
Ces faits, diffusés périodiquement par les organes d'information internationaux, sont de notoriété publique. Les recourants eux-mêmes ne les contestent pas dans une mesure essentielle. Ce que trois d'entre eux allèguent, en substance, c'est que la situation de leur pays n'est encore ni parfaitement démocratisée, ni vraiment stabilisée, et qu'ils pourraient être les victimes d'un règlement de comptes de la part d'autorités les considérant comme des adversaires.
Pour pouvoir bénéficier de la protection élargie qu'offre l'ordre public international dans ses principes reproduits aux
art. 3 ch. 2 CEExtr
. et 2 lettres b et c EIMP, il ne suffit pas que les personnes dont l'extradition est demandée se prétendent menacées du fait d'une situation politico-juridique particulière. Il leur appartient en outre de rendre vraisemblable l'existence d'un risque sérieux et objectif d'une grave violation des droits de l'homme ou d'un traitement discriminatoire prohibé (
ATF 109 Ib 64
,
ATF 108 Ib 408
). Force est de constater que les faits présentés par les recourants Nos 1, 3 et 4 ne sont pas propres à faire surgir une telle vraisemblance. Il n'est en particulier nullement démontré que l'organisation judiciaire existant actuellement dans l'Etat requérant ne soit pas à même de prévenir ou de réparer d'éventuelles violations dont la perspective, objectivement envisageable à l'époque, avait conduit le Tribunal fédéral à rejeter les demandes déposées en 1981. En l'état actuel des choses, il n'est pas davantage possible de mettre en doute la volonté de l'Etat requérant de respecter le Traité qui le lie à la Suisse depuis le début du siècle et à l'égard duquel il bénéficie d'une présomption de fidélité. Il n'y a donc pas lieu de refuser l'extradition sur la base de l'ordre public international; de même, rien ne justifie une intervention préalable de la Suisse auprès de l'Etat requérant pour en obtenir l'assurance qu'il respecte la règle de la spécialité énoncée à l'art. VIII du Traité.
8.
Les griefs soulevés par les recourants contre la décision attaquée, de même que l'objection tirée de la protection élargie que leur accorde l'ordre public international selon les principes énoncés aux
art. 3 CEExtr
., 3 CEDH et 2 EIMP sont donc mal fondés. Les recours doivent donc être rejetés et l'extradition accordée sans réserve à la République argentine.
BGE 112 Ib 215 S. 225
Les époux Martinez ont demandé la suspension de l'exécution de l'extradition jusqu'à droit jugé sur un éventuel recours auprès de la Commission européenne des droits de l'homme. Une telle mesure ne relève toutefois pas de la compétence du Tribunal fédéral, mais de celle du Conseil fédéral, autorité chargée de pourvoir à l'exécution des arrêts du Tribunal fédéral (
art. 102 ch. 5 Cst.
). | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cefe4e79-f60f-45d9-a95f-87d93a125694 | Urteilskopf
83 IV 167
46. Urteil des Kassationshofes vom 20. September 1957 i.S. Rietmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. | Regeste
Art. 26 Abs. 1 MFG.
Wann darf "rechts" überholt werden? | Sachverhalt
ab Seite 167
BGE 83 IV 167 S. 167
A.-
Am Vormittag des 2. Oktober 1956 führte Gygax einen schweren Lastwagen auf der geraden, über 9 m breiten Hauptstrasse von Dietikon in westlicher Richtung, um vor Spreitenbach nach rechts in die spitzwinklig abzweigende Zufahrtsstrasse der Betonwarenfabrik einzubiegen. Zu diesem Zweck hielt er 50-60 m vor der Abzweigung mit nach links gestelltem Richtungsanzeiger gegen die Strassenmitte und verlangsamte die Geschwindigkeit. In der Annahme, der Lastwagen werde nach links abschwenken, begann ihn Edith Rietmann mit einem "Renault-
BGE 83 IV 167 S. 168
Heck", dessen Geschwindigkeit 80 km/Std betrug, rechts zu überholen. Sie konnte den Zusammenstoss mit dem nach rechts abbiegenden Lastwagen, dessen Führer erst auf der Höhe der Fabrikeinfahrt den rechten Richtungsanzeiger stellte, nicht mehr verhindern. Beide Fahrzeuge wurden leicht beschädigt.
B.-
Das Obergericht des Kantons Aargau erklärte am 24. Mai 1957 Gygax der Widerhandlung gegen die Vorschriften über die Zeichengebung (
Art. 75 lit. b MFV
), Edith Rietmann der Übertretung des Art. 26 Abs. 1 MFG schuldig und verurteilte beide zu einer vorzeitig löschbaren Busse von je Fr. 40.-. Es warf Edith Rietmann vor, sie sei auf der falschen Seite vorgefahren. Es gebe nur eine einzige Ausnahme, wo rechts überholt werden dürfe, nämlich dann, wenn die Polizeibehörde durch Pfeilsignale auf dem Boden eine sog. Vorsortierung des Innerortsverkehrs ausdrücklich anordne.
C.-
Edith Rietmann beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, sie sei freizusprechen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei zum Rechtsüberholen berechtigt gewesen und habe nicht damit rechnen müssen, dass der Lastwagen im letzten Augenblick nach rechts abbiege.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Art. 26 Abs. 1 MFG verpflichtet den Motorfahrzeugführer, andere Strassenbenützer links zu überholen. Das Gesetz stellt damit einen allgemeinen Grundsatz auf, aber keine starre Regel, die ausnahmslos befolgt werden muss. Es bestimmt in
Art. 61 Abs. 3 MFV
selber, dass Strassenbahnen unter gewissen Voraussetzungen rechts zu überholen sind, und desgleichen ist Rechtsüberholen nicht bloss erlaubt, sondern eine Pflicht, wenn durch Fahrbahnmarkierung das Einspuren zum Zwecke der Verkehrsteilung behördlich angeordnet wird. Entgegen der Ansicht des Obergerichts hat sich das Prinzip des Vorsortierens auch auf Strassen, die mit entsprechender Markierung nicht versehen sind, allgemein, jedenfalls bei den Automobilisten,
BGE 83 IV 167 S. 169
durchgesetzt (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Strassenverkehr vom 24. Juni 1955, BBl 1955 II S. 33/34). Denn die Vorzüge, die frühzeitiges Einspuren vor dem Linksabbiegen auf breiten Strassen hat, sind offenkundig; einerseits vermindert es die Gefahr, dass das Vorhaben des Abschwenkens von den Führern nachfolgender Fahrzeuge zu spät wahrgenommen wird oder dass es im Falle von Gegenverkehr zu Stockungen führt, und anderseits wird der Linksabbiegende weniger versucht, das Vortrittsrecht entgegenkommender Fahrzeuge zu missachten, wenn er weiss, dass die in der gleichen Richtung Fahrenden ungestört passieren können. Soll aber das Einspuren seinen Zweck, die Sicherheit und Flüssigkeit des modernen Verkehrs zu fördern, erfüllen, so muss in solchen Fällen das Rechtsüberholen gestattet sein, vorausgesetzt, dass es mit der nach den Umständen geforderten Vorsicht durchgeführt wird. Dass es auch abgesehen von Notfällen Situationen geben kann, in denen von der gesetzlichen Regel des Linksüberholens abgewichen werden darf, nämlich dann, wenn ihre Befolgung unmöglich ist und der zu Überholende unmissverständlich sein Einverständnis zum Rechtsüberholen gibt, hat schon die bisherige Rechtsprechung anerkannt (
BGE 47 II 405
,
BGE 79 II 217
, unveröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 2. Dezember 1950 i.S. Frey, 11. Januar 1951 i.S. Baumann, 20. Januar 1956 i.S. Buscher).
2.
Im vorliegenden Fall war es unvorsichtig, aus dem Einspuren des Lastwagens in die Strassenmitte und aus dem nach links gestellten Richtungsanzeiger zu schliessen, dass Gygax nach links abbiegen werde. Gewiss hätte Gygax den rechten Richtungsanzeiger sofort nach dem Verlassen der rechten Fahrbahn und nicht erst vor dem Abschwenken nach rechts stellen sollen. Seine Fahrweise war jedoch nicht derartig eindeutig, dass der von der Beschwerdeführerin gezogene Schluss sich als der einzig mögliche aufdrängte. Da der Lastwagen auf eine Strecke von 50-60 m auf der Strassenmitte blieb, obschon kein
BGE 83 IV 167 S. 170
Gegenverkehr das Linksabbiegen behinderte, und seine Geschwindigkeit vor der Abzweigung zur Betonwarenfabrik sich zusehends verminderte, war die Möglichkeit, dass er nach rechts abschwenken könnte, keineswegs ausgeschlossen; dies um so weniger, als nach dem Situationsplan, den die Beschwerdeführerin als richtig anerkannt hat, in unmittelbarer Nähe keine Strasse von links einmündet. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass vor ihr fahrende Fahrzeuge den Lastwagen rechts überholt hätten, findet in den Akten keine Stütze. Unter diesen Umständen hätte die Beschwerdeführerin die Fahrt verlangsamen und die Abklärung der unsichern Lage abwarten müssen, bevor sie überholte. Jedenfalls war das Rechtsüberholen unzulässig und hat die Beschwerdeführerin damit Art. 26 Abs. 1 MFG verletzt.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf049d5c-e685-4180-a9ca-e6fbbcb17a86 | Urteilskopf
116 II 651
115. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. November 1990 i.S. S. & Co. gegen K. | Regeste
Unentgeltliche Rechtspflege (
Art. 152 OG
).
Kollektiv- und Kommanditgesellschaften haben Anspruch auf unentgeltliche Zivilrechtspflege, wenn die Prozessarmut sowohl der Gesellschaft wie aller unbeschränkt haftenden Gesellschafter ausgewiesen ist. | Erwägungen
ab Seite 652
BGE 116 II 651 S. 652
Aus den Erwägungen:
2.
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat nach
Art. 152 OG
die bedürftige Partei, deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Die Regelung ist nach der Rechtsprechung auf natürliche Personen zugeschnitten; juristische Personen sind vom Anspruch ausgeschlossen (
BGE 88 II 386
Nr. 54). Diese können sich ausserhalb des Regelungsbereichs des Bundesprozessrechts auch nicht auf die verfassungsmässige Garantie der unentgeltlichen Rechtspflege nach
Art. 4 BV
berufen (nicht publ. Entscheid vom 11. März 1987 i.S. S. AG c. M.). Bisher nicht entschieden wurde die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen parteifähige Rechtsgebilde - insbesondere Kollektiv- und Kommanditgesellschaften -, welchen keine oder keine volle Rechtsfähigkeit als juristische Personen zukommt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege haben; verneint wurde sie lediglich für die Konkursmasse (
BGE 61 III 170
Nr. 49).
a) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung entspricht herrschender schweizerischer Auffassung (HAEFLIGER, Der bundesrechtliche Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege im Zivilprozess, FS 500 Jahre Solothurn im Bund, S. 375 ff., 378; derselbe, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 162/3; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 4. Aufl. 1984, S. 253; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts, 2. Aufl. 1988, S. 231, Rz. 62; LEUCH, N 2 zu
Art. 77 ZPO
BE). Abweichende Meinungen haben sich nicht durchzusetzen vermocht (vgl. etwa GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 410 Fn. 30 lit. c; CHRISTIAN FAVRE, L'assistance judiciaire gratuite en droit suisse, Diss. Lausanne 1988, S. 98 ff. mit weiteren Hinweisen in Fn. 2, S. 101).
Von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, besteht keine Veranlassung, auch nicht mit Blick auf die europäische Menschenrechtskonvention.
Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
beschränkt den Anspruch auf Verbeiständung ausdrücklich auf den Bereich des Strafverfahrens. Die Rechtsprechung hat es bisher abgelehnt, aus
BGE 116 II 651 S. 653
den Verfahrensgarantien dieser Bestimmung einen allgemeinen Anspruch der bedürftigen Partei auf unentgeltliche Zivilrechtspflege abzuleiten (Berger, Jurisprudence de la Cour européenne des droits de l'homme, 2e éd. 1984, S. 110 Nr. 227; zum Gesamten auch PATRICK WAMISTER, Die unentgeltliche Rechtspflege, die unentgeltliche Verteidigung und der unentgeltliche Dolmetscher unter dem Gesichtspunkt von
Art. 4 BV
und
Art. 6 EMRK
, Diss. Basel 1983, S. 62 ff. und 72 f.).
Die Antinomie zwischen natürlichen und juristischen Personen wird der Kollektiv- und der Kommanditgesellschaft allerdings nicht gerecht und erlaubt daher für sich allein deren feste Zuordnung unter den einen oder andern Begriff nicht. Ob sie Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege haben, ist daher aus systematischen und namentlich teleologischen Erwägungen zu ermitteln.
b) Die Bestimmungen der Kantone zur hier interessierenden Frage lassen sich im wesentlichen in vier Kategorien einteilen.
aa) Eine erste Gruppe von Kantonen gewährt die unentgeltliche Rechtspflege der bedürftigen, unvermögenden oder armen Partei, ohne ausdrücklich nach der Art der Rechtspersönlichkeit zu unterscheiden (
§ 305 ZPO
LU,
Art. 94 ZPO
UR,
§ 75 ZPO
SZ,
§ 173 ZPO
BS,
§ 71 ZPO
BL, NE Art. 2 loi sur l'assistance judiciaire et administrative).
Ausdrücklich zugelassen oder befürwortet wird die unentgeltliche Rechtspflege für Kollektiv- und Kommanditgesellschaften in den Kantonen Luzern (SJZ 27/1930/31, S. 103 Nr. 86; WALTER DÜGGELIN, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Luzern, S. 33) und Basel-Stadt (HABERTHÜR, Praxis zur Basler Zivilprozessordnung, Band II, S. 728).
bb) Eine zweite Gruppe beschränkt den Anspruch auf natürliche Personen, ohne sich über die Zuordnung der Personengesellschaften ausdrücklich auszusprechen (
§ 106 Abs. 3 ZPO
SO,
§ 125 ZPO
AG,
§ 80 ZPO
TG,
Art. 155 ZPO
TI, VD Art. 1 loi sur l'assistance judiciaire en matière civile, GE Art. 143A loi sur l'organisation judiciaire).
Zugelassen zur unentgeltlichen Rechtspflege scheinen die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften namentlich in den Kantonen Aargau (EICHENBERGER, Beiträge zum aargauischen Zivilprozessrecht, S. 91; derselbe, N 2 zu
§ 125 ZPO
AG) und Thurgau zu sein (vgl. Bundesgerichtsentscheid vom 8. September 1989 i.S. C. c. S.).
cc) Damit verwandt sind die Regelungen einer dritten Gruppe, wonach die Prozessarmut davon abhängig ist, dass die Partei die
BGE 116 II 651 S. 654
Prozessmittel neben dem Lebensunterhalt für sich und ihre Familie nicht aufbringen kann, was ebenfalls bloss auf natürliche Personen zugeschnitten sein dürfte (
Art. 77 ZPO
BE,
Art. 98 ZPO
OW, Art. 51 GG NW,
Art. 53 ZPO
GL,
§ 46 ZPO
ZG, FR Art. 1 des Gesetzes betreffend die unentgeltliche Rechtspflege,
Art. 127 ZPO
SH,
Art. 98 ZPO
AI,
Art. 156 ZPO
SG,
Art. 76 ZPO
JU, VS Art. 4 des Gesetzes zur Verminderung der Ausgaben an Gerichtskosten und zum Zwecke der Abänderung einiger Artikel der Prozessordnung).
Befürwortet wird die unentgeltliche Rechtspflege für Kollektiv- und Kommanditgesellschaften namentlich in den Kantonen Bern (LEUCH, N 2 zu
Art. 77 ZPO
BE), Glarus (THOMAS NUSSBAUMER, Ausgewählte Rechtsbehelfe der Glarner Zivilprozessordnung, Diss. Zürich 1980, S. 41) und Zug (KURT MEYER, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Zug, Diss. Freiburg 1952, S. 81).
dd) Eine vierte Gruppe schliesslich nimmt die Handelsgesellschaften vom Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege ausdrücklich aus (
§ 84 Abs. 3 ZPO
ZH,
Art. 87 Abs. 2 ZPO
AR allerdings beschränkt auf den Regelfall,
Art. 42 Abs. 5 ZPO
GR).
c) In der schweizerischen Literatur wird im allgemeinen die Auffassung vertreten, den Kollektiv- und Kommanditgesellschaften sei bei eigener Prozessarmut und solcher ihrer unbeschränkt haftenden Gesellschafter für nicht aussichtslose Vorkehren das Recht der unentgeltlichen Rechtspflege zu gewähren (vgl. neben den zu den einzelnen kantonalen Regelungen aufgeführten Autoren namentlich SONTAG, SAG 21/1948/49, S. 94/5; FRITZ VON STEIGER, SAG 23/1950/51, S. 161 ff.; WAMISTER, a.a.O., S. 73; FAVRE, a.a.O., S. 102).
Die deutsche (§ 116 Ziff. 2) und die österreichische (§ 63 Abs. 2) ZPO ermöglichen die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege auch an juristische Personen und parteifähige Vereinigungen (DZPO) oder Gebilde (AZPO), wenn die erforderlichen Mittel weder von ihnen noch von den am Rechtsstreit wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können.
d) Den Kollektiv- und den Kommanditgesellschaften geht nach schweizerischer Auffassung die Rechtspersönlichkeit ab (
BGE 95 II 549
E. 2). Sie erscheinen als Gesamthandgemeinschaften, die allerdings in bestimmten Hinsichten wie juristische Personen behandelt werden (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 6. Aufl. 1989, S. 205 Rz. 15 und S. 223 Rz. 14; WERNER VON STEIGER, SPR VIII/1, S. 244/5,
BGE 116 II 651 S. 655
528 ff. und 589/90; BUCHER, N 110 zu
Art. 11 ZGB
). BUCHER spricht von der geläufigen Formel, diese Gesellschaften im Innenverhältnis als Gesamthandschaften, im Aussenverhältnis dagegen als juristische Personen zu bezeichnen (N 49 zu
Art. 11 ZGB
).
Das Bundesgericht hat in
BGE 88 II 388
(E. 3) die juristischen Personen vom Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach
Art. 152 OG
ausgenommen, weil sie im Sinne des Gesetzes nicht "bedürftig" oder nach dem französischen Gesetzestext nicht "dans le besoin" sein könnten. Dem Gesetzgeber habe vorgeschwebt, den armen wie den reichen Mann gleichermassen zur Rechtsverfolgung zuzulassen. Die Rechtsgleichheit könne aber im hier interessierenden Bereich zwischen natürlichen und juristischen Personen nicht angerufen werden. Auf die Verhältnisse der weiteren Beteiligten, namentlich der Mitglieder der juristischen Person, könne nichts ankommen, da nicht ihr Prozess geführt werde.
Vieles spricht dafür, diese Erwägungen auch gegenüber Kollektiv- und Kommanditgesellschaften anzuwenden und sie entsprechend vom Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach
Art. 152 OG
auszuschliessen. Nach deutschem Recht werden die parteifähigen Vereinigungen in dieser Hinsicht den juristischen Personen gleichgesetzt (§ 116 Ziff. 2 DZPO), was namentlich damit begründet wird, dass die für natürliche Personen geltenden Kriterien der Prozessarmut auf sie nicht anwendbar seien (ROSENBERG/SCHWAB, Zivilprozessrecht, 14. Aufl. 1986, S. 522).
Demgegenüber ist nicht zu übersehen, dass die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften namentlich in vermögensrechtlicher Hinsicht Gesamthandverhältnisse sind, die zwar selbständig Vermögensrechte unter eigener Firma erwerben können (WERNER VON STEIGER, a.a.O., S. 529), dieses Sondervermögen aber in Wirklichkeit nicht der Gesellschaft, sondern den Gesellschaftern zu gesamter Hand zusteht und diese Träger der Rechte und Pflichten sind (MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, a.a.O., S. 205 Rz. 16). Ein gegen die parteifähige Gesellschaft ergehendes Urteil berührt daher unmittelbar auch die Gesellschafter persönlich, entfaltet ihnen gegenüber formelle und materielle Rechtskraftwirkung, soweit nicht ausschliesslich persönliche Einreden in Frage stehen (
BGE 71 II 40
). Ein gegen die Gesellschaft ergangenes Urteil gibt daher einen Rechtsöffnungstitel - nach herrschender Auffassung allerdings bloss einen provisorischen - auch gegen die unbeschränkt haftenden Gesellschafter ab (SIEGWART, N 12 zu
Art. 562 OR
; HARTMANN, N 16 zu
Art. 562 OR
; WERNER VON STEIGER, a.a.O.,
BGE 116 II 651 S. 656
S. 533). Sie haften für die Gesellschaftsschulden solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen (Art. 568 Abs. 1 und 594 Abs. 1 OR). Diese materielle Rechtsträgerschaft der Gesellschafter aber unterscheidet die Personengesellschaften entscheidend von den juristischen Personen, auch von der Konkursmasse (
BGE 61 III 170
), so dass sich nicht rechtfertigt, sie grundsätzlich vom Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege auszuschliessen. Insbesondere ist auch zu beachten, dass die Gesellschafter - im Gegensatz zu den Konkursgläubigern - keine Möglichkeit haben, einen Prozess an Stelle der Gesellschaft in eigenem Namen oder in Prozessstandschaft zu führen, insbesondere nicht auf der Passivseite. Die Personengesellschaften sind daher insoweit den natürlichen und nicht den juristischen Personen gleichzusetzen.
Damit ist gleichzeitig gesagt, dass die Gewährung des Rechts zur unentgeltlichen Prozessführung an Kollektiv- und Kommanditgesellschaften nur in Frage kommt, wenn die Prozessarmut sowohl der Gesellschaft wie aller unbeschränkt haftenden Gesellschafter erstellt ist (statt vieler LEUCH, a.a.O.). Sind ein oder mehrere unbeschränkt haftende Gesellschafter in der Lage, für die Prozesskosten aufzukommen, obliegt ihnen als materielle Rechtsträger auch die Vorschusspflicht. Die Bedürftigkeit bloss einzelner Gesellschafter gibt keinen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, da im Gesellschaftsprozess keine Streitgenossenschaft vorliegt (vgl.
BGE 115 Ia 193
). Die unentgeltliche Rechtspflege kann entzogen werden, wenn die Gesellschaft oder einer ihrer unbeschränkt haftenden, bisherigen oder neu eingetretenen Gesellschafter zur Bevorschussung zusätzlicher Prozesskosten in die Lage kommt. Über ihre Solidarhaftung unterstehen sodann auch die Kollektivgesellschafter und die Komplementäre dem Rückforderungsvorbehalt von
Art. 152 Abs. 3 OG
. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf09a130-4a07-4719-854b-e1fba288a564 | Urteilskopf
114 II 32
6. Sentenza della II Corte civile del 7 marzo 1988 nella causa Bloechliger c. Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Erwerb von Grundeigentum: Aneignung (
Art. 658 ZGB
), ausserordentliche Ersitzung (
Art. 662 ZGB
).
Ist im Grundbuch der Eigentümer eines Grundstückes als unbekannt eingetragen, so kann das Eigentum an diesem Grundstück nicht durch Aneignung erworben werden. Möglich ist indessen der Erwerb durch ausserordentliche Ersitzung, sofern die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Die Aneignung setzt nämlich die Dereliktion des Eigentums durch den früheren Eigentümer voraus. Im vorliegenden Fall ist die Dereliktion nicht bewiesen. | Sachverhalt
ab Seite 33
BGE 114 II 32 S. 33
Lucie Bloechliger è proprietaria, nel Comune di Semione, della part. 2238 RT che confina su tre lati con la part. 2246 RT intestata a proprietario sconosciuto ed amministrata dalla Delegazione tutoria comunale. Le autorità preposte alla procedura di raggruppamento dei terreni hanno respinto una domanda di Lucie Bloechliger tendente ad ottenere la proprietà anche della part. 2246.
Il 9 giugno 1987 Lucie Bloechliger ha chiesto all'ufficiale del registro fondiario del distretto di Blenio di essere iscritta quale proprietaria della part. 2246 RT, asserendo che si trattava di cosa senza padrone e facendo valere il titolo di acquisto dell'occupazione.
Il 1o luglio 1987 l'ufficiale del registro ha respinto l'istanza per il motivo che l'acquisto per occupazione è possibile solo per una cosa senza padrone, che una cosa è tale se il proprietario ha formalmente rinunciato alla proprietà facendo procedere alla cancellazione dell'iscrizione a registro fondiario, e che tale situazione non si verifica per la part. 2246 RT iscritta quale fondo di proprietario sconosciuto.
Un ricorso di Lucie Bloechliger contro la decisione dell'ufficiale del registro fondiario è stato respinto il 17 settembre 1987 dal Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino, quale autorità di vigilanza in materia di registro fondiario.
BGE 114 II 32 S. 34
Lucie Bloechliger ha proposto al Tribunale federale ricorso di diritto amministrativo con il quale chiede che la decisione dell'autorità cantonale sia annullata e che gli atti siano rinviati a questa stessa autorità per nuovo giudizio.
L'autorità cantonale si è limitata a riferirsi alla propria decisione. Il Dipartimento federale di giustizia e polizia propone la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
Davanti all'autorità cantonale la ricorrente ha sostenuto che un fondo diventa senza padrone non solo quando vi è stata derelizione, ma altresì quando il registro fondiario non indica alcun possibile proprietario ed appare quindi esclusa la possibilità di risalire ad una persona che sia o sia stata proprietaria. Un fondo intavolato con la dizione "proprietario sconosciuto", come in concreto, dev'essere assimilato al fondo "senza proprietario". Secondo la ricorrente, solo se il registro fondiario - nonostante l'indicazione di un nome - non consente più di accertare l'identità del proprietario, per illeggibilità o assenza di relazione con una persona determinata o perché il precedente proprietario è stato cancellato senza che il nuovo sia stato iscritto (anche in siffatte ipotesi il proprietario può considerarsi "sconosciuto"), l'acquisto per occupazione non è possibile e soccorre, come nel caso in cui il proprietario è morto o dichiarato scomparso all'inizio del termine di trent'anni, l'istituto della prescrizione straordinaria. Un fondo è invece necessariamente senza padrone, se il registro fondiario non indica alcun possibile proprietario. Nel suo gravame al Tribunale federale la ricorrente rimprovera all'autorità cantonale di aver ritenuto data una delle ipotesi dell'art. 662 cpv. 2 CC senza verificare il motivo per il quale negli atti del registro comunale non figurava il nome di un proprietario, con la conseguenza che il fondo fu intavolato a "proprietario sconosciuto". Ad avviso della ricorrente, è plausibile che la mancanza del nome di un proprietario nel registro comunale sia dovuta al fatto che mai una persona sarebbe stata iscritta, oppure che sia stata iscritta e successivamente cancellata. In entrambi i casi risulterebbe escluso ogni riferimento, anche solo incerto, ad una persona ed esclusa quindi ogni possibilità di risalire alla stessa. Un fondo intavolato, in queste condizioni, a un proprietario sconosciuto è un fondo senza padrone. Si può presumere che i precedenti proprietari abbiano
BGE 114 II 32 S. 35
realmente avuto la volontà di abbandonare la proprietà con atto di derelizione.
2.
Come osserva la stessa ricorrente, è indubbio che se un fondo figura intestato nel registro fondiario a nome di un proprietario e che solo esiste ambiguità o incertezza riguardo alla persona di quest'ultimo (per difficoltà o impossibilità d'identificazione), il fondo non risulta "senza padrone", anche se praticamente il proprietario è sconosciuto. Un'occupazione non entra in tal caso in linea di conto, e il terzo può far capo unicamente al modo di acquisto della prescrizione straordinaria (art. 662 cpv. 2 CC).
Ma anche laddove il registro fondiario contenga solo la menzione "proprietario sconosciuto", ciò non significa senz'altro che il fondo sia senza padrone. Prescindendo dal fatto che l'identificazione della persona del proprietario non appare a priori esclusa, l'assenza di indicazioni può essere dovuta, come rileva l'autorità cantonale, a carenze od errori nella gestione dei vecchi registri comunali, e non autorizza la conclusione (e neppure la presunzione) che il fondo sia diventato "res nullius". In altri termini, dalla mancanza d'indicazioni sull'identità del proprietario non si deduce imperativamente la mancanza di un diritto di proprietà, e quindi la possibilità di un acquisto per occupazione.
Del resto, l'acquisto per occupazione può avvenire solo "se risulti dal registro fondiario" ("nach Ausweis des Grundbuches") che la cosa è senza padrone (o, come si esprime il testo francese, "que cet immeuble est devenu chose sans maître") (art. 658 cpv. 1 CC). Questa disposizione va letta in relazione con l'art. 666 cpv. 1 CC, secondo cui la proprietà fondiaria si estingue con la cancellazione dell'iscrizione o con la perdita totale del fondo. La cancellazione dell'iscrizione ha luogo mediante dichiarazione del proprietario di voler rinunciare al proprio diritto di proprietà, ed istanza di radiazione dell'iscrizione indirizzata all'ufficiale del registro fondiario (derelizione).
Nel caso concreto, manca qualsiasi prova che il fondo 2246 RT, di cui la ricorrente pretende ottenere la proprietà per occupazione, sia divenuto (per derelizione) cosa senza padrone o non abbia mai avuto un proprietario. La decisione impugnata appare, pertanto, conforme al diritto federale. Essa ha, del resto, il conforto della dottrina unanime: LEEMANN N 2, HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL N 1, MEIER-HAYOZ N 1 e 6 all'art. 658; WIELAND art. 658 CC; LIVER, Schweiz. Privatrecht, vol. V/1, pag. 143.
BGE 114 II 32 S. 36
3.
L'esito di cui sopra non dipende da ulteriori accertamenti sulle ragioni per le quali il nome del proprietario non è desumibile dai registri comunali. Non si giustifica, quindi, un rinvio all'autorità cantonale per nuovi accertamenti e nuovo giudizio.
A titolo meramente abbondanziale, può essere rilevato che ricerche sono in realtà state fatte, come si evince dalla lettera inviata il 7 settembre 1987 dal Comune di Semione al Dipartimento di giustizia e contenuta nell'incarto cantonale. Ne risulta che nell'anno 1885 il fondo oggetto del litigio era intestato nel sommarione comunale dei fabbricati a Realini fratelli fu Andrea. Il fondo 2246 RT figura, d'altra parte, sui registri censuari ancora con il nome locale di Casa Realini.
Questi accertamenti non sono stati menzionati nella decisione impugnata e la ricorrente non sembra esserne stata a conoscenza. Non essendo peraltro determinanti ai fini del giudizio, non occorre comunicarli previamente alla ricorrente perché possa esprimersi al riguardo. Essi confermano solo il fondamento della tesi, che, in passato, esisteva un proprietario, e che non è stata dimostrata una successiva derelizione; anche senza tale prova l'eventualità in questione non poteva essere esclusa, ciò che comporta necessariamente la reiezione del gravame, manifestamente infondato già alla luce dei motivi addotti nella decisione impugnata. | public_law | nan | it | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf0bb1cf-e0d1-48ac-8947-66dee0056930 | Urteilskopf
138 V 324
40. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen B. AG und Ausgleichskasse X. (Beschwerde in öffentlich- rechtlichen Angelegenheiten)
9C_650/2011 vom 18. Juni 2012 | Regeste
Art. 1a Abs. 3 EOG
und
Art. 23 BZG
; Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung bei Zivilschutzeinsätzen zu Gunsten der Gemeinschaft.
Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 1a Abs. 3 EOG
knüpft der Anspruch auf eine Entschädigung des Erwerbsausfalls ausschliesslich an die Soldberechtigung an (E. 5.2). Diese kann in der Regel nicht in Abrede gestellt werden mit der Begründung, die für den fraglichen Dienst erforderliche Bewilligung sei ungenügend (oder gar nicht vorhanden), aber mit jener, die zulässige Anzahl Diensttage sei überschritten (E. 5.3). | Sachverhalt
ab Seite 324
BGE 138 V 324 S. 324
A.
Z. war bei der B. AG angestellt, als er im Jahr 2008 als Kaderangehöriger der Zivilschutzorganisation Y. insgesamt 29
BGE 138 V 324 S. 325
Schutzdiensttage leistete; von diesen entfielen elf Tage (3. bis 6. März und 13. bis 21. November 2008, abzüglich ein Wochenende) auf Einsätze für die Gemeinschaft. Die entsprechende Erwerbsausfallentschädigung wurde der Arbeitgeberin ausbezahlt. Mit Verfügung vom 3. November 2010 forderte die Ausgleichskasse X. (nachfolgend: Ausgleichskasse) von der B. AG Fr. 1'320.95 zurück. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 22. Dezember 2010 ab mit der Begründung, von den Einsätzen zu Gunsten der Gemeinschaft könnten zwei Tage als Wiederholungskurs anerkannt werden, während neun Tage mangels Dienstbewilligung nicht entschädigungsberechtigt gewesen seien.
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde der B. AG mit Entscheid vom 30. Juni 2011 gut und hob den Einspracheentscheid vom 22. Dezember 2010 auf.
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt sinngemäss, der Entscheid vom 30. Juni 2011 sei aufzuheben.
Die B. AG und das kantonale Gericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Personen, die Schutzdienst leisten, haben für jeden ganzen Tag, für den sie Sold im Sinne von Art. 22 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 2002 über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz (Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz, BZG; SR 520.1) beziehen, Anspruch auf eine Entschädigung (
Art. 1a Abs. 3 EOG
[SR 834.1] in Verbindung mit
Art. 23 BZG
).
Gemäss aArt. 27 Abs. 2 lit. c BZG (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2011 geltenden Fassung; heute
Art. 27a Abs. 1 lit. b BZG
) können die Kantone Schutzdienstpflichtige u.a. für Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft aufbieten. Die Kantone regeln das Aufgebotsverfahren (aArt. 27 Abs. 3 BZG; heute
Art. 27a Abs. 4 BZG
) sowie die Bewilligungserteilung für die Gemeinschaftseinsätze auf kantonaler und kommunaler Ebene (Art. 8 Abs. 1 der auf den 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Verordnung über Einsätze des Zivilschutzes zugunsten der Gemeinschaft [VEZG; SR 520.14]; die Bestimmung ist
BGE 138 V 324 S. 326
identisch mit Art. 7 aVEZG [AS 2003 5175]). Gemäss
Art. 2 VEZG
(resp. Art. 2 aVEZG) können diese erbracht werden, wenn die Gesuchsteller oder Gesuchstellerinnen ihre Aufgaben nicht mit eigenen Mitteln bewältigen können (lit. a); der Gemeinschaftseinsatz mit dem Zweck und den Aufgaben des Zivilschutzes übereinstimmt und der Anwendung des in der Ausbildung erworbenen Wissens und Könnens dient (lit. b); der Gemeinschaftseinsatz private Unternehmen nicht übermässig konkurrenziert (lit. c); und das unterstützte Vorhaben nicht überwiegend dem Ziel der Geldmittelbeschaffung dient (lit. d).
2.2
Im Kanton Bern können nach Art. 54 lit. c des kantonalen Bevölkerungsschutz- und Zivilschutzgesetzes vom 24. Juni 2004 (KBZG/BE; BSG 521.1) sowohl der Kanton als auch die Gemeinden Aufgebote für Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft erlassen. Diese Dienstleistungen werden gemäss Art. 55 Abs. 2 KBZG/BE auf eine Woche pro Jahr beschränkt. Kader sowie Spezialistinnen und Spezialisten können nach Art. 55 Abs. 3 KBZG/BE zusätzlich bis zu vier Tagen aufgeboten werden. Auf freiwilliger Basis und in Absprache mit der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber sind länger dauernde Dienstleistungen möglich (Art. 55 Abs. 4 KBZG/BE; vgl. zur heutigen Rechtslage
Art. 27a Abs. 2 BZG
). Dementsprechend konnten im Kanton Bern Schutzdienstpflichtige durch die Gemeinde oder den Kanton grundsätzlich zeitlich unbegrenzt aufgeboten werden.
Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. h der kantonalen Verordnung vom 27. Oktober 2004 über den Zivilschutz (KZSV/BE; BSG 521.11; in der bis am 31. Dezember 2011 gültig gewesenen Fassung) überprüft das Amt für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär (BSM) des Kantons Bern die Bewilligungen der Einsätze der Zivilschutzorganisation zu Gunsten der Gemeinschaft anhand der VEZG. Weiter bestimmt Art. 17 KZSV/BE, dass die Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft die Vorgaben des VEZG erfüllen und vom BSM des Kantons Bern überprüft werden. Auch wenn in den dargelegten Bestimmungen von einer "Überprüfung" (resp. in der französischen Fassung "vérifier" und "contrôler") der Einsätze die Rede ist, steht ausser Frage, dass das BSM des Kantons Bern letztlich die zuständige Behörde für die Bewilligungserteilung im Sinne von
Art. 8 VEZG
resp. Art. 7 aVEZG ist. Nichts anderes ergibt sich aus dem vorinstanzlichen Entscheid und auch von den Parteien wird nichts Gegenteiliges vorgebracht. Die jeweilige Zivilschutzorganisation hat die Gemeinschaftseinsätze also vom BSM des Kantons Bern bewilligen zu lassen. Diese Bewilligung stellt eine Verfügung dar, da sie die Aufgebote für die
BGE 138 V 324 S. 327
Gemeinschaftseinsätze in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Ordnung erlaubt (vgl. TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, § 44 Rz. 1).
2.3
Das BSV hat die Wegleitung zur Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende und Mutterschaft erlassen (WEO; hier relevant ist die ab 1. Juli 2005 bis 31. Dezember 2010 geltende Fassung
www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/view/1820/lang:deu/category:97
), welche sich an die Verwaltung richtet und zwar das Gericht nicht bindet, aber bei der Entscheidfindung zu berücksichtigen ist (
BGE 133 V 587
E. 6.1 S. 591,
BGE 133 V 257
E. 3.2 S. 258 f.; je mit Hinweisen). Danach ist folgender Verfahrensablauf vorgesehen: Nach Absolvierung des Dienstes füllt der Rechnungsführer oder die Rechnungsführerin des Zivilschutzes (vgl.
Art. 62 Abs. 3 BZG
) ein bestimmtes Anmeldeformular aus und trägt im Feld "Code der Dienstleistung" für Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft und für Wiederholungskurse die Codierung "20" ein (Rz. 1030 WEO). Nachdem die Dienst leistende Person ihre persönlichen Daten und der Arbeitgeber die Lohnangaben eingetragen hat, erhält die Ausgleichskasse das Anmeldeformular (Rz. 1033 f., 1045 und 1049 WEO). Diese prüft das Anmeldeformular. Gegebenenfalls sendet sie es zur Ergänzung zurück oder verlangt weitere Unterlagen. Die Entschädigung darf nur ausgerichtet werden, wenn der Anspruch vorschriftsgemäss geltend gemacht wurde, die Diensttage vom Rechnungsführer oder der Rechnungsführerin bzw. der Vollzugsstelle bescheinigt worden sind und die Voraussetzungen für den Bezug der zutreffenden Entschädigung erfüllt sind (Rz. 1050 und 6009-6012 WEO).
3.
3.1
Unrechtmässig ausgerichtete Erwerbsausfallentschädigungen können zurückgefordert werden (
Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG
[SR 830.1] in Verbindung mit
Art. 1 EOG
), falls die Voraussetzungen für ein revisions- oder wiedererwägungsweises Zurückkommen auf die formlos erfolgte (vgl.
Art. 18 Abs. 2 EOG
) Leistungszusprechung gegeben sind (vgl.
Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG
;
BGE 122 V 367
E. 3 S. 368 f.; UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 13 zu
Art. 25 ATSG
).
3.2
Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen gemäss
Art. 53 Abs. 1 ATSG
in prozessuale Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder
BGE 138 V 324 S. 328
Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsfeststellung dient. Es bedarf dazu neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen (
BGE 127 V 353
E. 5b S. 358 und SVR 2010 UV Nr. 22 S. 90, 8C_720/2009 E. 5.2; je mit Hinweisen).
3.3
Gemäss
Art. 53 Abs. 2 ATSG
kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn die ursprüngliche Leistungszusprechung nach damaliger Sach- und Rechtslage zweifellos unrichtig war (vgl.
BGE 125 V 383
E. 3 S. 389;
BGE 119 V 475
E. 1c S. 480 mit Hinweisen; Urteil 8C_769/2010 vom 12. November 2010 E. 2.2) und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Vorausgesetzt ist, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung möglich, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist (Urteile 9C_418/2010 vom 29. August 2011 E. 3.2; 9C_575/2007 vom 18. Oktober 2007 E. 2.2; je mit Hinweisen). Dieses Erfordernis ist in der Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprache aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden.
4.
Die Vorinstanz hat eine Verwirkung des Rückforderungsanspruches verneint, was von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten wird. Sie ist der Auffassung, mit dem Abstempeln der Dienstpläne durch das zuständige kantonale Amt seien die Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft bewilligt worden. Somit seien diese "soldberechtigt", weshalb die Erwerbsausfallentschädigung zu Recht ausgerichtet worden sei.
Das BSV macht geltend, für die Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft liege keine gültige Bewilligung vor, da die zuständige kantonale Behörde im Zeitpunkt der Bewilligungserteilung die materiellen Voraussetzungen gemäss
Art. 2 VEZG
(E. 2.1) nicht lediglich aufgrund des Dienstkalenders habe beurteilen können.
5.
5.1
Das Beschwerde führende BSV beruft sich nicht auf neue Tatsachen oder Beweismittel im Sinne von
Art. 53 Abs. 1 ATSG
. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich, weshalb eine prozessuale Revision ausser Betracht fällt. Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung gegeben sind.
BGE 138 V 324 S. 329
5.2
5.2.1
Nach dem klaren Wortlaut von
Art. 1a Abs. 3 EOG
(vgl. E. 2.1) knüpft der Anspruch auf eine Entschädigung des Erwerbsausfalls ausschliesslich an die Soldberechtigung gemäss
Art. 22 Abs. 1 BZG
an. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 134 V 208
E. 2.2 S. 211 mit Hinweisen).
5.2.2
Ein Anspruch auf Sold bestand u.a. für Einsätze zu Gunsten der Gemeinschaft nach einem Aufgebot nach aArt. 27 Abs. 2 lit. c BZG (Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 5. Dezember 2003 über den Zivilschutz [Zivilschutzverordnung, ZSV; SR 520.11] in der bis 31. Dezember 2011 geltenden Fassung; vgl. E. 2.1). Die Schutzdienstpflichtigen haben gemäss den Anordnungen der aufbietenden Stelle einzurücken (
Art. 7 ZSV
; vgl.
Art. 26 Abs. 1 BZG
). Leisten sie dem Aufgebot nicht Folge, droht ihnen eine Freiheits- oder Geldstrafe (
Art. 68 Abs. 1 lit. a BZG
). Personen, die für einen Einsatz zu Gunsten der Gemeinschaft von der zuständigen Behörde aufgeboten werden und diesem tatsächlich Folge leisten, wird ein Sold ausgerichtet.
5.2.3
Die Soldausrichtung an den Schutzdienstleistenden bezweckt eine zumindest teilweise Abgeltung der Kosten, die ihm aus der Erfüllung der Bürgerpflicht erwachsen. Dies geht jedenfalls für den militärischen Bereich aus der Marginalie "Versorgung" von Art. 29 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 3. Februar 1995 über die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG; SR 510.10) hervor. Den Materialien zur Zivilschutzgesetzgebung lässt sich hierzu nichts entnehmen (vgl. Botschaft vom 17. Oktober 2001 zur Totalrevision der Zivilschutzgesetzgebung, BBl 2002 1685, 1711 zu Art. 22; Botschaft vom 18. August 1993 zur Revision der Zivilschutzgesetzgebung, BBl 1993 III 825, 855 zu Art. 22). Mit der Erfüllung der Dienstpflicht ist aber auch ein Erwerbsausfall zu gewärtigen, den (teilweise) zu kompensieren die Entschädigung nach EOG bezweckt. Damit besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen Sold und Erwerbsausfallentschädigung.
5.2.4
In systematischer Hinsicht ist die Zusammenarbeit zwischen der Ausgleichskasse und der Zivilschutzbehörde (
Art. 62 Abs. 3 BZG
)
BGE 138 V 324 S. 330
vergleichbar mit jener zwischen Ausgleichskasse und kantonaler Steuerbehörde. Deren Angaben über das Einkommen und im Betrieb investierte Eigenkapital von Selbstständigerwerbenden bilden Grundlage für die Bemessung von Sozialversicherungsbeiträgen und sind für die Ausgleichskasse verbindlich (
Art. 23 Abs. 4 AHVV
[SR 831.101]). Ebenso wie diese damit von spezifisch steuerlichen Abklärungen befreit ist, muss sie sich auch grundsätzlich auf die Angaben der zuständigen Organe des Zivilschutzes verlassen können. Diese Auffassung scheint auch das BSV insofern zu teilen, als die WEO lediglich kassenspezifische Aufgaben wie die Prüfung des Anmeldeformulars, die Auswahl der zutreffenden Entschädigungsart und die Bemessung der Entschädigung konkretisiert. Dass die Ausgleichskasse in zivildienstrechtlicher Hinsicht nichts anderes als die - vom Rechnungsführer zu bescheinigende - Soldberechtigung zu prüfen hat, gilt namentlich in Bezug auf die Dienstbewilligung für Gemeinschaftseinsätze (E. 2.1), zumal eine Ausgleichskasse für deren Beurteilung in der Regel weder über die notwendigen Fachkenntnisse verfügt, noch mit den örtlichen Gegebenheiten in allen 26 in Betracht fallenden Kantonen vertraut ist. Nach dem Gesagten ist kein Grund für ein Abweichen vom klaren Wortlaut des
Art. 1a Abs. 3 EOG
ersichtlich.
5.3
5.3.1
Fraglich ist, ob eine ungenügende oder gar fehlende Bewilligung des Gemeinschaftseinsatzes der Soldberechtigung und damit dem Anspruch auf Entschädigung des Erwerbsausfalls entgegensteht. Eine Bewilligung dient im Allgemeinen dazu, eine private Tätigkeit präventiv auf ihre Übereinstimmung mit dem anwendbaren Recht hin zu überprüfen. Wird eine bestimmte Tätigkeit einer Bewilligungspflicht unterstellt, darf sie nur unter der Bedingung aufgenommen werden, dass die Behörde vorweg die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen geprüft hat (TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, a.a.O., § 44 Rz. 2). Die Bewilligungspflicht für Einsätze des Zivilschutzes zu Gunsten der Gemeinschaft (
Art. 8 Abs. 1 VEZG
) dient - auch wenn sie für die aufbietende Behörde gilt und keine private Tätigkeit betrifft - der Sicherstellung, dass solche Einsätze den materiellen Anforderungen von
Art. 2 VEZG
(E. 2.2) genügen. Zwar hat die aufbietende Stelle vor dem Aufgebot eine Bewilligung für die Gemeinschaftseinsätze einzuholen und ist sie verpflichtet, die Schutzdienstpflichtigen nur im Rahmen der erteilten Bewilligung einzusetzen (vgl.
Art. 8 VEZG
). Jedoch ändert selbst das Fehlen der erforderlichen Dienstbewilligung grundsätzlich nichts am Soldanspruch
BGE 138 V 324 S. 331
- und am Erwerbsausfall - des Schutzdienstpflichtigen: Die Bewilligungspflicht beschlägt nicht das Rechtsverhältnis zwischen der aufbietenden Stelle und dem Dienstpflichtigen; sie betrifft das Zusammenwirken zweier Behörden eines Kantons. Zudem ist es nicht Sinn und Zweck der Soldberechtigung, die Rechtmässigkeit des Diensteinsatzes zu garantieren (E. 5.2.3). Ausserdem hat der Schutzdienstpflichtige in der Regel gar keine Kenntnis vom Bewilligungsverfahren, und ein Aufgebot für einen unbewilligten Gemeinschaftseinsatz entbindet ihn für gewöhnlich nicht von der Dienstpflicht. Namentlich angesichts der Strafdrohung (E. 5.2.2) muss er vielmehr darauf vertrauen dürfen, dass die aufbietende Stelle rechtmässig vorgegangen ist und dass die wirtschaftlichen Folgen der Dienstleistung durch Sold- und Entschädigungszahlungen kompensiert werden.
In anderen, ähnlich gelagerten Fällen verwies das Bundesgericht auf die Missbrauchsgefahr bei Einsätzen zu Gunsten der Gemeinschaft und hielt diesbezüglich eine erhöhte Aufmerksamkeit der Ausgleichskasse für geboten (Urteile 9C_534/2009 vom 4. Februar 2010 E. 3.4.2 und 9C_1057/2008 vom 4. Mai 2009 E. 4.4.2). Diese Erwägungen stehen im Kontext der Frage nach der Verwirkung der Rückforderung und es lässt sich auch daraus nicht folgern, dass eine fehlende Dienstbewilligung den Soldanspruch ausschliesst.
5.3.2
Kein Anspruch auf Sold und Erwerbsausfallentschädigung besteht hingegen, wenn ein Aufgebot für einen Schutzdiensteinsatz erfolgt, für welchen das Gesetz eine eindeutige Höchstzahl bestimmt (vgl. Art. 35 f. BZG; E. 2.2) und dies für den Dienstleistenden aus dem Aufgebot erkennbar ist. Zur Leistung eines solchermassen rechtswidrigen Dienstes ist er nicht verpflichtet (vgl.
Art. 14 StGB
; STRATHENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2009, N. 1 zu
Art. 14 StGB
und N. 1 zu
Art. 333 StGB
).
5.3.3
Schutzdienstleistende haben somit grundsätzlich einen Anspruch auf Sold, wenn sie von der zuständigen Behörde zum Schutzdienst aufgeboten werden, dieser geleistet wird und die maximal zulässige Anzahl Diensttage nicht überschritten wird. Das BSV kann sich daher für die Annahme einer zweifellosen Unrichtigkeit der Entschädigungsausrichtung (E. 3.3) in der Regel nicht auf die ungültige oder fehlende Bewilligung des Gemeinschaftseinsatzes berufen.
5.4
Im konkreten Fall wurde und wird die Soldberechtigung des Z. für die 2008 geleisteten Schutzdiensteinsätze nicht in Abrede gestellt; insbesondere waren für ihn als Kaderangehöriger die umstrittenen
BGE 138 V 324 S. 332
Einsätze für die Gemeinschaft nicht limitiert (E. 2.2). Weiter fehlen Anhaltspunkte dafür, dass die Ausgleichskasse die formellen Vorgaben gemäss WEO (E. 2.3) nicht befolgt oder die Erwerbsausfallentschädigung aus einem anderen Grund zu Unrecht ausgerichtet haben soll. Nach dem Gesagten ist die Rückforderung der Entschädigung mangels eines Rückkommenstitels (E. 3.1) ausgeschlossen. Die Beschwerde ist unbegründet.
5.5
Dieses Ergebnis bedeutet indessen nicht, dass die Ausgleichskassen in jedem Fall die finanziellen Folgen von unbewilligten und somit rechtswidrigen Einsätzen zu Gunsten der Gemeinschaft zu tragen hätten. Ein entsprechender Anspruch auf Schadenersatz lässt sich gegebenenfalls mit der Staatshaftung begründen (vgl. Art. 100 ff. des kantonalen Personalgesetzes vom 16. September 2004 [PG/BE; BSG 153.01]). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf1b58d2-6ea9-4885-bf7a-ee8b546269a3 | Urteilskopf
109 Ib 193
33. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Oktober 1983 i.S. Baumgartner gegen Politische Gemeinde Bronschhofen, Regierungsrat des Kantons St. Gallen und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Raumplanung; Ausführungsvorschriften der Kantone.
Die vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen mittels Verordnung geschaffene Möglichkeit, seine Entscheide über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
an das kantonale Verwaltungsgericht weiterzuziehen, wird durch die Ermächtigung gemäss
Art. 36 Abs. 2 RPG
gedeckt. Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht auf den entsprechenden Teil einer kantonalen Beschwerde nicht eingetreten. | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 109 Ib 193 S. 194
Das Amt für Wasser- und Energiewirtschaft des Kantons St. Gallen verweigerte Baumgartner die Zustimmung zum Einbau einer Dreizimmerwohnung in seine im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Bronschhofen gelegene Pferdesportanlage. Ein beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen erhobener Rekurs blieb grösstenteils ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen gelangte auf Beschwerde Baumgartners zum Schluss, es sei lediglich zuständig zur Beurteilung der Frage, ob der streitige Wohnungseinbau zonenkonform sei, nicht aber für den Entscheid über die Zulässigkeit einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG). Soweit das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde eintrat, wies es sie am 24. August 1982 ab.
Baumgartner ficht den Entscheid des Verwaltungsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde, jenen des Regierungsrates mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. In der Beschwerdeschrift wirft er unter anderem die Frage auf, ob das Verwaltungsgericht zu Recht seine Befugnis zur Entscheidung über die Ausnahmebewilligung nach
Art. 24 RPG
verneint habe.
Erwägungen
Erwägungen:
Das Verwaltungsgericht hat allein die Frage beurteilt, ob dem Beschwerdeführer eine ordentliche Baubewilligung erteilt werden könne. Nicht materiell geprüft hat es dagegen, ob eine Ausnahmebewilligung im Sinne von
Art. 24 RPG
zu erteilen sei. Es stellt sich vorweg die Frage, ob das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, über die kantonale Beschwerde in vollem Umfang zu befinden.
a) Das Verwaltungsgericht hat seinen teilweisen
BGE 109 Ib 193 S. 195
Nichteintretensentscheid damit begründet, dass für die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Entscheides über die Ausnahmebewilligung die Voraussetzungen seiner sachlichen Zuständigkeit nicht gegeben seien. Art. 3 der Raumplanungsverordnung vom 8. Juli 1980 (RPV) bestimme zwar, dass gegen Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden könne. Diese Verordnungsvorschrift widerspreche jedoch Art. 59 Abs. 1 Ingress des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRP), wonach die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes nicht gegeben sei in Streitsachen, die mit einem ordentlichen Bundesrechtsmittel angefochten werden können. Da sich das Verordnungsrecht an das höherstufige formelle Gesetz zu halten habe, habe der Regierungsrat seine Kompetenzen überschritten, wenn er das Verwaltungsgericht in
Art. 3 RPV
als zuständig erklärt habe zur Beurteilung von Entscheiden über Bewilligungen nach
Art. 24 RPG
.
b) Landammann und Regierungsrat des Kantons St. Gallen haben am 18. Juli 1980 in Anwendung von
Art. 36 Abs. 2 RPG
eine Verordnung erlassen, welche laut Art. 1 die vorläufige Einführung des Bundesgesetzes über die Raumplanung regelt. Art. 3 enthält die vom Verwaltungsgericht als gesetzwidrig bezeichnete Bestimmung, dass Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden können.
Art. 36 Abs. 2 RPG
ermächtigt ausdrücklich die Kantonsregierungen, zur Ausführung des Gesetzes vorläufige Regelungen zu treffen. Für solche Regelungen, die bloss übergangsrechtliche Lücken schliessen dürfen, sind die Kantone kraft Bundesrechts nicht gehalten, die Stufenordnung ihrer Rechtsformen zu wahren (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 11 zu Art. 36, S. 385 f.). Das RPG ist im übrigen nicht das einzige Gesetz, welches den Kantonen erlaubt, Ausführungsvorschriften auf dem Verordnungswege zu erlassen. Eine entsprechende Bestimmung enthält beispielsweise das Bundesgesetz über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 in Art. 61 Abs. 2 (vgl.
BGE 105 Ib 102
f.). Auch Art. 52 Abs. 2 des Schlusstitels zum ZGB ermächtigt die Kantone zum Erlass von Ausführungsvorschriften auf dem Verordnungswege, und zwar selbst von Bestimmungen, die in ihrer Gültigkeit zeitlich nicht begrenzt sind (
BGE 108 Ia 183
f.). Zu untersuchen bleibt, ob sich Art. 3 der Raumplanungsverordnung, der unbestrittenermassen vom Grundsatz gemäss Art. 59 Abs. 1 Ingress VRP abweicht, im
BGE 109 Ib 193 S. 196
Rahmen der bundesrechtlichen Delegationsnorm von
Art. 36 Abs. 2 RPG
bewegt.
c) Die Ermächtigung gemäss
Art. 36 Abs. 2 RPG
schliesst auch die Befugnis ein, den Rechtsschutz dem Raumplanungsgesetz anzupassen, soweit dies nötig ist, um ihn nach den materiellen Grundsätzen dieses Gesetzes abwickeln zu können (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 22 zu Art. 36, S. 391; AEMISEGGER, Leitfaden zum Raumplanungsgesetz, S. 127). Die vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen mit
Art. 3 RPV
geschaffene Möglichkeit, seine Entscheide über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
ans Verwaltungsgericht weiterzuziehen, wird durch die erwähnte bundesrechtliche Ermächtigung zweifellos gedeckt. Im Kreisschreiben über die Raumplanungsverordnung weist das Baudepartement des Kantons St. Gallen mit Recht darauf hin, dass es bei der Beurteilung von Bewilligungen nach
Art. 24 RPG
kaum möglich sei, die Vorschriften des Bundesrechts und jene des kantonalen Rechts genau auseinanderzuhalten, weshalb sich eine Gabelung des Rechtsmittelweges (Beschwerde ans Verwaltungsgericht einerseits, Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht anderseits) als unzweckmässig und in der Praxis kaum durchführbar erweise. Es sei daher geboten, dass das kantonale Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren auch Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
beurteile (Amtsblatt Kanton St. Gallen 1980, S. 982/83). Das Bundesamt für Raumplanung hebt in seinen Bemerkungen zu den Beschwerden hervor, dass
Art. 24 RPG
zwischen den Fragen der Zonenkonformität und der Standortgebundenheit eine unlösbare Verbindung schaffe, die es verbiete, den Rechtsweg zu spalten, ansonsten ein sinnvoller Rechtsschutz erheblich behindert würde. Die vom Regierungsrat in
Art. 3 RPV
getroffene Regelung, den Beschwerdeweg ans kantonale Verwaltungsgericht im Rahmen von
Art. 24 RPG
auch für Rügen des Bundesrechts zu öffnen, ist erforderlich und geeignet, um einen Rechtsschutz gemäss den materiellen Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes zu ermöglichen. Am übergangsrechtlichen, vorläufigen Charakter dieser Regelung kann dabei kein Zweifel bestehen. Eine entsprechende Bestimmung hat inzwischen bereits Eingang in ein formelles kantonales Gesetz gefunden.
Art. 59 VRP
hat mit dem Nachtragsgesetz zum Baugesetz vom 6. Januar 1983, in Vollzug seit 1. September 1983, einen neuen Absatz 3 erhalten, wonach gegen Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen nach
Art. 24 RPG
Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben
BGE 109 Ib 193 S. 197
werden kann, obwohl ein ordentliches Bundesrechtsmittel offensteht.
Da
Art. 3 RPV
somit in
Art. 36 Abs. 2 RPG
eine ausreichende gesetzliche Grundlage besitzt, konnte der Regierungsrat gemäss
Art. 2 Abs. 2 VRP
von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichen und das Verwaltungsgericht als zuständig erklären zur Beurteilung von Entscheiden über Bewilligungen im Sinne von
Art. 24 RPG
. Das Verwaltungsgericht ist folglich zu Unrecht auf den entsprechenden Teil der kantonalen Beschwerde nicht eingetreten. In der Nichtanwendung von
Art. 3 RPV
durch das Verwaltungsgericht ist dabei eine Verletzung von Bundesrecht zu erblicken, da die vom Regierungsrat getroffene Regelung unmittelbar der Durchsetzung des RPG dient. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 6 zu Art. 34, S. 360). Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Urteil erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen und als solche gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Über die in der Beschwerde gegen die Nichterteilung der ordentlichen Baubewilligung erhobenen Einwände kann wegen des engen Zusammenhangs zwischen den Fragen der Zonenkonformität und der Standortgebundenheit ebenfalls nicht befunden werden, bevor sich das Verwaltungsgericht mit der Frage der Erteilung einer Ausnahmebewilligung auseinandergesetzt hat. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates ist nicht einzutreten, da es sich dabei, wie gezeigt, nicht um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im Sinne von
Art. 34 Abs. 1 RPG
handelt.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen und als solche gutgeheissen, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. August 1982 wird aufgehoben und die Sache zur ergänzenden Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 15. September 1981 wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cf1b6f42-d7fb-48b9-a805-f371d7aaa53e | Urteilskopf
100 Ia 386
55. Urteil vom 11. Dezember 1974 i.S. Lechleiter und Leiser gegen Kantonsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 85 lit. a OG
,
Art. 4 BV
; Ungültigerklärung einer kantonalen Volksinitiative wegen Verletzung einer Formvorschrift.
1. Ein gesetzliches Formerfordernis, wonach auf jedem Unterschriftenbogen die Namen und Wohnadressen der Mitglieder des Initiativkomitees anzugeben sind, verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
(E. 2 a, b).
2. Verletzt eine Behörde den
Art. 4 BV
, wenn sie eine diesem Formerfordernis nicht entsprechende Initiative für ungültig erklärt, nachdem sie den gleichen Formmangel gegenüber den gleichen Initianten bei einem früheren Volksbegehren irrtümlich nicht beanstandet hat? (E. 2 c). | Sachverhalt
ab Seite 387
BGE 100 Ia 386 S. 387
Aus dem Sachverhalt:
Nach § 13 Abs. 1 Ziff. 4 des zürcherischen Gesetzes über das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969 (GVV) muss jeder Unterschriftenbogen die Namen und genauen Adressen der Mitglieder des Initiativkomitees enthalten. Unterschriftenbogen, welche diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind ungültig (§ 13 Abs. 2 GVV).
Am 21. März 1974 reichte die Partei der Arbeit (PdA) des Kantons Zürich bzw. ein aus fünf Mitgliedern ihres Parteivorstandes bestehendes Initiativkomitee bei der Zürcher Staatskanzlei eine Volksinitiative "für ein Gesetz über einen Steuer rabatt zum Ausgleich der kalten Steuerprogression" ein. Die Unterschriftenbogen enthielten eine Rückzugsklausel mit folgendem Wortlaut:
"Die Unterzeichner der Initiative ermächtigen die nachfolgenden Mitglieder des Parteivorstandes der Partei der Arbeit des Kantons Zürich als Initiativkomitee: Jakob Lechleiter, Sekretär der PdA als Vorsitzenden, Konrad Mayer, Hans Zogg, Hermann Leiser, Otto Oeschger, alle in Zürich, Zweierstrasse 123, 8036 Zürich, die Initiative zu Gunsten eines allfälligen Gegenvorschlages des Kantonsrates zurückzuziehen."
BGE 100 Ia 386 S. 388
Der Kantonsrat erklärte in seiner Sitzung vom 1. Juli 1974 mit 88 von 108 Stimmen, d.h. mit der erforderlichen Zweidrittelsmehrheit, das Volksbegehren für ungültig, weil auf den Unterschriftenbogen für alle Mitglieder des Initiativkomitees statt der einzelnen Wohnadressen nur eine Adresse und zwar diejenige des Parteisekretariats der PdA angegeben sei, was den Anforderungen des § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV nicht genüge.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des politischen Stimmrechts sowie des
Art. 4 BV
beantragen zwei Mitglieder des Initiativkomitees, Jakob Lechleiter und Hermann Leiser, es sei der Beschluss des Kantonsrates vom 1. Juli 1974 aufzuheben.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wurde das Volksbegehren zu Unrecht ungültig erklärt, so sind die Beschwerdeführer in ihrem Initiativrecht beeinträchtigt. Zu den politischen Rechten, deren Verletzung gestützt auf
Art. 85 lit. a OG
gerügt werden kann, gehört auch das Initiativrecht (
BGE 100 Ia 380
, E. 1;
BGE 97 I 895
,
BGE 94 I 124
). Die Beschwerdeführer sind demnach befugt, den kantonsrätlichen Entscheid mit einer Stimmrechtsbeschwerde anzufechten.
2.
Nach Ansicht des Kantonsrates verstösst die Angabe der Adresse des Parteisekretariats der PdA als gemeinsame Adresse der fünf Mitglieder des Initiativkomitees deshalb gegen das zürcherische Gesetz über das Vorschlagsrecht des Volkes (GVV), weil eine solche Sammeladresse nicht der in § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV vorgesehenen, für die Gültigkeit eines Unterschriftenbogens erforderlichen "genauen Adresse" entspreche, mit welchem Ausdruck nur die vollständige Privatadresse, d.h. die Wohnadresse, gemeint sein könne. Ob diese Auslegung des Gesetzes richtig ist, kann das Bundesgericht frei überprüfen, denn bei Beschwerden gemäss
Art. 85 lit. a OG
steht dem Bundesgericht hinsichtlich der Auslegung kantonaler Vorschriften, welche die angeblich verletzten politischen Rechte nach Inhalt und Umfang näher normieren oder mit ihnen in engem Zusammenhang stehen, im vorliegenden Fall der Normen betreffend die Gültigkeit einer Volksinitiative, grundsätzlich freie Prüfung zu (
BGE 99 Ia 55
, 181, 520, 731).
BGE 100 Ia 386 S. 389
a) § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV bestimmt, dass jeder Unterschriftenbogen die Namen und genauen Adressen der Mitglieder des Initiativkomitees enthalten muss. Gemäss § 14 Abs. 1 GVV hat der Stimmberechtigte den Unterschriftenbogen eigenhändig zu unterzeichnen (Name und Vorname) sowie darauf das Geburtsdatum und die genaue Adresse (Strasse und Hausnummer) anzugeben.
Dass die "genaue Adresse" im Sinne des § 14 Abs. 1 GVV die Wohnadresse des Stimmberechtigten sein muss, ist klar, denn nur so kann kontrolliert werden, ob der Unterzeichner in der politischen Gemeinde, die auf dem Unterschriftenbogen angegeben ist, stimmberechtigt ist (§ 13 Abs. 1 Ziff. 3, § 15 Abs. 3 GVV). Ob für die Mitglieder des Initiativkomitees ebenfalls die Angabe der Wohnadresse vorgeschrieben ist, geht aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV nicht klar hervor. Es ist auffallend, dass in § 14 für die Stimmberechtigten die Angabe der Strasse und Hausnummer verlangt wird, nicht aber in § 13 für die Mitglieder des Initiativkomitees. Auf Grund der systematischen sowie der teleologischen Auslegung des Gesetzes darf jedoch angenommen werden, dass auch bei den Komiteemitgliedern die Wohnadresse anzugeben ist. Nach § 12 Abs. 3 GVV müssen die Mitglieder des Initiativkomitees im Kanton Zürich stimmberechtigt sein, was sich nur dann auf einfache Weise feststellen lässt, wenn die Wohnadresse angegeben wird. Falls eine Initiative von einer bekannten Gruppe oder Partei ausgeht, mag die Überlegung der Beschwerdeführer zutreffen, dass der die Initiative unterzeichnende Bürger ebenso gut oder sogar besser erkennt, wer hinter dem Volksbegehren steht, wenn die Adresse des Sekretariats der Gruppe oder Partei angegeben wird und die Mitglieder des Initiativkomitees als Angehörige der Gruppe oder Partei bezeichnet sind, als wenn deren Wohnadresse angegeben wird. Das Gesetz gilt aber nicht nur für Volksbegehren, die von bekannten Gruppen oder Parteien ausgehen. Deshalb können die Mitglieder eines Initiativkomitees ganz allgemein nur dann mit der für die Orientierung des Bürgers nötigen Klarheit identifiziert werden, wenn die Wohnadresse angegeben wird. Auch von daher gesehen erscheint demnach die Auslegung des Gesetzes durch den Kantonsrat als zutreffend.
b) Ist unter der "genauen Adresse" im Sinne der erwähnten
BGE 100 Ia 386 S. 390
Bestimmung die Wohnadresse zu verstehen, so haben die fünf Mitglieder des Initiativkomitees mit der Angabe der blossen Sammeladresse dem Formerfordernis des § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV nicht entsprochen, was an sich nach dem klaren Wortlaut von § 13 Abs. 2 GVV die Ungültigkeit sämtlicher Unterschriftenbogen und damit der Initiative zur Folge hätte. Dass das Gesetz an einen solchen Mangel die Folge der Ungültigkeit knüpft, verstösst nicht gegen die Verfassung. Für die Ausübung des Initiativrechts sind gewisse Formvorschriften unerlässlich. Ein vom Gesetz aufgestelltes Formerfordernis ist erst dann mit
Art. 4 BV
unvereinbar, wenn es sich durch kein schutzwürdiges Interesse rechtfertigen lässt und die Durchsetzung des materiellen Rechts ohne sachlich vertretbaren Grund erschwert (
BGE 96 I 318
). Dies ist nicht der Fall bei einer Bestimmung, welche die genaue Bezeichnung der das Initiativkomitee bildenden Personen in der Weise verlangt, dass sie Namen und Wohnadresse anzugeben haben. Eine solche Formvorschrift ist, wie ausgeführt, durchaus sinnvoll und kann ohne die geringsten Schwierigkeiten erfüllt werden.
c) Nach dem Gesagten wäre der die Initiative für ungültig erklärende Beschluss des Kantonsrates nicht zu beanstanden, wenn die Initianten zum ersten Mal seit Inkrafttreten des GVV vom 1. Juli 1969 ein solches mit einer mangelhaften Rückzugsklausel versehenes Volksbegehren eingereicht hätten. Entscheidend ist nun aber, dass der Kantonsrat die gleiche Rückzugsklausel, die heute streitig ist, im Jahre 1972 bei einem Volksbegehren des an sich gleichen Initiativkomitees (Initiativkomitee war beide Male der Parteivorstand der PdA, doch haben dessen Mitglieder zum Teil gewechselt) nicht als Verstoss gegen das GVV betrachtet hatte. Dadurch, dass der Kantonsrat beim ersten Initiativbegehren auf Grund der gleichen gesetzlichen Grundlage die Angabe der Sammeladresse nicht beanstandete, bestärkte er die Mitglieder des Initiativkomitees in ihrer Annahme, die gewählte Rückzugsklausel genüge den Formvorschriften. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich unmittelbar aus
Art. 4 BV
ein Anspruch des Bürgers auf Schutz des berechtigten Vertrauens auf behördliche Zusicherungen und sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden (
BGE 97 I 652
,
BGE 94 I 521
). Freilich bedeutet das nicht, dass eine
BGE 100 Ia 386 S. 391
Behörde, die einen dem richtig verstandenen Sinn der anzuwendenden Rechtssätze widersprechenden Entscheid fällt, in der Regel an diesen gebunden wäre und den Irrtum bei der nächsten Gelegenheit nicht berichtigen dürfte (vgl.
BGE 97 I 653
). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass das Initiativkomitee die Unrichtigkeit des kantonsrätlichen Entscheids in Anbetracht der unter lit. a erwähnten Unklarheit des Textes von § 13 Abs. 1 Ziff. 4 GVV auch bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit nicht erkennen musste; umso grössere Bedeutung hat es, dass der Kantonsrat früher das Vorgehen der Initianten sanktionierte. In diesem Zusammenhang fällt ferner in Betracht, dass sich der Mangel auf eine Formvorschrift von relativ geringer Tragweite bezieht, nicht etwa auf die materielle Zulässigkeit des Volksbegehrens, bei deren Fehlen die gesetzliche Ungültigkeitsfolge auf jeden Fall dem Vertrauensschutz der Initianten vorgehen müsste. Schliesslich steht ein gewichtiges öffentliches Interesse auf dem Spiel, geht es doch darum, ob ein Volksbegehren, welches über 5000 Unterschriften auf sich vereinigt hat, gültig ist oder nicht. Aus all diesen Gründen erscheint der Entscheid des Kantonsrates, mit dem er die Initiative als ungültig erklärte, vor
Art. 4 BV
nicht haltbar. Das führt zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
3.
Die Beschwerdeführer beanstanden ferner, dass der Kantonsrat ihre Initiative für ungültig erklärt habe, ohne das Initiativkomitee vorher anzuhören. Das kantonale Recht enthält keine Vorschrift, wonach den Initianten Gelegenheit zu geben wäre, sich vor dem Entscheid zu äussern, wenn eine Ungültigerklärung in Aussicht genommen ist. Es kann sich deshalb nur fragen, ob die Initianten einen solchen Anspruch unmittelbar auf Grund des
Art. 4 BV
gehabt hätten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss dem Bürger - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen (
BGE 99 Ia 24
f.) - im Verwaltungsverfahren Gelegenheit gegeben werden, sich vor dem Entscheid zu äussern (
BGE 99 Ia 46
mit Hinweisen, vgl. auch
BGE 100 Ib 1
). Im Gesetzgebungsverfahren besteht kein solcher Anspruch (
BGE 90 I 338
E. 2). Der angefochtene Entscheid ging von der gesetzgebenden Behörde aus, war aber nicht ein Akt der Rechtssetzung. Es mag bei dieser Sachlage fraglich sein, ob die Behörde den Initianten hätte Gelegenheit geben müssen, sich zur Frage der allfälligen Ungültigkeit
BGE 100 Ia 386 S. 392
mangels genügender Adressangabe zu äussern, doch kann die Frage offen bleiben, da die Beschwerde ohnehin gutzuheissen ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Kantonsrates des Kantons Zürich vom 1. Juli 1974 aufgeho ben. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cf1fed27-a39b-40c0-99a3-f571c13e864f | Urteilskopf
109 Ib 90
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Juli 1983 i.S. Kunz und Knup gegen Bodenrechtskommission des Kantons Thurgau und Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes, Einspruch gegen Liegenschaftskäufe (
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
).
1. Das Einspruchsverfahren im Sinne von
Art. 19 EGG
ist gegenüber dem Verfahren betreffend die Abkürzung der Sperrfrist gemäss
Art. 218 ff. OR
nicht subsidiär (E. 1).
2. Wer die beim Erwerb eines landwirtschaftlichen Heimwesens voraussehbaren und zumutbaren Unterhaltsarbeiten an den Gebäuden nicht vornehmen lässt, kann nicht geltend machen, der baufällige Zustand der Gebäude stelle einen wichtigen Grund für die Aufhebung des landwirtschaftlichen Gewerbes im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
dar (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 91
BGE 109 Ib 90 S. 91
A.-
Sibylle Beatrice Kunz kaufte im Jahre 1976 das landwirtschaftliche Heimwesen zur "Lochmühle" in der Gemeinde Illighausen im Halte von rund 18 ha Kulturland und Wald. Die Bodenrechtskommission des Kantons Thurgau verzichtete damals auf einen Einspruch im Sinne von
Art. 19 EGG
. Die Käuferin hatte zwar eine landwirtschaftliche Ausbildung genossen, wandte sich dann aber einer kaufmännischen Berufstätigkeit zu. Der im Zeitpunkt des Kaufs verpachtete Landwirtschaftsbetrieb wurde daher ab Frühjahr 1977 vorerst durch ihren Vater, dann durch ihren Bruder bewirtschaftet, und zwar gemeinsam mit dem ausgedehnten "Schlossgut" in Berg.
Mit Vertrag vom 10. Juli 1982 verkaufte Sibylle Kunz die Parzelle Nr. 127 mit 72,32 a Gebäudefläche, Hof und Wiese sowie 20,01 a Wald und Bach, mit Wohnhaus und Scheune in der "Lochmühle" zum Preis von Fr. 180'000.-- an den Immobilienhändler Otto Knup. Der Verkauf erfolgte unter anderem unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Bodenrechtskommission des Kantons Thurgau und der Erteilung der Bewilligung zum Verkauf innerhalb der Sperrfrist von
Art. 218 ff. OR
durch das Volkswirtschaftsdepartement des Kantons Thurgau.
B.-
Gegen den Kaufvertrag erhob die Bodenrechtskommission des Kantons Thurgau mit Beschluss vom 25. August 1982 Einspruch im Sinne von
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
und erklärte ihn als aufgelöst. Dagegen beschwerten sich Sibylle Kunz und Otto Knup bei der Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau, das ihre Beschwerde jedoch mit Beschluss vom 6. Dezember 1982 abwies.
C.-
Sibylle Kunz und Otto Knup führen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, der Entscheid der Rekurskommission sei aufzuheben und der Einspruch
BGE 109 Ib 90 S. 92
abzuweisen; eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Rekurskommission und die Bodenrechtskommission beantragen die Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) stellt den Antrag, das Verfahren zu sistieren, bis ein rechtskräftiger Entscheid über eine Bewilligung zur vorzeitigen Weiterveräusserung (
Art. 218 ff. OR
) vorliege. In der Sache selber beantragt das Departement die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Entgegen der Auffassung des EJPD besteht kein Anlass zur Sistierung des Verfahrens bis zum Entscheid über die Bewilligung der Veräusserung vor Ablauf der Sperrfrist im Sinne von
Art. 218 ff. OR
. Wohl ist richtig, dass der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Sperrfrist umfassender ist als jener des Einspruchsverfahrens im Sinne von Art. 19 des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 12. Juni 1951 (EGG). Von der Sperrfrist werden grundsätzlich alle Veräusserungen von landwirtschaftlichen Grundstücken erfasst. Das Einspruchsverfahren dagegen richtet sich nur gegen bestimmte Veräusserungsgeschäfte, nämlich gegen solche, mit denen ein Zweck verfolgt wird, der mit dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung existenzfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in Widerspruch steht. Das Gesetz enthält jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Einspruchsverfahren gegenüber dem Verfahren betreffend die Abkürzung der Sperrfrist subsidiär sein sollte. Zwar würde die Verweigerung der Abkürzung der Sperrfrist das Einspruchsverfahren gegenstandslos machen. In gleicher Weise müsste aber auch nicht mehr über die Sperrfrist entschieden werden, wenn der Einspruch erfolgreich wäre. Umgekehrt wäre eine Bewilligung für die Abkürzung der Sperrfrist für das Einspruchsverfahren so wenig präjudiziell wie die Verwerfung des Einspruchs für das Sperrfristverfahren. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, das Verfahren betreffend die Abkürzung der Sperrfrist verdiene gegenüber dem Einspruchsverfahren von Bundesrechts wegen den Vorrang.
4.
Nach
Art. 18 EGG
sind die Kantone ermächtigt, für Kaufverträge über landwirtschaftliche Heimwesen und landwirtschaftliche Liegenschaften ein Einspruchsverfahren nach Massgabe
BGE 109 Ib 90 S. 93
der Bestimmungen dieses Gesetzes einzuführen. Der Kanton Thurgau hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht (§ 6 ff. EG EGG vom 11. April 1956).
Die kantonalen Behörden haben den Einspruch gegen den Kaufvertrag zwischen Sibylle Kunz und Otto Knup auf
Art. 19 Abs. 1 lit. c EGG
gestützt. Nach dieser Bestimmung kann gegen Kaufverträge über landwirtschaftliche Liegenschaften Einspruch erhoben werden, wenn durch den Verkauf ein landwirtschaftliches Gewerbe seine Existenzfähigkeit verliert, es sei denn, die Liegenschaften würden zur Überbauung oder zur gewerblichen oder industriellen Ausnützung des Bodens verkauft und eigneten sich dafür, oder die Aufhebung des landwirtschaftlichen Gewerbes lasse sich durch andere wichtige Gründe rechtfertigen.
Dass das Heimwesen "Lochmühle" jene Fläche landwirtschaftlich nutzbaren Bodens aufweist, die eine bäuerliche Existenz zu sichern vermag, ist unbestritten. Es steht auch ausser Zweifel, dass zu einem lebensfähigen landwirtschaftlichen Gewerbe auch die erforderlichen Wohn- und Ökonomiegebäude gehören (
BGE 97 I 556
/557 E. 1a). Dass diese Gebäude im vorliegenden Fall alt und baufällig sind und den Anforderungen an einen modernen Landwirtschaftsbetrieb kaum mehr zu entsprechen vermögen, kann dabei nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein; entscheidend ist, dass sie jedenfalls bis zum Jahre 1977 ausreichten, um dem damaligen Pächter eine landwirtschaftliche Existenz zu ermöglichen (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 26. März 1982 i.S. Chevrolet und Müller gegen Tribunal cantonal du Jura, E. 2b). Durch den Verkauf der Gebäude würde die "Lochmühle" somit ihre Existenzfähigkeit endgültig verlieren.
5.
Unter diesen Umständen ist einzig zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführer auf einen wichtigen Grund im Sinne von
Art. 19 lit. c EGG
berufen können, wobei der Verkauf zum Zweck der Überbauung ausser Betracht fällt. Ob dies der Fall sei, ist auf Grund der besonderen Umstände des einzelnen Falles zu beurteilen. Dabei sind nicht nur die objektiven Eigenschaften des in Frage stehenden landwirtschaftlichen Heimwesens, sondern auch die persönlichen Verhältnisse der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Gewerbes und die geltend gemachten Privatinteressen am beabsichtigten Verkauf sind gegeneinander abzuwägen. In dieser Interessenabwägung ist das Bundesgericht frei. Es übt jedoch Zurückhaltung, wo sie von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängig ist
BGE 109 Ib 90 S. 94
und eine von der Verwaltung unabhängige Behörde als Vorinstanz entschieden hat, wie dies hier der Fall war (
BGE 100 Ib 267
/268,
BGE 97 I 552
E. 4c und 557 E. 2c,
BGE 95 I 191
E. 5,
BGE 94 I 179
E. 3).
Dass beim Käufer, der die Gebäude renovieren und durch Einbau von Mietwohnungen und Einrichtung von Pferdeställen ihrem Zweck entfremden will, wichtige Gründe vorlägen, machen die Beschwerdeführer nicht geltend. Sie berufen sich einzig auf das Interesse der Verkäuferin. Diese weist darauf hin, dass die Wohn- und Ökonomiegebäude auf der "Lochmühle" schon im Zeitpunkt des Erwerbs des Heimwesens im Jahre 1976 sehr baufällig gewesen seien. Inzwischen seien die Gebäude nicht nur noch baufälliger, sondern bei der heutigen Bewirtschaftung des Heimwesens geradezu nutzlos geworden. Zwar habe sie beim Erwerb des Hofes beabsichtigt, diesen selbst zu bewirtschaften. Diese Absicht habe aber nicht verwirklicht werden können, was dazu geführt habe, dass die "Lochmühle" zusammen mit dem elterlichen "Schlossgut" in Berg bewirtschaftet werde. Deswegen seien nicht nur das Wohnhaus, sondern auch die Wirtschaftsgebäude mit Einschluss des Stalles weitgehend unbenutzt und damit weiterem Zerfall ausgesetzt geblieben. Dieser Umstand habe im Jahre 1979 seinerseits zur Folge gehabt, dass die "Lochmühle" bei der Milchkontingentierung mangels "Kuhplätzen" ausser acht gelassen worden sei, so dass ein Stall heute gar nicht mehr benötigt werde.
Demgegenüber ist festzuhalten, dass die "Lochmühle" mit den bestehenden Wohn- und Wirtschaftsgebäuden im Zeitpunkt des Erwerbs durch die heutige Verkäuferin durch einen Pächter selbständig bewirtschaftet worden ist und auch weiterhin selbständig hätte bewirtschaftet werden können, wenn das Pachtverhältnis nicht aufgelöst worden wäre oder wenn die Erwerberin die in Aussicht genommene Selbstbewirtschaftung tatsächlich verwirklicht hätte. Voraussetzung dafür wäre nur der beim Erwerb des Heimwesens schon voraussehbare und zumutbare Unterhalt der Gebäulichkeiten gewesen. Würde der erforderliche Unterhalt nachgeholt, so könnte auch nicht weiterhin geltend gemacht werden, diese Gebäulichkeiten seien deshalb nutzlos geworden, weil die "Lochmühle" bei der Milchkontingentierung nicht berücksichtigt werde. Dieser Umstand ist nicht der gemeinsamen Bewirtschaftung der "Lochmühle" mit dem "Schlossgut" zuzuschreiben, sondern dem unterlassenen, aber nachholbaren Unterhalt des Stalles. Wenn die Verkäuferin nicht für die Erhaltung der Existenzfähigkeit des Heimwesens sorgte, indem sie die schon beim Erwerb
BGE 109 Ib 90 S. 95
voraussehbaren Unterhaltsarbeiten an den Gebäuden nicht vornehmen liess, so kann sie heute nicht geltend machen, die Vorinstanz zwinge sie zu unzumutbaren, ja sinnlosen Investitionen. Im übrigen sollen die Gebäulichkeiten vom Käufer für Wohnzwecke und zur Haltung von Pferden instandgestellt werden, nicht aber neuen Bauten weichen. Es ist nicht einzusehen, weshalb das, was für eine dem landwirtschaftlichen Betrieb ähnliche Nutzung möglich ist, nicht auch zur Erhaltung des landwirtschaftlichen Heimwesens unternommen werden kann. Wenn in diesem Zusammenhang auch die Frage der Zumutbarkeit des entsprechenden Aufwandes aufgeworfen wird, so stellt sich diese Frage seit dem Erwerb der "Lochmühle" durch die heutige Verkäuferin im Jahre 1976 höchstens deshalb in einem neuen Licht, weil inzwischen nicht einmal jener Unterhalt sichergestellt worden ist, für den auch ein Pächter oder Selbstbewirtschafter hätte sorgen müssen. Eine Entlastung von voraussehbarem und zumutbarem Unterhalt ist aber kein wichtiger Grund, um ein existenzfähiges landwirtschaftliches Heimwesen aufzulösen. Der Einspruch der kantonalen Behörden gegen den Kaufvertrag verstösst daher nicht gegen Bundesrecht. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cf273629-eab2-4e09-817a-b59336b8e6e4 | Urteilskopf
105 II 200
33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juli 1979 i.S. Steiner gegen Bürke & Co. (Berufung) | Regeste
Dahinfallen des Konkurrenzverbotes nach Art. 360 Abs. 2 aOR.
Dahinfallen des Konkurrenzverbotes bei beiderseitigen Verfehlungen (E. 3)? Fortbestand des Konkurrenzverbotes, wenn beide Parteien die Vertragsauflösung aus wichtigem Grund in etwa gleichem Masse zu vertreten haben; Herabsetzung der Konventionalstrafe (
Art. 163 Abs. 3 OR
) (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 105 II 200 S. 200
Arnold Steiner trat am 1. Mai 1970 als Handelsreisender in den Dienst der Bürke & Co., St. Gallen. Gemäss Anstellungsvertrag oblag ihm die Aufnahme von Bestellungen für Verpflegungsautomaten
BGE 105 II 200 S. 201
und Einwegartikel aus Kunststoff. Er versprach, sich in dem ihm zugeteilten Reisegebiet während mindestens drei Jahren nach Vertragsauflösung weder unmittelbar noch mittelbar an Fabrikation, Handel Oder Vertrieb derartiger Produkte zu beteiligen; für die Übertretung dieses Konkurrenzverbots wurde eine Konventionalstrafe von Fr. 20'000.- vereinbart.
Unter Berufung auf Vertragsbruch der Arbeitgeberin kündigte Steiner am 30. Juni 1972 das Arbeitsverhältnis mit Wirkung auf den 31. August 1972. Am 4. August teilte ihm die Arbeitgeberin mit, dass sie den Vertrag aus wichtigem Grund auflöse. Darauf erklärte Steiner seinerseits am 9. August 1972 den Vertrag aus wichtigem Grund als aufgelöst.
Im Februar 1973 erhob Steiner gegen die Bürke & Co. Klage auf Zahlung von Salär-, Provisions- und Spesenansprüchen. Die Beklagte bestritt diese Forderung und erhob ihrerseits Widerklage auf Zahlung der Konventionalstrafe von Fr. 20'000.- wegen Verletzung des Konkurrenzverbots. Am 25. Januar 1979 schützte das Kantonsgericht (II. Zivilkammer) St. Gallen die Widerklage für den Teilbetrag von Fr. 5'000.- nebst Zins. Das Bundesgericht weist die vom Kläger und Widerbeklagten erhobene Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Nach Art. 360 Abs. 2 aOR fällt das Konkurrenzverbot dahin, wenn der Dienstherr das Dienstverhältnis Ohne wichtigen, vom Dienstpflichtigen zu verantwortenden Grund aufgehoben oder aber durch sein eigenes Verschulden dem Dienstpflichtigen einen wichtigen Grund zur Vertragsauflösung gegeben hat. Als wichtiger Grund im Sinn dieser Bestimmung genügt nach der Rechtsprechung schon ein Umstand, der zur Vertragsauflösung begründeten Anlass gibt, wie das nun mit dem neuen
Art. 340c Abs. 2 OR
klargestellt wird (
BGE 92 II 35
E. 3,
BGE 82 II 143
E. 1).
a) Von dieser Anschauung geht zutreffend auch das Kantonsgericht aus. Dieses stellt fest, dass vorerst der Kläger am 30. Juni 1972 vertragsgemäss und mit Wirkung auf 31. August 1972 gekündigt habe, wobei noch vor Vertragsablauf die Beklagte am 4. August und der Kläger am 9. August 1972 den Vertrag aus wichtigen Gründen fristlos aufgehoben erklärten.
BGE 105 II 200 S. 202
Angesichts der beiderseitigen Auflösungserklärungen komme nichts darauf an, welche Umstände in welcher Erklärung angeführt und für diese kausal waren; entscheidend sei festzustellen, welche Umstände das Arbeitsverhältnis gestört hätten, welche Partei sie zu vertreten habe und wie sie zu gewichten seien. Das schliesse nicht aus, auch Umstände zu berücksichtigen, die zwar vor Vertragsauflösung eingetreten, aber erst nachher bekannt geworden seien. Die Berufung widerspricht dem allem zu Recht nicht. Zutreffend ist namentlich, dass auch die erst nachträglich bekanntgewordene Konkurrenztätigkeit des Beklagten in die Beurteilung einzubeziehen ist; die Überlegungen, welche in dieser Hinsicht die Rechtsprechung zu Art. 352 aOR bestimmten, gelten sinngemäss auch im vorliegenden Zusammenhang (
BGE 92 II 185
mit Hinweisen).
b) Auf dieser Grundlage stellt das Kantonsgericht fest, dass beide Vertragspartner zur Vertragsauflösung begründeten Anlass hatten bzw. zur gegnerischen Erklärung begründeten Anlass gaben. Die Vorinstanz wägt nun ab, dass das Konkurrenzverbot entfalle, wenn der Arbeitgeber überwiegend Anlass zur Auflösung gegeben habe, dagegen aufrechterhalten bleibe, wenn die Hauptursache auf Seiten des Arbeitnehmers liege. Es entspricht denn auch herrschender Lehre, dass bei beiderseitigen Verfehlungen auf das grössere Verschulden abzustellen ist (BECKER N. 7 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 10 zu Art. 360 aOR; SCHWEINGRUBER, Kommentar zum Arbeitsvertrag, 2. Aufl. 1976, N. 5 zu Art. 340c; HAEFLIGER, Das Konkurrenzverbot im neuen schweizerischen Arbeitsvertragsrecht, Diss. Bern, 2. Aufl. 1975, S. 94f.). In dieser Richtung geht ebenfalls die Rechtsprechung, wenn auch nur unter Berufung auf Treu und Glauben (
BGE 92 II 37
, 76 II 228 E. 4c). Wieweit statt einem Verschulden auch unverschuldete Umstände zu berücksichtigen sind, ist vorliegend nicht von Belang.
6.
In der Gesamtwürdigung gelangt das Kantonsgericht zum Schluss, die vom Kläger während eines längeren Zeitraums begangenen Treuepflichtverletzungen wögen mindestens ebenso schwer wie das Inserat der Beklagten, das gespannte Betriebsklima und die Vertretertätigkeit von Hudecek im Rayon des Klägers. Mangels überwiegender Veranlassung der Vertragsauflösung durch die Beklagte sei das Konkurrenzverbot nicht dahingefallen; zwar habe der Kläger das Arbeitsverhältnis aufgelöst, nachdem ihm die Beklagte dazu begründeten
BGE 105 II 200 S. 203
Anlass gegeben habe, doch habe er den gänzlichen Wegfall des Konkurrenzverbots durch eigenes Fehlverhalten von mindestens gleicher Schwere verscherzt.
a) Demgegenüber behauptet der Kläger ein überwiegendes Verschulden der Beklagten, werde doch seine angebliche Verfehlung schon dadurch aufgewogen, dass die Beklagte Vertreter in seinem Rayon habe arbeiten lassen, während ihr Inserat und das völlig unzumutbare Betriebsklima darüber hinaus zu berücksichtigen seien. Der Wertung durch die Vorinstanz ist jedoch beizupflichten. Dem Kläger fällt eine sich über längere Zeit erstreckende, heimliche Konkurrenztätigkeit zur Last, die schwer gegen seine Treuepflicht und gegen die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten verstiess (vgl. dazu auch
BGE 92 II 37
,
BGE 76 II 229
oben). Demgegenüber fallen das Inserat vom Mai und die Kundenkontakte Hudeceks im Juni/Juli in die letzte Zeit des bereits gespannten Arbeitsverhältnisses. Wird dazu das ungünstige Betriebsklima berücksichtigt, über welches das angefochtene Urteil nicht sehr bestimmte Feststellungen enthält, so kann gleichwohl nicht mit der Berufung von einer Hauptverantwortlichkeit der Beklagten ausgegangen werden. Beide Parteien haben vielmehr, wie das auch das Kantonsgericht annimmt, ungefähr in gleichem Mass zur Auflösung ihres Vertragsverhältnisses beigetragen.
b) Aus diesem Umstand folgert das Kantonsgericht, mangels überwiegender Veranlassung der Vertragsauflösung durch die Beklagte sei das Konkurrenzverbot nicht dahingefallen. Mit der Berufung wird demgegenüber die Auffassung vertreten, mangels Hauptverursachung durch den Kläger könne das Konkurrenzverbot nicht aufrechterhalten bleiben. Zu dieser Stellungnahme des Klägers hat die Vorinstanz selbst Anlass gegeben, indem sie in rechtlicher Hinsicht stets davon ausging, das Konkurrenzverbot entfalle, wenn der Arbeitgeber überwiegend die Auflösung veranlasst habe, bleibe dagegen bestehen, wenn die Hauptursache auf Seiten des Arbeitnehmers liege. Diese Formulierung lässt die vorliegend verwirklichte Möglichkeit unberücksichtigt, dass beide Parteien in gleichem Mass für die Vertragsauflösung verantwortlich sind.
Diese besondere Situation wird auch in der Literatur nicht behandelt. Eine Lösung kann nicht etwa unter Berufung auf die Beweislast der die Auflösung erklärenden Partei versucht werden, wo, wie hier, beide Partner den Vertrag aufgelöst haben.
BGE 105 II 200 S. 204
Ebensowenig erlaubt der Schutzcharakter von Art. 360 aOR, derartige Auslegungsprobleme einfach generell zugunsten des Arbeitnehmers zu lösen (in diesem Sinn, wenn auch in anderem Zusammenhang: HAEFLIGER, a.a.O., S. 92 f.). Gleich wie bei Vertragsauflösung infolge Zeitablaufs oder Vereinbarung (BECKER N. 6 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 9 zu Art. 360 aOR; HAEFLIGER, a.a.O., S. 94) muss vielmehr bei beiderseitiger gleichmässiger Verursachung grundsätzlich der Fortbestand des Konkurrenzverbots bejaht werden.
c) Das rechtfertigt sich um so eher, als nur bei Aufrechterhaltung, nicht aber bei Wegfall des Konkurrenzverbots eine differenzierte Lösung möglich ist, welche der besonderen Situation und der Billigkeit entspricht, indem der Richter in Anwendung von Art. 357 aOR bzw. Art. 340 aOR das Verbot nach Ort, Zeit oder Gegenstand einschränken kann, wo das in Würdigung aller Umstände, also auch der gemeinsam veranlassten Vertragsauflösung, als angemessen erscheint (BECKER N. 7 zu Art. 360 aOR; OSER/SCHÖNENBERGER N. 10 zu Art. 360 aOR; HAEFLIGER, a.a.O., S. 93). Steht, wie vorliegend, nur noch die Vertragsstrafe wegen Verbotsverletzung zur Beurteilung, so entspricht diesem Vorgehen - wie das die Vorinstanz zu Recht annimmt und auch die Berufung anerkennt - eine angemessene Herabsetzung der Strafe, die sich auf
Art. 163 Abs. 3 OR
stützen lässt. Unter dieser Voraussetzung entspricht die Aufrechterhaltung des Konkurrenzverbots bei gleichmässigem Verschulden der Parteien zugleich dem Art. 360 aOR bestimmenden Billigkeitsgedanken (
BGE 92 II 35
E. 3, 82 II 146 E. 2). | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf27bb74-e978-4827-bffb-28270fb0a511 | Urteilskopf
119 III 81
23. Estratto della sentenza 29 settembre 1993 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa K contro T e C S.A. (ricorso) | Regeste
Tritt die Masse eine Forderung gegen einen Dritten, der zugleich auch Gläubiger ist, ab, so ist dieser zur Beschwerde legitimiert, die Abtretung sei nicht in Übereinstimmung mit den entsprechenden Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen erfolgt. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 119 III 81 S. 81
A.-
Nell'ambito del fallimento di U, la cui amministrazione era curata dall'Ufficio di esecuzione e fallimenti di Locarno (UEF), la seconda assemblea dei creditori è stata convocata per il 15 settembre
BGE 119 III 81 S. 82
1988. Dalla relazione dell'amministrazione risultava, fra l'altro, che l'assemblea doveva decidere se promuovere o meno l'azione revocatoria a seguito della vendita da parte della fallita al marito K dell'inventario di due negozi nel 1987. Durante l'assemblea non è stata presa alcuna decisione per mancanza del quorum necessario. Con lettera del 15 luglio 1988 il patrocinatore delle creditrici T S.A. e C S.A. aveva chiesto all'UEF di farsi attivo nell'ambito di un'eventuale azione revocatoria contro K. Il 15 dicembre 1988 l'UEF ha rilasciato alle suddette creditrici la cessione della pretesa verso K.
Nella graduatoria del fallimento e nello stato di riparto con conto finale è stato ammesso in 5a classe un credito di K.
B.-
Nella causa revocatoria promossa dalle creditrici cessionarie, K ha contestato la validità della cessione 15 dicembre 1988. Dopo un giudizio interlocutorio del Tribunale cantonale dei Grigioni, l'UEF ha assegnato ai creditori, con circolare del 28 settembre 1992, un primo termine per comunicare se la massa intendeva promuovere un'azione revocatoria contro K e un secondo termine per chiedere la cessione in conformità dell'
art. 260 LEF
. Gli unici creditori che hanno fatto uso di questa facoltà sono la T S.A. e la C S.A. Il 30 ottobre 1992 l'UEF ha rilasciato alle due creditrici una nuova cessione di tenore analogo alla precedente.
C.-
Con reclami del 2 risp. del 13 novembre 1992, K si è rivolto alla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello del Cantone Ticino, autorità di vigilanza, chiedendo che fossero dichiarati nulli la cessione del 15 dicembre 1988, il provvedimento di assegnazione di termine del 28 settembre 1992 e la cessione del 30 ottobre 1992. Il 12 luglio 1993 la Corte ha dichiarato nulla la cessione del 15 dicembre 1988. Di contro, il reclamo del 13 novembre 1992 è stato dichiarato inammissibile per carenza di legittimazione.
D.-
Insorto alla Camera delle esecuzioni e dei fallimenti del Tribunale federale, K chiede che, ammessa la sua legittimazione, sia dichiarata nulla ev. annullata la cessione del 30 ottobre 1992. Le creditrici cessionarie postulano la reiezione del ricorso.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Dopo che l'autorità di vigilanza ha annullato d'ufficio la cessione 15 dicembre 1988, litigiosa è unicamente la questione di sapere se il ricorrente sia legittimato a presentare reclamo contro la cessione 30 ottobre 1992.
BGE 119 III 81 S. 83
Secondo la giurisprudenza e la dottrina la legittimazione a presentare reclamo deve essere riconosciuta ad ogni persona toccata nei propri interessi giuridicamente protetti da una misura dell'Ufficio (
DTF 112 III 1
consid. 3b pag. 3 e rinvii; Amonn, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5a edizione, Berna 1993, § 6 n. 19, pag. 58; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3a edizione, Losanna 1993, pag. 56; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Vol. I, § 6 n. 19 e 20). La Corte cantonale riferendosi a AMONN (loc.cit., § 47 n. 44 e 45 pag. 383 seg.) ha ritenuto che al ricorrente, nella sua doppia qualità di creditore e debitore della fallita, non poteva essere riconosciuta la legittimazione a censurare la nota cessione.
La conclusione a cui è giunta la Corte cantonale non può essere condivisa. Infatti, nella sua qualità di creditore il ricorrente ha diritto, come tutti gli altri creditori, a che gli atti d'amministrazione del fallimento avvengano in conformità della legge e delle ordinanze vigenti in materia e, in caso d'inosservanza di queste prescrizioni, egli è senz'altro legittimato a presentare reclamo. Ciò detto non si vede per quale motivo il diritto di ogni creditore di esigere che l'amministrazione del fallimento avvenga in modo conforme alla legge dovrebbe decadere nel caso in cui la cessione concerne una pretesa della massa rivolta contro il creditore stesso, né perché in simile evenienza si dovrebbe negargli la possibilità di inoltrare reclamo contro una cessione a suo avviso contraria alle norme legali. Il Tribunale federale si è espresso in questo senso nella sentenza pubblicata in
DTF 53 III 71
segg.; v. inoltre anche se meno esplicita
DTF 48 III 88
segg.). Pure dello stesso avviso è la maggior parte della dottrina (BRIDEL, Contribution à l'étude de l'art. 260 LP, in JdT 1939 III pag. 98 segg., in particolare n. 34 pag. 116 seg.; FLACHSMANN, Die Abtretung der Rechtsansprüche der Konkursmasse nach Art. 260 des schweizer. Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes, tesi Zurigo 1927, pag. 91 in basso; cfr. inoltre FAVRE, Droit des poursuites, pag. 347 lett. D). Per quanto concerne l'opinione contraria di AMONN (loc.cit.) si può osservare ch'essa è motivata in modo sommario e che questo autore non muove alcuna critica alla sentenza pubblicata in
DTF 53 III 71
segg.
Discende da queste considerazioni che il ricorrente ha un interesse a contestare la legalità della cessione e che a torto la Corte cantonale ha negato la legittimazione. Il ricorso deve pertanto essere parzialmente accolto, la sentenza impugnata annullata e gli atti rinviati alla giurisdizione cantonale affinché esamini il reclamo nel merito. | null | nan | it | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cf31001b-6d34-4122-bf8f-9e8b98f80559 | Urteilskopf
83 IV 69
18. Urteil des Kassationshofes vom 20. Mai 1957 i.S. Morel gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 186 StGB
.
Hausfriedensbruch, begangen durch verbotswidriges "Verweilen". | Sachverhalt
ab Seite 69
BGE 83 IV 69 S. 69
A.-
Alfred Morel hatte die Schlosserarbeiten, die ihm beim Umbau des Hotels Alpina in Klosters übertragen worden waren, nicht fristgemäss ausgeführt. Arnold Thut, der mit der Bauleitung beauftragt war, begab sich deshalb am 2. Dezember 1955 in die Werkstatt Morels, um ihm Vorhalte zu machen. Es entstand ein Wortwechsel, in dessen Verlauf Thut Schimpfworte wie "Schnuderbueb" und "gemeiner Hund" gebrauchte. Morel forderte Thut auf, die Werkstatt zu verlassen. Dieser begab sich zur Tür, drehte sich nochmals um und drohte Morel mit erhobener Faust. Hierauf stürzte sich Morel auf Thut und versetzte ihm Faustschläge sowie einen Fusstritt. Thut entfernte sich, sobald ihn Morel losliess.
Am 26. Februar 1956 erstattete Morel gegen Thut Strafanzeige wegen Hausfriedensbruches und verlangte Schadenersatz.
B.-
Das Kreisgericht Klosters verurteilte Thut am 5. Dezember 1956 gestützt auf
Art. 186 StGB
zu einer Busse von Fr. 30.-. Es erblickte den Hausfriedensbruch darin, dass Thut trotz der Aufforderung Morels die Werkstatt nicht sofort verlassen, sondern sich bei der Tür umgedreht und mit der Faust gedroht habe.
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden dagegen sprach Thut auf dessen Appellation hin am 18. Februar 1957 frei.
C.-
Morel führt Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, Thut sei des Hausfriedensbruches schuldig zu erklären.
BGE 83 IV 69 S. 70
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Einen Hausfriedensbruch begeht nach
Art. 186 StGB
, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung des Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt.
Der Beschwerdeführer behauptet selber nicht, Thut sei unrechtmässig in die Werkstatt eingedrungen. Streitig ist nur, ob er widerrechtlich darin verweilt habe. Hausfriedensbruch in der Form rechtswidrigen Verweilens setzt notwendig voraus, dass der Friedensstörer im Haus oder Raum, aus dem er sich entfernen soll, während einer gewissen Dauer verbleibt und dadurch nach aussen zu erkennen gibt, dass er sich um das Verbot des Berechtigten nicht kümmert. Wer auf erste Aufforderung hin sich entfernt, es aber nur zögernd tut, der verweilt nicht. Voraussetzung ist auch, dass der Wille des Aufgeforderten darauf gerichtet ist, sich dem Hausrecht entgegenzustellen, und das Verbleiben nicht ausschliesslich zu einem andern Zweck erfolgt.
Es steht fest, dass Thut der Aufforderung, das Lokal zu verlassen, sofort Folge leistete, dass er lediglich an der Tür nochmals anhielt, sich umdrehte und dem Beschwerdeführer mit der Faust drohte, um sich hierauf endgültig zu entfernen. Dieses kurze Verbleiben genügte nicht, das Merkmal des Verweilens im Sinne des
Art. 186 StGB
zu erfüllen. Davon abgesehen ist der Tatbestand des Hausfriedensbruches auch nicht gegeben, weil Thut der Wille zum verbotswidrigen Verweilen fehlte. Denn nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hielt er einzig an, um dem Beschwerdeführer seine Missachtung zu zeigen, keineswegs aber, um dessen Aufforderung zum Trotz länger in der Werkstatt zu bleiben. Der Freispruch ist daher begründet.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf34f47b-69ba-469f-82e7-7386531a41bf | Urteilskopf
120 III 89
29. Estratto della sentenza 6 maggio 1994 della Camera delle esecuzioni e dei fallimenti nella causa Stato e Repubblica del Cantone Ticino contro X (ricorso) | Regeste
Art. 277 SchKG
; Entlassung von Arrestgegenständen aus dem Arrestbeschlag nach Sicherheitsleistung.
Das Gesuch um Entlassung der Arrestgegenstände aus dem Arrestbeschlag kann nicht mehr gestellt werden, nachdem im nachfolgenden Arrestprosequierungsverfahren die Pfändung vollzogen worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 90
BGE 120 III 89 S. 90
A.-
L'8, il 23 e il 28 maggio 1990 la Repubblica e Cantone del Ticino ha, fra l'altro, ottenuto dal Pretore della giurisdizione di Locarno-Campagna, il sequestro per fr. 20'000'000.-- più interessi delle particelle n. 607 e 845 RFD del Comune di Ronco sopra Ascona, della proprietà di X, erede universale di Y. Causa del sequestro era l'
art. 271 cpv. 1 n. 4 LEF
(debitore non dimorante in Svizzera), causa del credito "richiesta di garanzia imposta di successione, di donazione e multe". Dopo che erano state eseguite due stime a mezzo di periti giusta l'
art. 9 cpv. 2 RFF
, il 7 gennaio 1992 la Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello ha definitivamente stabilito in fr. 1'955'000.-- il valore venale presumibile delle particelle n. 607 e 845.
B.-
Nel frattempo, le procedure di convalida dei sequestri tempestivamente promosse dalla Repubblica e Cantone del Ticino sono sfociate il 3 giugno 1991 nel pignoramento delle particelle n. 607 e 845. Il 17 gennaio 1992 la creditrice ha presentato la domanda di vendita. Con istanza 28 gennaio 1992 X ha chiesto, fondandosi sull'
art. 277 LEF
, all'Ufficio di liberare i fondi svincolandoli da ogni limitazione a disporre contro il versamento di fr. 1'955'000.--.
L'Ufficio esecuzione e fallimenti di Locarno ha accolto tale istanza con provvedimento del 29 gennaio 1992 limitatamente alle imposte indicate nella richiesta di garanzia del 3 maggio 1990 e ha disposto la cancellazione delle restrizioni della facoltà di disporre non appena la decisione fosse passata in giudicato. Con reclamo del 5 febbraio 1992, la Repubblica e Cantone del Ticino è insorta alla Camera di esecuzione e fallimenti del Tribunale di appello. Con sentenza del 21 febbraio 1994 la Camera ha respinto il reclamo.
C.-
Insorta alla Camera delle esecuzioni e dei fallimenti del Tribunale federale, la Repubblica e Cantone del Ticino postula l'annullamento del provvedimento dell'Ufficio esecuzione e fallimenti di Locarno.
Erwägungen
Dai considerandi:
4.
La ricorrente afferma poi che la domanda della debitrice del 28 gennaio 1992, volta ad ottenere lo svincolo dei fondi dietro versamento
BGE 120 III 89 S. 91
della somma in garanzia, sarebbe tardiva (oltre che abusiva), poiché il 3 giugno 1991 l'Ufficio ha pignorato le particelle già oggetto delle misure di sequestro.
a) Il testo tedesco e italiano dell'
art. 277 LEF
, che merita la preferenza su quello francese più restrittivo (
DTF 106 III 133
,
DTF 56 III 83
), consente la sostituzione degli oggetti sequestrati - compresi i beni immobili (
DTF 116 III 40
consid. 3b) -, dietro una garanzia di pari valore, con la conseguenza ch'essi sono completamente sottratti al sequestro e affidati al debitore che può liberamente disporne, usarli, venderli o portarli all'estero (
DTF 116 III 40
consid. 3b e rinvii). Gli scopi di questa norma vanno ricercati nella natura dell'istituto del sequestro (v.
DTF 116 III 40
consid. 3b e rinvii); la garanzia prestata in applicazione dell'
art. 277 LEF
non sostituisce i beni sequestrati (
DTF 116 III 40
consid. 3b): al creditore spetta unicamente il diritto di essere soddisfatto con la garanzia qualora gli oggetti non saranno più presenti al momento del pignoramento (sentenza citata).
b) In concreto, risulta dagli accertamenti vincolanti della Corte cantonale che l'istanza di svincolo dei fondi è stata presentata il 28 gennaio 1992. A quel momento l'Ufficio aveva già operato il pignoramento (3 giugno 1991) nell'ambito della procedura di convalida del sequestro e la creditrice aveva già richiesto la vendita degli immobili (17 gennaio 1992). Si pone quindi il problema di sapere quali siano gli effetti del pignoramento sulla richiesta di svincolo degli immobili dietro versamento della somma di garanzia.
Il sequestro è una misura conservativa di carattere eminentemente provvisorio; il pignoramento invece è una misura di esecuzione definitiva (
DTF 116 III 115
seg. consid. 3a e rinvii). Scopo del pignoramento è il pagamento di un credito; scopo del sequestro è garantire il pagamento di un credito (sentenza citata; v. inoltre AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5a edizione, pag. 399, n. 1 e 2 e rinvii). Di conseguenza, mentre i beni pignorati sono restituiti solo a seguito di pagamento, i beni sequestrati sono invece affidati, come si è visto, al debitore non appena fornisca una garanzia di pari valore (
art. 277 LEF
). Discende da queste considerazioni che l'istanza di svincolo dei beni sequestrati deve essere presentata prima che sia operato il pignoramento nella successiva procedura di esecuzione (in tal senso: JAEGER, nota 3 ad art. 277 con rinvio a DTF 30 I n. 32 pag. 195 segg.; BONNARD, Le séquestre d'après la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et faillites, tesi, Losanna 1914, pag. 157 e e 159; secondo questo autore la
BGE 120 III 89 S. 92
richiesta di svincolo può essere presentata in ogni tempo, ma prima della richiesta di pignoramento del creditore sequestrante).
Ne risulta che, in concreto, il pignoramento delle particelle eseguito dall'Ufficio il 3 giugno 1991 (la domanda della creditrice porta la data del 15 aprile 1991) rende priva di oggetto l'istanza di svincolo del 28 gennaio 1992. Da ultimo, contrariamente a quanto sostiene la debitrice, poco importa che la procedura di stima si sia protratta per lungo tempo (il ritardo è in gran parte dovuto alle richieste delle parti e, in minor misura, alla mora dell'autorità cantonale nello statuire): il pignoramento definitivo paralizza ora il suo diritto di ottenere la liberazione dei beni dietro versamento della garanzia. | null | nan | it | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cf3525a7-7529-43e8-8c2c-6a1d32a5306f | Urteilskopf
91 IV 22
8. Urteil des Kassationshofes vom 13. Februar 1965 i.S. Kobel gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. | Regeste
Art. 51 Abs. 3 SVG
.
Der Geschädigte hat der Pflicht, den Sachschaden dem Geschädigten zu melden und diesem Namen und Adresse anzugeben, sofort und zuverlässig nachzukommen.
Er hat die Polizei erst in zweiter Linie zu verständigen (Erw. 1).
Benachrichtigung des abwesenden Geschädigten mittels einer Visitenkarte, die am beschädigten Fahrzeug zurückgelassen wird (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 22
BGE 91 IV 22 S. 22
A.-
Kobel wollte am 16. Mai 1963 gegen 0l.00 Uhr auf dem Vorplatz der Liegenschaft Bombachstrasse 11 in Zürich 10 ein Personenauto rückwärts wenden. Er bemerkte aus Unachtsamkeit einen dort parkierten Personenwagen nicht, fuhr diesen an und beschädigte ihn. Kobel versuchte am folgenden Morgen um ca. 9 Uhr, mit dem Halter des beschädigten Fahrzeuges telephonische Verbindung aufzunehmen, konnte ihn aber nicht erreichen, worauf er ihn um die Mittagszeit aufsuchte, um den Schaden zu regeln. Er will ausserdem unmittelbar nach Eintritt des Schadens seine Visitenkarte unter den Scheibenwischer des beschädigten Wagens gesteckt haben.
B.-
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich erklärte Kobel am 27. August 1964 der Übertretung der Art. 31 Abs. 1 und 51 Abs. 3 SVG schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 50.-.
C.-
Der Gebüsste ficht dieses Urteil insoweit an, als er der Widerhandlung gegen
Art. 51 Abs. 3 SVG
schuldig befunden wurde. Er beantragt, ihn in diesem Anklagepunkt freizusprechen.
BGE 91 IV 22 S. 23
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Bei einem Unfall, bei dem nur Sachschaden entstand, ist der Schädiger nach
Art. 51 Abs. 3 SVG
verpflichtet, den Geschädigten sofort zu benachrichtigen und ihm Namen sowie Adresse anzugeben; wenn dies nicht möglich ist, hat er unverzüglich die Polizei zu verständigen.
Zweck dieser Bestimmung ist, wie es schon jener des Art. 36 Abs. 2 MFG war, dass in Fällen, in denen polizeiliche Erhebungen sich aufdrängen oder vom Geschädigten verlangt werden, ein rasches Eingreifen der Polizei ermöglicht wird (
BGE 85 IV 151
Erw. 1 in fine). Deshalb hat der Meldepflichtige die vorgeschriebene Anzeige sofort (unverzüglich) nach dem Unfall, d.h. so rasch, als ihm nach den Umständen zuzumuten ist, zu erstatten, und zwar dem Zweck der Bestimmung entsprechend auch dann, wenn der Schaden ein verhältnismässig geringes Ausmass erreicht (
BGE 83 IV 42
f. und 45 Erw. 2,
BGE 85 IV 151
). Er darf daher, wenn er den Geschädigten nicht sofort erreichen kann, mit der Meldung nicht länger zuwarten, sondern er muss sich sogleich an die Polizei wenden.
Art. 51 Abs. 3 SVG
schreibt für den Fall, dass die sofortige Benachrichtigung des Geschädigten nicht möglich ist, die unverzügliche Verständigung der Polizei ausdrücklich vor. Wird wie schon bisher dem Meldepflichtigen nicht anheimgestellt, den Zeitpunkt der Schadensmeldung nach Belieben zu bestimmen, so steht ihm anderseits nach neuem Recht nicht mehr wie nach Art. 36 Abs. 2 MFG die freie Wahl zu, ob er den Geschädigten oder die Polizei benachrichtigen will. Nach
Art. 51 Abs. 3 SVG
hat er zunächst an den Geschädigten und erst dann, wenn er diesen nicht sofort erreichen kann, an die Polizei zu gelangen. Trifft der zweite Fall zu, so genügt es, die Polizei über den Unfall zu verständigen; ob diese sofortige Erhebungen an Ort und Stelle machen oder andere Anordnungen treffen will, ist ihrem Ermessen überlassen.
Die Benachrichtigung des Geschädigten muss nicht nur rechtzeitig erfolgen, sondern auch zuverlässig und vollständig sein.
Art. 51 Abs. 3 SVG
verlangt, dass der Schädiger den Geschädigten benachrichtige und ihm ausserdem Namen und Adresse angebe. Darunter ist wie schon nach bisheriger Rechtsprechung zu verstehen, dass er den Geschädigten über den entstandenen Schaden unterrichtet und ihm Namen und Adresse unaufgefordert mitteilt (
BGE 83 IV 45
,
BGE 90 IV 148
).
