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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
cb54dead-99c9-4d79-88a9-c535f031a927 | Urteilskopf
138 V 318
39. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. K. gegen Helsana Unfall AG (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_336/2012 vom 13. August 2012 | Regeste
Art. 29 Abs. 1 und 2 BV
;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
;
Art. 43 Abs. 1 ATSG
;
Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
; Anordnung einer Begutachtung in der Unfallversicherung; Weiterziehbarkeit ans Bundesgericht.
Auch im Bereich der Unfallversicherung ist eine Begutachtung (in Abänderung der Rechtsprechung von
BGE 132 V 93
) bei Uneinigkeit durch eine beim kantonalen Versicherungsgericht (bzw. Bundesverwaltungsgericht) anfechtbare Zwischenverfügung anzuordnen und stehen der versicherten Person vorgängige Mitwirkungsrechte in dem Sinne zu, dass sie sich zu den Gutachterfragen äussern kann. Die dabei zu beachtenden Modalitäten richten sich sinngemäss nach
BGE 137 V 210
E. 3.4.2.9 S. 258 (E. 6.1).
Wie in
BGE 138 V 271
für die Invalidenversicherung entschieden, können auch im Bereich der Unfallversicherung kantonale Entscheide bzw. solche des Bundesverwaltungsgerichts über Beschwerden gegen (Zwischen)Verfügungen der Unfallversicherer betreffend Gutachtensanordnung nicht ans Bundesgericht weitergezogen werden, sofern nicht formelle Ausstandsgründe beurteilt worden sind, und kann die formelle Ablehnung eines Sachverständigen regelmässig nicht allein mit strukturellen Umständen begründet werden, wie sie in
BGE 137 V 210
behandelt worden sind (E. 6.2). | Sachverhalt
ab Seite 320
BGE 138 V 318 S. 320
A.
A.a
Die 1967 geborene K. war bei der Helsana Unfall AG (nachfolgend: Helsana) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Gemäss Schadenmeldung UVG des Arbeitgebers vom 17. Februar 2011 hatte K. am 17. Dezember 2010 einen Auffahrunfall erlitten.
A.b
Mit Schreiben vom 16. November 2011 teilte die Helsana K. mit, dass sie bei Dr. med. A., Facharzt für Neurologie FMH, Dr. med. C., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, sowie Dr. med. I., Fachärztin für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie FMH, ein Gutachten einholen werde, und stellte ihr den Fragenkatalog zu. Nachdem die Versicherte geltend gemacht hatte, den vorgeschlagenen Gutachtern fehle die notwendige Unabhängigkeit, hielt die Helsana mit Zwischenverfügung vom 29. November 2011 an der Begutachtung durch die Dres. med. A., C. und I. fest.
B.
K. liess Beschwerde erheben und beantragen, die Zwischenverfügung der Helsana sei aufzuheben und Letztere anzuweisen, ein ordentliches Einigungsverfahren betreffend Anordnung der Begutachtung durchzuführen. Mit Entscheid vom 20. März 2012 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K. u.a. beantragen, die Helsana sei anzuweisen, über die Heilkosten- und Taggeldfrage seit dem Unfallereignis zu entscheiden. Zudem sei festzustellen, dass die vorgeschlagenen Gutachter Dres. med. A., C. und I. die Unabhängigkeitskriterien gemäss
Art. 6 EMRK
nicht erfüllen.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
6.
Was die Rügen im Zusammenhang mit der Anordnung der interdisziplinären Begutachtung durch die Dres. med. A., C. und I. anbelangt, welche durch die Zwischenverfügung der Helsana vom 29. November 2011 erfolgt ist, stellt sich zunächst die Eintretensfrage, prüft doch das Bundesgericht von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (
BGE 135 III 1
E. 1.1 S. 3 mit Hinweisen).
BGE 138 V 318 S. 321
6.1
Mit
BGE 137 V 210
hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Einholung von Administrativ- und Gerichtsgutachten bei Medizinischen Abklärungsstellen (MEDAS) die bisherige Rechtsprechung, wonach der Anordnung einer Begutachtung durch den Sozialversicherer kein Verfügungscharakter zukommt (
BGE 132 V 93
), geändert und festgehalten, dass die (bei fehlendem Konsens zu treffende) Anordnung einer Expertise in die Form einer Zwischenverfügung zu kleiden ist, welche dem Verfügungsbegriff gemäss
Art. 5 VwVG
(SR 172.021) entspricht und die beim kantonalen Versicherungsgericht (bzw. Bundesverwaltungsgericht) anfechtbar ist (
BGE 137 V 210
E. 3.4.2.6 und 3.4.2.7 S. 256 f.). Es stellt sich vorliegend zunächst die Frage, ob diese anlässlich der Überprüfung einer MEDAS-Begutachtung im Rahmen der Invalidenversicherung vorgenommene Rechtsprechungsänderung auch in der Unfallversicherung gilt. Andernfalls wäre auf die Beschwerde von vornherein nicht einzutreten. Die Frage ist auch insofern klärungsbedürftig, als die Praxis dazu uneinheitlich ist. Während einige Unfallversicherer seit Erlass von
BGE 137 V 210
eine Begutachtung mittels Zwischenverfügung anordnen und der versicherten Person die Gutachterfragen vorgängig zustellen, vertreten andere Unfallversicherer, insbesondere die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), den Standpunkt, das im Bereich der Invalidenversicherung ergangene Grundsatzurteil könne im Bereich der Unfallversicherung nicht zur Anwendung kommen (vgl. MARKUS HÜSLER, Gilt das Urteil auch für die Unfallversicherung?, HAVE 2012 S. 205 ff.).
6.1.1
Anlass von
BGE 137 V 210
war die nähere Prüfung der Sach- und Rechtslage im Umfeld der MEDAS im Lichte der auf das von Prof. Dr. iur. Jörg Paul Müller und Dr. iur. Johannes Reich verfasste "Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur medizinischen Begutachtung durch Medizinische Abklärungsstellen betreffend Ansprüche auf Leistungen der Invalidenversicherung mit Art. 6 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 11. Februar 2010 abgestützten Rügen. Der in diesem Urteil vollzogenen Rechtsprechungsänderung lagen im Wesentlichen die Sorge um das Fairnessgebot im Allgemeinen und die prozessuale Chancengleichheit (Waffengleichheit) im Besonderen zu Grunde. Das Bundesgericht hielt - nicht IV-spezifisch, sondern generell - fest, im Verfahren um Sozialversicherungsleistungen bestehe ein relativ hohes Mass an Ungleichheit der Beteiligten (zu Gunsten der
BGE 138 V 318 S. 322
Verwaltung), indem der versicherten Person mit oftmals nur geringen finanziellen Mitteln eine spezialisierte Fachverwaltung mit erheblichen Ressourcen, besonders ausgebildeten Sachbearbeitern und juristischen und medizinischen Fachpersonen gegenüberstehe (E. 2.1.2.2 S. 229 f.). Beim Feststellen struktureller Nachteile, von welchen Leistungsansprecher der Sozialversicherung typischerweise betroffen seien - so das Bundesgericht weiter - bedürfe es gegebenenfalls struktureller Korrektive (E. 2.1.2.3 S. 230). Wohl sind einige der in
BGE 137 V 210
E. 2.4 S. 237 ff. erwähnten potentiellen Risiken für sachfremde Einflüsse auf die gutachterliche Unabhängigkeit und auf die Gutachtenergebnisse - wie im erwähnten Beitrag von MARKUS HÜSLER zu Recht erwähnt wird (vgl. HÜSLER, a.a.O., S. 207) - durch das in der Invalidenversicherung herrschende System bedingt, so namentlich durch die freie Wahl der Gutachterstelle bei der Auftragsvergabe und durch die für alle MEDAS sowie polydisziplinären Gutachten vereinbarten identischen Auftragspauschalen. Die in
BGE 137 V 210
vorgesehenen Korrektive der Vergabe von MEDAS-Begutachtungsaufträgen nach dem Zufallsprinzip sowie einer Mindestdifferenzierung des Gutachtenstarifs beziehen sich daher auf das Verfahren in der Invalidenversicherung. Ob und inwieweit diese Korrektive auf das in der Unfallversicherung herrschende System überhaupt anwendbar sind, braucht an dieser Stelle nicht geprüft zu werden. Was hingegen das Fairnessgebot und die prozessuale Chancengleichheit anbelangt, gelten die erwähnten Feststellungen des Bundesgerichts bezüglich eines relativ hohen Masses an Ungleichheit der Beteiligten - entgegen der Auffassung der SUVA (vgl. HÜSLER, a.a.O., S. 207) - ebenfalls im System der Unfallversicherung, was eine latente Gefährdung der Verfahrensfairness auch in der Unfallversicherung zur Folge hat. Die diesbezüglichen Korrektive zur Stärkung der Partizipationsrechte müssen daher - sofern nicht IV-spezifisch - auch im Verfahren der Unfallversicherung gelten.
6.1.2
Sowohl im Abklärungsverfahren der Invalidenversicherung wie auch in demjenigen der Unfallversicherung gelten grundsätzlich dieselben Verfahrensbestimmungen, namentlich die hier einschlägigen
Art. 43-49 ATSG
(SR 830.1). Es kann daher nicht angehen, dass in den beiden Sozialversicherungszweigen Invalidenversicherung und Unfallversicherung daraus abgeleitet unterschiedliche Verfahrens-, Gehörs- und Partizipationsrechte gelten.
6.1.3
Die den beiden sozialrechtlichen Abteilungen im Verfahren nach
Art. 23 Abs. 1 BGG
unterbreiteten Fragen (siehe BGE 137 V
BGE 138 V 318 S. 323
210 Sachverhalt C. f. S. 217 f.) sind denn auch "neutral" formuliert und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Rechtsprechungsänderung jedenfalls auch für die Unfallversicherung gelten soll. Dies rechtfertigt sich entgegen der Auffassung der SUVA (HÜSLER, a.a.O., S. 206 f.) einerseits wegen der oben erwähnten latenten Gefährdung der Verfahrensfairness auch in der Unfallversicherung, andererseits wegen der in beiden Bereichen anwendbaren Bestimmungen:
Art. 43-49 ATSG
.
6.1.4
Zusammenfassend ist somit als Zwischenergebnis festzuhalten, dass auch im Bereich der Unfallversicherung eine Begutachtung bei Uneinigkeit durch eine beim kantonalen Versicherungsgericht (bzw. Bundesverwaltungsgericht) anfechtbare Zwischenverfügung anzuordnen ist und dass der versicherten Person vorgängige Mitwirkungsrechte in dem Sinne zustehen, dass sie sich zu den Gutachterfragen äussern kann. Die dabei zu beachtenden Modalitäten richten sich sinngemäss nach
BGE 137 V 210
E. 3.4.2.9 S. 258.
6.2
Bezüglich Eintreten stellt sich als Nächstes die Frage, ob kantonale Entscheide bzw. solche des Bundesverwaltungsgerichts über Beschwerden gegen (Zwischen)Verfügungen der Unfallversicherer betreffend Gutachtensanordnung mit Beschwerde an das Bundesgericht weiterziehbar sind.
6.2.1
Im jüngst ergangenen
BGE 138 V 271
hat das Bundesgericht entschieden, dass kantonale Entscheide über Beschwerden gegen Verfügungen der IV-Stellen betreffend die Einholung von medizinischen Gutachten nicht ans Bundesgericht weiterziehbar sind, sofern nicht formelle Ausstandsgründe beurteilt worden sind, und dass die formelle Ablehnung eines Sachverständigen regelmässig nicht allein mit strukturellen Umständen begründet werden kann, wie sie in
BGE 137 V 210
behandelt worden sind.
6.2.2
Auch diesbezüglich gibt es keinen Grund, für das Verfahren im Bereich der Unfallversicherung etwas Abweichendes vorzusehen.
6.3
Da die Ablehnung der Sachverständigen vorliegend mit strukturellen Umständen gemäss
BGE 137 V 210
begründet wurde und im angefochtenen Entscheid nicht formelle Ausstandsgründe beurteilt worden sind, kann nach dem Gesagten auf die Beschwerde gegen die mit Zwischenverfügung vom 29. November 2011 angeordnete Begutachtung nicht eingetreten werden. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cb5de25b-7502-4919-888b-f9e9d192c930 | Urteilskopf
114 IV 116
34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. September 1988 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
1. Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde.
Der öffentliche Ankläger des Kantons kann mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde die Frage aufwerfen, ob die kantonale Vorinstanz bei einem Freispruch Bundesrecht zu Unrecht als EMRK-widrig nicht angewendet habe (E. 1c/bb).
2.
Art. 204 StGB
; unzüchtige Veröffentlichung.
Art. 204 StGB
und dessen Auslegung durch das Bundesgericht halten vor der in
Art. 10 EMRK
garantierten Meinungsäusserungsfreiheit stand (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 117
BGE 114 IV 116 S. 117
X. war verantwortlicher Inhaber eines sex-shops in Zürich. Im November 1983 zeigte er in einem separaten 12plätzigen Vorführraum, der jedem Interessenten nach der Bezahlung eines Eintrittes von Fr. 15.-- oder nach dem Kauf von Sex-Heften im Wert von mindestens Fr. 50.-- sowie nach der Abgabe eines Kundenausweises offenstand, mehrmals das Videoband "New York City". Der Film besteht aus häufig in Nahaufnahme gezeigten homosexuellen Handlungen zwischen zwei bis vier Partnern.
Am 27. Juni 1984 sprach der Einzelrichter in Strafsachen am Bezirksgericht Zürich X. von der Anklage der fortgesetzten unzüchtigen Veröffentlichung frei. Auf Appellation der Staatsanwaltschaft büsste die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich X. am 29. Oktober 1986 wegen fortgesetzter unzüchtiger Veröffentlichung (und wegen zweier SVG-Delikte) mit Fr. 4'000.--.
Der Gebüsste führte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob das obergerichtliche Urteil mit Beschluss vom 2. Mai 1988 auf. Es sprach den Angeschuldigten mit Urteil vom selben Datum vom Vorwurf der unzüchtigen Veröffentlichung frei und bestrafte ihn wegen einer der beiden SVG-Widerhandlungen mit einer Busse von Fr. 800.--.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit den Anträgen, das Urteil des Kassationsgerichts sei aufzuheben, soweit es den Freispruch von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichung betrifft, und die Vorinstanz sei anzuweisen, den Entscheid der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 29. Oktober 1986 zu bestätigen.
Die Vorinstanz hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Der Beschwerdegegner beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter seien der bundesgerichtliche Entscheid "gestützt
BGE 114 IV 116 S. 118
auf
Art. 16 OG
nicht ohne Mitwirkung der beiden Öffentlichrechtlichen Abteilungen zu fällen" und die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
In seiner Stellungnahme ans Bundesgericht behauptet der Beschwerdegegner, es sei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verwehrt, gegen den Entscheid des Kassationsgerichts eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zu führen, weshalb auf das Rechtsmittel nicht einzutreten sei.
a) Die Staatsanwaltschaft rügt vor Bundesgericht, der angefochtene Entscheid des kantonalen Kassationsgerichts "erfolgte in Verletzung der
Art. 204 und 203 StGB
, sowie in einer unrichtigen Anwendung und Auslegung von
Art. 10 EMRK
"; es sei zu prüfen, "ob
Art. 204 StGB
, bzw. dessen Anwendung gemäss Praxis des Bundesgerichts, sich mit der Bestimmung von
Art. 10 Abs. 2 EMRK
vereinbaren lässt".
b) Die Vorinstanz trat auf das kantonale Rechtsmittel ein, da X. nicht das Problem einer konventionskonformen Auslegung von
Art. 204 StGB
aufgeworfen, sondern eine unmittelbare Verletzung von
Art. 10 EMRK
behauptet habe; sie kam zur Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, da "im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Bestrafung im Lichte der EMRK nicht gegeben" seien, bzw. da die Verurteilung "vor
Art. 10 Abs. 2 EMRK
nicht Bestand" habe.
In der Begründung ihres Freispruches liess die Vorinstanz demgegenüber die Frage offen, "ob dies (der Freispruch) in konventionsgemässer Auslegung von
Art. 204 StGB
erfolgt oder - sofern eine solche nicht möglich sein sollte - unter Nichtanwendung von
Art. 204 StGB
im Hinblick auf die derogierende Kraft höherrangigen Konventionsrechts"; es sei jedoch festzuhalten, "dass eine konventionsgemässe Auslegung von
Art. 204 StGB
im vorliegenden Fall als durchaus möglich" erscheine; eine derartige Auslegung müsse "die Anwendung von
Art. 204 StGB
auf Fälle beschränken, in denen die konkrete Gefahr besteht, dass unbeteiligte Dritte zufällig und somit ohne ihren Willen mit der Darstellung unzüchtiger Handlungen konfrontiert werden".
c) aa) Ihren eigenen Freispruch begründete die Vorinstanz damit, dieser sei mit einer konventionskonformen Auslegung des
Art. 204 StGB
zu vereinbaren. Nach ständiger Rechtsprechung
BGE 114 IV 116 S. 119
betrifft die konventionskonforme Auslegung einer Bestimmung des StGB die Anwendung eidgenössischen Rechts, weshalb diese Frage durch den Kassationshof im vorliegenden Verfahren geprüft werden kann. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ist insoweit einzutreten.
Ob das Kassationsgericht des Kantons Zürich jedoch tatsächlich zur Prüfung der konventionskonformen Auslegung von
Art. 204 StGB
befugt war, bestimmt sich demgegenüber nach dem kantonalen Prozessrecht, welches im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht diskutiert werden darf (Art. 269 Abs. 1 und 273 Abs. 1 lit. b BStP). In diesem Punkt ist auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht einzutreten.
bb) Die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids begründete das Kassationsgericht damit, die Verurteilung gemäss
Art. 204 StGB
halte vor der EMRK nicht stand. Die Vorinstanz hat also eine Bestimmung des eidgenössischen materiellen Rechts nicht angewendet, da sie (bzw. ihre Auslegung durch die Gerichtspraxis) gegen die EMRK verstosse. Im vorliegenden Verfahren steht damit die Anwendung einer bundesrechtlichen Strafbestimmung zur Diskussion. Die Frage aber, ob eine kantonale Instanz bei einem Freispruch Bundesrecht zu Recht nicht angewendet hat, da dieses sich angeblich als EMRK-widrig erweist, betrifft das Bundesrecht und kann mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde aufgeworfen werden. Dies ergibt sich schon aus der Funktion der Nichtigkeitsbeschwerde, welche sicherstellen soll, dass eidgenössisches Recht einheitlich angewendet wird. Eine entsprechende Kontrolle wäre dem Bundesgericht in Fällen der vorliegenden Art sonst verunmöglicht, weil die staatsrechtliche Beschwerde der Anklagebehörde nicht zur Verfügung steht und das Bundesgericht den Freispruch einer kantonalen Instanz nicht überprüfen könnte.
4.
a) Das Kassationsgericht und die Beschwerdeführerin gehen davon aus, der in Frage stehende Film sei als unzüchtig im Sinne von
Art. 204 StGB
einzustufen.
aa) Die Vorinstanz begründete ihren Entscheid zusammenfassend wie folgt:
Nach
Art. 10 Ziff. 1 EMRK
habe jedermann Anspruch auf freie Meinungsäusserung. Der Begriff "Meinung" sei weit zu fassen, und es seien darunter auch "das Kunstschaffen und dessen Hervorbringungen zu verstehen". Genau genommen sei die "Äusserungsfreiheit schlechthin" bzw. die "umfassende Freiheit individueller Kommunikation" garantiert. Da es sich vorliegend um
BGE 114 IV 116 S. 120
einen Film handle, sei auch bei unzüchtigem Inhalt "grundsätzlich von einem Kunstwerk im weitesten Sinn auszugehen".
Einschränkungen müssten nach
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruhen, eines der in der zitierten Bestimmung genannten Ziele verfolgen (z.B. Schutz der Gesundheit und Moral) und zudem zur Erreichung dieses Zieles notwendig (m. a. W. verhältnismässig) sein. Eine Notwendigkeit sei nur gegeben, wenn die Beschränkung einem dringenden sozialen Bedürfnis entspreche. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da keine Gefahr bestanden habe, dass eine Person gegen ihren Willen mit dem eingeklagten Film hätte konfrontiert werden können. Wenn es also nur darum gehe, erwachsene Personen, welche in Kenntnis des Inhaltes den fraglichen Film sehen wollten, "durch strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdeführers indirekt daran zu hindern", so könne ein dringendes soziales Bedürfnis für ein solches Vorgehen nicht erkannt werden. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die sogenannte weiche Pornographie eine verrohende Wirkung auf die Bevölkerung (z.B. in Form einer Zunahme von Sittlichkeitsdelikten) hätte. Die Verurteilung habe somit vor
Art. 10 EMRK
nicht Bestand.
Im übrigen lasse sich der Freispruch auch mit einer konventionskonformen Auslegung von
Art. 204 StGB
vereinbaren; dies ergebe sich u.a. aus den gegenwärtig laufenden Bestrebungen zur Revision des Sexualstrafrechts.
bb) Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist zunächst die vorinstanzliche Annahme falsch, bei einem unzüchtigen Film sei grundsätzlich von einem Kunstwerk im weitesten Sinn auszugehen. Aber selbst wenn Objekte rein unzüchtigen Charakters von der Äusserungsfreiheit erfasst wären, würde durch
Art. 204 StGB
und dessen Auslegung durch das Bundesgericht "die gemäss
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
im Prinzip erlaubte Beschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit" nicht verletzt. Es sei einem demokratischen Staatswesen erlaubt, "gewisse moralische Schranken im Bereich der öffentlichen Sittlichkeit aufzustellen und das Überschreiten dieser Schranken zu bestrafen". Die in der Schweiz geltenden Schranken ständen im Einklang mit dem Vorbehalt gemäss
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
.
b) Ob ein pornographischer Film als Meinungsäusserung (bzw. als "Kunstwerk im weitesten Sinn") angesehen werden muss, kann offenbleiben (vgl. aber immerhin die Beispiele in FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 1985, N 5-10 zu
Art. 10 EMRK
).
BGE 114 IV 116 S. 121
Wie auch die Vorinstanz anerkennt, setzt
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
der Meinungsäusserungsfreiheit Schranken, deren Voraussetzungen nach Ansicht des Kassationsgerichts jedoch in casu nicht gegeben sind.
aa) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung schützt
Art. 204 StGB
primär die öffentliche Sittlichkeit als einen Teil der öffentlichen Ordnung; m. a. W. sollen die für eine Gemeinschaft wesentlichen sittlichen Werte nicht durch unzüchtige Veröffentlichungen gefährdet werden (
BGE 100 IV 236
). Dies aber besagt nichts anderes, als dass es um den in
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
ausdrücklich erwähnten Schutz der Moral geht. Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass es einen nach
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
berechtigten Zweck darstelle, die Moral der Jugend zu schützen (Fall Handyside, EuGRZ 1977 S. 45). Es ist nicht einzusehen, wieso nicht auch die Moral erwachsener Personen (unter denen sich ebenfalls labile und leicht beeinflussbare Menschen befinden) und damit die gesamtgesellschaftliche Moral schützenswert sein sollten. Jedenfalls liegt diese Ansicht im Rahmen des vom Europäischen Gerichtshof den Vertragsstaaten eingeräumten Ermessens, welches den verschiedenen Standpunkten Rechnung trägt, die in einer demokratischen Gesellschaft hinsichtlich der Erfordernisse des Schutzes der Moral vorherrschen können. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Entscheid vom 24. Mai 1988 i.S. Müller (Publications de la Cour Européenne des Droits de l'Homme, Série A, vol. 133) festgestellt, gestützt auf
Art. 204 StGB
, ziele die Verurteilung des Betroffenen auf den Schutz der Moral; man suche diesbezüglich in den Rechts- und Sozialordnungen der verschiedenen Vertragsstaaten vergeblich nach einem einheitlichen Begriff; die Vorstellungen, die sich die Staaten vom Begriff "Moral" machten, veränderten sich im Verlaufe der Zeit und von Gegend zu Gegend; dies besonders in unserer Zeit, die charakterisiert sei durch eine tiefgreifende Entwicklung der auf diesem Gebiet herrschenden Auffassungen; dank ihrer direkten und ständigen Kontakte mit den bestehenden Strömungen im eigenen Land seien die staatlichen Behörden grundsätzlich besser als der internationale Richter in der Lage, sich zum genauen Inhalt des Begriffs "Moral" zu äussern (Entscheid i.S. Müller Ziff. 35; vgl. ferner FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 1985, N 31 zu
Art. 10 EMRK
).
bb) Die Vorinstanz verneint die Notwendigkeit bzw. das dringende soziale Bedürfnis zum strafrechtlichen Eingreifen, wenn
BGE 114 IV 116 S. 122
sichergestellt sei, dass niemand gegen seinen Willen mit den unzüchtigen Veröffentlichungen konfrontiert wird. Diese Auffassung ist nach der feststehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung unhaltbar. Der Europäische Gerichtshof hat sich in seinem bereits zitierten Entscheid i.S. Müller auch mit der Frage der Notwendigkeit von Massnahmen befasst und festgestellt: Dank ihrer engen Kontakte mit den bestehenden Anschauungen im eigenen Land seien die staatlichen Behörden nicht nur grundsätzlich besser als der internationale Richter in der Lage, sich zu den herrschenden Moralvorstellungen zu äussern, sondern auch zur Notwendigkeit von Sanktionen oder Einschränkungen (Ziff. 35; vgl. ferner FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 1985, N 31 zu
Art. 10 EMRK
). Auch hinsichtlich dieser Frage räumt der Europäische Gerichtshof den Vertragsstaaten einen erheblichen Ermessensspielraum ein (s. FROWEIN/PEUKERT, EMRK-Kommentar, 1985, N 27 zu
Art. 10 EMRK
).
Im Fall Müller kam der Europäische Gerichtshof zum Schluss, die Verurteilung verletze
Art. 10 EMRK
nicht. Zur Beurteilung standen unzüchtige Gemälde, die der Maler anlässlich der "Fri-Art 81" ausgestellt hatte (vgl. Ziff. 36). Der Unterschied zum heute zu beurteilenden Fall besteht darin, dass in casu keine Erwachsenen gegen ihren Willen und keine Jugendlichen mit dem inkriminierten Film "New York City" konfrontiert wurden. Aber auch in Fällen dieser Art ist eine Bestrafung zulässig. Wie oben dargelegt, geht es beim
Art. 204 StGB
um den Schutz der öffentlichen Sittlichkeit und Moral. Es soll verhindert werden, dass unzüchtige Gegenstände verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine Verbotsnorm aufgestellt und diese mit strafrechtlichen Sanktionen ausgestattet. Eine solche Strafnorm ist notwendig, weil der angestrebte Schutz auf andere Weise gar nicht (oder jedenfalls nicht in gleich wirksamer Weise) erreicht werden könnte.
cc) Die hier vertretene Auffassung rechtfertigt sich um so mehr, als vorliegend ein Film zur Beurteilung steht, den als Meinungsäusserung zu betrachten ohnehin fragwürdig erscheint. Die Europäische Menschenrechtskommission hat sich in einem ähnlich gelagerten Entscheid nicht näher mit dem Begriff der Moral und dem Inhalt eines beschlagnahmten pornographischen Buches befasst, da sie darauf hinweisen konnte, dass es sich jedenfalls nicht um ein Werk mit künstlerischem oder wissenschaftlichem Anspruch handle (Entscheid Nr. 5777/72 vom 5. April 1974,
BGE 114 IV 116 S. 123
veröffentlicht in: Collection of Decisions of the European Commission of Human Rights, Bd. 45, S. 87 ff. und insbesondere S. 88 unten). Im übrigen erscheint es als rechtsmissbräuchlich, sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit als Grundrecht unserer Gesellschaft zu berufen in einem Fall, in dem es dem Täter in Wirklichkeit gar nicht um eine Äusserung zu wissenschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Belangen oder um eine künstlerische Aussage, sondern offensichtlich einzig um handfeste finanzielle Gewinne aus dem Sexgeschäft geht.
dd) Es besteht kein Anlass, auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur geplanten Revision des Sexualstrafrechts einzugehen, da die Verurteilung des Beschwerdegegners nach dem Gesagten nicht im Widerspruch mit der EMRK steht.
c) Die Nichtanwendung von
Art. 204 StGB
mit dem Argument, eine Bestrafung sei nicht konform mit
Art. 10 Ziff. 2 EMRK
, verletzt somit Bundesrecht. Es kann bei dieser Sachlage offenbleiben, ob die rechtsanwendenden Behörden Bundesgesetze überhaupt daraufhin überprüfen dürfen, ob sie mit der EMRK im Einklang stehen (vgl. dazu ARTHUR HAEFLIGER in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1988, S. 39 mit Hinweisen).
Der angefochtene Entscheid ist demnach antragsgemäss aufzuheben, soweit er den Freispruch von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichung betrifft. Da der Kassationshof in diesem Urteil keine Rechtsfrage abweichend von einem früheren Entscheid einer anderen Abteilung oder mehrerer Abteilungen oder des Gesamtgerichts beurteilt hat, ist ein Vorgehen nach
Art. 16 OG
nicht notwendig.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich wird gutgeheissen, der Entscheid des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 2. Mai 1988 aufgehoben, soweit er den Freispruch von der Anklage der unzüchtigen Veröffentlichung betrifft, und die Sache zur Ausfällung eines neuen Urteils an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cb5e12d3-f025-45aa-9a79-fae8f7d84e5e | Urteilskopf
111 III 52
12. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9. Oktober 1985 i.S. X. (Rekurs) | Regeste
Pfändung
1. Schutz der Persönlichkeitssphäre des Schuldners.
Angaben, welche die Aufsichtsbehörde für die Beurteilung der Kompetenzqualität eines Pfändungsgegenstandes benötigt, kann der Schuldner nicht unter Berufung auf den Schutz seiner Persönlichkeitssphäre verweigern (hier: Angaben über Kundenaufträge im Zusammenhang mit der Pfändung eines Automobils) (E. 3).
2. Aufsichtsbehördliche Abklärung tatsächlicher Verhältnisse von Amtes wegen.
Die Aufsichtsbehörde, die dem Schuldner klare Fragen gestellt und ihm eine Frist zu deren Beantwortung sowie zur Einreichung von Beweismitteln angesetzt hat, verletzt ihre Pflicht, die aus der Sicht des
Art. 92 SchKG
massgebenden tatsächlichen Verhältnisse von Amtes wegen abzuklären, nicht, wenn sie dem Schuldner, der ihrer Aufforderung nicht nachgekommen ist, keine Nachfrist gewährt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 52
BGE 111 III 52 S. 52
Am 18. Februar 1985 belegte das Betreibungsamt bei X. unter anderem einen Personenwagen mit Pfändungsbeschlag. Durch
BGE 111 III 52 S. 53
Verfügung vom 21. Mai 1985 bestätigte es diese Massnahme unter Hinweis darauf, dass die Kosten für das Fahrzeug in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag stünden, der sich damit erzielen lasse.
Nachdem X. gegen die Pfändung Beschwerde eingereicht hatte, forderte ihn die kantonale Aufsichtsbehörde durch Schreiben vom 5. August 1985 anhand des folgenden Fragenkatalogs zu ergänzenden Angaben auf:
"1. Wie oft und zu welchem Zweck haben Sie im letzten Jahr das Fahrzeug gebraucht?
2. Welches waren die Bruttoeinkünfte, die Sie gestützt auf die Verwendung des Fahrzeugs im letzten Jahr realisieren konnten?
Welches sind die Einkünfte, die Sie im letzten Jahr ohne Verwendung des Fahrzeugs erzielen konnten?
3. Welches sind die Kosten, die Ihnen im letzten Jahr durch die Verwendung des Fahrzeugs entstanden sind?"
X. wurde ersucht, die Fragen so detailliert wie möglich zu beantworten und entsprechende Unterlagen einzureichen.
Die Angaben, die X. hierauf mit Schreiben vom 26. August 1985 machte, hielt die kantonale Aufsichtsbehörde grösstenteils für nicht hinreichend nachgewiesen. Insbesondere gelte dies für den Betrag, den X. dank der Benützung des Wagens habe erwirtschaften wollen. Mit Entscheid vom 19. September 1985 wurde die Beschwerde, soweit gegen die Pfändung des Automobils gerichtet, abgewiesen.
X. hat hiergegen an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert mit dem Antrag, der Personenwagen sei aus der Pfändung zu entlassen.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Der Rekurrent macht geltend, aus seinem Schreiben vom 26. August 1985 sei eindeutig hervorgegangen, dass die für den Beweis seiner dortigen Angaben geeigneten Unterlagen bei ihm zur Verfügung gestanden hätten. Falls die Vorinstanz sie wirklich benötigt habe, so wäre sie nach seiner Ansicht verpflichtet gewesen, sie von ihm zu verlangen. Ihre Aufforderung vom 5. August 1985 sei in dieser Hinsicht nicht imperativ formuliert gewesen; es habe geheissen: "wenn möglich". Indem die Vorinstanz die Beschwerde abgewiesen habe, ohne ihm eine Nachfrist zur
BGE 111 III 52 S. 54
Einreichung von Beweismitteln anzusetzen, habe sie Bundesrecht verletzt.
2.
Diesen Vorbringen des Rekurrenten kann nicht beigepflichtet werden. Die Vorinstanz hatte ihm im erwähnten Schreiben vom 5. August 1985 klare Fragen gestellt und beigefügt, er werde gebeten, diese "so detailliert wie möglich" (und nicht etwa: "wenn möglich") zu beantworten und entsprechende Schriftstücke beizulegen. Der Rekurrent war damit unmissverständlich aufgefordert, die zum Nachweis seiner Angaben geeigneten Unterlagen einzureichen, und die Vorinstanz war keineswegs gehalten, ihm hierzu noch eine Nachfrist anzusetzen. Daran vermag sein Hinweis auf
BGE 97 III 11
und 59 nichts zu ändern.
3.
Mit dem Hinweis auf den vertraulichen Inhalt der als Beweismittel in Betracht fallenden Unterlagen scheint sich der Rekurrent auf den Schutz seiner Persönlichkeitssphäre berufen zu wollen. Auch dieser Einwand ist unbehelflich. Bei der Beurteilung der Frage der Pfändbarkeit eines als Berufswerkzeug angesprochenen Automobils ist unter anderem dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit Beachtung zu schenken, da der Zweck des
Art. 92 Ziff. 3 SchKG
, nämlich dem Schuldner die Existenz zu sichern, nicht erreicht wird durch die Unterlassung der Pfändung von Hilfsmitteln, deren Verwendungskosten in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag stehen (vgl.
BGE 89 III 34
;
BGE 84 III 20
unten mit Hinweis). Das Betreibungsamt muss deshalb wissen, wieviel der Schuldner dank der Benützung des Fahrzeugs einzunehmen in der Lage ist. Gewiss ist im vorliegenden Fall mit der Offenlegung beispielsweise von Kundenaufträgen ein Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Rekurrenten verbunden, doch ist dies als Nebenwirkung eines ordnungsgemässen Pfändungsvollzuges in Kauf zu nehmen (vgl. GILLIÉRON, in JdT 1985 II S. 5 f. N. 1 betreffend die Auskunftspflicht beim Arrest).
4.
Dass die Vorinstanz mit dem angefochtenen Entscheid Bundesrecht verletzt hätte, hat der Rekurrent nach dem Gesagten nicht darzutun vermocht. | null | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cb5f2ab7-0a67-4f69-916a-c801e403ce2c | Urteilskopf
105 V 209
47. Urteil vom 8. Oktober 1979 i.S. Schüpfer gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn | Regeste
Art. 84 Abs. 1 lit. a und 88 KUVG
.
Der Rentenanspruch lebt nicht wieder auf, wenn die von der Witwe neu eingegangene Ehe ungültig erklärt wird.
Bemerkung de lege ferenda. | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 105 V 209 S. 209
A.-
Madeleine Schüpfer war in erster Ehe mit Johann Schüpfer verheiratet, der am 14. April 1969 einen tödlichen Arbeitsunfall erlitt. Mit Verfügung vom 17. Juli 1969 gewährte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) der Witwe und ihren beiden minderjährigen Kindern eine Hinterlassenenrente.
Am 12. März 1975 ging Madeleine Schüpfer eine neue Ehe ein, worauf ihr die SUVA gestützt auf
Art. 88 KUVG
eine Abfindung in der Höhe des dreifachen Jahresbetrages ihrer Witwenrente ausrichtete. Mit Urteil des Amtsgerichts Olten vom 14. Juni 1977 wurde die Ehe in Anwendung von
Art. 124 Ziff. 2 ZGB
als ungültig erklärt. In der Folge ersuchte Madeleine Schüpfer die SUVA darum, die ihr vor Abschluss der ungültig erklärten Ehe zugestandene Witwenrente unter Verrechnung mit der Abfindungssumme wieder auszurichten. Mit Verfügung vom 17. August 1977 lehnte die SUVA das Begehren ab.
BGE 105 V 209 S. 210
B.-
Dagegen liess Madeleine Schüpfer beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde führen.
Art. 84 KUVG
, nach seinem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrundeliegenden Wertungen interpretiert, gebiete im Falle der Ungültigerklärung einer neuen Ehe das Wiederaufleben der Witwenrente. Eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der ungültigen mit der geschiedenen Ehe widerspreche "gesundem Rechtsempfinden" und "moderner verwaltungsrechtlicher Lehre". Mit Entscheid vom 24. November 1978 wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Beschwerde ab, im wesentlichen mit der Begründung, dass ein Wiederaufleben der Rente gesetzlich nicht vorgesehen sei und auch keine vom Richter auszufüllende Lücke vorliege, da die Ungültigerklärung der Ehe mit Bezug auf den massgebenden Gesichtspunkt der Unterhaltspflicht der Scheidung gleichzustellen sei. Aus der Tatsache, dass im Gebiet der AHV eine abweichende Regelung bestehe und auch der Entwurf zum neuen Unfallversicherungsgesetz ein Wiederaufleben der Rente vorsehe, könne Madeleine Schüpfer nichts zu ihren Gunsten ableiten.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Madeleine Schüpfer ihr Begehren um Ausrichtung einer Witwenrente unter Verrechnung mit der gewährten Abfindung erneuern. Auf die Begründung ist, soweit notwendig, in den nachfolgenden Erwägungen einzutreten.
Die SUVA beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist ausschliesslich die Rechtsfrage, ob nach Ungültigerklärung der zweiten Ehe die der Beschwerdeführerin vor Eheabschluss ausgerichtete Witwenrente wieder auflebe.
2.
a) Gemäss
Art. 84 Abs. 1 lit. a KUVG
besteht der Rentenanspruch der Witwe eines Versicherten "bis zu ihrem Tode oder ihrer Wiederverehelichung". Im Falle der Wiederverehelichung tritt nach
Art. 88 KUVG
an die Stelle der Rente eine Abfindung in der Höhe des dreifachen Jahresbetrages der Rente.
Auf dem Gebiet der AHV bestand vor Durchführung der 6. Revision eine vergleichbare Regelung, indem nach
Art. 23
BGE 105 V 209 S. 211
Abs. 3 AHVG
die Witwenrente "mit der Wiederverheiratung" erlosch. In jenem Zusammenhang hatte das Eidg. Versicherungsgericht klargestellt, dass nach dem Gesetzeswortlaut jede Wiederverheiratung den Rentenanspruch untergehen lasse, ohne dass es darauf ankomme, ob die neue Ehe gültig, nichtig oder anfechtbar sei (EVGE 1956 S. 116 ff., 1957 S. 56 ff.). Es wurde namentlich auch auf die Regelung des KUVG hingewiesen, wo nichts darauf hindeute, dass eine Witwenabfindung bei Ungültigerklärung der Wiederverehelichung rückgängig gemacht werden könnte (EVGE 1957 S. 62).
Nach Auffassung des Vertreters der Beschwerdeführerin ist diese Rechtsprechung neu zu überdenken. Sie führe zu einer unverständlichen Härte, die dem Rechtsempfinden zuwiderlaufe. Das KUVG weise mit Bezug auf die streitige Rechtsfrage eine Lücke auf, welche in Analogie zum revidierten
Art. 23 Abs. 3 AHVG
geschlossen werden müsse.
b) Eine vom Richter auszufüllende - echte - Lücke im Gesetz darf nach ständiger Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz eine sich unvermeidlicherweise stellende Rechtsfrage nicht beantwortet (
BGE 99 V 21
Erw. 2 mit Hinweisen). Auf eine solche Lücke darf nicht schon dann geschlossen werden, wenn der Richter das Fehlen einer Vorschrift als unbefriedigend empfindet. Im erwähnten Entscheid wurde zudem darauf hingewiesen, dass in der Sozialversicherung, deren Rechtsgebiete häufig Revisionen unterworfen sind, mit der Annahme echter Lücken Zurückhaltung geboten sei.
Art. 84 Abs. 1 lit. a KUVG
spricht sich nicht ausdrücklich darüber aus, ob nur eine gültige Wiederverehelichung den Rentenanspruch der Witwe erlöschen lässt. Die Antwort ergibt sich jedoch im Zusammenhang mit dem Begriff der Witwe. Eine Ehefrau gilt nach dem Tode ihres Ehemannes nur so lange als Witwe, als sie nicht wieder heiratet (
BGE 105 V 9
). Mit der Wiederverheiratung - und zwar auch bei späterer Ungültigerklärung der zweiten Ehe - hört sie auf, Witwe zu sein; in bezug auf die erste Ehe ist sie es nicht mehr, in bezug auf die zweite Ehe ist sie es überhaupt nicht (EVGE 1957 S. 60). Insofern ist der Gesetzeswortlaut klar und die Materialien liefern keine Hinweise dafür, dass der Untergang der Rente auf den Fall eines gültigen Eheabschlusses beschränkt werden sollte (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 10. Dezember 1906,
BGE 105 V 209 S. 212
BBl 1906 VI 229 ff.; Sten. Bull. NR 1908 S. 487; Sten. Bull. SR 1910 S. 46) Aus der bundesrätlichen Botschaft geht namentlich hervor dass die den Rentenanspruch ablösende Witwenabfindung nicht als "Auskauf" verstanden wurde, weil die Rente infolge der Wiederverheiratung "von Rechts wegen" dahingefallen sei. Diese Regelung wurde u.a. damit begründet, dass die Witwe mit der Wiederverheiratung einen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem zweiten Gatten erwerbe (S. 379). Gerade in diesem Punkt besteht nun aber rechtlich kein Unterschied, ob die neu eingegangene Ehe ungültig erklärt oder geschieden wurde (
Art. 134 Abs. 2 ZGB
). In beiden Fällen besteht unter den Voraussetzungen der
Art. 151 ff. ZGB
der Unterhaltsanspruch weiter (vgl. auch EVGE 1956 S. 118 f., 1957 S. 58 f.). Bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der historische Gesetzgeber für den Fall der Ungültigerklärung einer Ehe eine Sonderregelung treffen und die Rente wiederaufleben lassen wollte, so ist des weiteren zu prüfen, ob gewandelte Anschauungen die Annahme einer entsprechenden, vom Richter auszufüllenden Gesetzeslücke rechtfertigen (
BGE 99 V 22
Erw. 3a).
Im Gegensatz zum KUVG sehen andere Sozialversicherungsgesetze des Bundes unter gewissen Voraussetzungen ein Wiederaufleben der Witwenrente nach Ungültigerklärung der neu eingegangenen Ehe vor (vgl.
Art. 23 Abs. 3 AHVG
in Verbindung mit
Art. 46 Abs. 3 AHVV
,
Art. 30 Abs. 3 MVG
). Dieser Umstand lässt jedoch nicht auf das Bestehen einer echten Gesetzeslücke im Unfallversicherungsrecht schliessen. Dass das KUVG bis heute nicht in diesem Sinne ergänzt worden ist, muss vielmehr als negative Stellungnahme des Gesetzgebers gewertet werden. Sowohl bei der Einfügung der entsprechenden Bestimmung ins MVG (BG vom 19. Dezember 1963) auf Grund der Botschaft vom 26. April 1963 (BBl 1963 I 845 ff., 861) als auch bei Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift ins AHVG (6. Revision vom 19. Dezember 1963) auf Grund der Botschaft vom 16. September 1963 (BBl 1963 II 513 ff., 570) hätte die Gelegenheit bestanden, das KUVG in diesem Punkt den anderen Sozialversicherungszweigen anzupassen. Ein solcher Vorschlag findet sich jedoch erst in der Botschaft vom 18. August 1976 zum BG über die Unfallversicherung (Art. 33; BBl 1976 III 141 ff., 196, 251). Eine Berücksichtigung dieser Regelung im Sinne einer Vorwirkung des noch nicht verabschiedeten
BGE 105 V 209 S. 213
Gesetzes fällt indessen ausser Betracht (IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, Nr. 17, S. 108 ff.,
BGE 100 Ia 147
ff.).
c) Es ist nicht zu verkennen, dass die unterschiedliche Regelung der gleichen Frage in den verschiedenen Bereichen der Sozialversicherung nicht zu befriedigen vermag. Dabei handelt es sich jedoch um einen rechtspolitischen Mangel und damit um eine unechte Gesetzeslücke, die der Richter im allgemeinen hinzunehmen hat. Sie auszufüllen, steht ihm nach Lehre und Praxis nur dort zu, wo der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes in einem solchen Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht bzw. nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (
BGE 99 V 23
Erw. 4 mit Hinweisen). Solches trifft jedoch im vorliegenden Fall nicht zu. Vielmehr handelt es sich um ein vom Gesetzgeber zu lösendes Koordinationsproblem in der Sozialversicherung, so dass die Voraussetzungen richterlichen Eingreifens fehlen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cb60751d-33ce-4692-91dd-9d071446dd00 | Urteilskopf
105 IV 285
71. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 2 novembre 1979 dans la cause P. contre Ministère public du canton de Neuchâtel (Pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 29 Abs. 2 OG
.
Ein Anwaltspraktikant kann, selbst wenn er die Strafverteidigung in eigener Verantwortung besorgt, nicht einem patentierten Anwalt gleichgestellt werden.
Er kann daher eine Beschwerdeerklärung nicht rechtsgültig unterzeichnen. | Erwägungen
ab Seite 285
BGE 105 IV 285 S. 285
Considérant en faits et en droit:
1.
P. a été condamné le 28 février 1979 par le Tribunal de police du district de Boudry à 300 fr. d'amende pour faux dans les titres. Le recours qu'il avait déposé devant la Cour de cassation pénale du canton de Neuchâtel a été rejeté le 6 juin 1979, la communication de la décision écrite intervenant le 20 juin suivant.
BGE 105 IV 285 S. 286
2.
Pour être valable, le pourvoi en nullité doit non seulement être motivé, mais encore être déclaré régulièrement (
art. 272 al. 1 et 2 PPF
). Déclaration et mémoire ont formellement la même importance et obéissent aux mêmes conditions (
ATF 94 IV 96
). C'est dire que la première comme le second doivent émaner de l'une des personnes désignées à l'
art. 29 al. 2 OJ
, si ce n'est du recourant lui-même (
ATF 78 IV 77
,
ATF 84 II 405
ss,
ATF 89 IV 180
consid. 1,
ATF 94 IV 95
,
ATF 97 II 95
,
ATF 99 II 121
). Il a été jugé que le stagiaire d'un avocat n'est pas assimilé à un avocat patenté (
ATF 78 IV 78
; cf.
ATF 99 II 121
ss notamment consid. 4); le fait que, dans certains cantons et notamment dans le canton de Neuchâtel, les stagiaires assument des défenses pénales sous leur propre responsabilité ne change rien à cela: les agents d'affaires représentent les parties, dans certaines causes civiles, sous leur propre responsabilité; ils ne sauraient pourtant agir devant le Tribunal fédéral dans une affaire civile en qualité de mandataire.
3.
En l'occurrence, le seul acte qui ait été adressé à la Cour de céans pour le compte de P. dans le délai de dix jours prévu à l'
art. 272 al. 1 PPF
est signé du stagiaire de l'avocat qui a par la suite assuré régulièrement la motivation du pourvoi. Celui-ci est dès lors irrecevable.
En ce qui concerne les frais, ils doivent être mis à la charge de l'avocat qui a assuré la motivation et qui ne devait pas s'en remettre à son stagiaire pour la déclaration du pourvoi.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Déclare le pourvoi irrecevable. | null | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cb6751f1-7f64-41b5-a530-9f7f663171b9 | Urteilskopf
125 I 361
33. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Juni 1999 i.S. K. gegen Bezirksanwaltschaft Bülach und Bezirksgericht Bülach (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Persönliche Freiheit; § 58 Abs. 2 des zürcherischen Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH).
Anforderungen an die gesetzliche Grundlage des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr im Allgemeinen (E. 4a).
Der Haftgrund der Ausführungsgefahr bei dringendem Verdacht eines in strafbarer Weise versuchten oder vorbereiteten Verbrechens nach
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH darf - in den gebotenen engen Grenzen - auch bei in Bezug auf die Begründung der Gefahr der Ausführung eines Verbrechens in jeder Hinsicht vergleichbaren Anlasstaten (hier Tötungsdrohungen) angewendet werden (E. 4b und c).
Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme der Ausführungsgefahr (E. 5).
Dauer der Untersuchungshaft (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 362
BGE 125 I 361 S. 362
K. wurde am 23. April 1999 wegen des Verdachts, gegenüber seinen Schwiegereltern am 15. und 21. April 1999 telefonisch die Tötung verschiedener Familienangehöriger angedroht zu haben, sowie wegen Kollusionsgefahr festgenommen und auf Antrag der Bezirksanwaltschaft Bülach vom Haftrichter des Bezirks Bülach am 26. April 1999 in Untersuchungshaft versetzt. Am 10. Mai 1999 ersuchte K. um Entlassung aus der Untersuchungshaft. Der Haftrichter des Bezirks Bülach wies diesen Antrag am 14. Mai 1999 mit der Begründung ab, es bestehe aufgrund verschiedener Vorfälle sowie der momentanen Lebenssituation von K. der dringende Verdacht, dieser würde, in Freiheit belassen, die gegenüber seinen Schwiegereltern im April 1999 geäusserten Drohungen in die Tat umsetzen; gleichzeitig befristete der Haftrichter die Untersuchungshaft einstweilen bis zum 30. Juni 1999.
Gegen die Verfügung des Haftrichters führt K. staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung sowie die Anordnung der unverzüglichen Haftentlassung. Zur Begründung beruft er sich auf das Grundrecht der persönlichen Freiheit sowie auf
Art. 4 BV
und macht geltend,
BGE 125 I 361 S. 363
die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft wegen Ausführungsgefahr seien nicht gegeben.
Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Nach § 58 Abs. 2 des zürcherischen Gesetzes betreffend den Strafprozess vom 4. Mai 1919 (Strafprozessordnung, StPO/ZH) ist die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zulässig, wenn der Angeschuldigte dringend verdächtigt wird, ein Verbrechen in strafbarer Weise versucht oder vorbereitet zu haben, und wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, er werde die Tat ausführen.
b) Der Haftrichter erwog in der angefochtenen Verfügung, die telefonischen Drohungen, wonach der Beschwerdeführer sich selbst, seine Frau und seine Kinder sowie seine Schwiegereltern töten werde, seien nicht bestritten und müssten aufgrund der konkreten Lebensumstände des Beschwerdeführers ernst genommen werden. Dieser lebe von seiner Frau, die sich gegen seinen Willen von ihm scheiden lassen wolle, seit August 1998 getrennt. Damals hätte ihn die Frau zusammen mit den Kindern nach einer heftigen Auseinandersetzung verlassen, in deren Verlauf er den Kopf seiner Frau an die Wand geschlagen und sie mit einem Fleischmesser bedroht haben soll. Weiter habe der Beschwerdeführer gegenüber Drittpersonen mehrfach Selbstmordgedanken geäussert und nach seinen eigenen Aussagen entsprechende Abschiedsbriefe geschrieben. Schliesslich berücksichtigte der Einzelrichter für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit der Drohungen auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Mitglied der religiösen Gruppierung «X.» ist, bei welcher es sich um eine christliche Gemeinschaft handle, deren Lehren unter anderem die Unterordnung der Frau unter den Mann und die Untrennbarkeit der Ehe beinhalteten.
Der Beschwerdeführer legt dar, der Haftrichter habe das Haftentlassungsgesuch in willkürlicher Auslegung des
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH abgewiesen. Zum einen bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für die Befürchtung, er werde sich und seine Familie töten; zum andern beschränke sich der Gegenstand der Strafuntersuchung auf den Tatbestand der Drohung gemäss
Art. 180 StGB
. Dass der Beschwerdeführer - wie es nach
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH für die Annahme der Ausführungsgefahr vorausgesetzt werde - jemals
BGE 125 I 361 S. 364
ein Verbrechen in strafbarer Weise versucht oder vorbereitet hätte, sei ihm von den kantonalen Behörden nie vorgeworfen worden. Entgegen den Ausführungen des Haftrichters stellten auch die beiden telefonischen Drohungen keine strafbaren Vorbereitungshandlungen für ein Tötungsdelikt dar, weshalb es für die Aufrechterhaltung der Haft an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, den Aussagen seiner Frau und seiner Schwiegereltern habe der Haftrichter mehr Glauben geschenkt als der eigenen Schilderung der Situation; damit liege ein Verstoss gegen das Willkürverbot vor. Schliesslich erachtet der Beschwerdeführer die bisherige Haftdauer als unverhältnismässig.
4.
a) Nach der Rechtsprechung bedarf ein Eingriff in die persönliche Freiheit, gleich wie die Einschränkung eines jeden Freiheitsrechts, einer hinreichend bestimmten Grundlage in einem Rechtssatz. Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich freilich nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von der fraglichen Materie ab. Die Rechtsnorm soll so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten bzw. die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewissheit voraussehen kann. Dieses Erfordernis schliesst es nicht aus, dass ein Rechtssatz der anwendenden Behörde einen Beurteilungsspielraum einräumt, wenn das Ziel der Regelung hinreichend bestimmt ist, um eine angemessene Kontrolle der Handhabung der Norm zu ermöglichen. Der Gesetzgeber kann nicht völlig darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht eindeutig generell umschrieben werden können und die an die Auslegung durch die Behörde besondere Anforderungen stellen; denn ohne die Verwendung solcher Begriffe könnte er der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse nicht Rechnung tragen (
BGE 123 I 112
E. 7a S. 124 f. mit Hinweisen;
BGE 117 Ia 472
E. 3e S. 479 f. mit Hinweisen; Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte i.S. Tolstoy Miloslavsky c. Vereinigtes Königreich vom 13. Juli 1995, Serie A, Band 316 B, Ziff. 37). Eine besondere Bedeutung kommt der Bestimmtheit von Normen zu, die durch Androhung von Sanktionen unmittelbar das Verhalten des Einzelnen steuern sollen. Umgekehrt sind die Anforderungen weniger streng, wenn unterschiedlich gelagerte Sachverhalte zu regeln sind, bei denen im Interesse der Flexibilität oder der Einzelfallgerechtigkeit Differenzierungen angebracht sind. Ausserdem kann dem Bedürfnis nach Rechtsgleichheit auch durch eine gleichmässige und den besonderen Umständen Rechnung tragende Behördenpraxis entsprochen werden (
BGE 123 I 1
E. 4b
BGE 125 I 361 S. 365
S. 6; vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs i.S. Kruslin c. Frankreich vom 24. April 1990, Serie A, Band 176 A, Ziff. 29).
Das Bundesgericht hat es in mehreren nicht veröffentlichten Urteilen, in denen die Rechtsgrundlage für die Anordnung resp. Aufrechterhaltung der Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft wegen des besonderen Haftgrundes der Wiederholungsgefahr zu prüfen war, unter dem Gesichtspunkt der genügend bestimmten gesetzlichen Grundlage als ausreichend erachtet, dass die jeweils einschlägige kantonale Bestimmung diesen Haftgrund nicht ausdrücklich aufführte und umschrieb, sondern ihn aufgrund einer nicht abschliessenden Aufzählung von andern Haftgründen oder aufgrund der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe anwandte (nicht veröffentlichte Urteile vom 10. Juli 1996 i.S. D., E. 2, vom 18. Dezember 1991 i.S. H., E. 2, und vom 20. Oktober 1987 i.S. V., E. 2).
b) Folgt man streng dem Wortlaut von
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH, auf den der kantonale Haftrichter den Haftgrund der Ausführungsgefahr abstützte, so wird verlangt, dass der Angeschuldigte dringend verdächtigt wird, ein Verbrechen in strafbarer Weise versucht oder vorbereitet zu haben. Der angefochtenen Verfügung lässt sich ein solcher Vorwurf gegen den Beschwerdeführer nicht entnehmen. Der tätliche Angriff, den der Beschwerdeführer anlässlich der heftigen Auseinandersetzung mit seiner Frau im August 1998 begangen haben soll, wird in der haftrichterlichen Verfügung zwar erwähnt, dem Beschwerdeführer jedoch nicht als strafbarer Tötungsversuch oder als strafbare Vorbereitung einer Tötung zur Last gelegt. Der zuständige Bezirksanwalt und mit ihm der Haftrichter werfen dem Beschwerdeführer vor, mit seinen telefonischen Drohungen ernsthaft die Absicht bekundet zu haben, sich und verschiedene Familienangehörige zu töten. Es fragt sich, ob diese Drohungen unter den vorliegenden Umständen - im Lichte des Erfordernisses einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für den Eingriff in die persönliche Freiheit - einem in strafbarer Weise versuchten oder vorbereiteten Verbrechen gleichgestellt werden können.
c) Sinn und Zweck von
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH ist primär die Verhütung von Verbrechen; die Haft ist somit überwiegend Präventiv-haft. Vorausgesetzt sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeschuldigte ein in strafbarer Weise versuchtes oder vorbereitetes Verbrechen, dessen er dringend verdächtigt wird, ausführen werde (DONATSCH, in: Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 1. Lieferung, März 1996, N. 61 und 64 zu § 58). Der dringende Verdacht eines in strafbarer Weise
BGE 125 I 361 S. 366
versuchten oder vorbereiteten Verbrechens begründet danach - gleich wie bei der in
§ 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO
/ZH ebenfalls näher umschriebenen Wiederholungsgefahr - grundsätzlich die Gefahr, dass ein Angeschuldigter das Verbrechen tatsächlich begehen bzw. wiederholen könnte. Der Haftgrund der Ausführungsgefahr ist ausdrücklich auch in
Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK
vorgesehen, wonach der Freiheitsentzug zulässig ist, «wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer strafbaren Handlung zu hindern».
Dass der Haftrichter die Tötungsdrohungen, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden, dem Erfordernis der strafbaren Vorbereitungs- oder Versuchshandlung gemäss
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH gleichsetzte und damit diesen Haftgrund der Ausführungsgefahr bejahte, entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung: Bei entsprechender konkreter Gefahr der Begehung von Verbrechen sollen diese durch die Haftanordnung verhindert werden. Die gesetzliche Regelung wäre nicht sachgerecht, wenn sie nicht erlaubte, in Fällen gleicher Gefahrenlage in gleicher Weise Haft anzuordnen, um Verbrechen zu verhindern. Die Vorschrift ist, auch wenn in verfassungskonformer Auslegung und Anwendung von einer nicht abschliessenden Aufzählung der Anlasstaten in
Art. 58 Abs. 2 StPO
/ZH auszugehen ist, genügend bestimmt im Sinne der angeführten Rechtsprechung (s. vorne E. 4a). Das Ziel der Regelung ist klar, weshalb es zulässig ist, sie - in den gebotenen engen Grenzen - auch bei nicht ausdrücklich erwähnten, aber in Bezug auf die Begründung der Gefahr der Ausführung eines Verbrechens in jeder Hinsicht vergleichbaren Anlasstaten anzuwenden. JÖRG REHBERG/MARKUS HOHL (Die Revision des Zürcher Strafprozessrechts von 1991, Zürich 1992, S. 33) bejahen die Zulässigkeit eines Analogieschlusses denn auch, zumindest wenn eine entsprechende Tat bereits vollendet wurde und eine Vertiefung des Schadens befürchtet werden muss, während DONATSCH (a.a.O., N. 62) dies grundsätzlich verneint, allerdings ohne sich mit der rechtsgleichen Anwendung der Bestimmung und den Anforderungen an eine genügende gesetzliche Grundlage näher auseinanderzusetzen.
Dass der Haftrichter hier die Tötungsdrohungen, die dem Be- schwerdeführer zur Last gelegt werden, dem Erfordernis der strafbaren Vorbereitungs- oder Versuchshandlung gemäss
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH gleichsetzte, hält nach dem Gesagten vor dem Legalitätsprinzip stand.
5.
Was die konkreten Anhaltspunkte betrifft, die nach
§ 58 Abs. 2 StPO
/ZH für die Annahme der Ausführungsgefahr vorausgesetzt
BGE 125 I 361 S. 367
werden, so ist es nicht erforderlich, dass der Verdächtige konkrete Anstalten getroffen hat, um das befürchtete Verbrechen zu vollenden. Vielmehr genügt es, wenn sich aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Verdächtigen sowie der Umstände ergibt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ausführung als sehr hoch erachtet werden muss. Die Abschätzung des Wahrscheinlichkeitsgrades ist aufgrund einer Gesamtwertung aller massgeblichen Aspekte zu treffen (vgl.
BGE 125 I 60
E. 3a; vgl. DONATSCH, a.a.O., N. 66 f. zu § 58).
Diese Voraussetzung ist hier beim gegenwärtigen Stand der Untersuchung erfüllt. Die vom Haftrichter angeführten, teils bestrittenen, teils zugegebenen Vorfälle sowie die aktuellen Lebensumstände des Beschwerdeführers rechtfertigen den Schluss, es bestehe die konkrete Gefahr, dieser könnte aufgrund seiner abwehrenden Haltung zur bevorstehenden Ehescheidung sowie der Uneinigkeit über die Kinderzuteilung in einer heftigen Erregung seine Drohung wahrmachen, mithin ihm nahestehende Personen töten. Die Rüge, für die Annahme der Ausführungsgefahr bestünden keine konkreten Anzeichen, ist demnach unbegründet.
6.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit rund zwei Monaten in Untersuchungshaft. Angesichts der Schwere der im Falle der Freilassung zu befürchtenden Straftaten erweist sich diese Dauer nicht als unverhältnismässig. Ein wirksamer Schutz der Angehörigen des Beschwerdeführers, gegen die sich seine Drohungen richten, ist vorderhand nur mit der Aufrechterhaltung der Haft gewährleistet. Wie die Bezirksanwaltschaft in ihrer Stellungnahme darlegt, wird der Beschwerdeführer innert Kürze psychiatrisch begutachtet, so dass bis Ende Juni 1999 erste fachliche Erkenntnisse über dessen Zustand zu erwarten sind. Es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass die notwendigen Schritte in die Wege geleitet sind, um rasch die bestmögliche Klarheit darüber zu erlangen, wie Ende Juni 1999, wenn die in der angefochtenen Verfügung festgelegte Hafterstreckung abgelaufen ist, weiter vorzugehen sein wird. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob es im Falle einer Haftentlassung im Interesse des Beschwerdeführers sowie seiner Angehörigen angezeigt ist, anderweitige Massnahmen, etwa solche fürsorgerischer Natur, anzuordnen.
Die Aufrechterhaltung der Haft verstösst damit nicht gegen das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cb6a2dd6-2dc3-4033-b496-a1c9a8bf4c31 | Urteilskopf
135 III 566
82. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause dame X. contre masse en faillite de dame X. et hoirie de feu X. (recours en matière civile)
5A_768/2008 du 17 juin 2009 | Regeste
Art. 167 Abs. 1 und 2 IPRG
; Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes, Zuständigkeit.
Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen gegen einen Entscheid betreffend die Zuständigkeit des mit einem Antrag auf Anerkennung eines ausländischen Konkursdekretes befassten Richters (E. 1).
Fällt der am zweiten Ort angerufene Richter - dessen Zuständigkeit im Sinne von
Art. 167 Abs. 1 IPRG
feststeht - über den Antrag auf Anerkennung eines Konkursdekretes einen Entscheid, obwohl die Zuständigkeit des am ersten Ort angerufenen Richters noch strittig ist, so steht diesem Entscheid
Art. 167 Abs. 2 IPRG
nicht entgegen (E. 4-4.4). | Sachverhalt
ab Seite 567
BGE 135 III 566 S. 567
A.
Par jugement du 10 octobre 2006, devenu définitif et exécutoire, le Tribunal de Tampere (Finlande) a prononcé, à la requête de l'hoirie de feu X., la faillite de dame X.
A.a
Le 2 mars 2007, le représentant de la masse a requis la reconnaissance de cette faillite dans le canton de Zurich. Cette requête a été rejetée, le 17 août 2007, par le Tribunal supérieur du canton de Zurich, pour le motif que la requérante n'avait pas rendu vraisemblable l'existence de biens à Zurich. Recours a été formé au Tribunal fédéral contre cet arrêt.
A.b
Parallèlement, par requête du 24 septembre 2007, la masse en faillite et l'hoirie de feu X. ont requis du Président du Tribunal d'arrondissement de l'Est vaudois la reconnaissance du jugement de faillite finlandais.
Le 26 novembre 2007, le magistrat précité a notamment constaté son incompétence à juger de la requête de reconnaissance de faillite internationale, vu la saisine des autorités zurichoises devant lesquelles la question de la compétence était pendante.
A.c
Le 4 janvier 2008, la II
e
Cour de droit civil du Tribunal fédéral a rejeté, dans la mesure de sa recevabilité, le recours interjeté contre la décision du Tribunal supérieur du canton de Zurich (arrêt 5A_539/2007 du 4 janvier 2008, in Pra 2008 n° 77 p. 517).
BGE 135 III 566 S. 568
A.d
Par arrêt du 26 juin 2008, la Cour des poursuites et faillites du Tribunal cantonal du canton de Vaud a admis le recours de la masse en faillite et de l'hoirie contre le jugement du 26 novembre 2007 du Président du Tribunal d'arrondissement de l'Est vaudois, annulé cette décision et renvoyé la cause au premier juge pour nouvelle instruction et nouvelle décision dans le sens des considérants.
B.
Contre cet arrêt, dame X. exerce un recours en matière civile au Tribunal fédéral. Elle conclut à sa réforme, en ce sens que le Président du Tribunal d'arrondissement de l'Est vaudois n'est pas compétent pour statuer sur la requête de reconnaissance de faillite internationale déposée le 25 septembre 2007, sous suite de frais et dépens cantonaux.
Considérant l'arrêt cantonal conforme au droit fédéral dans son résultat, le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(résumé)
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
1.1
Alors qu'une décision finale met fin à la procédure (
art. 90 LTF
) - que ce soit pour un motif déduit de la procédure ou du droit matériel (
ATF 133 III 629
consid. 2.2 p. 631 et les citations) -, une décision préjudicielle ou incidente est rendue en cours de procès et ne constitue qu'une étape vers la décision finale; elle peut avoir pour objet une question formelle ou matérielle, tranchée préalablement à la décision finale (
ATF 133 III 629
consid. 2.2 p. 631). Du point de vue de la forme, les
art. 92 et 93 LTF
exigent une notification séparée; l'autorité inférieure doit donc avoir rendu et communiqué aux parties une décision formelle sur la question préjudicielle ou incidente. Pour être assimilé à une décision préjudicielle et incidente au sens de ces deux dispositions légales, un acte de procédure doit au moins être motivé et contenir l'indication des voies de droit (...).
En l'espèce, l'arrêt attaqué annule le prononcé du Président du Tribunal d'arrondissement de l'Est vaudois et lui renvoie la cause pour nouvelle instruction et nouvelle décision dans le sens des considérants. Il résulte de ces derniers que la cour cantonale a statué sur la compétence - qu'elle a admise - du premier juge à connaître de la requête de reconnaissance de la faillite conformément à l'
art. 167 al. 1 et 2 LDIP
(RS 291) et renvoyé à l'autorité inférieure l'examen
BGE 135 III 566 S. 569
des conditions de la reconnaissance posées à l'
art. 166 LDIP
. S'il tranche la question de la compétence, l'arrêt cantonal ne met ainsi pas fin à la procédure de reconnaissance de la faillite étrangère. Partant, il doit être qualifié de décision préjudicielle ou incidente. Comme il a par ailleurs été notifié séparément, le recours immédiat est recevable au regard de l'
art. 92 LTF
.
1.2
La décision attaquée qui concerne la compétence de l'autorité saisie pour reconnaître une faillite étrangère est sujette au recours en matière civile (art. 72 al. 2 let. a et let. b ch. 1 LTF; arrêt du Tribunal fédéral 5A_539/2007 du 4 janvier 2008 consid. 1, in Pra 2008 n° 77 p. 517, 518; cf. aussi: arrêt 5A_267/2007 du 30 septembre 2008 consid. 1.3, qui se fonde sur l'
art. 72 al. 2 let. a LTF
), lequel est en outre ouvert sans égard à la valeur litigieuse (
art. 74 al. 2 let
. d LTF; arrêts 5A_539/2007 précité et 5A_267/2007 consid. 1.4). Celui-là a par ailleurs été interjeté en temps utile (
art. 100 al. 1 LTF
) contre une décision prise en dernière instance cantonale (
art. 75 al. 1 LTF
).
(...)
4.
La recourante se plaint d'une violation "arbitraire" de l'
art. 167 LDIP
. A son avis, cette norme disposerait clairement que seul le premier juge saisi est compétent pour prononcer la reconnaissance d'une faillite étrangère, excluant ainsi de façon explicite la compétence des juges saisis ultérieurement. Elle soutient qu'en l'espèce, dès lors que, au moment où il était saisi, une procédure était déjà pendante dans le canton de Zurich, le président du tribunal d'arrondissement vaudois ne pouvait que décliner sa compétence. En jugeant que ce magistrat ne pouvait se déclarer incompétent et aurait dû suspendre la procédure jusqu'à droit connu sur celle ouverte dans le canton de Zurich, la cour cantonale aurait violé le droit fédéral.
4.1
La Cour des poursuites et faillites a considéré que l'
art. 167 LDIP
pose, d'une part, une règle de compétence à raison du lieu, qui permet de désigner le juge compétent en Suisse pour reconnaître la faillite étrangère et ordonner les mesures nécessaires à la mise en oeuvre de la faillite ancillaire (al. 1), et, d'autre part, une règle de priorité en conférant la compétence au juge du for saisi en premier lieu (forum praeveniens) (al. 2). Constatant que, à la rigueur de son texte, cette disposition ne précise pas les conséquences procédurales de la litispendance créée par la saisine du premier juge, elle a résolu ce point.
BGE 135 III 566 S. 570
Elle a ainsi relevé que la doctrine ne tranche pas clairement le problème, mais laisse entendre que l'ouverture d'une seconde procédure à un autre for est absolument exclue, tout au moins entre les mêmes parties, ce qui suggérerait que le second juge saisi devrait décliner sa compétence et mettre fin pour ce motif à la procédure ouverte devant lui. Elle a toutefois jugé qu'une telle solution ne trouve aucun appui dans la loi, ni dans les travaux préparatoires. Selon l'autorité cantonale, l'
art. 167 LDIP
fixe des exigences minimales s'imposant aux cantons, dans un domaine relevant, en principe, de leur souveraineté, ainsi qu'il en va de la procédure sommaire en matière de poursuites et faillites. Elle en a conclu que, dans cette mesure, la règle paraissait devoir être interprétée restrictivement, ce qui ne plaidait pas en faveur de l'interprétation selon laquelle elle réglerait également, mais tacitement, la question de la litispendance. Elle s'est par ailleurs référée au message du Conseil fédéral qui n'exclut pas un dessaisissement du juge saisi en premier d'une demande de reconnaissance d'une faillite étrangère en faveur de celui dans le ressort duquel sont effectivement localisés des droits patrimoniaux. Elle a toutefois précisé que, si cette remarque ne permettait pas absolument de conclure à la suspension en cas de litispendance, elle n'imposait pas davantage la solution inverse. Elle dénotait en revanche une volonté claire de faciliter la saisine du juge compétent et parlait plutôt en faveur d'une solution n'imposant pas nécessairement au second juge saisi de décliner sa compétence, tout au moins avant que le premier juge saisi ait statué définitivement sur sa propre compétence.
La cour cantonale a par ailleurs jugé qu'il n'était pas nécessaire de trancher définitivement le point de savoir si, en matière de reconnaissance des faillites étrangères, la sanction de la litispendance relevait exclusivement du droit de procédure cantonal ou s'il s'agissait, comme en matière d'actions au fond, d'une question régie par le droit fédéral. Se référant aux principes consacrés à l'
art. 35 LFors
(RS 272), selon lesquels la litispendance a pour effet que le second juge saisi doit suspendre la procédure jusqu'à droit connu sur la compétence du premier juge saisi, à la règle identique adoptée sous l'influence de cette disposition par le canton de Vaud et à l'
art. 9 LDIP
consacrant la même solution en droit international privé, elle a considéré que la litispendance ne devait plus entraîner l'annulation de la seconde instance ouverte, mais la suspension de cette procédure. Rien ne justifiait une autre solution dans la procédure sommaire
BGE 135 III 566 S. 571
des art. 45 ss de la loi d'application dans le canton de Vaud de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite (LVLP; RSV 280.05), lors même que cette loi ne renvoyait pas sur ce point aux règles du Code de procédure civile. Au contraire, en matière de faillite étrangère, en cas de doute sur la localisation des biens en Suisse, mais non sur leur existence, cette solution avait notamment le mérite d'éviter des lacunes de compétences qui permettraient, le cas échéant, au débiteur poursuivi de disposer de ses biens durant la période où, aucun juge suisse n'étant formellement saisi, aucune mesure provisionnelle ne permettrait de l'en empêcher. Il convenait certes de tenir compte du principe de l'unité de la faillite, selon lequel une seule faillite peut être ouverte en Suisse. Cette règle, qui avait trait essentiellement aux effets de la faillite, ne réglait cependant pas directement la compétence et encore moins la sanction procédurale de la litispendance. Son application n'était d'ailleurs pas remise en cause si le second juge saisi suspendait la procédure déjà au stade de l'examen de sa propre compétence.
4.2
Selon l'
art. 167 LDIP
, la requête en reconnaissance de la décision de faillite rendue à l'étranger est portée devant le tribunal du lieu de situation des biens en Suisse, l'art. 29 étant applicable par analogie (al. 1). S'il y a des biens dans plusieurs lieux, le tribunal saisi le premier est seul compétent (al. 2). Cette disposition constitue, avec son alinéa 3 et les
art. 168 et 169 LDIP
, l'une des règles de droit fédéral fixant la procédure de reconnaissance d'une décision de faillite étrangère, laquelle ressortit pour le surplus au droit cantonal (notamment: PAUL VOLKEN, in Zürcher Kommentar zum IPRG, 2
e
éd. 2004, n
os
5 et 11 ad
art. 167 LDIP
; DANIEL STAEHELIN, Die Anerkennung ausländischer Konkurse und Nachlassverträge in der Schweiz [Art. 166 ff. IPRG], 1989, p. 111; BERNARD DUTOIT, Droit international privé suisse, 4
e
éd. 2005, n° 1 ad
art. 167 LDIP
).
L'
art. 167 LDIP
détermine, d'une part, l'autorité suisse compétente à raison du lieu pour reconnaître la faillite étrangère et, dans un second temps, ordonner les mesures nécessaires à la mise en oeuvre de la faillite ancillaire (VOLKEN, op. cit., n
os
18 et 19 in initio ad
art. 167 LDIP
; STEPHEN V. BERTI, in Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 1996, n
os
1 et 4 ad
art. 167 LDIP
; DUTOIT, op. cit., n° 3 ad
art. 167 LDIP
). A cet égard, il dispose que la requête en reconnaissance doit être portée devant le tribunal du lieu de situation des biens en Suisse (al. 1). Selon la jurisprudence, la compétence ratione loci est donnée à l'endroit où le requérant a rendu
BGE 135 III 566 S. 572
vraisemblable que des droits patrimoniaux du débiteur sont localisés (arrêt du Tribunal fédéral 5A_539/2007 du 4 janvier 2008 consid. 3.2, in Pra 2008 n° 77 p. 517).
La détermination de la compétence par référence au lieu de situation des biens du débiteur peut conduire à la coexistence de plusieurs fors ou, en d'autres termes, à un conflit de compétence entre diverses juridictions. L'
art. 167 LDIP
pose ainsi, d'autre part, une règle de priorité en conférant la compétence pour connaître de la reconnaissance et ouvrir la faillite ancillaire au premier juge saisi (al. 2; principe de l'antériorité de la demande), ce qui a pour corollaire le dessaisissement du second juge. A cet égard, la disposition constitue une règle de conflit (BERTI, op. cit., n° 1 ad
art. 167 LDIP
; cf. aussi: PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Le chapitre 11 de la loi fédérale sur le droit international privé [loi de DIP] et le droit international suisse de l'exécution forcée générale et collective, BlSchK 1988 p. 202), qui vaut également en cas de requêtes concurrentes de l'administration de la faillite étrangère et d'un créancier (ANDREA BRACONI, La collocation des créances en droit international suisse de la faillite, 2005, p. 23, ch. 4.1 et les auteurs cités en note 177).
4.3
En l'espèce, le président du tribunal d'arrondissement vaudois a constaté que la faillie était propriétaire d'un bien immobilier à Montreux, point qui n'est pas contesté par les parties. Dès lors, il était en soi compétent au sens de l'
art. 167 al. 1 LDIP
pour connaître de la requête en reconnaissance de la faillite finlandaise. En dépit de la procédure qui était pendante dans le canton de Zurich, il ne pouvait toutefois se retrancher derrière l'
art. 167 al. 2 LDIP
pour décliner sa compétence, ainsi que le soutient la recourante. Cette disposition ne vise en effet que l'hypothèse d'un conflit entre juridictions compétentes au regard de l'
art. 167 al. 1 LDIP
. Or, dans le cas particulier, si les autorités judiciaires zurichoises étaient déjà saisies d'une procédure de même nature, leur compétence territoriale, qui dépendait de la localisation vraisemblable de biens dans leur ressort, était contestée et n'était pas encore définitivement établie puisqu'un recours au Tribunal fédéral avait été interjeté. Le président du tribunal d'arrondissement vaudois ne se trouvait ainsi - en l'état - pas dans la situation d'un conflit de compétence qui aurait justifié l'application de l'
art. 167 al. 2 LDIP
.