BGE 91 IV 22 S. 24
2.
Diesen Erfordernissen genügte der Beschwerdeführer nicht schon dadurch, dass er, wie er behauptet, sofort nach dem Zusammenstoss seine Visitenkarte unter den Scheibenwischer des beschädigten Wagens steckte. Die Visitenkarte, auf der keine Erklärung angebracht war, gab bestenfalls über die Person des Schädigers Aufschluss, nicht aber über den angerichteten Schaden. Angaben über Art und Umfang der Schädigung gehören zur Schadensmeldung und sind auch aus Gründen des Beweises nötig, denn das gleiche Fahrzeug kann von einem andern nochmals beschädigt werden oder es können schon Schäden vorbestanden haben. Zudem darf sich der Schädiger nicht unter allen Umständen darauf verlassen, dass die am beschädigten Wagen zurückgelassene Karte beim Eintreffen des Geschädigten noch vorhanden sein werde. Im vorliegenden Falle bestreitet denn auch der Geschädigte, die angeblich vom Beschwerdeführer nachts um 02.00 Uhr angebrachte Visitenkarte am folgenden Morgen vorgefunden zu haben, und der Beschwerdeführer behauptet nicht das Gegenteil, sondern räumt selber ein, dass die Karte vom Regen weggeschwemmt oder von Dritten entfernt worden sein könne.
Der Beschwerdeführer hat somit weder durch das behauptete Anstecken seiner Visitenkarte noch durch seine Vorsprache am folgenden Tag den Geschädigten sofort benachrichtigt. Da er auch die Polizei nicht verständigte, ist er zu Recht wegen Widerhandlung gegen
Art. 51 Abs. 3 SVG
bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf37db51-61c2-4cc3-876b-3ad4c3c93f8b | Urteilskopf
118 II 249
51. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. März 1992 i.S. X. gegen Kantonales Verwaltungsgericht (Berufung) | Regeste
Fürsorgerische Freiheitsentziehung.
Der Sachverständige im Sinne von
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
muss einerseits ein ausgewiesener Fachmann und anderseits unbefangen sein. Das bedeutet, dass der Sachverständige sich nicht bereits im gleichen Verfahren über die Krankheit des Betroffenen geäussert haben darf. Für ihn gilt, ob er Mitglied des Gerichts ist oder nur als Hilfsperson des Richters amtet, der gleiche Grundsatz wie für den Richter, dass eine Mitwirkung in der unteren Instanz in demselben Verfahren ausgeschlossen ist. | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 118 II 249 S. 250
A. X., geboren 1958, wurde gestützt auf eine Verfügung des Oberamtes Y. vom 9. Juli 1991 bereits zum vierten Mal in die Kantonale Psychiatrische Klinik eingewiesen. Sein Gesuch um sofortige Entlassung vom 11. Juli 1991 wies das kantonale Departement des Innern am 23. Juli 1991 ab; die dagegen gerichtete Beschwerde von A. X. wies das kantonale Verwaltungsgericht mit Urteil vom 31. Juli 1991 ebenfalls ab.
Mit Berufung an das Bundesgericht vom 16. September 1991 beantragt A. X., das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Kantonalen Psychiatrischen Klinik zu entlassen.
Das Verwaltungsgericht schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut, soweit es darauf eintritt; es hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Vervollständigung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Berufungskläger macht im wesentlichen eine Verletzung von
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
geltend. Diese Bestimmung findet sich im Rahmen einer Reihe von Verfahrensvorschriften, die unter dem
BGE 118 II 249 S. 251
Einfluss der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. November 1950 Eingang in das ZGB gefunden haben (
BGE 115 II 130
). Das bedingt, dass die Anwendung und Auslegung dieser Verfahrensvorschriften in Übereinstimmung mit den durch Bundesverfassung und EMRK gewährleisteten Garantien zu erfolgen hat. Eine Missachtung dieser Garantien bedeutet indessen zunächst eine Verletzung der in das ZGB aufgenommenen Bestimmungen, die vor Bundesgericht mit der Berufung zu rügen ist (
BGE 115 II 131
unten). Auch in früheren Streitfällen im Zusammenhang mit den vom Bundesrecht geregelten Verfahrensgrundsätzen wurde die Berufung zugelassen (
BGE 112 II 486
ff., 113 II 393 E. 1 und
BGE 114 II 216
ff.; anders freilich
BGE 114 Ia 183
E. 3).
a)
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
schreibt vor, dass bei psychisch Kranken nur unter Beizug von Sachverständigen über die Anordnung oder Weiterführung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung entschieden werden darf. Wer als Sachverständiger zu betrachten ist und welche Umstände allenfalls der Ernennung des vom Gericht vorgesehenen Sachverständigen entgegenstehen, darüber sagt weder das Gesetz noch die EMRK, noch die bundesrätliche Botschaft zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung vom 26. September 1977 (BBl 1977 III 39) etwas Konkretes aus. Auch der entsprechenden Vorschrift im Vormundschaftsrecht, nämlich
Art. 374 Abs. 2 ZGB
, lässt sich nur soviel entnehmen, dass die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche nur nach Einholung des Gutachtens von Sachverständigen erfolgen darf (vgl. SCHNYDER/MURER, N 38 der Vorbemerkungen zu
Art. 369-375 ZGB
; N 13 zu
Art. 369 ZGB
). Dabei werden wohl in aller Regel der zu Entmündigende, aber sehr oft auch die Person, über die eine fürsorgerische Freiheitsentziehung angeordnet wird, zunächst einmal von Klinikärzten im Zusammenhang mit einer - oft unvorhersehbaren, krisenbedingten - Klinikeinweisung begutachtet. Das lässt sich bei erstmaliger Einweisung im Lichte einer EMRK-konformen Auslegung von
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
nicht beanstanden (vgl. FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar, N 75 zu
Art. 5 EMRK
). Dem steht auch nicht entgegen, dass Klinikärzte zumeist Beamte sind und als solche in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zum einweisenden Staat stehen. Denn müssten solche Ärzte überhaupt als Gutachter ausgeschlossen werden, entstünden vor allem für kleinere Kantone beinahe unlösbare praktische Probleme. Ausserdem liesse sich in keiner Weise rechtfertigen, Klinikärzte, nur weil sie Angestellte des Gemeinwesens sind, zum vornherein als ungeeignet im
BGE 118 II 249 S. 252
Sinne von
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
zu betrachten. Zu verlangen ist einzig ein objektives Gutachten eines fachkundigen neutralen Arztes.
b) Anders verhält es sich indessen, wenn eine bestimmte Person wegen stets gleicher Vorkommnisse mehrere Male in derselben Klinik untergebracht wird. Wird die Freiheitsentziehung als ungerechtfertigt angefochten und stützt sich das urteilende Gericht bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen gemäss
Art. 397a ZGB
erfüllt sind, ausschliesslich auf Berichte des behandelnden Arztes bzw. von dessen Vorgesetzten, lässt sich die Objektivität der Begutachtung - bei aller subjektiven Redlichkeit des Gutachters - nicht hinreichend bejahen; der Gutachter, der gemäss
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
massgebende Hilfsperson des Richters sein soll, ist in diesem Fall kaum mehr als neutral zu betrachten. Die Gefahr der fehlenden Neutralität erwiese sich dann als weniger gross, wenn der urteilenden Instanz fachkundige Mitglieder angehören würden; zusammen mit der notwendigen mündlichen Anhörung des Betroffenen (
BGE 115 II 134
E. c) liesse sich unter dieser Voraussetzung die dem Richter obliegende kritische Würdigung des gutachterlichen Berichts wohl nicht in Zweifel ziehen, vor allem, wenn dem Betroffenen - was hier trotz Art. 190 Abs. 2 der kantonalen Zivilprozessordnung nicht geschehen ist - ausdrücklich Gelegenheit gegeben wird, allenfalls Einwände gegen den Gutachter vorzubringen. Der Hinweis des Berufungsklägers auf
BGE 110 II 122
ist daher durchaus verständlich, auch wenn sich aus diesem Entscheid keineswegs eine bundesrechtliche Pflicht für die Kantone herleiten lässt, einen Sachverständigen als Mitglied des urteilenden Gerichts beizuziehen. Den Kantonen steht auch im Rahmen des
Art. 397e ZGB
hinsichtlich der Zusammensetzung des Gerichts ein erhebliches Mass an Freiheit zu (
BGE 115 II 132
f. E. a und b).
c) Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die weitere Frage, was bei Einreichung eines Entlassungsgesuchs anzuordnen ist. Der Berufungskläger geht gestützt auf
BGE 110 II 122
ff. davon aus, dass bei Beurteilung eines Gesuchs um Entlassung aus einer Anstalt Sachverständiger nur sein könne, wer einerseits die erforderliche berufliche Qualifikation aufweise und anderseits weder an der Einweisung noch an der Behandlung des Betroffenen mitwirke bzw. mitgewirkt habe.
In der Berufungsschrift wird darauf hingewiesen, dass es hier um die Frage des Ausstandes von Sachverständigen gehe. Die Ausstandsgründe werden indessen grundsätzlich vom kantonalen Recht geregelt, so dass die Verletzung entsprechender Vorschriften mit staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen ist. In
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
BGE 118 II 249 S. 253
wird jedoch der Beizug eines Sachverständigen vom Bundesrecht vorgeschrieben. Wie bereits dargelegt, konkretisiert diese Bestimmung eine verfahrensrechtliche Garantie der EMRK. Die einlässliche Umschreibung der massgebenden Verfahrensregeln in den
Art. 397a ff. ZGB
entsprang der Sorge des Bundesgesetzgebers, im heiklen Bereich der fürsorgerischen Freiheitsentziehung sämtliche von der EMRK geforderten Verfahrensgarantien einheitlich zu ordnen und deren Verletzung im Berufungsverfahren vor Bundesgericht überprüfen zu lassen (
BGE 115 II 131
unten). Zu den wesentlichen Verfahrensgarantien gehört aber auch, dass der in
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
erwähnte Sachverständige, auch wenn er nicht Mitglied der urteilenden Instanz ist, einerseits ein ausgewiesener Fachmann und anderseits unbefangen sein muss. Das bedeutet, dass der Experte sich nicht bereits im gleichen Verfahren, d.h. im Verwaltungsverfahren, das dem Gerichtsverfahren vorangegangen ist, über die Krankheit des Betroffenen geäussert haben darf. Denn für den Sachverständigen gilt, ob er nun Mitglied des Gerichts ist oder nur als Hilfsperson des Richters amtet, institutionell der gleiche Grundsatz wie für den Richter, dass eine Mitwirkung in der unteren Instanz ausgeschlossen ist (analog
Art. 22 Abs. 1 lit. b OG
). Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass der Richter bei Beurteilung der Gründe im Sinne von
Art. 397a Abs. 1 und 3 ZGB
massgebend auf die Meinung des Sachverständigen angewiesen ist. Die vom Bundesgesetzgeber im Rahmen der fürsorgerischen Freiheitsentziehung dem Sachverständigen eingeräumte Stellung beruht auf einer Ausnahmeregelung; seine Stellung ist keineswegs vergleichbar mit derjenigen eines Experten, der in einem Beweisverfahren beigezogen wird. Der Sachverständige muss zwingend vor der Beurteilung einer streitigen Einweisung oder Entlassung aus dem fürsorgerischen Freiheitsentzug angehört werden. Es sind daher an diesen Experten hinsichtlich seiner Unbefangenheit die gleichen Anforderungen zu stellen wie an das urteilende Gericht. In der Regel hat aber ein Anstaltsarzt bereits im Verwaltungsverfahren bzw. in der unteren Instanz mitgewirkt. Das ergibt sich schon daraus, dass zu einem Entlassungsgesuch zuerst einmal die Anstaltsleitung Stellung zu nehmen hat. Im Falle der Ablehnung des Gesuchs steht es dem Betroffenen frei, den Rechtsweg zu beschreiten. Dabei ist dem Berufungskläger beizupflichten, dass es nicht wünschbar wäre, wenn die in der Klinik tätigen Ärzte auch noch als Sachverständige im Sinne von
Art. 397e Ziff. 5 ZGB
auftreten würden. Ein solches Vorgehen wäre mit Sinn und Zweck der genannten Bestimmung unvereinbar. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf38b243-9156-48bb-91dd-ae59b8cf4ba0 | Urteilskopf
121 II 49
8. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. März 1995 i.S. K. gegen EJPD (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Eheliche Gemeinschaft als Voraussetzung für die erleichterte Einbürgerung (
Art. 27 und 28 BüG
).
Eine eheliche Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 und 28 BüG
setzt nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraus. Ausnahmsweise kann dies auch bei einer Aufhebung des gemeinsamen Wohnsitzes angenommen werden, wenn der getrennte Wohnsitz auf plausible Gründe zurückzuführen ist, und wenn die Stabilität der Ehe offensichtlich intakt ist. | Sachverhalt
ab Seite 49
BGE 121 II 49 S. 49
A.-
Am 29. November 1993 stellte K. als Ehegatte einer Schweizerin das Gesuch um erleichterte Einbürgerung. Mit Verfügung vom 21. November 1994
BGE 121 II 49 S. 50
wies das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) dieses Gesuch ab.
B.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 10. Januar 1995 beantragt K. dem Bundesgericht, die Verfügung des EJPD vom 21. November 1994 aufzuheben und ihm die erleichterte Einbürgerung zu bewilligen.
In seiner Vernehmlassung vom 24. Februar 1995 schliesst das EJPD auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Das EJPD hat die Ablehnung der erleichterten Einbürgerung damit begründet, dass der Beschwerdeführer, der den Wohnsitz in Kinshasa habe, nicht in einer ehelichen Gemeinschaft mit seiner in der Schweiz wohnhaften Ehefrau lebe. Angesichts der grossen räumlichen Distanz seien nur vereinzelte Kontakte zwischen den Ehegatten möglich, so dass es sich nicht rechtfertige, von einer tatsächlich gelebten ehelichen Gemeinschaft auszugehen. Daran ändere auch nichts, wenn ein Wille der Ehegatten zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft vorliege. Der Beschwerdeführer hält dieser Auffassung im wesentlichen entgegen, dass die Ehe, aus der drei Töchter hervorgegangen seien, seit über 27 Jahren bestehe. Die Schweizer Ehefrau des Beschwerdeführers sei aus politischen Gründen am 26. September 1991 aus Kinshasa evakuiert worden und daher gezwungen gewesen, den gemeinsamen ehelichen Wohnsitz zu verlassen. Der Beschwerdeführer sei nur in Zaïre geblieben, um die beiden von den Ehegatten gegründeten Schulen weiterzuführen, die andernfalls geschlossen werden müssten. Trotz der grossen geographischen Distanz sei der Wille der Ehegatten, die eheliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, intakt. Der Beschwerdeführer stehe in ständigem brieflichem Kontakt mit seiner Ehefrau und habe diese und seine Töchter zweimal während längerer Zeit in der Schweiz besucht. Die Ehefrau trage mit ihrem in der Schweiz erzielten Einkommen finanziell zur Weiterexistenz der Schulen und zum persönlichen Unterhalt des Beschwerdeführers bei. Aus diesen Gründen sei das Vorliegen einer ehelichen Gemeinschaft des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau zu bejahen.
a) Gemäss
Art. 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR 141.0)
kann der ausländische Ehegatte eines Schweizers, der im Ausland lebt oder gelebt hat, ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er seit sechs Jahren in ehelicher Gemeinschaft
BGE 121 II 49 S. 51
mit dem Schweizer Bürger lebt und mit der Schweiz eng verbunden ist. Vorliegend ist die Frage umstritten, ob der in Kinshasa wohnende Beschwerdeführer mit seiner in der Schweiz lebenden Ehefrau eine eheliche Gemeinschaft im Sinn von
Art. 28 Abs. 1 lit. a BüG
bildet.
b) Der Begriff der "ehelichen Gemeinschaft" stammt aus dem Zivilgesetzbuch (
Art. 159 Abs. 1 ZGB
). Dem ZGB kann freilich keine Begriffsdefinition entnommen werden. Vielmehr werden nur die sich aus der ehelichen Gemeinschaft abgeleiteten Grundpflichten (
Art. 159 Abs. 2 und 3 ZGB
) und spezielle Anwendungsfälle davon geregelt (HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl. 1993, N. 15.04). In
Art. 27 und 28 BüG
wird der zivilrechtliche Begriff der ehelichen Gemeinschaft ins Recht der Staatsangehörigkeit übernommen. In der Literatur wird jedoch zu Recht die Auffassung vertreten, dass sich der Begriff der ehelichen Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 und 28 BüG
durchaus von demjenigen des ZGB unterscheide (SCHÄRER, Die neue Revision des Bürgerrechtsgesetzes, ZZW 58, 1990, S. 199). Dies wird denn auch vom französischen Gesetzestext bestätigt, der in
Art. 159 Abs. 1 ZGB
den Begriff "union conjugale" verwendet, während
Art. 27 und 28 BüG
den Ausdruck "communauté conjugale" enthalten. Das Bundesgericht geht davon aus, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinn des Bürgerrechtsgesetzes nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraussetze, was namentlich dann zu verneinen sei, wenn im Zeitpunkt der Gesuchstellung bzw. der Einbürgerungsverfügung ein Scheidungsverfahren eingeleitet worden sei oder die Ehegatten faktisch oder richterlich getrennt lebten (sinngemäss
BGE 120 Ib 193
E. 4, nicht veröffentlichte Urteile i.S. O. c/ EJPD vom 3. Oktober 1994, i.S. Gemeinde G. c/ A. vom 6. Juli 1994 und i.S. E. c/ EJPD vom 24. Mai 1993). Freilich können plausible Gründe - namentlich beruflicher und gesundheitlicher Art - für einen getrennten Wohnsitz der Ehegatten bestehen, ohne dass deshalb die Existenz einer ehelichen Gemeinschaft im Sinn von
Art. 27 und 28 BüG
generell zu verneinen wäre (SCHÄRER, Erfahrungen bei der Anwendung der letzten Revision des BüG, ZZW 62, 1994, S. 34).
Im vorliegenden Fall leben die Ehegatten seit mehr als 3 Jahren faktisch getrennt, weil die Ehefrau des Beschwerdeführers aufgrund politischer Umstände evakuiert werden musste, während der Beschwerdeführer aus beruflichen Gründen zwecks Weiterführung der gemeinsam gegründeten Schulen in Kinshasa blieb. Trotz der Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Wohnsitzes
BGE 121 II 49 S. 52
ist indessen der Wille zur ehelichen Gemeinschaft nach wie vor intakt. Dies äussert sich zunächst darin, dass die Ehegatten in engem brieflichen Kontakt stehen. Sodann hat sich der Beschwerdeführer trotz der beschränkten finanziellen Mittel bereits zweimal zu längeren Besuchen bei seiner Frau und den Töchtern in der Schweiz aufgehalten. Von grosser Bedeutung ist schliesslich die Tatsache, dass die Ehefrau aus dem in der Schweiz erzielten Einkommen einen finanziellen Beitrag an den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers und an die Weiterführung der gemeinsam gegründeten Schulen leistet. Ungeachtet der Aufhebung des gemeinsamen ehelichen Wohnsitzes, die auf äussere Umstände politischer und beruflicher Art zurückzuführen ist, erweist sich der Wille der Ehegatten zur Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft als unverändert intakt. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von den vom Bundesgericht bislang beurteilten Sachverhalten, in denen regelmässig der Wille zur Fortführung der ehelichen Gemeinschaft durch einen rechtshängigen Scheidungsprozess oder durch faktisches bzw. gerichtlich bewilligtes Getrenntleben nicht mehr bestand. Es rechtfertigt sich deshalb, von einer ehelichen Gemeinschaft im Sinn von
Art. 28 Abs. 1 lit. a BüG
auszugehen. Eine tatsächliche Lebensgemeinschaft kann ausnahmsweise auch bei einer Aufhebung des gemeinsamen Wohnsitzes angenommen werden, wenn der getrennte Wohnsitz auf plausible Gründe zurückzuführen ist, und wenn aufgrund eines gemeinsamen Willens der Ehegatten die Stabilität der Ehe offensichtlich intakt ist. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen. | public_law | nan | de | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf410cfe-6d5a-4089-9264-205535a05564 | Urteilskopf
101 II 47
12. Arrêt de la IIe Cour civile du 1er mai 1975 dans la cause Berchtold-Rothenanger et consorts contre Staudhammer. | Regeste
Verantwortlichkeitsklage der Erben gegen einen Testamentsvollstrecker.
1. Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker können die Erben und die andern vom Erblasser begünstigten Personen erheben. Hingegen ist der Dritte, der gestützt auf eine Zession der Erben am Nachlass beteiligt ist, nicht befugt zu klagen (Erw. 1).
2. Da der Willensvollstrecker eine unabhängige Stellung einnimmt, kann er die Werte des Nachlasses auch gegen den übereinstimmenden Willen der Erben verkaufen, sobald der Verkauf in den Rahmen seiner Aufgabe fällt, z.B. wenn er notwendig ist zur Bezahlung von Erbschaftsschulden (Erw. 2-3). | Sachverhalt
ab Seite 47
BGE 101 II 47 S. 47
A.-
Emilie Dimier, née Rothenanger, est décédée à Genève le 23 juillet 1967. Par testament public du 7 juillet 1966, elle a institué comme héritiers en nue-propriété, par parts égales entre eux, sa nièce, Hulda Berchtold-Rothenanger, ses deux neveux Willi et Fritz Rothenanger et sa nièce Ruth Giordano, l'usufruit de l'entier de la succession étant légué, sous réserve de divers autres legs, à sa soeur infirme Berthe-Fanny Rothenanger, à Genève; elle a désigné comme exécuteur testamentaire Roger Staudhammer, expert-comptable
BGE 101 II 47 S. 48
à Genève, qui s'était occupé avec succès de la gestion de ses biens depuis plusieurs années, et émis le désir qu'il soit également désigné comme tuteur de Berthe Rothenanger. Enfin, le testament contient la clause suivante: "Je désire en outre que mes héritiers ne vendent pas les actions de l'immeuble avenue Calas 10 et que ces titres restent en hoirie".
Roger Staudhammer a accepté sa désignation comme exécuteur testamentaire. Par ordonnance du 24 août 1967, la Chambre des tutelles de Genève l'a nommé aux fonctions de curateur de Berthe Rothenanger, hospitalisée à la clinique Bel-Air depuis septembre 1966, aux fins de pourvoir à la gestion de ses biens.
Willi et Fritz Rothenanger, ainsi que Hulda Berchtold ont fait participer à la succession de leur tante un frère non mentionné dans le testament, Werner Rothenanger, auquel chacun d'eux a cédé 1/16 de ses droits.
B.-
Après paiement de divers legs prévus dans le testament, l'actif de la succession de feu Emilie Dimier ne comprenait, pour l'essentiel, que le capital-actions, divisé en 200 actions au porteur, d'une valeur nominale de 250 fr., de la S.I. Champel Soleil C, propriétaire d'un immeuble locatif sis à l'avenue Calas 10. Cet immeuble avait été acquis par Staudhammer, pour le compte de la défunte, le 5 mars 1959 pour le prix de 1'310'000 fr.
Le fisc genevois a réclamé aux héritiers institués la somme de 166'962 fr. 10, plus intérêt à 5% du 6 janvier 1968 au titre des droits de succession en vertu de la loi cantonale ad hoc. Des sommations de payer leur ont été notifiées le 27 juin 1968. Le fisc a toutefois accordé, à la demande des héritiers et de l'exécuteur testamentaire, qui cherchait à sauvegarder les intérêts de sa pupille, des délais successifs de paiement, mais en bloquant en main du notaire qui les détenait les actions de la S.I. Champel Soleil C pour garantir ses prétentions.
De 1968 à janvier 1970, Roger Staudhammer a entrepris de nombreuses démarches pour résoudre le problème qui se posait à lui pour pouvoir opérer le partage, savoir celui du paiement des droits successoraux alors que l'actif successoral ne comprenait que des actions d'une société immobilière que la défunte souhaitait voir maintenues en hoirie, et cela sans que les droits de l'usufruitière, sa pupille, fussent compromis. Neuf solutions furent successivement examinées et étudiées,
BGE 101 II 47 S. 49
savoir l'avance des frais de succession par chacun des héritiers, la vente aux enchères, le dépôt fiduciaire de 50 actions de dame Giordano, un emprunt de 185'000 fr., un emprunt de 124'000 fr. augmenté de 50'000 fr. prêtés par l'usufruitière, le rachat du capital-actions de 1'400'000 fr. par les hoirs Rothenanger, un emprunt hypothécaire, une rente viagère remplaçant l'usufruit et enfin une convention entre héritiers mettant à la charge de l'usufruitière l'impôt anticipé et le droit de timbre. Aucune de ces solutions ne put en définitive être mise sur pied, soit à la suite de divergences entre les héritiers, soit à la suite de leur refus de signer les textes auxquels ils avaient donné leur accord de principe, soit enfin à cause du refus de la Chambre des tutelles d'approuver une solution défavorable aux intérêts de l'usufruitière sous curatelle.
C.-
Le 21 janvier 1970, devant l'échec successif des démarches qu'il avait entreprises pour régler le problème, Staudhammer demanda à la Chambre des tutelles quelle position il devait adopter. Le 23 janvier 1970, se référant à la doctrine, l'autorité tutélaire lui conseilla de fixer un délai aux héritiers et de les aviser que, s'ils ne faisaient pas d'opposition avant l'expiration de ce délai, il serait procédé à la vente aux enchères publiques du capital-actions, en ajoutant que, s'ils faisaient opposition, l'affaire serait soumise à la Justice de paix, autorité de surveillance des exécuteurs testamentaires, laquelle trancherait. Donnant suite à ce conseil, Staudhammer fixa aux héritiers, par lettre du 26 janvier 1970, un délai au 10 février 1970, pour former opposition à sa décision de vendre les actions aux enchères publiques, opposition qui entraînerait la soumission du dossier à la Justice de paix.
Cette mise en demeure provoqua la réunion, le 3 février 1970, des intéressés en l'étude de l'avocat genevois des héritiers. Y assistèrent Ruth Giordano, assistée de son conseil bernois, Fritz Rothenanger, accompagné de l'un des collaborateurs de son avocat genevois, et Staudhammer. Les discussions aboutirent à la signature d'une convention par laquelle Ruth Giordano et Fritz Rothenanger donnaient leur "accord irrévocable" pour la vente de gré à gré des actions et de la créance chirographaire à un prix minimum de 1'600'000 fr., sous déduction de l'hypothèque réduite à 712'000 fr. et de la commission de courtier. L'accord porte que Fritz Rothenanger engage ses deux frères Willi et Werner et sa soeur
BGE 101 II 47 S. 50
Hulda Berchtold. Le conseil bernois de dame Giordano a attesté que Fritz Rothenanger avait signé cet accord devant lui et qu'il avait formellement déclaré représenter et engager ses frères et soeur.
Staudhammer remit à Fritz Rothenanger sept copies de cet accord, munies des signatures de Ruth Giordano et de Fritz Rothenanger, en le chargeant de les faire contresigner par Willi et Werner Rothenanger et par Hulda Berchtold. Le même jour, 3 février 1970, il sollicita et obtint du fisc genevois, en invoquant l'accord intervenu, une ultime prolongation, à fin mars, du délai imparti aux héritiers pour le paiement de l'impôt successoral.
Par la suite, Fritz Rothenanger a signalé à Staudhammer un amateur éventuel pour l'immeuble et le pria de lui remettre divers documents. De même, le 11 février 1970, Staudhammer adressa au collaborateur de l'avocat des héritiers le bilan et compte de profits et pertes de la société immobilière, ainsi que l'état locatif de l'immeuble.
Le 16 février 1970, Staudhammer a soumis à la Chambre des tutelles une offre de la régie Naef, du 13 février 1970, pour l'achat de l'immeuble au prix de 1'600'000 fr. et en discuta certaines des modalités. Revenant le 23 février 1970 sur cette offre, il rappela les critiques qu'il avait faites le 7 octobre 1968 au sujet d'une expertise de l'immeuble qui avait été confiée à l'architecte Zaugg. Il estimait que les conclusions de cet expert, qui avait fixé la valeur vénale de l'immeuble à 1'765'000 fr., étaient trop élevées, l'expert ayant tenu compte d'un taux de capitalisation trop bas et ayant sous-estimé les frais d'entretien de l'immeuble. La Chambre des tutelles invita alors Staudhammer à faire procéder à une nouvelle expertise de l'immeuble par l'agent immobilier Jean-François Dumur, qui déposa son rapport le 18 mars 1970. Cet expert estime la valeur vénale de l'immeuble à 1'620'000 fr. Après avoir relancé vainement l'avocat des héritiers pour obtenir la ratification de l'accord du 3 février par les héritiers qui ne l'avaient pas signé, Staudhammer exposa la situation, par lettre du 19 mars 1970, au Président de la Justice de paix, autorité de surveillance des exécuteurs testamentaires, lui remit le rapport Dumur et lui demanda l'autorisation de vendre le capital-actions pour le prix de 1'600'000 fr. Par ordonnance motivée du 31 mars 1970, le Juge de paix a autorisé Staudhammer, en sa qualité d'exécuteur
BGE 101 II 47 S. 51
testamentaire, à vendre au client de Naef et Cie, Ed. Knobel, les actions de la société immobilière pour le prix indiqué et à verser à l'ayant droit les dividendes encaissés jusqu'à concurrence de 50'000 fr.
Le 30 mars 1970, Fritz Rothenanger a téléphoné à Staudhammer pour lui dire de ne pas vendre, en des termes qui incitèrent l'exécuteur testamentaire à demander une consultation au notaire Rehfous, notamment en ce qui concerne l'effet, sur la position de l'héritière Giordano, de l'avance par ses cohéritiers Rothenanger et Berchtold de la somme nécessaire au paiement des impôts successoraux. En effet, le conseil des trois frères Rothenanger et de dame Berchtold avisa Staudhammer le 2 avril, par téléphone et par lettre, que la somme de 210'000 fr. serait versée par ses clients sur le compte bancaire du notaire Martin chargé de liquider la succession; ces versements étaient destinés au paiement des impôts successoraux et furent effectivement faits. Staudhammer répondit que, si ce versement intervenait, il surseoirait à la vente jusqu'à ce qu'il soit en possession de l'avis de droit Rehfous. Dans sa consultation du 3 avril, le notaire Rehfous fit ressortir les risques que représentait pour dame Giordano l'exercice des droits de recours que ses cohéritiers feraient valoir contre elle du chef de la créance résultant de l'avance des droits de succession, notamment en cas de réalisation de la part de nue-propriété de dame Giordano. Il souligna que la vente envisagée était conforme à l'intérêt de la pupille de Staudhammer et que, en tout état de cause, la vente de gré à gré envisagée est une opération normale. Ayant reçu confirmation de l'avocat de dame Giordano de l'accord de celle-ci avec la vente aux conditions connues, Staudhammer soumit encore le 3 avril la consultation Rehfous au juge de paix et président de la Chambre des tutelles, en l'avisant que la signature de la convention de vente d'actions aurait lieu le 7 avril 1970. L'autorité ne réagit pas à cette communication et la vente fut signée le 7 avril par Staudhammer aux conditions prévues. Après paiement des impôts successoraux, chacun des héritiers institués a reçu 153'000 fr. selon décompte de liquidation dressé par le notaire Martin le 22 mai 1970, sous réserve de l'usufruit de dame Berthe Rothenanger.
D.-
Les trois frères Rothenanger et dame Berchtold ont ouvert action contre Roger Staudhammer par exploit du
BGE 101 II 47 S. 52
4 juin 1971, en concluant à ce que le défendeur soit condamné à leur payer conjointement la somme de 300'000 fr. avec intérêt à 5% l'an du 2 avril 1971 et, subsidiairement, à la désignation de trois experts chargés de déterminer la valeur vénale au 7 avril 1970 de l'immeuble litigieux. Le Tribunal de première instance les ayant déboutés par jugement du 18 janvier 1973, les recourants ont fait appel à la Cour de justice de Genève, qui a confirmé le jugement, sauf en ce qui concerne le montant des dépens, par arrêt du 25 octobre 1974. C'est contre cet arrêt que les recourants ont déposé un recours en réforme, qui tend à l'allocation, avec suite de dépens, des conclusions principales et subsidiaires qu'ils avaient prises devant l'autorité cantonale.
L'intimé Staudhammer a conclu, avec suite de dépens, au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Les recourants, agissant en leur qualité d'héritiers de feu Emilie Dimier, réclament à Staudhammer des dommages-intérêts pour le dommage qu'il leur aurait causé dans l'exécution de sa mission d'exécuteur testamentaire. Leur action se caractérise donc comme une action en responsabilité des héritiers contre l'exécuteur testamentaire. Il s'agit de déterminer en premier lieu si les recourants ont qualité pour intenter une telle action et, en cas de réponse affirmative à cette première question, si les conditions de l'action sont réalisées dans le cas concret.
En principe, l'action en responsabilité contre l'exécuteur testamentaire appartient aux héritiers et autres personnes gratifiées par le de cujus (TUOR, Comm., n. 24 ad art. 518 CC; ESCHER, Comm., n. 14 ad art. 518 CC; LOB, Les pouvoirs de l'exécuteur testamentaire en droit suisse, thèse Lausanne 1952, p. 123).
Or, si Hulda Berchtold, Willi et Fritz Rothenanger sont sans aucun doute les héritiers institués de feu Emilie Dimier et ont donc en principe qualité pour agir, il n'en va pas de même de Werner Rothenanger. Ce dernier, neveu de la défunte, n'a pas été institué héritier par sa tante. Il ne participe à la succession que parce que chacun des trois héritiers prénommés lui a cédé 1/16 de ses droits. Selon l'art. 635 al. 2 CC, il n'avait donc aucun droit d'intervenir au partage. La cession d'une
BGE 101 II 47 S. 53
partie des droits successoraux de trois héritiers ne lui confère pas un droit direct sur la succession, mais seulement un droit personnel à la délivrance par l'héritier cédant des biens reçus en partage (TUOR/PICENONI, n. 22-25 ad art. 635 CC; ESCHER, n. 18 ad art. 635 CC; BECK, FJS 790 A ch. 2; RO 87 II 218, notamment p. 224 ss). Par voie de conséquence, la cession partielle des parts successorales des trois autres recourants ne pouvait pas lui conférer d'autres droits. Elle ne pouvait en particulier pas lui attribuer la qualité d'héritier, qui est incessible (RO 89 II 185; BECK, FJS 790 A ch. 1). Pour pouvoir agir personnellement contre l'exécuteur testamentaire, Werner Rothenanger aurait dû se faire céder expressément, conformément à l'art. 164 CO, les droits des autres recourants contre l'exécuteur testamentaire. Rien dans le dossier ne permet de dire qu'une telle cession existe. L'action de Werner Rothenanger doit donc être en tout état de cause rejetée, faute de qualité pour agir.
Quant à Fritz Rothenanger, s'il est bien héritier, il a, par l'acte du 3 février 1970, donné son "accord irrévocable" à la vente de gré à gré des actions et de la créance chirographaire aux conditions auxquelles cette vente a été effectivement faite. Certes, il s'est par la suite opposé à la vente, mais l'engagement irrévocable qu'il avait pris en toute connaissance de cause continuait à le lier, si bien que ce changement d'attitude était inopérant. Dès lors, conformément à la doctrine (TUOR, n. 1 i.f. et 24 ad art. 518 CC; ESCHER, n. 14 ad art. 518 CC) et comme l'a relevé la cour cantonale, ayant consenti irrévocablement à la vente, Fritz Rothenanger a perdu le droit de se plaindre à ce sujet. Cet accord exclut le principe même d'une responsabilité de l'exécuteur testamentaire à son égard.
En conséquence, les actions de Werner et Fritz Rothenanger doivent en tout état de cause et sans plus ample examen être rejetées.
2.
L'exécuteur testamentaire est responsable de ses actes à l'égard des héritiers. Sa responsabilité s'apprécie comme celle d'un mandataire, auquel on l'assimile (TUOR, n. 24 ad art. 518 CC; ESCHER, n. 14 ad art. 518 CC; LOB, op.cit., p. 119). L'exécuteur est responsable de la bonne et fidèle exécution des tâches qui lui sont confiées, selon la règle de l'art. 398 al. 2 CO. Il appartient donc aux héritiers qui s'estiment lésés de prouver la violation de ses devoirs par l'exécuteur
BGE 101 II 47 S. 54
testamentaire, le dommage et la relation de causalité entre ces deux faits. S'ils font ces preuves, la faute de l'exécuteur testamentaire est présumée conformément à l'art. 97 CO. Il lui appartient alors d'établir qu'il n'a pas commis de faute pour échapper à sa responsabilité (LOB, op.cit., p. 122).
a) Les recourants ne prétendent pas que Staudhammer a violé ses devoirs d'exécuteur en vendant les actions litigieuses. A juste titre, la cour cantonale a en effet constaté qu'assumant une position indépendante à l'égard des héritiers (RO 90 II 381;
98 II 279
i.f.) Staudhammer pouvait décider, même contre l'accord des héritiers, une vente des biens appartenant à la succession dès l'instant qu'elle entrait dans le cadre de sa mission, par exemple dans la mesure où elle était nécessaire au paiement des dettes de la succession (RO 97 II 15 ss; ESCHER, n. 10 ad art. 518 CC).
Dans le cas particulier, après trois ans de vaines tentatives pour trouver les sommes nécessaires au paiement des impôts successoraux, Staudhammer avait le devoir de trouver une solution pour financer le paiement de ces impôts. Certes, se fondant sur le texte de l'art. 518 CC, certains auteurs soutiennent que l'exécuteur testamentaire n'a le devoir de payer que les dettes du défunt et de la succession, à l'exclusion de celles des héritiers (LOB, op.cit., p. 52; SCHREIBER, FJS 870a p. 3 VIII). Peu importe en l'espèce: en effet, selon les constatations de la cour cantonale, le droit fiscal genevois oblige l'exécuteur testamentaire à payer les droits de succession sur les biens de celle-ci et lui interdit, sous peine d'être personnellement responsable du paiement, de procéder à la délivrance d'une succession sans s'être préalablement assuré du paiement de ces droits. Au surplus, le fisc genevois ayant bloqué les actions, qui constituaient le seul actif de la succession, pour garantir le paiement de ces droits, l'exécuteur testamentaire ne pouvait procéder au partage, soit à l'essentiel de sa mission, sans avoir résolu préalablement cette question. Staudhammer était d'autant plus justifié à agir de la sorte que le testament prévoyait que tous les legs qu'il avait à exécuter devaient être délivrés "francs de droit". Il avait donc le devoir de s'assurer que l'entier des droits de succession avait été payé avant de délivrer la succession aux nus-propriétaires (TUOR, n. 14 ad art. 518 CC).
b) Aussi bien les recourants ne reprochent-ils à Staudhammer
BGE 101 II 47 S. 55
que le fait d'avoir vendu les actions le 7 avril 1970 alors même qu'ils avaient déposé le 2 avril 1970 en main du notaire Martin les sommes nécessaires au paiement des droits de succession. Selon eux, ce dépôt permettait de payer les impôts sans recourir à la vente des actions, qui n'était ainsi plus nécessaire et à laquelle Staudhammer n'aurait dès lors pas dû procéder, puisqu'elle était contraire aux désirs exprimés par dame Dimier dans son testament.
Avant le 2 avril 1970, il ne fait pas de doute que Staudhammer était fondé à passer outre au désir de la testatrice de voir les actions litigieuses conservées en hoirie. Il s'agissait en effet 1à d'un simple voeu, nullement impératif, adressé d'ailleurs plus à ses héritiers qu'à son exécuteur testamentaire (ESCHER, n. 27 ad art. 482 CC). Ce voeu ne liait donc pas Staudhammer dans la mesure où il avait essayé, mais en vain, d'éviter la vente des actions en cherchant à mettre sur pied une solution permettant de payer les dettes d'impôts autrement. En vertu de son pouvoir de disposition, l'exécuteur testamentaire pouvait donc en principe vendre les actions si cela se révélait nécessaire pour remplir une autre de ses obligations, celle de payer les droits successoraux et de procéder au partage (ESCHER, n. 10 i.f. ad art. 518 CC). Il le pouvait et le devait d'autant plus qu'en octobre 1969 une solution permettant d'éviter la vente et qui avait recueilli l'accord de tous les héritiers avait échoué à la suite d'une volte-face, au dernier moment, de certains d'entre eux.
A partir du 2 avril 1970, date à laquelle les recourants avaient mis à sa disposition les fonds nécessaires au paiement des impôts successoraux, Staudhammer était placé devant un choix: ou accepter les fonds et renoncer à la vente; ou poursuivre dans la voie de la vente des actions. Son choix dépendait de la pesée des intérêts en présence.
La solution proposée par les recourants avait l'avantage qu'elle permettait de déférer au voeu de la testatrice en évitant la vente. Mais elle présentait aussi les inconvénients résultant d'une part de ce qu'elle était moins favorable à l'usufruitière, à qui elle assurait des revenus inférieurs, d'autre part de ce qu'elle risquait de placer l'une des héritières, dame Giordano, dans une situation défavorable par rapport à ses cohéritiers. A cela s'ajoutait que, comme l'a relevé le notaire Rehfous dans son avis de droit, sur les cinq personnes intéressées (le notaire
BGE 101 II 47 S. 56
n'avait à juste titre pas tenu compte de Werner Rothenanger), la majorité avait donné son accord à la solution de la vente de gré à gré. Compte tenu de la grande liberté dont jouit l'exécuteur testamentaire (LOB, op.cit., p. 51), Staudhammer n'a pas excédé son pouvoir d'appréciation en décidant comme il l'a fait de procéder à la vente.
c) Les recourants ne reprochent pas à l'intimé d'avoir procédé à la vente des actions de gré à gré et non pas aux enchères. La question se pose pourtant. En effet, le Tribunal fédéral a jugé (RO 97 II 11, notamment consid. 2 à 4) que, s'agissant de procédure en partage, l'exécuteur testamentaire doit appliquer les règles des art. 607 et 610 CC et que, dans l'hypothèse visée par l'art. 612 al. 2 et 3 CC, il doit procéder à la vente aux enchères dès l'instant que l'un des héritiers le demande et qu'il s'agit de biens de la succession qui ne peuvent être partagés sans subir une diminution notable de leur valeur. Cette règle n'est toutefois pas applicable en l'espèce, car l'exécuteur testamentaire n'a pas vendu les actions appartenant à la succession pour procéder à leur partage, qui pouvait se faire sans la vente par la répartition de 25 actions à chacun des héritiers, mais bien pour payer la dette d'impôt de la succession.
En réalité, on se trouve dans l'hypothèse que le Tribunal fédéral a réservée dans l'arrêt précité (RO 97 II 19 i.f.), où la question est de savoir si l'exécuteur testamentaire peut procéder à une vente de gré à gré, contre la volonté des héritiers ou de certains d'entre eux, lorsque les biens de la succession doivent être vendus pour se procurer les moyens nécessaires au paiement des dettes du défunt ou pour délivrer les legs. Pour résoudre cette question, on doit partir du texte de l'art. 518 al. 2 CC, qui donne pour mission à l'exécuteur testamentaire, entre autres, de payer les dettes et d'acquitter les legs. Dès l'instant que l'exécuteur testamentaire a l'obligation d'accomplir ces opérations et que la loi, contrairement à ce qui se passe en matière de partage, ne contient pas de prescription limitant son pouvoir de disposition et soumettant celui-ci à des restrictions quant à ses modalités, on doit admettre qu'on ne saurait le priver des moyens nécessaires pour l'exécution de sa mission, ni la faire dépendre d'une autorisation des héritiers. On doit au contraire laisser à l'exécuteur testamentaire un large pouvoir d'appréciation, limité
BGE 101 II 47 S. 57
d'une part par le droit de recours des héritiers à l'autorité de surveillance, d'autre part par son devoir de diligence sanctionné par sa responsabilité à leur égard (RO 74 I 424/425; cf. aussi RO 97 II 19/20).
En l'occurrence, Staudhammer n'a pas violé son devoir de prudence en choisissant la voie de la vente de gré à gré dans les conditions où il l'a faite: disposant d'une expertise judiciaire récente pour la valeur de l'immeuble, il était fondé à procéder à la vente au prix estimé par l'expert, d'ailleurs supérieur à celui offert quelque temps auparavant par les héritiers. Compte tenu de l'urgence qu'il y avait à régler les droits de succession, les mesures qu'il a prises étaient appropriées et ne sauraient être critiquées.
3.
Supposé même d'ailleurs que ces mesures ne fussent pas adéquates, Staudhammer pourrait encore soutenir qu'il n'a commis aucune faute. En effet, comme le relève à juste titre la cour cantonale, alors que les constants changements d'attitude des héritiers auraient pu lui faire perdre son sang-froid, Staudhammer ne s'est jamais laissé aller à une démarche intempestive. Il s'est constamment adressé en sa qualité de curateur à l'autorité tutélaire puis, lorsque ses tentatives de mettre sur pied une solution amiable eurent échoué, au Juge de paix, dont il a suivi point par point les conseils. Il a renseigné ce magistrat avec précision sur l'évolution de la situation et a obtenu son accord avec la vente proposée dans la décision du 31 mars. Certes, les recourants soutiennent que l'exécuteur testamentaire ne peut se prévaloir de cette décision, ni de l'avis de droit demandé au notaire Rehfous, parce que la décision du 31 mars et la consultation du 3 avril 1970 ne tiennent pas compte du dépôt qu'ils avaient opéré le 2 avril. Ces affirmations sont contredites par les faits de la cause: l'exécuteur testamentaire a informé l'autorité le 3 avril du versement par certains des héritiers des sommes nécessaires au paiement des impôts et lui a communiqué la consultation du notaire Rehfous, ce qui n'a pas incité le Juge de paix à modifier sa décision du 31 mars. De même, le notaire Rehfous a pu tenir compte, au moins à titre hypothétique, de tous les éléments de la situation, puisque la première question posée était de savoir si l'intimé pouvait accepter que les recourants règlent les charges de la succession, leur laissant la possibilité de se retourner contre dame Giordano.
BGE 101 II 47 S. 58
Ayant pris la précaution de s'assurer par une expertise de la valeur de l'immeuble, de solliciter un avis de droit pour élucider tous les aspects de la situation et enfin de demander et d'obtenir l'accord de l'autorité de surveillance aux opérations qu'il envisageait, Staudhammer ne saurait se voir reprocher une faute. On doit en effet admettre que l'exécuteur testamentaire qui, placé devant un choix délicat, sollicite l'accord de l'autorité de surveillance ne commet pas de faute s'il exécute ponctuellement les instructions de cette autorité (TUOR, n. 29 i.f. ad art. 518 CC; LOB, op.cit., p. 123 et n. 27).
Il faut encore relever que, bien qu'avisés assez tôt des intentions de l'exécuteur testamentaire, qui furent confirmées à leur conseil le 3 avril 1970, les recourants n'ont entrepris aucune démarche quelconque pour obtenir de l'autorité de surveillance qu'elle interdise à Staudhammer la vente de gré à gré prévue 4 jours plus tard, ni même seulement pour la faire différer.
4.
C'est dès lors à juste titre que les premiers juges ont considéré que Staudhammer n'avait pas violé ses devoirs d'exécuteur testamentaire, ni commis de faute et, en conséquence, rejeté l'action des recourants dans la mesure où ils avaient qualité pour agir. C'est de même à bon droit que la cour cantonale a refusé d'ordonner une expertise sur la valeur de l'immeuble vendu, dès l'instant qu'en principe la responsabilité de l'exécuteur testamentaire n'était pas engagée et que les recourants n'avaient allégué aucun fait qui permette de penser qu'il ait commis une grossière et fautive erreur d'appréciation en acceptant de vendre les actions litigieuses au prix de 1'600'000 fr. proposé par l'expert Dumur, prix d'ailleurs supérieur de 150'000 fr. à 200'000 fr. à celui offert par les recourants pour le même immeuble quelques mois auparavant. La responsabilité de Staudhammer n'étant pas engagée en principe, il était expédient d'éviter les frais d'une expertise que rien dans le dossier ne justifie.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf44f0ac-18c2-4212-af61-66b39a04b762 | Urteilskopf
137 IV 57
7. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_460/2010 vom 4. Februar 2011 | Regeste
Art. 49 Abs. 2 StGB
; Gleichartigkeit der Strafen bei retrospektiver Konkurrenz.
Die Bildung einer Gesamtstrafe im Sinne von
Art. 49 Abs. 1 StGB
ist bei nicht gleichartigen Strafen nicht möglich. Diese sind kumulativ zu verhängen, da das Asperationsprinzip nur greift, wenn mehrere gleichartige Strafen ausgesprochen werden. Das gilt auch für die Bildung einer Zusatzstrafe bei retrospektiver Konkurrenz nach
Art. 49 Abs. 2 StGB
. Demnach ist es ausgeschlossen, eine Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe zu einer Geldstrafe als Grundstrafe auszusprechen (E. 4.3). | Erwägungen
ab Seite 58
BGE 137 IV 57 S. 58
Aus den Erwägungen:
4.
4.3
4.3.1
Die Vorinstanz fällte als Zusatzstrafe im Sinne von
Art. 49 Abs. 2 StGB
eine Freiheitsstrafe zu einer Geldstrafe als Grundstrafe aus. Ein solches Vorgehen entspricht nicht den von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Strafzumessung bei retrospektiver Konkurrenz. Bedingung für eine Zusatzstrafe ist stets, dass die Voraussetzungen der Gesamtstrafe nach
Art. 49 Abs. 1 StGB
erfüllt sind (
BGE 102 IV 242
E. 4b mit Hinweis). Danach sind ungleichartige Strafen kumulativ zu verhängen, weil das Asperationsprinzip nur greift, wenn mehrere gleichartige Strafen ausgesprochen werden. Die Bildung einer Gesamtstrafe ist bei ungleichartigen Strafen nicht möglich (Urteil 6B_785/2009 vom 23. Februar 2010 E. 5.5 mit Hinweisen). Die Praxis zu aArt. 68 StGB ist somit weiterhin massgebend. Gemäss dieser Rechtsprechung mussten beide Strafen verhängt und konnte keine Gesamtstrafe gebildet werden, wenn jemand einerseits mit einer Freiheitsstrafe und anderseits mit einer Busse zu bestrafen war (
BGE 102 IV 242
E. 5 mit Hinweisen). Dies gilt gleichermassen nach neuem Recht, ungeachtet dessen, dass durch die am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs neue Strafarten hinzugekommen sind. Die Bildung einer Gesamtstrafe - und mithin einer Zusatzstrafe - ist also nur möglich, wenn mehrere Geldstrafen, mehrfache gemeinnützige Arbeit, mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Bussen ausgesprochen werden (vgl. JÜRG-BEAT ACKERMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 37 zu
Art. 49 StGB
). Demnach ist es ausgeschlossen, eine Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe zu einer Geldstrafe auszusprechen. Aus dem nach aArt. 68 Ziff. 2 StGB ergangenen
BGE 132 IV 102
E. 8.2, wonach der Zweitrichter in Bezug auf die Strafart nicht an den rechtskräftigen ersten Entscheid gebunden ist, kann für das heutige Recht nichts abgeleitet werden.
4.3.2
Als Zusatzstrafe zu der mit Urteil des Amtsgerichtspräsidenten von Thal-Gäu am 3. November 2009 ausgesprochenen Grundstrafe käme demzufolge nur eine Geldstrafe in Betracht. Ist die Vorinstanz der Ansicht, es sei eine Freiheitsstrafe zu verhängen, muss sie eine eigenständige Strafe bilden. Zudem hat sie in diesem Falle hinreichend zu begründen, weshalb sie sich für eine Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe entscheidet (vgl. dazu
BGE 134 IV 97
E. 4.2 mit Hinweisen), und gegebenenfalls die Voraussetzung nach
Art. 41 Abs. 1 StGB
zu berücksichtigen.
BGE 137 IV 57 S. 59
4.3.3
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Entscheid auch die Frage des bedingten Strafvollzugs abermals prüfen müssen, da es bei der Beurteilung der Legalprognose auf die aktuellen Verhältnisse des Beschwerdeführers ankommt (
BGE 134 IV 1
E. 4.2.1 mit Hinweisen). Es erübrigt sich, auf die Beschwerde in diesem Punkt näher einzutreten. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf47ccac-d809-418f-b1c9-420856d614d0 | Urteilskopf
81 III 107
30. Entscheid vom 1. September 1955 i.S. G. Bühler's Erben. | Regeste
Widerspruchsverfahren (
Art. 106 ff. SchKG
).
Verwirkung des Widerspruchsrechts wegen arglistiger Verzögerung der Anmeldung des Eigentumsanspruchs. | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 81 III 107 S. 107
Am 22. Mai 1954 arrestierte das Betreibungsamt Zürich 6 für eine Forderung der Rekurrentin gegen Josef Behrenstamm ein Personenauto VW. Der Schuldner bezeichnete diesen Wagen als Eigentum von Hans Weilenmann. Da die Rekurrentin diese Ansprache bestritt, klagte Weilenmann gegen sie auf Feststellung seines Eigentums. Mit Urteil vom 29. März 1955 wies jedoch der Einzelrichter für das beschleunigte Verfahren beim Bezirksgericht Zürich seine Klage ab.
Schon am 17. Dezember 1954 (nämlich eine Woche nach der Beweisverhandlung im eben erwähnten Prozesse) hatte Fritz W. Meyer dem Betreibungsamte mitgeteilt, dass er das Eigentum am arrestierten Auto geltend mache, um für den Fall, dass die Klage Weilenmanns abgewiesen werden sollte, seine Rechte zu wahren. Am 13. April 1955, unmittelbar nach der Zustellung des Urteils vom 29. März 1955, zeigte das Betreibungsamt der Rekurrentin diese Ansprache an und setzte ihr Frist zu deren Bestreitung (Formular 18). Hiegegen führte die Rekurrentin Beschwerde mit der Begründung, Meyer habe die Anmeldung seiner
BGE 81 III 107 S. 108
Ansprache arglistig verzögert und damit sein Widerspruchsrecht verwirkt. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 29. Juli 1955 in Übereinstimmung mit der ersten Instanz abgewiesen.
Diesen Entscheid hat die Rekurrentin an das Bundesgericht weitergezogen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Vorinstanz stellt selber fest, dass Meyer von der am 22. Mai 1954 erfolgten Arrestierung des streitigen Wagens noch am selben Tage Kenntnis erhielt. Aus den eigenen Aussagen Meyers im Prozess zwischen Weilenmann und der Rekurrentin, auf welche die Vorinstanz verweist, geht sodann klar hervor, dass er den Wagen am 25. Januar 1953 nur zum Schein an Weilenmann verkauft hatte, um eine Arrestierung durch Kalikstein, der Forderungen gegen ihn geltend machte, zu verhindern. Unter diesen Umständen hatte Meyer keinen ernsthaften Grund, mit der Anmeldung seines Eigentumsanspruchs einstweilen zuzuwarten. Er konnte sich nicht in guten Treuen darauf verlassen, dass Weilenmann mit seiner Ansprache durchdringen und der Arrestbeschlag infolgedessen ohne seine (Meyers) Intervention dahinfallen werde. Vielmehr hatte er allen Anlass, seinen Anspruch sofort geltend zu machen. Es konnte ihm nicht entgehen, dass sein Zuwarten zu einer Verzögerung des Betreibungsverfahrens führen musste. Er hat also seine Anmeldung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 81 III 55
,
BGE 78 III 71
) arglistig verzögert und damit sein Widerspruchsrecht verwirkt.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr. u. Konkurskammer:
In Gutheissung des Rekurses werden der angefochtene Entscheid und die vom Betreibungsamt Zürich 6 am 13. April 1955 erlassene Anzeige gemäss
Art. 106 SchKG
aufgehoben. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cf4bf52f-04fe-4a20-a170-78c122276d93 | Urteilskopf
103 V 130
31. Auszug aus dem Urteil vom 22. September 1977 i.S. Dinjar gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern | Regeste
Art. 4 Abs. 2 IVG
.
Bestimmung des Zeitpunkts des Invaliditätseintritts (Präzisierung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 130
BGE 103 V 130 S. 130
Aus den Erwägungen:
Da die Beschwerdeführerin bei Erlass der Kassenverfügung lediglich die jugoslawische Staatsangehörigkeit besass, ist für ihre versicherungsmässigen Voraussetzungen zur Erlangung von Eingliederungsmassnahmen der schweizerischen Invalidenversicherung das schweizerisch-jugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 8. Juni 1962 massgebend. Anwendbar ist insbesondere dessen Art. 8 lit. a Abs. 2. Nach dieser Bestimmung steht minderjährigen Kindern jugoslawischer Staatsangehörigkeit ein Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen nur zu, solange sie in der Schweiz Wohnsitz haben und wenn sie sich unmittelbar vor dem Eintritt der Invalidität ununterbrochen während mindestens eines vollen Jahres in der Schweiz aufgehalten haben oder wenn sie in der Schweiz Wohnsitz haben und hier entweder invalid geboren sind oder sich seit Geburt ununterbrochen aufgehalten haben.
Gemäss
Art. 4 Abs. 2 IVG
gilt die Invalidität als eingetreten, sobald die gesundheitliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit jene Art und Schwere erreicht hat, die nach Gesetz und Rechtsprechung notwendig sind, um den Anspruch auf die jeweilige spezifische Leistung zu begründen.
BGE 103 V 130 S. 131
Dieser Zeitpunkt ist objektiv auf Grund des Gesundheitszustandes festzustellen; zufällige externe Faktoren sind unerheblich (
BGE 100 V 169
i.S. Candela und 99 V 208 i.S. d'Aloia). Der Zeitpunkt des Invaliditätseintritts richtet sich insbesondere nicht danach, wann eine Anmeldung eingereicht oder von wann an eine Leistung gefordert wird. Er braucht auch nicht mit jenem Zeitpunkt identisch zu sein, in welchem der Versicherte erstmals erfährt, dass sein Gesundheitsschaden einen Leistungsanspruch zu begründen vermag. Die in den Urteilen Candela und d'Aloia enthaltene Formulierung, für den Eintritt der Invalidität sei der Zeitpunkt entscheidend, in welchem der Versicherte oder sein Vertreter Kenntnis davon bekomme, dass der Gesundheitsschaden einen Leistungsanspruch auslösen könne, widerspricht der Forderung, dass der Zeitpunkt des Invaliditätseintritts nach objektiven Kriterien bestimmt werden muss. Deshalb kann an jener Formulierung nicht festgehalten werden.
Bei Hilfsmitteln gilt die Invalidität dann als eingetreten, wann der Gesundheitsschaden objektiv erstmals ein solches Gerät notwendig macht (
BGE 100 V 169
). Dieser Zeitpunkt braucht, entgegen der Annahme von Verwaltung und Vorinstanz, nicht mit dem Zeitpunkt erstmaliger Behandlungsbedürftigkeit übereinzustimmen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf4ccb08-aff9-4e87-aa3c-0b3e98764690 | Urteilskopf
135 II 296
30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. U1 TV Station AG gegen Cablecom GmbH und Bundesamt für Kommunikation (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_899/2008 vom 18. Juni 2009 | Regeste
Art. 16, 17, 26 und 93 Abs. 2 BV; Art. 59, 60, 107 Abs. 6 sowie
Art. 110 Abs. 2 und 3 RTVG
; rundfunkrechtliche Aufschaltpflicht für ein altrechtlich konzessioniertes privates Fernsehprogramm, welches neurechtlich keiner Konzession mehr bedarf und über keinen Leistungsauftrag verfügt ("Must carry"-Rules).
Eine unter altem Recht konzessionierte Fernsehveranstalterin profitiert übergangsrechtlich von einem Zugangsrecht zu einem Netzwerk für die analoge Ausstrahlung ihres Programms nur, falls sie bereits altrechtlich in den Genuss einer Aufschaltverfügung gekommen ist (E. 2 und 3).
Für den Erlass einer Aufschaltverfügung nach neuem Recht muss das Programm in besonderem Mass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags beitragen (E. 4.1-4.3). Ein Programm, welches trotz spezifisch schweizerischen Sportbeiträgen weiterhin in erheblichem Mass aus Produktionen besteht (Call-In, Erotik, Wahrsagerei), die keinen Mehrwert zum bestehenden Programmangebot bieten, genügt dieser Anforderung nicht (E. 4.4). | Sachverhalt
ab Seite 297
BGE 135 II 296 S. 297
Die U1 TV Station AG (im Folgenden: U1 TV) betreibt einen privaten Fernsehsender. Im März 2003 schloss sie mit der Cablecom GmbH (im Folgenden: Cablecom) einen Vertrag, worin sich diese verpflichtete, das Programm von U1 TV auf ihrem Netz analog zu verbreiten. Am 22. Februar 2007 kündigte die Cablecom den Vertrag und informierte U1 TV, dass sie die analoge Verbreitung des
BGE 135 II 296 S. 298
Programms auf den 31. August 2007 einstellen werde. Sie sei bereit, Verhandlungen über eine digitale Ausstrahlung aufzunehmen.
Am 6. Juli 2007 beantragte U1 TV beim Bundesamt für Kommunikation (BAKOM), die Cablecom zu verpflichten, ihr Programm im analogen Angebot zu belassen. Mit Zwischenverfügung vom 27. August 2007 hiess das BAKOM das mit der Eingabe verbundene Gesuch um Erlass einer entsprechenden vorsorglichen Massnahme gut, wogegen die Cablecom erfolglos an das Bundesverwaltungsgericht gelangte (Urteil A-6043/2007 vom 8. Oktober 2007).
Mit Verfügung vom 19. Dezember 2007 wies das BAKOM das Aufschaltgesuch von U1 TV ab: Zwar habe die unter altem Recht der U1 TV erteilte Konzession weiterhin Gültigkeit (Art. 107 Abs. 6 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen [RTVG; SR 784.40]), doch bestünde eine Verbreitungspflicht seitens der Cablecom nach dem neuen Recht nur, falls bereits altrechtlich eine Aufschaltverfügung ergangen wäre, was nicht der Fall sei (
Art. 110 Abs. 2 lit. b RTVG
i.V.m.
Art. 47 Abs. 1 aRTVG
[AS 1992 601]). Im Sinne einer Interessenabwägung und unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen rechtfertige es sich im jetzigen Projektstadium der Programmumgestaltung von U1 TV nicht, Cablecom anzuhalten, das Programm von U1 TV analog weiter zu verbreiten. Es stehe U1 TV frei, ein neues Gesuch einzureichen, falls sich die Sachlage wesentlich verändern sollte.
U1 TV gelangte hiergegen am 20. Dezember 2007 mit dem Antrag an das Bundesverwaltungsgericht, die Verfügung des BAKOM aufzuheben und die Cablecom anzuweisen, ihr Programm auf dem bisherigen Kanal analog zu verbreiten; eventuell sei die Cablecom zu verpflichten, das Programm auf dem analogen Netz auf einem Kanal auszustrahlen, der auf einen schweizerischen Veranstalter und das besondere Interesse an einem Schweizer Programm mit ausgebauter Sportberichterstattung gebührend Rücksicht nehme. Der Instruktionsrichter hielt die Cablecom gleichentags superprovisorisch an, das Programm von U1 TV vorerst auf dem analogen Netz und dem bisherigen Kanal zu belassen. Am 15. Januar 2008 wies er das Gesuch auf Erlass einer entsprechenden vorsorglichen Massnahme ab, wogegen die U1 TV erfolglos an das Bundesgericht gelangte (Urteil 2C_109/2008 vom 10. März 2008).
Mit Urteil vom 20. November 2008 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von U1 TV in der Sache ab: Diese habe
BGE 135 II 296 S. 299
keinen Leistungsauftrag im Sinne des neuen Rechts, welcher eine Zugangsberechtigung zum Leitungsnetz der Cablecom begründen würde (
Art. 59 Abs. 1 lit. b RTVG
). Da die Cablecom nach altem Recht nicht verpflichtet gewesen sei, das Programm von U1 TV zu verbreiten, bestehe auch kein entsprechender übergangsrechtlicher Anspruch (
Art. 110 Abs. 2 lit. b RTVG
). Das Programm von U1 TV trage - trotz des geplanten und teilweise umgesetzten Schweizer Sportfernsehens (SSF) - nicht in einer Weise zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags von Radio und Fernsehen bei, welche es rechtfertigen würde, mit einer Aufschaltverfügung in die Vertragsfreiheit der Cablecom einzugreifen (
Art. 60 RTVG
).
Das Bundesgericht weist die von der U1 TV hiergegen eingereichte Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Seit dem Inkrafttreten des neuen Radio- und Fernsehgesetzes auf den 1. April 2007 unterstehen die Kabelnetzbetreiber - dem Prinzip der Technologieneutralität und der Einheitsbehandlung aller Anbieter von Übermittlungsdiensten entsprechend - bezüglich ihrer Übertragungsleistungen den fernmelderechtlichen Bestimmungen (vgl. NOBEL/WEBER, Medienrecht, 3. Aufl. 2007, 7. Kapitel, Rz. 71 ff.). Sind Veranstalter und Verteiler eines Programmes nicht identisch, stellt sich die Frage nach dem Zugang zu den - trotz Breitbandangeboten - beschränkten Verbreitungskapazitäten (vgl. ROLF H. WEBER, Zugang zu Kabelnetzen [im Folgenden: Kabelnetze], 2003, S. 81 Ziff. 3.3; AUER/MALINVERNI/HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Rz. 588; NOBEL/WEBER, a.a.O., 7. Kapitel, Rz. 72). Dabei geht das Gesetz vom Grundsatz der Vertragsfreiheit zwischen den Programmveranstaltern und den Fernmeldedienstanbieterinnen aus (Botschaft vom 18. Dezember 2002 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, BBl 2003 1630 ff. Ziff. 1.3.8 und 2.1.3.1). Im öffentlichen Interesse bestehen jedoch rundfunkrechtliche Vorgaben, welche die Fernmeldedienstanbieterinnen in der Wahl ihrer Programme beschränken. Diese Regeln (sog. "Must carry"-Rules) legen fest, welche Programmveranstalter von einer Fernmeldedienstanbieterin von Gesetzes wegen berücksichtigt werden
müssen
und unter welchen Bedingungen dies zu geschehen hat (vgl. NOBEL/WEBER, a.a.O., 7. Kapitel,
BGE 135 II 296 S. 300
Rz. 74, und 10. Kapitel, Rz. 92 ff.; WEBER, Kabelnetze, a.a.O., S. 78 ff.;
derselbe
, Rundfunkrecht, 2008, Einleitung, N. 62). Programme, die in besonderem Masse zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags beitragen, werden dadurch gesetzlich privilegiert. Die rundfunkrechtlichen Verbreitungspflichten beschränken die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie der Netzbetreiber; sie müssen deshalb den Anforderungen von
Art. 36 BV
genügen, d.h. sie haben auf einer gesetzlichen Grundlage zu beruhen, im öffentlichen Interesse zu liegen und verhältnismässig zu sein; zudem dürfen sie den Kerngehalt der Grundrechte nicht aushöhlen (vgl.
BGE 135 II 224
E. 3.2.1 [Kurzberichterstattungsrecht]). Im Spannungsfeld der Radio- und Fernsehfreiheit der Veranstalter (
Art. 16 und 17 BV
), der Erfordernisse der verfassungsrechtlichen Vorgaben an das audiovisuelle Mediensystem (
Art. 93 BV
) und der Eigentumsgarantie (
Art. 26 BV
) bzw. der Wirtschafts- (
Art. 27 BV
) und Netzwerkfreiheit der Fernmeldedienstanbieter soll über die Aufschaltregeln ein möglichst grundrechtskonformer Interessenausgleich im Einzelfall geschaffen werden (vgl. RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, Rz. 1645; WEBER, Kabelnetze, a.a.O., S. 67 ff.; ROBERTO PEDUZZI, Meinungs- und Medienfreiheit in der Schweiz, 2004, S. 132 f.).
2.2
2.2.1
Der Konzessionspflicht unterworfen sind nach dem neuen Radio- und Fernsehgesetz (abgesehen von der SRG, die einen gesetzlichen Anspruch auf eine Konzession hat [
Art. 25 RTVG
]) nur noch die Veranstalter
mit Leistungsauftrag
(mit oder ohne Gebührenanteil [
Art. 38 und 43 RTVG
]). Andere private Anbieter bedürfen keiner Konzession mehr. Für sie besteht lediglich eine allgemeine Meldepflicht (
Art. 3 lit. a RTVG
; WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 8 ff. zu
Art. 3 RTVG
); zudem müssen sie gewisse Auskunfts-, Berichterstattungs- und Aufzeichnungspflichten beachten (
Art. 16 ff. RTVG
). Sie sind von der Bezahlung der Konzessionsabgabe befreit und können ihre Tätigkeit auf dem Markt unter vereinfachten Bedingungen aufnehmen (vgl. NOBEL/WEBER, a.a.O., 8. Kapitel, Rz. 52 ff.), profitieren umgekehrt jedoch nicht vom
Zugangsrecht
nach
Art. 59 RTVG
(WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 5 zu
Art. 59 RTVG
). Danach sind nur die Programme der SRG im Rahmen der Konzession (Abs. 1 lit. a) sowie die übrigen Programme, "für die eine Konzession mit Leistungsauftrag besteht" (Abs. 1 lit. b), im jeweiligen Versorgungsgebiet zwingend und regelmässig
BGE 135 II 296 S. 301
unentgeltlich (vgl.
Art. 59 Abs. 5 RTVG
; WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 12 zu
Art. 59 RTVG
) über Leitungen zu verbreiten. Der Bundesrat kann zudem Programme ausländischer Veranstalter bezeichnen, welche wegen ihres "besonderen Beitrages zur Bildung, zur kulturellen Entfaltung oder zur freien Meinungsbildung" über ein entsprechendes Zugangsrecht verfügen sollen (
Art. 59 Abs. 2 RTVG
). Er legt die Höchstzahl der zugangsberechtigten Programme im Rahmen der technischen Möglichkeiten der Fernmeldedienstanbieterinnen fest (
Art. 59 Abs. 3 RTVG
). Zur Verbreitung ist in erster Linie diejenige Anbieterin gehalten, die im Versorgungsgebiet bereits Programme verbreitet und dabei am meisten Haushalte erreicht (
Art. 59 Abs. 4 RTVG
).
2.2.2
Neben dem Zugangsrecht nach
Art. 59 RTVG
besteht als "Must carry"-Regelung zugunsten aller Veranstalter (d.h. auch solcher ohne Leistungsauftrag) die
Aufschaltverpflichtung
nach
Art. 60 RTVG
. Danach hält das Bundesamt auf Gesuch eines Programmveranstalters eine Fernmeldedienstanbieterin für eine bestimmte Dauer zur leitungsgebundenen Verbreitung eines Programms in einem bestimmten Gebiet an, sofern (1) "das Programm in besonderem Mass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags beiträgt" (
Art. 60 Abs. 1 lit. a RTVG
) und (2) "der Fernmeldedienstanbieterin die Verbreitung unter Berücksichtigung der verfügbaren Übertragungskapazitäten sowie der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zumutbar" erscheint (
Art. 60 Abs. 1 lit. b RTVG
). Der Bundesrat legt die Höchstzahl der Programme fest (
Art. 60 Abs. 2 RTVG
). Erbringt der Programmveranstalter die in der Verfügung festgehaltenen Leistungen nicht mehr, kann ihm das Zugangsrecht zum Leitungsnetz vor Ablauf der verfügten Dauer entzogen werden (
Art. 60 Abs. 3 RTVG
). Diese Regelung weicht vom bisherigen Recht insofern ab, als das BAKOM einen Kabelnetzbetreiber nach
Art. 47 aRTVG
auf Gesuch hin nur dazu verpflichten konnte, das Programm eines Veranstalters zu verbreiten, wenn dessen Netz über freie Kapazitäten verfügte oder das zu verbreitende Programm in besonderer Weise den allgemeinen rundfunkrechtlichen Zielen diente, dem Programmveranstalter das Erstellen einer eigenen technischen Infrastruktur nicht zumutbar war und er dem Kabelnetzbetreiber zudem die Aufwendungen angemessen ersetzte (vgl. WEBER, Kabelnetze, a.a.O., S. 79).
3.
Die Beschwerdeführerin beruft sich vor Bundesgericht zu Recht nicht mehr auf das
Zugangsrecht
im Sinne von
Art. 59 RTVG
: Zwar
BGE 135 II 296 S. 302
bestehen Konzessionen für Radio- und Fernsehprogramme, die auf Grund des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (aRTVG; AS 1992 601) erteilt worden sind, grundsätzlich bis zu ihrem Ablauf fort, falls der Veranstalter nicht ausdrücklich darauf verzichtet. Die Beschwerdeführerin hat ihre altrechtliche Konzession zurückgegeben, womit sie sich heute nicht mehr auf diese berufen kann. Auch ohne diesen Verzicht hätte sie aus
Art. 59 Abs. 1 RTVG
nichts zu ihren Gunsten ableiten können: Auf Konzessionen, die weiter gelten, sind übergangsrechtlich die Bestimmungen über solche mit Leistungsauftrag nach Art. 22 sowie die Artikel 44-50 RTVG sinngemäss anwendbar (
Art. 107 Abs. 6 RTVG
; vgl. WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 5 zu
Art. 107 RTVG
). Das Gesetz nimmt dabei keinen Bezug auf
Art. 59 RTVG
. Ein Zugangsrecht für altrechtlich konzessionierte Veranstalter, deren Programme nur über Kabel verbreitet wurden, besteht bloss dann fort, wenn ein solches bereits gestützt auf
Art. 47 aRTVG
verfügt worden ist. Dies ergibt sich (e contrario) aus
Art. 110 Abs. 2 und 3 RTVG
, wonach für die Leitungskonzessionäre
Art. 47 Abs. 1 aRTVG
betreffend die Verbreitung der Programme anderer Programmveranstalter weiter gilt und erst endet, wenn deren Verbreitung (nach den
Art. 59 und 60 RTVG
) im Bedienungsgebiet rechtskräftig geklärt ist, längstens aber nach fünf Jahren (vgl. BBl 2003 1569 ff., dort S. 1749; vgl. WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 3 zu
Art. 110 RTVG
). Wurde altrechtlich keine solche getroffen, hat der bisherige Programmveranstalter unter neuem Recht keinen Zugangsanspruch im Sinne von
Art. 59 RTVG
. Die Regelung gilt nur für Konzessionen mit Leistungsauftrag (mit oder ohne Gebührenanteil), nicht auch für die (neurechtlich) lediglich meldepflichtigen Programme, welche nicht bereits altrechtlich von einem "Must carry"-Status profitierten.
4.
4.1
Die Vorinstanzen haben es abgelehnt, dem Aufschaltersuchen der Beschwerdeführerin nach
Art. 60 RTVG
zu entsprechen. Das BAKOM ging davon aus, dass das geplante Sportmodul in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Sportfernsehen aufgrund der eingereichten Unterlagen mittelfristig nicht die Sendezeit erreichen dürfte, welche in Aussicht gestellt werde; die Situation erscheine noch sehr ungewiss. Das Sportmodul sei "sicher geeignet", einen bedeutenden Beitrag an den verfassungsmässigen Auftrag zu leisten, da dem Sport eine wichtige gesellschaftliche und integrative Funktion zukomme und er "einen gemeinsamen Faktor über
BGE 135 II 296 S. 303
Sprachgrenzen, Religionen, Kulturen, Bildungshintergrund etc. hinweg darstellen" könne. Hinzu komme, dass in erster Linie offenbar Sportarten berücksichtigt würden, die bei der SRG zu kurz kämen, weshalb die entsprechenden Pläne auch komplementär wirkten. Zurzeit sei indessen nicht hinreichend absehbar, wieviel Sport im Programm von U1 TV tatsächlich ausgestrahlt werden könne; aus den widersprüchlichen Angaben der Gesuchstellerin werde auch nicht klar, wie sich das übrige Programm präsentieren werde. Soweit ersichtlich, seien weiterhin sehr viele Call-In-Sendungen mit kostenpflichtigen Mehrwertdienst-Nummern geplant, daneben bestünden gewisse Sendungen mit Werbecharakter ("Shiva"). Selbst wenn - wie angeboten - auf den bisherigen Schwerpunkt erotischer Beiträge und entsprechender Werbeblöcke verzichtet würde, sei gesamthaft zurzeit kein hinreichendes öffentliches Interesse an den in Aussicht gestellten publizistischen Leistungen ersichtlich, welches es rechtfertigen würde, die Cablecom durch einen Eingriff in deren Vertragsfreiheit rundfunkrechtlich zu verpflichten, das Programm der Beschwerdeführerin mit den geplanten Modifikationen analog auszustrahlen. Es stehe U1 TV frei, erneut hierum zu ersuchen, falls sich die Sachlage wesentlich verändern sollte.
4.2
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Überlegungen nach eingehender Prüfung am 20. November 2008 bestätigt. Sein Entscheid ist entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin nicht bundesrechtswidrig:
4.2.1
Art. 60 Abs. 1 RTVG
setzt (unter anderem) voraus, dass das Programm, dessen hoheitlich angeordnete Aufschaltung beantragt wird, "in besonderem Mass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags" beiträgt. Nur in diesem Fall kann das BAKOM eine Fernmeldedienstanbieterin anhalten, ein Angebot als "Must carry"- Programm zu verbreiten. Die entsprechende Voraussetzung ist zwar sehr offen formuliert, lässt sich in ihrem verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Kontext jedoch hinreichend konkretisieren: Ziel der Verfassungsvorgaben ist ein möglichst offenes und freiheitliches Mediensystem. Nach
Art. 93 Abs. 2 BV
sollen Radio und Fernsehen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung beitragen. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Der Leistungsauftrag gewährleistet im Rahmen der Rechtsordnung die Vielfalt des Meinungsaustauschs bezüglich aller gesellschaftlich und individuell relevanten Belange in einer
BGE 135 II 296 S. 304
demokratisch-pluralistischen Gesellschaft (vgl. RHINOW/SCHEFER, a.a.O., Rz. 1649 ff.; AUBERT/MAHON, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse (...), 2003, N. 13 ff. zu
Art. 93 BV
). Diese reichen von der kulturellen Entfaltung, inklusive der Bildung, über die politische meinungsvermittelnde und -bildende Kommunikation bis zur (ebenfalls sozialrelevanten) Unterhaltung (vgl. FRANZ ZELLER, in: Grundrechte in der Schweiz, Müller/Schefer [Hrsg.], 4. Aufl. 2008, S. 458; kritisch bezüglich der Unterhaltung: GIOVANNI BIAGGINI, BV, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft [...], 2007, N. 10 zu
Art. 93 BV
). Die Nennung der landesspezifischen Besonderheiten und der Bedürfnisse der Kantone in
Art. 93 Abs. 2 BV
verweist auf die Bedeutung der Vielsprachigkeit, der föderalistischen Grundstruktur, der kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Traditionen auf allen Ebenen der Gesellschaft und in all ihren regionalen Gliederungen (vgl. HERBERT BURKERT, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Ehrenzeller und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2008, N. 8 zu
Art. 93 BV
). Im Rahmen dieser Vorgaben sollen Tatsachen und Ereignisse jeweils sachgerecht wiedergegeben werden und das Mediensystem (sowie die einzelnen Programme) die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln (vgl.
Art. 4 RTVG
;
BGE 134 I 2
E. 3.1;
BGE 125 II 497
E. 2a S. 501; FRANZ ZELLER, Öffentliches Medienrecht, 2004, S. 237 f.).
4.2.2
Will ein privater (nur meldepflichtiger) Programmveranstalter eine Aufschaltung im Sinne von
Art. 60 RTVG
erwirken, muss er in seinem Gesuch überzeugend darlegen, dass und inwiefern sein Angebot einen "besonderen" Beitrag zur Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Ziele leistet (BBl 2003 1720 [zu Art. 69 E-RTVG]). Nur inhaltlich als "besonders wertvoll" einzustufende Programme sollen - so der Bundesrat in seiner Botschaft - in den Genuss einer Aufschaltverfügung nach
Art. 60 RTVG
kommen und vom Status eines "Must carry"-Programms profitieren können (BBl a.a.O.). Dabei dienen die programmrechtlichen Anforderungen als "Orientierungshilfe", denen die konzessionierten Veranstalter bzw. ausländischen Sender für ihr Zugangsrecht nach
Art. 59 Abs. 1 RTVG
zu genügen haben (so BBl a.a.O.): Nach
Art. 38 RTVG
können Konzessionen mit Leistungsauftrag und Gebührenanteil an Veranstalter lokal-regionaler Programme erteilt werden, die ein Gebiet ohne ausreichende Finanzierungsmöglichkeit mit Radio- und Fernsehprogrammen versorgen, welche "die lokalen oder regionalen Eigenheiten durch umfassende Information insbesondere über
BGE 135 II 296 S. 305
politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge berücksichtigen sowie zur Entfaltung des kulturellen Lebens im Versorgungsgebiet beitragen" (WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 7 ff. zu
Art. 38 RTVG
). Anderen Programmveranstaltern mit Leistungsauftrag, aber ohne Gebührenanteil, kann eine Konzession erteilt werden, wenn (a) ihr "Programm in einem Gebiet die lokalen oder regionalen Eigenheiten durch umfassende Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge berücksichtigt sowie zur Entfaltung des kulturellen Lebens im Versorgungsgebiet" oder (b) "in einer Sprachregion" anderweitig "in besonderem Mass zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags beiträgt" (
Art. 43 RTVG
; WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 5 ff. zu
Art. 43 RTVG
). Als ausländische Programme, die nach
Art. 59 Abs. 2 RTVG
über Leitungen zu verbreiten sind, fallen nach Art. 52 der Radio- und Fernsehverordnung vom 9. März 2007 (RTVV; SR 784.401) Angebote in Betracht, die einen "besonderen Beitrag zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Leistungsauftrags namentlich dadurch erbringen, dass sie (a) im Rahmen aufwändiger redaktioneller Formate vertieft über gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Phänomene berichten; (b) künstlerischen Filmproduktionen breiten Raum gewähren; (c) besondere redaktionelle Beiträge zur Bildung des Publikums liefern, (d) besondere redaktionelle Beiträge für jugendliche, alte oder sinnesbehinderte Menschen ausstrahlen oder (e) regelmässig schweizerische Beiträge ausstrahlen bzw. sich regelmässig mit schweizerischen Themen befassen".
4.3
Das vorgesehene Gesamtprogramm der Beschwerdeführerin genügte - wie das Bundesverwaltungsgericht ohne Verletzung von Bundesrecht annehmen durfte - den in diesem Sinn konkretisierten Anforderungen von
Art. 60 Abs. 1 RTVG
nicht: Zwar bestand hinsichtlich des Sportfernsehens, welches dem Breitensport bzw. Sportarten und -veranstaltungen gewidmet sein sollte, die in den Programmen der SRG nur punktuell berücksichtigt werden, ein ergänzender informativer Ansatz, doch war das Projekt zum Beurteilungszeitpunkt noch weitgehend in einem konzeptionellen Stadium, welches mit zahlreichen Unsicherheiten (Übertragungsrechte usw.) belastet war. Die vorgesehenen stündlichen Kurznachrichten sowie die geplanten, mehr oder weniger regelmässigen Berichte über die Sessionen der Eidgenössischen Räte konnten ebenso wenig als "umfassende" Information über politische, wirtschaftliche und soziale
BGE 135 II 296 S. 306
Zusammenhänge im obgenannten Sinn gelten wie die verschiedenen Dokumentarbeiträge im "Soap"-Stil ("Polizei: 24 Stunden im Einsatz", "Gstaad zwischen Tradition und Top-Tourismus", "Schlaflos im Pfuusbus: Obdachlos in der Schweiz" usw.). Die Aufschaltpflicht nach
Art. 60 Abs. 1 lit. a RTVG
setzt nicht nur einzelne Sendungen voraus, die geeignet sind, im normalen Rahmen (auch) einen Beitrag zur Information der Zuschauer oder zur kulturellen Entfaltung (Musik[werbe]sendungen "Alpenwelle, Ralph Martens präsentiert" usw.) zu leisten, sondern ein originelles und finanziell realistisches Gesamtprogramm, das über die bestehenden konzessionierten Angebote hinaus zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags beiträgt und die bestehende audiovisuelle Medienlandschaft im Versorgungsgebiet thematisch tatsächlich sinnvoll ergänzt und bereichert ("Mehrwert"-Erfordernis). Der Grossteil des Programms der Beschwerdeführerin bestand nach den eingereichten Rastern weiterhin aus Quiz- und Talksendungen, bei denen Zuschauer über Mehrwertdienstnummern an Gewinnspielen teilnehmen sowie Lebens- und Gesundheitsberatungsgespräche führen konnten. Mit dem Bundesverwaltungsgericht ist deshalb davon auszugehen, dass - trotz einzelner Schritte in Richtung eines gesteigerten Beitrags zum verfassungsrechtlichen Leistungsauftrag - ein erheblicher Teil des geplanten bzw. ausgestrahlten Programms weiterhin aus Produktionen (Call-In, Erotik, Wahrsagerei usw.) bestand, die zur Verwirklichung des Programmauftrags (abgesehen allenfalls von einem gewissen Unterhaltungswert für ein bestimmtes Zielpublikum) nichts derart Wesentliches bzw. Neues beitrugen, dass es sich gerechtfertigt hätte, im öffentlichen Interesse in die Freiheit der Cablecom einzugreifen, das Angebot auf ihrem Netz im Rahmen der rundfunkrechtlichen Vorgaben unter möglichst weitgehender Wahrung ihrer verfassungsmässigen Rechte selber bestimmen zu können (vgl.
BGE 135 II 224
E. 3 [Kurzberichterstattungsrecht]). Dies gilt um so mehr, als das Programm der Beschwerdeführerin lediglich nicht mehr analog verbreitet werden sollte, ihr gleichzeitig aber eine Ausstrahlung im digitalen Grundprogramm angeboten wurde.
4.4
Was die Beschwerdeführerin hiergegen einwendet, vermag nicht zu überzeugen:
4.4.1
Soweit sie darauf hinweist, dass die vom Bundesrat festgelegte Höchstzahl von in einem bestimmten Gebiet analog zu verbreitenden Fernsehprogrammen von 25 (vgl.
Art. 53 lit. c RTVV
)
BGE 135 II 296 S. 307
nicht ausgeschöpft sei, verkennt sie, dass diese Bestimmung dem Schutz der Fernmeldedienstanbieterinnen dient (vgl. den Erläuternden Bericht des UVEK vom 8. Juni 2006 für die Anhörung zum Entwurf für eine total revidierte Radio- und Fernsehverordnung [RTVV], S. 26 Art. 49). Die Tatsache, dass weniger "Must carry"- Programme aufgeschaltet sind, als theoretisch (maximal) möglich wären, verschafft ihr keinen Anspruch auf eine Aufschaltverfügung (vgl. WEBER, Rundfunkrecht, a.a.O., N. 9 zu
Art. 59 RTVG
). Nur wenn die Voraussetzungen von
Art. 60 Abs. 1 RTVG
erfüllt sind und
zusätzlich
die Höchstzahl von
Art. 53 lit. c RTVV
eine entsprechende Aufschaltung zulässt, kann das BAKOM mit einer Verfügung in die Vertragsfreiheit der Fernmeldedienstanbieterinnen eingreifen und diese bis zum festgelegten bundesrätlichen Maximalwert anhalten, auf ein bisher ausgestrahltes Programm ohne "Must carry"-Status zu verzichten. Die neue Regelung unterscheidet sich in diesem Punkt von
Art. 47 Abs. 1 aRTVG
, der bei freien Kapazitäten eine Verpflichtung zur Aufschaltung ohne Prüfung der weiteren Voraussetzungen zuliess (vgl. ZELLER, Öffentliches Medienrecht, a.a.O., S. 277).
4.4.2
Cablecom verfügt zurzeit über keine freien analogen Plätze mehr, obwohl die Maximalzahl von "Must carry"-Programmen (noch) nicht ausgeschöpft ist. Sie löste ihren Vertrag mit U1 TV auf, um für einen vierten HDTV-Sender (BBC-HD) Raum zu schaffen. Kapazitätsengpässe bei einer Übertragungsinfrastruktur bilden regelmässig einen sachlichen Grund, um einen Verbreitungsvertrag (ordentlich) auflösen zu können. Zwar sollen die verschiedenen Veranstalter möglichst chancengleich und diskriminierungsfrei behandelt werden (vgl. BBl 2003 1714); dies bedeutet aber nicht, dass rundfunk- und allenfalls wettbewerbsrechtlich einzelne Programme nicht aufgrund objektiver, sachlicher Kriterien ungleich behandelt werden dürften. Eine rasche Digitalisierung leistet dank der damit möglichen Erweiterung der Programmangebote ebenfalls einen Beitrag zur Verwirklichung des verfassungsmässigen Leistungsauftrags (vgl. THOMAS STEINER, in: Medialex 2009 S. 48); die Fernmeldedienstanbieterinnen sollen im öffentlichen Interesse ihre Netze zudem auch schrittweise auf künftige Technologien (hochauflösendes Fernsehen usw.) ausrichten können.
4.4.3
Entgegen den Einwendungen der Beschwerdeführerin ist es nicht rechtswidrig, wenn sich das Bundesverwaltungsgericht bei der
BGE 135 II 296 S. 308
Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "besonderen Masses" der Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags eine gewisse Zurückhaltung auferlegt und nicht ohne Not in den Beurteilungsspielraum des für die verfassungskonforme Ausgestaltung des rundfunkrechtlichen Mediensystems verantwortlichen Bundesamts eingegriffen hat. Auch eine Rechtsmittelbehörde, der volle Kognition zusteht, soll in Gewichtungsfragen den Beurteilungsspielraum der Vorinstanz respektieren. Sie muss zwar eine unangepasste Entscheidung korrigieren, darf aber die Wahl unter mehreren sachgerechten Lösungen der Vorinstanz überlassen. Wenn es um die Beurteilung technischer oder wirtschaftlicher Spezialfragen geht, kann sie sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, ohne damit ihre Kognition in unzulässiger Weise zu beschränken (
BGE 131 II 680
E. 2.3.2 mit Hinweisen). Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass es Programme gebe, die - wie etwa ARTE - quotenmässig weniger Erfolg hätten als ihres, verkennt sie, dass es sich dabei (zumindest zum Teil) um "Must carry"-Programme handelt, welche Cablecom von Gesetzes wegen analog verbreiten muss. Im Übrigen sind möglichst hohe Einschaltquoten nicht Teil des verfassungsrechtlichen Programmauftrags, auch wenn die Unterhaltung eines der im Rahmen von
Art. 93 Abs. 2 BV
zu berücksichtigenden Kriterien bildet.
4.4.4
Unberechtigt ist schliesslich auch die Kritik, die Vorinstanz habe zu stark auf das bisherige und nicht genügend auf das geplante Programm abgestellt: Sowohl das BAKOM wie das Bundesverwaltungsgericht legten ihrer Beurteilung die von der Beschwerdeführerin eingereichten, zum Teil widersprüchlichen bzw. noch nicht voll ausgereiften Programmraster zugrunde; nach ihren eigenen Ausführungen war es der Beschwerdeführerin damals "noch nicht gelungen, die Erotik aus dem Nachtprogramm und aus dem Teletext zu nehmen", da der Vertragspartner "zunächst entgegen den Annahmen von U1 TV auf der vollständigen Erfüllung des bis August 2008 laufenden Vertrags" bestanden habe, weshalb auch dieser Aspekt bei der Beurteilung des Umfangs des Beitrags zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Auftrags mitberücksichtigt werden durfte. Es hätte an der Beschwerdeführerin gelegen, dem BAKOM ein gangbares, widerspruchsfreies Gesamtkonzept zu unterbreiten bzw. ihm ein solches zumindest glaubhaft darzutun. Das Bundesamt wies in seinen Erwägungen ausdrücklich hierauf hin, indem es erklärte, ein ergänztes, ausgereifteres Gesuch erneut prüfen zu
BGE 135 II 296 S. 309
wollen. Wenn das Schweizer Sportfernsehen in der Folge auf eine weitere Zusammenarbeit mit U1 TV verzichtet und sein Projekt eigenständig realisiert hat, kann dies nicht dem BAKOM vorgeworfen werden. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf51eb2f-1b58-4cfb-812e-25042dfd35a0 | Urteilskopf
118 II 241
48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. September 1992 i.S. R. gegen R. (Berufung) | Regeste
Besuchsrecht (
Art. 274 Abs. 2 ZGB
) und Beistandschaft (
Art. 308 Abs. 2 ZGB
).
1. Das Besuchsrecht ist auch einzuräumen, wenn die Ausübung mit Konflikten verbunden ist. Dessen Verweigerung setzt eine klare Zweckwidrigkeit voraus.
2. Der Beistand nach
Art. 308 Abs. 2 ZGB
hat nach Massgabe der ihm vom Richter erteilten Weisung den persönlichen Verkehr zwischen Kind und Besuchsberechtigtem zu überwachen. Er ist jedoch nicht ermächtigt, die Besuchsordnung anstelle des Richters zu ändern. | Erwägungen
ab Seite 242
BGE 118 II 241 S. 242
Aus den Erwägungen:
2.
c) Die Ausübung des Besuchsrechts ist bekanntlich oft mit Spannungen und Konflikten verbunden. Grundsätzlich ist das Besuchsrecht gleichwohl im üblichen Umfang einzuräumen. Eine Verweigerung des Besuchsrechts setzte nämlich eine klare und eindeutige Zweckwidrigkeit voraus, die durch eine besondere Regelung des Besuchsrechts nicht behoben werden kann (BÜHLER/SPÜHLER, Ergänzungsband, ZGB 156 N 302). Der persönliche Verkehr mit den Eltern liegt aber auch im Interesse des Kindes selber (HEGNAUER, ZGB 273 N 18 ff.). Im vorliegenden Fall steht keineswegs fest, dass der Berufungsbeklagte seine Tochter sexuell missbraucht hat oder die Ausübung des Besuchs- und Ferienrechts im gerichtlich festgelegten Umfang ihr Wohl gefährden würde. Bei der Festlegung des Ferienrechts hat das Jugendamt der Stadt Biel zudem in seinem Bericht vom 20. Februar 1991 sogar eine Dauer von drei Wochen empfohlen.
Durch die Errichtung einer Beistandschaft nach
Art. 308 Abs. 2 ZGB
soll überdies der persönliche Verkehr von Vater und Kind trotz der zwischen den Eltern herrschenden Spannungen ermöglicht und überwacht werden. Diese Massnahme ist umsomehr angezeigt, als die Ausübung des Besuchsrechts schon während des Scheidungsprozesses mit Schwierigkeiten verbunden und von der ablehnenden Haltung des Kindes begleitet war (BÜHLER/SPÜHLER, Ergänzungsband, ZGB 156 N 178/179; HEGNAUER, ZGB 275 N 118). Der Appellationshof hat somit bei der Festlegung des Besuchsrechts kein Bundesrecht verletzt.
d) Ordnet der Richter im Scheidungsverfahren einen Beistand an, so hat er dessen Aufgaben genau zu umschreiben. Der Beistand kann mit der Überwachung des persönlichen Verkehrs und der Regelung von Über- und Rückgabe des Kindes im einzelnen betraut werden. Hingegen kann ihm nicht die Aufgabe überbunden werden, anstelle des Richters die Besuchsordnung zu ändern (BÜHLER/SPÜHLER, Ergänzungsband, ZGB 156 N 321; HEGNAUER, ZGB 275 N 120; HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 3. Auflage Bern, 1989, Ziff.
BGE 118 II 241 S. 243
19.28). Die Berufungsklägerin rügt die vom Appellationshof getroffene Regelung, wonach der Beistand das Besuchsrecht vorübergehend im Interesse des Kindes einschränken kann, somit zu Recht als bundesrechtswidrig. In diesem Punkt dringt sie mit ihrer Berufung durch. | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf566d5b-4254-4892-b091-8504f13a3379 | Urteilskopf
126 V 308
52. Auszug aus dem Urteil vom 26. Oktober 2000 i.S. S. gegen VERA Sammelstiftung in Liquidation, Olten, und Verwaltungsgericht des Kantons Bern | Regeste
Art. 2 Abs. 1,
Art. 23 und 24 Abs. 1 BVG
;
Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV 2
: Bindung der Vorsorgeeinrichtung an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung.
Für die Beurteilung der Frage, ob sich die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung als offensichtlich unhaltbar erweist und aus diesem Grund für die Vorsorgeeinrichtung nicht verbindlich ist, muss auf die Aktenlage, wie sie sich den Organen der Invalidenversicherung bei Verfügungserlass präsentierte, abgestellt werden.
Nachträglich geltend gemachte Tatsachen oder Beweismittel, welche die Verwaltung nicht von Amtes wegen hätte erheben müssen, sind nur beachtlich, sofern sie von der IV-Stelle im Rahmen einer prozessualen Revision berücksichtigt werden müssten. | Sachverhalt
ab Seite 309
BGE 126 V 308 S. 309
A.-
Der 1954 geborene S. war von 1979 bis 1990 Inhaber eines Betriebes für Isolationen und Fassadenbau. Von November 1990 bis zur Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen auf Ende Juli 1992 war er bei der Firma Y AG angestellt, wobei er ab 24. Januar 1992 aus gesundheitlichen Gründen der Arbeit fernblieb. Wegen der Folgen eines Rückenleidens wurde ihm gestützt auf den Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission, welche nach Eingang der Anmeldung zum Rentenbezug mehrere Arztberichte eingeholt und die Regionalstelle in Bern mit der Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten beauftragt hatte, für die Zeit vom 1. August bis 30. September 1990 eine Viertels- und ab 1. Oktober 1990 bei einem Invaliditätsgrad von 100% eine ganze Rente der Invalidenversicherung zugesprochen (Verfügungen der Ausgleichskasse Exfour vom 16. April 1993). Auf Grund des Anstellungsverhältnisses mit der Y AG wurde S. gemäss Schreiben vom 9. September 1992 ab 1. November 1990 in deren Personalvorsorgeeinrichtung
BGE 126 V 308 S. 310
bei der VERA Sammelstiftung, Olten, aufgenommen, wobei im überobligatorischen Bereich ein Vorbehalt bei Lumbovertebralsyndrom und dessen Folgen angebracht wurde. Nach der Zusprechung der ganzen Rente der Invalidenversicherung wurde die Berufsvorsorge-Versicherung rückwirkend ab 1. November 1990 annulliert. Mit Eingabe vom 18. Juli 1994 liess S. die Ausgleichskasse Exfour um Wiedererwägung der Rentenverfügung vom 16. April 1993 betreffend Ausrichtung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Oktober 1990 ersuchen und beantragen, die ganze Rente sei ihm erst mit Wirkung ab 1. August 1992 zuzusprechen, weil er andernfalls nicht in die Vorsorgeeinrichtung der Firma Y AG aufgenommen werde. Diesem Ansinnen gab die IV-Stelle Bern gemäss Schreiben vom 17. März 1995 keine Folge; mangels eines rechtlich geschützten Interesses an der Wiedererwägung könne nicht auf das Gesuch eingetreten werden.
Mit Schreiben vom 14. Februar 1996 an die VERA Sammelstiftung liess S. beantragen, er sei rückwirkend ab 1. November 1990 in die BVG-Versicherung der Y AG aufzunehmen und es seien die ihm zustehenden Invalidenrenten mit Invaliditätsbeginn am 1. August 1992 festzusetzen. Dieses Gesuch lehnte die VERA Sammelstiftung mit Schreiben vom 10. Mai 1996 ab.
B.-
Am 20. Juni 1997 liess S. beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Klage einreichen mit dem Begehren, die VERA Sammelstiftung in Liquidation sei zu verpflichten, ihn rückwirkend ab 1. November 1990 in die obligatorische sowie die überobligatorische BVG-Personalvorsorgeeinrichtung der Y AG aufzunehmen und ihm rückwirkend ab 1. August 1993 die ihm zustehenden Invalidenrenten nebst Zins zu bezahlen. (...). Mit Entscheid vom 17. Mai 1999 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Klage ab.
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S. die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern; eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. (...).
Die VERA Sammelstiftung in Liquidation und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Laut
Art. 2 Abs. 1 BVG
unterstehen Arbeitnehmer, die das 17. Altersjahr vollendet haben und bei einem Arbeitgeber einen Jahreslohn von mehr als 24'120 Franken (
Art. 5 BVV 2
in der seit
BGE 126 V 308 S. 311
1. Januar 1999 geltenden Fassung) beziehen, der obligatorischen beruflichen Vorsorge. Nicht der obligatorischen Versicherung unterstellt sind nach
Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV 2
u.a. Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens zwei Dritteln invalid sind. Diese Bestimmung wurde vom Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 118 V 164
Erw. 4 als gesetzmässig erachtet. Das Reglement für die Personalversicherung der Firma Y AG bestimmt in Art. 3 Abs. 2 lit. c in analoger Weise, dass Personen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens zwei Dritteln invalid sind, nicht versichert sind. Demnach ist dieser Personenkreis bei der Personalversicherung der Firma Y AG auch im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge nicht versichert. Nach der Rechtsprechung sind Vorsorgeeinrichtungen, die ausdrücklich oder unter Hinweis auf das Gesetz vom gleichen Invaliditätsbegriff wie die Invalidenversicherung ausgehen, an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherungs-Kommission (IV-Stelle) gebunden, wenn diese sich nicht als offensichtlich unhaltbar erweist (
BGE 120 V 108
f. Erw. 3c mit Hinweisen; SZS 1999 S. 129).
2.
a) Die Vorinstanz hat in Würdigung der medizinischen Akten, namentlich der Berichte des Hausarztes Dr. med. G. vom 3. Juni 1991 und 16. März 1992 sowie des Schlussberichts der Regionalstelle vom 15. Dezember 1992 festgehalten, die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100% mit Wirkung ab 1. Oktober 1990 gemäss Verfügung vom 16. April 1993 könne angesichts der damaligen Aktenlage und der Angaben des Beschwerdeführers keineswegs als offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden.
Dieser Auffassung ist beizupflichten. Für die Beurteilung der Frage, ob sich die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung als offensichtlich unhaltbar erweist, ist auf die Aktenlage, wie sie sich bei Verfügungserlass präsentierte, abzustellen. Nachträglich geltend gemachte Tatsachen oder Beweismittel, welche die Verwaltung nicht von Amtes wegen hätte erheben müssen, sind nicht geeignet, die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung als offensichtlich unhaltbar erscheinen zu lassen. Dies gilt jedenfalls so lange, als es sich nicht um neue Tatsachen oder Beweismittel handelt, welche zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen und die IV-Stelle, welcher sie unterbreitet werden, verpflichten würden, im Rahmen einer prozessualen Revision (
BGE 122 V 21
Erw. 3a, 138 Erw. 2c, 173 Erw. 4a, 272 Erw. 2) auf die ursprüngliche, formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen.
BGE 126 V 308 S. 312
b) Ob die damalige Invalidenversicherungs-Kommission zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie Kenntnis davon gehabt hätte, dass der Beschwerdeführer nach Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit ab 1. November 1990 bis 24. Januar 1992, als sein Gesundheitszustand eine massive Verschlechterung erfuhr, als Aussendienstmitarbeiter bei der Firma Y AG tätig war, ist deshalb nicht entscheidend. Denn in der Anmeldung zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung, die der Beschwerdeführer am 25. April 1991 ausfüllte, gab er unter dem Punkt "Hauptbeschäftigung" an, er sei "seit 1979 bis heute" als selbstständiger Geschäftsführer tätig, wobei er ergänzend beifügte, er habe (aus gesundheitlichen Gründen) sein eigenes Geschäft aufgeben müssen. Ein Hinweis darauf, dass er zu jenem Zeitpunkt bereits seit fast einem halben Jahr als Aussendienstmitarbeiter tätig war, findet sich hingegen nirgends. Erwähnt wurde das Anstellungsverhältnis bei der Firma Y AG im Schlussbericht der Regionalstelle vom 15. Dezember 1992; dabei wurde dessen Beginn unrichtig wiedergegeben (1. Februar 1991 statt 1. November 1990). Ferner war von lediglich hälftiger Arbeitsfähigkeit für diese Tätigkeit die Rede. Da die Regionalstelle jedoch festhielt, die Arbeit im Aussendienst sei mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand nicht zumutbar, was vom Hausarzt später im Bericht vom 18. Januar 1993 ausdrücklich bestätigt wurde, bestand für die Invalidenversicherungs-Kommission auf Grund des Schlussberichts kein zwingender Anlass, diesbezüglich ergänzende Abklärungen zu treffen. Da der Verwaltung entsprechend den Darlegungen des kantonalen Gerichts, auf welche verwiesen werden kann, keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes vorzuwerfen, sondern vielmehr von einer krassen Verletzung der Mitwirkungspflicht seitens des Beschwerdeführers auszugehen ist, indem er das Anmeldeformular unvollständig ausfüllte, durfte und musste sich die Invalidenversicherungs-Kommission für die Invaliditätsbemessung auf die ihr seinerzeit zur Verfügung stehenden Unterlagen abstützen.
Bezüglich der Arbeit des Beschwerdeführers bei der Firma Y AG kann sodann nicht von einer unverschuldeterweise unbekannt gebliebenen neuen Tatsache gesprochen werden, was nach der Rechtsprechung Voraussetzung für die Anerkennung ihrer prozessualrevisionserheblichen Rechtsnatur ist (
BGE 122 V 273
Erw. 4,
BGE 108 V 168
Erw. 2b mit Hinweis). Vielmehr hat es der Beschwerdeführer sich selbst zuzuschreiben, dass er die Invalidenversicherung nicht bereits in der Anmeldung zum Rentenbezug über
BGE 126 V 308 S. 313
die am 1. November 1990 aufgenommene Aussendiensttätigkeit in Kenntnis setzte, woran die Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern vermögen. Sollte er tatsächlich der Auffassung gewesen sein, der Anspruch auf eine Invalidenrente entstehe mit dem Verlust der Arbeitsfähigkeit im bisherigen Beruf, ist nicht ersichtlich, weshalb er durch diesen Irrtum davon abgehalten wurde, das Anmeldeformular vollständig auszufüllen. Abgesehen davon ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass nach einem allgemeinen Grundsatz niemand Vorteile aus seiner eigenen Rechtsunkenntnis ableiten kann (
BGE 124 V 220
Erw. 2b/aa,
BGE 111 V 405
Erw. 3).
Mit den weiteren Vorbringen weist der Beschwerdeführer wohl auf gewisse Ungereimtheiten und Unklarheiten im Verwaltungsverfahren der Invalidenversicherung hin, vermag aber nicht zu begründen, weshalb der von der Kommission ermittelte Invaliditätsgrad von 100% ab 1. Oktober 1990 angesichts der Aktenlage bei Verfügungserlass offensichtlich unhaltbar sein soll.
3.
Ob das Verhalten des Beschwerdeführers, der sich zunächst zum Rentenbezug bei der Invalidenversicherung anmeldete, hernach eine ganze Rente bezog und erst im Zusammenhang mit der Möglichkeit, in den Genuss einer Invalidenrente der Vorsorgeeinrichtung der Y AG zu gelangen, der Invalidenversicherungs-Kommission unkorrektes Vorgehen bei der Abklärung der Anspruchsvoraussetzungen und der Ermittlung des Invaliditätsgrades vorwirft, mit dem kantonalen Gericht als widersprüchlich und treuwidrig (venire contra factum proprium; vgl. dazu
BGE 125 III 259
Erw. 2a) bezeichnet werden muss, das keinen Rechtsschutz verdient, kann offen gelassen werden. Denn nach den vorstehenden Erwägungen kann jedenfalls keine Rede davon sein, dass die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherungs-Kommission offensichtlich unhaltbar ist; die Beschwerdegegnerin ist deshalb daran gebunden mit der Folge, dass der Beschwerdeführer nach
Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV 2
und Art. 3 Abs. 2 lit. c des Reglements für die Personalversicherung der Firma Y AG weder im obligatorischen noch im überobligatorischen Bereich der beruflichen Vorsorge unterstellt ist. Ein Leistungsanspruch entfällt damit. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf5af43f-902a-4722-b60b-22146d24ee49 | Urteilskopf
101 Ib 250
46. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 12 août 1975 dans la cause B. contre Commission de libération conditionnelle du canton de Genève | Regeste
Art. 38 Ziff. 1 Abs. 3 StGB
.
Die Behörde darf erst über die bedingte Entlassung entscheiden, nachdem sie den Verurteilten persönlich angehört und sich so ein Bild über seine Verhältnisse gemacht hat (Bestätigung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 101 Ib 250 S. 250
B. a été condamné le 29 mai 1975 par la Cour correctionnelle de Genève à six mois d'emprisonnement pour vols, délit manqué de vol, contrainte, tentative d'extorsion et chantage. Les deux tiers de sa peine ont été purgés au 2 août 1975.
B. a demandé le 5 juin à bénéficier de la libération conditionnelle en utilisant le formulaire remis par la direction du service pénitentiaire à cet effet, mais sa requête a été rejetée le 8 juillet 1975. La Commission cantonale de libération conditionnelle a estimé, au vu des projets formés par l'intéressé et des condamnations subies antérieurement par celui-ci, qu'il n'était pas possible de conjecturer qu'il se conduirait bien en liberté.
B. forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il estime sur le fond remplir les conditions posées à l'art. 38 CP et se plaint, quant à la forme, de ne pas avoir été entendu matériellement par l'autorité cantonale.
BGE 101 Ib 250 S. 251
Erwägungen
Considérant en droit:
L'autorité cantonale justifie la procédure qu'elle a suivie en se référant à l'arrêt Mettraux (RO 98 Ib 172) ainsi qu'au droit d'être entendu tel qu'il est défini en application de l'art. 4 Cst. Cette argumentation tombe totalement à faux, car, d'une part, le droit d'être entendu n'est examiné à la lumière de l'art. 4 Cst. que s'il n'est pas déjà garanti par une autre prescription légale de droit cantonal ou fédéral et, d'autre part, le précédent invoqué est relatif à l'application des dispositions sur la réintégration (art. 38 ch. 4 CP) alors qu'il existe des décisions publiées concernant la libération conditionnelle (art. 38 ch. 1 al. 3 CP) dont il est question ici. Or il résulte sans équivoque de l'arrêt rendu le 6 décembre 1973 dans la cause H contre la Commission de libération conditionnelle du canton de Genève, déjà (RO 99 Ib 350), que l'autorité administrative ne doit se prononcer en matière de libération conditionnelle qu'après s'être rendue compte de visu et de auditu de la situation du détenu.
Il ne saurait être question de revenir sur cette jurisprudence (confirmée à plusieurs reprises: Abela, 7 décembre 1973; Gräschl, du 18 mars 1974, selon lequel une délégation de l'autorité compétente peut procéder à l'audition), car le législateur a nettement manifesté son intention d'accorder au condamné, par le biais de l'art. 38 ch. 1 al. 3 CP, un droit d'être entendu plus large que celui qui découle, directement mais d'une façon plus générale, de l'art. 4 Cst. En effet, après que la Commission du Conseil des Etats, suivie par celle du Conseil national, eut introduit à l'art. 38 CP l'obligation d'entendre le détenu - qui n'était pas prévue dans le projet du Conseil fédéral du 1er mars 1965 - toutes les propositions rédactionnelles tendantes à faire coïncider cette obligation avec le droit d'être entendu défini dans le cadre de l'art. 4 Cst. n'ont pas abouti (cf. p.v. Commission CE, 13-15 mai 1965, p. 38 à 39; p.v. Commission CN, 31 mai-1er juin 1965, p. 60; rapport du Département fédéral de justice et police à la Commission du Conseil national du 28 juin 1968, ad art. 38; p.v. Commission CE, 15-17 septembre 1969, p. 32 à 35; et enfin bull. CN, mars 1969, p. 95).
BGE 101 Ib 250 S. 252
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule la décision attaquée et renvoie la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision. | public_law | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cf5fc9d5-b8c4-422e-b8fb-f1f7c9d52326 | Urteilskopf
91 II 153
24. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Oktober 1965 i.S. X. gegen X. | Regeste
Anfechtung der Ehelichkeit,
Art. 253ff ZGB
.
Verspätete Klageerhebung, mit wichtigen Gründen entschuldigt, Art. 257 Abs. 3: der Ehemann erfährt erst nach Jahren, dass er infolge früherer Operation zeugungsunfähig war; Anforderungen an beförderliches Vorgehen. Ist die Anrufung des Aussöhnungsversuchs (im Kanton Bern) durch Abs. 3 gedeckt, so hat der Kläger für die Anhebung der Klage beim Gericht die Klagefrist gemäss Art. 153 Abs. 4 bern. ZPO (in Verbindung mit
Art. 253 Abs. 1 ZGB
), also drei Monate zur Verfügung. | Sachverhalt
ab Seite 153
BGE 91 II 153 S. 153
A.-
Mit Urteil vom 9. August 1955 sprach das Bezirksgericht die Scheidung der Ehe X.-Y. gestützt auf
Art. 139 ZGB
aus und stellte dabei fest, dass die vor und während der Dauer der Ehe geborenen Kinder A. (geb. 1944), B. (1946) sowie die Zwillinge C. und D. (19. April 1953) bereits unter Vormundschaft stehen. Im August 1944 hatte sich der Ehemann X. wegen Tuberkulose des rechten Hodens in Basel der Semikastration rechts unterziehen müssen, und am 1. April 1948 war im Inselspital
BGE 91 II 153 S. 154
in Bern der linke Nebenhoden wegen tuberkulöser Entzündung entfernt worden. Nach mehrjähriger Verwahrung zufolge strafrechtlicher Verurteilung wurde X. am 26. April, allenfalls im Juni oder Juli 1962 - der genaue Zeitpunkt ist nicht klargestellt - aus der Strafanstalt Thorberg bedingt entlassen. Er behauptet, er sei erst dort von zwei Mithäftlingen darauf aufmerksam gemacht worden, dass die beiden Operationen ihn möglicherweise zeugungsunfähig gemacht hätten. Am 9. Oktober 1962 bescheinigte ihm die chirurgische Universitätsklinik Bern auf sein Gesuch hin, dass er seit der Operation von 1948 zeugungsunfähig sei. X. unterbreitete dieses Zeugnis der Fürsorgedirektion des Kantons Bern in der Meinung, dass diese ihn von seinen Verpflichtungen gegenüber den Kindern C. und D. befreie. Die Fürsorgedirektion teilte ihm am 18. Oktober 1962 mit, sie werde ihn nach weiteren Abklärungen zu einer Besprechung vorladen. X. suchte daraufhin einen Anwalt auf, der am 22. Oktober 1962 beim Gerichtspräsidenten von W. um Ansetzung eines Termins für den Aussöhnungsversuch zwecks Anfechtung der Ehelichkeit der Zwillinge nachsuchte. Die Verhandlung vom 9. November 1962 verlief fruchtlos, sodass der Gerichtspräsident dem Kläger die Klagebewilligung erteilte. Am 19. Dezember 1962 reichte der Anwalt für X. gegen dessen frühere Ehefrau und die beiden Zwillinge C. und D. X. beim Amtsgericht Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit der letzteren ein.
Die Mutter und der Vormund der Kinder widersetzten sich der Klage. Das Amtsgericht ordnete zwei Begutachtungen an, die ergaben, dass der Kläger infolge der Operation von 1948 zeugungsunfähig ist und damit nicht der Vater der 1953 geborenen Zwillinge sein kann. Mit Urteil vom 19. Juni 1963 hiess das Amtsgericht daher die Klage gut, aberkannte den Zwillingen die Ehelichkeit und stellte fest, dass sie aussereheliche Söhne ihrer Mutter sind.
B.-
Dieses Urteil zog der Prozessvertreter der Zwillinge an den Appellationshof des Kantons Bern weiter mit dem Antrag auf Abweisung der Anfechtungsklage wegen verspäteter Einreichung. Die Mutter der Kinder focht das Urteil nicht an. Am 10. Februar 1965 hat der Appellationshof das Urteil des Amtsgerichts bestätigt.
C.-
Mit der vorliegenden Berufung halten die beklagten Söhne, vertreten durch den Amtsvormund, am Antrag auf
BGE 91 II 153 S. 155
Abweisung der Klage fest; eventuell wird Rückweisung zur Aktenergänzung beantragt. Der Kläger trägt auf Bestätigung des Urteils an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dass der Kläger wegen der festgestellten Zeugungsunfähigkeit seit 1948 unmöglich der Vater der beklagten Zwillinge sein kann (
Art. 254 ZGB
), ist nicht streitig, sondern nur, ob der Kläger die Anfechtungsklage rechtzeitig erhoben hat.
Die ordentliche Anfechtungsfrist beträgt gemäss
Art. 253 ZGB
drei Monate vom Zeitpunkt an, da der Ehemann von der Geburt Kenntnis erhalten hat. Diese Frist war vorliegend längst abgelaufen. Die Nachfrist von drei Monaten, welche gemäss
Art. 257 Abs. 1 und 2 ZGB
gewährt wird, wenn der Klageberechtigte arglistig zur Unterlassung der Anfechtung bewogen wurde, kommt nicht in Betracht. Der Umstand, dass die Mutter des Kindes einen Ehebruch in der kritischen Zeit bestritten hat, ist nach der Praxis unter diesem Gesichtspunkte bedeutungslos (
BGE 61 II 301
undBGE 71 II 259). Hingegen wird - und das ist prozessentscheidend - gemäss Art. 257 Abs. 3 eine Anfechtung noch zugelassen, wenn die Verspätung mit wichtigen Gründen entschuldigt wird. Dabei wird indessen eine dreimonatige Nachfrist analog Abs. 2 nicht in Gang gesetzt. Die Klage muss nunmehr mit aller nach den Umständen möglichen Beschleunigung erhoben werden (
BGE 85 II 311
und dortige Zitate.) Daher ist zu untersuchen, bis zu welchem Zeitpunkt dem Kläger wichtige Gründe zur Unterlassung der Anfechtungsklage zuzubilligen sind und ob er alsdann mit der nach den Umständen möglichen Beschleunigung geklagt hat. Wo das Gesetz den Richter auf die Würdigung der Umstände oder auf wichtige Gründe verweist, hat er gemäss
Art. 4 ZGB
seine Entscheidung nach Recht und Billigkeit zu treffen.
2.
Wichtige Gründe zur verspäteten Klageeinreichung liegen nach der Rechtsprechung vor, wenn der Kläger bis anhin keine zureichende Veranlassung zu Zweifeln an der Ehelichkeit eines Kindes und zur Anhebung der Anfechtungsklage hatte. Blosse Zweifel ohne bestimmte Anhaltspunkte bilden indessen keine Grundlage zur Anfechtungsklage mit ihren sehr strengen Anforderungen. Es geht nicht an, einem Klageberechtigten die Klageerhebung zuzumuten, bevor er die erforderlichen tatsächlichen Grundlagen zur Klage besitzt. Insbesondere genügt blosse Ungewissheit
BGE 91 II 153 S. 156
des Ehemannes hinsichtlich seiner Zeugungsfähigkeit nicht als Fundament zur Anfechtungsklage; es kann von ihm nicht verlangt werden, auf Grund blosser Zweifel und Befürchtungen die Klage einzureichen und es darauf ankommen zu lassen, ob das gerichtlich anzuordnende Beweisverfahren die nach Artikel 254 ZGB erforderliche Klagegrundlage zu liefern vermöge. Wohl können aber die Umstände so liegen, dass der Kläger gehalten ist, sich über den Tatbestand Gewissheit zu verschaffen, und dass das Unterlassen einer Abklärung als unentschuldbar erscheint (
BGE 71 II 259
f.,
BGE 83 II 175
).
3.
Im vorliegenden Falle hat der Kläger glaubhaft dargetan, dass er nach der zweiten Operation von 1948 nicht über den Verlust seiner Zeugungsunfähigkeit aufgeklärt worden ist und dass ihn nur der Fortbestand der potentia coeundi interessierte. Nach der ärztlichen Meinungsäusserung im Gutachten der chirurgischen Universitätsklinik Bern vom 2. September 1963 ist es "durchaus nicht immer Usus, Patienten über alle möglichen Aspekte einer Erkrankung zu orientieren, wenn sie nicht ausdrüchlich danach fragen. Im allgemeinen interessieren sich Patienten mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane in erster Linie darum, ob sie ihre Männlichkeit und ihre Potenz behalten, vor allem wenn sie bereits Vater eines oder mehrerer Kinder sind". Dazu kommt, dass sich der Kläger noch im Jahre 1959 gegen eine Namensänderung der Kinder wehrte, was er wohl bei Zweifeln an seiner Vaterschaft nicht getan hätte.
Gewisse Zweifel wurden in ihm erst in der Anstalt Thorberg durch Äusserungen von Mitgefangenen erweckt, als ihm diese von einer möglichen Zeugungsunfähigkeit sprachen. Die Berufungskläger haben nun die Rückweisung der Sache zur Ergänzung des Tatbestands dahin beantragt, dass die näheren Umstände abzuklären seien, unter denen der Kläger von Mithäftlingen solche Informationen erhielt und wann genau er aus der Anstalt entlassen worden sei. Beim Kläger seien damals konkrete Zweifel erweckt worden, welche geeignet gewesen seien, ihn zu sofortigen Nachforschungen zu veranlassen.
Diesem Antrag ist nicht zu entsprechen. Es ist nicht behauptet worden, dass diese Mithäftlinge etwa medizinische Sachverständige gewesen seien. Wenn ein Verwahrungsgefangener, der auf bedingte Entlassung hofft, gestützt auf solche Äusserungen von Mitgefangenen nicht sofort die Direktion, den Anstaltsgeistlichen oder andere Anstaltsorgane mit der Angelegenheit
BGE 91 II 153 S. 157
behelligt, sondern mit der Abklärung bis nach seiner Entlassung zuwartet, ist das hinreichend entschuldbar. Nach der Entlassung hatte sich der Kläger in erster Linie um Arbeit, ein geordnetes Leben und Wiedereingliederung in die menschliche Gesellschaft zu kümmern. Es war ihm nicht zuzumuten, seine Tätigkeit sofort auf die Anfechtungsklage zu konzentrieren, deswegen herumzureisen und Ärzte und Behörden in Anspruch zu nehmen. Um sofort einen Anwalt beizuziehen, fehlten ihm offenbar die Mittel. Seine eigenen Nachforschungen bei den Ärzten, die ihn vor mehr als 10 Jahren behandelt hatten, waren für den einfachen, mit krimineller Vergangenheit belasteten Mann offenbar nicht leicht. Ob er schon am 26. April oder erst im Juni oder Juli 1962 aus der Anstalt entlassen wurde, ist nicht entscheidend. Wenn er erst am 9. Oktober 1962 darauf gekommen ist, das einzig Richtige vorzukehren, nämlich in der chirurgischen Klinik der Universität Bern durch eine nochmalige Untersuchung seine Zeugungsunfähigkeit feststellen und sich bescheinigen zu lassen, so ist ihm das in Würdigung seiner besonderen Situation nicht als unentschuldbare Säumnis anzurechnen. Erst von jetzt an schöpfte er einen starken und hinreichend begründeten Verdacht; nun hatte er Anlass, mit tunlichster Beschleunigung die Klage einzureichen.
Nach Kenntnisnahme dieses Sachverhaltes hat sich der Kläger wenige Tage später (irrtümlich) an die bernische Fürsorgedirektion gewandt, und als er von dieser einen etwas ausweichenden Bescheid erhielt, sofort einen Anwalt konsultiert, der dann schon am 22. Oktober 1962 als ersten Schritt zur Anfechtungsklage ein Ladungsansuchen für einen Aussöhungsversuch stellte. Dieser endete am 9. November 1962 vor dem Gerichtspräsidenten mit der Erteilung der formellen Klagebewilligung. Bis dahin sind dem Kläger mit der Vorinstanz in gerechter und billiger Würdigung aller Umstände keine Vorwürfe wegen unentschuldbarer Saumseligkeit zu machen.
4.
Es könnte sich nur noch fragen, ob dem Kläger daraus ein Vorwurf gemacht werden kann, dass er bzw. sein Anwalt die schriftliche Klage dann erst am 19. Dezember 1962 eingereicht hat. Nach dem zitierten bundesgerichtlichen Entscheid (
BGE 85 II 312
oben) müsste ein Zuwarten von 7 Wochen nach der nachträglichen Entdeckung der Anfechtungsgrundlagen bis zur Klageeinreichung (beim Friedensrichter) durch ganz besondere Umstände gerechtfertigt sein. Nun werden jedoch nach der
BGE 91 II 153 S. 158
bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Fristen, binnen deren nach Bundesrecht eine Klage bei Gefahr der Verwirkung eingereicht werden muss, schon durch ein Gesuch um Durchführung eines Aussöhungsversuches eingehalten, wenn ein solcher nach kantonalem Prozessrecht nötig oder zulässig ist und nach dem Scheitern des Versuches entweder der Sühnebeamte die Streitsache von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten hat oder der Kläger zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gehalten ist, den Richter binnen bestimmter, vom kantonalen Prozessrecht gesetzter Frist anzurufen, und er es auch tatsächlich binnen dieser Frist tut (
BGE 74 II 15
,
BGE 81 II 538
,
BGE 82 II 590
,
BGE 85 II 315
,
BGE 89 II 307
). Nach der bernischen ZPO berechtigt die Klagebewilligung zur Anhebung der Klage während der Klagefrist. Diese beträgt normalerweise 6 Monate; in Streitigkeiten über Ansprüche jedoch, für welche eine kürzere als die 6-monatige Verwirkungsfrist gilt, ist die Klagefrist auf die Dauer dieser Verwirkungsfrist verkürzt (
Art. 153 Abs. 2-4 ZPO
). Die primäre Verwirkungsfrist für die Anfechtungsklage ist diejenige nach
Art. 253 Abs. 1 ZGB
, also drei Monate; sie ist kürzer als die prozessuale Klagefrist nach Art. 153 Abs. 1 bern. ZPO. Also läuft dem Kläger vom erfolglosen Aussöhnungsversuch an für die Klageeinreichung diese dreimonatige Frist nach
Art. 253 Abs. 1 ZGB
, die hier kraft kantonalen Prozessrechts zur Anwendung kommt (so auch LEUCH, ZPO Art. 153 N. 3). Im heutigen Falle hatte der Kläger also vom 9. November 1962 an 3 Monate Zeit zur Einreichung der Klage. Mit der Einreichung am 19. Dezember hielt er die Frist ein.
Selbst wenn man übrigens annähme, der Kläger sei vom Aussöhnungsversuch an ungeachtet der verkürzten Klagefrist des Art. 153 Abs. 4 bern. ZPO zu möglichst beförderlichem Vorgehen verpflichtet gewesen, so müsste ihm mit der Vorinstanz zugebilligt werden, dass er bzw. sein Anwalt diesem Erfordernis genügte. Der Kläger erlitt am 15. November 1962 einen Unfall, der ihn einen Monat ans Bett fesselte; sein Anwalt war nach den Feststellungen der Vorinstanz vom 14. November bis zum 14. Dezember 1962 in Thun durch einen Schwurgerichtsprozess in Anspruch genommen; beide Umstände erschwerten die Fühlungnahme zwischen Anwalt und Klient sehr erheblich. Nach dem 14. Dezember waren dann binnen fünf Tagen die Klageschrift verfasst und die Beweismittel geordnet. Unter diesen Umständen kann weder dem Kläger noch seinem Anwalt
BGE 91 II 153 S. 159
Saumseligkeit vorgeworfen werden. Der Vorwurf wäre selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn, wie die Beklagten behaupten, der Anwalt nur bis zum 23. November durch das Schwurgericht beansprucht gewesen sein sollte.
Erweist sich mithin die Berufung zweifellos als unbegründet, ist sie gemäss
Art. 60 Abs. 2 OG
ohne öffentliche Beratung zu erledigen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 10. Februar 1965 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf606598-724c-4e6a-a204-ecdeb5c880c8 | Urteilskopf
101 Ib 336
59. Auszug aus dem Urteil vom 13. Juni 1975 i.S. Denner AG gegen Schweiz. Nationalbank | Regeste
Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens (BB vom 20. Dezember 1972, Verordnung vom 10. Januar 1973). Emissionskontrolle, Bewilligungspflicht.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen eine Verfügung, mit der die Nationalbank feststellt, dass eine beabsichtigte öffentliche Ausgabe von Wertpapieren der Bewilligungspflicht unterliegt (Erw. 1).
2. Für den Entscheid über die Bewilligungspflicht ist nicht die Emissionskommission, sondern die Nationalbank zuständig (Erw. 3).
3. Die öffentliche Ausgabe von Kassenobligationen durch ein Unternehmen des Detailhandels ist bewilligungspflichtig, gleichviel ob die Laufzeit kurz oder lang ist (Erw. 5, 6).
4. Rechtsungleiche Behandlung? Das beschwerdeführende Unternehmen kann daraus, dass die Nationalbank die Emission von Kassenobligationen durch Banken von der Kontrolle ausnimmt, nichts zu seinen Gunsten ableiten (Erw. 8). | Sachverhalt
ab Seite 337
BGE 101 Ib 336 S. 337
Die Denner AG, Zürich, wollte als Inhaberpapiere ausgestaltete Kassenobligationen im Nennwert von je Fr. 100.-- ausgeben. Jeder Kunde, der in einem ihrer Super-Discount-Läden Waren für je Fr. 25.-- einkaufte, sollte gegen Einzahlung des Nominalbetrages eine Obligation beziehen können. Es wurde vorgesehen, dass die Obligation jederzeit einlösbar sei, aber nach 12 oder 18 Monaten eingelöst werden müsse. Bei vorzeitiger Einlösung sollte sie zu 7%, bei Einlösung nach 12 oder 18 Monaten zu 10% p.a. verzinst werden. Die Denner AG begann im September 1974 in der Presse und in Fernsehsendungen für die Zeichnung solcher Titel zu werben.
Mit Schreiben vom 19. September 1974 teilte die Schweiz. Nationalbank der Denner AG mit, die von dieser beabsichtigte öffentliche Ausgabe von Kassenobligationen unterliege der Bewilligungspflicht nach Art. 4 des BB vom 20. Dezember 1972 über Massnahmen auf dem Gebiete des Kreditwesens (im folgenden: Kreditbeschluss oder BB) und Art. 3 der gleich betitelten Verordnung vom 10. Januar 1973 (im folgenden: Kreditverordnung oder V).
Am 21. September 1974 ersuchte die Denner AG "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" um die Bewilligung der Ausgabe von Kassenobligationen bis zu einem Höchstbetrag von 10 Millionen Franken. Die nach Art. 4 Abs. 4 BB eingesetzte Kommission (Emissionskommission) wies am 30. September 1974 das Gesuch mit Wirkung für das letzte Quartal 1974 ab.
BGE 101 Ib 336 S. 338
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 18. Oktober 1974 beantragt die Denner AG, die Verfügung der Nationalbank vom 19. September 1974 sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach Art. 1 Abs. 2 BB obliegt der Vollzug der vom Bundesrat auf Grund dieses Beschlusses angeordneten Massnahmen der Nationalbank. Sie trifft in Anwendung des Kreditbeschlusses und der Kreditverordnung Verfügungen im Sinne des
Art. 5 VwVG
. Nach Art. 9 Abs. 3 BB finden auf Verfügungen, die im Rahmen dieses Beschlusses ergehen, die allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege Anwendung, und im nachfolgenden Abs. 4 ist von "rechtskräftigen" Verfügungen der Nationalbank die Rede. Der Kreditbeschluss bezeichnet nur die Entscheide der Emissionskommission als endgültig (Art. 4 Abs. 4), nicht auch die Verfügungen der Nationalbank. Diese können demnach mit einem bundesrechtlichen Rechtsmittel angefochten werden.
Die Nationalbank ist zwar als Aktiengesellschaft organisiert, und es können sich an ihr auch Private beteiligen; sie hat indessen öffentlich-rechtliche Aufgaben des Bundes zu erfüllen. Sie ist eine öffentlich-rechtliche Unternehmung, die mit dem Rechte der juristischen Persönlichkeit ausgestattet ist und unter Mitwirkung und Aufsicht des Bundes verwaltet wird (
Art. 39 BV
, Art. 1 Abs. 2 Nationalbankgesetz). Sie ist als autonome eidgenössische Anstalt im Sinne von
Art. 98 lit. d OG
zu betrachten (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 4. Dezember 1972 über zusätzliche Massnahmen zur Bekämpfung der Überkonjunktur, BBl 1972 II 1561, zu Art. 8 Entw. des Kreditbeschlusses). Daraus folgt, dass ihre im Rahmen des Kreditbeschlusses getroffenen Verfügungen gemäss
Art. 97 und 98 lit. d OG
- unter Vorbehalt allenfalls anwendbarer Ausnahmebestimmungen (
Art. 99 ff. OG
) - der Verwaltungsgerichtsbeschwerde unterliegen, und zwar unmittelbar; denn eine vorgängige Beschwerde oder Klage ist im Kreditbeschluss nicht vorgesehen.
Das Schreiben der Nationalbank an die Denner AG vom 19. September 1974 ist nach seinem Inhalt als Verfügung im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG
zu qualifizieren; denn es
BGE 101 Ib 336 S. 339
stellt fest, dass die Ausgabe der strittigen Kassenobligationen der Genehmigungspflicht unterliegt. Gegen diese Verfügung ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben. Eine Vorschrift, welche dieses Rechtsmittel im vorliegenden Fall ausschliessen würde, besteht nicht.
2.
Die Denner AG ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung; sie ist daher nach
Art. 103 lit. a OG
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt. Zwar hat sie ein Bewilligungsgesuch gestellt, aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Da die nachgesuchte Bewilligung verweigert worden ist, hat die Beschwerdeführerin noch immer ein schutzwürdiges Interesse an der Anfechtung der Verfügung der Nationalbank. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
3.
Der Kreditbeschluss sagt nicht ausdrücklich, welche Behörde zum Entscheid darüber, ob eine bestimmte Emission der Bewilligungspflicht unterliegt, zuständig ist. In Betracht kommt entweder die Nationalbank oder die Emissionskommission. Art. 4 Abs. 4 BB bestimmt, dass die Emissionskommission "über die Bewilligungen" entscheidet, und zwar endgültig. Danach ist es zweifellos Sache der Kommission, darüber zu befinden, ob eine Emission, die unter die Genehmigungspflicht fällt, zu bewilligen sei oder nicht. Dagegen ist aus Art. 4 Abs. 4 BB nicht ohne weiteres zu schliessen, dass die Emissionskommission bei der Beurteilung eines ihr unterbreiteten Bewilligungsgesuches auch - ebenfalls endgültig - darüber zu entscheiden habe, ob die beabsichtigte Emission überhaupt genehmigungspflichtig sei. Es fragt sich, ob dieser Entscheid nicht vielmehr Aufgabe der Nationalbank sei, welche nach Art. 1 Abs. 2 BB allgemein mit dem Vollzug der vom Bundesrat auf Grund dieses Beschlusses angeordneten Massnahmen betraut ist und deren Verfügungen nicht endgültig sind.
Art. 4 Abs. 4 BB hat insofern Ausnahmecharakter, als er von der Regel der Zuständigkeit der Nationalbank abweicht und ausserdem bestimmt, dass die Emissionskommission endgültig entscheidet. Dieser Ausnahmebestimmung liegt offenbar der Gedanke zugrunde, dass die Fragen, deren Beurteilung der Emissionskommission zugedacht ist, sich für die Überprüfung durch eine zur Rechtskontrolle berufene Behörde nicht eignen und deshalb der Entscheidung durch die
BGE 101 Ib 336 S. 340
aus Sachverständigen der Wirtschaft zusammengesetzte Kommission als einzige Instanz überlassen werden können. Die Überlegung trifft zu hinsichtlich der Frage, ob eine bestimmte genehmigungspflichtige Emission zu bewilligen sei oder nicht; denn hiefür sind im wesentlichen wirtschaftspolitische Gesichtspunkte massgebend, deren endgültige Beurteilung durch ein Gremium von Wirtschaftssachverständigen sich rechtfertigen lässt. Anders verhält es sich hingegen mit der Frage der Bewilligungspflicht, die eine Rechtsfrage ist. Es wäre höchst unbefriedigend, wenn hierüber die Emissionskommission als einzige Instanz zu befinden hätte. Eine solche Ordnung kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben.
Daher muss angenommen werden, dass der Entscheid über die Bewilligungspflicht in den Bereich der Zuständigkeit der Nationalbank als der allgemein mit dem Vollzug der Massnahmen des Bundesrates auf dem Gebiete des Kreditwesens beauftragten Behörde fällt und demzufolge nach dem in Erw. 1 Gesagten vom Bundesgericht auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin überprüft werden kann. Dementsprechend bestimmt die Kreditverordnung in Art. 3 Abs. 4 und 5, dass die Bewilligungsgesuche bei der Nationalbank einzureichen und von ihr der Emissionskommission zu unterbreiten sind; diese Regelung beruht auf der Voraussetzung, dass die Nationalbank ein Gesuch nur dann, wenn sie die geplante Emission als genehmigungspflichtig erachtet, an die Kommission weiterzuleiten hat.
5.
Nach Art. 4 BB (Titel: Emissionskontrolle) kann der Bundesrat die öffentliche Ausgabe inländischer Schuldverschreibungen, Aktien, Genussscheine und Papiere ähnlicher Art genehmigungspflichtig erklären (Abs. 1). Die Nationalbank setzt den zulässigen Gesamtbetrag für die in einem bestimmten Zeitraum aufzulegenden öffentlichen Anleihen fest (Abs. 2). Die Bewilligungen können zeitlich gestaffelt werden, um eine übermässige Beanspruchung des Kapitalmarktes zu vermeiden, und sie können verweigert werden, wenn die Kapitalaufnahme den Zielen der Konjunkturpolitik widerspricht (Abs. 3).
Der Bundesrat hat von der ihm in Art. 4 Abs. 1 BB eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht. Er hat in Art. 3 Abs. 1 V bestimmt, dass die öffentliche Ausgabe inländischer Schuldverschreibungen, Aktien, Genussscheine und Papiere ähnlicher
BGE 101 Ib 336 S. 341
Art genehmigungspflichtig ist. Anfänglich waren nach Art. 3 Abs. 2 V Emissionen von weniger als fünf Millionen Franken ausgenommen; diese Bestimmung hat der Bundesrat am 23. September 1974 auf den 1. Oktober 1974 aufgehoben.
Streitig ist in erster Linie, ob die von der Beschwerdeführerin angebotenen Kassenobligationen als Schuldverschreibungen - oder allenfalls als Papiere ähnlicher Art - im Sinne von Art. 4 Abs. 1 BB und Art. 3 Abs. 1 V zu betrachten sind oder nicht.
a) Die Kassenobligationen, die namentlich von Banken und gelegentlich auch von anderer Seite ausgegeben werden, gehören nach dem üblichen Sprachgebrauch zu den Schuldverschreibungen. Schuldverschreibung ist die deutsche Bezeichnung für Obligation im Sinne einer in einem Wertpapier verbrieften Schuldverpflichtung, die eine verzinsliche Geldleistung zum Inhalt hat (Handbuch des Bank-, Geld- und Börsenwesens der Schweiz, 1964, S. 481, 534). In den französischen und italienischen Fassungen von Art. 4 Abs. 1 BB und Art. 3 Abs. 1 V stehen denn auch anstelle des in den deutschen Texten verwendeten Wortes "Schuldverschreibungen" die Ausdrücke "obligations" und "obbligazioni". Zu den Wertpapieren, in denen verzinsliche Geldforderungen verurkundet und die als Obligationen bezeichnet sind, zählen die Anleihensobligationen (Partialen öffentlicher Anleihen) wie auch die Kassenobligationen (zit. Handbuch S. 41 f., 368, 481 ff.; JÄGGI, N. 286 und 289 zu
Art. 965 OR
). Die Kassenobligationen der Denner AG sind ebenfalls solche Wertpapiere. Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 BB und Art. 3 Abs. 1 V gestattet es offensichtlich, die öffentliche Ausgabe von Titeln dieser Art der Genehmigungspflicht zu unterstellen.
Die Beschwerdeführerin bestreitet dies offenbar nicht, wendet aber ein, es widerspreche dem Sinn der Vorschriften, die Bewilligungspflicht auf ihre Kassenobligationen auszudehnen. Sie macht geltend, unter den in Art. 4 BB und Art. 3 V erwähnten Titeln seien nur Kapitalmarktpapiere zu verstehen; die Denner-Kassenobligationen gehörten aber nicht zu dieser Kategorie, sondern stellten Geldmarktpapiere dar, da sie jederzeit rückzahlbar seien und ihre Laufzeit nicht über anderthalb Jahre hinausgehe.
b) Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Emissionskontrolle ist der Zweck des Kreditbeschlusses zu beachten
BGE 101 Ib 336 S. 342
und der Zusammenhang des Art. 4 BB mit anderen Vorschriften dieses Erlasses zu berücksichtigen.
Art. 1 Abs. 1 BB bestimmt, dass der Bundesrat zur Dämpfung der Überkonjunktur die in den nachfolgenden Bestimmungen vorgesehenen Massnahmen auf dem Gebiete des Geld- und Kapitalmarktes sowie des Kreditwesens anordnen kann. Diese Massnahmen, die der Bundesrat getroffen hat, sollen sich gegenseitig ergänzen (zit. Botschaft vom 4. Dezember 1972, BBl 1972 II 1553). Das gilt insbesondere für die Kreditbegrenzung und die Emissionskontrolle. Der Kreditbegrenzung sind die Banken unterworfen; sie dürfen den Stand ihrer inländischen Kredite nur im Rahmen einer von der Nationalbank bestimmten Zuwachsrate erhöhen (Art. 3 BB, Art. 2 V). Die Emissionskontrolle wird in der Botschaft als "logische Ergänzung" der Kreditbegrenzung bezeichnet. Sie soll Umgehungen der Kreditbegrenzung verhindern (BBl 1972 II 1553, 1560). Den Unternehmen, die infolge der Kreditbegrenzung keine Bankkredite erhalten, soll es verwehrt sein, sich ohne Bewilligung durch eine öffentliche Emission direkt an das Publikum zu wenden.
Der Kreditbegrenzung sind aber, wie sich aus Art. 3 BB und Art. 2 V ohne weiteres ergibt, sowohl lang- als auch mittel- und kurzfristige Kredite unterworfen. Andernfalls wäre die Erreichung des Ziels des Kreditbeschlusses, einer übermässigen Kreditexpansion vorzubeugen und damit die Nachfrage zu dämpfen, von vornherein in Frage gestellt. Diese Überlegung trifft für die Emissionskontrolle, die ja dem gleichen Ziel dient, ebenfalls zu. Da die Emissionskontrolle die Kreditbegrenzung ergänzt und deren Umgehung verhindern helfen soll, wie in der Botschaft des Bundesrates hervorgehoben wird, kann auch sie nicht auf langfristige Kredite beschränkt sein. Art. 4 Abs. 1 BB und Art. 3 Abs. 1 V müssen in diesem Sinne verstanden werden. Ihr Wortlaut steht dieser Auslegung nicht entgegen, sondern lässt sie durchaus zu; ist doch in ihm von Schuldverschreibungen und Papieren ähnlicher Art schlechthin die Rede, nicht nur von langfristigen solchen Titeln.
c) Die Beschwerdeführerin nimmt an, die Kapitalmarkt- und die Geldmarktpapiere unterschieden sich vor allem in der Laufzeit; während diese kurzfristig seien, handle es sich bei jenen "entweder um definitive Investitionen, die nicht rückzahlbar
BGE 101 Ib 336 S. 343
sind (wie bei Aktien oder Genussscheinen), oder um langfristige Darlehen (wie Obligationen) regelmässig mit einer Laufzeit von fünf oder mehr Jahren, meist von zehn Jahren oder mehr". Wäre die Laufzeit das massgebliche Kriterium für die Unterscheidung zwischen Kapitalmarkt- und Geldmarktpapieren, so würde aber aus dem unter lit. b hiervor Gesagten ohne weiteres folgen, dass der Emissionskontrolle beide Arten unterstehen.
Indessen gehen in der Fachliteratur die Meinungen über die Abgrenzung zwischen Kapital- und Geldmarkt auseinander. Wohl wird im allgemeinen als massgebend für die Unterscheidung vorab die Dauer angesehen, für welche Kredit gewährt wird; dem Geldmarkt werden kurzfristige, dem Kapitalmarkt langfristige Geschäfte zugerechnet. Aber schon die Frage, welche Laufzeiten als lang und welche als kurz zu betrachten sind, wird verschieden beantwortet. Sodann wird die Auffassung vertreten, auf den beiden Märkten seien ausser der Dauer der Bindung auch der wirtschaftliche Charakter der Kredite und der Teilnehmerkreis verschieden. Vielfach wird angenommen, am Geldmarkt seien nur Banken, grössere andere Unternehmen und öffentliche Hand beteiligt; das Publikum komme mit ihm kaum in Berührung (vgl. zum Abgrenzungsproblem ACKERMANN, Geld- und Kapitalmarkt, im Handbuch der schweizerischen Volkswirtschaft, 1955, Bd. I, S. 540; Handbuch des Bank-, Geld- und und Börsenwesens der Schweiz, S. 279; JENNY, Der schweizerische Geldmarkt, Diss. St. Gallen 1973, S. 30 ff.).
Ob die den Kunden der Denner AG angebotenen Kassenobligationen überhaupt als Geldmarktpapiere angesehen werden können, erscheint demnach als zweifelhaft, doch kann die Frage offengelassen werden. Es genügt festzustellen, dass der Emissionskontrolle auch die öffentliche Ausgabe von Kassenobligationen unterworfen ist, gleichviel ob im einzelnen Fall die Titel eine lange oder eine kurze Laufzeit haben und ob sie allenfalls eher als Geldmarkt- denn als Kapitalmarktpapiere betrachtet werden könnten. Nach der geltenden Ordnung ist die Emission inländischer Schuldverschreibungen und Papiere ähnlicher Art ohne Einschränkung genehmigungspflichtig; weder für Titel mit kurzer Laufzeit noch für sog. Geldmarktpapiere wird eine Ausnahme gemacht. Die unsichere Unterscheidung zwischen Geld- und Kapitalmarkt wäre als Kriterium
BGE 101 Ib 336 S. 344
für die Abgrenzung des Bereichs der Emissionskontrolle auch gar nicht geeignet. Die in Art. 1 BB stehende Wendung "auf dem Gebiete des Geld- und Kapitalmarktes" lässt denn auch erkennen, dass der Gesetzgeber keine Unterscheidung zwischen den beiden Märkten treffen, sondern diese als Einheit behandeln wollte. Die Wendung bezieht sich nach dem Text der Bestimmung auf alle in den nachfolgenden Vorschriften vorgesehenen Massnahmen, also auch auf die Emissionskontrolle.
Die Beschwerdeführerin beruft sich vergeblich darauf, dass in Art. 4 Abs. 3 BB und in den Bemerkungen der bundesrätlichen Botschaft vom 4. Dezember 1972 zum vorgeschlagenen Art. 4 (BBl 1972 II 1560/1) nur vom Kapitalmarkt und nicht auch vom Geldmarkt die Rede ist. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass die sog. Geldmarktpapiere, d.h. nach der Auffassung der Beschwerdeführerin alle Titel mit kurzer Laufzeit, von der Emissionskontrolle ausgenommen sind. Diese Folgerung stände im Widerspruch zu Art. 1 und namentlich zu Art. 4 Abs. 1 BB, der den Gegenstand der Emissionskontrolle umschreibt, und zwar in einer weiten Fassung, ohne eine - fragwürdige - Unterscheidung zwischen Geldmarkt- und Kapitalmarktpapieren zu treffen. Sie wäre mit dem Sinn und Zweck des ganzen Kreditbeschlusses und der darin als Ergänzung zur Kreditbegrenzung vorgesehenen Emissionskontrolle im besonderen nicht vereinbar, wie sich aus dem vorne Ausgeführten ergibt. Gerade am Anfang der Bemerkungen der Botschaft zu Art. 4 wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Emissionskontrolle "eine logische Ergänzung der Kreditbegrenzung" darstellt. Weshalb anschliessend und auch in Art. 4 Abs. 3 BB nur vom Kapitalmarkt gesprochen wird, braucht nicht geprüft zu werden. Insbesondere kann dahingestellt bleiben, was von der Auffassung der Nationalbank zu halten ist, diese Bestimmung erwähne deshalb einzig den Kapitalmarkt, weil die Emissionskontrolle sich nur auf "Papiere" (Effekten) beziehe und es in der Schweiz bisher, mit Ausnahme der Sterilisierungsreskriptionen des Bundes, keine Papiere des Geldmarktes gegeben habe. Auf keinen Fall kann daraus, dass die Botschaft am angegebenen Ort und Art. 4 Abs. 3 BB den Geldmarkt nicht erwähnen, der Schluss gezogen werden, die Emissionskontrolle erfasse - im Unterschied zur Kreditbegrenzung - nur langfristige Kredite.
BGE 101 Ib 336 S. 345
d) Die Beschwerdeführerin meint ferner, man habe "die Geldmarktpapiere und namentlich die Kassenobligationen" schon darum nicht der Emissionskontrolle unterworfen, weil die Überwachung der Ausgabe solcher Titel sehr schwierig, "nur mit enormen Umtrieben möglich" sei. Dieser Einwand ist offensichtlich unbegründet. Wäre die Kontrolle der Emission von Kassenobligationen und Papieren ähnlicher Art zu schwierig, so hätte der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verzichtet. Das ist nicht geschehen. Es kann denn auch keine Rede davon sein, dass diese Kontrolle nicht oder nur äusserst schwer durchführbar sei. Da nur die öffentliche Ausgabe von Wertpapieren (Schuldverschreibungen usw.) der Bewilligungspflicht unterliegt, es sich also um Vorgänge handelt, die sich in einer mehr oder weniger breiten Öffentlichkeit abspielen, dürfte die Kontrolle auch hinsichtlich der Kassenobligationen und der Titel ähnlicher Art nicht auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen.
Vielmehr würden sich beträchtliche Schwierigkeiten ergeben, wenn Art. 4 BB im Sinne der Ausführungen der Beschwerdeführerin auszulegen wäre. Denn die Grenzen zwischen Geld- und Kapitalmarkt sind fliessend, und auch die Unterscheidung zwischen lang- und kurzfristigen Titeln könnte vielfach nicht in befriedigender Weise durchgeführt werden, wo es sich um Laufzeiten von mittlerer Dauer handelt. Insbesondere würde die Zuteilung der Kassenobligationen Schwierigkeiten bereiten. Das zeigt gerade der vorliegende Fall; denn die von der Beschwerdeführerin angebotenen Titel konnten eine Laufzeit von anderthalb Jahren haben, sollten also nicht nur als ganz kurzfristige Kreditmittel dienen. In der Regel ist die Laufzeit der Kassenobligationen länger. Sie werden in der Literatur zu den mittelfristigen Papieren gerechnet (Handbuch des Bank-, Geld- und Börsenwesens der Schweiz, S. 482; KADERLI, Das schweizerische Bankgeschäft, 1955, S. 124; vgl. auch die von der Beschwerdeführerin selber angerufenen Ausführungen im Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 16. Oktober 1974 über zusätzliche Massnahmen zur Dämpfung der Überkonjunktur, BBl 1974 II 1099). Eine Lösung, nach welcher solche Titel je nach ihrer Laufzeit hinsichtlich der Emissionskontrolle verschieden behandelt würden, wäre kaum praktikabel.
e) Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, verstösst
BGE 101 Ib 336 S. 346
die Annahme der Nationalbank, dass die öffentliche Ausgabe von Kassenobligationen grundsätzlich in allen Fällen der Bewilligungspflicht unterliegt, nicht gegen das Bundesrecht. Die von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Emission war daher ebenfalls genehmigungspflichtig, wenn sie als öffentliche Ausgabe im Sinne der Vorschriften anzusehen ist.
6.
Nach Art. 3 Abs. 3 V gilt eine Emission als öffentlich, "wenn die Einladung zur Zeichnung durch Prospekt oder ein anderes Werbemittel erfolgt, das sich an einen grösseren Personenkreis richtet". Es besteht kein Grund anzunehmen, diese Umschreibung halte sich nicht im Rahmen des Kreditbeschlusses. Die Denner AG behauptet nicht das Gegenteil. Sie bestreitet aber, dass in ihrem Fall die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 V erfüllt seien. Offensichtlich zu Unrecht. Die Beschwerdeführerin hat in der Presse und in Fernsehsendungen für ihre Emission geworben. Sie hat dabei jedem, der in einem ihrer Läden auch nur für Fr. 25.-- Waren einkaufen würde, das Recht zur Zeichnung eingeräumt. Die Werbung war also an einen grösseren Personenkreis gerichtet.
8.
Schliesslich wirft die Denner AG der Nationalbank rechtsungleiche Behandlung vor, weil in anderen, gleich gelagerten Fällen, gegenüber Banken und anderen Unternehmen, nicht eingeschritten worden sei.
a) Die Beschwerdeführerin macht indessen keine Fälle namhaft, in denen vor dem 1. Oktober 1974 Kassenobligationen für mehr als fünf Millionen Franken ausgegeben worden wären, ohne dass die Nationalbank trotz Kenntnis der Verhältnisse eingeschritten wäre. Offenbar kommt es eher selten vor, dass Unternehmen, die weder Banken noch solchen gleichgestellt sind, zur Befriedigung ihrer Kreditbedürfnisse Kassenobligationen für Millionenbeträge ausgeben. Das mag erklären, dass die Nationalbank anfänglich der Überwachung dieses Marktes keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Seit dem 1. Oktober 1974 stellen sich die Verhältnisse anders dar. Die Nationalbank hat denn auch am 10. Oktober 1974 die Coop Basel, die Kassenobligationen ausgibt, auf die Bewilligungspflicht aufmerksam gemacht. Sie wird dasselbe in andern Fällen, in denen sie von der Ausgabe von Kassenobligationen durch nicht als Banken geltende Unternehmen erfährt, tun müssen. Im übrigen ist es, wie die Nationalbank mit Recht bemerkt, Sache des Emittenten bewilligungspflichtiger
BGE 101 Ib 336 S. 347
Schuldverschreibungen, sich zu melden und um die Bewilligung nachzusuchen. Die Nationalbank kann für allgemeine Aufklärung sorgen, aber in den einzelnen Fällen nach der Natur der Sache mitunter erst nachträglich einschreiten.
b) Es trifft zu, dass die Nationalbank die Emissionskontrolle gegenüber Banken und bankähnlichen Instituten, abgesehen von der Auflage öffentlicher Anleihen, nicht durchführt. Die Begründung, die sie dafür gibt, ist indessen vertretbar. Da die Banken und die ihnen gleichgestellten Unternehmen der Kreditbegrenzung unterliegen, also nur im Rahmen der von der Nationalbank festgesetzten Zuwachsrate selber Kredit gewähren dürfen, wird auch ihre Nachfrage nach Geldmitteln nicht über eine bestimmte Grenze hinaus anwachsen und das Mass nicht überschreiten, das die Nationalbank als konjunkturpolitisch gerechtfertigt erachtet. Auf welchem Wege die Banken in diesem eingeschränkten Rahmen ihre eigenen Kreditbedürfnisse befriedigen, ob durch Ausgabe von Kassenobligationen oder auf andere Weise, ist von zweitrangiger Bedeutung, solange sie nicht Anleihen auflegen. Es erscheint daher als haltbar, die Ausgabe von Kassenobligationen durch Banken von der Emissionskontrolle auszunehmen. Mit dieser Feststellung erledigt sich auch der Einwand der Beschwerdeführerin, die Nationalbank habe die von der Schweizerischen Hypotheken- und Handelsbank geplante Ausgabe von "certificates of deposit" für nicht bewilligungspflichtig erklärt.
Die Denner AG ist aber weder eine Bank noch ein bankähnliches Institut und daher der Kreditbegrenzung nicht unterworfen. Der Beanspruchung des Geld- und Kapitalmarktes unter Übergehung der Banken durch sie kann deshalb nur durch die Emissionskontrolle eine gewisse Grenze gezogen werden. Darin, dass die Nationalbank das Vorhaben der Beschwerdeführerin dieser Kontrolle unterstellt hat, dagegen die Ausgabe von Kassenobligationen durch Banken davon ausnimmt, kann somit kein Verstoss gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit gesehen werden. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cf636301-d158-4c5e-9f16-cb69a309fe5d | Urteilskopf
103 IV 22
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Februar 1977 i.S. Trümpy c. Langenegger | Regeste
Art. 173 f. StGB. Eignung zur Rufschädigung.
Eine Äusserung ist schon ehrenrührig, wenn sie an sich geeignet ist, den Ruf zu schädigen, unabhängig davon, ob der Dritte die Beschuldigung oder Verdächtigung für wahr hält oder nicht. | Erwägungen
ab Seite 22
BGE 103 IV 22 S. 22
Aus den Erwägungen:
7.
Die Vorinstanz brachte
Art. 173 und 174 StGB
deswegen nicht zur Anwendung, weil das als ehrverletzend eingeklagte Schreiben vom 27. Juni 1973 an zwei Behörden gerichtet wurde, die für den geordneten Jagdbetrieb zuständig seien, nämlich an den Gemeinderat Zumikon und an die Kantonale Jagd- und Fischereiverwaltung. Von diesen sei ohne weiteres zu erwarten gewesen, dass sie die als blosse Vermutung formulierte Beschwerde durch Aktenbeizug überprüfen, was auch geschehen sei. Die Anzeige sei daher gar nicht geeignet gewesen, den Ruf der Ankläger im Sinne von Art. 173 f. StGB zu schädigen. Es müsse dem Bürger möglich sein, von einer Behörde die Überprüfung des Verhaltens von Personen zu verlangen, die deren Aufsicht unterstehen; dies zumindest soweit, als der Behörde die Überprüfung aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Informationsmittel möglich sei.
Wenn die Vorinstanz dem Schreiben des Beschwerdegegners die Eignung zur Rufschädigung mit der Begründung abspricht, dass die Briefempfänger in der Lage waren, die Wahrheit der Äusserung zu überprüfen und sie dies auch getan hätten, so geht die Vorinstanz von einem falschen rechtlichen Begriff der Eignung zur Rufschädigung aus. Diese Eignung ist abstrakter Natur. Massgeblich ist nicht, ob der Dritte der
BGE 103 IV 22 S. 23
Beschuldigung oder Verdächtigung, so wie sie zu verstehen ist, tatsächlich Glauben schenkt oder ob wenigstens damit ernsthaft zu rechnen sei. Eine Äusserung ist im Sinne von Art. 173 f. StGB schon dann ehrenrührig, wenn sie an sich, d.h. für den Fall, dass sie geglaubt werden sollte, geeignet ist, den Ruf zu schädigen. Die üble Nachrede und die Verleumdung sind insoweit abstrakte Gefährdungsdelikte. Der Täter ist daher selbst dann strafbar, wenn der Dritte die Unwahrheit der Äusserung sofort erkennt oder wenn nach den konkreten Umständen zu erwarten ist, er werde die Unwahrheit der Äusserung sofort erkennen.
Der Begriff der Eignung der Äusserung zur Rufschädigung ist kein anderer, wenn der Dritte, an den sich die Äusserung richtet, eine zuständige Behörde ist. Das Gesetz macht diese Unterscheidung nicht. Es besteht auch kein Anlass, eine ausfüllbedürftige Gesetzeslücke anzunehmen. Es ginge zu weit, Verleumdungen und üble Nachreden immer dann freizugeben, wenn sie an eine zuständige Behörde gerichtet werden, die den Sachverhalt nachprüfen kann. Zu Unrecht wurde daher der Äusserung die rufschädigende Eignung abgesprochen und damit der Tatbestand der Verleumdung, eventuell der üblen Nachrede verneint.
Ebensowenig gibt es einen so weit gefassten Rechtfertigungsgrund, der es unter beliebigem Vorwand gestatten würde, einen andern bei einer Behörde, deren Aufsicht er untersteht, eines unehrenhaften Verhaltens zu bezichtigen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf66989c-9a42-4f5e-b507-3958933692d5 | Urteilskopf
122 V 335
50. Auszug aus dem Urteil vom 19. August 1996 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen P. und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz | Regeste
Art. 18 UVG
.
Die Annahme eines Invaliditätsgrades von weniger als 10% schliesst die Zusprechung einer Dauerrente nicht von vornherein aus (Änderung der Rechtsprechung).
Frage offengelassen, ob statt der bisherigen Grenze von 10% eine neue von 5% einzuführen ist. | Erwägungen
ab Seite 335
BGE 122 V 335 S. 335
Aus den Erwägungen:
4.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt richtet sich allein gegen den Entscheid des kantonalen Gerichts, in Abkehr von der bisherigen Praxis in der obligatorischen Unfallversicherung selbst bei Teilinvalidität von weniger als 10% eine Dauerrente zuzusprechen.
a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat vor kurzem für den Bereich der Militärversicherung entschieden, dass die Annahme eines Invaliditätsgrades von weniger als 10% die Zusprechung einer Dauerrente nicht von vornherein ausschliesst (
BGE 120 V 368
). Damit ist es einer langdauernden, von ihm selbst mehrfach gebilligten Praxis entgegengetreten, die ihre Ursprünge im Bereich der obligatorischen
BGE 122 V 335 S. 336
Unfallversicherung hatte (vgl. dazu
BGE 120 V 370
ff. Erw. 5; RKUV 1988 Nr. U 48 S. 230; ferner MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 229 f. und MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 1985, S. 348 oben und 374 oben). Allerdings hat es in seinem Urteil unter anderem ausdrücklich die Frage offengelassen, welche Auswirkungen die für die Militärversicherung beschlossene Änderung der Rechtsprechung für den Bereich des UVG zeitigen werde (
BGE 120 V 373
Erw. 6c).
b) Diese Frage kann heute nicht anders beantwortet werden als für die Militärversicherung. Wie bereits erwähnt, gilt in beiden Versicherungszweigen derselbe Invaliditätsbegriff (
BGE 119 V 470
Erw. 2b mit Hinweisen). Sodann verlangt weder
Art. 18 UVG
noch das MVG einen bestimmten rentenbegründenden Invaliditätsgrad (
BGE 120 V 372
Erw. 6a), dies im Gegensatz zu
Art. 28 Abs. 1 IVG
. Hingegen kennt das UVG (Art. 35 Abs. 1) genauso wie das MVG (Art. 46 Abs. 1; vgl. ferner
Art. 37 Abs. 1 aMVG
) die Möglichkeit des Auskaufs geringer Renten. Dieser knüpft zwar - anders als in
Art. 46 Abs. 1 MVG
- nicht unmittelbar am Invaliditätsgrad an, sondern es wird das monatliche Rentenbetreffnis in bezug zur Hälfte des Höchstbetrages des versicherten Tagesverdienstes gesetzt, der sich gemäss
Art. 22 Abs. 1 UVV
in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung auf Fr. 267.-- beläuft (AS 1990 768). In Anbetracht dieser Referenzgrösse von rund Fr. 134.-- besteht selbst unter Berücksichtigung der Teilzeitarbeit mit entsprechend geringen versicherten Verdiensten (
BGE 119 V 482
Erw. 2c) kein Zweifel, dass auch das UVG die Existenz rentenbegründender Teilinvaliditäten von weniger als 10% voraussetzt.
c) Die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen, soweit sie nicht bereits durch
BGE 120 V 372
f. Erw. 6 widerlegt sind, eine unterschiedliche Behandlung von obligatorischer Unfall- und Militärversicherung in bezug auf die hier streitige Frage sachlich nicht zu begründen.
aa) So lässt sich nach dem Gesagten, insbesondere mit Blick auf den in allen sprachlichen Fassungen klaren und daher massgeblichen Gesetzeswortlaut (
BGE 120 V 102
E. 4a mit Hinweisen) die Behauptung nicht halten, dass der Rentenanspruch gemäss
Art. 18 UVG
eine "erhebliche" Verminderung der Erwerbsfähigkeit verlangen würde. Soweit demgegenüber im ebenfalls angerufenen
Art. 86 Abs. 1 lit. a VUV
tatsächlich von einer erheblichen Beeinträchtigung (des wirtschaftlichen Fortkommens) die Rede ist, kann dies für die
BGE 122 V 335 S. 337
Auslegung des höherrangigen Gesetzesrechts von vornherein nicht entscheidend sein, abgesehen davon, dass die Übergangsentschädigung im Sinne jener Bestimmung weder Arbeitsunfähigkeit noch Invalidität voraussetzt (
BGE 120 V 137
Erw. 4b, 138 f. Erw. 4c/bb).
bb) Aber auch der unter Hinweis auf OMLIN (Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, Freiburger Diss. 1995, S. 218) erhobene Einwand, Behinderungen untergeordneter Art und ein gewisses Mass an Schmerzen, wie sie nach Unfällen häufig zu beobachten seien, müssten vom Versicherten rechtsprechungsgemäss entschädigungslos hingenommen werden, überzeugt nicht. Denn das Eidg. Versicherungsgericht hat es nicht bei diesem Satz bewenden lassen, sondern in unmittelbarem Anschluss daran klargestellt, dass ein Rentenanspruch grundsätzlich dann besteht, wenn ein versicherter Gesundheitsschaden (...) beachtliche negative Erwerbsfolgen hinterlässt (EVGE 1967 S. 203 Erw. 1 mit Hinweis). Solche Folgen lassen sich unter der Geltung des UVG mit der darin vorgegebenen Methode der Invaliditätsbemessung (
Art. 18 Abs. 2 UVG
) indes nicht bereits deshalb ausschliessen, weil der Invaliditätsgrad weniger als 10% beträgt. Demgegenüber wirken sich jene Schmerzen und Behinderungen untergeordneter Art in erwerblicher Hinsicht eben überhaupt nicht oder nur sehr begrenzt aus, wobei auch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben kann, ob statt der bisherigen eine neue Grenze von beispielsweise 5% einzuführen ist (
BGE 120 V 373
Erw. 6c).
cc) Was schliesslich das in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angesprochene "Gegenstück" zur bisherigen unteren Limite anbelangt, dass nämlich bei Erwerbseinbussen von über 90% generell eine Vollrente gesprochen werde (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 374), lässt sich daraus nichts ableiten. Wie in der Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin zu Recht ausgeführt wird, folgt die erwähnte Praxis der aus den Gegebenheiten des Arbeitsmarktes gewonnenen Einsicht, wonach bei einer Erwerbsunfähigkeit von 90% und mehr die Verwertung des verbleibenden Leistungsvermögens unmöglich ist. Dass demgegenüber die entschädigungslose Hinnahme einer erwerblich bedeutsamen Teilinvalidität im Bereich von 5 bis 10% zumutbar sein sollte, kann daraus nicht gefolgert werden.
d) Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in
BGE 120 V 368
vollzogene Änderung der - in RKUV 1988 Nr. U 48 S. 230 letztmals publizierten - Rechtsprechung auf den Bereich der obligatorischen Unfallversicherung auszudehnen ist. | null | nan | de | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf67c24f-0e9f-4f4f-b037-a24c82e72757 | Urteilskopf
141 III 569
75. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. contre B.X. et D.X. (recours en matière civile)
4A_179/2015 du 16 décembre 2015 | Regeste
Art. 269a lit. a OR
,
Art. 11 VMWG
,
Art. 243 Abs. 2 lit. c und
Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO
; Miete, quartierübliche Mietzinse, beschränkte (oder soziale) Untersuchungsmaxime.
Begriff der quartierüblichen Mietzinse und Beweismass (E. 2.2).
Methode der fünf vergleichbaren Wohnungen: Anforderungen (E. 2.2.3).
Begriff und Tragweite der beschränkten (oder sozialen) Untersuchungsmaxime vor erster Instanz und im Berufungsverfahren (E. 2.3). | Sachverhalt
ab Seite 569
BGE 141 III 569 S. 569
A.
A.a
Par contrat du 27 décembre 1993, C.X. et B.X. ont pris à bail, à compter du 1
er
mars 1994, un appartement de 3,5 pièces de 79 m
2
au 2
e
étage d'un immeuble de 20 logements, construit en 1958, à Morges. (...) Le loyer mensuel net était de 1'155 fr., auquel s'ajoutait un acompte de 70 fr. pour le chauffage et l'eau chaude. (...)
A.b
La bailleresse a consenti, le 29 novembre 2002, à baisser le loyer au montant de 1'000 fr., plus l'acompte de 70 fr. pour les charges, à compter du 1
er
avril 2003, compte tenu de la baisse du taux hypothécaire de 4,5 à 3,75 %, compensée en partie par l'évolution de l'IPC du mois de septembre 2000 (107.7) au mois d'octobre 2002 (108.7).
Trois nouvelles demandes de baisse de loyer ont été présentées par les locataires (...), lesquelles ont été refusées par la bailleresse, au motif que le montant actuel du loyer correspondait aux loyers pratiqués dans le quartier.
BGE 141 III 569 S. 570
B.
Le 20 décembre 2012, les locataires ont présenté une nouvelle demande de baisse de loyer au montant de 870 fr. 03 à compter du 1
er
avril 2013, en invoquant la baisse du taux hypothécaire de 3,75 % à 2,25 % et la hausse de l'IPC (différence de 1,5 % impliquant une baisse de loyer de 15,25 %, corrigée par l'IPC de 2,32 %). La bailleresse n'y a pas répondu.
Le 7 février 2013, les locataires ont saisi la commission de conciliation en matière de baux à loyer, puis, la conciliation ayant échoué et une autorisation de procéder leur ayant été délivrée, ont déposé leur demande en diminution de loyer devant le Tribunal des baux du canton de Vaud le 11 avril 2013, concluant à ce que leur loyer mensuel soit fixé à 871 fr. 50, charges en sus, dès le 1
er
avril 2013. (...)
Le 9 octobre 2013, la Présidente du Tribunal des baux a invité la bailleresse à fournir différents titres, notamment:
"l'adresse et la désignation précise de cinq ou six appartements de comparaison de pièces situés dans la localité ou le quartier, satisfaisant aux critères de l'
art. 11 al. 1 OBLF
(logements comparables à la chose louée quant à l'emplacement, la dimension, l'équipement, l'état et l'année de construction) et de la jurisprudence du Tribunal fédéral" et "tous justificatifs des caractéristiques de ces appartements".
Par jugement du 16 mai 2014, le Tribunal des baux a admis la demande et fixé le loyer au montant demandé par les locataires, sur la base du taux d'intérêt hypothécaire de 2,25 % et de l'indice suisse des prix à la consommation de 115.00 points (décembre 2012; base: 1993). Il a rejeté le moyen que la bailleresse avait tiré des loyers usuels du quartier.
Statuant le 9 janvier 2015, la Cour d'appel civile du Tribunal cantonal a rejeté l'appel de la bailleresse et confirmé le jugement de première instance (...).
C.
Contre cet arrêt, la bailleresse a interjeté un recours en matière civile au Tribunal fédéral le 25 mars 2015, concluant principalement, sur le fond, au rejet de la demande et, subsidiairement, à l'annulation de l'arrêt attaqué et au renvoi de la cause à l'autorité cantonale pour nouvelle décision dans le sens des considérants. (...)
C.X. est décédé le 18 avril 2015 et ses héritiers, à savoir son épouse et son fils, ont remplacé celui-ci à la procédure. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(extrait)
BGE 141 III 569 S. 571
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les locataires ont demandé la réduction de leur loyer en invoquant la baisse du taux hypothécaire; la bailleresse s'y est opposée en invoquant que le loyer actuel correspond aux loyers usuels du quartier. La cour cantonale a rejeté l'exception de la bailleresse et accordé la baisse de loyer requise par les locataires. La bailleresse lui reproche d'avoir violé la maxime inquisitoire et d'avoir rejeté à tort son exception.
2.1
Aux termes de l'
art. 270a al. 1 CO
, le locataire peut contester le montant du loyer et en demander la diminution pour le prochain terme de résiliation, s'il a une raison d'admettre que la chose louée procure au bailleur un rendement excessif au sens des
art. 269 et 269a CO
, à cause d'une notable modification des bases de calcul, résultant en particulier d'une baisse des frais.
2.1.1
Lorsque le locataire demande la diminution du loyer en raison de la baisse du taux hypothécaire de référence, le juge applique la méthode relative (
ATF 126 III 124
consid. 2a p. 126 s. et les arrêts cités), mais en poursuivant son examen rétrospectif jusqu'à la dernière modification du loyer consécutive à une variation du taux hypothécaire (
ATF 133 III 61
consid. 3.2.2.2 p. 72 s.; arrêt 4A_489/2010 du 6 janvier 2011 consid. 4.1). Cette méthode consiste, à partir des bases de calcul de la dernière fixation du loyer, à examiner comment ces bases ont évolué et si elles justifient une adaptation du loyer (
ATF 120 II 240
consid. 2 p. 242 s.); elle permet de tenir compte non seulement de la dernière baisse du taux hypothécaire, mais de toutes les variations du taux hypothécaire antérieures non prises en considération depuis la dernière fixation du loyer (arrêt 4A_489/2010 précité consid. 4.1). Une modification de 1/4 % du taux hypothécaire de référence suffit pour modifier le loyer (art. 13 al. 1 et 2 de l'ordonnance du 9 mai 1990 sur le bail à loyer et le bail à ferme d'habitations et de locaux commerciaux [OBLF; RS 221.213.11]).
2.1.2
Le bailleur peut s'opposer à la demande de baisse du loyer fondée sur la méthode relative, en excipant que le loyer n'est pas abusif malgré la modification des bases de calcul, puisque, selon la méthode absolue, il ne lui procure pas un rendement abusif (
ATF 121 III 163
consid. 2 p. 164 ss). Il peut opposer alternativement, soit que le rendement net de la chose louée n'est pas excessif (
art. 269 CO
), soit que le montant du loyer correspond aux loyers usuels dans la
BGE 141 III 569 S. 572
localité ou le quartier et qu'ils ne sont donc pas abusifs (
art. 269a let. a CO
) (
ATF 122 III 257
consid. 4 p. 261 s.).
2.2
Lorsque le bailleur invoque cette seconde alternative, soit, en raccourci, celle des loyers usuels, l'
art. 11 OBLF
détermine les loyers déterminants pour le calcul de ceux-là: il s'agit des loyers de logements comparables à la chose louée quant à l'emplacement, la dimension, l'équipement, l'état et l'année de construction (al. 1), à l'exclusion des loyers découlant du fait qu'un bailleur ou un groupe de bailleurs domine le marché (al. 3). Les statistiques officielles doivent être prises en considération (al. 4). Ces prescriptions correspondent à celles de l'ancien droit, qui figuraient à l'art. 15 al. 1 let. a de l'arrêté fédéral du 30 juin 1972 instituant des mesures contre les abus dans le secteur locatif (AMSL; RO 1972 1531) (seul le critère de la dimension y a été expressément ajouté; cf.
ATF 123 III 317
consid. 4 p. 319 et la référence à la doctrine).
2.2.1
Le juge cantonal doit procéder à des comparaisons concrètes, à la lumière des critères de l'
art. 11 OBLF
. La détermination des loyers usuels ne peut pas s'effectuer sur la base d'une "impression d'ensemble" (arrêt 4A_612/2012 du 19 février 2013 consid. 3.2.2). Pour pouvoir tirer des conclusions qui offrent quelque sécurité, le juge cantonal doit pouvoir se fonder soit sur des statistiques officielles (
art. 11 al. 4 OBLF
), qui doivent tenir compte de l'évolution récente des loyers, soit sur au minimum cinq logements de comparaison, qui présentent, pour l'essentiel, les mêmes caractéristiques que le logement litigieux quant aux critères de l'
art. 11 al. 1 OBLF
, soit quant à l'emplacement, la dimension, l'équipement, l'état et l'année de construction, tout en tenant compte de l'évolution récente de leurs loyers (
ATF 136 III 74
consid. 3.1 p. 80;
ATF 123 III 317
consid. 4a p. 319 et consid. 4d p. 325). En effet, les loyers de référence doivent eux-mêmes ne pas être abusifs; il est donc nécessaire, en principe, de les adapter aux baisses du taux hypothécaire survenues, en règle générale, depuis la date de la dernière fixation du loyer (
ATF 127 III 411
consid. 5a p. 414), ce qui nécessite de connaître leur taux hypothécaire de référence. La législation relative à la protection contre les loyers abusifs a précisément pour but d'éviter que le bailleur n'obtienne un rendement excessif de la chose louée. Or, il serait contraire à ce but de prendre comme éléments de comparaison, pour juger du caractère abusif d'un loyer donné, des loyers qui sont eux-mêmes abusifs parce que les bailleurs concernés ne les ont pas adaptés à l'évolution des facteurs de baisse. L'
art. 11 al. 3 OBLF
va d'ailleurs dans
BGE 141 III 569 S. 573
ce sens, en tant qu'il exclut la prise en considération des loyers découlant du fait qu'un bailleur ou un groupe de bailleurs domine le marché. Il en ressort clairement que la détermination des loyers usuels ne saurait obéir aux seules lois du marché (
ATF 123 III 317
consid. 4d p. 325;
ATF 127 III 411
consid. 5a p. 412 ss;
ATF 136 III 74
consid. 3.1 p. 80).
La notion de loyers usuels est une notion de droit matériel (
art. 269a let. a CO
). Dès lors qu'on ne se trouve pas dans un cas dans lequel, au vu de sa nature, une preuve certaine est objectivement impossible à apporter ou ne peut pas être raisonnablement exigée (Beweisnot), une réduction du degré de la preuve à la vraisemblance prépondérante (überwiegende Wahrscheinlichkeit) n'entre pas en ligne de compte. De simples difficultés de preuve dans un cas particulier ne sauraient en effet justifier une réduction du degré de la preuve, sous peine de créer une entorse au système légal, tel qu'il a été voulu par le législateur fédéral (
ATF 123 III 317
consid. 4d p. 325). La preuve des loyers usuels doit donc être apportée au degré de la certitude (ou preuve stricte;
Gewissheit
): le juge doit acquérir, en se fondant sur des éléments objectifs, la conviction de l'existence de ce fait; une certitude absolue n'est pas nécessaire, mais il faut qu'il n'y ait aucun doute sérieux ou, à tout le moins, que les doutes qui subsistent paraissent légers (arrêt 4A_472/2007 du 11 mars 2008 consid. 2.4 in fine; sur les degrés de la preuve en général, cf.
ATF 130 III 321
consid. 3.2; arrêt 5C.97/2005 du 15 septembre 2005 consid. 4.4.2, publié partiellement in SJ 2006 I p. 271).
S'agissant d'une question de droit, le Tribunal fédéral peut la revoir librement. L'autorité cantonale de recours doit indiquer exactement les critères de comparaison sur lesquels elle s'est fondée de sorte que le Tribunal fédéral puisse contrôler si les loyers usuels ont été établis conformément au droit fédéral (
ATF 136 III 74
consid. 2.2.1 p. 77; 4A_612/2012 du 19 février 2013 consid. 3.2).
Lorsque le locataire demande la diminution du loyer en se basant sur la baisse du taux hypothécaire et que le bailleur excipe des loyers usuels de la localité ou du quartier, le bailleur supporte le fardeau de la preuve des loyers usuels (
ATF 121 III 163
consid. 2d/aa p. 165).
2.2.2
Les statistiques officielles doivent satisfaire aux exigences de l'
art. 11 al. 1 OBLF
. Elles ne peuvent être prises en considération que si elles contiennent des données chiffrées, suffisamment différenciées et dûment établies sur l'emplacement, la dimension,
BGE 141 III 569 S. 574
l'équipement et l'état de la chose louée, comme aussi sur la période de construction (
ATF 123 III 317
consid. 4a p. 319; arrêts 4C.176/2003 du 13 janvier 2004 consid. 3; 4A_412/2009 du 15 décembre 2009 consid. 4, non publié à l'
ATF 136 III 74
; 4A_669/2010 du 28 avril 2011 consid. 6.1).
2.2.3
Le bailleur peut aussi apporter la preuve des loyers usuels en fournissant au moins cinq logements de comparaison avec leurs caractéristiques et les bases de calcul de leur loyers, accompagnés de toutes les pièces justificatives. Pour que le juge puisse en tirer des conclusions certaines, il faut que ces cinq éléments de comparaison présentent, pour l'essentiel, les mêmes caractéristiques que le logement litigieux quant à l'emplacement, la dimension, l'équipement, l'état et l'année de construction (
art. 11 al. 1 OBLF
;
ATF 123 III 317
consid. 4a p. 319), et il faut tenir compte de l'évolution des loyers comparatifs au regard du taux hypothécaire et de l'IPC (
ATF 136 III 74
consid. 3.1 p. 80;
ATF 123 III 317
consid. 4a p. 319 et consid. 4d p. 325).
En ce qui concerne en particulier la dimension de l'appartement, l'indication du nombre de pièces et la surface sont des données importantes (arrêt 4C.55/2001 du 4 juillet 2001 consid. 4b/ff, non publié aux
ATF 127 III 411
). Le nombre de pièces revêt en principe une importance primordiale pour les appartements de petites dimensions, ce qui exclut généralement toute possibilité de comparaison entre des logements ne comprenant pas le même nombre de pièces (
ATF 136 III 74
consid. 3.2.2 p. 81). En revanche, lorsque l'appartement litigieux est de grandes dimensions, le fait que les logements comparatifs aient une demi-pièce ou une pièce de moins, et donc le critère du nombre de pièces, peut apparaître moins important que la surface du logement (
ATF 123 III 317
consid. 4b/cc); il a ainsi souvent été admis, pour de grands logements, que l'appartement litigieux pouvait être comparé avec des logements comparatifs dont la surface était de plus ou moins 20 % (différence de surfaces/surface de l'appartement litigieux = x %) (cf.
ATF 136 III 74
consid. 3.2.2 in fine p. 82).
Dans l'application de cette méthode, puisque la comparaison est effectuée non à l'aide de statistiques officielles établies sur la base de très nombreux appartements, mais avec seulement cinq logements de comparaison, il s'impose de se montrer particulièrement strict dans l'admissibilité des logements qui peuvent être pris en considération dès lors que le tribunal doit pouvoir en tirer des conclusions
BGE 141 III 569 S. 575
certaines. En outre, puisqu'il s'agit pour le tribunal de comparer des logements, un certain schématisme est nécessaire pour garantir la prévisibilité du droit et l'égalité de traitement. Cela ne signifie évidemment pas que, lorsque les cinq éléments apportés par le bailleur peuvent être schématiquement comparés à l'appartement litigieux parce qu'ils présentent des caractéristiques communes, le tribunal ne puisse pas procéder encore à une pesée des avantages et inconvénients de l'appartement litigieux (
ATF 123 III 317
consid. 4d p. 325 s.).
Il s'ensuit que le fait que l'appartement litigieux soit plus grand et ait un loyer moins élevé que le logement de comparaison qui est plus petit n'est pas un critère déterminant. En l'absence de statistiques officielles (
art. 11 al. 4 OBLF
), on ne saurait exiger du juge, qui doit pouvoir procéder à une comparaison schématique, de pondérer différents éléments, par exemple compenser une différence de surface avec un environnement plus calme ou un loyer moindre.
2.3
Le procès en diminution du loyer est soumis à la procédure simplifiée, quelle que soit la valeur litigieuse (
art. 243 al. 2 let
. c CPC). En vertu de l'
art. 247 al. 2 let. a CPC
, le tribunal doit établir les faits d'office (
von Amtes wegen feststellen
).
2.3.1
Il s'agit là de la maxime inquisitoire simple, et non de la maxime inquisitoire illimitée de l'
art. 296 al. 3 CPC
(von Amtes wegen erforschen); la doctrine et la jurisprudence la qualifient aussi de maxime inquisitoire sociale. Elle a pour but de protéger la partie faible au contrat, de garantir l'égalité entre les parties au procès et d'accélérer la procédure (
ATF 125 III 231
consid. 4a p. 238).
Selon la volonté du législateur, le tribunal n'est soumis qu'à une obligation d'interpellation accrue. Comme sous l'empire de la maxime des débats, applicable en procédure ordinaire, les parties doivent recueillir elles-mêmes les éléments du procès. Le tribunal ne leur vient en aide que par des questions adéquates afin que les allégations nécessaires et les moyens de preuve correspondants soient précisément énumérés. Mais il ne se livre à aucune investigation de sa propre initiative. Lorsque les parties sont représentées par un avocat, le tribunal peut et doit faire preuve de retenue, comme dans un procès soumis à la procédure ordinaire (Message du 28 juin 2006 relatif au code de procédure civile suisse [ci-après: Message CPC], FF 2006 6841, 6956 ch. 5.16 ad art. 242 et 243 avec référence à l'arrêt 4C.211/2004 du 7 septembre 2004 consid. 2.1; cf. également sous l'empire de l'
art. 274d al. 3 CO
, l'arrêt 4A_397/2011 du 11 février 2014 consid. 4.4).
BGE 141 III 569 S. 576
2.3.2
Ainsi, conformément à la jurisprudence rendue sous l'empire des anciens art. 274d al. 3 et 343 al. 4 CO, en première instance, les parties doivent renseigner le juge sur les faits de la cause et lui indiquer les moyens de preuve propres à établir ceux-ci. De son côté, le juge doit les informer de leur devoir de coopérer à la constatation des faits et à l'administration des preuves. Il doit les interroger pour s'assurer que leurs allégués de fait et leurs offres de preuves sont complets s'il a des motifs objectifs d'éprouver des doutes sur ce point. Son rôle ne va toutefois pas au-delà (à propos de l'ancien
art. 274d al. 3 CO
, cf.
ATF 136 III 74
consid. 3.1 p. 80;
ATF 125 III 231
consid. 4a p. 238 s.; à propos de l'ancien
art. 343 al. 4 CO
, cf.
ATF 107 II 233
consid. 2c).
C'est dans ce sens qu'il y a lieu de comprendre le "devoir du juge de rechercher des preuves" évoqué dans l'
ATF 139 III 13
consid. 3.2; si le juge a des motifs objectifs de soupçonner que les allégués et offres de preuves d'une partie sont lacunaires, et qu'il a connaissance, sur la base des déclarations des parties et/ou du dossier, de moyens de preuve pertinents, "il n'est pas lié par l'offre de preuve" de cette partie. Toutefois, lorsque les parties sont représentées par un avocat, le tribunal peut et doit faire preuve de retenue, comme dans un procès soumis à la procédure ordinaire (Message CPC, loc. cit.). Il n'appartient en effet pas au juge de fouiller le dossier pour tenter d'y trouver des moyens de preuve en faveur d'une partie (arrêt 4A_491/2014 du 30 mars 2015 consid. 2.6.1). Si, contrairement à ce qu'on serait en droit d'attendre d'elle, une partie ne collabore pas à l'administration des preuves, celle-ci peut être close. La maxime inquisitoire simple ne doit pas servir à étendre à volonté la procédure probatoire et à administrer tous les moyens de preuve possibles (arrêt 4A_491/2014 déjà cité consid. 2.6.1;
ATF 125 III 231
consid. 4a).
2.3.3
En instance d'appel, la maxime inquisitoire simple ne dispense pas le recourant de motiver son appel, la motivation de l'acte de recours étant indispensable au déroulement régulier de la procédure d'appel (
art. 311 al. 1 CPC
; à propos de l'ancien
art. 274d al. 3 CO
, cf.
ATF 118 III 50
consid. 2a). Il lui incombe de démontrer le caractère erroné de la motivation attaquée. Pour satisfaire à cette exigence, il ne lui suffit pas de renvoyer aux moyens soulevés en première instance, ni de se livrer à des critiques toutes générales de la décision attaquée; sa motivation doit être suffisamment explicite pour que l'instance d'appel puisse la comprendre aisément, ce qui suppose une désignation précise des passages de la décision que le recourant
BGE 141 III 569 S. 577
attaque et des pièces du dossier sur lesquelles repose sa critique (
ATF 138 III 374
consid. 4.3.1; pour la maxime inquisitoire illimitée de l'
art. 296 al. 3 CPC
, cf.
ATF 137 III 617
consid. 4.2.2 p. 619). Les allégués de fait et les offres de preuves nouveaux sont irrecevables, sous réserve de l'exception prévue par l'
art. 317 al. 1 CPC
(
ATF 138 III 625
consid. 2.1 et 2.2). Il s'ensuit que la cour cantonale peut refuser de prendre en considération un fait ou un moyen de preuve nouveau si le juge de première instance a pu l'ignorer sans méconnaître la maxime inquisitoire simple (
ATF 138 III 374
consid. 4.3.2 p. 376 s.; à propos de l'ancien
art. 274d al. 3 CO
, cf.
ATF 118 III 50
consid. 2a).
3.
3.1
La bailleresse recourante se plaint tout d'abord de la violation de la maxime inquisitoire (
art. 247 al. 2 let. a CPC
).
Il ressort des constatations de fait que, par ordonnance du 9 octobre 2013, le tribunal des baux a invité la bailleresse à fournir l'adresse et la désignation précise d'au moins cinq appartements de comparaison situés dans la localité ou le quartier, appartenant à des propriétaires différents et avec tous les justificatifs de leurs caractéristiques.
Le tribunal n'avait pas, à réception des éléments comparatifs fournis par la bailleresse, à lui signaler que ses offres de preuves étaient impropres à établir le fait allégué - les loyers usuels - et l'inviter à fournir de nouvelles informations adéquates. Puisque le tribunal ne doit interroger la partie pour s'assurer que ses allégués de fait et ses offres de preuves sont complets que s'il a des motifs objectifs d'éprouver des doutes sur ce point, cela ne signifie pas qu'il doive lui signaler que ses offres de preuves en soi complètes sont insuffisantes pour fonder son point de vue et entraîner la reconnaissance de son droit. Il ne faut en effet pas confondre la lacune dans les pièces produites et la pertinence de celles-ci. De surcroît, comme la bailleresse était représentée par un avocat, le tribunal devait s'imposer une certaine retenue, comme en procédure ordinaire, ainsi que l'a voulu le législateur.
Comme on l'a vu ci-dessus, c'est à tort que la bailleresse recourante croit pouvoir déduire de l'arrêt 4A_198/2014 et de l'
ATF 139 III 13
que le juge devrait rechercher lui-même des moyens de preuve et, partant, qu'il aurait violé son devoir d'établissement des faits d'office. Selon la volonté du législateur, le tribunal doit seulement inviter les parties à compléter leurs allégués et leurs offres de preuves, mais il ne se livre à aucune investigation de sa propre initiative.
BGE 141 III 569 S. 578
Enfin, contrairement à ce qu'a retenu la cour cantonale, la maxime des débats atténuée de l'
art. 247 al. 1 CPC
n'est pas applicable dans les procès en matière de bail de l'
art. 243 CPC
, l'étendue du pouvoir du juge sous l'empire de la maxime inquisitoire simple allant par ailleurs au-delà du devoir d'interpellation renforcé du juge introduit par cette disposition. C'est également pour les mêmes motifs que l'
art. 56 CPC
est inapplicable.
Il s'ensuit que le tribunal des baux a satisfait à son devoir d'interpellation découlant de la maxime inquisitoire simple, ce d'autant que la bailleresse était représentée par un avocat.
3.2
La bailleresse recourante reproche ensuite à la cour cantonale de n'avoir pas pris en considération, pour la détermination des loyers usuels, des statistiques privées produites - soit des extraits de la brochure "Immo-Monitoring 2012-2013" censés attester des loyers moyens pour un appartement de 4 pièces à Morges - et des offres de location du site internet
www.immoscout.ch
3.2.1
Se référant à l'
ATF 136 III 74
consid. 2.2.1 et à l'arrêt 4A_58/2013 du 16 mai 2013 consid. 4.2.2, ainsi qu'à des auteurs de doctrine, la bailleresse recourante soutient que la doctrine et la jurisprudence insistent sur le fait qu'il est difficile de trouver des informations pertinentes (et des documents) pour une comparaison, et donc qu'il suffirait d'alléguer l'adresse, l'étage et le nombre de pièces du logement de comparaison en invoquant qu'il est comparable à l'objet litigieux. Elle estime qu'au vu de l'inexistence de statistiques officielles et de la grande difficulté d'apporter des éléments de comparaison et pour ne pas nier le critère des loyers comparatifs, il y a lieu de se ranger à l'avis de la doctrine estimant que des statistiques privées ne devraient pas être considérées comme inaptes. Elle relève qu'elles sont établies par des professionnels du milieu et paraissent tout aussi légitimes, voire plus pertinentes que des statistiques émanant d'une autorité fédérale ou cantonale. Elle reproche à la cour cantonale de n'avoir pas précisé en quoi ces statistiques professionnelles seraient dénuées de toute force probante et soutient que l'on ne saurait présumer que le milieu professionnel des bailleurs veut induire en erreur les locataires et les autorités. Si elle reconnaît que les annonces immobilières d'immoscout.ch ne peuvent pas servir de preuve principale, elle soutient qu'elles démontrent l'état de l'offre immobilière dans le quartier et ne sont donc pas dénuées d'intérêt.
3.2.2
Comme on l'a vu (cf. supra consid. 2.2.3), il s'agit pour le juge de procéder à une comparaison concrète, qui lui permette de tirer des
BGE 141 III 569 S. 579
déductions sûres quant au montant des loyers usuels. Dans la mesure où les statistiques proposées ne sont pas suffisamment différenciées en fonction de la situation, de la dimension, de l'agencement, de l'état de la chose louée et de l'année de construction du bâtiment, elles ne permettent pas au juge d'acquérir une certitude pour déterminer le loyer usuel dans le cas litigieux. Il ne peut en effet ni se contenter d'une vraisemblance prépondérante, ni se fonder sur son impression générale.
Les offres de location ne satisfont pas non plus à ces exigences.
Il s'ensuit que les griefs de la recourante sont infondés.
3.3
En l'absence de statistiques officielles au sens de l'
art. 11 al. 4 OBLF
, la jurisprudence a admis que le bailleur puisse apporter la preuve des loyers usuels en fournissant au moins cinq éléments (logements) de comparaison. La cour cantonale a nié toute possibilité de comparaison avec les logements comparatifs, trois critères faisant déjà défaut: la dimension, l'emplacement et les doubles vitrages. | null | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cf68174d-2902-4e00-a622-dd592d25b72e | Urteilskopf
116 IV 4
2. Urteil des Kassationshofes vom 27. April 1990 i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 63 und
Art. 48 Ziff. 2 StGB
;
Art. 163-165 ZGB
.
Grundsätze für die Bussenbemessung beim haushaltführenden Ehegatten. | Sachverhalt
ab Seite 4
BGE 116 IV 4 S. 4
A.-
Frau X. wurde am 14. April 1989 vom Gerichtspräsidenten IX von Bern des Fahrens in angetrunkenem Zustand schuldig gesprochen und mit 14 Tagen Gefängnis bedingt, Probezeit 2 Jahre, sowie mit einer Busse von Fr. 2'000.-- bestraft.
B.-
Dagegen erklärte sie bezüglich der Bussenhöhe zunächst die Appellation, welche sie in der Folge aber wieder zurückzog.
C.-
Auch die Staatsanwaltschaft Bern Mittelland erklärte die Appellation. Diese beschränkte der Generalprokurator auf die Frage der Strafzumessung mit der Präzisierung, dass ausschliesslich die Bemessung der Busse zu überprüfen sei.
D.-
Mit Urteil vom 31. August 1989 erhöhte das Obergericht des Kantons Bern die Busse auf Fr. 4'000.--.
E.-
Gegen dieses Urteil führt Frau X. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei.
F.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
a) Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Frage, dass sie kumulativ zu der bedingt ausgesprochenen Gefängnisstrafe zu einer Busse zu verurteilen ist. Zu überprüfen ist deshalb einzig die Höhe dieser Geldstrafe.
b) Das Obergericht ist bei der Festsetzung der Bussenhöhe von folgenden Erwägungen ausgegangen: Praxisgemäss werde bei einem Schuldspruch wegen Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand und Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe zusätzlich eine Busse ausgefällt; diese betrage nach den
BGE 116 IV 4 S. 5
Richtlinien des Gerichtspräsidentenverbandes in der Regel 1/4 bis 1/3 des monatlichen Nettoeinkommens. Bei der Bussenbemessung sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Busse als zweite Sanktion zu einer strafrechtlich schwerer ins Gewicht fallenden, bereits rechtskräftigen Freiheitsstrafe von 14 Tagen Gefängnis bedingt hinzutrete; die Busse habe unter diesen Umständen nicht die Funktion, das Verschulden vollständig abzugelten. Die erwähnten Richtlinien seien sodann nicht schematisch anzuwenden, da sie die im Gesetz neben
Art. 63 StGB
enthaltene Strafzumessungsregel bei Bussen,
Art. 48 Ziff. 2 StGB
, nicht aufzuheben vermöchten.
Die Vorinstanz führt weiter aus, die Anwendung der Richtlinien bereite vorliegend Schwierigkeiten, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen realisiere die Beschwerdeführerin als Hausfrau und Betreuerin zweier schulpflichtiger Kinder kein eigenes Erwerbseinkommen und verfüge anscheinend auch über kein Einkommen aus Vermögen; zum andern seien die finanziellen Verhältnisse der Familie, insbesondere des Ehemannes, nur in ungenügendem Mass bekannt. Die Beschwerdeführerin habe aber anerkannt, dass das Bruttoeinkommen ihres Ehemannes monatlich "höchstens Fr. 27'500.--" betrage; dabei sei sie zu behaften.
Die Vorinstanz fährt fort, bei der Ermittlung des für die Bussenbemessung massgebenden Einkommens der Beschwerdeführerin liege es nahe, die eherechtlichen Bestimmungen heranzuziehen. Relevant seien dabei die
Art. 159 und 163 ZGB
;
Art. 164 ZGB
sei demgegenüber nicht zu berücksichtigen, da diese Bestimmung von einem "Betrag zur freien Verfügung" spreche. Dieser Betrag zur freien Verfügung stelle keinen Hausfrauenlohn dar; andernfalls dürfte bei der Bestrafung des erwerbstätigen Ehegatten auch nur der Betrag zur freien Verfügung zur Bemessung der Busse herangezogen werden, was jedoch den genannten Richtlinien und auch dem Sinn der Busse widerspreche. Zur Festlegung des für die Bemessung der Busse ausschlaggebenden "Einkommens" der Beschwerdeführerin sei auf
Art. 163 ZGB
abzustellen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass alle in dieser Bestimmung erwähnten Formen der Beitragsleistung grundsätzlich gleichwertig seien. Deshalb sei davon auszugehen, die Beitragsleistungen des haushaltführenden Ehegatten seien denjenigen gleichwertig, die durch Erwerbstätigkeit erlangt würden. Das Einkommen der Beschwerdeführerin sei somit auf ungefähr die Hälfte des Erwerbseinkommens des Ehemannes zu veranschlagen. Bei Anwendung der Richtlinien des bernischen Gerichtspräsidentenverbandes ergebe sich demnach
BGE 116 IV 4 S. 6
eine Busse von Fr. 4'000.--. Dieser Betrag entspreche auch dem Verschulden der Beschwerdeführerin.
c) Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, die Vorinstanz habe bei der Bussenbemessung
Art. 48 und 63 StGB
verletzt; einerseits habe sie
Art. 159, 163 und 164 ZGB
falsch ausgelegt, andererseits gehe sie zu Unrecht davon aus, dass eine Busse von Fr. 4'000.--, zusammen mit einer 14tägigen bedingten Gefängnisstrafe, den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin gerecht werde.
2.
Wie die Vorinstanz zutreffend darlegt, liegt der Schwerpunkt der Bestrafung der Beschwerdeführerin in der nicht umstrittenen bedingten Strafe von 14 Tagen Gefängnis. Die Kumulation dieser bedingten Gefängnisstrafe mit der ausgesprochenen Busse findet ihre Grundlage in
Art. 91 Abs. 1 SVG
i.V.m.
Art. 50 Abs. 2 StGB
.
a) Auszugehen ist bei der Bussenbemessung von den
Art. 63 und 48 StGB
. Gemäss
Art. 63 StGB
misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen.
Art. 48 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
schreibt dem Richter im weiteren vor, den Betrag einer Busse je nach den Verhältnissen des Täters so zu bestimmen, dass dieser durch die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist. Für die Verhältnisse des Täters sind nach
Art. 48 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
namentlich von Bedeutung sein Einkommen und sein Vermögen, sein Familienstand und seine Familienpflichten, sein Beruf und Erwerb, sein Alter und seine Gesundheit. Damit wird nicht von der allgemeinen Strafzumessungsregel des
Art. 63 StGB
abgewichen, sondern diese im Hinblick auf die Besonderheiten der Busse verdeutlicht. Es soll vermieden werden, dass die auszufällende Busse den wirtschaftlich Schwachen härter trifft als den wirtschaftlich Starken. Auch bei der Bemessung der Busse ist also zunächst das Verschulden des Täters zu ermitteln und sodann, in einem weiteren Schritt, deren Höhe anhand der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldigen sowie der weiteren in
Art. 48 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
genannten Umstände festzusetzen (
BGE 114 Ib 31
;
BGE 101 IV 16
f.;
BGE 92 IV 5
E. 1; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil II, S. 181).
b) Im Rahmen der in
Art. 63 und 48 StGB
enthaltenen Grundsätze entscheidet der Richter nach seinem Ermessen. Nach ständiger Rechtsprechung greift der Kassationshof in dieses nur ein,
BGE 116 IV 4 S. 7
wenn der kantonale Richter den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn er nicht von den rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder die Strafe in Ermessensüberschreitung unhaltbar hart oder milde angesetzt hat (
BGE 107 IV 62
;
BGE 101 IV 328
/29;
114 Ib 31
).
c) Für die Bemessung einer Busse, die, wie vorliegend, neben einer bedingt ausgesprochenen Gefängnisstrafe verhängt werden soll, haben sich in einzelnen Kantonen Richtlinien herausgebildet, die eine gleichmässige Strafzumessung gewährleisten sollen. Auch wenn diese Richtlinien nicht Gesetzeskraft haben, sondern stets im Einzelfall aufgrund der gesetzlichen Bussenbemessungskriterien zu konkretisieren sind (vgl.
BGE 114 Ib 32
zu den Richtlinien der Eidgenössischen Steuerverwaltung für die Strafbemessung bei Steuerhinterziehung), bilden sie dennoch im Regelfall den Ausgangspunkt für die richtige Bemessung der Busse. Weil sie an die in
Art. 48 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
genannten Kriterien des Einkommens und Vermögens des Täters anknüpfen, ist die Frage, von welchem Einkommen beim nichterwerbstätigen haushaltführenden Ehegatten auszugehen ist, eine solche des Bundesrechts, die im Verfahren auf eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde überprüft werden kann. Geprüft werden kann auch die richtige Anwendung des Eherechts, soweit dieses im Rahmen der Bussenbemessung relevant ist.
3.
Das Problem der Bussenbemessung bei einem haushaltführenden Ehegatten ist im deutschen Recht ausführlich diskutiert worden. Ein Abstellen auf das halbe Einkommen des erwerbstätigen Gatten entsprechend dem Standpunkt der Vorinstanz wird dabei weitgehend abgelehnt (HORN, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl.,
§ 40 N 8
) und als Faustregel dem haushaltführenden Gatten ein Anteil von 20% des Nettoeinkommens des erwerbstätigen Ehepartners zugerechnet (eingehend zur Problematik RUTH-ELLEN SCHAEFFER, Die Bemessung der Tagessatzhöhe unter Berücksichtigung der Hausfrauenproblematik, Diss. Tübingen 1977, S. 93 ff.).
In der Schweizer Rechtsprechung und Literatur ist das genannte Problem demgegenüber bisher nicht näher erörtert worden (vgl. BEAT VOSER, Die Eignung der Busse zur Ersetzung der kurzen Freiheitsstrafen, Diss. Basel 1985, S. 53). Es sind deshalb hier die Grundsätze zu entwickeln, nach denen die Bussenbemessung gegenüber dem haushaltführenden Ehegatten zu erfolgen hat.
BGE 116 IV 4 S. 8
a) Zunächst ist festzuhalten, dass es bei der Bussenbemessung gegenüber dem Hausgatten allein angehen kann, sein Einkommen und Vermögen in Rechnung zu stellen, nicht jenes seines erwerbstätigen Partners. Eine andere Lösung würde den höchstpersönlichen Charakter der Strafe missachten und wäre mit Blick auf
Art. 48 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
, wonach bei der Festsetzung der Bussenhöhe auf das Einkommen und Vermögen des Täters abzustellen ist, gesetzwidrig.
Zu beachten ist weiter, dass es keine Rolle spielen kann, aus welcher Quelle die Einkünfte des Täters stammen; entscheidend ist seine tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit (vgl.
BGE 90 IV 155
/56, wo bei der Festsetzung der Bussenhöhe das Taschengeld eines Studenten in Rechnung gestellt wurde).
b) Als Einkommen des haushaltführenden Ehegatten zu berücksichtigen ist danach zunächst ein allfälliger Nebenerwerb. Fehlt ein solcher, so ist allein auf jene Einkünfte abzustellen, die dem Hausgatten aus Eherecht zufliessen bzw. zustehen. Solche Einkünfte können sich je nach den Gegebenheiten des Einzelfalles aus dem Taschengeld, dem Betrag zur freien Verfügung nach
Art. 164 ZGB
und allenfalls auch aus Entschädigungen nach
Art. 165 ZGB
zusammensetzen.
Der Anspruch auf Taschengeld ergibt sich aus
Art. 163 ZGB
(vgl.
BGE 114 III 85
; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Kommentar zum Eherecht,
Art. 163 N 10
).
Art. 164 ZGB
erweitert, wo es die Verhältnisse der Ehegatten erlauben, für den haushaltführenden, kinderbetreuenden oder im Beruf oder Gewerbe mitarbeitenden Ehegatten den Bereich der persönlichen Bedürfnisse über den Anspruch auf ein blosses Taschengeld hinaus auf einen angemessenen Betrag zur freien Verfügung (
BGE 114 III 85
). Dieser Betrag zur freien Verfügung soll es dem Ehegatten, der den Haushalt besorgt, auch in guten finanziellen Verhältnissen erlauben, den gleichen Lebensstandard wie sein erwerbstätiger Gatte zu führen (vgl.
BGE 114 II 305
E. 4 sowie HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
Art. 164 N 8
ff.). Ist ein Betrag zur freien Verfügung geschuldet, so ist darin das gemäss
Art. 163 ZGB
auszurichtende Taschengeld inbegriffen (
BGE 114 III 85
/86).
Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach
Art. 165 ZGB
schliesslich hat ein Ehegatte, der im Beruf oder Gewerbe des andern erheblich mehr mitgearbeitet hat, als sein Beitrag an den Unterhalt der Familie verlangt (Abs. 1); dies gilt auch, wenn ein Ehegatte aus seinem Einkommen oder Vermögen an den Unterhalt
BGE 116 IV 4 S. 9
der Familie bedeutend mehr beigetragen hat, als er verpflichtet war (Abs. 2). Ein Ehegatte kann aber keine Entschädigung fordern, wenn er seinen ausserordentlichen Beitrag aufgrund eines Arbeits-, Darlehens- oder Gesellschaftsvertrages oder eines andern Rechtsverhältnisses geleistet hat (Abs. 3).
4.
Die Beschwerdeführerin lebt in einer typischen Hausgattenehe. Sie besorgt den Haushalt und betreut zwei minderjährige Kinder; über ein Erwerbseinkommen verfügt sie nicht.
a) Die Vorinstanz zieht, wie eingangs erwähnt, bei der Bemessung der der Beschwerdeführerin aufzuerlegenden Busse einzig
Art. 163 ZGB
heran; sie nimmt an, die Beitragsleistungen des haushaltführenden Ehegatten seien denjenigen gleichwertig, die durch eine Erwerbstätigkeit erlangt werden, und veranschlagt das Einkommen der Beschwerdeführerin auf ungefähr die Hälfte des Erwerbseinkommens ihres Gatten. Dabei stützt sie sich unter anderem auf
BGE 114 II 26
ff. In diesem Entscheid ging es um die Höhe des Unterhaltsbeitrages, den der eine Gatte dem andern während des Getrenntlebens zu entrichten hatte, und es wurde angenommen, dass der nach Abzug des Zwangsbedarfs verbleibende Nettoüberschuss des Gesamteinkommens beider Ehegatten in der Regel hälftig zu teilen sei; eine Abweichung von dieser Regel bedürfe einer besonderen Begründung (
BGE 114 II 31
E. 7). Die hälftige Teilung finde insbesondere dort eine Grenze, wo das vorhandene Gesamteinkommen beider Gatten aus Arbeit und Vermögensertrag mehr ausmache, als es die Wahrung der von den Gatten gewählten angemessenen Lebenshaltung erfordere (
BGE 114 II 32
E. 8).
Die Berufung der Vorinstanz auf
BGE 114 II 30
erfolgt indessen zu Unrecht. Wenn in diesem Entscheid von einer Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistungen in Form von Haushaltführung/Kinderbetreuung einerseits und Geldbeitrag andererseits gesprochen wird, dann handelt es sich dabei nicht um eine materielle Gleichwertigkeit, sondern um eine ideelle. Ideelle Gleichwertigkeit besagt, dass Haushaltführung und Kinderbetreuung ebenso wie der Geldbeitrag als vollwertiger Unterhaltsbeitrag eines Ehegatten anzuerkennen sind (vgl.
BGE 114 II 30
und 305), und zwar auch dann, wenn sich diese Unterhaltsbeiträge wertmässig nicht decken. Es geht also nicht an, die materiellen Werte der von den beiden Ehegatten in der klassischen Hausfrauenehe erbrachten Beiträge gegeneinander aufzurechnen (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
Art. 163 N 35
). Im übrigen hat das Bundesgericht in
BGE 114 II 31
E. 7
BGE 116 IV 4 S. 10
nicht das für den Familienunterhalt bestimmte Einkommen hälftig geteilt, sondern nur denjenigen Teil, der den Grundbedarf beider Ehegatten übersteigt.
b) Dass der Standpunkt der Vorinstanz unzutreffend ist, zeigt auch folgende Überlegung: Wäre der Ehemann der Beschwerdeführerin mit einer Busse zu belegen, wäre bei ihm die Geldstrafe nach den Richtlinien des Gerichtspräsidentenverbandes ausgehend von seinem monatlichen Nettoeinkommen zu berechnen. Wenn nun darüber hinaus die Beschwerdeführerin ebenfalls mit einer Busse bestraft und diese auf der Grundlage des halben Manneseinkommens festgelegt würde, so ergäbe sich für die Ehegatten insgesamt eine höhere Bussenbelastung, als wenn dasselbe Familieneinkommen von beiden Partnern zu gleichen Teilen aufgebracht würde. Dies aber würde zu einer rechtsungleichen Mehrbelastung von Ehepaaren mit einem Alleinverdiener führen.
c) Die Anwendung von
Art. 163 ZGB
durch die Vorinstanz erweist sich somit als bundesrechtswidrig. Unzutreffend angewandt hat die Vorinstanz aber auch
Art. 164 ZGB
. Sie ist, wie einleitend dargelegt, der Ansicht,
Art. 164 ZGB
sei bei der Ermittlung des Einkommens der Beschwerdeführerin nicht zu berücksichtigen, weil diese Bestimmung von einem "Betrag zur freien Verfügung" spreche. Damit aber übersieht sie, dass es für die Bussenbemessung prinzipiell irrelevant ist, aus welcher Quelle die Einkünfte des Täters stammen (
BGE 90 IV 155
/56). Ob es sich beim Betrag zur freien Verfügung gemäss
Art. 164 ZGB
um einen "Hausgattenlohn" handelt, ist im vorliegenden Zusammenhang also belanglos.
d) Anzufügen ist, dass es sich bei der Bussenbemessung nicht zu Gunsten des Hausgatten auswirken darf, wenn dieser den Betrag zur freien Verfügung gemäss
Art. 164 ZGB
gegenüber seinem erwerbstätigen Partner nicht geltend macht. Sollte dies der Fall sein, so ist vom potentiellen Einkommen auszugehen (vgl. STRATENWERTH, Allg. Teil II, S. 182; HORN, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Aufl.,
§ 40 N 10
).
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Fehlen eines Anspruchs auf einen Betrag zur freien Verfügung nach
Art. 164 ZGB
nicht ohne weiteres geschlossen werden darf, der Hausgatte erziele überhaupt kein Einkommen. Sollte dem Hausgatten wegen der bescheidenen finanziellen Verhältnisse der Familie kein Anspruch nach
Art. 164 ZGB
zustehen, so verbleibt ihm der Anspruch auf
BGE 116 IV 4 S. 11
ein Taschengeld aus
Art. 163 ZGB
(HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
Art. 163 N 10
).
5.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz bei der Bussenbemessung nicht von den rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde.
Die Vorinstanz wird bei der Neubeurteilung der Sache folgendermassen vorzugehen haben: Sie wird - soweit notwendig und nach kantonalem Prozessrecht zulässig, nach weiteren Beweiserhebungen insbesondere zum Erwerbseinkommen des Ehemannes und zum Vermögenseinkommen der Beschwerdeführerin - abzuklären haben, welcher Betrag zur freien Verfügung gemäss
Art. 164 ZGB
der Beschwerdeführerin zusteht. Bei der Bestimmung dieses Betrages wird sie zunächst den Nettoüberschuss des Gesamteinkommens der beiden Ehegatten bzw., falls die Beschwerdeführerin ohne Einkommen sein sollte, den Nettoüberschuss des Manneseinkommens zu ermitteln haben. Sodann wird sie sich mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob sich eine Abweichung von der hälftigen Teilung rechtfertigt, weil das vorhandene Einkommen mehr ausmacht, als es die Wahrung der von den Gatten gewählten angemessenen Lebenshaltung erfordert (
BGE 114 II 32
E. 8). Die so errechnete Grösse ist als Einkommen der Beschwerdeführerin der Bussenbemessung zugrunde zu legen. Da die Bussenbemessung unstrittig im Rahmen der Richtlinien erfolgen soll, wird die Vorinstanz eine Busse in der Höhe zwischen 1/4 und 1/3 des so ermittelten Betrages auszusprechen haben. Sollte sich der Beweisaufwand als unverhältnismässig erweisen, steht es der Vorinstanz frei, von Schätzungen und vereinfachten Prozentansätzen auszugehen, sofern damit die hier entwickelten Rechtsgrundsätze nicht in Frage gestellt werden. | null | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf6ddb8a-745b-4bee-a245-dda6709a0946 | Urteilskopf
86 II 89
15. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. März 1960 i. S. Marti gegen Konkursmasse der Emet AG | Regeste
1.
Art. 181 OR
erklärt nicht eine durch Sondernormen ausgeschlossene Schuldübernahme als zulässig.
2.
Art. 683 OR
. Der Zeichner von Inhaberaktien kann sich seiner Pflicht, ihren Nennwert einzuzahlen, weder durch Veräusserung der vorzeitig ausgegebenen Aktien entziehen, noch dadurch, dass jemand mit Zustimmung der Gesellschaft seine Schuld übernimmt. | Sachverhalt
ab Seite 89
BGE 86 II 89 S. 89
A.-
Viktor Marti, Peter Franz Roth und Walter Distel gründeten am 25. Mai 1955 die Emet AG mit Sitz in Zürich. Sie zerlegten das Grundkapital von Fr. 50'000.-- in fünfzig Inhaberaktien zu Fr. 1000.--, von denen Marti 48 und Roth und Distel je eine zeichneten. Der Verwalrungsrat bestand aus Marti als Präsidenten und aus Roth. Oskar Pfister wurde Geschäftsführer mit Einzelunterschrift.
Obwohl die Gründer nur 40% des Nennwertes der Aktien einzahlten, gab die Gesellschaft die Titel aus. Am 12. Juli 1955 teilte Marti der Gesellschaft mit, er habe
BGE 86 II 89 S. 90
die Aktien Nr. 3-50 an Angela Waeyenborghs in Mecheln abgetreten. Gleichzeitig hinterlegte er die Aktie Nr. 1 als Pflichtaktie und ersuchte er die Gesellschafft, auch Roth zur Hinterlegung seiner Pflichtaktie zu veranlassen. Am 14. Juli 1955 kam zwischen Angela Waeyenborghs und der durch Marti vertretenen Gesellschaft ein schriftlicher Vertrag zustande, wonach jene die Aktien Nr. 3-50 dieser zur Aufbewahrung übergeben und der Aufbewahrerin "unwiderruflich Blankovollmacht" zur Ausübung des Stimmrechtes erteile. Am gleichen Tage unterzeichnete Pfister eine "Bestätigung und Verpflichtung", worin er erklärte, dass sich alle Aktien am Sitze der Gesellschaft in seiner Obhut befänden, und zwar zwei als Pflichtaktien und 48 als Eigentum der Angela Waeyenborghs. Er verpflichtete sich, die Aktien so zu verwalten, dass den Bestimmungen des Obligationenrechts über nicht voll einbezahlte Inhaberaktien Nachachtung verschafft werde. Er fügte bei, als Geschäftsführer der Gesellschaft und Bevollmächtigter der Angela Waeyenborghs entlaste er in diesem Sinne die Gründer-Aktionäre.
In den Jahren 1956 und 1957 versuchte die Gesellschaft, Angela Waeyenborghs zur Einzahlung des noch nicht beglichenen Teils des Grundkapitals zu bewegen, hatte aber keinen Erfolg. Am 3. September 1957 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Angela Waeyenborghs kam der Aufforderung der Konkursverwaltung, die 50 Inhaberaktien abzuliefern, am 18. September 1957 auf erste Aufforderung hin nach. Sie stellte sich auf den Standpunkt, sie sei nicht Aktionärin, sondern die Titel seien ihr von ihrem Bräutigam Pfister nur verpfändet und in Nutzniessung gegeben worden.
B.-
Am 16. Juni 1958 klagte die Konkursmasse der Emet AG beim Amtsgericht Luzern-Stadt gegen Marti mit dem Begehren, er habe ihr zur Deckung des nicht einbezahlten Nennbetrages von 48 Aktien Fr. 28'800.-- nebst 5% Zins seit 30. Oktober 1957 zu zahlen.
Das Amtsgericht und auf Appellation auch das Obergericht
BGE 86 II 89 S. 91
des Kantons Luzern, dieses mit Urteil vom 19. November 1959, hiessen die Klage entgegen dem Antrage des Beklagten gut.
C.-
Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichtes aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin stellt den Antrag, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, Angela Waeyenborghs habe 48 Aktien zu Eigentum erworben und damit im Sinne des
Art. 181 OR
ein Geschäft mit Aktiven und Passiven übernommen, denn wer von 50 Aktien deren 48 besitze, habe "de facto und de jure das Geschäft inne". Die Übernahme habe den Gläubigern der Gesellschaft nicht mitgeteilt werden müssen, denn nicht diese Gläubiger, sondern nur die Gesellschaft habe gegen die Übernehmerin eine Forderung auf Einzahlung des noch nicht gedeckten Grundkapitals zu stellen. Da Angela Waeyenborghs praktisch alle Aktien übernommen habe, sei ihr bekannt geworden, dass die Gesellschaft ihr gegenüber diese Forderung zu stellen habe. Seit der Übernahme seien mehr als zwei Jahre verstrichen, weshalb der Beklagte gemäss
Art. 181 Abs 2 OR
nicht mehr belangt werden könne.
Wenn die Ausführungen des Beklagten dahin zu verstehen sind, Angela Waeyenborghs habe durch die Übernahme der Aktien die Aktiven und Passiven des von der Emet AG betriebenen Geschäftes erworben, so ist ihm entgegenzuhalten, dass sie nicht alle Titel übernommen hat und dass selbst der Erwerb aller ihr höchstens Eigentum an den Papieren verschafft hätte, nicht auch die Vermögenswerte und Schulden der Gesellschaft auf sie hätte übergehen lassen (
BGE 85 II 114
). Das ist so klar, dass der Beklagte selber den Standpunkt einnimmt, die angebliche Geschäftsübernahme
BGE 86 II 89 S. 92
habe den Gläubigern der Gesellschaft nicht angezeigt zu werden brauchen.
Sollte der Beklagte dagegen sagen wollen, die 48 Aktien als solche seien ein aus Aktiven und Passiven bestehendes Vermögen, so würde er verkennen, dass die Normen des Aktienrechtes über die Voraussetzungen, unter denen Inhaberaktien ausgegeben werden dürfen und vom Zeichner auf einen anderen übertragen werden können, dem
Art. 181 OR
vorgehen. Die aktienrechtliche Ordnung, insbesondere
Art. 683 OR
, dient dem Schutze der Gesellschaft, ihrer Gläubiger und der Aktionäre und gilt daher selbst dann, wenn die Papiere zu einem Vermögen gehören oder einzige Bestandteile eines Vermögens sind. Art. 181 will nicht eine durch Sonderbestimmungen ausgeschlossene Schuldübernahme zulässig erklären, sondern nur die Form erleichtern, die eine an sich erlaubte Schuldübernahme sonst nach Art. 176 f. erfordern würde.
2.
Der Beklagte beruft sich auf
Art. 687 OR
, wonach der Erwerber einer nicht voll einbezahlten Namenaktie der Gesellschaft gegenüber zur Einzahlung verpflichtet wird, sobald er im Aktienbuch eingetragen ist (Abs. 1), und der die Aktie veräussernde Zeichner für den nicht einbezahlten Betrag nur belangt werden kann, wenn die Gesellschaft binnen zwei Jahren seit ihrer Eintragung in das Handelsregister in Konkurs gerät und sein Rechtsnachfolger des Rechtes aus der Aktie verlustig erklärt worden ist (Abs. 2). Der Beklagte macht geltend, diese Bestimmung müsse auf den Fall der Veräusserung einer Inhaberaktie entsprechend angewendet werden, weil das Gesetz diesen Fall nicht ausdrücklich regle, insoweit also eine Lücke enthalte.
Der Fall der Veräusserung einer nicht voll einbezahlten Inhaberaktie ist den gesetzgebenden Behörden nicht entgangen. Er war schon in Art. 636 aoR geordnet. Nach dieser Norm durften auf den Inhaber lautende Aktien nur nach Einzahlung der Hälfte des Nennwertes ausgegeben werden und blieb der Zeichner bis zur Einzahlung dieser
BGE 86 II 89 S. 93
Hälfte auch dann haftbar, wenn er sein Anrecht auf einen andern übertrug und dieser die Verbindlichkeit zur Einzahlung übernahm. Nach der Einzahlung der Hälfte des Nennwertes war die Entlastung des Zeichners möglich, wenn sie in den ursprünglichen Statuten vorgesehen war. Das geltende Obligationenrecht regelt den Fall in Art. 683. Auf den Inhaber lautende Aktien dürfen erst nach der Einzahlung des vollen Nennwertes ausgegeben werden (Abs. 1). Vor der Volleinzahlung ausgegebene Aktien sind nichtig (Abs. 2 Satz 1). Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit rechtsgeschäftlicher Verfügung über nicht voll einbezahlte Inhaberaktien; wenn solche ausgegeben werden, ist es so zu halten, als ob sie nicht beständen. Untauglich ist insbesondere der Versuch, einen Dritten durch Übergabe der Papiere zum Aktionär zu machen. Für die sinngemässe Anwendung des
Art. 687 OR
ist daher kein Raum.
3.
Da die von der Emet AG ausgegebenen Inhaberaktien gemäss
Art. 683 Abs. 2 OR
nichtig sind, gelten die Rechte der Aktionäre als nicht verbrieft. Die Fragen, ob sie unabhängig vom Papier übertragen werden konnten (vgl.
BGE 48 II 402
f.,
BGE 83 II 454
f.) und, wenn ja, ob die Übertragung der Form der Abtretung von Forderungen bedurfte oder, wie der Beklagte geltend macht, formlos möglich war, stellen sich jedoch nicht. Aus der angeblich formlos möglichen Übertragung nicht gültig verbriefter Aktienrechte schliesst der Beklagte zu Unrecht, dass auch die Verpflichtung des Aktionärs zur Einzahlung des gezeichneten Betrages übertragen werden könne, weil sonst die Möglichkeit der Veräusserung der Rechte sinnlos wäre. Abgesehen davon, dass die Abtretung von Rechten auch dann einen Sinn haben kann, wenn sie den Abtretenden seiner Pflichten nicht enthebt, übersieht der Beklagte, dass die Abtretung von Rechten und die Übertragung von Verpflichtungen zwei verschiedene Vorgänge sind, die je einer eigenen Regelung unterstehen. An der Abtretung von Rechten braucht der, gegen den sie sich richten, gewöhnlich nicht mitzuwirken (
Art. 164 Abs. 1,
BGE 86 II 89 S. 94
967 ff. OR
,
Art. 869 ZGB
). Die Befreiung des Schuldners als Folge der Übernahme der Schuld durch einen Dritten tritt dagegen in der Regel nicht gegen den Willen des Gläubigers ein (
Art. 176 Abs. 1 OR
, Art. 639 Abs. 1, 832 Abs. 2, 833 Abs. 3, 846 ZGB), auch nicht bei der Veräusserung eines Vermögens oder Geschäftes mit Aktiven und Passiven, denn hier kann der Gläubiger den alten Schuldner noch während zwei Jahren belangen (
Art. 181 OR
). Diese im Interesse des Gläubigers aufgestellte Ordnung gilt selbst dann, wenn der Schuldner gegen den Gläubiger auch Rechte hat und sie ohne dessen Mitwirkung veräussern kann.
4.
Indem das Gesetz die Ausgabe nicht voll einbezahlter Inhaberaktien verbietet und diese, wenn sie trotzdem vor der Volleinzahlung ausgegeben werden, als nichtig erklärt, will es der Gesellschaft, ihren Gläubigern und ihren Aktionären Gewähr bieten, dass das Grundkapital voll einbezahlt werde. Wer es gezeichnet hat, ist Schuldner des gezeichneten Betrages, bis er einbezahlt ist. Diese Ordnung ist zwingend. Es widerspräche den Interessen der Gesellschaftsgläubiger und der Mitaktionäre, wenn die Gesellschaft einen Zeichner seiner Verpflichtung entheben und einen andern an seiner Stelle als Schuldner annehmen könnte. Dem die Gesellschaft beherrschenden Mehrheitsaktionär oder einzigen Aktionär wäre dadurch ermöglicht, sich in Voraussicht ihres finanziellen Zusammenbruchs seiner Verpflichtung zur Einzahlung des gezeichneten Betrages zu entschlagen und einen zahlungsunfähigen Dritten als Schuldner annehmen zu lassen. Der Zweck, dem
Art. 683 OR
dient, wäre dadurch vereitelt. Ist der Schuldnerwechsel in Verbindung mit der Übertragung der Inhaberaktie unmöglich, weil diese nichtig ist, so kann ihn das Gesetz auch nicht unabhängig vom Bestand gültiger Aktien gestatten wollen. In dem in
BGE 48 II 395
ff. veröffentlichten Falle erachtete das Bundesgericht freilich die Entlassung des Zeichners in Verbindung mit der Übertragung seiner unverbrieften Mitgliedschaftsrechte
BGE 86 II 89 S. 95
als zulässig. Damals galt aber noch Art. 636 aoR. Aus diesem Entscheide kann daher unter der Herrschaft der strengeren Ordnung des
Art. 683 OR
die Gültigkeit einer den Zeichner befreienden Schuldübernahme nicht abgeleitet werden. Der Zeichner bleibt neben dem Übernehmer solidarisch verpflichtet.
5.
Die Frage, ob die Emet AG Angela Waeyenborghs als Schuldnerin angenommen und den Beklagten aus der Schuldpflicht entlassen habe, stellt sich somit nicht. Die Feststellung des Obergerichtes, der Beweis hiefür sei nicht erbracht, ist also gegenstandslos, ebenso die Rüge des Beklagten, das Zeugnis der angeblichen Schuldübernehmerin sei wegen eines Formfehlers nichtig, was sich aus den Akten des Strafverfahrens ergebe, das gegen sie wegen angeblich falschen Zeugnisses eingeleitet wurde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 19. November 1959 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf73a045-db5a-4db7-a88d-39e75db8a292 | Urteilskopf
99 V 106
35. Urteil vom 3. Juli 1973 i.S. Ausgleichskasse des Kantons Zug gegen Ausgleichskasse des Kantons Tessin und Versicherungsgericht des Kantons Tessin betreffend R. | Regeste
Art. 1 Abs. 3 ELG
.
- Begriff des zivilrechtlichen Wohnsitzes (Erw. 2-4).
- Provisorische Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung, wenn die Frage des leistungspflichtigen Kantons längere Zeit ungelöst bleibt: Bemerkung de lege ferenda (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 106
BGE 99 V 106 S. 106
Aus dem Tatbestand:
A.-
Gottlieb R. (geb. 1887) von Zürich und seine Ehefrau Nelly (geb. 1897) waren in Lugano ansässig. Wegen depressiver Störungen verbrachte Nelly R. von 1953 bis 1961 bloss rund drei Jahre bei ihrem Manne und die übrige Zeit in der psychiatrischen Privatklinik Sanatorium Kilchberg (Zürich). Am 9. Januar 1962, als die Patientin wieder einmal daheim weilte, starb Gottlieb R.
BGE 99 V 106 S. 107
Am 30. Januar 1962 hob der in Baar ZG wohnende Bruder Alfred F. den Heimatschein der Schwester Nelly R. in Lugano ab, hinterlegte ihn in Baar und besorgte der Patientin ein Zimmer bei ihrer Schwester in Baar. Dort wohnte die Witwe bis zum 7. Februar 1962 und trat tags daraufwieder ins Sanatorium Kilchberg ein.
In der Folge lebte Nelly R. bis anfangs Juli 1967 noch rund ein Jahr und drei Monate bei ihrer Schwester in Baar und die übrige Zeit im Sanatorium Kilchberg. Seit dem 19. Juli 1967 weilt sie ununterbrochen in jener Klinik.
B.-Am 25. Mai 1971 verlangte Alfred F. bei der Ausgleichskasse des Kantons Zug für seine Schwester Nelly eine Ergänzungsleistung zur einfachen Altersrente.
Die Zuger Kasse überwies das Gesuch der Ausgleichskasse des Kantons Tessin. Doch bestritt diese am 5. Oktober 1971 ihre Zuständigkeit mit der Begründung, der Wohnsitz der Versicherten befinde sich seit dem 30. Januar 1962 in Baar.
C.-
Die Zuger Kasse schrieb am 2. November 1971 dem Bruder der Versicherten und der Tessiner Ausgleichskasse, sie betrachte sich als unzuständig, und focht gleichentags die Verfügung der Tessiner Kasse vom 5. Oktober 1971 beim Tessiner Versicherungsgericht an.
Am 27. November 1972 teilte die Zuger Kasse dem Tessiner Gericht mit, seit dem 19. April 1972 sei Nelly R. nunmehr bei der Einwohnerkontrolle ihrer Heimatstadt Zürich angemeldet.
D.-
Mit Urteil vom 18. Dezember 1972 pflichtete das Tessiner Versicherungsgericht der Verfügung der Tessiner Ausgleichskasse bei und wies die Beschwerde der Zuger Kasse ab.
E.-
Die Ausgleichskasse des Kantons Zug führt rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde und wiederholt, die Versicherte habe ihren Wohnsitz nach wie vor in Lugano.
Die Ausgleichskasse des Kantons Tessin hält das kantonale Urteil für richtig. Hingegen beantragen Nelly R. und das Bundesamt für Sozialversicherung, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Zuständig für die Festsetzung und Auszahlung einer Ergänzungsleistung zu einer Rente der AHV oder der Invalidenversicherung ist nach
Art. 1 Abs. 3 ELG
der Kanton, in dessen
BGE 99 V 106 S. 108
Gebiet der Rentenbezüger seinen zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Welcher Kanton das ist, muss im Streitfalle der Sozialversicherungsrichter entscheiden (EVGE 1969 S. 178 Erw. 2).
Im vorliegenden Fall ist die Verfügung der Zuger Ausgleichskasse vom 2. November 1971 unmassgeblich, obschon sie weder von Alfred F. noch von der Tessiner Ausgleichskasse angefochten worden ist. Weil die Zuger Kasse am gleichen Tag die Verfügung der Tessiner Kasse vom 5. Oktober 1971 an das Tessiner Versicherungsgericht weitergezogen hat, ist nämlich die Kompetenz, den für Nelly R. zuständigen Kanton zu bezeichnen, von den Verwaltungsorganen auf den Richter übergegangen (EVGE 1958 S. 47 Erw. 2, 1960 S. 89 Erw. 4 und 1962 S. 159 Erw. 1).
2.
Auf Grund der
Art. 23 und 24 ZGB
befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem Orte, den sie für kürzere oder längere Zeit zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen macht. Anjenem Ort ist der Wohnsitz selbst dann, wenn sie ihn - zum Beispiel krankheitshalber - vorübergehend verlässt. Und dort bleibt er so lange erhalten, bis allenfalls anderswo ein neuer Wohnsitz begründet wird. Das Eidg. Versicherungsgericht verweist aufBGE 69 I 12und 79,
BGE 69 II 277
ff.,
BGE 89 III 8
Erw. 2,
BGE 97 II 3
Erw. 3,
BGE 98 V 204
Erw. 2 sowie auf EVGE 1957 S. 97 Erw. 2 und 1958 S. 96.
3.
Nelly R. hatte seit dem 20. Oktober 1961 wieder einmal bei ihrem Ehemann in Lugano geweilt. Nachdem dieser am 9. Januar 1962 gestorben war und Alfred F. ihren Heimatschein in Lugano abgehoben hatte, hat sie Ende Januar 1962 bei ihrer Schwester in Baar Wohnung genommen. Sie ist am 8. Februar 1962 dann wieder ins Sanatorium Kilchberg zurückgekehrt und hat am 28. März 1962 der Tessiner Ausgleichskasse persönlich geschrieben, man solle die Altersrente an ihre Wohnadresse in Baar überweisen. Im ganzen hat Witwe R. in der Folge bis anfangs Juli 1967 noch die rund fünfzehn Monate, während welcher sie als aus der Klinik entlassen galt, und zudem wahrscheinlich auch kurzfristige Urlaube bei der Schwester in Baar zugebracht. Ununterbrochen hospitalisiert ist die Patientin erst seit Mitte Juli 1967, wie sich einem Bericht des Sanatoriums Kilchberg vom 24. November 1972 an die Vorinstanz entnehmen lässt.