4.4
L'on ne saurait par ailleurs suivre la cour cantonale dans son raisonnement sur les "conséquences procédurales de la litispendance créée par la saisine du premier juge". Les principes généraux
BGE 135 III 566 S. 573
régissant la litispendance consacrés par l'
art. 35 LFors
et par l'
art. 9 LDIP
, auxquels elle se réfère, ne peuvent trouver application dans le cas particulier. Ils supposent en effet l'identité des parties. Or, il peut arriver que des requêtes de reconnaissance simultanées soient déposées par des requérants différents, l'administration de la faillite étrangère ou un créancier étant habilité à le faire (cf.
art. 166 al. 1 LDIP
), voire, pour une partie de la doctrine, par le débiteur lui-même (BRACONI, op. cit., p. 21 in fine et les références). Ainsi, en l'espèce, la procédure zurichoise a été initiée par l'administration de la faillite et celle devant le juge vaudois concurremment par cette dernière et un créancier. En outre, une suspension ne peut intervenir que si le tribunal saisi en second lieu est informé de la procédure pendante devant l'autre juridiction, ce qui suppose une certaine publicité. Or, le droit fédéral n'impose pas la publication de la demande de reconnaissance (cf.
art. 169 al. 1 LDIP
a contrario). Il n'est dès lors pas impossible que plusieurs tribunaux saisis statuent dans l'ignorance des saisines concomitantes, ce qui peut entraîner le prononcé de plusieurs décisions de reconnaissance et, partant, l'ouverture de plusieurs faillites ancillaires. Dans la doctrine, certains auteurs envisagent d'ailleurs cette hypothèse, qu'ils règlent en recourant à une application analogique de l'
art. 55 LP
(BERTI, op. cit., n° 6 ad
art. 167 LDIP
et le renvoi à STAEHELIN, op. cit., p. 116).
Il faut admettre que le système légal ne s'oppose pas à ce que le juge saisi en second - dont la compétence est, comme en l'espèce, établie au sens de l'
art. 167 al. 1 LDIP
- statue sur la requête de reconnaissance en dépit de la saisine du premier dont la compétence est encore litigieuse. Comme il a été dit, en fixant la compétence par référence au lieu de situation des biens, l'
art. 167 al. 1 LDIP
n'exclut pas l'ouverture de plusieurs procédures de reconnaissance. L'
art. 167 al. 2 LDIP
suppose par ailleurs que les juges saisis soient compétents (cf. supra consid. 4.2). Une suspension de la procédure reviendrait à faire dépendre la décision sur la reconnaissance par un juge compétent et, partant, le moment de l'ouverture de la faillite ancillaire, du sort d'une procédure pendante devant une autorité dont la compétence n'est pas encore établie, alors même que cette procédure d'entraide judiciaire (Message du 10 novembre 1992 concernant une loi de DIP, FF 1983 I 440) est soumise au principe de célérité (ALEXANDER BRUNNER, Gläubigerschutz im internationalen Konkursrecht, in PJA 1995 p. 22; BRACONI, op. cit., p. 20, par. 4 ch. 1 et les références citées en notes 157 et 158). | null | nan | fr | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cb6c2c9c-70eb-4ec9-86b5-849a5391fe19 | Urteilskopf
125 V 317
50. Urteil vom 4. August 1999 i.S. M. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Wallis | Regeste
Art. 50 Abs. 3 UVG
;
Art. 213 Abs. 2 SchKG
: Verrechnung von Forderungen auf Grund des UVG mit fälligen Leistungen.
Die Verrechenbarkeit von ausstehenden Prämienforderungen des Unfallversicherers gegenüber dem ehemaligen Inhaber einer Einzelfirma mit dessen nach Konkurseröffnung entstandenem Anspruch auf Taggeldleistungen ist im Hinblick auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit zwar zu bejahen; die Verrechnung ist jedoch unzulässig, weil im Bereich von
Art. 50 Abs. 3 UVG
das in
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
statuierte Verrechnungsverbot zur Anwendung gelangt. | Sachverhalt
ab Seite 317
BGE 125 V 317 S. 317
A.-
Über die durch den 1951 geborenen M. betriebene, gleichnamige Einzelfirma wurde am 5. November 1996 der Konkurs eröffnet. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher M. als Arbeitgeber seine Angestellten obligatorisch gegen Unfälle versichert hatte, gab im Konkursverfahren eine Forderung für ausstehende Prämien der Jahre 1995 und 1996 (inkl. Verzugszinsen und Betreibungsspesen) im Betrag von Fr. 18'975.10 ein, die sich durch eine Teilzahlung auf Fr. 13'148.80 reduzierte (Meldungen vom 8. April und 29. August 1997).
Der seit 1. August 1996 in der ebenfalls bei der SUVA versicherten Bauunternehmung seines Sohnes A. als Polier tätige M. erlitt am 16. Dezember 1997 und 17. März 1998 Unfälle, welche zu einer Commotio cerebri, multiplen Prellungen am ganzen Körper sowie einem Kontusionstrauma der Halswirbelsäule führten. Die SUVA erbrachte in der Folge die gesetzlichen Leistungen, wobei
BGE 125 V 317 S. 318
sie insbesondere Renten- sowie Taggeldzahlungen ausrichtete. Am 18. Februar 1998 verfügte sie zufolge Verrechnung mit der noch ausstehenden Prämienforderung den Abzug von monatlich Fr. 500.-- auf den jeweiligen Taggeldern sowie für den Fall, dass dies nicht mehr möglich oder M. mit der Kürzung nicht einverstanden sei, die Einstellung der Rente. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 13. Mai 1998 fest.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher M. beantragen liess, in Aufhebung des Einspracheentscheides sei die SUVA anzuweisen, den vollen Taggeldanspruch anzuerkennen und die entsprechenden Leistungen zu erbringen, wies das Versicherungsgericht des Kantons Wallis ab (Entscheid vom 24. August 1998).
C.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M. sein vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren erneuern.
Während die SUVA auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildet die Frage, ob die SUVA zulässigerweise ausstehende betragsmässig unbestrittene Versicherungsleistungen mit einer ebenfalls anerkannten Prämienforderung gegenüber dem Beschwerdeführer, welche bereits vor der Konkurseröffnung bestand und die sie kollozieren liess, verrechnet hat.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
; betreffend Kognition bei Streitigkeiten aus Verrechnungsansprüchen vgl.
BGE 115 V 342
Erw. 1 mit Hinweisen).
2.
Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgeblichen Bestimmungen zur Verrechenbarkeit sich gegenüberstehender Forderungen im Allgemeinen (
Art. 120 ff. OR
) und im Sozialversicherungsrecht, insbesondere im Alters- und Hinterlassenen- (
Art. 20 Abs. 2 AHVG
) sowie im Unfallversicherungsrecht
BGE 125 V 317 S. 319
(
Art. 50 Abs. 3 UVG
; vgl. auch
Art. 64 UVV
), zutreffend wiedergegeben. Darauf, wie auch auf die dargelegte hiezu ergangene Rechtsprechung (
BGE 115 V 342
Erw. 2,
BGE 110 V 185
Erw. 2,
BGE 104 V 5
; vgl. auch RKUV 1997 Nr. U 268 S. 39 Erw. 3, 1992 Nr. U 150 S. 165 unten), kann verwiesen werden.
3.
a) Nach
Art. 50 Abs. 3 UVG
(in Verbindung mit
Art. 64 UVV
) können - in Nachbildung zu
Art. 20 Abs. 2 AHVG
(vgl. MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 449, Fn. 1175) - Forderungen auf Grund dieses Gesetzes unter bestimmten Voraussetzungen mit fälligen Leistungen verrechnet werden.
b) Die Vorinstanz hat in Analogie zu dem in
BGE 104 V 5
festgehaltenen Grundsatz, wonach das in
Art. 20 Abs. 2 AHVG
verankerte Verrechnungsrecht dem konkursrechtlichen Verrechnungsverbot nach
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
vorgeht, erwogen, die dortigen Ausführungen hätten infolge ihres allgemein gültigen Charakters (Schutzbedürfnis der Sozialversicherungen, Fehlen einer Missbrauchsmöglichkeit oder einer Gläubigerübervorteilung) im Hinblick auf eine einheitliche Regelung für das gesamte Sozialversicherungsrecht zu gelten. Die Frage, ob in Berücksichtigung des auf den 1. Januar 1997 in Kraft getretenen revidierten SchKG - insbesondere der neu festgelegten Rangordnung der Gläubiger gemäss
Art. 219 SchKG
- allenfalls eine Änderung dieser Rechtsprechung vorzunehmen wäre, liess es offen, da die Konkurseröffnung am 5. November 1996 stattgefunden habe, weshalb nach Art. 2 Abs. 3 der Schlussbestimmungen zum revidierten SchKG das bisherige Recht anzuwenden sei.
c) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird hiegegen vorgebracht, es fehle an der "allgemein gültigen privatrechtlichen Voraussetzung zur Verrechnung und dabei namentlich ... der Identität des Verrechnenden und des Verrechnungsgegners", da sich die Prämienforderung der SUVA gegen die Konkursmasse der vormaligen Einzelfirma des Beschwerdeführers richte, die Gegenforderung auf Ausrichtung von Taggeldleistungen indes diesem selber zustehe.
4.
Zunächst zu prüfen ist die Frage, ob eine Verrechnung vorliegend ausgeschlossen ist, da sich - wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht - nicht die gleichen Rechtsträger gegenüberstehen.
a) Eine Verrechnung setzt voraus, dass Leistung und Forderung des Versicherers grundsätzlich die gleiche Person betreffen (MAURER, a.a.O., S. 448; HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., S. 165 f., Rz. 644; vgl. auch
Art. 120 Abs. 1 OR
). Eine zeitliche Kongruenz
BGE 125 V 317 S. 320
der gegenseitigen Forderungen in dem Sinne, dass diese den gleichen Zeitraum beschlagen müssen, ist dabei nicht verlangt. Wesentlich für die Zulässigkeit der Verrechnung ist somit nicht, dass Forderung und Gegenforderung im gleichen Zeitpunkt entstanden sind, sondern dass beide im Zeitpunkt der Verrechnung fällig sind (vgl. dazu
BGE 115 V 341
mit Hinweisen; nicht veröffentlichtes Urteil H. vom 22. Juni 1998.
b) Als Inhaber einer Einzelfirma schuldete der Beschwerdeführer der SUVA in seiner Funktion als Arbeitgeber im Bereich der obligatorischen Unfallversicherung den gesamten Prämienbetrag (
Art. 91 Abs. 3 UVG
). Da die Prämienforderung für die Jahre 1995 und 1996 spätestens mit der Konkurseröffnung vom 5. November 1996 fällig wurde (
Art. 208 Abs. 1 SchKG
), wäre die Verrechnung mit dem durch die Unfallereignisse vom 16. Dezember 1997 und 17. März 1998 entstandenen Anspruch des Beschwerdeführers auf Taggeldleistungen grundsätzlich zulässig (vgl.
BGE 100 V 134
Erw. 3; MAURER, a.a.O., S. 448). Fraglich ist indes, ob der Umstand des Konkurses und des damit verbundenen Wechsels der Rechtszuständigkeit (Konkursmasse/Gemeinschuldner;
Art. 204 SchKG
) einer Verrechnung entgegensteht. In
BGE 104 V 7
Erw. 2b hat das Eidg. Versicherungsgericht die Verrechenbarkeit von ausstehenden Sozialversicherungsbeiträgen, welche im Rahmen eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung zwischen dem ehemaligen Inhaber einer Einzelfirma und dessen Gläubigern angemeldet worden waren, mit dem Anspruch des Versicherten auf eine Invalidenrente bejaht. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit der Forderungen wurde mithin auch bei Erlöschen des Verfügungsrechts des Schuldners über das von ihm abgetretene, verselbstständigte Vermögen und dessen Übergang auf die Nachlassgläubiger (
BGE 103 III 60
; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl., 1997, S. 468 f., Rz. 23) als gegeben erachtet. Ein Grund, weshalb im Falle eines Konkursverfahrens, bei dem der Gemeinschuldner im Zeitpunkt der Konkurseröffnung ebenfalls weitgehend die Fähigkeit verliert, über sein Vermögen zu disponieren (
Art. 204 SchKG
; vgl. auch AMONN/GASSER, a.a.O., S. 327 f., Rz. 6 ff.), anders zu verfahren wäre, ist nicht auszumachen und wird auch vom Beschwerdeführer nicht substanziiert vorgebracht.
5.
Im Weiteren ist zu beurteilen, ob das gemäss Rechtsprechung (
BGE 104 V 5
) im Bereich des
Art. 20 Abs. 2 AHVG
nicht geltende Verrechnungsverbot nach
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
, wonach die Verrechnung ausgeschlossen ist, wenn ein Gläubiger des Gemeinschuldners erst nach der Konkurseröffnung
BGE 125 V 317 S. 321
Schuldner desselben oder der Konkursmasse wird, vorliegend ebenfalls keine Anwendung findet.
a) In
BGE 104 V 5
wird die Nichtgeltung von
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
im Anwendungsbereich des
Art. 20 Abs. 2 AHVG
damit begründet, dass durch diese Norm "eine eigene Ordnung geschaffen" werde, "welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im AHV-Bereich zugeschnitten ist" (vgl. auch
BGE 115 V 342
Erw. 2b). Diese Eigenständigkeit ergebe sich beispielsweise aus
Art. 16 Abs. 2 AHVG
, wonach eine Beitragsforderung drei Jahre (in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung) nach Ablauf des Kalenderjahres verwirkt, in welchem sie geltend gemacht wurde; fällt der Ablauf der Frist in ein hängiges Schuldbetreibungs- oder Konkursverfahren, endet die Frist mit dessen Abschluss;
Art. 149 Abs. 5 SchKG
(in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung), der die durch den Verlustschein verurkundete Forderung gegenüber dem Schuldner allgemein als unverjährbar erklärt, findet von Gesetzes wegen auf Beitragsforderungen keine Anwendung (
BGE 104 V 7
f. Erw. 3b). Bei Entstehung des Rentenanspruches nicht erloschene Beitragsforderungen können in jedem Fall gemäss
Art. 20 Abs. 2 AHVG
noch verrechnet werden (Art. 16 Abs. 2 letzter Satz AHVG). Das Eidg. Versicherungsgericht hat in
BGE 104 V 5
ferner befunden, dass die Berücksichtigung des Verrechnungsverbotes nach
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
, welches verhindern will, dass auf dem Wege des Verrechnungsrechts Missbrauch unter anderem in Form der Gläubigerübervorteilung getrieben wird, im AHV-Bereich vielmehr die Schädigung eines Sozialwerkes zu bewirken imstande wäre, aus dem der Schuldner selber Vorteile erlangt, da die Sozialversicherungsbeiträge rentenbildend sein können. Ohne Verrechnung würden zudem alle übrigen Gläubiger schlechter gestellt, da die Beitragsforderungen gemäss
Art. 219 Abs. 4 SchKG
(in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung) in der zweiten Klasse privilegiert sind und durch eine verrechnungsweise Verminderung dieser Forderung die gleich- oder nachgestellten Gläubiger eine Besserstellung erfahren. Im Übrigen würde ohne Verrechnungsmöglichkeit allein der Schuldner profitieren, weil die Sozialversicherungsleistungen unabtretbar, unverpfändbar und der Zwangsvollstreckung entzogen sind (
Art. 20 Abs. 1 AHVG
) (
BGE 104 V 8
Erw. 3c).
b) Zu prüfen ist, ob die obgenannten Kriterien, welche zu einem Ausschluss des konkursrechtlichen Verrechnungsverbotes im AHV-Bereich führen, auch auf
BGE 125 V 317 S. 322
dem Gebiete des UVG "im Sinne einer einheitlichen Regelung für das gesamte Sozialversicherungsrecht" (kantonaler Entscheid S. 4) gelten.
aa) Mit
Art. 50 Abs. 3 UVG
hat der Gesetzgeber auch für den Bereich der Unfallversicherung eine ausdrückliche Regelung der Verrechnung vorgesehen. Fraglich ist nun, ob durch diese Norm eine eigene Ordnung geschaffen wird, welche auf die Besonderheiten der Sozialgesetzgebung im Unfallversicherungsrecht zugeschnitten ist, wie dies für
Art. 20 Abs. 2 AHVG
im AHV-Bereich zutrifft. Zu vermerken ist, dass das UVG keine
Art. 16 Abs. 2 AHVG
vergleichbare Norm enthält, aus welcher sich unter anderem die als entscheidend betrachtete Eigenständigkeit des Sozialversicherungsrechts in diesem Bereich ergibt.
Art. 94 UVG
statuiert einzig eine fünfjährige Verwirkungsfrist für Prämienforderungen. Was
Art. 16 Abs. 2 AHVG
anbelangt, so äusserte sich der Bundesrat in seiner Botschaft vom 5. Mai 1953 zum letzten Satz dieser Norm dahingehend, "dass bei Entstehung des Rentenanspruches nicht erloschene Beitragsforderungen in jedem Fall gemäss
Art. 20 Abs. 3 AHVG
(in der heute geltenden Fassung Abs. 2) noch verrechnet werden können. Beiträge, die der Rentenberechnung zugrunde gelegt werden, sollen ohne Einschränkung durch Verrechnung bezahlt werden" (BBl 1953 II 120). In
BGE 117 V 212
Erw. 4b befand das Eidg. Versicherungsgericht, das auf Grund der Materialien feststellbare Motiv und damit der vom Gesetzgeber als sachlich bezeichnete Grund für die Verrechenbarkeit nicht erloschener Beitragsforderungen mit Rentenleistungen über die Dreijahresfrist hinaus lägen somit darin, dass rechtskräftig festgelegte, aber noch nicht bezahlte Beiträge rentenbildend sein könnten. In diesem Sinne bestehe zwischen Beiträgen und Renten ein enger versicherungsrechtlicher Konnex, welcher hinsichtlich der Verrechnung eine spezielle Regelung rechtfertige. Diese Darlegungen zeigen, dass die AHV-Gesetzgebung in verschiedenen Normen eine auf die spezifischen Bedürfnisse in diesem Bereich zugeschnittene Ordnung enthält, deren Umsetzung die Anwendung des allgemein geltenden Verrechnungsverbotes nach
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
ausschliesst.
bb) Das UVG weist demgegenüber lediglich die Verrechnungsbestimmung des
Art. 50 Abs. 3 UVG
auf, kennt indes keine weiteren Normen, welche den Ausschluss des
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
indizieren würden. Insbesondere werden die Leistungen nicht wie in der AHV nach dem individuellen Beitragskonto entrichtet, womit das Argument des rentenbildenden Charakters entfällt. Ferner findet sich im UVG keine Bestimmung, welche die Anwendung
BGE 125 V 317 S. 323
von
Art. 149 Abs. 5 SchKG
(in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung) ausschliessen würde, sodass die bei nur teilweiser Befriedigung des Gläubigers durch Verlustschein verurkundete Forderung grundsätzlich - nach altem Recht - unverjährbar ist. Die in
Art. 94 UVG
verankerte Verwirkungsfrist steht diesem Umstand nicht entgegen, sofern die Prämiennachforderung durch Schuldbetreibung fristgerecht geltend gemacht wurde (vgl. MAURER, a.a.O., S. 529). Das AHVG sieht demgegenüber die Beendigung der Frist bei Ablauf eines Schuldbetreibungs- und Konkursverfahrens vor (
Art. 16 Abs. 2 Satz 3 AHVG
), womit der Überlegung Rechnung getragen wird, dass "aus Gründen der Rechtssicherheit und aus verwaltungstechnischen Erwägungen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes in einem bestimmten Schuldverhältnis zwischen AHV und Beitragspflichtigen Ruhe eintreten soll" (BBl 1953 II 119; vgl. auch
BGE 117 V 211
Erw. 4b). Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des zeitlich später in Kraft getretenen
Art. 94 UVG
, welcher sich im Übrigen weitgehend an
Art. 16 AHVG
anlehnt (Botschaft zum UVG Ziff. 407.2; MAURER, a.a.O., S. 579, FN 1492), gerade den speziellen schuldbetreibungs- und konkursrechtlichen Ausnahmepassus dieser Norm nicht übernahm, erhellt die Absicht, in diesem Sozialversicherungszweig keine dem SchKG vorgehende Regelung zu schaffen. Gleiches indiziert die Tatsache, dass anlässlich der Revision des SchKG durch das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 bei
Art. 50 Abs. 1 UVG
eine Angleichung und Koordination vorgenommen, im Bereich des Verrechnungsrechts nach Abs. 3 indes darauf verzichtet wurde. Ebenfalls zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang der Bericht der Kommission des Nationalrates für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) vom 26. März 1999 betreffend das Bundesgesetz über einen Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (BBl Nr. 23 vom 15. Juni 1999 S. 4523 ff.). In Art. 34 (S. 4581) hatte der Ständerat die grundsätzliche Möglichkeit des Versicherungsträgers vorgesehen, die von diesem geschuldeten Geldleistungen mit Ansprüchen, die dieser oder der Träger eines anderen Sozialversicherungszweiges aus dem Versicherungsverhältnis gegen den Versicherten hat, zu verrechnen. Die nationalrätliche SGK beantragt nun jedoch die Streichung dieser Bestimmung, da sich das Problem der Verrechnung einer Harmonisierung entziehe.
Aus dem Gesagten wird deutlich, dass einer differenzierten Betrachtungsweise der Verrechnungsmöglichkeit je nach Sozialversicherungszweig gegenüber einer - im Bestreben nach einer
BGE 125 V 317 S. 324
einheitlichen Regelung für den gesamten Sozialversicherungsbereich postulierten - pauschalen Übernahme der Lösung des AHVG in andere Gebiete der Sozialversicherung der Vorzug zu geben ist.
c) Zusammenfassend ergibt sich, dass die Verrechnung der dem Beschwerdeführer monatlich zu leistenden Taggeldzahlungen mit der ausstehenden Prämienforderung durch die SUVA nicht zulässig ist, weil das in
Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG
statuierte Verrechnungsverbot auch im Anwendungsbereich des UVG berücksichtigt werden muss.
6.
(Kosten und Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cb7e03c3-fd14-45b0-8305-964f15ff0c3a | Urteilskopf
97 IV 137
28. Urteil des ausserordentlichen Kassationshofes vom 3. Mai 1971 i.S. Lebedinsky gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft. | Regeste
Art. 220 Abs. 1-3,
Art. 169 Abs. 2 BStP
.
1. Wegen Verletzung materiellen Rechts ist die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des Bundesstrafgerichts nicht zulässig (Erw. 1).
2. Anwendung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit (Erw. 2 und 3).
3. Eine Verletzung von Parteirechten liegt nicht darin, dass rechtliche Schlüsse des Bundesstrafgerichts erst aus der Urteilsbegründung ersichtlich sind und dass im Urteil nicht zu sämtlichen rechtlichen Vorbringen der Verteidigung Stellung genommen wird (Erw. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 137
BGE 97 IV 137 S. 137
A.-
Gabriel Lebedinsky wurde durch Urteil des Bundesstrafgerichts vom 27. November 1970 der wiederholten und fortgesetzten Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3), der Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 1 und 2), der Unterdrückung
BGE 97 IV 137 S. 138
von Urkunden (
Art. 254 Abs. 1 StGB
) und der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen Art. 18 Abs. 1 lit. b und c des Bundesratsbeschlusses vom 28. März 1949 über das Kriegsmaterial schuldig erklärt und zu 18 Monaten Gefängnis, abzüglich 17 Tage Untersuchungshaft, verurteilt.
B.-
Lebedinsky führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei das Urteil des Bundesstrafgerichts aufzuheben und höchstens eine Strafe von 12 Monaten Gefängnis, unter Zubilligung des bedingten Strafvollzuges, auszufällen, eventuell die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Zur Begründung wird ausgeführt, das Bundesstrafgericht gehe in seinen Urteilserwägungen von verschiedenen belastenden Feststellungen aus, von denen in der Hauptverhandlung keine Rede gewesen sei, so dass keine Möglichkeit bestanden habe, die Annahmen des Gerichts durch entsprechende Beweisanträge zu widerlegen. Darin liege ein Verstoss gegen Prozessvorschriften insbesondere
Art. 169 Abs. 2 BStP
, ferner eine Verletzung der Parteirechte und durch die Verweigerung des rechtlichen Gehörs auch eine solche des materiellen Rechts. Ausserdem habe das Bundesstrafgericht das rechtliche Gehör verweigert und materielles Strafrecht verletzt, indem es wesentliche Vorbringen in der Verteidigungsrede unberücksichtigt gelassen, geschweige denn dazu Stellung bezogen habe. Aus allen diesen Gründen müsse eine mildere Strafe ausgesprochen werden oder sei das Strafmass nach Erhebung weiterer Beweise neu zu bestimmen.
C.-
Der Bundesanwalt und das Bundesstrafgericht haben auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde verzichtet.
Erwägungen
Der ausserordentliche Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde an den ausserordentlichen Kassationshof ist nach
Art. 220 Abs. 1 BStP
zulässig gegen Urteile der Bundesassisen, der Kriminalkammer und des Bundesstrafgerichts, wenn das Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht oder verneint hat (Ziff. 1), wenn es nicht gesetzmässig besetzt war (Ziff. 2), wenn während der Hauptverhandlung wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt wurden und dadurch dem Beschwerdeführer ein Rechtsnachteil erwachsen ist (Ziff. 3) und wenn die den Parteien zustehenden Rechte verletzt worden sind (Ziff. 4).
BGE 97 IV 137 S. 139
a)
Art. 220 Abs. 1 BStP
beschränkt die Nichtigkeitsbeschwerde auf vier bestimmte Fälle, für welche die Nichtigkeitsgründe in Ziff. 1 - 4 einzeln näher bezeichnet werden. Diese Aufzählung ist nach ihrem Wortlaut abschliessend, so dass aus andern als den genannten Gründen nicht Beschwerde geführt werden kann. Eine Bestätigung hiefür, die jeden Zweifel ausschliesst, liefert Absatz 3, wonach die Urteile der Kriminalkammer "ausserdem" wegen Verletzung materieller Gesetzesvorschriften anfechtbar sind. Indem das Gesetz eigens eine Ausnahme von der allgemeinen Ordnung des Absatzes 1 schafft und sie ausdrücklich nur für Urteile der Kriminalkammer gelten lässt, wird eindeutig klargestellt, dass die Urteile der beiden andern Gerichtshöfe - der Bundesassisen und des Bundesstrafgerichts - wegen Verletzung materiellen Rechts nicht angefochten werden können und es ihnen gegenüber bei den limitativ aufgezählten vier Beschwerdegründen sein Bewenden hat. Diese Auslegung, die zahlreichen nicht veröffentlichten Entscheidungen des ausserordentlichen Kassationshofes zugrunde liegt, entspricht der ständigen Praxis des Bundesgerichts.
b) Der Beschwerdeführer bezeichnet demgegenüber die Tatsache, dass in
Art. 220 Abs. 3 BStP
nur die Kriminalkammer, nicht aber das Bundesstrafgericht aufgeführt wird, als eine Lücke des Gesetzes, da der Gesetzgeber das Bundesstrafgericht offensichtlich aus Versehen nicht erwähnt habe. Diese Auffassung ist, wie die Entstehungsgeschichte des
Art. 220 BStP
zeigt, unzutreffend.
Die ersten organisatorischen und verfahrensrechtlichen Bestimmungen für das im Jahre 1893 neu geschaffene Bundesstrafgericht wurden im Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 (Art. 125 ff.) erlassen. Obgleich dieses Gesetz in bezug auf das Kassationsverfahren verschiedene Vorschriften der Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1851 übernahm, begnügte es sich hinsichtlich der Kassationsgründe nicht mit einem blossen Verweis auf den damals für die Bundesassisen massgebenden
Art. 149 BStP
, der die Kassation auch wegen unrichtiger Würdigung der Geschworenenantworten und wegen falscher Anwendung des Gesetzes durch die Kriminalkammer vorsah (lit. d und e), sondern stellte für das Bundesstrafgericht in Art. 142 lit. a - d eine nur Verfahrensmängel rügbare Ordnung auf, die inhaltlich im wesentlichen mit den heute in
Art. 220 Abs. 1 BStP
aufgezählten
BGE 97 IV 137 S. 140
Nichtigkeitsgründen übereinstimmte. Dass der Kassationsgrund der Verletzung materiellen Rechts, auf den schon der bundesrätliche Entwurf vom 5. April 1892 verzichtete (BBl 1892 II 436, Art. 136), bewusst ausgeschlossen werden wollte, ergibt sich vollends daraus, dass ein Antrag der nationalrätlichen Kommission, die für die Bundesassisen geltenden Kassationsgründe auch für das Bundesstrafgericht anwendbar zu erklären, im Ständerat durchwegs abgelehnt und später auch im Nationalrat fallen gelassen wurde. Art. 142 des OG von 1893 brachte sodann durch die einleitenden Worte: "Die Kassationsbeschwerde gegen das bundesstrafgerichtliche Urteil findet nur statt", unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Bundesgesetzgeber der nachfolgenden Aufzählung der vier Beschwerdegründe abschliessende Bedeutung beigemessen hat.
Die spätere Revision der Bundesstrafprozessordnung von 1851, die zum heute geltenden Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. Juni 1934 führte, bezweckte vor allem eine systematische Zusammenfassung der bis dahin in verschiedenen Gesetzen verstreuten Bestimmungen über die Strafgerichtsorganisation und den Strafprozess des Bundes, darunter auch jener über die Kassation der Urteile der eidgenössischen Strafgerichte. Im Bestreben, die für das Verfahren vor dem Bundesassisengericht und vor dem Bundesstrafgericht verschieden geregelten Nichtigkeitsgründe zu vereinheitlichen und in einer einzigen Bestimmung zusammenzufassen, wurden die in Art. 142 des OG von 1893 für das Bundesstrafgerichtsverfahren aufgestellten vier Beschwerdegründe verfahrensrechtlicher Art mit geringfügigen Änderungen in
Art. 220 Abs. 1 BStP
als allgemeine Regel übernommen, während der nach Art. 149 lit. e der Bundesstrafprozessordnung von 1851 gegen Urteile der Kriminalkammer zulässige Beschwerdegrund der Verletzung materiellen Rechts als Sondernorm in
Art. 220 Abs. 3 BStP
beibehalten wurde. Dabei ist bemerkenswert, dass die Übernahme der letztern Bestimmung umstritten war. Bereits im Jahre 1904 hatte der Kassationshof des Bundesgerichts entschieden, dass für die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des Bundesstrafgerichts in Fiskalstrafsachen einzig die Kassationsgründe des Art. 142 des OG von 1893 massgebend seien, nicht jene des Art. 18 des Bundesgesetzes betreffend das Verfahren bei Übertretungen fiskalischer und polizeilicher Bundesgesetze vom 30. Juni 1849, wonach auch die Verletzung materiellen
BGE 97 IV 137 S. 141
Rechts gerügt werden konnte. Das Bundesgericht begründete den Entscheid u.a. damit, dass es dem gerichtsorganisatorischen Grundsatz der Über- und Unterordnung der Gerichtsinstanzen widerspräche, wenn die Erkenntnisse des Bundesstrafgerichts durch eine diesem nebengeordnete andere Abteilung des Bundesgerichts aufihre materielle Richtigkeit überprüft werden könnten (
BGE 30 I 392
). Überlegungen gleicher Art veranlassten auch STOOSS im Vorentwurf von 1922 zu einer neuen Bundesstrafgerichtsordnung, die Gesetzesanwendung der eidgenössischen Strafgerichte, die Kriminalkammer inbegriffen, von der Nichtigkeitsbeschwerde auszuschliessen (ZStR 35, 230), und ebenso sah der Vorentwurf des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements von 1926 (Art. 241) allgemein nur die Beschwerde wegen prozessualer Mängel vor. Erst in der Expertenkommission wurde die Frage aufgeworfen, ob die Nichtigkeitsbeschwerde gegen eine falsche Gesetzesanwendung der Kriminalkammer nicht wie bisher zuzulassen sei, und zwar mit der Begründung, dass die Stellung der Kriminalkammer zum ausserordentlichen Kassationshof eine andere sei als diejenige des Bundesstrafgerichts, das aus fünf, nicht nur drei Richtern bestehe. Ein dahingehender Antrag wurde darauf mit 6 gegen 5 Stimmen angenommen (Prot. Exp. Komm. 1926-1927, S. 77/78). Diesem Beschluss entsprechend wurde in den Entwurf des Bundesrates vom 10. September 1929 (Art. 223 Abs. 2) eine mit dem heutigen Absatz 3 wörtlich übereinstimmende Bestimmung aufgenommen, die in der parlamentarischen Beratung zu keinen Diskussionen mehr Anlass gab, obschon in der Botschaft des Bundesrates ausdrücklich betont wurde, dass die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung materieller Gesetzesvorschriften einzig gegen Urteile der Kriminalkammer zulässig sei (BBl 1929 II 628).
Von einer Gesetzeslücke oder einer versehentlichen Nichterwähnung des Bundesstrafgerichts in
Art. 220 Abs. 3 BStP
kann somit keine Rede sein. Wenn auch der Ausnahmecharakter dieser Bestimmung die angestrebte Einheitlichkeit der Nichtigkeitsgründe beeinträchtigt, so ist es unter den gegebenen Umständen nicht Aufgabe der Rechtsprechung, den Mangel, wie der Beschwerdeführer meint, durch eine ausdehnende Anwendung der Sondernorm zu beheben; die Einheit der Beschwerdegründe wäre viel eher, wie ursprünglich beantragt wurde, durch den Verzicht auf die Ausnahmebestimmung herbeizuführen.
BGE 97 IV 137 S. 142
c) Soweit das Urteil des Bundesstrafgerichts wegen Verletzung materiellen Rechts angefochten wird, ist daher auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer rügt, dass die Feststellung des Bundesstrafgerichts, die Angeklagten hätten mit den unwahren Endverbraucher-Zertifikaten die Bundesbehörden getäuscht, ihr Vertrauen hemmungslos ausgenützt und damit Ausfuhrbewilligungen erschlichen, in der Hauptverhandlung nicht abgeklärt, ja nicht einmal erwähnt worden sei. Diese Unterlassung verstosse gegen
Art. 169 Abs. 2 BStP
, der vorschreibt, dass bei der Beurteilung der Tat nur die in der Hauptverhandlung gemachten Feststellungen berücksichtigt werden dürfen.
Die Rüge ist haltlos. In der Hauptverhandlung war, wie sich aus deren Protokoll ergibt, wiederholt davon die Rede, dass die inhaltlich falschen, in embargofreien Ländern beschafften Endverbraucher-Erklärungen als Mittel der Tarnung dienten, indem mit diesen den Bundesbehörden gegenüber der Anschein erlaubter Waffenexportgeschäfte erweckt wurde, während die Lieferungen in Wirklichkeit für andere Länder bestimmt waren, für die auf Grund der Embargobeschlüsse keine Ausfuhrbewilligung erteilt werden durfte. Was den Beschwerdeführer im besondern anbetrifft, sind in der Hauptverhandlung nicht nur Abhörungsprotokolle verlesen worden, in denen er Ausführungen über derart getarnte Exportgeschäfte nach Südafrika und Israel gemacht hatte, sondern gab er auf zahlreiche Fragen auch ausdrücklich zu, dass er sich bewusst über die Embargobeschlüsse hinwegsetzte, zu diesem Zweck die Beschaffung von falschen Endverbraucher-Erklärungen veranlasste, die einzelnen Tarngeschäfte, soweit er an deren Abwicklung nicht persönlich beteiligt war, billigte, bei der Fälschung von Urkunden mitwirkte und die allgemeine Weisung erteilte, belastende Belege zu vernichten. Seine Behauptung, dass der Vorwurf der Täuschung und der Erschleichung von Ausfuhrbewilligungen in der Hauptverhandlung weder erwähnt noch abgeklärt worden sei, ist daher mutwillig. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung seine früheren Geständnisse als zutreffend bestätigt hat, so dass es nach
Art. 156 BStP
auch nicht nötig war, den in der Untersuchung anerkannten Sachverhalt in der Beweisverhandlung erneut im einzelnen festzustellen. Eine Verletzung des in
BGE 97 IV 137 S. 143
Art. 169 Abs. 2 BStP
festgelegten Grundsatzes der Unmittelbarkeit liegt demnach nicht vor.
3.
Ebenso wird beanstandet, dass auch die Feststellung des Bundesstrafgerichts, die Endverbraucher-Erklärungen seien von den Bundesbehörden, wie die Angeklagten gewusst hätten, nur sehr schwierig zu überprüfen gewesen, in der Hauptverhandlung mit keinem Wort erwähnt worden sei und deshalb von den Angeklagten nicht habe widerlegt werden können.
Soweit damit eine Verletzung von
Art. 169 Abs. 2 BStP
geltend gemacht wird, ist die Rüge unbegründet, weil die Feststellung in den Erwägungen über die Strafzumessung steht, und zwar in den Erörterungen über die Gründe, welche das Verschulden der Angeklagten erhöhen, anschliessend an die Erwägung, dass auch die Verwendung erlogener Endverbraucher-Erklärungen zu diesen Umständen zählt. Es handelt sich somit nicht um eine Feststellung von Tatsachen, die den gesetzlichen Tatbestand einer strafbaren Handlung betreffen, sondern um einen Schluss, den die Vorinstanz bei der rechtlichen Würdigung der aus der Hauptverhandlung sich ergebenden Tatsachen gezogen hat. Feststellungen dieser Art unterliegen naturgemäss nicht den die Hauptverhandlung beherrschenden Verfahrensvorschriften, so dass eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit zum vornherein ausser Betracht fällt.
Auch der Einwand, dass durch die Nichterwähnung der fraglichen Feststellung in der Hauptverhandlung Parteirechte verletzt worden seien, hält nicht stand. Die im Rahmen der Strafzumessung vorzunehmende Bewertung des Verschuldens der Angeklagten ist teils eine Frage der Beweiswürdigung, teils eine solche der rechtlichen Würdigung. Zu beidem hatte das Bundesstrafgericht erst in der geheimen Urteilsberatung Stellung zu nehmen, nicht in den Parteiverhandlungen, in denen sich einzig die Parteien zur Schuld und Strafe zu äussern haben (
Art. 167 BStP
) und wozu ihnen auch Gelegenheit gegeben worden ist. Auf Grund des Beweisverfahrens, das ergab, dass die Angeklagten die Bundesbehörden in zahlreichen Fällen täuschten und ihre Täuschungsmanöver noch fortsetzten, als die misstrauisch gewordenen Behörden Auskünfte verlangten und einzelne Ausfuhrbewilligungen widerriefen, lag übrigens der Schluss nahe, dass die Angeklagten während längerer Zeit nicht damit gerechnet hatten, dass die Bundesbehörden, deren
BGE 97 IV 137 S. 144
besonderes Vertrauen sie genossen, ihre Umgehungsgeschäfte leicht entdecken werden, zumal die vorgelegten Endverbraucher-Erklärungen an sich echt und nur inhaltlich falsch waren und deren Überprüfung, wie der Bundesrat im März 1969 im Parlament bestätigte, heikle diplomatische Demarchen bedingt hätte. Sollte der Beschwerdeführer, wie er behauptet, anderer Auffassung gewesen sein, so hätte er sie zum Ausdruck bringen können, und nichts hinderte ihn, gestützt auf
Art. 157 Abs. 2 BStP
entsprechende Beweismassnahmen zu beantragen. Wenn er hievon keinen Gebrauch machte, obwohl die Parteien auf die Möglichkeit, weitere Beweisanträge zu stellen, vor Schluss des Beweisverfahrens ausdrücklich aufmerksam gemacht wurden, so hat er auf eigene Verantwortung nicht gehandelt und kann sich nicht auf eine Verletzung von Parteirechten berufen.
4.
Schliesslich wendet der Beschwerdeführer ein, das Bundesstrafgericht habe die im Vortrag des Verteidigers gewürdigten Tatsachen unberücksichtigt gelassen und zu seinen Vorbringen in der Urteilsbegründung nicht Stellung genommen, was eine Verletzung des materiellen Strafrechts und eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs darstelle.
Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts kann, wie in Ziff. 1 ausgeführt wurde, nicht gehört werden, und soweit der Beschwerdeführer mit der Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs eine Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Parteirechten sollte geltend machen wollen, wäre ein solcher Vorwurf grundlos. Das Gesetz schreibt nirgends vor, dass das Bundesstrafgericht, wie der Beschwerdeführer annimmt, sich mit sämtlichen Vorbringen einer Partei auseinanderzusetzen habe.
Art. 179 Abs. 2 BStP
, wo die in der Urteilsbegründung zu treffenden Feststellungen näher umschrieben werden, verpflichtet das Gericht nur, die Tatsachen, die es für erwiesen hält und welche die einzelnen Merkmale des Straftatbestandes begründen, sowie die Gründe der Strafzumessung und die angewendeten Gesetzesbestimmungen anzuführen. Das Gericht darf sich somit bei der rechtlichen Würdigung auf die Angabe der ihm als wesentlich und notwendig erscheinenden Urteilsgründe beschränken und kann nach seinem Ermessen darüber befinden, inwieweit es sich daneben mit einzelnen Einwänden und Vorbringen der Parteien befassen soll. Die Behauptung des Beschwerdeführers, zu den Ausführungen seines Verteidigers sei im angefochtenen Urteil überhaupt nicht Stellung genommen
BGE 97 IV 137 S. 145
worden, widerspricht übrigens den Tatsachen. So hat sich die Vorinstanz mit dem Einwand, die Urkundenfälschung sei eine blosse Begleiterscheinung der Umgehung der Embargobeschlüsse gewesen, einlässlich auseinandergesetzt (
BGE 96 IV 164
Erw. 3), die Bedeutung des Embargos und die Tragweite seiner Umgehung gewürdigt und die weiter vorgebrachten Umstände, insbesondere die Beweggründe und persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, soweit sie von Belang waren, berücksichtigt, was bei aufmerksamem Durchlesen der Urteilserwägungen nicht entgehen konnte.
5.
Ist keiner der in
Art. 220 Abs. 1 BStP
genannten Kassationsgründe gegeben, kann offen bleiben, ob Verfahrensmängel, die erst auf Grund der Urteilserwägungen feststellbar sind, trotz dem Wortlaut des
Art. 220 Abs. 2 BStP
mit der Nichtigkeitsbeschwerde gerügt werden können.
Dispositiv
Demnach erkennt der ausserordentliche Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann. | null | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cb7f5289-e0e6-41cc-bc71-2c1bb9fdfac7 | Urteilskopf
116 II 214
39. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. April 1990 i.S. X. AG gegen Y. (Berufung) | Regeste
Zusammenstoss zwischen Skifahrer und Pistenfahrzeug.
Ein motorisiertes Raupenfahrzeug, mit dessen Hilfe Skipisten angelegt und unterhalten werden, fällt unter den Begriff des Motorfahrzeuges im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 SVG
. Kausalhaftung des Halters bei Unfall auf der Skipiste (
Art. 1 Abs. 1 SVG
). | Erwägungen
ab Seite 214
BGE 116 II 214 S. 214
Aus den Erwägungen:
1.
b) Zu Recht bestreitet die Beklagte zudem nicht, dass es sich beim Pistenfahrzeug, das am Unfall beteiligt war, um ein
BGE 116 II 214 S. 215
Motorfahrzeug im Sinne des Strassenverkehrsgesetzes handelt. Ein motorisiertes Raupenfahrzeug, mit dessen Hilfe Skipisten angelegt und unterhalten werden, fällt nach einhelliger Lehrmeinung unter den Begriff des Motorfahrzeugs gemäss
Art. 7 Abs. 1 SVG
(Padrutt, Rechtsprobleme um Raupenfahrzeuge auf Skipisten, in: SJZ 1989 S. 317 f.; OFTINGER/STARK, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. II/2, S. 41 Rz. 48; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, N. 7 zu
Art. 7 SVG
). Unangefochten ist schliesslich auch die von der Vorinstanz in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre vertretene Ansicht, die Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters gelte auch dann, wenn sich der Unfall nicht auf einer öffentlichen Strasse ereignet habe (OFTINGER/STARK, a.a.O., S. 45 f.; PADRUTT, a.a.O., S. 318 Fn 8 mit Hinweisen). | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cb83ad2e-b81c-45d8-981c-9a9c4ed70a46 | Urteilskopf
115 Ia 231
42. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 7. September 1989 i.S. X, Y und Z gegen Regierungsrat des Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 2 ÜbBest. BV; Verhältnis zwischen Bundesraumplanungsrecht und kantonalem Recht bei der Anordnung von Planungszonen zum Schutze des Kulturlandes.
Art. 16 RPG
beschränkt die Kantone nicht darauf, nur das für die Sicherung einer ausreichenden Versorgungsbasis notwendige Land den Landwirtschaftszonen zuzuweisen. Die Kantone können daher durch die Vorschriften der Raumplanungsverordnung nicht daran gehindert werden, bei der Nutzungsplanung und bei deren Sicherung durch Planungszonen über dieses Mindestmass hinauszugehen (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 232
BGE 115 Ia 231 S. 232
Am 11. Juni 1986 legte die Baudirektion des Kantons Bern in der Einwohnergemeinde Pieterlen verschiedene Planungszonen zum Schutze des Kulturlandes auf, darunter auch die Planungszonen Nrn. 1126.14/1.1 und 1126.14/1.2. Von dieser vorsorglichen Massnahme sind u.a. auch X, Y und Z als Eigentümer einer der von den beiden Planungszonen erfassten Parzellen betroffen. Mit Einsprache vom 9. Juli 1986 verlangten sie die Aufhebung der Planungszone im Bereich dieser Parzelle. Mit Beschluss vom 30. Oktober 1987 wies die Baudirektion die Einsprache ab.
Den Einspracheentscheid fochten X, Y und Z mit Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons Bern an. Mit Entscheid vom 4. Januar 1989 hob der Regierungsrat in teilweiser Gutheissung der Beschwerde die Planungszone Nr. 1126.14/1.1, soweit die Parzelle der Beschwerdeführer betreffend, auf und wies die weitergehenden, die Planungszone Nr. 1126.14/1.2 betreffenden Begehren ab.
Eine von X, Y und Z gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
Schliesslich sind die Beschwerdeführer der Auffassung, der angefochtene Entscheid beruhe zwar wohl an sich auf einer ausreichenden kantonalen gesetzlichen Grundlage. Da die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Raumplanungsrechts indessen ausschliesslich beim Bund liege, der in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung über die Raumplanung vom 26. März 1986 (RPV) die Anordnung von Planungszonen zur Kulturlandsicherung innerhalb von Bauzonen nur für unerschlossenes Land vorsehe, bleibe für die abweichende Praxis des Kantons Bern kein Raum.
Auch dieses Vorbringen gegen den angefochtenen Entscheid, das der Sache nach auf die Rüge einer Verletzung von Art. 2 ÜbBest. BV hinausläuft, ist unbegründet. Man kann sich fragen, ob die Praxis des Kantons Bern bei der Anordnung von Planungszonen zur Kulturlandsicherung über
Art. 15 Abs. 2 RPV
hinausgeht und, falls ja, welche Konsequenzen dies auf den vorliegend
BGE 115 Ia 231 S. 233
zu beurteilenden Fall hätte. (...) Ungeachtet der Antwort auf diese Fragen ist die Rüge indessen bereits aus folgendem Grund abzuweisen: Das RPG als Grundsatzgesetz gemäss
Art. 22quater Abs. 1 BV
schliesst eigenständiges kantonales Planungs- und Baurecht nicht aus; es geht vielmehr davon aus, dass solches bestehe. Das RPG will das Instrumentarium zur Sicherstellung der zweckmässigen Nutzung des Bodens und der geordneten Besiedlung des Landes in den Grundzügen verbindlich festlegen, die Raumplanung jedoch nicht erschöpfend ordnen (ZBl 86/1985 325 E. 4 mit Hinweisen). Im dargelegten Sinn schreibt die RPV den Kantonen vor, in Befolgung des Planungsziels der Erhaltung des Kulturlandes als Existenzgrundlage der Landwirtschaft (
Art. 1 Abs. 2 lit. d,
Art. 3 Abs. 2 lit. a,
Art. 6 Abs. 2 lit. a RPG
) dafür zu sorgen, dass ausreichende Kulturlandflächen planungsrechtlich gegen Präjudizierungen gesichert werden und anschliessend ihrer definitiven Nutzungsbestimmung als Landwirtschaftsfläche zugeführt werden. Weil
Art. 16 RPG
die Kantone indessen nicht darauf beschränkt, lediglich das für die Sicherung der Existenzgrundlage notwendige Land den Landwirtschaftszonen zuzuweisen, können die Kantone auch durch die RPV nicht daran gehindert werden, bei der Nutzungsplanung und bei deren Sicherung durch Planungszonen über dieses Minimum hinauszugehen. Verfügt daher ein Kanton über eine ausreichende gesetzliche Grundlage, um auch die in
Art. 15 Abs. 2 RPV
nicht erwähnten erschlossenen Flächen in Bauzonen gegen Präjudizierungen zu sichern - und davon gehen im vorliegenden Fall die Beschwerdeführer selbst aus - so verstösst er damit nicht gegen Art. 2 ÜbBest. BV. | public_law | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cb857291-b446-47f8-8e91-5e63cb760273 | Urteilskopf
112 V 215
38. Urteil vom 14. April 1986 i.S. Eisenring gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, St. Gallen, und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 15 Abs. 1,
Art. 17 Abs. 1 AVIG
: Vermittlungsfähigkeit.
- Begriff der Vermittlungsfähigkeit; Fall eines Versicherten, dem bei der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt sind, dass das Finden einer Stelle sehr ungewiss ist.
- Für die Beurteilung der Frage, ob sich ein Versicherter genügend um zumutbare Arbeit bemüht hat, ist nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität seiner Bewerbungen von Bedeutung.
- Fortdauernd ungenügende Bemühungen oder eine wiederholte Ablehnung zumutbarer Arbeit können zur Annahme von Vermittlungsunfähigkeit führen, ebenso die Beschränkung der Bewerbungen auf einen Erwerbszweig, in welchem der Arbeitslose aufgrund der konkreten Umstände nur eine minimale Chance auf eine Anstellung hat. | Sachverhalt
ab Seite 216
BGE 112 V 215 S. 216
A.-
August Eisenring arbeitete ab 1. Januar 1982 bei der Firma X als angestellter Reinigungsmann während 25 Stunden in der Woche. Daneben war er für fünf Firmen als Hauswart tätig und führte ein eigenes Reinigungsinstitut. Für letztere Tätigkeiten setzte er nach seinen Angaben etwa 100 Stunden im Monat ein. Ende Oktober 1983 löste die Firma X das Arbeitsverhältnis mit August Eisenring wegen betrieblicher Umorganisation des Reinigungswesens auf Ende Januar 1984 auf. In der Folge richtete die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen bis Ende Mai 1984 Arbeitslosentaggelder aus.
Am 20. August 1984 verfügte das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), St. Gallen, die Versicherungsleistungen seien für die Zeit ab 1. Juni 1984 einzustellen, da August Eisenring ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vermittlungsfähig gewesen sei. Zur weiteren Begründung wurde ausgeführt, der Versicherte arbeite an verschiedenen Orten als Arbeitnehmer in Teilzeit und übe auch selbständige Erwerbstätigkeit aus. Unter diesen Umständen sei der Arbeitsausfall nicht mehr rechtsgenüglich kontrollierbar. Sodann habe die selbständige Erwerbstätigkeit im Laufe der Zeit stetig zugenommen. Wer aber selbständigerwerbend sei, könne nicht als vermittlungsfähig gelten, es sei denn, diese Tätigkeit sei unbedeutend und könne ausserhalb der normalen Arbeitszeit ausgeübt werden. Letzteres treffe aber bei August Eisenring nicht zu; vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass dieser nicht in der Lage gewesen wäre, eine Teilzeitbeschäftigung von mindestens 50% anzunehmen.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 3. Juli 1985 ab.
C.-
Gustav Eisenring lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, es sei für die Periode vom 1. Juni bis 31. Oktober 1984 Vermittlungsfähigkeit anzunehmen, womit die Arbeitslosenkasse zu verpflichten sei, für diese Zeit Arbeitslosenentschädigungen auszurichten. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen zurückzukommen sein.
Das KIGA und das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) beantragen Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
BGE 112 V 215 S. 217
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (
Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG
). Gemäss
Art. 15 Abs. 1 AVIG
ist der Arbeitslose vermittlungsfähig, wenn er bereit und in der Lage ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Zur Vermittlungsfähigkeit gehört demnach nicht nur die Arbeitsfähigkeit im objektiven Sinn, sondern subjektiv auch die Bereitschaft, seine Arbeitskraft entsprechend seinen persönlichen Verhältnissen während der üblichen Arbeitszeit einzusetzen (
BGE 112 V 137
Erw. 3; zur altrechtlichen Praxis siehe
BGE 109 V 275
Erw. 2a,
BGE 108 V 101
; ARV 1979 Nr. 7 S. 49).
Vermittlungsunfähigkeit liegt unter anderem vor, wenn ein Versicherter aus persönlichen oder familiären Gründen seine Arbeitskraft nicht so einsetzen kann oder will, wie es ein Arbeitgeber normalerweise verlangt. Versicherte, die im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden sich erwerblich betätigen wollen, können nur sehr bedingt als vermittlungsfähig anerkannt werden. Denn sind einem Versicherten bei der Auswahl des Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt, dass das Finden einer Stelle sehr ungewiss ist, muss Vermittlungsunfähigkeit angenommen werden. Der Grund für die Einschränkung in den Arbeitsmöglichkeiten spielt dabei keine Rolle (
BGE 112 V 137
Erw. 3; zur altrechtlichen Praxis siehe
BGE 110 V 208
,
BGE 109 V 275
Erw. 2; ARV 1982 Nr. 10 S. 71, 1980 Nr. 38 S. 91 Erw. 1, 1979 Nr. 7 S. 51 f., 1977 Nr. 16 S. 83 und Nr. 27 S. 144).
b) Nach
Art. 17 Abs. 1 AVIG
muss der Versicherte, unterstützt durch das Arbeitsamt, alles Zumutbare unternehmen, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu verkürzen. Insbesondere ist es seine Sache, Arbeit zu suchen, wenn nötig auch ausserhalb seines bisherigen Berufes. Er muss seine Bemühungen nachweisen können.
Bei der Beurteilung der Frage, ob sich ein Versicherter genügend um zumutbare Arbeit bemüht hat, ist nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität seiner Bewerbungen von Bedeutung (nicht veröffentlichte Urteile Aeschlimann vom 13. Februar 1986, Carballo vom 8. Januar 1986, Krmpotic vom 30. Dezember 1985, Coudek vom 2. Dezember 1985, Drekic vom 5. September 1985, Pfister vom 4. September 1985, Müller vom 15. April 1985; zur altrechtlichen Praxis siehe ARV 1981 Nr. 30 S. 130, 1978 Nr. 7 S. 19, 1977 Nr. 33 S. 157).
BGE 112 V 215 S. 218
Fortdauernd ungenügende Arbeitsbemühungen oder eine wiederholte Ablehnung zumutbarer Arbeit können zur Annahme von Vermittlungsunfähigkeit führen, was einen Anspruch auf Arbeitslosentaggelder ausschliesst (nicht veröffentlichte Urteile Küng vom 13. Dezember 1985, Coudek vom 2. Dezember 1985 und Comment vom 19. August 1985; ARV 1977 Nr. 28 S. 147; STAUFFER, Die Arbeitslosenversicherung, Zürich 1984, S. 42).
2.
Der Beschwerdeführer war nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma X nur für eine neue Teilzeitarbeit verfügbar, da er weiterhin seinen Reinigungsdienst betreiben und seine verschiedenen nebenamtlichen Hauswartstellen versehen wollte. Eine solche Einschränkung begründet nicht an sich schon Vermittlungsunfähigkeit (
BGE 112 V 138
Erw. b,
BGE 104 V 106
; zur gleichlautenden altrechtlichen Praxis siehe
BGE 99 V 116
Erw. 1; ARV 1982 Nr. 10 S. 71; siehe auch
Art. 14 AVIV
). Vermittlungsunfähigkeit ist jedoch anzunehmen, wenn die Bedingungen, die der Versicherte hinsichtlich der Arbeitszeit an die gesuchte Teilzeitarbeit stellt, eine neue Beschäftigung verunmöglichen oder erheblich erschweren. Letzteres traf beim Beschwerdeführer in nicht geringem Masse zu, konnte er doch nur solche Stellen annehmen, die in bezug auf die Arbeitszeiten mit seinen übrigen Tätigkeiten in Einklang zu bringen waren, wobei sein Spielraum deutlich begrenzt gewesen sein dürfte. Denn nach seinem an die Arbeitslosenkasse gerichteten Schreiben vom 6. August 1984 erblickte er in der Verpflichtung zur zweimaligen Stempelkontrolle pro Woche bereits eine empfindliche Einschränkung in seinen Möglichkeiten als Selbständigerwerbender. Unter diesen Umständen kann nur sehr bedingt gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitskraft so einsetzen konnte, wie es in zeitlicher Hinsicht ein Arbeitgeber normalerweise verlangt. Jedenfalls waren ihm damit bei der Auswahl eines Arbeitsplatzes so enge Grenzen gesetzt, dass sich eine geeignete Stelle nicht leicht finden liess und daher die Vermittlungsfähigkeit schon ab Beginn der Arbeitslosigkeit zumindest zweifelhaft gewesen sein dürfte. Daran vermag nichts zu ändern, dass der zeitlich mögliche Einsatz insgesamt einer Teilzeitbeschäftigung von 50% entsprach.
Vollends auf Vermittlungsunfähigkeit ist jedoch zu erkennen, wenn die Bemühungen des Beschwerdeführers um eine neue Arbeit mit gewürdigt werden. Der Beschwerdeführer suchte ab anfangs Februar (von einer Ausnahme abgesehen) nur Stellen als nebenamtlicher
BGE 112 V 215 S. 219
Hauswart oder als Reinigungsmann. Die Aussichten auf eine Anstellung in diesen Erwerbszweigen waren jedoch, wie der Beschwerdeführer glaubhaft darlegt, im Frühjahr und Sommer 1984 saisonal bedingt sehr ungünstig. Das zeigen auch seine quantitativ dürftigen und qualitativ nicht durchwegs überzeugenden Bewerbungen aus dieser Zeit; von März bis Mai 1984 waren es durchschnittlich zwei Bewerbungen pro Monat und von da bis Ende August noch weniger. Der Beschwerdeführer hätte deshalb auch ausserhalb seines angestammten Tätigkeitsbereiches nach Arbeit suchen müssen, was er aber offensichtlich nicht wollte, wie aus seinen Bewerbungen ab Februar 1984 zu schliessen ist. Durch diese Einschränkung der Vermittlungsbereitschaft auf die Reinigungs- und Hauswartbranchen in saisonal ungünstiger Zeit wurden die nach dem oben Gesagten bereits deutlich begrenzten Aussichten einer Anstellung in einem Masse weiter vermindert, dass eine Vermittlung nur sehr schwer bzw. praktisch nur aufgrund eines glücklichen Zufalls zu verwirklichen war. Das wurde durch den tatsächlichen Verlauf der Dinge denn auch bestätigt, konnte der Beschwerdeführer doch erst auf November 1984 eine neue Teilzeitstelle als Hauswart finden, die überdies den Verlust der Anstellung bei der Firma X lediglich zu einem Drittel auszugleichen vermochte. Bei derart ungewissen Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben Verwaltung und Vorinstanz zu Recht auf Vermittlungsunfähigkeit erkannt.
Dass die Leistungen auf Ende Mai 1984 eingestellt wurden, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, nach dem Gesagten vielmehr sogar als wohlwollend zu betrachten. Bei diesem Ausgang erübrigt es sich, zu prüfen, ob der Umfang der selbständigen Erwerbstätigkeit im Laufe der Zeit zugenommen hat, wie Verwaltung und Vorinstanz angenommen haben und vom Beschwerdeführer bestritten wurde.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cb86ebf2-2fb1-40a8-b829-baf36290f8e4 | Urteilskopf
98 II 365
53. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. November 1972 i.S. Denner AG gegen Schweizerischer Bierbrauerverein und Mitbeteiligte. | Regeste
Art. 43 Abs. 1 OG
. Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte kann mit der Berufung nicht gerügt werden (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).
Kartellgesetz.
Art. 8 KG
. Zulässigkeit der Berufung (Erw. 1).
Art. 4 KG
. Vorkehr: Liefersperre und Marktausschluss (Verdeutlichung der Rechtsprechung; Erw. 3 b und c).
Erheblichkeit der Behinderung (Verdeutlichung der Rechtsprechung; Erw. 3 d).
Art. 5 Abs. 2 KG
. Rechtfertigung der Kartellvorkehr. Überwiegende schutzwürdige Interessen (Verdeutlichung der Rechtsprechung; Erw. 4 a).
Art. 5 Abs. 2 lit. e KG
. Angemessene Preisbindung: Kundendienst. Zulässigkeit der Preisspaltung. Frage offen gelassen (Erw. 4 b-e). | Sachverhalt
ab Seite 366
BGE 98 II 365 S. 366
A.-
Die Denner AG (bis 31. Dezember 1969 Import & Grosshandels AG, IGA) betreibt an verschiedenen Orten in der Schweiz Discount-Geschäfte für Lebensmittel. In früher geführten und seither aufgehobenen oder umgewandelten herkömmlichen Geschäften hatte sie schweizerisches Lager- und Spezialbier, namentlich auch das Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen vertrieben. Ihre Lieferanten waren damals die Löwenbräu Zürich und die Brauerei A. Hürlimann AG. Diese Brauereien sind Mitglieder des Schweizerischen Bierbrauervereins, dem mit drei Ausnahmen alle Schweizer Bierbrauereien angehören. Seine Mitglieder haben durch eine Konvention eine Marktordnung geschaffen, durch die u.a. für die Zwischen- und Letztverteilerstellen bestimmte Mindestverkaufspreise für Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen festgesetzt wurden. Jede Vertragsbrauerei hat dafür zu sorgen, dass diese Verkaufspreise eingehalten werden. Kunden, die sie trotz Aufforderung nicht beachten, sind mit einer Liefersperre zu belegen (vgl.: "Die Wettbewerbsverhältnisse am Bier- sowie am Mineral- und Süssgetränkemarkt", im folgenden kurz Bericht über den Biermarkt genannt; Veröffentlichungen der Schweizerischen Kartellkommission [kurz VKK] 1966 S. 99).
Bei der Bierpreiserhöhung auf 1. Juli 1967 wurde der Detailverkaufspreis der 6 dl Mehrwegflasche auf 70 Rp., der Engrospreis auf 50 Rp. mit 2% Skonto (= 1 Rp.) bei Bezahlung innert 14 Tagen festgelegt. Auf Grund einer besondern Abmachung erhielt die Denner AG ferner eine Rückvergütung von 3 Rp. je 6 dl Flasche, so dass sich der Ankaufspreis (für ihre damaligen herkömmlichen Geschäfte) auf 46 Rp. belief.
In ihren herkömmlichen Geschäften hatte die Denner AG Bier zu den festgelegten Mindestverkaufspreisen abgegeben. In den Discountgeschäften führte sie kein Lagerbier der Verbandsbrauereien, da ihr nicht gestattet wurde, den gebundenen Mindestpreis zu unterschreiten, sondern nur Importbiere, Spezialbiere der Schweizer Brauereien und - unter der Eigenmarke "Denner" - Lagerbiere der Lupo-Brauerei in Hochdorf, die dem Schweizerischen Bierbrauerverein nicht angehört.
BGE 98 II 365 S. 367
Im Herbst 1969 kündigte die Rechtsvorgängerin der Denner AG in der Presse an, sie werde künftig in den Discountgeschäften, die Flasche Lagerbier zu 50 Rp. verkaufen. Alle Schweizer Brauereien, die dem Bierbrauerverein angehörten, weigerten sich jedoch, ihre Bestellungen für Flaschen in Lagerbier auszuführen. Die Brauereien Löwenbräu Zürich und A. Hürlimann AG teilten ihr zudem mit, die bisher gewährte Rückvergütung werde ab 1. Oktober 1969 nicht mehr ausgerichtet.
B.-
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich befahl am 10. Dezember 1969 dem Schweizerischen Bierbrauerverein, die Liefersperre zu widerrufen und die ihm angeschlossenen Brauereien anzuweisen, der Rechtsvorgängerin der Denner AG das bestellte Lagerbier zu liefern, sofern deren Endverkaufspreis den bisherigen Endverkaufspreis der Discountgeschäfte nicht unterschreite. Unter den gleichen Bedingungen befahl er der Löwenbräu Zürich AG und der Brauerei A. Hürlimann AG, die Gesuchstellerin mit Lagerbier zu beliefern. Die II. Zivilkammer des Obergerichts hiess einen Rekurs der Gesuchsgegner am 21. April 1970 teilweise gut, indem sie die Brauereien anwies, der Gesuchstellerin Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen zu liefern, sofern der Endverkaufspreis in Discountgeschäften 60 Rp. nicht unterschreite. Ferner setzte sie der Gesuchstellerin eine Frist von 30 Tagen, um beim zuständigen Gericht Klage einzureichen. Eine gegen diesen Entscheid eingereichte staatsrechtliche Beschwerde der Gesuchstellerin wies das Bundesgericht am 16. September 1970 ab (
BGE 96 I 297
ff.).
C.-
Mittlerweile hatte die Denner AG am 11. Mai 1970 beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen den Schweizerischen Bierbrauerverein, die Löwenbräu Zürich AG und die Brauerei A. Hürlimann AG Klage eingereicht. Sie beantragte insbesondere, festzustellen, dass der über sie verhängte Lieferboykott und die Preisdiskriminierung widerrechtlich seien (Rechtsbegehren 1 und 2 sowie 8 und 9), den Beklagten zu befehlen, den Lieferboykott und die Preisdiskriminierung aufzuheben bezw. sie mit Lager- und Spezialbier in Mehrwegflaschen zu gleichen Bedingungen wie alle übrigen Grossabnehmer des Lebensmittelhandels und unabhängig vom Endverkaufspreis zu beliefern, eventuell bei einem Endverkaufspreis von 50 Rp. für die 6 dl Mehrwegflasche Normalbier (Rechtsbegehren 3, 4 und 10); ferner festzustellen, dass die Beklagten
BGE 98 II 365 S. 368
verpflichtet seien, ihr den durch den Lieferboykott und die Preisdiskriminierung entstandenen Schaden zu ersetzen (Rechtsbegehren 5, 6 11 und 12).
Am 1. Oktober 1970 erhöhten die Brauereien den Endverkaufspreis für Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen von 70 auf 75 Rp., auf den 1. Dezember 1971 sodann um weitere 20 Rp. auf 95 Rp. als Richtpreis, wobei der gebundene Mindestpreis 80 Rp. für die Einzelflasche und 75 Rp. bei harassenweisem Verkauf beträgt. Der Engrospreis beläuft sich auf 66 Rp., abzüglich 2% Skonto bei Zahlung innert 14 Tagen und allfälliger Rückvergütung. Den Preisaufschlägen wurde durch Änderung der vorsorglichen Massnahmen Rechnung getragen, zuletzt durch Verfügung des Vizepräsidenten des Handelsgerichtes vom 30. November 1971, welche die Beklagten zur Lieferung verpflichtete, falls die Klägerin beim Verkauf von Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen den Preis von 75 Rp. für Einzelflaschen und von 70 Rp. bei harassenweisem Verkauf nicht unterschreite.
D.-
Am 7. März 1972 hiess das Handelsgericht die Klage, soweit sie sich gegen die Preisdiskriminierung richtete, teilweise gut. Es stellte fest, dass die Preisdiskriminierung mit Bezug auf Spezialbier (Streichung der Rückvergütung von 1,5 Rp. für die 3,3 dl Flasche oder Dose) widerrechtlich sei und befahl dem Schweizerischen Bierbrauerverein, die Preisdiskriminierung zu widerrufen und die ihm angeschlossenen Brauereien anzuweisen, der Klägerin alle Brauereiprodukte zu den gleichen Bedingungen wie allen übrigen Grossabnehmern des Lebensmittelhandels zu liefern, insbesondere unter Gewährung der gleichen Rückvergütung. Ausgenommen hievon sei die 6 dl Mehrwegflasche Lagerbier, solange die Liefersperre aufrechterhalten werden dürfe. Das Handelsgericht stellte auch gegenüber der Löwenbräu Zürich AG und der Brauerei A. Hürlimann AG die Widerrechtlichkeit der Preisdiskriminierung fest und befahl ihnen, der Klägerin alle Brauereiprodukte zu den gleichen Bedingungen wie allen andern Grossbezügern des Lebensmittelhandels zu liefern, insbesondere unter Gewährung der gleichen Rückvergütung. Ausgenommen hievon sei die 6 dl Mehrwegflasche Lagerbier, solange die Liefersperre aufrechterhalten werden dürfe.
Im übrigen wies das Handelsgericht die Klage ab.
Es führte dazu im wesentlichen aus: Die Liefersperre stelle
BGE 98 II 365 S. 369
eine Vorkehr im Sinne des
Art. 4 Abs. 1 KG
dar, durch welche die Klägerin im Wettbewerb erheblich behindert werde. Nach
Art. 5 Abs. 1 KG
sei indessen eine solche Massnahme ausnahmsweise zulässig, wenn sie durch überwiegend schutzwürdige Interessen gerechtfertigt ist und die Freiheit des Wettbewerbs zum angestrebten Ziel sowie nach Art und Durchführung nicht übermässig beeinträchtigt. Das treffe nach
Art. 5 Abs. 2 lit. e KG
insbesondere zu für die Durchsetzung angemessener Preisbindungen der zweiten Hand, namentlich soweit sie nötig sind, um die Qualität der Ware oder den Kundendienst zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall sei es möglich, dass bei Wegfall der Preisbindung die Qualität des Bieres nicht gehalten werden könne, doch brauche diese Frage nicht abschliessend geklärt zu werden, da die Preisbindung vor allem nötig sei, um den Kundendienst zu gewährleisten. Die Bierbrauer seien auf ein dichtes, weitverzweigtes Verteilnetz angewiesen. Der Verzicht auf die Preisbindung, die auch den herkömmlichen Geschäften eine angemessene Verdienstspanne gewährleiste, werde zu einem Preiskampf auf der Stufe der Detaillisten und als Folge davon zu einem Rückgang der Verkaufsstellen führen. Das bedeutete eine empfindliche Einbusse an Kundendienst. Die Preisbindung sei im übrigen angemessen, wenn die Kostenstruktur des durchschnittlichen Detaillisten gelte. Darauf sei bei der Beurteilung der Angemessenheit im Sinne des
Art. 5 Abs. 2 lit. e KG
abzustellen, nicht auf die Kalkulationsgrundlagen der Grossverteiler und Discountgeschäfte.
F.-
Die Beklagten haben sich mit der teilweisen Gutheissung der Klage abgefunden. Die Klägerin hingegen reichte neben einer Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich (die am 5. Juli 1972 abgewiesen wurde, soweit darauf eingetreten werden konnte) Berufung an das Bundesgericht ein. Sie hielt an ihren Klagebegehren, soweit sie das Handelsgericht abgewiesen hatte, fest. Eventualiter verlangte sie, dass der Endverkaufspreis pro 6 dl Mehrwegflasche Normalbier mit Rücksicht auf die Bierpreiserhöhung vom 1. Dezember 1971 auf Fr. 0,70 angesetzt werde. Zudem begehrte sie allenfalls die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klägerin hat in der Berufungsschrift im Hinblick
BGE 98 II 365 S. 370
auf "die Zuständigkeit des Bundesgerichts" (gemeint ist: auf die Zulässigkeit der Berufung) Ausführungen zum Streitwert gemacht, die überflüssig sind, weil das Bundesgericht gemäss
Art. 8 KG
ohne Rücksicht auf den Streitwert angerufen werden kann. Bei der Kostenbestimmung wird auf die Bedeutung der Streitsache abzustellen sein, namentlich wenn, wie hier, keine Geldsumme mehr gefordert wird.
2.
Mit der Berufung rügt die Klägerin auch, das angefochtene Urteil verletze ihr zustehende verfassungsmässige Rechte, nämlich den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit und den aus
Art. 4 BV
fliessenden Anspruch auf Rechtsgleichheit und auf rechtliches Gehör. Sie behauptet, Art. 43 Abs. 1, zweiter Satz OG, der die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger vorbehält, habe nicht den Sinn, den ihr die Rechtsprechung beilegt, sondern besage nur, dass neben der Berufung oder an ihrer Stelle auch die staatsrechtliche Beschwerde zulässig sei, schliesse aber nicht aus, dass diese Rüge mit der Berufung geltend gemacht werden könne; andernfalls hätte der Gesetzgeber nicht den Ausdruck "vorbehalten" verwendet, sondern die Berufung in diesem Punkte als unzulässig erklärt.
Das ist unzutreffend. Aus den Vorarbeiten zum OG von 1943 ergibt sich, dass nach der Meinung des Gesetzgebers die Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger nicht mit der Berufung gerügt werden kann. Bundesrichter Ziegler, Verfasser des Vorentwurfs zum OG vom 21. Mai 1940, führt zu Art. 49 Vorentw. (=
Art. 43 OG
) aus:
"Wenn nach Art. 49 des Vorentw ... die Berufung nur auf Verletzung von Bundesrecht gestützt werden kann, so ist darunter doch nicht alles Bundesrecht verstanden. Vielmehr kann wegen der Verletzung bundesverfassungsmässiger Rechte der Bürger durch ein der Berufung ... unterliegendes Zivilurteil, insbesondere des
Art. 4 BV
... nicht dieses Rechtsmittel benützt werden, sondern muss staatsrechtliche Beschwerde geführt werden ...".
In gleicher Weise wird in der Botschaft des Bundesrates vom 9. Februar 1943 (BBl 1943 S. 118) erklärt:
"Zu den Verletzungen von Bundesrecht, die in Zivilsachen mit der Berufung geltend zu machen sind, gehört nicht die Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger. Diese schon bisher bestehende Ausnahme zugunsten des staatsrechtlichen Rekurses wird im 2. Satz von Abs. 1 ausdrücklich vorbehalten."
BGE 98 II 365 S. 371
Bei der Beratung im Parlament wurde diese Auffassung nie in Frage gestellt (StenBull NR 1943 S. 92; StenBull StR S. 110, 227).
Lehre (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege S. 85; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 77) und Rechtsprechung standen seit jeher auf diesem Boden (siehe z.B.
BGE 94 II 156
E. 5,
BGE 95 II 40
E. 3). Zudem ist es sogar unzulässig, eine staatsrechtliche Beschwerde mit einer Berufung in gemeinsamer Eingabe einzureichen (
BGE 85 I 196
). Verhielte es sich anders und könnte mit der Berufung z.B. eine Beweiswürdigung als willkürlich gerügt werden, so wäre nicht verständlich, dass nach Art. 43 Abs. 3 und 63 Abs. 2 OG Bundesrecht durch Feststellungen über tatsächliche Verhältnisse nicht verletzt ist und dass das Bundesgericht diese Feststellungen seinem Urteil in Berufungssachen zugrunde zu legen hat, wenn sie nicht unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind oder aufeinem offensichtlichen Versehen beruhen.
Übrigens hat das Bundesgericht bei der Beurteilung der staatsrechtlichen Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich über vorsorgliche Massnahmen vom 21. April 1970 schon dargelegt, die Rüge betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit falle mit jener der Willkür zusammen; denn dass die Bestimmungen des KG, mit denen das Obergericht seinen Entscheid begründet habe (und auch das Handelsgericht begründet hat), selber gegen die Handels- und Gewerbefreiheit verstossen, behaupte die Klägerin nicht. Ein solcher Vorwurf stiesse übrigens ins Leere, da das Bundesgericht gemäss
Art. 113 BV
die Verfassungsmässigkeit der Bundesgesetze nicht überprüfen darf (
BGE 96 I 300
E. 2).
Auf die Berufung der Klägerin ist demzufolge insoweit nicht einzutreten, als sie damit die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügt.
3.
Nach
Art. 4 Abs. 1 KG
sind die Vorkehren eines Kartells, mit denen Dritte vom Wettbewerb ausgeschlossen oder in dessen Ausübung erheblich behindert werden, unter Vorbehalt der Ausnahmen gemäss
Art. 5 KG
unzulässig. Preisbindungen der zweiten Hand sind den Kartellen gleichgestellt, sofern sie auf Grund einer Kartellabrede auferlegt oder durchgesetzt werden (
Art. 2 Abs. 2 KG
).
a) Die Klägerin hält in der Berufung daran fest, dass die Preisbindung volkswirtschaftlich schädlich sei, ihre Aufhebung
BGE 98 II 365 S. 372
daher im öffentlichen Interesse liege. Sie verkennt damit, dass der Gesetzgeber mit der Anerkennung der Preisbindung ein wirtschaftspolitisches Werturteil gefällt hat, das der Richter nicht überprüfen darf. Die Rüge ist somit unbegründet.
b) Die Beklagten wenden unter Berufung auf
BGE 94 II 334
E. 2 b ein, die Liefersperre sei keine Vorkehr nach
Art. 4 Abs. 1 KG
, da das Discountgeschäft der Klägerin sich nach ihrer eigenen Darstellung grundlegend von einem herkömmlichen Lebensmittelgeschäft unterscheide.
Das Handelsgericht hat diese Auffassung mit Recht verworfen. Zwar führt das Bundesgericht im erwähnten Entscheid aus, es stehe einem Hersteller-Kartell frei, nur eine bestimmte Kategorie von Abnehmern, z.B. die Grossverteiler, zu beliefern; darin liege unter dem Gesichtspunkt des
Art. 4 KG
keine Benachteiligung der anderen Vertriebsstufen, z.B. der Detaillisten. Die Klägerin betätigt sich auf der gleichen Handelsstufe wie die übrigen Abnehmer der Brauereien und verkauft wie sie ihre Waren, insbesondere auch das Bier, den Konsumenten als Letztabnehmern. Dass ihre Geschäfte anders organisiert sind als die herkömmlichen Lebensmittelgeschäfte und sich auch von den üblichen Selbstbedienungsläden und Verkaufsstellen der Grossverteiler unterscheiden, ändert nichts. Die Klägerin hat daher nach
Art. 4 Abs. 1 KG
gegenüber den Bierbrauern grundsätzlich Anspruch, hinsichtlich Preisen und Bezugsbedingungen gleich behandelt zu werden wie die übrigen Detailgeschäfte des Lebensmittelhandels.
c) Das Handelsgericht hat die Vorkehr unter dem Gesichtspunkt der Erheblichkeit der Wettbewerbsbehinderung geprüft und damit die Voraussetzungen eines Wettbewerbsausschlusses der Klägerin sinngemäss verneint. Im Entscheid 91 II 37/38 sagte zwar das Bundesgericht, der auf Anpassung eines Aussenseiters gerichtete Boykott komme einem Marktausschluss gleich. DESCHENAUX, A propos de l'ouvrage "Das Schweizerische Kartellgesetz" du professeur Hans Merz (im folgenden ouvrage), ZSR 1968/87 I S. 91, N 31, erblickt darin mit Recht eine zu starke Vereinfachung. Das Kartell will mit dem Anpassungs- oder Unterwerfungsboykott den Dritten nicht vom Markt ausschliessen, sondern mit ihm Geschäftsbeziehungen aufnehmen oder fortsetzen, wenn er seine Bedingungen anerkennt (vgl. HOMBURGER, Rechtsgrundlagen der Interessenabwägung bei Anwendung des Kartellgesetzes, ZSR 1970/89 II S. 121).
BGE 98 II 365 S. 373
Dieser Gesichtspunkt fällt bei der Rechtfertigung einer Vorkehr nach
Art. 5 KG
ins Gewicht.