Würdigt man all diese Umstände, so hat die Versicherte mit dem Umzug von Lugano zu ihrer Schwester den Wohnsitz nach
BGE 99 V 106 S. 109
Baar verlegt, wie der kantonale Richter mit einleuchtender Begründung darlegt.
4.
Demnach muss der Kanton Zug die Ergänzungsleistung festsetzen und auszahlen, die der Versicherten gestützt auf das Gesuch vom 25. Mai 1971 allenfalls gebührt. Anscheinend ist die Rente der AHV ihr einziges Einkommen und hat sie kein Vermögen, wie ihr Bruder Alfred am 27. September 1972 der Vorinstanz geschrieben hat.
In Kilchberg hat Nelly R. kraft des
Art. 26 ZGB
nie Wohnsitz zu begründen vermocht, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt. Auch behauptet weder die Beschwerdeführerin noch der heutige Vertreter der Versicherten, dass diese seit dem 19. April 1972 ihren Wohnsitz in der Stadt Zürich habe. Solches ist in der Tat unwahrscheinlich, weil die Patientin sich seit dem 19. Juli 1967 ununterbrochen im Sanatorium Kilchberg aufhält.
5.
Übrigens klafft in der geltenden gesetzlichen Ordnung eine sozial unerfreuliche Lücke. Wie der vorliegende Fall zeigt, lässt diese es geschehen, dass ein Rentenbezüger unter Umständen jahrelang warten muss, bis auf sein Gesuch um eine Ergänzungsleistung überhaupt eingetreten wird.
Es obläge dem Gesetzgeber, diese Lücke durch eine entsprechende Ergänzung des ELG zu schliessen. Denkbar wäre etwa, den vom Rentenbezüger zuerst angegangenen Kanton zur vorläufigen Festsetzung und vorschussweisen Auszahlung der Ergänzungsleistung zu verhalten, sofern der laut
Art. 1 Abs. 3 ELG
massgebende Wohnsitz umstritten und solange er nicht rechtskräftig ermittelt ist. Das Eidg. Versicherungsgericht verweist in diesem Zusammenhang auf
Art. 26 Abs. 4 KUVG
in Verbindung mit den Art. 18 und 19 der Verordnung III über die Krankenversicherung sowie auf die
Art. 45bis IVG
und 88quinquies IVV.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf743832-0fb7-4969-ae08-52fbb3735d84 | Urteilskopf
113 Ib 376
60. Estratto della sentenza 13 novembre 1987 della I Corte di diritto pubblico nella causa Iginio Galli c. Depauto S.A., Comune di Chiasso e Tribunale amministrativo del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico e ricorso di diritto amministrativo). | Regeste
Erweiterung eines Parkhauses mit Tankstelle durch neue Tanksäulen. RPG, USG, Tessiner Baugesetz vom 19. Februar 1973.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Rüge der Verletzung von
Art. 9 USG
(
Art. 54 USG
) und der staatsrechtlichen Beschwerde zur Rüge des Verstosses gegen das RPG (
Art. 34 RPG
) sowie gegen kantonales Recht (E. 2).
2. Für die Tankstelle eines nicht eigentlich als gross zu bezeichnenden Parkhauses ist jedenfalls so lange keine Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne von
Art. 9 USG
vorzunehmen, als der Bundesrat die notwendigen Ausführungsvorschriften noch nicht erlassen und die Liste der dieser Prüfung unterliegenden Anlagen nicht veröffentlich hat (E. 4a). Auf die Zwecke und Ziele des Umweltschutzes ist aber auch in Anwendung des RPG Rücksicht zu nehmen (Art. 1 Abs. 2 lit. b, 3 Abs. 3 lit. b RPG) (E. 4b).
3.
Art. 54 und 55 USG
in Verbindung mit
Art. 34 RPG
. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bei Verletzung materiellrechtlicher Bestimmungen des USG? Frage offen gelassen, da auch das staatsrechtliche Verfahren zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgeht (E. 4c).
4. Anfechtbarkeit der Baubewilligung gemäss Tessiner Recht (E. 5). Die Rechtskraft einer Baubewilligung erstreckt sich nur auf das, was Gegenstand des Baugesuches war und von der zuständigen Behörde bewilligt wurde; hier ist zu berücksichtigen, dass die noch nicht rechtskräftig bewilligten Erweiterungsarbeiten die Fortsetzung der bereits vorgenommenen Änderungen bilden, welche aber planwidrig ausgeführt wurden (E. 6a).
5.
Art. 27 und 36 RPG
,
Art. 1 Abs. 2 und 11 USG
. Unvereinbarkeit des Projekts mit der Planungszone über dem Zentrum von Chiasso, deren Vorsorge-Funktion ein wesentliches Element zur Verwirklichung der Raumplanung und des Umweltschutzes bildet (E. 7b). | Sachverhalt
ab Seite 378
BGE 113 Ib 376 S. 378
A.-
La Depauto S.A. è proprietaria nel centro di Chiasso, in via Emilio Bossi, delle particelle 604 e 1836 RFD, formanti un unico appezzamento, su cui essa ha costruito un autosilo con stazione di distribuzione di carburanti. Iginio Galli è proprietario della finitima particella 603 RFD, ove sorge la sua casa d'abitazione. Tra i due vicini si è accesa una tormentata vicenda giudiziaria che concerne la costruzione dell'autosilo e segnatamente la chiusura delle aperture di questo. La lite dura da vent'anni, ed ha dato luogo a parecchie sentenze del Tribunale federale. La chiusura delle aperture dell'autosilo, ordinata definitivamente sin dal 1979, non è a tutt'oggi ancora stata effettuata.
B.-
In pendenza di questo litigio, la Depauto S.A. notificò il 15 giugno 1983 al Municipio di Chiasso l'intenzione di formare un'"aiuola spartitraffico" tra i posteggi esistenti sul mappale 1836 e la stazione di benzina annessa all'autosilo. Con risoluzione 26 giugno 1983 il Municipio di Chiasso autorizzò l'esecuzione dei lavori notificati, senza pubblicazione della domanda (
art. 36 del
regolamento di applicazione - RALE - della legge edilizia cantonale - LE).
Il 24 agosto 1983 la Depauto S.A. notificò poi al Municipio l'intenzione di formare al pianterreno dell'autosilo un nuovo locale da adibire a cassa con deposito: anche tali lavori furono autorizzati dal Municipio con risoluzione 30 agosto 1983, senza pubblicazione della domanda.
A seguito dell'istallazione di un distributore automatico di benzina, Iginio Galli si rivolse al Municipio di Chiasso: chiedeva venisse applicata un'ordinanza municipale del 28 agosto 1968, che vietava l'istallazione di tali apparecchi. Il 2 settembre 1983 il Municipio comunico a Galli che tale divieto - emanato in un periodo di emergenza - doveva considerarsi decaduto.
BGE 113 Ib 376 S. 379
Con una terza notifica del 30 settembre 1983, la Depauto S.A. comunico al Municipio di Chiasso l'intenzione di ampliare la pensilina della stazione di servizio e di posare supplementari colonne di distribuzione. Il Municipio considerò stavolta che i lavori non potessero esser autorizzati sulla scorta di una semplice notifica e, con decisione 12 ottobre 1983, invito la Depauto S.A. ad inoltrare ordinaria domanda di costruzione: constatato poi come i lavori fossero stati indebitamente intrapresi, ne ordino la sospensione ed inflisse all'amministratore unico della Depauto S.A. una multa di Fr. 100.--.
C.-
La domanda di costruzione in sanatoria, datata del 28 settembre 1983, fu inoltrata dalla Depauto S.A. al Municipio il 24 ottobre 1983. Essa concerneva il prolungamento della pensilina e la posa di tre colonne doppie di distributori. La domanda fu pubblicata.
D.-
Nel frattempo, con scritto del 19 settembre 1983, Galli si era rivolto al Consiglio di Stato, lagnandosi dell'agire del Municipio, in sostanza per l'inosservanza della procedura di pubblicazione e per la disapplicazione del divieto di posa di nuovi distributori. Il Consiglio di Stato, agendo quale autorità di vigilanza sui comuni, considerò con decisione 6 dicembre 1983 che i lavori autorizzati dal Municipio sulla scorta di semplice notifica erano di modesta entità e si limito a far ordine all'Esecutivo comunale di attenersi alla sua ordinanza n. 384 del 29 agosto 1968 vietante la posa di distributori, impregiudicata tuttavia la facoltà di revocarla. Con risoluzione n. 749 del 31 dicembre 1983 il Municipio fece uso di tale riserva e revoco formalmente la predetta ordinanza.
Un ricorso di Galli contro questa decisione del Consiglio di Stato fu evaso dal Tribunale cantonale amministrativo con sentenza del 7 maggio 1984 "ai sensi dei considerandi". Da essi si deduce che il Consiglio di Stato avrebbe dovuto pronunciarsi non come autorità di vigilanza, ma come istanza di ricorso, non potendosi denegare al vicino la legittimazione per impugnare i permessi accordati su semplice notifica e senza pubblicazione. Il Tribunale considerò tuttavia che i permessi, nel frattempo utilizzati, non potessero, per la comparazione degli interessi contrapposti all'attuazione del diritto e della sicurezza, esser rimessi in discussione: quanto alla doglianza di Galli circa la posa del distributore, essa perdeva il suo fondamento per la formale revoca dell'ordinanza municipale del 1968, intervenuta nel frattempo.
BGE 113 Ib 376 S. 380
E.-
Sulla domanda di costruzione in sanatoria presentata dalla Depauto S.A. il 24 ottobre 1983 il Municipio di Chiasso si pronunciò favorevolmente il 22 novembre 1983, in reiezione dell'opposizione di Galli. Esso accordò la licenza edilizia comunale, trasmettendo gli atti al Dipartimento delle pubbliche costruzioni per il rilascio dell'autorizzazione cantonale. Il Dipartimento la concesse il 25 gennaio 1984: conformemente a quanto dispone la legge edilizia, le due decisioni - comunale e cantonale - furono contemporaneamente intimate agli interessati il 7/8 febbraio 1984.
F.-
Con ricorso del 21 febbraio 1984 Galli impugnò entrambe le decisioni presso il Consiglio di Stato.
L'Esecutivo cantonale si pronunciò con risoluzione n. 1710 dell'11 dicembre 1984. Esso ammise parzialmente il ricorso del vicino: annullò l'autorizzazione cantonale rilasciata dal Dipartimento delle pubbliche costruzioni e dispose che la decisione sulla domanda di autorizzazione cantonale dovesse restare in sospeso sino alla scadenza della validità della zona di pianificazione istituita per il centro cittadino di Chiasso dal Dipartimento dell'ambiente in applicazione degli
art. 27, 36 cpv. 2 LPT
e 16 del decreto esecutivo sull'ordinamento provvisorio in materia di pianificazione del territorio (DEPT). Il Governo ingiunse al Dipartimento delle pubbliche costruzioni di emanare una nuova decisione suscettibile di ricorso alla scadenza del periodo di validità di tale zona di planificazione.
G.-
La decisione del Consiglio di Stato fu impugnata dalla Depauto S.A. con ricorso del 27 dicembre 1984 al Tribunale amministrativo. Essa chiedeva di esser autorizzata - annullata la decisione del Governo - a prolungare la pensilina ed a installare i tre nuovi distributori come alla domanda di costruzione.
Il Tribunale amministrativo si è pronunciato con sentenza del 31 maggio 1985. Esso ha parzialmente ammesso il ricorso e ha ripristinato la decisione del Dipartimento che autorizza la posa dei distributori; per quanto concerne invece la costruzione della pensilina, il giudizio governativo è stato confermato ed il gravame della Depauto S.A. respinto.
H.-
Iginio Galli ha impugnato la decisione del Tribunale amministrativo con un atto intitolato ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
e ricorso di diritto amministrativo per violazione della legge federale sulla protezione dell'ambiente (LPA). Egli chiede che la decisione sia annullata, che il locale cassa, ove sono installati un servisol
BGE 113 Ib 376 S. 381
e le apparecchiature elettriche di comando, sia chiuso, e che vengano adottate tutte le disposizioni da lui richieste nei precedenti ricorsi tutt'ora pendenti.
Il Municipio di Chiasso e la Depauto S.A. hanno postulato la reiezione dei gravami. Il Consiglio di Stato si è rimesso al giudizio del Tribunale federale, mentre il Tribunale amministrativo non ha presentato osservazioni ed ha rinviato semplicemente alla propria sentenza.
I.-
La zona di pianificazione per il centro cittadino di Chiasso, istituita dal Consiglio di Stato il 23 agosto 1982 per il periodo di tre anni, è stata effettivamente prorogata di due anni, sino al 27 agosto 1987, in applicazione degli
art. 27 LPT
e 16 DEPT. La pubblicazione apparsa sul FU cantonale n. 64 del 9 agosto 1985 precisa che entro tale termine "il piano particolareggiato di questo comparto dovrà essere adottato a norma dell'art. 18 LE dal Consiglio comunale di Chiasso". Il 15 dicembre 1986 il Consiglio comunale ha adottato un piano regolatore, che è stato pubblicato tra il 26 gennaio e il 24 febbraio 1987, ed è stato trasmesso al Consiglio di Stato il 22 luglio 1987 per l'approvazione (di effetto costitutivo) e l'evasione dei ricorsi. In questo piano la zona di pianificazione cantonale figura esser stata ripresa come "zona soggetta a studio pianificatorio particolare (centro cittadino) - ZCC".
Erwägungen
Considerando in diritto:
I. (Legittimazione)
II. Ammissibilità dei rimedi (ricorso di diritto amministrativo; ricorso di diritto pubblico)
2.
In virtù del principio di sussidiarietà, il ricorso di diritto pubblico è dato soltanto ove la pretesa violazione del diritto non possa esser sottoposta mediante azione o altro rimedio - segnatamente il ricorso di diritto amministrativo - al Tribunale federale o ad altra autorità federale (
art. 84 cpv. 2 OG
).
Il ricorso di diritto amministrativo che Galli ha proposto - legittimamente con un unico allegato (
DTF 109 Ib 143
consid. 1) - insieme con quello di diritto pubblico, è ammissibile contro decisioni di ultime istanze cantonali (art. 98 lett. g OG) prese o che avrebbero dovuto esser prese in applicazione del diritto amministrativo federale (
art. 97 OG
e 5 PA), a meno che non si verifichi un'esclusione prevista dal diritto federale stesso, segnatamente agli
art. 99 a 102
OG.
BGE 113 Ib 376 S. 382
Nella misura in cui il ricorrente pretende violate disposizioni della LPT, il ricorso di diritto amministrativo è escluso poiché tale legge - derogando alla clausola generale - lo ammette (
art. 34 LPT
) soltanto in relazione all'applicazione degli art. 5 (indennità per restrizioni della proprietà) e 24 (costruzioni fuori delle zone edificabili), due disposizioni che manifestamente qui non sono in discussione. Sotto questo risvolto, quindi, il ricorso di diritto amministrativo è inammissibile e solo può esser trattato quello di diritto pubblico.
Ammissibile è sicuramente il ricorso di diritto amministrativo, nella misura in cui vien fatta valere la violazione dell'art. 9 LPA. Come rileva il ricorrente, l'art. 54 cpv. 1 LPA rinvia per quanto attiene ai rimedi giuridici - salvo eccezioni qui non ricorrenti (art. 41 cpv. 2 LPA) - alla legge federale sulla procedura amministrativa e all'OG. La questione di sapere se tale gravame sia fondato attiene al merito. Di questioni particolari si dirà ancora in seguito.
Per quanto concerne la violazione del diritto cantonale, solo il ricorso di diritto pubblico entra in considerazione, a meno che tale diritto cantonale appaia così strettamente connesso col diritto federale che non si possa far distinzione (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 1979, pagg. 74/75), alla condizione, beninteso, che la violazione del diritto federale apra la via del ricorso di diritto amministrativo, il che appunto non si verifica, come s'è detto, per le disposizioni della LPT qui invocate.
III. (Motivi di irricevibilità per entrambi i rimedi)
IV. Ricorso di diritto amministrativo
4.
a) La LPA è entrata il vigore il 1o gennaio 1985, posteriormente quindi alla decisione del Consiglio di Stato (11 dicembre 1984), ma anteriormente alla decisione qui impugnata del Tribunale amministrativo (31 maggio 1985) nonché al presente giudizio. Come il Tribunale federale ha già rilevato - analogamente a quanto è avvenuto per la legge sulla protezione delle acque contro l'inquinamento (LCIA - cfr.
DTF 99 Ib 152
/153 consid. 1,
DTF 99 Ia 125
consid. 9) e contrariamente a quanto è stato deciso per la LPT (cfr.
DTF 106 Ib 326
/327 consid. 2 e rif.) - le disposizioni della LPA sono immediatamente applicabili ai procedimenti non ancora conclusi al momento della loro entrata in vigore e ciò, in linea di principio, nonostante che il Consiglio federale non abbia ancora emanato talune ordinanze legislative o d'applicazione (
DTF 112 Ib 42
segg. consid. 1c, 46 segg. consid. 4, 306 segg. consid. 12e, 548 consid. 1b).
BGE 113 Ib 376 S. 383
Per quanto riguarda l'esame dell'impatto ambientale, qui in discussione, l'art. 9 cpv. 1 frase 2 LPA prevede che il Consiglio federale stabilisce la lista degli impianti sottoposti a tale esame. La relativa ordinanza non è tutt'ora stata emanata. Questa circostanza è stata ritenuta irrilevante dal Tribunale federale per quanto riguarda gli stand di tiro comunali (
DTF 112 Ib 40
segg.), le piazze d'armi (
DTF 112 Ib 306
segg.), le strade nazionali (DTF
DTF 112 Ib 548
consid. 1b), perché dal Messaggio del Consiglio federale (FF 1979 III 751) o dai dibattiti parlamentari (Boll.Uff. CN 1982 pag. 370, intervento del Consigliere federale Hürlimann) risultava con chiarezza che i suddetti impianti devono senz'altro sottostare all'esame di compatibilità ambientale.
Nel caso che ne occupa, dalle dichiarazioni fatte dal Consigliere federale (loc.cit.) risulta che all'esame dell'art. 9 LPA saranno assoggettati tra l'altro "Grossparkhäuser", cioè grandi autosili. Ora, si può certo argomentare che la stazione di distribuzione di carburanti è connessa, sia spazialmente sia dal punto di vista dell'esercizio, con l'autosilo della Depauto S.A., e che essa è suscettibile di concorrere alla formazione degli inquinamenti ambientali che questo provoca o può provocare, e trarne legittimamente la conclusione che il suo potenziamento si confonde con una modificazione dell'autosilo stesso, soggetta come tale all'esame dell'impatto ambientale (cfr. art. 9 cpv. 1, frase 1 LPA). Tuttavia, può apparire incerto se l'autosilo della Depauto S.A. debba esser considerato "grande" ai sensi della predetta dichiarazione del Consiglio federale: per ciò fare, occorre attendere le precisazioni che saranno contenute nell'ordinanza legislativa del Consiglio federale, il cui progetto è attualmente sottoposto alla procedura di consultazione (tale progetto d'ordinanza assoggetta all'esame autosili e parcheggi con più di 500 posti; tendenze sussistono tanto per la diminuzione quanto per l'aumento di tale limite, rispettivamente per una differenziazione legata all'ubicazione dell'impianto). Non v'è quindi motivo per il Tribunale federale, contrariamente ai casi che si sono menzionati, di intervenire in applicazione analogetica dell'
art. 1 cpv. 2 CC
, precedendo l'autore dell'ordinanza legislativa. Se ne deve concludere che - almeno allo stadio attuale - l'art. 9 LPA non può senz'altro applicarsi all'autosilo della resistente. La censura ricorsuale per cui la procedura formale d'esame dell'impatto ambientale di cui all'art. 9 LPA non sarebbe stata applicata non è quindi fondata. Ciò trae seco la reiezione del
BGE 113 Ib 376 S. 384
ricorso di diritto amministrativo, in quanto fondato sulla predetta disposizione.
b) Ciò non significa comunque che degli intendimenti e delle finalità generali della protezione dell'ambiente si debba fare astrazione nell'esame del caso. La LPT stessa, infatti, comanda di tener conto delle esigenze dell'ambiente, in ossequio al mandato costituzionale dell'
art. 24septies Cost.
(
art. 1 cpv. 2 lett. b LPT
: "Creare e conservare insediamenti accoglienti"; art. 3 cpv. 3 lett. b: "Preservare per quanto possibile i luoghi destinati all'abitazione da immissioni nocive o moleste come l'inquinamento dell'aria, il rumore e gli scotimenti"). Come rileva il Consiglio federale nel Messaggio del 31 ottobre 1979 sulla LPA, anche la LPT si annovera fra le leggi che servono alla protezione dell'ambiente, anche se quest'ultima costituisce solo uno degli aspetti della pianificazione, la quale ha un compito globale e verte sull'insieme e sulla determinazione dell'evoluzione locale auspicata: ma la pianificazione serve benissimo per impedire tempestivamente indesiderati sviluppi ed inquinamenti, mediante la delimitazione dello spazio e l'apprestamento delle condizioni nel quadro della protezione dell'ambiente (Messaggio, FF 1979 III 729). Tali elementi dovranno esser considerati nel giudizio sul ricorso di diritto pubblico.
c) Ci si deve d'altronde chiedere se il ricorso - nella misura in cui espressamente si riferisce all'art. 1 cpv. 2 LPA e per il resto implicitamente pretende violate altre disposizioni materiali di quella legge - non vada trattato come ricorso di diritto amministrativo.
Si pone in quest'ambito il problema delle relazioni intercorrenti fra gli art. 54 e 55 LPA e l'
art. 34 LPT
. aa) Per la soluzione che ammette la proponibilità del ricorso di diritto amministrativo per violazione di tutte le disposizioni sostanziali della LPA si possono addurre tanto considerazioni di merito, quanto argomenti di procedura. Nel merito, si può argomentare che l'esame dell'impatto ambientale nel quadro di una procedura speciale, anche se non indipendente, è stato limitato con l'art. 9 LPA ad un certo numero di impianti - che "possono gravare notevolmente l'ambiente" (cpv. 1, prima frase) e sono elencati in una lista esaustiva da stabilire dal Consiglio federale (cpv. 1, ultima frase) - in ragione dei costi elevati e degli aggravi amministrativi che tale procedura speciale comporta tanto per l'ente pubblico quanto per l'imprenditore, ma non certo per fornire ai proprietari più modesti una "licenza di inquinare"
BGE 113 Ib 376 S. 385
né per liberare l'autorità dall'obbligo di vegliare in ogni caso all'applicazione delle norme materiali della legge. Dal punto di vista procedurale, poi, si può addurre che per i rimedi giuridici l'art. 54 cpv. 1 LPA dichiara retta la procedura di ricorso dalle leggi sulla procedura amministrativa e sull'organizzazione giudiziaria, con la sola riserva delle norme procedurali derogatorie applicabili in virtù dell'art. 41 cpv. 2 LPA: e ciò a differenza dell'
art. 34 LPT
che ha inteso escludere - tranne le due eccezioni viste sopra - il ricorso di diritto amministrativo per far luogo soltanto a quello di diritto pubblico. D'altronde, l'ammissibilità del ricorso di diritto amministrativo è stata riconosciuta come pacifica - senza particolare esame - trattandosi dell'applicazione dell'art. 10 LPA (sentenza dell'11 marzo 1987 in re Oltner Lagerhaus c. Einwohnergemeinde Olten). Analogo trattamento dovrebbe quindi esser riservato ad altre disposizioni della LPA, segnatamente all'art. 11.
bb) Per la soluzione contraria si potrebbe argomentare che nella misura in cui l'
art. 34 LPT
, quale legge posteriore speciale, esclude il ricorso di diritto amministrativo per lasciar posto soltanto a quello di diritto pubblico, esso sostituisce l'
art. 97 OG
(cfr. DFGP/UPT, Commento LPT, n. 2 all'art. 34) o, se si vuole, che esso si aggiunge ai casi d'esclusione enumerati agli
art. 99 a 102
OG, prevedendo tuttavia espressamente il ricorso di diritto pubblico in luogo del ricorso amministrativo al Consiglio federale. Rinviando pertanto all'OG e alla PA, l'art. 54 LPA riserverebbe, secondo questa interpretazione, l'
art. 34 LPT
. Si potrebbe aggiungere che il legislatore, nell'introdurre la possibilità per le organizzazioni nazionali di avvalersi del ricorso di diritto amministrativo (art. 55 LPA), l'ha espressamente e volutamente limitata ai casi in cui sono in gioco impianti soggetti all'esame dell'impatto ambientale di cui all'art. 9, e concluderne che non v'è motivo di trattar meglio il vicino. Sennonché questo argomento perde però peso, ove si avverta che all'art. 56 cpv. 1 LPA il legislatore ha previsto la facoltà del Dipartimento federale dell'interno di avvalersi indistintamente del ricorso di diritto amministrativo (risp. del ricorso amministrativo al Consiglio federale) contro tutte le decisioni cantonali d'ultima istanza fondate (o che si sarebbero dovute fondare) sulla LPA e le sue disposizioni esecutive. Ora, parrebbe escluso riconoscere all'imprenditore privato, rispettivamente al vicino toccato dalla decisione cantonale (
art. 103 lett. a OG
) minori diritti di quanti ne competono all'autorità. Sembra quindi che la soluzione prevista sub aa) debba prevalere.
BGE 113 Ib 376 S. 386
cc) Questo delicato problema non ha tuttavia bisogno d'esser risolto compiutamente nel caso concreto. Infatti - come ancora si vedrà - anche la via più stretta del ricorso di diritto pubblico consente di giungere in casu ad una soluzione favorevole per il ricorrente, alla quale condurrebbe evidentemente anche la via più larga del ricorso di diritto amministrativo.
V. Ricorso di diritto pubblico
5.
Il ricorrente scorge un diniego di giustizia nella circostanza che il Tribunale amministrativo ha ritenuto che solo la (negata) autorizzazione cantonale fosse oggetto del litigio, la licenza edilizia comunale non essendo impugnata.
a) Nel sistema del diritto edilizio ticinese, l'autorizzazione edilizia richiesta dall'
art. 22 LPT
consta della licenza edilizia comunale, rilasciata dal Municipio, e dell'autorizzazione cantonale, rilasciata dal Dipartimento delle pubbliche costruzioni. Per semplificare la procedura ricorsuale ed impedire abusi, la legge edilizia prevede che i due permessi, ancorché di date diverse, sono comunicati contemporaneamente, tramite l'autorità comunale, al richiedente ed agli opponenti, e che prima che entrambi siano divenuti definitivi, i lavori non si possono iniziare (
art. 39, 43 a 49
LE; cfr. la sentenza del 20 febbraio 1987 in re Comune di Sonogno, consid. 3a).
b) Questa procedura è stata ossequiata nel caso in esame ed entrambi i permessi sono stati notificati contemporaneamente a Galli. Come risulta dalla decisione 11 dicembre 1984 del Governo, Galli ha impugnato entrambe queste decisioni. Certo, il Consiglio di Stato non si è pronunciato espressamente sul ricorso di Galli in quanto rivolto contro la licenza comunale. Ma ciò non era necessario. Infatti l'Esecutivo cantonale, giunto alla determinazione di annullare la decisione del Dipartimento con l'ingiunzione di pronunciarsi nuovamente alla scadenza della zona di pianificazione, ha implicitamente ritenuto che tale annullamento aveva per effetto di paralizzare l'applicabilità della licenza edilizia comunale sino a tale termine, trascorso il quale esso si sarebbe pronunciato di nuovo su impugnativa di uno dei due contendenti ed avrebbe nel contempo esaminato anche le rimanenti obiezioni di Galli contro la licenza edilizia comunale, la cui efficacia era per legge sospesa.
Ne consegue che il Tribunale amministrativo, giunto alla conclusione che la decisione del Consiglio di Stato dovesse esser
BGE 113 Ib 376 S. 387
parzialmente annullata con ripristino parziale dell'autorizzazione del Dipartimento, avrebbe dovuto rinviare la causa al Governo per decidere sul ricorso di Galli contro la licenza edilizia comunale, o quantomeno pronunciarsi esso stesso in proposito. Non avendo fatto uso di nessuno dei capi di questa alternativa, il Tribunale amministrativo ha lasciato inevaso il gravame rettamente proposto al Consiglio di Stato da Galli contro la licenza comunale, ed ha consentito alla qui resistente di utilizzarla insieme con quella cantonale per la messa in esercizio dell'impianto di distribuzione già costruito nel frattempo. Ciò facendo, l'istanza cantonale è caduta in un diniego di giustizia formale.
6.
a) Il ricorrente rimprovera poi al Tribunale amministrativo di aver arbitrariamente fatto astrazione, per il suo giudizio, dei lavori già eseguiti dalla Depauto S.A. sulla scorta delle licenze edilizie comunali conseguite in via di semplice notifica ("aiuola spartitraffico", "locale cassa con deposito"). Anche questa censura merita accoglimento.
Certo, le licenze edilizie comunali concesse nella forma della semplice notifica sono divenute definitive ed hanno acquistato forza di cosa giudicata in virtù della sentenza del 7 maggio 1984 del Tribunale amministrativo. Ma ciò non giova alla Depauto S.A. La forza di giudicato di queste licenze comunali si estende e può estendersi infatti solo a quanto la Depauto S.A. aveva richiesto, e, rispettivamente, il Municipio accordato, cioè alla formazione di un "aiuola spartitraffico" tra i posteggi e la preesistente stazione di rifornimento, rispettivamente alla creazione di un "locale cassa con deposito". Ora, come il ricorrente a giusta ragione rileva e come è chiaramente dimostrato dalla documentazione fotografica negli atti e dagli stessi piani prodotti, la resistente non ha affatto costruito un'aiuola (cioè "una piccola area di terreno coltivata a fiori", ZINGARELLI, Nuovo vocabolario della lingua italiana; una "porzione di terreno in cui si coltivano secondo un certo disegno fiori e piante d'ornamento", DEVOTO-OLI, Dizionario) e neppure essa ha costruito uno spartitraffico tra la primitiva stazione di rifornimento ed i posteggi. Essa ha in realtà costruito il basamento destinato ad accogliere, in ampliamento degli impianti esistenti, due nuovi distributori di benzina doppi, e munito dei supporti dei pilastri per il prolungamento della pensilina, basamento che è evidentemente stato provvisto di tutte le condutture necessarie all'alimentazione delle colonne nonché dei comandi elettrici. La stessa argomentazione vale per il locale "cassa con deposito", se si deve ammettere - come la ricorrente assevera senza esser
BGE 113 Ib 376 S. 388
smentito da una contestazione precisa della resistente né dalle altre risposte, e come non è contraddetto dagli atti - che in tale locale hanno trovato posto tutte le istallazioni elettriche di comando dell'ampliata stazione. D'altronde, risulta dai piani stessi della Depauto S.A. che una delle tre nuove colonne doppie è posata in facciata dell'esistente autosilo: ora, anche per tale colonna debbono esser stati creati, nell'ambito delle due precedenti "tappe" dei lavori, le condutture necessarie.
È quindi manifesto che le opere eseguite in precedenza non corrispondono ai permessi municipali rilasciati dal Municipio di Chiasso per un'"aiuola" e un locale cassa, ed in tale misura esse non sono coperte dalla forza di cosa giudicata delle licenze stesse. L'asserzione della resistente Depauto S.A., che in risposta continua a parlare di "aiuola spartitraffico fra i posteggi esistenti e la stazione di servizio" rasenta la malafede e merita d'esser censurata dal Tribunale federale. In realtà, i lavori effettuati subito prima e quelli contemplati nella domanda inoltrata al Municipio il 24 ottobre 1983 formano un unico complesso inscindibile, volto all'ampliamento della primitiva stazione di distribuzione dei carburanti. Che un simile impianto sia soggetto all'obbligo di ottenere un'autorizzazione già in virtù dell'
art. 22 LPT
, disposizione direttamente applicabile, è palese (DFGP/UPT, Commento LPT, n. 3, 6 segg. all'art. 22; ZIMMERLIN, Kommentar zum aargauischen Baugesetz, n. 2 a 9 al § 10), com'è manifesto che di esso fanno parte tutte le apparecchiature accessorie che ne assicurano il funzionamento (Commento citato, n. 7 all'art. 22).
Se ne deve concludere che il Tribunale amministrativo, omettendo di considerare l'ampliamento dell'esistente impianto di distribuzione dei carburanti nel suo complesso e limitando il suo giudizio alla "posa" delle colonne vere e proprie, ha ristretto in modo insostenibile il fondamento fattuale del suo giudizio. Anche sotto tale profilo, quindi, l'
art. 4 Cost.
è violato.
b) Galli scorge un diniego di giustizia nella circostanza che il Tribunale amministrativo si è limitato a liquidare le sue censure circa l'inosservanza delle regole sulla polizia del fuoco con l'argomento che le pompe sorgono a più della distanza prescritta dalla sua casa. Come il ricorrente espone, egli non si era affatto lagnato dell'insufficienza della distanza dal suo stabile, ma dell'inosservanza delle distanze di sicurezza dell'impianto ampliato verso l'autosilo tuttora aperto e per riguardo al posteggio a pagamento cui la Depauto S.A. adibische lo stesso
BGE 113 Ib 376 S. 389
piazzale, che funzionalmente fa parte dell'autosilo. Il Consiglio di Stato - che aveva accolto l'opposizione di Galli con riferimento semplicemente alla zona di pianificazione - non aveva motivo di occuparsi ulteriormente di queste censure, dopo esser giunto alla conclusione che la decisione dipartimentale andava annullata già per questa ragione ed il Dipartimento astretto a rendere una nuova decisione alla scadenza di tale zona. In situazione diversa versava il Tribunale amministrativo, dopo aver ritenuto che la zona di pianificazione in sé non potesse ostare alla semplice posa dei nuovi distributori. Esso non poteva limitarsi ad esaminare la questione della distanza dallo stabile di Galli, ma doveva pronunciarsi sulle altre critiche sollevate e relative all'inosservanza di prescrizioni di sicurezza per riguardo alle preesistenti installazioni della Depauto S.A. stessa e all'utilizzazione cui il fondo di questa è adibito. In questa omissione va pure ravvisato un diniego di giustizia.
7.
Infine Galli rimprovera al Tribunale amministrativo diniego di giustizia formale e materiale per essersi scostato - limitatamente alla posa dei tre nuovi distributori - dal giudizio del Consiglio di Stato. Anche queste censure sono fondate.
a) Come rettamente e espressamente rileva il Tribunale amministrativo stesso, mentre il Consiglio di Stato può sostituire il proprio apprezzamento a quello di un Dipartimento, esaminandone la decisione anche sotto il profilo dell'adeguatezza (opportunità), l'istanza giudiziaria cantonale può controllare solo l'applicazione del diritto, alla quale è parificato l'abuso o l'eccesso del potere di apprezzamento (cfr. art. 56 segg. LPAmm. per rapporto all'art. 61). Praticamente ciò significa che l'esercizio dell'apprezzamento può esser sindacato dall'istanza giudiziaria quando l'Esecutivo si è arrogato competenze che non gli spettano o ne ha fatto un uso insostenibile, privo di qualsiasi seria motivazione, sconfinando in sostanza nell'arbitrio. Ora, a torto il Tribunale amministrativo ha dichiarato addirittura insostenibile l'apprezzamento del Governo, secondo cui non solo la pensilina, ma anche la posa dei distributori supplementari contravvenivano alle finalità perseguite dalla zona di pianificazione. Il Consiglio di Stato, infatti, poteva con fondati argomenti scorgere nella posa di questi nuovi distributori e nella conseguente messa in esercizio un ampliamento della stazione di distribuzione intimamente connessa con l'autosilo, e concluderne in legittimo esercizio dell'apprezzamento
BGE 113 Ib 376 S. 390
che questo si poneva in urto con le finalità della zona di pianificazione, che intende salvaguardare la pianificazione futura non solo sotto l'aspetto volumetrico, ma anche sotto quello dell'utilizzazione concreta dei fondi da essa abbracciati e delle attività imprenditoriali che vi devono o possono esser consentite. Ritenendo insostenibile, cioè praticamente arbitraria, quest'opinione del Consiglio di Stato, il Tribunale amministrativo si è in realtà arrogato di rivedere l'adeguatezza della decisione governativa, cadendo nel diniego di giustizia.
b) La decisione dell'ultima istanza cantonale non sfuggirebbe d'altronde alla censura del ricorrente nemmeno se si volesse ammettere che le competesse anche l'esame dell'adeguatezza della decisione governativa.
L'art. 27 cpv. 1. LPT conferisce alla competente autorità cantonale il potere di stabilire delle zone di pianificazione per comprensori esattamente determinati se i piani d'utilizzazione mancano o devono esser modificati; l'
art. 36 cpv. 2 LPT
autorizza espressamente i Governi cantonali - in attesa dell'emanazione delle disposizioni cantonali necessarie all'applicazione della legge (cpv. 1) - ad emanare ordinamenti provvisionali, in particolare a stabilire zone di pianificazione. Il Consiglio di Stato ha provveduto a creare tale ordinamento provvisorio - che non costituisce soltanto una facoltà, ma un obbligo che rientra nel quadro dell'esecuzione del mandato costituzionale enunciato dall'
art. 22quater Cost.
e precisato nell'
art. 36 cpv. 1 LPT
- adottando il decreto esecutivo del 29 gennaio 1980 (DEPT), in cui ha legittimamente delegato al Dipartimento dell'ambiente la facoltà di allestire tali zone di pianificazione, riservandosi il ruolo d'autorità di ricorso (
DTF 110 Ia 138
segg.). Per il centro cittadino di Chiasso, ciò è avvenuto, come si è visto, coll'adozione della zona di pianificazione controversa, tanto più indispensabile data la pratica carenza di ogni piano regolatore. Come si rileva dalla scheda che illustra tale zona di pianificazione, essa è intesa "a salvaguardare e rivitalizzare il tessuto edilizio esistente, qualificando, in pari tempo, le relazioni con le altre parti componenti il contesto urbanizzato del territorio comunale". Si precisa in detta scheda che "in tale zona, nonostante la presenza di numerose nuove costruzioni, gli aspetti tipologici della trama urbana hanno mantenuto le originarie caratteristiche di unitarietà, chiaramente rilevabili nelle parti edilizie tradizionali che compongono il vecchio borgo lungo via Bossi e via Lavizzari, e nelle parti edilizie attinenti allo sviluppo ed
BGE 113 Ib 376 S. 391
alla ristrutturazione d'origine ottocentesca della città, lungo l'asse di Corso S. Gottardo". Gli effetti della zona sono quelli di vietare "la realizzazione di nuove costruzioni, di nuovi impianti, come pure la ricostruzione e l'ampliamento di edifici esistenti". Ammessi sono unicamente "gli interventi di manutenzione, riattazione e trasformazione di stabili esistenti, nonché la realizzazione di altri manufatti quali muri o eventuali corpi accessori... se non contrastano e non pregiudicano gli obiettivi della pianificazione specifica". Ora, la pianificazione non abbraccia solo il tipo e la volumetria degli stabili da erigere in una determinata zona, ma si estende propriamente all'utilizzazione della zona stessa, cioè al tipo delle attività, segnatamente le attività imprenditoriali che vi sono ammesse, ed alla loro coordinazione. Ora, è palese che lo stabilimento, rispettivamente il notevole ampliamento di una stazione di rifornimento di carburanti connessa con un autosilo costituisce un intervento suscettibile di rendere vano o più arduo il mantenimento di un vecchio borgo com'è quello delimitato da via E. Bossi e da via Lavizzari. Anche ad un profano, senza ricorso all'ausilio di perizie tecniche, non può sfuggire che l'autosilo già costituisce in sé un fattore di disturbo per il traffico che tale impianto per la sua stessa funzione convoglia nelle anguste vie del borgo storico, fiancheggiate dalle tipiche costruzioni a 2-3 piani che la documentazione fotografica illustra; una stazione di distribuzione di carburanti all'aperto, a questo connessa, non fa che incentivare detto traffico; per di più, essa ha effetti analoghi a quelli - ben noti quali origine di inquinamento fonico ed atmosferico - di un impianto semaforico, nella misura in cui comporta un arresto e una partenza supplementare, all'aperto, di parte degli utenti dell'autosilo stesso per motivo di rifornimento, rispettivamente di ulteriori clienti dei distributori. Se a questo si aggiunga che tra le colonne posate ve ne sono di quelle a funzionamento automatico e continuo, si deve concludere che l'attuato ampliamento degli impianti di distribuzione è suscettibile di incentivare anche il molesto traffico notturno, quand'anche l'autosilo non funzionasse durante la notte. A giusta ragione, poi, il ricorrente osserva che l'incentivazione dello smercio di carburanti - a cisterne invariate - comporta la maggior frequenza del loro riempimento, effettuato per mezzo di autobotti pesanti e notoriamente connesso con emissioni moleste e nocive per i vicini. L'affermazione della Depauto S.A., per cui l'aria del centro cittadino "non è quella che si può trovare in campagna, ma che nessuno ha mai
BGE 113 Ib 376 S. 392
pensato di contestare il riempimento dei serbatoi di benzina dei distributori cittadini", è addirittura sconcertante: una situazione già precaria dal punto di vista abitativo non giustifica - per meri motivi economici - un'incentivazione degli inquinamenti, ma semmai la loro drastica riduzione. Tanto la LPT, quanto specialmente la LPA (art. 1 cpv. 2, art. 11) si fondano sull'elemento cardinale della prevenzione (Vorsorgeprinzip). In simili circostanze di fatto, l'affermazione dell'impugnata sentenza per cui i vincoli imposti dalla zona di pianificazione si attenuano gradualmente col progredire del tempo e la progressiva individuazione degli scopi urbanistici e la concretizzazione degli studi è insostenibile, poiché chiaramente in contrasto con i manifesti intendimenti di risanamento e di rivitalizzazione del borgo storico, che costituiscono la ragione stessa della zona di pianificazione e di cui sono premesse la riduzione delle fonti d'inquinamento esistenti e la prevenzione di rumore. L'autorità d'ultima istanza ha negletto di considerare che determinanti non sono certo l'ingombro volumetrico delle colonne di distribuzione e dei relativi impianti di alimentazione, bensì le conseguenze del potenziamento notevole dell'esercizio. Né vale obiettare, a tal proposito, che i distributori si possono agevolmente sopprimere successivamente: tale argomento neglige che l'autorizzazione di posa e di esercizio è suscettibile di creare delle situazioni acquisite che è poi impossibile o quantomeno arduo ridurre o sopprimere, per tacere del fatto che una situazione provvisoria che perdura per degli anni è parimenti inammissibile. D'altronde, l'istanza cantonale ha fatto un riferimento puramente formale al progredire degli studi pianificatori, senza manifestamente spingere l'indagine al loro risultato effettivo e concreto, il quale non può esser sicuramente andato nel senso che l'impugnata sentenza sottintende. Da uno studio commesso dallo stesso Comune di Chiasso a un gruppo di lavoro composto di specialisti e pubblicato nell'aprile del 1986 ("Studio sul problema dell'alloggio", arti grafiche Bernasconi S.A., Agno; autori dott. E. Gerosa, lic. oec. R. Denea, ing. Gianfranco Sciarini), si desume infatti che il troppo traffico costituisce il motivo di lamentela più importante (70% degli interpellati) nell'inchiesta demoscopica e si suggerisce la creazione di due zone pedonali, di cui una comprendente la zona trapezoidale sita fra Corso S. Gottardo, via L. Lavizzari, via S. Franscini e via E. Bossi, con l'esplicita proposta di trasformare l'attuale autosilo in parcheggio limitato agli utenti del quartiere ed ai suoi residenti, con il rispettivo adeguamento delle dimensioni per rispondere alle esigenze di questa
BGE 113 Ib 376 S. 393
nuova funzione. Che l'istanza cantonale nella decisione impugnata ha manifestamente disatteso la funzione di prevenzione (Vorsorge) della zona di pianificazione, e con ciò trascurato che la prevenzione è uno dei cardini tanto della pianificazione del territorio, quanto della legge federale sulla protezione dell'ambiente, è palese. Ciò costituisce lesione di un principio fondamentale e conseguentemente violazione dell'
art. 4 Cost.
8.
(Spese processuali)
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso di diritto amministrativo è respinto; il ricorso di diritto pubblico è ammesso, nella misura in cui è ricevibile, e la decisione impugnata è annullata. | public_law | nan | it | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cf76003d-f8cf-4b32-8d36-585a29293c4c | Urteilskopf
124 II 165
21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. März 1998 i.S. Werner Maag gegen Baugesellschaft Gutveina, Capaul Bau AG, H.P. Stüssy + G. Bavier AG und Anton Huonder-Brunner sowie Gemeinde Flims und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Qualitativer Waldbegriff (Bestockung von weniger als 800 m2, spitzwinklige Einbuchtung in das Waldareal). Begriff des Waldbaumes (Strobe, Rosskastanie). Begriff des Niederwaldes.
Art. 2, 22 WaG
,
Art. 1 WaV
, Art. 2 des Kantonalen Waldgesetzes (KWaG), Art. 25 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung dazu (KWaV).
Hat eine Bestockung von weniger als 800 m2 Waldqualität, ist sie als Wald auszuscheiden, selbst wenn das kantonale Recht die Mindestfläche dafür auf 800 m2 ansetzt (E. 2).
Eine spitzwinklige Einbuchtung in den Wald ist nach den insoweit mit dem qualitativen Waldbegriff des Bundesrechts übereinstimmenden Bündner Richtlinien zum Waldareal zu zählen (E. 6).
Begriff des Waldbaumes im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 WaG
. Anwendung auf Strobe und Rosskastanie (E. 7, 8).
Beurteilung der konkreten Bestockung (E. 9, 10).
Begriff des Niederwaldes im Sinne von Art. 25 Abs. 2 KWaV und Ziff. 4.4 der Bündner Richtlinien. Vereinbarkeit mit dem Kahlschlagverbot von
Art. 22 WaG
(E. 11). | Sachverhalt
ab Seite 166
BGE 124 II 165 S. 166
A.-
Werner Maag ist Eigentümer der mit einem Wohnhaus überbauten Parzelle Nr. 2049 sowie Miteigentümer der angrenzenden, unüberbauten Parzelle Nr. 2050 im Gebiet "Gutveina" in Flims Waldhaus. Im Jahre 1985 wurde auf den anstossenden Parzellen Nrn. 2050, 2057 und 2062 eine Fläche von 608 m2 als Niederwald ausgeschieden. Im Zuge der Erschliessung des Baugebietes Gutveina durch eine private Quartierstrasse wurde 1995 ein Waldfeststellungsverfahren eingeleitet. Mit Verfügung vom 25. Juni 1996 schied das Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement des Kantons Graubünden (BVFD) gemäss Plan 1:500 vom 15. November 1995 (im folgenden: Plan 95) die bereits 1985 als Wald festgestellte Fläche und zusätzlich eine kleine Waldzunge von 143 m2 auf der Parzelle Nr. 2050, insgesamt 751 m2, als Niederwald "mit besonderer Funktion" aus.
Gegen diese Verfügung rekurrierten Werner Maag sowie drei weitere von der Waldfeststellung betroffene Eigentümer bzw. Miteigentümer - nämlich die Baugesellschaft Gutveina (Nr. 2057), die
BGE 124 II 165 S. 167
Capaul Bau AG zusammen mit den Architekturbüros H.P. Stüssy und G. Bavier AG (Nr. 2050) und Anton Huonder-Brunner (Nr. 2062) - beim Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden. Werner Maag beantragte im wesentlichen, die Verfügung des BVFD sei insoweit aufzuheben, als sie Bestockungen auf den Parzellen Nrn. 2050, 2057 und 2062 ausserhalb des angefochtenen Waldfeststellungsplanes nicht als Wald ausscheide. Ausserdem seien die Bestockungen insgesamt, eventuell mindestens jene auf Parzelle Nr. 2050, als Hochwald auszuscheiden. Die anderen drei Rekurrenten beantragten im wesentlichen, es sei festzustellen, dass es sich bei der als Wald ausgeschiedenen Fläche - eventuell mit Ausnahme von zwei kleinen Teilflächen auf den Parzellen Nrn. 2050 und 2062 - nicht um Wald handle.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies mit Urteil vom 15. Oktober 1996 alle Rekurse ab.
B.-
Mit Eingabe vom 27. Januar 1997 erhebt Werner Maag gegen dieses Urteil Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
(rechtliches Gehör) und der Waldgesetzgebung des Bundes mit folgenden Anträgen:
"1. Die Waldfeststellungsverfügung vom 25. Juni 1996
(Departementsverfügung Nr. 005/96) und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 15. Oktober 1996 seien aufzuheben, soweit festgestellt wird, die Bestockung auf den Grundstücken GB Flims Nrn. 2050, 2057 und 2062 ausserhalb des Waldfeststellungsplans vom 15. Oktober 1995 sei nicht als Wald i.S.v.
Art. 2 WaG
zu qualifizieren.
2.1 Es sei festzustellen, dass die gesamte Bestockung auf den Grundstükken GB Flims Nrn. 2050, 2057 und 2062 Wald i.S.v.
Art. 2 WaG
sei.
2.2 Eventuell sei die Waldfeststellung "Gutveina" im Sinne nachfolgender Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2.3 Es sei festzustellen, dass die Bestockung auf den Grundstücken GB Flims Nrn. 2050, 2057 und 2062 Hochwald i.S.v. Art. 22 KWaG sei."
C.-
Im Vernehmlassungsverfahren beantragt das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf sein Urteil, die Beschwerde sei abzuweisen. Den gleichen Antrag stellen die Gemeinde Flims und das BVFD sowie die Capaul Bau AG, die Architekturbüros H.P. Stüssy und G. Bavier AG, die Baugesellschaft Gutveina und Anton Huonder-Brunner.
D.-
Das BUWAL führt in seiner Vernehmlassung aus, die Besichtigung der Bestockung durch den eidg. Forstinspektor vom 21. Mai 1997 habe ergeben, dass der Waldfeststellungsplan vom 15. November 1995 bestätigt werden könne. Insbesondere sei der
BGE 124 II 165 S. 168
Wald auf der Parzelle Nr. 2050 korrekt abgegrenzt; die beiden darauf stockenden Rosskastanien seien keine Waldbäume, und die sie umgebenden Büsche (Hasel, Holunder, Weide) seien entweder noch keine 20 Jahre alt oder wiesen keinen Wuchszusammenhang zur als Wald ausgeschiedenen Bestockung auf. Nicht vollumfänglich gefolgt werden könne der angefochtenen Waldfeststellung aber insofern, als der östliche Teil der Bestockung, namentlich auf der Parzelle Nr. 2050, Baumarten aufweise, welche als Kernwüchse bezeichnet werden könnten (zwei Fichten und zwei Kirschbäume); es falle schwer, diesen Teil als Niederwald einzustufen, er könnte ohne weiteres als Hochwald bezeichnet werden.
E.-
Im zweiten Schriftenwechsel hält das BVFD daran fest, dass die ganze ausgeschiedene Bestockung als Niederwald anzusehen sei, da die einzelnen Kernwüchse für sich allein keine Waldfläche bilden würden. Die Capaul Bau AG, die Architekturbüros H.P. Stüssy und G. Bavier AG sowie die Baugesellschaft Gutveina widersetzen sich einer Aufteilung der als Wald ausgeschiedenen Fläche in Nieder- und Hochwald ebenfalls.
Werner Maag reicht mit seiner Stellungnahme ein Gutachten von Dipl.Forsting.ETH Georg Willi vom 8. August 1997 ein. Dieses kommt zum Schluss, von der als Wald ausgeschiedenen Fläche könne höchstens der Grauerlen-Bestand südwestlich des im Zentrum liegenden Findlings als Niederwald angesehen werden, nicht aber die übrigen, mit Kernwüchsen bestockten Teile auf der Kuppe sowie im Norden und im Osten. Die Waldgrenze sei zudem zu eng gezogen: im Osten, Süden und Norden hätten weitere Flächen Waldqualität.
F.-
Am 17. November 1997 führte eine Delegation des Bundesgerichts einen Augenschein durch. Mit der Zustellung des Augenscheinsprotokoll wurden das BVFD und das BUWAL zur Stellungnahme zur Frage aufgefordert, "nach welchen Kriterien zu beurteilen ist, ob ein Baum als Waldbaum im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Wald (WaG; SR 921.0)
anerkannt werden kann und weshalb das für die hier zur Diskussion stehenden Stroben und Rosskastanien nicht zutreffen soll".
Die Baugesellschaft Gutveina, die Capaul AG und die Architekturbüros H.P. Stüssy und G. Bavier AG erhoben keine Einwände und Bemerkungen zum Protokoll des Augenscheins. Das BVFD und das BUWAL kommen in ihren Stellungnahmen übereinstimmend zum Schluss, dass Stroben und Rosskastanien an diesem Standort nicht als Waldbäume im Sinn von
Art. 2 Abs. 1 WaG
gelten könnten.
BGE 124 II 165 S. 169
Der Beschwerdeführer reichte verschiedene Bemerkungen zum Augenscheinsprotokoll ein.
G.-
Die Baugesellschaft Gutveina, die Capaul AG und die Architekturbüros H.P. Stüssy und G. Bavier AG verzichteten auf weitere Vernehmlassung zur Stellungnahme des BVFD und des BUWAL. Der Beschwerdeführer kritisiert in seiner Stellungnahme namentlich die Auffassung von BVFD und BUWAL, die Strobe und die Rosskastanie seien nicht als Waldbäume anzuerkennen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
Umstritten ist in diesem Verfahren in erster Linie, ob die Waldgrenzen im Plan 95 weit genug gezogen wurden, oder ob nicht weitere angrenzende Flächen in die Waldfeststellung hätten miteinbezogen werden müssen. In zweiter Linie dreht sich der Streit um die Frage, ob die gesamte ausgeschiedene Waldfläche als Niederwald im Sinne von Art. 25 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum kantonalen Waldgesetz vom 2. Dezember 1994 (KWaV) eingestuft werden kann, oder ob es sich dabei nicht wenigstens teilweise um Hochwald handelt.
a) Gemäss
Art. 3 WaG
soll die Waldfläche der Schweiz nicht vermindert werden. Das Waldgesetz soll den Wald in seiner Fläche und seiner räumlichen Verteilung erhalten sowie als naturnahe Lebensgemeinschaft schützen (
Art. 1 Abs. 1 lit. a und b WaG
) und überdies dafür sorgen, dass er seine Funktionen, namentlich seine Schutz-, Wohlfahrts- und Nutzfunktion (Waldfunktionen) erfüllen kann (
Art. 1 Abs. 1 lit. c WaG
).
Art. 2 WaG
umschreibt den Begriff des Waldes. Als Wald gilt jede Fläche, die mit Waldbäumen oder Waldsträuchern bestockt ist und Waldfunktionen ausüben kann. Entstehung, Nutzungsart und Bezeichnung im Grundbuch sind nicht massgebend (Abs. 1). Auch als Wald gelten u.a. Weidwälder, bestockte Weiden (Wytweiden) und Selven (Abs. 2). Nicht als Wald gelten u.a. isolierte Baum- und Strauchgruppen, Hecken, Garten-, Grün- und Parkanlagen sowie Baumkulturen, die auf offenem Land zur kurzfristigen Nutzung angelegt worden sind (Abs. 3).
Innerhalb des vom Bundesrat festgesetzten Rahmens können die Kantone bestimmen, ab welcher Breite, welcher Fläche und welchem Alter eine einwachsende Fläche sowie ab welcher Breite und
BGE 124 II 165 S. 170
welcher Fläche eine andere Bestockung als Wald gilt (
Art. 2 Abs. 4 Satz 1 WaG
). Diesen Rahmen legte der Bundesrat in
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Wald (WaV; SR 921.01)
wie folgt fest:
a) Fläche mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 200-800 m2;
b) Breite mit Einschluss eines zweckmässigen Waldsaumes: 10-12 m;
c) Alter der Bestockung auf Einwuchsflächen: 10-20 Jahre.
Erfüllt die Bestockung in besonderem Masse Wohlfahrts- oder Schutzfunktionen, so sind die kantonalen Kriterien nicht massgebend, bzw. gilt sie unabhängig von ihrer Fläche, ihrer Breite oder ihrem Alter als Wald (
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
und
Art. 1 Abs. 2 WaV
).
b) Der Kanton Graubünden hat gestützt auf
Art. 50 Abs. 1 WaG
und
Art. 66 WaV
die notwendigen Ausführungsvorschriften erlassen. In Art. 2 Abs. 2 des Kantonalen Waldgesetzes vom 25. Juni 1995 (in Kraft seit dem 1. Januar 1996, KWaG) legte er fest, dass Bestockungen nur dann als Wald gelten, wenn sie mindestens 800 m2 gross, 12 m breit und 20 Jahre alt sind. Der Beschwerdeführer macht, unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, geltend, es sei bundesrechtswidrig, den vom Bundesrat in
Art. 1 Abs. 1 WaV
gewährten Spielraum undifferenziert voll auszuschöpfen.
c) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erfüllen Bestokkungen ab einer Fläche von etwa 500 m2 regelmässig Waldfunktionen (
BGE 122 II 72
E. 3;
118 Ib 614
E. 4a). Schöpft ein Kanton - wie der Kanton Graubünden in Art. 2 Abs. 2 KWaG - den ihm von
Art. 1 Abs. 1 WaV
vorgegebenen Spielraum schematisch und undifferenziert für Bestockungen der unterschiedlichsten Art und Lage im ganzen Kantonsgebiet aus, indem er den Höchstwert von 800 m2 als in allen Fällen massgeblich erklärt, widerspricht dies dem Sinn und Zweck der quantitativen Kriterien für die Waldfeststellung und damit dem qualitativen Waldbegriff; es muss daher das in der bundesgerichtlichen Praxis entwickelte Mindestkriterium Platz greifen (
BGE 122 II 72
E. 3b/bb). Insofern trifft der Einwand des Beschwerdeführers zu. Davon ging indessen auch das Verwaltungsgericht im angefochtenen Entscheid aus, indem es die Waldqualität nicht mangels Erfüllung des Mindestkriteriums von 800 m2 Fläche gemäss Art. 2 Abs. 2 KWaG verneinte.
6.
Der östliche Teil der Fläche A besteht aus einer spitzwinkligen (etwa 45o weiten) Einbuchtung in das Waldareal, wobei der
BGE 124 II 165 S. 171
südliche Schenkel rund 9 m, der nördliche, leicht geknickte Schenkel insgesamt rund 14 m lang ist. Sie ist mit jungen Erlen überwachsen.
a) Nach den Richtlinien für die Waldfeststellung im Kanton Graubünden (im folgenden: Richtlinien) gehört eine Einbuchtung "in der Regel" dann nicht zum Waldareal, wenn "ihre Fläche grösser ist als diejenige, die ein standortgemässer ausgewachsener Baum beanspruchen würde" (S. 4). Der Bedeutung eines abgestuften, intakten Waldsaums für den Schutz des inneren Waldbestandes (H. TROMP, Der Rechtsbegriff des Waldes, in: Spezielle Probleme im öffentlichen Forstrecht, Beiheft zu den Zeitschriften des Schweizerischen Forstvereins Nr. 39, 1966, S. 52) trägt auch das Bundesrecht Rechnung, indem es für die Bestimmung der Waldgrenzen den Einschluss eines "zweckmässigen Waldsaumes" ausdrücklich vorsieht (
Art. 1 Abs. 1 lit. a und b WaV
). Es ist daher sachgerecht und vom qualitativen Waldbegriff des Bundesrechts her auch erforderlich, schmale unbestockte Einschnitte in den Waldsaum zum Waldareal zu zählen, weil sonst die Ausbildung eines intakten, vollwertigen Waldsaums nicht gewährleistet ist.
b) Es ist offensichtlich, dass eine so spitze Einbuchtung, wie sie hier zur Diskussion steht, leicht von einem standortgerechten Einzelbaum ausgefüllt werden kann; das zeigt schon ein Blick auf die im Plan 95 mit ihrem Kronenumfang eingezeichneten Bäume (z.B. Buche, Birke, Fichte, Pappel, Hasel). Es widerspricht somit sowohl den Richtlinien als auch dem bundesrechtlichen Waldbegriff, diese Einbuchtung vom Waldareal auszunehmen. Die Rüge ist daher begründet, die Einbuchtung ist als Wald auszuscheiden, und zwar gleichgültig darum, ob die darin bestehende Bestockung, für sich allein betrachtet, Waldqualität aufweist oder nicht.
Was die Abgrenzung der Einbuchtung betrifft, so drängt sich auf, die beiden Endpunkte der die Einbuchtung bildenden Schenkel - der südliche liegt auf der Parzelle Nr. 2062, praktisch auf der Grenze zur Parzelle Nr. 2057, der nördliche auf der Parzelle Nr. 2057, etwa 2,5 m von der Grenze zur Parzelle Nr. 2050 entfernt - mit einer geraden Linie zu verbinden. Es ist Sache der zuständigen Forstbehörde, die neue Waldgrenze im Bereich der Einbuchtung in diesem Sinne genau festzulegen.
7.
Bei der Beurteilung der Flächen C und D stellt sich die Frage, ob die dort stockenden Stroben und Rosskastanien als Waldbäume im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 WaG
anzuerkennen sind.
a) Das BUWAL führt dazu aus, Flims liege auf einer Höhe von ca. 1100 m.ü.M. im Bereich der nördlichen Zwischenalpen. Das
BGE 124 II 165 S. 172
ozeanisch bis kontinental geprägte Klima lasse in dieser Region je nach Höhenlage und geologischer Herkunft des Oberbodens folgende Waldgesellschaften zu: auf 450-1200 m.ü.M. colline Eichen-Föhrenwälder, auf 500-1400 m.ü.M. submontane, untermontane und obermontane Tannen-Buchenwälder sowie auf 700-600 m.ü.M. hochmontane Tannen-Fichtenwälder. In diesen Waldgesellschaften träten die folgenden Baumarten als Pionierbaumarten oder Vorbau auf: Birke, Vogelbeere, Erle, Kirsche, Weide, Hasel als Waldstrauch; seltener die Pappel und in höheren Lagen die Lärche. Als bestandesbildende Hauptbaumarten könnten in dieser Region die Trauben- und Flaumeiche, die Waldföhre, die Buche, die Tanne und die Fichte gelten. Nur diese Bäume erlaubten eine standortgerechte, naturnahe Waldbestockung. Sowohl die Strobe als auch die Rosskastanie seien vor 200-300 Jahren importierte Baumarten, die nicht zu den Bestandesgliedern autochtoner Wälder der schweizerischen Alpen und Voralpen gehörten. Die Rosskastanie sei ausschliesslich ein Garten- und Parkbaum. Vertreter der Gattung Pinus (Kiefern) würden zwar in der Forstlichen Pflanzenschutzverordnung (vom 30. November 1992, SR 921.541, Anhang 1) zu den Waldbäumen gezählt; in dieser Höhenlage und an diesem Standort könne die Strobe jedoch nicht als echter Waldbaum angesehen werden.
b) Für das BVFD zählt das Bergsturzgebiet von Flims zum Hauptverbreitungsgebiet der Fichte; für die vorwiegend natürliche Verjüngung würden ausschliesslich einheimische Arten (hauptsächlich Fichte, Tanne, Waldföhre, Buche) verwendet. Anbauversuche mit ausländischen Baumarten seien nie vorgenommen worden. Strobe und Rosskastanie gehörten in der Region Flims nicht zu den im Wald vorkommenden Arten. Die im 16. Jahrhundert nach Westeuropa eingeführte Rosskastanie werde hier in Pärken, Friedhöfen, öffentlichen Grünanlagen und Gartenwirtschaften gepflanzt; forstlich habe sie nie eine Rolle gespielt. Die 1705 in Westeuropa eingeführte Strobe sei im Mittelland forstwirtschaftlich angepflanzt worden. Wegen ihrer Anfälligkeit auf die ab 1854 auftretende, verheerende Blasenrostkrankheit spiele sie heute als Risikobaum forstlich keine grosse Rolle mehr.
c) Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass
Art. 2 Abs. 1 WaG
nicht zu entnehmen sei, dass nur "einheimische" Bäume als Waldbäume anerkannt werden könnten. Das Bundesgericht bezeichne zwar einheimische Baum- und Straucharten als typische Waldelemente; es habe aber ebenso festgehalten, dass einzelne fremdländische Bestandesglieder die Waldqualität einer Bestockung nicht
BGE 124 II 165 S. 173
beeinträchtigen würden. Der Begriff des "einheimischen" Waldbaums sei ohnehin relativ. Es sei schon fraglich, ob man Bäume, die schon seit rund 300 Jahren in der Schweiz verbreitet seien, noch als "fremdländisch" bezeichnen könne. Zudem seien die meisten dieser sogenannt "fremdländischen" Bäume vor den Eiszeiten bei uns verbreitet gewesen. Der Waldbegriff dürfe auch nicht statisch aufgefasst werden. Im Wald fänden, ausgelöst von verschiedensten Ursachen (Siedlungseinflüsse, extensive Waldbewirtschaftung, Klimaveränderung, erhöhter Stickstoffeintrag), natürliche Entwicklungsprozesse statt, welche die Waldvegetation signifikant veränderten. So hätten sich z.B. im Tessin eingeführte Zierpflanzen im Wald etabliert, und auch in ungestörten Laubwäldern nördlich der Alpen würden bisher nicht oder kaum beobachtete Arten auftreten.
8.
Die Forstorgane anerkennen die Rosskastanie und die Strobe hauptsächlich aus zwei Gründen nicht als Waldbäume: sie seien nicht "einheimisch" und in Flims im Sinne eines naturnahen Waldbaus nicht standortgerecht; die Rosskastanie sei überdies ein reiner Parkbaum.
a) Anders als die Jagd- und die Fischereigesetzgebungen, die ausdrücklich den Schutz der "einheimischen" Tierarten bezwecken (Art. 1 Abs. 1 lit. a des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986, SR 922.0, JSG; Art. 1 Abs. 1 lit. a des Fischereigesetzes 21. Juni 1991, BGF, SR 923.0) und das Aussetzen fremder Arten einer Bewilligung unterwerfen oder teilweise generell untersagen (
Art. 6 JSG
, Art. 8 der Jagdverordnung vom 29. Februar 1988, SR 922.01, JSV;
Art. 6 BGF
, Art. 6 ff. der Fischereiverordnung vom 24. November 1993, SR 923.01, VBGF), kennt das WaG eine entsprechende Beschränkung auf einheimische Pflanzenarten nicht.
Art. 2 Abs. 1 WaG
umschreibt den Wald als mit Waldbäumen und Waldsträuchern bestockte Fläche, die Waldfunktionen erfüllen kann. Im Anhang 1 zur Forstlichen Pflanzenschutzverordnung werden die Gattungen, deren Vertreter zu den Waldbäumen zu zählen sind, aufgeführt. Darunter finden sich verschiedene Arten, die nicht einheimisch sind - d.h. in der Schweiz nicht natürlich vorkommen -, wie etwa die Douglasie (Pseudotsuga) oder die Robinie (Robinia), welche im 17. bzw. 18. Jahrhundert aus Nordamerika in Europa eingeführt wurden (GEORG ZAUNER, GU Kompass Nadelbäume, München 1988, S. 10; ders., GU Kompass Laubbäume, München 1989, S. 54). Die Strobe und die Rosskastanie - erstere wurde im 17. Jahrhundert aus Nordamerika (ZAUNER, Nadelbäume, S. 50), letztere im 16. Jahrhundert aus der Türkei (ZAUNER, Laubbäume, S. 56) eingeführt -
BGE 124 II 165 S. 174
können somit nicht schon deswegen als "Exoten" vom Waldbegriff ausgeschlossen werden, weil sie - vor 200 bis 300 Jahren - vom Menschen in die Schweiz eingeführt wurden.
b) Die Strobe gehört zu den Kiefern (Pinus), deren Vertreter im Anhang 1 zur Forstlichen Pflanzenschutzverordnung zu den Waldbäumen, die Waldfunktionen erfüllen können (Art. 2), gezählt werden. Im Anhang 1 der Verordnung über forstliches Vermehrungsgut vom 29. November 1994 (SR 921.552.1) wird die Strobe (Pinus strobus) ausdrücklich unter den "Waldbäumen, deren Vermehrungsgut dieser Verordnung unterliegt", aufgeführt. Die Strobe wird somit von der Waldgesetzgebung grundsätzlich als Waldbaum anerkannt. Die Forstbehörden von Bund und Kanton halten indessen dafür, die Strobe sei in Flims nicht im Sinne eines naturnahen Waldbaus standortgerecht. Nach ihrer unbestrittenen Darstellung kommt sie in dieser Region im Wald nicht vor; es seien nie Versuche unternommen worden, sie in dieser Gegend forstlich zu nutzen. Es besteht kein Anlass, diese Ausführungen der zuständigen Fachorgane anzuzweifeln. Indessen fragt sich, ob nur Waldbäume, die im Sinne eines naturnahen Waldbaus standortgerecht sind, als Waldbäume im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 WaG
anerkannt werden können.
c)
Art. 1 Abs. 1 lit. b WaG
schreibt als Gesetzeszweck den "Schutz des Waldes als naturnahe Lebensgemeinschaft" vor. Die Forstbehörden handeln somit durchaus im Sinn des von der Waldgesetzgebung vorgegebenen naturnahen Waldbaus, wenn sie auf eine standortgerechte Zusammensetzung des Waldes hinarbeiten und darauf verzichten, aus nicht-forstlichen (z.B. wirtschaftlichen) Überlegungen Versuche mit standortfremden oder gar aussereuropäischen Baumarten durchzuführen. Es ist daher nur folgerichtig, wenn sie eine in Flims standortfremde Baumart wie die Strobe nicht als Waldbaum anerkennen.
Diese moderne Auffassung des naturnahen Waldbaus ist jedoch erst wenige Jahrzehnte alt und damit, gemessen am Lebensrythmus des Waldes, jung. Als Hinterlassenschaft des überkommenen, einseitig auf die kurzfristige Holzproduktion ausgerichteten Waldbaus gibt es in der Schweiz daher noch an vielen Orten "Kunstwälder" mit standortfremden Gliedern, etwa reine, gleichförmige Fichtenbestände im Mittelland. Solche Kunstwälder können die Waldfunktionen (z.B. Schutz- und Wohlfahrtsfunktion) nur in beschränktem Mass ausüben und sind - aus heutiger Sicht - unerwünscht (zum Ganzen HANS LEIBUNDGUT, Der Wald in der Kulturlandschaft, Zürich 1984, S. 141 ff.). Das Waldgesetz schützt den Wald indessen unabhängig
BGE 124 II 165 S. 175
davon, ob er krank ist oder sich sonstwie - z.B. durch verfehlte waldbauliche Massnahmen - in einem schlechten Zustand befindet (
BGE 122 II 72
E. 2d). Solche minderwertigen Kunstwälder sollen nicht aus dem Waldareal und damit aus dem Schutz der Waldgesetzgebung entlassen, sondern vielmehr in einen möglichst naturnahen Zustand zurückgeführt werden, sodass sie ihre Waldfunktionen wieder voll erfüllen können (
Art. 1 Abs. 1 lit. a und c WaG
). Auch solche aus standortfremden Waldbäumen zusammengesetzte Bestockungen fallen somit unter den Waldbegriff von
Art. 2 Abs. 1 WaG
. Es geht daher nicht an, die Strobe im vorliegenden Fall nicht als Waldbaum anzuerkennen, nur weil sie in Flims nicht standortgerecht und ihre Verbreitung in den Wäldern dieser Region dementsprechend unerwünscht ist.
d) Die Rosskastanie (aesculus hippocastanum) sehen die Forstbehörden als reinen Parkbaum an. Für diese Auffassung spricht, dass sie weder im Anhang 1 zur Forstlichen Pflanzenschutzverordnung noch im Anhang 1 der Verordnung über forstliches Vermehrungsgut als Waldbaum aufgeführt wird. Die erste Aufzählung ist allerdings, zumindest nach dem Wortlaut ("Zu den Waldbäumen werden Vertreter folgender Gattungen gezählt:"), nicht abschliessend, und das Fehlen der Rosskastanie in der zweiten besagt nur, dass ihr Vermehrungsgut von der Verordnung nicht erfasst wird. Und dass sie - wie die Strobe - grundsätzlich geeignet ist, Waldfunktionen zu erfüllen, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden und ist im Grunde auch nicht umstritten. In Österreich ist sie denn auch als Waldbaum anerkannt (Anhang zum Bundesgesetz vom 3. Juli 1975, mit dem das Forstwesen geregelt wird, BGBl. Nr. 440/1975).
Die Unterscheidung zwischen Park- und Waldbaum beruht indessen weniger auf botanischen Kriterien. Entscheidend für die Ungleichbehandlung von Strobe und Rosskastanie ist vielmehr, dass letztere in der Schweiz - wohl aus wirtschaftlichen Gründen, ihr Holz hat keinen besonderen Wert (ZAUNER, Laubbäume, S. 56) - nie forstlich angepflanzt wurde und daher im Wald höchstens vereinzelt vorkommt. Bestrebungen, die Rosskastanie im Wald neu anzusiedeln, bestehen nicht, ganz abgesehen davon, dass es ohnehin fraglich wäre, ob ein solches Unterfangen mit den vom WaG festgelegten Grundsätzen des naturnahen Waldbaus vereinbar wäre. Kommt die Rosskastanie aber im Wald kaum vor und ist ihre Neuansiedlung unerwünscht, so rechtfertigt es sich, sie weiterhin als Parkbaum zu behandeln und nicht neu als Waldbaum im Sinne von
Art. 2 Abs. 1 WaG
anzuerkennen.
BGE 124 II 165 S. 176
e) Damit ist nicht gesagt, dass die als Waldbäume anerkannten Arten in den beiden zitierten Anhängen ein für allemal festgelegt sind. Wie der Beschwerdeführer mit Recht darlegt, ist es keineswegs ausgeschlossen, dass sich, z.B. infolge einer Klimaveränderung oder anderer Einflüsse, langfristig auch ohne menschliches Zutun im Wald neue Baumarten (z.B. verwilderte Gartenpflanzen) durchsetzen und heute verbreitete Baumarten verdrängen werden, und dass man einer solchen Entwicklung zu gegebener Zeit mit einer Anerkennung neuer Arten Rechnung tragen müsste. Es wird jedoch von keiner Seite geltend gemacht, dass die Rosskastanie daran ist, sich im Schweizer Wald durchzusetzen; insofern kann der Beschwerdeführer aus diesem Umstand nichts zu seinen Gunsten ableiten.
9.
Die Fläche C wurde insbesondere deshalb nicht als Wald ausgeschieden, weil nach Auffassung der Forstbehörden von Bund und Kanton kein Wuchszusammenhang mit der auf der Parzelle Nr. 2050 neu ausgeschiedenen Waldzunge bestehe und die Bestockung, isoliert betrachtet, die Waldkriterien nicht erfülle.
a) Die unbestritten über 20 Jahre alten Bäume stocken entlang der Südgrenze der Parzelle Nr. 2050; dieser Teil der Bestockung hat die Form eines Rechteckes, dessen eine Längsseite von der Südgrenze, die beiden Schmalseiten von der Ost- und der Westgrenze der Parzelle gebildet werden. Zwischen der nördlichen Längsseite dieses Rechtecks und der neu als Wald ausgeschiedenen Waldzunge liegt ein durchschnittlich etwa 10 m breiter Korridor, welcher auf dem Plan 95 als "Unterwuchs" bezeichnet und mit - teilweise gerodeten bzw. auf den Stock gesetzten - Haseln, Erlen und Weiden bestockt ist.
b) Am Augenschein hat sich gezeigt, dass sich die Waldzunge schon rein optisch vom nicht als Wald ausgeschiedenen einwachsenden Jungwuchs abhebt; die Grenzziehung zwischen ihr und dem Korridor lässt sich nachvollziehen. Der (teilweise) gerodete Jungwuchs wurde von deutlich unter 20 Jahre alten - für die Beurteilung des Alters massgebend ist der 25. August 1996, an welchem die hier umstrittene Waldfeststellung verfügt wurde - Erlen und Haseln dominiert; dass sich auch vereinzelte ältere Exemplare darunter befunden haben könnten, ist zwar wahrscheinlich, ändert aber nichts daran, dass der Bestand grossmehrheitlich das für eine Waldausscheidung erforderliche Minimalalter noch nicht erreichte. Die Vertreter der kantonalen Forstbehörden weisen in diesem Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass die
BGE 124 II 165 S. 177
Anforderungen an die Grundeigentümer, einwachsenden Jungwald zu roden, angesichts der rasch wachsenden und sich stark ausbreitenden Erlen und Haseln nicht überspannt werden dürfen. Das Verwaltungsgericht hat daher weder die Richtlinien noch Bundesrecht verletzt, indem es diese Fläche (Korridor) nicht ins Waldareal einbezog.
c) Der Wuchszusammenhang zwischen der als Wald ausgeschiedenen Waldzunge und der oben in E. 9a beschriebenen rechteckigen Bestockung im Südteil der Parzelle Nr. 2050 ist durch den Korridor deutlich unterbrochen; letztere ist folglich isoliert zu betrachten. Die über 20-jährigen Waldbäume stocken auf der rund 500 m2 grossen Fläche einzeln oder in kleinen Gruppen. Der Augenschein hat bestätigt, dass der Beschirmungsgrad dieser Bäume 0,5 nicht erreicht, jedenfalls dann, wenn man die beiden Rosskastanien, die nach dem Gesagten nicht als Waldbäume gelten können (oben E. 8e), ausser Acht lässt. Der Beschwerdeführer wendet zwar ein, das Vorhandensein einzelner "Exoten" tue nach der Rechtsprechung dem Waldcharakter einer Bestockung keinen Abbruch. Das trifft indessen nur für Bestockungen zu, die auch ohne Einbezug der "Exoten" die Waldkriterien erfüllen (
BGE 113 Ib 357
E. 3b), was hier gerade nicht der Fall ist: mit einem Beschirmungsgrad von unter 0,5 ist die Bestockung von vornherein zuwenig dicht, um Waldqualität zu erreichen.
10.
Auf der Fläche D stocken nach Auffassung der Forstbehörden ausser einer Birke und einer Buche nahe beim Haus des Beschwerdeführers keine weiteren Waldbäume, welche das gesetzliche Mindestalter aufweisen, um für die Waldfeststellung berücksichtigt zu werden. Nach dem Gesagten (vorn in E. 8 a-c) haben jedoch auch die drei über 20-jährigen Stroben als Waldbäume zu gelten. Das ändert indessen nichts daran, dass die immerhin gut 250 m2 grosse Fläche nicht von den wenigen das Minimalalter erreichenden Bäumen, sondern weitgehend vom die Waldkriterien nicht erfüllendem Jungwuchs dominiert wird. Das dieser in der Vegetationsperiode, wie der Beschwerdeführer darlegt, ein "undurchdringliches Dickicht" bildet, hilft nicht darüber hinweg, dass er das für eine Anerkennung als Wald erforderliche Alter nicht erreicht. Der Ausläufer gegen das Haus des Beschwerdeführers hin ist zudem bloss rund 5 m breit, sodass nicht einmal zwei ausgewachsene Einzelbäume nebeneinander Platz finden; einer solch schmalen Bestockung kann keine Waldqualität zukommen, nur schon weil sich darin z.B. offenkundig kein Waldinnenklima entwickeln kann. Die
BGE 124 II 165 S. 178
im angefochtenen Entscheid festgestellte Waldgrenze ist somit auch in dieser Richtung nicht zu beanstanden.
11.
a) Der Beschwerdeführer beanstandet die Qualifikation des Waldes als Niederwald. Nach Ziff. 4.4 der Richtlinien gelte eine Bestockung als Niederwald, wenn sie überwiegend aus Stockausschlägen entstanden sei und/oder aus Baumarten geringer Wuchshöhe bestehe. Die vorliegend als Wald ausgeschiedene Fläche bestehe überwiegend aus Kernwüchsen, und die darin stockenden zahlreichen Fichten, Föhren, Pappeln etc. hätten zudem grosse Endhöhen erreicht. Sie stelle daher eindeutig Hochwald dar.
Unter dem Gesichtspunkt des Bundesrechts sei die Einstufung als Niederwald deshalb problematisch, weil Niederwald flächenmässig auf den Stock gesetzt werden dürfe, was auf ein Unterlaufen des Kahlschlagverbotes nach
Art. 22 Abs. 1 WaG
hinauslaufe. Der Bestockung komme zudem eine besondere Wohlfahrtsfunktion im Sinne von
Art. 2 Abs. 4 Satz 2 WaG
zu; diese Funktion könne sie nicht ausüben, wenn sie flächendeckend auf den Stock gesetzt werde. Die Einstufung als Niederwald, der kantonalrechtlich ein solches Vorgehen zulasse, sei daher auch bundesrechtswidrig.
b) Die beim Augenschein anwesenden Forstfachleute haben übereinstimmend ausgeführt, mit dem Begriff Niederwald sei einerseits eine Bewirtschaftungsform gemeint, bei welcher eine Bestockung alle 10-20 Jahre auf den Stock gesetzt werde. Anderseits seien damit Baumarten gemeint, die in der Regel 12 bis 15 m Höhe nicht übersteigen sollten. Besteht eine Bestockung aus verschiedenen Baumarten, die teilweise dem Hoch-, teilweise dem Niederwald zuzurechnen sind, so bestimmt nach Ziff. 4.4 der Richtlinien die dominierende Wuchsart, welche der beiden Waldformen vorliegt.
c) Die Unterscheidung des Waldes in Nieder- und Hochwald wird vom kantonalen Recht vorgenommen, das Bundesrecht kennt sie nicht. Es ist somit grundsätzlich nur zu prüfen, ob die Einstufung der Bestockung als Niederwald vor dem Willkürverbot standhält. Frei zu prüfen ist dagegen, ob damit, wie der Beschwerdeführer behauptet, das Kahlschlagverbot von
Art. 22 WaG
unterlaufen wird (oben E. 1a und b).
d) Es ist sachlich vertretbar, ein bloss rund 750 m2 grosses Kleinstgehölz wie das vorliegende für die Beurteilung, ob es sich um Nieder- oder Hochwald handelt, als Einheit zu behandeln; eine Unterteilung wäre wegen der unterschiedlichen Waldabstände (5 bzw. 10 m, Art. 26 KWaV) nicht praktikabel.
BGE 124 II 165 S. 179
Es ist weiter vertretbar, als dominierende Baumart der Bestockung die Erle anzunehmen; im südlichen Teil der liegenden Acht kommen praktisch nur Erlen vor. Diese sind unbestrittenermassen geradezu prädestiniert dafür, zur Gewinnung von Nutzholz regelmässig auf den Stock gesetzt zu werden. Das Gehölz lässt sich somit willkürfrei als Niederwald qualifizieren. Ob die Erlen, wie der Beschwerdeführer behauptet, und wie nach dem Augenschein nicht von vornherein auszuschliessen ist, teilweise - namentlich im Bereich der engsten Stelle der liegenden Acht - eine Höhe von über 15 m erreichen, ist nicht entscheidend: die Bewirtschaftung als Niederwald erlaubt ja gerade, sie jederzeit flächendeckend auf den Stock zu setzen, sodass sie, ungeachtet des bloss 5 m betragenden Waldabstandes, die Wohnhygiene allfälliger Bauprojekte in der Nähe des Waldrandes nicht beeinträchtigen.
Da die Qualifikation gemäss Ziff. 4.4 der Richtlinien nach der dominierenden Baumart vorzunehmen ist, schadet das Vorkommen einzelner Bäume, die aus Kernwüchsen entstanden sind und die über 15 m hoch werden können, der Einstufung des Gehölzes als Niederwald grundsätzlich nicht. Es versteht sich allerdings von selbst, dass auch in einem Niederwald nur Baumarten flächendekkend auf den Stock gesetzt werden dürfen, die sich dafür eignen, wie Erle und Hasel. Die darin vorkommenden Kernwüchse dürfen nicht in gleicher Weise gerodet werden, ein solches Vorgehen liefe, wie der Beschwerdeführer mit Recht einwendet, auf eine unzulässige Umgehung des Kahlschlagverbotes von
Art. 22 WaG
hinaus. Da aber nichts entgegensteht, diese Kernwüchse auch in einem Niederwald in einer ihnen angepassten Form zu bewirtschaften, verstösst die Qualifikation des ganzen Gehölzes als Niederwald nicht gegen
Art. 22 WaG
. Die Rüge ist unbegründet. | public_law | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf79e0e0-daee-407c-b274-922114c684f6 | Urteilskopf
115 Ia 343
53. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. September 1989 i.S. Erben X. gegen Stadt Wädenswil und Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 und 22ter BV
; Revision der Ortsplanung; Zuweisung eines Grundstücks zur Reservezone gemäss § 65 des Zürcher Planungs- und Baugesetzes.
1. Verpflichtung, eine den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende Ortsplanung zu revidieren (E. 5b).
2. Begriff der Nichteinzonung (E. 5c).
3. Prüfung, ob sich die Nichteinzonung eines Grundstücks zufolge seiner Lage und des Zusammenhangs mit bereits überbautem Gebiet als sachlich nicht gerechtfertigt erweist (E. 5d).
4. Besteht in einer Gemeinde ein Defizit an Bauzonenland und sind für die Einzonung mehrere Grundstücke vorhanden, so steht der Gemeinde eine Wahl- und Entscheidungsfreiheit zu. Es ist eine Abwägung aller auf dem Spiele stehenden Interessen vorzunehmen, weshalb dem Überbauungswillen der Eigentümer eines für die Einzonung in Frage kommenden Grundstücks allein keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt und die kantonale Aufsichtsbehörde daher zu Recht von einer bindenden Weisung an die Gemeinde absieht (E. 5e). | Sachverhalt
ab Seite 344
BGE 115 Ia 343 S. 344
Die Erben X. sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 8022 im Gebiet Oberleihhof-Rötiboden in der Stadtgemeinde Wädenswil. Das Grundstück liegt oberhalb der Speerstrasse, an die es auf einer
BGE 115 Ia 343 S. 345
Länge von rund 170 m angrenzt. Es befindet sich am oberen Rand des Baugebietes von Wädenswil und erstreckt sich ungefähr 330 m hangaufwärts, wo es in das Landwirtschaftsgebiet übergeht. Gemäss der früheren Bauordnung mit Zonenplan vom 11. März 1964 war das Grundstück der Wohnzone W3w zugeteilt. Bei der vom Gemeinderat am 3. April 1984 beschlossenen Revision des Zonenplanes, die der Regierungsrat des Kantons Zürich am 6. März 1985 genehmigte, wurde das Grundstück der Reservezone zugewiesen. Gegen diese Zuteilung wandten sich die Erben X. mit Rekurs an die Baurekurskommission II. Am 26. Mai 1987 hiess diese Kommission den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut, hob die angefochtene Reservezonenzuweisung auf und lud den Gemeinderat Wädenswil ein, das Grundstück der Erben X. in einem planerisch zweckmässigen Umfang einer adäquaten Bauzone zuzuweisen.
Gegen diesen Entscheid der Baurekurskommission II erhob der Stadtrat von Wädenswil Rekurs beim Regierungsrat. Am 14. Dezember 1988 hiess der Regierungsrat diesen Rekurs bezüglich des Grundstücks Nr. 8022 im Sinne der Erwägungen gut. Dementsprechend hob er den Beschluss der Baurekurskommission II vom 26. Mai 1987 auf und lud die Stadt Wädenswil ein, ihre Ortsplanung im Sinne der Erwägungen zu ergänzen. Der Regierungsrat erwog, gemäss Berechnungen über den durchschnittlichen Gesamtverbrauch an Bauland in den vergangenen Jahren verfüge die Stadtgemeinde Wädenswil über zu wenig Wohnzonenland, um den voraussichtlichen Bedarf der kommenden 15 Jahre zu befriedigen. Aus diesem Grunde wies er die Stadt Wädenswil an, weitere Bauzonen festzulegen. Er bezeichnete es jedoch als unzulässig, die Stadt anzuweisen, ein bestimmtes Grundstück einzuzonen. Indem die Baurekurskommission dies getan habe, sei in unzulässiger Weise in den Ermessensspielraum der kommunalen Legislative eingegriffen worden.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde der Erben X. ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
b) Die an einer Verwertung des Grundstückes als Bauland interessierten Erben X. sind der Meinung, es fehle ein ausreichendes öffentliches Interesse an der Zuweisung ihres Grundstückes in die Reservezone. Dazu ist zunächst ganz allgemein
BGE 115 Ia 343 S. 346
festzuhalten, dass die Stadt Wädenswil nicht nur mit gutem Grund, sondern in Erfüllung einer sowohl durch das kantonale Recht (§ 8, 45, 47 und 342 ff. des Zürcher Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht vom 7. September 1975, PBG) als auch das Bundesrecht (Art. 2, 14 ff. und 35 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979, RPG) auferlegten Verpflichtung ihre diesen gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende frühere Ortsplanung aus dem Jahre 1964 revidiert hat. Die Verbindlichkeit der übergeordneten Planungen und des vom Regierungsrat am 30. Juni 1982 genehmigten kommunalen Gesamtplanes (
§ 16 PBG
) verlangt, dass ein dem geltenden Raumplanungsrecht entsprechender Zonenplan erlassen wird. Dass der altrechtliche Zonenplan aus dem Jahre 1964 im Sinne von
Art. 35 Abs. 3 RPG
durch den Regierungsrat genehmigt worden wäre, wird von keiner Seite geltend gemacht.
Der nun vorliegende Zonenplan ist somit der erste der Raumplanungsgesetzgebung des Bundes und des Kantons entsprechende Nutzungsplan der Stadtgemeinde Wädenswil. Insbesondere kannte das frühere, im Jahre 1964 geltende Recht keine Verpflichtung zur Begrenzung der Bauzonen, um die zweckmässige Nutzung des Bodens und die geordnete Besiedlung des Landes zu sichern, wie dies der 1969 angenommene
Art. 22quater BV
vorsieht. Nach der Grundsatzgesetzgebung des Bundes besagt diese Verpflichtung für die Festsetzung von Bauzonen neben weiteren, hiefür massgebenden Gesichtspunkten, dass das voraussichtlich innert 15 Jahren für die Überbauung benötigte Land einer Bauzone zugewiesen werden soll (
Art. 15 lit. b RPG
;
§ 47 Abs. 2 lit. b PBG
;
BGE 113 Ia 461
E. ea;
112 Ia 157
E. 2b mit Hinweisen).
c) Die Beschwerdeführer bestreiten die Notwendigkeit der Festsetzung eines verfassungs- und gesetzmässigen Zonenplanes nicht. Sie sprechen im wesentlichen von einer unzulässigen Auszonung ihres Grundstückes, weil gemäss dem angefochtenen Entscheid feststehe, dass die Gemeinde zu wenig Bauzonenareal ausgeschieden habe und sich ihr Grundstück am besten für die Belassung in der Bauzone eigne.
Soweit die Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang geltend machen, ihr Grundstück sei von einer eigentlichen Auszonung betroffen, kann ihrer Auffassung nicht gefolgt werden. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt im Falle einer Gemeinde, deren bisheriges Planungsinstrument aus dem Jahre 1964 stammt und die sich bemüht, in Beachtung der gesetzlichen Fristen
BGE 115 Ia 343 S. 347
(
§ 343 PBG
;
Art. 35 RPG
) erstmals eine dem eidgenössischen und kantonalen Recht entsprechende Ortsplanung zu schaffen, eine Nichteinzonung in die Bauzone vor (
BGE 112 Ib 487
E. 4a mit Hinweisen). Diese Feststellung schliesst freilich nicht aus, dass bei der Schaffung des Nutzungsplanes auch die für ein Grundstück früher geltende Rechtslage mitberücksichtigt wird.
d) Dementsprechend ist aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführer in erster Linie zu prüfen, ob die Nichteinweisung ihres Grundstückes in eine Bauzone sich zufolge seiner örtlichen Lage und des Zusammenhanges mit bereits überbautem Gebiet als sachlich nicht gerechtfertigt erweist. Die Baurekurskommission II hat dies angenommen, während der Regierungsrat diese Frage verneint hat.
Der Augenschein hat bestätigt, dass sich auf der Liegenschaft Nr. 8022 nur Bauten befinden, die der landwirtschaftlichen Nutzung dienen; im übrigen ist das grosse Grundstück, das auf einer Breite von ca. 170 m an die Speerstrasse anstösst und sich rund 330 m den Hang hinaufzieht, unüberbaut. Eine Einzonung im Sinne von
Art. 15 lit. a RPG
, wonach das weitgehend überbaute Gebiet zur Bauzone gehört, kommt somit nicht in Betracht (
BGE 113 Ia 450
E. da).
Es trifft zwar zu, dass die Gebiete östlich und nordwestlich des Grundstückes der Beschwerdeführer, welche durch die obere Leihhofstrasse und die Rötibodenholzstrasse erschlossen werden, mit Wohnliegenschaften überbaut sind und sich in den Wohnzonen W2 und W3 für zwei- bzw. dreigeschossige Überbauung befinden. Die Beschwerdeführer sprechen daher von einer planerisch unmotivierten "Zahnlücke". Bergseits der Speerstrasse wurde jedoch auch das weiter östlich gelegene, grosse Grundstück der Eidgenossenschaft bis auf einen an die Speerstrasse anstossenden, bereits mit Wohnhäusern überbauten Landstreifen in Berücksichtigung seiner landwirtschaftlichen Nutzung durch die eidgenössische Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau nicht eingezont. Dies bestätigt die - auch an anderer Stelle aus dem Zonenplan hervorgehende - Tatsache, dass die Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Eignung von Land (
Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG
) dazu führen kann, solche Grundstücke nicht in eine Bauzone einzuteilen, selbst wenn dadurch die Zonengrenzen unregelmässig verlaufen.
Der Augenschein hat sodann gezeigt, dass die über 5,5 ha umfassende Reservezonenfläche des Grundstückes Nr. 8022 zufolge
BGE 115 Ia 343 S. 348
ihrer Ausdehnung keineswegs den Eindruck einer unmotivierten Lücke zwischen Bauzonen macht und dass sie daher nicht etwa zum weitgehend überbauten Gebiet im Sinne von
Art. 36 Abs. 3 RPG
gerechnet werden könnte (
BGE 113 Ia 451
E. da). Zu beachten ist überdies, dass das Grundstück im oberen, südlichen Teil an das Landwirtschaftsgebiet angrenzt. Die Nichteinzonung erscheint daher durchaus als sachgerecht.
Es ergibt sich hieraus, dass die von der Gemeinde beschlossene und vom Regierungsrat lediglich wegen ungenügend grosser Baulandreserven noch nicht definitiv genehmigte Reservezonenzuweisung den Planungsgrundsätzen des eidgenössischen und kantonalen Rechts - trotz der seitlich und unterhalb der Speerstrasse angrenzenden Bauzonen - nicht widerspricht.
e) Eine Aufhebung der getroffenen Reservezonenfestsetzung wegen Verletzung der Eigentumsgarantie und Verstosses gegen
Art. 4 BV
käme daher nur in Betracht, wenn sich ergeben sollte, dass das vom Regierungsrat festgestellte Defizit an Bauzonenfläche zweckmässigerweise nur im Bereiche des Grundstückes der Beschwerdeführer ganz oder teilweise behoben werden könnte, dass somit von einer echten Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Gemeinde nicht die Rede sein könnte.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer trifft dies nicht zu. Der Augenschein hat vielmehr bestätigt, dass auch weitere von der Gemeinde festgesetzte Reservezonenflächen in eine Bauzone eingewiesen werden könnten. Dies gilt namentlich für die Gebiete Oberort und Mittelort wie auch für die Halbinsel Giessen.
Die Beschwerdeführer wenden in diesem Zusammenhang ein, sie seien gewillt, ihre Liegenschaft zu überbauen, was bei den andern Eigentümern, deren Grundstücke einer Reservezone zugewiesen worden seien, nicht der Fall sei. Dieses Argument kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Wie erwähnt, ist eine umfassende Abwägung aller auf dem Spiele stehenden Interessen vorzunehmen, weshalb dem Überbauungswillen allein keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Ausserdem sind die Gemeinden verpflichtet, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Überbauung der eingezonten Gebiete zu fördern. Den Gemeinden obliegt namentlich die Erschliessungspflicht (
Art. 19 Abs. 2 RPG
, Art. 5 des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes, WEG), und zwar auch für die Feinerschliessung (
Art. 5 Abs. 1 und 2 WEG
). Wird diese den Eigentümern überbunden, so ist die Ersatzvornahme durch die öffentlichrechtlichen Körperschaften
BGE 115 Ia 343 S. 349
vorzusehen, falls die Feinerschliessung nicht innert den vorgesehenen Etappen ausgeführt wird (
Art. 5 Abs. 2 WEG
). Auch sind von den Eigentümern Beiträge zu erheben, die kurz nach Fertigstellung der Anlagen fällig werden. Die Kosten der Feinerschliessung können in vollem Umfange den Eigentümern überbunden werden (
Art. 6 Abs. 2 WEG
). Diese seit dem 1. Januar 1975 geltende Regelung des Bundesrechts, die sich mit den Zielen und Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes über die haushälterische, den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechende Nutzungsordnung deckt (Art. 1 und 3 Abs. 3,
Art. 15 und 19 RPG
), bringt klar zum Ausdruck, dass eine sachgerechte Nutzungsplanung, insbesondere in bezug auf die Bauzonenfestsetzung, nicht entscheidend auf die Absichten einzelner Eigentümer abstellen kann (vgl. dazu
BGE 112 Ia 157
f.;
BGE 110 Ia 54
; ALFRED KUTTLER, Erschliessungsrecht und Erschliessungshilfe im Dienste der Raumordnung, ZBl 75/1974 S. 69 ff.; MARTIN LENDI, Die Funktion der Erschliessung in der Raumplanung und ihre rechtliche Bedeutung, in Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, S. 539 ff.).
Die in der Beschwerde hervorgehobenen Unterschiede gegenüber weiteren Reservezonen in der Stadtgemeinde Wädenswil sind keineswegs so gewichtig, dass beim Entscheid über die Einzonung deutlich das Grundstück der Beschwerdeführer bevorzugt werden müsste. Zu beachten ist namentlich, dass alle genannten Gebiete durch das öffentliche Verkehrsmittel einwandfrei erschlossen sind und dass für die Zugsverbindung nach Zürich nicht nur die Station Wädenswil, sondern auch die Haltestelle Au in Frage kommt. Bei dieser Sachlage hat der Regierungsrat zu Recht den Entscheid der Baurekurskommission II aufgehoben. Mit der Anweisung, das Grundstück der Beschwerdeführer ganz oder teilweise einzuzonen, wäre in unzulässiger Weise in die Entscheidungsfreiheit der Stadt Wädenswil eingegriffen und dadurch die Gemeindeautonomie verletzt worden. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cf7bb53c-2a4b-4d9e-81b3-94d3a4ddf3e8 | Urteilskopf
81 IV 81
18. Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1955 i. S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Schärer. | Regeste
Art. 31 Abs. 1 StGB
.
Nach der Verkündung eines zürcherischen Versäumnisurteils erster Instanz kann der Strafantrag auch dann nicht mehr zurückgezogen werden, wenn es auf Begehren des Verurteilten hin aufgehoben worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 81
BGE 81 IV 81 S. 81
A.-
Auf Strafantrag des Juan Jolis verurteilte das Bezirksgericht Zürich Ernst Schärer am 14. Januar 1954 in Abwesenheit des Angeklagten wegen Zechprellerei (
Art. 150 StGB
) zu vier Wochen Gefängnis.
Schärer wurde zwecks Verbüssung der Strafe zur Verhaftung ausgeschrieben, festgenommen und dem Polizeikommando des Kantons Zürich zugeführt. Dort wurde ihm am 24. Juni 1954 das Urteil eröffnet. Am gleichen Tage verlangte Schärer die Durchführung des ordentlichen Verfahrens und überreichte eine schriftliche Erklärung des Jolis, wonach dieser den Strafantrag zurückziehe. Am 26. August 1954 hob daher das Bezirksgericht das Urteil vom 14. Januar 1954 auf und schrieb den Prozess als durch Rückzug des Strafantrages erledigt ab.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich rekurrierte an das Obergericht mit dem Antrag, der Beschluss sei aufzuheben und das Bezirksgericht anzuweisen, die Sache durch Urteil zu erledigen. Das Obergericht wies den
BGE 81 IV 81 S. 82
Rekurs am 31. Januar 1955 ab. Zur Begründung führte es aus, ein Versäumnisurteil stehe nicht einem Strafbefehl gleich, nach dessen Verkündung gemässBGE 78 IV 151der Strafantrag nicht mehr zurückgezogen werden könne. Der Strafbefehl schaffe nach Ablauf einer kurzen Einsprachefrist einen klaren Rechtszustand, während das Versäumnisurteil einen Schwebezustand von unbestimmter Dauer bewirken könne. Auch bringe das Begehren um Durchführung des ordentlichen Verfahrens das Versäumnisurteil nicht vor eine höhere oder eine andere Instanz als jene, die es gefällt habe. Zudem spiele das ordentliche Verfahren sich nach den gleichen Vorschriften ab wie das Verfahren gegen den Abwesenden. Es müsse also als erstinstanzliches Verfahren im Sinne von
Art. 31 Abs. 1 StGB
betrachtet werden. Das habe zur Folge, dass der Strafantrag noch im Verlaufe des ordentlichen Verfahrens zurückgezogen werden könne.
B.-
Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen. Sie macht geltend, der Beschluss verletze
Art. 31 Abs. 1 StGB
.
C.-
Schärer, dem die Beschwerdeschrift eingeschrieben zur Vernehmlassung zugestellt worden ist, hat die Sendung auf der Post nicht abgeholt und keine Gegenbemerkungen eingereicht.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Berechtigte kann einen Strafantrag nur zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz noch nicht verkündet ist (
Art. 31 Abs. 1 StGB
).
Urteil im Sinne dieser Bestimmung ist jeder Entscheid der zuständigen Behörde, der verbindlich darüber erkennt, ob der Beschuldigte sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, und der gegebenenfalls die Rechtsfolgen bestimmt, die diese Handlung nach sich zieht (
BGE 78 IV 151
und
BGE 81 IV 14
).
BGE 81 IV 81 S. 83
Verbindlich erkannt hat die Behörde nicht nur dann, wenn ihr Entscheid von keiner Partei mehr angefochten werden kann, sondern schon dann, wenn die Behörde nicht mehr von sich aus auf ihn zurückkommen kann, wie das bei Verfügungen prozessleitender Natur, z.B. einer vorläufigen Meinungsäusserung des Richters zur Einrede der Verjährung (vgl.
BGE 72 IV 89
f.), zutrifft; denn indem
Art. 31 Abs. 1 StGB
von einem Urteil erster Instanz spricht, ist die Bestimmung insbesondere gerade für jene Fälle aufgestellt worden, in denen der Entscheid von einer Partei angefochten und daher das Verfahren fortgesetzt wird. Ein Urteil liegt selbst dann vor, wenn die Behörde, die es gefällt hat, auf Begehren einer Partei die Akten nicht einer anderen, insbesondere einer oberen Behörde übermitteln, sondern das weitere Verfahren selber durchführen muss. Art. 31 Abs. 1 verlangt nicht, dass das Urteil in der betreffenden (ersten) Instanz der letzte, endgültige Entscheid sei. Indem die Bestimmung von einem Urteil erster Instanz spricht, will sie lediglich sagen, dass der Strafantrag nicht etwa noch bis zur Verkündung des Endurteils, das diesfalls gewöhnlich erst von einer oberen Instanz gefällt wird, zurückgezogen werden könne, sondern schon die Verkündung eines erstinstanzlichen Urteils genüge, um dem Antragsteller den Rückzug abzuschneiden. Der Grund, weshalb Art. 31 Abs. 1 diesen von einem gewissen Zeitpunkt an nicht mehr zulässt, liegt nicht etwa darin, dass Abschreibungsbeschlüsse zwar noch der unteren, nicht aber mehr der oberen Instanz zugemutet werden können, sondern darin, dass der Verletzte sich nicht erst durch die in einem verbindlichen Entscheide zum Ausdruck gekommene Auffassung der zuständigen Behörde, sei es auch bloss einer ersten Instanz, zum Rückzug entschliessen soll. Die Bestimmung will das ominöse Markten zwischen Täter und Verletztem um den Rückzug des Strafantrages ausschliessen, nachdem der Staat durch eine Behörde über die Rechtsfolgen der strafbaren Handlung entschieden und das Urteil verkündet hat (Prot. 2. ExpK 1
BGE 81 IV 81 S. 84
178 f., Votum Geel). Deshalb stellt Art. 31 Abs. 1 denn auch weder auf den Ablauf einer Rechtsmittelfrist, noch auf die Fällung des Urteils, sondern auf dessen Verkündung ab, durch die die Parteien erfahren, wie es um die Sache steht.
2.
Das zürcherische Gesetz betreffend den Strafprozess bestimmt:
"Bleibt ein Angeklagter ohne genügende Entschuldigung aus, oder lässt er sich, wenn das persönliche Erscheinen nicht nötig ist oder erlassen wurde, nicht vertreten, so wird das Urteil auf Grund der Akten gefällt" (§ 195 Abs. 1).
"Das Gericht kann in diesem Falle den Angeklagten verurteilen oder freisprechen oder auch die Beurteilung der Sache so lange verschieben, bis der Angeklagte sich stellt oder ergriffen wird" (§ 196 Satz 1).
"Wird ein Angeklagter, der in seiner Abwesenheit verurteilt wurde, ergriffen oder stellt er sich freiwillig, so fällt auf sein Verlangen das Urteil dahin und es wird das ordentliche Verfahren durchgeführt, wenn er das Begehren binnen fünf Tagen von der Übergabe des Urteilsdispositivs an stellt.
War dem Angeklagten das Erscheinen vor Gericht erlassen (§ 172), so kann er die Wiederaufnahme nicht verlangen" (§ 197).
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Verurteilung eines Abwesenden nicht lediglich prozessleitende Verfügung ist, auf die das Gericht nach Belieben zurückkommen könnte. Nur das Wiedereinsetzungsbegehren des Angeklagten (oder die Ergreifung eines ordentlichen Rechtsmittels durch eine Partei gemäss
§
§ 395 ff. StPO
) kann es zu Fall bringen. Es liegt daher ein verbindlicher, wenn auch nicht notwendigerweise endgültiger Entscheid über die Schuld des Angeklagten und deren Rechtsfolgen, also ein Urteil im Sinne des
Art. 31 Abs. 1 StGB
vor. Dass bis zu seiner Verkündung ein unbestimmte Zeit dauernder "Schwebezustand" besteht, weil erst sie die fünftägige Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsbegehrens in Gang bringt, ändert nichts; denn die Behörde bleibt während dieses Zustandes nichtsdestoweniger an ihren Entscheid gebunden. Übrigens bleiben auch andere Urteile "in der Schwebe", wenn Ausfällung und Verkündung nicht zeitlich zusammenfallen. Dass dieser Zustand
BGE 81 IV 81 S. 85
bei der Verurteilung eines Abwesenden unbestimmte Zeit dauern kann, wenn der Aufenthaltsort des Verurteilten nicht bekannt ist, ist keine Besonderheit, die dem Entscheid die Natur eines Urteils zu nehmen vermöchte. Ebensowenig geht ihm diese Eigenschaft deshalb ab, weil nach der Stellung des Wiedereinsetzungsbegehrens die gleiche Behörde und nach gleichen Verfahrensvorschriften urteilen muss wie bei Verurteilung des Abwesenden.
Der Rückzug des Strafantrages war daher nicht mehr zulässig, nachdem das Urteil vom 14. Januar 1954 dem Beschwerdegegner am 24. Juni 1954 verkündet war. Ob nicht schon die Verkündung an die Staatsanwaltschaft den Rückzug ausgeschlossen hätte, kann dahingestellt bleiben.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 1955 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf7d5295-7910-4f46-b5ca-4b6fa1668178 | Urteilskopf
100 IV 201
51. Urteil des Kassationshofes vom 29. November 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen X. | Regeste
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
.
Nur wenn die Durchführung oder der Heilerfolg der Behandlung es erfordern, ist der Strafvollzug aufzuschieben. | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 100 IV 201 S. 201
A.-
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte X. am 8. März 1974 wegen fortgesetzter Unzucht mit Kindern nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 und 5 StGB
unter Zubilligung verminderter Zurechnungsfähigkeit zu vier Jahren Gefängnis.
B.-
Das Obergericht bestätigte am 5. Juli 1974 den Schuldspruch, setzte die Strafe auf drei Jahre Gefängnis herab, ordnete eine ambulante Behandlung unter Aufschub des Strafvollzuges im Sinne des
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
an und stellte den Verurteilten unter Schutzaufsicht.
BGE 100 IV 201 S. 202
C.-
Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Strafe sofort zu vollziehen, die ambulante Behandlung schon während des Strafvollzugs durchzuführen und die Schutzaufsicht aufzuheben.
X. beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Weder Schuldspruch und Strafmass noch die ambulante Behandlung sind angefochten. Streitig bleibt lediglich, ob die Strafe aufzuschieben sei, bis die ambulante Behandlung durchgeführt ist. Nur bei einem Aufschub der Strafe ist die Schutzaufsicht beizubehalten. Wird die Strafe sofort vollzogen, so ist über die Anordnung der Schutzaufsicht anlässlich der bedingten Entlassung zu befinden (Art. 38 Ziff. 2 sowie Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 und Ziff. 4 Abs. 2 StGB).
2.
Der Richter kann nach
Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
zwecks ambulanter Behandlung den Vollzug der Strafe aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Nur wenn die Durchführung oder der Heilerfolg der Behandlung es erfordern, ist also der Strafvollzug aufzuschieben, wie sich aus dem französischen Text ("si celle-ci [la peine] n'est pas compatible avec le traitement") und der Entstehungsgeschichte eindeutig ergibt. Die ambulante Behandlung soll nicht Mittel sein, die ausgesprochene Strafe zu umgehen oder deren Vollzug ohne Not auf unbestimmte Zeit aufzuschieben (
BGE 100 IV 13
). Oft kann es für den Verurteilten eine starke Belastung bedeuten, wenn der Strafvollzug während langer Zeit in der Schwebe bleibt.
3.
Im Zuge einer allgemeinen seelischen Fehlentwicklung und unter Mitwirkung traumatisierender Kindheitserlebnisse im sexuellen Bereich ist nach dem gerichtlichen Gutachten von Dr. R. Schneeberger vom 29. Oktober 1973 beim Beschwerdegegner eine Entwicklung zur pädophil-homosexuellen Perversion erfolgt, welche zu einer verminderten Zurechnungsfähigkeit mittleren Grades geführt hat. Eine Behandlung in einer Heil- oder Pflegeanstalt oder eine Verwahrung hält der Gutachter nicht für nötig. Er empfielt aber die Behandlung mit "Androcur" im Sinne einer reversiblen, chemischantihormonalen, temporären "Kastration" und psychagogisch-psychotherapeutische, nicht aber psychoanalytische Behandlung.
BGE 100 IV 201 S. 203
Die Medikamente seien unter Kontrolle über Jahre zu verabreichen. Im Falle eines bedingten Strafvollzuges sei eine ambulante psychiatrische Behandlung angezeigt. Über die Vereinbarkeit der "Androcur"-Behandlung, der sich der Beschwerdegegner freiwillig unterwirft, mit einem Vollzug der Freiheitsstrafe spricht sich der Gutachter nicht aus. Damit, dass er den Vollzug der Massnahme in einer Heil- und Pflegeanstalt nicht für geboten hält, schliesst er sie nicht aus. Die "Androcur"-Tabletten setzen die sexuellen Antriebe durch chemisch-antihormonale Beeinflussung herab. Der Erfolg ist also primär medikamentös. Er wird nicht mit psychoanalytischer und gruppentherapeutischer Methode herbeigeführt und erscheint deshalb nicht zum vornherein durch den sofortigen Vollzug der Strafe in Frage gestellt.
Die Gründe, welche die Vorinstanz veranlassten, den Strafvollzug zwecks ambulanter Behandlung aufzuschieben, so die besondere Triebhaftigkeit von Sexualverbrechern, die schweren Folgen, die das Strafverfahren und die Strafe für den Beschwerdegegner und seine Familie zeitigen, sind allenfalls bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Zum Aufschub der Strafe zwecks ambulanter Behandlung können sie nicht führen, es wäre denn, sie würden den Heilerfolg der Behandlung erheblich in Frage stellen. Das steht aber nicht fest.
Hat somit die Vorinstanz den Strafvollzug aus Gründen, die
Art. 43 Ziff. 2 StGB
nicht entsprechen, aufgeschoben, muss die Beschwerde gutgeheissen werden. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie - allenfalls unter Beizug eines Experten - prüfe, ob der sofortige Vollzug der Strafe mit einer vordringlichen Behandlung des Beschwerdeführers unvereinbar ist oder diese schwer beeinträchtigen würde. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die Behandlung auch während des Vollzugs möglich ist, sei es im sanitären Dienst der Anstalt, sei es durch ambulante Behandlung von der Anstalt aus.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf817a5a-b176-460a-8e36-1de770ab51e3 | Urteilskopf
93 III 113
18. Instructions données par la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral au Tribunal cantonal neuchâtelois, le 29 novembre 1967. | Regeste
Entsprechende Anwendung des
Art. 269 SchKG
auf die bis zum Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist nicht bezogenen Konkursdividenden.
1. Wie beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (Art. 316 q Abs. 2 SchKG) und beim Banken-Nachlassvertrag (Art. 42 Abs. 2 der Verordnung des Bundesgerichts vom 11. April 1935 betreffend das Nachlassverfahren von Banken und Sparkassen) sind die innert der Frist von zehn Jahren nicht bezogenen Konkursdividenden vom Konkursamt zu verteilen;
Art. 269 SchKG
ist entsprechend anwendbar.
2. Wenn das Amt trotz den durch die Umstände gebotenen Nachforschungen einzelne Gläubiger, die an der Hauptverteilung teilgenommen hatten, oder ihre Rechtsnachfolger nicht mehr auffindet, so ist der Restbetrag unter die Gläubiger zu verteilen, die erreicht werden konnten. | Erwägungen
ab Seite 114
BGE 93 III 113 S. 114
Instructions
Par lettre du 26 avril 1967, le Tribunal cantonal neuchâtelois a demandé à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral des instructions sur le sort des dividendes de faillite qui n'ont pas été retirés pendant dix ans. Le problème se posait à propos d'une faillite clôturée le 8 août 1957. L'administration de la masse n'a pas retrouvé certains créanciers inscrits à l'état de collocation. Elle a dès lors consigné le montant de leur dividende à la Banque cantonale neuchâteloise. Cet argent n'ayant pas été retiré, la banque l'a remis, après dix ans, au Département des finances, qui l'a placé en compte d'attente. Le Tribunal cantonal estimait, comme le département, qu'il serait préférable de remettre ce solde à l'office des faillites, en vue d'une nouvelle répartition selon l'art. 269 LP qui serait appliqué par analogie. Il suggérait de limiter cette nouvelle répartition aux créanciers qui se feraient connaître à la suite d'un appel.
La Chambre des poursuites et des faillites a répondu aux deux questions posées par la lettre dans les termes suivants:
1. Le reliquat de la liquidation d'une faillite, soit les dividendes qui n'ont pas été retirés après dix ans, doit-il être versé à la caisse de l'Etat (sur un compte d'attente) ou faut-il le répartir entre les créanciers existants?
Il n'est pas douteux que le montant des dividendes qui n'ont pas été retirés pendant dix ans par certains créanciers doit être réparti entre les autres créanciers admis à l'état de collocation. Le Tribunal fédéral a retenu cette solution à l'art. 42 al. 2 de son ordonnance du 11 avril 1935 concernant la procédure de concordat pour les banques et les caisses d'épargne (OCB). La loi fédérale revisant la LP du 28 septembre 1949 a donné
BGE 93 III 113 S. 115
à cette règle une portée générale en adoptant l'art. 316 q LP, qui s'applique à la liquidation du concordat par abandon d'actif. Les deux dispositions s'inspirent du droit de la faillite, puisqu'elles déclarent expressément que l'art. 269 LP est applicable par analogie. Le législateur a donc admis l'existence d'une règle identique, de droit non écrit, en matière de faillite.