Im vorliegenden Fall sind die Beklagten bereit, die Klägerin weiterhin mit Lagerbier in 6 dl Mehrwegflaschen zu beliefern, wenn sie die Endverkaufspreise einhält. Es liegt somit nicht ein Marktausschluss, sondern eine bedingte Liefersperre vor.
d) Zu prüfen ist, ob die Klägerin durch die Vorkehr im Wettbewerb erheblich behindert werde.
In den Entscheiden 90 II 512 E. 8 und 91 II 318 E. 3 hat das Bundesgericht die Auffassung vertreten, dass die Behinderung des Aussenseiters in der freien wirtschaftlichen Tätigkeit erheblich sei, wenn sie eine gewisse Intensität aufweise; eine Behinderung, die bloss vorübergehend oder so leicht ist, dass sie nur geringe Unzukömmlichkeiten bewirke, falle ausser Betracht. Im Entscheid 91 II 319 E. 4 hat das Bundesgericht die Erheblichkeit der Wettbewerbsbehinderung mit Bezug auf eine Rabattverkürzung um ein halbes Prozent, die bei der damaligen Klägerin zu einer Schmälerung des Bruttogewinnes um drei Promille geführt hat, vernemnt. MERZ (Das Schweizerische Kartellgesetz, S. 44 ff.) kritisierte diesen Entscheid, der zu sehr auf einen quantitativen Gesichtspunkt abstelle und daher erlaube, dass jedes Geschäft mit grösserem Warensortiment für einzelne Artikel straflos boykottiert werden könne. Im Entscheid 94 II 336 hielt das Bundesgericht am quantitativen Erfordernis, das sich aus dem Gesetz ergebe, fest und fügte bei, dass das Kartellgesetz nach seinem Grundgedanken das Persönlichkeitsrecht auf freien Wettbewerb schütze. Es müsse daher grundsätzlich ("en principe") jede Behinderung dieser Freiheit als erheblich gewertet werden, wenn sie nicht bloss geringfügige Unzukömmlichkeiten zur Folge hat, die ohne jede praktische Tragweite für die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen sind. Diese Auffassung ist richtigzustellen.
Nach
Art. 31bis Abs. 3 lit. d BV
wurde das Kartellgesetz gegen "volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen" erlassen. Es muss also Kartelle und ähnliche Organisationen grundsätzlich anerkennen und sich darauf beschränken, Missbräuche in der Ausübung kollektiver Wirtschaftsmacht zu bekämpfen (vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1961 II S. 562). Daraus folgt, dass das Gesetz nach der Ordnungsvorstellung der Bundesverfassung das Recht des Aussenseiters auf ungestörte Ausübung
BGE 98 II 365 S. 374
des Wettbewerbes und das Recht der Kartellmitglieder an der Durchsetzung einer Wettbewerbsordnung grundsätzlich als gleichwertig anerkennen muss (SCHÜRMANN, Textausgabe des Kartellgesetzes mit Erläuterungen, S. 81/82; HOMBURGER, a.a.O., S. 74, 98 und 107, vgl. auch
BGE 86 II 376
/77). Ist aber grundsätzlich Gleichwertigkeit der sich gegenüber stehenden Privatrechte anzunehmen, so kann es kein absolut geschütztes Recht auf ungehinderte Teilnahme am freien Wettbewerb geben (HOMBURGER, a.a.O., S. 90). Gemeinsame gleichgerichtete Wettbewerbsbehinderungen sind nach dem Gesetz erst dann widerrechtlich, wenn sie den Aussenseiter in seiner Betätigungsfreiheit erheblich behindern und nicht durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt werden können (
Art. 4 und 5 KG
). Der Gesetzgeber hat das Erfordernis der Erheblichkeit bewusst aufgestellt in der Meinung, "dass eine bloss geringfügige Beeinträchtigung, die den Aussenseiter in seiner Geschäftstätigkeit nicht wesentlich beeinflusst", nach
Art. 4 KG
ausser Betracht falle (Botschaft des Bundesrates, BBl 1961 II S. 580,
BGE 94 II 336
mit Hinweisen). Er wollte also den Kartellen und ähnlichen Organisationen im Wirtschaftskampf eine gewisse Bewegungsfreiheit einräumen (DESCHENAUX, ouvrage, S. 85; GUTERSOHN, Kartellpolitik und Gewerbe, in Festschrift für Walther Hug, S. 575). Die in Anlehnung an MERZ (a.a.O., S. 44 ff.) vertretene Auffassung, jede Wettbewerbsbehinderung sei grundsätzlich unzulässig, kann daher nicht aufrechterhalten werden.
Die Behinderung muss, um erheblich zu sein, wettbewerbspolitisch relevante Gesichtspunkte des geschäftlichen Handelns berühren, wie Preise, Konditionen, Nebenleistungen usw. (vgl. SCHÜRMANN, a.a.O., S. 70) und fühlbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Gesamtsituation des betroffenen Unternehmens haben (vgl. DESCHENAUX, a.a.O., S. 85). Der Richter hat daher zu untersuchen, worin die Vorkehr besteht und welche Auswirkungen sie auf die Handlungsfreiheit des Betroffenen, auf die Struktur und die Entwicklung seines Betriebes haben kann. Dabei ist nicht massgebend, dass das Geschäft des Aussenseiters trotz der Benachteiligung nicht zugrunde gerichtet worden ist, sondern sich günstig hat entwickeln können (
BGE 94 II 336
/37 E. 3).
aa) Wie das Handelsgericht verbindlich feststellt, entfallen 78% des Gesamtverbrauches an Bier in der Schweiz auf die
BGE 98 II 365 S. 375
6 dl Flasche Lagerbier. Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, dass nur rund 2% des Gesamtumsatzes der Klägerin auf Bier entfalle und dass der darauf erzielte Reingewinn nicht mehr als 1,5% betrage. Dieser Umsatz, den die Klägerin übrigens nur durch den Verkauf von inländischen und ausländischen Spezialbieren erzielt, stiege zweifellos entscheidend, wenn die Liefersperre dahinfiele. Es liegt somit eine erhebliche Behinderung vor, wobei auch ins Gewicht fällt, dass Bier volkswirtschaftlich ein stark gefragter Artikel ist.
bb) Die Beklagten machen in der Berufungsantwort geltend, seit dem handelsgerichtlichen Urteil habe sich die Lage insofern verändert, als die Klägerin nun auch Lagerbier in Mehrwegflaschen verkaufe. Darin zeige sich, dass es für sie offenkundig kein Problem sei, mit diesem Artikel beliefert zu werden.
Es fragt sich, ob es sich um ein neues Vorbringen handelt, das nach
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
unzulässig ist. Die Klägerin führte in der Klagebegründung selber aus, dass sie seit der Liefersperre durch die Beklagten Bier einer Eigenmarke und Importbiere in Einwegflaschen und Dosen verkaufe. In der Duplik machten die Beklagten geltend, die Klägerin habe in ihren Discountgeschäften während eines gewissen Zeitraumes Lagerbier der Lupo-Brauerei in Mehrwegflaschen geführt, den Verkauf inzwischen jedoch eingestellt. Das Handelsgericht hat aus den Parteidarstellungen gefolgert, die Beklagten hätten - im Gegensatz zum Massnahmeverfahren - die Erheblichkeit der Behinderung nicht mehr mit dem Hinweis bestritten, die Klägerin habe die Möglichkeit, sich das Lagerbier in 6 dl Pfandflaschen von der Lupo-Brauerei in Hochdorf oder einem andern Aussenseiter oder aus dem Ausland zu beschaffen. Ob die Vorinstanz aus den prozessualen Erklärungen der Parteien die richtigen Schlüsse gezogen hat, ist eine Frage des kantonalen Verfahrensrechtes, dessen Auslegung die Berufungsinstanz nicht überprüfen darf (
Art. 43 OG
,
BGE 95 II 629
). Die Behauptung der Beklagten gilt daher als neu. Aber selbst wenn sie zu berücksichtigen wäre, müsste die Erheblichkeit der Behinderung bejaht werden. Nach den Feststellungen der Schweizerischen Kartellkommission im Bericht über den Biermarkt (VKK 1966, S. 95) gibt es in der Schweiz neben der Lupo-Brauerei in Hochdorf nur noch zwei Aussenseiter, die Boxer SA in Romanelsur-Lausanne und die Kronenbrauerei AG in Herisau. Der Marktanteil dieser Aussenseiter-Brauereien beträgt 1%, jener
BGE 98 II 365 S. 376
der Importbiere etwas mehr als 1% des Gesamtausstosses der Mitglieder des Schweizerischen Bierbrauervereins. Dieser Vergleich zeigt, dass der schweizerische Konsument das Markenbier der Verbandsbrauereien eindeutig bevorzugt. Unter diesen Umständen können das Bier der Aussenseiter-Brauereien und das Importbier nicht als echte Substitutionskonkurrenz der Kartellbrauereien betrachtet werden. Freilich mag dazu der Umstand beitragen, dass der Schweizerische Bierbrauerverein durch seine Billigpreispolitik dafür sorgt, dass das Preisgefälle zum Importbier gross bleibt und dass die Konkurrenz der Aussenseiter-Brauereien nicht wirksam wird (VKK 1966, S. 140). Es bleibt somit dabei, dass die Liefersperre der Beklagten für die Klägerin eine erhebliche Behinderung bildet.
4.
Nach
Art. 5 KG
ist die Wettbewerbsbehinderung im Sinne von
Art. 4 KG
zulässig, sofern die Vorkehren durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt sind und sie die Freiheit des Wettbewerbes im Verhältnis zum angestrebten Ziel sowie nach Art und Durchführung nicht übermässig beeinträchtigen (Grundsatz der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität).
Art. 5 Abs. 2 lit. a-e KG
erwähnt Beispiele, die als überwiegende schutzwürdige Interessen "insbesondere in Betracht" fallen.
a) Im vorliegenden Fall stellt sich in erster Linie die Frage, ob die Liefersperre der Klägerin durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt werden kann. Ist sie zu bejahen, so braucht nicht untersucht zu werden, ob die Beklagten den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität verletzt haben; denn bei der gegebenen Sachlage kann die Preisbindung der zweiten Hand nur durch eine Liefersperre durchgesetzt werden.
Es geht somit darum, die im Spiele stehenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Ob das Interesse des Kartells an der Wettbewerbsbehinderung als schutzwürdiger zu betrachten sei, hängt, wie aus den Rechtfertigungsbeispielen des
Art. 5 Abs. 2 KG
zu entnehmen ist, von den Umständen des Einzelfalles ab (Botschaft des Bundesrates, BBl 1961 II S. 583, SCHÜRMANN, a.a.O., S. 83, HOMBURGER, a.a.O., S. 69, 125 und 134 ff.). Die Rechtsprechung vor Erlass des Gesetzes (
BGE 86 II 378
) verlangte zur Rechtfertigung des Boykottes, dass er "offensichtlich überwiegende berechtigte Interessen" verfolgen müsse, die "auf keine andere Weise wahrgenommen werden können". Diese erschwerenden Voraussetzungen sind aber
BGE 98 II 365 S. 377
nicht Gesetz geworden. Indem der Gesetzgeber das Wort "offensichtlich" in
Art. 5 KG
nicht aufnahm, räumte er dem richterlichen Ermessen einen breiteren Spielraum ein, ermöglichte er also unter Umständen auch die Berücksichtigung "leicht überwiegender Interessen" (vgl. HOMBURGER, a.a.O., S. 124, SCHÜRMANN, a.a.O., S. 83 und 85). Im Entscheid 94 II 339 führte anderseits das Bundesgericht unter Hinweis auf DESCHENAUX (L'esprit de la loi sur les cartels, Etudes de droit commercial en l'honneur de Paul Carry, Genève 1964, S. 218) aus, dass nur solche Interessen als überwiegend schutzwürdig zu betrachten seien, die positiv im Gesamtinteresse liegen; diese Auslegung dränge sich durch die Analyse der in
Art. 5 Abs. 2 KG
erwähnten Beispiele auf. Daran kann nicht festgehalten werden. Nach dem Entwurf des Bundesrates (BBl 1961 II S. 614) müssen die Kartellinteressen an der Wettbewerbsbehinderung mit dem "Gesamtinteresse" vereinbar sein. In der Gesetzesberatung wurde diese Umschreibung aus redaktionellen Gründen gestrichen, weil im Begriff "schutzwürdige Interessen" zweifellos das Gesamtinteresse bereits enthalten und es nicht vorstellbar sei, dass es überwiegende schutzwürdige Interessen gebe, die nicht mit dem Gesamtinteresse übereinstimmten (so Votum Schürmann, StenBull NR 1962 S. 649; Erklärung von Bundesrat Schaffner im Ständerat, StenBull StR 1962 S. 201). Indessen fallen nicht nur solche Interessen zur Rechtfertigung einer Vorkehr in Betracht, die das Gesamtinteresse fordert. Vielmehr können bereits solche Interessen genügen, die dem Gesamtinteresse nicht zuwiderlaufen, mit ihm also vereinbar sind; denn sonst wären die Kartelle gemeinnützige Einrichtungen (SCHÜRMANN, a.a.O., S. 84). Auch aus den in
Art. 5 Abs. 2 KG
erwähnten Beispielen ist nicht ersichtlich, dass für die Rechtfertigung einer Vorkehr nur Kartellinteressen in Frage kommen, die positiv im Gesamtinteresse liegen; andernfalls wäre unverständlich, weshalb der Gesetzgeber in
Art. 5 Abs. 2 lit. c KG
den Zusatz "im Gesamtinteresse erwünscht" noch eigens aufgenommen hat.
b) Als überwiegendes schutzwürdiges Interesse anerkennt
Art. 5 Abs. 2 lit. e KG
die Durchsetzung angemessener Preisbindungen der zweiten Hand, namentlich soweit sie nötig sind, um die Qualität der Ware oder den Kundendienst zu gewährleisten. Die Beklagten berufen sich auf diesen Rechtfertigungsgrund.
Der Begriff der Angemessenheit ist umstritten. SCHÜRMANN
BGE 98 II 365 S. 378
(a.a.O.. S. 96) will nur "extreme, offensichtlich unangemessene und unbillige Preisbindungen" nicht geschützt wissen, weil das Kartellgesetz eine behördliche oder richterliche Preiskontrolle nicht zum Gegenstand haben könne. Der Wortlaut des Gesetzes gestattet eine solche Einschränkung nicht, sondern er verlangt ausdrücklich Überprüfung auf die Angemessenheit. Zu diesem Zwecke hat der Richter die Kalkulations- und Margenverhältnisse zu prüfen, wie es das Handelsgericht getan hat, und gestützt darauf die konkreten Verhältnisse der Branche zu würdigen (MERZ, a.a.O, S. 67, DESCHENAUX, ouvrage S. 86, N. 25, VKK (Spirituosengutachten), 1971, S. 35). Freilich spielt dabei das Ermessen eine wesentliche Rolle, und der Richter wird sich daher eine gewisse Zurückhaltung auferlegen und den gebundenen Preis nur dann als übersetzt betrachten, wenn darüber kein Zweifel besteht (vgl. MATILE, Problèmes du droit suisse des cartels, ZSR 1970/
BGE 89 II 236
). Der Zusatz ("namentlich.... zu gewährleisten") hat nicht den Sinn einer weiteren Einschränkung, die zum Erfordernis der Angemessenheit hinzutritt, wie in
BGE 96 I 303
unter Hinweis auf MERZ (a.a.O., S. 67) dargetan wird. Es handelt sich vielmehr um einen Hinweis auf den hauptsächlichen Anwendungsbereich der Preisbindung, ohne dass sie darauf beschränkt wird (SCHÜRMANN, a.a.O., S. 97, VKK (Spirituosenguatchten) 1971, S. 34). Die Erhaltung der Qualität der Ware oder des Kundendienstes ist daher neben andern Gründen im Rahmen der Angemessenheit zu würdigen.
c) Die Klägerin bestreitet auch im Berufungsverfahren, dass die Beklagten ein überwiegendes schützenswertes Interesse an der Preisbindung haben.
Nach Auffassung des Handelsgerichtes ist die Preisbindung der Beklagten in erster Linie deshalb gerechtfertigt, weil sie zur Gewährleistung des Kundendienstes beitrage. Was unter Kundendienst zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht ausdrücklich, und in den Kreisen der Wirtschaft scheinen darüber keine einhelligen Meinungen zu bestehen. In erster Linie versteht man darunter die Bedienung und Beratung durch gelerntes Personal, die Verpackung der Waren, die Wartung und den Reparaturdienst bei technischen Geräten und dgl. (
BGE 96 I 304
, MATTMANN, Die Preisbindung der zweiten Hand nach schweizerischem Kartellgesetz, Diss. Freiburg 1970, S. 64/65). In einem weiteren Sinne gehört zum Kundendienst auch ein
BGE 98 II 365 S. 379
weitverzweigtes Netz von Verkaufsstellen, wenn ein solches nötig ist (vgl. MATILE, a.a.O., S. 247). Ob diese Voraussetzung erfüllt sei, ist daher für jede Ware gesondert zu beurteilen. So hat die Kartellkommission im Bericht über die Wettbewerbsverhältnisse auf den Märkten für pharmazeutische und kosmetische Produkte (VKK 1966 S. 286, 289 und 292) die Auffassung vertreten, die Preisbindung könne für pharmazeutische Produkte mit gesundheitspolitischen Gründen gerechtfertigt werden, weil beim Verschwinden von Grenzbetrieben, vor allem in abgelegenen Gegenden und gewissen Vororten der Städte, die Versorgung mit Heilmitteln beeinträchtigt würde. Freilich mag der Klägerin darin beigepflichtet werden, dass der dichten Streuung von Apotheken unter dem Gesichtspunkt des Gesamtinteresses die grössere Bedeutung zukommt als der Aufrechterhaltung von Bierverkaufsstellen. Doch ist nicht zu übersehen, dass die Bierverkaufsstellen zur Erhaltung von Detailgeschäften und damit zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebens- und Genussmitteln beitragen, ihr Schutz daher ebenfalls im Gesamtinteresse liegt. Die Klägerin anerkennt denn auch selber, dass die Möglichkeit, in der Nähe des Wohnortes Bier einzukaufen, einen Kundendienst darstelle. Unter diesen Umständen kann mit dem Handelsgericht offen bleiben, ob die Preisbindung auch mit der Sorge um die Erhaltung der Qualität gerechtfertigt werden kann.
d) Das Handelsgericht stellt fest, dass mit der Aufhebung der Preisbindung für andere Markenartikel ein Preiskampf auf der Detailhandelsstufe eingesetzt habe und dass die Klägerin mit ihren Rechtsbegehren die Freiheit erlangen wolle, einen solchen Kampf zu führen und damit zur Senkung einer ihrer Ansicht nach übersetzten Detailhandelsmarge beizutragen.
Soweit das Handelsgericht daraus den Schluss zieht, mit der Aufhebung der Preisbindung auf dem Lagerbier sei ein Preiskampf zu erwarten, liegt nach zutreffender Auffassung des Kassationsgerichts eine Feststellung tatsächlicher Art vor, die das Bundesgericht bindet (
Art. 63 Abs. 2 OG
). Hingegen fragt es sich, ob der weitere Schluss des Handelsgerichts, der Preiskampf werde zu einem Rückgang der Bierverkaufsstellen und damit zu einer Beeinträchtigung des Kundendienstes führen, als verbindliche Feststellung tatsächlicher Art (so die Beklagten) oder als blosse Annahme (so die Klägerin) zu werten sei, die das Bundesgericht nicht bindet (vgl.
BGE 92 II 144
E. 2
BGE 98 II 365 S. 380
und dort erwähnte Entscheide, BIRCHMEIER, a.a.O., S. 89, DESCHENAUX, La distinction du fait et du droit dans les procédures de recours au Tribunal fédéral, S. 24). Es geht dabei nicht etwa um die Frage, ob zwischen bestimmten Tatsachen oder Ereignissen ein Verhältnis von Ursache und Wirkung bestehe, die vom Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung dem Gebiet der tatbeständlichen Feststellungen zugewiesen wird (
BGE 92 II 140
E. 2,
BGE 93 II 29
E. 6, 337 E. 4,
BGE 96 II 37
E. 3, 395 E. 1). Auch handelt es sich nicht um die sog. hypothetische Kausalität, nämlich um die Frage, welche Wirkungen eine Tatsache in der Vergangenheit gehabt hätte, wenn sie eingetreten wäre (vgl.
BGE 86 II 187
E. 3 lit. b). In Frage steht vielmehr eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Vermutung über die künftige Entwicklung. Diese lässt sich allerdings nicht beweisen, sondern nur mutmassen. Der Richter darf daher von den Beklagten nur den Nachweis solcher Umstände verlangen, die ihm Mutmassungen erlauben über eine Entwicklung, welche unter dem streitigen Rechtfertigungsgrund erheblich ist.
Dass der mit dem Wegfall der Preisbindung festgestelltermassen verbundene Preiskampf zu einer Senkung der Detailhandelsspanne auf dem Biermarkt führen würde, entspricht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge. Nichts deutet darauf hin, dass die Entwicklung auf dem Biermarkt anders verliefe als die Erfahrung seit der Aufhebung der Preisbindung für die andern Markenartikel gezeigt hat. Insbesondere müssten die kleineren Detaillisten wegen ihrer ungünstigen Kostenstruktur das Lagerbier wesentlich teurer verkaufen als die Discountgeschäfte. Sie hätten kaum Aussicht, dass ihnen der Bierverkauf durch den Kundendienst gesichert wäre; dieser bezieht sich ja vor allem auf die problematischen Artikel, hilft ihnen somit für den Absatz der problemlosen Artikel nicht. Es kann daher nicht im Ernst bestritten werden, dass das durch den Wegfall der Preisbindung verursachte Preisgefälle zu einer nicht unbedeutenden Abwanderung der Kundschaft von den Detailhandelsgeschäften zu den Discountgeschäften führen würde. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht der Klägerin, mit der Preisbindung würden "übersetzt dotierte Branchen und Branchenstrukturen" erhalten. Das kann doch nur bedeuten, dass auch die Klägerin mit der Aufhebung der Preisbindung einen Rückgang der Bierverkaufsstellen und
BGE 98 II 365 S. 381
damit eine Zunahme ihres Absatzes erwartet. Die Vorteile, die mit der Aufhebung der Preisbindung verbunden wären, kämen nur solchen Leuten zugut, welche mit dem eigenen Wagen zu den abgelegenen Einkaufszentren fahren, während die andern in den herkömmlichen Detailhandelsgeschäften teurer einkaufen müssten. Es liegt aber im Gesamtinteresse, dass die ganze Bevölkerung dank einem dichten Netz von Verkaufsstellen gleichmässig und grundsätzlich zu gleichen Bedingungen mit Bier versorgt werden kann.
Gewiss trifft zu, dass auf dem Lebensmittelmarkt seit einigen Jahren ein Schrumpfungsprozess im Gange ist. Aber diese Entwicklung hängt u.a. mit der Aufgabe der Preisbindung auf den Markenartikeln zusammen und würde mit dem Wegfall der Preisbindung für Bier verschärft, wie das Handelsgericht zutreffend bemerkt. Die Beklagten haben Anspruch auf Durchsetzung ihrer Preisbindung, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, unbeschadet des Umstandes, dass die Preisbindung für die anderen Markenartikel gefallen ist.
e) Das Handelsgericht stellt fest, dass zu Beginn des Prozesses der Engrospreis für Bier in 6 dl Mehrwegflaschen 50 Rp., abzüglich 2% Kassenskonto (= 1 Rp.) sowie 3 Rp. Rückvergütung für Grossisten, und der vorgeschriebene Detailverkaufspreis 70 Rp. betrug, abzüglich Rabatte bis höchstens 8%. Nach der Bierpreiserhöhung auf den 1. Dezember 1971 belief sich der Ankaufspreis (Engrospreis) auf 66 Rp., der Richtpreis auf 95 Rp. und der gebundene Mindestpreis auf 80 Rp. pro Einzelflasche bzw. 75 Rp. bei harassenweisem Verkauf. Unter Berücksichtigung von 2% Skonto und der erwähnten Rückvergütung vermindert sich der Einstandspreis für Grossbezüger auf 61, 68 Rp.
Nach der Betriebsstatistik des Veledes für das Jahr 1969 schwankt der durchschnittliche Bruttogewinn (der nicht mit der Marge identisch ist, sondern tiefer liegt) in den Bedienungsläden der Branche zwischen 17,63% und 16,41%, in den Selbstbedienungsläden zwischen 18,37% und 16,81%. Etwas besser gestellt sind die herkömmlichen Grossverteiler, die nach der unbestrittenen Darstellung der Klägerin mit einer Kostenbelastung (direkten Kosten des Verkaufsgeschäftes) von 14-18% rechnen. Nach Abzug von 2% Skonto und der üblichen Rückvergütung beläuft sich ihr Einstandspreis auf 61,68%, so dass sich eine Marge von 22,9% ergibt. Anders liegen die Verhältnisse
BGE 98 II 365 S. 382
bei der Klägerin. Nach ihren Kalkulationsgrundlagen, die das Handelsgericht ohne Stellungnahme widergibt, beträgt ihre Marge unter der neuen Bierpreisregelung bei einem Engrosverkaufspreis von 61,68 Rp. und einem Verkaufspreis von 70 Rp. 11,88% (8,32 Rp.) und der Nettogewinn 4,89%. Die Klägerin behauptete sogar unwidersprochen, für einen Discounter sei ein Nettogewinn von 1,30% durchaus normal. Sie hatte deshalb beabsichtigt, im Herbst 1969 die Flasche Lagerbier bei einem Einstandspreis von 46 Rp. zum Preise von 50 Rp. zu verkaufen.
Die Klägerin wirft dem Handelsgericht Verletzung von Bundesrecht vor, weil es die Angemessenheit des gebundenen Preises nach den Verhältnissen der Selbstbedienungsläden und Supermärkte, statt nach der Eigenart der Discountgeschäfte beurteile.
aa) Es entspricht dem Wesen der Preisbindung, dass der Lieferant allen Endverkäufern den gleichen Preis vorschreibt (MATILE, a.a.O., S. 241, MATTMANN, a.a.O., S. 74/75). Die Discountgeschäfte betätigen sich, wie erwähnt, auf der gleichen Handelsstufe wie die Grossverteiler und Detaillisten. Sie stehen also mit ihnen im Wettbewerb. Dabei haben sie den Vorteil, dass sie nach Darstellung der Klägerin nur eine stark bedchränkte Auswahl problemloser Waren führen, keinen Kunsendienst anbieten und daher wesentlich billiger verkaufen als die andern Detailhandelsgeschäfte. Die Preisgestaltung ist aber das Wesensmerkmal der Konkurrenz. Die Discountgeschäfte konzentrieren denn auch ihre Werbung auf den (tieferen) Preis und rechnen damit, dass Kunden, die besonders günstig einkaufen wollen, ihre Angebote gerade deswegen für vorteilhafter halten als solche anderer Geschäfte (vgl.
BGE 94 IV 37
). Die Discountgeschäfte haben sowenig wie die unwirtschaftlichsten Betriebe Anspruch darauf, dass sich die Angemessenheit der Preisbindung nach ihren Verhältnissen richte. Würde auf die Kostenbelastung der unter günstigsten Bedingungen arbeitenden Discountgeschäfte abgestellt, so ergäbe sich der Endverkaufspreis ohne Vorschrift des Lieferanten und wäre daher die Preisbindung sinnlos (vgl.
BGE 96 I 306
). Das Handelsgericht weist daher zutreffend darauf hin, dass die Preisbindung die Verhältnisse der Durchschnittsdetaillisten zu berücksichtigen hat, wenn sie ihren Zweck - Erhaltung eines dichten Absatzstellennetzes - erreichen will. Daraus folgt, dass der gebundene
BGE 98 II 365 S. 383
Mindestpreis erheblich über dem von der Klägerin errechneten Detailverkaufspreis von 50 Rp. nach der alten und von 70 Rp. nach der neuen Bierpreisordnung liegen muss.
bb) Fragen kann sich, ob und gegebenenfalls inwiefern die Endverkaufspreise für die 6 dl Flasche Lagerbier mit Rücksicht auf die besondere Kostenstruktur der Discountgeschäfte unterschiedlich festgelegt werden dürfen (Preisspaltung). Das Gesetz spricht sich über die Zulässigkeit der Preisspaltung nicht aus. Sie wird in der Lehre (MATTMANN, a.a.O., S. 74/75, MATILE, a.a.O., S. 241) unter der Voraussetzung anerkannt, dass sie sachlich begründet ist, also mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung übereinstimmt. Ebenso hält die Kartellkommission die Preisspaltung unter Umständen für zulässig. So führt sie im Spirituosengutachten (VKK, 1971 S. 37/38) aus, dass bei problemlosen Artikeln mit dem Aufkommen des Discountsystems eine Preisbindung mit Margen, die auf die Bedürfnisse der kostenintensivsten Betriebsart abstellen, unangemessen geworden sei. Damit sagt freilich die Kartellkommission nicht, die Preisbindung habe sich nach den Verhältnissen der rationellsten Betriebe zu richten.
Ob die Preisspaltung grundsätzlich zuzulassen sei, kann offen bleiben. Jedenfalls kann sie hier nur insoweit in Frage kommen, als sie mit dem Zweck der Preisbindung - Erhaltung des dichten Verteilernetzes und damit Schutz der kostenintensiveren Betriebe - vereinbar ist. Dieses Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn das Gefälle zwischen dem höheren und niedrigeren Preis nicht allzu gross ist. Das bedeutet nach zutreffender Auffassung des Handelsgerichts, dass in erster Linie die Kostenstruktur der Durchschnittsdetaillisten, nicht jene der Grossverteiler und Discounter massgebend ist. Die beiden (oder mehreren) Preise müssen also so gestaffelt sein, dass die Abwanderung der Kundschaft von den herkömmlichen Detailhandelsgeschäften zu den Discountern und damit ein Rückgang der Bierverkaufsstellen vermieden oder wenigstens nicht gefördert wird. Wollte man die Klägerin wegen ihrer besonderen Vertriebsform anders behandeln, so hätte unter der alten Bierpreisregelung der niedrigere gebundene Preis wesentlich über dem von der Klägerin errechneten Detailpreis von 50 Rp. pro Flasche liegen müssen. Es wäre einer Aufhebung der Preisbindung gleichgekommen, wenn die Beklagten im Herbst 1969 den gebundenen Endverkaufspreis für die Klägerin auf
BGE 98 II 365 S. 384
50 Rp., also bloss um 1 Rp. höher als den für den Kleindetaillisten geltenden Einstandspreis festgesetzt hätten. Nach der heute geltenden Preisregelung vom 1. Dezember 1971 läge der von der Klägerin eventualiter angestrebte Endverkaufspreis der 6 dl Mehrwegflasche Lagerbier von 70 Rp. etwa 5 Rp. über dem Einstandspreis der Kleindetaillisten von 66 Rp., abzüglich 2% Skonto, jedoch 25 Rp. unter dem Richtpreis von 95 Rp. und 10 Rp. unter dem gebundenen Mindestpreis von 80 Rp. Dieser Mindestpreis würde indessen nach verbindlicher Feststellung des Handelsgerichts selbst einem herkömmlichen Grossverteiler praktisch keinen Gewinn mehr abwerfen, folglich erst recht einem Kleindetaillisten nichts mehr eintragen. Ist aber der Unterschied zwischen dem gebundenen Preis von 80 Rp. und dem höheren Preis, den der Detaillist wegen der ungünstigen Kostenstruktur und des Kundendienstes verlangen darf, nicht zu gross, so wird der Detaillist immer noch geschützt und kann der Zweck der Preisbindung noch erreicht werden. Die Herabsetzung des Preises auf 70 Rp. fällt ausser Betracht, käme sie doch einer Aufhebung der Preisbindung gleich. Diese ist daher noch angemessen, wenn sie 80 Rp., mindestens aber 75 Rp. beträgt, da im Handel nur noch mit ganzen Fünfern gerechnet wird.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 7. März 1972 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cb8bcc16-f702-49a4-b503-949c9828db61 | Urteilskopf
106 Ib 294
43. Estratto della decisione 16 maggio 1980 della II Corte di diritto pubblico nella causa B. c. Dipartimento federale di giustizia e polizia (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Art. 15 BewB
; aufschiebende Wirkung.
1. Gegenstandslos gewordene Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Das Bundesgericht schreibt die Sache vom Geschäftsregister ab und entscheidet über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes (
Art. 72 BZP
, analog anwendbar gemäss
Art. 40 OG
).
2. Auskunftsbegehren gemäss
Art. 15 BewB
; Entzug der einer allfälligen Beschwerde zukommenden aufschiebenden Wirkung und Verweigerung der Wiederherstellung durch die Beschwerdeinstanz (
Art. 55 VwVG
); Rechtmässigkeit der verfügten Massnahme im vorliegenden Falle. | Sachverhalt
ab Seite 294
BGE 106 Ib 294 S. 294
Nell'ambito di una procedura d'accertamento avviata nel 1978 giusta l'
art. 15 DAFE
, la Divisione federale della giustizia (DFG) - ora Ufficio federale di giustizia - chiedeva alla Texon Finanzanstalt determinate informazioni su tre conti di cui era titolare il dott. B., e con la relativa decisione (del 2 giugno) toglieva anche l'effetto sospensivo ad un eventuale ricorso in applicazione dell'
art. 55 cpv. 2 PA
. Il dott. B., a cui la suddetta decisione era stata trasmessa dal Credito Svizzero, cessionario dei crediti della Texon Anstalt, impugnava allora
BGE 106 Ib 294 S. 295
codesta pronunzia dinanzi al Dipartimento federale di giustizia e polizia (DFGP), postulando fra l'altro la restituzione e, risp., la concessione dell'effetto sospensivo. Quest'ultima domanda veniva però respinta dal Dipartimento con decisione incidentale del 14 giugno 1978.
Il dott. B. è insorto con tempestivo ricorso di diritto amministrativo contro codesta decisione incidentale, chiedendo al Tribunale federale di annullarla e di restituire l'effetto sospensivo al suo gravame del 12 giugno 1978 presentato al DFGP.
Con le osservazioni responsive, il DFGP ha rilevato in sostanza che l'inchiesta esperita nei confronti della Texon Finanzanstalt s'era conclusa già il 27 giugno 1978 con l'ottenimento delle informazioni richieste, che la responsabilità del dott. B. non era stata posta in discussione, che la decisione incidentale del 14 giugno 1978 doveva, in queste circostanze, esser ritenuta senza oggetto, e che per conseguenza anche il ricorso proposto dal dott. B. davanti al Tribunale federale era da considerarsi ormai privo d'oggetto.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
(Ammissibilità di principio del ricorso di diritto amministrativo.)
2.
(Costatazione della sopravvenuta carenza d'oggetto del ricorso stesso.)
3.
Allorché, come nella fattispecie, una lite diventa senza oggetto o priva d'interesse giuridico per le parti, il Tribunale federale dichiara il processo terminato e statuisce, con motivazione sommaria, sulle spese, tenendo conto dello stato delle cose prima del verificarsi del motivo che termina la lite (
art. 72 PC
applicabile per analogia in virtù dell'
art. 40 OG
;
DTF 105 Ia 151
).
a) Secondo la giurisprudenza, l'autorità chiamata a decidere dell'effetto sospensivo di un ricorso deve ponderare gli opposti interessi: secondo che sia prevalente quello a favore dell'effetto sospensivo o quello ad esso contrario, manterrà o toglierà l'effetto medesimo, e, in caso di ricorso, lo restituirà o rifiuterà di restituirlo. Disponendo d'una certa latitudine di giudizio, essa si fonderà in generale sui documenti di cui dispone al momento del giudizio, senza ordinare un complemento di prove, e terrà conto delle probabilità di esito favorevole nel merito solo in assenza di seri
BGE 106 Ib 294 S. 296
dubbi (
DTF 100 Ib 497
/98 consid. 2;
DTF 99 Ib 221
consid. 5;
DTF 98 V 222
consid. 4).
b) Nel caso in esame, l'importanza dell'inchiesta aperta dalla DFG nell'ambito delle sue competenze (art. 15 cpv. 1 in comb. con l'art. 17 cpv. 1 lett. c DAFE) giustificava pienamente l'avvenuta soppressione dell'effetto sospensivo, onde evitare in particolare eventuali modifiche della situazione di fatto, l'alterazione dei documenti o persino la loro distruzione. D'altra parte, gli interessi del ricorrente erano salvaguardati in casu dal preciso impegno assunto dall'autorità inquirente, secondo cui i dati ottenuti sarebbero stati utilizzati soltanto dopo l'evasione del gravame presentato dal ricorrente stesso contro la decisione 2 giugno 1978 della DFG.
Contrariamente a quel che il ricorrente assevera, la DFG non aveva poi soltanto il diritto, ma addirittura il dovere di aprire in casu un'inchiesta onde appurare con compiutezza la destinazione e l'utilizzazione dei mutui concessi dalla Texon Anstalt (cfr.
DTF 99 Ib 405
consid. 3; sentenza inedita 26 luglio 1977 in re Silvaplanina S.A., consid. 2 b in fine). Ora, quando l'autorità federale ha avviato la procedura d'accertamento il 2 giugno 1978, non aveva in effetti ragione alcuna per escludere dalle indagini i conti bancari che interessavano il ricorrente poiché soltanto in seguito, dopo aver ottenuto le informazioni richieste dal Credito Svizzero e dalla Texon Anstalt, la DFG ha potuto constatare che, dal profilo del DAFE, la responsabilità del dott. B. non era messa neppure in discussione. Né giova al ricorrente invocare in questo contesto il segreto bancario poiché, per volontà stessa del legislatore, codesto segreto non può essere opposto all'obbligo di informazione e di edizione previsto dall'
art. 15 DAFE
(v. Boll. uff. CN 1972, pagg. 2251/52; FF 1972 II 1051;
DTF 105 Ib 308
/9 consid. 3 c; sentenza 14 novembre 1975 in re DFG c. Société immobilière Rue de Lausanne, apparsa nella Revue suisse du notariat et du registre foncier 58/1977, pagg. 61/62 consid. 3 c; sul segreto professionale in questo campo cfr. inoltre
DTF 102 Ia 530
e
DTF 101 Ib 246
/48 consid. 2). L'affermazione del dott. B., secondo cui l'inchiesta in queste circostanze non doveva esser addirittura esperita, s'appalesa quindi manifestamente infondata.
c) Se ne deve concludere che, rifiutando la restituzione o il conferimento dell'effetto sospensivo al ricorso 12 giugno 1978, il DFGP non ha violato
BGE 106 Ib 294 S. 297
il diritto federale a' sensi dell'
art. 104 lett. a OG
, e che per conseguenza, se il gravame in questa sede non fosse divenuto privo d'oggetto, sarebbe stato respinto nel merito siccome manifestamente infondato. In queste circostanze, le spese processuali debbono esser poste a carico del dott. B. in virtù degli
art. 40 OG
, 72 PC e 156 cpv. 1 OG; essendo poi in gioco gli interessi pecuniari del ricorrente, l'importo della tassa di giustizia può superare in casu i 500 franchi (art. 153 cpv. 1 lett. b, 2a frase OG). | public_law | nan | it | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cb90bbca-790f-4a96-ad14-289f59c48699 | Urteilskopf
97 I 564
78. Arrêt de la Ire Cour civile du 29 juin 1971 dans la cause Firmenich et Cie contre Bureau fédéral de la propriété intellectuelle. | Regeste
Art. 2 Ziff. 1 und 3 PatG
.
1. Ratio legis und Tragweite von
Art. 2 Ziff. 3 PatG
(Erw. 1 b und c). Patentierbarkeit einer Erfindung, die in der Verwendung chemischer Aromastoffe als Zusätze zu Nahrungsmitteln und Getränken besteht (Erw. 1 a und 3).
2. Begriff der Nahrungsmittel und Getränke im Sinne von
Art. 2 Ziff. 3 PatG
(Erw. 2).
3. Der Ausschluss von der Patentierung wegen Widerrechtlichkeit (
Art. 2 Ziff. 1 PatG
) ist durch Art. 4 quater der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des gewerblichen Eigentums in der inLissabon revidierten Fassung, die für die Schweiz am 17. Februar 1963 in Kraft getreten ist, dem Sinne nach aufgehoben worden (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 565
BGE 97 I 564 S. 565
A.-
Firmenich et Cie, à Genève, a requis le 9 novembre 1967 du Bureau fédéral de la propriété intellectuelle (ci-après désigné: le Bureau) la délivrance d'un brevet d'invention pour 1,"utilisation de cétones non saturées comme agents odoriférants et aromatisants". Sa requête no 15667/67 a fait l'objet de six notifications successives du Bureau. Le 30 novembre 1970, la requérante a arrêté la revendication de sa demande à l'"utilisation d'au moins un des composés de synthèse de formule CO - CH = CH - CH1 ... comme ingrédients aromatisants pour modifier ou améliorer les propriétés organoleptiques de produits alimentaires et de boissons". La revendication était accompagnée de trois sous-revendications.
Selon la description, ces composés peuvent être utilisés comme "additifs" à des produits alimentaires et boissons et pour "la préparation de compositions aromatisantes", le terme d'aliment étant "utilisé dans son sens le plus large". "Les nouvelles cétones peuvent être utilisées en proportions variant aussi entre de larges limites."
B.-
Par décision du 2 février 1971, le Bureau a rejeté la demande de brevet en invoquant l'art. 2 ch. 3 LBI.
C.-
Firmenich et Cie recourt au Tribunal fédéral contre cette décision. Elle conclut à son annulation et à ce que le Bureau soit invité à délivrer le brevet sollicité pour l'invention définie par la revendication et les trois sous-revendications.
Le Bureau propose le rejet du recours.
L'argumentation des parties sera reprise ci-dessous dans la mesure nécessaire.
BGE 97 I 564 S. 566
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Dans sa revendication, la requérante présente son invention comme une invention d'utilisation d'un produit. Le brevet sollicité tend à la protection de l'addition à un aliment ou à une boisson de certains composés chimiques de synthèse "comme ingrédients aromatisants pour modifier ou améliorer (leurs) propriétés organoleptiques", c'est-à-dire leur impression sur les organes des sens (cf. GARNIER/DELAMARE, Dictionnaire des termes techniques de médecine, 17e éd.). Il s'agit ici d'additifs excitant les sens du goût et de l'odorat.
A l'appui de son refus fondé sur l'art. 2 ch. 3 LBI, le Bureau fait valoir que la portée de cette disposition doit être dégagée à la lumière de la genèse de la loi. Celle-ci devait assouplir la réglementation antérieure, trop rigide. Le législateur de 1907 entendait proscrire, pour des motifs éthico-sociaux, la brevetabilité de toutes les inventions dans le domaine des aliments et des boissons. Il s'est révélé par la suite que certains procédés chimiques aboutissaient non pas à des composés chimiques, mais directement à des aliments, et partant ne tombaient pas sous le coup de l'interdiction légale (par exemple des procédés de fabrication de fromages, de pain, des procédés visant à supprimer l'amertume de certains aliments ou boissons). Cela a amené le Département fédéral de justice et police, alors compétent, à admettre la délivrance du brevet. La revision de 1954 a donné à l'art. 2 ch. 3 sa teneur actuelle. Elle diffère du texte de 1907 en ce que les brevets de produits alimentaires, de denrées fourragères et de boissons restent interdits, alors que les procédés de fabrication de tels produits deviennent brevetables. Mais si la protection d'un tel procédé de fabrication avait pour effet, par le biais de l'art. 8 al. 3 LBI, de conférer à l'inventeur un monopole sur une denrée alimentaire - ce qui serait le cas si le procédé utilisé était le seul moyen de l'obtenir - le brevet aboutirait à détourner et à rendre illusoire l'interdiction de breveter le produit en question. Or, si son invention consistant à ajouter des cétones aromatisantes à des aliments était protégée, la requérante détiendrait un monopole sur les nouvelles substances aromatisées, et l'interdiction de l'art. 2 ch. 3 LBI serait vaine. Peu importe que ladite invention soit désignée comme une invention d'utilisation, dès lors qu'elle est parfaitement identique à une invention de procédé qui, si elle était brevetée, permettrait
BGE 97 I 564 S. 567
de protéger tous les produits alimentaires et boissons aromatisés à l'aide des composés chimiques définis dans la revendication. Il est significatif à cet égard que la mention nouvelle des inventions d'utilisation à l'art. 52 LBI apparaisse dans ce seul article de la loi, celle-ci conservant pour le surplus - notamment à ses art. 2, 8, 53 et 87 al. 2 litt. a - la division bipartite des inventions de procédés et de produits.
La recourante oppose à ce point de vue que les inventions d'utilisation échappent par principe à l'emprise de l'art. 2 ch. 3 LBI. Seules les inventions de produits seraient exclues du brevet dans le domaine alimentaire, alors que les autres types d'invention seraient parfaitement licites. A l'appui de son argumentation, la recourante invoque l'opinion de Blum/Pedrazzini. Selon ces commentateurs, l'art. 2 LBI est une disposition d'exception par rapport à la règle générale de la brevetabilité des inventions; comme telle, elle doit être interprétée restrictivement. Seuls les brevets de produits sont expressément interdits pour les aliments. A contrario, les inventions d'utilisation de denrées alimentaires peuvent être protégées, à l'instar des inventions de procédés de fabrication de telles denrées, dont la brevetabilité est sans conteste admise. Il n'y aurait aucune place pour une interprétation judiciaire extensive de l'art. 2 LBI (BLUM/PEDRAZZINI, Das schweizerische Patentrecht, III p. 265-267). La recourante conteste au Bureau le droit de donner à son invention d'utilisation le sens d'une invention de procédé; il appartient à l'inventeur de choisir parmi les catégories instituées par la loi celle dans laquelle il entend classer son invention et de déterminer par là l'étendue de la protection conférée par le brevet. Mais même s'il s'agissait d'une invention de procédé, elle ne tomberait pas sous le coup de l'art. 2 ch. 3 LBI. La protection, et partant le monopole, ne s'étendent en effet pas aux produits alimentaires et boissons ayant le même goût, s'il est obtenu à l'aide d'autres agents aromatisants que ceux définis dans la revendication.
a) La requérante n'entend pas faire breveter les cétones aromatisantes comme produits; bien qu'elle par le de "nouvelles cétones", elle précise bien que l'invention ne réside pas dans leur combinaison chimique, qui peut même être connue. Elle ne requiert pas non plus la protection du procédé qui aboutit à ces nouvelles cétones, sur lequel elle ne fournit aucune indication. L'objet de l'invention réside dans l'idée nouvelle de mélanger
BGE 97 I 564 S. 568
des cétones de cette espèce à des aliments ou à des boissons dans un but organoleptique. Une telle idée est brevetable pour autant qu'elle réponde aux exigences posées par la loi pour n'importe quelle invention. La doctrine suisse reconnaît la brevetabilité des procédés de simple mélange aux conditions de l'art. 1er LBI (BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I p. 232; TROLLER, Immaterialgüterrecht, 2e éd., I p. 248; DE MESTRAL, L'obtention et le maintien du brevet, thèse Lausanne 1969, p. 219-221). Le Message du Conseil fédéral du 25 avril 1950 l'admet expressément (FF 1950 I p. 964). Rien au dossier n'infirme l'affirmation de la requérante selon laquelle les cétones utilisées n'ont pas de valeur nutritive propre. La description de l'invention et les exemples d'application cités montrent qu'il s'agit d'additifs destinés à modifier le goût ou l'arôme des aliments auxquels ils sont mélangés. Aussi le Bureau n'entend-il pas procéder à une application directe de l'art. 2 ch. 3 LBI.
b) L'interprétation des divers cas d'interdiction consacrés par l'art. 2 LBI est commandée par le but que le législateur leur assigne. La défence de breveter les aliments, les denrées fourragères et les boissons (ch. 3) tend, dans une certaine mesure comme celle qui concerne les médicaments (ch. 2), à empêcher la formation de monopoles sur des produits de nécessité, ce qui aurait pour conséquence leur renchérissement (Message du Conseil fédéral du 17 juillet 1906, FF 1906 IV p. 326 et 329 in fine). Elle ne vise donc pas la protection de la santé publique, qui fait l'objet de la législation sur le commerce des denrées alimentaires et, le cas échéant, de l'interdiction des inventions dont l'exploitation serait contraire aux lois ou aux bonnes moeurs (art. 2 ch. 1 LBI).
c) Il est constant qu'une même invention pourrait souvent, suivant sa formulation, être classée dans plusieurs catégories différentes d'après l'élément mis en évidence (cf. à ce sujet Message du Conseil fédéral du 25 avril 1950, FF 1950 I p. 1000; BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., III p. 225 ss.). Le droit de l'inventeur de choisir l'étendue de la protection légale dont il bénéficiera ne saurait avoir pour conséquence de lui permettre d'éluder les cas d'interdiction stipulés par l'art. 2 LBI. L'application de cette disposition d'intérêt public implique que le Bureau recherche la portée objective de l'invention et qu'il refuse de la breveter si, formulée comme une invention d'utilisation, elle aboutissait à tourner l'art. 2 ch. 3 LBI et à conférer
BGE 97 I 564 S. 569
au requérant, par le biais de l'art. 8 al. 3, un "Stoffpatent" prohibé. Le Message du 25 avril 1950 s'exprime dans ce sens: réfutant l'objection selon laquelle la protection accordée à des procédés de simple mélange reviendrait en fait à protéger le mélange lui-même, le Conseil fédéral relève que "cette objection n'a d'importance que dans les cas où le mélange ne peut être obtenu autrement que par le procédé breveté" et qu'"en pareille occurrence" le brevet pourrait "être refusé pour la raison qu'une telle revendication tendrait à éluder l'interdiction de protéger la substance" (FF 1950 I p. 964). L'argumentation de la recourante sur ce point est ainsi mal fondée.
2.
La requérante considère que l'art. 2 ch. 3 LBI est inapplicable à son invention, qui ne porte pas sur un aliment ou une boisson puisque les cétones utilisées n'ont pas de valeur nutritive propre et que leur adjonction à un aliment ne modifie en rien ses propriétés fondamentales. Invoquant le Message du Conseil fédéral, le Bureau lui objecte que le législateur entendait "refuser la protection à toute substance, sans exception". Ni la notion du produit alimentaire défini par ses propriétés nutritives, ni la distinction entre "aliments" et "Genussmittel" ne trouveraient appui dans le texte ou les travaux préparatoires de la loi. Ces critères seraient d'ailleurs d'une utilisation pratiquement impossible: à défaut d'examen préalable dans ce domaine, le Bureau ne serait pas en mesure de juger de la valeur alimentaire d'une invention portant sur un produit ou un procédé de fabrication. De surcroît, le critère de la valeur alimentaire serait inapplicable aux boissons, puisque la loi exclut leur brevetabilité, qu'elles soient nutritives ou non.
Les parties soulèvent ici la question de la définition de la notion d'aliments et de boissons au sens de l'art. 2 ch. 3 LBI. Aux termes de l'art. 2 al. 1 ch. 1 ODA, disposition à laquelle la doctrine suisse se réfère généralement, il faut entendre par denrées alimentaires en général "les substances ou produits solides ou liquides d'origine animale, végétale ou minérale, bruts ou soumis à certaines manipulations, qui se distinguent par leur teneur en substances nécessaires à la constitution et à l'entretien du corps humain" (BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I p. 228; TROLLER, op.cit., I p. 248; DE MESTRAL, op.cit., p. 265; cf. aussi, pour le droit allemand, REIMER, Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz, 3e éd., 1968, p. 115). A l'encontre du Bureau, la doctrine, se fondant notamment sur les débats parlementaires
BGE 97 I 564 S. 570
de 1906, exclut des aliments les substances désignées en allemand par le terme de "Genussmittel", soit les épices, condiments et substances analogues de l'art. 2 ch. 3 ODA et les matières colorantes, agents conservateurs et autres substances de l'art. 2 ch. 4 ODA (BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I p. 229; TROLLER, op.cit., I p. 248).
a) Eu égard à la ratio legis, qui est d'empêcher le renchérissement des produits alimentaires de première nécessité et non de protéger la santé publique, il est sans importance qu'une substance organoleptique soit ajoutée ou non à des aliments ou à des boissons. La protection de l'utilisation de telles substances n'est pas de nature à entraîner un tel inconvénient, même si l'inventeur possède un monopole sur le mélange obtenu. Tout au plus peut-on réserver l'hypothèse, avancée par le Bureau, d'une substance destinée à supprimer le goût désagréable dont serait affecté un produit naturel. Mais cette seule hypothèse, dont rien au dossier n'indique qu'elle soit réalisée en l'espèce, ne saurait justifier le refus du brevet. L'adjonction des cétones aromatisantes est parfaitement comparable aux épices ou aux colorants, qui ne constituent pas des aliments au sens de l'art. 2 ch. 3 LBI.
b) L'interprétation littérale donnée par le Bureau au terme de "boissons" de l'art. 2 ch. 3 LBI, selon laquelle ce terme désignerait n'importe quelle boisson, nutritive ou non, doit également être rejetée. Il faut admettre, avec BLUM/PEDRAZZINI (op. cit., I p. 230; cf. aussi DE MESTRAL, op.cit., p. 267 s.), et conformément à l'opinion clairement exprimée lors des débats parlementaires de 1906 (Bull. stén. du Conseil des Etats 1906 p. 1462), que l'utilisation par la loi du terme de boissons tend seulement à placer sur pied d'égalité les aliments solides et liquides, comme le fait l'ODA.
3.
Le Bureau fait valoir qu'il doit écarter la demande de brevet lorsqu'il n'est pas convaincu que l'inventeur "ne revendique qu'une des manières (possibles ou imaginables)" d'obtenir un produit répondant à une composition donnée. Or l'adjonction à un aliment déterminé des cétones aromatisantes est le seul moyen possible de parvenir à un produit résultant de leur mélange avec cet aliment: l'obtention du même produit par un autre procédé est exclue, puisque la revendication ne fournit aucune indication de nature à caractériser le procédé utilisé. L'octroi du brevet d'utilisation sollicité aboutirait ainsi à
BGE 97 I 564 S. 571
conférer à la requérante un monopole sur le mélange même, c'est-à-dire sur un aliment ou une boisson.
Cette argumentation méconnaît que le mélange des cétones, substances chimiques sans valeur nutritive, avec des aliments dont elles modifient les seules propriétés organoleptiques, n'a pas pour effet de constituer des produits alimentaires nouveaux, de même que le fait de colorer ou de saler un aliment ne constitue pas un produit nouveau. La protection de l'utilisation de ces composés chimiques ne saurait donc conférer à l'inventeur un monopole sur les aliments préexistants auxquels ils sont mélangés. Au surplus, selon une allégation de la recourante qui n'a pas été démentie par le Bureau, les résultats atteints par l'adjonction des cétones aromatisantes peuvent être obtenus d'une autre façon, soit à l'aide d'autres produits, naturels ou chimiques.
4.
Selon la description de l'invention, les nouvelles cétones peuvent être utilisées pour améliorer le goût et l'arome de divers aliments, dont le miel et le vin rouge, expressément cités comme exemples. En Suisse, l'ODA réglemente strictement l'adjonction de toute substance chimique au vin, comme au miel. Il y a dès lors lieu d'examiner si le brevet sollicité ne devrait pas être refusé en vertu de l'art. 2 ch. 1 LBI, aux termes duquel ne peuvent être brevetées les inventions dont l'exploitation serait contraire aux lois ou aux bonnes moeurs.
a) Est contraire à la loi l'invention qui, directement et exclusivement (ou essentiellement), tend à un but ou produit un effet illégal. Il ne suffit pas qu'elle puisse être utilisée dans un tel but, comme par exemple une arme, pour un meurtre, ou un appareil à reproduire des documents, pour un faux (BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I p. 189; TROLLER, op.cit., I p. 241). Par "loi" il faut entendre ici non pas la loi au sens formel, mais au sens matériel, c'est-à-dire toute règle de comportement établie par l'autorité compétente. Cette règle peut trouver sa source dans la constitution, la loi au sens formel ou une ordonnance législative fédérale, ou même un traité international. Il n'est donc pas douteux que l'ODA et notamment les dispositions qui tendent à assurer l'intégrité de l'alimentation ont souvent ce caractère (BLUM/PEDRAZZINI, op.cit., I p. 201).
N'étant pas uniquement destinée à modifier le goût et l'arôme des produits naturels visés par l'ODA, l'invention litigieuse paraît échapper à cette interdiction. Mais surtout, l'exclusion
BGE 97 I 564 S. 572
du brevet pour cause d'illégalité a été implicitement abrogée en Suisse. En effet, l'arrêté fédéral du 7 décembre 1961 (ROLF 1963 p. 117) a approuvé la Convention de Paris pour la protection de la propriété industrielle dans sa teneur de Lisbonne du 31 octobre 1958, entrée en vigueur le 17 février 1963 (ROLF 1963 p. 119). Or, aux termes de l'art. 4 quater de cette convention, "la délivrance d'un brevet ne pourra être refusée... pour le motif que la vente du produit breveté ou obtenu par un procédé breveté est soumise à des restrictions ou limitations résultant de la législation nationale". Cette disposition vise incontestablement les dispositions suisses sur le commerce des denrées alimentaires. Par sa ratification, ce traité international prime la loi suisse et rend pratiquement caduque la cause d'interdiction de l'invention contraire à la loi (cf. Message du Conseil fédéral du 5 juin 1961 concernant les actes convenus par la conférence de Lisbonne de l'Union internationale pour la protection de la propriété industrielle, FF 1961 I p. 1284). A condition de créer des règles de droit directement applicables, les traités internationaux conclus par la Confédération sont en effet des sources du droit fédéral; point n'est besoin que leur texte soit repris par une loi ou un arrêté de portée générale (RO 87 I 80, 88 I 91, 94 I 672; GRISEL, Droit administratif suisse, p. 35 f).
b) La convention d'Union de Paris laisse subsister la cause d'interdiction de l'invention contraire aux bonnes moeurs. Mais aucun élément dans l'invention litigieuse ne permet d'admettre qu'elle contreviendrait à cette notion, c'est-à-dire qu'elle heurterait gravement le sentiment moral de la communauté. Rien n'indique que l'utilisation des cétones aromatisantes soit nuisible à la santé, hypothèse dans laquelle la question de l'application de l'art. 2 ch. 1 LBI pourrait se poser.
En conséquence, la décision attaquée doit être annulée et la cause renvoyée au Bureau pour qu'il recherche si la demande de brevet satisfait, pour le surplus, aux conditions légales.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le recours, annule la décision attaquée et renvoie la cause au Bureau fédéral de la propriété intellectuelle pour qu'il procède selon la loi. | public_law | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cb92678d-4a5f-4817-9f5b-6bcb07a86f21 | Urteilskopf
126 IV 38
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1999 i.S. X., Y. und Z. gegen Amir Aruputhai (fiktiver Name) und Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 1, 2 und 9 OHG
; Beurteilung der Zivilansprüche der Hinterbliebenen des Opfers im Strafverfahren.
Wird wegen eines vorsätzlichen Gewaltdelikts Anklage erhoben, hat sich der Strafrichter mit den unmittelbaren Folgen des Täterverhaltens in zivilrechtlicher Hinsicht auseinander zu setzen. Er muss auch auf Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche eintreten, die ein Opfer oder eine dem Opfer gleichgestellte Person aufgrund der Deliktsfolgen geltend macht, auch wenn diese vom eingeklagten Tatbestand nicht erfasst wurden. | Sachverhalt
ab Seite 39
BGE 126 IV 38 S. 39
Amir Aruputhai (fiktiver Name) kam am 15. Dezember 1996 in einem Restaurant in Zürich mit einer Frau ins Gespräch. Nach dem Verlassen des Lokals um ca. 24.00 h suchten die beiden seine Wohnung auf, wo es zum Geschlechtsverkehr kam. Anschliessend entstand eine Auseinandersetzung, im Verlaufe derer Amir Aruputhai die schreiende Frau mehrmals schlug und ohrfeigte und schliesslich zu einem Fleischmesser griff und auf sie einstach. Die Frau erlitt verschiedene Verletzungen und befand sich angesichts des grossen Blutverlusts in ernstlicher Todesgefahr. Nachdem sie nach einem ersten Fluchtversuch hilfeschreiend und stark blutend in der ganzen Wohnung herumgerannt war, gelang es ihr, ins Treppenhaus zu entkommen. Amir Aruputhai rannte ihr jedoch nach und brachte sie gewaltsam und gegen ihren Willen in die Wohnung zurück, um sie dort einzuschliessen, bevor er selbst das Haus verliess. Die Frau lehnte sich darauf aus dem Fenster und schrie. Amir Aruputhai rief ihr von unten herauf zu, sie solle aufhören, er komme sofort hoch. Darauf überkletterte sie die Fensterabschrankung, verlor das Gleichgewicht und stürzte vom dritten Stock in die Tiefe. Sie erlitt einen Genickbruch, der sofort zum Tode führte.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte Amir Aruputhai am 10. September 1998 wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von
Art. 122 Abs. 1 StGB
und wegen Freiheitsberaubung im Sinne von
Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
in Verbindung mit
Art. 184 Abs. 2 StGB
zu neun Jahren Zuchthaus sowie zu zehn Jahren unbedingter Landesverweisung. Vom Vorwurf der Unterlassung der Nothilfe sprach es ihn frei. Auf die Schadenersatz- und Genugtuungsanträge der Hinterbliebenen des Opfers (Eltern und Halbschwester) X., Y. und Z. trat es nicht ein.
X., Y. und Z. führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts vom 10. September 1998. Sie beantragen die Aufhebung der Ziff. 4 des Dispositivs und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit diese adhäsionsweise über die Zivilansprüche entscheide.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführer werfen der Vorinstanz vor, über die Zivilansprüche entgegen Art. 2 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG; SR 312.5) nicht adhäsionsweise entschieden zu haben. Sie hätten ihre Begehren gestützt auf
Art. 41,
Art. 47 und
Art. 49 OR
und damit als Ausgleich
BGE 126 IV 38 S. 40
für Tötung und Körperverletzung geltend gemacht. Auch wenn die Genugtuungsansprüche der Höhe nach für den Tod des Opfers gefordert worden seien, hätte die Vorinstanz "nach dem Grundsatz in maiore minus die Ansprüche festlegen müssen." Zudem rügen sie eine Verletzung von
Art. 9 Abs. 3 OHG
, da die Beurteilung der Zivilansprüche keinen unverhältnismässigen Aufwand erfordert hätte. Konkret gehe es um die Bemessung der drei Genugtuungen sowie den Ersatz des entstandenen Schadens, nämlich die Rechnungen der schweizerischen Bestattungsunternehmung, die Kosten für die Überführung der Leiche nach Marrakesch, die Flugbillete der Begleitpersonen und die Bestattungsauslagen an Ort. Die Vorinstanz hätte zumindest im Grundsatz über diese Anträge befinden müssen; eine gänzliche Verweisung derselben auf den Zivilweg sei nicht zulässig.
b) Die Vorinstanz begründet das Nichteintreten auf die Zivilansprüche damit, dass der Tod des Opfers die Grundlage des geltend gemachten Schadens und der Genugtuung sei. Ein Tötungsdelikt sei vorliegend indessen nicht eingeklagt. Die Prüfung des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Angeklagten und dem Tod des Opfers sei nicht Gegenstand des Strafverfahrens. Dem Strafgericht sei es daher verwehrt, über die Zivilansprüche zu entscheiden.
3.
a) Das Opferhilfegesetz strebt eine wirksame Hilfe für Opfer von Straftaten und eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung an (
Art. 1 Abs. 1 OHG
;
BGE 122 II 315
E. 4b). Es soll ihnen insbesondere die Durchsetzung der Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche erleichtern (
Art. 8 und 9 OHG
). Der Strafrichter ist demnach von Bundesrechts wegen verpflichtet, zumindest im Grundsatz über Zivilforderungen zu befinden und darf den Ansprecher im Übrigen nur an die Zivilgerichte verweisen, soweit die vollständige Beurteilung seiner Begehren einen unverhältnismässigen Aufwand erfordern würde (
Art. 9 Abs. 3 OHG
). Dem Opfer einer Straftat gleichgestellt sind in verschiedener Hinsicht sein Ehegatte, seine Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen. So können auch die Angehörigen eines Opfers Verfahrensrechte ausüben und Zivilansprüche gegenüber dem Täter geltend machen (
Art. 2 Abs. 2 lit. b OHG
).
In
BGE 122 IV 71
E. 4a wurde festgehalten, dass für den Richter bei der Frage, ob jemand Rechte gemäss OHG geltend machen kann, der Anklagesachverhalt massgeblich ist, da der Anklagegrundsatz durch das OHG nicht beschränkt wird. Bei diesem Entscheid ging es um einen Verkehrsunfall, wobei gegen die für die Kollision verantwortliche
BGE 126 IV 38 S. 41
Lenkerin wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und einfacher Verletzung verschiedener Verkehrsregeln Anklage erhoben wurde. Die Insassin des entgegenkommenden Fahrzeugs schien unmittelbar nach dem Unfall unverletzt zu sein und zeigte auch in den folgenden Monaten keine Körperverletzung an. Erst nach der Fällung des erstinstanzlichen Urteils berief sie sich auf ein angeblich anlässlich der Kollision erlittenes HWS-Schleudertrauma. Sie beantragte eine Ergänzung der Untersuchung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung und machte adhäsionsweise Zivilansprüche geltend. Inhalt der Anklageschrift waren jedoch keine zum Anwendungsbereich des OHG gehörenden Delikte, so dass sich die Betroffene im Strafverfahren nicht auf Rechte gemäss OHG berufen konnte. Im vorliegenden Fall wurde von Anfang an wegen schwerer Körperverletzung Anklage erhoben und damit wegen eines Delikts, das in den Kernbereich des vom OHG angestrebten Opferschutzes fällt. Der Zweck des OHG erfordert, dass die Opfer solcher Gewaltdelikte die Zivilansprüche, die im Zusammenhang mit der eingeklagten Straftat stehen, im Rahmen des Strafverfahrens geltend machen können.
BGE 122 IV 71
E. 4a bedarf daher der Präzisierung. Sofern wegen eines vorsätzlichen Gewaltdelikts Anklage erhoben wurde, ist der Strafrichter gehalten, sich mit den unmittelbaren Folgen des Täterverhaltens in zivilrechtlicher Hinsicht auseinander zu setzen. In diesen Fällen hat er deshalb auf Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche einzutreten, die ein Opfer oder eine dem Opfer gleichgestellte Person aufgrund der Deliktsfolgen geltend macht, auch wenn diese vom eingeklagten Tatbestand nicht erfasst wurden. Die Begehren sind dann entsprechend den Grundsätzen des
Art. 9 OHG
zu behandeln.
b) Amir Aruputhai fügte dem Opfer schwerste Verletzungen zu und verweigerte ihm jede Möglichkeit, Hilfe zu holen. In seiner verzweifelten Lage sah es nur noch den Ausweg, aus dem Fenster zu klettern, wobei es das Gleichgewicht verlor und zu Tode stürzte. Im Zusammenhang mit der Strafzumessung hält die Vorinstanz fest, dass Amir Aruputhai sein Opfer recht eigentlich in den Tod getrieben habe und die klare Verantwortung dafür trage. Wenn die Hinterbliebenen deshalb Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche aus dem Tod des Opfers geltend machen, hat die Vorinstanz nach dem Gesagten darauf einzutreten, selbst wenn kein Tötungsdelikt Gegenstand der Anklage war. Der Nichteintretensentscheid stellt eine Verletzung von Bundesrecht dar, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen ist. | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cb990b5c-fce0-4a15-98b0-30f376d64840 | Urteilskopf
119 III 103
30. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 21 décembre 1993 dans la cause compagnie d'assurances X. (recours LP) | Regeste
Beneficium excussionis realis (
Art. 41 SchKG
); Beweislast (
Art. 8 ZGB
).
Die Rüge der Verletzung der Regel über die Beweislastverteilung ist unbegründet, wenn die Tatsache - vorliegend das Bestehen eines Hypothekarkredits - von Amtes wegen festgestellt oder durch jene Partei dargetan wird, welche nicht die Beweislast trägt (E. 1). | Sachverhalt
ab Seite 103
BGE 119 III 103 S. 103
Sur réquisition de la compagnie d'assurances X., l'Office des poursuites de Genève a notifié à D. un commandement de payer pour la poursuite ordinaire par voie de saisie ou de faillite. Estimant que la
BGE 119 III 103 S. 104
dette objet de cette poursuite était garantie par gage et que, conformément à l'
art. 41 LP
, la créancière aurait dû intenter une poursuite en réalisation de gage, D. a saisi l'autorité de surveillance d'une plainte tendant à l'annulation du commandement de payer.
L'Autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a admis la plainte et annulé le commandement de payer, renvoyant la compagnie d'assurances à agir par la voie de la poursuite en réalisation de gage, si elle s'y estimait fondée. Un contrat du 13 juillet 1989 entre la créancière, le poursuivi et trois sociétés immobilières - document produit par la compagnie d'assurances à la requête de l'autorité de surveillance - faisait en effet état d'un "prêt hypothécaire" accordé auxdites sociétés et à D., qui s'en reconnaissaient débiteurs solidaires. Ce dernier était donc fondé à exciper du beneficium excussionis realis.
Saisie d'un recours de la compagnie d'assurances X. contre cette décision, la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral l'a rejeté.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
La règle de droit fédéral sur le fardeau de la preuve (
art. 8 CC
) n'interdit pas de retenir un fait d'office. Lorsque le fait est ainsi établi d'office, ou par la partie qui n'assumait pas le fardeau de la preuve, la règle de répartition précitée devient sans objet (
ATF 118 II 142
consid. 3a p. 147; J.-F. POUDRET, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol II, Berne 1990, p. 160).
En l'espèce, le moyen de preuve, savoir le contrat de prêt du 13 juillet 1989, a été produit par la recourante elle-même, à la requête de l'autorité cantonale de surveillance. Il a permis à celle-ci de constater l'absence de toute disposition expresse stipulant que le gage était uniquement destiné à garantir le crédit consenti aux trois sociétés immobilières; son appréciation l'a au contraire convaincue de l'existence d'un prêt hypothécaire - c'est-à-dire, dans le langage courant, un prêt garanti par un gage sur un immeuble - accordé aux quatre débiteurs solidaires (les trois sociétés immobilières et D.).
Le grief de violation de la règle sur le fardeau de la preuve est donc dépourvu de consistance. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cb9fbce3-312a-4463-a4fa-d19514056e43 | Urteilskopf
81 I 303
49. Arrêt de la Ire Cour civile du 11 octobre 1955 dans la cause Jubin contre Conseil-exécutif du canton de Berne. | Regeste
Eintragung im Handelsregister, Art. 57/58 HR V.
Das Stillschweigen des zur Eintragung Aufgeforderten ist grundsätzlich als Verzicht auf die Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Eintragung zu betrachten (Erw. 1a).
Massgebende Aufforderung (Erw. 1b). | Sachverhalt
ab Seite 303
BGE 81 I 303 S. 303
A.-
Raymond Jubin exploite, à Courgenay, un atelier d'ébénisterie et un commerce de bois. Le 21 mai 1953,
BGE 81 I 303 S. 304
le préposé au registre du commerce du district de Porrentruy le somma d'inscrire son entreprise au registre du commerce jusqu'au 30 mai ou de motiver son opposition dans le même délai. Jubin ne fournit aucune réponse et le préposé laissa l'affaire en suspens durant une année.
Jubin se vit notifier une nouvelle sommation le 14 mai 1954. Il répondit, le 20 mai, qu'il estimait ne pas remplir les conditions exigées par l'art. 55 ORC, mais qu'il donnerait une certaine extension à son entreprise et demanderait son inscription pour le 1er novembre. Toutefois, il n'en fit rien.
Le 2 décembre 1954, le préposé transmit la cause à la Direction de la justice du canton de Berne. Il envoya cependant à Jubin, le 20 janvier 1955, une troisième sommation qui portait la mention suivante: "Vu les différentes sommations à lui adressées, Raymond Jubin est spécialement rendu attentif au fait que, s'il ne donne pas suite à la présente sommation, son cas sera signalé à l'Autorité de surveillance afin que celle-ci ordonne son inscription d'office et prononce contre lui une amende". Jubin ne réagit point. Interrogé le 18 avril 1955, il demanda un délai de trois mois, disant qu'il ne s'opposait pas à son inscription s'il y était légalement tenu. En outre, la Direction de la justice demanda des renseignements aux autorités communales de Courgenay; elles répondirent, le 17 mai, que Jubin remplissait, à leur avis, les conditions de l'inscription au registre du commerce. Le 23 mai, la Direction de la justice impartit un dernier délai à Jubin pour requérir son inscription. Celui-ci déclara qu'il ignorait s'il était tenu de figurer au registre du commerce, mais qu'il allait constituer une société et qu'il l'inscrirait dans un délai de deux mois.
Enfin, l'affaire fut transmise à l'autorité de surveillance, le Conseil-exécutif du canton de Berne, qui, le 24 juin 1955, a ordonné que l'entreprise de Jubin fût inscrite d'office au registre du commerce. La juridiction cantonale a considéré que cette entreprise tombait sous le coup de l'art. 53
BGE 81 I 303 S. 305
litt. A ch. 1 et litt. C ORC, qu'elle atteignait une recette brute de 25 000 fr. par année et que Jubin n'avait pas contesté réaliser un chiffre d'affaires annuel de 50 000 fr.
B.-
Jubin forme un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il allègue que les autorités compétentes n'ont pas établi son obligation de s'inscrire et il conclut à l'annulation de la décision du 24 juin 1955.
Le Conseil-exécutif du canton de Berne propose que le recours soit rejeté. De son côté, le Département fédéral de justice et police conclut à l'irrecevabilité du recours et, subsidiairement, à son rejet.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Lorsque la personne sommée d'inscrire son entreprise au registre du commerce ne motive pas son opposition dans le délai fixé, le préposé doit, en vertu de l'art. 57 al. 4 ORC, procéder d'office à l'inscription. Dans ce cas, l'autorité cantonale de surveillance n'a pas à statuer sur l'assujettissement et l'intéressé ne saurait, sur ce point, former un recours de droit administratif au Tribunal fédéral. Il ressort en effet de l'art. 58 al. 2 ORC que ce recours n'est ouvert qu'à celui qui a fait connaître en temps utile les motifs de son opposition mais a succombé devant l'autorité de surveillance. Lors donc que la personne sommée de s'inscrire ne réagit point, elle renonce implicitement à recourir au Tribunal fédéral contre son inscription. La situation n'est pas différente quand, malgré le défaut d'opposition motivée, le préposé a déféré l'affaire à l'autorité cantonale et que celle-ci a statué. Car le silence de la personne sommée de s'inscrire n'en doit pas moins être considéré comme une renonciation au recours de droit administratif. C'est du reste dans ce sens que le Conseil fédéral (cf. STAMPA, Sammlungen von Entscheiden in Handelsgerichtssachen, nos 32 et 33) et le Tribunal fédéral (cf. arrêt non publié du 17 novembre 1931 dans la cause Benz) s'étaient prononcés sous l'empire
BGE 81 I 303 S. 306
de l'ancien règlement sur le registre du commerce, du 6 mai 1890, dont l'art. 26 correspondait aux art. 57 et 58 de l'ordonnance actuellement en vigueur.
b) Comme Jubin a reçu plusieurs sommations et n'a répondu qu'à certaines d'entre elles, il faut examiner d'abord si son silence le privait de la possibilité de recourir contre la décision cantonale du 24 juin 1955.
Il est de jurisprudence constante (RO 81 I 79, 76 I 155 et les arrêts cités) que, pour décider si une personne a l'obligation de s'inscrire au registre du commerce, on doit se reporter à l'époque de la sommation. Mais ce dernier terme désigne uniquement la sommation qui a été suivie de la procédure des art. 57 et 58 ORC. On ne saurait, en effet, tenir compte des sommations antérieures que le préposé a pu notifier mais auxquelles il n'a donné aucune suite: elles ne font point partie de la procédure en cours. Peu importe donc que la personne sommée de s'inscrire n'ait pas répondu à de tels actes du préposé. Pour juger si elle a implicitement renoncé à recourir, il ne faut prendre en considération que la sommation décernée dans la procédure au cours de laquelle le Tribunal fédéral est appelé à statuer.
On ne saurait dès lors tenir compte, en l'espèce, des sommations que le recourant a reçues en 1953 et 1954 et après lesquelles le préposé a laissé l'affaire en suspens pendant plusieurs mois. C'est par celle du 20 janvier 1955 qu'a débuté la procédure actuelle. Il est vrai que le recourant n'a donné aucune suite à cette sommation. On ne saurait toutefois déduire de son attitude qu'il ait admis son obligation de s'inscrire et renoncé à recourir au Tribunal fédéral. La sommation du 20 janvier 1955 mentionnait en effet que, si Jubin ne s'inscrivait pas lui-même, l'affaire serait déférée à l'autorité de surveillance. Il a pu en conclure que, s'il ne produisait pas une nouvelle opposition motivée, on tiendrait compte des moyens qu'il avait fait valoir antérieurement, de sorte que l'autorité de surveillance prendrait une décision susceptible de recours au Tribunal
BGE 81 I 303 S. 307
fédéral. On ne saurait donc admettre qu'il ait renoncé à un tel recours du fait qu'il a laissé sans réponse la sommation du 20 janvier 1955. Quant à la lettre que la Direction cantonale de la justice lui a envoyée le 23 mai 1955, elle ne constitue pas une sommation selon l'art. 57 ORC; au surplus, il y a répondu en expliquant les motifs de son opposition.
Dès lors, le recours de Jubin est recevable.
2.
Au fond, l'autorité cantonale a jugé avec raison que l'entreprise de Jubin tombait sous le coup de l'art. 53 litt. A ch. 1 et litt. C ORC. Pour être assujetti à l'inscription au registre du commerce, il faut en outre qu'il atteigne un chiffre d'affaires de 50 000 fr. par année, comme l'art. 54 ORC l'exige depuis le 1er janvier 1955. On doit admettre que cette condition est remplie. Les autorités communales de Courgenay s'en disent persuadées et Jubin ne l'a jamais contesté avec quelque précision; en particulier, il n'a pas offert d'établir, par la production de ses livres, que ses recettes brutes annuelles étaient inférieures à 50 000 fr. Son recours n'est donc pas fondé.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
Le recours est rejeté. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cba131a0-7533-47ad-a188-d1292e6c119e | Urteilskopf
86 I 219
29. Estratto della sentenza 6 luglio 1960 nella causa Finanz & Kredit AG Aarau contro Consiglio di Stato del Canton Ticino. | Regeste
Kantonale Stempelabgabe auf Verträgen. Doppelbesteuerung.
1. Die tessinische Stempelabgabe ist eine Steuer, auf welche das Verbot der Doppelbesteuerung (
Art. 46 Abs. 2 BV
) anwendbar ist (Erw. a).
2. Kann der Kanton, auf dessen Gebiet die Vertragsurkunde errichtet wird, den Zessionar einer der Vertragsparteien auch dann für die Bezahlung der Stempelabgabe haftbar machen, wenn die Zession in einem andern Kanton erfolgt ist? (Frage offen gelassen. Erw. b).
3. Ein Kaufvertrag, in welchem gleichzeitig die Forderung des Verkäufers an einen Dritten abgetreten wird, untersteht der Steuerhoheit des Kantons, in welchem der Vertrag verurkundet wird, auch dann, wenn der in einem andern Kanton wohnhafte Zessionar sich die Genehmigung des Vertrags vorbehalten hat (Erw. c). | Sachverhalt
ab Seite 219
BGE 86 I 219 S. 219
A.-
L'11 dicembre 1959, la ditta Progress-Vertrieb di Thalwil vendeva a B., Claro, una macchina per maglieria
BGE 86 I 219 S. 220
Tervitex per il prezzo di 960 fr., di cui 100 fr. venivano pagati in contanti.
Mediante lo stesso atto, la venditrice cedeva alla Finanz & Kredit AG Aarau, il credito di 860 fr. che il compratore si impegnava a pagare ratealmente. L'oggetto venduto passava in proprietà alla cessionaria, alla quale era riservata l'approvazione del contratto e riconosciuto il diritto di iscrivere la riserva della proprietà fino a liquidazione del prezzo di vendita.
Il contratto porta la data di "Claro, 11 dicembre 1959" ed è sottoscritto dalla venditrice e dal compratore, nonchè dalla ditta Finanz & Kredit AG
La ditta cessionaria lo produsse il 15 gennaio 1960 per iscrivere la riserva della proprietà all'Ufficio esecuzione e fallimenti di Riviera, il quale, visto che il contratto era stato steso su carta semplice, lo inviò al Dipartimento cantonale delle finanze per l'applicazione del bollo. Il Dipartimento vi appose anzitutto il bollo normale di un franco; inoltre, preso atto che il documento era stato steso in contravvenzione alla legge cantonale, applicò una sanatoria di 10 fr. a carico della ditta che l'aveva prodotto. L'art. 43 della legge cantonale 9 gennaio 1934 sul bollo (LB), applicato dal Dipartimento, dispone quanto segue:
"Sono responsabili solidalmente per il pagamento delle multe e del bollo mancante:
a) tutte le parti che avranno cooperato alla formazione di un atto in contravvenzione o l'avranno sottoscritto, quando trattasi di atto soggetto al bollo sin dalla sua origine;
b) la parte che produce a qualsiasi autorità un atto in contravvenzione, salvo regresso, quando ne sia il caso, verso il colpevole;"
Contro la suindicata decisione, la Finanz & Kredit AG interpose un ricorso al Consiglio di Stato che lo respinse mettendo inoltre a carico della ricorrente una tassa di giudizio di 10 fr.
B.-
Il 2 maggio 1960, la Finanz & Kredit AG ha interposto ricorso al Tribunale federale impugnando la decisione del Consiglio di Stato come presa in violazione
BGE 86 I 219 S. 221
del divieto di doppia imposizione. Essa afferma che, in realtà, l'atto in questione rappresenta due contratti nettamente distinti: il contratto di compravendita stipulato a Claro e il contratto di cessione di credito fra la venditrice Progress Vertrieb ed essa Finanz & Kredit AG
La cessione sarebbe stata stipulata successivamente, coll'apposizione della firma della cessionaria, fra la cedente domiciliata a Thalwil e la cessionaria domiciliata ad Aarau, e sarebbe pertanto estranea alla sovranità fiscale del Canton Ticino.
C.-
Secondo il Consiglio di Stato si tratterebbe di un unico contratto includente tanto la vendita quanto la cessione e che regolerebbe i rapporti reciproci fra tutte e tre le parti interessate. Comunque, la Finanz & Kredit AG sarebbe responsabile secondo l'art. 43 lett. b LB, già per il fatto che, presentando l'atto ad un'autorità ticinese, ha fatto valere diritti propri e sarebbe quindi da considerare come "parte" a'sensi della stessa disposizione legale. Peraltro, questa disposizione riserverebbe la possibilità di regresso nei confronti dei contraenti colpevoli dell'omissione del bollo.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
L'impugnata decisione dev'essere esaminata anzitutto in punto alle contestazioni del ricorrente di violazione del divieto di doppia imposizione.
a) L'art. 5 num. 1 LB prescrive che "gli atti e contratti di valore determinato o determinabile superiore a 250 fr. sino a 1000 fr. devono essere stesi su carta da bollo di un franco". Secondo l'art. 6 della stessa legge, tali atti di valore superiore ai 1000 fr. "sono imposti in ragione di un franco per mille".
Una simile contribuzione costituisce non una sportula o tassa di cancelleria perchè non è in rapporto con determinate prestazioni amministrative, nè un diritto fisso perchè illimitata, ma una contribuzione ad valorem, a scopi puramente fiscali, fondata unicamente sul generico
BGE 86 I 219 S. 222
potere d'imposizione del Cantone. Si tratta quindi sostanzialmente di una imposta, a cui si applica il divieto di doppia imposizione previsto dall'art. 46 cp. 2 CF (RU 71 I 324 ss, 72 I 85, 81 I 24).
b) Questa contribuzione, applicabile agli atti destinati a far fede in giudizio (art. 2 LB), spetta a quei cantoni nel cui territorio il relativo rapporto giuridico è stato documentato (RU 72 I 85, 81 I 24); com'è il caso per il contratto di compravendita stipulato fra la Progress-Vertrieb e B., che - come ammette anche la ricorrente - è stato redatto e firmato a Claro.
L'autorità cantonale afferma che anche la cessione del credito è stata documentata a Claro contemporaneamente al contratto di compravendita, ma essa non annette a tale fatto un'importanza decisiva e non dichiara di aver sottoposto al bollo la documentazione del contratto di cessione. Secondo l'autorità ticinese sono responsabili per il pagamento del bollo proporzionale e delle relative multe tutte le persone che, presentando un documento steso nel Ticino in contravvenzione colle suesposte disposizioni legali, fanno valere diritti in proprio. Da questo ragionamento si deve conseguire che, in virtù dell'art. 43 lett. b LB, il cessionario sarebbe sempre responsabile dell'omissione del bollo imputabile al cedente, anche nel caso che la cessione sia stata documentata separamente al di fuori del territorio cantonale.
c) La suesposta questione puà rimanere aperta, perchè in concreto la ricorrente è parte nel cosiddetto "Kaufvertrag" - in realtà un contratto misto di compravendita e di cessione - stipulato a Claro fra il rappresentante della Progress Vertrieb e B.
Infatti, in questo contratto i rapporti della vendita e della cessione sono intimamente connessi e reciprocamente condizionati.
La cessione del credito vi è prevista alla cifra 2, la quale stabilisce inoltre che il compratore può effettuare i suoi pagamenti rateali solo alla cessionaria. La cifra 5 autorizza
BGE 86 I 219 S. 223
la cessionaria ad iscrivere la riserva della proprietà; la cifra 6 prescrive che il compratore è obbligato ad assicurare contro i danni l'oggetto comperato ed a cedere i relativi diritti alla Finanz & Kredit AG Anche altre disposizioni contrattuali concernono obblighi e diritti intercorrenti direttamente fra il compratore e la cessionaria. Inoltre l'atto in questione è stato allestito su un formulario stampato e, pertanto, presuppone accordi fra la cedente e la cessionaria circa le condizioni da imporre al compratore e l'implicita autorizzazione della Finanz & Kredit AG al rappresentante della Progress Vertrieb di proporre il contratto.
La disposizione prevista sotto cifra 16 che riserva l'approvazione della cessionaria, si riferisce al "Kaufvertrag" e quindi, contrariamente a quanto afferma la ricorrente, non concerne particolarmente la cessione di credito, ma dimostra che la cessionaria non è estranea nemmeno al contratto di compravendita.
D'altra parte la circostanza - affermata dalla ricorrente e contestata dall'autorità cantonale - secondo cui l'approvazione del contratto sarebbe stata espressa ad Aarau è irrilevante agli effetti della doppia imposizione, perchè la riserva dell'approvazione non impedisce la documentazione del contratto (RU 81 I 24, 25).
Ciò premesso, l'autorità ticinese, sottoponendo la ricorrente all'obbligo del bollo, come una delle tre parti interessate nel contratto documentato a Claro, non ha violato il divieto costituzionale della doppia imposizione.
2.
(Questione dell'arbitrio). | public_law | nan | it | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cba3970d-c5a7-448c-8415-8e9c53acf1a7 | Urteilskopf
118 Ib 407
49. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 18 novembre 1992 dans la cause X. SA contre Département des travaux publics, de l'aménagement et des transports et Conseil d'Etat du canton de Vaud (recours de droit administratif) | Regeste
Bundesgesetz über den Umweltschutz; Abfallbehandlung (
Art. 30 ff. USG
).
1. Verursacherprinzip (
Art. 2 USG
) und Abfallbehandlung; Anwendung der Regeln des Bundesrechts betreffend die Übernahme der Kosten für das Verwerten, Unschädlichmachen und Beseitigen von Sonderabfällen, vorliegend von Aushubmaterial und Bauabfällen, durch den Inhaber der Abfälle (E. 3).
2. Überbinden von Kosten für Sicherungs- bzw. Behebungsmassnahmen der Behörden im Sinne der
Art. 8 GSchG
und
Art. 59 USG
auf den Zustands- oder Verhaltensstörer (E. 4).
3. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit muss bei der Anwendung der Bestimmungen über die Abfälle beachtet werden (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 407
BGE 118 Ib 407 S. 407
La société X. SA (ci-après: la société) est propriétaire d'une parcelle de 4790 m2, qu'elle a acquise en 1985 d'une autre société qui
BGE 118 Ib 407 S. 408
a ensuite été dissoute. Auparavant encore, la parcelle était la propriété de la société A. SA et il s'y trouvait des réservoirs d'hydrocarbures, aériens et souterrains. Ces installations ont été désaffectées, puis supprimées dès 1983, lorsque A. SA a cessé ses activités. Deux terrains voisins sont également occupés par des installations d'entreprises de la branche des produits pétroliers.
La société a déposé en 1988 une demande d'autorisation en vue d'édifier un centre de distribution sur sa parcelle. Le permis de construire lui a été délivré et elle a mis son projet en chantier en juin 1989. La société a fait acheminer les matériaux terreux excavés vers une décharge, mais l'exploitant les a refusés en raison de leur trop forte teneur en hydrocarbures. Avisé par la société, le Département des travaux publics, de l'aménagement et des transports du canton de Vaud (ci-après: le département) a chargé son Service des eaux et de la protection de l'environnement de procéder à un examen, qui a révélé que les terres étaient moyennement à fortement imprégnées d'un mélange d'essence et de mazout. Le 19 juin 1989, le département a indiqué à la société les mesures à prendre, à savoir le tri des terres excavées et leur transport dans divers centres de traitement ou décharges, selon qu'elles étaient fortement, faiblement ou non souillées.
Le 28 juin 1989, la société a requis du département qu'il recherche les responsables de la pollution du sol de sa parcelle et qu'il rende une décision à cet égard. Le département a renvoyé la société à agir devant le juge civil, le cas échéant, contre le précédent propriétaire du terrain. A l'issue des opérations d'évacuation et d'élimination des matériaux terreux, les entreprises qui se sont chargées du transport et du traitement ont adressé une facture à la société, pour un montant de 358'843 francs. Le 18 juin 1990, la société a requis du département qu'il statue formellement sur la prise en charge de ces frais par l'Etat de Vaud, le cas échéant qu'il identifie l'auteur de ces déchets qu'elle n'avait pas produits. Le département a écarté la requête de la société. La société a déféré cette décision au Conseil d'Etat du canton de Vaud, qui a rejeté le recours, en retenant qu'il appartenait au détenteur des déchets spéciaux, en l'occurrence à la société, de les traiter à ses frais.
Agissant par la voie d'un recours de droit administratif, la société a demandé au Tribunal fédéral d'annuler la décision rendue par le Conseil d'Etat et de renvoyer le dossier au département pour qu'il procède à la répartition des frais d'élimination des terres excavées. Le recours a été rejeté dans la mesure où il était recevable.
BGE 118 Ib 407 S. 409
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Selon la recourante, le droit fédéral imposerait aux cantons d'identifier l'auteur des déchets à traiter; si l'auteur ne peut être identifié - tel serait le cas en l'espèce, la société n'ayant au demeurant jamais exercé elle-même d'activités dans le domaine des hydrocarbures -, la collectivité publique devrait supporter elle-même les frais d'élimination. A l'appui de ses moyens, la recourante invoque l'art. 31 al. 2 de la loi fédérale sur la protection de l'environnement (LPE; RS 814.01).
a) Au sens de la loi fédérale sur la protection de l'environnement, on entend par déchets "tous biens meubles dont le détenteur veut se défaire ou dont le recyclage, la neutralisation ou l'élimination est commandé par l'intérêt public" (
art. 7 al. 6 LPE
). L'
art. 30 al. 1 LPE
, qui énonce une obligation générale relative au traitement des déchets, a la teneur suivante:
"Le détenteur de déchets doit les recycler, les neutraliser ou les
éliminer selon les prescriptions de la Confédération et des cantons."
L'
art. 30 LPE
distingue une catégorie de déchets, les "déchets dangereux", qui ne peuvent être remis qu'à des entreprises autorisées spécialement à les prendre en charge (
art. 30 al. 4 LPE
). Parmi ces déchets figurent les "déchets spéciaux" au sens de l'art. 3 al. 2 de l'ordonnance du 10 décembre 1990 sur le traitement des déchets (OTD; RS 814.015). Cette disposition renvoie en fait à l'ordonnance sur les mouvements de déchets spéciaux, qui comporte, dans son annexe 2, une liste exhaustive de ces déchets (
art. 1er al. 1 ODS
; cf. ANDREAS TRÖSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 30 et 31, Zurich 1991, N. 75 ad art. 30). La "terre souillée par des produits pétroliers" figure dans cette liste des déchets spéciaux (Annexe 2 ODS, catégorie 12, code 3041). La recourante ne conteste d'ailleurs pas que ses matériaux d'excavation répondent, pour une partie d'entre eux à tout le moins, à cette définition.
Les
art. 6 ss OTD
mentionnent en outre certains types de déchets (déchets urbains, déchets compostables, etc.) en énonçant des règles et des principes pour leur traitement. En particulier, l'
art. 9 OTD
, relatif aux "déchets de chantier", est ainsi libellé:
"1 Quiconque effectue des travaux de construction ou de démolition doit séparer les déchets spéciaux des autres déchets et, dans la mesure où les conditions d'exploitation le permettent, doit trier sur place ces derniers afin de les répartir comme il suit:
BGE 118 Ib 407 S. 410
a. Matériaux d'excavation et déblais non pollués;
b. Déchets stockables définitivement en décharge contrôlée pour matériaux inertes sans devoir subir un traitement préalable;
c. Autres déchets.
2 L'autorité peut exiger un tri plus poussé si cette opération permet la valorisation d'une partie des déchets."
Par ailleurs, selon l'
art. 11 OTD
, les cantons veillent à ce que les déchets de chantier combustibles, notamment, soient incinérés dans des installations appropriées s'il n'est pas possible de les valoriser.
Enfin, la disposition cantonale d'exécution relative aux déchets spéciaux et figurant à l'art. 16 de la loi vaudoise sur la gestion des déchets (LGD) charge également leur détenteur de les traiter "à ses frais", soit par ses propres moyens, conformément aux prescriptions, soit en les acheminant dans un centre de ramassage ou de traitement.
b) Aux termes de l'
art. 2 LPE
, "celui qui est à l'origine d'une mesure prescrite par la présente loi en supporte les coûts". Ce principe général, dit de causalité (aussi "principe pollueur-payeur"; dans le texte allemand: "Verursacherprinzip"), ne désigne pas, pour chaque cas particulier, le responsable des mesures à prendre; il signifie en revanche que les frais pourront être reportés sur le véritable auteur de l'atteinte à l'environnement, même si celle-ci doit être combattue par un tiers (cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III, p. 775).
En vertu de la loi fédérale, l'"auteur" ou le "pollueur" ("Verursacher") peut être notamment le propriétaire d'un immeuble ou d'une installation (cf.
art. 20 et 25 LPE
), le détenteur d'une installation, d'un dépôt ou de déchets (cf. art. 10 al. 3, 16 al. 3 et 30 LPE), l'exploitant d'une installation (cf.
art. 10 al. 1 LPE
); l'
art. 2 LPE
ne donne pas lui-même une définition précise (cf. BEATRICE WAGNER, Das Verursacherprinzip im schweizerischen Umweltschutzrecht, RDS 108/1989 II, p. 359). Lorsque l'activité de plusieurs "pollueurs" est l'une des conditions nécessaires pour que l'effet dommageable se produise, le législateur a été le plus souvent amené à désigner l'un ou l'autre comme le responsable soit de prendre les mesures appropriées, soit d'assumer les divers coûts liés à la pollution; ces obligations ou cette responsabilité sont en principe concentrées sur la personne qui exerce une activité supposée particulièrement dangereuse pour l'environnement, soit par l'exploitation d'une installation, soit par la fabrication ou la diffusion de produits (cf. ANNE PETITPIERRE-SAUVAIN, Le principe pollueur-payeur en relation avec la responsabilité du pollueur, RDS 108/1989 II, p. 462-463).
BGE 118 Ib 407 S. 411
Si la loi attribue à l'auteur de l'atteinte l'obligation de prendre lui-même des mesures, la question de la charge de leur coût, selon l'
art. 2 LPE
, est ainsi en principe automatiquement résolue (cf. HERIBERT RAUSCH, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 2, Zurich 1985, N. 18).
c) L'
art. 30 al. 1 LPE
charge le détenteur des déchets d'assurer leur traitement (recyclage, neutralisation ou élimination; cf.
art. 3 al. 3 OTD
). Conformément à l'
art. 2 LPE
, les frais de traitement doivent, dans ce domaine, être en principe supportés par celui que la loi charge de prendre les mesures nécessaires, à savoir le détenteur (cf. RAUSCH, op.cit., N. 18 ad art. 2; TRÖSCH, op.cit., N. 15 ad art. 30 et N. 14 ad art. 31). Le détenteur (dans le texte allemand: "Inhaber") est celui qui a en fait un pouvoir de disposition sur les déchets; ce n'est pas nécessairement la personne qui est à l'origine de leur production (cf. TRÖSCH, op.cit., N. 10 ad art. 30). Les déchets sont en effet actuellement un des types de "produits" dont il est admis qu'ils peuvent causer des dommages importants en dehors de tout accident: il en résulte une concentration de nombreuses obligations, voire de la responsabilité sur leur détenteur (cf. PETITPIERRE-SAUVAIN, op.cit., p. 463); en outre, il est souvent difficile, en pratique, d'identifier la personne qui est véritablement à l'origine des déchets (cf. TRÖSCH, op.cit., N. 10 ad art. 30 et N. 14 ad art. 31). Le traitement des déchets incombe donc à leur détenteur et l'
art. 31 al. 1 LPE
, qui prescrit aux cantons de veiller à ce que les déchets soient recyclés, neutralisés ou éliminés, n'a pas pour signification de confier cette tâche, de façon générale, à la collectivité publique (cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III, p. 800).
Dans son commentaire de l'
art. 30 LPE
, ANDREAS TRÖSCH souligne néanmoins la difficulté de concilier les obligations mises à la charge du détenteur avec le principe de causalité énoncé à l'
art. 2 LPE
; il remarque toutefois que l'
art. 30 al. 1 LPE
n'exclut pas une répartition des frais conforme à ce principe. Si le détenteur doit être considéré, a priori, comme celui qui est à l'origine de la nécessité de traiter les déchets, il lui est cependant possible de prouver que les mesures requises ne lui sont pas imputables et ainsi d'obtenir que les frais de traitement soient reportés sur l'auteur ou le pollueur effectif (cf. TRÖSCH, op.cit., N. 15 ad art. 30).
d) Certaines dispositions de la loi fédérale représentent cependant des exceptions au principe de causalité énoncé à l'
art. 2 LPE
. Il en va ainsi notamment de l'
art. 31 al. 2 LPE
(cf. RAUSCH, op.cit., art. 2, N. 21), dont la teneur est la suivante:
BGE 118 Ib 407 S. 412
"[Les cantons] recyclent, neutralisent ou éliminent eux-mêmes les ordures ménagères et déchets d'auteurs non identifiés ou dont on ne saurait attendre qu'ils satisfassent aux obligations prévues à l'art. 30, 1er alinéa, en raison de leur impécuniosité. Ils peuvent aussi confier ces tâches aux communes ou à d'autres collectivités de droit public. Des entreprises privées peuvent être chargées d'exécuter ces tâches."
En ce qui concerne les ordures ménagères, le législateur a constaté que, depuis des décennies, les pouvoirs publics en assuraient le recyclage et l'élimination à la place des particuliers; dans ces conditions, il se justifiait de consacrer cette pratique par une disposition légale (cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III, p. 801).
L'
art. 31 al. 2 LPE
met aussi à la charge des cantons le traitement de déchets d'"auteurs non identifiés" (dans le texte allemand: "deren Verursacher nicht ermittelt werden kann"). Une telle disposition a pour but d'assurer le recyclage, la neutralisation ou l'élimination de déchets dont un détenteur se serait débarrassé en violation des prescriptions ou qui auraient dû être traités par une personne entre-temps disparue (décès, faillite ou dissolution d'une personne morale, etc.); cette norme tient compte des risques que comportent les dépôts de déchets abandonnés ou qui ne sont pas traités en temps utile. C'est pour les mêmes motifs que la collectivité doit se charger des déchets d'auteurs impécunieux (cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III, p. 801; TRÖSCH, op.cit., N. 10 ad art. 31).
L'
art. 31 al. 2 LPE
emploie le terme d'auteur ("Verursacher") et non de détenteur ("Inhaber"); il vise cependant la personne chargée de prendre les mesures prescrites à l'
art. 30 al. 1 LPE
, soit en définitive le détenteur des déchets; le Message du Conseil fédéral parle d'ailleurs de "déchets d'auteurs inconnus au sens de l'art. 27, 1er alinéa" du projet de loi, disposition qui correspond à l'
art. 30 al. 1 LPE
(cf. Message relatif à la LPE, FF 1979 III, p. 801; TRÖSCH, op.cit., N. 11 ad art. 31). La recourante allègue néanmoins que cette différence terminologique entre les art. 30 al. 1 et 31 al. 2 LPE ne serait pas dépourvue de portée. Cependant, si l'on retient l'hypothèse dans laquelle le détenteur des déchets est une personne distincte de leur auteur, ce dernier étant inconnu ou insolvable, la collectivité publique devrait, en vertu de l'
art. 31 al. 2 LPE
tel qu'il est interprété par la recourante, traiter elle-même et à ses frais les déchets, quand bien même le détenteur, identifié, aurait les moyens de prendre les mesures prescrites. Cette interprétation n'est pas conciliable avec la règle de l'
art. 30 al. 1 LPE
. La recourante, qui a d'ailleurs pourvu elle-même au traitement de ses matériaux d'excavation, ne peut donc pas
BGE 118 Ib 407 S. 413
simplement se prévaloir de l'incertitude quant à l'identité de celui qui a permis l'infiltration d'hydrocarbures dans son terrain pour réclamer ici l'application de la règle exceptionnelle de l'
art. 31 al. 2 LPE
.
e) En l'espèce, les matériaux excavés - qu'il s'agisse de terres souillées par des produits pétroliers ou de terres non polluées - sont des déchets produits par l'activité de construction engagée par la recourante sur sa parcelle, soit des "déchets de chantier" au sens de l'
art. 9 OTD
. En les remettant d'abord à une décharge, la société a bel et bien voulu s'en défaire (cf.
art. 7 al. 6 LPE
); à ce stade, le département n'avait pas encore été requis de prendre une décision. L'autorité cantonale, avertie par la société, est ensuite intervenue non pas pour pourvoir elle-même au traitement des déchets ou pour prendre des "mesures de sécurité" (cf.
art. 59 LPE
), mais pour donner des "directives". En effet, la présence dans les terres excavées de déchets spéciaux nécessitait d'abord un tri, puis des dispositions particulières pour l'élimination (cf.
art. 30 al. 4 LPE
,
art. 9 et 11 OTD
) et il appartenait au département de veiller à ce que les opérations se déroulent conformément aux prescriptions (cf.
art. 31 al. 1 LPE
). La recourante, détentrice des matériaux provenant de sa propre parcelle, est à l'origine des mesures nécessaires pour le traitement de ses déchets, spéciaux ou non, car elle les a produits en procédant aux travaux de construction. Elle ne prétend pas que, dans ces opérations de fouille et d'excavation, un tiers serait intervenu, à qui les mesures prises seraient imputables (cf. supra consid. 3c in fine). Dans ces conditions et conformément à l'
art. 30 al. 1 LPE
et au principe de causalité (
art. 2 LPE
), la recourante doit supporter les frais de recyclage, de neutralisation et d'élimination des terres excavées. Les conditions pour une exception à ce principe, fondée par exemple sur l'
art. 31 al. 2 LPE
, ne sont pas réunies en l'espèce et la décision attaquée ne viole pas les dispositions fédérales relatives au traitement des déchets; elle est d'ailleurs aussi conforme au droit cantonal d'exécution (art. 16 LGD).
4.
La recourante fait cependant valoir que la seule présence de résidus d'hydrocarbures dans le sol de sa parcelle aurait déjà nécessité des mesures de protection ou d'élimination, indépendamment de ses travaux d'excavation. L'autorité aurait alors dû chercher à identifier l'auteur de la pollution. Cependant, la recourante concède que l'écoulement du temps depuis que les dépôts d'hydrocarbures exploités sur sa parcelle ont été désaffectés, ainsi que l'implantation de plusieurs entreprises de cette même branche sur les terrains avoisinants, vouent pratiquement à l'échec toute tentative d'identification de la personne responsable des
BGE 118 Ib 407 S. 414
infiltrations. Dans ces conditions, il serait contraire au droit fédéral et insoutenable, de la part de l'autorité cantonale, de prendre prétexte des travaux effectués par la recourante pour mettre à sa charge l'entier des frais liés au traitement des terres souillées.
a) La décision attaquée retient que les conditions n'étaient pas remplies, en l'espèce, pour que l'Etat intervienne directement à l'égard du propriétaire du terrain. Dans sa réponse au recours, le Conseil d'Etat a encore précisé que la présence dans le sol de substances telles que des hydrocarbures ne nécessitait des mesures de lutte contre la pollution qu'à partir du moment où ces résidus créaient un danger effectif pour la nappe phréatique; tel n'était pas le cas sur la parcelle de la recourante. Cette dernière n'a pas expliqué en quoi ces constatations seraient inexactes ou incomplètes. Elle n'a pas non plus tenté de démontrer que les substances litigieuses présenteraient, non seulement pour les eaux, mais de façon générale pour l'homme et son environnement (animaux, plantes, sol; cf. art. 1er al. 1 et 28 al. 1 LPE), des risques justifiant des mesures de sécurité prises d'office par le département.
b) Dans sa réponse au recours, le Conseil d'Etat indique que les substances litigieuses, qui demeurent sans risque tant qu'elles sont prises dans la glaise, peuvent entraîner une pollution après leur extraction. Dans l'hypothèse d'une atteinte imminente ou effective à l'environnement, pour une raison ou pour une autre et indépendamment de toute activité de construction, l'autorité aurait pu être amenée à prendre des mesures de sécurité ou de rétablissement de l'état intérieur; dans ce cas, les frais de son intervention auraient pu être répartis selon le principe de l'
art. 59 LPE
, qui est ainsi libellé:
"Les frais provoqués par des mesures que les autorités prennent pour empêcher une atteinte imminente ainsi que pour en déterminer l'existence et y remédier, peuvent être mis à la charge de ceux qui en sont la cause."
Une règle semblable figure à l'art. 8 de la loi fédérale du 8 octobre 1971 sur la protection des eaux contre la pollution (LPEP; RS 814.20); l'
art. 59 LPE
en a repris le principe, mais son champ d'application n'est pas limité aux risques de pollution des eaux (cf. FELIX MATTER, Kommentar zum Umweltschutzgesetz, art. 59, Zurich 1986, N. 5).
c) Dans sa jurisprudence relative à l'
art. 8 LPEP
, le Tribunal fédéral a désigné les personnes "qui sont la cause" des mesures de sécurité en recourant aux notions de perturbateur par comportement et de
BGE 118 Ib 407 S. 415
perturbateur par situation. Le perturbateur par comportement est une personne dont les actes ou les omissions, ou ceux des tiers qui dépendent d'elle, ont provoqué l'atteinte; le perturbateur par situation est une personne à qui il incombe de remettre une chose dans un état conforme à l'ordre public, en raison de ses liens avec cette chose, généralement parce qu'elle en dispose ou en jouit comme propriétaire ou possesseur. Il ne suffit cependant pas, pour que le perturbateur soit appelé au remboursement des frais occasionnés par des mesures de sécurité, que sa situation ou son comportement soit en relation de causalité avec la menace ou l'atteinte qui a nécessité ces mesures; il faut en outre que le lien de causalité soit immédiat, c'est-à-dire que la cause elle-même ait franchi les limites du danger ("immédiateté de la causalité"). Le perturbateur par comportement est donc celui qui a causé directement le danger ou l'atteinte; pour qu'il y ait perturbateur par situation, il faut, en ce sens, que la chose elle-même ait constitué directement la source de ce danger ou de cette atteinte (
ATF 114 Ib 47
/48 consid. 2a et les arrêts cités; cf. CLAUDE ROUILLER, L'exécution anticipée d'une obligation par équivalent, in: Mélanges André Grisel, Neuchâtel 1983, p. 598).
Le Tribunal fédéral a en particulier appliqué l'
art. 8 LPEP
dans une affaire jugée le 17 septembre 1987 (arrêt non publié en la cause M. AG c. Bâle-Campagne). Des travaux d'excavation avaient mis au jour une pollution du sol par hydrocarbures, jusque-là non décelée et stabilisée. A l'occasion de ces travaux, une couche d'huile minérale s'était répandue sur la nappe phréatique, ce qui avait entraîné une intervention et des mesures de sécurité de la part de l'autorité cantonale compétente. Celle-ci avait mis la totalité des frais à la charge du propriétaire de la parcelle et maître de l'ouvrage; l'autorité cantonale de recours avait ensuite opéré une distinction entre les frais provoqués par l'activité de construction, à supporter par le propriétaire, et les frais pour la mise en place de contrôles ultérieurs des eaux souterraines dans ce secteur, laissés à la charge de l'Etat. Statuant sur un recours de droit administratif du propriétaire, le Tribunal fédéral a confirmé la solution cantonale, en ne tranchant pas la question de savoir si le propriétaire était un perturbateur par situation, mais en retenant que, comme auteur des travaux à l'origine de la pollution, il était un perturbateur par comportement; en outre, comme la personne à l'origine de la présence d'hydrocarbures dans le sol ne pouvait en pratique plus être identifiée, il se justifiait de mettre les frais à la charge du propriétaire, qui tire des avantages de la chose mais qui en supporte aussi les inconvénients.
BGE 118 Ib 407 S. 416
Les circonstances de cette affaire sont, jusqu'à un certain point, semblables à celles de la présente espèce. Dès lors, si le département avait été amené à prendre des mesures de sécurité à l'occasion des travaux sur la parcelle de la recourante, les frais auraient pu être mis à sa charge, en sa qualité de perturbateur unique, à tout le moins par comportement. Dans son résultat, une telle solution, qu'elle soit fondée sur l'
art. 8 LPEP
ou l'
art. 59 LPE
, ne différerait pas de celle de la décision attaquée. Les griefs de la recourante à cet égard ne peuvent donc qu'être écartés.
5.
La recourante se plaint encore d'une violation du principe de l'égalité de traitement. L'
art. 4 Cst.
confère le droit d'exiger que les situations de fait semblables soient assujetties à des règles de droit semblables, et les situations de fait dissemblables à des règles de droit dissemblables (
ATF 118 Ia 2
consid. 3a,
ATF 117 Ia 259
consid. 3b,
ATF 111 Ib 219
consid. 4). Les autorités doivent respecter ce principe dans l'application des dispositions fédérales relatives au traitement des déchets (
ATF 117 Ib 424
consid. 8). La recourante ne prétend toutefois pas que d'autres détenteurs de déchets ont été, dans une même situation, exonérés du paiement des frais de traitement et on ne voit pas pour quel motif l'égalité commanderait, en l'occurrence, que la collectivité s'en charge. Ce grief se révèle donc mal fondé. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cba41579-e82c-4486-8762-17ecffcaa499 | Urteilskopf
87 III 72
14. Entscheid vom 5. Juni 1961 i.S. Good. | Regeste
Nach Eröffnung der konkursamtlichen Liquidation einer Erbschaft (
Art. 573 ZGB
, 193 SchKG) kann diese nicht mehr betrieben werden;
Art. 49 SchKG
.
Das gilt grundsätzlich auch, wenn der der Konkurs mangels genügender Aktiven gemäss
Art. 230 SchKG
eingestellt und geschlossen wird.
Lediglich die zuvor zu Gunsten einzelner Gläubiger vollzogenen, infolge der Konkurseröffnung nach
Art. 206 SchKG
dahingefallenen Pfändungen leben in diesem Falle wieder auf, so dass die betreffenden Gläubiger nun diese Gegenstände für sich verwerten lassen können.
Andere Gläubiger haben keinen Zugriff auf etwa noch sonst vorhandene Erbschaftsaktiven; diese fallen nach Analogie des
Art. 573 Abs. 2 ZGB
an die ausschlagenden Erben. | Sachverhalt
ab Seite 72
BGE 87 III 72 S. 72
A.-
Über die Verlassenschaft der am 8 Februar 1960 verstorbenen Witwe Klara Buri in Zürich wurde wegen Überschuldung am 23. März 1960 die konkursamtliche Liquidation angeordnet, die dem Konkursamt Schwamendingen-Zürich oblag. Am 4. April 1960 stellte der Konkursrichter die Liquidation jedoch in Anwendung des
Art. 230 SchKG
mangels Aktiven wieder ein, und sie wurde hierauf
BGE 87 III 72 S. 73
geschlossen, da kein Gläubiger binnen der am 18. April 1960 auslaufenden Frist den für ihre Durchführung verlangten Kostenvorschuss von Fr. 500.-- leistete. Dies tat auch die Rekurrentin nicht, welche die Schuldnerin im Februar 1958 für eine Darlehensforderung von Fr. 3'150.-- nebst Zins betrieben hatte mit dem Ergebnis, dass ihr aus der Verwertung eines Original Simon-Reliefs ein Erlös von Fr. 2'772.55 zufiel. Eine Nachpfändung eines der Schuldnerin gehörenden Abgusses des erwähnten Reliefs und allfälliger weiterer Gegenstände unterblieb, wie die Rekurrentin ausführt, wegen der Erkrankung und des Todes der Schuldnerin.
B.-
Für die Restforderung hob die Rekurrentin im Januar 1961 eine neue Betreibung an gegen die "Erbschaft der Frau Klara Buri..., vertreten durch den von der Vormundschaftsbehörde zu ernennenden Beistand" Das Betreibungsamt Zürich 11 gab dem Begehren Folge und stellte den Zahlungsbefehl Nr. 60277 vom 17. Januar 1961 der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich zu.
C.-
Diese Behörde hielt eine Betreibung der Erbschaft nach Anordnung der konkursamtlichen Liquidation für unzulässig. Sie führte Beschwerde mit dem Antrag, die Betreibung Nr. 60277 und insbesondere der Zahlungsbefehl sowie dessen Zustellung seien als nichtig zu erklären und aufzuheben. Das Betreibungsamt liess sich dahin vernehmen: Die Betreibung erscheine nach
Art. 49 und
Art. 230 Abs. 3 SchKG
als zulässig. Das Vorhandensein verwertbaren Erbschaftsvermögens lasse sich nichtleugnen; denn für den der Schuldnerin verbliebenen, vom Konkursamt Schwamendingen-Zürich als Nachlassaktivum inventarisierten Reliefabguss wolle ein Kaufsinteressent Fr. 3'000.-- zahlen.
D.-
Sowohl die untere wie auch die obere kantonale Aufsichtsbehörde erachteten die Betreibung indessen als nichtig und hoben sie auf.
E.-
Den oberinstanzlichen Entscheid vom 9. Mai 1961 hat die Gläubigerin an das Bundesgericht weitergezogen.
BGE 87 III 72 S. 74
Sie hält daran fest, dass die Betreibung zulässig und die Beschwerde daher abzuweisen sei. Eventuell beantragt sie, es sei festzustellen, dass das Konkursamt die Nachlassaktiven zu verwerten und den Erlös den Gläubigern zuzuweisen habe.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Eine Erbschaft kann als solche, somit als Sondervermögen, nach
Art. 49 SchKG
nur solange betrieben werden, als eine amtliche Liquidation - allenfalls eine solche durch das Konkursamt - nicht angeordnet ist. Nach diesem Zeitpunkt besteht sie als Betreibungsschuldnerin nicht mehr. Ein Gläubiger muss daher seine Forderung im konkursamtlichen Liquidationsverfahren geltend machen, sonst verliert er die Möglichkeit, sie durchzusetzen. Es macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied aus, ob sich die konkursamtliche Liquidation durchführen lässt oder mangels genügender Aktiven gemäss
Art. 230 SchKG
eingestellt werden muss. Im letztern Fall erhalten die Gläubiger die Möglichkeit, binnen bestimmter Frist den für die Durchführung des Verfahrens verlangten Vorschuss zu leisten. Unterbleibt diese Leistung, wie im vorliegenden Falle, so wird das Verfahren als undurchführbar geschlossen, und es kann alsdann auch nicht auf die allenfalls der Konkurseröffnung vorausgegangenen Betreibungen zurückgegangen werden (vgl.
BGE 42 III 14
,
BGE 75 III 70
ff.). Das Stadium des Erbganges, in dem die Erbschaft betrieben werden konnte, ist mit der Anordnung der Generalliquidation überschritten. Infolgedessen fallen die zur Deckung der Konkurskosten als ungenügend befundenen Aktiven nach
Art. 573 Abs. 2 ZGB
an die Erben, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte (vgl.
BGE 62 III 102
; JAEGER, N. 3 zu
Art. 193 SchKG
).
An dieser Rechtslage hat der seit 1. Februar 1950 in Kraft stehende Abs. 3 des
Art. 230 SchKG
nichts geändert. Er erweitert nur die zulässigen Betreibungsarten und
BGE 87 III 72 S. 75
kann nur zur Anwendung kommen, wenn der Schuldner betreibungsrechtlich überhaupt noch existiert, was bei einer in Generalliquidation getretenen Erbschaft nach dem Gesagten nicht zutrifft.
2.
Von den dargelegten Rechtswirkungen der Konkurseinstellung und -schliessung nach
Art. 230 SchKG
sind freilich nach der Rechtsprechung einige besondere Fälle ausgenommen. Die Regel, dass bei solchem Ausgang die nach
Art. 206 SchKG
mit der Konkurseröffnung dahingefallenen Betreibungen nicht wieder aufleben, erfasst nicht Betreibungen, in denen eine Lohnpfändung vollzogen worden war (
BGE 35 I 215
= Sep. Ausg. 12 S. 15 f.). Ferner kann ein Gläubiger, der gestützt auf einen Pfändungsverlustschein in einem Anfechtungsprozess obsiegte und die zurückzugewährenden Sachen pfänden liess, die Betreibung fortsetzen, wenn inzwischen über den Schuldner der Konkurs ausbrach und eingestellt wurde (
BGE 51 III 217
ff.). In ähnlicher Weise ist in
BGE 79 III 164
ff. eine Ausnahme für die Betreibung einer Erbschaft anerkannt worden: Danach lebt ganz allgemein eine vor Eröffnung der konkursamtlichen Liquidation vollzogene Pfändung wieder auf, wenn die Liquidation gemäss
Art. 230 SchKG
mangels genügender Aktiven eingestellt und, da der geforderte Kostenvorschuss ausblieb, geschlossen wurde. Dieser - wie ESCHER (3. Auflage, N. 12 zu
Art. 573 ZGB
) richtig bemerkt, theoretisch schwer zu begründende - Entscheid beruht auf einem bei der erwähnten Sachlage als unabweislich empfundenen Gebot der Billigkeit: Durch die Pfändung war verwertbares Erbschaftsvermögen einwandfrei festgestellt und für den betreibenden Gläubiger gesichert worden (der zuvor Arrest gelegt und seine Rechte auch gegenüber einem Drittanspruch durchgesetzt hatte). Wenn nun dieses Beschlagsrecht dem konkursrechtlichen Beschlagsrecht der Gläubigergesamtheit weichen musste (
Art. 206 SchKG
), es dann aber gar nicht zur Durchführung des Konkurses kam (
Art. 230 SchKG
), so wäre es äusserst unbillig gewesen, es beim Hinfall jenes
BGE 87 III 72 S. 76
Einzelbeschlagsrechtes bewenden zu lassen: Auf die Rechte der Gesamtheit der Gläubiger war bei solchem Ausgang des Konkurses nicht mehr Rücksicht zu nehmen; sie waren ja erloschen. Und das Recht der ausschlagenden, der Schuldpflicht ledig gewordenen Erben auf einen Überschuss (nach
Art. 573 Abs. 2 ZGB
) verdiente zurückzutreten vor dem Verwertungsrecht des Gläubigers, der die Pfändung erwirkt hatte.
Auf ein solches zu ihren Gunsten begründetes Beschlagsrecht vermag sich die Rekurrentin nicht zu berufen. Sie hält jedoch dafür, auch die Gläubiger, die vor der Anordnung der Gesamtliquidation der Erbschaft kein solches Recht erwirkt hatten, seien nach wie vor zur Betreibung der Erbschaft befugt, um auf die vorhandenen Erbschaftsaktiven greifen zu können.
Art. 573 Abs. 2 ZGB
gebe den Erben denn auch nur das Recht, einen sich nach Tilgung der Schulden ergebenden Überschuss zu erwerben. Allein diese Betrachtungsweise hält der Prüfung nicht stand:
a) Am Schlusse der Erwägungen von
BGE 79 III 164
ff. wurde freilich die Frage vorbehalten, "ob andere Gläubiger, welche die Erbschaft vor der Anordnung der Liquidation noch nicht bis zur Pfändung oder überhaupt noch nicht betrieben hatten, den Fortbestand eines Sondervermögens im Sinne von
Art. 49 SchKG
sich ebenfalls zunutze machen können, indem sie die Betreibung fortsetzen oder eine neue Betreibung anheben". Diese Frage ist aber in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil zu verneinen. Grundsätzlich muss es dabei bleiben, dass die Erbschaft mit der Anordnung der Gesamtliquidation - gleichgültig welchen Ausgang diese nehmen mag - betreibungsrechtlich zu existieren aufhört. Mit dem uneingeschränkt dahin lautenden Text des
Art. 49 SchKG
wäre es nicht vereinbar, die Erbschaft dann, wenn die Gesamtliquidation nicht zur Schuldenbereinigung und -tilgung führte, als passives Subjekt von Betreibungen wiedererstehen zu lassen. Bei fehlenden genügenden Aktiven sind die Gläubiger eben auf Vorschussleistung angewiesen,
BGE 87 III 72 S. 77
um die Durchführung der konkursamtlichen Liquidation zu ermöglichen. Dagegen lässt sich eine bestimmt umschriebene Ausnahme hievon zu Gunsten derjenigen Gläubiger rechtfertigen, die ein Beschlagsrecht auf einzelne Gegenstände erwirkt hatten. Die Billigkeit verlangt es, dass dieses zunächst infolge der Eröffnung der Gesamtliquidation durch das Gesamtbeschlagsrecht der Konkursmasse ersetzte Einzelbeschlagsrecht wieder zur Auswirkung komme, wenn sich der Konkurs nicht durchführen lässt. Im Gegensatz hiezu ist es nicht in hohem Masse stossend,
Art. 49 SchKG
strikte zur Geltung kommen zu lassen gegenüber Gläubigern, die nicht schon ein solches Beschlagsrecht erworben hatten. Wenn eine Gesamtliquidation angeordnet ist, sollen die Schulden nun eben nach dem Willen des Gesetzes auf diesem Boden bereinigt werden und beliebige Einzelbetreibungen gegen die Erbschaft nicht mehr zulässig sein.
b) Unbegründet ist auch der Gegenschluss, den die Rekurrentin aus
Art. 573 Abs. 2 ZGB
ziehen zu dürfen glaubt. Diese Vorschrift zieht nur den Fall eines durchgeführten Konkurses in Betracht, der einen Überschuss nach Tilgung der Schulden ergibt. Hinsichtlich des mangels -Aktiven eingestellten und dann ohne Durchführung geschlossenen Erbschaftskonkurses besteht eine Gesetzeslücke. Diese ist aber in analoger Weise auszufüllen, und es sind nach solchem Ausgang des Erbschaftskonkurses allfällig vorhandene Erbschaftsaktiven gleichfalls den Berechtigten im Sinne des
Art. 573 Abs. 2 ZGB
zuzuweisen. Denn in diesem Falle kommen die Erbschaftsschulden nicht mehr weiter in Betracht, so dass die vorhandenen Erbschaftsaktiven ebenso frei werden, wie es bei Durchführung des Konkurses ein Verwertungsüberschuss geworden wäre. Es entspricht dem Grundgedanken des
Art. 573 Abs. 2 ZGB
, auf diese Weise frei gewordene Erbschaftsaktiven einem Verwertungsüberschusse gleichzuachten (vgl. ESCHER, N. 12 zu diesem Artikel und dort angeführte Literatur).
BGE 87 III 72 S. 78
3.
Mit ihrem Eventualantrag nimmt die Rekurrentin den Standpunkt ein, nach Einstellung des Konkursverfahrens seien neue wertvolle Aktiven der Erbschaft entdeckt worden; daher müsse, in analoger Anwendung des
Art. 269 SchKG
, die Liquidation wieder aufgenommen und durchgeführt werden. Auf diesen Antrag ist jedoch nicht einzutreten, einmal, weil er erst vor Bundesgericht gestellt wurde und daher nach
Art. 79 Abs. 1 OG
unzulässig ist, und sodann, weil ein Nachkonkurs gemäss
Art. 269 SchKG
Sache des Konkursamtes wäre und über die Voraussetzungen hiezu gar nicht in einem gegen das Betreibungsamt angehobenen Beschwerdeverfahren entschieden werden könnte. Zu bemerken ist immerhin, dass im Anschluss an ein gemäss
Art. 230 SchKG
ohne Feststellung der Gläubigerrechte beendigtes Konkursverfahren ein Nachkonkurs nicht zulässig ist (vgl. JAEGER, N. 1 zu
Art. 269 SchKG
; ebenso JAEGER/DAENIKER, daselbst). Von neu entdecktem Erbschaftsvermögen kann hier übrigens wohl nicht gesprochen werden. Der von der Rekurrentin erwähnte Reliefabguss war bereits im konkursamtlichen Inventar verzeichnet und wurde offenbar bloss vom Konkursamt weniger hoch geschätzt als vom Betreibungsamt. Eine Frage für sich ist, ob ein Gläubiger unter Umständen die Wiedereröffnung eines nach
Art. 230 SchKG
eingestellten und beendigten Konkurses verlangen könne (vgl.
BGE 53 III 193
oben, wo indessen auch unter diesem Gesichtspunkt nur der Fall neu entdeckten Vermögens in Betracht gezogen wird). Hier ist diese Frage nicht zu erörtern; ein dahingehendes Gesuch wäre bei dem für die Wiedereröffnung zuständigen Konkursrichter zu stellen.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Soweit auf den Rekurs einzutreten ist, wird er abgewiesen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cba6c5fb-b474-4517-902b-b940126e6bbe | Urteilskopf
139 I 31
3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Migrationsamt und Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_926/2011 vom 12. Oktober 2012 | Regeste
Art. 8 EMRK
;
Art. 121 Abs. 3 BV
(Fassung vom 28. November 2010); Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 62 lit. b sowie
Art. 96 AuG
; Widerruf einer Niederlassungsbewilligung bei qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz ("Drogenhandel").
Zusammenfassung der Rechtsprechung zum Widerruf einer Niederlassungsbewilligung bei Straffälligkeit und langjährigem Aufenthalt in der Schweiz; Tragweite von
Art. 121 Abs. 3 BV
(E. 2). Interessenabwägung im konkreten Fall (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 139 I 31 S. 32
A.
X. (geb. 1987) stammt aus Mazedonien. Er reiste im Dezember 1991 im Rahmen eines Familiennachzugs in die Schweiz ein, wo er in der Folge über eine Niederlassungsbewilligung verfügte. Nach einer jugendrechtlichen Strafe wegen Sachbeschädigung im Jahre 2002 wurde er mit Urteil (...) vom 18. Juni 2010 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und der mehrfachen Gehilfenschaft zum Betäubungsmittelhandel schuldig gesprochen und zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. X. hat Heroin im Umfang von mehreren Kilos gelagert, befördert und vermittelt.
B.
Das Migrationsamt des Kantons Thurgau widerrief am 30. März 2011 die Niederlassungsbewilligung von X. und wies ihn aus der Schweiz weg. Die hiergegen ergriffenen kantonalen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde von X. ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn der Ausländer zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer solchen von mehr als einem Jahr, verurteilt worden ist, wobei mehrere unterjährige Strafen bei der Berechnung nicht kumuliert werden dürfen (Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m.
Art. 62 lit. b AuG
[SR 142.20]; BGE
BGE 135 II 377
E. 4.2 S. 381;
BGE 137 II 297
E. 2). Keine Rolle spielt, ob die Sanktion bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (Urteil 2C_515/2009 vom 27. Januar 2010 E. 2.1). Ein Widerruf ist auch möglich, wenn der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im
BGE 139 I 31 S. 33
Ausland verstossen oder diese gefährdet hat (
Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG
). Die Praxis geht hiervon aus, wenn er durch sein Handeln besonders hochwertige Rechtsgüter verletzt oder in Gefahr gebracht hat, sich von strafrechtlichen Massnahmen nicht beeindrucken lässt und sich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zeigt, dass er auch künftig weder gewillt noch fähig erscheint, sich an die Rechtsordnung zu halten (
BGE 137 II 297
E. 3 S. 302 ff.; Urteile 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.2 und 2C_310/2011 vom 17. November 2011 E. 5). Die genannten Widerrufsgründe gelten auch, falls der Ausländer sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss im Land aufgehalten hat (
Art. 63 Abs. 2 AuG
).
2.2
Mit der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten (bedingt) ist der Widerrufsgrund von Art. 62 lit. b (i.V.m. Art. 63 Abs. 1 lit. a) AuG gegeben, was der Beschwerdeführer nicht bestreitet. Die Vorinstanz hat zudem angenommen, dass ein schwerwiegender Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt; der Beschwerdeführer wendet sich auch nicht hiergegen.
2.3
2.3.1
Nach
Art. 63 AuG
kann
die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden. Die Massnahme muss - wie jedes staatliche Handeln - verhältnismässig sein (vgl.
Art. 5 Abs. 2 BV
;
Art. 96 AuG
). Zur Beurteilung der Frage, ob dies der Fall ist, sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (
BGE 135 II 377
E. 4.3). Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll zwar nur mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden, doch ist dies bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (vgl. das Urteil 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.3 [Widerruf der Niederlassungsbewilligung eines hier geborenen 43-jährigen Türken] und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR]
Trabelsi gegen Deutschland
vom 13. Oktober 2011 [Nr. 41548/06] §§ 53 ff., bezüglich der Ausweisung eines in Deutschland geborenen, wiederholt straffällig gewordenen Tunesiers). Bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz besteht - überwiegende private oder familiäre Bindungen vorbehalten - auch in diesen Fällen ein öffentliches
BGE 139 I 31 S. 34
Interesse daran, zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. Verhütung von (weiteren) Straftaten die Anwesenheit des Ausländers zu beenden (vgl. das Urteil 2C_903/2010 vom 6. Juni 2011 E. 3.1, nicht publ. in
BGE 137 II 233
;
BGE 130 II 176
E. 4.4.2 S. 190 [vier Jahre Zuchthaus; Raub, Brandstiftung, Betrug usw.];
BGE 122 II 433
FE. 3 [Einweisung in eine Arbeitserziehungsanstalt bzw. dreieinhalb Jahre Zuchthaus; Mord, qualifizierter Raub, Vergewaltigung]).
2.3.2
Bei schweren Straftaten, wozu auch Drogendelikte aus rein finanziellen Motiven gehören können, muss zum Schutz der Öffentlichkeit ausländerrechtlich selbst ein geringes Restrisiko weiterer Beeinträchtigungen der dadurch gefährdeten Rechtsgüter (Gesundheit; Leib und Leben usw.) nicht in Kauf genommen werden (
BGE 130 II 176
E. 4.2-4.4 S. 185 ff. mit Hinweisen). Das Bundesgericht stuft - in Übereinstimmung mit der in Europa vorherrschenden Auffassung (vgl. die EGMR-Urteile
Dalia gegen Frankreich
vom 19. Februar 1998
,
Recueil CourEDH 1998-I S. 92
§ 54 und
Koffi gegen Schweiz
vom 15. November 2012 [Nr. 38005/07] § 65)
-
diesbezüglich das öffentliche Interesse an der Wegweisung bzw. an der Fernhaltung eines entsprechenden Täters hoch ein (
BGE 129 II 215
E. 6 und 7;
BGE 125 II 521
E. 4a/aa S. 527). Der Drogenhandel ist eine der in
Art. 121 Abs. 3 BV
(Fassung vom 28. November 2010) genannten Anlasstaten, die nach dem Verfassungsgeber dazu führen soll, dass der entsprechende Täter aus der Schweiz ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt wird. Der entsprechenden Wertung ist im Rahmen der Interessenabwägung nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
bzw. der Anwendung von
Art. 96 AuG
insoweit Rechnung zu tragen, als dies zu keinem Widerspruch zu übergeordnetem Recht bzw. zu Konflikten mit dem Beurteilungsspielraum führt, den der EGMR den einzelnen Konventionsstaaten bei der Umsetzung ihrer Migrations- und Ausländerpolitik im Rahmen des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens belässt. Der Grundsatz, wonach unter mehreren möglichen Auslegungen diejenige zu wählen ist, die der Verfassung am besten entspricht, ist allgemein anerkannt (statt vieler
BGE 131 II 562
E. 3.5;
BGE 131 III 623
E. 2.4.4 S. 630;
BGE 131 IV 23
E. 3.1,
BGE 131 IV 160
E. 3.3.1;
BGE 130 II 65
E. 4.2 S. 71) und bezieht sich insbesondere auch auf Verfassungsbestimmungen, die - wie die Regelung in
Art. 121 Abs. 3-6 BV
(vgl.
BGE 139 I 16
) - nicht unmittelbar anwendbar sind (vgl.
BGE 131 V 9
E. 3.5.1.2 S. 16).
2.3.3
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stützt sich bei der Beurteilung der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender
BGE 139 I 31 S. 35
Massnahmen im Rahmen von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
(Schutz des Privat- und Familienlebens) auf die gleichen Aspekte wie die bundesgerichtliche Praxis, nämlich: (1) Die Art und Schwere der vom Betroffenen begangenen Straftaten, wobei besonders ins Gewicht fällt, ob er diese als Jugendlicher oder als Erwachsener begangen und es sich dabei um Gewaltdelikte gehandelt hat oder nicht; (2) die Dauer des Aufenthalts im Land; (3) die seit der Tatbegehung verstrichene Zeit und das Verhalten des Betroffenen während dieser; (4) die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat und zum Herkunftsland; (5) sein gesundheitlicher Zustand sowie (6) die mit der aufenthaltsbeendenden Massnahme verbundene Dauer der Fernhaltung (vgl. etwa die EGMR-Urteile
Emre gegen die Schweiz
vom 22. Mai 2008 [Nr. 42034/04] § 64 ff. [Verurteilung zu insgesamt 18 1⁄2 Monaten Freiheitsentzug wegen Drohung, Körperverletzung,Tätlichkeiten, Diebstahls usw. - Verletzung von
Art. 8 EMRK
] undUrteil
Boultif gegen die Schweiz
vom 2. August 2001 [Nr. 54273/00]§ 46 ff. [Verurteilung wegen Raubes zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren - Verletzung von
Art. 8 EMRK
]). Nach der Praxis desEGMR überwiegt bei Betäubungsmitteldelikten (ohne Konsum) regelmässig das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts, falls keine besonderen persönlichen oder familiären Bindungen im Aufenthaltsstaat bestehen; ist die betroffene Person ledig und kinderlos, setzt sich tendenziell das öffentliche Fernhalteinteresse durch, sofern das Strafmass drei Jahre Freiheitsstrafe erreicht oder weitere erhebliche Delikte hinzukommen (vgl. KARL-GEORG MAYER, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz "faktischer Inländer" mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], Verwaltungs-Archiv101/2010 S. 482 ff., dort 537). Im Urteil
Balogun gegen Vereinigtes Königreich
vom 10. April 2012 (Nr. 60286/09) verneinte der EGMR eine Verletzung von
Art. 8 EMRK
bei der Ausweisung eines mit drei Jahren eingereisten Nigerianers, der wegen Drogenhandels im Erwachsenenalter zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. In der Sache
Maslov gegen Österreich
vom 23. Juni 2008 (Nr. 1638/03) erkannte die Grosse Kammer auf eine Verletzung von
Art. 8 EMRK
in einem Fall, in dem es um die Aufenthaltsbeendigung eines als Kind eingereisten, wegen verschiedener Delikte (gewerbsmässigen Bandendiebstahls, Bandenbildung, Erpressung, Köperverletzung usw.) zu 18 und 15 Monaten Freiheitsstrafe verurteilten drogenabhängigen Bulgaren ging (vgl. dort §§ 77 ff.). Hinsichtlich des
BGE 139 I 31 S. 36
Strafrahmens von drei Jahren ist zu berücksichtigen, dass Drogendelikte nicht überall in gleicher Art verfolgt und bestraft werden, weshalb die entsprechende Grenze nur als Richtwert dienen kann; ausschlaggebend sind immer die Umstände des Einzelfalls.
3.
3.1
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hat den genannten Aspekten angemessen Rechnung getragen und die widerstreitenden Interessen korrekt gegeneinander abgewogen; sein Entscheid verletzt weder Bundes(verfassungs)- noch Konventionsrecht: Der Beschwerdeführer wurde wegen Vermittelns, Beförderns und Lagerns einer erheblichen Menge Heroin zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten bedingt verurteilt; er hat im Drogenmilieu verschiedene Gehilfenhandlungen im Zusammenhang mit insgesamt rund 4 Kilogramm Heroin erbracht und damit die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen gefährdet. Zwar trat er nicht als Haupttäter auf, doch unterstützte er diesen aktiv über rund zwei Monate hinweg; erst die Verhaftung setzte seiner Delinquenz ein Ende. Der Beschwerdeführer befand sich in keiner finanziellen oder persönlichen Notlage; auch war er nicht selber abhängig. Weder die Beziehungen zu seiner hier aufenthaltsberechtigten Familie (Eltern, Geschwister) noch die von ihm heute hervorgehobene Integration in der Schweiz vermochten ihn davon abzuhalten, sich in entscheidender Weise am Drogenhandel zu beteiligen. Obwohl er zurzeit der Tat erst knapp 20 Jahre alt war, kann nicht gesagt werden, dass es sich dabei um Jugendkriminalität gehandelt hätte. Die zur Diskussion stehenden Tatbeiträge gehen klarerweise hierüber hinaus, auch wenn der Beschwerdeführer unüberlegt und in erster Linie unter dem Druck der Gruppe gehandelt haben will. Die Tatsache, dass er aus reiner Gefälligkeit tätig geworden ist, weist auf eine gewisse Beeinflussbarkeit hin, welche weitere Straftaten nicht ausschliesst.
3.2
Im Vergleich zu dem im Verfahren in
BGE 139 I 16
beurteilten Fall eines Tatkomplizen ist der Beschwerdeführer schwerer straffällig geworden. Wurde jener wegen der Beteiligung bezüglich eines Kilogramms Heroin zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten (bedingt) verurteilt, ist gegen ihn eine Strafe von 24 Monaten (bedingt) ergangen. Seine kriminelle Energie war grösser als jene seines Komplizen. Dieser hat sich in der Schweiz gesamthaft zudem besser eingelebt: Er ist zuvor nie - auch nicht jugendrechtlich - straffällig geworden; überdies hat er eine Anlehre abgeschlossen und ist er auf dem Arbeitsmarkt integriert. Der Beschwerdeführer verfügt
BGE 139 I 31 S. 37
seinerseits über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war von April 2009 bis Oktober 2010 arbeitslos. Zwar ist er heute verlobt, doch lebt das Paar erst seit September 2011 zusammen. Seine Verlobte, welche am 31. Juli 2009 eingebürgert wurde, hält sich seit zehn Jahren in der Schweiz auf, stammt jedoch ursprünglich ebenfalls aus Mazedonien; sie kennt die dortigen Verhältnisse und Gebräuche. Es ist ihr somit zumutbar, den Beschwerdeführer gegebenenfalls auch in ihre frühere Heimat zu begleiten. Dies gilt umso mehr, als sie mit Blick auf die Schwere der Straffälligkeit ihres Verlobten nicht ohne Weiteres davon ausgehen durfte, ihre Beziehung künftig in der Schweiz leben zu können. Der Beschwerdeführer weist daraufhin, dass er in Mazedonien kaum mehr über Familienangehörige verfügt; er vermag damit indessen nicht darzutun, dass er keinerlei Beziehungen mehr zu seiner Heimat unterhielte, zumal er seine Straftaten mit Landsleuten begangen hat und er Albanisch spricht, womit er in seiner Heimat zumindest in einer Minderheitensprache wird kommunizieren können. Die Beziehungen zu seinen Familienangehörigen kann er von dort aus besuchsweise bzw. über die neuen Kommunikationsmittel aufrechterhalten. Dass der Beschwerdeführer sich seit seiner Verhaftung bzw. Verurteilung nichts mehr hat zuschulden kommen lassen, spricht nicht zwingend gegen eine Rückfallgefahr, befand er sich doch in der strafrechtlichen Probezeit; zudem war das aufenthaltsrechtliche Widerrufsverfahren noch hängig. Wenn ausländischen Staatsangehörigen bei Straffälligkeit schliesslich fremdenrechtlich andere Konsequenzen drohen als Schweizer Bürgern, liegt dies in der Natur der Sache; es besteht mit der Staatsbürgerschaft diesbezüglich ein sachlicher Grund für die behauptete Ungleichbehandlung. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cba71c93-ffcc-4c00-8193-5eebd7d6e6cf | Urteilskopf
138 IV 241
36. Extrait de l'arrêt de la Cour de droit pénal dans la cause X. contre Ministère public central du canton de Vaud et Y. (recours en matière pénale)
6B_79/2012 du 13 août 2012 | Regeste
Art. 322 Abs. 2 StPO
; Rechtsmittel bei impliziter Einstellung.
Die Einstellung des Strafverfahrens muss durch eine beschwerdefähige, formelle Einstellungsverfügung erfolgen. Wenn die Staatsanwaltschaft durch Strafbefehl nur einen Teil der inkriminierten Taten ahndet, muss sie sowohl einen Strafbefehl als auch eine Einstellungsverfügung erlassen (E. 2.5).
Wenn die Staatsanwaltschaft nicht zwei separate Entscheide fällt, sondern nur einen Strafbefehl erlässt, der eine implizite Einstellung enthält, ist diese mit Beschwerde und nicht mit Einsprache anzufechten (E. 2.6). | Sachverhalt
ab Seite 241
BGE 138 IV 241 S. 241
A.
A la suite d'une altercation ayant opposé X. à Y. le 1
er
juillet 2009, le Ministère public de l'arrondissement de Lausanne a condamné le premier pour voies de fait et injure, le second pour voies de fait, par ordonnance pénale du 10 mai 2011. Il a notamment retenu que Y. avait saisi X. par le bras avant de le projeter au sol et de lui donner des coups, notamment avec une savate, au niveau du haut du corps et du visage. Il a spécifié ne pas retenir l'existence d'un traumatisme crânien chez X. X. a formé opposition contre sa condamnation et
BGE 138 IV 241 S. 242
contre celle de Y., arguant à cet égard que la commotion cérébrale qu'il avait subie n'était pas constitutive de voies de fait, mais de lésions corporelles simples.
Le 26 septembre 2011, le Ministère public a porté l'accusation de X. devant le Tribunal de police de l'arrondissement de Lausanne. En revanche, il a considéré que l'ordonnance pénale était devenue exécutoire à l'encontre de Y., attendu que ce dernier n'y avait pas fait opposition et que cette voie de droit n'était pas ouverte à la partie plaignante. X. a objecté qu'il avait qualité comme plaignant pour former opposition à l'ordonnance pénale de Y. et sollicité le renvoi de celui-ci devant le Tribunal de police.
Par prononcé du 19 octobre 2011, le Tribunal de police a considéré qu'il existait une connexité étroite entre les chefs d'accusation pesant sur les prénommés, que la qualification juridique du comportement de Y. n'était pas sans incidence sur les éventuelles prétentions civiles de X., de sorte que celui-ci avait qualité pour former opposition à l'ordonnance pénale condamnant Y. Partant, il a suspendu la procédure pendante devant lui et renvoyé le dossier au Ministère public afin qu'il procède conformément à l'
art. 355 al. 3 CPP
.
Par courrier du 19 octobre 2011, le Ministère public a décidé de maintenir l'ordonnance pénale telle que prononcée à l'encontre de Y.
Par lettre du 16 novembre 2011, X. a alors requis le Tribunal de police de retourner le dossier au Ministère public afin que celui-ci inculpe Y. du chef de lésions corporelles simples. Statuant par prononcé du 24 novembre 2011, le Tribunal de police s'est considéré saisi d'une opposition qu'il a déclarée irrecevable, pour le motif que la décision du Ministère public du 19 octobre 2011 valait classement implicite du chef de lésions corporelles simples attaquable par voie de recours et non d'opposition.
B.
Par arrêt du 15 décembre 2011, la Chambre des recours pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours formé par X. contre le prononcé rendu le 24 novembre 2011 par le Tribunal de police.
C.
X. interjette un recours en matière pénale contre l'arrêt cantonal, dont il requiert l'annulation en concluant, sous suite de dépens, au renvoi de la cause à l'instance cantonale.
Invités à se déterminer sur le recours, Y. y a renoncé, de même que la Chambre des recours pénale qui s'est référée à son arrêt, tandis que le Ministère public a conclu au rejet.
BGE 138 IV 241 S. 243
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
2.1
Le recourant met en cause l'absence de prise en compte du traumatisme crânien et soutient que la voie de l'opposition lui était ouverte à cet égard.
2.2
L'autorité précédente a considéré que lorsqu'une ordonnance pénale contient un classement implicite sur certains chefs d'accusation, la partie plaignante doit dans un premier temps former opposition au sens de l'
art. 354 al. 1 let. b CPP
(RS 312.0) contre ce classement, à la suite de quoi le ministère public procède selon l'
art. 355 CPP
. Si celui-ci décide de maintenir l'ordonnance pénale en application de l'
art. 355 al. 3 let. a CPP
, autrement dit de maintenir le classement implicite, sa décision équivaut à une décision de classement et peut faire l'objet d'un recours selon les art. 322 al. 2 et 393 al. 1 let. a CPP. L'autorité précédente a ainsi considéré que le courrier du ministère public du 19 octobre 2011 maintenant en application de l'
art. 355 al. 3 let. a CPP
l'ordonnance pénale prononcée le 10 mai 2011 valait classement partiel implicite, de sorte que le recourant aurait dû former, dans cette mesure, un recours contre cette décision. Faute de l'avoir fait, il était désormais forclos.
2.3
Selon le CPP, le ministère public rend une ordonnance pénale si, durant la procédure préliminaire, le prévenu a admis les faits ou que ceux-ci sont établis et que, incluant une éventuelle révocation d'un sursis ou d'une libération conditionnelle, il estime suffisante l'une des peines énumérées aux lettres a-d de l'
art. 352 al. 1 CPP
. Si le prévenu a reconnu des prétentions civiles de la partie plaignante, mention en est faite dans l'ordonnance pénale. Les prétentions qui n'ont pas été reconnues sont renvoyées au procès civil (
art. 353 al. 2 CPP
). L'ordonnance pénale est immédiatement notifiée par écrit aux personnes et aux autorités qui ont qualité pour former opposition (
art. 353 al. 3 CPP
). Peuvent former opposition contre elle devant le ministère public, par écrit et dans les dix jours, le prévenu, les autres personnes concernées et, si cela est prévu, le premier procureur ou le procureur général de la Confédération ou du canton, dans le cadre de la procédure pénale pertinente (
art. 354 al. 1 let. a-
c CPP). Si aucune opposition n'est valablement formée, l'ordonnance pénale est assimilée à un jugement entré en force (
art. 354 al. 3 CPP
). En cas d'opposition, le ministère public administre les autres preuves nécessaires au jugement de l'opposition (
art. 355 al. 1 CPP
). Après
BGE 138 IV 241 S. 244
l'administration de celles-là, le ministère public décide de maintenir l'ordonnance pénale, de classer la procédure, de rendre une nouvelle ordonnance pénale ou de porter l'accusation devant le tribunal de première instance (
art. 355 al. 3 let. a-
d CPP). Lorsqu'il décide de maintenir l'ordonnance pénale, il transmet sans retard le dossier au tribunal de première instance en vue des débats. L'ordonnance pénale tient lieu d'acte d'accusation (
art. 356 al. 1 CPP
). Le tribunal de première instance statue sur la validité de l'ordonnance pénale et de l'opposition (
art. 356 al. 2 CPP
). Si l'ordonnance pénale n'est pas valable, le tribunal l'annule et renvoie le cas au ministère public en vue d'une nouvelle procédure préliminaire (
art. 356 al. 5 CPP
).
2.4
Par ordonnance pénale du 10 mai 2011 confirmée le 19 octobre 2011, le ministère public a condamné l'intimé pour voies de fait. Il a constaté que celui-ci avait saisi le recourant par le bras, avant de le projeter au sol, de le frapper notamment avec une savate sur le haut du corps ainsi que le visage et de lui causer ainsi des égratignures et des hématomes à la main et à l'avant-bras gauche. Le ministère public a expressément écarté l'existence d'un traumatisme crânien qui, selon lui, ne ressortait pas des constatations médicales objectives. Ce faisant, il a rendu une ordonnance pénale pour une partie des faits - à savoir pour les coups assénés sur le haut du corps et le visage, ainsi que les égratignures et les hématomes causés à la main et à l'avant-bras gauche - et il a ordonné l'abandon des poursuites pénales pour le surplus, soit pour le traumatisme crânien. De la sorte, il n'a pas écarté la qualification juridique proposée pour lui en substituer une autre, mais il a renoncé à poursuivre l'intimé pour une partie des faits, à savoir le traumatisme crânien. Le litige ne porte donc pas uniquement sur un problème de qualification juridique des mêmes faits, mais sur l'abandon d'une partie des faits.
Lorsque le ministère public estime que seule une partie des faits présente une prévention suffisante d'infraction et rend une ordonnance pénale pour les faits précités, cela implique, pour les autres faits, pour lesquels les charges sont insuffisantes, que l'ordonnance pénale vaut alors classement partiel implicite. Comme exemple de classement partiel implicite, la doctrine se réfère à l'arrêt publié aux
ATF 130 IV 90
, où, s'agissant d'une victime décédée des suites d'un accident de la circulation, l'auteur avait été condamné par ordonnance pénale pour lésions corporelles graves, le ministère public ayant considéré que le lien de causalité adéquate avec la mort avait été rompu. Le
BGE 138 IV 241 S. 245
Tribunal fédéral a relevé que ce faisant, le ministère public avait implicitement prononcé un classement partiel sur l'élément de fait lié au décès de la victime, limitant les poursuites aux blessures consécutives à l'accident. Comme autre exemple, on peut envisager une procédure pour différents propos attentatoires à l'honneur, qui aboutit à une ordonnance pénale pour un seul des propos, les autres propos étant ainsi implicitement classés par le ministère public, faute d'être considérés comme attentatoires à l'honneur (cf. YVAN JEANNERET, Les procédures spéciales dans le Code de procédure pénale suisse, in La procédure pénale fédérale, 2010, p. 137 ss, 146 et 154; LAURENT MOREILLON, L'ordonnance pénale: simplification ou artifice?, RPS 2010 p. 22 ss; FRANZ RIKLIN, in Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2010, n° 10 ad
art. 354 CPP
).
En l'espèce, en condamnant pour une partie des faits mais en abandonnant ceux relatifs au traumatisme crânien, le ministère public a inclus dans son ordonnance pénale un classement partiel implicite.
2.5
Selon le CPP, une ordonnance de classement doit être rendue par écrit et motivée (
art. 80 al. 2 CPP
). Comme elle ne constitue pas une ordonnance simple d'instruction, elle doit nécessairement être rédigée séparément (cf.
art. 80 al. 3 1
re
phrase CPP a contrario; ALAIN MACALUSO, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n
os
17 et 22 ad
art. 81 CPP
). En tant que prononcé de clôture de la procédure, elle contient une introduction, un exposé des motifs, un dispositif et l'indication des voies de droit (cf.
art. 81 CPP
), dès lors qu'elle est sujette à recours dans les 10 jours devant l'autorité de recours (cf.
art. 322 al. 2 CPP
).
Le CPP subordonne ainsi l'abandon de la poursuite pénale au prononcé d'une ordonnance formelle de classement mentionnant expressément les faits que le ministère public renonce à poursuivre, de manière à en définir clairement et formellement les limites. Une telle formalisation de l'abandon des charges constitue le préalable essentiel à l'exercice du droit de recours aménagé à l'
art. 322 al. 2 CPP
. Dès lors que le classement doit faire l'objet d'un prononcé séparé, écrit et motivé, il ne saurait être glissé et mélangé au contenu d'une ordonnance pénale. Si le ministère public n'entend réprimer qu'une partie des faits dans le contexte d'une ordonnance pénale, il doit statuer conformément aux formes prévues par le CPP, c'est-à-dire prononcer simultanément une ordonnance pénale d'une part et une ordonnance de classement d'autre part.
BGE 138 IV 241 S. 246
2.6
Lorsque, comme en l'espèce, le ministère public s'écarte à tort de l'approche précitée et ne rend pas deux décisions séparées, soit une ordonnance pénale et une ordonnance de classement, mais une ordonnance pénale qui contient un classement implicite, il convient de déterminer la voie de droit ouverte à la partie plaignante pour contester ce classement implicite. La doctrine évoque deux voies possibles, un courant préférant la voie de l'opposition (cf. MICHAEL DAPHINOFF, Das Strafbefehlsverfahren in der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2012, p. 588), l'autre celle du recours selon l'
art. 322 al. 2 CPP
(cf. YVAN JEANNERET, op. cit., p. 154; LAURENT MOREILLON, op. cit., p. 36). Aucun développement particulier n'est cependant donné en faveur d'une voie de droit plutôt que d'une autre.
Quoique le CPP n'ouvre pas expressément la voie de l'opposition à la partie plaignante, une large majorité de la doctrine admet que la partie plaignante peut conserver un intérêt juridique à contester une ordonnance pénale, par exemple en mettant en cause la qualification juridique retenue pour le cas où celle-ci serait trop clémente (par exemple voies de fait à la place de lésions corporelles simples). Elle est ainsi d'avis que la qualité pour former opposition est ouverte à la partie plaignante sur la base de l'
art. 354 al. 1 let. b CPP
, qui donne la qualité pour former opposition aux "autres personnes concernées" (cf. NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, n° 6 ad
art. 354 CPP
; YVAN JEANNERET, L'ordonnance pénale et la procédure simplifiée selon le CPP, in Procédure pénale suisse, 2010, p. 73 ss, 94 et 95; FRANZ RIKLIN, op. cit., n
os
6 et 11 ad
art. 354 CPP
; CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [éd.], 2010, n° 5 ad
art. 354 CPP
; GILLIÉRON/KILLIAS, in Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, n° 3 in fine ad
art. 354 CPP
; PIQUEREZ/MACALUSO, Procédure pénale suisse, 3
e
éd. 2011, n. 1727 in fine; MICHAEL DAPHINOFF, op. cit., p. 574).
Cette voie de l'opposition concerne cependant le cas où la partie plaignante dispose d'un intérêt juridique à faire prévaloir à l'égard du condamné une qualification juridique plutôt qu'une autre par rapport à un état de fait non contesté. En revanche, la voie de l'opposition n'apparaît pas adaptée au cas d'un classement implicite. En effet, comme on l'a vu (supra consid. 2.5), si le ministère public n'entend réprimer qu'une partie des faits, il doit rendre une ordonnance pénale doublée d'une ordonnance de classement, chaque décision ouvrant une voie de droit spécifique, en particulier celle du recours de
BGE 138 IV 241 S. 247
l'
art. 322 al. 2 CPP
contre le classement. En cas de classement implicite, une autre voie de droit serait ouverte contre le classement si l'on admettait celle de l'opposition. Pourtant, la nature et la portée d'un classement, qu'il soit explicite ou implicite, sont les mêmes. Rien ne justifie d'ouvrir une voie de droit particulière - celle de l'opposition - contre un classement implicite, laquelle n'est pas prévue par le CPP, qui ouvre uniquement un recours (
art. 322 al. 2 CPP
). De surcroît, la voie de l'opposition aurait pour effet de renvoyer le prévenu devant le tribunal de première instance sans qu'il existât un acte d'accusation complet, le prévenu se voyant alors reprocher des faits non retenus pour lesquels le classement implicite a été prononcé. Cette situation pourrait rendre confus ce qui est exactement reproché au prévenu.
Il résulte de ce qui précède que la voie ordinaire du recours prévue à l'
art. 322 al. 2 CPP
doit être préférée à l'encontre d'un classement implicite.
2.7
Le recourant aurait dès lors dû recourir contre la décision du 19 octobre 2011 confirmant le classement implicite. Cette décision ne comportait cependant aucune voie de droit s'agissant du classement, au mépris de l'
art. 81 al. 1 let
. d CPP. Vu les incertitudes liées à un classement implicite telles qu'exposées ci-dessus, il n'apparaît pas que le recourant ou son mandataire pouvait se rendre compte de la voie de droit à suivre. Dans ces conditions, le recourant n'a pas à subir de préjudice de l'absence d'indication de la voie de droit (
ATF 117 Ia 297
consid. 2,
ATF 117 Ia 421
consid. 2c). Il doit donc être mis en situation de pouvoir exercer un recours contre la décision du 19 octobre 2011. Cela justifie l'annulation de l'arrêt attaqué et le renvoi de la cause en instance cantonale. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cba89072-f9af-4d19-bc5e-6ec5b0c8cda6 | Urteilskopf
107 II 10
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. März 1981 i.S. W. gegen W. (Staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Genehmigung der Vereinbarungen über die Nebenfolgen der Scheidung durch den Richter (
Art. 158 Ziff. 5 ZGB
).
Der Richter hat bei der Festsetzung oder Abänderung des Unterhaltsbeitrages für die Kinder geschiedener Eltern mitzuwirken. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Erlass der während der Obhut des beitragspflichtigen Elternteils fällig werdenden Beiträge, der ohne richterliche Genehmigung vereinbart werden kann. | Sachverhalt
ab Seite 10
BGE 107 II 10 S. 10
A.-
In einer von den Parteien geschlossenen Konvention, welche mit Scheidungsurteil vom 16. September 1977 genehmigt wurde, verpflichtete sich W. zur Leistung eines monatlich im voraus zahlbaren Unterhaltsbeitrages von je Fr. 450.- (zuzüglich Kinderzulagen) an die beiden der Mutter zugesprochenen Kinder.