2. Comment procéder lorsqu'une partie des créanciers ni leurs ayants cause ne peuvent plus être atteints?
La question n'est pas résolue par l'art. 269 LP auquel renvoient tant l'art. 316 q LP que l'art. 42 OCB. Il faut distinguer deux éventualités.
a) Lorsque l'art. 269 LP s'applique directement, on est en présence de biens qui n'avaient pas encore été portés à l'inventaire ni réalisés. Le produit de leur réalisation constitue donc un actif supplémentaire de la masse. Il doit être réparti entre les créanciers selon un tableau de distribution établi sur la même base que le tableau principal dressé en vertu des art. 261 ss. LP. Au cas où l'un des créanciers qui ont participé à la distribution principale des deniers ne pourrait plus être atteint, il faudra consigner le dividende qui lui revient et observer le délai de prescription de dix ans.
b) En revanche, lorsque le dividende de faillite ou celui qui revient à un créancier dans la liquidation qui suit un concordat par abandon d'actif devient disponible parce qu'il n'a pas été retiré à l'expiration du délai de prescription de dix ans (cas visé par l'art. 316 q LP), la répartition doit être limitée aux autres créanciers qui ont pu être atteints ou à leurs ayants cause. A la différence de l'éventualité décrite sous lettre a) cidessus, on ne se trouve pas en présence d'actifs nouveaux. Il s'agit au contraire de liquider le produit de la réalisation de biens déjà soumis à la répartition entre les créanciers, mais qui n'ont pas pu être remis à leurs destinataires. Les créanciers restants ne recevront donc pas un dividende qui leur est dû selon le résultat de la faillite, mais ils participent seulement à la distribution d'un reliquat abandonné par ceux qui avaient le droit de le percevoir.
Pour délimiter le cercle des créanciers qui participeront à la nouvelle distribution, il ne suffit pas de publier un "appel aux créanciers" dans les feuilles officielles. Les créanciers qui ont participé à la distribution principale seront avisés personnellement de la nouvelle répartition. Si les avis envoyés par la
BGE 93 III 113 S. 116
poste à leur ancienne adresse ne peuvent pas être remis aux destinataires et sont retournés à l'office, celui-ci devra procéder aux recherches commandées par les circonstances. Il recueillera les renseignements utiles auprès du contrôle des habitants de l'ancien et, le cas échéant, du nouveau domicile du destinataire. S'il apprend que l'un d'eux est parti pour l'étranger, il s'informera auprès d'un consulat. En cas de décès, il fera des recherches auprès de l'autorité qui s'occupe de la dévolution des successions ou d'un notaire, etc. Un appel aux créanciers inséré dans une feuille officielle complétera au besoin ces démarches.
Les recherches se feront (comme les paiements) aux frais des destinataires qu'elles concernent. L'office évitera donc les mesures d'investigation dont les frais épuiseraient totalement ou presque la part de chaque intéressé.
Le point de départ du délai de prescription est précisé dans les instructions publiées au RO 68 III 174 ss.
Avant d'effectuer un paiement, l'office se fera remettre les actes de défaut de biens et les autres titres de créance en vue de procéder à leur rectification (cf. JAEGER, n. 6 ad art. 269 LP). | null | nan | fr | 1,967 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cf8a308d-3048-4d3a-b678-1a1631f9696c | Urteilskopf
83 I 335
46. Auszug aus dem Urteil vom 20. September 1957 i.S. G. gegen Rekurskommission des Kantons Schwyz. | Regeste
Wehrsteuer:
1. Die Frist für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beginnt von der Zustellung des angefochtenen Entscheides durch eingeschriebenen Brief an zu laufen. Eine Zustellung unter Nachnahme der Verfahrenskosten ist nicht zu beachten.
2. Wegen Gehilfenschaft bei Hinterziehung ist nur strafbar, wer vorsätzlich handelt. | Erwägungen
ab Seite 335
BGE 83 I 335 S. 335
1.
Nach Art. 111 Abs. 2 WStB wird der Entscheid der kantonalen Rekurskommission den Beteiligten durch
BGE 83 I 335 S. 336
eingeschriebenen Brief eröffnet. Die Zustellung in der Form, wie sie hier vorgeschrieben ist, hat im vorliegenden Fall erst am 19. Oktober 1956 stattgefunden. Von da an hat die dreissigtägige Frist des
Art. 107 OG
zu laufen begonnen. Der Beschwerdeführer hat sie eingehalten. Die Einrede, die am 16. November 1956 eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei verspätet, ist unbegründet. Vor dem 19. Oktober 1956 ist eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Eröffnung nicht vorgenommen worden. Der Versuch einer Zustellung am 20. September 1956 unter Nachnahme der Kosten des Rekursverfahrens ist gescheitert an der Weigerung des Beschwerdeführers, die in unrichtiger Form übermittelte Sendung entgegenzunehmen. Zur Einlösung der Nachnahme war der Beschwerdeführer angesichts der Vorschrift in Art. 111 Abs. 2 WStB auch dann nicht verpflichtet, wenn er vom Inhalt der Sendung und vom Rechtsgrund der darauf lastenden Nachnahme Kenntnis hatte. Er konnte verlangen, dass ihm der Entscheid der Rekurskommission unbelastet zugestellt werde (Urteil H. vom 22. Dezember 1943, Archiv für schweiz. Abgaberecht Bd. 13, S. 15).
3.
In Art. 129 Abs. 3 WStB ist mit Strafe bedroht, "wer den Täter zu den in Abs. 1 und 2 bezeichneten Handlungen und Unterlassungen vorsätzlich bestimmt, ihm dabei Hilfe leistet oder dazu beiträgt oder beizutragen versucht, ihn der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug zu entziehen" ("celui qui, intentionnellement, décide..., qui lui prête assistance... ou qui l'aide ou cherche à l'aider..."; "chiunque induce intenzionalmente..., lo assiste..., lo aiuta o tenta aiutarlo ..."). Wenn auch anscheinend in diesen Texten nichts ausdrücklich gesagt ist, dass die Beihilfe, gleich wie die Anstiftung, nur strafbar ist, wenn sie vorsätzlich verübt wird, so ist das doch der Sinn der Bestimmung (vgl.
Art. 333 Abs. 3 StGB
). Wohl ist auch eine bloss fahrlässige Beförderung oder Erleichterung der Tat eines anderen denkbar. Indessen ist nach dem gemeinen Strafrecht nur die vorsätzlich begangene Beihilfe unter
BGE 83 I 335 S. 337
Strafe gestellt (
Art. 25 StGB
; HAFTER, Lehrbuch des schweiz. Strafrechts, allg. Teil, S. 231 f.). Weshalb es gerade im Wehrsteuerrecht anders sein sollte, ist nicht ersichtlich. Wäre hier auch die fahrlässige Begehung strafbar, so würde das zu sachlich unhaltbaren Folgen führen, so dass sich die der gemeinrechtlichen Ordnung entsprechende Auslegung aufdrängt. | public_law | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cf93c065-a93e-47e5-93a2-18208b1dc39d | Urteilskopf
125 IV 139
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. April 1999 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 305ter Abs. 1 StGB
; mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften.
Der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken kommt für die strafrechtliche Beurteilung lediglich die Bedeutung einer Auslegungshilfe zu (E. 3d).
Wer die Identität des wirtschaftlich Berechtigten nicht feststellt, obwohl er vermutet, in Wahrheit sei nicht der im Formular A als Berechtigter genannte Inhaber des eröffneten Kontos der wahre Geschäftspartner, sondern ein Dritter, macht sich der mangelnden Sorgfalt bei Finanzgeschäften schuldig (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 139
BGE 125 IV 139 S. 139
L.B. war bis Ende Januar 1993 für die BFZ Bankfinanz Zürich (seit Dezember 1992: Bank Austria Schweiz AG) als Mitglied der Geschäftsleitung tätig und für die Bereiche Logistik und Administration zuständig. In der Zeit um den 14. Mai 1991 eröffnete er zwei Konten lautend auf die in der ehemaligen DDR gegründeten und in Berlin domizilierten NOVUM Handelsgesellschaft mbH und TRANSCARBON Handelsgesellschaft mbH. Die für die Kontoeröffnung notwendigen Formulare A wurden von der Vertreterin der Gesellschaften R.S. unterzeichnet. L.B. nahm die Unterlagen ohne weitere Prüfung entgegen und eröffnete die Konten, obgleich in den Formularen als wirtschaftlich Berechtigte die Kontoinhaberinnen NOVUM Handelsgesellschaft mbH und TRANSCARBON Handelsgesellschaft mbH vermerkt waren, er selbst aber davon ausging, die wirtschaftlich Berechtigte sei in Wirklichkeit R.S. L.B. akzeptierte überdies in beiden Fällen ohne weitere Abklärungen
BGE 125 IV 139 S. 140
Handelsregisterauszüge, die noch vor der Währungsunion DDR/BRD und vor der Wiedervereinigung erstellt worden waren.
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte L.B. mit Urteil vom 28. August 1997 der mangelnden Sorgfalt bei Finanzgeschäften nach
Art. 305ter Abs. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 5'000.--.
Gegen diesen Entscheid führt L.B. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Vorinstanz nimmt für den Kassationshof verbindlich (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
) an, der Beschwerdeführer habe mit Schreiben vom 15. Mai 1991 von P.F., Direktor der damaligen Österreichischen Länderbank AG (nunmehr Z-Länderbank Bank Austria AG), Unterlagen lautend auf die NOVUM Handelsgesellschaft mbH und auf die TRANSCARBON Handelsgesellschaft mbH (nachfolgend: NOVUM bzw. TRANSCARBON) erhalten, namentlich einen von R.S. unterzeichneten Antrag zur Errichtung eines Kontos samt Formular A, eine beglaubigte Kopie des Handelsregisterauszugs beider Gesellschaften sowie eine Kopie der beglaubigten Abschrift der Gesellschafterliste. Der Beschwerdeführer habe nach seinen Ausführungen bei der Eröffnung der Konten keine Abklärungen getroffen, da sämtliche Untersuchungen in Wien gemacht worden seien und die Österreichische Länderbank der BFZ Bankfinanz Zürich, welche zum damaligen Zeitpunkt zu 51% Tochtergesellschaft der Länderbank gewesen sei, die Arbeit insofern abgenommen habe. Der Beschwerdeführer habe ausser mit P.F. keinen Kontakt mit anderen Personen, insbesondere auch nicht mit R.S. gehabt. Nach der Eröffnung der Konten habe der Beschwerdeführer diesen die via die Österreichische Länderbank erfolgten Überweisungen gutgeschrieben. Bereits im Juli 1991 habe R.S. in Wien in Anwesenheit von P.F. und dem Beschwerdeführer die ersten Gelder bar bezogen.
Die Vorinstanz gelangt zum Schluss, der Beschwerdeführer habe seine Sorgfaltspflichten bei der Entgegennahme fremder Vermögenswerte verletzt, weil er die Konten ohne Abklärungen hinsichtlich des wirtschaftlich Berechtigten eröffnete, obwohl der Kontoeröffnungsantrag auf dem Korrespondenzweg erfolgte und R.S., welche die Eröffnungen namens der TRANSCARBON und der
BGE 125 IV 139 S. 141
NOVUM beantragte, Wohnsitz im Ausland hatte. Auf dem Formular A seien die beiden Handelsgesellschaften als an den einzubringenden Vermögenswerten berechtigt aufgeführt gewesen, der Beschwerdeführer habe aber als effektiv wirtschaftliche Berechtigte R.S. vermutet. Diese sei zwar P.F., nicht aber dem Beschwerdeführer persönlich bekannt gewesen. Dass R.S. mit der Muttergesellschaft in Wien langjährige Geschäftsbeziehungen gepflegt habe, könne die Tochtergesellschaft nicht ihrer Prüfungspflichten entheben. Zu keinem anderen Ergebnis führe, dass die Aufsichtskommission der Bankiervereinigung mit dem Untersuchungsbeauftragten in den Kontoeröffnungen für die beiden Handelsgesellschaften keinen Verstoss gegen die Sorgfaltspflichtsvereinbarung erblickt habe.
3.
a) Nach
Art. 305ter StGB
macht sich der mangelnden Sorgfalt bei Finanzgeschäften strafbar, wer berufsmässig fremde Vermögenswerte annimmt, aufbewahrt, anlegen oder übertragen hilft und es unterlässt, mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die Identität des wirtschaftlich Berechtigten festzustellen. Die Bestimmung wurde zusammen mit dem Tatbestand der Geldwäscherei (
Art. 305bis StGB
) mit dem Bundesgesetz über Geldwäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Geldgeschäften vom 23. März 1990 eingefügt und ist seit 1. August 1990 in Kraft. Sie geht auf das in der Vernehmlassung zur Revision des Vermögensstrafrechts verschiedentlich formulierte Bedürfnis zurück, den Missbrauch des Finanzplatzes Schweiz durch kriminelle Organisationen strafrechtlich zu erfassen. In diesem Sinne sprach sich der Expertenentwurf vom 15. September 1986 zunächst für eine Verfolgung der Geldwäscherei im Rahmen der Rechtspflegedelikte aus. Neben den sogenannt schweren Fällen sollte auch die grobfahrlässige Begehung strafbar sein. Der Gesetzgeber entschied sich schliesslich aufgrund von strafrechtsdogmatischen wie kriminalpolitischen Überlegungen, die fahrlässige Begehung nicht unter Strafe zu stellen, sondern zusätzlich zum Grundtatbestand der Geldwäscherei eine eigene Strafnorm zu schaffen. Unter dem Randtitel der mangelnden Sorgfalt bei Finanzgeschäften erfasst
Art. 305ter StGB
nunmehr Geschäfte, welche unter Verletzung der Identifikationspflicht abgeschlossen worden sind. Dieser Auffangtatbestand will wie derjenige der Geldwäscherei verhindern, dass Vermögenswerte dem Zugriff der Rechtspflege entzogen werden (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [Gesetzgebung über Geldwäscherei und mangelnde Sorgfalt bei Geldgeschäften] vom 12.6.1989, BBl. 1989 II S. 1080f.; vgl. ferner URSULA CASSANI, Commentaire
BGE 125 IV 139 S. 142
du droit pénal suisse, Partie spéciale, vol. 9, Art. 305ter N. 2; CHRISTOPH GRABER, Zum Verhältnis der Sorgfaltspflichtsvereinbarung der Banken zu
Art. 305ter Abs. 1 StGB
, SZW 1995, 162; ferner JÜRG BEAT ACKERMANN, in: Niklaus Schmid (Hrsg.), Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Kommentar, Band I, Zürich 1998, Art. 305bis N. 55). Schutzobjekt des Tatbestandes ist somit die Rechtspflege, da durch den Abschluss von Geschäften ohne Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten die staatlichen Einziehungsansprüche gefährdet werden (TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. Zürich 1997, Art. 305ter N. 1; ferner ARZT, Zur Rechtsnatur des Art. 305ter, SJZ 86/1990, S. 190).
Die Pflicht zur Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten bzw. die Pflicht, von der Vertragspartei eine schriftliche Erklärung über den wirtschaftlich Berechtigten einzuholen, wird auch in Art. 1 lit. a sowie Art. 3 Ziff. 18 ff. der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB 1987 und 1992; bzw. Ziff. 22 ff. VSB 1998) erhoben. Die Zuwiderhandlung wird mit Konventionalstrafe an die Bankiervereinigung bedroht (
Art. 11 VSB
). Dieselbe Pflicht statuiert nunmehr auch Art. 4 Abs. 1 des Bundesgesetzes zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG; s. auch Empfehlung 11 der FATF [Financial Action Task Force on Money Laundering] vom 7.2.1990; in: BERTI/GRABER, Das Schweizerische Geldwäschereigesetz, Anhang 10; Art. 3 Abs. 5 der Geldwäscherei-Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 10.6.1991, in: BERTI/GRABER, a.a.O., Anhang 9; sowie Ziff. 7 der Geldwäscherei-Richtlinie der Eidgenössischen Bankenkommission vom 18.12.1991, in: MARK PIETH [Hrsg.], Bekämpfung der Geldwäscherei, Basel 1992, S. 213 ff.).
b) Der Tatbestand von
Art. 305ter StGB
ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Die verbotene Handlung liegt in der Vornahme von Geldgeschäften ohne Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten trotz besonderer Anhaltspunkte für die Nichtidentität zwischen Vertragspartner und wirtschaftlich Berechtigtem. Dabei genügt die Verletzung der Identifikationspflicht für sich allein. Ob die Vermögenswerte durch den wirtschaftlich Berechtigten allenfalls in strafrechtlich relevanter Weise erworben wurden, ist demnach ohne Bedeutung (Botschaft, BBl. 1989 II S. 1087; ferner statt vieler CASSANI, a.a.O., Art. 305ter N. 2 mit Hinweisen; ARZT, a.a.O., S. 190/192).
Art. 305ter Abs. 1 StGB
ist ein Begehungsdelikt. Der Schwerpunkt des Tatbestandes liegt bei den Tätigkeiten des
BGE 125 IV 139 S. 143
Geschäftsabschlusses, deren berufsmässige Vornahme den Handelnden als Täter qualifizieren, wenn er dabei unterlässt, mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt die Identität des wirtschaftlich Berechtigten festzustellen (so STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil II, 4. Aufl. Bern 1995, § 54 N. 52; ebenso TRECHSEL, a.a.O., Art. 305ter N. 6; CASSANI, a.a.O., Art. 305ter N. 11 mit weiteren Hinweisen; a.M. Botschaft, BBl. 1989 II S. 1089; MARLÈNE KISTLER, La vigilance requise en matière d'opérations financières, Diss. Lausanne 1994, S. 168; CHRISTOPH GRABER, Geldwäscherei, Diss. Bern 1990, S. 186). Durch Unterlassen wird der Tatbestand von
Art. 305ter StGB
erfüllt, wenn dem Täter eine Garantenstellung zukommt (vgl. hiezu Werner de Capitani, Zum Identifikationsverfahren bei Kontoeröffnungen aus dem Ausland, SJZ 89/1993, S. 23/24).
c) Gegenstand der in
Art. 305ter Abs. 1 StGB
statuierten Sorgfaltspflicht ist die Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten. Der Begriff des wirtschaftlich Berechtigten ist Art. 3 der Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB) entnommen. Danach ist für die Zuordnung der Vermögenswerte auf wirtschaftliche Gesichtspunkte abzustellen und sind formaljuristische Konstruktionen ohne Bedeutung; wirtschaftlich berechtigt ist somit derjenige, der über die Vermögenswerte faktisch bestimmen kann, dem sie mithin aus wirtschaftlicher Sicht gehören (CASSANI, a.a.O., Art. 305ter N. 16; TRECHSEL, a.a.O., Art. 305ter N. 9). Ist dem Sorgfaltspflichtigen die Identität des «wahren Geschäftspartners» (Botschaft, BBl. 1989 II S. 1089) bekannt, so scheidet eine Strafbarkeit nach
Art. 305ter Abs. 1 StGB
aus, selbst wenn sich nachträglich etwa die deliktische Herkunft des Vermögens herausstellen sollte. Prüft der Pflichtige sie trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht, so macht er sich auch dann nach
Art. 305ter StGB
strafbar, wenn sich kein Grund ergeben sollte, an der unverfänglichen Herkunft der Vermögenswerte zu zweifeln (so STRATENWERTH, a.a.O., § 54 N. 53; GRABER, SZW 1995, S. 165).
Das Mass der gebotenen Sorgfalt bei der Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten richtet sich nach den konkreten Umständen. Nach der Botschaft trägt diese Umschreibung den Besonderheiten der einzelnen Berufe Rechnung und liegt darin ganz allgemein eine gesetzliche Verweisung auf das Verhältnismässigkeitsprinzip. Damit soll die Grenze der zumutbaren Abklärungen markiert werden. Nach den Worten der Botschaft lässt die gesetzliche Regelung Platz für die VSB und begünstigt die Ausarbeitung von Standesregeln
BGE 125 IV 139 S. 144
für den Nicht-Bankensektor. Die Botschaft nimmt überdies an, es werde «der Rechtsprechung angesichts der praktischen Natur des Gebots nicht schwerfallen, entsprechende Prinzipien zu entwickeln» (Botschaft, BBl. 1989 II S. 1089 f.).
d) Die Pflicht zur Feststellung der Identität des wirtschaftlich Berechtigten gilt nach der Sorgfaltspflichtsvereinbarung der Banken nur mit der Einschränkung, dass im Anschluss an die Identifikation des Vertragspartners Zweifel entstehen (Art. 1 lit. a, Art. 3 VSB 1987 und 1992). Grundsätzlich besteht die Vermutung, dass Vertragspartner und wirtschaftlich Berechtigter übereinstimmen. Diese Vermutung wird jedoch umgestossen, wenn ungewöhnliche Feststellungen gemacht werden (Art. 3 Ziff. 18 VSB 1987 und VSB 1992; ebenso VSB 1998 Art. 3 Ziff. 22). Zwar verweist die Botschaft hinsichtlich der Anforderungen an die Überprüfung der Identität auf die Vorbildfunktion der VSB (Botschaft, BBl. 1989 II S. 1089) und sollen die nunmehr im Geldwäschereigesetz eingeführten Sorgfaltspflichten der Finanzintermediäre nach den Worten der Botschaft den Massstab für die nach
Art. 305ter Abs. 1 StGB
im Rahmen von Finanzgeschäften zu beachtende Sorgfalt bilden (Botschaft zum Bundesgesetz zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor vom 17.6.1996, BBl. 1996 III S. 1116, vgl. auch S. 1125 und 1155 f.). Dies kann nun freilich nicht bedeuten, dass das von der Strafnorm geforderte Mass der Sorgfalt bei der Entgegennahme von Vermögenswerten gleichsam in den diesbezüglichen Regeln der VSB aufgeht. Bei den VSB handelt es sich um Standesregeln, welche von der Schweizerischen Bankiervereinigung abgefasst werden und denen sich die unterzeichnenden Banken unterwerfen. Sie sind ein Instrument der ethischen Selbstregulierung (DE CAPITANI, SJZ 89/1993, S. 21) und dienen in erster Linie der Wahrung des Ansehens des Berufsstandes (
Art. 1 VSB
) und somit den Interessen der Banken, schützen aber auch im Sinne eines Selbstschutzes vor unklaren Situationen, die Schadenersatzforderungen auslösen könnten (WERNER DE CAPITANI, Praktische Auswirkungen der neuen Vorschriften über die Geldwäscherei [Art. 305bis und 305ter] auf die Banken, in: Geldwäscherei und Sorgfaltspflicht, Schriftenreihe SAV/8, Zürich 1991, S. 94). Dass sie überdies für sich in Anspruch nehmen, «den Begriff der 'nach den Umständen gebotenen Sorgfalt' bei der Entgegennahme von Vermögenswerten (
Art. 305ter StGB
) zu konkretisieren», bindet den Strafrichter - bei aller Anerkennung selbstregulierender Anstrengungen - nicht (vgl. auch
BGE 111 Ib 126
zum Verhältnis von VSB und Art. 3 Abs. 2
BGE 125 IV 139 S. 145
lit. c des Bankengesetzes). Aus dem allfälligen Verstoss einer Bank gegen die Identifikationspflichten der VSB kann daher ebenso wenig auf die Erfüllung des Tatbestands von
Art. 305ter Abs. 1 StGB
des einzelnen Mitarbeiters oder Organs geschlossen werden, wie umgekehrt nicht ausgeschlossen ist, dass eine Verletzung der Strafbestimmung in einem Fall vorliegt, bei dem die Aufsichtsbehörde keine Verletzung der VSB feststellt (GRABER, SZW 1995, S. 163/164, insb. FN 27). Der Grund hiefür liegt im unterschiedlichen Anwendungsbereich beider Regelungen. Die Aufsichtskommission der Bankiervereinigung ahndet unabhängig vom Verschulden des Einzelnen vorwiegend formelle Verstösse der Bank gegen die betreffenden Anordnungen. Sie sanktioniert mithin nicht die mangelhafte Identifikation des wirtschaftlich Berechtigten, sondern Mängel im Identifikationsverfahren (GRABER, SZW 1995, S. 165; vgl. auch ARZT, a.a.O., S. 191 f.; CHRISTINE EGGER TANNER, Die strafrechtliche Erfassung der Geldwäscherei, Diss. Zürich 1999, S. 278). Die VSB rückt somit den standardisierten Ablauf im Tagesgeschäft der Bank in den Vordergrund. Bei
Art. 305ter Abs. 1 StGB
prüft der Strafrichter demgegenüber, ob die verantwortlichen Mitarbeiter oder Organe der Bank den Vertragspartner mit der nach den jeweiligen Umständen angebrachten Sorgfalt richtig identifiziert haben. Dazu kann, muss aber nicht zwingend die Einhaltung der VSB gehören. Überdies werden nach
Art. 305ter Abs. 1 StGB
, unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung, nur teilweise die selben Geschäftsvorgänge beurteilt wie nach der VSB. So werden strafrechtlich ganz allgemein die Annahme, Aufbewahrung, Anlegung und Übertragung von Vermögenswerten erfasst. Aufsichtsrechtlich beurteilt werden demgegenüber konkrete Bankoperationen, welche zudem bei der Identifikation des Vertragspartners und der Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten nicht die selben sind. Zu beachten ist schliesslich, dass die Standesregeln recht kurzlebig sind (DE CAPITANI, SJZ 89/1993, S. 21 f.) und es wohl kaum in der Absicht des Gesetzgebers gelegen hat, die Auslegung von
Art. 305ter StGB
an die periodischen Anpassungen der VSB zu binden. Den VSB kommt daher insgesamt lediglich die Funktion einer Auslegungshilfe zu (vgl. EGGER TANNER, a.a.O., S. 278).
4.
Im zu beurteilenden Fall ging der Beschwerdeführer nach der damals gültigen Sorgfaltspflichtsvereinbarung des Jahres 1987 vor, indem er die Identität der Vertragspartner NOVUM und TRANSCARBON anhand der beigelegten Handelsregisterauszüge überprüfte (Art. 2 Ziff. 14 VSB 1987). Dabei stellte er fest, dass als
BGE 125 IV 139 S. 146
einzelzeichnungsberechtigte Geschäftsführerin jeweils R.S. aufgeführt und diese zur Kontoeröffnung befugt war. Ob die beiden - ohnehin nicht besonders aussagekräftigen - ca. ein Jahr alten Handelsregisterauszüge geeignet waren, die Identität der Vertragspartner festzustellen, kann hier im Lichte der nachfolgenden Ausführungen offen bleiben. Dem Beschwerdeführer standen im Weiteren in beiden Fällen die Formulare A zur Verfügung, aus welchen die NOVUM bzw. die TRANSCARBON als wirtschaftlich Berechtigte hervorgingen. Damit ist der Beschwerdeführer hier zumindest formell nach den Bestimmungen der damals für ihn verbindlichen VSB verfahren. Zusätzliche Abklärungen wären nach der Sorgfaltspflichtsvereinbarung nur bei ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit der schriftlichen Erklärung des Kunden erforderlich gewesen (Art. 3 Ziff. 20 VSB 1987, vgl. auch Art. 1 lit. a VSB 1987), was hier nicht weiter zu prüfen ist. Denn
Art. 305ter StGB
und die VSB unterscheiden sich unter anderem wesentlich dadurch, dass die Strafnorm eine Überprüfung des wirtschaftlich Berechtigten in jedem Fall verlangt und sich nicht grundsätzlich mit der Identifikation des Vertragspartners begnügt und bloss im Zweifelsfall das Formular A bzw. entsprechende Abklärungen verlangt.
Dem Beschwerdeführer war bekannt, dass R.S. eine langjährige Kundin der damaligen Österreichischen Länderbank in Wien war. Die Geschäftsverbindung zur BFZ in Zürich kam durch Vermittlung des Direktors der Länderbank, P.F., zu Stande. Ein direkter Kontakt zu R.S. bestand zumindest im Zeitpunkt der Kontoeröffnungen nicht; der Beschwerdeführer erhielt sämtliche Unterlagen und Informationen von P.F. Er wusste auch, dass es sich bei den Handelsgesellschaften NOVUM und TRANSCARBON um Gesellschaften mit Sitz in der DDR handelte und dass der verstorbene Ehegatte von R.S. Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs gewesen war. In diesem Zusammenhang versicherte ihm P.F., dass R.S. über die Werte der beiden Gesellschaften verfügen dürfe. Der Beschwerdeführer nahm daher keine eigenen Nachforschungen vor, sondern verliess sich auf die aus Wien erhaltenen Informationen. Gestützt auf die Gesellschafterliste, auf welcher einzig der Name von R.S. aufgeführt war, nahm der Beschwerdeführer an, die beiden Gesellschaften NOVUM und TRANSCARBON gehörten der Geschäftsführerin und Gesellschafterin. Als wirtschaftlich Berechtigte waren auf den beiden Formularen A die NOVUM und TRANSCARBON aufgeführt. Der Beschwerdeführer vermutete indes nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz, dass die fraglichen Vermögenswerte
BGE 125 IV 139 S. 147
in Wahrheit nicht den beiden Handelsgesellschaften gehörten, sondern dass wirtschaftlich Berechtigte daran R.S. war. Wer tatsächlich hinter den Gesellschaften stand, wusste er nicht. Trotz dieser Ungereimtheiten klärte der Beschwerdeführer diese Frage nicht weiter ab, sondern gab sich mit den von P.F. gelieferten Erklärungen zufrieden. Damit hat er die Identität des wirtschaftlich Berechtigten nicht festgestellt und seine Sorgfaltspflicht verletzt. Dass er R.S. als Berechtigte vermutete, genügt, wie die Vorinstanz zu Recht erkannt hat, für eine Identifizierung jedenfalls nicht.
Nicht zu entlasten vermag den Beschwerdeführer, dass er - wenn auch nicht rechtlich abhängig - so doch wirtschaftlich auf das Mutterhaus in Wien angewiesen war. Es mag zutreffen, dass insbesondere bei Kontoeröffnungen auf dem Korrespondenzweg zuweilen eine Nachfrage durch kompetente Leute vor Ort unerlässlich ist, um den Prüfungspflichten zu genügen. Ein solches Vorgehen kann aber nicht zu einer eigentlichen Delegation der strafrechtlichen Verantwortung führen. Dies wäre mit
Art. 305ter StGB
nicht zu vereinbaren, welcher nur diejenige Person, die den jeweiligen Geschäftsabschluss vornimmt, zur Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten verpflichtet (a.M. DE CAPITANI, SJZ 89/1993, S. 22 ff.; KISTLER, a.a.O., S. 211 ff., 216). Eine eigentliche Delegation der Prüfungspflicht ist im vorliegenden Fall im Übrigen gar nicht erfolgt. Der Beschwerdeführer hätte somit selbst die Informationen über die NOVUM und die TRANSCARBON prüfen, und nötigenfalls mit aus eigenen Recherchen und allenfalls einer persönlichen Kontaktnahme gewonnenen Erkenntnissen ergänzen und zur Grundlage der Feststellung machen müssen, wer an den Vermögenswerten wirtschaftlich berechtigt sei. Auf die informellen Angaben von P.F. durfte er sich nicht blindlings verlassen.
Mit dieser Vorgehensweise nahm der Beschwerdeführer trotz seiner Zweifel hinsichtlich der Identität des wirtschaftlich Berechtigten in Kauf, den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten zuwiderzuhandeln. Trifft der Täter die Massnahmen zur Klärung der Identität, die ein sorgfältiger Bankier aufgrund der konkreten Umstände getroffen hätte, nicht, darf nach der Fassung des Tatbestandes auf Vorsatz geschlossen werden (ARZT, a.a.O., S. 192; KISTLER, a.a.O., S. 221 f.; EGGER TANNER, a.a.O., S. 285). Der Schuldspruch der Vorinstanz ist daher nicht zu beanstanden. Im Übrigen betrifft die Frage, was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, sogenannte innere Tatsachen, die als Tatfrage nur im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde aufgeworfen werden kann, im Rahmen der eidgenössischen
BGE 125 IV 139 S. 148
Nichtigkeitsbeschwerde als tatsächliche Feststellung für das Bundesgericht hingegen verbindlich ist (
Art. 273 Abs. 1 lit. b und
Art. 277bis Abs. 1 BStP
).
Insgesamt verletzt das angefochtene Urteil kein Bundesrecht und erweist sich die Beschwerde als unbegründet. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cf95256d-d7b0-401f-a524-3768d69dac83 | Urteilskopf
106 II 175
35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Januar 1980 i.S. Rellstab gegen Merz (Berufung) | Regeste
Art. 55 Abs. 1 lit. b und c OG
.
Aus der Berufungsschrift muss hervorgehen, inwiefern bestimmte Feststellungen oder rechtliche Erwägungen des angefochtenen Urteils Bundesrechtssätze verletzen sollen. | Erwägungen
ab Seite 175
BGE 106 II 175 S. 175
Aus den Erwägungen:
Gemäss
Art. 55 Abs. 1 OG
ist in der Berufungsschrift genau anzugeben, welche Punkte des Entscheides angefochten werden
BGE 106 II 175 S. 176
(lit. b); ferner ist kurz darzulegen, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind (lit. c). Abstrakte Rechtserörterungen, die losgelöst von dem zu beurteilenden Sachverhalt oder ohne aufgezeigten oder erkennbaren Zusammenhang mit bestimmten Entscheidungsgründen der Vorinstanz angestellt werden, genügen diesen Anforderungen nicht; es ist nicht Sache des Bundesgerichts, mangels genauer Angaben danach zu forschen, welche Punkte oder Erwägungen des angefochtenen Entscheides der Berufungskläger gerügt wissen will. Das gilt namentlich dann, wenn sich sein Anspruch, wie hier, auf verschiedene rechtliche Gesichtspunkte stützt.
Das ist auch den zahlreichen allgemeinen Ausführungen des Klägers zum Verfahren und zur Ermittlung des Sachverhalts durch das Kantonsgericht entgegenzuhalten. Sie laufen durchwegs darauf hinaus, an der Beweiswürdigung der Vorinstanz Kritik zu üben oder tatsächliche Feststellungen des Kantonsgerichts durch andere zu ersetzen oder als unvollständig auszugeben. Der Kläger schweigt sich meistens aber darüber aus, inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt in Verletzung von Bundesrecht ermittelt oder beurteilt habe. Allgemeine Vorbringen wie z.B. die Rüge, dass der von den Parteien vorgetragene vollständige Prozessstoff zu anderen rechtlichen Schlüssen führen müsse, taugen dazu zum vorneherein nicht.
Auf die Berufung des Klägers ist daher nur insoweit einzutreten, als ihrer Begründung wenigstens sinngemäss zu entnehmen ist, aus welchen Gründen und unter welchen Gesichtspunkten bestimmte Feststellungen oder Erwägungen des angefochtenen Urteils Bundesrecht verletzen sollen (vgl.
BGE 93 II 321
E. d, 87 II 306 E. 1,
BGE 82 II 335
E. 2,
BGE 72 II 123
). | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cf9c6869-313f-40f0-aa58-4116e69904cb | Urteilskopf
141 V 1
1. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_494/2014 vom 11. Dezember 2014 | Regeste
Art. 16 ATSG
; unterdurchschnittliches Valideneinkommen; Überstunden.
Bei der Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit des tatsächlich erzielten Valideneinkommens ist von dem Lohn auszugehen, den der vollzeitlich tätige Versicherte innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit erzielte, und das Entgelt für Überstundenarbeit ist nicht einzubeziehen (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 141 V 1 S. 2
A., geboren 1979, hatte sich am 20. November 2011 bei einem Autounfall Verletzungen an beiden Beinen sowie am linken Arm zugezogen. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher er für die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert war, sprach ihm mit Verfügung vom 15. April 2013 und Einspracheentscheid vom 3. Juli 2013 eine Invalidenrente basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 17 Prozent sowie eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 30 Prozent zu.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5. Mai 2014 ab.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
5.1
Das kantonale Gericht hat in Bestätigung des Einspracheentscheides der SUVA erwogen, dass der Beschwerdeführer bei Rentenbeginn am 1. März 2013 als Gesunder nach Angaben des vormaligen Arbeitgebers 55'000 Franken und zusätzlich 7'866 Franken für Überstundenarbeit, insgesamt also 62'866 Franken hätte verdienen können (Valideneinkommen). Der Verdienst nach Eintritt der Gesundheitsschädigung (Invalideneinkommen) wurde anhand der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) ermittelt unter Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 15 Prozent. Es erfolgte ein weiterer Abzug von 3 Prozent, weil der Beschwerdeführer als Gesunder nur unterdurchschnittlich verdient habe (Parallelisierung). Es ergab sich dadurch ein Invalideneinkommen von 51'876 Franken und ein Invaliditätsgrad von 17 Prozent.
5.2
Der Beschwerdeführer macht indessen geltend, dass die Parallelisierung nicht korrekt erfolgt sei, indem SUVA und Vorinstanz bei der Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit seines Valideneinkommens zu Unrecht auch das Entgelt für die Überstundenarbeit mit einbezogen hätten. Das kantonale Gericht hat der SUVA folgend erwogen, es könne nicht angehen, beim Einkommensvergleich ein Valideneinkommen einschliesslich Entgelt für die geleisteten
BGE 141 V 1 S. 3
Überstunden einzusetzen, bei der Frage der Unterdurchschnittlichkeit hingegen nur das merklich tiefere Grundeinkommen zu berücksichtigen.
5.3
Die SUVA hat einen Parallelisierungsabzug gewährt (
BGE 134 V 322
E. 4.1 S. 326;
BGE 135 V 58
E. 3.4.3 S. 61,
BGE 135 V 297
E. 5.1 S. 300). Damit erachtete sie es als grundsätzlich gerechtfertigt, das unterdurchschnittliche Valideneinkommen des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, weil er sich nicht aus freien Stücken damit begnügen wollte (
BGE 134 V 322
;
BGE 125 V 146
E. 5c/bb S. 157; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 696/01 vom 4. April 2002 E. 4). Dies ist vor- und letztinstanzlich unbestritten geblieben.
5.4
Bezog eine versicherte Person aus invaliditätsfremden Gründen (z.B. geringe Schulbildung, fehlende berufliche Ausbildung, mangelnde Deutschkenntnisse, beschränkte Anstellungsmöglichkeiten wegen Saisonnierstatus) ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen, ist diesem Umstand bei der Invaliditätsbemessung nach
Art. 16 ATSG
(SR 830.1) Rechnung zu tragen, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie sich aus freien Stücken mit einem bescheideneren Einkommensniveau begnügen wollte (
BGE 125 V 146
E. 5c/bb S. 157; Urteil I 696/01 vom 4. April 2002 E. 4). Nur dadurch ist der Grundsatz gewahrt, dass die auf invaliditätsfremde Gesichtspunkte zurückzuführenden Lohneinbussen entweder überhaupt nicht oder aber bei beiden Vergleichseinkommen gleichmässig zu berücksichtigen sind (
BGE 129 V 222
E. 4.4 S. 225). Die Grundüberlegung dieser Rechtsprechung ist die folgende: Wenn eine versicherte Person in derjenigen Tätigkeit, die sie als Gesunde ausgeführt hat, einen deutlich unterdurchschnittlichen Lohn erzielt, weil ihre persönlichen Eigenschaften (namentlich fehlende Ausbildung oder Sprachkenntnisse, ausländerrechtlicher Status) die Erzielung eines Durchschnittslohnes verunmöglichen, dann ist nicht anzunehmen, dass sie mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung behaftet einen (anteilmässig) durchschnittlichen Lohn erzielen könnte (
BGE 134 V 322
E. 4.1 S. 326;
BGE 135 V 58
E. 3.4.3 S. 61,
BGE 135 V 297
E. 5.1 S. 300).
5.5
Es sind beim Einkommensvergleich anhand parallelisierter Einkommen zwei Schritte zu unterscheiden. Als Erstes ist die Frage der Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens zu prüfen. Im Rahmen des Einkommensvergleichs folgt dann die Ermittlung und Gegenüberstellung der hypothetischen Vergleichseinkommen (SVR 2012 UV Nr. 26 S. 93, 8C_744/2011 E. 6.2; vgl. auch
BGE 141 V 1 S. 4
BGE 135 V 58
E. 3.4.3 S. 62). Schon aus diesem Grund kann der Argumentation von Verwaltung und Vorinstanz nicht gefolgt werden.
5.6
Das Bundesgericht hat bei der Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens das statistisch branchenübliche Durchschnittseinkommen, welches zum Vergleich heranzuziehen ist, stets angepasst an die statistisch betriebsübliche Arbeitszeit (
BGE 134 V 322
E. 4.2 S. 326; SVR 2008 IV Nr. 2 S. 3, I 697/05 E. 5.4; SVR 2007 IV Nr. 1 S. 1, I 750/04 E. 5.6; Urteil 8C_534/2012 vom 4. Februar 2013 E. 4.4). Mit Rücksicht auf den Leitgedanken der dargelegten Rechtsprechung ist der in diesem Rahmen durchzuführende Einkommensvergleich nur dann zuverlässig, wenn auch beim tatsächlich erzielten Valideneinkommen auf die vertraglich vereinbarte und damit betriebsübliche Arbeitszeit abgestellt wird. Wird auf dieser Seite ein zeitlicher Einsatz mitberücksichtigt, der über die statistisch übliche Arbeitszeit weit hinausgeht, erschliesst sich nicht, ob und inwieweit die hier massgeblichen Gründe (oben E. 5.4) zu einem Lohnunterschied geführt haben.
5.7
Zur Prüfung der Unterdurchschnittlichkeit des Valideneinkommens des Beschwerdeführers ist daher von dem Lohn auszugehen, den er nach Angaben des vormaligen Arbeitgebers im Jahr 2013 innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit als Gesunder hätte verdienen können. Der Betrag beläuft sich nach den vorinstanzlichen Feststellungen auf 55'000 Franken. Das entsprechende statistische Durchschnittseinkommen hat die SUVA mit 67'989 Franken ermittelt. Diese beiden Beträge werden beschwerdeweise nicht bestritten. Damit lag das Valideneinkommen um 19 Prozent unter dem statistischen Durchschnittsverdienst und es hat nach der Rechtsprechung zum Erheblichkeitsgrenzwert von 5 Prozent (
BGE 135 V 297
) eine Parallelisierung im Umfang von 14 Prozent zu erfolgen.
5.8
Das von der Vorinstanz festgestellte Invalideneinkommen von 53'481 Franken (nach Berücksichtigung eines leidensbedingten Abzuges von 15 Prozent) ist deshalb um 14 Prozent zu kürzen und auf 45'994 Franken festzusetzen. Im Vergleich mit dem Valideneinkommen von 62'866 Franken ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 27 Prozent. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine entsprechende Invalidenrente. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf9efb35-c77a-4bb6-a5c9-9896c82d1b33 | Urteilskopf
109 V 241
42. Urteil vom 29. November 1983 i.S. Ausgleichskasse "Versicherung" gegen Y. und Obergericht des Kantons Schaffhausen | Regeste
Art. 23 Abs. 2 AHVG
.
Unterhaltspflicht bejaht bei einer geschiedenen Frau, die zwar in der gerichtlich genehmigten Scheidungskonvention auf Unterhaltsbeiträge ihres geschiedenen Ehemannes verzichtet hat, der jedoch nachträglich aufgrund eines - nach dem Tode des geschiedenen Ehemannes erwirkten - rechtskräftigen Revisionsurteils ab Scheidungsdatum eine Unterhaltsrente im Sinne von
Art. 152 ZGB
zugesprochen worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 109 V 241 S. 241
A.-
Die am 9. September 1967 geschlossene Ehe des B.Y. und der A.Y. wurde mit Urteil des Kantonsgerichtes X vom 26. August 1980 geschieden. Das Gericht unterstellte die beiden Kinder der elterlichen Gewalt der Mutter und verpflichtete den Ehemann, für die Kinder monatliche Unterhaltsbeiträge von je Fr. ... zu bezahlen. Im übrigen genehmigte der Richter die am 9. August 1980 abgeschlossene Ehescheidungskonvention und nahm im Urteil u.a. davon Vormerk, dass A.Y. auf die
BGE 109 V 241 S. 242
Zusprechung einer Rente im Sinne von
Art. 151 oder 152 ZGB
verzichtete (Dispositiv Ziff. 5).
Am 27. Februar 1981 verstarb B.Y. Die Ausgleichskasse "Versicherung" sprach A.Y. zwei ab 1. März 1981 laufende Waisenrenten für die beiden Kinder zu, lehnte aber die Ausrichtung einer Witwenrente ab, weil die massgebenden Voraussetzungen nicht erfüllt seien (Verfügung vom 11. Mai 1981).
Bereits am 24. März 1981 hatte A.Y. beim Kantonsgericht X um Revision des Scheidungsurteils ersucht und geltend gemacht, beim Abschluss der Scheidungskonvention nicht freiwillig auf die Zusprechung einer Rente verzichtet zu haben, sondern dazu durch ihren früheren Ehemann unter Drohungen im Sinne von
Art. 29 und 30 OR
gezwungen worden zu sein. Das Kantonsgericht hiess das Revisionsgesuch am 11. Mai 1982 gut, hob Dispositiv Ziff. 5 seines Urteils vom 26. August 1980 auf und sprach der Gesuchstellerin ab Rechtskraft des Scheidungsurteils gemäss
Art. 152 ZGB
eine Rente von monatlich Fr. 500.- zu. Dieses Revisionsurteil ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
Am 7. Juni 1982 meldete sich A.Y. unter Beilage des Revisionsurteils erneut zum Bezug einer Witwenrente an. Die Ausgleichskasse wies dieses Begehren mit Verfügung vom 12. Juli 1982 ab, weil der verstorbene Ehemann nicht zu Lebzeiten im Sinne von
Art. 23 Abs. 2 AHVG
zu Unterhaltsbeiträgen an seine geschiedene Frau verpflichtet gewesen sei.
B.-
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen (Abteilung für AHV-IV-Sachen) hiess mit Entscheid vom 15. Oktober 1982 die hiegegen eingereichte Beschwerde gut, hob die angefochtene Verfügung vom 12. Juli 1982 auf und wies die Ausgleichskasse an, der Versicherten ab 1. März 1981 eine Witwenrente auszurichten.
C.-
Die Ausgleichskasse "Versicherung" führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 12. Juli 1982 wiederherzustellen. A.Y. schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung beantragt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 23 Abs. 1 lit. a AHVG
haben Witwen Anspruch auf eine Witwenrente, wenn sie im Zeitpunkt der Verwitwung eines oder mehrere leibliche oder an Kindes Statt angenommene
BGE 109 V 241 S. 243
Kinder haben. Die geschiedene Frau ist nach dem Tod ihres geschiedenen Ehemannes der Witwe gleichgestellt, sofern der Mann ihr gegenüber zu Unterhaltsbeiträgen verpflichtet war und die Ehe mindestens 10 Jahre gedauert hatte (
Art. 23 Abs. 2 AHVG
).
Wie das Eidg. Versicherungsgericht entschieden hat, ist unerheblich für den Anspruch der geschiedenen Frau auf Witwenrente, ob die Pflicht des Ehemannes zur Leistung von Unterhaltsbeiträgen auf einen bestimmten Zeitpunkt (vor oder nach seinem Tod) beschränkt war (
BGE 100 V 88
). Ob ein Mann seiner geschiedenen Frau Unterhaltsbeiträge zu leisten hat, ist eine Frage des Zivilrechtes. Daher beurteilt sich die Frage, ob ein Anspruch auf solche Unterhaltsbeiträge besteht, in der Regel anhand des Scheidungsurteils bzw. einer richterlich genehmigten Scheidungskonvention (
BGE 105 V 49
; EVGE 1969 S. 81, 1959 S. 195 mit Hinweisen). Bei Scheidungen, die nach ausländischem Recht ausgesprochen worden sind, genügt es nach der neueren Rechtsprechung, dass die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten auf einem nach dem betreffenden ausländischen Recht gültigen und vollstreckbaren Rechtstitel beruht (
BGE 109 V 75
).
2.
Im vorliegenden Fall ist streitig, ob die in
Art. 23 Abs. 2 AHVG
als Anspruchsvoraussetzung erwähnte Unterhaltspflicht gegeben ist.
a) Ausgangspunkt für die Beurteilung dieser Frage ist das Revisionsurteil des Kantonsgerichtes X vom 11. Mai 1982, mit welchem Dispositiv Ziff. 5 des Scheidungsurteils vom 26. August 1980 aufgehoben und vom Bestehen eines Rentenanspruches gemäss
Art. 152 ZGB
Vormerk genommen wurde. Das Gericht gelangte dabei nach Durchführung umfangreicher Beweiserhebungen zum Schluss, dass die Beschwerdegegnerin unter Erregung gegründeter Furcht im Sinne von
Art. 29 und 30 OR
zum Abschluss der Scheidungskonvention vom 9. August 1980 und zum Verzicht auf Unterhaltsleistungen bewogen worden war. Es sprach ihr daher unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse ab Rechtskraft des Scheidungsurteils eine monatliche Rente von Fr. 500.- zu.
Aufgrund dieses rechtskräftigen Revisionsurteils steht die Unterhaltspflicht des geschiedenen und inzwischen verstorbenen Ehemannes zugunsten der Beschwerdegegnerin seit dem Zeitpunkt des Scheidungsurteils vom 26. August 1980 fest. Entgegen der Auffassung der Ausgleichskasse kann dieses Revisionsurteil nicht in dem
BGE 109 V 241 S. 244
Sinne ausgelegt werden, dass der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge - unter dem Gesichtspunkt von
Art. 23 Abs. 2 AHVG
- erst nach der Scheidung begründet worden sei. Vielmehr liegt die Bedeutung des Revisionsurteils gerade darin, dass es auf das Datum der Ausfällung des Scheidungsurteils zurückwirkt und dieses in diesem Punkte - mit Wirkung ex tunc - ersetzt, als ob die frühere Entscheidung nie ergangen wäre (KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Aufl., S. 229; BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, N. 1 zu
Art. 144 OG
, S. 515; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen ZPO, 2. Aufl., S. 597 ff., insbesondere N. 3 zu § 298; RUST, Die Revision im Zürcher Zivilprozess, Diss. Zürich 1981, S. 175 f., S. 182). Demnach liegt ein vom Richter anerkannter und vollstreckbarer Anspruch der Beschwerdegegnerin auf Unterhaltsbeiträge gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann seit dem Zeitpunkt der Scheidung am 26. August 1980 vor. Hieran vermögen die Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Ausgleichskasse nichts zu ändern.
b) Das BSV macht in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend, dass vorliegend der geschiedene Mann unüblicherweise "erst nach dessen Tod im Revisionsverfahren zu Unterhaltsbeiträgen verurteilt" worden sei, weshalb infolge der sozialversicherungsrechtlichen Tragweite dieses Zivilurteils in Abweichung der sonst üblichen Praxis "auf das durchgeführte Revisionsverfahren näher einzugehen" sei; "dies um so mehr, als es einzig zum Zwecke durchgeführt wurde, die Anspruchsvoraussetzungen für die Witwenrente zu ermöglichen". Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Denn Voraussetzung für den Rentenanspruch nach
Art. 23 Abs. 2 AHVG
ist u.a. das Bestehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs, über den der Zivilrichter und nicht der Sozialversicherungsrichter entscheidet (vgl. Erw. 1 hievor). Hat der Zivilrichter die Unterhaltspflicht rechtskräftig beurteilt, sind die Verwaltungs- und Verwaltungsjustizbehörden an seinen Entscheid gebunden und nicht mehr befugt, über die rechtskräftig entschiedene Frage selbständig zu befinden (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. II, S. 1056 f. mit Hinweisen). Dabei ist es unerheblich, ob das entsprechende, in Rechtskraft getretene Urteil materiell richtig war und im Falle der Ergreifung eines Rechtsmittels der Überprüfung durch die obere richterliche Instanz standgehalten hätte. Eine Überprüfungsbefugnis des Sozialversicherungsrichters
BGE 109 V 241 S. 245
besteht nur hinsichtlich der Frage, ob gegebenenfalls ein geltend gemachtes Zivilurteil als nichtig betrachtet werden müsste, was im vorliegenden Fall offensichtlich nicht zutrifft und auch von keiner Seite behauptet wird. Auf die vom BSV in seiner Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebrachten materiellen Einwendungen gegen das Revisionsurteil braucht daher nicht eingegangen zu werden. Demnach muss es bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Beschwerdegegnerin aufgrund des Revisionsurteils vom 11. Mai 1982 seit dem Zeitpunkt der Scheidung einen vollstreckbaren Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann hatte, weshalb sie im Hinblick auf die Witwenrente einer verwitweten Ehefrau gleichgestellt ist. Demzufolge steht ihr - da auch die Voraussetzung der 10jährigen Ehedauer erfüllt ist - ab 1. März 1981 eine Witwenrente zu, wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat.
3.
(Kostenpunkt.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cf9f949c-bbd1-47c3-b790-6fe8ccbee8a9 | Urteilskopf
141 III 97
14. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. SA contre B. (recours en matière civile)
4A_543/2014 / 4A_547/2014 du 30 mars 2015 | Regeste
Genugtuung (
Art. 47 OR
).
Das Prozessverhalten der Person, die eine unerlaubte Handlung begangen hat, und das Prozessverhalten deren Versicherung sind bei der Bestimmung der angemessenen Geldsumme, die dem Opfer einer Körperverletzung nach
Art. 47 OR
als Genugtuung zugesprochen werden kann, nicht zu berücksichtigen (E. 11). | Erwägungen
ab Seite 97
BGE 141 III 97 S. 97
Extrait des considérants:
11.
11.1
La recourante affirme pour finir que la cour cantonale a enfreint l'
art. 47 CO
en fixant à 80'000 fr. l'indemnité pour tort moral accordée au lésé. Soutenant que ce dernier n'est pas invalide, que toutes les séquelles qui résultaient des lésions somatiques ont été guéries et que la preuve des troubles neuropsychologiques dont il se plaint n'a pas été apportée, la recourante est d'avis qu'une indemnité de base de 1'000 fr. à 20'000 fr. serait suffisante, eu égard à la période d'hospitalisation, aux interventions chirurgicales subies et à la
BGE 141 III 97 S. 98
rééducation suivie. A propos de la fixation de l'indemnité, si la défenderesse admet la violence du choc et la souffrance résultant du fait que la passagère du lésé est restée paraplégique, elle conteste être responsable de la longueur de la procédure, faisant valoir qu'elle a d'emblée reconnu sa responsabilité et versé rapidement des acomptes au lésé. Selon la recourante, le demandeur a déjà été largement indemnisé pour ce poste par le versement d'une indemnité pour atteinte à l'intégrité (
art. 24 et 25 LAA
[RS 832.20]).
11.2
En vertu de l'
art. 47 CO
, le juge peut, en tenant compte de circonstances particulières, allouer à la victime de lésions corporelles une indemnité équitable à titre de réparation morale. Les circonstances particulières évoquées dans la norme consistent dans l'importance de l'atteinte à la personnalité du lésé, l'
art. 47 CO
étant un cas d'application de l'
art. 49 CO
(cf. arrêt 4C.283/2005 du 18 janvier 2006 consid. 3.1.1, in JdT 2006 I p. 476).
Les lésions corporelles, qui englobent tant les atteintes physiques que psychiques, doivent donc en principe impliquer une importante douleur physique ou morale ou avoir causé une atteinte durable à la santé. Parmi les circonstances qui peuvent, selon les cas, justifier l'application de l'
art. 47 CO
, figurent avant tout le genre et la gravité de la lésion, l'intensité et la durée des répercussions sur la personnalité de la personne concernée, le degré de la faute de l'auteur ainsi que l'éventuelle faute concomitante de la victime (
ATF 132 II 117
consid. 2.2.2 p. 119;
ATF 125 III 412
consid. 2a p. 417; arrêt 4A_373/2007 du 8 janvier 2008 consid. 3.2, non publié in
ATF 134 III 97
).
L'indemnité allouée doit être équitable (
ATF 130 III 699
consid. 5.1 p. 704/705 et les arrêts cités). Le juge applique les règles du droit et de l'équité lorsque la loi le charge, comme l'
art. 47 CO
, de prononcer en tenant compte des circonstances (cf.
art. 4 CC
). Le Tribunal fédéral ne revoit qu'avec réserve la décision d'équité prise en dernière instance cantonale. Il intervient lorsque celle-ci s'écarte sans raison des règles établies par la doctrine et la jurisprudence en matière de libre appréciation, lorsqu'elle repose sur des faits qui, dans le cas particulier, ne devaient jouer aucun rôle ou, au contraire, lorsqu'elle ignore des éléments qui auraient absolument dû être pris en considération; en outre, le Tribunal fédéral redresse les décisions rendues en vertu d'un pouvoir d'appréciation lorsqu'elles aboutissent à un résultat manifestement injuste ou à une iniquité choquante (
ATF 135 III 121
consid. 2 p. 123).
BGE 141 III 97 S. 99
11.3
Au considérant 8.2 de son arrêt, p. 111 s., l'autorité cantonale a jugé que les premiers juges avaient correctement pris en compte l'extrême violence du choc subi par le lésé, les sept opérations chirurgicales qui ont été nécessaires, la longue rééducation et le traitement ambulatoire suivi depuis lors ainsi que les souffrances résiduelles. De même, la Cour d'appel a souligné que l'accident a assombri l'avenir professionnel du demandeur, qui se dévoilait alors sous les meilleurs auspices, et que le sinistre a été à l'origine de la rupture affective avec sa compagne. Elle a également retenu la longueur de la procédure (près de 13 ans entre l'ouverture d'action et le jugement de première instance) et l'attitude de la défenderesse, qui a nié sa responsabilité dès que le conseil du lésé a pris langue avec elle, sans jamais varier de position, et qui a traité le lésé de simulateur. Elle a donc admis qu'une indemnité satisfactoire de 80'000 fr. devait être allouée, ce qui, après déduction de l'indemnité pour atteinte à l'intégrité de 56'960 fr. versée par la SUVA, entraînait le paiement d'une indemnité résiduelle de 23'040 fr. (80'000 fr. - 56'960 fr.).
11.4
Pour fixer le montant de l'indemnité pour tort moral, l'autorité cantonale a eu raison de mettre l'accent sur les souffrances physiques et morales endurées par le lésé. L'accident a occasionné à celui-ci de multiples fractures des membres inférieurs, des contusions graves du foie et de la rate, plus un violent choc à la tête, ayant entraîné une fracture de la pyramide nasale et de très nombreuses fractures dentaires. L'ampleur des blessures est attestée par la première intervention chirurgicale, qui a duré 27 heures. Six autres opérations ont suivi. Les soins hospitaliers et la rééducation se sont étalés sur près de neuf mois. La compagne d'alors du demandeur est restée quant à elle paraplégique. Le lésé, qui travaillait 50 à 60 heures par semaine en étant actif pour le compte de trois sociétés et qui gagnait annuellement plus de 220'000 fr. nets en 1991, a dû totalement arrêter les activités professionnelles qu'il menait alors avec succès. Depuis l'accident, il est atteint de troubles fonctionnels persistants qui provoquent notamment des déficits mnésiques et attentionnels. Sa capacité résiduelle de travail dans une activité adaptée est limitée à 30 %.
S'appuyant sur l'opinion de HARDY LANDOLT (Zürcher Kommentar, 3
e
éd. 2007, n
os
190 et 191 ad
art. 47 CO
), la cour cantonale a encore pris en considération le comportement dans le procès de l'auteur, respectivement de son assurance, ayant consisté dans le cas présent à nier tout dommage et à suspecter le lésé d'être un simulateur. Elle
BGE 141 III 97 S. 100
ne saurait être suivie sur ce point. Avec ROLAND BREHM (Berner Kommentar, 4
e
éd. 2013, n° 50 ad
art. 47 CO
), il sied de retenir que ce critère n'entre pas en ligne de compte dans le cadre de la réparation morale qui peut être allouée à la victime de lésions corporelles en application de l'
art. 47 CO
. Si l'attitude du responsable en procédure atteint un caractère carrément vexatoire pour la victime, c'est alors l'
art. 49 CO
qui entre en jeu pour sanctionner l'atteinte grave portée aux droits de la personnalité de cette dernière. Cette dernière hypothèse n'est pas réalisée en l'occurrence.
En revanche, l'autorité cantonale devait prendre en compte la faute grave commise par l'auteur, qui, en circulant en pleine nuit à vive allure sur une route cantonale avec un taux d'alcool dans le sang qui était encore supérieur à 1,11 g/kg quatre heures après l'accident, a montré du mépris pour la vie d'autrui.
Quant au lésé, il ne faut pas oublier qu'aucune faute concomitante n'a pu lui être reprochée.
En résumé, si le critère du comportement de l'auteur au cours du procès ne devait jouer aucun rôle pour fixer l'indemnité pour tort moral, les magistrats vaudois se devaient de considérer le degré de la faute commise par le responsable.
A propos du quantum de l'indemnité, on peut rappeler que le Tribunal fédéral a jugé équitable une indemnité pour tort moral de 140'000 fr. en capital, dans le cas d'une motocycliste grièvement blessée dans un accident de la circulation, qui a entraîné un traumatisme cérébral laissant des séquelles irréversibles (
ATF 134 III 97
consid. 4 p. 99 s.). De même, il a trouvé récemment conforme au droit le versement d'une réparation morale du même montant - avant réduction pour faute de la victime - à un enfant qui, lors d'une descente à ski, a violemment heurté de la tête une barre de fer délimitant la piste et en est resté gravement handicapé (arrêt 4A_206/2014 du 18 septembre 2014 consid. 5).
Dans ce contexte, il est possible de confirmer le montant de l'indemnité satisfactoire de 80'000 fr. accordée au demandeur par la cour cantonale, montant sur lequel est imputée l'indemnité pour atteinte à l'intégrité versée en application de la LAA.
Le moyen doit être rejeté. | null | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cfa6b3c2-a35a-4013-9522-0bedac6fee7b | Urteilskopf
91 III 57
12. Entscheid vom 28. Mai 1965 i.S. Zollinger. | Regeste
Art. 92 Ziffer 5 SchKG.
Hat der Schuldner bei einem Arrestvollzug die Unpfändbarkeit einer Forderung geltend gemacht, so hat das Betreibungsamt die Feststellungen, die eine Beurteilung der Unpfändbarkeit ermöglichen, von Amtes wegen zu treffen; und zwar auch dann, wenn der Schuldner ungenügende Angaben macht oder Erklärungen abgibt, die nur indirekt auf einen Unpfändbarkeitsanspruch schliessen lassen. | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 91 III 57 S. 57
A.-
Der Gläubiger Dr. Ernst Strehle erwirkte am 18. November 1964 beim Einzelrichter des Bezirksgerichtes Zürich einen Arrestbefehl gegen die Schuldnerin Heidi Zollinger-von Gunten für eine Forderung von Fr. 494.90 nebst Zins. Auf Gesuch des Gläubigers arrestierte das Betreibungsamt Dietikon am 24. November 1964 ein Guthaben der Arrestschuldnerin aus Sparheft Nr. A 818520 bei der Zürcher Kantonalbank über Fr. 653.55 bis zur Deckung der Forderung nebst Kosten.
BGE 91 III 57 S. 58
Zwischen der Schuldnerin und ihrem Ehemann ist ein Scheidungsprozess hängig. Sie leben jedoch noch in gemeinsamem Haushalt. Die Schuldnerin betreut neben zwei eigenen Kindern zwei Pflegekinder und geht einem Nebenverdienst als Serviertochter nach.
B.-
Mit Beschwerde vom 30. November 1964 beantragte Frau Zollinger die Freigabe des Sparheftes wegen Unpfändbarkeit nach Art. 92 Ziffer 5 SchKG. Sie machte geltend, Winterkleider für sich und die Kinder zu benötigen. Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde gut und wies mit Entscheid vom 22. Januar 1965 das Betreibungsamt Dietikon an, das arrestierte Sparheft aus dem Arrestbeschlag zu entlassen. Der Gläubiger zog die Streitsache mit Erfolg an das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde weiter; mit Entscheid vom 30. April 1965 wurde die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Arrestvollzug abgewiesen.
Zur Begründung ihres Urteils führte die obere kantonale Aufsichtsbehörde aus: Die Schuldnerin wolle gar keinen Anspruch auf Unpfändbarkeit ihres mit Arrest belegten Sparguthabens im Sinne von Art. 92 Ziffer 5 SchKG erheben. Nach ihren Darlegungen benötige sie das Sparguthaben, um auf den Winter hin Kleider für sich und die Kinder anzuschaffen. Sie behaupte somit nicht, den mit Beschlag belegten Betrag für den Kauf von Nahrungsmitteln und Heizmaterial zu gebrauchen. Da aus Art. 92 Ziffer 5 SchKG kein allgemeiner Unpfändbarkeitsanspruch auf eine begrenzte Barmittelreserve abgeleitet werden könne, sei die Beschwerde abzuweisen.
C.-
Die Schuldnerin hat Rekurs an das Bundesgericht erhoben und begehrt nach wie vor, der Arrestvollzug sei aufzuheben.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Art. 92 Ziffer 5 SchKG erklärt als unpfändbar "die dem Schuldner und seiner Familie für die zwei auf die Pfändung folgenden Monate notwendigen Nahrungs- und Feuerungsmittel oder die zu ihrer Anschaffung erforderlichen Barmittel oder Forderungen". Diese Vorschrift ist bei einem Arrestvollzug vom Betreibungsbeamten nicht von Amtes wegen anzuwenden
BGE 91 III 57 S. 59
(s.
BGE 77 III 153
Erw. 4 lit. a). Hat aber der Schuldner - wie im vorliegenden Fall die Rekurrentin - die Unpfändbarkeit einer Forderung im Sinne von Art. 92 Ziffer 5 SchKG geltend gemacht, so hat das Betreibungsamt, beziehungsweise die kantonale Aufsichtsbehörde die Feststellungen, die eine Beurteilung der Unpfändbarkeit ermöglichen, von Amtes wegen zu treffen (s.
BGE 77 III 153
Erw. 4 lit. a,
BGE 77 III 108
,
BGE 82 III 106
Erw. 2,
BGE 86 III 50
und
BGE 89 III 34
).
Das für die Anwendung von
Art. 92 SchKG
geltende Untersuchungsprinzip erfordert - wie bei der Pfändung - eine Abklärung auch dann, wenn der Schuldner ungenügende Angaben macht (vgl.
BGE 86 III 50
) oder Erklärungen abgibt, die nur indirekt auf einen Unpfändbarkeitsanspruch schliessen lassen. So kann es der Rekurrentin nicht schaden, wenn sie sich mit Schreiben ihres Anwaltes vom 25. November 1964 an das Betreibungsamt Dietikon darauf beruft, das verarrestierte Sparguthaben sei unpfändbar, "insbesondere da sie für sich und die Kinder dringend Anschaffungen für den Winter machen muss". Auslagen für Kleider und Schuhe bilden in gewissem Umfang Bestandteil des betreibungsrechtlichen Existenzminimums. Eine Prüfung der Verhältnisse der Rekurrentin kann nun ergeben, dass sie aus ihren Einkünften wegen besonderer Kleideranschaffungen nicht auch noch Nahrungs- und Feuerungsmittel für zwei Monate zu kaufen vermag. Auf diese Möglichkeit hat sie im übrigen in der Beschwerdeschrift an das Bezirksgericht Zürich vom 30. November 1964 ausdrücklich hingewiesen. Treffen ihre Behauptungen zu, so könnte sich der Unpfändbarkeitsanspruch nach Art. 92 Ziffer 5 SchKG ganz oder teilweise als begründet erweisen. Es handelt sich also nicht darum, der Rekurrentin eine allgemeine Barmittelreserve zu überlassen, sondern, nachdem der Unpfändbarkeitsanspruch erhoben worden ist, von Amtes wegen die zur Beurteilung notwendigen tatsächlichen Abklärungen zu treffen. Dabei sind durch die kantonale Aufsichtsbehörde oder das Betreibungsamt die in Erwägung 4 des angefochtenen Entscheides erwähnten - und allfällige weitere - Feststellungen zu treffen. Liegen sie vor, so ist nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien (vgl.
BGE 77 III 153
f, insbes. 156/157) die umstrittene Frage zu entscheiden, ob und allenfalls in welchem Umfang das Sparguthaben von Fr. 653.55 nach Art. 92 Ziffer 5 SchKG unpfändbar ist.
BGE 91 III 57 S. 60
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die obere kantonale Aufsichtsbehörde zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cfa88414-a3e4-45b3-824b-8ff24ea23f72 | Urteilskopf
91 IV 153
42. Arrêt de la Cour de cassation pénale, du 14 mai 1965 dans la cause Vallotton contre Ministère public du canton de Berne. | Regeste
Art. 117 StGB
, fahrlässige Tötung;
Art. 70 und 71 Abs. 1 SSV
, Signalisation einer Baustelle.
1. Eine Strecke stellt so lange eine Baustelle dar, als Arbeiten, auch vorübergehend eingestellte, den Verkehr auf ihr gefährden (Erw. 1).
2. Mangelhafte Signalisation einer Baustelle als adäquate Ursache eines tödlichen Unfalls (Erw. 2).
3. Das kantonale Recht bestimmt die Behörde, die für die Signalisation der Strassenbaustellen verantwortlich ist (Erw. 3).
- Fahrlässigkeit des verantwortlichen Beamten, der dem Bauunternehmer ungenügende Weisungen erteilte und sich zuwenig um die Kontrolle kümmerte (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 154
BGE 91 IV 153 S. 154
A.-
Le 8 janvier 1964, à 6 h. 30, Renevey circulait en automobile, à une vitesse d'au moins 100 km/h, sur la route qui va de Courtételle à Delémont. Il enclencha ses feux de croisement à cause d'une autre voiture qui arrivait en sens inverse, mais ne ralentit pas. Il se trouva alors tout à coup en face d'une bande empierrée, haute de 30 cm environ et qui, sur une distance de 300 m, séparait la chaussée en deux pistes; celle de gauche, plus large que l'autre, avait été surélevée de 20 cm à peu près et munie d'un revêtement neuf. Les travaux de réfection, ainsi commencés à cet endroit, avaient été interrompus le 13 décembre 1963. Devant cet obstacle, Renevey freina très brusquement, toucha l'empierrement, perdit la maîtrise de son véhicule, heurta un arbre et fut tué sur le coup.
L'état particulier de la chaussée, à cet endroit, était signalé, du côté de Courtételle, de la façon suivante: 155 m avant le début du chantier, un signal "travaux" (no 113) peu visible et couvert de poussière était placé sur l'accotement droit; un signal "sens obligatoire" avec flèche blanche horizontale indiquant la droite (no 218) se trouvait sur le début de la bande empierrée; enfin, de loin en loin, des tonneaux de métal peints en rouge avec une bande blanche au milieu avaient été disposés sur cette bande. Ni les signaux, ni les tonneaux n'étaient éclairés.
Avant l'interruption des travaux, le chantier était annoncé par un signal avancé "travaux", par un balisage fait de barrières rouges et blanches, par des lanternes jaunes, placées
BGE 91 IV 153 S. 155
le long du chantier; de plus, le trafic était réglé par des feux changeants, verts, jaunes et rouges placés aux deux extrémités. Lors de l'interruption, Vallotton, voyer-chef de Delémont, donna à Benzi, chef du chantier, des instructions, disant que cette "forêt de signaux" devait être enlevée. Sur le contenu de ces instructions, l'autorité cantonale s'est bornée à constater que les deux hommes sont restés en désaccord, mais que Vallotton n'a pas parlé de l'éclairage.
B.-
Le 12 novembre 1964, la première chambre pénale de la Cour suprême du canton de Berne a condamné Vallotton à 300 fr. d'amende pour homicide par négligence.
C.-
Vallotton s'est pourvu en nullité. Il conclut à libération.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Selon l'art. 70 OSR, les chantiers sur route doivent être annoncés par le signal de danger no 113 (Travaux), qui sera répété "près des travaux eux-mêmes" (al. 1); les obstacles sur la chaussée doivent être barrés par des planches, des grilles, etc. rayées en rouge et blanc (al. 2); de nuit et lorsque les conditions atmosphériques l'exigent, les barrages doivent être éclairés, tout au moins à leurs extrémités, par des feux jaunes non éblouissants, qui peuvent être clignotants au début d'un chantier ou pour avertir d'un danger supplémentaire assez grave (al. 3); enfin, lorsque la largeur de l'obstacle ne dépasse pas 50 cm, le barrage peut être remplacé par le signal "travaux", mais qui doit être muni d'un feu (al. 4).
Le recourant conteste tout d'abord que l'obstacle dans lequel est venu donner Renevey ait fait partie d'un chantier au sens de l'art. 70 OSR, de sorte, dit-il, que cette disposition ne serait pas applicable. C'est à tort. A l'endroit où l'accident s'est produit, la chaussée était en réfection. Elle avait déjà été corrigée, exhaussée et munie d'un revêtement neuf sur la plus grande partie de sa largeur lorsque les travaux furent interrompus, le 13 décembre 1963, sans doute à cause des intempéries. Mais ils devaient être repris, étant inachevés. Or, aussi longtemps que des travaux en cours créent un danger pour la circulation, l'espace où ce danger existe constitue un chantier et ne perd pas son caractère lorsque l'exécution est momentanément interrompue, par exemple de nuit, les jours fériés ou en raison du temps qu'il fait, fût-ce durant l'hiver, c'est-à-dire pendant une période prolongée.
BGE 91 IV 153 S. 156
Le chantier où Renevey a perdu la maîtrise de sa voiture n'était pas signalé conformément à l'art. 70 OSR. Premièrement, le signal no 113 ("Travaux") n'avait pas été répété "près des travaux" soit devant le début de la bande empierrée. Cette répétition aurait été d'autant plus nécessaire que le signal avancé, souillé de poussière, n'était pas placé d'une façon très apparente. De plus, on avait enlevé les barrières rouges et blanches, qui, jusqu'au 13 décembre 1963, avaient marqué le début de la bande empierrée; l'obstacle n'était donc plus strictement "barré" selon l'art. 70 al. 2 OSR. Sans doute, après avoir enlevé les barrières, avait-on, au début de la bande, puis de loin en loin, sur toute sa longueur, placé des tonneaux de métal peints en rouge avec une bande blanche. Mais il est pour le moins douteux que cette mesure eût correspondu aux exigences de la loi. Enfin et surtout, le défaut de tout feu jaune était gravement contraire à l'art. 70 al. 3 OSR; en tout cas, il aurait dû y en avoir un à l'extrémité du chantier et il aurait été utile de choisir un feu clignotant, vu la gravité du risque que créait la division de la route en deux pistes de largeur inégale, dont l'une était en contre-bas et séparée de l'autre par un empierrement.
2.
Cependant, la responsabilité pénale de Vallotton serait d'emblée exclue si les défauts de la signalisation ainsi relevés ne constituaient pas la cause adéquate de la mort de Renevey. L'autorité cantonale a jugé que l'accident aurait pu être évité si le chantier avait été suffisamment signalé. Il s'ensuit que, du point de vue de la causalité naturelle, la mort de Renevey est la conséquence des lacunes de la signalisation. Cette question relève du fait et, partant, échappe à la censure de la cour de céans, saisie d'un pourvoi en nullité (art. 269 al. 2, 273 al. 1 lit. b et 277 bis al. 1 PPF; RO 82 IV 33 a;
83 IV 140
, consid. 3).
Il reste à examiner si ce rapport de causalité est adéquat, c'est-à-dire si, dans le cours normal des choses et selon l'expérience générale de la vie, les insuffisances de la signalisation étaient propres à entraîner un accident semblable à celui qui s'est produit. Il s'agit là d'une question de droit fédéral que la Cour de cassation pénale revoit librement (arrêts précités).
Il est clair que, vu l'absence d'un signal "Danger", qui aurait dû être placé "près des travaux eux-mêmes" (art. 70 al. 1 OSR), savoir sur la chaussée, juste devant la bande
BGE 91 IV 153 S. 157
empierrée, vu en outre le défaut, sinon d'un barrage conforme aux prescriptions légales devant le chantier, tout au moins de feux jaunes, il était prévisible que, dans le cours normal des choses, un conducteur, en particulier s'il avait enclenché ses feux de croisement, pourrait être surpris et venir donner dans l'obstacle, d'autant plus que, de nuit, il est normal et prudent de ne pas rouler tout à fait à droite. Sans doute la victime a-t-elle commis une faute grave en circulant à une vitesse fortement excessive après avoir dû réduire son éclairage pour croiser une autre voiture. Mais une telle faute est si commune qu'elle n'est nullement soustraite aux prévisions normales. Elle ne saurait donc exclure le rapport de causalité adéquate entre les défauts de la signalisation et la mort de Renevey.
3.
Cependant, Vallotton conteste qu'il lui ait incombé de faire établir ou rétablir une signalisation correcte. Si tel était le cas, l'accident et ses suites mortelles ne seraient pas son fait, mais le fait d'autrui.
Selon l'art. 71 al. 1 OSR, il appartient à l'autorité de donner aux entrepreneurs des instructions pour la signalisation des chantiers sur les routes et d'en surveiller l'exécution. Alors même que, comme l'a constaté la Cour suprême bernoise, le contrat d'entreprise relatif à la réfection de la route de Courtételle à Delémont chargeait l'entrepreneur d'apposer les signaux nécessaires sur le chantier, l'autorité était donc tenue de donner, sur ce point, des instructions suffisantes et de veiller à ce que ses ordres fussent suivis. A cet égard, l'art. 71 al. 1 OSR est conforme à l'art. 5 al. 3 i.f. LCR, selon lequel les signaux et marques prévus par le Conseil fédéral ne peuvent être placés que par les autorités compétentes ou avec leur approbation. Le législateur a manifestement voulu, ainsi, assurer la sécurité du trafic en confiant la tâche essentielle de signaler les chantiers notamment, non pas à un entrepreneur quelconque, mais à une autorité munie des connaissances voulues (cf., déjà, l'art. 3 al. 2 de l'ancienne ordonnance sur la signalisation routière du 17 octobre 1932). On ne saurait dès lors douter que les défauts de la signalisation sur un chantier engagent la responsabilité, non de l'entrepreneur, mais de l'autorité lorsqu'ils sont la conséquence d'instructions ou d'une surveillance insuffisantes. Le recourant ne saurait donc alléguer que la signalisation, sur le chantier où l'accident s'est produit, incombait à l'entreprise, de par le contrat qu'elle avait souscrit.
BGE 91 IV 153 S. 158
De même, il conteste en vain que ses fonctions de voyer-chef aient fait de lui l'autorité chargée d'instruire l'entrepreneur touchant la signalisation du chantier et de surveiller l'exécution de ses ordres. L'art. 3 al. 1 LCR réserve la souveraineté cantonale sur les routes dans les limites du droit fédéral. S'agissant de la signalisation du chantier en cause, aucune disposition de ce droit ne réserve la compétence d'une autorité fédérale. Il appartient donc à la seule autorité cantonale d'intervenir et la désignation de cette autorité relève du droit cantonal. Appliquant la loi bernoise, la Cour suprême a jugé qu'en sa qualité de voyer-chef pour le district de Delémont, Vallotton répondait de la signalisation à l'endroit où s'est produit l'accident. La cour de céans ne saurait revoir cette question, car, saisie d'un pourvoi en nullité, elle ne peut connaître que de la violation du droit fédéral (art. 269 al. 1 et 273 al. 1 lit. b PPF) et, dans l'application du droit cantonal, elle doit se plier, en l'occurrence, au jugement souverain de la cour bernoise.
4.
Enfin le recourant conteste avoir commis une faute; sur ce point, il affirme qu'il avait en tout cas donné l'ordre de placer un feu jaune au début de la bande empierrée, qu'un tel feu avait effectivement été fixé à une tige de fer munie d'un crochet, mais avait été endommagé ou volé quelques jours avant l'accident.
Supposé qu'une lanterne eût été placée par son ordre ou autrement et qu'elle eût été, soit endommagée, soit volée, le recourant n'en serait disculpé que si le fait s'était produit la nuit même de l'accident. Car c'est dans cette hypothèse seulement qu'il n'aurait pas été à même de pourvoir en temps utile au remplacement nécessaire. En cas de disparition antérieure du feu, la responsabilité pénale du recourant serait engagée. S'il ne pouvait, comme il l'affirme lui-même, visiter chaque soir tous les chantiers dont la surveillance lui incombait, il devait tout au moins, de par l'art. 71 al. 105 R, charger de ce contrôle des personnes dignes de confiance. Or, non seulement l'autorité cantonale n'a pas constaté que le feu - à lui seul du reste insuffisant - ait disparu au cours de la nuit où Renevey a trouvé la mort, mais, d'après ses constatations souveraines, le recourant n'a pas parlé au chef du chantier de l'éclairage; il ne s'est pas préoccupé de contrôler si la signalisation était suffisante ou, s'il l'a fait, il a manifestement apprécié la situation
BGE 91 IV 153 S. 159
d'une manière erronée. Dès lors, c'est à juste titre que la Cour suprême bernoise l'a condamné pour homicide par négligence.
Dispositiv
Par ces motifs, la Cour de cassation pénale:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfaa042a-a648-478e-a3a0-b271c0dc75ca | Urteilskopf
125 III 154
29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1998 i.S. Nachlassmasse Neidhardt AG gegen Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband (Berufung) | Regeste
Kollokationsklage; Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung; Rangordnung der Gläubiger (
Art. 146 SchKG
, 219 SchKG; Art. 2 Abs. 3 der Schlussbestimmungen der Gesetzesänderung vom 16. Dezember 1994 [AS 1995 1306]).
Die Frage der Geltungsdauer der nach altem Recht vorgesehenen, im neuen Recht eingeschränkten Privilegien gemäss
Art. 146 und
Art. 219 SchKG
bedarf nicht bloss im Konkurs sowie im Pfändungsverfahren, sondern ebenso im Nachlassverfahren notwendigerweise der übergangsrechtlichen Regelung; Grundsätze der Lückenfüllung (E. 3a).
Im Nachlassverfahren, das eine Art Vollstreckungsersatz darstellt, zeitigt die Bewilligung der Nachlassstundung, durch welche das Verfahren eröffnet wird, gleichartige Wirkungen wie Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug. Aus diesem Grunde ist zwingend der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung und nicht jener der Genehmigung des Nachlassvertrages dafür entscheidend, ob eine Forderung nach der alten oder neuen Privilegienordnung zu kollozieren ist (E. 3b und 3c). | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 125 III 154 S. 155
A.-
Der Neidhart AG war am 21. August 1996 die Nachlassstundung bewilligt und am 13. Februar 1997 war der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung bestätigt worden. Die Forderung der Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband für AHV/IV/EO- und ALV-Beiträge von Fr. 147'060.25 wurde im Kollokationsplan gestützt auf Art. 219 des revidierten SchKG in der dritten Klasse kolloziert.
B.-
Das Obergericht des Kantons Luzern hiess auf Appellation der Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband die Klage am 16. September 1998 gut und wies die Sachwalter an, die Forderung der Klägerin von Fr. 147'060.25 in der zweiten Klasse nach Art. 219 aSchKG zu kollozieren.
C.-
Die Nachlassmasse Neidhart AG (Beklagte) hat Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Kollokationsklage abzuweisen, eventualiter festzustellen, dass im Falle der Gutheissung der Kollokationsklage sämtliche Forderungen nach den altrechtlichen SchKG-Bestimmungen zu kollozieren seien.
Das Bundesgericht hat die Berufung abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vor Obergericht war einzig streitig, ob auf die Forderung der Klägerin die bis Ende 1996 oder die seit Anfang 1997 geltende Privilegienordnung von
Art. 219 SchKG
anzuwenden, der Anspruch
BGE 125 III 154 S. 156
mithin in der zweiten oder in der dritten Klasse zu kollozieren sei. Die Vorinstanz hält fest, gemäss Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen gälten die im bisherigen Recht enthaltenen Privilegien der Art. 146 und 219 weiter, wenn vor dem Inkrafttreten des revidierten SchKG der Konkurs eröffnet oder die Pfändung vollzogen worden sei. Weder sei ihm bezüglich der Weitergeltung jener Privilegien auf den Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung eine positive Anordnung zu entnehmen, noch seien Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Weitergeltung der Privilegienordnung beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung in jedem Fall auszuschliessen wäre. Die vorhandene Gesetzeslücke sei den Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen zugrunde liegenden gesetzgeberischen Motiven folgend dahin zu füllen, dass beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung die im bisherigen Recht enthaltenen Privilegien weiter gälten, falls vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Nachlassstundung bewilligt worden sei. Darauf, nicht auf den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages, komme es an.
Die Beklagte zieht nicht infrage, dass die im alten Recht enthaltene Privilegienordnung auch im Falle eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung Geltung beanspruchen könne; sie hält indessen dafür, dass die dogmatisch einzige, zu einem widerspruchsfreien Ergebnis führende Lösung jene sei, die für deren Weitergeltung auf den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages abstelle.
Die Klägerin teilt demgegenüber die Auffassung des Obergerichts.
3.
a) Das Obergericht geht zutreffend davon aus, es liege eine Gesetzeslücke vor (
BGE 121 III 219
E. 1d/aa S. 225 mit Hinweisen). Die Frage der Geltungsdauer der nach altem Recht vorgesehenen, im neuen Recht eingeschränkten Privilegien gemäss
Art. 146 und
Art. 219 SchKG
bedarf nicht bloss im Konkurs sowie im Pfändungsverfahren, wo sie durch Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen denn auch getroffen wird, sondern ebenso im Nachlassverfahren notwendigerweise der Regelung. Eine erschöpfende Ordnung kann in dieser Übergangsbestimmung nicht erblickt werden; und eine auch das Nachlassverfahren umfassende Regelung ist dem Gesetz indessen weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt zu entnehmen. Die vorhandene Gesetzeslücke ist vom Richter in der Art des Gesetzgebers nach allgemeinen Rechtsprinzipien (
Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB
) zu füllen. Da die zu findende Norm den Charakter einer allgemein gültigen Regel tragen und sich in das Gesetz möglichst nahtlos einfügen soll, ist dabei von
BGE 125 III 154 S. 157
analogen, gesetzlich bereits geregelten Tatbeständen auszugehen (
BGE 119 Ib 311
E. 4b S. 322 und
BGE 118 II 139
E. 1a S. 141, je mit Hinweisen), hier also insbesondere von der für Konkurs und Pfändung in der gleichen Frage getroffenen Regelung, wie es das Obergericht zutreffend getan hat.
b) Bestimmend dafür, welche gesetzliche Privilegienordnung angewendet werden muss, ist gemäss Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen im Konkurs die Konkurseröffnung, bei Pfändung der Pfändungsvollzug. Diese Regelung ergibt sich als zwingende Folge aus den Rechtswirkungen von Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug, wie altes und neues Recht sie vorsehen. Mit der Konkurseröffnung bildet sämtliches pfändbare Vermögen des Schuldners eine einzige, zur gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger dienende Masse (
Art. 197 Abs. 1 SchKG
), sind Rechtshandlungen des Schuldners über zu dieser gehörende Vermögensstücke den Konkursgläubigern gegenüber ungültig (
Art. 204 Abs. 1 SchKG
) und können zur Masse gehörende Forderungen nicht mehr durch Zahlung an den Schuldner getilgt werden (
Art. 205 Abs. 1 SchKG
); ferner sind alle gegen den Schuldner hängigen Betreibungen aufgehoben und können neue Betreibungen für vor der Konkurseröffnung entstandene Forderungen nicht eingeleitet werden (
Art. 206 Abs. 1 SchKG
); sodann werden sämtliche Schuldverpflichtungen fällig (
Art. 208 Abs. 1 SchKG
), der Zinsenlauf gegenüber dem Schuldner hört auf (
Art. 209 Abs. 1 SchKG
), und die Verrechnung ist teilweise ausgeschlossen (
Art. 213 SchKG
). Der Pfändungsvollzug bewirkt, dass der Schuldner bei Straffolge ohne Bewilligung des Betreibungsbeamten nicht mehr über die gepfändeten Vermögensstücke verfügen darf (
Art. 96 Abs. 1 SchKG
); Gläubiger, die das Fortsetzungsbegehren innerhalb von 30 Tagen stellen, nehmen an der Pfändung teil (
Art. 110 Abs. 1 SchKG
).
Im Nachlassverfahren zeitigt die Bewilligung der Nachlassstundung, durch welche das Verfahren eröffnet wird, gleichartige Wirkungen wie Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug: Es sind unverzüglich die zur Erhaltung des schuldnerischen Vermögens notwendigen Anordnungen zu treffen (
Art. 293 Abs. 3 SchKG
), es muss ein Sachwalter bestimmt werden, der die Handlungen des Schuldners, insbesondere die Fortführung der Geschäftstätigkeit, falls und soweit sie dem Schuldner überhaupt überlassen wird, überwacht (Art. 295 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 298 Abs. 1 SchKG
); eine Betreibung gegen den Schuldner kann weder eingeleitet noch fortgesetzt werden, Verjährungs- und Verwirkungsfristen stehen still,
BGE 125 III 154 S. 158
der Zinsenlauf für alle nicht pfandgesicherten Forderungen hört auf, und für die Verrechnung gelten die Vorschriften des Konkursverfahrens, wobei an die Stelle der Konkurseröffnung die Bekanntmachung der Nachlassstundung tritt (
Art. 297 Abs. 1, 3 und 4 SchKG
); weder darf Anlagevermögen vom Schuldner veräussert oder belastet, dürfen Pfänder bestellt, Bürgschaften eingegangen oder unentgeltliche Verfügungen getroffen werden (
Art. 298 Abs. 2 SchKG
); für die Berechnung der Frist zur Anfechtung von Rechtshandlungen ist anstelle der Konkurseröffnung oder der Pfändung die Bewilligung der Nachlassstundung massgeblich (
Art. 331 Abs. 2 SchKG
). Im Nachlassverfahren, das eine Art Vollstreckungsersatz darstellt (
BGE 76 I 282
E. 2 S. 285), kann dieser Gleichartigkeit wegen einzig der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung für die Anwendbarkeit der bisherigen oder der neuen Privilegienordnung entscheidend sein, die insbesondere die individuelle Weiterverfolgung von Gläubigeransprüchen ausschliesst und eine Veränderung der Verhältnisse unter den betroffenen Gläubigern nicht mehr zulässt; bei der das Nachlassverfahren abschliessenden Genehmigung des Nachlassvertrages fehlte jegliche derartige Übereinstimmung. Nur bei Massgeblichkeit der Bewilligung der Nachlassstundung ist daher eine einheitliche, logische, in sich widerspruchsfreie und systemgerechte Lösung gewährleistet, wie sie für Konkurs und Pfändung in Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen ausdrücklich getroffen worden ist. Wie im Konkursverfahren (
Art. 232 SchKG
), so findet auch im Nachlassverfahren ein Schuldenruf statt (
Art. 300 SchKG
); durch die blosse, rechtzeitige Anmeldung beim Sachwalter bleibt jegliches Privileg, so wie es bei Bewilligung der Nachlassstundung zu Recht bestand, für das Nachlassverfahren wirksam gewahrt, und es ist den angemeldeten Privilegien ohne weiteres Rechnung zu tragen (
BGE 76 I 282
E. 2 mit Hinweisen), indem die privilegierten Forderungen bei Berechnung des Quorums nicht mitzuzählen sind (
Art. 305 Abs. 2 SchKG
) und für sie hinreichende Sicherstellung zu verlangen ist (
Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
). Notwendigkeit und Art der Quorumsberechnung schliessen es aus, dass die Frage der tatsächlichen Privilegierung und ihr zugrunde liegend jene der anwendbaren Privilegienordnung nach Bewilligung der Nachlassstundung noch bis zur Genehmigung des Nachlassvertrages in der Schwebe bleiben könnte; und ist die Bewilligung noch vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts erfolgt, müsste - würde der Auffassung der Beklagten gefolgt- das Quorum unterschiedlich berechnet werden. Auch aus diesem Grunde bleibt notwendigerweise der Zeitpunkt
BGE 125 III 154 S. 159
der Bewilligung der Nachlassstundung entscheidend, wie es das Obergericht zutreffend erkannt hat, nicht jener der Genehmigung des Nachlassvertrages, welche mit der Konkurseröffnung und dem Pfändungsvollzug überhaupt nichts gemein hat.
c) Was die Beklagte einwendet, um stattdessen den Zeitpunkt der Bestätigung des Nachlassvertrages als bestimmend anzusehen, hält nicht stand. LORANDI/SCHWANDER (AJP 1996, S. 1466) erachten den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages deswegen als massgeblich, weil erst dann feststehe, ob überhaupt ein Kollokationsplan erstellt werden müsse; käme es darauf als entscheidenden Vorgang an, so bliebe unerklärlich, weshalb im Konkurs und bei der Pfändung nach der eindeutigen Übergangsbestimmung von Art. 2 Abs. 3 als solcher die Konkurseröffnung bzw. der Pfändungsvollzug vorgeschrieben worden ist, wo infolge der Möglichkeit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven (
Art. 230 SchKG
) oder der Befriedigung sämtlicher Gläubiger (
Art. 146 SchKG
) ebenso wenig als bei Bewilligung der Nachlassstundung feststeht, ob in der Folge ein Kollokationsplan nötig sein wird. Ist nach eigenem Zugeständnis der Beklagten beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung «in wesentlichen Bereichen analog dem Konkurs vorzugehen», so drängt sich daher auf, als analoges Stichdatum zur Konkurseröffnung dasjenige der Bewilligung der Nachlassstundung und nicht jenes der Genehmigung des Nachlassvertrages heranzuziehen. Die Nachlassstundung hat, wie die Erwägungen zu deren Bedeutung und Wirkung zeigen, weder funktionell noch verfahrensmässig oder im Ergebnis etwas mit Betreibungsferien oder Rechtsstillstand gemeinsam; sie kann diesen folglich auch nicht gleichgestellt werden. Bedeutet die Bestätigung des Nachlassvertrages nach richtiger Darstellung der Beklagten den Abschluss eines der Zwangsvollstreckung dienenden Verfahrens, so kann diese gerade deswegen nicht «die genau gleiche Bedeutung bzw. Funktion» wie die Konkurseröffnung oder der Pfändungsvollzug haben, welche das betreffende Verfahren - wie die Bewilligung der Nachlassstundung- in Gang setzen. Inwiefern bei Massgeblichkeit der Bewilligung der Nachlassstundung ein unlösbarer Widerspruch zu Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen geschaffen werden, dies gar zu einem klaren Gesetzesverstoss führen könnte, bleibt unerfindlich; bei Konkurs kommt es nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift stets und allein, also unbekümmert darum, ob diesem eine Nachlassstundung vorausgegangen, die erteilte Stundung widerrufen oder der Nachlassvertrag nicht genehmigt worden ist, damit aber auch im Falle von
BGE 125 III 154 S. 160
Art. 309 SchKG
, auf den Zeitpunkt der Konkurseröffnung an, was die Beklagte in anderem Zusammenhange ohne Bedenken unterstellt; liegen Bewilligung der Nachlassstundung und Konkurseröffnung im Sinne von
Art. 309 SchKG
nicht beide vor oder nach dem Inkrafttreten des neues Rechts, so sind die Forderungen notwendigerweise unterschiedlich zu kollozieren. Dass besondere Elemente des konkreten Einzelfalles bei der Lückenfüllung unbeachtlich bleiben müssen, anerkennt mit Recht auch die Beklagte; das Obergericht hat solche Elemente denn auch nicht zur Lückenfüllung herangezogen, sondern anhand derselben einzig belegt, dass sich die abstrakt gefundene Lösung gerade unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles bewähre. Die These der Beklagten, bei der Lückenfüllung sei es eher angebracht, einer baldmöglichen Befolgung der neurechtlichen Bestimmungen zum Durchbruch zu verhelfen, ist mit dem Grundsatz der Nichtrückwirkung (
Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB
) unvereinbar. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cfae2f41-e35d-4c07-8c19-9c3a7e48ac38 | Urteilskopf
90 IV 200
41. Urteil des Kassationshofes vom 30. Oktober 1964 i.S. Meier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 191 Ziff. 2 StGB
.
Unzüchtiges Reden fällt nicht unter den Begriff der unzüchtigen Handlung (Erw. 1).
Es kann aber unter Umständen als Versuch zu einer solchen Handlung oder als unzüchtige Belästigung im Sinne von
Art. 205 StGB
strafbar sein (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 90 IV 200 S. 201
A.-
Meier sprach am 5. Februar 1963 in Zürich drei Sekundarschülerinnen im Alter von 15 Jahren an und lud sie ein, mit ihm in ein Kaffeehaus zu kommen. Dort äusserte er sich ihnen gegenüber in grob unzüchtiger Weise über geschlechtliche Dinge und Vorgänge, die er teils mit den Händen erläuterte. Er redete davon auch noch, als sie sich wieder auf der Strasse befanden.
B.-
Meier wurde der Unzucht vor Kindern im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
angeklagt.
Das Bezirksgericht Zürich sprach Meier frei. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin erklärte ihn das Obergericht des Kantons Zürich dagegen am 21. Januar 1964 im Sinne der Anklage schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zwei Monaten.
C.-
Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Meier bestreitet den unzüchtigen Charakter seiner Äusserungen nicht, macht jedoch geltend, blosses Reden könne nicht als Handlung im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 StGB
gelten.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Kassationshof hat sich mit der Frage, ob unzüchtiges Reden mit einem Kinde als unzüchtige Handlung gelten könne, bereits in
BGE 89 IV 12
Erw. 2 befasst, allerdings ohne dazu abschliessend Stellung zu nehmen. Wie dort ausgeführt worden ist, will
Art. 191 StGB
die geschlechtliche Unversehrtheit des Kindes in körperlicher wie in seelischer Hinsicht schützen. In seiner sittlichen
BGE 90 IV 200 S. 202
Entwicklung gefährdet oder geschädigt werden kann ein Kind aber nicht nur durch geschlechtliche Handlungen, die mit ihm oder vor seinen Augen vorgenommen werden; schamlose Redensarten können ihm ebenso schaden, unter Umständen sogar mehr als gewisse Berührungen, die nach der Rechtsprechung als unzüchtig zu gelten haben. Wer die geschlechtliche Neugierde von Schülerinnen zu wecken versucht, indem er ihnen unflätige Geschichten erzählt, wie der Beschwerdeführer, erscheint grundsätzlich nicht minder strafwürdig als derjenige, der aus Sinnenlust einem fünfzehnjährigen Mädchen über den Strümpfen die Beine streichelt oder ihm über den Kleidern an die Brüste greift (s. nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes vom 5. April 1944 i.S. Gnädiger und vom 2. Februar 1951 i.S. Furrer; fernerBGE 70 IV 211,
BGE 78 IV 164
).
Es entspräche daher zweifellos nicht nur dem Zweck des Gesetzes, sondern angesichts der steten Zunahme von Sittlichkeitsdelikten auch einem kriminalpolitischen Bedürfnis, wenn zumindest grob unzüchtige Äusserungen gegenüber einem Kinde, wie sie hier vorliegen, geahndet werden könnten. Der Wortlaut des
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
, der unzüchtige Handlungen vor einem Kinde unter Strafe stellt, schlösse den Einbezug solcher Äusserungen nicht notwendig aus. Fragen kann sich nur, ob die Bestimmung losgelöst von den andern zum Schutze der geschlechtlichen Freiheit und Ehre erlassenen Normen ausgelegt werden darf und ob sich das insbesondere mit den vorgesehenen Strafandrohungen verträgt.
a) Das Gesetz verwendet den Begriff der (unzüchtigen) Handlung in zahlreichen Bestimmungen des fünften Titels (Art. 187-212). Inbezug auf Art. 203 wurde gestützt auf die Gesetzesmaterialien bereits entschieden, dass der Begriff nicht im weitesten Sinne, sondern bloss als Tat im Gegensatz zum Wort zu verstehen sei (
BGE 70 IV 85
). Sinn und Wortlaut der übrigen Bestimmungen sprechen ebenfalls dafür, dass unzüchtiges Reden nicht unter den Begriff der unzüchtigen Handlung fällt. So können die
BGE 90 IV 200 S. 203
Tatbestände, in denen das Opfer durch Drohung oder andere Mittel zur Vornahme oder Duldung unzüchtiger Handlungen veranlasst wird (Art. 188, 194 Abs. 1 und 2), nur dahin ausgelegt werden, dass der Täter es auf körperliche Betätigungen, d.h. auf eigentliche Unzuchtshandlungen wie Berührungen, Entblössungen und dergleichen, abgesehen haben muss. Das gleiche gilt von den Bestimmungen, welche unzüchtige Handlungen mit dem Opfer unter Strafe stellen (Art. 189 Abs. 2, 190 Abs. 2, 191 Ziff. 2 Abs. 1, 192 Ziff. 2 Abs. 1, 193 Abs. 2). Die romanischen Gesetzestexte, die hiefür durchwegs die Wendung "sur une personne", bzw. "sopra una persona" gebrauchen, lassen keine Zweifel darüber offen, dass diese Normen körperlichen Kontakt voraussetzen. Bei den Tatbeständen der Verleitung zu unzüchtigen Handlungen (Art. 191 Ziff. 2 Abs. 2, 192 Ziff. 2 Abs. 2) können ebenfalls nur Handlungen gemeint sein, die am eigenen oder an einem fremden Körper vorgenommen werden (
BGE 89 IV 12
).
Lässt das Gesetz aber in all den angeführten Bestimmungen insofern einen einheitlichen Begriff der (unzüchtigen) Handlung erkennen, als es darunter bloss Taten, nicht aber Worte versteht, so hat sich die Auslegung auch bei Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3 daran zu halten, mündliche Äusserungen folglich auszunehmen. Diese Folgerung deckt sich sowohl mit dem allgemeinen Sprachgebrauch wie mit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung (HAFTER, Bes. Teil I 131 f.; Komm. LOGOZ, Art. 191 N. 3 lit. b; s. ferner Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, Bd. 12 S. 42 f. und dort angeführtes deutsches Schrifttum). Soweit man sich bei den Beratungen des Gesetzes mit der Frage überhaupt befasst hat, steht sie zudem im Einklang mit dessen Entstehungsgeschichte (Prot. 2. Exp. Kom. Bd. 3 S. 259, 262 Abs. 1, Voten von Zürcher, Gautier und Hafter; vgl. ferner ZÜRCHER, Erläuterungen zum VE von 1908 S. 248).
b) Die gegenteilige Auffassung hätte gemäss
Art. 191 Ziff. 2 StGB
zur Folge, dass unzüchtige Äusserungen
BGE 90 IV 200 S. 204
gegenüber einem Kinde stets mit Gefängnis (Abs. 4), bei Vorliegen eines besondern Verhältnisses zwischen Täter und Opfer sogar mit Gefängnis nicht unter drei Monaten (Abs. 5) bestraft werden müssten. Das wäre aber schwer mit
Art. 204 Ziff. 2 StGB
zu vereinbaren, wo demjenigen, der einer Person unter achtzehn Jahren, also auch einem Kinde, unzüchtige Schriften, Bilder, Filme und dergleichen übergibt oder vorzeigt, bloss Gefängnis oder Busse angedroht wird. Bildliche Darstellungen sind für die kindliche Phantasie zweifellos gefährlicher als blosse Redensarten. Ebenso prägt sich die Lektüre schmutziger Geschichten dem Kinde im allgemeinen tiefer ein als ihr blosses Anhören. Wer sich einem Kinde gegenüber in unflätigen Worten äussert, kann daher nicht schlechter gestellt sein als derjenige, der ihm pornographische Erzeugnisse, insbesondere Bilder zuhält. Die Unstimmigkeiten in den Strafandrohungen liessen sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht dadurch beheben, dass das Vorzeigen unzüchtiger Bilder, Schriften usw. an Kinder ebenfalls nach
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
geahndet würde. Abgesehen davon, dass damit der Begriff der unzüchtigen Handlung in dieser Bestimmung nochmals weiter ausgelegt würde als in den andern, könnte jedenfalls in der Übergabe solcher Gegenstände an Kinder keine "unzüchtige Handlung vor einem Kinde" erblickt werden; diesfalls müsste es so oder anders bei der Anwendung von Art. 204 Ziff. 2 bleiben. Eine solche unterschiedliche Behandlung von gleichartigen Fällen nach verschiedenen Bestimmungen wäre jedoch sachlich nicht gerechtfertigt. Sie entbehrte zudem der gesetzlichen Grundlage, denn es ist offensichtlich, dass Art. 204 Ziff. 2 auch im Verhältnis zu Art. 191 eine Sonderbestimmung darstellt, dieser Norm folglich vorgeht.
Schon diese Folgen zeigen, dass es den dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen widerspricht, unzüchtiges Reden mit einem Kinde nach
Art. 191 Ziff. 2 StGB
ahnden zu wollen. Die Mindeststrafen dieser Bestimmung sind insbesondere im Verhältnis zu derjenigen des
Art. 204
BGE 90 IV 200 S. 205
Ziff. 2 StGB
ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Norm nur auf eigentliche Unzuchtshandlungen Anwendung findet, und dass unzüchtige Äusserungen als solche, mögen sie noch so derb sein, von ihr nicht erfasst werden. Dies befriedigt freilich nicht. Eine befriedigende Lösung ist jedoch nur durch eine Sonderbestimmung zu erreichen, die nicht auf dem Wege freier richterlicher Rechtsfindung, sondern allein vom Gesetzgeber eingeführt werden kann.
2.
Das heisst nicht, dass der Beschwerdeführer straflos bleiben müsse. Unzüchtige Redensarten, die in Verfolgung einer Unzuchtshandlung geführt werden, können als Versuch hiezu erfassbar sein. Das Obergericht schliesst diese Möglichkeit nicht aus. Es stellt vielmehr fest, dass der Angeklagte mit seinen Erzählungen und insbesondere mit seinen Einladungen zur Besichtigung des "Ateliers" und des "Negerzimmers" offensichtlich darauf ausgegangen sei, die Mädchen für weitere Unterhaltungen gleicher Art zu gewinnen oder sie gar zu körperlichen Unzuchtshandlungen vorzubereiten.
Unzüchtiges Reden kann zudem als unzüchtige Belästigung im Sinne von
Art. 205 StGB
strafbar sein. Dass der Beschwerdeführer in unzüchtiger Absicht gehandelt hat, kann nach dem angefochtenen Urteil nicht zweifelhaft sein, ebensowenig dass er jemanden, der ihm dazu keinen Anlass gegeben hat, öffentlich belästigt hat. Öffentlich begangen ist die Belästigung schon, wenn nach den Umständen, insbesondere nach den örtlichen Verhältnissen, bloss möglich war, dass anwesende oder zufällig hinzukommende unbeunbestimmte Dritte sie wahrnehmen (vgl.
BGE 78 IV 165
Erw. 4). Das traf hier zu. Nach Zeugenaussagen konnte übrigens zumindest eine Drittperson das Gespräch mitverfolgen.
Das Obergericht hat diese Möglichkeiten, den Beschwerdeführer zu bestrafen, zu prüfen und je nach dem Ergebnis neu zu urteilen, sofern dies nach dem kantonalen Prozessrecht noch möglich ist; andernfalls hat es ihn freizusprechen.
BGE 90 IV 200 S. 206
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 21. Januar 1964 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfae97d9-3cfa-4a3d-aeb5-8cf311ad9585 | Urteilskopf
137 III 393
59. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse X. gegen Y. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_266/2010 vom 29. August 2011 | Regeste
Art. 400 Abs. 1 OR
; Vermögensverwaltungsvertrag; Herausgabe von Retrozessionen; Verzicht auf Herausgabeanspruch.
Voraussetzungen eines ausdrücklichen Verzichts des Auftraggebers auf die Herausgabe von Rückvergütungen, die dem beauftragten Vermögensverwalter zufliessen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 393
BGE 137 III 393 S. 393
A.
A.a
Die Y. AG (Beschwerdegegnerin) ist eine Vermögensverwaltungsgesellschaft.
In der Zeit vom 2. Mai 1996 bis zum 12. Oktober 2006 war die Beschwerdegegnerin für die Pensionskasse X. (Beschwerdeführerin) als externe Vermögensverwalterin tätig.
BGE 137 III 393 S. 394
A.b
Die Vermögensverwaltung basierte auf einer als "Asset-Management-Vereinbarung" bezeichneten Vereinbarung vom 2. Mai 1996. Ziffern 7 und 8 des Vermögensverwaltungsvertrags sehen Folgendes vor:
"7. Der Auftraggeber ersetzt der (Beschwerdegegnerin) sämtliche Courtagen, Abgaben und übrigen Auslagen, die bei der Erfüllung dieses Vertrages anfallen. Allfällige Retrozessionen stehen vollumfänglich der (Beschwerdegegnerin) zu.
8. Der Auftraggeber zahlt der (Beschwerdegegnerin) eine allgemeine Administrativkommission von 0.5 % p.a. des Depotwertes. Die Administrativkommission wird vierteljährlich erhoben. Als Berechnungsgrundlage dient jeweils der Depotwert per Ende des Vorquartals. Die Berechnung der Administrativkommission erfolgt pro rata temporis."
In Ziffer 17 wird ein als "Vereinbarung betreffend der Transaktionskosten sowie der zugelassenen Portfoliomanagement Aktivitäten" bezeichnetes Schreiben vom 2. Mai 1996 als integrierender Vertragsbestandteil erklärt. Nach diesem "betragen die Transaktionskosten (Courtage) jeweils 0.5 % pro Abrechnung".
A.c
Der Beschwerdegegnerin wurden von der Depotbank M. keine Courtagen belastet, die ihr von der Auftraggeberin nach Ziffer 7 Satz 1 zurückzuerstatten gewesen wären. Die Bank M. rechnete als Depotbank die Börsenaufträge jeweils netto ab, d.h. die Courtage von 0.5 % wurde in den Aktienkurs integriert. Sie vergütete der Beschwerdegegnerin aus vereinnahmten Transaktionsgebühren insgesamt Fr. 3'513'932.65 sowie Fr. 118'673.66 aus vereinnahmten Depotgebühren.
B.
B.a
Mit Eingabe vom 13. April 2007 klagte die Beschwerdeführerin beim Kantonsgericht Zug gegen die Beschwerdegegnerin auf Rechnungslegung sowie Bezahlung von Fr. 118'673.66 zuzüglich Zins. Mit Replik vom 4. Oktober 2007 ergänzte die Beschwerdeführerin ihr Rechtsbegehren mit einer zusätzlichen Forderung über Fr. 3'513'932.65 zuzüglich Zins. Sie stellte sich auf den Standpunkt, die Beschwerdegegnerin habe ihr die Retrozessionen zu vergüten, die dieser von der Depotbank zugeflossen seien.
Mit Urteil vom 19. Februar 2009 hiess das Kantonsgericht Zug die Klage im Umfang von Fr. 118'673.66 sowie Fr. 3'513'932.65, jeweils zuzüglich Zins, gut. Die Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin betreffend Rechenschaftsablegung und Befreiung vom Bankgeheimnis wies es ab, soweit diese nicht gegenstandslos geworden seien.
BGE 137 III 393 S. 395
B.b
Mit Urteil vom 23. März 2010 hiess das Obergericht des Kantons Zug eine von der Beschwerdegegnerin gegen das kantonsgerichtliche Urteil erhobene Berufung gut, es hob das angefochtene Urteil vom 19. Februar 2009 auf und wies die Klage ab.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht im Wesentlichen, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 23. März 2010 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin zur Zahlung von Fr. 118'673.66 sowie Fr. 3'513'932.65, jeweils zuzüglich Zins, zu verurteilen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, es hebt das angefochtene Urteil des Obergerichts des Kantons Zug auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe ihr in Verletzung von Bundesrecht den Anspruch auf Herausgabe der von der Beschwerdegegnerin eingenommenen Retrozessionen abgesprochen.
2.1
Auf den zwischen den Parteien abgeschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag sind die auftragsrechtlichen Regeln anzuwenden (vgl.
BGE 132 III 460
E. 4 S. 463 mit Hinweisen). Nach
Art. 400 Abs. 1 OR
ist der Beauftragte verpflichtet, auf Verlangen jederzeit über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grund zugekommen ist, zu erstatten. Die Ablieferungspflicht betrifft neben denjenigen Vermögenswerten, die der Beauftragte direkt vom Auftraggeber zur Erfüllung des Auftrags erhält auch indirekte Vorteile, die dem Beauftragten infolge der Auftragsausführung von Dritten zukommen. Behalten darf der Beauftragte nur, was er lediglich bei Gelegenheit der Auftragsausführung, ohne inneren Zusammenhang mit dem ihm erteilten Auftrag, von Dritten erhält (
BGE 132 III 460
E. 4.1 S. 464 mit Hinweisen).
Zu den indirekten Vorteilen des Beauftragten gehören unter anderem sogenannte Retrozessionen bzw. Rückvergütungen. Darunter werden namentlich Zahlungen verstanden, die dem Vermögensverwalter gestützt auf eine entsprechende Vereinbarung mit der
BGE 137 III 393 S. 396
Depotbank aus vereinnahmten Gebühren zufliessen. Diese fallen im Zusammenhang mit der Verwaltung des Vermögens an und unterliegen daher der Herausgabepflicht nach
Art. 400 Abs. 1 OR
(
BGE 132 III 460
E. 4.1 S. 464 f. mit Hinweisen).
2.2
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Pflicht zur Herausgabe im Sinne von
Art. 400 OR
nicht zwingend. Der Auftraggeber kann auf die Ablieferung bestimmter Werte verzichten. Dabei ist nicht nur ein nachträglicher Verzicht auf die Herausgabe bereits erlangter Vorteile zulässig. Die Parteien können grundsätzlich auch vereinbaren, dass der Auftraggeber auf die Ablieferung bestimmter künftig anfallender Werte verzichtet. Die Gültigkeit eines solchen Verzichts setzt jedoch voraus, dass der Auftraggeber über die zu erwartenden Retrozessionen vollständig und wahrheitsgetreu informiert ist, und dass sein Wille, auf deren Ablieferung zu verzichten, aus der Vereinbarung entsprechend deutlich hervorgeht (
BGE 132 III 460
E. 4.2 S. 465 f. mit Hinweisen).
Darüber, welche konkreten Anforderungen an die Information des Auftraggebers zu stellen sind, damit der von ihm ausgesprochene Verzicht auf die Ablieferung gültig ist, herrscht in der Lehre Uneinigkeit. Während einzelne Autoren davon ausgehen, dass der Auftraggeber die genaue Höhe der Retrozessionen kennen müsse (BRETTON-CHEVALLIER, Le gérant de fortune indépendant, 2002, S. 164; vgl. auch BELLINA BORER-BENZ, Die Herausgabepflicht des Beauftragten gemäss
Art. 400 Abs. 1 OR
, 2006, S. 161), verlangt eine zweite Gruppe Informationen zur Berechnungsgrundlage und zur Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen (NÄNNI/VON DER CRONE, Rückvergütungen im Recht der unabhängigen Vermögensverwaltung, SZW 2006 S. 383; SUSAN EMMENEGGER, Anlagekosten: Retrozessionen im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: Anlagerecht, Emmenegger [Hrsg.], 2007, S. 84; FABIAN SCHMID, Retrozessionen an externe Vermögensverwalter, 2009, S. 188 ff.; REIMANN/KUHN, Nach dem Retrozessionsentscheid: Konsequenzen für Vermögensverwalter, Der Schweizer Treuhänder 80/2006 S. 690; MONIKA ROTH, Das Dreiecksverhältnis Kunde - Bank - Vermögensverwalter, 2007, Rz. 181; ROLF KUHN, Retrozessionszahlungen an externe Vermögensverwalter, AJP 2006 S. 1054; JEAN-YVES DE BOTH, La saga des rétrocessions, in: Transparence et secret dans l'ordre juridique, liber amicorum pour Me Vincent Jeanneret, 2010, S. 125 f.; vgl. auch WERNER DE CAPITANI, Retrozessionen an externe
BGE 137 III 393 S. 397
Vermögensverwalter, in: Freiheit und Ordnung im Kapitalmarktrecht, Festgabe für Jean-Paul Chapuis, 1998, S. 27 Rz. 5). Eine weitere Lehrmeinung will eine ausdrückliche Verzichtsklausel ohne Kenntnis der genauen oder auch nur ungefähren Höhe der Retrozessionen genügen lassen und zusätzliche Informationen nur ausnahmsweise bzw. nur auf Anfrage des Kunden voraussetzen (SANDRO ABEGGLEN, Der Verzicht auf Ablieferung von Retrozessionen - Einordnung und Anforderungen, recht 25/2007 S. 199, 203; CHRISTOPH GUTZWILLER, Rechtsfragen der Vermögensverwaltung, 2008, S. 203; PETER CH. HSU, Retrozessionen, Provisionen und Finder's Fees, 2006, S. 35 f.; LOMBARDINI/MACALUSO, Rétrocessions et rétributions dans le domaine bancaire, AJP 2008 S. 183 ff.; vgl. auch HSU/STUPP, Retrozessionen sind grundsätzlich dem Kunden abzuliefern, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht [GesKR] 2006 S. 206, die für einen ausdrücklichen Vorausverzicht des Kunden immerhin fordern, dass der unabhängige Vermögensverwalter den Kunden über den Umstand informiert, dass ihm Retrozessionen zukommen, und er dem Kunden ausdrücklich anbietet, auf Wunsch vor dem Verzicht genauere Auskunft über die Zusammensetzung und die mutmassliche Höhe der Retrozessionen zu erteilen).