B.-
Die geschiedene Ehefrau W. betrieb den vormaligen Ehemann am 30. April 1980 und stellte, nachdem der Betriebene Rechtsvorschlag erhoben hatte, das Rechtsöffnungsbegehren für Fr. 5'521.35 sowie 5% Zins ab 25. April 1980. Der
BGE 107 II 10 S. 11
geforderte Betrag entspricht dem Unterhaltsbeitrag für die beiden Kinder für fünf Monate und vierzehn Tage ab Rechtskraft des Scheidungsurteils.
Gegen den das Rechtsöffnungsbegehren abweisenden Entscheid erhob Frau W. Rekurs beim Obergericht des Kantons Solothurn, welches diesen am 16. September 1980 abwies.
C.-
Die kantonalen Instanzen gehen in ihren Entscheiden von einer Vereinbarung aus, welche die Parteien am 23. Februar 1978 geschlossen hatten. In Ziffer 1 dieser Vereinbarung verpflichtete sich Frau W., ihre beiden Kinder - die bisher entgegen der Anordnung im Scheidungsurteil nicht in ihrem Haushalt Aufnahme gefunden hatten - ab. 1 März 1978 zu Pflege, Erziehung und Unterhalt zu sich zu nehmen, sie verzichtete sodann in Ziffer 5 auf die Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen für sich und die Kinder für die Zeit vom 16. September 1977 bis und mit Februar 1978. Nach Auffassung der kantonalen Gerichte bedeutet diese Vereinbarung eine Tilgung durch Teilverzicht und ist damit als eine nach
Art. 81 Abs. 1 SchKG
zulässige Einrede zu betrachten. Da es im vorliegenden Fall um einen Teilverzicht auf bereits verfallene Beiträge und nicht um einen generellen Verzicht auf künftige Unterhaltsleistungen gehe, bestehe kein Anlass, der - richterlich nicht genehmigten - Vereinbarung vom 23. Februar 1978 die Anerkennung zu versagen.
D.-
Frau W. führt gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Parteien bestreiten nicht, dass das Scheidungsurteil des Amtsgerichts Olten-Gösgen vom 16. September 1977, in welchem der Unterhaltsbeitrag für die Kinder Beatrice und Peter Michael auf je Fr. 450.- monatlich festgelegt wurde, einen definitiven Rechtsöffnungstitel im Sinne von
Art. 80 SchKG
darstellt. Sie sind sich auch darüber einig, dass die Bezahlung des Unterhaltsbeitrages vom 16. September 1977 bis 28. Februar 1978 durch den geschiedenen Ehemann aussteht. Zu entscheiden bleibt allein die Rechtsfrage, ob die Vereinbarung der Parteien vom 23. Februar 1978, worin die Beschwerdeführerin auf die Geltendmachung von Beiträgen für den erwähnten Zeitraum verzichtet hat, dem Beschwerdegegner die
BGE 107 II 10 S. 12
Einrede der Tilgung nach Massgabe von
Art. 81 Abs. 1 SchKG
erlaube. Des näheren geht es um die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch blosse Parteiabrede und ohne Genehmigung des Richters von der Geltendmachung der ihren Kindern zustehenden Unterhaltsansprüche absehen konnte.
Die Möglichkeit, ausser durch Änderungsurteil auch ohne Genehmigung des Richters durch Parteiabrede die Nebenfolgen der Scheidung zu ändern, wird als unbestritten bezeichnet, sofern es lediglich um eine Abänderung vermögensrechtlicher Beziehungen zwischen geschiedenen Ehegatten geht (BÜHLER-SPÜHLER, N. 167 zu
Art. 158 ZGB
). Als kontrovers jedoch wird die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit einer nachträglichen Vereinbarung der geschiedenen Ehegatten über die Kinderbelange gesehen (BÜHLER-SPÜHLER, N. 170 zu
Art. 158 ZGB
). Im Lichte des neuen Kindsrechts erscheint sogar einzig die Auffassung richtig, dass die Änderung von Besuchsrecht und Unterhaltsbeitrag an die Kinder auch bei Vorliegen einer Vereinbarung der Eltern der richterlichen Genehmigung unterliege (BÜHLER-SPÜHLER, N. 200 zu
Art. 158 ZGB
, HEGNAUER, Grundriss des Eherechts, S. 86 und 90) und dass diese Genehmigung Gültigkeitserfordernis sei (BÜHLER-SPÜHLER, N. 171 zu
Art. 158 ZGB
; STORRER, Unterhaltsbeiträge in der Zwangsvollstreckung, Zürcher Diss. 1979, S. 16). Mit der Genehmigung der Vereinbarung durch den Richter soll sichergestellt werden, dass diese den Interessen des Kindes entspricht (
BGE 94 II 1
). Weil es um die Interessen Dritter geht, ist die Regelung der Kinderbelange - im Gegensatz zu den nur die scheidenden Ehegatten treffenden Nebenfolgen - schon im Zeitpunkt des Scheidungsurteils der freien Verfügungsbefugnis der Parteien entzogen (STAEHELIN, Rechtsnatur und Anfechtung der Scheidungskonvention, in: Familienrecht im Wandel, Festschrift für Hans Hinderling, S. 286); die Verfügungsbefugnis kann nicht wieder aufleben, nachdem das Scheidungsurteil ausgesprochen ist. Schliesslich widerspräche es der Absicht des Gesetzgebers, der in
Art. 286 Abs. 2 ZGB
das Rechtsmittel für die Neufestsetzung des Unterhaltsbeitrages bei veränderten Verhältnissen zur Verfügung stellt, wenn eine vom Scheidungsurteil abweichende Regelung durch blosse Übereinkunft zwischen den Parteien herbeigeführt werden könnte. Daran, dass der Richter bei der Festsetzung oder Abänderung des Unterhaltsbeitrages für die Kinder geschiedener Eltern mitzuwirken hat, ist deshalb festzuhalten (Art. 158 Ziff. 5 bzw.
Art. 157 und 286 Abs. 2 ZGB
).
BGE 107 II 10 S. 13
Im vorliegenden Fall, wo von einem Verzicht auf Unterhaltsleistungen gesprochen wird, geht es indessen gar nicht um eine Abänderung des im Scheidungsurteil den Kindern zugesprochenen Unterhaltsbeitrages. Vielmehr handelt es sich, nachdem die Beschwerdeführerin als Inhaberin der elterlichen Gewalt der Unterbringung der Kinder beim andern Elternteil zugestimmt hat und dieser für deren Unterhalt in natura aufgekommen ist, um einen Erlass der während der Obhut des beitragspflichtigen Elternteils fällig werdenden Beiträge (HEGNAUER, Zur Erfüllung der Unterhaltsbeitragspflicht geschiedener Eltern, ZVW 35/1980, S. 101). Die Zulässigkeit einer Vereinbarung, wie sie die Parteien unter dem Datum des 23. Februar 1978 getroffen haben, wird denn auch durch das Gesetz bestätigt, welches sagt, dass der Unterhalt durch Pflege und Erziehung oder, wenn das Kind nicht unter der Obhut der Eltern steht, durch Geldzahlung geleistet werde (
Art. 276 Abs. 2 ZGB
). Das Kindeswohl wurde durch diese Übereinkunft nicht gefährdet. Noch kann gesagt werden, dass dadurch der weitere Zweck der richterlichen Genehmigung von Scheidungskonventionen, nämlich der Schutz namentlich der Ehefrau vor Übervorteilung (BÜHLER-SPÜHLER, N. 158 und 167 zu
Art. 158 ZGB
, N. 231 zu
Art. 156 ZGB
), vereitelt worden wäre. Die Beschwerdeführerin war sich zweifellos im klaren, was die als Verzicht auf Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen für die Zeit vom 16. September 1977 bis und mit Februar 1978 formulierte Vertragsbestimmung praktisch bedeutete. Es kann deshalb in dem Entscheid des Obergerichts, welches die betriebene Forderung als getilgt im Sinne von
Art. 81 Abs. 1 SchKG
erkannte, keine Willkür erblickt werden. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cba90385-691f-44eb-98a9-c610953e339e | Urteilskopf
99 Ia 78
11. Sentenza del 7 febbraio 1973 nella causa Credito Svizzero contro Camera dei ricorsi penali del Tribunale di Appello del cantone Ticino. | Regeste
Beschwerde wegen Verletzung von Staatsverträgen.
1. Der Begriff der "andern weder privat- noch strafrechtlichen Bestimmungen des Bundesrechts" im Sinne von Art. 73 Abs. 1 lit. c VwG umfasst nicht die Bestimmungen des Verfassungsrechts und ebensowenig diejenigen der Staatsverträge (Erw. 1 a).
2. Die Aufsichtsbeschwerde an den Bundesrat, mit der diesem eine durch die letzte kantonale Instanz begangene Verletzung eines Staatsvertrages angezeigt wird, stellt kein Rechtsmittel im Sinne von
Art. 84 Abs. 2 OG
dar (Erw. 1 d).
Europäische Übereinkunft über die Rechtshilfe in Strafsachen.
1.
Art. 100 lit. f OG
schliesst es aus, dass eine Verletzung dieser Übereinkunft mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann; zulässig ist dagegen die staatsrechtliche Beschwerde (Erw. 1 b).
2. Interesse an der Beschwerde im vorliegenden Falle (Erw. 2).
3. Wirkungen der Übereinkunft auf vorausgegangene zweiseitige Abkommen (Erw. 4).
4. Ausser in den Fällen, wo die Rechtshilfe in Anwendung von Art. 2 verweigert werden kann, darf sich die Schweiz der Leistung der nachgesuchten Rechtshilfe nicht widersetzen mit der Begründung, die Rechtshilfe wäre mit dem schweizerischen Recht nicht vereinbar (Erw. 5 a).
5. Tragweite des Art. 3 betreffend die Form, in welcher Rechtshilfegesuche zu erledigen sind (Erw. 5 b).
6. Ist die Übereinkunft auf dem Gebiete der strafrechtlichen Beschlagnahme nur anwendbar, soweit es sich um die Beschlagnahme zum Beweise handelt oder auch, soweit die Beschlagnahme der Schadensdeckung dient? (Frage offen gelassen) (Erw. 6 a-c).
7. Damit einem auf Beschlagnahme gerichteten Rechtshilfegesuch aufgrund der Übereinkunft entsprochen werden kann, muss ein adäquater Zusammenhang bestehen zwischen den zu beschlagnahmenden Gegenständen und dem Strafverfahren, auf das sich das Gesuch bezieht. Fehlen dieses Erfordernisses im vorliegenden Falle (Erw. 6 d).
8. Unanwendbarkeit der europäischen Auslieferungsübereinkunft im vorliegenden Falle (Erw. 7).
9. Ausnahme vom Grundsatz der rein kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (Erw. 8).
10. . Kostenverteilung (Erw. 9). | Sachverhalt
ab Seite 80
BGE 99 Ia 78 S. 80
Riassunto dei fatti:
A.-
Per ordine della società X, agente tramite il titolare di un conto YZ. esistente presso il Credito Svizzero, succursale di Lugano, questa banca emetteva il 31 dicembre 1970 due lettere di credito irrevocabili per complessivi 121 847,50 dollari, a favore di una società a Hong Kong. Negoziabili presso una banca di Hong Kong, dette lettere erano valide sino al 5 marzo 1971 contro rimessa di una serie di documenti, e pagabili a 75 giorni dalla data della polizza di carico. Il 9 febbraio 1971 il Credito Svizzero rimetteva al titolare del conto YZ i documenti che gli erano stati trasmessi dalla banca corrispondente di Hong-Kong, avvertendo che il pagamento sarebbe avvenuto il 13 aprile 1971. Il 3 aprile 1971 la società X e il titolare del conto YZ informavano il Credito Svizzero che la merce per il pagamento della quale era stata ordinata l'emissione delle lettere di credito era risultata difforme da quella oggetto del contratto e raggiungeva appena il 2% del valore convenuto, per il che essi avevano sporto denuncia penale, tanto in Italia che in Svizzera, contro i responsabili della ditta venditrice per il reato di truffa. In conseguenza di ciò, la società X revocava gli ordini di apertura di credito, invitando la banca emittente a
BGE 99 Ia 78 S. 81
procedere a sua volta alla revoca nei confronti della beneficiaria e a darne comunicazione alla banca corrispondente perchè non effettuasse alcun pagamento. Il Credito Svizzero rispondeva che le lettere di credito erano e rimanevano irrevocabili ai sensi delle Regole e usanze uniformi relative ai crediti documentari delle Camera internazionale di Commercio, e avvisava che avrebbe addebitato il 13 aprile 1971 il conto YZ dell'importo relativo. Le due lettere di credito erano state scontate alla beneficiaria dalla banca corrispondente, dopo la presentazione dei documenti, il 3 febbraio 1971.
B.-
Nel quadro di un procedimento penale per truffa aperto in Italia in seguito alla denuncia della società X, il Pretore di Milano ordinava il sequestro delle lettere di credito o, per il caso che già fossero state trasmesse alla banca estera corrispondente, quello delle somme depositate a loro copertura sul conto YZ. Con riferimento alle disposizioni della Convenzione europea di assistenza giudiziaria in materia penale (qui appresso: la Convenzione), il Pretore di Milano chiedeva in via rogatoria al Giudice istruttore della giurisdizione sottocenerina del cantone Ticino l'esecuzione di tale sequestro.
C.-
Con decisione del 27 aprile 1971 il Giudice istruttore sottocenerino accoglieva la commissione rogatoria ed ordinava il richiesto sequestro, disponendo che le lettere di credito, ovvero le somme di denaro depositate sul conto YZ, rimanessero in custodia del Credito Svizzero, con esplicito e formale divieto di disporne sino a suo nuovo ordine.
Con sentenza 26 maggio 1972 la Camera dei ricorsi del Tribunale di Appello del cantone Ticino respingeva un reclamo proposto dal Credito Svizzero contro detta decisione. Essa riteneva compatibile con la legge applicabile in Svizzera tanto il sequestro delle lettere, quanto quello delle somme depositate. Il sequestro di queste ultime si giustificava pel fatto che, avendo la società X revocato tempestivamente le lettere di credito e potendo la banca emittente opporre alla beneficiaria delle medesime l'eccezione del dolo tratta dal negozio di compravendita stipulato tra la società X e la beneficiaria, il Credito Svizzero avrebbe potuto e dovuto notificare la revoca alla banca corrispondente perchè non pagasse. Lo sconto anticipato delle lettere di credito, avvenuto a vantaggio della beneficiaria straniera, presumibile autrice della truffa, era stato operato a rischio e pericolo di chi lo aveva concesso.
BGE 99 Ia 78 S. 82
D.-
Contro la decisione cantonale il Credito Svizzero ha interposto ricorso per cassazione alla Corte di Cassazione penale del Tribunale federale, da questa dichiarato irricevibile. Con parallelo ricorso di diritto pubblico, il Credito Svizzero chiede l'annullamento della medesima decisione cantonale, denunciando la violazione degli articoli 4, 22ter, 31, 58 e, 59 CF, dell'art. 4 della costituzione cantonale, nonchè quella della Convenzione.
Erwägungen
Considerando in diritto:
I.
Questioni d'ordine
1.
Nel gravame il ricorrente fa valere la violazione della Convenzione europea di assistenza giudiziaria in materia penale. Oltre che sull'art. 84 cpv. 1 lett. a OG, espressamente invocato, il gravame è fondato quindi anche sulla lett. c di quel disposto.
Secondo tale norma il ricorso di diritto pubblico è ammissibile per la violazione di trattati internazionali, a meno che si tratti della violazione delle loro disposizioni di diritto civile o di diritto penale. Codesta condizione negativa è adempiuta, poichè l'assistenza giudiziaria in genere, e quella in materia penale in particolare, fanno parte del diritto internazionale pubblico [Annuaire Suisse du Droit International (ASDI) XIX, 1962, p. 136 o Giurisprudenza delle autorità amministrative della Confederazione (GAAC) 1957, 13; RU 95 II 378, 96 I 390, 98 I 229].
Anteriormente alla riforma dell'OG, entrata in vigore il 10 ottobre 1969, la giurisprudenza del Tribunale federale aveva a più riprese rilevato che il ricorso di diritto pubblico costituiva l'unica via aperta per censurare la violazione di norme di trattati internazionali che non fossero di diritto civile o penale (cfr. RU 95 II 378 consid. 2, 95 I 166/67 consid. 1, 96 I 390 consid. 1).
Dopo la riforma dell'OG e l'introduzione della PAF lo stesso principio è stato implicitamente ammesso in RU 98 Ia 229 consid. 2 a, con riferimento alla giurisprudenza surriferita. Il problema di sapere se la riforma abbia aperto altre vie, rispetto alle quali in virtù dell'art. 84 cpv. 2 OG - applicabile in tutti i casi di ricorso delle lettere a-d del primo capoverso (BIRCHMEIER, ad
art. 84 OG
, V, 1a) - il ricorso di diritto publico appaia come rimedio sussidiario, non è stato posto.
BGE 99 Ia 78 S. 83
a) Il ricorso di diritto amministrativo può essere proposto per violazione del diritto federale anche contro decisioni di ultima istanza delle autorità cantonali se, come in casu, il diritto federale non prevede il ricorso ad istanza federale intermedia (art. 104 lett. a e 98 lett. g OG). Secondo la dottrina (GRISEL, Droit administratif suisse, p. 505 e 480; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, p. 132 ss.), la nozione di diritto federale di cui all'art. 104 lett. 1 OG dev'essere intesa in senso lato: essa comprende quindi anche il diritto e le convenzioni internazionali. Di per sè, l'
art. 104 OG
non fa quindi ostacolo all'ammissibilità di un ricorso di diritto amministrativo per violazione di norme di diritto pubblico contenute in trattati internazionali.
b) Nel caso concreto al ricorso di diritto amministrativo fa ostacolo però la norma dell'art. 100 lett. f OG. Secondo questa disposizione il ricorso di diritto amministrativo è escluso, oltre che nei casi d'estradizione, contro le decisioni "in materia di procedimento penale" ("auf dem Gebiete der Strafverfolgung"). Nel novero di quest'ultime cadono anche quelle che concernono l'assistenza giudiziaria internazionale in materia penale (cosiddetta "kleine Rechtshilfe in Strafsachen").
Poichè nella fattispecie l'art. 100 lett. f OG impedisce comunque la possibilità di formare un ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale, può rimanere aperta la questione generale di sapere se, in assenza di una norma analoga, tale ricorso sia dato contro le decisioni cantonali rese in applicazione di trattati internazionali.
c) Resta da vedere se, escluso il ricorso di diritto amministrativo, la violazione della Convenzione non debba per avventura farsi valere col ricorso al Consiglio federale, a'sensi dell'art. 73, cpv. 1 lett. c PAF. Secondo tale norma il ricorso al Consiglio federale contro decisioni rese in ultima istanza cantonale è dato - ove sia, come in casu, escluso il ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale (art. 74, lett. 1 PAF) - per violazione di "altre disposizioni federali che non siano di diritto privato o di diritto penale". Se al termine di "disposizioni federali" si desse lo stesso senso lato come al termine di "diritto federale" di cui all'
art. 104 OG
, si dovrebbe concludere che le censurate violazioni della Convenzione europea dovrebbero formar oggetto di ricorso al Consiglio federale. A codesta interpretazione fanno però ostacolo argomenti tratti dal testo
BGE 99 Ia 78 S. 84
stesso dell'art. 73 PAF, dalla genesi e dalla base costituzionale di questa norma. Giusta il cpv. 1, lett. b dell'art. 73 PAF, il ricorso al Consiglio federale è aperto, in materia di trattati internazionali, contro le disposizioni degli stessi che riguardano il commercio ed i dazi, le tasse e i brevetti di invenzione, la libera circolazione e il domicilio, salve oltretutto, per quest'ultimi titoli, le importanti limitazioni previste al cpv. 2, lett. b e c dello stesso articolo. Se pertanto - con un'interpretazione lata - si comprendessero nel termine di "altre disposizioni federali" impiegato al cpv. 1 lett. c anche i trattati internazionali, la lettera b diverrebbe priva di contenuto e di senso.
D'altra parte, come il Tribunale federale ha già rilevato per escludere dalla suddetta nozione di "altre disposizioni federali" i diritti costituzionali (RU 98 I a 284 consid. 3), il legislatore ha praticamente ripreso nell'art. 73 PAF le norme già contenute nell'art. 125 v. OG. Egli non ha manifestato l'intenzione di sovvertire il riparto delle competenze anteriormente vigente tra Consiglio federale, da un canto, e Tribunale federale, dall'altro. Semmai, egli ha esteso le competenze del Tribunale federale e ridotto quelle del Consiglio federale, come lo dimostrano le eccezioni a favore della giurisdizione del Tribunale federale introdotte con il secondo capoverso dell'art. 73 PAF, più largo del corrispondente cpv. 2 dell'art. 125 v. OG. Da ultimo - e l'argomento è decisivo - la competenza del Tribunale federale a giudicare dei ricorsi di privati per violazione di trattati internazionali trova il suo fondamento costituzionale nell'art. 113 cpv. l'cifra 3 CF, alla luce del quale la legislazione deve essere interpretata. È vero che il capoverso 2 dell'art. 113 CFP riserva espressamente "le contestazioni amministrative da precisarsi nella legislazione federale". Ma tale riserva, che per i trattati internazionali era sciolta prima della riforma dell'OG dall'art. 125 cpv. 1 lett. c v. OG, è oggi sciolta soltanto dall'art. 73 cpv. 1 lett. b PAF (cfr. BURCKHARDT, Commento ad art. 113 CF, D, p. 787/88; cfr. inoltre la sentenza non pubblicata del 20 giugno 1956 in re Kreis Lörrach c. Aeschbach, consid. 1). Si deve quindi concludere che, come non cadono sotto l'art. 73, cpv. 1, lett. c le disposizioni costituzionali, cosi non vi cadono neppure i trattati internazionali.
d) La dottrina ed anche la giurisprudenza del Consiglio federale ammettono che gli interessati possano rivolgersi a quest'ultimo mediante una denunzia ("Aufsichtsbeschwerde",
BGE 99 Ia 78 S. 85
art. 102 n. 2 CF, art. 71 PAF) per lamentare la violazione del trattato da parte dell'ultima istanza cantonale [in dottrina, v. HAUSER, Das europäische Abkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen in RPS, vol. 83 (1967) p. 225 e seguenti, in particolare p. 241 e nota 40; HAUSER-HAUSER, Kommentar zum zürch. Gerichtsverfassungsgesetz, § 126/27 N. 7 e in fine; per quanto concerne la giurisprudenza del Consiglio federale, v. affare Ciurleo, GAAC, 1957, p. 16; ASDI XIX (1962) p. 138 e 139; cfr. inoltre sentenza inedita del 20 giugno 1956 in re Lörrach c. Aeschbach e Appellationsgericht Baselstadt, consid.1].
Tra gli interessati sono da comprendere lo Stato che richiede l'assistenza, il quale non può avvalersi del ricorso di diritto pubblico in virtù dell'art. 113 n. 3 CF, ed eventualmente la parte lesa, non ammessa per giurisprudenza (RU 94 I 554 consid. 1, 96 I 599) a servirsi dello stesso rimedio.
Quanto sopra non esclude tuttavia l'ammissibilità del ricorso di diritto pubblico - ove ne siano date le ulteriori premesse - poiché la denunzia non costituisce un rimedio di diritto ai sensi dell'art. 84 cpv. 2 OG.
2.
a) La legittimazione del ricorrente dev'essere ammessa in linea di principio anche sotto il profilo dell'
art. 88 OG
. Certo, la Convenzione regola i rapporti fra gli Stati contraenti nel campo dell'assistenza giudiziaria in materia penale, e crea direttamente obblighi e diritti soltanto per gli Stati. Tuttavia, se l'applicazione del trattato comporta l'imposizione di obblighi a privati, lesi nei loro interessi giuridicamente protetti, questi debbono poter insorgere contro la decisione resa in violazione della norma del trattato (RU 93 I 167, 98 I 230). Il requisito della lesione è indubbiamente dato per il Credito Svizzero, privato della possibilità di disporre del deposito effettuato alla società X.
b) Ci si può invero chiedere se l'interesse del Credito Svizzero sia ancora attuale. Risulta infatti dagli atti che, con sentenza del 22 marzo 1972 (anteriore, quindi, all'impugnata decisione) il Pretore di Milano, statuendo nel merito, dopo aver condannato a pene privative della libertà i tre imputati per titolo di truffa, ha revocato, con altri, anche il decreto di sequestro delle somme depositate presso il Credito Svizzero. Quel magistrato, tuttavia, ha ordinato che codeste comme siano lasciate "nella libera disponibilità della società X". Si deve quindi ritenere che,
BGE 99 Ia 78 S. 86
come risulta anche dalla motivazione della cennata sentenza, il Giudice italiano abbia tolto il sequestro solo per sostituirlo con un ordine di consegna all'intimata del deposito, provvedimento al quale il Credito Svizzero fa opposizione. L'interesse del ricorrente a far giudicare dell'ammissibilità del revocato sequestro è quindi ancora attuale.
3.
a) La società X, a sostegno della conclusione dell'irricevibilità, fa valere che l'impugnata sentenza è una decisione incidentale ai sensi dell'
art. 87 OG
, da cui non deriverebbe al ricorrente danno irreparabile.
L'eccezione è infondata. La limitazione d'impugnabilità dettata dall'
art. 87 OG
concerne soltanto i ricorsi per violazione dell'art. 4 CF. Per violazione degli altri diritti costituzionali e dei trattati anche le decisioni incidentali possono esser impugnate, quand'anche non siano fonte di danno irreparabile. Se deve entrare nel merito per una di queste censure, il Tribunale federale esamina in simili casi, per ragioni d'economia di giudizio, anche le censure tratte dalla violazione dell'art. 4 CF, rinunciando alla limitazione posta dall'
art. 87 OG
(RU 95 I 493 consid. 1
;
96 I 463
consid. 2, 565 consid. 1), purchè, beninteso, il requisito dell'esaurimento delle istanze cantonali sia adempiuto (RU 93 I 21 consid. 2 a).
b) Non essendo per le censure di violazione di trattati e degli
art. 58 e 59
CF richiesto l'esaurimento delle istanze cantonali (art. 86 cpv. 2 e 3 OG), il ricorrente può sollevare nuove censure di fatto e di diritto (RU 98 I 230 consid. 2 a
;
93 I 167
, 281).
La censura di violazione dell'art. 31 CF è nuova: anch'essa è tuttavia ricevibile, poichè - come non è contestato - la Corte cantonale possedeva libera cognizione ed era tenuta d'applicare d'ufficio il diritto (RU 91 I 132 consid. 5). Con questa censura si confonde quella di violazione dell'art. 4 della Costituzione ticinese (garanzia della libertà di commercio), che non ha portata propria.
Quanto alla cognizione del Tribunale federale, essa è libera, fuorchè per quanto riguarda la censura di arbitraria applicazione del diritto cantonale (per i trattati internazionali cfr. RU 96 I 390 consid. 1
;
98 I 230
consid. 2 a).
II.
Merito
4.
La Convenzione europea d'assistenza giudiziaria in materia penale, conclusa a Strasburgo il 20 aprile 1959, è entrata
BGE 99 Ia 78 S. 87
in vigore per la Svizzera il 20 marzo 1967 (RULF 1967, p. 866); per l'Italia, che l'ha ratificata sin dal 23 agosto 1962, essa è in vigore dal 12 giugno 1962. La Convenzione (art. 26) ha abrogato le disposizioni di trattati, convenzioni e accordi bilaterali che, tra le parti contraenti, reggono l'assistenza giudiziaria in materia penale, e quindi le disposizioni relative all'assistenza giudiziaria in genere contenute nel Trattato d'estradizione italo-svizzero del 22 luglio 1868 (CS 12, p. 146 ss.; art. 13 e seguenti). Tuttavia, secondo la Convenzione europea (art. 26 § 1), restano in vigore le disposizioni degli accordi bilaterali precedenti che prevedono la trasmissione diretta delle domande di assistenza giudiziaria fra le autorità giudiziarie delle Parti, nonchè le disposizioni concernenti la traduzione delle domande e relativi allegati. Il principio della trasmissione diretta fra le autorità giudiziarie (Corti d'appello italiane, Tribunale federale, Tribunali cantonali) è sancito - eccezion fatta per le domande di estradizione - dall'art. III del Protocollo del 10 maggio 1869 (CS 1 l'p. 666) concernente l'esecuzione del Trattato di domicilio e consolare (CS 11, p. 657) e del Trattato di estradizione italo-svizzero, entrambi del 22 luglio 1868 (cfr. RU 90 IV 54). Codesta disposizione non è quindi stata abrogata dalla Convenzione, per cui le competenti autorità italiane non sono tenute a trasmettere le loro domande di assistenza per il tramite della Direzione di polizia del Dipartimento federale di giustizia e polizia, come richiesto dalla dichiarazione svizzera all'art. 23 della Convenzione (cfr. art. 3 del decreto federale del 27 settembre 1966 che approva la Convenzione), ma possono rivolgersi direttamente alle autorità cantonali.
5.
Il ricorrente afferma che in, virtù dell'art. 5, cpv. 1, lett. c della Convenzione, l'esecuzione della commissione rogatoria dev'essere compatibile con la legge dello Stato richiesto, in casu con il Codice di procedura penale ticinese (art. 120), e sostiene che questa condizione non si è verificata. Egli rimprovera alla Camera dei ricorsi penali, che ha ritenuto il contrario, una violazione della Convenzione.
In questa formulazione, la censura non è fondata.
a) La Convenzione europea costituisce, in un certo senso, la codificazione delle regole affermatesi negli usi internazionali nel settore dell'assistenza giudiziaria in materia penale, che la legislazione federale non ha sinora disciplinato. Essa prevede l'applicazione di principi essenzialmente simili a quelli che
BGE 99 Ia 78 S. 88
ispirano la prassi svizzera. Mossa dal proposito di facilitare nei rapporti internazionali il perseguimento dei reati, la Convenzione adotta tuttavia in un punto una soluzione che si scosta fondamentalmente dall'uso vigente in Svizzera. Essa non subordina l'obbligo di accordare l'assistenza ad alcuna condizione materiale nella misura in cui il caso considerato dalla domanda rientra nel suo campo d'applicazione (cfr.
art. 1 e 3
; Messaggio del Consiglio federale, FF 1966, p. 441 e seguenti). Perchè sussista l'obbligo di prestare l'assistenza non occorre in particolare nè che il reato motivante la domanda rientri nel novero di quelli per i quali l'estradizione dev'essere concessa, nè è necessario che sia adempiuto il requisito della doppia incriminazione (Messaggio, loc.cit.; cfr. inoltre Rapport explicatif sur la Convention européenne, Conseil de l'Europe, Strasburgo 1969, considerazioni generali e note agli art. 1, 3, 5, 14; GRÜTZENER, Rechtshilfe (internationale) in Strafsachen, in Wörterbuch des Völkerrechts, 1962, in ispecie p. 53; T. VOGLER, Die europäischen Übereinkommen..., in Zsch. für gesamte Strafrechtswissenschaft, v. 80, 1968, p. 500).
Un'importante riserva la Convenzione ha tuttavia fatto all'art. 5 § 1. Questa disposizione autorizza le parti contraenti, al momento della firma o della ratifica, a riservarsi la facoltà di sottoporre l'esecuzione delle commissioni rogatorie per perquisizione o sequestro di oggetti a una o più delle seguenti condizioni: a) che il reato motivante la commissione rogatoria sia punibile secondo la legge della Parte richiesta e della Parte richiedente (principio della doppia incriminazione); b) che lo stesso reato sia idoneo nel paese richiesto a dar luogo a estradizione; c) che l'esecuzione della commissione rogatoria sia compatibile con la legge della Parte richiesta.
La Svizzera, approvando la Convenzione, ha fatto uso soltanto della facoltà prevista dall'art. 5 § 1 lett. a (principio della doppia incriminazione), estendendo tuttavia la riserva, come glielo permetteva l'art. 23 § 1 della Convenzione, oltre che alle commissioni rogatorie per perquisizione o sequestro di oggetti, all'esecuzione di ogni commissione rogatoria esigente l'applicazione di una qualsivoglia misura coercitiva (Decreto federale del 27 settembre 1966 che approva la Convenzione del Consiglio d'Europa, art. 3; RULF 1967, p. 893 e seguenti). Se ne deve dedurre e contrario che, giusta la dichiarazione fatta, la Svizzera non richiede, neppure per l'esecuzione di commissioni rogatorie
BGE 99 Ia 78 S. 89
implicanti misure coercitive, nè che il reato motivante la richiesta sia di quelli per i quali l'estradizione è concessa, nè che la misura richiesta sia compatibile con la legge svizzera, in casu con la legge cantonale di procedura penale. Il Messaggio (loc. cit. p. 451 e passim) espone le ragioni che hanno indotto la Svizzera a tale atteggiamento. Per l'estensione della riserva di cui alla lett. a dell'art. 5 § 1a tutte le commissioni implicanti l'applicazione di misure coercitive, si è pensato al caso in cui simili misure entrassero in considerazione nei confronti di testi recalcitranti, o carenti, o che facessero appello al segreto professionale, ecc. Per la limitazione della riserva al solo caso previsto della lettera a dell'art. 5 § 1, invece, si è ritenuto che questa riserva è sufficiente anche nei casi in cui la prassi svizzera vincolasse la concessione dell'assistenza a più severe esigenze, perchè tale riserva può essere combinata con l'ordinamento sancito dall'art. 2 della Convenzione. Secondo codesta disposizione, l'assistenza giudiziaria può esser infatti rifiutata non solo per i reati ritenuti politici, o connessi con reati politici, e per i reati fiscali (art. 2 lett. a), ma anche se l'esecuzione della domanda è di natura tale da nuocere alla sovranità, alla sicurezza, all'ordine pubblico o ad altri "interessi essenziali" della Parte richiesta (art. 2 lett. b; sulla nozione di interessi "essenziali" cfr. il Rapport explicatif, p. 13, il quale, dopo aver precisato che come tali si intendono gli interessi dello Stato e non quelli di privati, specifica però che gli interessi economici possono esser compresi nella nozione). Si deve pertanto ritenere che, salvi i casi in cui l'assistenza può esser rifiutata in applicazione dell'art. 2 della Convenzione, la Svizzera non può opporsi alla esecuzione della commissione rogatoria per il motivo che detta esecuzione non sarebbe compatibile con la legge svizzera. Un'unica eccezione dev'essere fatta, a codesto riguardo, nei confronti di Stati che, come ad esempio la Danimarca o la Norvegia, avessero subordinato la loro adesione alla condizione prevista nello art. 5, § l'lett. c, e verso i quali la Svizzera potrebbe invocare la regola della reciprocità riservata dal secondo paragrafo dell'art. 5. Tale ipotesi non si verifica nei confronti dell'Italia, che non ha subordinato la sua adesione ad alcuna delle condizioni previste dalla cennata disposizione (cfr. RULF 1967, p. 878).
b) Si deve però ammettere che codesta interpretazione può dar luogo a difficoltà in relazione a quanto stabilisce l'art. 3
BGE 99 Ia 78 S. 90
della Convenzione. Secondo questa disposizione, l'esecuzione della commissione rogatoria deve avvenire "nelle forme previste dalla ... legislazione" della Parte richiesta ["in der in den Rechtsvorschriften des ersuchten Staats vorgesehenen Form"; "dans les formes prévues par sa (de l'Etat requis) législation"]. Questa formula è analoga, ma non identica, a quella impiegata dall'art. 18 cpv. 2 della legge federale sull'estradizione. Questa stabilisce che l'arresto è eseguito "nel modo prescritto dalle legislazioni cantonali", prescrive che con lo stesso deve procedersi "alle perquisizioni e sequestri prescritti dalle leggi del cantone o chiesti nel mandato di cattura", ma aggiunge però espressamente "purchè siano ammissibili secondo il diritto cantonale".
È evidente che l'art. 3 della Convenzione non ha la medesima portata dell'art. 18 LEstr.
Come l'estradizione, l'assistenza giudiziaria internazionale in materia penale non costituisce un procedimento in cui lo Stato richiesto faccia esercizio di giurisdizione in materia penale, ma un atto del diritto amministrativo internazionale, sia pure con strette connessioni con la materia penale. Le disposizioni della procedura penale non debbono necessariamente esser trasferite ed applicate nel campo particolare dell'assistenza fra gli Stati. Il rinvio alle disposizioni procedurali dello Stato richiesto, contenuto nell'art. 3 della Convenzione, ha quindi anzitutto il senso di creare una base per l'applicazione della procedura (penale) dello Stato richiesto nel campo specifico dell'assistenza internazionale, campo in cui quest'ultimo Stato, per conto o nello interesse dello Stato richiedente, deve eseguire atti processuali o adottare misure di natura uguale o quantomeno analoga agli atti processuali ed alle misure ch'esso suole adottare per i propri procedimenti penali.
L'applicazione della procedura dello Stato richiesto deve però essere adattata alle esigenze poste dagli obblighi internazionali assunti da quest'ultimo nel campo specifico dell'assistenza, e deve trovare il suo limite là dove l'applicazione stretta delle regole procedurali condurrebbe a risultati che contraddirebbero gli impegni internazionali assunti o gli scopi fondamentali dell'istituto della collaborazione internazionale in materia penale. In tali casi il diritto interno, e particolarmente quello di procedura, deve cedere il passo al diritto internazionale, come il Tribunale federale ha stabilito in RU 97 I 384 consid.
BGE 99 Ia 78 S. 91
5 c in relazione all'art. 18 LEstr. Tra gli obblighi che la Svizzera ha assunto aderendo alla Convenzione v'è, come visto sopra, anche quello di non rifiutare l'assistenza perchè la richiesta misura sarebbe incompatibile col diritto interno. Va pertanto troppo lontano, e non può quindi essere condivisa, l'interpretazione data da HAUSER (loc. cit., p. 227 II e nota 8) all'art. 3 della Convenzione, secondo cui l'assistenza dev'essere prestata non soltanto esclusivamente nella forma, ma anche solo quando ricorrano tutte le premesse ("unter den Voraussetzungen") del diritto processuale dello Stato richiesto. Una simile interpretazione, infatti, renderebbe privo di significato l'art. 5 § 1 lett. c della Convenzione.
c) Non è comunque necessario approfondire tutti i delicati aspetti che pone l'applicazione dell'art. 3 in relazione con la rinuncia della Svizzera ad avvalersi della riserva prevista dall'art. 5 § 1 lett. c, perchè il ricorso deve essere ammesso per altri motivi.
6.
Secondo il senso, che si deve attribuire al gravame, il ricorrente censura infatti anche che l'impugnato sequestro esorbita dal quadro stesso della Convenzione.
Questa censura è fondata per i motivi seguenti:
a) Nel procedimento penale la misura del sequestro può perseguire fini diversi, che eventualmente si combinano fra di loro.
Essa può tendere innanzitutto ad assicurare l'acquisizione al procedimento di mezzi di prova rilevanti per l'accertamento della fattispecie penale. Si par la allora di sequestro probatorio o individuale (Beweis- oder Individualbeschlagnahme), i cui presupposti sono regolati dalla procedura penale. Oppure il sequestro può tendere ad assicurare l'esecuzione del futuro giudicato penale o delle pronunzie civili con lo stesso connesse. Tale è il caso, quando vengono sequestrati oggetti che, secondo il diritto penale materiale, dovranno soggiacere a confisca (sequestro confiscatorio o Einziehungsbeschlagnahme) o che debbono garantire il pagamento delle spese o delle pene pecuniarie del procedimento, oppure il pagamento del risarcimento o la restituzione di oggetti alle parti lese. In tali casi si par la di sequestro conservativo o sequestro patrimoniale (cfr. C. SPECKER, Die Beschlagnahme im Strafverfahren zur privatrechtlichen Schadensdeckung, SJZ 49, 1953, p. 301 ss.; H. NIEDERER, Die Vermögensbeschlagnahme im Schw. Strafverfahren, 1968, p. 1/4; HUNZIKER, Die Beschlagnahme im bern. Strafverfahren,
BGE 99 Ia 78 S. 92
p. 15 ss.; FÄH, Die Zwangsmittel im st. gall. Strafrechtspflegegesetz, p. 54 ss.; D. v. RECHENBERGER, Beschlagnahme, Siegelung und Hausdurchsuchung gemäss zürch. Strafprozessordnung, p. 3 ss.; inoltre RU 76 I 32 ss.
;
76 I 99
ss.; per il diritto italiano: G. SABATINI, "Sequestro per il procedimento penale" e G. GUARNERI: "Sequestro conservativo penale", entrambi in Nuovissimo Digesto italiano; per il diritto germanico: E. SCHMIDT, Lehrkomm. zur Strafprozessordnung, Vorbem. al § 94, N. 2 e ss. e § 94; LÖWE-ROSENBERG, Grosskomm. zu den Str.P.O., Vorbem. al § 94 ss.).
b) Nella disciplina della Convenzione europea cade sicuramente il sequestro probatorio. Più delicata è la questione di sapere se essa regoli pure il sequestro conservativo.
A favore della tesi che vuole retto dalla Convenzione europea il solo sequestro probatorio può essere addotto quanto segue. La misura del sequestro, menzionata all'art. 5 § 1 della Convenzione, si riferisce alle commissioni rogatorie definite nell'art. 3. Secondo il primo paragrafo di questa disposizione, le commissioni rogatorie hanno per oggetto "di compiere atti istruttori o di comunicare mezzi di prova, inserti o documenti" ("... de communiquer des pièces à conviction, des dossiers ou des documents", "... oder die Übermittlung von Beweisstücken, Akten oder Schriftstücken zum Gegenstand haben"). Ne deriva che il sequestro del § 5 si riferisce ad oggetti che, giusta l'art. 3, costituiscono mezzi di prova.
Che detto sequestro sia poi limitato ai mezzi di prova in tale loro specifica qualità e funzione, sembra risultare anche dall'art. 6 § 2. Questa norma stabilisce che gli oggetti che saranno stati trasmessi in esecuzione di una commissione rogatoria, saranno restituiti al più presto possibile dalla Parte richiedente alla Parte richiesta, salvo che questa vi rinunci. Nel "Rapport explicatif" si precisa non soltanto che il termine di "oggetti" "vise notamment les pièces à conviction dont il est question au paragraphe premier de l'art. 3", ma si sottolinea espressamente che è stato riconosciuto che la Parte richiedente, in virtù di questo testo, non potrà disporre di codesti oggetti, quand'anche la sua legislazione contenesse norme che le ordinassero di pronunciarsi sulla proprietà dei medesimi (Rapport explicatif p. 16). D'altra parte, in forza dell'art. 1 cpv. 2, la Convenzione non si applica, tra l'altro, alla esecuzione di decisioni di condanna. Se ne può inferire ch'essa non può applicarsi neppure
BGE 99 Ia 78 S. 93
per l'esecuzione di provvedimenti che, oltre lo scopo meramente istruttorio, si propongano di garantire l'esecuzione del futuro giudicato penale, vuoi ai fini di confisca, vuoi ai fini di risarcimento di parti lese, quali i sequestri conservativi.
Condivisa in dottrina (cfr. NIEDERER, op.cit. p. 87), l'opinione per cui secondo la Convenzione europea il sequestro si limita ai mezzi di prova pare trovare d'altronde un'esplicita conferma nel progetto di accordo tra la Confederazione svizzera e la Repubblica federale di Germania che la completa e ne agevola l'applicazione (FF 1970, II, 1, p. 216 ss. o VVL 1970, II, 1, p. 259 ss.; Messaggio del Consiglio federale del 15 luglio 1970, in FF citato, p. 197 ss., o BBl, p. 241 ss.). Nell'art. II di tale accordo, relativo all'art. 3 della Convenzione europea, si specifica (cpv. 3) che "oltre ai mezzi di prova menzionati all'art. 3 della Convenzione, su richiesta dell'autorità competente sono parimenti trasmessi gli oggetti provenienti da un reato, come anche il ricavo della loro realizzazione, salvo che una persona estranea al reato faccia valere i suoi diritti sugli stessi e semprechè le sue pretese non siano già state soddisfatte o garantite".
In base a tale tesi, si deve cosi concludere che, giusta la Convenzione europea, solo i mezzi di prova possono costituire oggetto di sequestro, e che il provvedimento, nonchè la consegna alla Parte richiedente, sono limitati e circoscritti alla funzione probatoria di questi oggetti nell'ambito del procedimento penale instaurato dalla Parte richiedente; un sequestro ed una consegna, che vadano oltre codesta finalità specifica, debbono esser previsti da accordi supplementari.
c) A favore di un'interpretazione della Convenzione europea che includa nell'assistenza giudiziaria da essa disciplinata anche il sequestro conservativo può, d'altra parte, distinguersi tra sequestro e comunicazione; il sequestro conservativo rientrerebbe tra gli "atti istruttori" genericamente indicati dall'art. 3 cpv. 1, mentre la comunicazione, prevista nella stessa disposizione, si riferirebbe solamente ai "mezzi di prova, inserti o documenti". Tale interpretazione consentirebbe d'invocare la Convenzione europea per conseguire il sequestro conservativo del "productum sceleris", e per impedire, mediante una procedura snella e sollecita, la temuta dispersione del provento del delitto. Secondo questa opinione, la Convenzione europea garantirebbe, da un lato, l'immobilizzazione nello Stato richiesto
BGE 99 Ia 78 S. 94
del "productum sceleris" (la sua eventuale ed eccezionale trasmissione allo Stato richiedente, a fini probatori, sarebbe comunque accompagnata dall'onere di restituzione espressamente previsto dalla Convenzione), e, dall'altro, la comunicazione dei mezzi di prova ritenuti necessari dallo Stato richiedente. Solamente cosi si attribuirebbe alla Convenzione europea un oggetto adeguato ai fini che essa si propone, ossia una efficace ed estesa solidarietà internazionale nella lotta contro il crimine.
d) Nella fattispecie la questione di sapere se l'art. 3 della Convenzione europea comprenda solo il sequestro probatorio od anche quello conservativo può rimanere aperta. Infatti, non esiste comunque una relazione giuridicamente adeguata tra la somma di cui è stato chiesto il sequestro (probatorio o conservativo che sia) e il delitto a cui la commissione rogatoria la collega.
Nel caso concreto costituiscono indubbiamente mezzi di prova per il procedimento penale instaurato in Italia le lettere di credito stesse - i cui originali, però, non si trovano più in Svizzera -, le relative scritturazioni contabili, la corrispondenza bancaria. Il ricorrente, d'altronde, non lo contesta, nè si è opposto alla consegna all'autorità italiana di codesti atti o delle loro copie.
Il Credito Svizzero contesta invece che possa essere sequestrata ai sensi della Convenzione la somma di dollari che la società X (o per essa il titolare del conto YZ) ha depositato presso l'istituto, e che è destinata a garantire, nei confronti della mandante, le pretese della banca che ha emesso le lettere di credito. Il ricorrente è nel giusto.
La circostanza per cui, ai fini di ottenere l'emissione da parte del Credito Svizzero dellelettere di credito a favore dellabeneficiaria, la società X abbia o meno dovuto costituire garanzie a favore del Credito Svizzero, è assolutamente irrilevante per la questione di sapere se l'intimata sia stata indotta a ordinare detta emissione in conseguenza di manovre ordite dai responsabili della venditrice della merce, che perfezionino il reato di truffa o tentata truffa. Ai fini di codesto giudizio, la situazione non sarebbe per nulla diversa se il Credito Svizzero avesse emesso le lettere di credito senza possedere, per garantirsi il regresso verso la mandante, alcuna copertura. Infine, la questione di sapere se il ricorrente possa esercitare tale regresso, ed addebitare alla mandante l'operazione di sconto delle lettere di credito, come
BGE 99 Ia 78 S. 95
l'istituto pretende e l'intimata contesta, esorbita dal giudizio penale. Essa comporta infatti un giudizio sul contenuto del mandato conferito dall'intimata al ricorrente per l'emissione delle lettere di credito, e sull'esecuzione, corretta o meno, del mandato ricevuto da parte del Credito Svizzero o della banca corrispondente; tutte questioni che esulano dal problema della responsabilità penale dei prevenuti, e che debbono e possono rimanere riservate.
Da quanto sopra risulta che il deposito di cui s'è chiesto il sequestro non costituisce nè un mezzo di prova concernente il procedimento penale, nè il provento del delitto che con detto procedimento si vuole punire. Non esistendo la necessaria connessione tra la somma in questione e il reato menzionato nella commissione rogatoria - connessione che è un presupposto essenziale per l'applicazione della Convenzione europea invocata -, il sequestro deve quindi essere rifiutato nella misura in cui esso a tale somma si riferisce.
7.
Per scrupolo di completezza, ci si può chiedere se la domanda dell'autorità italiana non possa esser fondata, anzichè sulla Convenzione di assistenza giudiziaria, sulla Convenzione europea di estradizione del 13 dicembre 1957 (RULF 1967, p. 850 ss.), di cui ambedue gli Stati sono membri (cfr. RU 95 I 465 consid. 1).
a) Anche l'art. 20 di questa Convenzione si occupa del sequestro e della consegna di oggetti, tuttavia solamente come di misure accessorie all'estradizione di persone. Il principio dell'accessorietà risulta, e contrario, dalla norma del paragrafo 2 dell'art. 20, per cui la consegna di oggetti prevista dal primo paragrafo dello stesso articolo "sarà effettuata anche qualora l'estradizione già accordata non potesse aver luogo in seguito alla morte o all'evasione dell'individuo ricercato" (cfr. Messaggio del Consiglio federale, FF 1967, p. 439). Poichè le persone, ricercate dall'Italia per i noti reati, non si trovano in Svizzera, la premessa dell'applicazione dell'art. 20 della Convenzione di estradizione non è data (analoga soluzione nella prassi austriaca: cfr. M. BURGSTALLER, Das europäische Auslieferungsübereinkommen und seine Anwendung in Österreich, p. 53).
b) Ma quand'anche si volesse sostenere che sull'art. 20 della Convenzione di estradizione possa essere fondata una domanda di sequestro o consegna di oggetti indipendente da una domanda di estradizione personale (questione che, in
BGE 99 Ia 78 S. 96
relazione all'art. 27, cpv. 2 LEstr., il Tribunale federale ha lasciato aperto in RU 31 I 501 consid. 2; cfr. anche SCHULTZ, Das Schweiz. Auslieferungsrecht, p. 510 e nota 3 ivi), gli estremi per l'applicazione di codesto disposto non sarebbero comunque dati. Infatti, giusta il cpv. a lett. a e b dell'art. 20, dovrebbe trattarsi o di oggetti che possano servire quali mezzi di prova o di oggetti provenienti dal reato. Già si è visto sopra che il deposito onde si tratta non è mezzo di prova nè "proviene" dal reato. Si tratta in realtà di un credito nei confronti del ricorrente, che non compete al presunto reo, bensì all'intimata che ha costituito il deposito.
8.
L'esecuzione della commissione rogatoria italiana deve quindi esser rifiutata, nella misura in cui essa chiede il sequestro del deposito. Ciò comporta l'annullamento dell'impugnata decisione. È superfluo esaminare le altre censure sollevate dal ricorrente. Per analogia con quanto avviene in materia di rigetto dell'opposizione fondata sull'exequatur di una sentenza straniera (RU 72 I 96; sentenza 20 settembre 1972 in re Niccolini c. Gatti, consid. 6) e per analogia con le pronunzie in materia di estradizione, si giustifica di fare eccezione al principio della natura cassatoria del ricorso di diritto pubblico e di pronunciare direttamente il rifiuto dell'assistenza - che l'art. 19 della Convenzione impone di motivare nei confronti della Parte richiedente - nel dispositivo. Oltre che alla ricorrente e all'interessata General Import/Export SA, del giudizio dev'esser data conoscenza all'autorità italiana richiedente ed al Dipartimento federale di giustizia e polizia.
9.
Per quanto riguarda le spese, non si giustifica di porle a carico della società X. Questa, nella procedura davanti al Tribunale federale, non ha qualità di parte: essa non sarebbe stata legittimata ad impugnare una decisione negativa dell'autorità ticinese sulla richiesta italiana di assistenza giudiziaria. Non avendo qualità per impugnare una decisione negativa, essa non l'aveva neppure per difendere la decisione positiva presa in casu dall'autorità cantonale (RU 63 I 230
;
75 I 46
consid. 3; consid. 3 della sentenza del 17 marzo 1971 Pully c. Vaud). Le osservazioni da essa presentate vanno considerate come quelle di "un altro interessato" ai sensi dell'art. 93 cpv. 1 OG.
Nessuna spesa può esser imposta, d'altra parte, all'autorità estera richiedente (art. 20 Convenzione). Le ripetibili di sede federale sono pertanto da porre a carico del cantone Ticino. | public_law | nan | it | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cba92fac-21a5-433e-bb36-fa7bf038157e | Urteilskopf
85 II 337
54. Arrêt de la IIe Cour civile du 15 octobre 1959 dans la cause "Zürich", Compagnie d'assurances contre Risse. | Regeste
Zusprechung der auf Art. 49 MFG gestützten Klage des Verletzten gegen den Versicherer. Dieser macht alsdann auf Grund des Art. 72 V VG und der allgemeinen Versicherungsbedingungen den Eintritt in die Rückgriffsrechte nach
Art. 51 Abs. 2 OR
geltend, die dem kraft gesetzlicher Pflicht versicherten Halter des Fahrzeugs gegen den von ihm freiwillig bei derselben Gesellschaft versicherten Führer zustehen (Erw. 3).
1. Tragweite des
Art. 72 Abs. 3 VVG
(Erw. 4).
2. Anwendung von
Art. 14 VVG
(Erw. 5) in Verbindung mit
Art. 98 VVG
(Erw. 6).
3. Leichte Fahrlässigkeit im Sinne von
Art. 14 und 72 Abs. 3 VVG
(Erw. 2). Unerfahrener Führer bremst auf Glatteis.
4. Streitwert und dessen Angabe in der Berufungsschrift. Feststellungsklage (Erw. 1). | Sachverhalt
ab Seite 338
BGE 85 II 337 S. 338
A.-
Alphonse Marmy, marchand de bétail à Payerne, est assuré auprès de la compagnie d'assurances "Zurich" comme détenteur d'un véhicule automobile (art. 48 LA).
Les conditions générales reproduites dans la police contiennent les dispositions suivantes:
"Art. 2. - L'assurance s'étend ... à la responsabilité civile de toute personne conduisant le véhicule, à l'exception de celle d'un conducteur non autorisé.
Art. 3 litt. c in fine. - Lorsque le conjoint ou les ascendants ou descendants du conducteur actionnent le détenteur et que la compagnie est tenue de verser une indemnité, elle a un droit de recours contre le conducteur fautif; il en est de même lorsque la compagnie est actionnée directement."
B.-
Le dimanche 20 janvier 1957, Pierre Risse, employé de Marmy, pria ce dernier de lui prêter sa voiture pour rendre visite à ses parents à La Roche (FR). Il possédait
BGE 85 II 337 S. 339
le permis de conduire depuis le 14 août 1956 et roulait presque chaque jour; la voiture était en bon état. Marmy accéda à son désir et lui recommanda, comme d'habitude, d'être prudent et attentif aux règles de la circulation.
Alors qu'il rentrait le soir en compagnie de son frère Maurice et traversait le village de Trey sur une route enneigée, Pierre Risse freina soudain; la voiture dérapa sur du verglas et vint buter contre une fontaine; les portières s'ouvrirent, les passagers furent éjectés et Maurice Risse tué sur le coup. La prise de sang effectuée aussitôt révéla que le conducteur n'était pas pris de vin.
Le Tribunal de police correctionnelle du district de Payerne condamna Pierre Risse, le 10 septembre 1957, à une peine de 20 jours d'emprisonnement et au paiement d'une amende de 300 fr., avec sursis pendant deux ans.
Par demande du 12 février 1958, Alphonse et Marie Risse-Bielmann, parents du défunt, et leurs enfants Roger, Rachelle, Francis, Jean-Pierre, Fernande, Ida et Josiane ont ouvert contre l'assureur l'action fondée sur l'art. 49 LA et lui ont réclamé 17 655 fr. 40. La compagnie défenderesse a conclu à libération. Par jugement du 13 mai 1959, la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois l'a condamnée à verser 2961 fr. 60 à Alphonse Risse et 3988 fr. 80 à son épouse; tous deux sont en outre reconnus créanciers solidaires de la somme de 1599 fr.
C.-
Dans le même procès, la défenderesse a évoqué en garantie Pierre Risse. Elle a été déboutée.
D.-
La défenderesse recourt en réforme auprès du Tribunal fédéral sur la seule question de l'évocation à garantie. L'évoqué a conclu au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Il est aisé (RO 82 II 592, 83 II 247 consid. 2; cf. aussi RO 84 II 508 consid. 1) de constater que la valeur litigieuse est suffisante, quelle que soit l'attitude que les demandeurs pouvaient adopter après le jugement de la
BGE 85 II 337 S. 340
Cour cantonale; le montant alloué par celle-ci s'élevait en effet à 8549 fr. 40. Il est clair également que l'action récursoire ne pouvait tendre, au moment où elle fut ouverte et jusqu'à la condamnation définitive de l'assureur, qu'à la constatation du droit de recours. La Cour de céans doit donc entrer en matière.
2.
La recourante prétend que l'intimé a commis une faute grave. C'est là un point de droit que la Cour doit examiner, bien qu'il n'y soit fait allusion dans le recours que par une affirmation laconique. Cet examen est préalable, car de lui dépend la solution du litige. Encore que le cas paraisse douteux à certains égards, on peut se ranger à l'avis du jugement attaqué, selon lequel Pierre Risse n'a pas commis une faute grave. L'intimé n'avait pas pu prévoir, semble-t-il, qu'il rencontrerait du verglas en traversant le village de Trey. Que la condamnation à une peine de prison soit un sérieux avertissement et que l'on ait cru bon de procéder à une prise de sang, vu la gravité des suites de l'accident, n'empêche pas de constater, avec la juridiction cantonale, que le jeune conducteur, en freinant intempestivement, a payé son tribut à l'inexpérience, non à la légèreté ou à la témérité. Il n'a en tout cas pas méprisé la vie d'autrui ou violé délibérément les règles de la circulation.
3.
Les demandeurs ont choisi d'intenter l'action directe fondée sur l'art. 49 LA. Par elle, le lésé exerce, dans les limites des sommes assurées conventionnellement, le droit à l'assurance responsabilité civile contractée obligatoirement pour un véhicule automobile par le détenteur (art. 48 LA). Elle s'étend au dommage et au tort moral causés par un conducteur autorisé (art. 37 al. 6 LA).
Le conducteur répond, à l'égard de l'assureur, dans la mesure fixée par l'art. 72 de la loi sur le contrat d'assurance repris en partie à l'art. 20 des dernières conditions générales, éventuellement à l'art. 3 litt. c; cette disposition s'applique à l'assurance responsabilité civile (RO 62 II 181) et règle, dans l'assurance contre les dommages (cf. art. 96),
BGE 85 II 337 S. 341
la subrogation de l'assureur dans les prétentions de l'ayant droit contre des tiers en raison d'actes illicites.
L'assureur ne peut être subrogé que dans les prétentions du détenteur contre le conducteur, non dans celles du lésé. L'action directe exercée par ce dernier n'est qu'un moyen pour réaliser l'un des buts visés par la LA en matière de responsabilité civile, soit la réparation effective du dommage causé. Aussi bien le paiement en main du lésé n'est-il qu'un mode particulier, imposé par la loi lorsqu'il est fait usage de la faculté prévue à l'art. 49 LA, d'exécution de l'obligation contractuelle de l'assureur. Ce faisant, celui-ci libère le détenteur de sa responsabilité spéciale. L'ayant droit c'est le détenteur, preneur de l'assurance, créancier d'un recours (in casu: art. 51 al. 2 CO) contre le conducteur fautif parce qu'il s'est acquitté de sa propre dette en faisant appel à l'assureur (contra: RJB 78.528; pour la double subrogation, erronée, dans les prétentions du détenteur et du lésé, Arrêts de tribunaux civils suisses dans les contestations de droit privé en matière d'assurance, dixième recueil, 1947-1952, p. 277).
4.
Selon l'art. 72 al. 3 LCA, le recours de l'assureur est exclu lorsque le dommage est dû à une faute légère d'une personne qui fait ménage commun avec l'ayant droit ou des actes de laquelle l'ayant droit est responsable. La police d'assurance ne peut modifier cette disposition au détriment du preneur ou de l'ayant droit (art. 98 LCA).
Le conducteur, en l'espèce, a commis une faute légère. Le détenteur, il est vrai, ne répond peut-être pas de ses actes. La loi songe avant tout, en effet, aux rapports personnels qui unissent une personne à une autre indépendamment du consentement à la course automobile; ce consentement est souvent occasionnel, et la responsabilité du détenteur pour le tiers autorisé ne vise que le contenu de la dette; or seules les relations étroites du détenteur avec le tiers justifient l'exclusion (contra: MAX GRAF, Das zivilrechtliche Verschulden des Automobilisten, p. 84). On peut également douter que l'intimé ait fait ménage commun
BGE 85 II 337 S. 342
avec son employeur; son adresse certes est celle même de Marmy; il conviendrait cependant de renvoyer la cause à la juridiction cantonale pour qu'elle fasse la lumière sur ce point si l'examen juridique du recours devait en rester là. Tel n'est toutefois pas le cas.
5.
Le droit du détenteur, preneur et ayant droit, dans lequel l'assureur est subrogé, c'est la prétention fondée sur la responsabilité civile ordinaire du conducteur (art. 41 ss., spécialement 51 al. 2 CO; cf. en outre l'art. 41 al. 2 LA et OFTINGER, Schweizerisches Haftpflichtrecht II p. 849, note 278 et p. 953). Cette responsabilité fait l'objet d'une assurance facultative pour compte d'autrui auprès du même assureur (art. 16 et 17 LCA et 112 CO; art. 2 des conditions générales). Celle-ci confère à l'assuré un droit propre. Lorsque le conducteur le fait valoir, il peut toujours (art. 98 LCA) opposer, comme le détenteur, l'art. 14 al. 4 LCA à la compagnie qui refuse d'exécuter en plein ses obligations contractuelles en invoquant une faute de l'assuré. Cette disposition précise l'obligation de l'assureur lorsque le preneur, l'ayant droit ou les personnes dont ils sont responsables dans le sens de l'alinéa 3 ont causé le dommage par une faute légère. Si le conducteur succombait totalement sur le recours de l'assureur, il pourrait donc se retourner contre ce dernier comme assuré pour la même responsabilité; lorsqu'il n'a commis qu'une faute légère, la disposition précitée de la LCA lui permettrait de se faire relever complètement de ses obligations. Il convient dès lors de n'accorder à l'assureur qu'un recours limité dans le sens de l'art. 14 LCA; il est conforme à une saine justice que l'assureur se borne d'emblée à cette réclamation.
Ce résultat de l'analyse juridique est admis, si ce n'est toujours justifié d'une manière logique, par la jurisprudence cantonale et la doctrine dominantes (Obergericht Thurgau, RSJ 32 p. 350, no 68; Tribunal cantonal valaisan, dixième recueil - 1947 à 1952 - des Arrêts de tribunaux civils suisses dans des contestations de droit privé en matière
BGE 85 II 337 S. 343
d'assurance, no 68, p. 274 ss.; OFTINGER, op.cit., p. 953; STREBEL, Kommentar zum MFG, no 52 ad art. 41; CARL HANS KUHN, Schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles, 1941, p. 76; LEONARD RINGWALD, Revue suisse d'assurance, vol. 5, 1937/1938, p. 354/355; MAX GRAF, op.cit., p. 83 à 85, fonde également la limitation de la subrogation de l'assureur sur l'art. 72 al. 3 LCA, mais, semble-t-il, à tort; pour une subrogation illimitée de l'assureur dans la prétention du lésé contre le conducteur: Obergericht Luzern, RJB 78 p. 528; ne reconnaissent aucun droit de recours de l'assureur: BADERTSCHER, Kommentar zum MFG, p. 179; STIEFEL, Autohaftpflichtversicherungsrecht, p. 110).
Point n'est besoin d'examiner en l'espèce, si le contenu du recours et celui de la responsabilité du conducteur sont identiques en tous points, non seulement quant à leur fondement, mais aussi quant à leur étendue (OFTINGER, op.cit., p. 952/3); la faute imputable à l'intimé étant légère, il ne saurait y avoir de recours.
6.
La recourante, il est vrai, entend faire valoir le "recours" contre le conducteur fautif prévu à l'art. 3 litt. c seconde phrase des conditions générales. On ne peut exclure avec une certitude absolue que cette disposition vise un droit propre et direct de l'assureur qui couvre la responsabilité du détenteur; si tel est son sens, elle constitue, semble-t-il, un porte-fort à la charge du preneur (art. 111 CO); en revanche, elle ne saurait obliger par elle-même le conducteur; celui-ci, s'il n'est toujours un tiers au sens du contrat, n'est cependant pas partie à la convention passée entre le détenteur et l'assureur; on ne saurait en tirer pour lui des obligations.
Il est plus vraisemblable, cependant, que les assureurs, en stipulant une telle clause, ont voulu se réserver dans toutes les hypothèses, contre le conducteur fautif, la subrogation prévue à l'art. 72 LCA (et à l'art. 20 des conditions générales) et éluder, dans ce cas, l'art. 14 al. 4 LCA. On a vu que l'art. 98 LCA s'y oppose. Si tel est le but de
BGE 85 II 337 S. 344
la convention, celle-ci est donc caduque dans la mesure où elle viole la loi (art. 19 et 20 CO).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours et confirme le jugement de la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois du 13 mai 1959. | public_law | nan | fr | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbaa9ead-00da-40fd-ad8b-8fb4bcaa35cd | Urteilskopf
86 I 146
22. Auszug aus dem Urteil vom 16. Juni 1960 i.S. Kalberer gegen Gemeinderat Mels und Regierungsrat des Kantons St. Gallen. | Regeste
Art. 88 OG
.
Inwieweit ist ein Grundeigentümer zur Anfechtung einer der Eröffnung oder Durchführung einer Güterzusammenlegung oder Baulandumlegung dienenden Anordnung legitimiert? | Sachverhalt
ab Seite 147
BGE 86 I 146 S. 147
Im März 1959 beschlossen die Gemeinderäte von Sargans und Mels, in dem von der geplanten Nationalstrasse Zürich-Chur durchschnittenen, stark parzellierten Gebiet zwischen der alten Staatsstrasse und der SBB-Linie eine Baulandumlegung gemäss Art. 149 ff. st. gall. EG zum ZGB durchzuführen. Gegen den im Januar 1960 aufgelegten Verteilungsplan erhoben 13 Grundeigentümer Rekurs, darunter auch Emil Kalberer, der Eigentümer eines kleinen, aus einer einzigen Parzelle bestehenden und nicht weit von der Station Mels gelegenen Bauerngutes. Er bestritt die Zulässigkeit der Umlegung, weil es sich beim Umlegungsgebiet und insbesondere bei seiner Parzelle nicht um Baugebiet handle; ferner wies er auf die Nachteile hin, welche die Änderung der Grenzverhältnisse sowohl für die Überbauung als auch für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung seines Grundstücks zur Folge hätte.
Durch Beschluss vom 21. März 1960 wies der Regierungsrat des Kantons St. Gallen sämtliche Rekurse ab und genehmigte den Verteilungsplan.
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt Emil Kalberer den Antrag:
"1. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 21. März 1960 und der in diesem Entscheid genehmigte Verteilungsplan für die Landumlegung seien aufzuheben, soweit dadurch die Parzelle des Beschwerdeführers betroffen wird;
2. Eventuell seien der Entscheid des Regierungsrates und der Verteilungsplan vollumfänglich aufzuheben."
Der Beschwerdeführer beruft sich auf die
Art. 4 BV
und 31 KV (Eigentumsgarantie) und macht u.a. geltend, die Umlegung ermangle der gesetzlichen Grundlage, da sein Grundstück wie auch dessen Umgelände kein Baugebiet im Sinne von Art. 149 EG zum ZGB sei.
BGE 86 I 146 S. 148
Das Bundesgericht ist auf das Eventualbegehren nicht eingetreten aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
Der Beschwerdeführer verlangt in erster Linie die Aufhebung des Regierungsratsentscheids und des damit genehmigten Verteilungsplans, soweit dadurch sein Grundstück betroffen wird, und eventuell, d.h. für den Fall, dass diesem Hauptbegehren nicht entsprochen werden sollte, die vollumfängliche Aufhebung des Regierungsratsentscheids und des Verteilungsplans. Hinsichtlich des ersten Begehrens ist er zur staatsrechtlichen Beschwerde offensichtlich legitimiert. Dagegen erscheint es als fraglich, ob er auch legitimiert sei, die vollumfängliche Aufhebung des Verteilungsplans zu verlangen. Für den Entscheid hierüber ist von Bedeutung, ob es sich beim Gemeinderatsbeschluss, durch den die Landumlegung angeordnet worden ist, um einen allgemein verbindlichen Erlass oder um eine Verfügung im Sinne von
Art. 88 OG
handelt.
Baupolizeiliche Vorschriften, welche die Überbauung eines bestimmten Gebiets durch Baulinien, Bestimmungen über die zulässige Gebäudehöhe oder Stockwerkzahl oder in anderer Weise beschränken, sind allgemein verbindlicher Natur (vgl.
BGE 56 I 266
Erw. 1, nicht veröffentl. Urteil vom 6. Oktober 1954 i.S. Jeanneau); eine Ausnahme gilt nur für Vorschriften, welche die Bebaubarkeit eines einzelnen Grundstücks oder weniger zusammenhängender Grundstücke ordnen (nicht veröffentl. Urteil vom 19. November 1952 i.S. Strandhotel Engelberg AG; KIRCHHOFER, Eigentumsgarantie, ZSR 1939 S. 146/7). Mit den baupolizeilichen Vorschriften haben Massnahmen wie Güterzusammenlegungen und Landumlegungen das gemein, dass sie eine grosse Zahl von Grundstücken und Grundeigentümern erfassen. Während aber die baupolizeilichen Vorschriften als Rechtssätze bis zu ihrer Ausserkraftsetzung für die Ausführung einer unbestimmten Zahl von Bauten gelten, handelt es sich bei den Güterzusammenlegungen und Landumlegungen
BGE 86 I 146 S. 149
um Verfahren, die auf die Verwirklichung eines konkreten Projektes gehen, mit der rechtskräftigen Neuverteilung schliessen und über diese hinaus keine rechtlichen Wirkungen entfalten. Die der Eröffnung oder Durchführung von Güterzusammenlegungen und Landumlegungen dienenden Anordnungen sind daher als Einzelverfügungen (oder als eine Summe solcher) aufzufassen. Zur Anfechtung solcher Anordnungen sind deshalb nur die Grundeigentümer und auch diese nur insoweit legitimiert, als sie dadurch in ihren persönlichen, rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt werden (
Art. 88 OG
;
BGE 83 I 245
Erw. 1 mit Verweisungen), und das ist bloss der Fall, soweit diese Anordnungen sich auf ihre Grundstücke beziehen. Das gilt nicht nur für die Berufung auf die Eigentumsgarantie, wo es sich von selbst versteht, sondern auch für die Rüge der Verletzung von
Art. 4 BV
. Eine Ausnahme besteht nur insofern, als dort, wo der Beitrittszwang die Zustimmung einer bestimmten Mehrheit der beteiligten Grundeigentümern und der beteiligten Bodenfläche voraussetzt (vgl.
Art. 703 Abs. 1 ZGB
), ein Grundeigentümer wegen Fehlens dieser Mehrheit sich nicht nur dem Beitritt widersetzen, sondern die Feststellung der Ungültigkeit des Beschlusses verlangen und wegen willkürrlicher Abweisung dieses Begehrens staatsrechtliche Beschwerde führen kann (
BGE 80 I 229
Erw. 2; vgl.
BGE 41 I 27
Erw. 2 und nicht veröffentl. Urteil vom 6. Mai 1959 i.S. Angliker Erw. 3 c und d). Soweit dagegen die Beitrittspflicht wegen der Beschaffenheit oder Lage von Grundstücken streitig ist, sind die Eigentümer nur legitimiert, mit der staatsrechtlichen Beschwerde die Entlassung ihrer eigenen Grundstücke aus dem Perimeter zu verfolgen (heutiges Urteil i.S. Elliker). Dringen sie damit durch, so haben die zuständigen Instanzen (Behörden bzw. Organe der Güterzusammenlegungskorporation) zu entscheiden, ob das Unternehmen ungeachtet der Entlassung eines oder mehrerer Grundstücke und der sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten durchgeführt werden kann und soll.
BGE 86 I 146 S. 150
Im vorliegenden Falle ist somit nur auf das Hauptbegehren des Beschwerdeführers einzutreten, während das Eventualbegehren um vollumfängliche Aufhebung des angefochtenen Entscheids und des Verteilungsplans unzulässig ist. Das heisst nicht, dass der Beschwerdeführer sich zur Begründung der Rüge, die Einbeziehung seiner Liegenschaft in den Perimeter sei willkürlich, auf Einwendungen zu beschränken hätte, die sich nur auf dieses Grundstück beziehen; er kann sich auch auf Gründe stützen, die gleichzeitig für weitere Parzellen gelten und zutreffendenfalls auch deren Entlassung aus dem Perimeter rechtfertigen würden. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cbb09226-4af9-483f-8e70-81e9330ea575 | Urteilskopf
109 V 119
23. Urteil vom 25. März 1983 i.S. Ulrich gegen Ausgleichskasse des Kantons Schwyz und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz | Regeste
Art. 108 Abs. 2 und 132 OG
. Wird eine Nichteintretensverfügung der Verwaltung nach
Art. 87 Abs. 4 IVV
angefochten und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein materieller Antrag gestellt, so umfasst dieser auch das Begehren, die Verwaltung habe auf die Neuanmeldung einzutreten (Erw. 1).
Art. 85 Abs. 2 lit. h und 97 AHVG
. Der Verwaltung ist es verwehrt, in sinngemässer Anwendung der Grundsätze über die prozessuale Revision auf eine frühere Verfügung zurückzukommen, wenn diese seinerzeit vom Richter überprüft worden ist (Erw. 2b).
Art. 87 Abs. 4 IVV
. Diese Bestimmung gilt in analoger Weise auch für Eingliederungsleistungen. Demnach ist, wenn eine Eingliederungsleistung verweigert wurde, eine neue Anmeldung nur zu prüfen, wenn der Versicherte glaubhaft macht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert haben (Erw. 3a). | Sachverhalt
ab Seite 120
BGE 109 V 119 S. 120
A.-
Mit Verfügung vom 22. Januar 1979 sprach die Ausgleichskasse des Kantons Schwyz dem 1970 geborenen Michael Ulrich medizinische Massnahmen zur Behandlung seines Geburtsgebrechens (kongenitale Amblyopie) zu. Am 27. März 1980 hob die Kasse diese Verfügung im Rahmen einer Wiedererwägung mit sofortiger Wirkung auf. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit rechtskräftigem Entscheid vom 17. September 1980 ab.
Schon im Dezember 1980 wurde Michael Ulrich von seinem Vater erneut bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet, wobei er - wie bereits im November 1978 - ein seit Geburt bestehendes Augenleiden angab. Am 17. Dezember 1980 verfügte die Ausgleichskasse, dass auf das neue Gesuch nicht eingetreten werde.
B.-
Die gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 19. Februar 1981 ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt der Versicherte beantragen, dass die Invalidenversicherung für die Behandlung des Augenleidens aufzukommen habe. Die Ausgleichskasse enthält sich eines Antrags, während das Bundesamt für Sozialversicherung sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde anträgt.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Vorinstanz legt in ihrem Entscheid und auch in ihrer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde zutreffend dar, dass es sich vorliegend bloss darum handeln kann, ob die Verwaltung auf die Neuanmeldung vom Dezember 1980 hätte eintreten müssen oder nicht. Obwohl die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sich ausschliesslich mit der materiellen Seite des Streitfalles befasst, ist darin der Antrag auf Eintreten als miteingeschlossen zu betrachten. Zu prüfen ist also, ob die Verwaltung zu Recht auf das Leistungsbegehren nicht eintrat und ob der die Kassenverfügung schützende Entscheid der Vorinstanz Rechtens ist, wogegen das Eidg. Versicherungsgericht auf den materiellen Antrag nicht eintreten kann (vgl. in diesem Zusammenhang
BGE 105 V 94
Erw. 1).
2.
a) Zunächst fragt sich, ob sich aus den Regeln über die Wiedererwägung etwas für ein Eintreten auf die Neuanmeldung und mithin für eine erneute materielle Prüfung ergibt.
BGE 109 V 119 S. 121
Nach der Rechtsprechung kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verwaltungsverfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (
BGE 107 V 84
Erw. 1, 181 Erw. 2a, 192); indessen kann die Verwaltung weder vom Versicherten noch vom Richter dazu verhalten werden (
BGE 107 V 84
Erw. 1,
BGE 106 V 79
). Da der Beschwerdeführer demnach keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Wiedererwägung der von ihm als unrichtig behaupteten rechtskräftigen Verfügung vom 27. März 1980 geltend machen kann, lässt sich allein schon aus diesem Grund unter dem Titel der Wiedererwägung nichts zu seinen Gunsten ableiten. Hinzu kommt, dass die genannte Verfügung seinerzeit vom kantonalen Richter hinsichtlich des Anspruchs auf medizinische Massnahmen zur Geburtsgebrechensbehandlung überprüft wurde (rechtskräftiger Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 17. September 1980). Im Hinblick auf die erwähnte Rechtsprechung wäre die Verwaltung daher im vorliegenden Falle nicht befugt gewesen, unter dem vom kantonalen Richter bereits beurteilten Gesichtspunkt auf die Verfügung vom 27. März 1980 zurückzukommen.
b) Ferner erhebt sich die Frage, ob im Hinblick auf prozessuale Revisionsgründe auf die Neuanmeldung hätte eingetreten werden müssen. Dabei ist zu prüfen, ob Gründe für eine Revision der Kassenverfügung vom 27. März 1980 gegeben sind.
Gemäss ständiger Rechtsprechung ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (
BGE 106 V 87
Erw. 1b,
BGE 102 V 17
Erw. 3a); in diesem Sinne ist der kraft
Art. 69 IVG
in Invalidenversicherungssachen anwendbare
Art. 85 Abs. 2 lit. h AHVG
über die Revision kantonaler Entscheide auch für Verwaltungsverfügungen massgebend (EVGE 1963 S. 85 f., 212 f.). Abgesehen davon, dass die Verwaltung eine Verfügung nicht in Revision ziehen darf, wenn sie - wie hier - vom Richter auf Beschwerde hin überprüft wurde, muss festgehalten werden, dass eine derartige Revision vorliegendenfalls auch schon deshalb nicht zulässig gewesen wäre, weil mit der Neuanmeldung im Dezember 1980 weder neue Tatsachen noch neue Beweismittel geltend gemacht wurden. Auch aus dieser Sicht lassen sich die angefochtene Kassenverfügung
BGE 109 V 119 S. 122
und der vorinstanzliche Entscheid vom 19. Februar 1981 somit nicht beanstanden.