2.3
Wie die Rechenschaftspflicht ist auch die mit ihr eng verbundene Pflicht zur Ablieferung ein zentrales Element der Fremdnützigkeit des Auftrags (
BGE 132 III 460
E. 4.2 S. 465 f.; vgl. auch SCHMID, a.a.O., S. 181). Die Herausgabepflicht nach
Art. 400 Abs. 1 OR
lässt sich darüber hinaus als Konkretisierung der Treuepflicht nach
Art. 398 Abs. 2 OR
verstehen (ROLF H. WEBER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2007, N. 9 zu
Art. 398 OR
; JOSEF HOFSTETTER, Der Auftrag und die Geschäftsführung ohne Auftrag, SPR Bd. VII/6, 2000, S. 36; NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 379; BRETTON-CHEVALLIER, a.a.O., S. 156; vgl. auch WALTER FELLMANN, Berner Kommentar, 1992, N. 128 zu
Art. 400 OR
, der eine Verbindung von Herausgabepflicht und Interessenwahrung herstellt). Die Ablieferungspflicht garantiert die Einhaltung der Treuepflicht und stellt insofern eine präventive Massnahme zur Wahrung der Interessen des Auftraggebers dar, indem sie der Gefahr begegnet, der Beauftragte könnte sich aufgrund der Zuwendung eines Dritten veranlasst sehen, die Interessen des Auftraggebers nicht ausreichend zu berücksichtigen (NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 379; vgl. auch BRETTON-CHEVALLIER, a.a.O., S. 161; FELLMANN, a.a.O., N. 128 zu
Art. 400 OR
).
BGE 137 III 393 S. 398
Ein Interessenkonflikt ergibt sich etwa bei transaktionsabhängigen Rückvergütungen aus dem damit verbundenen Anreiz des Vermögensverwalters, durch (zu) häufige Transaktionen (sog. Churning) ein Zusatzeinkommen zu erzielen (
BGE 132 III 460
E. 4.2 S. 466; vgl. GUTZWILLER, a.a.O., S. 198; MONIKA ROTH, Retrozessionen und Interessenkonflikte - wenn der Berater in Tat und Wahrheit ein Verkäufer ist, ZBJV 146/2010 S. 522 f.; CAMP/BÜHRER, Retrozessionszahlungen, Der Schweizer Treuhänder 80/2006 S. 530; KUHN, a.a.O., S. 1052).
2.4
Ein voraussetzungsloser pauschaler Verzicht auf die Herausgabe von Retrozessionen ist im Hinblick auf die damit verbundene Gefahr von Interessenkonflikten, die durch die Ablieferungspflicht nach
Art. 400 Abs. 1 OR
gerade verhindert werden sollen, problematisch. Eine Vereinbarung der Parteien, wonach allfällige Retrozessionen beim Vermögensverwalter verbleiben, setzt daher voraus, dass der Auftraggeber über die zu erwartenden Retrozessionen hinreichend informiert ist. Die sich aus der eigentlichen Fremdnützigkeit des Auftrags ergebenden Schranken sind gewahrt, sofern der Auftraggeber den Umfang sowie die Berechnungsgrundlagen der Retrozessionen kennt, die es ihm erlauben, die Kostenstruktur des Vermögensverwaltungsmandats zu erfassen sowie die damit verbundenen Interessenkonflikte des Vermögensverwalters zu erkennen, und er im Wissen darum dem konkreten Entschädigungsmodell zustimmt.
Geht man davon aus, dass im Vermögensverwaltungsgeschäft ohne Rückvergütungen anstelle der indirekten Kosten höhere direkte Kosten in Form von Honoraren anfallen würden und sich der Ertrag somit letztlich gleich bleibt, verzichtet der (informierte) Auftraggeber mit der Preisgabe seines Herausgabeanspruchs letztlich nicht auf Geld, sondern insbesondere auf das gesetzlich vorgegebene System zur Vermeidung von Interessenkonflikten (vgl. NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 383; BRETTON-CHEVALLIER, a.a.O., S. 164 f.; MÜLLER/MADER, Développements récents de la jurisprudence en matière des contrats spéciaux, in: Actualité du droit des contrats, Jean-Marc Rapp und andere [Hrsg.], 2008, S. 166; vgl. aber auch ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 169, die im Falle der Weitergabe der Rückvergütungen an den Kunden eher von einer für den Anleger vorteilhafteren Kostenbilanz ausgeht). Der Auftraggeber muss daher wissen, welche Verwaltungshandlungen und in welchem Ausmass diese von
BGE 137 III 393 S. 399
Abreden mit Dritten beeinflusst sein können (NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 383). Ohne Kenntnis der anfallenden Rückvergütungen ist es weder möglich, die Kostenstruktur zu durchschauen und damit die Plausibilität der anfallenden Aufwendungen einzuschätzen, noch allfällige Interessenkonflikte oder -verletzungen seitens des Vermögensverwalters zu erkennen (WIEGAND/ZELLWEGER-GUTKNECHT, Privatrechtliche Probleme der Vermögensverwaltung, in: Vermögensverwaltung und Nachlassplanung, Wiegand [Hrsg.], 2005, S. 44; HSU, a.a.O., S. 27; BORER-BENZ, a.a.O., S. 153). Ein vorgängiger Verzicht auf die Information bezüglich Rückvergütungen ist nicht möglich; ein solcher käme einem voraussetzungslosen Herausgabeverzicht gleich (ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 182; SCHMID, a.a.O., S. 181; KUHN, a.a.O., S. 1054; CLAUDE BRETTON-CHEVALLIER, Les clauses de confidentialité dans les accords de collaboration, in: Transparence et secret dans l'ordre juridique, liber amicorum pour Me Vincent Jeanneret, 2010, S. 113 Fn. 20; a.M. HSU, a.a.O., S. 28 f.).
Damit ein Vorausverzicht auf die Ablieferung gültig ist, muss der Auftraggeber demnach die Parameter kennen, die zur Berechnung des Gesamtbetrags der Retrozessionen notwendig sind und einen Vergleich mit dem vereinbarten Vermögensverwaltungshonorar erlauben. Eine genaue Bezifferung ist bei einem vorgängigen Verzicht nicht möglich, da sich der Gesamtbetrag des verwalteten Vermögens laufend verändert und die genaue Anzahl bzw. der Umfang der durchzuführenden Transaktionen im Zeitpunkt des Verzichts unbekannt ist (vgl. ABEGGLEN, a.a.O., S. 195; EMMENEGGER, a.a.O., S. 84; SCHMID, a.a.O., S. 189; BRETTON-CHEVALLIER, gérant de fortune, a.a.O., S. 164; GUTZWILLER, a.a.O., S. 202; ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 181). Damit der Kunde den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen erfassen und dem vereinbarten Honorar gegenüberstellen kann, muss er zumindest die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie die Grössenordnung der zu erwartenden Rückvergütungen kennen (vgl. NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 383; SCHMID, a.a.O., S. 189; ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 195; REIMANN/KUHN, a.a.O., S. 690). Letzterem Erfordernis wird beim Vorausverzicht Genüge getan, wenn die Höhe der erwarteten Rückvergütungen in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben wird (vgl. HSU/STUPP, a.a.O., S. 206; HSU, a.a.O., S. 36; EMMENEGGER, a.a.O., S. 84; SCHMID, a.a.O., S. 190; REIMANN/KUHN, a.a.O., S. 690). Das Zusammenspiel dieser beiden Elemente ermöglicht es dem Auftraggeber, im Hinblick auf einen
BGE 137 III 393 S. 400
Verzicht sowohl die Gesamtkosten der Vermögensverwaltung zu erfassen als auch die beim Vermögensverwalter aufgrund der konkreten Anreizstrukturen vorhandenen Interessenkonflikte zu erkennen.
2.5
Eine Pflicht, den Kunden im Hinblick auf eine Verzichtserklärung unaufgefordert über den Umstand der zufliessenden Retrozessionen zu informieren, der für diesen angesichts der damit verbundenen Gefahr von Interessenkonflikten zweifellos von Bedeutung ist, folgt bei der Ausführung des Auftrags aus der Treuepflicht des Beauftragten (vgl.
BGE 115 II 62
E. 3a S. 64 f.), ergibt sich jedoch bereits vor Abschluss des Vertrags aus dessen vorvertraglicher Aufklärungspflicht (vgl. BRETTON-CHEVALLIER, gérant de fortune, a.a.O., S. 95 f.; SCHMID, a.a.O., S. 136; BORER-BENZ, a.a.O., S. 151 ff.; zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten FELLMANN, a.a.O., N. 150 ff. zu
Art. 398 OR
). Inwieweit eine aktive Aufklärung erforderlich ist, damit die Kenntnis des Auftraggebers hinsichtlich der Retrozessionen für einen Verzicht ausreicht, ist im Einzelfall zu bestimmen, wobei auch der Geschäftserfahrenheit des Auftraggebers Rechnung zu tragen ist (vgl. VON BÜREN/WALTER, Die wirtschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2006, ZBJV 143/2007 S. 499 f.; JÖRG SCHMID, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr 2006 und 2007, ZBJV 146/2010 S. 625; FABIAN SCHMID, a.a.O., S. 190 f.).
Während ein gänzlich unerfahrener und unwissender Kunde vom Vermögensverwalter über sämtliche erwähnten Punkte aufzuklären und auf die entsprechenden Zusammenhänge im Einzelnen aufmerksam zu machen ist, aus denen sich angesichts des Empfangs von Leistungen Dritter Interessenkonflikte ergeben können, reicht beim erfahrenen und in finanziellen Angelegenheiten sachkundigen Vermögensträger ein Hinweis auf die technischen Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sowie auf das zu erwartende Transaktionsvolumen bzw. die Angabe der erwarteten Rückvergütungen als Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens aus. Die Aufklärung muss dabei weder im einen noch im anderen Fall in einer besonderen Form erfolgen.
Hat der Auftraggeber hingegen - etwa aufgrund einer vorbestehenden Geschäftsbeziehung oder infolge Information durch Dritte - im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits Kenntnis der massgebenden Berechnungsgrundlagen, besteht kein Informationsbedarf und der erklärte Verzicht ist auch ohne besondere Aufklärung durch den
BGE 137 III 393 S. 401
Vermögensverwalter gültig (vgl. VON BÜREN/WALTER, a.a.O., S. 499 f.; FABIAN SCHMID, a.a.O., S. 190 f.). Der Beauftragte, der dem Herausgabeanspruch des Kunden dessen Verzicht auf die Ablieferung zugeflossener Rückvergütungen entgegenhalten will, hat jedoch nach
Art. 8 ZGB
zu beweisen, dass die Voraussetzung der hinreichenden Information beim Auftraggeber vorlag. Ein bloss allgemeiner Hinweis, wonach der Vermögensverwalter möglicherweise Rückvergütungen von Dritten erhält, lässt den Auftraggeber die Tragweite des Verzichts nicht erkennen und ist daher nicht ausreichend (NÄNNI/VON DER CRONE, a.a.O., S. 382; EMMENEGGER, a.a.O., S. 83; vgl. auch ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 195; CORINNE ZELLWEGER-GUTKNECHT, Chronik der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Oktober 2005-Oktober 2006, in: Aktuelle Rechtsprobleme des Finanz- und Börsenplatzes Schweiz, Peter Nobel [Hrsg.], 2007, S. 133; FABIAN SCHMID, a.a.O., S. 189 f.; a.M. ABEGGLEN, a.a.O., S. 199; vgl. auch LOMBARDINI/MACALUSO, a.a.O., S. 183; SIMON SCHÄREN, Rechenschafts- und Herausgabepflicht des Vermögensverwalters im Bezug auf "Retrozessionen", AJP 2008 S. 1210).
2.6
Ziffer 7 der zwischen den Parteien abgeschlossenen "Asset-Management-Vereinbarung" vom 2. Mai 1996 hält fest, dass allfällige Retrozessionen vollumfänglich der Beschwerdegegnerin zustehen sollen. Der im Vertrag enthaltene Hinweis darauf, dass die Beschwerdegegnerin möglicherweise Rückvergütungen von Dritten entgegennimmt, reicht für einen gültigen Verzicht der Beschwerdeführerin auf ihren auftragsrechtlichen Herausgabeanspruch (
Art. 400 Abs. 1 OR
) allerdings nicht aus. Ebenso wenig lässt sich aus dem von der Vorinstanz in allgemeiner Weise festgestellten "hohen Fachwissen" bzw. der "bereits vorhandenen Geschäftserfahrung" auf eine konkrete Information der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Berechnungsgrundlage der von der Depotbank M. ausgerichteten Rückvergütungen, geschweige denn deren voraussichtliche Grössenordnung schliessen, worauf auch der angefochtene Entscheid zutreffend hinweist.
Die Beschwerdegegnerin vermochte weder nachzuweisen, dass sie der Beschwerdeführerin gegenüber die massgebenden Berechnungsparameter offengelegt, noch dass sie sich konkret zur Grössenordnung der (aufgrund der ungefähren Häufigkeit der massgebenden Transaktionen) zu erwartenden Rückvergütungen geäussert hätte. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Beschwerdeführerin die entsprechenden
BGE 137 III 393 S. 402
Berechnungsgrundlagen der zufliessenden Retrozessionen anderweitig zur Kenntnis gebracht worden wären, etwa durch Information seitens der Depotbank (zur Informationspflicht der Bank hinsichtlich Retrozessionen etwa WIEGAND/ZELLWEGER-GUTKNECHT, a.a.O., S. 45 ff.; BRETTON-CHEVALLIER, gérant de fortune, a.a.O., S. 165 f.; CARLO LOMBARDINI, Droit bancaire suisse, 2. Aufl. 2008, S. 746 f. Rz. 108; BORER-BENZ, a.a.O., S. 129 f.; ROTH, Dreiecksverhältnis, a.a.O., Rz. 53 f., 63; rechtsvergleichend das Urteil des BGH vom 19. Dezember 2000, publiziert in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen [BGHZ] 146 [2001] 235 E. 2 S. 238 ff.; vgl. auch ROLF WATTER, Über die Pflichten der Bank bei externer Vermögensverwaltung, AJP 1998 S. 1177; vgl. demgegenüber DE CAPITANI, a.a.O., S. 31 ff. Rz. 18 ff.).
Entgegen dem angefochtenen Entscheid reichte für einen gültigen Vorausverzicht auch der Umstand nicht aus, dass die Beschwerdeführerin hätte annehmen müssen, dass Retrozessionen aus den Transaktionskosten fliessen würden und diese "in ihrer Höhe rein mathematisch begrenzt waren durch die maximale Höhe der vereinnahmten Transaktionskosten, also 0.5 % auf dem Gesamtvolumen aller Transaktionen". Diese allgemeinen Angaben, über die der Auftraggeber regelmässig verfügt, lassen ebenso wenig auf die im Einzelfall tatsächlich entrichteten Rückvergütungen schliessen wie die von der Vorinstanz unter Berufung auf den Verband Schweizerischer Vermögensverwalter angeführten durchschnittlich erzielbaren Bruttomargen im Vermögensverwaltungsgeschäft. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführerin die konkreten Ansätze der von der Bank M. ausgerichteten Rückvergütungen unbekannt waren, lässt sich den Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Entscheids auch nicht entnehmen, dass sie über das zu erwartende Transaktionsvolumen informiert gewesen wäre.
Das von der Vorinstanz festgestellte Wissen der Beschwerdeführerin über die von der Beschwerdegegnerin vereinnahmten Rückvergütungen reichte für einen rechtswirksamen Verzicht auf den auftragsrechtlichen Herausgabeanspruch (
Art. 400 Abs. 1 OR
) nicht aus.
2.7
Der abgeschlossene Vertrag ist damit teilnichtig (
Art. 20 Abs. 2 OR
), d.h. er gilt, jedoch ohne den Herausgabeverzicht (EMMENEGGER, a.a.O., S. 84). Damit hat die Beschwerdeführerin nach
Art. 400 Abs. 1 OR
grundsätzlich Anspruch auf Herausgabe der Retrozessionen, die der Beschwerdegegnerin im Zusammenhang mit der vereinbarten Vermögensverwaltung zugeflossen sind.
BGE 137 III 393 S. 403
Die Beschwerdegegnerin hat im kantonalen Verfahren jedoch verrechnungsweise eigene Ansprüche gegenüber der Beschwerdeführerin erhoben. Aufgrund der Erwägungen im angefochtenen Entscheid zur Wirksamkeit des Verzichts, die sich als unzutreffend erwiesen haben, hat die Vorinstanz auf die Prüfung der geltend gemachten Verrechnungsforderung verzichtet. Entsprechend ist die Streitsache zur Beurteilung der Verrechnungsforderung an die Vorinstanz zurückzuweisen. | null | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cfb211f6-eaca-4f6c-90ca-c57eb98ee3d2 | Urteilskopf
112 II 366
61. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Dezember 1986 i.S. X. gegen Versicherungs-Gesellschaft Z. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
.
1.
Art. 84 SVG
enthält eine bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschrift; Voraussetzungen, unter denen schon der Entscheid einer untern kantonalen Behörde wegen Verletzung dieser Vorschrift mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann (E. 1).
2. Umstände, die einer Umdeutung der Nichtigkeitsbeschwerde in eine staatsrechtliche Beschwerde entgegenstehen (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 366
BGE 112 II 366 S. 366
A.-
Frau X. klagte am 11. April 1986 beim Bezirksgericht Zürich gegen die Versicherungs-Gesellschaft Z. auf Zahlung von Fr. 3718.85 nebst Zins. Sie verlangte damit Ersatz von Sachschaden, den angeblich ein bei der Beklagten versicherter Fahrzeuglenker in Gams (SG) an ihrem Personenwagen verursacht hatte.
Das Bezirksgericht trat mit Beschluss vom 19. Juni 1986 wegen örtlicher Unzuständigkeit auf die Klage nicht ein; es hielt der Klägerin entgegen, dass sie gemäss
Art. 84 SVG
nur im Einverständnis mit dem beschuldigten Fahrzeuglenker an einem anderen als dem Unfallort hätte klagen können.
BGE 112 II 366 S. 367
Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin gegen diesen Entscheid wies das Obergericht des Kantons Zürich am 5. September 1986 mit der Begründung ab, der angefochtene Beschluss verletze jedenfalls kein klares Recht.
B.-
Mit Nichtigkeitsbeschwerde gemäss
Art. 68 OG
beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin macht geltend, entgegen der Meinung des Obergerichts sei durch die falsche Auslegung von
Art. 84 SVG
klares materielles Recht verletzt worden.
Bei
Art. 84 SVG
handelt es sich um eine bundesrechtliche Zuständigkeitsvorschrift, deren Verletzung gemäss
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
unter Vorbehalt der Berufung mit der Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden kann (
BGE 105 II 310
E. 1 und
BGE 93 II 217
E. 2 und 3 mit Hinweisen). Der Vorbehalt gilt für Fälle, in denen ein selbständiger Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 49 OG
über die Zuständigkeitsfrage vorliegt (
BGE 98 II 90
E. 1 mit Hinweisen) oder die letzte kantonale Instanz diese Frage zusammen mit einer berufungsfähigen Hauptsache beurteilt hat (
BGE 97 II 407
E. 1a mit Hinweisen). Die Nichtigkeitsbeschwerde setzt im Unterschied zur Berufung dagegen weder einen Endentscheid noch einen Entscheid einer obern kantonalen Behörde im Sinne von
Art. 48 OG
voraus. In nicht berufungsfähigen Zivilsachen ist sie gemäss
Art. 68 Abs. 1 OG
vielmehr auch gegen Entscheide anderer Art und einer untern kantonalen Behörde zulässig, wenn diese Behörde als letzte Instanz mit freier Prüfungsbefugnis über die Streitfrage befunden hat (
BGE 96 II 269
,
BGE 95 II 71
E. 1,
BGE 93 II 217
E. 3; BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, N. 5 zu
Art. 68 OG
).
Die Klägerin hat den Beschluss des Bezirksgerichts mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, obwohl sie die Verletzung einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsvorschrift gerügt wissen wollte (vgl. STRÄULI/MESSMER, N. 15 zu
§ 285 ZPO
/ZH). Sie geht zudem noch in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde von einer beschränkten Kognitionsbefugnis des Obergerichts in der Streitfrage aus. Bei dieser Auslegung kantonalen Verfahrensrechts, dessen Anwendung das Bundesgericht nicht zu
BGE 112 II 366 S. 368
überprüfen hat (vgl. immerhin STRÄULI/MESSMER, N. 16/17 zu
§ 281 Ziff. 1 ZPO
/ZH), hätte die Klägerin aber schon den Beschluss des Bezirksgerichts und nicht erst den Kassationsentscheid des Obergerichts mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde anfechten müssen. Gegen jenen Beschluss ist diese Beschwerde verspätet.
2.
Das stände bezüglich des genannten Beschlusses auch einer Umdeutung der Nichtigkeitsbeschwerde in eine staatsrechtliche Beschwerde entgegen; diese hätte gegenüber jener zudem bloss subsidiären Charakter (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Gegen den Kassationsentscheid sodann wäre eine staatsrechtliche Beschwerde an sich zulässig; diesfalls würde die Umdeutung aber am Mangel tauglicher Rügen scheitern, da in der Beschwerdebegründung mit keinem Wort gesagt wird, dass durch den Kassationsentscheid verfassungsmässige Rechte der Klägerin verletzt worden seien. Selbst wenn man über diesen Mangel hinwegsehen und den Vorwurf, das Obergericht habe klares Recht verletzt, als ausreichende Willkürrüge gelten lassen wollte, könnte auf das Rechtsmittel wegen Verwirkung der Beschwerdefrist nicht eingetreten werden. Die Beschwerde ist am letzten Tag der 30tägigen Frist, nämlich am 9. Oktober 1986, beim Obergericht eingereicht, von diesem aber erst am 15. Oktober 1986 zuhanden des Bundesgerichts der Post übergeben worden (
BGE 103 Ia 53
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cfb3388c-2df8-4bcc-9456-04ea78bd1122 | Urteilskopf
113 IV 45
13. Urteil des Kassationshofes vom 16. März 1987 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 269 BStP
,
Art. 90 OG
.
Werden zwei identische Rechtsschriften einmal als staatsrechtliche Beschwerde und einmal als eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht, in welchen kunterbunt die Verletzung eidgenössischen Rechts sowie verfassungsmässiger Rechte gerügt wird, kann auf beide Rechtsmittel nicht eingetreten werden. | Erwägungen
ab Seite 45
BGE 113 IV 45 S. 45
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wurde durch das Obergericht des Kantons Aargau am 13. November 1986 wegen verschiedener Vermögens- und Urkundendelikte zu 16 Monaten Gefängnis (bedingt) verurteilt. Dagegen erhob er in getrennten Eingaben sowohl staatsrechtliche Beschwerde als auch eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Es fällt auf, dass er formell zwar zwei verschieden betitelte Rechtsschriften einreichte, diese jedoch (abgesehen vom Deckblatt und einer fehlerhaften Paginierung der staatsrechtlichen Beschwerde) völlig identisch sind. Im übrigen werden laufend Rügen, die mit einer staatsrechtlichen Beschwerde zu erheben sind,
BGE 113 IV 45 S. 46
mit solchen vermischt, die mit Nichtigkeitsbeschwerde vorgetragen werden müssen.
2.
Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nicht in ein und derselben Eingabe vereinigt werden, sondern ist jede getrennt zu erheben und in einer besonderen Eingabe zu begründen; eine Ausnahme von diesem Erfordernis wird nur dann gemacht, wenn die verschiedenen Rechtsmittel äusserlich klar auseinandergehalten werden (
BGE 104 IV 70
,
BGE 101 IV 248
mit Hinweisen). Die Verbindung von Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtlicher Beschwerde ist somit nur zulässig, wenn die beiden Rechtsmittel nicht vermengt werden, sondern für jede Beschwerde gesondert und abschliessend dargelegt wird, was mit ihr vorgebracht werden will (
BGE 101 IV 248
).
a) Das Vorgehen des Beschwerdeführers muss als unzulässige Umgebung dieser Rechtsprechung qualifiziert werden. Es geht nicht an, die klare bundesgerichtliche Praxis unterlaufen zu wollen, indem man einen einzigen Schriftsatz erstellt, in diesem kunterbunt die Verletzung eidgenössischen Rechts sowie verfassungsmässiger Rechte rügt, die Rechtsschrift kopiert und mit zwei verschiedenen Deckblättern versehen einmal als staatsrechtliche Beschwerde und einmal als Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht einreicht.
b) Es stellt sich die Frage, ob die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde entgegenzunehmen und auf die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten ist (vgl.
BGE 101 IV 248
/249). Die publizierte bundesgerichtliche Rechtsprechung hat sich mit Fällen der vorliegenden Art bisher noch nicht befasst. Der erste Entscheid erging im Jahre 1937, als die Zivilabteilungen die mit einer Berufung konnexen staatsrechtlichen Beschwerden übernahmen, was - nach den damaligen Ausführungen des Bundesgerichts - an der Selbständigkeit der beiden Rechtsmittel und am Erfordernis getrennter Eingaben nichts ändere (
BGE 63 II 38
). Dieser Ansicht schloss sich der Kassationshof am 13. März 1942 in bezug auf die Nichtigkeitsbeschwerde an (
BGE 68 IV 10
). Am 30. Januar 1963 hatte der Kassationshof eine Eingabe zu behandeln, bei welcher die Begründung (der zuvor rechtzeitig angemeldeten) Nichtigkeitsbeschwerde gleichzeitig eine staatsrechtliche Beschwerde enthielt, ohne dass die beiden Rechtsmittel auseinandergehalten und getrennt voneinander behandelt wurden; es wurde festgestellt, auf die staatsrechtliche Beschwerde, die im Verhältnis zur Nichtigkeitsbeschwerde subsidiär und die überdies
BGE 113 IV 45 S. 47
nur in zweiter Linie erhoben worden sei, könne nicht eingetreten werden (
BGE 89 IV 27
). Einen ähnlichen Fall betraf
BGE 101 IV 248
; hier wurde die Rechtsschrift zwar ausdrücklich als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnet, sie rügte jedoch in der Anmeldung und in der Begründung sowohl die Verletzung von Bundesstrafrecht als auch die Verletzung von
Art. 4 BV
; erneut wurde auf die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten. Schliesslich wollten die Beschwerdeführerinnen in
BGE 104 IV 70
die Natur des von ihnen erhobenen Rechtsmittels von der Frage ihrer Legitimation abhängig machen; auch hier wurde unter Hinweis auf den subsidiären Charakter der staatsrechtlichen Beschwerde bloss die angebliche Verletzung von Bundesstrafrecht geprüft.
Bei der bisher veröffentlichten Praxis hatte das Bundesgericht immer nur Fälle zu entscheiden, in welchen eine einzige Rechtsschrift eingereicht wurde, die entweder als Nichtigkeitsbeschwerde bzw. als eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde bezeichnet wurde oder bei welcher dem Gericht zunächst die Frage zur Prüfung vorgelegt wurde, als welches Rechtsmittel die Eingabe entgegengenommen werden könne. In diesen Fällen rechtfertigte es sich, die Eingabe als Nichtigkeitsbeschwerde an die Hand zu nehmen und auf die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. Da das vorliegend zu behandelnde Vorgehen demgegenüber klarerweise als unzulässige Umgehung der vor E. 2a dargelegten Rechtsprechung bezeichnet werden muss, kann weder auf die Nichtigkeitsbeschwerde noch auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden. | null | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfb4fa72-260b-4006-9199-00360d43280b | Urteilskopf
134 II 223
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Sat.1 (Schweiz) AG gegen Bundesamt für Kommunikation (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_713/2007 vom 20. Mai 2008 | Regeste
Art. 2 lit. o, Art. 9 Abs. 1, Art. 12 Abs. 2 und 3 RTVG 2006, Art. 18 Abs. 1 und Art. 19 RTVG 1991, Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007, Art. 16 Abs. 1 RTVV 1997; Zulässigkeit von "Slogans" oder "Claims" beim rundfunkrechtlichen Sponsoring ("Celebrations").
Das alte wie das neue Radio- und Fernsehgesetz gehen von einem "klassisch-konservativen" Verständnis des Sponsorings aus, welches die für den Sponsor zu erzielende Wirkung grundsätzlich auf den mit der Nennung seines Namens verbundenen Imagetransfer beschränkt; neben produktebezogenen Werbeaussagen sind deshalb auch imagewerbende Aussagen - wie "Slogans" oder "Claims" - im "Billboard" rundfunkrechtlich unzulässig (E. 2-3.3). Allfällige Lockerungen der Werbebestimmungen im RTVG sind durch die politischen Behörden zu prüfen und können nicht über eine geltungszeitliche Auslegung durch die Rechtsmittelinstanzen vorweggenommen werden (E. 3.4-5.1). | Sachverhalt
ab Seite 224
BGE 134 II 223 S. 224
Die Sat.1 (Schweiz) AG strahlt die Überraschungsshow "Celebrations" aus. In deren "Billboard" (Sponsorhinweis) vom 11. und 25. November 2005 wurde darauf hingewiesen, dass die Sendung vom "neuen SEAT Toledo präsentiert" werde, und das Signet "SEAT auto emoción" eingeblendet. Am 5. September 2006 stellte das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) fest, dass die Sat.1 (Schweiz) AG damit gegen die rundfunkrechtlichen Werbe- und Sponsoringbestimmungen verstossen habe: Der Zusatz "neu" stelle aufgrund seines anpreisenden Charakters praxisgemäss eine im Sponsorhinweis
BGE 134 II 223 S. 225
unzulässige werbliche Aussage dar; dasselbe gelte für den Slogan "auto emoción". Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid auf Beschwerde hin am 30. Oktober 2007. Das Bundesgericht weist die von der Sat.1 (Schweiz) AG hiergegen eingereichte Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Umstritten ist die Rechtsfrage, welche Informationen ein Sponsor-Billboard enthalten kann; ob und allenfalls welche Werbewirkungen damit verbunden sein dürfen. Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, dass imageprägende Aussagen zulässig seien und der Sponsor so auftreten könne, wie er dies in der Öffentlichkeit regelmässig tue und er dem Publikum bekannt sei. Dies erlaube, die Transparenz zugunsten des Zuschauers zu erhöhen. Die radio- und fernsehrechtlichen Bestimmungen über das Sponsoring müssten so ausgelegt werden, dass sie den wirtschaftlichen Realitäten und den Bedürfnissen der unternehmensbezogenen Kommunikation entsprächen. Die "unverhältnismässig strenge Praxis" des BAKOM und der Vorinstanz führe zu einer erheblichen Benachteiligung von Schweizer TV-Produktionen gegenüber den in der EU hergestellten Sendungen. Der Zusatz "auto emoción" sei ein nicht produktebezogener, imageprägender Slogan/Claim ohne direkten Sinngehalt und deshalb nicht mit den vom BAKOM bereits beurteilten Slogans vergleichbar; diese hätten sich jeweils direkt auf bestimmte Produkte bezogen ("Pepsi - Ask for More", "Citroën Xsara - einer dem man vertraut", "Mit Eurocard der Zeit voraus" usw.). Was sich markenrechtlich hinsichtlich der Werbewirkung bei Slogans und Claims als zulässig erweise, könne rundfunkrechtlich nicht verboten sein. Mit dem markenrechtlich geschützten Slogan bzw. Claim "auto emoción" werde die Unternehmens- und nicht eine Produktmarke von SEAT ("Seat Toledo", "Seat Alhambra" usw.) in den Vordergrund gerückt. Das Gesetz verbiete "Aussagen werbenden Charakters über Waren und Dienstleistungen"; nur produktebezogene Werbeaussagen, nicht werbende Identifikationselemente seien deshalb von der Sponsornennung ausgeschlossen. Wenn ein Sponsor in seinem gesamten Auftritt am Markt jeweils seinen Firmennamen mit einem Slogan/Claim verbinde, so stehe dieser für das Publikum unweigerlich identifizierend für das Unternehmen als solches. Das Rechtsverständnis der Vorinstanzen beschränke die Wirtschaftsfreiheit ohne öffentliches Interesse in unverhältnismässiger
BGE 134 II 223 S. 226
Weise; zudem trage es der EU-Fernsehrichtlinie keine Rechnung, welche nur "spezifisch verkaufsfördernde Hinweise" auf Erzeugnisse oder Dienstleistungen als unzulässig bezeichne. Dementsprechend seien nach deutschem Recht denn auch "imageprägende" Slogans wie etwa "Gut, besser, Paulaner" zulässig, obwohl diese - im Gegensatz zu "auto emoción" - inhaltlich konkret interpretierbare Aussagen enthielten ("Paulaner ist das beste Bier").
3.
Diese Ausführungen sind aus der Sicht der Beschwerdeführerin verständlich, lassen die von der Vorinstanz geschützte Praxis des BAKOM indessen nicht als bundesrechtswidrig erscheinen:
3.1
Als Sponsoring gilt die Beteiligung einer natürlichen oder juristischen Person an der direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung mit dem Ziel, den eigenen Namen, die eigene Marke oder das Erscheinungsbild zu fördern (Art. 16 Abs. 1 der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober 1997 [RTVV 1997; AS 1997 S. 2908];
Art. 2 lit. o des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über Radio und Fernsehen [RTVG 2006; SR 784.40]
). Nach Art. 19 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG 1991; AS 1991 S. 601 ff.) darf in gesponserten Sendungen "nicht zum Abschluss von Rechtsgeschäften über Waren oder Dienstleistungen der Sponsoren oder von Dritten angeregt werden; insbesondere dürfen keine gezielten Aussagen werbenden Charakters über diese Waren oder Dienstleistungen gemacht werden" (vgl. Art. 12 Abs. 3 RTVG 2006). Die Sponsoren sind am Anfang und am Schluss jeder Sendung zu nennen (Art. 19 Abs. 2 RTVG 1991 bzw. Art. 12 Abs. 2 RTVG 2006); dabei muss ein "eindeutiger Bezug zwischen Sponsor und Sendung" geschaffen werden (Art. 20 Abs. 1 der Radio- und Fernsehverordnung vom 9. März 2007 [RTVV 2007; SR 784.401]). Der Hinweis auf den Sponsor soll ausschliesslich Elemente enthalten, die seiner Identifizierung dienen, indessen "keine Aussagen werbenden Charakters" (Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007). Die Werbung muss - als Grundprinzip des Radio- und Fernsehrechts - vom redaktionellen Teil des Programms deutlich getrennt und als solche eindeutig erkennbar sein (Art. 18 Abs. 1 RTVG 1991 bzw. Art. 9 Abs. 1 RTVG 2006; MARC LAUKEMANN, Fernsehwerbung im Programm, Frankfurt a.M. 2002, S. 198 ff.). Als Werbung gilt nicht nur die Förderung des Abschlusses von Rechtsgeschäften über Waren oder Dienstleistungen gegen Bezahlung oder eine ähnliche Gegenleistung, sondern generell jede öffentliche Äusserung im Programm, welche die Unterstützung einer Sache oder Idee oder "die
BGE 134 II 223 S. 227
Erzielung einer anderen vom Werbetreibenden (...) selbst gewünschten Wirkung" zum Zweck hat (vgl. Art. 11 Abs. 1 RTVV 1997 [AS 1997 S. 2907] bzw. Art. 2 lit. k RTVG 2006).
3.2
Das Sponsoring dient dem langfristigen Imagegewinn und ist nicht auf den kurzfristigen Abschluss von Rechtsgeschäften ausgerichtet. Im Gegensatz zur Werbung, bei der gegen Entgelt Sendezeit zur eigenen Gestaltung durch den Kunden im Rahmen der rundfunkrechtlichen Werbebestimmungen zur Verfügung gestellt wird, bezieht sich das Sponsoring immer auf einen Teil des redaktionellen Programms, das in der Verantwortung des Veranstalters verbleibt (
BGE 126 II 7
E. 5a S. 15; ROLF H. WEBER, Rechtliche Grundlagen für Werbung und Sponsoring, in: SMI 1993 S. 213 ff., dort S. 219 ff.). Der Gesetzgeber ermöglichte das Sponsoring 1991 in der Vorstellung, "dass oft kulturell bedeutende und finanziell aufwendige Produktionen (z.B. Übertragungen von Konzerten und Opern, Dokumentationen und Dokumentarfilme) auf diese Weise ermöglicht und erleichtert" werden könnten (BBl
BGE 1987 III 723
). Das Publikum habe jedoch ein Recht darauf zu erfahren, "ob eine Sendung gesponsert wurde und von wem" (BBl
BGE 1987 III 735
). Die Sponsornennung solle diesbezüglich Transparenz schaffen; dabei gelte es, eine Vermischung von Werbung und Sponsoring bzw. eine damit mögliche Umgehung der Werbevorschriften (Trennungsgebot, Werbezeitbeschränkung usw.) zu verhindern. Die für den Sponsor zu erzielende Wirkung habe sich - als Einbruch in das Trennungsgebot von Werbung und redaktionellem Teil des Programms - auf den mit der Nennung im Zusammenhang mit der gesponserten Sendung verbundenen Imagetransfer als solchen zu beschränken (vgl. MARC FURRER, Der Unterschied zwischen Sponsoring und Werbung in Radio und Fernsehen, in: Medialex 1998 S. 179 ff.).
3.3
3.3.1
Der Aufsichtspraxis und den Sponsoring-Richtlinien des BAKOM vom Juni 1999/April 2007 liegt ein klassisch-konservatives Verständnis des Sponsorings zugrunde (zur Rechtsnatur der Richtlinien:
BGE 126 II 7
E. 5b/cc S. 17). Danach gelten Hinweise - unabhängig von einem allfälligen markenrechtlichen Schutz - als unzulässig, die über die Erkennbarkeit des Sponsors bzw. jene seiner Aktivitäten hinausgehen: Neben der Namensnennung kann auf ein Produkt oder auf eine Dienstleistung verwiesen werden, falls diese beim Publikum bekannter sind als die Firma oder die Marke selber ("Beiersdorf/Nivea"; Ziff. 15 der
BGE 134 II 223 S. 228
Sponsoring-Richtlinien); zudem darf jeweils ein frei wählbares Adresselement (Geschäftsadresse, Telefonnummer oder Internetadresse; Ziff. 23 der Sponsoring-Richtlinien) oder eine neutrale Umschreibung des Haupttätigkeitsbereichs (zum Beispiel "Confiserie Weibel" statt "Firma Weibel") der Sponsornennung beigefügt werden (Ziff. 16 der Sponsoring-Richtlinien), wenn dies ausschliesslich der Identifizierung des Sponsors und der Transparenz dient (SIGMUND PUGATSCH, Werberecht für die Praxis, 3. Aufl., Zürich 2007, S. 174). Wertende Aussagen und Slogans zum Sponsor selber oder zu dessen Produkten oder Dienstleistungen sind indessen untersagt (vgl. auch: NOBEL/WEBER, Medienrecht, Bern 2007, S. 445 N. 144; FRANZ ZELLER, Öffentliches Medienrecht, Bern 2004, S. 273; PUGATSCH, a.a.O., S. 174; BRUNO GLAUS, Medien-, Marketing- und Werberecht, Rapperswil 2004, S. 54 f.; Ziff. 21 der Sponsoring-Richtlinien). Als solche gelten Imagewerbungen, die über die Assoziation von Sponsor und Sendung hinausgehen (vgl. die Zusammenfassung der Praxis im Entscheid des UVEK 519.1-315 vom 20. März 2006 betreffend "Pepsi - Ask For More" und in den Verfügungen des BAKOM vom 14. Juli 2006 betreffend "Rimuss -
die
alkoholfreie Alternative", E. 2.2.2, vom 21. Juli 2003 betreffend "Le Petit Larousse, le dictionnaire qui a le dernier mot !" und "Le Matin. Vite lu, bien vu", E. 1 und E. 3, sowie vom 24. Juni 2003 betreffend "UBS/Allinghi", E. 2).
3.3.2
An diesem Sponsoring-Verständnis hat der Gesetzgeber im Rahmen des RTVG 2006 - in Kenntnis des neuen medialen Umfelds - festgehalten (vgl. NOBEL/WEBER, a.a.O., S. 444 ff.): Bei der kommerziellen Finanzierung (Werbung, Verkaufsangebote, Sponsoring) von Radio und Fernsehen gehe es - so der Bundesrat in seiner Botschaft - darum, "im Interesse der unverfälschten Meinungsbildung des Publikums redaktionelle Programminhalte von Werbebotschaften erkennbar zu trennen und bei einer Drittfinanzierung von Sendungen Transparenz über die Finanzflüsse und das damit verbundene Beeinflussungspotential herzustellen"; es sei im Interesse der unverfälschten Meinungsbildung "zwingend", dass die Bestimmungen über die Trennung von redaktionellen und kommerziellen Inhalten durch die Kennzeichnung von kommerziellen Botschaften nicht umgangen würden (BBl 2003 S. 1622 f.; ZÖLCH/ZULAUF, Kommunikationsrecht für die Praxis, Bern 2007, S. 156 f.). Auch wenn sich das Sponsoring in den letzten zehn Jahren erheblich gewandelt habe und immer stärker versucht werde,
BGE 134 II 223 S. 229
Werbebotschaften möglichst nahe bei redaktionellen Programmteilen mit hoher Publikumsaufmerksamkeit zu platzieren, müsse am Verbot werbender Aussagen festgehalten werden. Der Missbrauch von Sponsornennungen zu Werbezwecken führe zu einer Aushöhlung der Werberegelungen zum Nachteil jener Veranstalter, die sich an die Werbevorschriften hielten. Sogenannt "gestaltete" Sponsorhinweise seien zwar zulässig, dürften aber nicht werbend wirken (BBl 2003 S. 1624 f.). Der Sponsorhinweis sei Teil der redaktionellen Sendung; er könne im Rahmen der "
Praxis nach geltendem Recht
" mit kurzen Zusatzbotschaften - etwa über das Tätigkeitsgebiet des Sponsors - angereichert werden; nicht erlaubt seien jedoch Aussagen werbenden Charakters (BBl 2003 S. 1680). Diese Ausführungen blieben in den parlamentarischen Beratungen unbestritten, auch wenn der ausdrückliche Hinweis auf die Möglichkeit, im Rahmen "gewisser Kriterien" Sponsorhinweise gestalten zu dürfen, aus Gründen der Verständlichkeit gestrichen wurde (vgl. AB 2004 N 66 f., AB 2005 S 63 f. [Votum Kommissionssprecher Escher], AB 2005 N 116 - jeweils zu Art. 14 Abs. 3 des bundesrätlichen Entwurfs).
3.4
Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich nicht, im vorliegenden Zusammenhang auf eine rein
geltungszeitliche
Auslegung abzustellen, wie dies die Beschwerdeführerin wünscht (zu den verschiedenen Auslegungsmethoden:
BGE 131 II 710
E. 4.1 mit Hinweisen):
3.4.1
Die Definition der Werbung in Art. 11 Abs. 1 RTVV 1997[AS1997 S. 2907] bzw. Art. 2 lit. k RTVG 2006, welche dem Begriffdes unzulässigen "werbenden" Charakters bei der Sponsornennung zugrunde liegt (Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007), ist weit formuliert. Sie schliesst neben der kommerziellen auch die ideelle Werbung ein und unterscheidet sich dadurch von der EU-Richtlinie 89/552/EWG vom 3. Oktober 1989 über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 298 vom 17. Oktober 1989 S. 23; Fassung vom 30. Juni 1997, im Folgenden: EU-Fernsehrichtlinie). Diese erfasst - im Gegensatz zum Europäischen Übereinkommen vom 5. Mai 1989 über das grenzüberschreitende Fernsehen (
Art. 2 lit. f EÜGF
[SR 0.784.405]) -ausschliesslich die kommerzielle Werbung (vgl. Art. 1 lit. c EU-Fernsehrichtlinie). Die Aufforderung zum Abschluss eines Rechtsgeschäfts ist für den Werbebegriff nach Art. 2 lit. k RTVG 2006 bzw.
Art. 2 lit. f EÜGF
nicht erforderlich; es genügt, wenn mit der entgeltlichen öffentlichen Äusserung im Programm
irgendeine
vom Betroffenen gewünschte Wirkung angestrebt wird (BBl 2003 S. 1665).
BGE 134 II 223 S. 230
Hierunter fallen auch entgeltliche Äusserungen, die nicht direkt einen Geschäftsabschluss bezwecken (so HÖFLING/MÖWES/PECHSTEIN, Europäisches Medienrecht, München 1991, S. 115).
3.4.2
Bei der Bezeichnung "SEAT auto emoción" handelt es sich um eine mit einem Slogan bzw. Claim ("auto emoción") eingetragene Marke der Firma SEAT SA (
S
ociedad
E
spañola de
A
utomóviles de
T
urismo S.A.). Umstritten ist nicht die Verwendung des Firmennamens, sondern die Zulässigkeit des ergänzenden Claims "auto emoción". Diesem kommt - wie die Vorinstanzen zu Recht festgestellt haben - eine werbende Wirkung im Sinne von Art. 19 Abs. 3 RTVG 1991 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 RTVV 1997 (bzw. heute Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007) zu: Als Slogan gilt ein kurzer, prägnanter Werbetext für eine Produkt- oder Unternehmensmarke; als Claim wird ein schlagwortartiger Werbespruch bezeichnet, der als Bindeglied von wirtschaftlichen Kommunikationsmassnahmen in anregender Form den Kernaspekt einer Werbeaussage kennzeichnen und Stimmungen und Wertgefüge bestimmter Zielgruppen treffen soll; vielfach werden Slogan und Claim synonym verwendet (vgl. ULRICH GÖRG, Claims, Claiming als Wertschöpfungsinstrument der Markenführung, Offenbach 2005, S. 9 f.; BERND M. SAMLAND, Unverwechselbar - Name, Claim und Marke, München 2006, S. 114 ff.). Ein Claim hat somit definitionsgemäss immer etwas Verkaufsförderndes und dies unabhängig davon, ob er sich langfristig auf eine Unternehmens- bzw. eine Produktemarke bezieht oder kurzfristig eine Kampagne unterstützen will. Psychologisch betrachtet sind Claims Schlüsselreize, die emotive und kognitive Assoziationen aktivieren; im Idealfall schaffen sie es, in wenigen Worten zu beschreiben, wofür eine Marke steht und deren Mission, Positionierung, Nutzen und Werte zu kommunizieren (GÖRG, a.a.O., S. 19). "Auto emoción" verkörpert in diesem Sinn eine Palette von schnittigen, sportlichen und formgereiften Automodellen, für die SEAT nach seiner Markenstrategie stehen will. Der Claim suggeriert, dass der Kontakt mit SEAT-Fahrzeugen mit positiven Emotionen verbunden ist, was die akustische Umsetzung des Claims mit einer flüsternden, sinnlichen Frauenstimme und die sportliche Darstellung eines konkreten (dunklen) Fahrzeugmodells im "Billboard" unterstreichen (vgl. HAUKE WAGNER, Möglichkeiten der Werbespots im Fernsehen und im Internet, Gelnhausen 2002, S. 44 f.). SEAT hält in seinen Unterlagen zum Begriff "auto emoción" denn unter anderem auch fest: "Based in Spain and active in over 70
BGE 134 II 223 S. 231
countries, SEAT is dedicated to producing cars that excel in design and radiate sporty character. Something we sum up as 'SEAT auto emoción'". Der Claim bildet somit einen Teil der Werbe- und Marketingstrategie der Firma SEAT, welche ein dem Zielpublikum angepasstes Umfeld für den Verkauf ihrer Produkte schaffen will. Diese Wirkung geht über den Imagetransfer hinaus, der allein mit der Nennung als Sponsorin einer bestimmten Sendung verbunden ist. Es handelt sich um eine zusätzliche, von SEAT zu Geschäftszwecken (Marktpositionierung) bzw. zur allgemeinen Förderung ihrer Markenstrategie ("Brand Strategy") angestrebte unzulässige Wirkung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007. Die Angabe des Claims ist für die Erkennbarkeit des Sponsoringverhältnisses und dessen Transparenz nicht nötig. Mit dem Firmennamen SEAT wird dem Zuschauer hinreichend klar, wer als Sponsor auftritt; durch das Zeigen eines der Modelle kann das Tätigkeitsgebiet der Beschwerdeführerin wertneutral bezeichnet werden, ohne dass es hierzu noch einer optischen und akustischen Darstellung des Markenclaims bedürfte.
3.4.3
In dieser (untergeordneten) Werbebeschränkung liegt kein unzulässiger Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (vgl.
BGE 127 II 91
E. 4): Das Verbot von Aussagen mit werbendem Charakter in der Sponsornennung stützt sich auf eine klare gesetzliche Grundlage. Es dient im öffentlichen Interesse dem Schutz der redaktionellen Freiheit der Veranstalter und der Information des Medienkonsumenten über die Finanzierungsverhältnisse, wobei der Zuschauer nicht unterschwellig und gegen seinen Willen mit Markenkommunikation konfrontiert werden soll (vgl. GABRIELE SIEGERT et al., Die Zukunft der Fernsehwerbung - Produktion, Verbreitung und Rezeption von programmintegrierten Werbeformen in der Schweiz, Bern 2007, S. 20). Dabei spielt keine Rolle, dass mit dem Hinweis "auto emoción" nicht unmittelbar ein konkretes Produkt oder eine konkrete Dienstleistung (Absatzwerbung), sondern - über einen Slogan, Claim oder anderen Zusatz - die Markenpositionierung des Produzenten gefördert wird (Imagewerbung). Hierzu steht die Spotwerbung offen, die (auch) in der Nähe einer gesponserten Sendung platziert werden darf (Ziff. 20 der Sponsoring-Richtlinien), womit - unter Einhaltung des Trennungsgebots - im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung markenbezogene werbliche Aussagen rundfunkrechtlich möglich bleiben. Das RTVG 2006 lässt neu die Produkteplatzierung als besondere Form des Sponsorings zu (Art. 9 Abs. 1,
BGE 134 II 223 S. 232
12 Abs. 3 und 13 Abs. 4 RTVG 2006 i.V.m. Art. 21 RTVV 2007), wenn damit keine die Integration in den normalen Handlungsablauf sprengenden Aussagen werbenden Charakters verbunden sind. Unter gewissen Voraussetzungen ist auch Werbung in "Splitscreen"-Technik möglich (Art. 13 RTVV 2007; vgl. aber noch
BGE 133 II 136
E. 2.2.2 S. 140) und stehen jetzt auch die "virtuelle" (Art. 15 RTVV 2007) und die "interaktive" Werbung (Art. 14 RTVV 2007) offen. Die Werbewirtschaft und die Veranstalter verfügen damit über hinreichende Sonderwerbeformen (auch programmintegrierter bzw. hybrider Natur), um trotz der "Akzeptanzkrise der Werbung" die Aufmerksamkeit des Publikums ausserhalb der klassischen Spotwerbung gewinnen zu können. Es ist deshalb nicht unverhältnismässig, imageprägende werbliche Aussagen beim Sponsoring auszuschliessen.
3.4.4
Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, dass der Claim markenrechtlich geschützt sei und deshalb keine werbende Wirkung haben könne, verkennt sie die unterschiedlichen Zwecke der beiden Regelungen: Die Marke ist ein Zeichen, das geeignet ist, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von solchen anderer Unternehmen abzugrenzen (
Art. 1 MSchG
[SR 232.11]). Vom Markenschutz ausgeschlossen sind unter anderem Zeichen, die Gemeingut bilden (etwa solche von beschreibendem Charakter), es sei denn, sie hätten sich als Marke für die Waren oder Dienstleistungen durchgesetzt, für die sie beansprucht werden (
Art. 2 lit. a MSchG
). Als beschreibende Angaben gelten sachliche Hinweise bezüglich der Waren oder Dienstleistungen; diese werden von den betroffenen Verkehrskreisen nicht als individualisierende Hinweise auf eine bestimmte betriebliche Herkunft verstanden (fehlende Unterscheidungskraft) und sollen für jedermann zum Gebrauch freigehalten werden (Freihaltebedürfnis). Slogans und Claims sind markenrechtlich deshalb unzulässig, wenn sie reklamehafte Anpreisungen oder Wörter bzw. Phrasen, die in der Werbung häufig verwendet werden, und einfache Aufforderungen oder allgemein verbreitete Redewendungen enthalten. Sie sind indessen schutzfähig, falls ihr beschreibender Charakter nur unter Aufwendung von Gedankenarbeit erkennbar ist bzw. sie ein unterscheidungskräftiges Element enthalten (vgl. die Richtlinien des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum in Markensachen vom 1. Januar 2007, S. 71 f.). Der markenrechtlich geschützte Claim dient damit wie die Marke allgemein der Kennzeichnung (Individualisierung) der eigenen
BGE 134 II 223 S. 233
Leistung und deren Unterscheidung von anderen Wettbewerbsangeboten. Der zulässige Inhalt der Sponsornennung wird seinerseits zum Schutz des rundfunkrechtlichen Trennungs- und Transparenzgebots abschliessend in der Radio- und Fernsehgesetzgebung umschrieben. Deren Bestimmungen gehen den markenrechtlichen Grundsätzen, welche privaten wirtschaftlichen Zwecken dienen, als spezialgesetzliche Regelung vor. Auch die markenrechtliche Beurteilung einer Firma erfolgt unabhängig von der firmenrechtlichen, da sich die Voraussetzungen für die Eintragung in das Markenregister von jenen der Firma in das Handelsregister unterscheiden (vgl. die Richtlinien in Markensachen des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum vom 1. Januar 2007, S. 72, Ziff. 4.4.5; IVAN CHERPILLOD, Le droit suisse des marques, Lausanne 2007, S. 53 f.).
4.
Es ist einzuräumen, dass sich die derzeitige aufsichtsrechtliche Praxis bezüglich werbender Aussagen beim Sponsoring als streng erweist - dies insbesondere mit Blick auf die im europäischen Fernsehraum festzustellenden Entwicklungen (vgl. zur spezifisch heiklen Situation des rundfunkrechtlichen Werbemarkts in der Schweiz: SIEGERT et al., a.a.O., S. 54 ff.) und die Tatsache, dass die Verwendung markenrechtlich geschützter Claims und Slogans heute einer weitverbreiteten Praxis entspricht:
4.1
Die seit dem 18. Dezember 2007 in Kraft stehende Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11. Dezember 2007 lockert die Fernseh-Werberegeln in wesentlichen Punkten (audiovisuelle kommerzielle Kommunikation, grosszügigere Regelung der Werbedauer, Produkteplatzierung, Unterbrecherwerbung usw.). Gesponserte Sendungen dürfen bloss nicht "unmittelbar zu Kauf, Miete oder Pacht von Waren oder Dienstleistungen anregen, insbesondere nicht durch spezielle verkaufsfördernde Hinweise auf diese Waren oder Dienstleistungen" (Art. 3f Ziff. 1 lit. b EU-Fernsehrichtlinie). Die Zuschauer müssen eindeutig auf das Bestehen einer Sponsoring-Vereinbarung hingewiesen werden, wozu die gesponserten Sendungen - "beispielsweise durch den Namen, das Firmenemblem und/oder ein anderes Symbol des Sponsors, etwa einen Hinweis auf seine Produkte oder Dienstleistungen oder ein entsprechendes unterscheidungskräftiges Zeichen" - in "angemessener" Weise "zum Beginn, während und/oder zum Ende der Sendung" zu kennzeichnen sind (Art. 3f Ziff. 1 lit. c EU-Fernsehrichtlinie). Damit sind gewisse imagebezogene Slogans, Claims oder Hinweise als Logo oder Markenbestandteil - entgegen der Praxis in der Schweiz - im europäischen Ausland zugelassen.
BGE 134 II 223 S. 234
4.2
Die im Hinblick hierauf allenfalls erforderlichen Korrekturen des schweizerischen Radio- und Fernsehrechts können jedoch nicht - wie die Beschwerdeführerin dies mit ihrer Beschwerde bezweckt - über die Rechtsprechung erfolgen, nachdem der Gesetzgeber die bisherigen Vorgaben erst vor kurzem ausdrücklich bestätigt hat. Der Bundesrat hielt in seiner Botschaft zur Totalrevision des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen vom 18. Dezember 2002 fest, dass strengere Regeln als die europäischen sich in jenen Bereichen, in denen konkurrierende ausländische Veranstalter im Verhältnis zu den schweizerischen nach dem Recht ihres Sendestaats lediglich das EÜGF-Minimum beachten müssten, "potenziell wettbewerbsverzerrend" auswirken könnten (BBl 2003 S. 1596 f.; SIEGERT et al., a.a.O., S. 47). Die Liberalisierung in der EU-Fernsehrichtlinie dürfte künftig nicht ohne Auswirkungen auf das EÜGF bleiben. Der Bundesrat hat für diesen Fall in Aussicht gestellt, dass eine weitere Liberalisierung der schweizerischen Werbeordnung ins Auge gefasst werden müsste, wobei er die nötige Gesetzesänderung "zusammen mit der Botschaft für die parlamentarische Genehmigung des revidierten EÜGF beantragen" werde (BBl 2003 S. 1624). Die Bestimmungen über die Werbung und das Sponsoring bilden in der Schweiz einen wesentlichen Teil der Finanzierung des rundfunkrechtlichen Mediensystems als Ganzes und können deshalb nicht auf dem Weg der Auslegung punktuell neuen Bedürfnissen geöffnet werden, ohne dass das Gleichgewicht des Systems als solches und die vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenabwägung in Frage gestellt würden (
BGE 127 II 79
E. 4a/cc S. 84). Wie das Bundesgericht bereits im Zusammenhang mit der Unterbrecherwerbung festgehalten hat, besteht weder verfassungs- noch völkerrechtlich ein Anspruch darauf, senderechtlich gleich behandelt zu werden wie die ausländische Konkurrenz aufgrund der für sie geltenden Regeln (
BGE 127 II 79
E. 4b/bb S. 85).
5.
5.1
Zusammengefasst ergibt sich, dass Art. 19 Abs. 3 RTVG 1991 bzw. Art. 12 Abs. 3 RTVG 2006 und Art. 20 Abs. 2 RTVV 2007 - nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihrem Sinn und Zweck - die bisherigen Grundsätze zum Sponsoring weiterführen. In diesem Rahmen hat ein Claim als "Aussage werbenden Charakters" zu gelten, weshalb er ohne Verletzung von Bundesrecht als Sponsorhinweis rundfunkrechtlich untersagt werden darf. Die noch auszuhandelnde Revision des EÜGF steht einer
BGE 134 II 223 S. 235
richterlichen Anpassung an die neusten Entwicklungen des EU-Rechts auf dem Weg der Auslegung entgegen. Wieweit die Werbe- und Sponsoringbestimmungen künftig gelockert werden sollen, ist eine politische Frage und als solche nicht durch das Bundesgericht, sondern durch den Gesetzgeber zu prüfen, wie der Bundesrat dies in der Botschaft zum neuen Radio- und Fernsehgesetz im Falle einer Lockerung der europäischen Werbebestimmungen in Aussicht gestellt hat. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cfba033f-53b5-4725-be14-70756c3aa650 | Urteilskopf
138 III 225
35. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. AG (vormals Y. AG) gegen Z. AG (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_895/2011 vom 6. März 2012 | Regeste
Zustellungsfiktion und Anzeige der Konkursverhandlung.
Die für eingeschriebene Sendungen geltende Zustellungsfiktion (
Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO
) ist auf die Anzeige der Konkursverhandlung (
Art. 168 SchKG
) nicht anwendbar (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 226
BGE 138 III 225 S. 226
A.
Mit Entscheid vom 21. Oktober 2011 eröffnete der Einzelrichter am Bezirksgericht Kreuzlingen auf Begehren der Z. AG über die Y. AG mit Wirkung per 21. Oktober 2011, 15.00 Uhr, den Konkurs.
B.
Gegen diesen Entscheid erhob die Y. AG, die bereits seit 15. August 2011 die neue Firma X. AG führt, Beschwerde und beantragte, die Konkurseröffnung aufzuheben und zur Konkursverhandlung neu vorzuladen. Ausserdem ersuchte sie um aufschiebende Wirkung. Das Obergericht des Kantons Thurgau erteilte am 27. Oktober 2011 aufschiebende Wirkung, wies die Beschwerde am 30. November 2011 ab und eröffnete den Konkurs per 30. November 2011, 14.00 Uhr.
C.
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat die X. AG (Beschwerdeführerin) am 21. Dezember 2011 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Sie ersucht um Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Konkurseröffnung sowie darum, zur Konkursverhandlung neu vorzuladen. Zudem ersucht sie um aufschiebende Wirkung.
Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs ist der Beschwerde mit Präsidialverfügung vom 17. Januar 2012 in dem Sinne aufschiebende Wirkung zuerkannt worden, als Vollstreckungsmassnahmen zu unterbleiben haben, allenfalls bereits getroffene Sicherungsvorkehren aber aufrechterhalten bleiben.
In der Sache hat die Z. AG (Beschwerdegegnerin) auf Vernehmlassung verzichtet. Das Obergericht ersucht um Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Umstritten ist einzig, ob die Anzeige zur Konkursverhandlung (
Art. 168 SchKG
) als zugestellt gelten kann. Nach den obergerichtlichen Feststellungen hat das Bezirksgericht die Anzeige zu der auf den 21. Oktober 2011 angesetzten Konkursverhandlung am 7. Oktober 2011 der Post übergeben, und am 8. Oktober 2011 hat die Post erfolglos versucht, die eingeschriebene Sendung zuzustellen. Die Beschwerdeführerin hat diese Sendung auch später nicht in Empfang genommen.
BGE 138 III 225 S. 227
Das Obergericht hat erwogen, die Beschwerdeführerin habe nach der Konkursandrohung vom 14. Juli 2011 und der ihr damit angesetzten, aber ungenutzt verstrichenen Zahlungsfrist von 20 Tagen jederzeit mit einem Konkursbegehren der Beschwerdegegnerin rechnen müssen. Es hat deshalb die für nicht abgeholte, eingeschriebene Sendungen entwickelte Zustellungsfiktion angewandt, wonach die Zustellung als am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch erfolgt gilt, wenn der Adressat mit der Zustellung rechnen musste. Diese siebentägige Frist habe am 9. Oktober 2011 zu laufen begonnen und habe am 15. Oktober 2011 geendet. Die Vorladung gelte folglich als am 15. Oktober 2011 zugestellt, womit die Frist zur rechtzeitigen Anzeige der Konkursverhandlung gewahrt sei. Als unwahrscheinlich hat das Obergericht die Darstellung der Beschwerdeführerin verworfen, sie habe vor dem 15. Oktober 2011 erfolglos versucht, die Sendung abzuholen, diese sei auf der Post aber nicht mehr auffindbar gewesen.
3.
3.1
Stellt das Gericht eine Vorladung, eine Verfügung oder einen Entscheid durch eingeschriebene Postsendung zu und wird die Postsendung nicht abgeholt, so gilt die Zustellung am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern der Adressat mit einer Zustellung rechnen musste (
Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO
[SR 272]; sog. Zustell- oder Zustellungsfiktion). Gemäss der bundesrätlichen Botschaft zur ZPO entspricht diese Vorschrift bewährter Rechtsprechung (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7307 Ziff. 5.9.2). Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zustellungsfiktion lässt sich deshalb auf die ZPO übertragen. Wie
Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO
ausdrücklich festhält, kann die Zustellung eines behördlichen Aktes nur dann fingiert werden, wenn der Empfänger mit der Zustellung rechnen musste. Nach der Rechtsprechung entsteht indessen erst mit der Rechtshängigkeit ein Prozessrechtsverhältnis, das die Parteien verpflichtet, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akte zugestellt werden können, die das Verfahren betreffen. Diese prozessuale Pflicht entsteht folglich mit der Begründung eines Verfahrensverhältnisses und gilt insoweit, als während des hängigen Verfahrens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Zustellung eines behördlichen Aktes gerechnet werden muss (
BGE 130 III 396
E. 1.2.3 S. 399 mit Hinweisen). In der Lehre zur eidgenössischen ZPO wird allerdings vertreten, dass eine Partei mitunter auch vorprozessual mit einer Zustellung rechnen
BGE 138 III 225 S. 228
müsse (FRANÇOIS BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 26 zu
Art. 138 ZPO
; ROGER WEBER, in: ZPO, Kurzkommentar, Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 7 zu
Art. 138 ZPO
). Das Bestehen eines Prozessrechtsverhältnisses ist nach dieser Ansicht bloss ein Beispiel für einen Fall, in welchem mit Zustellungen zu rechnen ist.
Im Gebiet des Schuldbetreibungsrechts hat das Bundesgericht entschieden, dass der Rechtsöffnungsprozess, der auf ein durch Rechtsvorschlag eingestelltes Betreibungsverfahren folgt, ein neues Verfahren darstellt. Der Schuldner muss allein aufgrund der Zustellung eines Zahlungsbefehls und des von ihm dagegen erhobenen Rechtsvorschlags noch nicht mit einem Rechtsöffnungsverfahren bzw. mit der Zustellung damit zusammenhängender Verfügungen rechnen. Die Zustellungsfiktion greift deshalb für das erste Schriftstück nicht, das dem Schuldner im Rahmen der Rechtsöffnung zugestellt werden soll (
BGE 130 III 396
E. 1.2.3 S. 400 f.; Urteile 5A_710/2010 vom 28. Januar 2011 E. 3.1; 5A_552/2011 vom 10. Oktober 2011 E. 2.1). Keine Rolle spielt, ob die Rechtsöffnung durch die Gläubigerin selber verfügt werden kann (wie im Fall der Krankenkassen und der Billag AG) oder ob dazu ein Gericht angerufen werden muss. Die erwähnte Rechtsprechung wurde zwar für Krankenkassen entwickelt (Urteil 5A_552/2011 vom 10. Oktober 2011 E. 2.1). Erst recht gilt allerdings für die gerichtliche Rechtsöffnung, dass es sich um ein neues Verfahren handelt. Die in
BGE 130 III 396
entwickelte Rechtsprechung ist in diesem Sinne allgemeingültig. Das Bundesgericht hat sie denn auch kürzlich auf ein gerichtliches Rechtsöffnungsverfahren übertragen, und zwar im Anwendungsbereich von
Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO
(Urteil 5D_130/2011 vom 22. September 2011 E. 2). Rechtsmissbräuchliche Berufung des Schuldners auf das noch nicht begründete Prozessrechtsverhältnis findet allerdings keinen Schutz (Urteil 5D_130/2011 vom 22. September 2011 E. 2.2; vgl. auch Urteil 5A_172/2009 vom 26. Januar 2010 E. 5, in: BlSchK 2010 S. 210, zu den diversen Möglichkeiten des Gläubigers zur Schaffung von Indizien, die auf effektiven Zugang schliessen lassen).
3.2
Das Verfahren auf Konkurseröffnung kann nicht anders behandelt werden. Es ist im Verhältnis zu den vorangegangenen Verfahrensschritten ebenfalls ein neues Verfahren. Es folgt nicht automatisch aus dem Einleitungsverfahren und auch nicht aus der Konkursandrohung (
Art. 159 ff. SchKG
), die der Konkursverhandlung und -eröffnung vorausgeht. Nach der Konkursandrohung muss vielmehr zuerst die zwanzigtägige Frist ablaufen, die dem Schuldner
BGE 138 III 225 S. 229
nochmals zur Begleichung seiner Schuld zur Verfügung steht (
Art. 160 Abs. 1 Ziff. 3 und
Art. 166 Abs. 1 SchKG
). Sodann bedarf es nach Ablauf dieser Frist eines Konkursbegehrens des Gläubigers an das Konkursgericht (
Art. 166 SchKG
). Um das Konkursbegehren zu stellen, hat der Gläubiger eine - je nach den Umständen - mehr oder weniger lange Frist zur Verfügung: Er kann es - wie gesagt - frühestens nach Ablauf von zwanzig Tagen seit Zustellung der Konkursandrohung anbringen (
Art. 166 Abs. 1 SchKG
); zugleich muss er es innerhalb von 15 Monaten seit Zustellung des Zahlungsbefehls stellen, wobei diese Frist zwischen Einleitung und Erledigung eines durch einen allfälligen Rechtsvorschlag veranlassten Gerichtsverfahrens stillsteht (
Art. 166 Abs. 2 SchKG
). Zwischen Konkursandrohung bzw. Ablauf der letztmaligen Frist von zwanzig Tagen und der Einreichung des Konkursbegehrens kann demnach eine beträchtliche Zeitspanne liegen. Ohne die Initiative des Gläubigers gelangt das Verfahren von der Stufe des Betreibungsamts, das die Konkursandrohung ausstellt, somit nicht an das Konkursgericht.
Die Konkursandrohung begründet folglich kein Prozessrechtsverhältnis vor dem Konkursrichter (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 29. November 2004, in: ZR 104/2005 S. 174 ff.; DIGGELMANN/MÜLLER, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 2 zu
Art. 168 SchKG
). Erst durch das Konkursbegehren wird das Gerichtsverfahren auf Konkurseröffnung hängig. Der Schuldner könnte zwar allenfalls nach ungenutztem Ablauf der Zahlungsfrist und demgemäss vorprozessual mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass der Gläubiger den Konkurs anbegehren wird, sofern seit der Konkursandrohung keine allzu lange Zeitspanne verstrichen ist. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Pflicht zu einem Verhalten nach Treu und Glauben erst mit dem Prozessrechtsverhältnis entsteht. Der Gesichtspunkt des Bestehens oder Nichtbestehens eines Prozessrechtsverhältnisses bietet Rechtssicherheit, da sich für gleiche Verfahren jeweils gleich bestimmen lässt, ob ein Prozessrechtsverhältnis besteht und damit die Zustellungsfiktion greift oder ob dies nicht der Fall ist. Zugleich werden die Sorgfaltsanforderungen an den Schuldner nicht überspannt. Dem Schuldner kann deshalb nach Erhalt der Konkursandrohung noch nicht die Obliegenheit auferlegt werden, mit der Anzeige der Konkursverhandlung rechnen zu müssen (vgl. PIERRE-YVES BOSSHARD, Le recours contre le jugement de faillite, JdT 2010 II S. 119; a.A. PHILIPPE NORDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II,
BGE 138 III 225 S. 230
2. Aufl. 2010, N. 13 zu
Art. 168 SchKG
; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, 2001, N. 9 zu
Art. 168 SchKG
). Die Zustellungsfiktion ist folglich auf die Zustellung der Anzeige der Konkursverhandlung nicht anzuwenden.
Die Beschwerdeführerin räumt allerdings ein, eine Abholungseinladung erhalten zu haben. Die Vorinstanz hat keine Feststellungen über den Inhalt der Abholungseinladung getroffen, und sie liegt auch nicht in den Akten. Es lässt sich demnach nicht nachweisen, dass die Beschwerdeführerin aus der Abholungseinladung auf die Art der zuzustellenden Sendung schliessen konnte und sie vom Versuch wusste, ihr die Anzeige der Konkursverhandlung zuzustellen. Somit ist von vornherein ausgeschlossen, die Abholungseinladung als Ersatz für das fehlende Prozessrechtsverhältnis zu betrachten und die Pflicht zu einem Verhalten nach Treu und Glauben auf den Empfang der Abholungseinladung zurückzubeziehen.
3.3
Die Beschwerdeführerin hat die eingeschrieben versandte Anzeige nicht erhalten und die Zustellung kann nach dem Gesagten nicht fingiert werden. Dass den Parteien die Konkursverhandlung vor ihrer Durchführung angezeigt wird, ist jedoch ein formelles Erfordernis der Konkurseröffnung (ERNST BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, 1911, S. 573; JAEGER UND ANDERE, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 1997/99, N. 8 zu
Art. 168 SchKG
; DIGGELMANN/MÜLLER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 168 SchKG
; NORDMANN, a.a.O., N. 15 zu
Art. 168 SchKG
, mit Hinweisen). Geschieht dies nicht, wird den Parteien das rechtliche Gehör verweigert. Insbesondere dem Schuldner wird die Gelegenheit zum Nachweis von Tatsachen genommen, die zur Abweisung des Konkursbegehrens führen müssten (vgl.
Art. 172 SchKG
). Der Mangel ist dermassen schwerwiegend, dass eine Heilung vor der Rechtsmittelinstanz ausgeschlossen erscheint (
BGE 135 I 279
E. 2.6.1 S. 285; NORDMANN, a.a.O., N. 15 zu
Art. 168 SchKG
). Daran vermag weder die gebotene rasche Abwicklung des Konkurseröffnungsverfahrens etwas zu ändern noch die Möglichkeit, vor der Rechtsmittelinstanz in grosszügiger Weise Noven vorzubringen (
Art. 174 SchKG
). Da die Beschwerdeführerin an der Konkursverhandlung nicht teilgenommen hat, hat sie sich auch nicht vorbehaltlos auf das Verfahren eingelassen (vgl. dazu JAEGER UND ANDERE, a.a.O., N. 8 zu
Art. 168 SchKG
).
BGE 138 III 225 S. 231
3.4
Das Obergericht hat festgestellt, dass das Bezirksgericht der Beschwerdeführerin die Anzeige der Konkursverhandlung nach dem gescheiterten Zustellversuch nochmals mit gewöhnlicher A-Post gesandt und sie diese Sendung frühestens am 21. Oktober 2011 und damit am Tag der Konkursverhandlung entgegengenommen habe.
Diese zweite Zustellung ändert am Gesagten nichts. Die Vorinstanz schliesst nicht aus, dass der Beschwerdeführerin die erneute Anzeige erst nach Durchführung der Konkursverhandlung zugestellt worden ist. Sie kann deshalb genauso wenig als vor der Konkursverhandlung zugestellt gelten wie die erste, eingeschriebene Anzeige. Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob die Anzeige gemäss
Art. 168 SchKG
überhaupt mit A-Post verschickt werden darf (
Art. 138 Abs. 4 ZPO
) oder ob sie mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung versandt werden müsste (
Art. 138 Abs. 1 ZPO
). Da die Anzeige den Betroffenen die Teilnahme an der Verhandlung freistellt, handelt es sich nicht um eine Vorladung im technischen Sinne (BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 573), so dass
Art. 138 Abs. 1 ZPO
jedenfalls nur analog anzuwenden wäre. Welches die Rechtsfolgen der blossen Nichteinhaltung der Dreitagesfrist sind, vermag ebenfalls offenzubleiben. Die Lehre ist in dieser Hinsicht gespalten (für die zwingende Einhaltung der Frist: WEBER/BRÜSTLEIN/REICHEL, Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 1901, N. 1 zu
Art. 168 SchKG
; WERNER BAUMANN, Die Konkurseröffnung nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 1979, S. 102; NORDMANN, a.a.O., N. 15 zu
Art. 168 SchKG
; dagegen: JAEGER UND ANDERE, a.a.O., N. 8 zu
Art. 168 SchKG
; DIGGELMANN/MÜLLER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 168 SchKG
). Die Vorinstanz hält zwar für möglich (aber eben nicht für sicher), dass die zweite Anzeige der Beschwerdeführerin am Tag der Konkursverhandlung zugegangen ist, stellt aber selbst für diesen Fall nicht fest, dass ihr die Teilnahme an der Verhandlung tatsächlich noch möglich gewesen wäre. Es besteht somit kein Anlass, die Konsequenzen der blossen Nichteinhaltung der Dreitagesfrist zu untersuchen.
3.5
Mangels genügender Anzeige der Konkursverhandlung ist die Konkurseröffnung vom 30. November 2011 über die Beschwerdeführerin aufzuheben. Das Bezirksgericht wird die Konkursverhandlung erneut anzusetzen und anzuzeigen haben. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cfbc8cd8-ad83-4171-9800-f1afd016d38f | Urteilskopf
117 IV 302
55. Urteil des Kassationshofes vom 28. November 1991 i.S. A. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 95 Ziff. 2,
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
;
Art. 18 Abs. 3,
Art. 19 Abs. 2 StGB
.
Das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs ist auch bei fahrlässiger Begehung strafbar. Bei Fahrlässigkeit gilt aber anstelle der in
Art. 95 Ziff. 2 SVG
angedrohten Strafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse der bei Übertretungen allgemein übliche Strafrahmen von Haft oder Busse. | Sachverhalt
ab Seite 302
BGE 117 IV 302 S. 302
A.-
Die 2. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern sprach A. am 23. April 1991 des fahrlässigen Führens eines Personenwagens trotz Führerausweisentzugs (
Art. 95 Ziff. 2 SVG
) schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer Haftstrafe von 12 Tagen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von einem Jahr, und zu einer Busse von Fr. 1'500.--.
B.-
Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Generalprokurator des Kantons Bern hat unter Hinweis auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfügung des Strassenverkehrsamtes des Kantons Bern vom 17. Oktober 1989 der Führerausweis rückwirkend ab 4. September 1989 für die Dauer von 15 Monaten entzogen. Er ersuchte das Amt in der Folge
BGE 117 IV 302 S. 303
wiederholt um die vorzeitige Rückgabe des Ausweises. Er erhielt jeweils die Mitteilung, dass eine vorzeitige Rückgabe des Führerausweises jedenfalls nicht vor Ablauf von 9 Monaten Entzugsdauer, d.h. nicht vor dem 4. Juni 1990 in Betracht falle. Am 21. (Montag) oder 22. (Dienstag) Mai 1990 rief der Beschwerdeführer beim Strassenverkehrsamt an. Eine Frau X. teilte ihm auf seine Frage nach der vorzeitigen Rückgabe des Ausweises mit, es sehe gut aus; sie habe den Brief (die Verfügung) vom Sekretariat zurückerhalten und an ihren Chef weitergeleitet; der Brief werde, sofern der Chef ihn unterschreibe, noch diese Woche der Post übergeben.
Der Chef des Strassenverkehrsamtes bewilligte dann aber die Rückgabe des Führerausweises an den Beschwerdeführer erst auf Dienstag, 29. Mai 1990.
Am Samstag, 26. Mai 1990, um 17.15 Uhr, wurde der Beschwerdeführer von der Polizei am Steuer des Personenwagens "Maserati Turbo" auf dem Höheweg in Interlaken zur Kontrolle angehalten. Er hatte keinen Führerausweis bei sich.
2.
a) Die Vorinstanz billigte dem Beschwerdeführer zu, er habe sachverhaltsirrtümlich angenommen, dass die Verfügung des Strassenverkehrsamtes betreffend Rückgabe des Führerausweises am Freitag, 25. Mai 1990, der Post übergeben worden sei. Nach den weiteren Ausführungen im angefochtenen Urteil wäre der Beschwerdeführer am Samstag, 26. Mai 1990, obschon er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder im Besitz des Führerausweises war, zur Führung eines Personenwagens berechtigt gewesen, wenn die Rückgabeverfügung tatsächlich, wie er sich irrtümlich vorstellte, bereits am Freitag, 25. Mai 1990, der Post übergeben worden wäre; denn nach der Praxis des Strassenverkehrsamtes des Kantons Bern, die vom Obergericht als vertretbar erachtet wird, trete die Fahrberechtigung des Betroffenen mit der Postaufgabe der Rückgabeverfügung ein. Eine Verurteilung wegen (eventualvorsätzlichen) Führens eines Personenwagens trotz Führerausweisentzugs falle daher ausser Betracht.
b) Die Vorinstanz ist allerdings der Auffassung, dass der Beschwerdeführer seinen Irrtum, die Rückgabeverfügung sei am Freitag, 25. Mai 1990, der Post übergeben worden, bei pflichtgemässer Vorsicht hätte vermeiden können, dass also fahrlässiger Sachverhaltsirrtum gegeben und der Beschwerdeführer demzufolge (
Art. 19 Abs. 2 StGB
) wegen ebenfalls strafbaren (Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 95 Ziff. 2 SVG
) fahrlässigen
BGE 117 IV 302 S. 304
Führens eines Personenwagens trotz Führerausweisentzugs zu verurteilen sei.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei erstens fahrlässiges Führen eines Personenwagens trotz Führerausweisentzugs nicht strafbar und könne ihm zweitens im übrigen nicht Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
a) Frau X. teilte dem Beschwerdeführer im Telefongespräch vom 21. Mai (Montag) bzw. 22. Mai (Dienstag) 1990 mit, dass es gut aussehe und der Brief, sofern der Chef ihn unterschreibe, noch diese Woche der Post übergeben werde. Dem Beschwerdeführer musste aufgrund dieser Auskunft von Frau X. klar sein, dass die Verfügung zwar abgeschickt werde, sobald der Chef sie unterzeichnet habe, dass Frau X. aber keine Angaben über den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Verfügung durch den hiefür zuständigen Chef machen konnte und darauf keinen Einfluss hatte. Der Beschwerdeführer konnte aufgrund der Auskunft von Frau X. nicht davon ausgehen, dass der Brief vom Strassenverkehrsamt mit Sicherheit spätestens am Freitag, 25. Mai 1990, d.h. am letzten Arbeitstag in jener 21. Woche, der Post übergeben werde. Es blieb vielmehr für den Beschwerdeführer erkennbar weiterhin möglich, dass die Rückgabeverfügung erst später unterzeichnet und damit erst später der Post übergeben werde, beispielsweise am 4. Juni 1990, der in den Antworten des Strassenverkehrsamtes auf die früheren Gesuche des Beschwerdeführers jeweils als frühester Rückgabetermin genannt worden war. Unter diesen Umständen hätte der Beschwerdeführer bei pflichtgemässer Vorsicht entweder am letzten Arbeitstag der 21. Woche, d.h. am Freitag, 25. Mai 1990, da er die Verfügung noch nicht erhalten hatte, beim Strassenverkehrsamt anfragen müssen, ob die Verfügung nun abgeschickt worden sei, oder er hätte sich, entsprechend den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil, beim Dringlichkeitsschalter der Poststelle erkundigen müssen, ob etwas für ihn eingetroffen sei. Beide Anfragen, die zumutbar waren und keinen besonderen Aufwand erforderten, hätten ergeben, dass die Rückgabeverfügung am Freitag, 25. Mai 1990, noch nicht der Post übergeben worden war. Indem der Beschwerdeführer diese Nachforschungen unterliess und statt dessen kurzerhand davon ausging, dass der Chef von Frau X., mit dem er überhaupt nicht gesprochen hatte, die Rückgabeverfügung noch in jener 21. Woche unterzeichnen und
BGE 117 IV 302 S. 305
zur Versendung freigeben werde, handelte er pflichtwidrig unvorsichtig und somit fahrlässig.
Der Beschwerdeführer hätte mithin seinen ihm von der Vorinstanz zugebilligten Irrtum, die fragliche Verfügung des Strassenverkehrsamtes sei am 25. Mai 1990 der Post übergeben worden (worauf es, wie er eigenen Angaben zufolge wusste, nach der bernischen Praxis für die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ankam), bei Anwendung der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt vermeiden können. Es liegt somit nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz ein fahrlässiger Sachverhaltsirrtum vor.
b)
Art. 95 Ziff. 2 SVG
droht Haft von wenigstens 10 Tagen und Busse an. Diese Mindeststrafe ist gegenüber vergleichbaren Widerhandlungen im Sinne von
Art. 90 ff. SVG
, aber auch etwa gegenüber
Art. 292 StGB
(Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen), welche Haft oder Busse androhen, auffallend hoch. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass in Anbetracht der hohen Strafandrohung von
Art. 95 Ziff. 2 SVG
eine fahrlässige Begehung des Delikts durch den Gesetzgeber von der Bestrafung hätte ausgenommen werden sollen; da dies nicht geschehen sei, liege in Anbetracht der Systematik des Gesetzes und der Höhe der übrigen Sanktionen ein Versehen des Gesetzgebers vor, mithin eine Lücke, welche durch den Richter zu füllen sei; fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs sei daher nicht strafbar.
aa) Bei der Auslegung von Straftatbeständen ist auch der angedrohten Strafe Rechnung zu tragen (vgl. GERMANN, Interpretation gemäss den angedrohten Strafen, ZStrR 54/1940, S. 345 ff.; derselbe, Kommentar zum schweizerischen Strafgesetzbuch,
Art. 1 N 9.2
;
BGE 106 IV 25
,
BGE 116 IV 329
/330). Dafür sprechen bereits der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dem gerade auch im Strafrecht eine grosse Bedeutung zukommt, und das Schuldprinzip. Eine Auslegung von
Art. 95 Ziff. 2 SVG
unter Berücksichtigung der darin angedrohten Strafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse könnte tatsächlich die Annahme nahelegen, dass nur vorsätzliches, nicht auch fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs strafbar sei. Für eine solche Annahme spricht auch
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
, wonach die Dauer des Führerausweisentzugs unter anderem dann mindestens 6 Monate beträgt, "wenn der Führer trotz Ausweisentzuges ein Motorfahrzeug geführt hat".
BGE 117 IV 302 S. 306
Die angedrohte Sanktion ist indessen nur eine unter mehreren Auslegungshilfen. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Sanktion und insbesondere gerade auch bei der Festlegung relativ hoher Mindeststrafen meist nur die ihm schwerwiegend erscheinenden, mehr oder weniger typischen Fälle vor Augen hat; gelegentlich ist es gar ein besonders spektakulärer, aktueller Fall, welcher den Gesetzgeber dazu verleitet, bei einem bestimmten Straftatbestand eine hohe Mindeststrafe festzulegen. Aus diesen Gründen kann unter Umständen der Schluss näherliegen, in bezug auf die relativ untypischen Fälle zwar ebenfalls die Strafbarkeit zu bejahen, aber die insoweit (zu) hohe Mindeststrafe ausser acht zu lassen. So verhält es sich aus nachstehenden Gründen im vorliegenden Fall.
bb) Gemäss
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
ist auch die fahrlässige Handlung strafbar, wenn es dieses Gesetz nicht ausdrücklich anders bestimmt.
Art. 95 Ziff. 2 SVG
bestimmt nicht ausdrücklich, dass das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs nur bei vorsätzlichem Handeln strafbar sei. Es kann auch nicht gesagt werden, dass nach dem Sinn von
Art. 95 Ziff. 2 SVG
nur die vorsätzliche Begehung mit Strafe bedroht ist (vgl. dazu
Art. 333 Abs. 3 StGB
). Fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs ist, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, möglich. Die Fahrlässigkeit wird sich zwar kaum je auf das Führen des Fahrzeugs als solches beziehen, als vielmehr darin bestehen, dass der Fahrzeuglenker fahrlässig beispielsweise dem Sachverhaltsirrtum erlag, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wiedererlangung der Fahrberechtigung seien erfüllt. Wenn gemäss
Art. 95 Ziff. 1 Abs. 3 SVG
strafbar ist, wer ein Motorfahrzeug einem Führer überlässt, von dem er "bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen kann", dass er den erforderlichen Ausweis nicht hat, dann muss auch der Fahrzeugführer strafbar sein, der bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen kann, dass er die Fahrberechtigung noch nicht wiedererlangt hat. Zwar wird der Tatbestand von
Art. 95 Ziff. 2 SVG
in der Regel vorsätzlich erfüllt und ist fahrlässige Begehung wohl nur unter der Annahme eines fahrlässigen Sachverhaltsirrtums betreffend die tatsächlichen Voraussetzungen der (Wieder)Erlangung der Fahrberechtigung denkbar. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass sich den Gesetzesmaterialien, soweit überblickbar, keine Antwort auf die Frage entnehmen lässt, ob nur vorsätzliches oder auch fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs strafbar
BGE 117 IV 302 S. 307
sei. Angesichts des unmissverständlichen
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
muss die Strafbarkeit fahrlässigen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs bejaht werden. Gemäss Schultz erfüllt der Täter den Tatbestand von
Art. 95 Ziff. 2 SVG
, wenn er "wusste oder bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit wissen konnte, dass ihm der Führerausweis entzogen oder verweigert worden war" (Die Strafbestimmungen des SVG, 1964, S. 261). Es sind keine sachlichen Gründe für die Straflosigkeit des fahrlässigen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs ersichtlich. Wer bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte erkennen können, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wiedererlangung der Fahrberechtigung (noch) nicht erfüllt sind, ist nicht eo ipso weniger strafwürdig als der Lenker, der fahrlässig beispielsweise ein Signal übersieht.
Art. 95 Ziff. 2 SVG
erfasst somit auch das fahrlässige Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs.
cc)
Art. 95 Ziff. 2 SVG
enthält aber hinsichtlich der Strafandrohung insoweit eine Lücke, als darin nicht zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten differenziert wird. Zwar sehen auch die übrigen Strafbestimmungen des SVG, mit Ausnahme von Art. 93 Ziff. 1 betreffend die Beeinträchtigung der Betriebssicherheit eines Fahrzeugs, keine solche Differenzierung vor. Bei den üblichen Strafrahmen Haft oder Busse bzw. Gefängnis oder Busse kann aber dem vergleichsweise geringeren Verschulden des fahrlässig handelnden Täters bei der Strafzumessung nach
Art. 63 StGB
gebührend Rechnung getragen werden. Diese Möglichkeit besteht bei der in
Art. 95 Ziff. 2 SVG
angedrohten Strafe nicht. Die Strafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse kann in einzelnen Fällen, gerade bei bloss fahrlässigem Verhalten, unverhältnismässig hoch sein.
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
, wonach "in besonders leichten Fällen" von der Strafe Umgang genommen oder diese gemildert (siehe dazu
BGE 95 IV 25
) werden kann, bietet kein hinreichendes Korrektiv, da die Rechtsprechung an den besonders leichten Fall hohe Anforderungen stellt und nicht jede fahrlässige Erfüllung des Tatbestandes einen besonders leichten Fall darstellt. Die sachgerechte Lösung kann nur darin liegen, dass für fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs nicht die in
Art. 95 Ziff. 2 SVG
angedrohte Strafe, sondern der Strafrahmen Haft oder Busse gelten soll, also der übliche Strafrahmen, welcher beispielsweise in
Art. 90 Ziff. 1 SVG
,
Art. 95 Ziff. 1 SVG
und
Art. 96 VRV
vorgesehen ist.
BGE 117 IV 302 S. 308
dd) In welcher Weise
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
betreffend den Führerausweisentzug auszulegen ist, soweit bloss fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs in Frage steht, ist vorliegend nicht zu beurteilen. Es sei immerhin darauf hingewiesen, dass die II. öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in einem nicht publizierten Urteil vom 26. Juni 1981 i.S. H. c. Rekurskommission des Kantons Bern - welches übrigens einen Fall fahrlässigen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs, begangen durch eine Fahrzeuglenkerin, die eine Verfügung unter anderem wegen sprachlichen Schwierigkeiten falsch verstanden hatte, betraf - unter anderem in analoger Anwendung von
Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG
erkannt hat, dass die Administrativbehörden die gesetzliche Mindestdauer des Ausweisentzugs wegen Fahrens trotz Führerausweisentzugs von 6 Monaten in besonders leichten Fällen unterschreiten können, dabei aber die Mindestentzugsdauer von einem Monat gemäss
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
beachten müssen (vgl. auch MICHEL PERRIN, Délivrance et retrait du permis de conduire, Fribourg 1982, p. 179).
ee) Es ergibt sich somit zusammenfassend, dass auch fahrlässiges Führen eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs strafbar ist, dass aber insoweit anstelle der in
Art. 95 Ziff. 2 SVG
angedrohten Strafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse bloss der bei Übertretungen übliche Strafrahmen von Haft oder Busse gelten kann.
ff) Das Obergericht hat in seinen Ausführungen zur Strafzumessung zwar erkannt, dass der Gesetzgeber mit der in
Art. 95 Ziff. 2 SVG
angedrohten Mindeststrafe von wenigstens 10 Tagen Haft und Busse "der fahrlässigen Begehung dieses Deliktes sicherlich nicht in jedem Fall gerecht" wird, es ist aber offensichtlich davon ausgegangen, dass es diese Mindeststrafe dennoch zu respektieren habe. Es ist demnach möglich, dass die Vorinstanz andernfalls eine andere Strafe ausgefällt hätte.
Die Sache ist daher in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese über das Strafmass auf der Grundlage eines Strafrahmens von Haft oder Busse erneut entscheide.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer eine reduzierte Gerichtsgebühr und einen Teil der übrigen bundesgerichtlichen Kosten zu tragen und ist ihm für das bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung
BGE 117 IV 302 S. 309
auszurichten. Diese Beträge sind ungefähr gleich hoch und werden daher miteinander kompensiert. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfbd7d94-e177-49ac-a468-bf5cc1811f5a | Urteilskopf
99 Ib 200
24. Urteil vom 13. August 1973 i.S. Aktionskomitee gegen das aufgelegte N2-Autobahnprojekt Sursee und Mitbeteiligte gegen Luzern, Kanton und Regierungsrat. | Regeste
Nationalstrassenbau; Einsprache gegen das Ausführungsprojekt,
Art. 27 NSG
.
Der Einspracheentscheid gemäss
Art. 27 Abs. 2 NSG
unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1).
Zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur legitimiert, wer für das umstrittene Nationalstrassenteilstück Land abzutreten hat oder im Sinne von
Art. 30 EntG
an einem Enteignungsverfahren "beteiligt" ist (Erw. 2).
Eine grundsätzliche Kritik am generellen Projekt für eine Nationalstrasse, insbesondere an der generellen Linienführung, kann im Einspracheverfahren nach
Art. 27 NSG
nicht mehr erhoben werden (Verdeutlichung der Rechtsprechung). Dagegen sind in diesem Verfahren auch solche Begehren um Änderung des Ausführungsprojekts zu prüfen, die - würde ihnen entsprochen - die zuständigen Behörden zu einer Änderung des generellen Projekts veranlassen könnten (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 99 Ib 200 S. 201
A.-
Am 28. Juni 1963 genehmigte der Bundesrat die generellen Projekte der N2 für die Abschnitte Kantonsgrenze Aargau/Luzern - Sursee und Sursee - Emmen. In Zusammenarbeit mit dem Eidg. Amt für Strassen- und Flussbau (ASF) arbeitete das kantonale Tiefbauamt Luzern in der Folge das Ausführungsprojekt für die Strecke Sursee - Schenkon - Eich aus, das in den betroffenen Gemeinden vom 27. Februar bis 30. März 1971 öffentlich aufgelegt wurde. Gegen das Projekt gingen zahlreiche Einsprachen ein, in denen namentlich verlangt wurde, die generelle Linienführung entlang des Sempachersees aufgrund der in den letzten Jahren erlassenen neuen Gesetze und Verordnungen zu überprüfen und unter dem Gesichtswinkel des Natur- und Heimatschutzes, des Umweltschutzes, des Gewässerschutzes, der Trinkwasserversorgung, der Forstwirtschaft und der Erhaltung von Erholungsgebieten neu zu überdenken. Einzelne
BGE 99 Ib 200 S. 202
Einsprecher beantragten ferner, das Ausführungsprojekt im Bereich ihrer Grundstücke abzuändern oder zu ergänzen.
Gestützt auf Art. 27 Abs. 2 des BG über die Nationalstrassen (NSG; SR 725.11) in Verbindung mit § 10 Abs. 5 der kantonalen Vollziehungsverordnung zum NSG vom 22. Januar 1962 (kant. VV-NSG) entschied der Regierungsrat am 22. November 1971 in einem einzigen Beschluss über sämtliche Einsprachen. Das Dispositiv dieses Beschlusses lautet wie folgt:
"1. Die Einsprachen werden im Sinne der vorstehend zu den einzelnen Eingaben angeführten Erwägungen entschieden.
2. Das Baudepartement wird beauftragt, das Auflageprojekt dem Eidg. Departement des Innern zur Genehmigung einzureichen, wobei diesem die aus den Einspracheentscheiden sich ergebenden Abänderungen zu beantragen sind; nach der Genehmigung ist für die getroffenen Projekttänderungen das in
Art. 28 NSG
vorgeschriebene erneute Einspracheverfahren durchzuführen."
Soweit die Einsprecher das generelle Projekt beanstandeten, lehnte es der Regierungsrat unter Hinweis auf Art. 12 ff. der bundesrätlichen Vollziehungsverordnung zum NSG (VV-NSG; SR 725.111) ab, die generelle Linienführung der N2 entlang des Sempachersees erneut grundsätzlich zu überprüfen und entsprechende weitere Abklärungen zu treffen. Dennoch nahm er zu den Vorbringen der Einsprecher Stellung und legte dar, weshalb sich seines Erachtens keine Änderung der generellen Linienführung aufdränge. Was die Kritik am aufgelegten Ausführungsprojekt als solchem anbelangte, ging der Regierungsrat auf die einzelnen Abänderungsanträge ein und sicherte bestimmte, den Einsprachebegehren teilweise entsprechende Vorkehren zu.
B.-
Das am Einspracheverfahren beteiligte "Aktionskomitee gegen das aufgelegte N2-Autobahnprojekt Sursee", der "Verein Aktion zur Erhaltung des Sempachersees und der umliegenden Erholungszonen" sowie 18 weitere Einsprecher und Grundeigentümer haben am 23. Dezember 1971 Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss des Regierungsrats des Kantons Luzern aufzuheben und die Sache zur Vervollständigung und neuen Entscheidung an den Regierungsrat zurückzuweisen.
Die Beschwerdeführer machen im wesentlichen geltend, der Regierungsrat wäre verpflichtet gewesen, das generelle Projekt im Sinne der Einsprachevorbringen zu überprüfen und dabei die seit der Genehmigung des generellen Projekts erfolgte Entwicklung der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung zu
BGE 99 Ib 200 S. 203
berücksichtigen. Weiter rügen sie in diesem Zusammenhang eine Gehörsverweigerung sowie eine unrichtige bzw. unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (
Art. 104 lit. b OG
) mit der Begründung, der Regierungsrat habe es entgegen ihrem ausdrücklichen Antrag unterlassen, weitere Vernehmlassungen und Berichte interessierter Amtsstellen und privater Institutionen einzuholen. Endlich bringen sie vor, der Regierungsrat habe einzelne Einsprachen überhaupt nicht behandelt, so namentlich jene des Beschwerdeführers Viktor Kuhn vom 29. März 1971.
C.-
Schultheiss und Regierungsrat des Kantons Luzern beantragen, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
D.-
Bereits am 15. September 1971 hatten das "Aktionskomitee gegen das aufgelegte N2-Autobahnprojekt Sursee" und weitere Einsprecher den Bundesrat um Wiedererwägung seines Genehmigungsentscheids vom 28. Juni 1963 ersucht. Das gleiche Begehren stellten am 20. März 1972 der "Verein Aktion zur Erhaltung des Sempachersees und der umliegenden Erholungszonen" und 187 weitere Interessierte. Dabei bezeichneten die Gesuchsteller die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde als integrierenden Bestandteil ihrer an den Bundesrat gerichteten Eingabe.
Mit Schreiben vom 15. März 1972 teilte die Eidg. Justizabteilung dem Bundesgericht im Meinungsaustauschverfahren nach Art. 113 in Verbindung mit
Art. 96 Abs. 2 OG
mit, dass es sich ihrer Ansicht nach rechtfertige, das Beschwerdeverfahren bis zum Entscheid des Bundesrats über die hängigen Wiedererwägungsgesuche ruhen zu lassen. Hierauf erliess der Instruktionsrichter am 20. März 1972 eine entsprechende Verfügung.
Nachdem das Eidg. Departement des Innern (EDI) ergänzende Berichte des Eidg. Amtes für Umweltschutz, des Delegierten für Raumplanung und der Eidg. Natur- und Heimatschutzkommission eingeholt und am 2. Mai 1972 an Ort und Stelle einen Augenschein vorgenommen hatte, wies der Bundesrat die beiden Wiedererwägungsgesuche am 12. Juni 1973 auf Antrag des EDI ab. Die entsprechenden Beschlüsse, die 13 bzw. 21 Seiten umfassen, enthalten folgende Zusammenfassung der vom Bundesrat angestellten Erwägungen (Ziff. 12 bzw. 15):
"Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass keines der ... geltend gemachten Argumente gegen das aufgelegte Ausführungsprojekt
BGE 99 Ib 200 S. 204
der N2 in den Gemeinden Sursee, Schenkon und Eich zutreffend oder derart gewichtig ist, dass sich ein Zurückkommen auf den Entscheid des Bundesrates vom 28. Juni 1963 über die Genehmigung der entsprechenden generellen Projekte rechtfertigen würde. Ohne die Bedenken und Anliegen des Aktionskomitees und der weiteren Einsprecher geringschätzen zu wollen, darf behauptet werden, dass den Gemeinden am rechten Ufer des Sempachersees durch den Autobahnbau keine Opfer auferlegt und keine Nachteile verursacht werden, die beim Nationalstrassenbau nicht auch anderen Gemeinden unseres Landes auferlegt werden mussten. Die Inkaufnahme voraussichtlich wesentlich höherer Baukosten und die weitere Verzögerung in der Inangriffnahme der Arbeiten durch eine Neuprojektierung der Trasseführung der Nationalstrasse N2 längs des Sempachersees liesse sich bei dieser Sachlage nicht verantworten. Die Interessen des Nationalstrassenbaus und des Strassenverkehrs, also die Interessen einer weiteren Allgemeinheit, haben den im Wiedererwägungsgesuch ... geltend gemachten Belangen, die weitgehend als Sonderinteressen zu qualifizieren sind, vorzugehen. Dabei sollen aber schutzwürdige Anliegen der Gemeinden Sursee, Schenkon und Eich nicht unberücksichtigt bleiben. Vielmehr wird bei der endgültigen Bereinigung des Ausführungsprojekts zu prüfen sein, inwieweit berechtigten Begehren der Gemeinden noch entsprochen werden kann. Untersucht werden ein Eindecken des Einschnitts bei Mariazell, verbunden mit einer Tieferlegung des Strassentrassees, Projektänderungen zwischen Schenkon und Eich, eine Tieferlegung des Trassees beim Dorfe Eich sowie eine Verlegung des daselbst vorgesehenen Rastplatzes und schliesslich eine hangseitige Trasseeverschiebung oberhalb des Städtchens Sempach."
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 39 Abs. 2 NSG
ist es dem von einem Nationalstrassenprojekt betroffenen Grundeigentümer verwehrt, in einem gestützt auf das genehmigte Ausführungsprojekt eingeleiteten Enteignungsverfahren Einwendungen gegen die Linienführung zu erheben. Entsprechende Abänderungsbegehren sind vielmehr im Einspracheverfahren nach
Art. 27 NSG
zu stellen und von der zuständigen kantonalen Behörde im Zusammenhang mit der Bereinigung des Ausführungsprojekts zu prüfen. Mit dem Abschluss dieses Verfahrens wird der Kanton sinngemäss ermächtigt, das für den Nationalstrassenbau erforderliche Land nach Massgabe von
Art. 30 ff. NSG
zu erwerben. Der Einspracheentscheid gemäss
Art. 27 Abs. 2 NSG
stellt demnach eine Verfügung im Sinne von Art. 5 VwG dar und unterliegt als Erkenntnis einer letzten kantonalen Instanz der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 98 lit. g OG
). Dass es sich dabei um eine Verfügung über Pläne
BGE 99 Ib 200 S. 205
handelt, ändert daran nichts, denn nach der Ausnahmebestimmung in
Art. 99 lit. c OG
sind auch solche Entscheidungen mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - sinngemäss Einsprachen gegen Enteignungen oder Landumlegungen betreffen (vgl.
BGE 97 I 579
Erw. 1). Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Regierungsrat des Kantons Luzern gestützt auf
Art. 27 Abs. 2 NSG
in Verbindung mit § 10 Abs. 5 kant. VV-NSG formell über Einsprachen gegen das Ausführungsprojekt entschieden. Die dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher zulässig.
Ob das Ausführungsprojekt in der vom Regierungsrat bereinigten Form verwirklicht wird, bleibt freilich auch dann ungewiss, wenn das Bundesgericht die vorliegende Beschwerde abweist, denn nach
Art. 28 NSG
ist es Sache des EDI, die bereinigten Ausführungsprojekte zu genehmigen und im Falle wesentlicher Projektänderungen ein neues Auflage- und Einspracheverfahren durchzuführen. Im angefochtenen Beschluss beantragt der Regierungsrat dem EDI denn auch ausdrücklich die von ihm beschlossenen Projektänderungen im Verfahren nach
Art. 28 NSG
zu genehmigen. Dieses Genehmigungsverfahren vor dem EDI bildet jedoch nicht Teil des Einspracheverfahrens im Sinne von
Art. 27 NSG
, sondern folgt diesem als selbständiges Verfahren nach; es bezweckt die Freigabe der bereinigten Projekte zur Bauausführung (BBl 1959 II 120 oben) und wird von Amtes wegen ohne Beteiligung der Einsprecher durchgeführt, sofern kein neues Auflageverfahren im Sinne von
Art. 28 Abs. 2 NSG
nötig ist. Aus diesem Grund steht es auch einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung eines Einspracheentscheids gemäss
Art. 27 Abs. 2 NSG
nicht entgegen. Die komplizierte Kompetenzaufteilung im Nationalstrassenrecht hat freilich zur Folge, dass das EDI im Verfahren nach
Art. 28 NSG
an einen bundesgerichtlichen Beschwerdeentscheid insofern nicht gebunden ist, als es einem vor dem Bundesgericht bereinigten Ausführungsprojekt die Genehmigung verweigern und von sich aus Änderungen desselben anordnen kann. Diese Besonderheit entspricht jedoch offenbar dem Willen des Gesetzgebers.
2.
Nach
Art. 103 lit. a OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
BGE 99 Ib 200 S. 206
oder Abänderung hat. Das Interesse des Beschwerdeführers ist im Sinne des Gesetzes schutzwürdig, wenn er durch die angefochtene Verfügung unmittelbar in seiner rechtlichen oder tatsächlichen Stellung betroffen wird. Erforderlich ist somit eine beachtenswerte, nahe Beziehung des Beschwerdeführers zur Streitsache. Der Beschwerdeführer muss demnach durch die angefochtene Verfügung in höherem Masse als irgend jemand oder die Allgemeinheit berührt sein (
BGE 98 Ib 70
, 74;
BGE 99 Ib 105
ff.).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall für jene Beschwerdeführer ohne weiteres erfüllt, die für das umstrittene Nationalstrassenteilstück Land abzutreten haben oder denen die Stellung eines "Beteiligten" im Sinne von
Art. 30 EntG
zukommt, beispielsweise weil sie die vom Werk ausgehenden Immissionen hinzunehmen haben und unter bestimmten Voraussetzungen die Enteignung von nachbarrechtlichen Unterlassungsansprüchen erwirken können (unveröffentlichtes Urteil vom 8. März 1972 i.S. Fessel, Erw. 2).
Nicht legitimiert sind indessen die beschwerdeführenden Organisationen. Wie bereits erwähnt, sind die Beschwerdevorbringen sinngemäss als Einsprachen gegen eine künftige Enteignung zu behandeln (vgl. oben Erw. 1 sowie
Art. 99 lit. c OG
). Daraus folgt, dass sich nur die Betroffenen selbst gegen eine Inanspruchnahme ihrer Grundstücke bzw. gegen eine auf dem Enteignungsweg zu erwirkende Beschränkung ihrer Rechte zur Wehr setzen können, denn nur sie selbst sind durch das angefochtene Projekt berührt und imstande, unter Hinweis auf die besondere Lage und Beschaffenheit ihrer Grundstücke im konkreten Fall eine allfällige Missachtung bundesrechtlicher Vorschriften zu begründen. Auf die Beschwerde des Aktionskomitees gegen das aufgelegte N2-Autobahnprojekt Sursee, des Aktionskomitees zur Erhaltung des Surseer Waldes und des östlichen Trichterufers als Naherholungszone der Stadt Sursee und des Vereins Aktion zur Erhaltung des Sempachersees und der umliegenden Erholungszonen (Beschwerdeführer Nr. 1, 3 und 4) kann daher nicht eingetreten werden.
3.
Die Beschwerdeführer beanstanden zur Hauptsache die Linienführung des generellen Projekts, das dem Ausführungsprojekt zugrunde liegt. Sie werfen dem Regierungsrat sinngemäss vor, er habe die nach
Art. 5 Abs. 2 NSG
in Betracht fallenden öffentlichen Interessen nicht mit der gebotenen Sorgfalt
BGE 99 Ib 200 S. 207
gegeneinander abgewogen und im Einspracheverfahren nach
Art. 27 NSG
zu Unrecht darauf verzichtet, das generelle Projekt zu überprüfen und zu diesem Zweck ergänzende Berichte verschiedener Amtsstellen und Organisationen einzuholen. In der Ablehnung entsprechender Beweisanträge erblicken die Beschwerdeführer eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Sie weisen indessen ausdrücklich darauf hin, dass die privaten Interessen der betroffenen Grundeigentümer im vorliegenden Verfahren "nicht besonders Erwähnung finden könnten" (Beschwerdeschrift S. 7). Die Beschwerdeführer machen denn auch nicht geltend, das Ausführungsprojekt beschränke die Eigentumsrechte einzelner betroffener Grundeigentümer in unzulässiger Weise, lasse ihre privaten Interessen unberücksichtigt und verstosse damit gegen Bundesrecht.
Im Urteil 97 I 578 hat das Bundesgericht ausgeführt, das NSG sehe kein Rechtsmittel vor, mit dem das generelle Projekt angefochten werden könne. Unter Hinweis auf einen Einspracheentscheid des Bundesrats vom 22. Januar 1969 (ZBl 71/1970, S. 124) und im Interesse eines angemessenen Rechtsschutzes der Betroffenen hat es daraus den Schluss gezogen, dass mit der Einsprache gemäss
Art. 27 NSG
auch eine vom generellen Projekt abweichende Linienführung verlangt werden könne und dass die zur Beurteilung zuständige kantonale Behörde solche Vorbringen materiell zu prüfen habe.
Diese Erwägungen bedürfen einer Einschränkung. Nach
Art. 13 NSG
wird die generelle Projektierung vom ASF in Zusammenarbeit mit den interessierten Bundesstellen und Kantonen durchgeführt. Art. 12 VV-NSG sieht in diesem Zusammenhang vor, dass das generelle Projekt nach Möglichkeit so genau ausgearbeitet und im Bereinigungsverfahren derart festgelegt werden soll, dass keine wesentlichen Verschiebungen der Linienführung mehr zu erwarten sind. Mit Rücksicht darauf ist das vom ASF ausgearbeitete generelle Projekt den interessierten Kantonen zu unterbreiten, welche die durch den Strassenbau betroffenen Gemeinden und allenfalls die Grundeigentümer zur Stellungnahme einzuladen haben (
Art. 19 Abs. 1 NSG
). Das ASF hat die Vernehmlassungen zu prüfen und das generelle Projekt in Zusammenarbeit mit den interessierten Bundesstellen und Kantonen zu bereinigen (
Art. 19 Abs. 2 NSG
). Hernach ist es dem Bundesrat zur Genehmigung vorzulegen (
Art. 20 NSG
). Nach dem Willen des Gesetzgebers bezweckt dieses Verfahren,
BGE 99 Ib 200 S. 208
künftige Einsprachen gegen die generelle Linienführung grundsätzlich auszuschliessen (BBl 1959 II 116, StenB Ständerat 1959, 387). Ob den betroffenen Grundeigentümern Gelegenheit gegeben werden soll, sich vor der Genehmigung durch den Bundesrat zum generellen Projekt zu äussern, bleibt den Kantonen überlassen (StenB Ständerat 1959, 387/8; StenB Nationalrat 1959, 808). Der Kanton Luzern hat entsprechende Vorschriften aufgestellt und die Gemeinden in § 9 Abs. 1 kant. VV-NSG angewiesen, das generelle Projekt während 30 Tagen öffentlich aufzulegen und den betroffenen Grundeigentümern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Von Bundesrechts wegen steht dem betroffenen Grundeigentümer somit in der Tat kein förmliches Rechtsmittel gegen das generelle Projekt offen. Diese Ordnung ist jedoch nach dem Gesagten vom Gesetzgeber gewollt und soll es dem Bundesrat gestatten, die Linienführung einer Nationalstrasse mit der Genehmigung des generellen Projekts wenn immer möglich endgültig festzulegen (StenB Ständerat 1959, 387). Unter diesen Umständen besteht kein Grund, dem betroffenen Grundeigentümer im Einspracheverfahren nach
Art. 27 NSG
und in einem nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zu einer grundsätzlichen Kritik an der generellen Linienführung einer Nationalstrasse zuzulassen, um so weniger als das Bundesgericht Entscheide des Bundesrats - abgesehen von den im Gesetz abschliessend aufgezählten Fällen - nicht zu überprüfen hat (vgl.
Art. 98 lit a OG
). Damit ist indessen nicht gesagt, dass der Betroffene notwendigerweise schutzlos bleiben muss und sich mit dem vom Bundesrat genehmigten generellen Projekt abzufinden hat. Wie gerade der vorliegende Fall zeigt, kann er entsprechende Abänderungsbegehren mit Aussicht auf Erfolg in einem Wiedererwägungsgesuch gegen den bundesrätlichen Genehmigungsentscheid stellen. Nach dem Sinn der gesetzlichen Ordnung muss es aber damit sein Bewenden haben, wenn die Planung von Nationalstrassen nicht übermässig erschwert werden soll. Aus den Ausführungen im erwähnten Urteil 97 I 578 darf somit nicht geschlossen werden, der Einsprecher könne sich im Verfahren nach
Art. 27 NSG
darauf beschränken, eine Änderung des generellen Projekts zu verlangen, und die kantonale Behörde sei verpflichtet, auf eine solche Kritik am bundesrätlichen Genehmigungsentscheid einzugehen.
BGE 99 Ib 200 S. 209
Richtig ist freilich, dass eine Einsprache gegen das Ausführungsprojekt (
Art. 27 Abs. 1 NSG
) ausnahmsweise auf eine Änderung der durch das generelle Projekt festgelegten Linienführung abzielen kann (vgl.
BGE 97 I 578
). Wird beispielsweise geltend gemacht, die Inanspruchnahme eines grösseren Grundstücks sei bundesrechtswidrig, weil das private Interesse an der Schonung der Parzelle gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Erstellung des Werks am vorgesehenen Ort überwiege oder weil der Verwirklichung des Projekts gewichtige andere öffentliche Interessen entgegenstünden (vgl.
Art. 5 NSG
), so könnte die Gutheissung der Einsprache in besonderen Fällen eine Änderung der durch das generelle Projekt festgelegten Linienführung nötig machen. Wie das Bundesgericht im erwähnten Urteil
BGE 97 I 578
/9 erkannt hat, gestattet es diese mögliche Folge nicht, eine solche Kritik am Ausführungsprojekt als zum vorneherein unzulässig zu bezeichnen. Die kantonale Behörde ist vielmehr auch dann verpflichtet, sich mit den Vorbringen eines Einsprechers auseinanderzusetzen, wenn diese sich auf das Ausführungsprojekt beziehen und eine antragsgemässe Änderung desselben allenfalls eine Änderung der generellen Linienführung nach sich ziehen könnte. Daran ist festzuhalten. Der Betroffene hat jedoch stets darzutun, weshalb das Ausführungsprojekt im Bereich seines Grundstücks gegen Bundesrecht verstossen soll (vgl.
BGE 97 I 584
). Er kann sich mit andern Worten nicht darauf beschränken, unter Geltendmachung allgemeiner öffentlicher Interessen die generelle Linienführung als solche zu beanstanden. Ferner kann er im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht rügen, das angefochtene Projekt sei unangemessen, da das NSG keine Vorschrift enthält, welche diese Rüge zulässt (
Art. 104 lit. c Ziff. 3 OG
; unveröffentlichtes Urteil vom 8. Oktober 1971 i.S. Röthlin). Ist die Kritik am Ausführungsprojekt im konkreten Fall begründet und eine entsprechende Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen, so ist es ausschliesslich Sache des EDI, im Genehmigungsverfahren nach
Art. 28 NSG
zu prüfen, ob damit eine Änderung der generellen Linienführung notwendig geworden ist. Bejahendenfalls hat es dem Bundesrat einen entsprechenden Antrag zu stellen, denn nur dieser ist zur Änderung der generellen Linienführung befugt (
Art. 20 NSG
).
4.
Der Regierungsrat ist auf die Kritik der betroffenen Grundeigentümer am Ausführungsprojekt eingegangen, und
BGE 99 Ib 200 S. 210
zwar auch in jenen Fällen, in denen damit sinngemäss eine Abänderung der generellen Linienführung verlangt wurde. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb er den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert und sich damit einer Bundesrechtsverletzung schuldig gemacht haben soll. Der Entscheid über die Einholung ergänzender Stellungnahmen von Fachinstanzen des Bundes oder von privaten Organisationen lag weitgehend im Ermessen des Regierungsrats. Nach den gesamten Umständen kann ihm in diesem Zusammenhang weder Ermessensmissbrauch noch Ermessensüberschreitung vorgeworfen werden. Ebensowenig kann ihm eine unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts zur Last gelegt werden. Er hat die tatsächlichen Verhältnisse vielmehr sorgfältig geprüft und im Rahmen der ihm obliegenden Interessenabwägung einen Entscheid getroffen, der dem Bundesgericht im Rahmen der ihm zustehenden beschränkten Überprüfungsbefugnis (vgl.
BGE 97 I 583
ff.,
BGE 98 Ib 216
ff.) keinen Anlass zu Kritik gibt, um so weniger als die Beschwerdeführer lediglich die generelle Linienführung beanstanden und auf die Geltendmachung privater Interessen ausdrücklich verzichten.
Soweit die Einsprecher lediglich in grundsätzlicher Weise eine Abänderung der generellen Linienführung verlangten, wäre der Regierungsrat nicht verpflichtet gewesen, auf ihre Vorbringen einzugehen, denn diese Beanstandungen waren ihrer Natur nach mit einem Wiedererwägungsgesuch beim Bundesrat geltend zu machen (vgl. oben Erw. 3). Mit Recht haben die Beschwerdeführer denn auch von diesem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht und ihre Verwaltungsgerichtsbeschwerde als Bestandteil des Wiedererwägungsgesuchs bezeichnet. Der Regierungsrat machte sich somit auch keiner Rechtsverweigerung schuldig, wenn er auf die Einsprache des Beschwerdeführers Viktor Kuhn vom 29. März 1971 nicht besonders einging, denn in dieser wurde lediglich in allgemeiner Form Kritik an der generellen Linienführung geübt, auf die der Regierungsrat nach dem Gesagten nicht näher einzutreten brauchte und die er im übrigen mit seinen Ausführungen zu den Vorbringen anderer Einsprecher sinngemäss materiell behandelte.
Abgesehen von der Rüge der formellen Rechtsverweigerung, die sich als unbegründet erwiesen hat, enthält die Verwaltungsgerichtsbeschwerde lediglich in allgemeiner Form gehaltene Beanstandungen der generellen Linienführung des Nationalstrassenteilstückes
BGE 99 Ib 200 S. 211
Sursee - Schenkon - Eich. Im Rahmen der Überprüfung eines Einspracheentscheids im Sinne von
Art. 27 Abs. 2 NSG
kann das Bundesgericht darauf nicht eingehen (vgl. oben Erw. 3), denn diese Vorbringen können ihrer Natur nach nur Gegenstand eines Wiedererwägungsgesuchs beim Bundesrat bilden, wie es übrigens im vorliegenden Fall gestellt und vom Bundesrat materiell beurteilt worden ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cfc54f87-2658-4638-83c8-df3c230d3f25 | Urteilskopf
109 IV 106
29. Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1983 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen K. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Rev.
Art. 139 Ziff. 3 StGB
, Lebensgefahr des Opfers.
Wer auf kurze Distanz eine scharf geladene (wenn auch gesicherte oder nicht durchgeladene) Waffe auf das Opfer richtet, schafft eine konkrete Lebensgefahr im Sinne des neuen Gesetzestextes. | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 109 IV 106 S. 107
A.-
K. verübte am 8. Januar 1982, 19.30 Uhr, einen Raubüberfall auf die Coop-Filiale in Horw. Nachdem er den Laden einige Zeit von aussen beobachtet und sich dann im gegenüberliegenden Restaurant das nähere Vorgehen überlegt hatte, betrat er das Geschäft und hielt sich vorerst beim Stand für Schallplatten auf, da er von dort aus die drei Kassen, von denen nur eine bedient war, gut beobachten konnte. Dabei stellte er sich vor, dass die Kassiererin sicher einmal den Platz verlassen werde und sich dann eine Gelegenheit ergebe, Geld aus der Kasse zu stehlen. Zu diesem Zweck versuchte er zunächst, die Kassiererin von der Kasse wegzulocken, indem er sie fragte, ob sie ihm eine Schallplatte abspielen könnte. Da dies nicht möglich war, beschloss er, sie mit der Pistole zu bedrohen und so zur Herausgabe von Geld zu veranlassen. Er behändigte eine Schallplatte und begab sich damit in einem günstigen Augenblick zur Kasse. Dort setzte er sich schräg auf das Warenförderband, so dass die Kundschaft von hinten sein Handeln nicht sehen konnte, und sagte: "Überfall, Geld her", während er gleichzeitig seine geladene, jedoch gesicherte Waffe aus dem Hosenbund zog und auf die Kassiererin richtete. Angesichts dieser Bedrohung öffnete sie die Kasse und reichte K. ein Bündel Noten, insgesamt Fr. 3'200.--, worauf dieser das Geschäft fluchtartig verliess.
B.-
Mit Urteil vom 23. April 1982 verurteilte das Kriminalgericht des Kantons Luzern den Angeklagten wegen Raubes im Sinne des alten
Art. 139 Ziff. 2 StGB
(Todesdrohung) sowie wegen Widerhandlung gegen §§ 9 und 18 der kantonalen Waffenverordnung vom 3. November 1980 zu fünf Jahren und einem Monat Zuchthaus, abzüglich 21 Tage Untersuchungshaft.
Auf Appellation des Angeklagten hin verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Luzern am 18. November 1982 wegen Raubes im Sinne des am 1. Oktober 1982 in Kraft gesetzten revidierten
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB
(besondere Gefährlichkeit) und wegen Widerhandlung gegen die Waffenverordnung zu drei Jahren
BGE 109 IV 106 S. 108
Zuchthaus, abzüglich 21 Tage Untersuchungshaft, und zu einer Busse von Fr. 50.--.
C.-
Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und K. sei wegen qualifizierten Raubes nach alt
Art. 139 Ziff. 2 StGB
(Todesdrohung) zu verurteilen. K. beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Staatsanwaltschaft macht geltend, der revidierte
Art. 139 StGB
sei für den Beschwerdegegner nicht das mildere Recht, da dessen Ziff. 3 (Lebensgefahr des Opfers) zur Anwendung gebracht werden müsste, welche die gleiche Strafe androhe wie
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
der alten Fassung (Todesdrohung), nämlich Zuchthaus nicht unter fünf Jahren.
Demgegenüber stellt sich der Beschwerdegegner mit der Vorinstanz im wesentlichen auf den Standpunkt, die "Lebensgefahr" gemäss dem revidierten
Art. 139 Ziff. 3 StGB
verlange eine objektive und konkrete Gefährdung, welche durch das Vorhalten einer geladenen, jedoch gesicherten Schusswaffe noch nicht erfüllt sei. Mit andern Worten seien an die durch die Revision geschaffene Formulierung der "Lebensgefahr" strengere Anforderungen zu stellen, als dies das Bundesgericht in Auslegung des im alten Recht enthaltenen Begriffs "Todesdrohung" (
BGE 107 IV 113
) getan habe.
2.
Der revidierte
Art. 139 StGB
(in Kraft seit 1. Oktober 1982) enthält für den qualifizierten Raub nicht mehr das Kriterium der "Bedrohung mit dem Tode". Neues Qualifikationsmerkmal ist die "Lebensgefahr", also nicht die Drohung mit einer Gefahr für das Leben, sondern die Verursachung einer konkreten, unmittelbaren Lebensgefahr.
a) Die frühere Fassung von
Art. 139 StGB
war insofern unzulänglich, als die Bedrohung mit einer Lebens- bzw. Todesgefahr sowohl Teil des Grundtatbestandes (Ziff. 1: Bedrohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben) als auch Qualifikationsmerkmal (Ziff. 2: Bedrohung mit dem Tode) war. Dieser Ungereimtheit trug die Bundesgerichtspraxis Rechnung, indem sie den qualifizierten Tatbestand einschränkend auslegte (
BGE 102 IV 19
,
BGE 72 IV 57
), um so das hohe Strafminimum von fünf Jahren nicht in objektiv harmlosen Fällen anwenden zu müssen. Als qualifizierte Todesdrohung galt danach nicht jede (abstrakte) Bedrohung mit dem Tode (etwa mit ungeladener Waffe, Spielzeugpistole), die dem
BGE 109 IV 106 S. 109
Opfer als ernstgemeinte Drohung erscheinen musste, sondern nur jene ernstgenommene Bedrohung, die objektiv unmittelbar in die Tat umgesetzt werden konnte und das Opfer tatsächlich in eine hochgradige Todesgefahr versetzte (
BGE 107 IV 112
, 105 IV 302).
Eine im Sinne dieser Umschreibung erhebliche und unmittelbare Todesgefahr verursacht der Täter, wenn er beim Raub eine scharf geladene Waffe auf kurze Distanz auf einen Menschen richtet. Das Vorhalten einer geladenen Schusswaffe schafft diesfalls auch dann eine konkrete Todesgefahr, wenn die Waffe gesichert ist. Der Versuch, die Grenze zwischen der abstrakten und konkreten Lebens- bzw. Todesgefahr mit dem Kriterium der Waffensicherung zu ziehen, lässt ausser acht, dass eine geladene Waffe in der Regel in Sekundenschnelle und ohne Mühe entsichert werden kann. Auch können Aufregung, unvorhergesehene Reaktion des Opfers, Eingreifen eines Dritten usw., gerade bei Gelegenheitsdelinquenten, zu einer plötzlichen Fehlreaktion und damit zur Schussabgabe führen, und zwar selbst dann, wenn der Täter vorher beabsichtigt hatte, von der Waffe keinen Gebrauch zu machen (
BGE 107 IV 112
). Es liegt deshalb auf der Hand, dass die Sicherung der Schusswaffe kein taugliches Abgrenzungsmittel zwischen abstrakter und konkreter Lebens- bzw. Todesgefahr sein kann. Dazu kommt - ebenso wie bei der Frage der Verwirklichungsbereitschaft (vgl.
BGE 105 IV 302
E. 2) - die praktische Überlegung, dass im Falle der Bestreitung schwer nachzuweisen wäre, ob die Waffe tatsächlich gesichert war.
b) Die Neufassung hatte in erster Linie den Zweck, den erwähnten Widerspruch zwischen dem Grundtatbestand und der qualifizierten Begehungsform zu beseitigen (Botschaft des Bundesrates in BBl 1980 I S. 1258). Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob der Gesetzgeber den neuen qualifizierten Tatbestand, der den Täter für die Schaffung einer Lebensgefahr mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Zuchthaus bedroht (
Art. 139 Ziff. 3 StGB
), gegenüber der bundesgerichtlichen Auslegung des früheren Gesetzestextes enger begrenzen wollte.
Die Vorbereitungsarbeiten und Gesetzesberatungen im Parlament geben keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Revision eine Strafmilderung für den Raub unter Einsatz einer Schusswaffe beabsichtigt war. Die Botschaft des Bundesrates erwähnt lediglich, dass die Mindeststrafe von fünf Jahren Zuchthaus für das blosse Mitführen einer Waffe zu hoch erscheine (BBl 1980 I S. 1258). Den Beratungsprotokollen der Expertenkommission ist zu entnehmen, dass hierfür eine Mindeststrafe von drei bzw. zwei Jahren Zuchthaus
BGE 109 IV 106 S. 110
erwogen wurde. Mit lediglich einer Stimme mehr (6:5) stimmte die Kommission dafür, dem Parlament eine Mindeststrafe von zwei Jahren vorzuschlagen (Protokoll S. 223). Dass dieses dann dem Vorschlag der Kommission nicht folgte und das Strafminimum sogar auf ein Jahr herabsetzte (
Art. 139 Ziff. 1bis StGB
), darf nicht zum Schluss verleiten, man habe beim Raub den bewaffneten Täter ganz allgemein milder bestrafen wollen.
Bezüglich des neu formulierten Qualifikationsmerkmals der Schaffung einer Lebensgefahr für das Opfer wurde beispielsweise von einer "echten" Lebensgefahr (Gerber, Protokoll S. 220) oder einer "echten" Gefahr für das Opfer gesprochen (Noll, Protokoll S. 221). Eine echte, konkrete Lebensgefahr verlangte aber das Bundesgericht bereits in seiner einschränkenden Auslegung des bisherigen Qualifikationsmerkmals der "Todesdrohung". Von dieser Rechtsprechung im Sinne einer weiteren Begrenzung abzuweichen, lag offensichtlich nicht im Bestreben des Gesetzgebers, sonst wäre dies im Laufe der Beratungen deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Der Gesetzgeber beabsichtigte also vielmehr, mit dem neuen Gesetzestext die bestehende Praxis zu kodifizieren. Der Kommissionspräsident verdeutlichte diese Zielsetzung mit der Feststellung: "Besser wäre es, den Inhalt dieser Qualifikation, wie er vom Bundesgericht ausgelegt wird, ausdrücklich zu nennen, in Erfüllung des parlamentarischen Postulates, dass man dort, wo es konkret um die Gefährdung des Lebens geht, qualifiziert." (Schultz, Protokoll S. 220). Abgesehen davon sprechen auch die im Zuge der Revisionsarbeiten zum Ausdruck gebrachten kriminalpolitischen Überlegungen gegen eine Strafmilderung beim Raub unter Waffeneinsatz.
c) Der Beschwerdegegner macht geltend, durch das Vorhalten der Waffe sei er wohl über das Mitführen (
Art. 139 Ziff. 1bis StGB
) hinausgegangen, doch habe sich daraus nicht eine konkrete Lebensgefährdung ergeben, sondern eine "besondere Gefährlichkeit". Diese aber wolle der Gesetzgeber gerade nicht mit der strengsten Strafe geahndet wissen, denn er habe dafür das mildere Strafminimum von zwei Jahren statuiert.
Dieses Argument ist nicht stichhaltig. Das frühere Qualifikationsmerkmal der "besonderen Gefährlichkeit" (
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 4 StGB
) bildet jetzt nur noch die Generalklausel zur mittleren Qualifikationsstufe (Bandenmässigkeit). Aus dem Umstand, dass für die "besondere Gefährlichkeit" nunmehr ein gegenüber früher geringeres Strafminimum vorgesehen ist, kann deshalb nicht geschlossen werden, es müssten an das mit dem höheren Strafminimum
BGE 109 IV 106 S. 111
versehene Qualifikationselement der Schaffung einer "Lebensgefahr" höhere Anforderungen gestellt werden. Auch die "schwere Körperverletzung", die früher zusammen mit der Bedrohung mit dem Tode angeführt war (
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
), wurde mit dieser aus dem Konnex mit dem Qualifikationsmerkmal der besonderen Gefährlichkeit gelöst und dem Strafminimum von fünf Jahren unterstellt, ohne dass irgendwelche Anhaltspunkte dafür beständen, dass der Begriff der schweren Körperverletzung gegenüber früher eine Verschärfung erfahren hätte.
d) Aus allen diesen Gründen ist die Neufassung des qualifizierten Tatbestandes, bei dem das "Opfer in Lebensgefahr" gebracht wird (neuer
Art. 139 Ziff. 3 StGB
), gemäss der bisherigen Rechtsprechung zur "Todesdrohung" (alter
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
) auszulegen.
3.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass das Vorgehen des Beschwerdegegners nach neuem Recht unter Ziff. 3 des revidierten
Art. 139 StGB
subsumiert werden müsste. Diese Bestimmung droht die gleiche Strafe an wie der zur Zeit der Begehung geltende und von der ersten Instanz zu Recht angewendete
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
. Da somit das neue Gesetz für den Beschwerdegegner nicht das mildere im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 StGB
ist, hat die Bestrafung nach dem zur Zeit der Tatbegehung geltenden Recht zu erfolgen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 18. November 1982 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie den Beschwerdegegner aufgrund von alt
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
bestrafe. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfca3036-4490-41ac-a27c-8c30c2e82e88 | Urteilskopf
115 V 62
9. Auszug aus dem Urteil vom 15. Februar 1989 i.S. S. gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 159 Abs. 2 OG
: Ersatz von Expertenkosten.
Der vor dem Eidg. Versicherungsgericht obsiegenden Partei, die sich auf ein privates Gutachten stützt, sind alle notwendigen Expertenkosten (Expertenhonorar und andere Kosten) unter dem Titel Parteientschädigung im Sinne von
Art. 159 OG
zu ersetzen (Änderung der Rechtsprechung). | Erwägungen
ab Seite 62
BGE 115 V 62 S. 62
Aus den Erwägungen:
5.
a) Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens steht der obsiegenden (vgl. hiezu ZAK 1987 S. 268 Erw. 5a mit Hinweisen) Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 135 OG
). Die Entschädigung für die Kosten der Vertretung ist auf Fr. 1'500.-- festzusetzen.
b) Am 22. März 1988 reichte der Rechtsvertreter der Versicherten das von ihm in Auftrag gegebene, von Oberarzt Dr. I. verfasste Ergänzungsgutachten vom 8. März 1988 ein. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, "die Kosten für die durch das vorliegende Verfahren notwendig gewordenen ärztlichen Berichte zu übernehmen". Die Kosten für das erwähnte Ergänzungsgutachten betragen Fr. 600.--.
BGE 115 V 62 S. 63
c) Gemäss ZAK 1988 S. 572 Erw. 5 können Expertenkosten nicht unter dem Titel der Parteientschädigung im Sinne von
Art. 159 OG
ersetzt werden. Wie indessen eine nähere Überprüfung dieses Urteils ergab, kann daran nicht festgehalten werden. Grundlage für die Zusprechung der Entschädigung für Parteikosten einschliesslich aller notwendigen Expertenkosten im Verfahren vor dem Eidg. Versicherungsgericht ist
Art. 159 OG
und nicht, wie im erwähnten Urteil ausgeführt,
Art. 78 Abs. 3 IVV
, welche Bestimmung das Administrativverfahren betrifft. Sodann hat das Eidg. Versicherungsgericht - und nicht die Ausgleichskasse, welche Partei ist - mit dem Urteil über die Streitsache selbst über die Verlegung der Expertenkosten zu befinden. Dazu können wie im vorliegenden Fall auch jene eines Privatgutachtens gehören.
d) Das Eidg. Versicherungsgericht hat auf das private Ergänzungsgutachten des Spezialarztes Dr. I. vom 8. März 1988 abgestellt, welches beachtliche sowie sachdienliche medizinische Angaben enthält und in welchem die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin als Erwerbsfähige gleich beurteilt wird wie im früheren Bericht vom 4. Juni 1984. Da die Vorinstanz diesen im Verwaltungsverfahren eingeholten Bericht zu Unrecht als unmassgeblich erachtete, hat sich im Hinblick auf die Interessenwahrung der Beschwerdeführerin die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme dieses Arztes aufgedrängt. Bei den Kosten für das private Ergänzungsgutachten vom 8. März 1988 handelt es sich somit um notwendige Kosten im Sinne von
Art. 159 Abs. 2 OG
. Auch in masslicher Hinsicht lässt sich das in Rechnung gestellte Honorar von Fr. 600.-- nicht beanstanden, zumal nur rechtlich relevante Fragen behandelt und auch keine für die Schätzung des streitigen Invaliditätsgrades unnötigen Untersuchungen durchgeführt wurden. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cfd18057-151a-458e-9ba6-64ba2ab7e1b4 | Urteilskopf
114 Ia 191
30. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 1988 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Kanton St. Gallen und Kassationsgericht des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Rückgriff aus Haftung nach Zivilschutzgesetz und Militärversicherungsgesetz. Zuständigkeit.
Für Schäden von Drittpersonen im Rahmen dienstlicher Verrichtungen des Zivilschutzes haften die durchführenden Gemeinwesen kausal. Regelung der Rückgriffsrechte und der Zuständigkeiten (E. 2a und b).
Art. 49 MVG
kommt nur zum Zuge, wenn der den Schaden verursachende Schutzdienstpflichtige direkt haftet (E. 2d); als reine Regressnorm vermag diese Bestimmung eine solche direkte Haftung nicht zu begründen.
Die Auslegung des Zivilschutzgesetzes, insbesondere der Art. 77 ff. ergibt, dass die direkte Belangbarkeit des Zivilschutzpflichtigen im gleichen Masse wie diejenige des Wehrmannes nach
Art. 22 Abs. 3 MO
ausgeschlossen ist (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 192
BGE 114 Ia 191 S. 192
A.-
R. nahm vom 26. bis 30. März 1984 an einem kantonal organisierten Zivilschutzkurs teil. Im Rahmen dieses Kurses wurde eine sogenannte "Brandangewöhnungsübung" durchgeführt. Instruiert von einem Klassenlehrer bewegten sich die Teilnehmer zunächst im ersten Obergeschoss des Brandhauses an einem Holzstoss vorbei, welcher zuvor von S., dem vollamtlichen Materialwart des Ausbildungszentrums, entfacht worden war. Nach weiteren Instruktionen stieg R. hinter dem Klassenlehrer die Treppe hinab, wo den beiden unerwartet eine Stichflamme des von S. zusätzlich geschürten Feuers entgegenschlug. Während der Klassenlehrer auszuweichen vermochte, erlitt R. schwere Verbrennungen, die dessen Hospitalisierung erforderten.
Als Zivilschutzangehöriger unterstand R. der Militärversicherung, welche ihm den erlittenen Schaden deckte.
B.-
Am 10. April 1985 erhob die Schweizerische Eidgenossenschaft Klage gegen den Kanton St. Gallen auf Feststellung der Haftung für die Folgen einer Gesundheitsschädigung des R. aus dem genannten Zivilschutzkurs und auf Rückerstattung der bisher erbrachten Leistungen. Sie berief sich auf ihre Subrogation nach
Art. 49 des Bundesgesetzes über die Militärversicherung vom 20. September 1949 (MVG; SR 833.1)
sowie die Haftung des Kantons für das schädigende Verhalten seines Beamten S. nach kantonalem Verantwortlichkeitsgesetz. Mit Entscheid vom 4. September 1986 trat das Bezirksgericht St. Gallen auf die Klage mangels sachlicher Zuständigkeit nicht ein.
Eine Berufung der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen dieses Erkenntnis wies das Kantonsgericht St. Gallen ab. Auch es verneinte die sachliche Zuständigkeit, war jedoch im Gegensatz zum Bezirksgericht der Auffassung, der von der Eidgenossenschaft behauptete Rückgriffsanspruch sei nicht durch die Direktion der Eidgenössischen Militärversicherung in Form einer Verfügung, sondern gemäss
Art. 79 des Bundesgesetzes über den Zivilschutz vom 23. März 1962 (ZSG; SR 520.1)
beim Bundesgericht als einziger Instanz geltend zu machen.
BGE 114 Ia 191 S. 193
Das Urteil des Kantonsgerichtes focht die Schweizerische Eidgenossenschaft mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde an. Das damit befasste Kassationsgericht erwog, gegen den Entscheid des Kantonsgerichtes ständen mangels einer Zivilrechtsstreitigkeit weder die eidgenössische Berufung noch die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde offen, weshalb es auf die Beschwerde auch insoweit eintrat, als darin eine Verletzung von Bundesrecht gerügt wurde. In der Sache selbst schloss es sich im Ergebnis der Auffassung des Kantonsgerichtes an.
C.-
Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat gegen den Entscheid des Kassationsgerichtes staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingelegt. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Auf die im Zivilschutz Dienst leistenden Personen ist das Bundesgesetz vom 20. September 1949 über die Militärversicherung anwendbar (
Art. 48 ZSG
). Derselben Versicherung sind Zivilpersonen unterstellt, welche zu Leistungen des Zivilschutzes herangezogen werden, darunter auch das bei Übungen eingesetzte Hilfspersonal (Art. 1, insb. Ziff. 4 des Bundesratsbeschlusses betreffend die Unterstellung von Zivilpersonen unter die Militärversicherung vom 8. Mai 1968; SR 833.12).
Gegenüber einem Dritten, der für die Gesundheitsschädigung eines Versicherten schadenersatzpflichtig ist, tritt die Militärversicherung bis auf die Höhe der von ihr geschuldeten Leistungen in den Ersatzanspruch des Versicherten ein (
Art. 49 MVG
).
b) Für Schäden von Drittpersonen im Rahmen dienstlicher Verrichtungen des Zivilschutzes haften die durchführenden Gemeinwesen oder Betriebe kausal (
Art. 77 ZSG
; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über den Zivilschutz vom 6. Oktober 1961; BBl 1961 II 693 ff., insb. 725 zu Art. 75 ZSGE; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht II/1, S. 852 Fn. 25). Für ihre Leistungen steht ihnen der Rückgriff auf die Person zu, die den Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht hat (
Art. 78 ZSG
). Die Kantone bezeichnen die für die Behandlung der Schadenersatzansprüche zuständige Behörde, welche in allen Fällen zu vermitteln und über Ansprüche aus
BGE 114 Ia 191 S. 194
Sachschäden erstinstanzlich zu entscheiden hat. Ihre Entscheide sind an die Eidgenössische Kommission für Zivilschutzangelegenheiten weiterziehbar. Über Personen- und mit solchen verbundene Sachschäden urteilt das Bundesgericht als einzige Instanz, ebenso über den Rückgriff auf die Urheber von Personenschäden (
Art. 79 ZSG
).
c) Noch nicht geklärt ist das Verhältnis der Rückgriffsordnung nach
Art. 49 MVG
zu derjenigen nach Art. 78 f. ZSG.
Das Bezirksgericht ging in seinem Entscheid davon aus, der Schutzdienstpflichtige könne - wie der Wehrmann - für die von ihm verursachten Schäden nicht direkt belangt werden, so dass eine Subrogation der Militärversicherung im Sinne von
Art. 49 MVG
mangels verfügbaren Anspruchs ausgeschlossen sei. Es gelte sinngemäss die Regelung von
Art. 22 und 25 des Bundesgesetzes über die Militärorganisation (MO; SR 510.10)
, wonach nur das im Aussenverhältnis ausschliesslich haftende Gemeinwesen den Fehlbaren in Anspruch nehmen könne. Anwendbar sei das Verfahren nach Art. 136a Abs. 1 lit. a der Verordnung über die Verwaltung der Schweizerischen Armee vom 26. November 1965 (VMilV) mit erstinstanzlicher Zuständigkeit der Direktion der eidgenössischen Militärverwaltung (AS 1971 1683 und 1979 1605; zwischenzeitlich aufgehoben durch Art. 174 der Verordnung über die Verwaltung der Armee vom 12. August 1986, VVA, SR 510.301).
Das Kantonsgericht schloss sich in materieller Hinsicht dieser Auffassung an, erachtete verfahrensrechtlich dagegen die Ordnung von
Art. 79 Abs. 3 ZSG
mit ausschliesslicher Zuständigkeit des Bundesgerichtes zur Beurteilung von Regressansprüchen aus Personenschäden als massgebend.
Nach Auffassung des Kassationsgerichtes schliesslich kommt es weder darauf an, ob der dienstleistende Schädiger direkt belangt werden kann, noch darauf, ob im vorliegenden Fall S. als Angehöriger des Zivilschutzes zu betrachten ist, sondern allein darauf, ob die Schädigung in einem Sachzusammenhang mit einem Zivilschutzkurs steht und der Geschädigte als "Dritter" im Sinne von
Art. 77 Abs. 1 ZSG
erscheint, was es für R. bejaht. Unter diesen Voraussetzungen aber hält es ausschliesslich das Haftungs-, Regress- und Zuständigkeitsregime der
Art. 77 ff. ZSG
für anwendbar.
d) Entgegen der Auffassung des Kassationsgerichtes ist die Frage nach der direkten Haftung des Schutzdienstpflichtigen für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens nicht bedeutungslos.
BGE 114 Ia 191 S. 195
Einmal ist davon auszugehen, dass die Kausalhaftung des
Art. 77 ZSG
nur Schäden aus "dienstlichen Verrichtungen" deckt (
Art. 77 Abs. 1 ZSG
). Mithin kommt es nicht allein auf den Sachzusammenhang des Schadens mit einer Veranstaltung des Zivilschutzes, sondern zusätzlich auf die schädigende Handlung und die Stellung des Verursachers an. Für Schäden, die zwar im Zusammenhang mit einer solchen Veranstaltung, nicht aber mit einer dienstlichen Verrichtung stehen, haftet der Veranstalter nicht kausal, jedenfalls nicht nach
Art. 77 Abs. 1 ZSG
. Der Begriff der dienstlichen Verrichtung sodann setzt voraus, dass ein bestimmtes Verhalten in funktionellem Zusammenhang mit einer zivilschutzmässigen Dienstleistung steht, was subjektiv wiederum die Einordnung in den Dienstbetrieb bedingt (vgl. OFTINGER, a.a.O., S. 890). Schädigungen in dienstlicher Verrichtung können daher nur von Personen ausgehen, die im Schutzdienst stehen, wobei allenfalls näherer Abklärung bedarf, was unter dieser Indienstnahme zu verstehen ist. Darüber hinaus ist die Frage der direkten Haftung des Schutzdienstpflichtigen von Bedeutung für den Bestand einer allfälligen Restforderung des Geschädigten auf Ersatz des von der Militärversicherung nicht gedeckten Schadens, sowie auf die Möglichkeit einer Subrogation des Bundes nach
Art. 49 MVG
. Namentlich kann diese Subrogation von vornherein nur zum Zuge kommen, wenn der den Schaden verursachende Schutzdienstpflichtige direkt haftet, andernfalls es an der Voraussetzung eines übergangsfähigen Anspruchs gebricht (
BGE 108 Ib 222
; SCHAER, Grundzüge des Zusammenwirkens von Schadenausgleichssystemen, S. 260 Rz. 762; vgl. auch
BGE 111 Ib 195
E. 2). Mithin kann der behauptete, auf Subrogation gegründete Regressanspruch der Beschwerdeführerin auch nur bestehen, wenn das schädigende Ereignis eine direkte Haftung des S. begründete.
3.
a) Es ist festzuhalten, dass
Art. 49 MVG
keine direkte Haftung des Schutzdienstpflichtigen zu begründen vermag. Es handelt sich hier nicht um eine Haftungs-, sondern um eine reine Regressnorm, deren Bedeutung im wesentlichen darin liegt, dass sie die Regressrangfolge von Art. 51 f. OR zugunsten einer integralen Regressmöglichkeit der Militärversicherung, auch auf einen bloss kausal Haftenden, eliminiert (SCHAER, a.a.O., S. 259 Rz. 759).
Im Verhältnis zu den Haftungsvorschriften in
Art. 77 ff. ZSG
ist zudem zu beachten, dass der heutige
Art. 48 ZSG
, welcher die Schutzdienstpflichtigen der Militärversicherung unterstellt, erst mit Novelle vom 7. Oktober 1977 (AS 1978 50) in das Gesetz
BGE 114 Ia 191 S. 196
eingefügt worden ist, wogegen die ursprüngliche Fassung (AS 1962 1089) lediglich zu einer Versicherung gegen Unfall und Krankheit in Anlehnung an die Militärversicherung verpflichtet hatte. Bei Erlass des Zivilschutzgesetzes bestand demnach eine "Konkurrenz" von
Art. 49 MVG
und Art. 78 f. ZSG noch nicht.
Richtig besehen besteht auch nach dem geltenden Recht in dieser Richtung keine Normenkonkurrenz, da
Art. 49 MVG
nach dem Gesagten nicht die Haftpflicht, sondern bloss die Subrogation haftpflichtrechtlicher Ansprüche und damit den Rückgriff regelt. Kann aber diese Subrogation nur in einen übergangsfähigen Anspruch erfolgen, beurteilt sich allein nach Massgabe des materiellen Haftpflichtrechts, wann und gegen wen ein solcher Anspruch entsteht. Somit entscheidet sich im vorliegenden Fall ausschliesslich nach
Art. 77 ff. ZSG
, ob der allgemeine deliktische Anspruch aus
Art. 41 OR
für Schäden der hier zu beurteilenden Art entfällt oder nicht.
b) Damit bleibt durch Auslegung des Zivilschutzgesetzes zu ermitteln, ob die direkte Haftung des Schutzdienstpflichtigen für Schäden aus dienstlicher Verrichtung ausgeschlossen ist oder nicht. Es gilt, anhand der von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Kriterien, den Rechtssinn der massgebenden Normen zu bestimmen:
aa) Der Gesetzeswortlaut als Ausgangspunkt jeder Auslegung beantwortet die Frage nicht. Die Belangbarkeit des Verursachers wird nur in der Regressordnung (
Art. 78 ZSG
), nicht aber in der externen Haftpflichtordnung (
Art. 77 ZSG
) erwähnt.
bb) Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen ausgelegt werden. Eine historisch orientierte Auslegung ist daher für sich allein nicht entscheidend. Die Materialien fallen nach der Rechtsprechung nur dann ins Gewicht, wenn sie angesichts einer unklaren gesetzlichen Bestimmung eine klare Antwort geben; sie sind umso weniger zu beachten, je weiter sie zeitlich zurückliegen (
BGE 111 II 152
). Zudem kann ihnen grundsätzlich nur dort entscheidendes Gewicht zukommen, wo sie im Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben (
BGE 109 Ia 303
mit Hinweisen). Indessen ist nicht zu verkennen, dass allein die an den Materialien orientierte Auslegung die Regelungsabsicht des Gesetzgebers aufzuzeigen vermag. Diese Regelungsabsicht aber und die vom Gesetzgeber in Verfolgung dieser Absicht erkennbar getroffenen Wertentscheidungen bleiben für den Richter verbindliche
BGE 114 Ia 191 S. 197
Richtschnur, auch wenn er das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung neuen, vom Gesetzgeber nicht vorausgesehenen Umständen anpasst oder es ergänzt (LARENZ, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auflage, S. 313). Besondere Bedeutung erlangen die Materialien zudem im Bereiche der negativen Norm, wenn die Auslegung ergibt, dass der Gesetzgeber durch bewusstes Schweigen eine bestimmte Frage in negativem Sinne entschieden haben wollte (MEIER-HAYOZ, N 255 zu
Art. 1 ZGB
). Diese Auslegung kann notwendigerweise nur historisch erfolgen. Ein solches qualifiziertes Schweigen wäre im vorliegenden Fall anzunehmen, wenn der Gesetzgeber die Frage der direkten Haftung des Schutzdienstpflichtigen bewusst nicht erwähnt hätte mit dem Willen, sie der allgemeinen Haftpflichtordnung (
Art. 41 ff. OR
) zu unterstellen.
Weder die bundesrätlichen Botschaften vom 6. Oktober 1961 (BBl 1961 II 693) und vom 25. August 1976 (BBl 1976 III 350) noch die parlamentarischen Beratungen zur Haftpflichtordnung des Zivilschutzgesetzes (Sten.Bull. NR 1961 S. 612 ff., StR 1962 S. 47 ff.) befassten sich ausdrücklich mit der hier zu entscheidenden Frage. Immerhin machen sie deutlich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich bestrebt war, die Ordnung des Zivilschutzes derjenigen des Militärrechts anzupassen (BBl 1961 II 698; BBl 1976 III 369 zu
Art. 80 ZSG
; Sten.Bull. NR 1961 S. 613 Votum Bundesrat von Moos; Sten.Bull. StR 1962 S. 47 Votum SR Darms mit dem Hinweis auf Art. 164 aOG (BS 3 S. 576)).
cc) Bei der Auslegung einer Norm ist zudem deren Bedeutungszusammenhang zu berücksichtigen (LARENZ, a.a.O. S. 310 ff.). Sie hat auch unter systematischen Gesichtspunkten zu erfolgen, das Gesetz ist als Einheit und aus dem Zusammenhang zu verstehen, wobei nicht nur der Zusammenhang einer Vorschrift mit dem übrigen Gesetz, sondern die ganze Rechtsordnung zu berücksichtigen ist (
BGE 105 Ib 228
; MEIER-HAYOZ, N 188 ff. zu
Art. 1 ZGB
). Dies hat zur Folge, dass aus der grundsätzlichen Gleichartigkeit der Tatbestände und aus der vom Gesetzgeber angestrebten Angleichung für die Auslegung der Haftungsordnung des Zivilschutzgesetzes auch die militärgesetzliche Regelung zu berücksichtigen ist.
Bereits unter der Herrschaft von Art. 27 aMO (BS 5 9) hat das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung angenommen, die dort statuierte Haftung des Bundes für Schäden von Zivilpersonen zufolge militärischer Übungen schliesse eine Haftung der einzelnen
BGE 114 Ia 191 S. 198
Militärperson dem Geschädigten gegenüber aus, welcher Haftungsausschluss zwar im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen sei, jedoch dessen Willen entspreche (
BGE 47 II 179
f.; vgl. auch
BGE 78 II 423
E. b;
BGE 92 II 196
E. 4). Mit Novelle vom 19. Dezember 1946 wurde aufgrund dieser Rechtsprechung eine entsprechende Ordnung in den Bundesbeschluss betreffend die definitive Einführung des Verwaltungsreglementes für die schweizerische Armee vom 27. März 1885 (Art. 237; AS 1946 S. 1074) eingeführt und in Art. 103 des Beschlusses der Bundesversammlung vom 30. März 1949 über die Verwaltung der schweizerischen Armee (AS 1949 II S. 1118) übernommen.
In folgerichtiger Weiterführung dieser Praxis erkannte das Bundesgericht sodann, dass der Haftungsausschluss aus dienstlicher Verrichtung nicht nur gegenüber Zivilpersonen, sondern auch gegenüber anderen Wehrmännern gelte, sofern nicht eine absichtliche oder grobfahrlässige Schädigung vorliege (
BGE 78 II 419
ff.;
79 II 147
ff.;
92 II 196
ff.). Das geltende Bundesgesetz über die Militärorganisation hat schliesslich auch diese Einschränkung fallen gelassen und bestimmt nunmehr in Art. 22 Abs. 3 vorbehaltlos, dass dem Geschädigten gegenüber dem Fehlbaren kein Anspruch zusteht.
Diese Rechtsprechung und die gestützt darauf erlassenen Normen schränken zwangsläufig auch den Anwendungsbereich von
Art. 49 MVG
ein. Die dortige Rückgriffsordnung ist im Militärbereich nunmehr beschränkt auf die Fälle, in welchen eine Zivilperson Schädiger ist (
BGE 108 Ib 222
), oder in denen die schädigende Militärperson ausserhalb dienstlicher Verrichtung handelt (dazu SCHAER, a.a.O., S. 261 Rz. 768 ff.).
Ihre innere Rechtfertigung findet diese Ordnung in der dem Wehrmann auferzwungenen erhöhten Risikosituation (
BGE 92 II 197
; SCHAER, a.a.O., S. 260 Rz. 764) und damit letztlich in einer Interessenwertung. Diese Wertung aber gestaltet sich im Zivilschutz nicht grundsätzlich anders. Auch hier kommt der Dienstpflichtige oftmals in Situationen, die von seinen gewohnten Lebensverhältnissen abliegen, und denen er sich aufgrund seiner zivilen Tätigkeit und seiner Vorbildung nicht oder nicht voll gewachsen erweist. Im Interesse der Dienstleistung hat er mitunter erhöhte Risiken in Kauf zu nehmen, was rechtfertigt, ihn für die Folgen deren Verwirklichung nicht unbesehen einstehen zu lassen (für das Versicherungsrecht im selben Sinne VIKTOR LENDI, Der Anspruch des Versicherten aus dem Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 20. September 1949, Diss. Zürich 1970, S. 104).
BGE 114 Ia 191 S. 199
Systematische Überlegungen sprechen daher dafür, den Schutzdienstpflichtigen haftpflichtrechtlich grundsätzlich gleichzustellen wie den Wehrmann.
dd) Zu keinem anderen Ergebnis führt schliesslich die teleologische Auslegung des Gesetzes, das sachgerechte Verständnis von dessen Sinn und Zweck. Auch hier steht im Vordergrund, die Tragweite des Erlasses aus objektiv-zweckgerichteter Betrachtungsweise zu erfassen, wobei wiederum dem Prinzip der Gleichbehandlung von Gleichartigem vordringliche Bedeutung zukommt (LARENZ, a.a.O., S. 319 ff.).
Art. 77 ZSG
ist als kanalisierte Haftung des Veranstalters zu verstehen (zum Begriff SCHAER, a.a.O., S. 260 Rz. 763). Dies ergibt sich indirekt aus Art. 78 des Gesetzes, wonach der Rückgriff auf den Fehlbaren nur bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verursachung möglich ist. Zweck der Norm ist offensichtlich, den Schutzdienstpflichtigen von einer Haftung für leichte Fahrlässigkeit oder aus besonderem Gefährdungstatbestand zu entlasten. Diese Entlastung aber würde obsolet, wäre nur der Rückgriff des Veranstalters in diese Schranken verwiesen, nicht aber ein konkurrierender Direktanspruch des Geschädigten. Es wäre nicht einzusehen, weshalb der Schutzdienstpflichtige schlechter gestellt werden sollte, wenn er direkt belangt wird, als in der Regressordnung. Die Ausgestaltung des Rückgriffs nach
Art. 78 ZSG
als Sanktionsregress (dazu SCHAER, a.a.O., S. 260 Rz. 764) schliesst nach Sinn und Zweck eine direkte Haftung des Fehlbaren im selben Umfange wie
Art. 22 Abs. 3 MO
aus.
Weiter ist zu beachten, dass bei kombinierten Übungen von Zivilschutz und Armee die Haftung sich im gemeinsamen Einsatz nach den Bestimmungen des Zivilschutzgesetzes richtet (
Art. 77 Abs. 3 ZSG
). Wäre nun aber in diesem die direkte Haftung des Fehlbaren abweichend vom Militärrecht geregelt, hätte dies zur Folge, dass der schädigende Wehrmann im Rahmen kombinierter Übungen haftpflichtrechtlich schlechter gestellt würde als beim rein militärischen Einsatz. Auch diese Schlussfolgerung aber verbietet sich aus teleologischen Erwägungen.
ee) Aus all diesen Gründen sind die
Art. 77 ff. ZSG
so auszulegen, dass die direkte Belangbarkeit des Schutzdienstpflichtigen im selben Masse ausgeschlossen ist wie diejenige des Wehrmannes nach
Art. 22 Abs. 3 MO
. Dabei ergibt sich nach dem Gesagten, dass unter den Begriff der "Drittpersonen" im Sinne von
Art. 77 Abs. 1 ZSG
auch geschädigte Schutzdienstpflichtige fallen. | public_law | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cfd6ed34-e3df-4be5-a6a4-a763cf682df7 | Urteilskopf
139 IV 57
8. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen)
6B_315/2012 vom 21. Dezember 2012 | Regeste
Art. 64 Abs. 1 StGB
; schwere Beeinträchtigung durch Anlasstat als Voraussetzung der Verwahrung.
Die Verwahrung setzt eine (eingetretene oder beabsichtigte) schwere Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität einer andern Person voraus. Das gilt für alle Anlasstaten im Sinne von
Art. 64 Abs. 1 StGB
. Die schwere Beeinträchtigung beurteilt sich nach objektivem Massstab (E. 1.3.3). | Sachverhalt
ab Seite 57
BGE 139 IV 57 S. 57
A.
Unmittelbar nachdem X. von einem Wirt wegen eines Streites mit den Kellnerinnen aus dem Wirtshaus gewiesen worden war, verwickelte er am 27. August 2009 um 21.15 Uhr den Automobilisten A. beim Überqueren eines Fussgängerstreifens in eine
BGE 139 IV 57 S. 58
Auseinandersetzung. Als der nachfolgende Automobilist B. dazwischentrat und X. wegschob, spürte er etwas am Hals, wich reflexartig zurück und sah erst jetzt das Taschenmesser in der Hand von X.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt klagte X. unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Tötung an.
B.
Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte X. am 13. April 2010 wegen Gefährdung des Lebens, einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand, mehrfacher Nötigung und mehrfachen Konsums von Betäubungsmitteln zu 5 Jahren Freiheitsstrafe.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte auf Appellation der Staatsanwaltschaft am 20. Dezember 2011 das strafgerichtliche Urteil im Schuld- sowie Strafpunkt und verwahrte X. gemäss
Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB
.
C.
X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das obergerichtliche Urteil aufzuheben, die fünfjährige Freiheitsstrafe zu bestätigen, von einer Verwahrung abzusehen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte (
Art. 64 Abs. 1 StGB
), und wenn auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach
Art. 59 StGB
(stationäre therapeutische Massnahme) keinen Erfolg verspricht (
Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB
).
Die Verwahrung setzt als Anlasstat eine in
Art. 64 Abs. 1 StGB
umschriebene so genannte Katalogtat oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat (Auffangtatbestand oder Generalklausel) voraus. Sie ist nach dem weiteren Wortlaut von
BGE 139 IV 57 S. 59
Art. 64 Abs. 1 StGB
anzuordnen, wenn der Täter eine "Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte".
Es stellt sich die Frage, wie das Kriterium der schweren Beeinträchtigung neben der Voraussetzung der im Gesetz umschriebenen Anlasstaten auszulegen ist. Das Bundesgericht hat sich mit dieser Frage bisher nicht vertieft befasst (vgl. aber Urteil 6B_1071/2009 vom 22. März 2010 E. 3.1.1).
1.3.1
Das Kriterium geht zurück auf den Gesetzesentwurf vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (BBl 2005 4727). Die Botschaft vom 29. Juni 2005 (BBl 2005 4689) schlug eine Erweiterung und eine Einschränkung der Generalklausel vor. Als Anlasstaten für die Verwahrung sollten neben den Katalogtaten einerseits nicht nur Verbrechen mit einer Höchststrafe von mindestens zehn Jahren, sondern schon solche mit einer Höchststrafe von mindestens fünf Jahren in Betracht kommen. Um diese Öffnung in Grenzen zu halten, wurde die Generalklausel andererseits auf Verbrechen eingeschränkt, mit denen Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität der Opfer schwer beeinträchtigten oder beeinträchtigen wollten (BBl 2005 4711).
Im Ständerat gab dieser Gesetzesvorschlag zu keinen Erörterungen Anlass (AB 2005 S 1145). Im Nationalrat wandte sich eine Minderheit erfolglos gegen die Ausweitung des Verwahrungstatbestands, insbesondere gegen die Aufnahme der Gefährdung des Lebens (AB 2006 N 219 ff.). Der Vertreter des Bundesrats erklärte, die in Frage kommenden Anlasstaten seien durch den Hinweis auf eine schwere physische, psychische oder sexuelle Schädigung eingeschränkt worden. Straftaten, die nur eine schwere materielle Schädigung zur Folge hätten, wie beispielsweise Diebstahl, könnten nicht zu einer Verwahrung führen (AB 2006 N 221).
Die Botschaft vom 29. Juni 2005 macht deutlich, dass der Gesetzgeber die Voraussetzung der schweren Beeinträchtigung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität nur im Hinblick auf die Generalklausel thematisierte. Es ist zweifelhaft, ob sich bei einer Katalogtat die Frage der schweren Beeinträchtigung überhaupt stellt. Es würde indessen der gesamten Entstehungsgeschichte des Verwahrungstatbestandes nicht gerecht, sie auszublenden. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des
BGE 139 IV 57 S. 60
Schweizerischen Strafgesetzbuchs anfänglich vorgeschlagen, die Verwahrung von der schweren körperlichen, seelischen und materiellen Schädigung abhängig zu machen. Damit sollte verhindert werden, dass "etwa eine Brandstiftung, an unbedeutenden Vermögenswerten begangen" zu einer Verwahrung führt (BBl 1999 2094). Das Parlament war mit diesem Vorschlag grundsätzlich einverstanden, strich aber den Hinweis auf die Art der Schädigung und begnügte sich damit, dass der Täter durch die Anlasstat jemanden "schwer geschädigt hat oder schädigen wollte" (BBl 2002 8264). Nach dem ständerätlichen Berichterstatter geschah dies aufgrund einer ausführlichen Debatte in der vorberatenden Kommission, weil kein Konsens bestand, welche Bedeutung der näheren Umschreibung der Schädigung zukommen sollte. Weil die in
Art. 64 Abs. 1 StGB
genannten Straftaten stets so gravierend seien, dass sie schwere Schädigungen zur Folge hätten, sei zwischen den einzelnen Schädigungskategorien nicht zwingend zu differenzieren. Der Richter habe ohnehin sowohl die schwere Schädigung als auch alle übrigen Voraussetzungen gemäss
Art. 64 Abs. 1 StGB
zu beurteilen (AB 1999 S 1224).
Insgesamt lässt sich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber davon ausging, eine Verwahrung sei nur unter qualifizierten Voraussetzungen möglich. Die blosse Erfüllung eines Anlasstatbestandes genügt nicht. Die Konkretisierung dieser Qualifizierung sollte den Gerichten überlassen werden.
1.3.2
In der Literatur wird das Kriterium der schweren Beeinträchtigung als zusätzliches Erfordernis sowohl bei den Katalogtaten als auch für Straftaten im Sinne des Auffangtatbestandes betrachtet (TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 5 zu
Art. 64 StGB
mit Hinweisen). Nach der Konzeption des Gesetzes sollte die Verwahrung nur noch Täter treffen, die schwere Straftaten begangen hatten. Aufgrund der Generalklausel gilt dies praktisch für alle Verbrechen (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Teil 2: Strafen und Massnahmen, 2. Aufl. 2006, § 12 N. 3). Somit bleibt die Schwierigkeit, welche Beeinträchtigung als schwer zu qualifizieren ist. STRATENWERTH verweist auf den Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit, so dass nur Anlasstaten in Betracht kommen, die so schwer wiegen, dass die Gefahr ihrer Wiederholung diesen schwersten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen zu rechtfertigen vermag (STRATENWERTH/WOHLERS, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl. 2013,
BGE 139 IV 57 S. 61
N. 4 zu
Art. 64 StGB
). Auch für PETER ALBRECHT (Die Verwahrung nach
Art. 64 StGB
, AJP 9/2009 S. 1118) spricht das Gesetz mit der schweren Beeinträchtigung den Verhältnismässigkeitsgrundsatz an und bezieht sich die Limitierung sowohl auf die Katalogtaten wie auf die Generalklausel. Aus seiner Sicht sollte eine Verwahrung erst bei einer Freiheitsstrafe von drei Jahren in Betracht gezogen werden.
1.3.3
Das Gesetz ist nach seinem Sinn und Zweck auszulegen, wobei vom Wortlaut auszugehen ist (
BGE 137 IV 290
E. 3.3). Die Gesetzesmaterialien sind gegebenenfalls beizuziehen (
BGE 137 IV 249
E. 3.2). Der Wortlaut ist eindeutig. Das in einem Relativsatz formulierte Kriterium bezieht sich sowohl auf die Katalogtaten wie auf die Generalklausel (Tat begangen hat, durch die er; infraction ..., par laquelle il; reato ..., con il quale). Nach den Gesetzesmaterialien ist die Verwahrung nur unter qualifizierten Voraussetzungen anzuordnen und das Kriterium der schweren Beeinträchtigung einschränkend auszulegen. Auch die Literatur versteht dieses Kriterium einschränkend und bezieht es auf Katalogtaten wie Straftaten im Sinne der Generalklausel. Das Gesetz verweist damit ausdrücklich auf den Verhältnismässigkeitsgrundsatz.
Die Verwahrung zählt zu den schwersten Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte eines Straftäters überhaupt. Das Gesetz sieht die Verwahrung als ultima ratio (
BGE 134 IV 121
E. 3.4.4;
BGE 118 IV 108
E. 2a) nach Begehung schwerer Straftaten vor, und zwar unter der Voraussetzung, dass auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände (
Art. 64 Abs. 1 lit. a StGB
) oder auf Grund einer psychischen Störung von erheblicher Schwere (
Art. 64 Abs. 1 lit. b StGB
) ernsthaft zu erwarten ist, dass er "weitere Taten dieser Art begeht". Diese Voraussetzungen gelten für Katalogtaten und Straftaten nach der Generalklausel in gleicher Weise, weshalb das Kriterium der schweren Beeinträchtigung auch auf beide Kategorien von Straftaten Anwendung finden muss (ebenso bereits Urteil 6B_1071/2009 vom 22. März 2010 E. 3.1.1).
Nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Bestimmung kommen nur "schwere" Straftaten in Betracht, und zwar sowohl als Anlasstaten wie als ernsthaft zu erwartende Folgetaten. Dem entspricht das Kriterium der schweren Beeinträchtigung in
Art. 64 Abs. 1 StGB
. Ihm kommt weiter eine eigenständige Bedeutung insoweit zu, als es die Verwahrung bei einer rein "materiellen" Beeinträchtigung ausschliesst.
BGE 139 IV 57 S. 62
Bei der Beurteilung der schweren Beeinträchtigung ist ein objektiver Massstab anzulegen (Urteil 6B_1071/2009 vom 22. März 2010 E. 3.1.1; HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 24 zu
Art. 64 StGB
; QUELOZ/BROSSARD, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I, 2009, N. 18 zu
Art. 64 StGB
). | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfd84590-6c9a-408c-a836-e202e3f8fdef | Urteilskopf
82 I 157
22. Urteil vom 20. Juni 1956 i.S. Egger gegen Grosser Gemeinderat der Stadt Winterthur und Regierungsrat des Kantons Zürich. | Regeste
Eigentumsgarantie.
Gegenüber einer öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkung ist die Berufung auf die Eigentumsgarantie zulässig, wenn damit die Aufhebung der Beschränkung verlangt, nicht dagegen, wenn bloss Anspruch auf Entschädigung erhoben wird und hiefür der Rechtsweg zur Verfügung steht (Erw. 2).
Wann stellt das für einen Teil eines Grundstücks aufgestellte Bauverbot eine materielle Enteignung dar? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 157
BGE 82 I 157 S. 157
A.-
Das zürcherische EG zum ZGB bestimmt in § 182:
"Der Regierungsrat ist berechtigt, auf dem Verordnungswege ... zur Sicherung der Landschaften, Ortsbilder und Aussichtspunkte vor Verunstaltung ... die nötigen Verfügungen zu treffen und Strafbestimmungen aufzustellen.
Soweit der Regierungsrat erklärt, von dieser Berechtigung nicht Gebrauch machen zu wollen, steht sie den Gemeinden zu.
Staat und Gemeinden sind berechtigt, derartige ... Landschaften, Ortsbilder und Aussichtspunkte auf dem Wege der Zwangsenteignung, insbesondere auch durch Errichtung einer öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit zu schützen und zugänglich zu machen."
BGE 82 I 157 S. 158
Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat "in Ausführung von § 182 Abs. 1 und 2 des EG zum ZGB" am 9. Mai 1912 eine Verordnung über den Natur- und Heimatschutz (VO) erlassen. Nach den §§ 6 und 7 VO sind die Gemeinden berechtigt, zum Schutze des Ortsbildes Verordnungen zu erlassen, die der Genehmigung des Regierungsrates bedürfen. § 10 VO lautet:
"Ist der durch die Anwendung dieser Verordnung verursachte Eingriff in das Eigentum mit unverhältnismässigen Kosten verbunden, die durch keine andere Anordnung vermieden werden können, so ist von der Anwendung der Verordnung abzusehen. Dagegen steht in solchen Fällen den zuständigen Behörden der Weg der Zwangsenteignung gemäss § 182 Abs. 3 EG offen."
B.-
Am 6. Juli 1956 hat der Grosse Gemeinderat der Stadt Winterthur gestützt auf § 68 des kantonalen Baugesetzes und § 6 VO unter Vorbehalt von § 10 VO eine "Bau- und Schutzverordnung" für das Hanggebiet des Gallispitzes in Winterthur-Veltheim erlassen. Im Hinblick auf die besondere Schönheit dieses nahe bei der Kirche und beim früheren Dorfkern von Veltheim gelegenen aussichtsreichen Gallispitzes teilt diese Bau- und Schutzverordnung das von Süden nach Norden ansteigende, oben immer steiler werdende Hanggebiet zwischen der Trottenstrasse und einem nicht benannten Wege in zwei Zonen ein. In der Zone A am Fusse des Hanges dürfen zweigeschossige Wohnhäuser gebaut werden; in der darüber gelegenen Zone B ist jedes Bauen verboten. Die Zonengrenze verläuft auf der Höhe von 454 m über Meer.
Der Beschwerdeführer Werner Egger ist Eigentümer dreier Grundstücke im Hanggebiet des Gallispitzes. Die beiden Grundstücke Nr. 469 und 470 halten zusammen etwa 400 m2 und liegen vollständig in der Zone A. Das 2004 m2 haltende Grundstück Nr. 3588 erstreckt sich in einer mittleren Breite von 36 m etwa 55 m den Hang hinauf bis zur Kote 460 m und fällt zu etwa 2/3 in die Zone A und zu 1/3 in die Zone B.
Werner Egger focht die Bau- und Schutzverordnung
BGE 82 I 157 S. 159
beim Bezirksrat Winterthur an, wurde aber durch Entscheid vom 5. März 1954 abgewiesen. Hiegegen rekurrierte er an den Regierungsrat des Kantons Zürich mit dem Antrag, das Bauverbot für die Zone B und das Verbot, in Zone A über die Höhe von 459 m zu bauen, seien aufzuheben, eventuell sei die Zonengrenze auf Kote 460 m zu verlegen unter entsprechender Abänderung der Verordnung und des zugehörigen Zonenplans. Zur Begründung berief er sich namentlich auf die Eigentumsgarantie (Art. 4 KV) und machte geltend, das teilweise Bauverbot für das Grundstück Nr. 3588 komme einer Enteignung gleich und entbehre als solche der erforderlichen gesetzlichen Grundlage.
Der Regierungsrat wies den Rekurs durch Entscheid vom 22. September 1955 ab. Die Begründung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Eine Verlegung der Zonengrenze auf die Höhenkote 460 m, wodurch das ganze Grundstück des Beschwerdeführers in die Bauzone A zu liegen käme, würde die Schönheit des Gallispitzes zu sehr beeinträchtigen und sei abzulehnen. Zu prüfen bleibe, ob die Eigentumsgarantie verletzt sei. § 10 VO schreibe vor, dass auf die Anwendung der VO zu verzichten und der Weg der Enteignung zu beschreiten sei, wenn der Eingriff ins Eigentum mit unverhältnismässigen Kosten verbunden sei, was nach der Praxis des Regierungsrates dann der Fall sei, wenn der Eingriff in seinen Wirkungen einer Enteignung gleich- oder nahekomme. Ein aus Gründen des Natur- oder Heimatschutzes ergangener Verwaltungsakt oder Rechtssatz einer Gemeinde, der die Entschädigungspflicht wegen materieller Enteignung zur Folge habe, entbehre somit der gesetzlichen Grundlage und sei aufzuheben. Das streitige Bauverbot stelle indessen keine materielle Enteignung in Sinne der bundesgerichtlichen Rechtssprechung (
BGE 69 I 241
) dar. Ob es sich beim obern Teil des Grundstücks des Beschwerdeführers um Bauland handle, sei angesichts der Steilheit des Hanges und der mangelhaften Zufahrt zweifelhaft, könne aber offen
BGE 82 I 157 S. 160
bleiben, denn selbst wenn es Bauland wäre, würde der Beschwerdeführer nicht in ausserordentlich hohem und empfindlichem Masse betroffen. Einmal sei nur 1/3 des Landes vom Bauverbot betroffen. Sodann sei das Grundstück nicht genügend tief, um in drei Bautiefen überbaut zu werden, wenn man die vorgeschriebenen Grenz- und Gebäudeabstände einhalte; die Belastung des obersten Drittels habe daher nur die zwar spürbare, aber nicht ausserordentlich einschneidende Folge, dass die beiden möglichen Baukörper näher aneinander gerückt werden müssen, als dies ohne das Bauverbot möglich wäre.
C.-
Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Werner Egger, diesen Entscheid der Regierungsrates wegen Willkür (
Art. 4 BV
) und Verletzung der Eigentumsgarantie (Art. 4 KV) aufzuheben.
D.-
Der Regierungsrat des Kantons Zürich und der Stadtrat von Winterthur beantragen die Abweisung der Beschwerde.
E.-
Eine Instruktionskommission des Bundesgerichts hat am 29. Mai 1956 mit den Parteien- in Winterthur-Veltheim einen Augenschein vorgenommen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer hat vor dem Regierungsrat zwei Begehren gestellt; er verlangte in erster Linie die Aufhebung des für die Zone B aufgestellten gänzlichen Bauverbots sowie des damit zusammenhängenden Verbots, in Zone A über die Höhe von 459 m zu bauen, und beantragte eventuell die Verlegung der Zonengrenze auf die Kote 460 m und die Heraufsetzung der zulässigen Bauhöhe in Zone A auf 465 m. Wäre diesem Eventualantrag entsprochen worden, so würde das ganze Grundstück Nr. 3588 in der Zone A liegen und die hauptsächlichste Beschränkung der Benutzung darin bestehen, dass nicht über eine Höhe von 465 m gebaut werden dürfte. Dass auch diese Beschränkung mit der Eigentumsgarantie unvereinbar wäre, macht der Beschwerdeführer nicht geltend; die
BGE 82 I 157 S. 161
Beschwerde richtet sich nach ihrer Begründung ausschliesslich gegen die Aufrechterhaltung des streitigen Bauverbots für das oberste Drittel des Grundstücks Nr. 3588, d.h. gegen die Abweisung des Eventualbegehrens durch den Regierungsrat. Zu prüfen ist somit lediglich, ob das Bauverbot für die Zone B insoweit haltbar ist, als es für das oberste Drittel des Grundstücks Nr. 3588 gilt.
2.
Das in der "Bau- und Schutzverordnung" des Grossen Gemeinderats der Stadt Winterthur enthaltene Bauverbot für die Zone B ist erlassen worden zur Sicherung des Orts- und Landschaftsbildes. Hierin liegt eine öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung im Sinne von
Art. 702 ZGB
. Eine solche ist mit der Eigentumsgarantie, wie sie Art. 4 der Zürcher KV gewährleistet, dann vereinbar, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und, sofern sie in der Wirkung einer Enteignung gleichkommt, gegen Entschädigung erfolgt (
BGE 81 I 29
und dort zitierte Urteile).
Dass das angefochtene Bauverbot im öffentlichen Interesse liegt, ist nicht bestritten. Dagegen bestreitet der Beschwerdeführer sowohl, dass es auf gesetzlicher Grundlage beruhe, als auch, dass es ohne Entschädigung angeordnet werden dürfe, und zwar beides deshalb, weil es in der Wirkung einer Enteignung gleichkomme.
a) Wenn die Beschwerde lediglich auf die Ausrichtung einer Entschädigung für die durch das Bauverbot bewirkte Werteinbusse gerichtet wäre, so könnte von einer Verletzung der Eigentumsgarantie jedenfalls zur Zeit nicht gesprochen werden, da der von einem Eingriffins Eigentum Betroffene, wie in
BGE 81 I 345
ff. näher dargelegt wurde, im Kanton Zürich die Möglichkeit hat, die Entschädigung mit der Forderungsklage gemäss § 1 des Gesetzes vom 23. Juni 1831 über Streitigkeiten im Verwaltungsfach vor dem Zivilrichter geltend zu machen. Der Beschwerdeführer erhebt jedoch nicht, jedenfalls aber nicht in erster Linie, Anspruch auf Entschädigung; vielmehr macht er geltend, der Eingriff sei mangels gesetzlicher Grundlage unzulässig und
BGE 82 I 157 S. 162
daher durch Aufhebung des Bauverbots bzw. durch Verlegung der Zonengrenze zurückzunehmen. Dafür steht ihm der Rechtweg nicht zur Verfügung, sondern nur die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie. Das Bundesgericht hat denn auch wiederholt solche Beschwerden aus dem Kanton Zürich, mit denen öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkungen mangels gesetzlicher Grundlage angefochten worden waren, gutgeheissen (vgl.
BGE 74 I 147
ff.,
BGE 77 I 211
ff.).
b) Die Parteien sind darüber einig, dass die rechtliche Grundlage des streitigen Bauverbots nur in der kantonalen Natur- und Heimatschutzverordnung liegen könne und nach § 10 dieser Verordnung fehle, wenn es enteignungsähnlich wirke. Dieses Einverständnis der Parteien enthebt das Bundesgericht nicht der Aufgabe, diese Frage selber zu prüfen, da im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren die Prorogation ausgeschlossen ist (
BGE 75 I 18
; BIRCHMEIER, Handbuch des OG S. 352) und eine Prorogation auch in einer Einigung wie der vorliegenden stecken könnte.
Die "Bau- und Schutzverordnung" des Grossen Gemeinderates der Stadt Winterthur nennt im Ingress als Grundlagen § 68 des kantonalen Baugesetzes (BG) sowie § 6 der kantonalen Natur- und Heimatschutzverordnung (VO) und behält § 10 dieser Verordnung ausdrücklich vor. § 68 BG ist offenbar Grundlage der für die Zone A. aufgestellten Bauvorschriften und scheidet aus als Grundlage des Bauverbots für die Zone B. Dieses kann sich dagegen auf § 6 VO stützen, sofern dessen Anwendung nicht durch § 10 VO ausgeschlossen ist. Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht, da es sich um die Auslegung und Anwendung kantonalen Verordnungsrechts handelt, nicht frei, sondern nur aus dem beschränkten Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
überprüfen (
BGE 74 I 151
b,
BGE 77 I 218
Erw. 2,
BGE 78 I 428
Erw. 2).
Nach § 10 ist die VO nicht anzuwenden, wenn der dadurch verursachte Eingriff ins Eigentum "mit unverhältnismässigen
BGE 82 I 157 S. 163
Kosten verbunden" ist. Was damit gesagt werden soll, ist nicht klar, weil das Objekt, zu dem die Kosten ins Verhältnis zu setzen sind, nicht genannt wird. Die Zürcher Praxis hat unter den "Kosten" von jeher den dem Betroffenen aus der Eigentumsbeschränkung erwachsenden Schaden, die erlittene Werteinbusse, verstanden und hat angenommen, dieser Schaden sei dann "unverhältnismässig", wenn die Beschränkung enteignungsähnlich wirke; soweit dies zutreffe, sei daher die VO überhaupt nicht anzuwenden, sondern sei nach § 182 Abs. 3 EG zum ZGB zu verfahren, d.h. das formelle Enteignungsverfahren einzuleiten (vgl. die nicht veröffentl. Urteile des Bundesgerichts vom 18. Juli 1941 i.S. Wettstein Erw. 4 und vom 3. Dezember 1945 i.S. Oggenfuss Erw. 5). Diese Auslegung lässt sich, da sich die VO nur auf die Abs. 1 und 2 des § 182 EG zum ZGB stützt, mit sachlichen Gründen vertreten und ist nicht willkürlich. Die VO bildet somit nur dann eine genügende Rechtsgrundlage für das angefochtene Bauverbot, wenn dieses nicht enteignungsähnlich wirkt.
Zu prüfen bleibt, ob durch die im Ingress der "Bau- und Schutzverordnung" enthaltenen Hinweise die Frage nach dem Bestand der gesetzlichen Grundlage des für die Zone B aufgestellten Bauverbotes abschliessend beantwortet sei. Das ist nicht von vornherein zu verneinen, da durch einen unrichtigen Hinweis im Ingress einer Verordnung weder der Mangel einer gesetzlichen Grundlage behoben noch eine wirklich vorhandene gesetzliche Grundlage beseitigt wird (vgl.
BGE 81 I 121
Erw. 2). Im vorliegenden Falle wird indessen durch die Zitate in der "Bau- und Schutzverordnung" des Grossen Gemeinderates der Stadt Winterthur und in der Natur- und Heimatschutzverordnung des Regierungsrates klargestellt, was diese Behörden überhaupt anordnen wollten. Durch den Hinweis auf § 182 Abs. 1 und 2 EG zum ZGB im Ingress der Natur- und Heimatschutzverordnung wird zum Ausdruckgebracht, dass auf Grund dieser Verordnung nur gewöhnliche, nicht
BGE 82 I 157 S. 164
enteignungsähnliche öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen angeordnet werden dürfen, und der Grosse Gemeinderat von Winterthur hat durch den ausdrücklichen Vorbehalt des § 10 VO im Ingress einer Bau- und Schutzverordnung gezeigt, dass das, was er anordne, als nicht enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung aufzufassen sei, dass er also nichts anordne, das auf § 182 Abs. 3 EG zum ZGB abgestützt werden könnte oder müsste.
Damit steht fest, dass das angefochtene Bauverbot nur dann auf gesetzlicher Grundlage beruht, wenn es nicht enteignungsähnliche Wirkung hat.
3.
Nach der vom Beschwerdeführer nicht angefochtenen Praxis des Bundesgerichts und des Zürcher Regierungsrates erscheint ein Eingriff dann materiell, wenn auch nicht der Form nach, als Enteignung, wenn dem Eigentümer ein bisher rechtmässig ausgeübter oder wirtschaftlich verwerteter Gebrauch der Sache untersagt wird, oder wenn das Verbot die Benützung der Sache in ausserordentlich hohem und empfindlichem Masse einschränkt und dabei ausnahmsweise ein einziger oder nur einzelne wenige Eigentümer so getroffen werden, dass diese ein allzu grosses Opfer zugunsten des Gemeinwesens bringen müssten, sofern sie keine Entschädigung erhielten (
BGE 69 I 241
/2 und
BGE 81 I 346
/7 und dort zitierte weitere Urteile).
Durch das für das Land oberhalb der Kote 454 m aufgestellte Bauverbot wird dem Beschwerdeführer kein bisher rechtmässig ausgeübter oder wirtschaftlich verwerteter Gebrauch des Bodens untersagt. Zu prüfen ist, ob das Verbot die Benützung des Bodens in so hohem und empfindlichem Masse beschränkt, dass der Beschwerdeführer ähnlich wie von einer Enteignung betroffen wird.
a) Der Regierungsrat hat bei der Prüfung dieser Frage die Wirkung des Bauverbots im Hinblick auf das ganze Grundstück Nr. 3588 gewogen. Der Beschwerdeführer hält das für unrichtig, ja willkürlich und verlangt, dass die Abwägung nur im Hinblick auf den vom Bauverbot betroffenen Teil des Grundstücks durchgeführt werde, da
BGE 82 I 157 S. 165
sonst auf ein zufälliges, mit dem Bauverbot in keinem innern Zusammenhang stehendes Kriterium abgestellt werde. Das trifft indessen nicht zu. Wenn ein Grundstück nur teilweise mit einem Bauverbot belegt wird, erscheint es als sachlich richtig, die Frage, ob hierin eine materielle Enteignung liege, im Hinblick auf das ganze betroffene Grundstück aufzuwerfen und zu beurteilen; andernfalls hätte jede für eine spätere Strassenverbreiterung gezogene Bau- oder Strassenlinie enteignungsähnliche Wirkung, wovon keine Rede sein kann. Auch das Bundesgericht ist jeweils so vorgegangen, so z.B. im Urteil vom 3. Juli 1946 i.S. Le Fort (abgedruckt in ZSR 66 S. 408a ff.) mit dem Ergebnis, dass es die enteignungsähnliche Wirkung bei einem der Beschwerdeführer, dessen Grundstück durch die Eigentumsbeschränkung unüberbaubar wurde, bejahte, bei den übrigen Beschwerdeführen dagegen, deren Grundstücke nur teilweise unüberbaubar wurden oder sich schon an sich zur Überbauung nicht eigneten, verneinte (Erw. 7-9). Es besteht kein Anlass, von dieser Praxis abzuweichen und die Frage der enteignungsähnlichen Wirkung nicht auch im vorliegenden Falle im Hinblick auf das ganze Grundstück des Beschwerdeführers zu prüfen.
b) Das Grundstück Nr. 3588 liegt an keiner Strasse und hat heute auch keine Zufahrt von der zunächst gelegenen Trottenstrasse her, doch ist diese Zufahrt über die dem Beschwerdeführer gehörende Parzelle Nr. 469 leicht herstellbar, sodass das ganze Grundstück als baureif gelten kann. Besonnung und Aussicht sind im obersten, in der Bauverbotszone liegenden Teil am besten, aber auch weiter unten am Hang durchaus gut. Bei Einhaltung der vom Beschwerdeführer nicht angefochtenen Bauvorschriften für die Zone A (Maximallänge von 24 m für zwei zusammengebaute Wohnhäuser, minimaler Grenzabstand 5 m, minimaler Gebäudeabstand 10 m) können auf dem Grundstück, wie sich aus den vom Bauamt Winterthur vorgelegten Skizzen ergibt, mit oder ohne Bauverbot höchstens zwei Baublöcke zu je zwei Wohnhäusern aufgestellt
BGE 82 I 157 S. 166
werden. Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass auf dem vom Bauverbot betroffenen Landstück nochmals zwei zusammengebaute Häuser erstellt werden könnten, ist offenbar unrichtig; er hat jedenfalls keine Planskizzen für eine solche Überbauung vorgelegt noch nähere Angaben darüber gemacht. Das Bauverbot für das obere Drittel hat demnach in erster Linie den Nachteil zur Folge, dass die beiden Baukörper nicht nach Belieben hangaufwärts in der Richtung der besten Besonnung und Aussicht verschoben werden können. Sodann können die beiden Baublöcke, ob sie längs oder quer zum Hang gestellt werden, nicht so breit sein, wie wenn auch das obere Drittel des Grundstückes überbaut werden könnte. Zu weit geht dagegen die Behauptung des Beschwerdeführers, das oberhalb der Baugrenze gelegene Land habe nur noch den landwirtschaftlichen Ertragswert, denn es lässt sich als Nutz- und Ziergarten verwenden und wird als Umschwung zu einer oder zu mehreren Wohnbauten auch weiterhin einen beachtlichen Wert haben; wer in dieser Gegend Fr. 30.- für den m2 Bauland auslegt, dürfte auch ein grösseres Umgelände dazu erwerben wollen.
Die Nachteile des Bauverbotes für den Beschwerdeführer sollen damit nicht verkleinert werden. Sie liegen klar zutage, sind aber doch nicht derart, dass von enteignungsähnlicher Wirkung gesprochen werden kann. Die Befugnisse des Eigentümers werden merklich, aber doch nicht in "ausserordentlich hohem und empfindlichen Masse" eingeschränkt. Die Beschränkungen bleiben vielmehr im Rahmen dessen, was noch als "gewöhnliche" öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung gelten kann. Im angeführten Urteil i.S. Le Fort wurde ein Bauverbot in der Gemeinde Perroy für einen Landstreifen von durchschnittlich 25 m Breite in schönster Lage am Ufer des Genfersees als nicht enteignungsähnlich betrachtet (Erw. 7). Im vorliegenden Falle ist der vom Bauverbot betroffene Landstreifen nur zwischen 15 und 21 m breit und zudem an einem für die Erstellung von Bauten nicht
BGE 82 I 157 S. 167
besonders geeigneten Steilhang gelegen. Der Eingriff in die Befugnisse des Eigentümers geht somit zweifellos nicht weiter als bei jenen Grundstücken am Genfersee.
Ist demnach die umstrittene Eigentumsbeschränkung nicht enteignungsähnlich, so kann sie sich auf die zürcherische Natur- und Heimatschutzverordnung und damit auf § 182 Abs. 1 und 2 des zürcherischen EG zum ZGB stützen.
Sie beruht somit auf gesetzlicher Grundlage und verletzt die Eigentumsgarantie nicht.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cfda73a9-527f-46cf-a488-bb789c728642 | Urteilskopf
118 II 206
42. Estratto della sentenza 10 marzo 1992 della I Corte civile nella causa diretta A X contro Stato e Repubblica del Cantone Ticino | Regeste
Direktprozess zwischen einem Kanton und Privaten (
Art. 42 OG
).
1. Zusammenfassung der Rechtsprechung zu den Eintretensvoraussetzungen und zum Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit im Sinn von
Art. 42 OG
(E. 2a-c).
2. Die Klage auf Herausgabe eines hinterlegten und anschliessend im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmten Geldbetrages fällt nicht unter den Begriff der Zivilrechtsstreitigkeit gemäss
Art. 42 OG
(Präzisierung der Rechtsprechung; E. 3a-b). Es besteht kein Anlass, den Begriff der Zivilsache auf derartige Fälle auszudehnen (E. 3c).
3. Die Klage auf Herausgabe kann mangels entsprechender Vorschriften auch nicht aus der Haftung des Gemeinwesens abgeleitet werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 207
BGE 118 II 206 S. 207
A.-
Il 30 marzo 1988 la Metal Marketing Corporation of Zambia Ltd. (Memaco), Lusaka (Repubblica dello Zambia), una società statale, ha sporto denuncia penale alla Procura pubblica del Sopraceneri contro X, cittadino canadese e turco, attualmente residente a Toronto (Canada) e Y, cittadino svizzero, per sospetta truffa ed appropriazione indebita. Nella denuncia si faceva valere che X e Y avevano assunto il mandato dalla Memaco, per il tramite della società R S.A., Chiasso, di fornire un prestito dell'ordine di trecentoventi milioni di dollari destinato a finanziare lo sviluppo turistico della Repubblica dello Zambia; che la Memaco aveva versato alla R S.A. negli anni 1985 e 1986 la somma di US$ 15'425'000.-- quale anticipo e che X e Y si erano spartiti questo importo senza adempiere il mandato ricevuto. Contro X il Procuratore pubblico del Sopraceneri ha pure assunto informazioni preliminari nel quadro di un'inchiesta promossa nei confronti dei fratelli Magharian per violazione della legislazione sugli stupefacenti. Il 28 aprile 1988 e l'11 luglio 1988 il Procuratore pubblico ha poi emesso ordini di arresto contro Y e X. Questi è stato fermato nel Principato di Monaco il 5 settembre 1988 e posto in stato d'arresto provvisorio a titolo estradizionale. Il 15 settembre successivo X è stato dimesso dal carcere dopo che si era impegnato a presentarsi all'autorità svizzera. Giunto per aereo nel Ticino, X è stato arrestato la sera di quello stesso giorno all'aeroporto di Agno. Il 16 settembre 1988 e nei giorni seguenti X è stato interrogato a diverse riprese. L'8 ottobre 1988 il Procuratore pubblico del Sopraceneri ha concesso ad X la libertà provvisoria dietro deposito di una cauzione di fr. 100'000.-- e l'invito a non lasciare il territorio svizzero senza l'autorizzazione del magistrato. In precedenza X aveva provveduto a far pervenire, con l'aiuto della moglie A X e del proprio avvocato, alla Banca dello Stato del Cantone Ticino, a disposizione della Procura pubblica, oltre alla citata cauzione, anche un importo di quattro milioni di dollari, somma che nel corso degli interrogatori X aveva ammesso di aver ricevuto da Y nella ripartizione dei pagamenti fatti dalla Memaco alla R S.A. All'udienza dell'8 ottobre 1988, X era assistito da un avvocato francese e da due colleghi ticinesi.
B.-
Nel quadro dell'istruzione formale condotta dal Giudice istruttore - a dipendenza della denuncia sporta dalla Memaco - X ha chiesto il 16 ottobre 1989, unitamente alla moglie, la liberazione del deposito di quattro milioni di dollari. Contro la decisione del 23 ottobre 1989, con la quale il Giudice istruttore rifiutava la liberazione del deposito, X è insorto alla Camera dei ricorsi penali del Tribunale
BGE 118 II 206 S. 208
di appello del Cantone Ticino (CRP). Per contro, la moglie non ha impugnato questa decisione. Il 15 novembre 1989 il Giudice istruttore ha poi ordinato il formale sequestro del deposito: anche questo provvedimento è stato impugnato da X con nuovo reclamo alla CRP. Questa ha respinto entrambi i reclami con un'unica decisione del 21 novembre 1989. Con sentenza del 2 ottobre 1991, il Tribunale federale ha respinto, in quanto ammissibile, un ricorso di X diretto contro la decisione della CRP (
DTF 117 Ia 424
parzialmente pubblicata).
C.-
Con due precetti esecutivi del 5 ottobre 1989 A X e suo marito hanno escusso lo Stato e Repubblica del Cantone Ticino per gli importi di 6,8 e 20 milioni di franchi oltre interessi al 18% dal 7 ottobre, rispettivamente dal 5 settembre 1988. Quale titolo del credito A X ha indicato "indebito arricchimento per nullità della causa. Dolo, errore e timore e risarcimento danni riguardante il deposito, alla Banca dello Stato, di quattro milioni di dollari" e il marito inoltre "risarcimento danni riguardante la domanda di estradizione del Cantone Ticino a Monaco e arresto e detenzione illegale". L'escusso ha interposto opposizione.
Con atto del 2 novembre 1989, X ha ceduto alla moglie la pretesa fondata sull'indebito arricchimento per il deposito dei quattro milioni di dollari nella misura in cui tale pretesa gli appartiene.
D.-
A X ha promosso il 6 aprile 1990 davanti al Tribunale federale una causa per ottenere dallo Stato e Repubblica del Cantone Ticino il versamento dell'importo di fr. 6'800'000.-- oltre interessi al 5% dall'11 ottobre 1988. Il convenuto ha proposto di dichiarare l'azione inammissibile, in subordine di respingerla. In replica e duplica le parti hanno riconfermato le loro conclusioni.
Un dibattimento preparatorio si è svolto il 21 maggio 1991. In questa occasione, è stato deciso, con l'accordo delle parti, di sospendere la procedura fino al giudizio del Tribunale federale sul ricorso di diritto pubblico di X. Dopo la pronuncia di tale giudizio e la redazione della sentenza, con decreto del 9 dicembre 1991 il Giudice delegato ha riassunto la procedura limitatamente al quesito dell'ammissibilità dell'azione (
art. 34 cpv. 2 PC
). Nel contempo la procedura preparatoria è stata dichiarata chiusa e l'attrice, al momento senza patrocinatore, invitata ad eleggere domicilio in Svizzera. Con telescritto del 3 gennaio 1992 essa ha chiesto che il decreto del 9 dicembre 1991 le fosse recapitato per via diplomatica e inoltre ha criticato il fatto che lo stesso sia stato redatto in lingua italiana. Il 13 gennaio 1992 l'attrice ha poi designato un nuovo patrocinatore.
BGE 118 II 206 S. 209
Nel corso della procedura, l'attrice ha cambiato più volte il proprio patrocinatore. Su sua istanza e dopo uno scambio di allegati, con decisione del 19 settembre 1991 il Tribunale federale ha fissato l'onorario del primo patrocinatore ai sensi dell'
art. 161 OG
.
E.-
All'udienza odierna le parti hanno ribadito le loro domande.
Il Tribunale federale ha dichiarato la petizione inammissibile.
Erwägungen
Dai considerandi:
2.
Secondo l'
art. 42 OG
, che è una disposizione d'applicazione dell'
art. 110 cpv. 1 n. 4 Cost.
(
DTF 80 I 245
consid. 3), il Tribunale federale giudica in istanza unica le cause di diritto civile tra un Cantone e privati, quando una parte tempestivamente lo domandi e il valore litigioso sia di 8'000 franchi almeno.
a) Nel caso di specie il valore litigioso supera tale importo.
b) Secondo la giurisprudenza, una parte adisce "tempestivamente" il Tribunale federale, se essa non ha già fatto valere propria la pretesa davanti alle istanze cantonali, rinunciando sia mediante dichiarazione espressa o sia mediante atti concludenti al foro elettivo del Tribunale federale (
DTF 81 I 271
consid. 1 e riferimenti). In concreto, questa condizione è adempiuta nella misura in cui l'attrice fa valere una pretesa propria. Per contro, è dubbio che tale condizione sia adempiuta nella misura in cui essa si richiama all'atto di cessione del marito. Questi ha infatti già fatto valere senza successo davanti alle autorità ticinesi la propria pretesa in restituzione dell'importo sequestrato di quattro milioni di dollari, per cui vi sarebbe rinuncia all'azione civile diretta prevista dall'
art. 42 OG
. Il quesito di sapere se l'attrice faccia valere una pretesa propria o possa richiamarsi alla cessione del marito può comunque rimanere aperto, atteso che l'azione, per le considerazioni che verranno esposte di seguito, deve comunque essere dichiarata inammissibile.
c) Per prassi costante la nozione di causa civile degli
art. 42 OG
e 110 cpv. 1 n. 4, pur avendo lo stesso senso, ha una portata più vasta di quella degli art. 41, 43 segg. e 68 segg. OG. Infatti, essa comprende, oltre alle contestazioni di diritto civile in senso proprio, anche determinati litigi concernenti rapporti giuridici che, secondo la concezione odierna sottostanno al diritto pubblico, ma ai quali il legislatore storico ha a suo tempo attribuito carattere civile (
DTF 107 Ib 157
e rinvii). In particolare, la giurisprudenza del Tribunale federale ha ritenuto che rientrano in questa nozione ampia di causa civile
BGE 118 II 206 S. 210
dell'
art. 42 OG
(cfr. POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Vol. II, Berna, n. 2.1.1 segg. ad
art. 42 OG
): le azioni fondate sulla responsabilità dello Stato per violazione dei doveri d'ufficio dei funzionari cantonali (
DTF 107 Ib 157
consid. 1); le pretese contro un Cantone per il riconoscimento di diritti acquisiti, come ad esempio i diritti d'acqua o di pesca (
DTF 41 II 161
segg. consid. 2 e 756 consid. 1); le pretese pecuniarie dei funzionari cantonali (
DTF 72 I 287
segg. consid. 2;
DTF 75 II 249
seg. consid. 1); le azioni per l'esecuzione di un contratto di diritto amministrativo o per risarcimento danni a seguito di una violazione di tali contratti (
DTF 78 II 26
); le pretese fondate su concessioni cantonali, purché le condizioni di tali concessioni siano state convenute contrattualmente e non siano state fissate dal Cantone con atto d'imperio e nella misura in cui il diritto federale non preveda una procedura particolare (
DTF 80 I 244
segg. consid. 3 e 4).
Per contro, non rientrano nella nozione di causa civile dell'
art. 42 OG
le liti in materia fiscale e di sovvenzioni (
DTF 62 II 291
). Questa interpretazione storica della Costituzione e della legge si fonda sul fatto che al momento dell'emanazione delle disposizioni in discussione la procedura e la giurisprudenza amministrative erano ancora poco sviluppate onde la necessità di sottoporre siffatte contestazioni al giudice civile. È lecito chiedersi se da allora queste considerazioni legislative non abbiano perso di significato (POUDRET, op.cit., n. 2.1.5 ad
art. 42 OG
). Ad ogni modo non sussiste ragione alcuna per estendere la nozione di causa civile così come l'ha definita la giurisprudenza fino ad oggi.
3.
Occorre ora vagliare se la contestazione in esame possa essere ritenuta - sulla scorta delle considerazioni esposte al considerando che precede - una causa civile ai sensi dell'
art. 42 OG
.
a) La somma di cui è chiesta la restituzione è stata dapprima accreditata alla Banca dello Stato del Cantone Ticino, a disposizione della Procura pubblica del Sopraceneri, perché il marito dell'attrice ha ritenuto "che alla luce delle risultanze processuali fosse indispensabile depositare presso l'autorità penale l'ammontare corrispondente a quanto ho percepito nella vicenda". Essa è poi stata oggetto di formale sequestro da parte del Giudice istruttore ai sensi dell'
art. 120 CPP
ticinese in vista di un'eventuale confisca (art. 58 segg. CP), poiché vi erano ragionevoli motivi per ritenere ch'essa si identificava con le somme che il marito dell'attrice ha ottenuto da Y nella spartizione delle rimesse della Memaco. Il sequestro rappresenta una misura processuale penale e quindi un provvedimento di diritto pubblico
BGE 118 II 206 S. 211
(
DTF 117 IV 242
consid. 5d aa; cfr. inoltre sul tema BURCKARDT, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 3a edizione, Berna 1931, pag. 757). Come tale esso non ricade pertanto nei casi - esposti al considerando 2c - che la giurisprudenza considera cause civili ai sensi dell'
art. 42 OG
). Il Tribunale federale si è già pronunciato in tal senso nella sentenza inedita del 16 giugno 1981 nella causa H AG e E R contro Cantone di Zurigo (consid. 2), ove ha ritenuto che una azione in restituzione di una somma sequestrata non rientra nella nozione di causa civile dell'
art. 42 OG
.
b) Le cose non muterebbero neppure qualora si volesse considerare la sola costituzione del deposito. In effetti, a parte il fatto che tale deposito è ora superato dalla misura di sequestro, esso è intervenuto nell'ambito di un procedimento penale e poco importa al riguardo che il versamento sia stato effettuato dal prevenuto X o da una terza persona. Ciò significa che la restituzione della somma depositata non dipende più dalla volontà del deponente, che giusta l'
art. 475 cpv. 1 CO
potrebbe sempre reclamarla, bensì dall'avverarsi di determinate condizioni attenenti alla procedura penale e al diritto penale.
Significativa al proposito è la sentenza resa il 22 febbraio 1902 nella causa Monti e Consorti contro Cantone Ticino (pubblicata in Rep. 1902 pag. 746), in cui il Tribunale federale era chiamato a statuire su una causa diretta ai sensi dell'art. 48 n. 4 v. OG con la quale dei prevenuti chiedevano la restituzione di titoli al portatore sequestrati dall'autorità penale ticinese. Il Tribunale federale ha ritenuto che anche se gli attori si fondavano su un titolo di natura privata (la proprietà dei titoli in base al diritto italiano) l'azione doveva essere dichiarata inammissibile - e non solo sospesa - poiché al suo esercizio si opponeva un'eccezione di diritto pubblico, ossia la pendenza del procedimento penale, sulla quale il Tribunale federale come corte civile non era competente a statuire (sentenza citata pag. 752).
c) L'attrice fonda la propria pretesa sull'indebito arricchimento. Tuttavia, non si può parlare di arricchimento del convenuto già per il motivo che esso non pretende per sé la somma depositata, ma l'ha solo sequestrata fino alla decisione definitiva del Giudice penale. Si volesse prescindere da tale circostanza, si tratterebbe comunque, in base alle considerazioni che precedono, di una pretesa di indebito arricchimento fondata sul diritto pubblico che la giurisprudenza non ha mai sussunto all'
art. 42 OG
. D'altra parte, visto che il diritto penale e la procedura penale offrono una garanzia sufficiente ad una completa protezione giuridica dei cittadini, non vi è alcun motivo per
BGE 118 II 206 S. 212
estendere la nozione di causa civile a casi come quello in esame. A ciò non muta nulla l'asserzione dell'attrice stando alla quale la somma depositata proviene dal proprio patrimonio e non da quello del marito e che quindi non potrebbe essere oggetto di una misura di confisca ai sensi dell'
art. 58 CP
. Le autorità penali ticinesi hanno infatti ordinato il sequestro, come già si è detto, con la motivazione che vi è il fondato sospetto che si tratta di una somma conseguita dal marito nella spartizione delle rimesse della Memaco e questo punto di vista è stato confermato da tutte le istanze di ricorso compreso il Tribunale federale. Spetterà quindi al Giudice di merito statuire in modo definitivo su tale questione. Indipendentemente da quanto precede, occorre poi rilevare che alla misura cautelativa del sequestro e, eventualmente della confisca, possono pure soggiacere beni nella disponibilità di terze persone (cfr. la sentenza del Tribunale federale del 2 ottobre 1991 parzialmente destinata a pubblicazione nella causa X, consid. 20a e rinvii).
4.
L'azione non può neppure essere fondata sulla responsabilità dell'ente pubblico. Al proposito l'attrice adduce che le autorità inquirenti ticinesi avrebbero ordinato il sequestro in modo illegale. Tuttavia, negli anni 1988 e 1989, periodo nel quale si sono svolti i fatti in discussione, nel Cantone Ticino non era ancora entrata in vigore la legge sulla responsabilità dell'ente pubblico (LResp). Questa porta infatti la data del 24 ottobre ed è entrata in vigore il 1o gennaio 1990 ed inoltre essa si applica solo all'atto illecito, causa del danno verificatosi dopo la sua entrata in vigore (
art. 32 LResp
). Prima del 1o gennaio 1990, nel Cantone Ticino, tranne alcune norme che regolavano la responsabilità personale di alcuni funzionari, non era prevista una responsabilità dell'ente pubblico per gli atti compiuti dai suoi agenti (
DTF 108 II 335
seg. consid. 3; cfr. inoltre BIANCHI, Ente pubblico e responsabilità per illecito, in: RDAT 1979, pag. 265 segg.).
Nella petizione l'attrice solleva anche la questione di sapere se in concreto non vi sia un contratto di diritto amministrativo. A questo quesito dà poi essa stessa - a ragione - risposta negativa. Il sequestro della somma depositata costituisce infatti un atto d'imperio statale, anche nell'ipotesi in cui l'attrice e suo marito hanno proceduto al deposito più o meno spontaneamente. | public_law | nan | it | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cfe7bfb1-2883-4493-840c-01e7be91b172 | Urteilskopf
115 Ib 163
22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. August 1989 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Führerausweisentzug; Entzugsdauer.
Die kantonale Behörde überschreitet das ihr zustehende Ermessen, wenn sie auf ein Mehrfaches der minimalen Entzugsdauer erkennt, obwohl alle Faktoren, die bei der Bemessung der Dauer berücksichtigt werden müssen, für den Betroffenen positiv zu werten sind (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 163
BGE 115 Ib 163 S. 163
Aus den Erwägungen:
1.
X. fuhr am 7. Mai 1987, um ca. 15.00 Uhr, mit einem Lieferwagen auf der geradeaus führenden Glärnischstrasse in Männedorf in Richtung Bergstrasse. Wegen eines am rechten Strassenrand parkierten Personenwagens musste er auf die linke Fahrbahnseite ausweichen. Als er sich auf der Höhe des abgestellten
BGE 115 Ib 163 S. 164
Autos befand, näherte sich auf der von links einmündenden Haldenstrasse der 11jährige Y. mit seinem Fahrrad, der nach rechts in die Glärnischstrasse biegen wollte. Dabei stiess er mit der vorderen linken Front des Lieferwagens zusammen. Der Schüler erlitt tödliche Kopfverletzungen.
Der Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Meilen sprach X. am 20. Oktober 1987 der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 500.--. Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Die Polizeidirektion des Kantons Zürich entzog X. mit Verfügung vom 10. Oktober 1988 den Führerausweis für die Dauer von sechs Monaten. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hiess am 17. Mai 1989 einen dagegen gerichteten Rekurs teilweise gut und reduzierte die Entzugsdauer auf vier Monate.
X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Beschluss des Regierungsrates sei aufzuheben und von einem Entzug sei abzusehen.
In ihrer Stellungnahme ans Bundesgericht beantragt die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich namens des Regierungsrates, die Beschwerde sei abzuweisen.
2.
Gemäss
Art. 34 Abs. 1 SVG
müssen Fahrzeuge rechts fahren. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, diese Verkehrsregel verletzt zu haben, indem er nach dem Ausweichmanöver zu spät auf die rechte Strassenseite zurückgekehrt ist. Unter Hinweis auf das Strafurteil macht er vor Bundesgericht geltend, es liege ein leichter Fall im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
vor, der es rechtfertige, nur auf eine Verwarnung zu erkennen.
a) Soweit der Beschwerdeführer auf die bundesgerichtliche Praxis hinweist, wonach die Administrativbehörde nicht ohne Not von der Auffassung des Strafrichters abweichen soll, ist er nicht zu hören. Wie das Bundesgericht in
BGE 103 Ib 105
ff. entschieden hat, gilt dies unter Umständen in bezug auf die tatsächlichen Feststellungen; in reinen Rechtsfragen, wozu die Beurteilung der Schwere eines Falles zählt, ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber nicht an die Ansicht des Strafrichters gebunden (s. auch
BGE 104 Ib 359
E. 1).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bei der Beurteilung, ob ein leichter Fall im Sinne von
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG
vorliegt, in erster Linie die Schwere der Verkehrsgefährdung und die Schwere des Verschuldens, daneben aber auch der automobilistische Leumund zu würdigen (
BGE 105 Ib 259
E. 2c mit Hinweis).
BGE 115 Ib 163 S. 165
Nach Ansicht der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer eine erhebliche Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen, indem er vor der nicht allzu übersichtlichen Verzweigung mit seinem Lieferwagen zu lange auf der linken Fahrspur verblieben sei. Dieser Beurteilung ist beizupflichten, zumal auch in der Beschwerde nichts dagegen eingewendet wird. Zum automobilistischen Leumund hat der Regierungsrat festgestellt, dieser sei ungetrübt.
Die Vorinstanz bezeichnete das Verschulden des Beschwerdeführers als "nicht mehr leicht"; zugleich verwies sie auf das "überzeugend begründete Strafurteil", wonach das Verschulden "nicht besonders schwer" wiege. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass der Regierungsrat das Verschulden als mittelschwer einstufte. Damit aber setzt er sich in Widerspruch zur Begründung dieser Auffassung, wo festgestellt wird, der Unfall sei nicht auf eine rücksichtslose Fahrweise, sondern darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdeführer den Führerausweis erst seit drei Monaten besessen habe und mit dem Lieferwagen nicht vertraut gewesen sei, weshalb man eigentlich von einem "Einschätzungsfehler anlässlich des Ausweichmanövers" sprechen könne. Bei dieser Sachlage ist aber davon auszugehen, dass ein eher leichtes Verschulden vorliegt. Demgegenüber ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer nicht noch weiter entgegenkam und das Verschulden als "sehr leicht" bezeichnete.
Gesamthaft gesehen hielt sich der Regierungsrat noch innerhalb des ihm zustehenden Ermessens, als er nicht von einem leichten Fall ausging, zu welcher Schlussfolgerung er insbesondere deshalb berechtigt war, weil die Verkehrsgefährdung unbestrittenermassen eine erhebliche war.
3.
Eventualiter beantragt der Beschwerdeführer, die Entzugsdauer sei auf einen Monat herabzusetzen. Nach
Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
stellt dies die Mindestentzugsdauer dar. Wie die Vorinstanz richtig bemerkt, bemisst sich die Dauer der Massnahme im übrigen nach der Schwere des Verschuldens, dem Leumund des Beschwerdeführers und der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu lenken.
Nach dem oben Gesagten ist von einem leichten Verschulden und einem ungetrübten automobilistischen Leumund auszugehen. Die Vorinstanz stellte weiter fest, der Beschwerdeführer sei beruflich auf den Besitz des Führerausweises angewiesen. Dennoch verfügte sie eine Massnahmedauer von vier Monaten. Diese Folgerung
BGE 115 Ib 163 S. 166
ist unverständlich. Zwar steht der kantonalen Behörde hinsichtlich der Bemessung der Entzugsdauer ein weiter Spielraum des Ermessens zu, und das Bundesgericht greift nur ein, wenn dieses Ermessen überschritten oder missbraucht wurde. Dies aber ist der Fall, wenn alle Bemessungsfaktoren für den Betroffenen positiv zu werten sind, die Behörde aber auf ein Mehrfaches der minimalen Entzugsdauer erkennt. Die Vorinstanz wies selber noch zugunsten des Beschwerdeführers darauf hin, dass er vom Unfall sehr betroffen und dass er an der fraglichen Kreuzung vortrittsberechtigt war. Der vorliegend zu beurteilende viermonatige Entzug ist deshalb in seiner Höhe eindeutig zu hart ausgefallen und der angefochtene Entscheid folglich aufzuheben.
Da die Angelegenheit spruchreif ist und eine Rückweisung einen unnötigen Leerlauf darstellen würde, entscheidet das Bundesgericht in der Sache selber (
Art. 114 Abs. 2 OG
). Nach dem Gesagten erscheint ein Ausweisentzug für die Dauer von einem Monat als angemessen. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cfeb60c0-1d8b-4c0a-a578-2678c5d97ccd | Urteilskopf
137 IV 1
1. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden (Beschwerde in Strafsachen)
6B_435/2010 vom 16. Dezember 2010 | Regeste
Art. 133 StGB
; Raufhandel.
Nach ständiger Rechtsprechung wird ein Streit zwischen zwei Personen zum Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift. Gebietet es die unmittelbare Abfolge der Vorkommnisse, das Tatgeschehen als Einheit zu betrachten, ist auch der Auslöser eines Raufhandels Beteiligter im Sinne von
Art. 133 Abs. 1 StGB
. Unerheblich ist, dass dessen aktive Teilnahme vor der Beteiligung einer dritten Person an der tätlichen Auseinandersetzung erfolgte und er sich in der Folge nur noch passiv verhielt. Anders ist es, wenn sich das Tatgeschehen klar in mehrere Handlungseinheiten unterteilen lässt (Präzisierung der Rechtsprechung; E. 4.3). | Erwägungen
ab Seite 2
BGE 137 IV 1 S. 2
Aus den Erwägungen:
1.
Dem vorinstanzlichen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am Abend des 5. Septembers 2008 kam es zwischen dem Beschwerdeführer und mehreren jungen Männern - A., B. und C. - zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen. Zuvor hatte der Beschwerdeführer A. darauf aufmerksam gemacht, dass dieser sein Fahrzeug unberechtigterweise auf einem Besucherparkplatz der Liegenschaft, in welcher der Beschwerdeführer wohnt, abgestellt habe. Im Laufe der hitzigen Diskussion holte der Beschwerdeführer die Hausabwartin H. herbei, die das weitere Geschehen mitverfolgen konnte. In der Folge eskalierte der verbale Streit insofern, als der Beschwerdeführer nach einer Beleidigung von Seiten des B. diesem einen Schlag ins Gesicht verpasste. Darauf stiessen ihn die drei jungen Männer zu Boden und schlugen mit Fäusten und Füssen auf ihn ein. Der Hausabwartin H., einem unbeteiligten Kollegen der jungen Männer sowie der Ehefrau des Beschwerdeführers gelang es, diese von ihm wegzureissen. Aufgrund der Schläge und Tritte erlitt der Beschwerdeführer Verletzungen, die einen mehrtägigen Spitalaufenthalt sowie eine Arbeitsunfähigkeit von zwei Wochen, jedoch keine bleibenden Schäden, zur Folge hatten.
2.
Die Vorinstanz erwägt, der Schlag des Beschwerdeführers ins Gesicht von B. habe unmittelbar zur Eskalation der Auseinandersetzung geführt und damit einen Teil davon gebildet. Durch den Faustschlag sei er aktiv an der Schlägerei beteiligt gewesen. Ob er sich in der Folge nur noch passiv verhielt bzw. darauf beschränkte, Schläge abzuwehren, sei daher irrelevant. Der Tatablauf - der Schlag ins Gesicht von B. sowie die darauffolgende Intervention der anderen jungen Männer - sei als Einheit zu betrachten, nicht als zwei getrennte Geschehensabläufe. Daher habe es sich um eine wechselseitige Auseinandersetzung von mindestens drei Personen gehandelt. Durch sein Verhalten habe der Beschwerdeführer die Schlägerei in Kauf genommen, weshalb zumindest von Eventualvorsatz auszugehen sei.
BGE 137 IV 1 S. 3
Indem er nach einer hitzigen verbalen Diskussion auf eine Beleidigung mit einem Faustschlag reagiert habe, habe ihm bewusst sein müssen, dass er damit eine Eskalation der angespannten Lage herbeiführen würde.
(...)
4.
4.1
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie zu Unrecht davon ausgegangen sei, er habe (eventual-)vorsätzlich gehandelt. So habe er nicht damit gerechnet, dass sich nach dem Faustschlag weitere Jugendliche in die tätliche Auseinandersetzung einmischen würden. Zu diesem Zeitpunkt hätten die anderen beiden jungen Männer mehrere Meter weit entfernt gestanden und sich mit der Hausabwartin unterhalten. Es habe sich also um zwei parallele, voneinander unabhängige Unterhaltungen gehandelt. Er habe zudem die intervenierenden Männer nicht geschlagen, was ein weiteres Zeichen dafür sei, dass er keine Schlägerei mit mehreren Beteiligten habe anzetteln wollen. Als Einzelperson sei er den jungen Männern sodann klar unterlegen gewesen. Auch dies lasse erkennen, dass er sich nicht willentlich auf eine tätliche Auseinandersetzung mit mehreren Personen eingelassen habe. Ansonsten hätte er auch ernsthafte Verletzungen in Kauf nehmen müssen, was er nicht getan habe.
4.2
4.2.1
Gemäss
Art. 133 StGB
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer sich an einem Raufhandel beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat (Abs. 1). Nicht strafbar ist, wer ausschliesslich abwehrt oder die Streitenden scheidet (Abs. 2).
4.2.2
Ein Raufhandel ist eine wechselseitige tätliche Auseinandersetzung von mindestens drei Personen, die den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen zur Folge hat. Ein Streit zwischen zwei Personen wird zum Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift. Strafbar ist, wer sich beteiligt, d.h. wer aktiv am Raufhandel teilnimmt in einer Weise, die geeignet ist, die Auseinandersetzung zu fördern bzw. deren Intensität zu steigern. So ist auch derjenige Beteiligter, der vor der Erfüllung der objektiven Strafbarkeitsbedingung - den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen - vom Raufhandel ausscheidet, da seine bisherige Mitwirkung die Streitfreudigkeit der Beteiligten gesteigert hat, so dass die dadurch erhöhte Gefährlichkeit der Schlägerei regelmässig auch über die Dauer der
BGE 137 IV 1 S. 4
Beteiligung einzelner Personen hinaus fortwirkt. Darüber hinaus gilt auch der Abwehrende als Beteiligter. Er ist gemäss
Art. 133 Abs. 2 StGB
nicht strafbar. Aber nur wer sich völlig passiv verhält, ist von der Bestimmung nicht erfasst (
BGE 131 IV 150
E. 2.1;
BGE 106 IV 246
E. 3b, d und e; je mit Hinweisen).
Tätliche Auseinandersetzungen zwischen mehr als zwei Personen sind oft derart unübersichtlich, dass sich nicht nachweisen lässt, wer die Körperverletzung oder den Tod einer Person verursacht hat. Sinn und Zweck von
Art. 133 StGB
ist, in solchen Situationen zu verhindern, dass die Verantwortlichen straflos bleiben. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten ist bereits die Beteiligung am Raufhandel unter Strafe gestellt. Es handelt sich beim Raufhandel mithin um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, obschon ein Erfolg eintreten muss. Dieser Verletzungserfolg ist objektive Strafbarkeitsbedingung (vgl. etwa ANDREAS DONATSCH, Delikte gegen den Einzelnen, Strafrecht 3, 9. Aufl. 2008, S. 65).
4.2.3
In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt (vgl. PETER AEBERSOLD, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, N. 11 zu
Art. 133 StGB
). Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (
BGE 133 IV 222
E. 5.3 mit Hinweisen).
Der Vorsatz betreffend Raufhandel muss sich nur auf die objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, nicht aber auf die Todes- oder Körperverletzungsfolge, da es sich hierbei um eine objektive Strafbarkeitsbedingung handelt (
BGE 118 IV 227
E. 5b mit Hinweisen; AEBERSOLD, a.a.O., N. 11 zu
Art. 133 StGB
). Es genügt, wenn der Täter damit rechnet, dass sich mehr als zwei Personen an der tätlichen Auseinandersetzung beteiligen (
BGE 106 IV 246
E. 3b).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sog. innere Tatsachen und ist damit Tatfrage. Rechtsfrage ist hingegen, ob gestützt auf die festgestellten Tatsachen Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz gegeben ist (vgl.
BGE 133 IV 9
E. 4.1
BGE 137 IV 1 S. 5
mit Hinweisen). Feststellungen zum Sachverhalt prüft das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (
Art. 97 Abs. 1 BGG
). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert begründet werden (
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Auf eine blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (
BGE 135 III 513
E. 4.3 mit Hinweis).
4.3
4.3.1
Der Beschwerdeführer führte mit mehreren jungen Männern eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen und Beschimpfungen. Auf eine Beleidigung von Seiten des B. reagierte er mit einem Faustschlag in dessen Gesicht. Dies führte unmittelbar dazu, dass ihn die anderen beiden Männer - A. und C. - sowie B. zu Boden stiessen und mit Fäusten schlugen sowie mit Füssen traten. Das Tatgeschehen lässt sich nicht in zwei Phasen (1. Faustschlag des Beschwerdeführers gegen B. auf dessen Beleidigung hin, 2. anschliessender Angriff der jungen Männer auf den Beschwerdeführer) aufgliedern, sondern bildet in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht eine Einheit. Unklar ist aufgrund des erstellten Sachverhalts, ob sich der Beschwerdeführer, nachdem er zu Boden gestossen wurde, weiterhin aktiv am Raufhandel beteiligte, indem er Abwehrhandlungen vornahm, oder sich nur noch passiv verhielt. Dies ist jedoch, wie die Vorinstanz zu Recht festhält, nicht von Belang, da bereits ein einziger Schlag als aktive Beteiligung im Sinne von
Art. 133 StGB
gilt (
BGE 94 IV 105
). Zwar richtete sich der Schlag des Beschwerdeführers nur gegen B. Ein Streit zwischen zwei Personen wird zum Raufhandel, wenn ein Dritter tätlich eingreift (vgl. E. 4.2.2 hievor). Diese Praxis zu
Art. 133 StGB
ist dahingehend zu präzisieren, dass auch der Auslöser eines Raufhandels Beteiligter ist, wenn die unmittelbare Abfolge der Vorkommnisse - verbale Auseinandersetzung, Faustschlag, Einmischung weiterer Personen - es gebietet, das Tatgeschehen als Einheit zu betrachten. Unerheblich ist, dass die aktive Teilnahme des Beschwerdeführers vor der Beteiligung einer dritten Person am Raufhandel erfolgte und er sich in der Folge nur noch passiv verhielt. Anders ist es, wenn sich das Tatgeschehen klar in mehrere Handlungseinheiten unterteilen lässt (vgl. dazu
BGE 106 IV 246
E. 3b). Eine solche Auslegung des Begriffs der Beteiligung steht mit dem Wortlaut und insbesondere dem Sinn der Strafbestimmung in Einklang. Obgleich der Zweck der Norm darin liegt, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. E. 4.2.2. hievor), kann dies nicht bedeuten, dass derjenige, dem
BGE 137 IV 1 S. 6
anlässlich einer tätlichen Auseinandersetzung eine Tathandlung klar zugeordnet werden kann, nicht - unter anderem - wegen Raufhandels zu bestrafen ist.
In objektiver Hinsicht ist der Tatbestand des Raufhandels somit erfüllt.
4.3.2
Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe nicht mit der Beteiligung weiterer Personen an der Auseinandersetzung gerechnet, weshalb er nicht (eventual-)vorsätzlich gehandelt habe. Die Rüge betrifft nicht eine Rechts-, sondern eine Tatfrage. Der Beschwerdeführer erhebt keine Willkürrüge gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. Soweit er abweichende Feststellungen macht, weshalb er nicht mit der Beteiligung weiterer Personen an der tätlichen Auseinandersetzung gerechnet habe (etwa, weil die anderen beiden Männer einige Meter weit entfernt gewesen seien), genügen seine Vorbringen den Begründungsanforderungen an eine Willkürrüge nicht. Insofern ist darauf nicht einzutreten.
4.3.3
In Anbetracht der verbindlich festgestellten Tatumstände durfte die Vorinstanz davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die Beteiligung weiterer junger Männer an der tätlichen Auseinandersetzung zumindest für möglich hielt und in Kauf nahm. Wer mit mehreren jungen Männern, die als Gruppe auftreten, einen hitzigen verbalen Streit führt und in der Folge einen dieser Männer ins Gesicht schlägt, muss damit rechnen, dass sich die anderen einmischen und dem Angegriffenen zu Hilfe eilen. Dabei ist unerheblich, dass sich der Faustschlag nur gegen die Person richtete, die ihn zuvor beleidigt hatte, und die anderen Männer zu diesem Zeitpunkt mit der Hausabwartin diskutierten. Eine räumliche, zeitliche und sachliche Nähe bestand trotzdem. Wie bereits erläutert, geht die Vorinstanz zu Recht davon aus, der Tatablauf vom Faustschlag bis zum Eingreifen der anderen jungen Männer sei als Einheit zu betrachten. Das eine führte zum anderen, was der Beschwerdeführer zumindest mit grosser Wahrscheinlichkeit für möglich hielt. Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz im Ergebnis von diesem Wissen auf die Inkaufnahme eines Raufhandels im Sinne von
Art. 133 StGB
schliesst. Daran vermag der Hinweis des Beschwerdeführers, die erlittenen Verletzungen nicht in Kauf genommen zu haben, nichts zu ändern. Der subjektive Tatbestand ist erstellt. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cfec0e8b-94a2-4539-9fc5-dc5d55313f37 | Urteilskopf
108 Ib 211
38. Estratto della sentenza 25 giugno 1982 della II Corte di diritto pubblico nella causa Rita S.A. c. Commissione di ricorso del Cantone Ticino per l'applicazione del DAFE (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland: Widerruf einer Auflage; Reinvestitionsverpflichtung.
1.
Art. 17 Abs. 4 BewV
: Allein die Tatsache, dass eine von Personen mit Wohnsitz im Ausland beherrschte Gesellschaft beabsichtigt, ihr eigenes Grundstück in der Schweiz einem Subjekt des schweizerischen Rechts zu verkaufen, rechtfertigt den Widerruf einer Auflage nicht; solche Umstände stellen in keiner Weise einen besonderen Härtefall dar (Erw. 2).
2. Art. 6 Abs. 5 Bst. a BewB: Die Auflage betreffend Wiederverwendung des Verkaufserlöses darf dem Veräusserer nur auferlegt werden, wenn der Erwerber einer Bewilligung gemäss
Art. 6 Abs. 2 lit. d BewB
bedarf und es sich um den Verkauf neu erstellter preisgünstiger Wohnungen handelt (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 212
BGE 108 Ib 211 S. 212
Il 18 luglio 1975 l'Autorità di prima istanza del distretto di Bellinzona ha autorizzato la Ritova Anstalt di Vaduz ad acquistare tutte le azioni della società anonima immobiliare Rita, con sede a Bellinzona, consentendole di costruire sulla particella n. 4849 RFD di Bellinzona - proprietà della Rita S.A. - uno stabile di 24 appartamenti sussidiati. L'autorizzazione, fondata sull'art. 6 cpv. 2 lett. d del decreto federale sull'acquisto di fondi da parte di persone all'estero del 23 marzo 1961 (DAFE), è stata gravata di due oneri:
"a) L'acquirente può stabilire e aumentare le pigioni soltanto con il
permesso dell'autorità cantonale competente a promuovere la costruzione di
nuove abitazioni economiche.
b) L'acquirente può alienare il fondo soltanto dopo un termine di
almeno 10 anni e soltanto col permesso dell'autorità cantonale competente e
a un prezzo che non causi un aumento delle pigioni moderate."
Questa decisione è regolarmente passata in giudicato.
BGE 108 Ib 211 S. 213
Il 7 maggio 1981 la Rita S.A. ha presentato una domanda volta alla soppressione del secondo onere, in modo da poter vendere il fondo predetto alla compagnia di assicurazione "La Neuchâteloise". L'Autorità di prima istanza ha risolto l'8 maggio 1981, richiamandosi all'art. 17 cpv. 4 dell'ordinanza sull'acquisto di fondi da parte di persone all'estero del 21 dicembre 1973 (OAFE):
"1. Il divieto di alienazione giusta l'art. 6 cpv. 5 lett. c DAFE
(...) è revocato parzialmente con la vendita dello stabile con abitazioni
economiche ad un soggetto di diritto svizzero.
2. È imposto il seguente onere, da far menzionare d'ufficio a RF:
onere di reinvestimento di cui all'
art. 6 cpv. 5 lett. a DAFE
per la
costruzione di altre abitazioni economiche su un fondo attrezzato a sua
disposizione."
Insorta il 13 maggio 1981 alla Commissione cantonale di ricorso, la Rita S.A. ha postulato l'annullamento del nuovo onere. Il 16 giugno 1981 l'Autorità adita ha respinto il ricorso in quanto ricevibile, osservando che l'obbligo di reinvestimento incombeva tutt'al più alla Ritova Anstalt e non alla Rita S.A. A titolo sussidiario, e nel merito, l'autorità ha rilevato che l'onere avversato, tassativamente prescritto dall'
art. 6 cpv. 5 lett. a DAFE
, si legittimava in concreto anche nella prospettiva degli scopi perseguiti dalla legge.
La Rita S.A. ha introdotto il 6 luglio 1981 un ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale. Sostenendo come la legittimazione ricorsuale della società non potesse essere messa in dubbio, essa ha affermato che l'onere controverso non è suffragato da alcuna base legale e ha concluso, di conseguenza, per l'annullamento della pronuncia cantonale unitamente al dispositivo n. 2 della decisione di prima istanza. Il Tribunale federale ha accolto il ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
2.
L'Autorità di prima istanza ha autorizzato la ricorrente ad alienare lo stabile di sua proprietà, revocando il precedente divieto ancorato all'art. 6 cpv. 5 lett. c DAFE. Né l'autorità cantonale abilitata a ricorrere né l'Ufficio federale di giustizia si sono aggravati contro tale sindacato (dispositivo n. 1 della decisione 8 maggio 1981), che ha così acquisito forza di cosa giudicata. La ricorrente precisa, da parte sua, di non contendere questo punto. Ne segue che il Tribunale federale non può vagliare la revoca del divieto, anche se essa consacra una violazione flagrante dell'
art. 17 cpv. 4 OAFE
. Detta norma prevede, invero, la
BGE 108 Ib 211 S. 214
possibilità di revocare oneri la cui esecuzione si riveli impossibile o di estremo rigore, ma nella specie in esame non si sono constatate circostanze precise che comportassero, per la ricorrente, una situazione d'estremo rigore. Entrambe le istanze cantonali si sono semplicemente richiamate al parere dell'Ufficio federale di giustizia, che ha reputato applicabile l'ordinamento eccezionale della revoca per il solo fatto che l'immobile della Rita S.A. sarebbe tornato in mani svizzere. Ora, se un simile proponimento può apparire conforme alle finalità della legge, non deve ammettersi di converso l'applicazione estensiva dell'
art. 17 cpv. 4 OAFE
a contingenze che palesemente non sono assimilabili a casi d'estremo rigore (cfr.
DTF 102 Ib 337
consid. 1b). Posta questa premessa, rimane da appurare se le autorità cantonali potevano, a mente dell'
art. 6 cpv. 5 lett. a DAFE
, obbligare la ricorrente a reinvestire il ricavo della vendita dello stabile in nuove abitazioni economiche a pigione moderata.
3.