3.
Zu prüfen bleibt, ob die Verwaltung unter dem Gesichtspunkt der Änderung des Sachverhaltes seit Erlass ihrer Verfügung vom 27. März 1980 eine Neuprüfung hätte vornehmen müssen.
a) Das Invalidenversicherungsrecht enthält in
Art. 41 IVG
und
Art. 86 ff. IVV
verschiedene Vorschriften, welche die (materiellrechtliche) Revision laufender Invalidenrenten und Hilflosenentschädigungen wegen einer für den Anspruch erheblichen Änderung des Invaliditäts- bzw. Hilflosigkeitsgrades regeln. Ferner wird in
Art. 87 Abs. 4 IVV
(mit Verweisung auf Abs. 3 dieses Artikels) für den Fall der Verweigerung einer Rente bzw. Hilflosenentschädigung wegen eines zu geringen Invaliditätsgrades oder wegen fehlender Hilflosigkeit bestimmt, dass eine neue Anmeldung nur geprüft wird, wenn darin eine für den Anspruch erhebliche Änderung des Invaliditäts- bzw. Hilflosigkeitsgrades glaubhaft gemacht wird. Hingegen enthalten Gesetz und Verordnung keine Vorschriften über die materiellrechtliche Revision von Eingliederungsleistungen wegen einer seit ihrer Zusprechung eingetretenen Veränderung der Verhältnisse. Ebensowenig ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen im Falle einer vorangegangenen Verweigerung von Eingliederungsleistungen ein neues Gesuch entgegenzunehmen und zu prüfen ist. In
BGE 105 V 173
hat das Eidg. Versicherungsgericht jedoch entschieden, dass Eingliederungsleistungen gleich wie Renten und Hilflosenentschädigungen zu behandeln sind und dass demzufolge
Art. 41 IVG
sowie die dazugehörigen Verordnungsbestimmungen in analoger Weise auch auf die Revision von Eingliederungsleistungen angewendet werden müssen.
Art. 87 Abs. 4 IVV
betrifft - trotz seiner Stellung im Abschnitt E ("Die Revision der Rente und der Hilflosenentschädigung") - zwar nicht die eigentliche materiellrechtliche Revision laufender Leistungen, sondern einen andern Sachverhalt, nämlich die Neuprüfung nach vorangegangener Leistungsverweigerung. Es rechtfertigt sich aber, die vorerwähnte Rechtsprechung auch auf
Art. 87 Abs. 4 IVV
auszudehnen und diese Bestimmung ebenfalls in analoger Weise auf Eingliederungsleistungen anzuwenden. Aufgrund der dortigen Verweisung auf
Art. 87 Abs. 3 IVV
ist daher, wenn eine Eingliederungsleistung verweigert wurde, eine neue Anmeldung nur zu prüfen, wenn der Versicherte glaubhaft macht, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert haben.
BGE 109 V 119 S. 123
b) Mit
Art. 87 Abs. 4 IVV
soll verhindert werden, dass sich die Verwaltung nach vorangegangener rechtskräftiger Leistungsverweigerung immer wieder mit gleichlautenden und nicht näher begründeten Gesuchen befassen muss (ZAK 1971 S. 525 Erw. 2 in fine, 1966 S. 279; nicht veröffentlichte Urteile Mettler vom 13. März 1981, Roch vom 5. Januar 1979 und Miéville vom 10. Juni 1977). Nach Eingang einer Neuanmeldung ist die Verwaltung zunächst zur Prüfung verpflichtet, ob die Vorbringen des Versicherten überhaupt glaubhaft sind; verneint sie dies, so erledigt sie das Gesuch ohne weitere Abklärungen durch Nichteintreten. Dabei hat sie u.a. zu berücksichtigen, ob die frühere Verfügung nur kurze oder schon längere Zeit zurückliegt, und wird dementsprechend an die Glaubhaftmachung höhere oder weniger hohe Anforderungen stellen (ZAK 1966 S. 279; nicht veröffentlichtes Urteil Emery vom 3. Oktober 1980). Insofern steht ihr ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, den der Richter grundsätzlich zu respektieren hat. Wie das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Baumann (
BGE 109 V 108
) entschieden hat, ist daher vom Richter die Behandlung der Eintretensfrage durch die Verwaltung nur dann zu überprüfen, wenn das Eintreten streitig ist, d.h. wenn die Verwaltung gestützt auf
Art. 87 Abs. 4 IVV
Nichteintreten beschlossen hat und der Versicherte deswegen Beschwerde führt; hingegen unterbleibt eine richterliche Beurteilung der Eintretensfrage, wenn die Verwaltung auf die Neuanmeldung eintritt. Eine andere, hier nicht näher zu erörternde Frage betrifft die materiellen Prüfungspflichten von Verwaltung und Richter; sie stellt sich aber erst dann, wenn die Verwaltung auf die Neuanmeldung eintritt und Abklärungen vornimmt.
Die Verwaltung erledigte das Gesuch des Beschwerdeführers vom Dezember 1980 durch Nichteintreten. Nach dem Gesagten hat das Eidg. Versicherungsgericht demnach zu prüfen, ob die Verwaltung die Eintretensfrage richtig beantwortete und ob die Vorinstanz die Kassenverfügung vom 17. Dezember 1980 zu Recht bestätigte.
c) Die Voraussetzungen des
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. In der Neuanmeldung vom Dezember 1980 machte der Beschwerdeführer in keiner Weise glaubhaft, dass sich die Verhältnisse geändert hätten und dass nunmehr die Bestimmungen der GgV erfüllt seien. Auch in den späteren Rechtsschriften brachte er diesbezüglich nichts vor. Da der Beschwerdeführer die Neuanmeldung nur kurze Zeit nach Zustellung des
BGE 109 V 119 S. 124
ersten Entscheides des kantonalen Verwaltungsgerichts vom 17. September 1980 und ohne jede Bezugnahme darauf einreichte, muss - was übrigens durch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde bestätigt wird - gefolgert werden, dass es ihm nur darum ging, eine neue Verfügung zu erwirken, um hernach den Instanzenzug bis zum Eidg. Versicherungsgericht ausschöpfen zu können, nachdem ein Weiterzug des ersten kantonalen Entscheids vom 17. September 1980 unterblieben war. Bei dieser Sachlage war die Verwaltung nicht verpflichtet, den Beschwerdeführer nach Eingang der Neuanmeldung auf die erhöhten Anforderungen an ein Gesuch gemäss
Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
aufmerksam zu machen, ihm Gelegenheit zu einer Ergänzung seiner Eingabe zu geben und erst hernach über die Eintretensfrage zu befinden (nicht veröffentlichtes Urteil Mettler vom 13. März 1981).
Aus dem Gesagten folgt, dass Kassenverfügung und vorinstanzlicher Entscheid auch unter dem Gesichtspunkt der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht gerügt werden können.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cbb6247d-f9dd-478c-9a1b-b65bde199daa | Urteilskopf
138 II 229
18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Migrationsamt und Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_821/2011 vom 22. Juni 2012 | Regeste
Art. 3 und 8 EMRK
;
Art. 7 und 35 Abs. 1 und 3 BV
; Art. 50 Abs. 1 lit. a bzw. Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 AuG; nachehelicher Härtefall wegen ehelicher Gewalt.
Voraussetzungen für einen Bewilligungsanspruch nach gescheiterter Ehe gestützt auf
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
(E. 2). Eine psychische Zwangsausübung von einer gewissen Konstanz und Schwere kann einen nachehelichen Härtefall im Sinne von
Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AuG
begründen (E. 3.1 und 3.2). Mitwirkungspflicht und Anforderungen an das ausländerrechtliche Beweisverfahren in diesem Fall (E. 3.2.3). Rückweisung an die Vorinstanz zu neuem Entscheid (E. 3.3). | Sachverhalt
ab Seite 230
BGE 138 II 229 S. 230
A.
X. (geb. 1987) stammt aus dem Kosovo. Sie heiratete am 29. April 2008 in der Heimat den im Kanton St. Gallen niederlassungsberechtigten serbischen Staatsbürger Y. (geb. 1980). Am 21. August 2008 reiste sie im Familiennachzug in die Schweiz ein, wo ihr am 8. September 2008 die Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei ihrem Gatten erteilt wurde.
B.
Am 26. Mai 2010 informierte Y. das Einwohneramt St. Gallen, dass er und seine Frau ab sofort getrennt lebten. Am 3. November 2010 trat die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen auf eine Strafklage von X. gegen ihren Ehemann wegen des Verdachts auf Nötigung bzw. Freiheitsberaubung nicht ein. Am 16. Februar 2011 entschied das Migrationsamt St. Gallen, die Aufenthaltsbewilligung von X. nicht (mehr) zu verlängern, da die Ehe lediglich rund ein Jahr und neun Monate gedauert habe und X. - entgegen ihren Ausführungen - nicht als Opfer häuslicher oder ehelicher Gewalt im Sinne des Ausländergesetzes gelten könne. Die Rückkehr in ihr
BGE 138 II 229 S. 231
Heimatland und die Wiedereingliederung in die dortigen Verhältnisse seien ihr zumutbar. Das Sicherheits- und Justizdepartement sowie das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigten diesen Entscheid am 26. Mai bzw. 29. August 2011. (...)
Das Bundesgericht heisst die von X. eingereichte Beschwerde gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen auf und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Ausführungen an dieses zurück.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Ausländische Ehegatten von Niedergelassenen haben unter Vorbehalt von
Art. 51 Abs. 2 AuG
(SR 142.20) Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit ihrem Partner zusammenwohnen (
Art. 43 Abs. 1 AuG
). Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat (
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
;
BGE 136 II 113
E. 3.3.3). Eine (relevante) Ehegemeinschaft liegt vor, solange die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt wird und ein gegenseitiger Ehewille besteht. Dabei ist im Wesentlichen auf die Dauer der nach aussen wahrnehmbaren ehelichen Wohngemeinschaft abzustellen (
BGE 137 II 345
E. 3.1.2). Mit Blick auf
Art. 49 AuG
, der den Ehegatten bei weiterdauernder Familiengemeinschaft gestattet, aus "wichtigen Gründen" getrennt zu leben, was auch bei vorübergehenden Schwierigkeiten in der Ehe
kurzfristig
der Fall sein kann (vgl.
Art. 76 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]
), ist jeweils aufgrund sämtlicher Umstände im Einzelfall zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt die eheliche Gemeinschaft als definitiv aufgelöst zu gelten hat. Die unbestrittenermassen gescheiterte Ehe der Beschwerdeführerin wurde in der Schweiz vom 21. August 2008 bis Ende Mai 2010 gelebt und hat damit rund 21 Monate gedauert;
Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG
kommt somit nicht zur Anwendung.
3.
3.1
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf einen Härtefall im Sinne von
Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AuG
. Danach besteht der Bewilligungsanspruch fort, wenn "wichtige persönliche Gründe" einen weiteren Aufenthalt der betroffenen Person in der Schweiz
BGE 138 II 229 S. 232
"erforderlich" machen. Nach
Art. 50 Abs. 2 AuG
und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 136 II 1
E. 5 S. 3 ff.) kann dies namentlich der Fall sein, wenn die ausländische Person mit abgeleitetem Aufenthaltsrecht Opfer ehelicher Gewalt geworden ist oder wenn ihre soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint. Dabei ist etwa an geschiedene Frauen (mit Kindern) zu denken, welche in ein patriarchalisches Gesellschaftssystem zurückkehren und dort wegen ihres Status als Geschiedene mit Diskriminierungen oder Ächtungen rechnen müssen. Mögliche weitere Anwendungsfälle bilden (gescheiterte) unter Zwang eingegangene Ehen oder solche im Zusammenhang mit Menschenhandel (
BGE 137 II 345
E. 3.2.2). Der Verbleib in der Schweiz kann sich auch dann als erforderlich erweisen, wenn der Ehegatte, von dem sich die Aufenthaltsberechtigung ableitet, verstirbt (vgl.
BGE 137 II 1
E. 3 u. 4). Schliesslich ist im Rahmen von
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
jeweils den Interessen allfälliger Kinder Rechnung zu tragen, falls eine enge Beziehung zu ihnen besteht und sie in der Schweiz ihrerseits gut integriert erscheinen (Botschaft AuG, BBl 2002 3709, 3754 Ziff. 1.3.7.6;
BGE 137 II 345
E. 3.2.2). Bei der Beurteilung der wichtigen persönlichen Gründe sind sämtliche Aspekte des Einzelfalles mitzuberücksichtigen (
BGE 137 II 345
E. 3.2.1; vgl. zudem
Art. 31 VZAE
); dazu gehören auch die Umstände, die zur Auflösung der Gemeinschaft geführt haben (
BGE 137 II 345
E. 3.2.3 S. 350). Hat der Aufenthalt nur kürzere Zeit gedauert und wurden keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft, lässt sich ein Anspruch auf weiteren Verbleib nicht begründen, wenn die erneute Integration im Herkunftsland keine
besonderen
Probleme stellt (Botschaft AuG, BBl 2002 3709, 3754 Ziff. 1.3.7.6). Entscheidend ist, ob die persönliche, berufliche und familiäre Wiedereingliederung als stark gefährdet zu gelten hat und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre (Urteil 2C_216/2009 vom 20. August 2009 E. 3). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der konkreten Umstände eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben der ausländischen Person voraus, die mit ihrer Lebenssituation nach dem Dahinfallen der gestützt auf Art. 42 Abs. 1 bzw.
Art. 43 Abs. 1 AuG
abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sind (
BGE 137 II 345
E. 3.2.3).
3.2
3.2.1
Nach der Rechtsprechung ist im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit
Art. 50 Abs. 2 AuG
jede Form ehelicher bzw. häuslicher Gewalt, sei sie körperlicher oder psychischer
BGE 138 II 229 S. 233
Natur, ernst zu nehmen (Urteil 2C_155/2011 vom 7. Juli 2011 E. 4.3; vgl. etwa auch den Bericht des Bundesrates vom 13. Mai 2009 über Gewalt in Paarbeziehungen, BBl 2009 4087 ff., 4111 f.). Häusliche Gewalt bedeutet
systematische
Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben und nicht eine einmalige Ohrfeige oder eine verbale Beschimpfung im Verlauf eines eskalierenden Streits (vgl.
BGE 136 II 1
E. 5 S. 3 ff. mit Hinweisen; dazu auch die Antwort von Bundesrätin Widmer-Schlumpf vom 14. Juni 2010 zu den Geschäftsnummern 10.5275-10.5277 in AB 2010 N 929 f. sowie die Antwort des Bundesrates vom 17. September 2010 zur Motion 10.3515 Roth-Bernasconi "Schutz von Migrantinnen, die Opfer ehelicher Gewalt wurden"; Urteile des Bundesgerichts 2C_803/2010 vom 14. Juni 2011 E. 2.3.2; 2C_540/2009 vom 26. Februar 2010 E. 2.2-2.4 und 2C_590/2010 vom 29. November 2010 E. 2.5.2 in fine; MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 10 zu
Art. 50 AuG
; MARTINA CARONI, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 32 zu
Art. 50 AuG
). Ein Anspruch nach
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
wird auch nicht bereits durch eine einmalige tätliche Auseinandersetzung begründet, in deren Folge der Ausländer in psychischem Ausnahmezustand und mit mehreren Kratzspuren im Gesicht einen Arzt aufsucht, zumal wenn anschliessend eine Wiederannäherung der Eheleute stattfindet (Urteil 2C_690/2010 vom 25. Januar 2011 E. 3.2). Das Gleiche gilt, wenn der Ehepartner den Ausländer nach einem Streit aus der Wohnung weist, ohne dass das Opfer körperliche oder psychische Schäden erleidet (Urteil 2C_358/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 4.2 und 5.2). Die physische oder psychische Zwangsausübung und deren Auswirkungen müssen vielmehr von einer gewissen Konstanz bzw. Intensität sein.
3.2.2
Auch psychische bzw. sozio-ökonomische Druckausübung wie dauerndes Beschimpfen, Erniedrigen, Drohen und Einsperren kann einen für die Annahme eines nachehelichen Härtefalls relevanten Grad an unzulässiger Oppression erreichen. Dies ist praxisgemäss der Fall, wenn die psychische Integrität des Opfers bei einer Aufrechterhaltung der ehelichen Gemeinschaft schwer beeinträchtigt würde (vgl. Urteil 2C_221/2011 vom 30. Juli 2011 E. 2). Nicht jede unglückliche, belastende und nicht den eigenen Vorstellungen entsprechende Entwicklung einer Beziehung begründet indessen bereits einen nachehelichen Härtefall und ein weiteres Anwesenheitsrecht
BGE 138 II 229 S. 234
in der Schweiz. Häusliche Oppression bedeutet systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben (vgl. das Urteil 2C_428/2012 vom 18. Mai 2012 E. 2.2.3). Die anhaltende, erniedrigende Behandlung muss derart schwerwiegen, dass von der betroffenen Person bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass sie einzig aus bewilligungsrechtlichen Gründen die Ehe aufrechterhält und in einer ihre Menschenwürde und Persönlichkeit verneinenden Beziehung verharrt. Eine glaubhaft gemachte oppressionsbedingte Aufhebung der Hausgemeinschaft soll für die betroffene Person keine ausländerrechtlichen Nachteile zur Folge haben, wenn sie durch das Zusammenleben in ihrer Persönlichkeit ernsthaft gefährdet wäre und ihr eine Fortführung der ehelichen Gemeinschaft bei objektiver Betrachtungsweise nicht mehr zugemutet werden kann. Es handelt sich hierbei um einen Ausfluss der sich aus dem Verfassungs- und Konventionsrecht ergebenden staatlichen Schutzpflichten (Art. 7 und
Art. 35 Abs. 1 und 3 BV
sowie Art. 3 [Schutz vor unwürdiger, erniedrigender Behandlung] und Art. 8 [Schutz des Privatlebens: Freie Gestaltung der Lebensführung] EMRK; vgl. etwa GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, N. 1 und 50 ff. zu § 22; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK, 3. Aufl. 2011, N. 2 und 6 zu
Art. 8 EMRK
). Beeinträchtigt ein Gatte in schwerwiegender Weise andauernd grundlegende, verfassungs- und menschenrechtlich relevante Positionen des andern, hat der Staat dessen Recht, sich dem entsprechenden oppressiven privaten Verhalten zu entziehen, im Migrationszusammenhang insofern Rechnung zu tragen, als er keine unzumutbar hohen Anforderungen an einen möglichen Verbleib im Land stellen darf (vgl. auch WALTER KÄLIN, Grundrechte im Kulturkonflikt, 2000, S. 186). Hierzu dient die ein selbständiges Anwesenheitsrecht begründende Regelung von Art. 50 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 AuG; sie ist den entsprechenden verfassungs- und konventionsrechtlichen Schutzpflichten entsprechend auszulegen. Die Abhängigkeit des Opfers häuslicher Gewalt bzw. psychischer Oppression vom Täter soll durch die Bewilligungsfrage nicht verstärkt und die gewaltbetroffene nachgezogene Person nicht vor das Dilemma gestellt werden, in der Zwangssituation verbleiben oder den Verlust des Aufenthaltsrechts hinnehmen zu müssen (vgl. DUBACHER/REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, 2011, S. 12 und 26 ff.). Dabei ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Zwar können die eheliche Gewalt einerseits und die starke Gefährdung der
BGE 138 II 229 S. 235
sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland andererseits praxisgemäss je für sich allein einen wichtigen persönlichen Grund im Sinne von
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
darstellen und sind die beiden Elemente nicht kumulativ zu verstehen (
BGE 136 II 1
E. 5; Urteil 2C_221/2011 vom 30. Juli 2011 E. 2); dies schliesst indessen nicht aus, im Einzelfall beide Elemente zu berücksichtigen und den Härtefall auch zu bejahen, wenn diese je für sich selber hierzu nicht genügen würden, ihre Kombination aber wertungsmässig einem wichtigen persönlichen Grund im Sinne von
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
gleichkommt.
3.2.3
Die ausländische Person trifft bei den Feststellungen des entsprechenden Sachverhalts eine weitreichende Mitwirkungspflicht (vgl. hierzu
BGE 126 II 335
E. 2b/cc S. 342;
BGE 124 II 361
E. 2b S. 365). Sie muss die eheliche Gewalt bzw. häusliche Oppression in geeigneter Weise glaubhaft machen (Arztberichte oder psychiatrische Gutachten, Polizeirapporte, Berichte/Einschätzungen von Fachstellen [Frauenhäuser, Opferhilfe usw.], glaubwürdige Zeugenaussagen von weiteren Angehörigen oder Nachbarn etc.; vgl. auch die Weisungen des Bundesamtes für Migration [BFM] zum Familiennachzug, Ziff. 6.15.3). Allgemein gehaltene Behauptungen oder Hinweise auf punktuelle Spannungen genügen nicht; wird häusliche Gewalt in Form psychischer Oppression behauptet, muss vielmehr die Systematik der Misshandlung bzw. deren zeitliches Andauern und die daraus entstehende subjektive Belastung objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden. Dasselbe gilt, soweit damit verbunden geltend gemacht werden soll, bei einer Rückkehr erweise sich die soziale Wiedereingliederung als stark gefährdet. Auch hier genügen allgemeine Hinweise nicht; die befürchtete Beeinträchtigung muss
im Einzelfall
aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen. Nur in diesem Fall und beim Bestehen entsprechender Beweisanträge, die nicht in antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen werden können, wobei aber allfälligen sachinhärenten besonderen Beweisschwierigkeiten Rechnung zu tragen ist, rechtfertigt es sich, ein ausländerrechtliches Beweisverfahren durchzuführen.
3.3
3.3.1
Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die von der Beschwerdeführerin geschilderten Einschränkungen ihrer Persönlichkeit nicht hinreichend schwerwiegen würden, um einen nachehelichen Härtefall begründen zu können und die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu rechtfertigen. Die von ihr erlittenen
BGE 138 II 229 S. 236
Beeinträchtigungen entsprächen dem sozial Üblichen in einer islamisch- traditionell geführten Ehe; es sei zudem nicht ersichtlich, inwiefern ihre soziale Wiedereingliederung im Kosovo stark gefährdet sein könnte, nachdem sie bis zu ihrem 21. Lebensjahr dort gelebt habe und mit den dortigen Verhältnissen vertraut sei. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Ablehnung oder Ächtung durch die Familie sei nicht "dargetan". Anhaltspunkte für eine Zwangsheirat liessen sich den Akten nicht entnehmen. Der Umstand, dass der Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz im Kosovo mit Schwierigkeiten verbunden sei, lasse ihre Rückkehr nicht als unzumutbar und ihre Anwesenheit in der Schweiz als erforderlich erscheinen; die Beschwerdeführerin habe die Pflicht, das Land verlassen zu müssen, sich letztlich "überwiegend selbst zuzuschreiben", habe ihr doch bewusst sein müssen, "dass die Ehe mit einem muslimischen Mann, mit dem sie vor der Heirat gerade einmal fünf Tage zusammen war und ansonsten nur telefonische Kontakte hatte" mit Problemen verbunden sein könnte.
3.3.2
Der Sachverhalt, wie ihn die Vorinstanz festgestellt hat, ist nicht hinreichend erstellt, um die entsprechenden Schlüsse zuzulassen bzw. deren Bundesrechtsmässigkeit abschliessend beurteilen zu können: Die Beschwerdeführerin hat dargelegt, dass sie ihren Gatten im Sommer 2006 während fünf Tagen persönlich kennengelernt und in der Folge bis zum Eheschluss mit ihm telefonisch verkehrt habe. Nach ihrer Einreise in die Schweiz sei die Ehe mit den für sie damit verbundenen Einschränkungen der Bewegungs- und Handlungsfreiheit in patriarchalischem Muster gelebt worden. Sämtliche von ihr entfalteten Bemühungen, das Eheleben dem hier Üblichen anzupassen, seien gescheitert: Entgegen ihrem Willen habe sie keine Deutsch- und Integrationskurse besuchen, nicht ohne die Zustimmung ihres Mannes telefonieren und die Wohnung nur unter Aufsicht ihrer Schwiegermutter verlassen dürfen, welche in der Familie das Sagen gehabt habe. Sie habe aus kulturellen Gründen unter Androhung einer Ächtung bzw. eines Verstosses (und der damit erzwungenen Rückkehr in die Heimat) nicht ausser Haus arbeiten können und sei durch ihre Schwiegermutter "wie ein Haushaltsmädchen" bzw. wie eine "Sklavin" gehalten worden; als sie sich der Schwiegermutter und ihrem Gatten widersetzt habe, habe man sie "auf die Strasse gestellt". Während mehr als zwei Jahren habe sie eine Erniedrigung und Einschränkung ihrer seelischen Integrität und ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit durch den strukturell stärkeren
BGE 138 II 229 S. 237
Ehemann hinnehmen müssen, welcher insbesondere über ihr abgeleitetes Aufenthaltsrecht und die kulturellen Konventionen "massiven Druck" auf sie ausgeübt habe.
3.3.3
Das Verwaltungsgericht hat die behaupteten Einschränkungen im Wesentlichen gestützt auf die strafrechtliche Einschätzung, dass kein Anlass bestehe, gegen den Gatten wegen des Verdachts der Nötigung und Freiheitsberaubung (weiter) zu ermitteln, da die Beschwerdeführerin nie eingesperrt, geschlagen oder gewaltsam zurückgehalten worden sei, als nicht schwerwiegend genug erachtet, um eine häusliche Gewalt im Sinne von
Art. 50 Abs. 2 AuG
begründen zu können. Es verkennt dabei, dass eine ausländerrechtlich relevante psychische Gewalt, welche hinzunehmen der betroffenen Person in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zugemutet werden darf, auch vorliegen kann, wenn (noch) kein strafrechtlich relevantes Verhalten festgestellt ist oder ein entsprechendes Verfahren (aus welchen Gründen auch immer) eingestellt wurde. Die Anwendung von
Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG
setzt praxisgemäss keine strafrechtliche Verurteilung voraus (vgl. die Urteile 2C_221/2011 vom 30. Juli 2011 E. 2 und 2C_586/2011 vom 21. Juli 2011 E. 3.2). Die kantonalen Behörden haben die von der Beschwerdeführerin und der Beratungsstelle gewaltbetroffene Frauen geschilderten Umstände zu Unrecht nicht weiter vertieft und allein gestützt auf die strafrechtliche Einschätzung und die entsprechende Befragung der Betroffenen bereits eine hinreichende Intensität der Beeinträchtigung verneint. Gerade die Frage, ob eine solche bestand, wäre, losgelöst vom (eingestellten) Strafverfahren, das anderen Zwecken diente, ausländerrechtlich - etwa durch eine Einvernahme der Betroffenen (Schwiegermutter, Ehemann usw.) bzw. der Cousins oder des Onkels der Beschwerdeführerin, der versucht haben soll, vermittelnd einzugreifen - erst noch zu erstellen gewesen. Der Hinweis auf einen ähnlichen, bereits negativ entschiedenen früheren Fall vermochte die entsprechenden Abklärungen bezüglich der Situation der Beschwerdeführerin nicht zu ersetzen, soll die Vorgabe, dass jede Form von im Rahmen des Zumutbaren belegten häuslicher Gewalt ernst zu nehmen sei, nicht von vornherein toter Buchstabe bleiben (vgl. das Urteil 2C_155/2011 vom 7. Juli 2011 E. 4.3; MARC SPESCHA, Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht, FamPra.ch 4/2011 S. 851 ff., dort S. 876).
3.3.4
Die Beschwerdeführerin will seit dem Scheitern der Ehe einen Deutschkurs besucht und eine Arbeitsstelle gefunden haben, welche
BGE 138 II 229 S. 238
ihr ein Auskommen sichere, was darauf hinweisen könnte, dass sie tatsächlich versuchen wollte, sich aus den heimatlichen Strukturen zu lösen und sich hier zu integrieren. Sie soll wegen dieses Verhaltens im Heimatstaat von ihren Angehörigen verstossen worden sein, was von den kantonalen Behörden wiederum nicht (weiter) geprüft, sondern pauschal, ohne Berücksichtigung der konkreten Entwicklung der ehelichen Beziehungen und der Gründe, die zu deren Scheitern geführt haben, verworfen wurde. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuem (vom Strafverfahren losgelöstem) Entscheid bezüglich der Schwere der erlittenen Beeinträchtigungen und der Auswirkungen auf die soziale Wiedereingliederung im Heimatstaat an die Vorinstanz zurückzuweisen (vgl. das Urteil 2C_221/2011 vom 30. Juli 2011 E. 3.2). Ist das Scheitern der Ehe erstelltermassen darauf zurückzuführen, dass die Beschwerdeführerin gegen ihren Willen dauernd in ein von ihr abgelehntes, erniedrigendes patriarchalisches Rollenverständnis als "Sklavin" gezwungen wurde, wobei ihr entsprechender Widerspruch trotz Vermittlungsversuchen zum Scheitern der Ehe geführt hat und die Strukturen in ihrer Heimat einer Rückkehr als geschiedene Frau in glaubwürdiger Weise und auf ihre konkreten familiären Verhältnisse bezogen entgegenstehen, wird ihr die Bewilligung unter Vorbehalt von Gründen nach
Art. 51 Abs. 2 AuG
(Rechtsmissbrauch, Widerrufsgründe nach
Art. 62 AuG
) zu verlängern sein. Rein wirtschaftliche Motive hingegen genügen hierzu nicht, weshalb der Umstand, dass der Vater erklärt hat, bei einer Rückkehr die Beschwerdeführerin nicht unterstützen zu wollen bzw. zu können, für sich allein nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit einer Wiedereingliederung in der Heimat infrage zu stellen bzw. diese als stark gefährdet erscheinen zu lassen. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbbac158-736b-4cbf-a8c5-5a9cae31de38 | Urteilskopf
119 Ia 321
38. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 30 juin 1993 dans la cause D. et consorts contre Grand Conseil du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Kommunale Nutzungspläne und Rechtsschutz;
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
,
Art. 33 RPG
.
1. Zulässigkeit einer gegen einen Erlass gerichteten staatsrechtlichen Beschwerde (E. 2 und 3).
2. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (E. 4).
3. Anforderungen an den Rechtsschutz gemäss
Art. 33 RPG
(E. 5).
4. Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht zur Beurteilung zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
: Hinweise auf die Rechtsprechung (E. 6a). Eine kantonale Norm, welche die gerichtliche Überprüfung sämtlicher Nutzungspläne einschliesslich solcher ausschliesst, mit deren Genehmigung einem Gemeinwesen oder Dritten das Enteignungsrecht verliehen wird, ist mit
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
nicht vereinbar (E. 6b und c). | Sachverhalt
ab Seite 322
BGE 119 Ia 321 S. 322
A.-
La loi valaisanne du 6 octobre 1976 sur la procédure et la juridiction administratives (LPJA) est entrée en vigueur le 1er janvier 1978. Sa cinquième partie (art. 65 à 87) traitait, dans sa teneur initiale, de la juridiction du Tribunal administratif cantonal institué sur la base de l'
art. 65 Cst.
cant. Les compétences de cet organe, en tant qu'autorité de recours, ont été définies aux art. 72 à 81 LPJA. L'art. 72 a établi une clause générale de compétence, dont les exclusions ont été réglées aux art. 74 à 77. L'art. 75 LPJA énumère ainsi les cas dans lesquels le recours de droit administratif n'est pas recevable eu égard à l'objet des décisions contestées. A l'origine, sa lettre a) excluait pour ce motif le recours contre les décisions relatives à l'approbation d'actes législatifs; cette disposition visait essentiellement l'approbation ou "homologation" des règlements communaux. Le Tribunal administratif a étendu d'emblée cette clause, en incluant les plans d'affectation communaux dans la notion d'"actes législatifs" dont l'approbation ne pouvait pas être critiquée devant lui (cf. jurisprudence non publiée de cette autorité, mentionnée dans l'arrêt du Tribunal fédéral du 18 mars 1991 en la cause G. et consorts, non publié). L'
art. 135 al. 1 let
. d de la loi du 13 novembre 1980 sur le régime communal (LRC), entrée en vigueur le 1er janvier 1981, a abrogé l'art. 75 let. a LPJA; dès lors, en cette matière, la voie du
BGE 119 Ia 321 S. 323
recours de droit administratif devant la juridiction supérieure cantonale était ouverte aux communes et aux particuliers dont un intérêt digne de protection était lésé par la décision attaquée (art. 80 al. 1 let. a LPJA en relation avec l'art. 44 al. 1 LPJA).
B.-
Le 16 mai 1991, le Grand Conseil du canton du Valais a adopté en deuxième lecture une novelle modifiant et complétant la loi sur la procédure et la juridiction administratives. La structure de la cinquième partie de la loi a été conservée. Le Tribunal administratif cantonal a cependant été intégré au Tribunal cantonal, dont il devient la Cour de droit public (art. 65 al. 1 LPJA), et ses compétences ont été modifiées sur certains points. Ainsi, la novelle a réintroduit un art. 75 let. a LPJA, en la forme suivante:
["Le recours de droit administratif n'est pas recevable:]
a) contre les décisions relatives à l'approbation d'actes législatifs et de plans d'affectation."
La novelle a en outre abrogé la clause d'exclusion du recours de droit administratif contre les décisions en matière d'améliorations foncières (
art. 76 let
. f LPJA). Par ailleurs, l'art. 76 LPJA a été complété par l'adjonction d'une lettre m), aux termes de laquelle le recours au Tribunal cantonal n'est pas recevable "contre les décisions relatives à l'emplacement d'une décharge ou d'une installation pour traiter des déchets". Enfin, selon l'al. 3 des dispositions finales et transitoires de la novelle, "toutes dispositions contraires à la présente loi sont abrogées".
C.-
Par arrêté du 6 novembre 1991, le Conseil d'Etat a fixé au 8 décembre 1991 la votation populaire sur la loi modifiant et complétant la loi sur la procédure et la juridiction administratives; cet arrêté a été publié le 8 novembre 1991 dans le Bulletin officiel du canton du Valais, accompagné du texte intégral de la novelle. Celle-ci a été acceptée en votation populaire (25'723 oui contre 4'391 non) et les résultats du scrutin ont été publiés le 20 décembre 1991. La novelle a été promulguée, dans son ensemble, par un arrêté pris par le Conseil d'Etat à la date du 25 mars 1992; son entrée en vigueur a été fixée au 1er janvier 1993. Cet arrêté a été publié le 9 octobre 1992, à la suite du texte intégral de la novelle.
Agissant par la voie d'un recours de droit public, D. (ci-après: le premier recourant) a demandé au Tribunal fédéral, à titre principal, d'annuler le nouvel art. 75 let. a LPJA, dans la mesure où il exclut le recours au Tribunal cantonal contre les décisions relatives à l'approbation de plans d'affectation. Il s'est plaint, comme citoyen
BGE 119 Ia 321 S. 324
valaisan et propriétaire d'immeubles dans ce canton, de violations des
art. 6 par. 1 CEDH
, 4 et 22ter Cst. ainsi que de l'art. 2 Disp. trans. Cst. Agissant par la voie d'un recours de droit public distinct, C. et R. (ci-après: les seconds recourants) ont aussi demandé au Tribunal fédéral d'annuler l'art. 75 let. a LPJA, en tant qu'il vise les plans d'affectation; ils se sont plaints, aux mêmes titres que le premier recourant, de violations des
art. 6 par. 1 CEDH
et 58 al. 1 Cst. Par ailleurs, les recourants ont conclu à l'annulation du nouvel
art. 76 let
. m LPJA; enfin, les seconds recourants ont critiqué l'abrogation de l'
art. 76 let
. f LPJA.
Le Tribunal fédéral a admis partiellement les recours, dans la mesure où ils étaient recevables, et a biffé le membre de phrase "et de plans d'affectation" de l'art. 75 let. a LPJA.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le Tribunal fédéral examine d'office et avec une pleine cognition la recevabilité des recours qui lui sont soumis (
ATF 118 Ia 126
consid. 2, 186 consid. 1 et les arrêts cités).
a) Le recours de droit public dirigé contre un arrêté de portée générale est soumis à l'exigence de l'épuisement des voies de droit cantonales (
art. 86 OJ
;
ATF 112 Ia 183
consid. 2c,
ATF 109 Ia 119
consid. 2c). Le droit valaisan ne prévoyant aucune instance pour le contrôle in abstracto de la constitutionnalité des lois cantonales (cf. notamment art. 72 et 74 LPJA), les recours formés directement auprès du Tribunal fédéral sont recevables (cf.
ATF 117 Ia 378
ss).
b) La qualité pour agir contre un arrêté de portée générale est reconnue à toute personne à qui les dispositions prétendument inconstitutionnelles pourraient s'appliquer un jour; il suffit donc au recourant de se prévaloir d'une atteinte virtuelle à ses intérêts juridiquement protégés, à la condition toutefois que la concrétisation de cette atteinte puisse être envisagée avec une certaine vraisemblance (
art. 88 OJ
;
ATF 116 Ia 317
/318 consid. 1a,
ATF 114 Ia 223
consid. 1b,
ATF 113 Ia 326
consid. 2a et les arrêts cités).
Les trois recourants sont domiciliés dans le canton du Valais; ils sont de surcroît propriétaires de biens-fonds situés dans ce canton et peuvent, partant, être touchés par l'adoption d'un plan d'affectation, la réalisation d'une entreprise d'améliorations foncières, voire par une décision relative à l'emplacement d'une décharge ou d'une installation pour traiter des déchets. Ils sont donc, de toute évidence,
BGE 119 Ia 321 S. 325
légitimés à critiquer les nouvelles normes en prétendant qu'elles les priveraient des garanties du droit fédéral ou conventionnel dans les procédures d'adoption des mesures d'aménagement concernées, auxquelles ils pourraient participer.
3.
Aux termes de l'
art. 89 al. 1 OJ
, l'acte de recours doit être déposé devant le Tribunal fédéral dans les trente jours dès la communication, selon le droit cantonal, de l'arrêté ou de la décision attaqués.
a) Lorsque le recours de droit public est dirigé contre un arrêté de portée générale - non susceptible d'être entrepris devant une juridiction cantonale (cf. supra, consid. 2a) - qui est obligatoirement soumis à une votation populaire, le délai de l'
art. 89 al. 1 OJ
ne court pas dès la publication du texte critiqué en vue de cette votation, ni, au demeurant, dès la publication du résultat de celle-ci (cf.
ATF 114 Ia 222
consid. 1a). En règle générale, le dies a quo est le jour de la publication de l'arrêté de promulgation par lequel l'autorité compétente fixe la date de l'entrée en vigueur des normes en question, après avoir constaté que le résultat du vote est définitif parce qu'il n'a pas été contesté ou que les contestations à son sujet ont été levées (cf.
ATF 108 Ia 129
consid. 1a, 142 consid. 1; cf. WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Berne 1984, p. 297). En vertu de l'al. 4 des dispositions finales et transitoires de la novelle du 16 mai 1991 et conformément aux
art. 53 ch. 2 et 100 Cst./VS
, il appartenait en l'espèce au Conseil d'Etat de promulguer les règles attaquées et d'édicter les arrêtés nécessaires à cet effet.
4.
Appelé à statuer sur un recours de droit public dirigé contre un arrêté de portée générale, le Tribunal fédéral examine librement la conformité de cet arrêté au droit constitutionnel fédéral ou cantonal ainsi qu'aux garanties de même nature énoncées à l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 118 Ia 72
consid. 2c,
ATF 117 Ia 477
consid. 3a et les arrêts cités). Il n'annule toutefois l'arrêté que s'il ne se prête à aucune interprétation conforme au droit constitutionnel (
ATF 118 Ia 72
consid. 2c,
ATF 117 Ia 477
consid. 3a,
ATF 116 Ia 380
/381 consid. 10c et les arrêts cités). Dans la procédure dite de contrôle abstrait des normes, il est en effet rarement possible de prévoir d'emblée tous les effets de l'application d'un texte légal, même si, par sa précision, celui-ci n'offre guère de marge d'appréciation à l'autorité chargée de l'appliquer. Si une norme semble compatible avec la Constitution, au regard des circonstances ordinaires que le législateur devait considérer, le juge constitutionnel ne l'annulera pas pour le seul motif qu'on ne peut exclure absolument l'éventualité de son application inconstitutionnelle
BGE 119 Ia 321 S. 326
à des cas particuliers. Il ne le fera que si la perspective d'un contrôle concret ultérieur n'offre pas de garanties suffisantes aux destinataires de la norme litigieuse (
ATF 114 Ia 355
consid. 2,
ATF 113 Ia 131
et les arrêts cités). Le rejet du grief d'inconstitutionnalité invoqué dans le cadre du contrôle direct d'une norme n'empêche en effet pas le recourant de soulever à nouveau ce grief contre la même disposition à l'occasion de son application à un cas d'espèce. L'arrêt rendu au terme de la procédure de contrôle abstrait ne bénéficie ainsi, dans cette mesure, que d'une autorité relative de la chose jugée (
ATF 114 Ia 355
consid. 2,
ATF 102 Ia 282
consid. 2). Le législateur n'en a pas moins pour devoir d'adopter une réglementation à même de prévenir, autant que possible, la violation ultérieure des droits fondamentaux. Il doit ainsi prendre en considération les conditions dans lesquelles la règle qu'il édicte sera appliquée et, en particulier, la qualité des organes chargés de cette application (
ATF 114 Ia 355
consid. 2,
ATF 111 Ia 26
consid. 2 et les arrêts cités). Cela étant, le juge constitutionnel ne saurait laisser subsister une norme dont la teneur permet de craindre, avec une certaine vraisemblance et au vu des circonstances, qu'elle soit interprétée à l'avenir contrairement à la Constitution (
ATF 114 Ia 355
consid. 2,
ATF 109 Ia 302
,
ATF 106 Ia 137
/138 consid. 3a).
5.
Le premier recourant critique le nouvel art. 75 let. a LPJA, en tant que cette disposition exclut le recours de droit administratif au Tribunal cantonal contre les décisions du Conseil d'Etat relatives à l'homologation des plans d'affectation communaux, et il soutient que le choix opéré par le législateur, qui ne tiendrait pas compte des exigences posées par le droit fédéral à l'
art. 33 al. 3 let. b LAT
, viole l'art. 2 Disp. trans. Cst. Cette règle, dite de la force dérogatoire du droit fédéral, interdit en effet au législateur cantonal d'éluder le droit fédéral ou d'en contredire le sens ou l'esprit (
ATF 118 Ia 301
consid. 3a et les arrêts cités). Le recourant se prévaut encore, à l'appui de ce grief, des
art. 4 et 22ter Cst.
, sans toutefois accorder une portée propre à ces derniers moyens.
a) Aux termes de l'
art. 33 LAT
, le droit cantonal doit ouvrir au moins une voie de recours contre les décisions et les plans d'affectation fondés sur cette loi et sur les dispositions cantonales et fédérales d'exécution (al. 2); il doit d'une part reconnaître la qualité pour recourir au moins dans les mêmes limites qu'en matière de recours de droit administratif au Tribunal fédéral (al. 3 let. a) et d'autre part accorder à une autorité de recours au moins un libre pouvoir d'examen (al. 3 let. b). L'autorité cantonale de recours doit se prononcer,
BGE 119 Ia 321 S. 327
le cas échéant, sur les griefs de violation du droit, de constatation inexacte ou incomplète des faits et d'inopportunité (cf.
ATF 116 Ia 440
consid. 4b, 114 Ia 119 consid. 4c/ca, 236/237 consid. 2b, 248 consid. 2b; cf. DFJP/OFAT, Etude relative à la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, Berne 1981, art. 33, ch. 28-30); cela n'exclut pas une certaine retenue dans l'interprétation des notions juridiques indéterminées et dans le contrôle de l'opportunité, lorsque l'autorité communale jouit d'un large pouvoir d'appréciation (
ATF 115 Ia 8
consid. 2d,
ATF 114 Ia 248
consid. 2b; cf. ALFRED KUTTLER, Fragen des Rechtsschutzes gemäss dem Bundesgesetz über die Raumplanung, ZBl 83/1982 p. 337).
b) Conformément à la législation valaisanne sur l'aménagement du territoire, les communes établissent un plan des zones pour l'ensemble de leur territoire (art. 11 de la loi cantonale concernant l'application de la loi fédérale sur l'aménagement du territoire - LcAT) - ainsi qu'un règlement des zones (art. 13 LcAT) - et, selon les besoins, des plans d'aménagement détaillés ou des plans de quartier (art. 12 LcAT). Les projets de plans d'affectation communaux sont d'abord transmis au Conseil d'Etat pour examen préalable (art. 33 al. 4 LcAT). Le conseil municipal les met ensuite à l'enquête publique et les intéressés peuvent former opposition au cours de celle-ci (art. 34 LcAT). Le conseil municipal se prononce sur les oppositions (art. 35 LcAT) et établit un préavis sur le projet de plan d'affectation à l'intention de l'assemblée primaire (art. 36 al. 1 LcAT). L'assemblée primaire - ou le conseil général dans les communes qui l'ont institué conformément à l'art. 4 al. 2 LRC - "délibère et décide de l'adoption" des plans d'affectation (art. 36 al. 2 LcAT). En vertu de l'art. 37 LcAT, les décisions du conseil municipal et de l'assemblée primaire peuvent faire l'objet d'un recours au Conseil d'Etat (al. 1) et la qualité pour recourir est définie dans les mêmes termes qu'à l'
art. 103 let. a OJ
(al. 2); quant à l'art. 37 al. 4 LcAT, il est libellé comme il suit:
"Le Conseil d'Etat statue avec plein pouvoir d'examen (
art. 33 al. 3b LAT
). Sa décision peut faire l'objet d'un recours au Tribunal administratif cantonal dont le pouvoir d'examen se limite à la légalité."
Le Conseil d'Etat est aussi l'autorité compétente pour approuver, au sens de l'
art. 26 LAT
, les plans d'affectation communaux. Cette décision dite d'homologation peut, aux termes de l'art. 38 al. 4 LcAT, faire l'objet d'un recours au Tribunal administratif cantonal. Il ne se justifie au demeurant pas d'examiner plus précisément si et dans
BGE 119 Ia 321 S. 328
quelle mesure le législateur cantonal, en adoptant la novelle critiquée, entendait abroger ces dispositions spéciales de protection juridique dans le domaine de l'aménagement du territoire (art. 37 al. 4 in fine et 38 al. 4 LcAT; cf., le cas échéant, l'al. 3 des dispositions finales et transitoires de la novelle); vu les griefs soulevés et l'issue de la cause, cette question peut rester indécise.
c) Le Tribunal fédéral a déjà jugé que les exigences minimales déduites de l'
art. 33 LAT
étaient satisfaites lorsque le droit cantonal offrait aux intéressés la voie de l'opposition auprès de l'autorité administrative chargée d'approuver le plan d'affectation litigieux (
ATF 114 Ia 235
consid. 2b, 112 Ib 169 et les arrêts cités; cf. WALTER HALLER/PETER KARLEN, Raumplanungs- und Baurecht, 2e éd. Zurich 1992, p. 223). Tel est a fortiori le cas quand cette autorité cantonale peut statuer sur un recours formé contre une décision communale sur le plan et l'opposition (cf. art. 34 LcAT). Le recourant soutient que le Conseil d'Etat ne jouirait plus de l'indépendance et de l'impartialité nécessaires, puisqu'il a déjà examiné le plan à titre préalable avant l'enquête publique (art. 33 al. 4 LcAT); cette autorité émet certes à ce stade un préavis (cf. art. 34 al. 1 LcAT), mais ce préavis ne la lie pas lorsqu'elle statue sur les recours (cf. art. 37 al. 4 LcAT; cf.
ATF 116 Ia 440
consid. 4b). Le premier recourant ne démontre ni ne prétend qu'avec un tel système, le propriétaire touché serait en principe exposé à un déni de justice formel, seul grief qui entre en ligne de compte, car l'impartialité des autorités administratives n'est qu'une exigence du droit cantonal et de l'
art. 4 Cst.
(
ATF 112 Ia 143
consid. 2a; cf. JEAN-FRANÇOIS EGLI/OLIVIER KURZ, La garantie du juge indépendant et impartial dans la jurisprudence récente, RJN 1990 p. 12). Ses griefs à cet égard sont donc mal fondés.
6.
Le premier et les seconds recourants soutiennent que la clause d'exclusion de l'art. 75 let. a LPJA n'est pas compatible avec l'
art. 6 par. 1 CEDH
parce qu'elle institue le Conseil d'Etat comme seule autorité de contrôle de mesures susceptibles de porter des atteintes graves à la propriété privée. Les seconds recourants invoquent aussi, à ce propos, l'
art. 58 al. 1 Cst.
, sans toutefois préciser en quoi ce grief aurait une portée propre par rapport à celui tiré de l'
art. 6 CEDH
(cf.
ATF 116 Ia 138
consid. 2e, 439 consid. 4a,
ATF 115 Ia 226
consid. 5).
a) aa) Aux termes de l'art. 6 par. 1, 1ère phrase CEDH, "toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement, publiquement et dans un délai raisonnable, par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi, qui décidera, soit des contestations sur ses droits et obligations de caractère civil, soit du bien-fondé de toute
BGE 119 Ia 321 S. 329
accusation en matière pénale dirigée contre elle". Dans une déclaration interprétative relative à cette disposition - déclaration modifiée le 16 mai 1988, avec effet au 29 avril 1988 - le Conseil fédéral avait fait valoir que l'
art. 6 par. 1 CEDH
, en ce qui concerne les contestations portant sur des droits et obligations de caractère civil, visait uniquement à assurer un contrôle judiciaire final - par quoi on entendait un contrôle limité à l'application de la loi, tel qu'un contrôle de type cassatoire - des actes ou décisions de l'autorité publique touchant à de tels droits (RS 0.101). Le Tribunal fédéral a constaté récemment l'invalidité de cette nouvelle déclaration interprétative (
ATF 118 Ia 484
ss, consid. 7). Ce nonobstant, les dispositions critiquées de la novelle du 16 mai 1991 (
art. 75 let. a et 76 let
. m LPJA), adoptées postérieurement à la communication par la Suisse, le 27 décembre 1988, de la liste des dispositions législatives fédérales et cantonales qui auraient dû être couvertes par la nouvelle déclaration interprétative (cf. RS. 0.101), n'auraient pu être soustraites à l'examen de leur conformité à la Convention de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales (ci-après: la Convention européenne; cf.
ATF 117 Ia 386
/387 consid. 5d).
bb) Dans sa jurisprudence, désormais bien établie, le Tribunal fédéral interprète la notion de "contestation sur des droits et obligations de caractère civil", selon l'
art. 6 par. 1 CEDH
, aussi largement que le font les organes de la Convention européenne. La contestation, qui doit être réelle et sérieuse, peut porter aussi bien sur l'existence même d'un droit que sur son étendue ou sur les modalités de son exercice; l'issue de la procédure doit être directement déterminante pour un tel droit. Le "caractère civil" est une notion autonome de la Convention européenne; sont décisifs le contenu matériel du droit en cause et les effets que lui confère la législation interne de l'Etat en question. Ainsi, la contestation peut concerner un acte administratif pris par une autorité dans l'exercice de la puissance publique pour autant que cet acte a un effet déterminant sur des droits et obligations de caractère privé (
ATF 119 Ia 92
consid. 3,
ATF 117 Ia 382
ss consid. 5a, 528 consid. 3c/aa et la jurisprudence fédérale et européenne citée).
Le Tribunal fédéral a déjà qualifié de "contestations sur des droits et obligations de caractère civil" les contestations sur la possibilité de procéder à une expropriation, selon le droit fédéral ou cantonal (
ATF 118 Ia 227
consid. 1c, 117 Ia 529, 115 Ia 69 consid. 2b et les arrêts cités); le droit de propriété est en effet un droit de nature privée et une décision sur le principe de l'expropriation a des effets
BGE 119 Ia 321 S. 330
directs sur ce droit. Il en va de même de l'exercice par la collectivité publique d'un droit de préemption légal équivalant par ses effets à une expropriation (
ATF 114 Ia 19
consid. 2). Le Tribunal fédéral a également jugé que les garanties de l'
art. 6 par. 1 CEDH
devaient être assurées lorsque l'autorité décide de réaliser un remaniement parcellaire et d'en délimiter le périmètre (
ATF 118 Ia 355
consid. 2a,
ATF 117 Ia 384
/385 consid. 5b) ou lorsqu'elle adopte un arrêté de classement d'un monument historique selon le droit vaudois, cette mesure présentant pour le propriétaire un "caractère quasi expropriatif" (
ATF 119 Ia 94
consid. 4b).
La jurisprudence a aussi reconnu que l'approbation de certains plans d'affectation spéciaux pouvait conférer à la collectivité publique concernée un droit d'exproprier, de sorte qu'il n'était plus possible de contester l'octroi de ce droit dans des procédures ultérieures; il en est ainsi notamment de plans d'affectation prévus par le droit cantonal pour l'aménagement d'une route de quartier (
ATF 118 Ia 223
ss, 226 consid. 1b), la délimitation de zones de protection des rives d'un lac ou d'un cours d'eau (
ATF 118 Ia 331
ss) ou la création d'un stand de tir (
ATF 114 Ia 114
ss, 117 consid. 3). Les règles de procédure doivent donc assurer aux propriétaires touchés, à ce stade déjà et non seulement lors de la fixation de l'indemnité, le droit d'accès à un tribunal indépendant et impartial au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 118 Ia 227
consid. 1c, 334/335 consid. 3b,
ATF 115 Ib 56
consid. 3b,
ATF 114 Ia 127
consid. 4c/ch).
cc) Un gouvernement cantonal n'est pas un "tribunal indépendant et impartial" au sens de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(cf.
ATF 117 Ia 385
consid. 5c, 527 consid. 3c et les arrêts cités; cf. ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Berne 1993, p. 127). A défaut d'autorité juridictionnelle cantonale, la voie extraordinaire du recours de droit public au Tribunal fédéral - seule ouverte, en principe, contre les décisions de dernière instance cantonale sur les plans d'affectation (
art. 34 al. 3 LAT
) - ne permet pas dans tous les cas d'assurer le contrôle judiciaire exigé par la Convention européenne (
ATF 118 Ia 359
consid. 2c et les arrêts cités); en effet, ce contrôle, quand bien même il n'a pas à porter sur l'opportunité de la mesure critiquée, doit être libre sur toutes les questions de fait et de droit (
ATF 119 Ia 95
/96 consid. 5c/aa,
ATF 117 Ia 386
consid. 5c, 115 Ia 191/192,; cf. HAEFLIGER, op.cit., p. 128). Or, saisi d'un recours de droit public, le Tribunal fédéral ne revoit que sous l'angle restreint de l'arbitraire l'application du droit cantonal - dans tous les cas où le recourant ne se plaint pas d'une restriction particulièrement
BGE 119 Ia 321 S. 331
grave à la propriété - ainsi que l'établissement des faits par l'autorité intimée. Un tel examen n'est pas suffisant au regard des exigences de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 117 Ia 386
consid. 5c et les arrêts cités).
b) Le droit cantonal valaisan prescrit aux communes de délimiter, notamment, des zones réservées aux constructions et installations publiques, à la pratique des activités sportives et récréatives, à l'extraction et au dépôt de matériaux (art. 11 al. 2 LcAT; cf., aussi, pour ce type de zones, les art. 24 ss LcAT); ces collectivités peuvent aussi adopter des plans d'affectation spéciaux (plans d'aménagement détaillés ou plans de quartier - art. 12 LcAT). Ces règles tendent en particulier à mettre en oeuvre le principe de droit fédéral selon lequel certains projets, eu égard à leurs incidences sur la planification locale ou sur l'environnement, ne peuvent faire l'objet d'une simple autorisation de construire dérogatoire (
art. 24 LAT
), mais doivent être élaborés par le biais d'un plan d'affectation spécial (cf. notamment
ATF 117 Ia 359
consid. 6a, 117 Ib 505 consid. 4d, 116 Ib 53/54 consid. 3a, 330 consid. 4d).
Dans le canton du Valais, conformément à la loi du 1er décembre 1887 concernant les expropriations pour cause d'utilité publique (LExpr), les "travaux d'un intérêt général" - tels que par exemple les constructions de bâtiments nécessaires aux services de l'administration de l'Etat et leurs dépendances (art. 3 let. a LExpr), l'exploitation des mines et carrières avec les terrains et les bois nécessaires (
art. 3 let
. f LExpr), les constructions requises pour l'utilisation des eaux thermales et minérales (
art. 3 let
. g LExpr), les constructions entreprises par les communes, notamment celles des bâtiments destinés au service public (
art. 3 let
. h LExpr) - sont considérés comme d'utilité publique et le droit d'expropriation pour leur réalisation peut être conféré à l'Etat du Valais, aux communes ainsi qu'à des sociétés, des consortages ou des particuliers (art. 2 LExpr). Il appartient au Conseil d'Etat de statuer sur la demande d'expropriation et sur l'étendue du droit d'exproprier (art. 5 al. 5 LExpr), également lorsque cette demande est présentée par une commune (cf. art. 1er de la loi additionnelle du 26 novembre 1900 à la LExpr). Lorsque le projet d'"utilité publique" doit faire l'objet, en premier lieu, d'un plan communal d'affectation spécial - conformément aux exigences de la législation sur l'aménagement du territoire rappelées plus haut -, la procédure d'expropriation est nécessairement liée à la procédure d'approbation de ce plan; l'admissibilité de l'expropriation doit en effet résulter de cette dernière décision. Le propriétaire touché
BGE 119 Ia 321 S. 332
qui entend la contester doit dès lors avoir la possibilité de se pourvoir devant une juridiction cantonale à ce stade déjà (cf. supra, consid. 6a/bb).
c) La clause générale de l'art. 75 let. a LPJA exclut le contrôle judiciaire pour tous les plans d'affectation, y compris ceux par l'approbation desquels le droit d'expropriation est conféré à la collectivité publique ou à des tiers (supra, consid. 6b). A l'égard de ces derniers actes, cette norme n'est manifestement pas compatible avec l'
art. 6 par. 1 CEDH
et elle n'est pas susceptible d'une interprétation conforme au droit constitutionnel fédéral. Ce seul motif justifie l'admission des recours sur ce point; le membre de phrase "et de plans d'affectation" doit donc être biffé de l'art. 75 let. a LPJA. Dans ces conditions, il n'y a pas lieu d'examiner si, au surplus, la Convention européenne garantit l'accès à un tribunal au propriétaire touché par l'approbation d'un plan d'affectation dont la portée serait différente. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cbc0b7d1-9e36-4d24-ab4f-c4cabcaf0b10 | Urteilskopf
98 II 231
34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Juli 1972 i.S. Lacroix, Baartmans, Callens und Van Eichelen SA gegen "Swissair". | Regeste
Haftung des Luftfrachtführers. Warschauer Abkommen vom 12. Oktober 1929 (Haager Fassung). Lufttransportreglement vom 3. Oktober 1952 (Fassung vom 1. Juni 1962).
Die Wirkung der Subrogation bei Zahlung durch den Versicherer untersteht dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht. Ob der kantonale Richter von mehreren in Betracht fallenden ausländischen Rechten das anwendbare Recht zutreffend bestimmt hat, ist nicht eine Frage des Bundesrechts (Erw. 1 a).
Die materielle Gültigkeit der Abtretung beurteilt sich nach dem Recht, das die abgetretene Forderung beherrscht (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1 b).
Art. 1 Abs. 2 WA. Anwendbarkeit. Greift das WA nicht Platz, so gilt das Recht am Sitz der Fluggesellschaft (Erw. 2).
Nach Art. 8 LTR gelten die Bestimmungen des WA auch für Beförderungen, die dem WA nicht unterstehen, und sind die Vorschriften des LTR nur als ergänzendes Recht anwendbar (Erw. 3).
Die beschränkte Haftung des Luftfrachtführers ist ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 2 lit. a WA oder der Art. 25 WA und 10 LTR erfüllt sind (Erw. 4).
Art. 25 WA und 10 LTR. Der Geschädigte hat die Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung des Luftfrachtführers zu beweisen. Die fraglichen Bestimmungen schreiben über die Beweiswürdigung nichts vor (Erw. 5).
Die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers entfällt, wenn der Verlust des Frachtgutes auf zwei mögliche Tatbestände zurückzuführen ist und die subjektiven Voraussetzungen der Art. 25 WA und 10 LTR nur in einem Falle erfüllt sind (Erw. 8).
Verneinung der unbeschränkten Haftung des Luftfrachtführers im konkreten Fall (Erw. 9 und 10).
Das Begehren auf Ersatz des ganzen Schadens schliesst den Anspruch auf die nach Art. 9 lit. b LTR begrenzte Haftungssumme ein (Erw.11). | Sachverhalt
ab Seite 233
BGE 98 II 231 S. 233
A.-
Die Schweizerische Bankgesellschaft, handelnd durch die Mat Transport AG als Spediteurin, beauftragte am 29. Januar 1968 die Swissair, Schweizerische Luftverkehrs-Aktiengesellschaft, fünf Pakete von zusammen 4'020 kg Gewicht, die angeblich $ 50'000 in Banknoten enthalten haben, vom Flughafen Zürich-Kloten an die Bank of London and Montreal Ltd. in Managua (Nicaragua) zu befördern. Der Frachtbrief Nr. 085-3809819 bezeichnete den Inhalt der Pakete als "Banknotes" und die Sendung als "Valuable cargo" und enthielt den Vermerk "Special supervision is requested". Für Zollzwecke wurde der Wert des Frachtgutes mit SFr. 220'000.-- angegeben. Dagegen sah die Absenderin davon ab, ein Interesse
BGE 98 II 231 S. 234
an der Beförderung zu deklarieren. Sie wies die Frachtführerin an, die Pakete bis New York mit dem Swissair-Kurs 100/30, von dort bis Mexico mit dem Kurs 901/31 der Eastern Airlines und von Mexico bis Managua mit dem Kurs 211/1 der Taco International Airlines zu befördern.
Die fünf Pakete kamen am 30. Januar 1968 im J. F. Kennedy-Flughafen von New York an. Die Swissair übergab sie am 17. Februar 1968 samt dem Frachtbrief der Eastern Airlines Inc., die den Empfang auf einem "Air cargo transfer manifest" bestätigte.
Die Eastern Airlines sah vor, die Pakete am 18. Februar 1968 mit dem Flug Nr. 901 ohne Zwischenlandung nach Mexico zu befördern, und stellte ein entsprechendes "Cargo manifest" aus. Etwa um 6 Uhr des 18. Februar entnahm sie die Pakete einem Stahlschrank in der Absicht, sie zu verladen. Ob sie tatsächlich versandt wurden, steht nicht fest.
Nach einem Bericht des Sicherheitsinspektors Brunn der Eastern Airlines vom 11. April 1968 soll der Rampen-Dienstmann Mc Carthy sie auf die Rampe gebracht haben, wo der Rampen-Inspektor Gerrain sie um 6.35 Uhr gegen Quittung übernommen habe. Gerrain habe sie beaufsichtigt, bis er ungefähr um 8.30 Uhr vom Inspektor Marino abgelöst worden sei. Marino habe sie dem Rampen-Dienstmann Maccagano übergeben, der sie in die Frachtluke 1 des Flugzeuges gelegt habe. Laut Formular 010 (Cargo and weight manifest) seien mit dem Flug 901 vom 18. Februar nur 9 lbs. Fracht befördert worden. Die diesem Formular beigeheftete Quittung für hohe Werte gebe an, es seien 5 Stück im Gewicht von 9 lbs. gereist. Der Luftfracht-Koordinator Jiminez erkläre, vier Wagen Fracht von 2166 1bs. hätten am 18. Februar wegen ihres Gewichtes nicht verladen werden können und seien erst am folgenden Tage mit Flug 901 abgefertigt worden. Da er, Jiminez, nicht gewusst habe, dass am 18. Februar 9 lbs. verfrachtet worden seien, habe er die Papiere für diese 9 lbs. bis am 19. Februar zusammen mit dem Manifest und den Frachtbriefen für die zurückbehaltenen 2166 lbs. im Operationsbüro aufbewahrt. Der Bericht Brunn fährt fort, alle diese Papiere seien dann der Mannschaft des Fluges 901 vom 19. Februar übergeben und in Mexico mit der ausgeladenen Fracht verglichen worden. Dabei habe Mexico das Fehlen der 5 Pakete von 9 lbs. Gewicht festgestellt und es dem Flughafen von New York sofort fernschriftlich gemeldet.
BGE 98 II 231 S. 235
Nach dem Austausch weiterer Fernschreiben habe Mexico mitgeteilt, es sei am 18. Februar keine Fracht angekommen. Die vermissten Pakete sollen nach dem Bericht Brunn trotz weiterer Nachforschungen nicht mehr aufgefunden worden sein.
Nach einem vom Luftfracht-Direktor Miranda in Mexico verfassten Bericht vom 17. Mai 1968 soll der Frachtagent Rames am 18. Februar bei der Ankunft des Fluges 901 vom Operationsagenten erfahren haben, es seien keine Frachtpapiere an Bord. Dennoch habe Rames in Begleitung des Agenten Dasza die Fracht- und Gepäckluken untersucht, da häufig Fracht ohne Dokumente ankomme. Aus dem Schichtrapport des Frachtagenten und den Registern der Zollbehörden ergebe sich, dass am 18. Februar mit dem Kurs 901 keine Fracht angekommen sei. Am 19. Februar seien dann mit diesem Flug sowohl Manifeste mit dem Datum des 18. als auch solche mit dem Datum des 19. Februar eingetroffen, und die Fracht sei am Boden beim Flugzeug vom Frachtagenten Santander und vom Zollangestellten Santos Carreon überprüft worden. Die im Luftfrachtbrief 085-3809819 erwähnten fünf Pakete und ein im Luftfrachtbrief 007-JFK-344472 verzeichnetes Stück hätten gefehlt, weshalb der Frachtagent fernschriftlich um Nachsendung der fehlenden Güter ersucht habe. Das Fehlen der Stücke sei auf den vorhandenen Manifesten und im Schichtrapport vermerkt worden. Am 19. Februar habe der J. F. Kennedy-Flughafen gemeldet, die Sendung gemäss Frachtbrief 007-JFK-344472 werde vollzogen werden, aber die Sendung gemäss Frachtbrief 085-3809819 sei nicht vorhanden. Auf weitere Fernschreiben hin habe der gleiche Flughafen am 22. Februar geantwortet: "Shipment under AWB 085-3809819 definitely on flight 901/19." Am 23. sodann habe dieser Flughafen berichtet, die vermisste Sendung sei bestimmt am 18. Februar nach Mexico abgegangen.
Auf dem die fünf Pakete betreffenden "Cargo manifest" der Eastern Airlines ist das Versanddatum des 18. Februar handschriftlich mit 19 überschrieben.
B.-
Die Schweizerische Bankgesellschaft hatte ihr Interesse an der Beförderung des Frachtgutes durch die im Namen verschiedener Versicherungsgesellschaften handelnde Agenturfirma Thilly & Rittweger SA in Brüssel "aux conditions de la police maritime d'Anvers et à celles qui suivent" für US $ 50'200
BGE 98 II 231 S. 236
versichern lassen. Die Versicherungspolice nennt unter den Versicherern an erster Stelle die in Antwerpen niedergelassene Firma Lacroix, Baartmans, Callens & Van Tichelen SA Diese Firma klagte beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Swissair auf Zahlung von "USA $ 50'000.--, entsprechend zum Kurse von Fr. 4.31/$ SFr. 215'000.--, nebst 5% Zins ab 20. Juni 1968". Sie behauptet, die Versicherer hätten die Schweizerische Bankgesellschaft für den Verlust der $ 50'000 entschädigt, und weist eine Erklärung vom 17. September 1969 vor, wonach ihr die "für sich und ihre Gruppe" handelnde SA Comptoir d'Assurance Hayen & Cie. in Antwerpen und die Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft die Rückgriffsrechte gegen die Swissair abtreten.
C.-
Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 16. Dezember 1971 ab. Es bejahte die Aktivlegitimation der Klägerin, verneinte dagegen die subjektiven Voraussetzungen, unter denen Art. 10 des schweizerischen Lufttransportreglementes den Luftfrachtführer für den Verlust des Frachtgutes unbeschränkt haften lässt. Ob die fünf versandten Pakete tatsächlich Banknoten enthielten und ob die Klägerin die Schweizerische Bankgesellschaft für den Verlust entschädigt habe, liess es offen.
D.-
Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie hält an dem in der Klage gestellten Antrag fest und beantragt ergänzend, die Beklagte sei eventuell zu verpflichten, ihr Fr. 72.50 je kg für 4'020 Gramm Sendegewicht, also Fr. 291.45, nebst 5% Zins ab 20. Juni 1968 zu zahlen. Subsidiär beantragt sie, die Sache an das Handelsgericht zurückzuweisen, damit es die grobe Fahrlässigkeit der Luftfrachtführer nach den Prozessakten haftungsbegründend würdige.
E.-
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Sie hält daran fest, dass die Klägerin nicht aktivlegitimiert sei. Für den Fall, dass das Bundesgericht die Legitimation der Klägerin bejahen sollte, anerkennt sie einen Anspruch der Beklagten von Fr. 291.45 nebst Verzugszins ab 8. September 1969.
F.-
Das Handelsgericht lässt sich dahin vernehmen, es habe nicht dazu Stellung genommen, ob die Klägerin allenfalls gemäss Art. 9 des Lufttransportreglementes Anspruch auf Fr. 291.45 habe, denn die Klägerin habe im kantonalen Verfahren
BGE 98 II 231 S. 237
keinen dahin gehenden Eventualantrag gestellt; sie habe in der Klageschrift wohl das Gewicht der Sendung erwähnt, ohne jedoch einen Anspruch aus Art. 9 LTR geltend zu machen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Die Frage, ob und in welchem Umfange die Schadenersatzforderung des Versicherungsnehmers gegen den verantwortlichen Dritten auf den zahlenden Versicherer übergehe, beurteilt sich nach dem Rechte jenes Staates, dem der Versicherungsvertrag untersteht (
BGE 39 II 76
Erw. 4,
BGE 74 II 88
,
BGE 85 II 272
,
BGE 88 II 437
Erw. 3; ferner nicht veröffentlichte Erwägung des Urteils der I. Zivilabteilung vom 8.10. 68 i.S. The Glens Falls Insurance Co. c. Reederei Zürich AG). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Die Beklagte beanstandet sie denn auch nicht, sondern bestreitet die Anwendbarkeit des belgischen Rechtes, dem das Handelsgericht den Versicherungsvertrag und die Subrogation unterstellt sieht, nur mit der Begründung, die Klägerin sei die einzige belgische Versichererin, und zwar für weniger als einen Drittel der Versicherungssumme, während für den Rest zwanzig englische und drei deutsche Versicherer einzustehen hätten.
Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, gegen die die Beklagte nichts vorbringt, ist die Frage, ob der kantonale Richter von mehreren in Betracht fallenden ausländischen Rechten das anwendbare zutreffend bestimmt habe, nicht eine solche des Bundesrechts und daher gemäss Art. 43 Abs. 1 und 55 Abs. 1 lit. c OG vom Bundesgericht nicht zu überprüfen (
BGE 63 II 308
,
BGE 64 II 92
,
BGE 77 II 92
). Anders verhielte es sich nur, wenn das ausländische Recht vorfrageweise bestimmt werden müsste, um eine bundesrechtliche Hauptfrage beurteilen zu können (
BGE 91 II 126
). Das trifft im vorliegenden Falle indessen nicht zu; der Bestand der eingeklagten Forderung als solcher hängt in keiner Weise davon ab, ob sie auf Grund des anwendbaren ausländischen Rechts durch Subrogation von der Schweizerischen Bankgesellschaft auf die Versicherer übergegangen ist.
b) Das Handelsgericht betrachtet als Vertragsgegner der Schweizerischen Bankgesellschaft nur die im Vertrag als Hauptbeteiligte auftretenden Versicherer, nämlich die Klägerin die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. und die Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft. Die Unterbeteiligungen der
BGE 98 II 231 S. 238
anderen Gesellschaften sei eine interne Anglegenheit der Versicherer. Da die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. und die Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft der Klägerin ihr Recht abgetreten hätten, sei die Legitimation der Klägerin erstellt.
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin subsidiär für jenen Teil der Forderung, der die von der Klägerin versicherten 32'262% und die von der Allianz versicherten 5% des Schadens übersteigt. Sie macht geltend, die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. habe 60% des Schadens nicht für sich, sondern teilweise für die Lloyds Underwriters, teilweise für 19 Londoner Gesellschaften versichert.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes richtet sich die materielle Gültigkeit der Abtretung nach dem Rechte, das die abgetretene Forderung beherrscht (
BGE 95 II 113
mit Hinweisen,
BGE 85 II 272
Erw. b und Urteil vom 8.10.68 i.S. The Glens Falls Insurance Co.; vgl. auch
BGE 93 II 485
), während die Form der Abtretung dem Rechte untersteht, das am Orte der Abtretung gilt oder von der Rechtsordnung des Abtretungsortes als massgebend erklärt wird (
BGE 65 II 83
,
BGE 74 II 87
,
BGE 78 II 392
,
BGE 93 II 478
). Der soeben erwähnte Einwand der Beklagten bezieht sich jedoch weder auf die materielle Gültigkeit der Abtretung noch auf deren Form. Die Beklagte bestreitet nur, dass die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. Vertragspartei des Versicherungsvertrages sei und daher durch Subrogation zu 60% Gläubigerin der eingeklagten Forderung geworden sei und diesen Anteil an die Klägerin habe abtreten können. Streitig ist also die Frage, ob diese Firma den Versicherungsvertrag im eigenen Namen oder vielmehr im Namen der Lloyds Underwriters und der 19 Londoner Gesellschaften unterzeichnet habe. Das aber hängt vom belgischen Rechte ab, das nach verbindlicher Auffassung des Handelsgerichts den Versicherungsvertrag beherrscht. Die Frage kann daher dem Bundesgericht im Berufungsverfahren, in dem nur die Anwendung von Bundesrecht zu überprüfen ist, nicht unterbreitet werden.
c) Ob die Klägerin die Legitimation auch aus Ziffer 3 der auf der Rückseite der Versicherungspolice abgedruckten allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach die mehreren Versicherer "acceptent de suivre toutes décisions prises par la compagnie apéritrice relativement au fonctionnement de la police, son interprétation et au règlement des sinistres", ableiten kann,
BGE 98 II 231 S. 239
hat das Handelsgericht offen gelassen und braucht nicht entschieden zu werden. Die verneinende Stellungnahme der Beklagten zu dieser Frage ist gegenstandslos.
d) Das Handelsgericht hat offen gelassen, ob die Klägerin die Schweizerische Bankgesellschaft für den Verlust der fünf Pakete entschädigt habe. Die Auffassung der Beklagten, das Bundesgericht habe mangels Nachweises der Zahlung die Subrogation und damit die Legitimation der Klägerin zu verneinen und die Klage abzuweisen, hält jedoch nicht stand. Wenn der Ausgang des Prozesses von der Legitimation der Klägerin abhängt, muss sich das Handelsgericht über die offen gelassene Frage aussprechen und neu urteilen.
2.
Das Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, das am 12. Oktober 1929 in Warschau abgeschlossen und am 28. September 1955 im Haag abgeändert wurde (BS 13 653 bzw. AS 1963 665) (abgekürzt WA), ist im vorliegenden Falle nicht unmittelbar anwendbar, da der Bestimmungsort der zu befördernden Pakete in Nicaragua liegt und dieser Staat weder der ursprünglichen noch der neuen Fassung des Abkommens beigetreten ist (Art. 1 Abs. 2 WA).
Beide Parteien des Luftfrachtvertrages haben ihren Sitz in der Schweiz, und das Frachtgut war von hier aus zu befördern. Dieser Vertrag untersteht daher dem schweizerischen Recht (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 16.5.52 i.S. Airtrafic AG c. Transocean Airlines; STAUFFER, ZBJV 89 395; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allgem. Einleitung N. 308). Die Klägerin und die Beklagte sind denn auch schon im kantonalen Verfahren einig gewesen, dass schweizerisches Recht anzuwenden sei. Im Berufungsverfahren weichen sie von dieser Auffassung nicht ab.
3.
Die Schweiz hat die Haftung des Luftfrachtführers in dem gestützt auf Art. 75 des Luftfahrtgesetzes vom Bundesrat erlassenen und von der Bundesversammlung genehmigten Lufttransportreglement vom 3. Oktober 1952 (LTR) geregelt (AS 1952 1060 ff.). Einige Bestimmungen dieses Reglementes, darunter die Art. 9 und 10, wurden am 1. Juni 1962 abgeändert (AS 1963 679 ff.). Massgebend ist die am 1. August 1963 in Kraft getretene neue Fassung.
In Art. 75 des Luftfahrtgesetzes wurde der Bundesrat angewiesen, sich bei der Regelung der Haftpflicht des Frachtführers
BGE 98 II 231 S. 240
an die Grundsätze des Warschauer Abkommens zu halten. Art. 8 LTR bestimmt denn auch nicht nur für internationale Beförderungen im Sinne des WA, sondern auch für die diesem Abkommen nicht unterstehenden Beförderungen, der Luftfrachtführer hafte "nach den Regeln des Warschauer Abkommens und nach den ergänzenden Bestimmungen dieses Reglementes". Die Bestimmungen des Abkommens gehen also kraft dieser Verweisung vor, und die Bestimmungen des Reglementes gelten nur als ergänzendes Recht, d.h. soweit sie dem Abkommen nicht widersprechen. Sie sind im Geiste des Abkommens auszulegen. Da bei diesem der französische Wortlaut als Originaltext gilt (Art. XXVII Abs. 3 des Haager Protokolls), muss er auch abweichenden Fassungen des Reglementes vorgehen.
4.
Art. 22 WA und Art. 9 LTR beschränken die Haftung des Luftfrachtführers auf bestimmte Beträge. In Art. 9 LTR sind sie in Schweizerfranken umgerechnet. Für Güter belaufen sie sich auf höchstens Fr. 72.50 für jedes Kilogramm.
Diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Absender bei der Aufgabe des Stückes das Interesse an der Lieferung besonders deklariert und den etwa vereinbarten Zuschlag zum Frachtlohn entrichtet hat (Art. 22 Abs. 2 lit. a WA).
Sie entfällt auch dann, wenn die in Art. 25 WA bzw. Art. 10 LTR umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Art. 25 WA in der Fassung von 1955 lautet:
"Les limites de responsabilité prévues à l'article 22 ne s'appliquent pas s'il est prouvé que le dommage résulte d'un acte ou d'une omission du transporteur ou de ses préposés fait, soit avec l'intention de provoquer un dommage, soit témérairement et avec conscience qu'un dommage en résultera probablement, pour autant que, dans le cas d'un acte ou d'une omission de préposés, la preuve soit également apportée que ceux-ci ont agi dans l'exercice de leurs fonctions."