L'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE (introdotto il 24 giugno 1970, RU 1970 pag. 1195, e modificato il 21 marzo 1973, RU 1974 pag. 83) stabilisce anzitutto che sussiste interesse legittimo all'acquisto di un fondo se questo, situato in un luogo con penuria di alloggi, è destinato alla costruzione di abitazioni economiche o se si tratta di un fondo con nuove abitazioni economiche. La modifica legislativa del 21 marzo 1973 ha vincolato tale disciplina, destinata ad agevolare il regime autorizzativo per favorire la creazione di alloggi a pigione moderata (cfr. Boll. uff. 1970 CN 94 segg. e 401 segg., CSt 209 segg.; FF 1972 pag. 1046 seg.; Boll. uff. 1972 CN 2227 segg. e 1973 CSt 18 segg.), agli oneri disposti dall'
art. 6 cpv. 5 DAFE
. Fra di essi figura appunto, alla lettera a, l'obbligo per l'alienante di nuove abitazioni economiche "di impiegare il ricavo per la costruzione di abitazioni economiche su un fondo attrezzato a sua disposizione". Dal chiaro testo della norma si desume nondimeno che l'imposizione dell'onere presuppone due requisiti cumulativi: da un lato occorre che l'acquisto sia soggetto ad autorizzazione secondo l'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE, dall'altro che la vendita riguardi "nuove abitazioni economiche".
a) L'Autorità di prima istanza ha revocato il divieto d'alienazione, come si è visto, per il fatto che la ricorrente intendeva vendere la nota casa d'appartamenti a una società svizzera, non sottoposta all'esigenza di permessi d'acquisto nel senso dell'art. 6 cpv. 2 lett. d DAFE. Ma, proprio
BGE 108 Ib 211 S. 215
perché un'operazione congenere non necessita dell'autorizzazione citata, il primo imperativo fissato dall'
art. 6 cpv. 5 lett. a DAFE
non si dimostra adempiuto. D'altro lato non può equipararsi l'avvenuta revoca di un onere - come quella appena illustrata - al requisito, che concerne il compratore, di un'autorizzazione d'acquisto. Ne discende che l'onere di reinvestimento deve essere invalidato di conseguenza.
b) Stando alle indicazioni fornite dall'Ufficio federale di giustizia, la costruzione del ricordato stabile è terminata nell'ottobre 1976, ossia più di quattro anni prima dell'inoltro della domanda intesa alla revoca del divieto decennale d'alienazione. V'è da chiedersi se a quel momento potesse ancora farsi questione di "nuove abitazioni economiche" a norma dell'
art. 6 cpv. 5 lett. a DAFE
. Il problema può invero rimanere indeciso, dal momento che l'onere di reinvestimento cade per quanto si è spiegato al considerando che precede. | public_law | nan | it | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cfecd0a1-008f-42fb-bc47-2c500bb884f9 | Urteilskopf
137 III 85
13. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause X. SA contre Y. BV (recours en matière civile)
4A_440/2010 du 7 janvier 2011 | Regeste
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit; Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen gegen die Weigerung des Schiedsgerichts, einen ergänzenden Schiedsentscheid zu erlassen.
Die Weigerung des Schiedsgerichts, einen ergänzenden Schiedsentscheid zu erlassen, hat in der Form eines beschwerdefähigen Entscheids zu ergehen. Verhältnis zwischen der Beschwerde gegen den ursprünglichen Entscheid und dem Gesuch um Erlass eines ergänzenden Entscheids (E. 1.2). | Sachverhalt
ab Seite 85
BGE 137 III 85 S. 85
A.
Une procédure arbitrale internationale, régie par le Règlement d'arbitrage accéléré de l'Organisation Mondiale de la Propriété Intellectuelle (
http://www.wipo.int/amc/fr/arbitration/expedited-rules
; ci-après: le Règlement), a opposé la société de droit néerlandais Y. BV à la société de droit suisse X. SA au sujet d'une licence exclusive d'exploitation d'une marque pour des vêtements (cf.
ATF 136 III 200
).
Le 17 juin 2010, l'arbitre unique a rendu sa sentence finale, dont il a corrigé une erreur de calcul, sur requête de Y. BV, dans un mémorandum rectificatif du 9 juillet 2010, tout en y rejetant une requête similaire déposée par X. SA.
BGE 137 III 85 S. 86
Le 15 juillet 2010, X. SA, invoquant l'
art. 59 let
. c du Règlement, a demandé à l'arbitre unique de rendre une sentence additionnelle. Par lettre du 4 août 2010, l'arbitre unique a informé les parties qu'il n'y avait pas lieu, à son avis, de faire droit à cette demande.
B.
Le 23 août 2010, X. SA a formé un recours en matière civile en vue d'obtenir l'annulation partielle de la sentence finale rectifiée et l'annulation de "la sentence additionnelle rejetant la requête de sentence additionnelle".
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours dans la mesure où il était recevable.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.2
Le recours porte sur trois objets distincts: la sentence finale du 17 juin 2010, le mémorandum rectificatif du 9 juillet 2010 et la décision du 4 août 2010 sur demande de sentence additionnelle.
La recevabilité du recours ne fait pas problème, dans la mesure où celui-ci est dirigé contre la sentence finale (
ATF 136 III 200
consid. 2.3.1 p. 203) et contre la sentence rectificative (
ATF 131 III 164
consid. 1.2). Bien que cela n'aille pas de soi, elle doit aussi être admise en tant que le recours vise la décision par laquelle l'arbitre unique a refusé de donner suite à la demande de sentence additionnelle que la recourante lui avait soumise sur la base de l'
art. 59 let
. c du Règlement. A cet égard, il sied d'appliquer,
mutatis mutandis
, aux sentences additionnelles les principes jurisprudentiels régissant les sentences rectificatives (BERGER/KELLERHALS, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 2
e
éd. 2010, n° 1418). Or, le Tribunal fédéral a une conception large de la sentence rectificative, qu'il définit comme une sentence rendue à la suite d'une demande en rectification ou d'office, "quelle que soit la décision prise dans cette sentence" (
ATF 131 III 164
consid. 1.2.3 p. 169). Les auteurs qui se sont penchés sur la question ont déduit, à juste titre, de cette définition qu'une décision du tribunal arbitral refusant une rectification doit être rendue sous la forme d'une sentence susceptible de recours (LAURENT HIRSCH, Recours contre une sentence rectificative en matière d'arbitrage international, Jusletter du 22 août 2005 n
os
57 à 62; BERGER/KELLERHALS, op. cit., n° 1411). Il doit en aller de même en ce qui concerne le rejet d'une demande tendant au prononcé d'une sentence additionnelle. Pour le reste, et dans le droit fil de ce qui a été admis relativement aux sentences rectificatives, il
BGE 137 III 85 S. 87
convient de poser, ici aussi, que la procédure visant à obtenir une sentence additionnelle et la procédure de recours contre la sentence finale ne doivent pas interférer. Ainsi, le dépôt d'une demande de sentence additionnelle ne suspendra pas le délai pour recourir contre la sentence initiale. De même, le droit d'attaquer celle-ci ne devrait pas être subordonné à l'introduction préalable d'une telle demande (
ATF 131 III 164
consid. 1.2.4). Inversement, la possibilité d'interjeter un recours contre la sentence au motif que le tribunal arbitral a omis de se prononcer sur un des chefs de la demande (
art. 190 al. 2 let
. c, seconde hypothèse, LDIP) ne doit pas empêcher la partie de s'adresser au tribunal arbitral afin qu'il prononce une sentence additionnelle qui pourrait rendre le recours sans objet; il conviendra toutefois, en pareille hypothèse, de suspendre la procédure de recours jusqu'à droit jugé sur la demande tendant à ce que le tribunal rende une sentence additionnelle (POUDRET/BESSON, Comparative law of international arbitration, 2
e
éd. 2007, n° 765 p. 696; BERGER/KELLERHALS, op. cit., n° 1419). | null | nan | fr | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cff0e438-8092-491d-a58e-da2b22007f56 | Urteilskopf
139 III 135
19. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. contre B. et C. (recours en matière civile)
5A_355/2012 du 21 décembre 2012 | Regeste
Art. 80 Abs. 1 und
Art. 271 Abs. 1 Ziff. 6 SchKG
;
Art. 9 BV
; Arrest; definitiver Rechtsöffnungstitel; vorfrageweise Prüfung des Exequaturs eines ausländischen "nicht Lugano-Urteils" oder eines ausländischen Schiedsspruches.
Ein ausländisches "nicht Lugano-Urteil" stellt einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar und der Arrestrichter kann aufgrund einer summarischen rechtlichen Würdigung und auf der Grundlage der glaubhaft gemachten Tatsachen vorfrageweise das Exequatur eines solchen Urteils prüfen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 136
BGE 139 III 135 S. 136
A.
Le 14 avril 2011, un arbitre unique siégeant à Londres (UK) a rendu une sentence arbitrale dans un litige de nature contractuelle opposant B. et C., en qualité de demanderesses, à une société tierce et à A., en qualité de défendeurs. Il a notamment déclaré que A. était partie au contrat litigieux (
Share Purchase Agreement
), soumis à sa compétence en tant qu'arbitre unique, et ordonné que les défendeurs versent aux demanderesses la somme de 5'000'000 USD, leur remboursent leurs honoraires et frais juridiques s'élevant à 136'195 USD, et leur paient des intérêts au taux de 1,25 % par an sur la totalité ou une partie de la somme de 5'407'955 USD encore due entre la date de la réception de la sentence et la date du paiement intégral de la somme de 5'407'955 USD, plus les éventuels intérêts cumulés.
B.
B.a
Le 5 juillet 2011, B. et C. ont requis du juge de paix du district de Nyon qu'il ordonne le séquestre, en vertu de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, à concurrence de 4'587'568 fr., plus intérêts à 1,25 % l'an dès le 21 avril 2011, de la parcelle x de la Commune de D., propriété de A., de tous les meubles s'y trouvant, appartenant au prénommé, et de tous les avoirs et biens lui appartenant, de quelque nature et en quelque monnaie qu'ils soient, en mains de E. AG, à F. A l'appui de leur requête, elles ont notamment produit une copie certifiée de la sentence arbitrale du 14 avril 2011, une copie du courrier de la cour d'arbitrage du 29 juin 2011, confirmant que la sentence avait été notifiée aux défendeurs le 21 avril 2011, un
affidavit
du 28 juin 2011, émanant d'un conseil britannique, déclarant que la sentence arbitrale était devenue définitive et exécutoire, et un extrait du Registre foncier de D.
Le même jour, le juge de paix a ordonné le séquestre demandé et a astreint les requérantes à fournir 50'000 fr. à titre de sûretés.
B.b
A. a fait opposition au séquestre. Il a fait valoir en substance que, faute d'
exequatur
préalable dans le cadre d'une procédure contradictoire, la sentence arbitrale du 14 avril 2011 ne constituait pas un titre de mainlevée définitive, de sorte que les conditions du séquestre de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
n'étaient pas remplies.
Par décision du 11 octobre 2011, le juge de paix a admis l'opposition au séquestre, au motif que les créancières n'avaient pas rendu vraisemblables les conditions de la reconnaissance et de l'exécution de la sentence arbitrale.
B.c
Par arrêt du 12 avril 2012, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal vaudois a admis le recours formé par B. et C. contre
BGE 139 III 135 S. 137
cette décision. Il a réformé celle-ci en ce sens que l'opposition au séquestre est rejetée et l'ordonnance du 5 juillet 2011 confirmée.
C.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours en matière civile formé par A.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Il s'agit de déterminer s'il est arbitraire, au sens de l'
art. 9 Cst.
, de retenir que le juge du séquestre peut déclarer exécutoire, à titre incident, un jugement étranger rendu dans un Etat qui n'est pas partie à la CL (RS 0.275.12) - ou une sentence arbitrale étrangère -, de sorte que cette décision vaut titre de mainlevée définitive au sens de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
.
Aux termes de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, le créancier d'une dette échue et non garantie par gage peut requérir le séquestre des biens du débiteur qui se trouvent en Suisse lorsqu'[il] possède contre le débiteur un titre de mainlevée définitive. Selon l'
art. 271 al. 3 LP
, dans les cas énoncés à l'al. 1 ch. 6 qui concernent un jugement rendu dans un Etat étranger auquel s'applique la CL, le juge statue aussi sur la constatation de la force exécutoire.
4.1
La loi s'interprète en premier lieu selon sa lettre (interprétation littérale). Si le texte n'est pas absolument clair, si plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles, le juge recherchera la véritable portée de la norme au regard notamment de la volonté du législateur telle qu'elle ressort notamment des travaux préparatoires (interprétation historique), du but de la règle, de son esprit, ainsi que des valeurs sur lesquelles elle repose, singulièrement de l'intérêt protégé (interprétation téléologique) ou encore de sa relation avec d'autres dispositions légales (interprétation systématique;
ATF 138 III 166
consid. 3.2;
ATF 136 III 283
consid. 2.3.1;
ATF 135 III 640
consid. 2.3.1). Lorsqu'il est appelé à interpréter une loi, le Tribunal fédéral adopte une position pragmatique en suivant ces différentes interprétations, sans les soumettre à un ordre de priorité (
ATF 137 III 344
consid. 5.1;
ATF 133 III 257
consid. 2.4;
ATF 131 III 623
consid. 2.4.4 et les références).
4.2
Le texte de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
fait mention d'un "titre de mainlevée définitive" (
definitiven Rechtsöffnungstitel; titolo definitivo di rigetto dell'opposizione
). Est un titre de mainlevée définitive, au sens de l'
art. 80 al. 1 LP
, "un jugement exécutoire". Tout comme cette dernière norme, l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
ne fait de
BGE 139 III 135 S. 138
distinction ni entre les jugements rendus par une autorité suisse ou étrangère, ni, dans ce cas, entre les jugements "Lugano" ou "non Lugano". De l'
art. 81 al. 3 LP
, il ressort également que la notion de "titre de mainlevée définitive" englobe les jugements rendus "dans un autre Etat".
4.3
L'
art. 271 LP
a été modifié lors de l'entrée en vigueur, le 1
er
janvier 2011, de la CL révisée de 2007.
4.3.1
Avant la révision de cette disposition, le créancier au bénéfice d'un jugement étranger - ou d'une sentence arbitrale étrangère - exécutoire, dont le débiteur était domicilié à l'étranger pouvait, s'il n'y avait pas d'autre cas de séquestre, requérir cette mesure conservatoire sur la base de l'ancien
art. 271 al. 1 ch. 4 LP
. Une procédure préalable d'
exequatur
(cf.
art. 28 ss LDIP
[RS 291]) n'était pas nécessaire; le juge du séquestre pouvait donc juger lui-même, à titre incident, si la décision étrangère sur laquelle se fondait la requête de séquestre était susceptible d'
exequatur
en vertu des dispositions de la LDIP ou d'un traité international, à la suite d'un examen sommaire du droit fondé sur les faits rendus simplement vraisemblables. Le caractère exécutoire du jugement étranger était ensuite jugé définitivement dans le procès ordinaire en validation du séquestre (
ATF 126 III 156
consid. 2; arrêts 5A_501/2010 du 20 janvier 2011 consid. 2.3.2; 5P.353/2004 du 21 février 2005 consid. 2.1; cf. notamment URS BOLLER, Arrest gestützt auf ausländische Entscheide - Erste Erfahrungen mit dem neuen Arrestrecht, PCEF 2011/2012 p. 33 ss [37]; FELIX C. MEIER-DIETERLE, in Kurzkommentar SchKG, 2009, n° 11 ad
art. 271 LP
; NAEGELI/MARZORATI, Der definitive Rechtsöffnungstitel als neuer Arrestgrund - ein vollstreckungsrechtlicher Zankapfel, Jusletter 10 septembre 2012 n° 7; STOFFEL/CHABLOZ, in Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, n° 72 ad
art. 271 LP
).
4.3.2
Selon le Message du 18 février 2009 relatif à l'arrêté fédéral portant approbation et mise en oeuvre de la Convention de Lugano révisée (FF 2009 1497 ss [1537 s. ch. 4.1]), comme la CL révisée garantit un droit inconditionnel à des mesures conservatoires en première instance de la procédure d'
exequatur
(cf.
art. 47 al. 2 CL
), l'existence d'un titre de mainlevée définitive comme cas de séquestre doit être inscrite au chiffre 6 de l'
art. 271 al. 1 LP
. Néanmoins, le nouveau cas de séquestre dépasse les objectifs de la CL révisée. Proposé pour l'ensemble des titres de mainlevée définitive, il est également applicable aux titres de mainlevée suisses (FF 2009 1533 ch. 2.7.5.2)
BGE 139 III 135 S. 139
et, en principe, aux jugements étrangers émis en dehors du champ d'application de la CL (FF 2009 1538 ch. 4.1). Le nouveau ch. 6 rend donc inutile le renvoi aux jugements exécutoires que prévoyait dans son ancienne version l'art. 271 al. 1 ch. 4 (loc. cit.). En effet, lorsqu'un tel jugement existe, le motif du séquestre du ch. 6 est réalisé et les conditions supplémentaires prévues au ch. 4 n'ont pas à être examinées. En conséquence, l'expression "ou qu'elle se fonde sur un jugement exécutoire" qui figurait au ch. 4 est supprimée (loc. cit.). Le Message précise encore que le créancier bénéficie des avantages de la procédure d'exécution forcée "que la CLrév soit appliquée ou non" (FF 2009 1548 ch. 6.3 [qui parle à tort de "débiteur", au lieu de"créancier", comme c'est le cas dans les versions allemande (p. 1831) et italienne (p. 1490) du Message]).
Il ressort de ce qui précède que le motif initial de la révision des règles sur le séquestre était de rendre le droit suisse compatible avec les exigences de la CL révisée quant aux mesures conservatoires. Cependant, la révision a dépassé cet objectif initial pour s'étendre à l'ensemble des jugements, qu'ils soient suisses ou étrangers - "Lugano" ou "non Lugano" - et améliorer ainsi la situation de tous les créanciers (BOLLER, op. cit., p. 41). Ainsi, la notion de titre de mainlevée définitive comprend tous les jugements suisses et étrangers (y compris les sentences arbitrales étrangères). Le Message ne fait pas état d'une volonté du législateur d'aggraver la situation des créanciers au bénéfice d'un jugement "non Lugano", telle que sus-exposée (cf. supra consid. 4.3.1).
4.4
La doctrine admet de manière quasi unanime qu'un jugement étranger "non Lugano" constitue un titre de mainlevée définitive au sens de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
(contra uniquement: WALTER A. STOFFEL, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. II, 2
e
éd. 2010, n° 109 ad
art. 271 LP
).
En revanche, les avis divergent sur la question de savoir si ce jugement doit, au préalable, faire l'objet d'une procédure d'
exequatur
indépendante et contradictoire (cf.
art. 28 ss LDIP
).
Pour certains auteurs, tel est le cas: seul le créancier au bénéfice d'un jugement "non Lugano" dont le débiteur est domicilié à l'étranger pourrait, selon eux, requérir le séquestre sur la base de l'
art. 271 al. 1 ch. 4 LP
, sans devoir obtenir une décision définitive d'
exequatur
au préalable (DANIEL STAEHELIN, in Lugano-Übereinkommen [LugÜ], 2
e
éd. 2011, n
os
20 ss ad
art. 47 CL
;
le même
, Neues Arrestrecht ab 2011,
BGE 139 III 135 S. 140
Jusletter 11 octobre 2010 n
os
40 ss; cf. aussi, GUILLAUME/PELLATON, Le séquestre en tant que mesure conservatoire visant à garantir l'exécution des décisions en application de la Convention de Lugano, in Quelques actions en exécution, 2011, p. 178 ss [205 s.]; REISER/JENT-SØRENSEN, Exequatur und Arrest im Zusammenhang mit dem revidierten Lugano-Übereinkommen, RSJ 107/2011 p. 453 ss [459]; RODRIGO RODRIGUEZ, Sicherung und Vollstreckung nach revidiertem Lugano Übereinkommen, PJA 2009 p. 1550 ss [1557]).
Pour d'autres, au contraire, le juge du séquestre peut prononcer la mesure conservatoire, après avoir statué à titre incident sur le caractère exécutoire du jugement "non Lugano", à la suite d'un examen sommaire du droit, fondé sur les faits rendus simplement vraisemblables (BOLLER, op. cit., p. 41 ss; GRÉGORY BOVEY, La révision de la Convention de Lugano et le séquestre, JdT 2012 II p. 80 ss [83 s.]; ANDREAS BUCHER, in Commentaire romand, Loi sur le droit international privé, Convention de Lugano, 2011, n° 18 ad
art. 29 LDIP
; GASSER/MÜLLER/PIETSCH-KOJAN, Ein Jahr Schweizerische ZPO - ein Erfahrungsbericht, Revue de l'avocat 2012 p. 8 ss [14 s.]; HOFMANN/KUNZ, in Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, 2011, n° 72 ad
art. 47 CL
; MICHAEL LAZOPOULOS, Arrestrecht - die wesentlichen Änderungen im Zusammenhang mit dem revidierten LugÜ und der Schweizerischen ZPO, PJA 2011 p. 608 ss [613]; FELIX C. MEIER-DIETERLE, Ausländische "nicht LugÜ-Entscheide" als Arrestgrund?, Jusletter 18 juillet 2011 n° 21; NAEGELI/MARZORATI, op. cit., n
os
58 ss; JÜRG ROTH, Neues Arrestrecht im Nicht-LugÜ-Bereich: Der Ausländerarrest im Besonderen, in Vorsorglicher Rechtsschutz, 2011, p. 63 ss [74, 77 s.]; DANIEL SCHWANDER, Arrestrechtliche Neuerungen im Zuge der Umsetzung des revidierten Lugano-Übereinkommens, RJB 146/2010 p. 641 ss [656 s.]).
4.5
4.5.1
Un avis doctrinal soutenant de manière isolée le contraire (cf. supra consid. 4.4 in initio: STOFFEL, op. cit., n° 109 ad
art. 271 LP
), il n'est pas arbitraire d'admettre que les jugements "non Lugano" - y compris les sentences arbitrales étrangères - constituent des titres de mainlevée définitive au sens de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
.
En effet, la notion de titre de mainlevée définitive est définie à l'
art. 80 al. 1 LP
, qui prévoit que le créancier peut obtenir cette mainlevée s'il est au bénéfice d'un "jugement exécutoire". Il est incontesté que cette norme englobe tant les jugements suisses que les jugements étrangers. Cette interprétation est confirmée aussi par l'
art. 81 al. 3 LP
,
BGE 139 III 135 S. 141
qui précise les moyens de défense du débiteur condamné par un jugement rendu de manière générale "dans un autre Etat", qu'il soit exécutable selon une convention internationale ou selon la LDIP (cf. notamment DANIEL STAEHELIN, in Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, vol. I, 2
e
éd. 2010, n
os
59 ss ad
art. 80 LP
; cf. aussi, au sujet de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, BOLLER, op. cit., p. 36; BUCHER, op. cit., n° 18 ad
art. 29 LDIP
; NAEGELI/MARZORATI, op. cit., n
os
54 ss). L'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, qui fait référence au "titre de mainlevée définitive", ne fait pas non plus de distinction entre les jugements. En outre, il ressort expressément du Message que les jugements étrangers "non Lugano" sont des titres de mainlevée définitive au sens de cette norme (FF 2009 1538 ch. 4.1). Ainsi, ces éléments d'interprétation conduisent à retenir qu'il n'est pas arbitraire de renoncer à différencier les jugements en fonction de leur provenance.
4.5.2
Pour les raisons qui suivent, il y a lieu d'admettre qu'il n'est également pas arbitraire de retenir que le juge du séquestre peut statuer à titre incident sur le caractère exécutoire de la décision (y compris une sentence arbitrale) étrangère "non Lugano", à la suite d'un examen sommaire du droit fondé sur les faits rendus simplement vraisemblables, au terme duquel il rend une décision provisoire, qui, par définition, n'acquiert pas force de chose jugée. Comme sous l'ancien droit (cf. supra consid. 4.3.1), le requérant devant rendre le cas de séquestre vraisemblable (
art. 272 al. 1 ch. 2 LP
), il devra démontrer que, prima facie, aucune objection ne s'oppose à la reconnaissance et à l'exécution de la décision. L'examen plus approfondi des conditions des
art. 25 ss LDIP
- et en cas de sentence arbitrale étrangère, celles de l'art. V de la Convention du 10 juin 1958 pour la reconnaissance et l'exécution des sentences arbitrales étrangères (RS 0.277.12; ci-après: Convention de New York) - aura lieu ultérieurement dans la procédure d'opposition à l'ordonnance de séquestre (
art. 278 LP
).
En effet, bien qu'il n'exige pas expressément que le créancier au bénéfice d'une décision "non Lugano" en obtienne l'
exequatur
avant de requérir le séquestre, le texte de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, qui fait référence à un "titre de mainlevée définitive", soit, selon l'
art. 80 al. 1 LP
, un "jugement exécutoire", n'est pas absolument clair et plusieurs interprétations de celui-ci sont possibles.
En revanche, il ressort du Message précité, que la volonté du législateur était de prévoir un seul cas de séquestre pour tous les
BGE 139 III 135 S. 142
créanciers au bénéfice d'un jugement exécutoire, sans distinction fondée sur la provenance de ce jugement, et de favoriser ainsi de manière générale le prononcé d'un séquestre (cf. supra consid. 4.3.2; FF 2009 1548 ch. 6.3; cf. aussi, BOLLER, op. cit., p. 42 s.; MEIER-DIETERLE, op. cit., Jusletter 18 juillet 2011 n° 19). Pour cette raison, le législateur a renoncé à exiger que le créancier au bénéfice d'un jugement étranger ne puisse requérir le séquestre que si son débiteur est domicilié à l'étranger. Ainsi, il n'a pas voulu placer les créanciers au bénéfice d'un jugement "non Lugano" dans une situation moins avantageuse que celle qui était la leur sous l'ancien
art. 271 al. 1 ch. 4 LP
(cf. supra consid. 4.3.1), en leur imposant d'obtenir au préalable une décision définitive d'
exequatur
pour pouvoir requérir le séquestre. Il y a également lieu d'admettre qu'il n'y a pas de lacune au nouveau chiffre 4 de l'
art. 271 al. 1 LP
, qui ne mentionne pas les jugements "non Lugano" comme condition alternative à l'octroi du séquestre.
Par ailleurs, admettre une décision incidente d'
exequatur
du jugement "non Lugano" est en accord avec la procédure sommaire à laquelle le séquestre est soumis. Selon cette procédure, le cas de séquestre - en l'occurrence, l'existence d'un titre de mainlevée définitive -, doit seulement être admis provisoirement, au terme d'un examen sommaire du droit fondé sur la simple vraisemblance des faits (
ATF 138 III 636
consid. 4.3.2 p. 639 et les références). Si on imposait au créancier d'un jugement "non Lugano" d'obtenir une décision définitive d'
exequatur
, rendue sur la base d'un examen complet en fait et en droit, on s'écarterait des principes régissant la procédure sommaire (cf. notamment BOLLER, op. cit., p. 41). Une autre solution prévaut certes pour les jugements "Lugano", en vertu de l'
art. 271 al. 3 LP
, mais elle est justifiée par l'allègement des conditions d'obtention de l'
exequatur
. En effet, depuis la révision de la CL, la procédure préalable d'
exequatur
consacrée à l'
art. 41 CL
est unilatérale en première instance et l'examen de l'autorité saisie est limité à "l'achèvement des formalités prévues à l'art. 53", à savoir la production de la décision et du certificat de l'
art. 54 CL
. Le contrôle des motifs de refus de la reconnaissance des
art. 34 et 35 CL
est entièrement reporté au stade du recours (
art. 41 et 45 CL
). La CL de 2007 assure ainsi à la demande d'exécution un effet de surprise, empêchant le défendeur de soustraire ses biens à l'exécution forcée (BUCHER, op. cit., n
os
1, 3 et 5 ad
art. 41 CL
). Même si le juge du séquestre statue définitivement sur l'
exequatur
du jugement "Lugano", conformément à l'
art. 271 al. 3 LP
, l'effet de surprise est préservé. Tel ne serait pas le cas d'une
BGE 139 III 135 S. 143
procédure d'
exequatur
préalable d'un jugement "non Lugano" puisque celle-ci est contradictoire en vertu des
art. 25 ss LDIP
(cf.
art. 29 al. 2 LDIP
; art. V Convention de New York; notamment MEIER-DIETERLE, op. cit., Jusletter 18 juillet 2011 n
os
15 et 24): l'effet de surprise, indispensable à la mise en oeuvre du séquestre, s'en trouverait compromis.
En conclusion, il n'est pas arbitraire de considérer que le juge du séquestre doit statuer à titre incident sur le caractère exécutoire d'une décision étrangère "non Lugano". Au vu des conséquences de sa décision - certes provisoire - sur le patrimoine du débiteur, il lui appartient toutefois d'examiner avec soin les conditions de la reconnaissance et de l'
exequatur
, en particulier si le jugement étranger a été rendu par défaut ou dans un Etat avec lequel il n'existe aucune réciprocité en matière de reconnaissance et d'exécution des décisions.
4.6
Il s'ensuit que, en l'espèce, l'autorité cantonale n'a pas violé l'
art. 9 Cst.
dans l'application qu'elle a faite de l'
art. 271 al. 1 ch. 6 LP
, soit en rejetant l'opposition au séquestre après un examen incident du caractère exécutoire d'une sentence arbitrale étrangère soumise à la Convention de New York et en confirmant le séquestre. Partant, le grief d'arbitraire doit être rejeté. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cff4dd80-5e6e-4b28-bf4b-e62cd3848cb2 | Urteilskopf
94 II 167
30. Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1968 i.S. Schweizerische Bankgesellschaft gegen D.M. | Regeste
Das gemeinschaftliche Depot und Konto unterliegt grundsätzlich den Vorschriften über den Auftrag (Erw. 2).
Aktive Solidarität der Auftraggeber (Erw. 3).
Die internen Beziehungen der Auftraggeber schliessen die Vererblichkeit der solidarischen Berechtigung nicht aus (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 167
BGE 94 II 167 S. 167
A.-
Die Eheleute M. eröffneten vor dem zweiten weltkrieg gemeinsam mit Verwandten bei der Eidgenössischen Bank ein "dépot joint de titres et un compte joint" auf folgender Grundlage:
1. La banque ouvre aux clients un dépôt joint de titres et un compte joint (compte courant, compte de dépôt à terme, livret de dépôt). Les relations d'affaires qui peuvent en résulter ainsi que les opérations éventuelles de crédit sont soumises aux dispositions du présent contrat.
2. Conformément aux articles 143 à 150 C.O. les clients jouissent de tous les droits que leur confère leur qualité de créanciers solidaires; ils sont par contre responsables à l'égard de la banque, en tant que débiteurs solidaires, de tous les engagements découlant pour eux des dites relations.
3. Chacun des clients a par conséquent la faculté de faire usage de tous ces droits à lui seul et sans le concours des autres. Chacun d'eux peut ainsi augmenter, diminuer, prélever ou retirer entièrement les objets et les avoirs déposés, donner en gage, vendre ou disposer à
BGE 94 II 167 S. 168
volonté des titres, objets de valeurs et créances, contracter des emprunts, en user, etc.
4. Les clients sont solidairement responsables des dispositions individuelles de chacun d'entre eux et des conséquences pouvant en résulter. En d'autres termes, chacun répond personnellement du tout, même si le disponible ou la limite de crédit venaient à être dépassés. En outre, le dépôt commun tient lieu de gage pour toutes créances éventuelles de la banque.
5. Sauf avis contraire, les intérêts et dividendes échus des valeurs déposées, les montants réalisés et les produits de ventes éventuelles sont portés par la banque au crédit d'un compte commun.
6. Sont en outre applicables, les Conditions générales et le Règlement de dépôt de la banque (dont les clients certifient avoir reçu un exemplaire) ainsi que les conditions spéciales auxquelles sont soumises les opérations particulières.
7. ...
Die Eheleute M. starben in den fünfziger Jahren in X. Sie hinterliessen als einzige Erben die beiden Söhne D. und G. G. starb im Jahre 1957 ebenfalls und wurde von seinem Bruder D. beerbt.
Mit der Übernahme der Eidgenössischen Bank trat die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG) in das genannte Vertragsverhältnis ein.
Am 9. November 1961 verlangte D.M. von der SBG unter Nachweis seiner Erbberechtigung die Auszahlung von Fr. 30 000.--. Die SBG kam dieser Aufforderung auf Grund einer von D.M. vorgelegten Sondervollmacht nach.
Am 19. September 1962 verlangte D.M. von der SBG Kontoauszüge über die Guthaben und Depots seiner verstorbenen Eltern. Am 24. Oktober 1962 stellte ihm die SBG ein Wertschriftenverzeichnis betreffend "Succession de Monsieur M." zu und wies gleichzeitig darauf hin, dass das Depot gesperrt sei. Mit Schreiben vom 26. Oktober 1962 verlangte die SBG von D.M. eine Erbbescheinigung für das Depot "Succession de Madame M.". D.M. kam dieser Aufforderung am 12. März 1963 nach, verlangte ein Wertschriftenverzeichnis über das Depot seiner verstorbenen Mutter und ersuchte die Bank, die Wertschriften aus dem Nachlass seines Vaters zu liquidieren und den Erlös dem Konto seines Anwaltes gutzuschreiben. Die SBG teilte D.M. mit Schreiben vom 13. Juni 1963 mit, sie sei nicht in der Lage, seinem Gesuch um "Herausgabe von Vermögenswerten und Erteilung von Auskünften Folge zu geben".
BGE 94 II 167 S. 169
B.-
Am 3. Dezember 1963 reichte D.M. beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die SBG Klage ein. Er beantragte, die Beklagte zu verpflichten, sämtliche auf dem Depot "Succession de Madame M." und "Succession de Monsieur M." befindlichen Wertschriften herauszugeben und die auf den betreffenden Depotauszügen genannten Beträge zu bezahlen.
Der Appellationshof hiess am 13. November 1967 die Klage gut, indem er die Beklagte verpflichtete, die gemäss den Auszügen vom 20. Oktober 1967 auf den beiden Depots befindlichen Wertschriften dem Kläger herauszugeben und ihm die entsprechenden Beträge von Fr. 20 737.65 und Fr. 8 209.35 auszubezahlen.
C.-
Die Beklagte hat die Berufung erklärt mit dem Antrag, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Auf das streitige Rechtsverhältnis ist schweizerisches Recht anzuwenden. Dieses wird in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen und dem Depotreglement der Eidgenössischen Bank, welche Bestandteil des Vertrages sind (Ziff. 6), ausdrücklich als massgebend erklärt. Die Parteien und die Vorinstanz haben sich somit zu Recht auf schweizerisches Recht berufen.
2.
Der streitigen Vereinbarung liegt ein gemeinschaftliches (offenes) Wertschriftendepot und Konto zugrunde. Die Beklagte verpflichtet sich als Rechtsnachfolgerin der Eidgenössischen Bank, die Gelderträgnisse aus den verwahrten Titeln, wie Zinsen und Dividenden, sowie den Gegenwert aus allfälligen Verkäufen ohne anderslautende Anordnung auflaufende Rechnung dem gemeinsamen Konto gutzuschreiben (Ziff. 5). Zweck des Vertrages war somit nicht nur die Verwahrung der hinterlegten Titeln an einem sichern Ort (
Art. 472 OR
), sondern auch ihre Verwaltung durch die Bank. Das Rechtsverhältnis ist somit als Verbindung von Hinterlegungsvertrag und Auftrag, d.h. als gemischter Vertrag zu verstehen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Dienstleistungen der Bank (vgl.
BGE 63 II 242
,
BGE 78 II 254
, GAUTSCHI, N. 8 c und 37 zu
Art. 400 OR
, N. 3 c der Vorbemerkungen zu
Art. 472 ff. OR
). Es sind daher grundsätzlich die Bestimmungen über den Auftrag (
Art. 394 ff. OR
) anzuwenden.
BGE 94 II 167 S. 170
3.
Der Vertrag sieht vor, dass die Auftraggeber ("clients") der Bank im Sinne von
Art. 143 - 150 OR
solidarisch berechtigt und verpflichtet sind (Ziff. 2). Ziff. 3 bestimmt zudem ausdrücklich, dass jeder Auftraggeber selbständig und ohne Mitwirkung der andern Partner befugt ist, über das Depot zu verfügen. Unter den verschiedenen Auftraggebern besteht somit aktive Solidarität (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 a zu
Art. 150 OR
; BECKER, N 2 zu
Art. 150 OR
; VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 737; LAMBELET, Les compts-joints en Suisse, Diss. Genf 1917, S. 88 ff.; DE PREUX, Le contrat de dépôt ouvert de titres en banque, Diss. Freiburg 1946, S. 46; BRON, Le comptejoint en droit suisse, Diss. Lausanne 1959, S. 19; O. AEPPLI, Im Hinblick auf den Tod des Bankkunden abgeschlossene Depotverträge, SJZ 1948, S. 37). Damit haben die Vertragsparteien von der im Depotreglement der Eidgenössischen Bank vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfügungsrecht "bei einer Mehrzahl von Deponenten" durch besondere Vereinbarung zu ordnen, indem sie die sonst geltende gesamthänderische Berechtigung durch Begründung der Gläubigersolidarität ersetzten. Jeder Auftraggeber war daher berechtigt, sämtliche Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis mit der Bank geltend zu machen, und es konnte sich die Beklagte durch Leistung an einen Auftraggeber zugleich von der Forderung der andern befreien (
Art. 150 Abs. 1 und 2 OR
).
4.
Die Beklagte wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanz, der Kläger sei kraft Erbrechts in die Rechte und Pflichten seiner verstorbenen Eltern aus dem Auftragsverhältnis mit der Beklagten eingetreten. Sie hält dafür, dass die Frage der Vererblichkeit der solidarischen Berechtigung nicht nach dem Vertrag mit der Beklagten (Aussenverhältnis), sondern nach den Rechtsbeziehungen zwischen den Auftraggebern (Innenverhältnis) zu beurteilen sei. Welcher Art auch immer das Innenverhältnis sei, setze der Vertrag mit der Bank auf seiten der Auftraggeber ein enges Vertrauensverhältnis voraus, das den Eintritt Dritter oder der Erben in die zwischen die Auftraggeber bestehende Rechtsgemeinschaft ausschliesse. Den Erben stehe daher nur ein Anspruch auf ihren Anteil am Liquidationsergebnis zu, der sich gegen die überlebenden Mitbeteiligten oder deren Rechtsnachfolger richte.
a) Nach
Art. 560 Abs. 2 ZGB
gehen die Rechte und Pflichten des Erblassers, unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen,
BGE 94 II 167 S. 171
ohne weiteres auf die Erben über. Der Kläger hat somit alle Rechte seiner Eltern erlangt, soweit sie auf Grund des Auftragsrechtes den Tod der Auftraggeber überdauerten.
Art. 405 Abs. 1 OR
sieht vor, dass die Fortsetzung eines Auftragsverhältnisses mit den Erben eines verstorbenen Auftraggebers oder Beauftragten auch möglich ist, wenn es sich aus der Natur des Auftragsverhältnisses ergibt. Bei Bankgeschäften wird im allgemeinen angenommen, dass der Auftrag durch den Tod des Auftraggebers nicht erlischt, sondern mit den Erben als fortgesetzt gilt (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER und BECKER, je N. 3 zu
Art. 405 OR
). Dafür spricht im vorliegenden Fall der Umstand, dass die streitige Vereinbarung auch Tatbestandsmerkmale des Hinterlegungsvertrages, also eines Rechtsgeschäftes aufweist, das durch den Tod einer Partei von Gesetzes wegen nicht beendigt wird. Unbehelflich ist in diesem Zusammenhang der Hinweis der Beklagten aufBGE 78 II 452. Diesem Entscheid liegt die Erwägung zugrunde, dass mehrere durch einen Treuhandvertrag zu einer Gemeinschaft verbundene Fiduziare Gesamteigentümer des Treugutes seien. Dabei entspreche es dem Wesen des fiduziarischen Rechtsgeschäftes und daher auch dem mutmasslichen Parteiwillen, dass beim Tod eines Treuhänders dessen Rechte nicht auf die dem Fiduzianten häufig unbekannten Erben übergehen, sondern den Mitfiduziaren anwachsen. Zu einer Überprüfung dieser Auffassung besteht hier kein Anlass. Sie fällt schon deshalb nicht in Betracht, weil im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und ihren Auftraggebern durch die für das fiduziarische Rechtsgeschäft typische Vertrauensbeziehung gekennzeichnet ist.
b) Der Einwand der Beklagten, die Fortsetzung des Auftrages mit dem Kläger sei wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen den Auftraggebern ausgeschlossen, hält ebenfalls nicht stand. Die Vertragsparteien haben durch Vereinbarung der Gläubigersolidarität die Anspruchsberechtigung gegenüber der Beklagten vom Innenverhältnis zwischen den einzelnen Auftraggebern bewusst getrennt und nur vom Aussenverhältnis (Auftrag) abhängig gemacht. Bezeichnend für diese Regelung ist die verbindliche Feststellung der Vorinstanz, wonach die Beklagte über das Innenverhältnis ihrer Vertragspartner nicht aufgeklärt wurde und somit nicht wusste, ob sie
BGE 94 II 167 S. 172
Mit- oder Gesamteigentümer der hinterlegten Werte waren, ob sie eine einfache Gesellschaft bildeten oder zueinander in einem Auftragsverhältnis standen. Die Beklagte hatte sich somit weder um die Beziehungen der Auftraggeber unter sich oder zu Dritten, noch um die Eigentumsverhältnisse an den hinterlegten Werten zu kümmern.
Der Kläger trat daher ohne weiteres in die Rechtsstellung seiner verstorbenen Eltern ein. Er war befugt, den Auftrag jederzeit zu widerrufen und die hinterlegten Wertschriften samt Zuwachs zurückzufordern (
Art. 404 Abs. 1 und
Art. 475 Abs. 1 OR
), von der Beklagten Rechenschaft über die Geschäftsführung zu verlangen und alles, was ihr infolge derselben aus irgendeinem Grund zugekommen ist, herauszuverlangen (
Art. 400 OR
). Ob damit die Ansprüche Dritter oder ihrer Rechtsnachfolger aufs Spiel gesetzt werden, berührt die Beklagte nicht. Es war den Vertragsparteien unbenommen, die Vererblichkeit der Rechte aus dem Auftragsverhältnis durch entsprechende Abrede zum voraus auszuschliessen und damit einer Rechtsgefährdung vorzubeugen. Die Zulässigkeit einer solchen Klausel ergibt sich aus der Vertragsfreiheit. Die Forderung eines jeden Solidargläubigers kann daher auch mit der auflösenden Bedingung verbunden werden, dass sie mit dem Tod eines Berechtigten erlischt (vgl. O. AEPPLI, a.a.O. mit Hinweisen).
5.
Die Beklagte hält in der Berufung an der Auffassung fest, sie habe "auf Wunsch eines Rechtsnachfolgers eines verstorbenen Deponenten intern eine provisorische Aufteilung des Gemeinschaftskontos vorgenommen" und dieses gesperrt, "bis alle Rechtsnachfolger der ursprünglichen Co-Deponenten der Teilung zugestimmt hätten".
Die Beklagte hat diese Behauptung nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz nicht bewiesen. Sie wäre zudem ohnehin unerheblich, da sich die Beklagte dem Anspruch des Klägers nur dann mit Erfolg widersetzen könnte, wenn sie von einem andern Solidargläubiger (oder dessen Rechtsnachfolger) rechtlich belangt worden wäre (
Art. 150 Abs. 3 OR
). Das behauptet die Beklagte jedoch nicht.
6.
Die Beklagte rügt schliesslich die Auffassung der Vorinstanz, sie (die Beklagte) habe die ihr auferlegte Editionspflicht durch die Weigerung verletzt, die das Gemeinschaftsdepot betreffenden Akten dem Gericht offen einzureichen und damit dem Kläger von deren Inhalt Kenntnis zu geben.
BGE 94 II 167 S. 173
Diese Beanstandung ist unbegründet. Die Vorinstanz hätte durch die auf Grund prozessleitender Entscheide getroffene Anordnung Bundesrecht nur dann verletzt, wenn der Kläger nicht in die Rechtsstellung seiner Eltern eingetreten wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern, III. Zivilkammer, vom 13. November 1967 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
d0006574-ed71-4d31-b3e4-a09059f3b664 | Urteilskopf
105 V 93
22. Urteil vom 2. Mai 1979 i.S. M. gegen Eidgenössische Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 108 Abs. 2 und 132 OG
. Wird in einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Nichteintretensentscheid der Vorinstanz ein materieller Beschwerdeantrag gestellt, so umfasst dieser auch das Begehren, die Vorinstanz habe auf die Sache einzutreten (Erw. 1).
Art. 11 Abs. 5 und
Art. 12 Abs. 1-4 MVG
. Begriff des Vorschlages bzw. der Verfügung der Militärversicherung im Gegensatz zum sog. "Préavis", namentlich bei Vornahme einer Rentenkürzung im Sinne von
Art. 45 IVG
(Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 93
BGE 105 V 93 S. 93
A.-
Hans M. bezieht von der Militärversicherung eine auf einem Invaliditätsgrad von einem Drittel basierende Invalidenrente, die sich seit der Revisionsverfügung vom 23. April 1975 auf Fr. 625.95 im Monat beläuft. Mit Verfügung vom 28. April 1978 lehnte es die Militärversicherung ab, den Invaliditätsgrad revisionsweise zu erhöhen. Mit Schreiben vom 29. April 1978 teilte sie ihrem Versicherten mit, im Hinblick auf die ihm zustehende
BGE 105 V 93 S. 94
Rente der Invalidenversicherung (IV-Rente) werde die Rente der Militärversicherung (MV-Rente) gemäss
Art. 45 IVG
um Fr. 607.50 gekürzt, so dass ab 1. April 1978 noch Fr. 18.45 im Monat ausbezahlt würden.
B.-
Hans M. beschwerte sich beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und beantragte, die MV-Rente sei ihm ungekürzt im Betrage von Fr. 625.95 monatlich auszuzahlen. Er wies darauf hin, dass er auf 1. April 1978 sein Coiffeurgeschäft aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen, und machte geltend, er sei nun zu 100% arbeitsunfähig. Rechne man die IV-Rente und die (ungekürzte) MV-Rente zusammen, so ergebe sich ein Total von Fr. 25'836.-- pro Jahr, welches unter der "Kürzungsgrenze" der Militärversicherung liege.
Das kantonale Versicherungsgericht trat jedoch in seinem Entscheid vom 17. Juli 1978 auf die Beschwerde nicht ein. Es ging davon aus, dass sich diese nicht gegen die Verfügung vom 28. April 1978, sondern gegen das Schreiben vom 29. April 1978 betreffend die Rentenkürzung richte. Bei letzterem handle es sich aber bloss um eine vorläufige Mitteilung im Sinne von
Art. 11 Abs. 5 MVG
und nicht um eine beschwerdefähige Verfügung im Sinne von
Art. 12 Abs. 3 MVG
.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beanstandet Hans M., dass "die Invalidenversicherung praktisch den ganzen Teil der Rente übernehmen soll", während er des grössten Teils der MV-Rente verlustig gehe. Er macht wiederum geltend, dass IV-Rente und MV-Rente zusammen den für die Kürzung massgebenden Betrag nicht erreichen würden.
Die Militärversicherung beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen den vorinstanzlichen Nichteintretensentscheid. Obwohl sie sich nur mit der materiellen Seite des Streitfalles befasst, ist darin der Antrag auf Eintreten praxisgemäss als miteingeschlossen zu betrachten. Es ist also zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetreten ist, wogegen das Eidg. Versicherungsgericht auf die materiellen Anträge nicht eintreten kann.
BGE 105 V 93 S. 95
2.
Die Vorinstanz geht richtigerweise davon aus, dass sich die Beschwerde nicht gegen die Revisionsverfügung vom 28. April 1978, sondern gegen die Mitteilung vom 29. April 1978 betreffend Rentenkürzung richtet...
3.
Eine Rentenkürzung im Sinne von
Art. 45 IVG
greift in die Rechte des Versicherten ein und hat deshalb Verfügungscharakter (
Art. 5 Abs. 1 VwVG
). Dementsprechend pflegt die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt ihren Versicherten die Kürzung einer Rente nach
Art. 45 IVG
stets in Form einer beschwerdefähigen Verfügung zu eröffnen. Es fragt sich, ob dies im Hinblick auf die besonderen gesetzlichen Verfahrensregeln für die Militärversicherung in gleicher Weise gelte.
a)
Art. 12 Abs. 1-4 MVG
sieht für die "Verfügung der Militärversicherung" - so das Marginale zu diesem Artikel - ein besonderes Verfahren vor, indem vor Verfügungserlass dem Versicherten der sog. "Vorschlag" zu unterbreiten ist, der die Rechtskraft einer endgültigen Verfügung erlangt, wenn er vom Versicherten ausdrücklich angenommen wird. Demgegenüber bildet die in
Art. 11 Abs. 5 MVG
vorgesehene, dem Vorschlag vorausgehende Mitteilung (der sog. "Préavis") einen Teil des "Erhebungsverfahrens" (Marginale zu Art. 11). Diese Mitteilung eröffnet dem Versicherten die Möglichkeit, die Akten einzusehen und Ergänzungen der Abklärung zu beantragen, zieht aber keine Rechtsfolgen im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 VwVG
nach sich und hat dementsprechend nicht Verfügungscharakter. Im Gegensatz zu Vorschlag und Verfügung muss die Mitteilung denn auch nicht mit eingeschriebenem Brief eröffnet werden (vgl.
Art. 12 Abs. 4 MVG
). Die gesetzliche Ordnung verbietet nicht und es erscheint sogar zweckmässig, dass auch einer Rentenkürzung im Sinne von
Art. 45 IVG
ein Préavis vorangeht. Dass dieser im Gesetz im Zusammenhang mit der Abklärung von Leistungsbegehren geregelt ist, steht dem nicht entgegen, da auch für die Rentenkürzung Abklärungen erforderlich sein können und auch hier dem Versicherten die Möglichkeit offenstehen soll, die Akten einzusehen und Ergänzungsanträge zu stellen. Wenn aber die Militärversicherung über eine Kürzung gemäss
Art. 45 IVG
vorerst einen Préavis nach
Art. 11 Abs. 5 MVG
zustellt, so liegt darin keine Verfügung und der Beschwerdeweg steht daher nicht offen.
b) Im vorliegenden Fall geht die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Militärversicherung davon aus, dass es sich beim
BGE 105 V 93 S. 96
Schreiben vom 29. April 1978 um eine solche, bloss vorläufige und nicht beschwerdefähige Mitteilung im Sinne von
Art. 11 Abs. 5 MVG
handle.
Indes entspricht der vorgedruckte Text jener Mitteilung nicht dem
Art. 11 Abs. 5 MVG
und steht in auffallendem Gegensatz zum Formulartext, den die Militärversicherung für solche Mitteilungen sonst zu verwenden pflegt. Anstatt dem Versicherten Gelegenheit zu geben, Stellung zu nehmen, die Akten einzusehen oder Ergänzungsanträge zu stellen, wird eine einmonatige Einsprachefrist für "allfällige Einwendungen gegen die Kürzung" angesetzt. Zur Bedeutung dieser Einsprachemöglichkeit äussert sich die Militärversicherung in ihrer Vernehmlassung an das Eidg. Versicherungsgericht dahin, dass über Streitpunkte betreffend Rentenkürzung zwar das "übliche Verwaltungsverfahren" durchzuführen, hierzu aber erforderlich sei, dass gegen die Kürzungsmitteilung gemäss aufgeführter Rechtsmittelbelehrung Einsprache erhoben werde, worauf die Militärversicherung den Vorschlag und anschliessend allerdings die Verfügung erlasse. Daraus ist zu schliessen, dass es offenbar mit der Mitteilung sein Bewenden haben soll, falls nicht Einsprache erhoben wird. Dies aber ist mit der gesetzlichen Regelung unvereinbar. Danach ist in jedem Fall - habe nun der Versicherte auf den Préavis reagiert oder nicht - der Vorschlag gemäss
Art. 12 MVG
zu eröffnen, und es ist folglich unzulässig, die Eröffnung des Vorschlags bzw. den allfälligen Erlass der Verfügung von einer Einsprache des Versicherten, die zudem noch fristgebunden ist, abhängig zu machen.
Aus all diesen Gründen erscheint das Schreiben vom 29. April 1978 nicht als vorläufige Mitteilung im Sinne von
Art. 11 Abs. 5 MVG
. Es kann aber auch nicht als Vorschlag im Sinne von
Art. 12 MVG
betrachtet werden. Ein solcher hätte von der Direktion ausgehen müssen, und ein Stillschweigen des Versicherten dürfte nach der gesetzlichen Ordnung nicht als Zustimmung dazu gewertet werden.
4.
Zusammenfassend ergibt sich somit, dass über die streitige Rentenkürzung keine beschwerdefähige Verfügung vorliegt, weshalb die Vorinstanz zu Recht auf die Beschwerde nicht eingetreten ist. Weil sich aber gleichzeitig erwiesen hat, dass die Militärversicherung nicht gesetzeskonform vorgegangen ist, ist die Sache an diese zurückzuweisen, damit sie im Sinne der Vorschriften von
Art. 11 Abs. 5 und 12 MVG
verfahre...
BGE 105 V 93 S. 97
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Die Sache wird an die Militärversicherung zurückgewiesen, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d001a0db-80dd-4565-8f1c-ab852fbfc5f4 | Urteilskopf
97 I 639
91. Extrait de l'arrêt du 17 mars 1971 dans la cause Commune de Pully contre Commission vaudoise de recours en matière de police des constructions. | Regeste
Eigentumsgarantie. Landschaftsschutz.
1. Legitimation der Gemeinde zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen kantonalen Entscheid, der sie als Eigentümerin ihres Verwaltungsvermögens trifft (Erw. 2 b).
2. Gesetzliche Grundlage für eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung:
a) Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 6 a);
b) Auslegung einer Bestimmung über den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes (Erw. 6 b). | Sachverhalt
ab Seite 639
BGE 97 I 639 S. 639
Résumé des faits:
A.-
La commune de Pully a reçu un legs destiné à la construction d'un établissement pour personnes âgées. Sur proposition d'une commission ad hoc, elle a choisi pour l'implantation de cet établissement une parcelle de terrain dont elle est propriétaire et qui est située à l'extrémité d'une zone de villas. Le bâtiment projeté devrait avoir trois étages sur rez-dechaussée, plus une partie d'étage en attique, et mesurer environ 70 m. de long.
Plutôt que d'agir par voie de dérogation - ce que permettait l'art. 71 de son règlement communal - elle a décidé d'établir, pour l'endroit en question, un plan d'extension partiel avec réglementation spéciale. Mis à l'enquête publique, ce plan a
BGE 97 I 639 S. 640
suscité plusieurs oppositions que le Conseil d'Etat, sur proposition de la Municipalité, a écartées en donnant son approbation au plan partiel et à sa réglementation spéciale. Un recours de droit public de certains propriétaires a été écarté par le Tribunal fédéral en 1969.
B.-
Dans la procédure de mise à l'enquête publique du projet d'exécution en vue de l'obtention du permis de bâtir, plusieurs propriétaires ont à nouveau fait opposition et, après rejet de leur opposition et octroi du permis par la Municipalité, recouru à la Commission cantonale de recours en matière de police des constructions, qui a admis le recours et cassé la décision d'octroi du permis; ladite commission s'est fondée sur l'art. 57 de la loi cantonale du 5 février 1941 sur les constructions et l'aménagement du territoire (LCAT), qui interdit "toutes constructions de nature à compromettre l'aspect ou le caractère d'un site, d'une localité, d'un quartier ou d'une rue, ou à nuire à l'aspect d'un édifice de valeur historique, artistique ou pittoresque".
La commune de Pully a formé un recours de droit public contre la décision de la Commission cantonale de recours, en invoquant son autonomie, la garantie de la propriété et l'art. 4 Cst.
Erwägungen
Extrait des motifs:
2.
b) La commune de Pully se plaint aussi de la violation de la garantie de la propriété. Il faut examiner si elle a qualité pour le faire.
Actuellement, la parcelle en discussion appartient formellement au patrimoine financier de la commune. Mais elle est destinée à la construction d'un établissement à caractère hospitalier; il convient dès lors de la considérer, aux fins de la présente cause, comme appartenant déjà aux biens administratifs de la commune (cf. RO 96 I 468 s.).
Dans sa jurisprudence antérieure à 1964, le Tribunal fédéral a généralement considéré qu'une corporation de droit public a qualité pour former un recours de droit public contre une décision qui la touche en tant que propriétaire de ses biens fiscaux et administratifs (cf. RO 88 I 109 et les arrêts non publiés qui y sont cités). Dans l'arrêt Affolter et consorts du 16 décembre 1964 (RO 90 I 337), il a confirmé sa jurisprudence en ce qui concerne la qualité de la corporation publique en
BGE 97 I 639 S. 641
tant que propriétaire de ses biens fiscaux ou financiers, mais il a émis des doutes au sujet de sa qualité pour recourir quant aux biens administratifs et au domaine public; il a cependant laissé indécise cette dernière question. Mais dans les arrêts Bedano du 2 avril 1969 (RO 95 I 46) et Pian Faloppia du 14 avril 1969 (non publié), où il s'est prononcé d'une façon toute générale sur le problème de la qualité de la corporation publique pour former un recours de droit public, il a confirmé sa jurisprudence antérieure et reconnu à une telle corporation la qualité pour recourir tant en ce qui concerne ses biens fiscaux que ses biens administratifs. Il s'est également tenu à cette jurisprudence dans un arrêt du 24juin 1970 (Kirchgemeinde Selzach c. Soleure, non publié au RO, mais dans ZBl 1971 p. 42), reconnaissant à une paroisse, corporation de droit public cantonal, la qualité pour recourir contre une décision classant comme monument historique une église affectée au culte.
En ce qui concerne le domaine public, en revanche, un arrêt du 3 juin 1970 (RO 96 I 466) a dénié à une commune la qualité pour recourir contre une décision qui touchait ses biens affectés à l'usage commun, à l'occasion d'un recours où elle se plaignait uniquement de la violation de l'art. 4 Cst., sans invoquer son autonomie ni la garantie de la propriété. A cette occasion, le Tribunal fédéral a réservé la solution du problème pour le cas où une commune soulèverait également le grief de violation de la garantie de la propriété. (Contrairement à ce qui est dit au RO 96 I 329, l'arrêt précité n'a dénié à la commune la qualité pour recourir qu'en ce qui concerne les choses affectées à l'usage commun, et non pas son patrimoine administratif).
Dans la présente espèce, c'est en sa qualité de propriétaire de biens administratifs que la commune de Pully est touchée par l'application d'une règle (art. 57 LCAT) relevant de la police des constructions. Elle a donc, selon la jurisprudence confirmée récemment, qualité pour former le présent recours.
6.
La recourante reproche à la Commission d'avoir estimé à tort que l'art. 57 LCAT s'appliquait en l'espèce. Elle conteste par là l'existence d'une base légale suffisante pour la restriction qui lui est imposée.
a) Cette question doit être examinée librement in casu. Il est vrai que, selon la décision attaquée, il n'est pas interdit à la recourante d'édifier un home pour personnes âgées sur les parcelles en question. Toutefois, les modifications du projet
BGE 97 I 639 S. 642
exigées par la Commission sont si importantes (abandon de la construction compacte pour une construction en pavillons, réduction massive du volume, déplacement de la construction entraînant la démolition de la maison existante) qu'elles auraient des répercussions financières graves, soit sur le coût du bâtiment, soit sur les frais de gestion de l'établissement para-hospitalier. La gravité de cette atteinte impose un examen libre.
b) L'art. 57 LCAT, même examiné librement, constitue cependant une base légale suffisante. En effet, ainsi que la Cour de céans l'a récemment reconnu dans les affaires Esplanade de Montbenon (arrêt du 3 février 1971) et Zosso (arrêt du 17 février 1971), l'art. 57 LCAT contient une règle particulièrement large du double point de vue des objets protégés et de l'atteinte justifiant l'intervention du pouvoir étatique. Quant aux objets de la protection, il ne se borne pas à indiquer les "sites" comme tels, c'est-à-dire ces portions limitées du territoire d'une valeur esthétique particulière et manifeste; il y ajoute, d'une façon plus générale, l'aspect et le caractère d'une "localité", d'un "quartier", d'une "rue", et cela sans poser des exigences particulièrement sévères quant à leur valeur esthétique (pas de "besonderer Schönheitswert", par exemple). Quant aux atteintes qui justifient l'intervention des pouvoirs publics et l'imposition de limitations, l'art. 57 LCAT n'exige pas qu'elles soient particulièrement qualifiées et graves: le terme de "compromettre", tout en désignant une intervention préjudiciable, est plus large que les formules adoptées dans d'autres législations cantonales, qui exigent par exemple une "Verunstaltung" ou un "deturpamento", c'est-à-dire un enlaidissement grave (cf. RO 82 I 108
;
90 I 342
consid. 3 b).
Cela ne signifie cependant pas que la formulation large de l'art. 57 LCAT permette à l'autorité de l'invoquer pour protéger des objets qui n'ont aucune valeur esthétique contre des atteintes dépourvues de portée. Une telle manière de faire reviendrait en effet à attribuer à la norme une signification qui viderait de sa substance la garantie de la propriété; une telle disposition serait alors en elle-même anticonstitutionnelle (cf. RO 90 I 37 et 91 I 34 consid. 2).
Par ailleurs, l'étendue de la base légale et le large éventail des possibilités d'intervention des pouvoirs publics ne peuvent justifier a priori n'importe quelle mesure. Une base légale large exige en effet que l'on se montre particulièrement rigoureux
BGE 97 I 639 S. 643
dans la phase successive de la pesée des intérêts en présence et dans l'examen de la proportionnalité de la limitation par rapport au but poursuivi et à l'objet de la protection. A ces conditions, une norme qui étend la protection à des aspects du paysage auxquels on n'attribuait dans le passé qu'une importance relative, peut néanmoms se justifier aujourd'hui, même s'imposer, par rapport au déferlement des atteintes portées à l'environnement sous la pression du développement technique. Une telle formule obéit d'ailleurs aux tendances actuelles en matière de protection du paysage et des monuments, conçue non seulement comme protection d'objets isolés de grande valeur, mais comme protection d'ensembles.
(Le Tribunal fédéral a néanmoins admis le recours, considérant que l'intérêt public de la construction envisagée l'emportait sur l'intérêt de la protection du paysage, peu important en l'espèce.) | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
d0029872-a1f6-460f-ad46-b9d04b25dd99 | Urteilskopf
140 V 267
36. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Stadt Uster, Sozialversicherungsamt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_908/2013 vom 22. Mai 2014 | Regeste
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
; Einkommensverzicht.
Absolviert die versicherte Person in Verletzung ihrer Schadenminderungspflicht eine ihr von der Invalidenversicherung zugesprochene berufliche Eingliederungsmassnahme nicht, ist dem fehlenden Eingliederungswillen auch im Bereich der Ergänzungsleistungen Rechnung zu tragen, indem im Rahmen des
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
auf das nach Durchführung der Eingliederungsmassnahme erzielbare Einkommen abzustellen ist (E. 5.2.2). | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 140 V 267 S. 268
A.
A.a
Der 1980 im damaligen Jugoslawien bzw. im heutigen Bosnien-Herzegowina geborene A. zog sich im März 1984 eine Kalkverätzung beider Augen zu und ist seither stark sehbehindert.
Nach seiner Einreise in die Schweiz im Jahre 2001 meldete er sich im Februar 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 23. Juli 2002 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) den Anspruch auf eine Rente, berufliche Massnahmen, eine Hilflosenentschädigung und Hilfsmittel zufolge Nichterfüllens der versicherungsmässigen Voraussetzungen.
A.b
Auf die Neuanmeldung des Versicherten hin lehnte die Verwaltung das Gesuch um Ausrichtung einer Invalidenrente mangels Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen erneut ab (Verfügung vom 8. Januar 2005). Mit Verfügung vom 17. März 2005 bejahte sie mit Wirkung ab 1. Oktober 2001 einen Anspruch auf eine Entschädigung für Hilflosigkeit leichten Grades.
A.c
Am 27. Juli 2006 bejahte die IV-Stelle den Anspruch des A. auf eine erstmalige berufliche Ausbildung und erteilte in der Folge Kostengutsprache für eine berufliche Abklärung. Im Anschluss daran übernahm sie die mit der Ausbildung zum medizinischen Masseur verbundenen Mehrkosten.
Am 20. Oktober 2008 verfügte die IV-Stelle den Abbruch der beruflichen Massnahmen mit Wirkung auf den 29. August 2008, dies nachdem sie den Versicherten wiederholt auf seine Mitwirkungspflicht aufmerksam gemacht hatte. Zur Begründung gab sie an, dass die zahlreichen Absenzen und nicht absolvierten Prüfungen beziehungsweise die daraus resultierenden erheblichen Wissenslücken eine berufliche Eingliederung als aussichtslos erscheinen liessen.
A.d
Mit Verfügung vom 3. Juni 2009 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch erneut zufolge Nichterfüllens der versicherungsmässigen Voraussetzungen. Die vom Versicherten dagegen
BGE 140 V 267 S. 269
erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Januar 2011 ab.
A.e
Im Oktober 2009 meldete sich der Versicherte zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) an. Die Stadt Uster, Sozialversicherungsamt, Abteilung Zusatzleistungen (Durchführungsstelle), verneinte den Anspruch des Versicherten auf Zusatzleistungen mit der Begründung, die anrechenbaren Einnahmen überstiegen unter Berücksichtigung eines hypothetischen Erwerbseinkommens bei einem Invaliditätsgrad von 0 % die anerkannten Ausgaben (Verfügung vom 31. August 2011). Daran hielt sie auf Einsprache des Versicherten hin fest (Entscheid vom 16. April 2012).
B.
Beschwerdeweise liess A. beantragen, es sei der Einspracheentscheid aufzuheben und die Angelegenheit an die Durchführungsstelle zurückzuweisen, damit diese bei der IV-Stelle um eine neue Berechnung des Invaliditätsgrades ersuche und hernach über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen entscheide. Das angerufene Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich holte bei der IV-Stelle eine Stellungnahme zum Invaliditätsgrad ein (erstattet am 16. August 2012) und gab den Parteien Gelegenheit, sich dazu zu äussern. Mit Entscheid vom 7. November 2013 wies es die Beschwerde ab.
C.
A. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid und der Einspracheentscheid seien aufzuheben und sein Anspruch auf Ergänzungsleistungen sei bis 31. Mai 2012 ohne Anrechnung eines hypothetischen Einkommens und hernach unter Anrechnung des tatsächlich erzielten Einkommens zu berechnen. Der Beschwerde liegt als Beweismittel ein Anstellungsvertrag vom 1. Juni 2012 zwischen dem Beschwerdeführer und B., Physiotherapie, Sportcenter C., bei.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die jährliche Ergänzungsleistung (
Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG
[SR 831.30]) entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (
Art. 9 Abs. 1 ELG
).
2.2
Als Einnahmen angerechnet werden gemäss
Art. 11 Abs. 1 ELG
namentlich zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in Geld oder Naturalien, soweit sie bei alleinstehenden Personen jährlich 1000 Franken
BGE 140 V 267 S. 270
übersteigen (lit. a), sowie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (lit. g). Eine Verzichtshandlung im Sinne von
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
liegt vor, wenn die versicherte Person ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat, wenn sie einen Rechtsanspruch auf bestimmte Einkünfte und Vermögenswerte hat, davon aber faktisch nicht Gebrauch macht oder ihre Rechte nicht durchsetzt, oder wenn sie aus von ihr zu verantwortenden Gründen von der Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht (
BGE 134 I 65
E. 3.2 S. 70; Urteil 9C_329/2010 vom 23. Juni 2010 E. 3.1 mit Hinweis, in: SVR 2011 EL Nr. 4 S. 11).
Gemäss
Art. 14a Abs. 1 ELV
(SR 831.301) in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 5 lit. c ELG
wird Invaliden als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet, den sie im massgebenden Zeitabschnitt tatsächlich verdient haben. Absatz 2 hält fest, welches Erwerbseinkommen Invalidenrentnern unter 60 Jahren als Erwerbseinkommen mindestens anzurechnen ist, womit bei Nichterreichen dieses Grenzbetrages die Vermutung eines freiwilligen Verzichts auf Erwerbseinkünfte (
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
) statuiert wird. Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn invaliditätsfremde Gründe wie Alter, mangelhafte Ausbildung und Sprachkenntnisse, persönliche Umstände oder die Arbeitsmarktsituation die Verwertung der Resterwerbsfähigkeit erschweren oder verunmöglichen. Massgebend für die Berechnung der Ergänzungsleistungen ist daher das hypothetische Einkommen, das der Versicherte tatsächlich realisieren könnte (
BGE 131 II 656
E. 5.2 S. 661 f.;
BGE 117 V 202
E. 2a/b S. 204 f.,
BGE 117 V 153
E. 2b/c S. 155 f.).
2.3
Mit Bezug auf die invaliditätsbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit haben sich EL-Organe und Sozialversicherungsgerichte grundsätzlich an die Invaliditätsbemessung durch die Invalidenversicherung zu halten (
BGE 117 V 202
E. 2b S. 205; Urteil 8C_172/2007 vom 6. Februar 2008 E. 7.1).
2.4
Die Festsetzung des hypothetischen Einkommens stellt, soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände beruht, eine Tatfrage dar, welche lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar ist. Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit erfolgt (Urteile 9C_946/2011 vom 16. April 2012 E. 4.2; 9C_120/2012 vom 2. März 2012 E. 3.3).
BGE 140 V 267 S. 271
3.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob (und gegebenenfalls in welcher Höhe) dem Versicherten bei der Ermittlung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ein hypothetisches Erwerbseinkommen anzurechnen ist.
4.
4.1
Nach dem Feststellungsblatt der IV-Stelle vom 28. April 2011 besteht beim Versicherten aufgrund der Berichte des Dr. med. D. vom 25. August 2010, der Augenklinik des Spitals E. vom 26. April 2010 und der Stellungnahmen des Regionalen ärztlichen Dienstes (RAD) vom 26. Oktober 2010 sowie 28. April 2011 eine volle Arbeitsfähigkeit in einer visus-adaptierten Tätigkeit. In ihrer Mitteilung vom 29. April 2011 ging die IV-Stelle sodann gestützt auf die medizinischen Angaben (ohne Durchführung eines Einkommensvergleichs) von einem Invaliditätsgrad von 0 % aus. Vom kantonalen Gericht zur Stellungnahme aufgefordert, äusserte sich die IV-Stelle sodann ausführlich zum Invaliditätsgrad (Eingabe vom 16. August 2012). Dabei führte sie aus, der Versicherte habe in seiner Heimat die Ausbildung zum Physiotherapeuten abgeschlossen, welche in der Schweiz mit einer entsprechenden Ergänzung von rund zwei Jahren hätte anerkannt werden können. Da diese Ausbildung jedoch nicht als der Behinderung ideal angepasst eingestuft worden sei, habe er schliesslich die Ausbildung zum medizinischen Masseur begonnen. Für das Valideneinkommen sei von der Lohnstrukturerhebung (LSE), Tabelle T7S, Ziffer 33 (medizinische, pflegerische und soziale Tätigkeiten), Anforderungsniveau 3 (mangels Gleichwertigkeit der in Jugoslawien absolvierten Ausbildung), auszugehen, womit sich für das Jahr 2010 bei einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,6 Stunden ein Jahreseinkommen von Fr. 77'650.55 ergebe. Hinsichtlich des Invalideneinkommens sei massgebend, dass der Versicherte die Möglichkeit gehabt hätte, sich zum medizinischen Masseur ausbilden zu lassen und dabei eine volle Arbeitsfähigkeit überwiegend wahrscheinlich sei, wobei jedoch aufgrund des Augenleidens gewisse Leistungseinbussen (Geschwindigkeit, Orientierung etc.) anzunehmen seien. Gestützt auf dieselbe Tabelle T7S, Ziffer 33, Anforderungsniveau 2, errechnete sich für ein Vollzeitpensum für das Jahr 2010 ein Einkommen von Fr. 89'831.05. Bei einer Leistungseinbusse von 20 % aufgrund der schweren Sehbeeinträchtigung ergebe sich ein Einkommen von Fr. 71'864.85. Weitere leidensbedingte Abzüge seien nicht gerechtfertigt. Aus der Gegenüberstellung der beiden Vergleichseinkommen
BGE 140 V 267 S. 272
(Valideneinkommen: Fr. 77'650.55; Invalideneinkommen: Fr. 71'864.85) resultierte der Invaliditätsgrad von 7,5 %.
Gestützt auf diese Ausführungen der IV-Stelle, insbesondere die Stellungnahme vom 16. August 2012, gelangte die Vorinstanz zum Ergebnis, es sei mit dem erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit und einem Invaliditätsgrad von 7,5 % auszugehen. Es beständen weder Anhaltspunkte, die auf eine Fehlerhaftigkeit der Invaliditätsbemessung schliessen liessen, noch gebe diese aufgrund der Akten zu Beanstandungen Anlass. Der Versicherte habe durch sein Verhalten seine Schadenminderungspflicht verletzt: Die IV-Stelle habe ihn dreimal (am 20. und 22. Februar sowie am 13. Juni 2008) zur Wahrnehmung seiner Mitwirkungspflicht aufgefordert mit dem Hinweis, dass bei Nichteinhalten die Ausbildung sofort abgebrochen werde. Unter diesen Umständen habe die Durchführungsstelle so verfahren und in die Berechnung der Zusatzleistungen ein hypothetisches Einkommen miteinbeziehen dürfen. Nicht zu beanstanden sei auch dessen Höhe (Fr. 55'800.-) bzw. das nach Abzug des Freibetrages von Fr. 1'000.- und einem Drittel des Restbetrages verbleibende angerechnete Verzichtseinkommen von Fr. 36'533.-.
4.2
Der Versicherte lässt geltend machen, er verfüge über keine verwertbare Ausbildung. Er habe zwar in seiner Heimat die Ausbildung zum Physiotherapeuten abgeschlossen, aber auf diesem Beruf weder in seiner Heimat noch in der Schweiz gearbeitet. Aus dem Verlaufsprotokoll der IV-Berufsberatung vom 24. Januar 2008 ergebe sich, dass die beruflichen Kenntnisse bei Weitem nicht dem Stand eines schweizerischen medizinischen Masseurs entsprächen, geschweige denn mit einem Physiotherapeuten gleichzusetzen seien. Er verfüge nur über ein Basiswissen. Aus diesem Grund habe die IV-Stelle ihm denn auch Kostengutsprache für eine erstmalige berufliche Ausbildung zum medizinischen Masseur geleistet. Da er diese aber nicht abgeschlossen habe, sei ihm die Aufnahme einer solchen Tätigkeit weder möglich noch zumutbar. Seine Schadenminderungspflicht gegenüber der Invalidenversicherung bestehe darin, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um die Invalidität abzuwenden oder zu verringern (beispielsweise durch Teilnahme an einer zumutbaren und geeigneten Ausbildung). Seine Schadenminderungspflicht gegenüber der Beschwerdegegnerin beinhalte demgegenüber, dass er sich im Fall einer verbliebenen
BGE 140 V 267 S. 273
Restarbeitsfähigkeit ein hypothetisches Einkommen anrechnen lassen müsse, wenn er keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Dafür seien die tatsächlichen Verhältnisse bei ihm und auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Aus diesem Grunde dürfe nicht einfach das von der IV-Stelle berechnete Invalideneinkommen übernommen werden. Aufgrund seiner stark eingeschränkten Sehkraft sei er ohne entsprechende Schulung bloss in einer geschützten Werkstatt einsetzbar. Auf dem Arbeitsmarkt habe er keine (guten) Chancen: Es sei ihm beispielsweise nicht möglich, in einem Callcenter zu arbeiten, weil er nicht akzentfrei deutsch spreche. Für eine kaufmännisch-administrative Tätigkeit fehle ihm die notwendige Ausbildung. Es sei als absoluter Glücksfall zu werten, dass er seit 1. Juni 2012 als Physiotherapieassistent bei B. im Sportcenter C. zu einem Stundenlohn von Fr. 25.- arbeiten könne. Bei einem durchschnittlichen Pensum von ungefähr 50 % verdiene er monatlich ca. Fr. 1'500.-. Zusammenfassend ergebe sich, dass ihm bis Ende Mai 2012 kein hypothetisches und danach bloss das tatsächlich erzielte Einkommen angerechnet werden könne.
5.
5.1
Es ist weder ersichtlich noch wird geltend gemacht, dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung betreffend den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die daraus resultierende Arbeitsfähigkeit offensichtlich unrichtig sein sollen; sie sind demnach für das Bundesgericht verbindlich (nicht publ. E. 1.2). Insbesondere hat die Vorinstanz hinsichtlich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit zu Recht auf die grundsätzliche Bindung an die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung verwiesen. Diese ist angezeigt, weil die EL-Stellen nicht über die fachlichen Voraussetzungen für eine selbstständige Beurteilung der Invalidität verfügen und der gleiche Sachverhalt nicht unter denselben Gesichtspunkten von verschiedenen Instanzen unterschiedlich beurteilt werden soll (Urteil P 49/06 vom 16. Juli 2007 E. 4.1; ERWIN CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 154). Dass sich der Gesundheitszustand seither verändert hätte, in welchem Fall die EL-Stelle allenfalls eine selbstständige Prüfung vornehmen könnte (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 6/04 vom 4. April 2005 E. 3.1 [zu
Art. 14a Abs. 2 ELV
]; CARIGIET, a.a.O., S. 154 f.), wird vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht.
5.2
Zu prüfen ist, ob und inwiefern sich, wie der Versicherte vorbringt, die ihm gegenüber der IV-Stelle obliegende Schadenminderungspflicht von derjenigen gegenüber der EL-Stelle unterscheidet.
BGE 140 V 267 S. 274
Dabei ist streitig, welchen Einfluss es auf den Bereich der Ergänzungsleistungen (d.h. auf die hier zur Diskussion stehende Frage nach dem Vorliegen eines Einkommensverzichts) hat, dass die IV-Stelle (im Rahmen der Invaliditätsbemessung) die Frage bejahte, ob es dem Beschwerdeführer zumutbar ist, die medizinische Ausbildung zum medizinischen Masseur zu absolvieren und ein entsprechendes Einkommen zu erzielen.
5.2.1
Es stellt einen allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts dar, dass einem Leistungsansprecher im Rahmen der Schadenminderungspflicht Massnahmen zuzumuten sind, die ein vernünftiger Mensch in der gleichen Lage ergreifen würde, wenn er keinerlei Entschädigung zu erwarten hätte (
BGE 133 V 504
E. 4.2 S. 509). In diesem Sinne hat die versicherte Person das ihr Zumutbare zu unternehmen, um die Kosten, welche mittels Sozialversicherungsleistungen - hier mittels Invaliden- und Ergänzungsleistungen - zu vergüten sind, möglichst tief zu halten; dabei bestehen bei einer hohen Inanspruchnahme von Leistungen entsprechend hohe Anforderungen an die versicherte Person hinsichtlich der Schadenminderungspflicht (Urteil 9C_429/2013 vom 23. Oktober 2013 E. 3.1, in: SVR 2014 EL Nr. 5 S. 11). Für den Bereich der Ergänzungsleistungen bedeutet dies, dass die versicherte Person alles Zumutbare vorzukehren hat, um den Existenzbedarf soweit als möglich, also auch durch ein möglichst hohes Erwerbseinkommen, selbst finanzieren zu können (RALPH JÖHL, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1761 unten f.). In diesem Sinne ist beispielsweise einer versicherten Person, die in der ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit keinen (oder einen deutlich unter dem möglichen Nettolohn liegenden) Gewinn erzielt, grundsätzlich sowohl invalidenversicherungsrechtlich (vgl. dazu Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 11/00 vom 22. August 2001 E. 5a/bb, in: AHI 2001 S. 277) als auch ergänzungsleistungsrechtlich zumutbar, in eine (besser entlöhnte) unselbstständige Erwerbstätigkeit zu wechseln (JÖHL, a.a.O., S. 1754 f. Fn. 575).
5.2.2
Beim Invalideneinkommen nach
Art. 16 ATSG
(SR 830.1) wird fingiert, der Versicherte habe allfällige (zumutbare) Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (erfolgreich) absolviert, was - nach Durchführung des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens gemäss
Art. 21 Abs. 4 ATSG
- auch gilt, wenn er sich gegenüber der IV-Stelle geweigert hat, bei den entsprechenden Vorkehren mitzuwirken. Der enge Zusammenhang zwischen der Invalidenversicherung
BGE 140 V 267 S. 275
und den Ergänzungsleistungen (vgl.
Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG
) rechtfertigt es, dem der Verletzung der Schadenminderungspflicht innewohnenden subjektiven Tatbestandselement - dem fehlenden Eingliederungswillen - auch im Bereich der Ergänzungsleistungen Rechnung zu tragen, indem im Rahmen der Bestimmung des
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
auf das nach Durchführung der Eingliederungsmassnahme erzielbare Einkommen abzustellen ist. Dass die fehlende Kooperation der versicherten Person damit doppelt - invalidenversicherungs- und ergänzungsleistungsrechtlich - sanktioniert wird (JÖHL, a.a.O., S. 1760 Fn. 596), ist in Anbetracht der Abhängigkeit der Ergänzungsleistungen von der Invalidenversicherung systemimmanent. Hauptcharakteristikum der Ergänzungsleistungen ist, die Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben und den anrechenbaren Einnahmen auszugleichen (
Art. 9 Abs. 1 ELG
). Anders zu entscheiden hiesse, dass sich die versicherte Person für die invalidenversicherungsrechtlichen Folgen ihrer Widersetzlichkeit mittels Ergänzungsleistungen (zumindest teilweise) schadlos halten könnte, was dem
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
zugrunde liegenden Prinzip der Eigenverantwortung zuwiderliefe.
5.2.3
Nach dem Gesagten ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass für den Bereich der Ergänzungsleistungen im Rahmen der Bestimmung des
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
auf das Einkommen abgestellt wurde, das der Versicherte hätte erzielen können, wenn er die ihm seitens der IV-Stelle zugesprochene erstmalige berufliche Ausbildung zum medizinischen Masseur absolviert hätte.
5.3
Ein Unterschied zwischen der Invalidenversicherung und den Ergänzungsleistungen besteht darin, dass die Invalidenversicherung bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades - im Sinne eines objektiven Tatbestandselements - auf den ausgeglichenen Arbeitsmarkt abstellt, während im Bereich der Ergänzungsleistungen von den tatsächlichen Verhältnissen, nicht nur der EL-berechtigten Person, sondern auch des Arbeitsmarktes auszugehen ist (vgl. E. 2.2 hiervor; Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts P 40/04 vom 17. August 2005 E. 2; P 18/02 vom 9. Juli 2002 E. 4; MIRIAM LENDFERS, Hypothesen bei den Ergänzungsleistungen, in: Fiktives, Hypothetisches und Konstruiertes im Sozialversicherungsrecht, Ueli Kieser [Hrsg.], 2012, S. 101 ff., 119). Wird - insbesondere mit Belegen über erfolglose (qualitativ und quantitativ ausreichende) Stellenbemühungen - der Nachweis erbracht, dass das angerechnete hypothetische Erwerbseinkommen wegen der persönlichen Situation und der Arbeitsmarktlage nicht
BGE 140 V 267 S. 276
erzielt werden kann, muss die EL-Stelle dies anerkennen und auf dessen Anrechnung verzichten (vgl. dazu CARIGIET, a.a.O., S. 156; LENDFERS, a.a.O., S. 119; vgl. auch Rz. 3424.05 der seit 1. April 2011 geltenden Fassung der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL]
http://www.bsv.admin.ch/vollzug/documents/index/category:59/lang:deu
).
Der Beschwerdeführer vermag nicht darzutun, dass er, wenn er sich zum medizinischen Masseur hätte ausbilden lassen, wegen der persönlichen Situation und der Arbeitsmarktlage das ihm für diesen Fall angerechnete hypothetische Erwerbseinkommen nicht erzielen könnte. Vielmehr beschränkt er sich auf den (mit Blick auf das in E. 5.2.2 zur Schadenminderungspflicht Ausgeführte) unerheblichen grundsätzlichen Einwand, das Einkommen eines medizinischen Masseurs dürfe nicht angerechnet werden, weil er die entsprechende Ausbildung nicht abgeschlossen habe.
5.4
Nicht massgebend ist in diesem Zusammenhang, soweit es sich nicht ohnehin um ein unerhebliches Novum handelt (
Art. 99 Abs. 1 BGG
), dass der Beschwerdeführer ab 1. Juni 2012 eine Anstellung als Physiotherapieassistent gefunden hat, bei welcher er nach seinen eigenen Angaben in einem 50%-Pensum einen monatlichen Lohn von etwa Fr. 1'500.- erzielt. Damit schöpft er seine Restarbeitsfähigkeit (100%ige Arbeitsfähigkeit in einer visus-adaptierten Tätigkeit; vgl. E. 4.1 hiervor) nicht (voll) aus, weshalb in der Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten und dem zumutbarerweise erzielbaren Einkommen nach wie vor ein ergänzungsleistungsrechtlich zu berücksichtigender Einkommensverzicht liegt.
5.5
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Anrechnung des hypothetischen Einkommens rechtens ist. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
d009b904-aeb9-477c-92c3-99e8ef0c18c6 | Urteilskopf
98 III 49
11. Entscheid vom 17. Juli 1972 i.S. W. | Regeste
Privilegierte Anschlusspfändung.
Art. 111 SchKG
.
1. Die in
Art. 111 SchKG
aufgeführten Personen sind berechtigt, den privilegierten Pfändungsanschluss zu verlangen, auch wenn sie neben andern Gläubigern an der Pfändung bereits für eine weitere Forderung teilgenommen haben (Erw. 1).
2. Die Anschlussfrist von 40 Tagen läuft von der ersten, die Gruppe einleitenden Pfändung an, gleichgültig ob und wann die anschlussberechtigten Personen hievon Kenntnis erhalten (Bestätigung der Rechtsprechung). Dies gilt auch dann, wenn das Betreibungsamt die Abschriften der Pfändungsurkunde erst nach Ablauf der Anschlussfrist zustellt (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 98 III 49 S. 50
Gekürzter Tatbestand:
Frau W. führt gegen den von ihr getrennt lebenden Ehemann eine Betreibung für eine Alimentenforderung von Fr. 2'020.--. Am 1. März 1972 stellte sie das Pfändungsbegehren. Das Betreibungsamt nahm am 11. April 1972 für die Gruppe 67, zu der Frau W. gehört, die Pfändung einer Liegenschaft des Schuldners vor. Der amtliche Wert der Liegenschaft betrug Fr. 79'300.--, während die provisorische betreibungsamtliche Schätzung sich auf Fr. 120'000.-- belief. Die Pfändungsurkunde wurde der Gläubigerin am 26. Mai 1972 zugestellt. Sie will dabei zum ersten Male erfahren haben, dass sich noch andere Gläubiger an der Pfändung beteiligt hatten. Am gleichen Tag stellte sie für eine weitere Forderung im Betrage von Fr. 47'295.-- ein Begehren um Anschlusspfändung gemäss
Art. 111 SchKG
, welches vom Betreibungsamt als verspätet zurückgewiesen wurde.
Eine von Frau W. hiegegen erhobene Beschwerde wurde von der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen mit Entscheid vom 22. Juni 1972 abgewiesen.
Frau W. zog den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde an das Bundesgericht weiter mit dem Antrag, den Entscheid aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, ihrem Begehren um Anschlusspfändung gesetzliche Folge zu geben.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 111 SchKG
hat die Ehefrau des Schuldners das Recht, für Forderungen aus dem ehelichen Verhältnis sich ohne vorgängige Betreibung einer Pfändung anzuschliessen. Die Pfändung, an der die Rekurrentin für eine Forderung von Fr. 47'295.-- teilzunehmen wünscht, wurde für die Gläubigergruppe Nr. 67 vollzogen. Dieser Gruppe gehört die Rekurrentin mit einer andern von ihr in Betreibung gesetzten Forderung
BGE 98 III 49 S. 51
betreffend Unterhaltsbeiträge selber an. Trotzdem ist sie grundsätzlich berechtigt, den privilegierten Pfändungsanschluss gemäss
Art. 111 SchKG
zu verlangen. Sie wäre mit diesem Begehren nur ausgeschlossen, wenn die Hauptpfändung von ihr allein erwirkt worden wäre, ohne dass sich andere Gläubiger an diese angeschlossen hätten (JAEGER, Kommentar, N. 6 A zu
Art. 111 SchKG
). In diesem Falle läge nämlich kein Bedürfnis für die Zulassung einer Anschlusspfändung nach
Art. 111 SchKG
vor. Diese setzt ihrem Zwecke nach eine Pfändung zugunsten anderer Gläubiger voraus; nur eine solche wäre geeignet, die Interessen der Ehefrau zu verletzen, wenn sie ihre Rechte nicht gleichzeitig geltend machen könnte (ZR 9 (1910) Nr. 81). Zudem würde die Zulassung des privilegierten Anschlusses der Ehefrau an eine Pfändung, die nur für sie selber vollzogen wurde, eine Umgehung des Zwangsvollstreckungsverbotes unter Ehegatten ermöglichen, als dessen Korrelat das Privileg der Ehefrau auf Pfändungsanschluss ohne vorgängige Betreibung aufzufassen ist (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, S. 259 f.). Im vorliegenden Fall kann der Rekurrentin jedoch mit Rücksicht auf die von den andern Gläubigern ihrer Pfändungsgruppe in Betreibung gesetzten Forderungen ein schützenswertes Interesse am privilegierten Pfändungsanschluss nicht abgesprochen werden, was die Vorinstanz denn auch stillschweigend vorausgesetzt hat.
2.
Das Recht, ohne vorgängige Betreibung an einer Pfändung teilzunehmen, muss nach
Art. 111 Abs. 1 SchKG
während einer Frist von 40 Tagen ausgeübt werden. Der Beginn dieser Frist ist im Gesetz nicht ausdrücklich festgelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist sie jedoch vom Vollzuge der ersten, für die Bildung einer Gruppe massgebenden Pfändung an zu berechnen (
BGE 85 III 169
; nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichtes vom 25. August 1969 i.S. Lampert). Und zwar gilt dies unabhängig davon, ob und wann die anschlussberechtigten Personen von der vollzogenen Pfändung Kenntnis erhalten (
BGE 85 III 171
). Es kann daher entgegen der im Rekurs vertretenen Auffassung auch nicht auf den Zeitpunkt ankommen, in welchem dem Schuldner und den betreibenden Gläubigern Abschriften der Pfändungsurkunde zugestellt wurden (Entscheid des Bundesgerichtes vom 25. August 1969 i.S. Lampert, S. 4). Die Rekurrentin kann demnach aus dem Umstand, dass sie selber die Betreibung
BGE 98 III 49 S. 52
angehoben hatte und der Pfändungsgruppe 67 bereits als Gläubigerin angehört, nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Die Rekurrentin macht ferner geltend, aus den bundesgerichtlichen EntscheidungenBGE 73 III 136und
BGE 81 III 117
Erw. 6 ergebe sich, dass die Zulassung eines formell verspäteten Anschlussbegehrens möglich sei. InBGE 73 III 136wurde indessen nur entschieden, dass die Verfügung, mit der das Betreibungsamt ein verspätetes Teilnahmebegehren gemäss
Art. 111 SchKG
zugelassen hat, nicht schlechthin nichtig, sondern gemäss
Art. 17 SchKG
anfechtbar sei. Und in
BGE 81 III 117
Erw. 6 ging es lediglich um die Frage, ob eine vom Betreibungsamt unterlassene Verfügung betreffend die Zulassung eines rechtzeitig erklärten Anschlussbegehrens noch nachgeholt werden könne. Im vorliegenden Fall hingegen ist die Frage zu entscheiden, ob das von der Rekurrentin nach Ablauf der 40tägigen Frist erhobene Begehren um Anschlusspfändung noch berücksichtigt werden könne. Dabei kann es allerdings entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung nicht darauf ankommen, ob die Pfändung nach der amtlichen Schätzung eine genügende Deckung für sämtliche Forderungen der gleichen Gruppe, die nachträglich angemeldete Forderung der Rekurrentin miteingeschlossen, ergebe; denn es ist nicht nur auf die Interessen der übrigen Gläubiger Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf diejenigen des Schuldners. Diese lassen es jedoch in der Regel nicht zu, dass die in
Art. 111 Abs. 1 SchKG
vorgesehene Frist von 40 Tagen für die Anschlusspfändung überschritten werde. Nachdem das Bundesrecht den Betreibungsbehörden nicht vorschreibt, die im Sinne von
Art. 111 SchKG
anschlussberechtigten Personen über die Vornahme der Pfändung zu orientieren, ist es nicht zulässig, die Frist für die Teilnahmeerklärung erst von der eventuellen Kenntnisnahme der massgebenden Tatsachen durch die privilegierten Personen an zu berechnen. Im übrigen hatte die Rekurrentin, die den Schuldner selber bereits betrieben hatte, eher Anlass, sich nach der Existenz anderer Betreibungen gegen ihren Ehemann zu erkundigen, als eine Ehefrau, die überhaupt keine Ahnung davon hat, dass ihr Ehemann betrieben sein könnte. Die nachträgliche Berücksichtigung der Teilnahmeerklärung der Rekurrentin vom 26. Mai 1972 kann aus den dargelegten Gründen nicht in Betracht kommen, weshalb der Rekurs abzuweisen ist. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
d009c6c8-3aaa-40c3-a9e2-d29b1be335bd | Urteilskopf
109 Ib 183
31. Beschluss der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. Dezember 1983 i.S. Salaheddine und Monika Reneja-Dittli gegen Regierungsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung des ausländischen Ehemannes (
Art. 4 ANAG
,
Art. 8 EMRK
, Art. 100 lit. b Ziffer 3 OG).
1. Wer kann sich bei Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers auf den in Art. 8 Ziffer 1 EMRK garantierten Schutz des Familienlebens berufen (E. 2a)?
2. Der durch die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung betroffene Ausländer sowie seine durch Art. 8 Ziffer 1 EMRK geschützten Familienglieder können den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über die Aufenthaltsbewilligung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechten (Praxisänderung; E. 2b).
3. Ausdehnungsverfügung des Bundesamtes für Ausländerfragen bei Nichterneuerung der kantonalen Aufenthaltsbewilligung (E. 3a). Vernehmlassung des Bundesamtes für Ausländerfragen zuhanden des Bundesgerichts (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 184
BGE 109 Ib 183 S. 184
Salaheddine Reneja, dessen frühere Aufenthalte in der Schweiz bereits zu berechtigten Klagen Anlass gegeben hatten, erhielt am 28. März 1980 von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich allein deswegen eine neue Aufenthaltsbewilligung, weil er inzwischen eine Schweizerin geheiratet hatte. Mit Urteil vom 11. Mai 1982 sprach ihn das Bezirksgericht Zürich verschiedener schwerer Zuwiderhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Betäubungsmittel
BGE 109 Ib 183 S. 185
vom 3. Oktober 1951 (SR 812.121) schuldig und bestrafte ihn mit 24 Monaten Zuchthaus. Gestützt auf diese Verurteilung wies die Polizeidirektion des Kantons Zürich mit Verfügung vom 23. November 1982 das Gesuch des Rekurrenten vom 27. September 1982 um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab.
Ein hiegegen gerichteter Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos.
Salaheddine und Monika Reneja-Dittli erheben sowohl eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde als auch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die ergangenen fremdenpolizeirechtlichen Entscheide. Sie beantragen namentlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheide und die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Auf ihre einzelnen Vorbringen wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Im vorliegenden Fall rechtfertigt es sich, die beiden Beschwerdeverfahren zu vereinigen.
In ihren Vernehmlassungen vom 25. und vom 29. August 1983 beantragt die Finanzdirektion des Kantons Zürich den Beschwerden keine aufschiebende Wirkung zu erteilen und auf die Sache selbst nicht einzutreten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach bisheriger bundesgerichtlicher Praxis steht dem Ausländer bei Nichterneuerung seiner Aufenthaltsbewilligung weder eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
BGE 109 Ib 178
;
BGE 106 Ib 127
E. 2a) noch eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid zur Verfügung; dies gilt auch dann, wenn der Ausländer mit einer Schweizerin verheiratet ist (Bundesgerichtsentscheid vom 7. Juli 1983 i.S. I. Oezaltay). Vorbehalten bleibt nach bisheriger Praxis lediglich die Rüge der Verletzung von Verfahrensvorschriften (
BGE 106 Ib 132
E. 3 sowie die noch strengere Praxis in
BGE 107 Ia 185
E. 3c). Es fragt sich jedoch, ob im Hinblick auf Ehepaare und minderjährige Kinder von Personen, die über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügen, an dieser Praxis festgehalten werden kann.
2.
a) Art. 8 Ziff. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) bestimmt:
"1. Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs."
BGE 109 Ib 183 S. 186
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
reicht somit sachlich über das in
Art. 54 BV
(SR 101) gewährleistete Recht auf Ehe hinaus, indem die Bestimmung nicht nur die Freiheit der Ehebeziehung als solche, sondern darüber hinaus auch die Beziehungen zu weiteren Familiengliedern schützt. Nach der in der "Europäischen Grundrechte-Zeitschrift" (EuGRZ 1983, S. 423, Ziff. 54) wiedergegebenen Praxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte in Strassburg gewährt die Menschenrechtskonvention zwar kein Recht auf Anwesenheit in einem bestimmten Staat; doch könne
Art. 8 EMRK
durch die Ausweisung verletzt werden, wenn dadurch die Familie getrennt werde.
Ist das in
Art. 8 EMRK
geschützte Familienleben durch einen staatlichen Eingriff betroffen, so müssen sich alle Familienglieder auf die Menschenrechtskonvention berufen können. Der Anwendungsbereich von
Art. 8 EMRK
darf indessen nicht überdehnt werden: Der Schutz ist auf die Familie im engen Sinne, also auf die Ehegatten und ihre minderjährigen Kinder zu beschränken. Diese Personen müssen berechtigt sein, sich im Rahmen "einer wirksamen Beschwerde bei einer nationalen Instanz" (
Art. 13 EMRK
) gegen staatliche Eingriffe in ihr Familienleben wehren zu können. Dabei kann der Schutz des Familienlebens nur dann angerufen werden, wenn die Beziehung auch tatsächlich gelebt wird; dieser Sachverhalt ist anhand objektiv überprüfbarer Umstände nachzuweisen.
Ferner kann die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung eines Familiengliedes das in
Art. 8 EMRK
gewährleistete Familienleben nur dann berühren, wenn ein anderer Familienangehöriger über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt. Dies ist vor allem bei der Schweizer Bürgerin der Fall, die einen Ausländer geheiratet hat, dann aber auch bei einem Ausländer oder einer Ausländerin, die über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügt. Schliesslich muss die Berufung auf
Art. 8 EMRK
möglich sein, wenn ein Familienglied seine Anwesenheit in der Schweiz auf einen Staatsvertrag stützen kann (z.B. das Abkommen zwischen der Schweiz und Italien über die Auswanderung italienischer Arbeitskräfte nach der Schweiz, SR 0.142.114.548, wo im Rahmen des in Art. 11 des Abkommens gewährleisteten Anwesenheitsrechtes eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist:
BGE 97 I 533
E. 1b).
b) Es fragt sich deshalb, ob den aus
Art. 8 EMRK
begünstigten Personen gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über
BGE 109 Ib 183 S. 187
die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung die staatsrechtliche Beschwerde oder die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Verfügung steht.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann (
Art. 84 Abs. 2 OG
; SR 173.110). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob auf die von Monika und Salaheddine Reneja-Dittli erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerden eingetreten werden kann. Ist dies der Fall, so sind die staatsrechtlichen Beschwerden unzulässig.
Nach
Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Entscheide über die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. Im Lichte von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
kann entgegen früherer Ansicht nicht mehr gesagt werden, das durch die Menschenrechtskonvention geschützte Familienglied, welches von seiner übrigen Familie getrennt würde, wenn seine Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert würde, verfüge über keinen bundesrechtlichen Anspruch auf Anwesenheit in der Schweiz. Damit ist allerdings noch nichts über die materielle Beurteilung des Gesuches um Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung gesagt; diesbezüglich bleibt die in
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
vorgesehene Rechtsgüterabwägung vorbehalten.
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
beschränkt jedoch das der zuständigen Behörde in
Art. 4 ANAG
(SR 142.20) grundsätzlich eingeräumte freie Ermessen bei der Erneuerung von Anwesenheitsbewilligungen. Dies genügt, um auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des von
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
geschützten Ausländers einzutreten, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert wurde, obwohl seine Familienglieder ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz haben.
Es muss aber auch auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der von der Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung betroffenen Familienglieder mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz eingetreten werden, werden doch auch sie durch die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung ihres Familiengenossen berührt. Dies sind in erster Linie die schweizerische Ehefrau des Ausländers und das Kind des Ausländers, das im Rahmen von
Art. 5 lit. a BüG
(SR 141.0) das Schweizer Bürgerrecht originär erwirbt; darüber hinaus aber auch die ausländischen Familienangehörigen mit Anwesenheitsrecht in der Schweiz, die im Sinne von
Art. 8 EMRK
BGE 109 Ib 183 S. 188
einen Anspruch auf Schutz ihres Familienlebens geltend machen können (oben E. 2a).
Da die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann, entfällt die Möglichkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde. Die letztinstanzliche kantonale Behörde wird ihren Entscheid künftig in den oben genannten Fällen, in welchen eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig ist, mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen müssen.
c) Im vorliegenden Fall ist sowohl auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Monika als auch auf diejenige von Salaheddine Reneja einzutreten. Damit sind ihre gleichzeitig erhobenen staatsrechtlichen Beschwerden unzulässig und es ist deshalb nicht auf sie einzutreten.
3.
a) Hat die letztinstanzliche kantonale Behörde die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung verweigert, so kann das Bundesamt für Ausländerfragen die Pflicht zur Ausreise aus dem betreffenden Kanton auf die ganze Schweiz ausdehnen (Art. 12 Abs. 3 letzter Satz ANAG). Bei Fällen, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde weiterziehbar sind (E. 2b), wird die kantonale Behörde das Gesuch um Erlass der Ausdehnungsverfügung künftig erst nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist stellen können. Wird hingegen die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergriffen, so wird das Verfahren auf Erlass der Ausdehnungsverfügung künftig vom Bundesgericht selbst ausgelöst werden: Im Hinblick auf die materielle Beurteilung der Sache erscheint es sinnvoll, die Ansicht des Bundesamtes für Ausländerfragen, welches ja bei seinem Entscheid über den Erlass der Ausdehnungsverfügung vor den gleichen Rechtsfragen steht, bereits bei Beurteilung des kantonalen Entscheids in das Verfahren miteinzubeziehen. Bestätigt das Bundesgericht den kantonalen Entscheid über die Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung, so kann alsdann das Bundesamt ohne weiteres die Ausdehnungsverfügung erlassen.
b) Die besondere Wichtigkeit der Stellungnahme des Bundesamtes für Ausländerfragen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren vor Bundesgericht im vorliegenden Zusammenhang erfordert es, die Vernehmlassung der eidgenössischen Behörde obligatorisch zu erklären. Das Bundesamt hat dabei alle für die gestützt auf
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
vorzunehmende Rechtsgüterabwägung erforderlichen Sachumstände zu würdigen und, soweit die kantonalen Akten unvollständig sind, diese zu ergänzen. Dabei sind namentlich folgende Fragen tatsächlicher Natur abzuklären:
BGE 109 Ib 183 S. 189
- Sind die behaupteten familiären Beziehungen zu dem über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügenden Ehegatten oder minderjährigen Kind intakt und werden sie auch tatsächlich intensiv gelebt?
- Bestehen besondere Gründe, die den Weggang der Familienangehörigen ins Ausland als völlig unzumutbar erscheinen lassen?
- Soweit die Vorwürfe an den Familienangehörigen, dessen Aufenthaltsbewilligung nicht erneuert werden soll, nicht bereits rechtsgenügend festgehalten sind, Ausführungen zu diesen unter Gewährung des rechtlichen Gehörs.
Das vorliegende Verfahren ist auszusetzen und dem Bundesamt für Ausländerfragen ist Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Über die Kostentragung wird im Entscheid über die Sache selbst entschieden werden.
Dispositiv
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von Monika und Salaheddine Reneja wird eingetreten. Hingegen wird nicht auf ihre staatsrechtlichen Beschwerden eingetreten. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
d017f46c-db4a-4121-9bed-d06f85af7966 | Urteilskopf
101 IV 36
11. Urteil des Kassationshofes vom 27. Februar 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Gameo S.A. und Omega S.A. | Regeste
1.
Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 3 StGB
. Inverkehrbringen gefälschter Waren.
a) Eine Uhr, deren Werk zwar eine bestimmte, der Wahrheit entsprechende Herkunftsbezeichnung trägt, deren Glas, Gehäuse und Schmuckarmband jedoch anderen Ursprungs sind, gilt als verfälscht, da sie im Verkehr als unveränderte Einheit aufgefasst wird (Erw. 1 und 2).
b) Verpfändet jemand, der um die Verfälschung weiss und sie verschweigt, eine solche Uhr und rechnet er ernsthaft mit der Möglichkeit der Verwertung des Pfandes, so macht er sich des oben genannten Vergehens schuldig, ungeachtet, ob der Pfandgläubiger für seine Forderung gedeckt war oder nicht (Erw. 3 und 4).
c) Eine so verfälschte Uhr kann eingezogen werden, da Gefahr besteht, dass sie weiterhin als unverfälscht in Verkehr gebracht wird (Erw. 7).
2.
Art. 24 lit. c MSchG
.
a) Strafbar nach dieser Vorschrift macht sich auch, wer Gegenstände, die von dritter Seite verändert wurden, ohne Entfernung der Originalmarke in Verkehr bringt (Erw. 5).
b)
Art. 154 StGB
konkurriert mit
Art. 24f MSchG
idealiter (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 37
BGE 101 IV 36 S. 37
A.-
X. erwarb 1970 oder 1971 von M. in Luzern eine Omega-Uhr Typ 245 F und gab sie frühestens im Herbst 1972 an B. gegen ein Darlehen von Fr. 4'000.-- in Pfand. Zur Zeit der Pfandgabe der Uhr wusste er, dass die Uhr gefälscht war. Die Fälschung bestand darin, dass an einem originalen Omega-Uhrwerk (inkl. Zifferblatt, Zeiger und Aufzugskrone) nicht originales Glas, ein nicht originales Gehäuse und nicht originale Armbänder mit billigeren Brillanten eingesetzt worden waren.
BGE 101 IV 36 S. 38
Gleichzeitig hatte X. an B. eine zweite Damenschmuckuhr, Marke Jaeger-Le-Coultre, verpfändet, die er im Rahmen eines grösseren Geschäftes von C. an Zahlungsstatt erhalten hatte. Auch diese Uhr war gefälscht.
Die Firmen Gameo S.A. und Omega S.A. reichten gegen X. Strafanzeige ein wegen Verstoss gegen die
Art. 153 ff. StGB
,
Art. 24 MSchG
und
Art. 13 UWG
.
B.-
Mit Entscheid vom 19. September 1973 hat der Amtsstatthalter von Luzern-Stadt die Untersuchung gegen X. eingestellt, im wesentlichen mit der Begründung, dem Angeklagten könne ein deliktischer Vorsatz nicht nachgewiesen werden.
Die Firmen Gameo S.A., Omega S.A., sowie die Bundesanwaltschaft rekurrierten gegen diesen Entscheid.
Mit Urteil vom 12. Juli 1974 wurde X. vom Obergericht des Kantons Luzern hinsichtlich der Omega-Uhr wegen Inverkehrbringens gefälschter waren nach
Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
und wegen Inverkehrbringens von mit einer rechtswidrigerweise angebrachten Marke versehenen waren nach
Art. 24 lit. c MSchG
zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde bedingt aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.
In bezug auf die Uhr der Marke Jaeger-Le-Coultre wurde X. kein Verschulden nachgewiesen.
Das Obergericht verfügte die Einziehung der beiden Uhren.
C.-
X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.1.
Inverkehrbringen verfälschter Waren
Die Omega-Uhr Typ 245 F ist eine Damenschmuckuhr. Bei dieser bilden Uhrwerk, Gehäuse mit Glas und Armband mit Brillanten nach der üblichen Verkehrsauffassung eine Einheit, wie die Vorinstanz mit Recht annimmt. Wegen des Wertes, der allen diesen Bestandteilen zukommt, ist es dem Käufer nicht gleichgültig, woher sie stammen. Trägt das Uhrwerk die Bezeichnung "Omega", so wird der Eindruck erweckt, die ganze Uhr mit Einschluss von Gehäuse und Armband stamme von Omega. Dem Durchschnittskäufer ist teils nicht geläufig, wieweit auch andere Bestandteile wie Gehäuse
BGE 101 IV 36 S. 39
und Armband besondere Herkunftshinweise tragen müssen, teils achtet er nicht darauf. Insbesondere wenn er auf den übrigen Uhrenbestandteilen keine Hinweise auf anderweitige Herkunft findet, wird er in der Regel davon ausgehen, die ganze Schmuckuhr mit allen Bestandteilen sei gleichen Ursprungs. Das gilt besonders dann, wenn - wie bei der Firma Omega - Waren hergestellt werden, bei denen alle wertvollen Bestandteile gleichen Ursprungs sind.
I.2.
Am originalen Omega-Uhrwerk wurden nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz nicht originales Glas, ein nicht originales Gehäuse, nicht originale Armbänder und billigere als die ursprünglichen Brillanten angebracht. Da die Schmuckuhr im Verkehr als unveränderte Einheit aufgefasst wird, wurde sie durch diese Veränderungen im Sinne von Art. 153 f. StGB verfälscht und auch im Wert verringert (vgl.
BGE 84 IV 95
Erw. 1). Obwohl der Beschwerdeführer nach dem angefochtenen Urteil darum wusste, hat er sie ohne bezügliche Hinweise in Pfand gegeben. Dass er die Veränderungen schon zur Zeit, als er die Uhr kaufte, kannte, ist nicht erforderlich. Er hat entgegen seiner Behauptung in der Beschwerde vorsätzlich gehandelt, als er die Uhr verpfändete.
I.3.
Art. 154 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
erfordert sodann, dass der Täter die Ware "als echt, unverfälscht oder vollwertig feilhält oder sonst in Verkehr bringt". Stets sind es Handelswaren (
BGE 76 IV 95
), also bewegliche Sachgüter, die unmittelbar der Befriedigung materieller und geistiger Bedürfnisse dienen, die in Handel und Verkehr gebracht werden. Werden die Sachgüter aus dem Handel und Verkehr gezogen, sind sie beispielsweise im Besitze des Konsumenten, der sie zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gebrauchen oder verbrauchen will, sind sie nicht mehr Waren im Sinne der
Art. 153 ff. StGB
. Ohne Verstoss gegen diese Vorschriften können sie beliebig verändert werden. Ändert der Besitzer nachträglich seine Absicht und bringt er die Sachgüter wieder in Verkehr, so hat er sie in dem Zustand, in dem sie sich befinden, verkehrsüblich kenntlich zu machen.
Ob die Verpfändung eines solchen beweglichen Sachgutes an sich stets ein Inverkehrbringen der Ware im Sinne der genannten Bestimmung bedeutet, kann offen bleiben. Jedenfalls gilt die Ware dann als aus Handel und Verkehr entzogen, wenn der Schuldner willens ist, das Pfand wieder auszulösen
BGE 101 IV 36 S. 40
und die Sache nicht erneut in Verkehr zu bringen. Rechnet der Schuldner jedoch im Sinne des Eventualvorsatzes ernsthaft mit der Möglichkeit, dass der Gläubiger das Pfand verwerten wird, so ist die Lage keine andere, als wenn der Schuldner die Ware an einen Kaufmann absetzt, der sie bei Gelegenheit früher oder später weiterverkauft. Muss also mit der Verwertung der Pfandsache ernsthaft gerechnet werden, ist sie nicht aus dem Verkehr gezogen. Sie wird vielmehr jemandem ausgehändigt, von dem ernsthaft zu erwarten ist, er werde sie verwerten. Weiss der Erwerber nicht um die Verfälschung, rechnet der Schuldner auch damit, jener werde die Sache als unverfälscht in Verkehr bringen.
Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer ernsthaft damit gerechnet, er könne das kurzfristige Darlehen nicht rechtzeitig zurückzahlen und das Pfand werde allenfalls verwertet. Durch die Verpfändung wurden die verfälschten Uhren daher nicht aus Handel und Verkehr gezogen. Der Beschwerdeführer wurde deshalb mit Recht des vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Waren schuldig erklärt.
I.4.
Die Omega-Uhr war verfälscht und im Wert verringert, wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat. Das genügt für die Strafbarkeit. Nicht nötig ist, dass der Pfandgläubiger für seine Forderung angeblich gedeckt war, weil der Beschwerdeführer persönlich haftete und noch eine zweite Uhr in Pfand gegeben hatte.
Art. 154 StGB
setzt im Gegensatz zum Betrug keine Schädigung voraus (
BGE 94 IV 110
Erw. 5, 6). Im Falle einer Verwertung der Uhr wäre der Erwerber in der Erwartung, eine unverfälschte Schmuckuhr zu erhalten, getäuscht worden.
Der Beschwerdeführer hat sich deshalb des vorsätzlichen Inverkehrbringens gefälschter Waren schuldig gemacht.
II.5.
II. Verletzung des Markenschutzgesetzes
- Strafbar macht sich nach
Art. 24 lit. c MSchG
u.a., wer Waren, von denen er weiss, dass sie mit einer rechtswidrigerweise angebrachten Marke versehen sind, verkauft, feilhält oder in Verkehr bringt. Dabei ist nicht nötig, dass das ursprüngliche Anbringen der Marke rechtswidrig war. Unter diese Vorschrift fällt auch, wer Gegenstände, die von dritter Seite verändert wurden, ohne Entfernen der Originalmarke in
BGE 101 IV 36 S. 41
Verkehr bringt. Denn dadurch wird eine Ware, die nicht als solche aus dem Betrieb stammt, den die Marke angibt, in Verkehr gebracht. Indem der Beschwerdeführer eine Damenuhr in Verkehr brachte, von der nur ein Teil aus dem Betrieb der Omega-Werke stammte, an der von dritter Seite aber das Glas, das Gehäuse und das Schmuckarmband angebracht worden war, hat er an dieser so veränderten Ware die Marke "Omega" rechtswidrig verwendet. Denn die Armbanduhr wird im Verkehr als Einheit angesehen und als Ganzes verkauft.
II.6.
Auch die übrigen Voraussetzungen der Strafbarkeit sind erfüllt. Die Armbanduhr ist ein gewerbliches Erzeugnis im Sinne von
Art. 1 MSchG
. Sie wurde vom Beschwerdeführer, wie bereits in Erwägung 3 oben dargelegt, in Verkehr gebracht. Den Vorsatz hat die Vorinstanz verbindlich bejaht.
Zu
Art. 154 StGB
tritt
Art. 24f MSchG
in Idealkonkurrenz.
Art. 154 StGB
schützt den Käufer und letztlich den Konsumenten vor verfälschter und im Wert verringerter Ware,
Art. 24f MSchG
neben dem Käufer vorab den Fabrikanten oder Kaufmann, der nicht dulden muss, dass unter seiner Marke Waren im Verkehr sind, die nicht von ihm stammen oder die von Dritten verändert wurden (vgl.
BGE 84 IV 99
; SCHWANDER, SJK Nr. 1193 N. 44).
Die ordentliche Verjährung tritt in zwei Jahren ein, die absolute in drei Jahren (
Art. 28 Abs. 4 MSchG
,
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
;
BGE 84 IV 93
Erw. 1). Frühestens im Herbst 1972 hat der Beschwerdeführer die Uhren verpfändet. Die Strafverfolgung ist daher nicht verjährt.
III.7.
Einziehung der verfälschten Uhren
- Die Vorinstanz hat beide Uhren (Marke Omega und Marke Jaeger-Le-Coultre) in Anwendung von
Art. 58 und 154 Ziff. 3 StGB
eingezogen. Die Einziehung ist zu Recht erfolgt. Die Gefahr, dass diese Uhren weiterhin als unverfälscht in Verkehr gebracht würden, konnte die Vorinstanz ohne Verletzung von Bundesrecht bejahen.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung ist auch die Uhr der Marke Jaeger-Le-Coultre einzuziehen. Sie war verfälscht und in Verkehr gebracht worden, ansonst sie der Beschwerdeführer von C. nicht hätte erwerben können. Diese objektiven Tatbestandsmerkmale genügen zur Anwendung
BGE 101 IV 36 S. 42
von
Art. 58 StGB
. Die Einziehung ist eine vorbeugende Massnahme wegen der Gefährlichkeit der Sache, bzw. wegen dem zu erwartenden Gebrauch in der Hand des betreffenden Menschen, mag die Sache selbst im Eigentum eines Dritten sein (GERMANN, Textausgabe, 9. Aufl., Anm. zu
Art. 58 StGB
).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
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