Art. 10 LTR drückt die gleichen Gedanken in zwei getrennten Sätzen aus. Seine französische Fassung deckt sich in der Umschreibung der subjektiven Voraussetzungen mit dem französichen Text des Art. 25 WA. In der deutschen Fassung des Art. 25 WA und des Art. 10 LTR ist das Wort "témérairement" mit "leichtfertig" übersetzt. Diese Übersetzung wurde im April 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz vereinbart (A. MEYER, Internationale Luftfahrtabkommen Bd. III S. 235 Fussnote). Soweit sie den Sinn von "témérairement" abzuschwächen versucht, kann sie
BGE 98 II 231 S. 241
jedoch den schweizerischen Richter nicht binden. Die dem Originaltext des WA entsprechende französische Fassung geht vor.
Für die Auslegung des Art. 25 WA bzw. Art. 10 LTR ist im übrigen entscheidend, dass man bei der Revision dieser Bestimmungen die Voraussetzungen, unter denen der Luftftrachtführer unbeschränkt haftet, vereinheitlichen und erschweren wollte. Unter der alten Fassung des Art. 25 WA galt die Haftungsbeschränkung dann nicht, wenn der Luftfrachtführer den Schaden vorsätzlich oder durch eine Fahrlässigkeit herbeigeführt hatte, die nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichstand. Im angelsächsischen Rechtskreis setzte man dem Vorsatz nur den strengen Begriff des "wilful misconduct" gleich, während nach europäisch-kontinentaler Auffassung, die unter anderem in Deutschland und in der Schweiz herrschte, auch schon grobe Fahrlässigkeit zur unbeschränkten Haftung führte (
BGE 93 II 347
). Die neue Fassung, ohne geradezu den "wilful misconduct" als massgebend zu erklären, bezweckt die Vereinheitlichung der Rechtslage durch Annäherung an diesen Begriff (vgl. GERBER, Die Revision des Warschauer Abkommens, Diss. Zürich 1957 S. 86 ff. besonders S. 90 oben; SESSELI, La notion de faute dans la Convention de Varsovie, thèse Lausanne 1961 S. 158 f.; GULDIMANN, Internationales Lufttransportrecht, Zürich 1965 S. 148 N. 8). Der Geschädigte ist heute schlechter gestellt als früher nach den kontinentalen Gesetzen und Auffassungen (SCHLEICHER/REYMANN/ABRAHAM, Das Recht der Luftfahrt, 3. Auflage, 2 S. 1004). Als Frankreich nach der Revision des Warschauer Abkommens die nationalen Bestimmungen über die Haftung des Luftfrachtführers am 2. März 1957 der neuen Lage anpasste, gab es denn auch dem Art. 42 Abs. 1 seines Luftfahrtgesetzes folgende Fassung: "Pour l'application de l'article 25 de ladite convention la faute considérée comme équivalente au dol est la faute inexcusable. Est inexcusable la faute délibérée qui implique la conscience de la probabilité du dommage et son acceptation téméraire sans raison valable." Frankreich wendet diese Bestimmung gemäss Art. 41 des Luftfahrtgesetzes auch auf Beförderungen an, die vom Warschauer Abkommen nicht erfasst werden.
Es besteht kein Zweifel, dass der Luftfrachtführer nach den revidierten Fassungen der Art. 25 WA und Art. 10 LTR nicht
BGE 98 II 231 S. 242
schon dann unbeschränkt haftet, wenn er oder seine Leute sich grobfahrlässig verhalten. Nach diesen Bestimmungen genügt nicht einmal eine bewusste grobe Fahrlässigkeit, wie sich die deutsche Delegation bei der Zustimmung zum Haager Protokoll vorgestellt haben soll (s. RIESE in Zeitschrift für Luftrecht 1956 33) und auch die Botschaft des Bundesrates für möglich hält (BBl 1962 I 1409). Die unbeschränkte Haftung tritt nur ein, wenn der Luftfrachtführer oder seine Leute den Schaden absichtlich herbeiführen oder wenn ihre Handlung oder Unterlassung verwegen, waghalsig, tollkühn ist und sie sich bewusst sind, dass ihr Verhalten wahrscheinlich einen Schaden zur Folge haben werde (GULDIMANN a.a.O. S. 147 N. 5 und 6). Nicht nötig ist, dass sie den Schaden für den Fall, dass er eintrete, auch innerlich gutheissen. Insofern sind die subjektiven Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung milder als die des strafrechtlichen Eventualvorsatzes. Dagegen sind sie insofern strenger als die Erfordernisse des Eventualvorsatzes, als sich der Handelnde der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes bewusst sein muss (GULDIMANN, a.a.O. S. 147 N. 7).
5.
Wie schon unter der Herrschaft der alten Fassungen der Art. 25 WA und 10 LTR (s.
BGE 93 II 349
), hat der Geschädigte die Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung des Luftfrachtführers zu beweisen. Diese Bestimmungen sagen es in den neuen Fassungen ausdrücklich. Hinsichtlich der Anwendung anderer Beweisregeln und der Beweiswürdigung lassen sie dem Richter dagegen volle Freiheit. Die Delegierten der Vereinigten Staaten und Frankreichs haben das anlässlich der Revision des Art. 25 WA denn auch ohne Widerspruch hervorgehoben (RIESE a.a.O. S. 33). Diese Auffassung deckt sich damit, dass gemäss Art. 28 Abs. 2 WA das Verfahren den Gesetzen des angerufenen Gerichtes untersteht.
Es ist aber klar, dass der Richter nicht unter dem Vorwand landesrechtlicher Beweisregeln die Beweislast umkehren, d.h. z.B. auf Grund eines ersten Anscheins bis zum Gegenbeweis die subjektiven Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung vermuten darf (GULDIMANN S. 149 N. 11; anderer Meinung RIESE S. 34, MEYER Bd. III S. 175 f. und GERBER S. 87/88; vgl. auch SESSELI S. 157/158). Eine Tatsache ist nur dann bewiesen, wenn der Richter von ihr überzeugt ist. Es genügt nicht, wenn er sie für möglich, ja für einigermassen wahrscheinlich hält, denn gerade darin liegt die Bedeutung der Beweislast, dass
BGE 98 II 231 S. 243
die übrig bleibenden Zweifel sich zum Nachteil des Beweispflichtigen auswirken müssen (nicht veröffentlichtes Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 1960 i.S. Kamil c. SABENA, Erw. 4 lit. b).
Blosse Indizienbeweise sind aber zulässig. Wenn nach der Natur der Sache, wie es etwa hinsichtlich eines natürlichen Kausalverlaufes oder des Wissens und Wollens einer Person zutreffen kann, ein absoluter Beweis nicht möglich ist, darf dabei der Richter seine Überzeugung mit einer auf der Lebenserfahrung beruhenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit begründen (
BGE 45 II 97
f.,
BGE 46 II 201
,
BGE 47 II 293
,
BGE 53 II 426
,
BGE 57 II 208
f.,
BGE 90 II 233
). Er bleibt damit im Rahmen der Beweiswürdigung, über die Art. 25 WA und 10 LTR, wie gesagt, nichts vorschreiben.
Diese Bestimmungen stehen auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht im Wege, wonach die Pflicht zum Beweis negativer Tatsachen dadurch gemildert wird, dass der Gegner des Beweispflichtigen nach Treu und Glauben (
Art. 2 ZGB
) zum Beweis des Gegenteils beitragen muss und dass die Unterlassung oder das Misslingen des Gegenbeweises als Indiz für die Richtigkeit der Behauptung des Beweispflichtigen gewertet werden darf (
BGE 66 II 147
,
BGE 76 II 70
f.,
BGE 95 II 233
).
Da die Art. 25 WA und 10 LTR die Beweiswürdigung nicht regeln, darf das Bundesgericht als Berufungsinstanz diese nicht überprüfen; es ist an die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Richters gebunden, sofern sie nicht unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen sind oder nicht offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG).
6.
Es steht verbindlich fest, dass die Beklagte die fünf Pakete am 17. Februar 1968 gegen Quittung der Eastern Airlines Inc. übergeben hat. Es kommt daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, wie die Beklagte das Gut verpackt hat und wie sie Wertsendungen zu verladen pflegt.
Die Klägerin geht auch am Kern der Sache vorbei, wenn sie vorbringt, die Versandinstruktionen der Beklagten und jene der Eastern Airlines stimmten nicht miteinander überein. Dass der Verlust des Gutes auf diesen Umstand zurückzuführen sei, ist weder festgestellt noch behauptet.
Die Übergabe der fünf Pakete an die Eastern Airlines erfolgte mit erheblicher Verspätung, da laut Frachtbrief die Weiterbeförderung
BGE 98 II 231 S. 244
schon mit dem Flug 901 vom 31. Januar 1968 hätte erfolgen sollen. Der natürliche Zusammenhang, der zwischen der Verspätung und dem Verlust des Gutes bestehen mag, ist jedoch nicht adäquat und daher nicht rechtserheblich, was die Klägerin denn auch nicht geltend macht.
Die Beklagte haftet daher nicht für eigene Fehler. Gemäss Art. 8 LTR in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 WA hat sie aber solidarisch einzustehen, wenn und soweit die Eastern Airlines haftet.
7.
Das Handelsgericht stellt fest, dass die Eastern Airlines die fünf Pakete vom 17. auf den 18. Februar 1968 in einem Safe verwahrt und sie diesem am 18. Februar um 6 Uhr morgens entnommen hat, um sie mit dem Flug 901 nach Mexico zu befördern.
Diese Feststellung beruht weder offensichtlich auf Versehen noch ist sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen. Sie bindet daher das Bundesgericht. Soweit die Klägerin einen anderen Sachverhalt behaupten will, indem sie geltend macht, die fünf Pakete seien schon vom 17. auf den 18. Februar nicht ordnungsgemäss gelagert worden, sonst wüsste man, wohin sie gelangt seien, ist sie deshalb nicht zu hören.
In rechtlicher Hinsicht sodann lässt sich die Lagerung im Safe nicht beanstanden. Sie war übrigens für den Verlust nicht adäquat kausal, da ja die fünf Pakete morgens 6 Uhr bei der Entnahme aus dem Safe noch vorhanden waren. An welchem Orte die Frachtpapiere aufbewahrt wurden, ist ebenfalls unerheblich.
8.
Was mit den fünf Paketen geschah, nachdem sie am 18. Februar aus dem Safe genommen worden waren, vermag das Handelsgericht nicht bestimmt zu sagen. Es stellt nur noch fest, dass das "Cargo manifest" mit dem Datum des 18. Februar 1968 ausgestellt wurde, dass man aber die Begleitpapiere zu den fünf Paketen nicht mit dem Flug 901 des 18., sondern erst mit dem Flug 901 des 19. Februar nach Mexico beförderte und auf dem "Cargo manifest" das Datum des 18. in 19. Februar 1968 abänderte. Ferner äussert es sich, es "erscheine als wahrscheinlich", dass der Rampen-Dienstmann Mc Carthy die fünf Pakete am 18. Februar 1968 auf die Rampe brachte und sie dort gegen Quittung dem Rampen-Inspektor Gerrain übergab und dieser sie um etwa 8.30 Uhr dem ihn ablösenden Inspektor Marino weitergegeben habe, unter dessen Aufsicht der Rampen-Dienstmann
BGE 98 II 231 S. 245
Maccagano sie dann in die Luke 1 verladen haben solle. Es ist der Auffassung, die Akten enthielten nichts, das den Schluss zuliesse, die Sendung sei am 18. Februar auf dem Wege zum Flug 901 mangels ausreichender Überwachung gestohlen worden. Es hält aber für möglich, dass Marino sich irrte, als er annahm, die fünf Pakete seien an diesem Tage im Flugzeug verblieben. Es stellt fest, der Luftfracht-Koordinator Jiminez sei der Auffassung gewesen, am 18. Februar sei dem Flug 901 wegen eines Gewichtproblems keine Fracht mitgegeben worden, die gesamte für diesen Flug bestimmte Fracht sei erst am 19. Februar nach Mexico abgegangen. Es rechnet damit, dass die fünf Pakete vielleicht kurz vor dem Abflug wieder ausgeladen wurden, zusammen mit der übrigen zurückbehaltenen Fracht ohne besondere Aufsicht bis zum 19. Februar liegen blieben und in dieser Zeit verschwanden. Wo und weshalb die Sendung abhanden kam, lässt sich nach der Auffassung des Handelsgerichtes nicht mit Sicherheit feststellen. Es erklärt, die im Jahre 1968 unternommenen Nachforschungen und Erhebungen hätten keine Klarheit gebracht, und dass heute noch Näheres erfahren werden könnte, erscheine als ausgeschlossen.
Mit diesen Ausführungen bleibt das Handelsgericht im Gebiete der Beweiswürdigung. Das Bundesgericht ist an sie gebunden, und zwar auch insoweit, als die Vorinstanz als ausgeschlossen erachtet, dass man heute durch weitere Beweismassnahmen noch Näheres in Erfahrung bringen könnte, denn diese Auffassung beruht auf vorweggenommener Beweiswürdigung (
BGE 56 II 203
oben,
BGE 63 II 101
,
BGE 90 II 310
). Das verkennt die Klägerin, indem sie das Bundesgericht ersucht, "die in Zürich in ständiger Praxis angewendeten Beweisvorschriften auch seinerseits anzuwenden". Es bestehen keine bundesrechtlichen Vorschriften darüber, wie der Richter in Haftpflichtprozessen gegen Luftfrachtführer den Beweis zu würdigen habe. Die erwähnten Feststellungen beruhen auch nicht offensichtlich auf Versehen. Insbesondere spricht nichts dafür, dass das Handelsgericht den Bericht Miranda versehentlich nicht beachtet habe. Indem die Klägerin ihn als eine beweisrechtlich unverdächtige Urkunde bezeichnet und der Vorinstanz vorwirft, sie schenke den darin "zeitgerecht dokumentierten Erklärungen" keinen Glauben, sondern begnüge sich mit Hypothesen, ficht sie unzulässigerweise die Beweiswürdigung an. Die Bezugnahme auf
Art. 63 Abs. 2 OG
und die Behauptung offensichtlicher
BGE 98 II 231 S. 246
Versehen und Aktenwidrigkeit ändern nichts. Es bleibt dabei, dass ungewiss ist und nicht bewiesen werden kann, ob die fünf Pakete am 18. Februar 1968 im J. F. Kennedy-Flughafen geblieben oder mit dem Flug 901 nach Mexico befördert worden sind.
Die Beklagte haftet daher für den Verlust nur dann, wenn sowohl unter dem Gesichtspunkt der einen als auch unter dem der anderen Möglichkeit gesagt werden muss, er sei von den Organen oder Leuten (Hilfspersonen) der Eastern Airlines durch ein subjektiv unter Art. 10 LTR und Art. 25 WA fallendes Verhalten verursacht worden. Wenn diese Voraussetzung nur bei dem einen der beiden möglichen Sachverhalte erfüllt ist, entfällt die Haftung, weil eben auch der andere Sachverhalt möglich bleibt, die Klägerin den ihr obliegenden Beweis der Voraussetzungen unbeschränkter Haftung also nicht erbracht hat.
9.
Sollten die fünf Pakete mit dem Kurs 901 des 18. Februar abgeflogen sein, so müssten sie in Mexico angekommen sein, weil keine Zwischenlandung stattfand. Wie sie in Mexico verschwunden wären, stände aber nicht fest. Insbesondere wäre nicht bewiesen, dass dort ein Angestellter der Eastern Airlines oder der Taco International Airlines, welche die Weiterbeförderung nach Managua hätte besorgen sollen, sie gestohlen oder veruntreut habe.
Dagegen wäre zu beanstanden, dass das Personal der Eastern Airlines des J. F. Kennedy-Flughafens die Begleitpapiere nicht ebenfalls schon mit dem Kurs 901 des 18. Februar beförderte, denn dadurch müsste die unauffällige Beseitigung oder das unabsichtliche Abhandenkommen der fünf Pakete in Mexico erleichtert worden sein. Das Handelsgericht stellt jedoch verbindlich fest, die Akten böten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Papiere absichtlich in New York zurückbehalten worden seien, um eine Kontrolle bei der Ankunft in Mexico zu verunmöglichen und so einen Diebstahl zu erleichtern; die Klägerin vermöge keine konkreten Umstände namhaft zu machen, die auf ein absichtliches Handeln oder Unterlassen schliessen liessen; es müsse entweder einem Missverständnis zwischen Inspektor Marino und dem Luftfracht-Koordinator Jiminez oder einem Irrtum des letztern zugeschrieben werden, dass die Begleitpapiere in New York blieben in der Annahme, Fracht sei überhaupt nicht geladen worden. Damit ist nicht nur die
BGE 98 II 231 S. 247
Absicht, Schaden herbeizuführen, verneint, sondern es bleibt auch kein Raum für die Annahme, Jiminez oder eine andere Hilfsperson der Eastern Airlines sei sich bewusst gewesen, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde. Die mögliche Vorstellung der verantwortlichen Personen, die fünf Pakete seien mit der übrigen Fracht in New York zurückbehalten worden, schloss dieses Bewusstsein aus. Die Haftung nach Art. 10 LTR und Art. 25 WA wegen der Nichtversendung der Begleitpapiere würde deshalb entfallen. Ob die Zurückbehaltung dieser Papiere den Eintritt des Schadens geradezu im Sinne der erwähnten Bestimmung wahrscheinlich gemacht hätte, kann offen bleiben, ebenso, ob sie als "témérairement" (verwegen, waghalsig, tollkühn) erfolgt zu gelten hätte.
Wenn die fünf Pakete am 18. Februar befördert worden sein sollten, wäre möglicherweise auch zu beanstanden, dass die Eastern Airlines dem Flughafen Mexico nicht fernschriftlich von der Verfrachtung Kenntnis gab, wie ihre Vorschriften es für Wertsendungen haben wollen. Es steht jedoch nicht fest, seit wann diese Vorschriften gelten. Die Klägerin hat im kantonalen Verfahren selber darauf hingewiesen, dass sie die Daten des 3. Juli 1968 und 28. Februar 1969 tragen und "viel eher" als Folge des hier umstrittenen Verlustes erlassen worden seien. Was über die Nichtbeigabe der Begleitpapiere gesagt wurde, gilt zudem auch hier. Eine Schädigungsabsicht ist nicht bewiesen, und das Bewusstsein, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten werde, wird durch die Vorstellung des Jiminez und allfälliger weiterer Hilfspersonen, die fünf Pakete seien mit der übrigen Fracht zurückbehalten worden, ausgeschlossen. Die angebliche Verletzung von Dienstvorschriften ändert nichts; entgegen der Auffassung der Klägerin werden solche nur unbewusst übertreten, wenn der Verpflichtete sich über den Sachverhalt irrt, auf den sie angewendet werden sollten.
Die Klägerin wirft der Eastern Airlines sodann vor, die fünf Pakete seien entgegen den Vorschriften dieser Gesellschaft nicht in einem Behälter von mindestens 5000 Kubikzoll befördert worden. Sie behauptet, dieses Gut sei von Zürich-Kloten an in einem farbigen Netzsack gereist und es sei klar, dass es in New York nicht in anderer Verpackung weitergegeben worden sei.
Hierüber hat indessen das Handelsgericht nichts festgestellt, und seine Auffassung, es könnte heute nichts Näheres mehr in
BGE 98 II 231 S. 248
Erfahrung gebracht werden, gilt auch für diesen Punkt. Ausserdem ist ungewiss, in welchem Zeitpunkt die erwähnten Vorschriften erlassen wurden. Auch ist nicht zu ersehen, inwiefern der Schaden die Folge der Nichtverwendung eines Behälters wäre. Wenn die Pakete befördert wurden, müssen sie in Mexico angekommen sein, gleichgültig, ob in einem Behälter oder nicht. So oder so konnten sie in Mexico gestohlen, verlegt oder fehlgeleitet werden, zumal die Begleitpapiere und eine fernschriftliche Mitteilung über ihre Beförderung fehlten. Da die genauen Umstände, unter denen sie verschwunden sind, nicht mehr festgestellt werden können, fehlt es am Beweis des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der angeblichen Nichtverwendung eines Behälters und dem Verlust. Übrigens steht auch nicht fest, dass die Leute der Eastern Airlines den Schaden gewollt haben oder sich bewusst gewesen seien, die Versendung ohne Behälter werde wahrscheinlich zu einem Verlust führen. Dass ihr angebliches Vorgehen geradezu verwegen (téméraire) gewesen sei, könnte ebenfalls nicht gesagt werden.
Selbst wenn den Eastern Airlines ausser dem Zurückbehalten der Begleitpapiere auch die beiden anderen angeblichen Fehler vorgeworfen werden müssten und man alle drei Unterlassungen gesamthaft betrachten und als grobes Versagen, ja als ein verwegenes Verhalten bezeichnen würde, wäre für die Klägerin nichts gewonnen, denn der subjektive Tatbestand der Absicht oder des Bewusstseins wahrscheinlicher Schädigung stände dennoch nicht fest.
10.
Sollten die fünf Pakete am 18. Februar 1968 wegen des Gewichtes des Flugzeuges wieder ausgeladen worden sein, so hätten sie, wie das Handelsgericht zutreffend ausführt, bis zum 19. Februar an einem sicheren Orte verwahrt werden sollen. Das ist nach der vorinstanzlichen Feststellung nicht geschehen, weil Inspektor Marino der Meinung war, sie seien nach Mexico abgegangen und seine Aufgabe sei damit beendet. Wenn diese Meinung unzutreffend war, kann der Irrtum nicht entschuldigt werden. Marino hätte sich mit aller Sorgfalt davon überzeugen sollen, ob diese Wertsendung wirklich im Flugzeug geblieben oder wieder ausgeladen worden sei. Nach dem Auslad hätte er sie sodann genau überwachen und gegen Quittung zur Versorgung im Safe des Flughafens zurückliefern sollen. Sein Verschulden würde sich aber in blosser Fahrlässigkeit erschöpfen. Seine irrige Vorstellung, die fünf Pakete seien mit dem Flug 901
BGE 98 II 231 S. 249
am 18. Februar befördert worden, schliesst sowohl die Absicht, einen Schaden herbeizuführen, als auch das blosse Bewusstsein, dass ein solcher wahrscheinlich eintreten werde, aus. Auch steht nicht fest, dass der Luftfracht-Koordinator Jiminez oder der Rampen-Dienstmann, der die Pakete wieder ausgeladen haben mag, diese Absicht oder dieses Bewusstsein hatte. Das Handelsgericht ist der Ansicht, aus den gesamten Umständen sei nicht zu vermuten, dass sich die Beteiligten bewusst waren, ein Schaden werde mit Wahrscheinlichkeit eintreten. Darin liegt die für das Bundesgericht verbindliche Feststellung, dass der Beweis dieses Bewusstseins in bezug auf keinen der Beteiligten erbracht ist und dass um so weniger von einer Schädigungs-. absicht die Rede sein kann. Diese Feststellung schliesst eine Haftung nach Art. 10 LTR und Art. 25 WA aus.
Daran vermögen weder die Beanstandungen der Klägerin am Frachtbetrieb der Eastern Airlines im allgemeinen noch ihre Aussetzungen an der Behandlung der fünf Wertpakete nach der angeblichen Wiederausladung im besonderen etwas zu ändern. Diese Anbringen enthalten zum Teil Behauptungen, deren Richtigkeit nicht feststeht, und zum Teil betreffen sie Tatsachen, die den Verlust der fünf Pakete nicht verursacht haben können. Samt und sonders vermögen sie zudem der Eastern Airlines höchstens Unsorgfalt vorzuwerfen. Soweit die Klägerin mit ihnen eine Schädigungsabsicht oder das Bewusstsein wahrscheinlicher Schädigung darzutun versucht, beanstandet sie die vorinstanzliche Beweiswürdigung und ist daher nicht zu hören.
11.
Nach dem Gesagten haftet die Beklagte nicht für den vollen Wert der verlorenen Pakete, sondern gemäss Art. 9 lit. b LTR höchstens bis zum Betrage von Fr. 72.50 für jedes Kilogramm, was für 4'020 kg Fr. 291.45 ausmacht. Das Handelsgericht hätte prüfen sollen, ob die Beklagte der Klägerin diesen Betrag schulde, d.h. ob die fünf Pakete tatsächlich Banknoten im Werte von mindestens Fr. 291.45 enthielten und ob die Schweizerische Bankgesellschaft von der Klägerin oder den anderen Versicherern, die ihr ihre Rechte abgetreten haben, entschädigt worden sei. Eines besonderen Antrages auf Zusprechung von Fr. 291.45 bedurfte es nicht. Indem die Klägerin Ersatz des vollen Wertes von angeblich Fr. 215'000.-- verlangte, begehrte sie auch den geringeren Betrag für den Fall, dass die Beklagte ihr nicht den höheren schulde. Auch ist der Sachverhalt, aus dem sich die Schuld von Fr. 291.45 ergibt,
BGE 98 II 231 S. 250
nämlich das Gewicht und der Wert des Inhaltes der Pakete, behauptet worden; das Gewicht ist denn auch festgestellt. Auf Art. 9 LTR brauchte sich die Klägerin nicht zu berufen; denn der Richter hat das Recht von Amtes wegen anzuwenden (
BGE 91 II 65
, 214).
In der Berufungsantwort anerkennt die Beklagte die Schuld von Fr. 291.45 nebst Verzugszins vom 8. September 1969, d.h. von der Einreichung der Klage beim Friedensrichter an, aber nur für den Fall, dass das Gericht die Aktivlegitimation der Klägerin bejahen sollte. Da das Bundesgericht diese Legitimation nicht abschliessend beurteilen kann, muss es die Sache an das Handelsgericht zurückweisen. Dieses wird zu entscheiden haben, ob die Schweizerische Bankgesellschaft von den Versicherern mindestens Fr. 291.45 erhalten hat und die entsprechende Schadenersatzforderung auf die Versicherer übergegangen ist. Wenn ja, ist der Klägerin dieser Betrag als anerkannt zuzusprechen, desgleichen der anerkannte Verzugszins. Weitergehenden Zins schuldet die Beklagte dagegen nur, wenn sie schon vor dem 8. September 1969 in Verzug geraten ist. Ob das zutrifft, hat das Handelsgericht zu entscheiden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das Handelsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbc579f9-e6d0-440d-b344-9dbbcaae78a9 | Urteilskopf
113 Ia 62
10. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 22 mai 1987 dans la cause Association X. contre dame H. (recours de droit public) | Regeste
Art. 58 BV
und 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf einen unabhängigen und unparteiischen Richter; atypische Revision nach Genfer Zivilprozess.
Der Genfer Zivilprozess bietet ausreichende Garantien für die Unparteilichkeit der Behörde, die über ein gestützt auf
Art. 316 ZPO
/GE eingereichtes Revisionsgesuch zu befinden hat. | Sachverhalt
ab Seite 63
BGE 113 Ia 62 S. 63
Par écriture du 2 décembre 1986, l'Association X. a requis la revision d'un arrêt rendu le 17 octobre 1986 par la Cour de justice du canton de Genève dans la cause civile la divisant d'avec dame H. A l'appui de sa requête, elle soutenait que cette autorité avait prononcé sur choses non demandées.
La demande en revision a été soumise aux trois juges qui avaient statué le 17 octobre 1986.
Le 28 janvier 1987, l'Association X. a sollicité la récusation de ces trois juges en invoquant les art. 91 lettres a et c et 92 OJ gen.
Par décision du 16 février 1987, la Cour de justice, siégeant en plenum, a rejeté la requête.
Alléguant une violation des
art. 4 et 58 Cst.
, ainsi que de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, l'Association X. a interjeté contre cette décision un recours de droit public que le Tribunal fédéral a rejeté.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
La recourante soutient, par ailleurs, que l'organisation judiciaire genevoise n'est en soi pas compatible avec les garanties déduites directement des
art. 58 Cst.
et 6 par. 1 CEDH, dans la mesure où, s'agissant de la revision motivée par des vices de procédure, elle assigne au tribunal qui a déjà connu du différend le rôle d'une autorité de cassation. Elle y voit un danger objectif de manque d'impartialité tenant au fait que les magistrats, appelés à statuer sur leur propre erreur, pourraient être contraints, le cas échéant, de se déjuger.
a) L'
art. 58 Cst.
confère à chacun le droit d'être jugé par un juge indépendant et impartial. La garantie du juge naturel ainsi offerte par cette disposition a une portée tout aussi étendue que celle assurée par l'
art. 6 par. 1 CEDH
. Saisi d'un recours de droit public, le Tribunal fédéral examine librement si l'application non arbitraire du droit cantonal est compatible avec cette garantie.
L'impartialité peut s'apprécier selon une démarche subjective, qui conduit à déterminer ce que tel juge pensait dans son for intérieur en telle circonstance, et une démarche objective, qui consiste à rechercher si ce juge offrait des garanties suffisantes pour exclure tout
BGE 113 Ia 62 S. 64
doute légitime à cet égard. La démarche dite objective implique la prise en compte de considérations de caractère formel et organique. Elle conduit à mettre l'accent sur l'importance que les apparences mêmes peuvent revêtir. Doit dès lors se récuser tout juge dont on peut légitimement craindre un manque d'impartialité (sur cette distinction et, plus généralement, sur le problème de la garantie du juge naturel relativement au cumul des fonctions, cf. l'arrêt de principe S., du 4 juin 1986,
ATF 112 Ia 292
ss consid. 3).
En l'occurrence, la recourante ne met pas en cause l'impartialité personnelle des juges dont elle demande la récusation. Partant, il y a lieu de restreindre le présent examen à la question de savoir si, objectivement, la procédure civile genevoise offre au justiciable des garanties suffisantes quant à l'impartialité du juge ou du tribunal appelé à statuer sur une demande en revision.
b) A juste titre, la recourante ne conteste pas la constitutionnalité des dispositions topiques de la loi de procédure civile genevoise en tant qu'elles s'appliquent à une revision qualifiée par elle de "classique", soit dans l'hypothèse où le requérant invoque des éléments nouveaux par rapport à ceux dont disposait le tribunal qui a rendu le jugement faisant l'objet de la demande en revision (pour des exemples de ces éléments nouveaux, cf. SCHWEIZER, Le recours en revision, spécialement en procédure civile neuchâteloise, thèse Neuchâtel 1985, p. 84). Le Tribunal fédéral a du reste déjà eu l'occasion de reconnaître la conformité à l'
art. 58 Cst.
d'une disposition du droit de procédure cantonal laissant à l'autorité de jugement le soin de statuer sur une demande tendant à la revision de sa propre décision (
ATF 107 Ia 18
/19 et l'arrêt cité). La procédure de revision, tant civile que pénale, ne tombe, au demeurant, pas sous le coup de l'
art. 6 par. 1 CEDH
(
ATF 104 Ia 180
consid. 3 et les références; Commission européenne des droits de l'homme, Décisions et rapports, vol. 14, p. 171/172).
c) Il faut concéder à la recourante que les cas énumérés à l'
art. 316 LPC
gen., parmi lesquels figure celui qu'elle a invoqué dans sa demande en revision, sortent du cadre naturel de cette procédure et s'apparentent en réalité aux cas ouvrant la voie du recours en nullité dans la plupart des autres lois de procédure civile (SJ 1981, p. 84; voir aussi GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3e éd., p. 532, ch. 4; dans le même sens, cf.
ATF 110 Ia 137
/138 et les références). Est-il dès lors conforme à l'
art. 58 Cst.
d'assimiler cette pseudo-revision à la revision
BGE 113 Ia 62 S. 65
classique et, conséquemment, de confier au juge ou au tribunal a quo le soin de traiter la demande en revision, nonobstant la nature particulière du moyen invoqué par le requérant?
A cette dernière question, le Tribunal fédéral a déjà répondu par l'affirmative, en relevant que l'on ne saurait empêcher le législateur cantonal d'adopter la même réglementation que celle de la loi fédérale d'organisation judiciaire (art. 136 ss; voir aussi art. 66 à 68 PA; arrêt K. AG, du 15 novembre 1978, consid. 2, ZBl 80/1979, p. 538). L'argument n'est certes pas décisif en soi, du moment que le Tribunal fédéral n'a pas toujours appliqué cette réglementation à la lettre (cf.
ATF 96 I 280
consid. 2) et qu'il ne peut de toute manière pas en contrôler la constitutionnalité (
art. 113 al. 3 Cst.
). En revanche, il n'est pas indifférent de constater que le législateur genevois n'a pas été le seul à opter pour la solution critiquée, que l'on retrouve tant au niveau fédéral que dans d'autres cantons (p.ex.:
art. 216 CPC
zoug.,
art. 289 CPC
appenz. Rh.I.,
art. 340 et 341 al. 2 CPC
tessin.) ou encore à l'étranger (p.ex.: par. 579 et 580 CPC all., art. 480 ancien CPC fr.). Cette circonstance devrait exclure, à tout le moins, une condamnation anticipée et définitive de ladite solution, dont il convient au contraire d'examiner plus avant les mérites.
Il y a lieu de remarquer, préliminairement, que le parallèle que la recourante tente d'établir entre la présente affaire et celle qui a donné lieu à l'arrêt de la Cour européenne De Cubber du 26 octobre 1984 (série A, vol. 86), cité par elle, n'est guère susceptible d'apporter quelque lumière sur la question à débattre. Il est en effet impossible de transposer, tels quels, au plan de la procédure civile, les principes régissant la procédure pénale. Preuve en est d'ailleurs le fait que la revision d'un jugement pénal n'est généralement pas confiée au tribunal qui a rendu ce jugement, même lorsque c'est la règle contraire qui s'applique en matière de procédure civile (cf.
art. 136 ss OJ
et
art. 232 al. 1 PPF
;
art. 328 al. 2 LPC
gen. et
art. 359 CPP
gen.; par. 580 CPC all. et par. 140 a OJ all.). Aussi apparaît-il nécessaire d'examiner la question litigieuse au regard des seuls principes applicables dans le domaine de la procédure civile.
Considérée in abstracto, la solution consistant à laisser à un juge ou à un tribunal le soin de rectifier ses propres erreurs n'est peut-être pas la plus satisfaisante de toutes. Cependant, dès lors qu'on la replace dans le contexte particulier de l'organisation judiciaire et de la procédure civile genevoises, cette solution ne se révèle pas
BGE 113 Ia 62 S. 66
incompatible avec la garantie constitutionnelle d'un juge impartial. L'analyse des dispositions topiques, fondée sur la ratio legis et la systématique du code, enseigne en effet que la pseudo-revision, au sens de l'
art. 316 LPC
gen., constitue moins une voie de recours en nullité qu'une voie de rétractation, telle que la connaît, par exemple, le droit français en vigueur (
art. 464 CPC
; cf. VINCENT/GUINCHARD, Procédure civile, 20e éd., p. 128), et que ce moyen de droit extraordinaire vient en réalité s'ajouter aux autres voies ordinaires ou extraordinaires qui assurent déjà une protection suffisante au justiciable genevois. De fait, comme le souligne à juste titre la cour cantonale, le législateur genevois a estimé que certains vices de procédure apparents pouvaient être corrigés sans inconvénient, et même avec quelque avantage, par le juge ou le tribunal qui en était responsable (cf. Exposé des motifs de la LPC gen. par P.-F. BELLOT, 4e éd., 1877, p. 98/99). Il ressort en outre de l'examen systématique de la loi de procédure civile genevoise que la revision atypique y fait double emploi avec l'appel en ce qui concerne les jugements de première instance (
art. 338 et 339 LPC
gen.). En revanche, dans la mesure où elle a trait aux jugements d'appel (
art. 365 et 366 LPC
gen.), elle offre aux plaideurs la possibilité d'obtenir de la cour cantonale qu'elle rectifie elle-même ses propres erreurs. Elle leur accorde ainsi une faculté dont ne bénéficient pas les ressortissants des cantons qui, tel celui de Genève, ne possèdent pas de cour de cassation civile, et qui, contrairement à ce dernier, n'ouvrent pas la voie de la revision dans les cas prévus à l'
art. 316 LPC
(le canton du Valais, p.ex). Il s'agit bien là d'une faculté supplémentaire, puisque, dans cette hypothèse, la décision d'irrecevabilité ou de rejet de la demande en revision peut encore être entreprise par un recours de droit public fondé, notamment, sur une application arbitraire du droit cantonal de procédure (cf. arrêt non publié Föllmi, du 16 novembre 1984, consid. 1).
Moyen de droit extraordinaire et voie de rétractation, la pseudo-revision apparaît dès lors comme une arme spécifique dans l'arsenal que la législation genevoise fournit aux plaideurs. Que la demande en revision soit, dans ce cas également, traitée par le juge ou le tribunal qui a rendu le premier jugement, ce n'est là que la conséquence logique de la nature particulière de cette institution. Partant, si l'on tient compte, comme il se doit, de sa spécificité, la revision sui generis de l'
art. 316 LPC
gen. satisfait aux exigences de l'
art. 58 Cst.
, puisqu'elle tend en définitive à renforcer la protection du justiciable dans un
BGE 113 Ia 62 S. 67
domaine où le droit fédéral ne l'impose pas (cf.
ATF 109 Ia 107
ss; SCHWEIZER, op.cit., p. 310/311). | public_law | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cbc912fd-970d-45e0-90ee-26dedf1e9e6f | Urteilskopf
91 II 257
39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1965 i.S. W. gegen Z. | Regeste
Vaterschaftsklage.
Beweis der Vaterschaft des Beklagten, dessenletzter Geschlechtsverkehr mit der Kindsmutter 321 Tage vor der Geburt stattfand, auf Grund ärztlicher Befunde, welche diese Tragzeit dartun.
Einwand der geringen prozentualen Wahrscheinlichkeit (nach Labhardt) der Zeugung zu jenem Zeitpunkt ist unbehelflich. | Sachverhalt
ab Seite 257
BGE 91 II 257 S. 257
A.-
Anita Z. gebar am 9. Februar 1963 ausserehelich das Mädchen Manuela. Das Kind wies bei der Geburt eine Länge von 51 cm und ein Gewicht von 3650 gr auf. Als Vater des Kindes bezeichnete und belangte sie A. W., mit dem sie seit längerer Zeit ein ernsthaftes Liebesverhältnis mit intimem Verkehr unterhalten hatte. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien hatte vor Beginn der kritischen Zeit im Sinne von
Art. 314 Abs. 1 ZGB
(15. April-13. August 1962), nämlich am 24. oder 25. März 1962 stattgefunden, so dass bei einer Konzeption bei diesem Anlass sich eine Tragzeit von 322 oder 321 Tagen ergibt. Der Beklagte bestreitet deshalb seine Vater schaft.
Das Bezirksgericht Gaster wies mit Urteil vom 20. Mai 1964 die Vaterschaftsklage von Mutter und Kind ab, mit der Begründung, da bei der mehr als 300 Tage zurückliegenden Beiwohnung die Vermutung des
Art. 314 Abs. 1 ZGB
nicht
BGE 91 II 257 S. 258
Platz greife, hätten die Klägerinnen den Beweis der Vaterschaft des Beklagten erbringen müssen, was ihnen nicht gelungen sei.
Auf Appellation der Klägerinnen hat dagegen das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteil vom 11. Februar 1965 die Klage gutgeheissen und den Beklagten zu den gesetzlichen Leistungen verurteilt. In Würdigung der Atteste bzw. Gutachten von sieben Ärzten gelangt die Vorinstanz zur Annahme, die Schwangerschaft gehe tatsächlich auf eine Ende März 1962 erfolgte Konzeption zurück; das Kind sei übertragen, und es liege nicht der geringste Anhaltspunkt für einen in jener Zeit vorgekommenen Verkehr der Kindsmutter mit einem Dritten vor. Dass die durchschnittliche Konzeptionswahrscheinlichkeit nach den Labhardtschen Tabellen für die Dekade vom 16.-25. März 1962 nur 0,25% betrage, spreche in casu nicht entscheidend gegen die Konzeption am 24./25. März, weil die von den Ärzten erhobenen Befunde eben für einen Schwangerschaftsbeginn Ende März 1962 sprächen. Auf Folgerungen aus der Theorie betr. Fruchtbarkeitszyklus (Knaus/Ogino) könne wegen der Unsicherheit der Angaben der Kindsmutter über ihre letzte Periode vor dem 24./25. März 1962 nicht abgestellt werden. Durch die Blutexpertise habe der Beklagte als Vater nicht ausgeschlossen werden können.
B.-
Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte Aufhebung dieses Urteils und Abweisung der Klage.
Die Klägerinnen tragen auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils, ev. Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Abnahme weiterer Beweise an.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
(1. Die Klägerin kann sich nicht auf die Vermutung nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
berufen, sondern muss gemäss den gesetzlichen Beweisregeln [
Art. 8 ZGB
] die Vaterschaft des Beklagten beweisen. Keine solchen Beweisregeln verletzt).
(2. Ebensowenig hat die Vorinstanz
Art. 314 ZGB
verletzt. Sie ist gerade nicht von der Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ausgegangen, sondern hat auf Grund eingehender Beweiswürdigung - zahlreicher ärztlicher Befunde - festgestellt, dass die Schwangerschaft auf jene Beiwohnung zurückgehe; Feststellung für das Bundesgericht verbindlich).
3.
Sofern sich der Berufungskläger etwa darauf berufen
BGE 91 II 257 S. 259
wollte - z.B. durch seinen Hinweis, für eine Zeugung des Kindes durch ihn sei nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,25% gegeben -, die Vorinstanz habe den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verkannt, was vom Bundesgericht überprüft werden könne (
BGE 87 II 71
E. 3 mit Hinweisen), geht dieser Einwand fehl.
In der gynaekologischen Wissenschaft wird allgemein anerkannt, dass die obere Grenze von 300 Tagen, die nach
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zur Begründung der Vaterschaftsvermutung ausreicht, zu tief angesetzt ist, da Tragzeiten bis zu 350 Tagen möglich und auch schon beobachtet worden sind (vgl. dazu NAUJOKS, Gerichtliche Geburtshilfe, S. 101; PODLESCHKA, Das geburtshilfliche Gutachten im Vaterschaftsprozess, S. 51 ff. insbes. S. 64; HOSEMANN, Tragzeitgutachten, in Beitzke/Hosemann/Dahr/Schade, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, S. 33 f.; DETTLING/Schönberg/Schwarz, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 323; LABHARDT, Die Berechnung des Konzeptionstermins aus der Kindslänge im Vaterschaftsprozess, Schweiz. Medizinische Wochenschrift, 1944 Nr. 5 am Ende S. 132). Es ist zwar richtig, dass solche lange Tragzeiten ausserordentlich selten sind, wie die zitierten Autoren übereinstimmend bemerken. Deshalb darf aber der Richter nicht zum vornherein davon ausgehen, der Beweis der Vaterschaft sei nicht zu erbringen, etwa mit der Begründung, nach den Tabellen von Labhardt betrage die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung 321 oder 322 Tage vor der Geburt nur 0,12%, was einer praktischen Unmöglichkeit gleichkomme. So lässt sich nur folgern, wenn mehrere Beiwohnungen in Betracht fallen, für deren eine nach den Statistiken eine viel grössere Wahrscheinlichkeit der Konzeption besteht als für andere. Sind daher - wie vorliegend - überhaupt keine Anhaltspunkte für einen Drittverkehr der Kindsmutter vorhanden, so kommt es nicht auf den höheren oder geringern Grad der Wahrscheinlichkeit einer Zeugung durch den als Vater des Kindes bezeichneten Mann an, solange sie nach dem Zeitpunkt des letzten Geschlechtsverkehrs nicht als geradezu ausgeschlossen gelten kann. Die Klägerschaft muss daher zum Beweise zugelassen werden, dass eine Übertragung vorliegt. Diesen Beweis hat die Vorinstanz in casu als erbracht angesehen und zwar nicht etwa gestützt bloss auf einen Wahrscheinlichkeitsgrad, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als nicht ausreichend
BGE 91 II 257 S. 260
zu betrachten wäre, sondern sie hat abgestellt auf die Berichte der Ärzte, welche die Kindsmutter während der Schwangerschaft untersucht und behandelt haben, sowie - vor allem - auf das Gutachten von PD Dr. O. Stamm. Aus dem Vorliegen einer Übertragung innerhalb der von der Wissenschaft als möglich bezeichneten Grenzen durfte die Vorinstanz in Anbetracht der Tatsache, dass nicht die geringsten Anhaltspunkte für einen Drittverkehr der Kindsmutter vorhanden sind, ohne Verletzung von Beweisvorschriften des Bundesrechts den Schluss ziehen, dass der Beklagte das Kind Manuela gezeugt habe.
Erweist sich mithin die Berufung zweifellos als unbegründet, ist sie gemäss
Art. 60 Abs. 2 OG
ohne öffentliche Beratung zu erledigen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen (II. Zivilkammer) vom 11. Februar 1965 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbcee90e-0d62-421b-862f-d6e8c51f350c | Urteilskopf
89 III 54
12. Arrêt du 19 juin 1963 dans la cause Aufina AG | Regeste
Abzahlungsvertrag mit Eigentumsvorbehalt.
Der nach
Art. 226 a Abs. 2 OR
(Ziff. 5) im Vertrag anzugebende Gesamtkaufpreis umfasst den Preis bei sofortiger Barzahlung (Ziff. 3) und den Teilzahlungszuschlag (Ziff. 4).
Eine dem Käufer belastete Kaskoversicherungsprämie stellt eine "andere Leistung" (Ziff. 6) dar, die gesondert neben dem Gesamtkaufpreis anzugeben ist. (Erw. 1).
Ein Zuschlag für "Kreditprüfungskosten" kann gesondert neben dem Gesamtkaufpreis angegeben werden; jedenfalls hat der um Eintragung des Eigentumsvorbehalts ersuchte Betreibungsbeamte dieses Vorgehen nicht zu beanstanden (Erw. 2).
Art. 226 a Abs. 2 und 3 OR
. Art. 4 Abs. 5 lit. a der Verordnung betreffend die Eintragung der Eigentumsvorbehalte. | Sachverhalt
ab Seite 55
BGE 89 III 54 S. 55
A.-
Le 26 avril 1963, la société anonyme Aufina, à Brougg, a produit à l'Office des poursuites du Val de-Travers, pour qu'il inscrive la réserve de propriété, le contrat de vente par acomptes d'une voiture automobile signé le 13 avril précédent par Willy Baudat, qui y autorisait le vendeur, le garage Piaget et Brügger à La Côteaux-Fées, à requérir l'inscription; celui-ci lui avait cédé ses droits. Le prix de vente global ne comprenait pas deux suppléments, l'un pour "frais d'examen de crédit" (15 fr.) et l'autre pour "casco partiel pour 24 mois" (168 fr.). Seul un "supplément pour 24 mois" était ajouté au prix de vente au comptant.
Le 21 mai 1963, le préposé a refusé de procéder à l'inscription pour le motif que le prix de vente global était mal calculé.
B.-
Le 29 mai 1963, l'Autorité neuchâteloise de surveillance a rejeté la plainte formée par la requérante contre ce refus.
C.-
Aufina AG recourt contre cette décision à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
La Chambre de céans a jugé le 10 avril 1963 (arrêt Kredit-Bank AG, RO 89 III 27) et le 6 juin suivant (arrêt Aufina AG) que l'indication du prix de vente global (art. 226 a al. 2 ch. 5 CO) ne devait obligatoirement comprendre que le prix de vente au comptant (ch. 3) et le supplément de prix, indiqué en francs, résultant du paiement par acomptes (ch. 4; Teilzahlungszuschlag). Le supplément pour casco constitue une . autre prestation (ch. 6) de l'acheteur, qu'il est permis de ne mentionner que séparément.
BGE 89 III 54 S. 56
Peu importe, à cet égard, que le casco soit "complet" ou "partiel" et que, dans le second cas, il soit convenu spécialement pour la durée du crédit. Certes, celui qui finance l'opération exige dans son intérêt que le propriétaire de la voiture vendue conclue l'assurance, le paiement des primes étant mis à la charge de l'acheteur. Il est aussi vrai que cet intérêt ne va pas au-delà de la durée du crédit et que cette assurance, d'ordinaire, est plutôt rare. Mais celle-ci profite en même temps à l'acheteur, auquel sont passés, dès la conclusion du contrat, les risques de la chose (art. 185 CO). En outre - et cela est décisif - le paiement des primes n'est pas, par sa nature, un élément ou un supplément du prix de vente. Le risque que l'assurance est destinée à couvrir, ce n'est pas le défaut de solvabilité ou l'intention de ne pas payer du débiteur, soit un risque propre au paiement par acomptes, c'est la perte de la chose qui ne concerne pas en principe le versement du prix de vente par acomptes. Certes, le paiement différé - garanti par la réserve de propriété - engage le prêteur, désireux de réussir l'ensemble de l'opération économique, à exiger la conclusion d'une assurance casco pour la durée du crédit. Il reste que la prestation correspondante mise à la charge de l'acheteur n'est pas un élément du prix de vente, mais une "autre prestation" au sens du chiffre 6 de la disposition légale. Pour cette raison, il n'est pas nécessaire, pour que le contrat soit valide, que le prix de vente global la comprenne (Gesamtkaufpreis et non Gesamtbelastung, dit le premier arrêt cité).
2.
Il n'en va pas aussi manifestement de même, en revanche, des "frais d'examen de crédit". Dans tout contrat de vente, les parties se demandent si leur partenaire est en mesure de remplir ses obligations, et en particulier si on peut lui faire crédit, pour le paiement du prix surtout, lorsque l'exécution n'a pas lieu trait pour trait. Les frais qui en résultent, le cas échéant, ne constituent pas nécessairement un supplément propre au paiement par acomptes. Celui-ci comprend avant tout un intérêt et la couverture
BGE 89 III 54 S. 57
du risque couru en raison de l'octroi d'un crédit. Toutefois, pour se décider à vendre par acomptes, l'aliénateur doit être spécialement prudent; ses précautions et ses recherches seront plus poussées. Résultant donc le plus souvent, et dans une large mesure, du paiement par acomptes, les frais engagés à ce point de vue sont visés en principe par le chiffre 4 de la disposition légale (RO 89 III 31: Zinse, Risikoprämie und das Entgelt für Umtriebe; Darms, Sten.Bull. StR 1961, p. 107). Il serait naturel de les incorporer simplement au supplément de prix, sans les mentionner sous une rubrique spéciale.
On ne saurait objecter que le crédit est accordé par la société de financement et que, dès lors, c'est elle qui se préoccupe de la solvabilité de l'acheteur et engage des frais en vue de se renseigner. Elle n'est en effet que le tiers cessionnaire des droits du vendeur; celui-ci et l'acheteur s'engagent seuls directement par le contrat de vente; les "frais d'examen de crédit" constituent donc une prétention du vendeur. (Il est du reste probable que d'autres prestations de l'acheteur, au terme de l'opération économique prise dans son ensemble, sont acquises à la seule société de financement ou se répartissent à tout le moins entre elle et le vendeur.)
Ces considérations ne sont toutefois pas décisives. Seul le juge décide de la validité ou de la nullité d'un contrat et détermine les prétentions qui sont garanties par la réserve de propriété inscrite (RO 89 III 32). Le préposé, au contraire, se prononce rapidement et prima facie; il ne tranche pas ces questions; son inscription n'en préjuge pas la solution. Aussi bien, lorsque, comme en l'espèce, une certaine hésitation est concevable et que l'importance de la question litigieuse est minime au regard de l'ensemble du contrat - valable sur les autres points -, il paraît inopportun de refuser d'inscrire le pacte, vu la portée limitée de l'opération. Il peut être au contraire décisif que l'inscription soit effectuée à temps: si elle fait défaut, la réserve de propriété n'est pas valable (art. 715 CC).
BGE 89 III 54 S. 58
Il va de soi que si les intéressés au contrat de vente par acomptes voulaient éluder la rigueur de la loi par le biais du poste "frais d'examen de crédit" ou de toute autre manière, les considérations qui précèdent n'emporteraient plus la décision de la Chambre de céans. Il n'en a pas été ainsi en l'espèce.
3.
Vu ce qui précède, le préposé doit inscrire définitivement le pacte de réserve de propriété contenu dans l'acte de vente signé par Baudat; le contrat sur la base duquel l'inscription est requise, examiné prima facie, paraît contenir les énonciations exigées pour sa validité (art. 4 al. 5 litt. a OIPR, teneur du 29 octobre 1962, ROLF 1962 p. 1400; art. 226 a al. 3 CO).
Dispositiv
Par ces motifs, la Chambre des poursuites et des faillites
admet le recours, annule la décision attaquée et ordonne à l'Office des poursuites du Val-de-Travers d'inscrire définitivement le pacte de réserve de propriété convenu dans l'acte de vente passé le 13 avril 1963 entre Willy Baudat et le Garage Piaget et Brügger (qui a cédé ses droits à la recourante). | null | nan | fr | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cbd19762-57db-476e-86cd-ddea0b9cf3d5 | Urteilskopf
117 Ia 141
25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. März 1991 i.S. S. gegen Gemeinde Sils i. E. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 22ter BV
; Beschränkung des Zweitwohnungsbaus.
1. Die Regelung der Gemeinde Sils i. E., wonach Zweitwohnungen nur zulässig sind, wenn pro Parzelle mindestens 25% der Bruttogeschossfläche als Erstwohnungsanteil zur Verfügung gestellt werden und dieser Anteil mindestens 80 m2 ausmacht, liegt im öffentlichen Interesse und verletzt die Eigentumsgarantie nicht (E. 2).
2. Im vorliegenden Fall erlaubt das geringe Ausmass der Parzelle lediglich den Bau einer Erstwohnung. Es ist nicht unverhältnismässig, eine Ausnahmebewilligung für den Bau einer Zweitwohnung zu verweigern (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 142
BGE 117 Ia 141 S. 142
Auf seiner Parzelle von rund 800 m2 darf S. Wohnraum mit einer Bruttogeschossfläche von 94,43 m2 verwirklichen. Das Grundstück unterliegt nach Art. 62 des Gemeindebaugesetzes vom 17./20. Februar 1989 folgenden "Allgemeinen Nutzungsvorschriften":
"Förderung Erstwohnungsbau/Einschränkung Zweitwohnungsbau
Bei der Schaffung von neuem Wohnraum in der Dorfkernzone und den Wohnzonen ist pro Parzelle mind. 25% der Bruttogeschossfläche als sogenannter Erstwohnungsanteil zur Verfügung zu stellen; der Rest darf als Zweitwohnungsanteil beansprucht werden. Bauten, welche lediglich eine einzelne Wohnung aufweisen, sind 100%ig als Erstwohnung auszugestalten. Der Erstwohnungsanteil muss, sofern soviel Bruttogeschossfläche vorhanden ist, mindestens eine Wohnung mit einer Bruttogeschossfläche von 80 m2 ergeben:
(...)
Als Erstwohnungen gelten die der ortsansässigen Bevölkerung zur Verfügung gestellten Wohnungen, deren Zweckbestimmung grundbuchlich sichergestellt ist. Zweitwohnungen sind alle nicht zu den Erstwohnungen zählenden Wohnungen mit Ausnahme von Wohneinheiten in gastwirtschaftlich genutzten Betrieben, welche bei der Errechnung des Verhältnisses gemäss Abs. 1 ausser Betracht fallen."
S. beabsichtigt, auf dem Grundstück ein Haus mit zwei Wohnungen zu bauen. Die Bruttogeschossfläche von 94,43 m2 möchte er für eine Einzimmerwohnung von 30,57 m2 (25% der verfügbaren Bruttogeschossfläche) und eine Zweizimmerwohnung von 60,64 m2 (75% der verfügbaren Bruttogeschossfläche) verwenden. Die Einzimmerwohnung will er als Erstwohnung an den Kurverein vermieten, die Zweizimmerwohnung einstweilen als Zweitwohnung vermieten und zwei Wochen pro Jahr selbst bewohnen.
Der Gemeindevorstand von Sils i. E. wies das entsprechende Baugesuch von S. am 6. August 1990 ab, weil der Erstwohnungsanteil nicht mindestens 80 m2 der Bruttogeschossfläche betrage und deshalb Art. 62 des Gemeindebaugesetzes verletzt sei. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden am 25. Oktober 1990 ab.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 3. Dezember 1990 beantragt S. im wesentlichen, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 117 Ia 141 S. 143
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Gemeinde den Zweitwohnungsbau durch Vorschriften über minimale Erstwohnungsanteile beschränken darf. Er behauptet jedoch, es sei verfassungswidrig, dabei generell - ungeachtet der Parzellengrösse - eine Minimalgrösse von 80 m2 Bruttogeschossfläche zu verlangen.
a) Die streitige Vorschrift über die Mindestgrösse der Erstwohnungen stellt eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung dar. Sie ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, sofern sie auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (
Art. 22ter BV
;
BGE 115 Ia 351
). Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorhandensein der gesetzlichen Grundlage nicht. Zu prüfen ist lediglich, ob die fragliche Eigentumsbeschränkung durch ein hinreichendes öffentliches Interesse gedeckt ist, das die entgegenstehenden Privatinteressen überwiegt. Diese Frage prüft das Bundesgericht grundsätzlich frei; es auferlegt sich jedoch Zurückhaltung, soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden besser überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen, deren Beantwortung den primär für die Ortsplanung verantwortlichen Behörden überlassen bleiben muss (
Art. 2 Abs. 3 RPG
;
BGE 115 Ia 352
E. a).
b) Mit dem fraglichen Art. 62 des Gemeindebaugesetzes soll der Erstwohnungsbau gefördert und der Zweitwohnungsbau beschränkt werden. Das Bundesgericht hat schon mehrfach festgehalten, dass solche siedlungspolitische Vorschriften grundsätzlich mit der Eigentumsgarantie (
Art. 22ter BV
) vereinbar sind, sofern sie im Zielbereich der verfassungsrechtlichen Raumplanungsaufgabe (
Art. 22quater BV
) liegen (
BGE 112 Ia 66
E. 3b mit Hinweisen). Die Raumplanung soll der geordneten Besiedlung des Landes dienen (
Art. 22quater Abs. 1 BV
), beinhaltet somit auch Gesichtspunkte der Siedlungspolitik, was sich auch aus den gesetzlichen Zielen und Grundsätzen der Raumplanung ergibt (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. b und c,
Art. 3 Abs. 3 RPG
). Insbesondere gilt es, wohnliche Siedlungen zu schaffen und zu erhalten sowie das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den einzelnen Landesteilen zu fördern und auf eine angemessene Dezentralisation der Besiedlung hinzuwirken (
Art. 1 Abs. 2 lit. b und c RPG
).
BGE 117 Ia 141 S. 144
Das Bundesgericht hat denn auch mehrmals die Verfassungsmässigkeit von Massnahmen zur Bekämpfung des Wohnungsmangels bejaht (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1989 i.S. Stadt Zürich, publiziert in: ZBl 90/1989 S. 456 E. b, mit zahlreichen Hinweisen). Im speziellen hat es das Bestehen eines erheblichen öffentlichen Interesses an einem Abbruch- bzw. Zweckänderungsverbot für Wohnhäuser in Basel-Stadt zur Erhaltung billiger Wohnungen bejaht (
BGE 99 Ia 35
ff.) und dieses als taugliches Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot anerkannt (
BGE 99 Ia 40
). Ebenso hat es grundsätzlich ein gewichtiges öffentliches Interesse am stadt-zürcherischen Wohnanteilplan (WAP), mit welchem minimale Wohnflächenanteile in den Wohnzonen und in der Kernzone festgelegt werden (
BGE 112 Ia 270
E. 2b;
BGE 111 Ia 98
E. 2b), und an der Unterstellung der Stadt Zürich unter das Gesetz über die Erhaltung von Wohnungen für Familien (WEG), welches eine Bewilligungspflicht für den Abbruch, Umbau und die Zweckänderung von Familienwohnungen unabhängig von ihrer Zonenzugehörigkeit statuiert, erblickt. Darüberhinaus hat das Bundesgericht die gleichzeitige Geltung von WEG und WAP in der Stadt Zürich als mit der Eigentumsgarantie vereinbar erklärt (Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1989 i.S. Stadt Zürich, in: ZBl 91/1990 S. 456, E. 5b). In weiteren Entscheiden hat es die Hauptwohnungsanteilregelung von Bever als grundsätzlich im öffentlichen Interesse liegend und zwecktauglich betrachtet (
BGE 112 Ia 65
ff.) sowie dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Bewilligungspflicht für die Veräusserung von Wohnungen, an welchen auf dem Genfer Wohnungsmarkt Mangel herrscht, mit der Eigentumsgarantie vereinbar ist (
BGE 113 Ia 132
ff. E. 6 und 7).
c) Die Gemeinde legt dar, dass ein starkes Interesse der einheimischen Bevölkerung an Wohnraum bestehe; es gelte daher, den Erstwohnungsbau zu fördern. Da in der Gemeinde wie im ganzen Oberengadin vor allem Familienwohnungen sehr rar und sehr teuer seien, müssten diese Erstwohnungen eine Fläche aufweisen, welche Familien mit Kindern genügend Raum böten. Diese raumplanerisch-sozialpolitischen Gründe und das Interesse an einem funktionierenden Boden- und Wohnungsmarkt hat das Bundesgericht bereits als im öffentlichen Interesse liegend anerkannt (
BGE 112 Ia 71
). Vor allem darf sich eine Gemeinde bemühen, über den grössten Teil des Jahres hinweg leerstehende Häuser und Quartiere sowie den Bau von überproportionierten, häufig unterbeanspruchten Infrastrukturanlagen zu vermeiden (vgl. BLAISE KNAPP,
BGE 117 Ia 141 S. 145
La limitation des résidences secondaires, in: Repertorio di giurisprudenza patria 118/1985, S. 1 ff.). Die Förderung des Erstwohnungsanteils muss sich zudem nicht mit der Forderung begnügen, bei jedem Neubau sei eine Erstwohnung einzurichten. Vielmehr kann es im öffentlichen Interesse liegen, bei Wohnungen gewisse Qualitätsanforderungen wie beispielsweise Mindestgrössen zu stellen (vgl.
BGE 103 Ia 421
). So hat das Bundesgericht eine kommunale Vorschrift, welche eine Minimalfläche von 85 m2 für Erstwohnungen vorschrieb, als verfassungsmässig erklärt, insbesondere auch, weil sie den Bau von Zweitwohnungen nicht generell verunmöglichte, sondern nur beschränkte (Urteil des Bundesgerichts vom 23. Dezember 1983 i.S. Erlenbach E. 3b, publiziert in: BVR 1984 S. 134).
d) Der Beschwerdeführer möchte auf seiner Parzelle von rund 800 m2 zwei Wohnungen bauen, wofür ihm aber bloss eine Bruttogeschossfläche von gut 90 m2 zur Verfügung steht. Die kritisierte Vorschrift bewirkt, dass er an die Erstwohnung 80 m2 statt der beabsichtigten gut 30 m2 abgeben muss und ihm für die Zweitwohnung statt gut 60 m2 nur noch gut 14 m2 verbleiben. Dadurch wird im geplanten Gebäude der Erstwohnungsanteil von gesetzlich mindestens 25% auf rund 85% der Bruttogeschossfläche vergrössert. Die praktische Folge der streitigen Bestimmung ist, dass - nach der Berechnung des Beschwerdeführers - für die Zweitwohnung unter Berücksichtigung von Dusche, WC, Lavabo, Küchenmöbeln, Innen- und Aussenwandgrundflächen sowie Windfang nur noch knapp 4 m2 Nettowohnfläche verbleiben. Im Ergebnis bedeutet das, dass der Beschwerdeführer bloss eine einzige Wohnung von gut 90 m2 erstellen darf und kann, die zudem als Erstwohnung dienen muss.
e) Das private Interesse des Beschwerdeführers, auf seiner Parzelle zwei Wohnungen bauen zu können, vermag gegen die in Frage stehenden öffentlichen Interessen an der streitigen Regelung nicht aufzukommen. Zu Recht stellt der Beschwerdeführer selbst nicht grundsätzlich in Frage, dass Dörfer wie die Gemeinde Sils i. E. auf Familien mit Kindern angewiesen sind, um lebensfähig bleiben zu können. Unzutreffend ist sein Einwand, aufgrund der fraglichen Vorschrift müssten in der Gemeinde nun alle Wohnungen mindestens 80 m2 gross sein; die Regelung ist erst vor kurzem in Kraft getreten und kann lediglich der Korrektur des Angebots für die Zukunft dienen. In dem Masse, als die Anzahl der gewünschten Wohnungen zunehmen sollte, werden diese wohl
BGE 117 Ia 141 S. 146
auch billiger. Keinesfall begründet ist es, von unrationeller Nutzung zu sprechen, wenn Raum für Familien angeboten wird. Die Pflicht, einen bestimmten Anteil der Bruttogeschossfläche als Erstwohnung mit einer gesetzlich fixierten Minimalfläche zur Verfügung zu stellen, wirkt für einen Bauherrn gleich wie andere bau- und planungsrechtliche Vorschriften. Auch die gesetzliche Begrenzung auf eine bestimmte Anzahl von Stockwerken oder die Pflicht zur Erstellung von Parkplätzen, Erschliessungsstrassen, Kinderspielplätzen oder Gemeinschafts- und Zivilschutzräumen beschränkt den Bauherrn in seiner Baufreiheit. Will er bauen, hat er sich daran zu halten. Kann oder will er dies nicht tun, darf die Baubehörde die von ihm beabsichtigte Baute nicht bewilligen. Dass der Beschwerdeführer faktisch lediglich eine einzige Wohnung bauen kann und diese als Erstwohnung genutzt werden muss, hat er in Kauf zu nehmen. Sein Interesse, jährlich zwei Wochen Ferien in einer Zweitwohnung verbringen zu können, ist klein; zudem erwog er ohnehin, allenfalls auch die Zweitwohnung als Erstwohnung zu vermieten. Es ist dem Beschwerdeführer ferner nicht verwehrt, die einzige, zulässige Wohnung zur Zeit - nach seinen Angaben für sechs Jahre - zu vermieten und sie dannzumal, wenn er nach Sils i. E. umziehen will, selber als Erstwohnung zu beziehen. Die Beschwerde erweist sich demnach insoweit als unbegründet.
4.
Nach bündnerischem Recht darf eine Gemeinde, wenn die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen eine unverhältnismässige Härte bedeutet, Ausnahmen von einzelnen Vorschriften gewähren, wenn dadurch keine öffentlichen Interessen verletzt werden (Art. 9 Abs. 1 des Raumplanungsgesetzes für den Kanton Graubünden vom 20. Mai 1973; Art. 4 BauG). Der Beschwerdeführer beansprucht eine derartige Ausnahme mit der Begründung, die ihm verbleibende Nettofläche von 3,82 m2 sei zu klein für eine Kleinwohnung. Die Verweigerung einer Ausnahmebewilligung missachte das Verhältnismässigkeitsprinzip in grober Weise.
Eine Ausnahmebewilligung, wie sie der Beschwerdeführer verlangt, bezweckt, im Einzelfall Härten und offensichtliche Unzweckmässigkeiten, d.h. offensichtlich ungewollte Wirkungen zu beseitigen, die mit dem Erlass der Regel nicht beabsichtigt waren. Sie darf dagegen nicht eingesetzt werden, um generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer anführen liessen, weil auf diesem Wege das Gesetz selber abgeändert würde (
BGE 107 Ia 216
; vgl.
BGE 112 Ib 53
E. 5). Diesen Weg aber beschritte die
BGE 117 Ia 141 S. 147
Baubehörde, wenn sie im vorliegenden Fall eine Härte anerkennen würde. Sie öffnete Tür und Tor, um Parzellen im erwähnten Sinne zu unterteilen und damit die Minimalvorschrift zu unterlaufen. Zudem ergibt sich aus Art. 62 des Gemeindebaugesetzes selber, dass die Grundeigentümer in Kauf nehmen müssen, wegen der Vorschrift nur eine einzige Wohnung bauen zu dürfen. Von einer Härtesituation kann im vorliegenden Fall somit keine Rede sein. | public_law | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cbd1e25e-2a87-422e-8b79-ff38a085c912 | Urteilskopf
106 Ia 161
31. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 3. Oktober 1980 i.S. Bucher gegen Schöb, Gemeinderat Arbon und Regierungsrat des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; rechtliches Gehör.
Die Nichtabnahme eines bereits zugelassenen Beweismittels (hier einer Expertise) verstösst nicht gegen
Art. 4 BV
, wenn das Beweismittel als nicht mehr erheblich oder tauglich erscheint. | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 106 Ia 161 S. 161
Hans Schöb erhob beim Regierungsrat des Kantons Thurgau Beschwerde mit dem Antrag, es sei Ida und Eugen Bucher der Betrieb ihrer in Arbon geführten Diskothek zu untersagen. Anlässlich einer gemeinsamen Besprechung einigten sich die Parteien und die Vertreter des Regierungsrates darauf, dass durch eine Expertise abgeklärt werden solle, ob bauliche Veränderungen die von der Diskothek ausgehenden Immissionen massgeblich vermindern könnten. In der Folge hiess der Regierungsrat die Beschwerde Schöbs gut, ohne den Eingang der Expertise abzuwarten. Das Bundesgericht heisst die dagegen gerichtete staatsrechtliche Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Beschwerdeführer rügen, der Regierungsrat habe
Art. 4 BV
verletzt, weil er den angefochtenen Beschluss
BGE 106 Ia 161 S. 162
gefasst habe, ohne das Ergebnis der in Auftrag gegebenen Expertise abzuwarten. Nachdem die Einholung dieser Expertise beschlossen worden sei, habe der Regierungsrat den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende gehen müssen. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nicht geltend gemacht, dass der Regierungsrat gegen Vorschriften des kantonalen Rechts verstossen habe. Es ist daher einzig zu prüfen, ob der unmittelbar aus
Art. 4 BV
folgende, also bundesrechtliche Gehörsanspruch gewahrt sei. Das Bundesgericht prüft diese Frage mit freier Kognition (
BGE 105 Ia 194
E. 2 mit Hinweisen).
b)
Art. 4 BV
gibt dem Bürger nicht nur im Zivil- und Straf-, sondern auch im Verwaltungsverfahren grundsätzlich Anspruch darauf, dass er vor dem Erlass einer in seine Rechtsstellung eingreifenden Verfügung angehört werde (
BGE 105 Ia 194
E. 2;
BGE 104 Ia 67
E. 2b mit Hinweisen). Daraus folgt für die entscheidende Behörde die Pflicht, die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen (
BGE 101 Ia 103
E. 3), es sei denn, diese beträfen eine nicht erhebliche Tatsache oder seien offensichtlich untauglich, um über die streitige Tatsache Beweis zu erbringen (
BGE 101 Ia 104
E. 4). Mit den geschilderten Vorbringen vertreten die Beschwerdeführer die Auffassung, dass die Behörde auf die Abnahme eines Beweismittels nicht mehr verzichten könne, wenn dieses einmal zugelassen worden sei. Nach der Anordnung einer Expertise müsse demnach mit der Beurteilung der Sache zugewartet werden, bis deren Ergebnis bekannt sei und dem Entscheid zugrunde gelegt werden könne. Andernfalls verstosse die Behörde gegen
Art. 4 BV
, und zwar nicht nur gegen den durch diese Bestimmung gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern auch gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und gegen das Gebot von Treu und Glauben. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Zulassung eines Beweismittels, namentlich die Anordnung einer Expertise, vermag die entscheidende Behörde nicht zu binden. Diese kann zwar nicht nachträglich auf ein Beweismittel verzichten, auf dessen Abnahme der Bürger nach den dargelegten Grundsätzen Anspruch hat. Wenn sich im Verlaufe des Verfahrens jedoch zeigt, dass das Beweismittel entgegen der ersten Annahme nicht erheblich oder nicht tauglich ist, so kann die Behörde auf ihre Beweisverfügung ohne Verletzung des bundesrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör zurückkommen. Sie verstösst damit auch nicht gegen das Verbot
BGE 106 Ia 161 S. 163
widersprüchlichen Verhaltens oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, und zwar selbst dann nicht, wenn eine Expertise bereits in Auftrag gegeben worden ist und der Experte mit deren Ausarbeitung bereits begonnen hat. Es ist durchaus möglich, dass sich noch nach der Zulassung des Beweismittels ergibt, dass dieses eine Tatsache betrifft, die für den Ausgang des Verfahrens nicht erheblich ist. So kann es sich namentlich verhalten, wenn die Behörde aufgrund einer vertieften Prüfung des Falles zu einer von der früheren Beurteilung abweichenden Einschätzung der massgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte gelangt, oder wenn im Laufe des Verfahrens neue Gerichtsentscheide bekannt werden, welche die rechtliche Lage verändern. Ein Beweismittel kann sodann aufgrund der bereits abgenommenen Beweise als überflüssig erscheinen. In all diesen Fällen wäre es unverständlich, wenn die Behörde trotz der veränderten Lage zur Abnahme der entsprechenden Beweismittel gezwungen wäre. Erscheinen diese als nicht mehr erheblich oder tauglich, so verletzt die Behörde
Art. 4 BV
nicht, wenn sie ohne Abnahme dieser Beweismittel entscheidet. Fragen kann sich einzig, wer allenfalls entstandene unnötige Kosten zu tragen habe. Darauf braucht im vorliegenden Fall indes nicht eingegangen zu werden, da der Regierungsrat darüber noch nicht entschieden hat. Zu prüfen ist im folgenden lediglich, ob der Regierungsrat annehmen konnte, dass das Ergebnis der Expertise für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens ohne Bedeutung sei. Wie es sich damit verhält, prüft das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür, da insoweit nicht der Umfang des bundesrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern lediglich eine Frage der Beweiswürdigung zu beurteilen ist.
(Es folgen Ausführungen darüber, dass die Expertise nach wie vor ein erhebliches und taugliches Beweismittel war). | public_law | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cbd47ed1-3d47-43f6-a2b3-e9f1eaa48867 | Urteilskopf
109 III 31
9. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 15. März 1983 i.S. Depah Commercial Enterprise GmbH (Rekurs) | Regeste
Art. 63 KOV
.
1. Eine Forderung, welche aufgrund von
Art. 63 Abs. 2 KOV
als anerkannt gilt, darf von der Konkursverwaltung nicht mehr als streitig behandelt werden, selbst wenn der Prozess um sie formell noch hängig ist (E. 4).
2. Spricht sich die Masse nicht über die Fortsetzung eines gemäss
Art. 207 SchKG
eingestellten Prozesses aus, so kann der Prozessgegner der Masse zehn Tage nach der zweiten Gläubigerversammlung die Wiederaufnahme des Prozesses verlangen. Er kann von der Masse auch einen Entscheid darüber verlangen, ob sie den Prozess weiterführen oder die Prozessführungsbefugnis gemäss
Art. 260 SchKG
abtreten wolle. Das Fehlen eines Entscheides der Masse hat nicht die Anerkennung der vor Gericht streitigen Forderung zur Folge (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 109 III 31 S. 32
Am 17. November 1980 wurde über die Bruno Borner GmbH, Schaffhausen, der Konkurs ausgesprochen. Aufgrund der Konkurseröffnung musste ein zwischen der Konkursitin und der Depah Commercial Enterprise GmbH (Depah GmbH), Zug, vor Kantonsgericht Zug hängiger Forderungsprozess gemäss
Art. 207 SchKG
eingestellt werden. In diesem Prozess machte die Konkursitin als Klägerin eine Forderung von Fr. 65'658.55 geltend. Die Depah GmbH als Beklagte anerkannte einen Teilbetrag von Fr. 60'260.67 und stellte widerklageweise eine Gegenforderung von Fr. 136'380.20. Es ergibt sich somit ein streitiger Saldo aus Klage und Widerklage von Fr. 76'119.53 zuzüglich Zins zugunsten der Depah GmbH. In dem vom 15. bis 25. August 1981 öffentlich aufgelegten Kollokationsplan vom 6. August 1981 wurde die strittige Forderung der Beschwerdeführerin im Betrage von Fr. 80'739.55 gemäss Art. 63 der Konkursverordnung (KOV) pro memoria vorgemerkt. Mit Zirkularschreiben vom 1. September 1981 beantragte das Konkursamt den Gläubigern, es sei auf die Durchführung einer zweiten Gläubigerversammlung zu verzichten. Es stellte den Gläubigern sodann den Antrag, eine Liegenschaft ohne Verzug konkursamtlich zu versteigern und auf die Ergreifung von Zwangsvollstreckungs- und Prozessmassnahmen zur Geltendmachung der inventarisierten Forderungen zu verzichten. Gleichzeitig wurden die Gläubiger auf die Möglichkeit, sich einzelne Guthaben der Bruno Borner GmbH im Sinne von
Art. 260 SchKG
abtreten zu lassen, verwiesen. Den Gläubigern wurde eine Frist bis 18. September 1981 angesetzt, um zu diesen Anträgen Stellung zu nehmen. Mit Zirkular vom 28. September 1981 teilte das Konkursamt den Gläubigern mit, dass seine Anträge von den Gläubigern angenommen worden seien und deshalb zum Beschluss erhoben würden. Über die Abtretungen im Sinne von
Art. 260 SchKG
würden die betreffenden Gläubiger direkt orientiert.
Mit Zirkular vom 6. September 1982 kam das Konkursamt "im Interesse einer möglichen Verbesserung der Lage der Konkursmasse" auf den Zirkularbeschluss vom 1. September 1981 zurück und stellte den Gläubigern "im Sinne eines neuen Beschlusses" folgende Fragen:
BGE 109 III 31 S. 33
1. Soll der Prozess vor Kantonsgericht Zug zwischen der Bruno Borner GmbH (Klägerin und Widerbeklagte) und der Depah Commercial Enterprise GmbH (Beklagte und Widerklägerin) durch die Konkursmasse der Bruno Borner GmbH weitergeführt werden, oder soll der Saldo von total Fr. 80'739.55 zu Gunsten der Depah Commercial Enterprise GmbH (wie pro memoria kolloziert) anerkannt werden?
2. Wünschen Sie die Abtretung dieses Anspruchs im Sinne von
Art. 260 SchKG
, d.h. die Abtretung des Prozessführungsrechts?
Am 27. September 1982 bescheinigte das Konkursamt, dass "die Mehrheit der Gläubiger mit Beschluss vom 22. September 1982 (Zirkular vom 6. September 1982) auf die Fortführung des Forderungsprozesses vor dem Kantonsgericht Zug gegen die Depah Commercial Enterprise GmbH" verzichtet habe; gleichzeitig ermächtigte es die Pandra AG, Chur, zur Fortsetzung des erwähnten Prozesses im Rahmen von
Art. 260 SchKG
.
Mit Beschwerde vom 30. September 1982 verlangte die Depah GmbH die Aufhebung der Verfügung des Konkursamtes vom 27. September 1982 und die Ungültigerklärung der Abtretung nach
Art. 260 SchKG
. Mit Entscheid vom 30. Dezember 1982 trat die Aufsichtsbehörde des Kantons Schaffhausen über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen auf die Beschwerde nicht ein.
Mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts beantragt die Depah GmbH erneut die Aufhebung der Verfügung des Konkursamtes vom 27. September 1982 und die Ungültigerklärung der erfolgten Abtretung.
Die Pandra AG und das Konkursamt Schaffhausen beantragen in ihren Vernehmlassungen vom 25. Februar 1983 und 4. März 1983 Nichteintreten, eventuell Abweisung des Rekurses.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Aufsichtsbehörde trat auf die Beschwerde nicht ein, weil sie die Beschwerdelegitimation der Rekurrentin verneinte. Diese könne die Abtretung der strittigen Rechte, welche Gegenstand des Prozesses vor dem Kantonsgericht Zug bildeten, nicht anfechten, weil diese Abtretung sie nicht in ihren rechtlich geschützten Interessen berühre. Nach der Rechtsprechung (
BGE 90 III 86
) habe ein Konkursgläubiger, dessen Forderung noch Gegenstand eines hängigen Prozesses bilde, kein Beschwerderecht gegenüber einer Verfügung, welche die Weiterführung des Prozesses über seine Forderung und die Masse betreffe. Genau das treffe im vorliegenden Fall zu. Die Rekurrentin mache zwar geltend, dass
BGE 109 III 31 S. 34
ihre Forderung im Sinne von
Art. 63 Abs. 2 KOV
aufgrund des Zirkularbeschlusses vom 1. September 1981 anerkannt sei. In diesem Zirkular sei aber nur von Forderungen und Guthaben der Gemeinschuldnerin, nicht aber von Forderungen Dritter gegen diese die Rede gewesen, und es sei deshalb zweifelhaft, ob der Zirkularbeschluss auch diese Forderungen betroffen habe. Die Frage könne jedoch offen bleiben, weil keine Erklärung der Konkursverwaltung über Klageanerkennung oder -rückzug beim Kantonsgericht Zug erfolgt und der in Anwendung von
Art. 207 SchKG
eingestellte Prozess daher immer noch hängig und die Forderung der Rekurrentin mithin streitig sei.
...
3.
Die Aufsichtsbehörde liess die Frage offen, welche Tragweite das Zirkular vom 1. September 1981 hatte, insbesondere ob es nur die Abtretung von Guthaben nach dem Inventar der Gemeinschuldnerin meinte, oder ob es den vor dem Kantonsgericht Zug hängigen, aber gemäss
Art. 207 SchKG
eingestellten Prozess auch mitumfasste. Die Aufsichtsbehörde verzichtete damit auf eine endgültige Auslegung dieses Zirkulares. Was Gegenstand des Zirkulares bildete, konnte aber nur die Aufsichtsbehörde feststellen, denn das Bundesgericht ist gemäss Art. 63 Abs. 2 i.V.m.
Art. 81 OG
an die Feststellungen der letzten kantonalen Instanz gebunden. Das Bundesgericht hat demnach davon auszugehen, dass nicht feststeht, ob das Zirkular vom 1. September 1981 einen Entscheid bezüglich der Fortsetzung des Prozesses vor dem Zuger Kantonsgericht umfasste.
4.
In einer ersten Hypothese ist anzunehmen, dass das Zirkular vom 1. September 1981 die Forderung der Rekurrentin, welche Gegenstand des eingestellten Prozesses in Zug bildet, ebenfalls umfasste. In diesem Fall wäre festzustellen, dass die Konkursmasse den Prozess nicht weiterführen wollte und dass kein Gläubiger die Abtretung der Masserechte verlangte, um sie weiterzuverfolgen. Infolgedessen gälte die von der Rekurrentin ordnungsgemäss eingegebene und im Kollokationsplan pro memoria vermerkte Forderung der Rekurrentin über Fr. 80'739.55 gemäss
Art. 63 Abs. 2 KOV
als anerkannt, und die Gläubiger könnten deren Zulassung im Kollokationsplan nicht mehr gemäss
Art. 250 SchKG
anfechten.
Die Aufsichtsbehörde wendet vergeblich ein, dass die Forderung der Rekurrentin so lange streitig sei, als der Prozess um sie nicht in der nach dem einschlägigen kantonalen Verfahren vorgesehenen
BGE 109 III 31 S. 35
Form beendigt worden und der Entscheid der Konkursmasse sowie der einzelnen Gläubiger auf Prozessverzicht nicht von der Konkursverwaltung durch Mitteilung an den zuständigen Richter vollzogen worden ist. Diese Auslegung von
Art. 63 Abs. 2 KOV
ist unrichtig. Diese Bestimmung sieht vor, dass die pro memoria vorgemerkte Forderung als anerkannt gelte, wenn der Prozess weder von der Masse noch von einzelnen Gläubigern fortgesetzt werde. Es ist demnach nicht erforderlich, dass auch noch eine Mitteilung der Anerkennung an den zuständigen Richter ergeht, und es ist bundesrechtswidrig zu sagen, die Forderung, welche aufgrund von
Art. 63 Abs. 2 KOV
anerkannt ist, bleibe weiterhin streitig. Zwar bleibt der Prozess noch hängig, so dass der Streit formell noch weiterbesteht, aber materiell gibt es keinen Streit mehr zwischen der Masse und ihrer Prozessgegnerin, da die Masse ja deren Forderung anerkannt hat. Aufgrund von
Art. 63 Abs. 2 KOV
wird die Kollokation unanfechtbar, ohne dass man sich Gedanken machen muss, welche Verfügungen der zuständige Richter getroffen hat. Der Ausgang des Streites vor dem Gericht hat nur im Falle von
Art. 63 Abs. 3 KOV
, wenn der Prozess fortgeführt wird, eine Bedeutung. Je nach dessen Erledigung erfolgt in diesem Falle die Streichung der Forderung oder ihre definitive Kollokation.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Rekurrentin bei der ersten Hypothese der Auslegung des Zirkulars vom 1. September 1981 vom Bekanntwerden des Ergebnisses dieses Zirkularbeschlusses an mit ihrer Forderung endgültig kolloziert wäre. Diese Kollokation würde für die Rekurrentin ein rechtlich geschütztes Interesse bedeuten in dem Sinne, dass sie an der Verteilung des Konkursergebnisses im Verhältnis zu ihrer kollozierten Forderung teilnehmen könnte. Die Abtretung des Rechts an einen Drittgläubiger, eine kollozierte Forderung vor Gericht zu bestreiten, wäre geeignet, die sich aus dem Kollokationsplan ergebenden Rechte der Rekurrentin zu beeinträchtigen. Die Rekurrentin wäre demnach - entgegen der Auffassung der Aufsichtsbehörde - beschwerdeberechtigt. Daran ändert auch der von der Vorinstanz zitierte
BGE 90 III 86
nichts.
Bei dieser Hypothese wäre die Beschwerde überdies auch begründet, da sich die Annahme, die Forderung der Rekurrentin sei auch nach dem Prozessverzicht der Masse und der Gläubiger strittig geblieben, als falsch erweisen würde. Die Forderung wäre dann vielmehr gemäss
Art. 63 Abs. 2 KOV
endgültig anerkannt,
BGE 109 III 31 S. 36
und die Abtretung an die Pandra AG müsste als ungültig annulliert werden.
5.
Es bleibt zu prüfen, ob sich das gleiche ergibt, wenn in einer zweiten Hypothese davon ausgegangen wird, das Zirkular vom 1. September 1981 habe sich nur auf die im Konkurs inventarisierten Aktiven bezogen und nicht auch die vor dem Kantonsgericht Zug streitige Forderung umfasst. Wenn sich auch bei dieser Hypothese erweisen sollte, dass die Beschwerde zulässig und gutzuheissen wäre, könnte die von der Aufsichtsbehörde offen gelassene Frage tatsächlich offen bleiben; andernfalls müsste die Sache in Anwendung von
Art. 64 Abs. 1 OG
an die Vorinstanz zurückgewiesen werden.
Nach dieser zweiten Hypothese sprach sich die Masse zumindest bis zum Zirkular vom 6. September 1982 nicht über die Fortsetzung des gemäss
Art. 207 SchKG
eingestellten Prozesses aus. Die Masse müsste bei der zweiten Gläubigerversammlung diesbezüglich einen Entscheid treffen. Mangels einer zweiten Gläubigerversammlung wäre dieser Entscheid aufgrund eines Zirkularbeschlusses zu fällen (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. II, S. 160, Ziff. III). Im vorliegenden Fall wurde kein solcher Entscheid gefasst. Das Untätigsein der Masse und das Fehlen eines Entscheides hätten jedoch nicht die Anerkennung der vor Gericht streitigen Forderung zur Folge. Sie gäben nur der Prozessgegnerin der Masse das Recht, nach Ablauf der zehntägigen Frist des
Art. 207 SchKG
die Wiederaufnahme des eingestellten Prozesses zu verlangen (JAEGER, N. 9 zu
Art. 207 SchKG
; FRITZSCHE, a.a.O., S. 47; AMONN, S. 307). Die gegnerische Partei hätte zudem das Recht, von der Masse einen Entscheid darüber zu verlangen, ob sie den Prozess weiterführen oder gegebenenfalls gemäss
Art. 260 SchKG
die Prozessführungsbefugnis an einen Gläubiger abtreten wolle (JAEGER, N. 9 zu
Art. 207 SchKG
).
Im zu beurteilenden Fall blieb die Rekurrentin seit September 1981 untätig. Sie trieb den Prozess vor dem Zuger Kantonsgericht nicht voran, obwohl sie vom Beschluss, auf eine zweite Gläubigerversammlung zu verzichten, Kenntnis hatte und daher die Wiederaufnahme hätte verlangen können. Sie unterliess es ebenfalls, die Masse um einen ausdrücklichen Entscheid anzugehen. Mangels eines ausdrücklichen Prozessverzichtes von seiten der Konkursitin oder ihrer Vertreter blieb somit die vor Gericht eingeklagte Forderung der Rekurrentin pro memoria im Kollokationsplan vermerkt. Die Ungewissheit über das Schicksal dieser Forderung
BGE 109 III 31 S. 37
verhinderte die Verteilung des Konkursergebnisses. Es war deshalb erforderlich, dass der bis anhin unterbliebene Entscheid der Masse über die strittige Forderung nachgeholt wurde und zwar durch Zirkularbeschluss oder durch eine gemäss
Art. 255 SchKG
einberufene Gläubigerversammlung.
Bei dieser zweiten Hypothese drängte sich das Zirkular vom 6. September 1982 geradezu auf und stand auch nicht im Widerspruch zu jenem vom 1. September 1981. Da die Forderung der Rekurrentin aber strittig blieb, hatte diese kein Beschwerderecht gegen die Verfügung, mit welcher die Masse die Befugnis, den hängigen Prozess weiterzuführen, abtrat (
BGE 90 III 86
). Der Nichteintretensentscheid der Aufsichtsbehörde wäre daher richtig, und die Rügen der Rekurrentin wären als unbegründet abzuweisen.
Da die Beantwortung der Frage, welche Tragweite das Zirkular vom 1. September 1981 hatte, bei den zwei dargestellten Hypothesen zu zwei sich widersprechenden Lösungen führt (zulässige und begründete Beschwerde im ersten Fall, unzulässige Beschwerde bei der zweiten Hypothese), durfte die Aufsichtsbehörde diese Frage nicht offen lassen. Die Sache ist deshalb an sie zur Behandlung dieser Frage und zum neuen Entscheid zurückzuweisen. | null | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cbd6b00f-ea00-4823-ab8a-05cee984bdf1 | Urteilskopf
108 Ia 313
60. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 2 novembre 1982 dans la cause X. contre Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois (recours de droit public) | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
; gerichtliche Überprüfung des Entscheides einer Verwaltungsbehörde im Bereich des Übertretungsstrafrechts.
Tragweite von
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
unter Berücksichtigung der von der Schweiz abgegebenen auslegenden Erklärung (E. 2).
Die letztinstanzliche gerichtliche Kontrollmöglichkeit von Entscheiden eines Gemeindeorgans, wie sie im Kanton Waadt gegeben ist, genügt den Anforderungen des in Übereinstimmung mit der Schweizer Erklärung ausgelegten
Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 313
BGE 108 Ia 313 S. 313
La Commission de police de la Municipalité de Lausanne a condamné X. à une amende pour contravention au Règlement général de police de la commune, en application de la loi vaudoise sur les sentences municipales du 17 novembre 1969 (ci-après:
BGE 108 Ia 313 S. 314
LSM). Son recours contre cette sentence ayant été rejeté par la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois, X. agit par la voie du recours de droit public.
Invoquant uniquement la violation de l'
art. 6 CEDH
, la recourante fait valoir, pour l'essentiel, que la Commission de police est une autorité administrative qui émane du pouvoir exécutif; elle ne peut dès lors avoir qualité pour statuer en matière pénale que si le justiciable bénéficie d'un contrôle judiciaire final par un tribunal indépendant et impartial établi par la loi, et qui puisse revoir également l'état de fait; or tel n'est pas le cas en l'espèce: c'est la Commission de police qui établit définitivement l'état de fait, qui ne peut être contrôlé librement ni par la Cour de cassation pénale cantonale ni par le Tribunal fédéral.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours pour les motifs suivants:
Erwägungen
Considérant en droit:
2.
La garantie du procès équitable, telle qu'elle est offerte par l'
art. 6 par. 1 CEDH
, postule en particulier que "toute personne a droit à ce que sa cause soit entendue équitablement... par un tribunal indépendant et impartial, établi par la loi..."
a) Le grief formulé par la recourante pose uniquement la question de savoir si l'
art. 6 CEDH
s'oppose à ce que l'état de fait soit établi par un organe tel que la Commission de police, qui n'est pas un tribunal indépendant. Contrairement à ce qu'admet ladite Commission dans sa détermination du 18 janvier 1982, la recourante ne prétend pas, même implicitement, que la Commission de police aurait été, en l'espèce, un organe - administratif - manquant d'impartialité. A tout le moins un tel grief n'est-il par formulé de manière suffisante au regard de l'
art. 90 al. 1 lettre b OJ
.
b) La portée de l'
art. 6 par. 1 CEDH
doit être examinée au regard de la déclaration interprétative formulée par la Suisse en ces termes: "Pour le Conseil fédéral suisse, la garantie d'un procès équitable figurant à l'art. 6, par. 1, de la Convention ... vise uniquement à assurer un contrôle judiciaire final des actes ou décisions de l'autorité publique" (art. 1 al. 1 lettre a de l'arrêté fédéral du 3 octobre 1974 approuvant la CEDH, RO 1974, 2149). Dans son Message à l'Assemblée fédérale du 4 mars 1974, le Conseil fédéral relève que cette déclaration interprétative a été faite précisément en vue du "cas où la décision prise par une autorité
BGE 108 Ia 313 S. 315
administrative peut être déférée à un juge, non pas pour un jugement au fond, mais seulement pour l'examen de sa régularité ou de sa conformité à la loi (pourvoi en nullité)", et en se fondant sur l'interprétation de l'art. 6 par. 1, qui était donnée par le président de la Commission européenne des droits de l'homme (FF 1974 I p. 1032). Il n'y a pas lieu pour le Tribunal fédéral de s'écarter de cette déclaration interprétative (
ATF 107 Ia 167
), même si sa validité et sa portée ont été contestées en doctrine (D. BRÄNDLE, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur europäischen Menschenrechtskonvention, thèse Zurich 1978, p. 113/114). Au reste, la Cour européenne des droits de l'homme admet également que l'art. 6 par. 1 est respecté dans la mesure où une décision rendue par une autorité administrative peut faire l'objet d'un contrôle judiciaire final, la garantie du procès équitable devant s'apprécier au regard de l'ensemble du procès (
ATF 98 Ia 238
; cf. J. RAYMOND, La Suisse devant les organes de la CEDH, in RDS 98/1979 II p. 67 et la jurisprudence citée; D. PONCET, La protection de l'accusé par la Convention européenne des droits de l'homme, p. 29, n. 78).
3.
Le législateur vaudois a fait usage de la faculté reconnue aux cantons par l'
art. 345 ch. 1 al. 2 CP
, en attribuant le jugement de certaines contraventions à l'autorité municipale (art. 45 de la loi du 28 février 1956 sur les communes; art. 1 ss LSM). Selon l'art. 41 LSM, le contrôle judiciaire de ces sentences municipales est opéré par la Cour de cassation du Tribunal cantonal, qui peut examiner tant la régularité de la procédure, dans le cadre d'un recours en nullité (art. 43 LSM), que l'exactitude de l'application de la loi, lorsqu'elle est saisie d'un recours en réforme (art. 44 LSM). Il est vrai qu'elle ne revoit donc pas librement les faits. Mais cela n'est pas nécessaire du point de vue de l'
art. 6 par. 1 CEDH
, dès lors qu'est ouvert le recours à une autorité judiciaire qui contrôle non seulement la régularité de la procédure - y compris "s'il existe des doutes sérieux sur l'existence des faits admis" (art. 43 lettre e) - mais qui peut être saisie en outre des griefs de "fausse application de la loi" et d'"abus du pouvoir d'appréciation dans l'application de celle-ci" (art. 44). La juridiction cantonale jouit donc ici d'un pouvoir d'examen beaucoup plus étendu que ne l'est celui du Tribunal fédéral dans le cadre du recours de droit public limité à l'arbitraire (cf. SCHUBARTH, Die Artikel 5 und 6 der Konvention, insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Strafprozessrecht, RDS 94/1975 I, p. 498, nos 119 à 122), puisque
BGE 108 Ia 313 S. 316
le recours ouvert n'est pas "une simple procédure de cassation" (J. RAYMOND, loc.cit., p. 68/69, no 81). D'ailleurs, lorsque la Cour de cassation cantonale annule une sentence en raison de doutes sérieux sur l'existence des faits admis (art. 43 lettre e LSM), elle peut inviter l'autorité municipale, à laquelle elle renvoie la cause (art. 52 LSM), à procéder à des mesures d'instruction complémentaires. Cela seul suffit à démontrer que le contrôle judiciaire final des sentences municipales, tel qu'il est opéré dans le canton de Vaud, est conforme à l'
art. 6 par. 1 CEDH
, interprété dans le sens de la déclaration formulée par la Suisse. L'avis de P. BISCHOFBERGER, qui semble vouloir exiger que le contrôle judiciaire final porte tant sur les faits que sur le droit (Die Verfahrensgarantien der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 5 und 6) in ihrer Einwirkung auf das schweizerische Strafprozessrecht, thèse Zurich 1972, p. 50/51) n'est pas justifié au vu du sens de la déclaration interprétative du Conseil fédéral, encore qu'il serait souhaitable que l'on donne à un juge pénal la compétence de connaître des contraventions du genre de celles dont il s'agit ici.
Au demeurant, la recourante ne prétend pas que le contrôle judiciaire effectué en l'espèce par la Cour de cassation du Tribunal cantonal serait critiquable dans le cadre de l'examen de la régularité et de la conformité à la loi de la sentence de la Commission de police du 4 septembre 1981. | public_law | nan | fr | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cbd7b39d-d443-4906-b747-bb3baf2f307c | Urteilskopf
120 III 107
36. Extrait de l'arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 24 novembre 1994 dans la cause X. (recours LP) | Regeste
Rekurslegitimation (
Art. 19 SchKG
und 78 ff. OG). Entgelt des Sachwalters im Nachlassverfahren (Art. 61 Abs. 1 GebVSchKG). Verurteilung zu den Verfahrenskosten bei böswilliger oder mutwilliger Beschwerdeführung (Art. 67 Abs. 3 GebVSchKG).
Der Rekurs, der darauf abzielt, nach Ablauf der Nachlassstundung ein Versagen des Sachwalters feststellen zu lassen, ist mangels aktuellen und praktischen Interesses unzulässig (E. 2).
Das Entgelt des Sachwalters im Nachlassverfahren kann nicht Gegenstand einer Beschwerde oder eines Rekurses im Sinne der
Art. 17 ff. SchKG
bilden (E. 3).
Verurteilung eines Doktors der Rechte und Advokaten zu den Kosten wegen seiner Untätigkeit im Nachlassverfahren und offensichtlich unzulässiger Anträge im Beschwerde- und Rekursverfahren (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 107
BGE 120 III 107 S. 107
X., docteur en droit-avocat, a été mis au bénéfice d'un sursis concordataire de 4 mois. Une semaine avant l'expiration du sursis, le commissaire a informé l'autorité de concordat qu'il n'en sollicitait pas la
BGE 120 III 107 S. 108
prolongation, car les débiteurs de X. n'avaient pas payé et, dans une très large majorité, avaient contesté ses notes d'honoraires, les montants encaissés représentant 7'112 fr. seulement, alors qu'ils auraient dû s'élever à 104'725 fr. 35; dans ces conditions, aucune solution ne pouvait être proposée. Le commissaire a également signalé que, malgré plusieurs tentatives, il n'avait jamais pu rencontrer le débiteur.
L'autorité de concordat a pris acte de l'expiration du sursis concordataire et fixé les honoraires du commissaire. X. a interjeté un recours contre cette décision. Par la voie de la plainte (
art. 17 LP
), il a en outre demandé que le commissaire au sursis soit invité à agir conformément à la loi (
art. 299 et 301 LP
) et que ses honoraires soient très sérieusement modifiés à la baisse. L'autorité cantonale de surveillance a rejeté la plainte dans la mesure où elle était recevable et condamné le plaignant aux frais de la procédure conformément à l'
art. 67 al. 3 OFLP
(RS 281.35). Saisie par X., la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral en a fait de même de son recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
L'autorité cantonale de surveillance a statué sur le sort des griefs dirigés contre le commissaire malgré le fait qu'un recours était pendant contre la décision du 26 août prenant acte de l'expiration du sursis: il n'y avait pas lieu, selon elle, d'attendre jusqu'à droit connu sur ce recours qui, compte tenu des critiques qu'il contenait, ne pouvait aboutir à faire revivre le sursis. Les griefs en question, dans la mesure où ils étaient recevables, devaient être écartés pour les motifs suivants: le défaut de toute proposition concordataire concrète dans le délai péremptoire de l'
art. 295 LP
conduisait inéluctablement au rejet préalable de la demande d'homologation (
ATF 85 I 77
consid. 2 p. 79 et les références); il n'était dès lors plus possible de donner une quelconque instruction au commissaire.
Devant la Chambre de céans, le recourant admet qu'un constat des prétendues carences du commissaire, savoir essentiellement des retards injustifiés, ne peut en principe pas faire renaître le sursis concordataire. Il requiert cependant un tel constat pour pouvoir être en mesure, le cas échéant, de redemander une telle mesure ou encore d'actionner le commissaire en responsabilité civile.
La recevabilité du recours de poursuite suppose un intérêt actuel et concret (GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 3e éd.,
BGE 120 III 107 S. 109
Lausanne 1993, p. 56 ch. IIa). Est irrecevable le recours qui ne servirait que de décision préjudicielle à un procès futur, tendrait uniquement à faire constater l'irrégularité d'un acte d'un organe de la poursuite pour fonder éventuellement une action en responsabilité ou n'aurait qu'un effet déclaratif (SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. II, Berne 1990, p. 729 n. 3.2.1 et la jurisprudence citée).
Le recourant n'est dès lors pas recevable, en l'espèce, à exiger le constat des "carences contraires à la loi du commissaire".
3.
En vertu de l'
art. 61 al. 1 OFLP
, il appartient à l'autorité compétente en matière de concordat de fixer globalement la rémunération du commissaire; le recours à une autorité cantonale supérieure, compétente en matière de concordat, est réservé.
Les décisions des autorités concordataires ne pouvant jamais faire l'objet d'une plainte ou d'un recours au sens des
art. 17 ss LP
(
ATF 103 Ia 76
consid. 1 p. 77; GILLIÉRON, op.cit., p. 426 ch. VI; FRITZSCHE/ WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, vol. II, 3e éd., Zurich 1993, § 71 n. 4; SANDOZ-MONOD, op.cit., p. 715 n. 1.3), c'est à bon droit que l'autorité cantonale de surveillance n'a pas examiné la question du montant des honoraires du commissaire.
4.
Le recourant conteste sa condamnation aux frais de la procédure. Selon l'
art. 67 al. 3 OFLP
, les autorités de surveillance et de recours peuvent mettre les frais à la charge de la partie qui porte plainte ou forme recours de mauvaise foi ou témérairement.
a) Le recourant nie avoir agi par mauvaise foi ou témérairement. Il tient au surplus pour inconcevable que l'autorité cantonale le taxe de mauvaise foi, alors qu'elle n'est même pas entrée en matière sur les griefs qu'il adressait au commissaire.
Il est vrai que l'autorité cantonale de surveillance n'a pas statué formellement sur les griefs en question. Elle a néanmoins relevé qu'il était "pour le moins surprenant que le plaignant, qui est avocat, se soit si peu intéressé à la procédure concordataire qu'il avait sollicitée, qu'il n'avait jamais rencontré le commissaire, sauf peut-être à l'époque de l'octroi du sursis (il ne prétend même pas avoir jamais tenté de le faire), et qu'il ait appris l'écoulement de la durée de son sursis en lisant l'ordonnance du juge". Elle a constaté par ailleurs que le plaignant, "docteur en droit-avocat", avait expressément porté plainte au sens des
art. 17 ss LP
, alors qu'"en l'espèce cette voie n'est de toute manière pas ouverte pour les conclusions 2 et 3". Le recourant étant ainsi "resté
BGE 120 III 107 S. 110
parfaitement inactif" et ayant pris des "conclusions (manifestement) irrecevables", l'autorité cantonale de surveillance n'a pas violé le principe posé à l'
art. 67 al. 3 OFLP
en mettant les frais à sa charge.
b) Le recourant doit également être condamné aux frais de la procédure fédérale, pour des motifs analogues. Manifestement dénué de chances de succès, le présent recours doit en effet être assimilé à un procédé téméraire dont s'abstiendrait tout plaideur raisonnable et de bonne foi (cf.
ATF 111 Ia 148
consid. 4 p. 150; POUDRET/SANDOZ-MONOD, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, vol. I, Berne 1990, p. 192). | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cbd87270-d67e-46aa-8bb5-b5d4eb68c8bf | Urteilskopf
109 II 436
92. Estratto della sentenza 27 settembre 1983 della I Corte civile nella causa Discount Bank Overseas Limited contro Mowlazadeh (ricorso per riforma) | Regeste
Weiterer Verzugsschaden (
Art. 106 Abs. 1 OR
) infolge von Währungsverlusten während der Verzugsperiode.
1. Ersatz für den durch die Verzugszinse nicht gedeckten Schaden kann mit einer neuen Klage geltend gemacht werden, auch wenn über die den Zinsen zugrunde liegende Schuld bereits ein Urteil ergangen ist (E. 1).
2. Für die Annahme eines weiteren Schadens infolge Abwertung der geschuldeten Valuta genügt die blosse Möglichkeit, dass der Gläubiger das Geld in eine feste Währung hätte wechseln können, nicht. Es müssen Beweise oder hinreichende Indizien dafür vorliegen, dass er das höchstwahrscheinlich getan hätte. Vermutet wird immerhin, dass er das Geld in die gesetzliche Währung seines Wohn- oder Geschäftssitzes gewechselt hätte (Präzisierung der Rechtsprechung, E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 437
BGE 109 II 436 S. 437
A.-
Il 15 maggio 1979 la Discount Bank Overseas Limited è stata condannata dal Tribunale federale a versare al dott. Mahmoud Mowlazadeh le somme seguenti:
- Fr. 14'739.45 con gli interessi maturati al 13.2.1976,
- DM 15'317.10 con gli interessi maturati al 13.2.1976,
- US $ 2'358.19 con gli interessi maturati al 13.2.1976,
- US $ 215'000.-- con interessi al 6 5/16% dal 12.11.1975 al
13.2.1976 su US $ 260'000.--, meno interessi al 5% dal 1.7.1975 su
US $ 45'000.--,
il tutto con interessi al 6% dal 14 febbraio 1976.
La sentenza conferiva alla Banca, inoltre, la facoltà di versare al creditore gli importi in valuta estera (DM e US $) convertiti in franchi svizzeri al cambio del 13 febbraio 1976. I primi tre importi consistevano nel saldo di un conto convenzionale aperto dal dott. Mowlazadeh presso la Banca; l'ultimo nella parziale restituzione di un deposito fiduciario di 260'000 dollari scaduto il 23 febbraio 1976. La Banca s'era rifiutata di effettuare i versamenti, invocando la compensazione del debito con un ulteriore conto intestato al dott.
BGE 109 II 436 S. 438
Mowlazadeh, chiuso con un passivo di oltre 242'000 dollari. Quest'ultimo era stato creato da due impiegati della Banca, condannati in seguito a pene detentive per malversazioni; il dott. Mowlazadeh si era accorto dell'ammanco, ma aveva aderito alle promesse risarcitorie d'uno degli impiegati responsabili e aveva sottaciuto il fatto alla Banca. Il Tribunale di appello del Cantone Ticino, ravvisando in tale comportamento una negligenza del titolare del conto, aveva ridotto la pretesa complessiva del dott. Mowlazadeh di 60 mila dollari. Il Tribunale federale ha limitato la riduzione a 45 mila dollari.
B.-
In conformità alla sentenza del Tribunale federale, la Discount Bank Overseas Limited ha corrisposto il 6 giugno 1979 al dott. Mowlazadeh gli importi predetti, ciascuno nelle rispettive valute. Mentre però la loro somma equivaleva, il 13 febbraio 1976, a Fr. 575'500.51, alla data del pagamento essa non rappresentava che Fr. 395'848.24 in ragione del diverso cambio del dollaro statunitense e del marco tedesco. Il 16 luglio 1980 il dott. Mowlazadeh ha convenuto la Discount Bank Overseas Limited dinanzi al Tribunale di appello del Cantone Ticino, chiedendo la rifusione della differenza sul cambio (Fr. 179'852.27) con interessi al 6% dal 13 febbraio 1976 al 6 giugno 1979, più interessi al 6% dal 16 luglio 1980. Con sentenza del 27 gennaio 1983 la corte cantonale ha riconosciuto il danno fatto valere dall'attore oltre agli interessi moratori già percepiti e ha accolto la petizione.
C.-
Insorta il 7 marzo 1983 con un ricorso per riforma al Tribunale federale, la Discount Bank Overseas Limited conclude per l'annullamento della sentenza cantonale e la reiezione d'ogni pretesa; in linea di subordine postula l'accoglimento della petizione limitatamente a Fr. 128'791.50 più interessi al 5% dal 9 giugno 1979. Mahmoud Mowlazadeh domanda di respingere il ricorso.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
La ricorrente ribadisce in via preliminare l'eccezione di cosa giudicata proposta in sede cantonale, sostenendo che la conversione in franchi svizzeri degli importi fissati in valuta estera avrebbe già formato oggetto delle precedenti sentenze. Tanto la Camera civile di appello quanto il Tribunale federale avrebbero accertato, infatti, un'obbligazione
BGE 109 II 436 S. 439
alternativa che autorizzava la Banca a pagare sia in valuta effettiva, sia in franchi svizzeri al cambio del 13 febbraio 1976.
L'eccezione è priva di fondamento. Secondo il diritto federale una sentenza osta all'introduzione di un successivo processo civile ove quest'ultimo verta fra le stesse parti, riguardi l'identica pretesa e sia fondato sul medesimo complesso di fatti (
DTF 105 II 270
,
DTF 97 II 396
seg. con richiami). La causa in esame concerne il danno eccedente l'ammontare degli interessi moratori che l'attore deduce dalla tardiva ricezione di somme in moneta estera, ormai deprezzate rispetto al loro valore in franchi svizzeri al momento della scadenza del credito. Tale pretesa non è stata oggetto della procedura anteriore, con la quale erano stati giudicati, nella loro esistenza ed entità, il credito vantato contrattualmente dal dott. Mowlazadeh, il danno opposto in compensazione dalla Banca e il totale degli interessi moratori. Non s'era fatta questione dell'eventuale danno maggiore dell'interesse moratorio patito dal dott. Mowlazadeh in seguito al tardivo pagamento della Banca (
art. 106 cpv. 1 CO
).
La facoltà data alla Banca di tacitare il creditore in valuta estera o in franchi svizzeri al cambio della scadenza discende dall'
art. 84 cpv. 2 CO
ed è estranea all'
art. 106 CO
. L'autorizzazione riprende soltanto una norma legale. Essa indica, senz'altro significato per l'entità della pretesa, il modo in cui la debitrice poteva liberarsi dell'obbligazione; non influisce minimamente, invece, sull'esistenza di un danno superiore all'interesse moratorio (WEBER in: Berner Kommentar, 3a edizione, nota 340 ad
art. 84 CO
; HENGGELER, Die Abwertung des Schweizerfrankens und ihr Einfluss auf die zivilrechtlichen Verhältnisse, in: RDS 56/1937, pag. 157a segg., in particolare pag. 228a;
DTF 57 II 72
consid. 3,
DTF 54 II 266
). La rifusione di un danno siffatto configura una pretesa indipendente dal credito cui si riferisce l'
art. 84 cpv. 2 CO
, una pretesa che si aggiunge al credito originale (BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, pag. 269 con rinvii; cfr.
DTF 76 II 375
consid. 4,
DTF 60 II 340
consid. 2). Del resto la scelta consentita dall'
art. 84 cpv. 2 CO
non ha effetto liberatorio per il debitore moroso (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, vol. I, pag. 65 con citazioni). La riparazione d'un danno eccedente l'interesse moratorio può, quindi, essere chiesta con una nuova causa, anche se il credito sul quale è maturato l'interesse di mora ha già formato oggetto di una
BGE 109 II 436 S. 440
precedente sentenza (cfr. VON BÜREN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, pag. 368 nota 16). In tali circostanze il debitore non può sollevare l'eccezione di cosa giudicata.
2.
La corte cantonale ritiene che il risarcimento spettante all'attore secondo l'
art. 106 CO
corrisponda alla somma indicata nella petizione, cioè al deprezzamento subito nei confronti del franco svizzero dagli importi in valuta estera versati dalla Banca. Non competerebbe al creditore provare che, in caso di corretto e tempestivo pagamento da parte del debitore, egli avrebbe trasformato l'incasso in moneta non svalutata. Scostandosi da una recente sentenza del Tribunale federale (pubblicata in Rep. 1978, pag. 242 segg., in particolare pag. 251), la corte reputa che quest'ultima ipotesi non esaurisca tutte le possibilità di danno imputabili al deprezzamento, giacché il creditore avrebbe anche potuto far uso della moneta deprezzata per adempiere ai propri obblighi in tale valuta.
La ricorrente non contesta l'ammontare del deprezzamento calcolato dai giudici cantonali. A suo parere tuttavia il creditore non avrebbe patito alcun danno: intanto egli non avrebbe recato la minima dimostrazione del pregiudizio; in secondo luogo, quand'anche egli avesse ricevuto alla scadenza la somma in valuta straniera, le norme legali vigenti in Svizzera a quel momento avrebbero reso estremamente svantaggiosa una conversione del credito in franchi svizzeri. Circa l'asserito impiego di moneta estera per liquidare pendenze nella stessa valuta, il creditore non potrebbe esigere nulla più degli interessi moratori già riscossi, dal momento che le menzionate pendenze si sarebbero a loro volta rinvilite nei confronti del franco svizzero. Comunque sia, seppure il creditore fosse riuscito a trasformare le divise estere in franchi svizzeri, questi non avrebbero portato frutti, per cui al danno dovevano essere sottratti gli interessi di mora; in via di subordine, dunque, la ricorrente conclude per una riduzione del danno a Fr. 128'791.50.
a) In virtù dell'
art. 106 CO
, il debitore in mora risponde del pregiudizio conseguente al deprezzamento della moneta fra la data della costituzione in mora e quella del pagamento, premesso che il danno ecceda l'ammontare degli interessi moratori. Tale danno non consiste nella perdita del valore d'acquisto, bensì nel deteriorarsi della parità valutaria della moneta contrattuale, di modo che il ritardo nel pagamento impedisce al creditore di convertire per tempo la somma che gli spetta nella divisa non
BGE 109 II 436 S. 441
soggetta a deprezzamento. Per quanto attiene all'esistenza e alla dimostrazione del danno, la giurisprudenza del Tribunale federale non è sempre stata costante.
In due sentenze del 1920 e 1921 (
DTF 46 II 403
e
DTF 47 II 301
) il Tribunale federale ha deciso che il creditore straniero tacitato nella moneta del suo paese non può prevalersi del deprezzamento occorso alla stessa, ove non dimostri che, se fosse stato pagato alla scadenza, avrebbe trasformato subito l'intera somma in franchi svizzeri. Per converso il Tribunale federale ha deciso, in altre sentenze (
DTF 47 II 190
e 438,
DTF 48 II 74
,
DTF 60 II 337
), che il rischio legato a una svalutazione della moneta del pagamento incombe, giusta l'
art. 103 CO
, al debitore in mora e che il creditore patisce un danno già per il fatto di non aver potuto cambiare in valuta forte la somma ormai deprezzata. Simile concezione partiva dal presupposto che il debitore in mora non deve trarre profitto da un fortuito deprezzamento valutario; dato che la discesa del cambio estero rispetto al giorno della scadenza del credito fa presumere un danno supplementare, tocca al debitore provare che il creditore non ha sofferto alcun danno o ha sofferto un danno inferiore alla perdita di corso, oppure sarebbe stato danneggiato indipendentemente dalla mora nel versamento. In seguito il Tribunale federale ha ribadito che il valore di una moneta senza corso legale al domicilio del creditore va apprezzato in base alla parità di tale moneta nel luogo di domicilio, dovendosi presumere appunto che il creditore residente all'estero avrebbe convertito in moneta del suo paese la somma ricevuta in valuta straniera (
DTF 76 II 371
). Da ultimo, nella già citata sentenza del 30 settembre 1976 pubblicata in Rep. 1978 pag. 242, il Tribunale federale ha ristabilito una prassi sostanzialmente restrittiva. Dopo aver rilevato che la presunzione d'un danno derivante in ogni caso al creditore dalla perdita sul cambio appare troppo assoluta, esso ha confermato che esiste, invero, una presunzione naturale secondo cui il creditore di valuta straniera trasforma la somma ricevuta in moneta nazionale, rispettivamente del paese di residenza, ma ha precisato che la mera possibilità teorica per il creditore di trasformare il proprio credito in una moneta non svalutata non basta per caricare al debitore qualsiasi perdita risultante dalla variazione del cambio. Pertanto, il creditore domiciliato a Lima o Madrid non poteva beneficiare di alcuna presunzione naturale nel senso che, titolare di un conto in dollari, avrebbe convertito il medesimo in franchi svizzeri.
BGE 109 II 436 S. 442
b) Il più recente indirizzo della giurisprudenza merita conferma. La dottrina, per altro, imputa quasi unanimemente al creditore la prova che, ove la prestazione in moneta estera fosse stata tempestiva, egli avrebbe trasformato l'incasso in moneta non deprezzata; per contro si può presumere che il creditore avrebbe convertito la somma, alla scadenza, nella moneta avente corso legale nel suo paese di domicilio (VON BÜREN, op.cit., pag. 369; BUCHER, op.cit., pag. 320 nota 112; WEBER, op.cit., nota 362 ad
art. 84 CO
; HENGGELER, op.cit., pag. 225a, 228a, 230a e 231a; PICOT, Le cours du change et le droit, in: RDS 40/1921, pag. 293 segg., in particolare pag. 315 a 318; MARCEL GIACOMETTI, Währungsprobleme im Zivilprozessrecht und in der Zwangsvollstreckung, tesi, Zurigo 1977, pag. 72 segg.; per una presunzione del danno più estesa cfr. invece VON TUHR, Umrechnung von Markschulden in Frankenwährung, in: SJZ 19/1922-23, pag. 17 segg., in particolare pag. 19; VON TUHR/ESCHER, op.cit., vol. II, pag. 145).
Nel caso in esame, contrariamente all'opinione della corte cantonale, non si può presumere che il credito dell'attore sarebbe stato convertito, alla scadenza, in franchi svizzeri. L'attore, cittadino iraniano, risiede da una trentina d'anni in Italia. La sola circostanza ch'egli sia titolare, in Svizzera, di crediti in franchi e in dollari o ch'egli abbia strette relazioni con le banche svizzere non è sufficiente per far presumere l'operazione di cambio cui s'è accennato: decisivo è, infatti, il domicilio o il centro d'affari del creditore (cfr. WEBER, op.cit., nota 362 ad
art. 84 CO
). Resta da esaminare se esistano prove o indizi atti a confortare l'ipotetica conversione del credito alla sua scadenza.
c) Il problema non dev'essere vagliato con eccessivo rigore. Nondimeno, se constatazioni inerenti alla moneta impiegata abitualmente dal creditore nel proprio giro d'affari o al modo in cui egli procede abitualmente in casi analoghi possono bastare, ancora non appare risolutivo il fatto ch'egli compia "molte operazioni di conversione secondo le necessità dei suoi commerci internazionali" o ch'egli si serva "anche di dollari effettuando i suoi pagamenti a fornitori residenti nell'area del dollaro o che comunque si fanno pagare in dollari". Accertamenti del genere non suffragano l'evenienza d'una totale conversione del credito in franchi svizzeri alla sua scadenza. Poco importa che, come afferma la corte, ove la prova del danno fallisse la Banca convenuta trarrebbe vantaggio dalla mora, poiché l'
art. 106 CO
concerne il danno subìto dal creditore, non
BGE 109 II 436 S. 443
l'eventuale vantaggio conseguito dal debitore. Né può dirsi che, sin dall'inizio della mora, il creditore non sia più padrone degli eventi, potendo egli sempre dichiarare al debitore in mora quale conversione applicare alla somma dovuta (cfr. BUCHER, op.cit., pag. 320 nota 112).
La corte cantonale scorge nella mancata presunzione del danno un rovesciamento dell'onere probatorio. A torto. L'obbligo di provare un danno superiore all'interesse di mora incombe, come tale, al creditore (
art. 106 cpv. 1 CO
in relazione con l'
art. 8 CC
). Tuttavia, se il creditore fa valere un danno eccedente l'interesse moratorio dovuto alla perdita sul cambio della moneta avente corso legale al luogo del proprio domicilio, il giudice presume tale danno fondandosi sulla comune esperienza e sul corso ordinario degli eventi. Trattasi unicamente di una presunzione di fatto che facilita, ma non inverte l'onere della prova (v. HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, pag. 389; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3a edizione, pag. 322 e 326; WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, 3a edizione, pag. 338).
I giudici cantonali presumono un danno, infine, data l'impossibilità, per il creditore, di far fronte a pagamenti nella stessa valuta della somma dovuta dal debitore moroso. Questo non significa però che il creditore (domiciliato in Svizzera o all'estero) abbia a subire un danno pari alla ricordata differenza di cambio: il fatto di utilizzare valuta deprezzata per saldare debiti nella medesima valuta non configura un danno legato alla mora, ma una conseguenza non indennizzabile del deprezzamento monetario. L'assunto dei giudici cantonali non ha dunque attinenza con l'ipotetico danno patito dal creditore.
d) Gli elementi di fatto desumibili dalla sentenza impugnata non permettono di stimare la porzione di dollari e marchi che l'attore avrebbe trasformato in franchi svizzeri alla scadenza del credito. È vero che tale valutazione non dev'essere vincolata a criteri troppo rigorosi; d'altro lato essa non deve prescindere dalle restrizioni monetarie vigenti in Svizzera al 13 febbraio 1976, che costituiscono fattori d'apprezzamento importanti per un'eventuale conversione della valuta estera. Dandosi simili restrizioni, tocca al creditore spiegare come avrebbe operato, di massima, la trasformazione nel rispetto delle norme esistenti (
DTF 46 II 408
).
3.
Se ne conclude che la causa dev'essere rinviata all'autorità cantonale perché proceda agli accertamenti necessari ed emani un nuovo giudizio (
art. 64 cpv. 1 OG
).
BGE 109 II 436 S. 444
a) Sulla base delle prove e degli indizi emergenti dall'incarto, i giudici valuteranno la quota di dollari e marchi che l'attore avrebbe verosimilmente convertito alla scadenza del credito, tenendo conto delle restrizioni monetarie in vigore al 13 febbraio 1976 (v. il decreto federale dell'8 ottobre 1971 sulla protezione della moneta e le relative ordinanze d'esecuzione, in particolare l'ordinanza del 20 novembre 1974 che istituiva provvedimenti contro l'afflusso di capitali stranieri). Al riguardo i giudici escluderanno ogni operazione di cambio svantaggiosa o poco ragionevole.
Essi si pronunceranno, inoltre, sugli argomenti formulati dalla convenuta, secondo cui solo una parte del credito poteva essere convertita senza incorrere in pesanti commissioni negative.
b) Subordinatamente la corte si determinerà sulla tesi della convenuta, stando alla quale le somme in dollari e marchi, quand'anche fossero state trasformate in franchi svizzeri, non avrebbero prodotto interessi a causa della legislazione monetaria. Se l'assunto si rivelerà fondato, il danno legato alla mancata conversione della quota in dollari e marchi che sarebbe stata trasformata in franchi svizzeri dovrà essere ridotto dell'interesse moratorio del 6% percepito dal ricorrente in conformità alla sentenza 15 maggio 1979 del Tribunale federale. Il cambio in una valuta non rimunerabile preclude, evidentemente, la corresponsione di vantaggi quali l'interesse moratorio.
c) L'importo finale che la corte riterrà, se sarà il caso, di attribuire all'attore come danno supplementare dovrà essere maggiorato dell'interesse del 6% dal 16 luglio 1980, data della petizione.
Dispositiv
Per questi motivi, il Tribunale federale pronuncia:
Il ricorso è parzialmente accolto e la sentenza impugnata è annullata; la causa è rinviata all'autorità cantonale per nuovo giudizio nel senso dei considerandi. | public_law | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbe27742-d052-4202-9ef5-ec456369e4da | Urteilskopf
90 I 302
46. Auszug aus dem Urteil vom 30. Oktober 1964 i.S. Trösch gegen Rekurskommission des Kantons Bern. | Regeste
Militärpflichtersatz.
1. Eine dauernde Ersatzbefreiung kommt erst in Frage, wenn die Diensttauglichkeit endgültig beurteilt und auf Dauer verneint wird.
2. Ein Anspruch auf eine zeitlich begrenzte Ersatzbefreiung besteht, sofern die Rückfallgefahr, deretwegen der Militärpflichtige dienstuntauglich erklärt worden ist, durch den Militärdienst verursacht worden ist. Die Rückfallgefahr, die eine vorübergehende Dienstuntauglichkeit bewirkt, besteht - kraft gesetzlicher Vermutung - zum mindesten während der. in der IBW genannten minimalen Karenzfrist.
3. Ist der Kanton oder der Bund allenfalls im Sinne von
Art. 156 Abs. 2 OG
zur Kostentragung herbeizuziehen? | Erwägungen
ab Seite 303
BGE 90 I 302 S. 303
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer ist nur für fünf Jahre dienstuntauglich erklärt worden. Ob seine Untauglichkeit länger andauert, ist heute noch ungewiss. Damit fehlt es vorläufig an einer wesentlichen Voraussetzung für die dauernde Befreiung von der Ersatzpflicht, der Unmöglichkeit nämlich, je wieder Militärdienst leisten zu können. Eine dauernde Ersatzbefreiung kommt erst dann allenfalls in Frage, wenn die Diensttauglichkeit endgültig beurteilt und auf Dauer verneint wird. Auf das Hauptbegehren des Beschwerdeführers, er sei vom Militärpflichtersatz vollständig zu befreien, kann zur Zeit nicht eingetreten werden. Gegenstand seiner Beschwerde ist somit einzig die Befreiung von der Ersatzpflicht bis zum 31. August 1966.
4.
Für die Beurteilung der Ersatzbefreiung bis 1966 ist entscheidend, ob die Rückfallgefahr, deretwegen der Beschwerdeführer für fünf Jahre dienstuntauglich erklärt worden ist, durch den von ihm geleisteten Militärdienst verursacht worden ist
Prof. Dr. med. G. Riva führt in seinem zweiten, vom Bundesgericht eingeholten Gutachten aus, der Beschwerdeführer sei in der Zeit von Ende Juli 1959 bis Ende August 1964 Träger einer aktiven, zuerst behandlungs- und dann überwachungsbedürftigen Lungentuberkulose gewesen. Die Behandlungs- und Überwachungsbedürftigkeit, die seine Dienstuntauglichkeit bewirkt habe, sei "in erheblichem Ausmass durch den geleisteten Dienst bedingt" gewesen.
Die vom Experten genannten fünf Jahre (1959-1964) umfassen einmal die Dauer der dienstlich bedingten akuten Erkrankung bis und mit der Nachkur vom Sommer 1961, mit deren Abschluss der dienstliche Schub behoben war. Für diese drei Jahre der Behandlungsbedürftigkeit ist der Beschwerdeführer bereits von jeder Ersatzpflicht befreit.
BGE 90 I 302 S. 304
Eine Ersatzbefreiung ist nach den Darlegungen des Experten, der eine Verursachung der Rückfallgefahr durch den Militärdienst bis 1964 bejaht, auch für die Zeit der sogenannten Überwachungsbedürftigkeit, die Jahre 1961/62, 1962/63 und 1963/64 gerechtfertigt. Einer derartigen Befreiung hat im übrigen die eidgenössische Steuerverwaltung in ihrer Vernehmlassung zugestimmt.
5.
Der Experte erklärt weiter, seit Ende August 1964 könne der Beschwerdeführer als geheilt betrachtet werden. Er hält es für angezeigt, die Frage der Diensttauglichkeit sofort neu zu überprüfen. Gestützt darauf verlangt die eidgenössische Steuerverwaltung, die Ersatzbefreiung ab Ende August 1964 sei zu verweigern, weil die dienstliche Verschlimmerung des vorbestandenen tuberkulösen Leidens im August 1964 behoben gewesen sei. Sie scheint damit die dienstliche Bedingtheit der Rückfallgefahr auf das Jahr 1964 begrenzen zu wollen, ohne einen neuen Entscheid der U.C. abzuwarten.
Der Experte und die eidgenössische Steuerverwaltung übersehen, dass die Karenzfrist, für die ein Wehrmann, der eine primo-sekundäre oder eine sekundär-tertiäre Lungentuberkulose durchgemacht hat, dienstuntauglich erklärt werden muss, nach Z. 250/16 lit. a und b IBW mindestens fünf oder sechs bis acht Jahre beträgt. Darin liegt eine gesetzliche Vermutung, die besagt, die Rückfallgefahr, die eine vorübergehende Dienstuntauglichkeit bewirkt, bestehe während der in der IBW genannten Mindestdauer. Eine Überprüfung der Dienstuntauglichkeit des Beschwerdeführers vor dem Ablauf der minimalen Karenzfrist von fünf Jahren hat unter diesen Umständen keinen Sinn.
Von 1962 an beruht die Dienstuntauglichkeit des Beschwerdeführers ausschliesslich auf der Rückfallgefahr, und diese ist nach dem Gutachten in erheblichem Ausmass durch den geleisteten Dienst bedingt. Damit ist die Untauglichkeit des Beschwerdeführers eine Folge des Militärdienstes im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 lit. b MStG
. Der Umstand, dass sie wegen der gesetzlichen Vermutung der
BGE 90 I 302 S. 305
IBW länger dauert, als das Gutachten Riva beim Beschwerdeführer eine Überwachungsbedürftigkeit angenommen hat, vermag hieran nichts zu ändern. Denn ohne den dienstlichen Schub wäre es auch nach dem Gutachten überhaupt nicht zu einer Rückfallgefahr und zu einer Dienstuntauglichkeit gekommen. Der Beschwerdeführer hat deshalb Anspruch auf Ersatzbefreiung für die ganze Dauer seiner durch U.C. am 31. August 1961 verfügten Dienstuntauglichkeit, das heisst bis und mit dem Jahre 1966. In diesem Sinne ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen.
6.
Was die Kostenfrage anbelangt, so erscheinen neben dem Beschwerdeführer als beschwerdebeklagte Parteien die kantonale Militärpflichtersatzverwaltung, beziehungsweise der hinter ihr stehende Kanton, und der zur Vernehmlassung berechtigte Bund, vertreten durch den Bundesrat (
Art. 108 Abs. 2 OG
), der sein Recht zur Vernehmlassung an die eidgenössische Steuerverwaltung delegiert hat. Welche von diesen Parteien, der Kanton oder der Bund, allenfalls im Sinne von
Art. 156 Abs. 2 OG
zur Kostentragung herbeigezogen werden kann, ist grundsätzlich neu zu prüfen, nachdem sich mit dem Inkrafttreten des MStG am 1. Januar 1960 die Stellung des Kantons im Verfahren geändert hat.
a) Unter der Herrschaft des MStG vom 28. Juni 1878 ist bei der Kostenregelung der Kanton mit den Kosten belastet worden, wenn der Ersatzpflichtige mit seinen Anträgen durchgedrungen ist. Diese Regelung war nach der damaligen Ordnung gerechtfertigt, weil die Hälfte des Ertrages des Militärpflichtersatzes den mit dem Bezug betrauten Kantonen verblieb und diese somit das Bundesgericht in einer Sache beanspruchten, die ihr eigenes Vermögensinteresse betraf (vgl.
Art. 156 Abs. 2 OG
). Durch den Erlass des neuen MStG hat sich die Situation grundlegend geändert: Die Kantone dürfen nach
Art. 45 MStG
nur noch die ihnen verfassungsmässig zustehende Bezugsprovision für sich behalten, während der ganze Rohertrag dem Bund zufliesst. Die Bezugsprovision beträgt gemäss
BGE 90 I 302 S. 306
Art. 6 der Übergangsbestimmungen zur BV seit dem 1. Januar 1961 20% des Rohertrages (AS 1958, S. 365). Nach der neuen Ordnung kann der Kanton, der die Abgabe für den Bund erhebt und lediglich eine Bezugsprovision erhält, nicht mehr als Partei betrachtet werden, die in eigenem Vermögensinteresse handelt und deswegen Verfahrenskosten zu tragen hat.
b) Der Ausdruck Bezugsprovision ist als Entschädigung für alle Kosten und Obliegenheiten, die den Kantonen in Verbindung mit dem Militärpflichtersatz erwachsen, zu verstehen. Dazu gehören die Kosten des Veranlagungs- und kantonalen Beschwerdeverfahrens. Nicht zu den Obliegenheiten des Kantons gehört aber das Verfahren vor Bundesgericht.
c) Unterlegen und in seinen Vermögensinteressen beschwert ist im vorliegenden Fall der von der eidgenössischen Steuerverwaltung vertretene Bund. Er hat die Kosten des Gutachtens, welches den gutgeheissenen Eventualantrag - die Ersatzbefreiung des Beschwerdeführers bis 1966 - betrifft, zu tragen. Die übrigen Gerichtskosten sind angesichts des Nichteintretens auf den Hauptantrag je zur Hälfte vom Beschwerdeführer und vom Bund zu tragen. Da die Beschwerde nur teilweise geschützt wird, ist dem Beschwerdeführer zu Lasten des Bundes eine herabgesetzte Parteientschädigung zuzusprechen, die mit Fr. 200.-- angemessen erscheint.
d) Die den Bund treffenden Kosten sind der eidgenössischen Steuerverwaltung aufzuerlegen. Ihr Antrag, die Kosten seien durch die Kasse des Bundesgerichtes zu übernehmen, käme im Ergebnis auf dasselbe hinaus. Die Belastung der eidgenössischen Steuerverwaltung ist aber vorzuziehen: Auf diese Weise werden die bundesgerichtlichen Kosten zu den Auslagen des Bundes für den Militärpflichtersatz gerechnet, genau gleich wie die Bezugsprovision mit der die Kantone unter anderem für das kantonale Beschwerdeverfahren entschädigt werden. | public_law | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cbe76389-8f58-413b-818b-36e7c06995ca | Urteilskopf
91 I 480
73. Urteil vom 31. März 1965 i.S. Association de l'Ecole française und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 90 OG
;
Art. 4 und 116 BV
, Sprachenfreiheit; Privatschulwesen.
1. Staatsrechtliche Beschwerden gegen die Verweigerung, den Entzug und die Einschränkung einer Polizeierlaubnis haben nicht bloss kassatorische Funktion. Rechtsnatur der Bewilligung zum Betrieb einer Privatschule nach Zürcher Recht (Erw. I).
2. Die Sprachenfreiheit ist ein ungeschriebenes Grundrecht des Bundes (Erw. II/1). Sie steht unter dem Vorbehalt des
Art. 116 BV
. Die Massnahmen, welche die Kantone gestützt darauf zur Erhaltungder vier überlieferten Sprachgebiete der Schweiz treffen, haben den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu wahren (Erw. II/2); sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts mit Bezug auf die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts (Erw. II/3).
3. Die Kantone können gestützt auf
Art. 116 BV
die Unterrichtssprache auch für die Privatschulen festlegen (Erw. II/2). Zulässigkeit der Vorschrift, dass die Schüler nach Ablauf einer bestimmten Frist dem Unterricht in der Landessprache folgen können müssen und dass sie hernach in eine Schule überzutreten haben, die den Unterricht in der Landessprache erteilt (Erw. II/3 b).
4. Voraussetzungen für den Entzug und die Einschränkung der Bewilligung zum Betrieb einer Privatschule nach Zürcher Recht (Erw. III). | Sachverhalt
ab Seite 482
BGE 91 I 480 S. 482
A.-
Der Erziehungsrat des Kantons Zürich erteilte am 24. April 1956 dem Französischen Generalkonsulat in Zürich die Bewilligung zur Führung einer Privatschule auf der Volksschulstufe für ausländische, sich vorübergehend im Kanton Zürich aufhaltende Schüler französischer Zunge. Er erlaubte dabei, den Unterricht in französischer Sprache, nach französischem Lehrplan und mit französischen Lehrmitteln zu erteilen, jedoch unter dem Vorbehalt: "Hat ein Aufenthalt zwei Jahre gedauert und ist mit einer weitern längern Dauer oder einer dauernden Niederlassung in der Schweiz zu rechnen, so ist eine Einführung in die deutsche Sprache in das Unterrichtsprogramm aufzunehmen, welche den Übertritt an die zürcherische Volksschule oder an Mittelschulen gestattet".
In der Folge übernahm die Association de l'Ecole française, ein Verein, die Führung der Schule, die ausser einer Primar- und Sekundarabteilung ein Gymnasium umfasst. Auf Gesuch des Vereins anerkannte der Erziehungsrat die Ecole française am 16. Juli 1957 auch "als Privatschule für Schweizerkinder französischer Muttersprache, deren Eltern oder Besorger sich vorübergehend oder mit der Absicht dauernder Niederlassung in Zürich aufhalten". Dem Verein wurde aufgegeben, Lehrplan und Lehrziel der Volksschule entsprechend zu gestalten, insbesondere die Schüler in der deutschen Sprache so zu fördern, dass sie nach zwei Jahren dem Unterricht der ihrem Alter entsprechenden Klasse der Volksschule ohne Schwierigkeiten zu folgen vermögen. Der Erziehungsrat machte zudem die Aufnahme von Schweizerkindern von einer Bewilligung des Schulamtes der Stadt Zürich abhängig, wobei er vorsah: "Diese Bewilligung wird für zwei Jahre erteilt; sie kann bei anhaltenden sprachlichen Schwierigkeiten ausnahmsweise um ein weiteres Jahr verlängert werden. Spätestens nach Ablauf von drei Jahren seit ihrem Eintritt in die Ecole française haben die Schweizerkinder in eine deutschsprachige Schule überzutreten."
BGE 91 I 480 S. 483
B. - Die Association de l'Ecole française und mehrere Väter westschweizerischer Kinder stellten am 26. Juli 1961 das Gesuch, es sei auch Schweizerkindern der Schulbesuch ohne zeitliche Einschränkung zu bewilligen. Der Erziehungsrat wies das Gesuch ab, ebenso auf Rekurs hin der Regierungsrat. Das Verwaltungsgericht hiess eine Beschwerde der Gesuchsteller am 25. Oktober 1962 im Sinne der Erwägungen gut und wies die Sache an den Regierungsrat zurück. Es begründete die Rückweisung damit, dass der Regierungsrat unter Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit nicht zwischen Kindern, die sich nur vorübergehend, und solchen, die sich dauernd im Kanton aufhielten, unterscheide, dass er andererseits dadurch, dass er den Schulbesuch nur für Schweizerkinder, nicht dagegen für Ausländerkinder zeitlich begrenze, gegen die Rechtsgleichheit verstosse und dass er durch die Verpflichtung, nach zweijährigem Besuch der Ecole française in die Volksschule überzutreten, den Eltern das Recht nehme, ihre Kinder in eine mit Bewilligung des Erziehungsrates auf Grundlage der deutschen Sprache geführte Privatschule zu senden (vgl. Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichts 1962 Nr. 105 = ZBl 1963 S. 452 = ZR 63 Nr. 67). Das Bundesgericht ist auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegen den Rückweisungsentscheid mit Urteil vom 3. April 1963, im wesentlichen mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, nicht eingetreten.
Auf Grund des Rückweisungsentscheids des Verwaltungsgerichts hiess der Regierungsrat den Rekurs der Gesuchsteller am 4. Juni 1964 teilweise gut, indem er anordnete:
"Der Association de l'Ecole française, Zürich, wird die Bewilligung zur Unterrichtung von Schülern mit französischer Muttersprache (schweizerischer und ausländischer Nationalität) in französischer Sprache unter folgenden Bedingungen erteilt:
1. Schüler französischer Muttersprache, bei denen ein dauernder Aufenthalt im Kanton Zürich ausser Betracht fällt oder unwahrscheinlich ist, können für die Zeit ihrer Anwesenheit im Kanton Zürich in die Schule aufgenommen werden.
Die Bestimmung von Lehrplan und Lehrmitteln wird der Schule überlassen, jedoch ist eine dem Unterrichtsziel der Volksschule entsprechende Schulung anzustreben.
2. Andere Schüler französischer Muttersprache können für die Dauer von zwei Jahren aufgenommen werden.
Der Schulbesuch kann ausnahmsweise aus besonderen Gründen bis auf drei Jahre erstreckt werden, insbesondere bei
BGE 91 I 480 S. 484
anhaltenden sprachlichen Schwierigkeiten oder bei bevorstehender Beendigung der Schulpflicht. Nach Ablauf der Bewilligung hat der Übertritt in eine öffentliche oder private Schule mit deutscher Unterrichtssprache zu erfolgen.
Der Unterricht hat in bezug auf Lehrziel und Lehrplan jenem der staatlichen Volksschule zu entsprechen. Die Schüler sind in der deutschen Sprache so zu fördern, dass sie nach zwei Jahren dem Unterricht in einer ihrem Alter entsprechenden Klasse der Volksschule zu folgen vermögen. Die von der Schule verwendeten Lehrmittel sind der Erziehungsdirektion zur Genehmigung vorzulegen.
3. Die Aufnahme in die Schule bedarf der vorangehenden Bewilligung des Schulamtes der Stadt Zürich.
Die Bewilligung wird für den einzelnen Schüler erstmals für zwei Jahre erteilt. Sie kann hernach auf Gesuch gemäss Ziffer 2 Absatz 2 verlängert werden oder wird gegen den Nachweis weiteren nur vorübergehenden Aufenthaltes gemäss Ziffer 1 jeweils um ein Jahr verlängert.
Im übrigen gelten die Bestimmungen der Beschlüsse des Erziehungsrates vom 24. April 1956 und 16. Juli 1957."
Das Verwaltungsgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde am 23. Oktober 1964 abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
C.-
Die Association de l'Ecole française und zehn Väter von Schülern dieser Schule führen unter Berufung auf
Art. 4 und 116 BV
, Art. 63 der Zürcher Kantonsverfassung (KV) und die persönliche Freiheit staatsrechtliche Beschwerde mit den Anträgen, der letztgenannte Entscheid des Verwaltungsgerichtes sei aufzuheben und es sei der Association de l'Ecole française zu bewilligen, schweizerische und ausländische Kinder französischer Muttersprache ohne zeitliche Beschränkung (oder doch für die ganze Primarschulzeit, mindestens aber für mehr als zwei bzw. drei Jahre) in der Schule aufzunehmen und zu unterrichten.
Der Regierungsrat und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich schliessen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I.
- Gemäss § 270 des Gesetzes über das gesamte Unterrichtswesen (Unterrichts G) des Kantons Zürich vom 23. Dezember 1859 bedarf es zur Errichtung von Privatschulen "einer besonderen Bewilligung des Erziehungsrates, welcher eine Prüfung
BGE 91 I 480 S. 485
des Planes und der Einrichtung der Anstalt vorauszugehen hat". Diese Bewilligung wird (im Gegensatz zu den entsprechenden Bewilligungen einiger anderer Kantone) im Schrifttum mit überzeugenden Gründen als Polizeierlaubnis bezeichnet (vgl. ZIEGLER, Die öffentlichrechtliche Stellung der privaten Schulen in der Schweiz, S. 84, und die dort in A. 42 genannten Belege; anderer Meinung BARTH, Die Unterrichtsfreiheit in der Schweiz im 19. Jahrhundert, S. 5, 54, 62 ff., und im Anschluss daran GIACOMETTI, Staatsrecht der Kantone, S. 171 A. 9). Eine staatsrechtliche Beschwerde, die sich gegen die Verweigerung, den Entzug oder die Einschränkung einer Polizeierlaubnis wendet, ist nicht bloss kassatorischer Natur (
BGE 87 I 280
Erw. 1 mit Verweisungen,
BGE 89 I 526
Erw. 5,
BGE 90 I 349
). Das zweite Rechtsbegehren der Beschwerde, mit dem verlangt wird, der Association de l'Ecole française sei zu bewilligen, schweizerische und ausländische Kinder französischer Muttersprache ohne zeitliche Beschränkung (oder doch für die ganze Primarschulzeit, mindestens aber für mehr als zwei bzw. drei Jahre) in der Schule aufzunehmen und zu unterrichten, ist daher zulässig. Es ist zudem insofern von Bedeutung, als sich daraus ergibt, dass die Beschwerde sich nur gegen die vom Regierungsrat verfügte und vom Verwaltungsgericht bestätigte Beschränkung der Aufnahme von Schülern auf die Dauer von zwei bzw. drei Jahren richtet.
II.
- 1. - Die Beschwerdeführer machen geltend, die angefochtenen Anordnungen verstiessen in erster Linie gegen den "Anspruch eines Menschen, sich in seiner eigenen Muttersprache unterrichten zu lassen". Ihrer Ansicht nach gewährleistet die Verfassung dieses Recht im Gleichheitssatz des
Art. 4 BV
, in
Art. 116 BV
, in der Garantie der persönlichen Freiheit und in Art. 63 der Zürcher KV, der in seiner bis zum 16. Juli 1963 gültigen Fassung die Lehrfreiheit ausdrücklich garantierte. Diese Verfassungssätze setzen das als verletzt bezeichnete Rechtsgut zwar voraus; sie schützen es jedoch selber nicht oder nur nach einzelnen Richtungen hin. Worum es den Beschwerdeführern in Wirklichkeit geht, ist die Sprachenfreiheit.
Die Sprachenfreiheit gehört nach der Lehre zu den ungesc hriebenen Freiheitsrechten der BV (GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht, S. 393 ff. mit Verweisungen). Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Das Bundesgericht hat den Bestand ungeschriebenen Verfassungsrechts des Bundes mit Bezug auf die Eigentumsgarantie (
BGE 89 I 98
mit Verweisungen), die Meinungsäusserungsfreiheit
BGE 91 I 480 S. 486
(
BGE 87 I 117
) und die persönliche Freiheit (
BGE 89 I 98
,
BGE 90 I 34
Erw. 3 a) anerkannt; es besteht kein Grund, diese Anerkennung nicht auch auf die Sprachenfreiheit auszudehnen. Wie die persönliche Freiheit (
BGE 88 I 272
,
BGE 89 I 98
,
BGE 90 I 36
), so ist auch die Sprachenfreiheit, das heisst die Befugnis zum Gebrauche der Muttersprache, eine wesentliche, ja bis zu einem gewissen Grade notwendige Voraussetzung für die Ausübung anderer Freiheitsrechte; im Falle der Sprachenfreiheit ist dabei an alle jene Grundrechte zu denken, welche die Freiheit der Äusserung durch das gesprochene oder geschriebene Wort gewährleisten, wie die Meinungsäusserungsfreiheit, vorab in der Gestalt der Pressefreiheit, die Kultusfreiheit, die Vereinsfreiheit, die politischen Rechte und, soweit diese anerkannt ist, auch die Unterrichtsfreiheit (HEGNAUER, Das Sprachenrecht der Schweiz, S. 27 ff.; MEISSER, Demokratie und Liberalismus in ihrem Verhältnis zueinander, S. 93; PEDRAZZINI, La lingua italiana nel diritto federale svizzero, S. 8 ff.; GIERE, Die Rechtsstellung des Rätoromanischen in der Schweiz, S. 10 f.). Soweit die Muttersprache zugleich eine der Nationalsprachen des Bundes ist, ist die Sprachenfreiheit zudem die Grundlage für die Erhaltung der Sprachenlage in der Schweiz, die Gegenstand des
Art. 116 BV
bildet; denn die in Abs. 1 dieser Verfassungsbestimmung enthaltene Gewährleistung des Fortbestandes der vier Nationalsprachen wäre undenkbar ohne die Garantie des Gebrauchs dieser Sprachen in ihrem Geltungsbereich. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung (HEGNAUER, a.a.O., S. 29 A. 13 a, 84) gewährleistet
Art. 116 BV
dabei nicht selber die Sprachenfreiheit; er setzt diese vielmehr voraus und zieht ihr im öffentlichen Interesse gewisse Schranken (vgl. Urteil vom 3. Juni 1932 i.S. Zähringer, Erw. III/3, auszugsweise wiedergegeben in THILO, Note sur l'égalité et sur l'usage des langues nationales en Suisse, S. 21 ff.).
2.
Damit ist festgestellt, dass die Sprachenfreiheit, wie die andern Freiheitsrechte, nicht restlos gewährleistet ist. Neben der Regelung der Amtssprachen des Bundes in
Art. 116 Abs. 2 BV
und den entsprechenden Befugnissen der Kantone (vgl.
BGE 83 III 57
/58) besteht der wichtigste Vorbehalt von der Sprachenfreiheit im erwähnten
Art. 116 Abs. 1 BV
, der die vier Nationalsprachen anerkennt. Diese Verfassungsbestimmung gewährleistet nach dem Gesagten die überkommene sprachliche Zusammensetzung des Landes. Den Kantonen obliegt es, in
BGE 91 I 480 S. 487
ihren Grenzen über der Erhaltung der Ausdehnung und Homogenität der gegebenen Sprachgebiete zu wachen. Die Massnahmen, die sie im Sinne des
Art. 116 Abs. 1 BV
zu diesem Behufe treffen, haben jedoch die Schranken zu wahren, die sich aus dem übrigen Verfassungsrecht und namentlich aus dem verfassungsmässigen Grundsatz der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit der Verwaltung ergeben: Sie müssen das richtige Mittel zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Zieles der Erhaltung der Sprachenlage sein und es erlauben, dieses unter möglichster Schonung der Würde und Freiheit des Einzelnen zu erreichen; das gesteckte Ziel muss zudem in einem vernünftigen Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln, den zu seiner Erlangung notwendigen Freiheitsbeschränkungen stehen (vgl. ZBl 1964 S. 161 Erw. 4, 5).
Die Ausdehnung und Einheit eines Sprachgebietes kann vorab durch die Zuwanderung Anderssprachiger gefährdet werden, sofern diese ein Ausmass erreicht, das im kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben ins Gewicht fällt. Diese Gefahr wird eingedämmt, wenn die Zugewanderten sich sprachlich assimilieren. Hierbei spielt die Schule eine wichtige Rolle: Ihr kann die Aufgabe zukommen, die Kinder der Zugewanderten in der Kenntnis und im Gebrauch der Sprache des neuen Wohnsitzes zu fördern. In der öffentlichen Schule wird der Unterricht in der Regel in der Amtssprache des Einzugsgebietes erteilt; die Befugnis zur Festlegung der Unterrichtssprache ist diesfalls bereits in der allgemeinen Zuständigkeit des Kantons zur Bestimmung seiner Amtssprache enthalten. Im übrigen und soweit es sich um Privatschulen handelt, kann der kantonale Gesetzgeber gestützt auf die sich aus
Art. 116 Abs. 1 BV
ergebende Befugnis zur Wahrung der sprachlichen Eigenart des Kantons oder einzelner Kantonsteile im Rahmen der dargelegten verfassungsmässigen Grenzen die Unterrichtssprache festlegen. Das gilt auch in den Kantonen, welche die Unterrichtsfreiheit anerkennen; denn wie die andern die Freiheit der Äusserung betreflenden Grundrechte steht auch die Unterrichtsfreiheit unter dem Vorbehalt des
Art. 116 Abs. 1 BV
und der daraus fliessenden Befugnisse des kantonalen Gesetzgebers. Es braucht deshalb nicht untersucht zu werden, ob die Lehrfreiheit, die Art. 63 der Zürcher KV in der bis zum 16. Juli 1963 gültigen Fassung ausdrücklich anerkannte, seither jedoch nicht mehr erwähnt, nach dem Willen des Verfassungsgebers (der
BGE 91 I 480 S. 488
nach den Weisungen des Regierungsrates an den Kantonsrat und an die Stimmberechtigten mit der Revision "keine materielle Verfassungsänderung" bezweckte) als ungeschriebenes kantonales Verfassungsrecht fortbestehe.
3.
Gleich den andern von der Verfassung zugelassenen, aber nicht von ihr selber geregelten Beschränkungen der Freiheitsrechte sind Einschränkungen der Sprachenfreiheit durch den Gesetzgeber oder durch den Verordnungsberechtigten auf Grund gesetzlicher Ermächtigung aufzustellen (
BGE 90 I 323
Erw. 3). Hat das Bundesgericht auf staatsrechtliche Beschwerde hin im Einzelfall über die Verfassungsmässigkeit eines Eingriffs in ein Grundrecht zu entscheiden, so untersucht es im Rahmen der erhobenen Einwendungen (vgl. ASA Bd. 34 S. 395), ob der Eingriff in einer kantonalen Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung (die ihrerseits formell und materiell verfassungsmässig sein muss;
BGE 89 I 470
,
BGE 90 I 323
Erw. 3) ihre Grundlage finde, wobei es die Auslegung und Anwendung der betreffenden Bestimmung durch die kantonale Instanz im allgemeinen nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür und der rechtsungleichen Behandlung überprüft (
BGE 89 I 467
Erw. 2 mit Verweisungen); es beurteilt sodann frei, ob bei der als nicht willkürlich und nicht rechtsungleich erkannten Handhabung des kantonalen Rechts das in Frage stehende Grundrecht gewahrt sei (vgl.
BGE 78 I 302
; BONNARD, Problèmes relatifs au recours de droit public, ZSR 81 II S. 485). Wo der beanstandete Eingriff in das Grundrecht sich besonders einschneidend auswirkt, prüft das Bundesgericht zudem auch die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen frei (vgl.
BGE 90 I 39
,
BGE 91 I 35
bezüglich der persönlichen Freiheit;
BGE 89 I 467
/68 mit Verweisungen,
BGE 90 I 340
bezüglich der Eigentumsgarantie). Ob es im Bereiche der Sprachenfreiheit je zu derart schweren Eingriffen komme, steht dahin. Unter den gegebenen Umständen trifft das jedenfalls nicht zu, so dass es bei der erwähnten Einschränkung der Prüfungsbefugnis bleibt.
a) Als Grundlage der angefochtenen Verfügung ziehen die kantonalen Instanzen ausdrücklich und sinngemäss die §§ 23, 24 und 60 des Gesetzes betreffend die Volksschule (VolksschuIG) vom 11. Juni 1899 sowie § 271 UnterrichtsG heran. Das erstgenannte Gesetz bezeichnet in §§ 23 und 60 die "deutsche Sprache" (neben andern Fächern) als "Unterrichtsgegenstand" der Primarschule bzw. der Oberstufe. Nach § 24 dieses Gesetzes
BGE 91 I 480 S. 489
legt "ein vom Erziehungsrat aufgestellter Lehrplan... für jede Klasse den Unterrichtsstoff und die auf die einzelnen Fächer zu verwendende Zeit" fest (Abs. 1); hierbei ist "darauf zu achten, dass die Schüler eine gründliche Elementarbildung, vor allem in Sprache und Rechnen, und eine ausreichende Schreibfertigkeit ... erhalten" (Abs. 2). Laut § 271 UnterrichtsG sollen "Anstalten, welche an die Stelle der Volksschule treten,...ihren Schülern einen der Volksschule entsprechenden Unterricht gewähren".
Die Beschwerdeführer anerkennen, dass Deutsch die Unterrichtssprache der öffentlichen Schulen des Kantons Zürich ist. Diese Stellung kommt der deutschen Sprache nicht nur tatsächlich, sondern, da sie die Amts- und Landessprache des Kantons ist (vgl.
§ 166 Abs. 1 GVG
;
§
§ 139, 158 StPO
), auch im Rechtssinne zu. In Ausführung dieser Rechtslage bringt der Lehrplan der Volksschule des Kantons Zürich, den der Erziehungsrat am 15. Februar 1905 gestützt auf § 24 Abs. 1 VolksschuIG erlassen hat, klar zum Ausdruck, dass das Deutsche (ausserhalb der den Fremdsprachen gewidmeten Stunden) die alleinige Unterrichtssprache der öffentlichen Schulen ist. So schreibt das II. Kapitel (" Lehrplan der Primarschule "), das unter lit. A den "Unterrichtsstoff nach Ziel und Umfang" festlegt, in Ziff. 2 unter der Überschrift "Deutsche Sprache" vor, dass im "Sprechen, Lesen, Rezitieren, wie im gesamten mündlichen Unterricht ... in allen Klassen auf eine natürliche, deutliche und lautreine Aussprache und richtige Betonung" zu achten ist. Dass der die "deutsche Sprache" betreffende Abschnitt auf den "gesamten Unterricht" Bezug nimmt, zeigt, dass der Unterricht (vorbehaltlich der erwähnten Ausnahmen) in allen Fächern in deutscher Sprache zu erteilen ist. Im selben, der "deutschen Sprache" gewidmeten Abschnitt führt der Lehrplan auch den Begriff der "Muttersprache" auf. Daraus erhellt, dass er darunter durchwegs die deutsche Schriftsprache und die schweizerdeutsche Mundart versteht.
Eine andere Frage ist es, ob auch an den Privatschulen der Unterricht auf der Primar- und Oberstufe grundsätzlich in deutscher Sprache zu erteilen sei. Die kantonalen Instanzen folgern dies aus § 271 UnterrichtsG, wonach die Privatschulen ihren Schülern einen "der Volksschule entsprechenden Unterricht" zu erteilen haben. Die Verordnung betreffend das Volksschulwesen vom 31. März 1900 führt diese Regel in
BGE 91 I 480 S. 490
§ 153 in zulässiger Weise dahin aus, dass der "den Schülern erteilte Unterricht in seiner Gesamtleistung demjenigen der allgemeinen Volksschule entsprechen" muss. Der Unterricht an den Privatschulen muss demnach zwar nicht bis ins einzelne mit dem der öffentlichen Schulen übereinstimmen, er muss aber die gleiche Gewähr für die Erreichung der wesentlichen Lehrziele bieten. Zu diesen gehört gemäss § 24 Abs. 2 VolksschulG "eine gründliche Elementarbildung, vor allem in Sprache..." und nach dem Lehrplan der Volksschule des Kantons Zürich "das Verständnis und der richtige Gebrauch der Muttersprache". Nach dem Gesagten ist unter der "Muttersprache" das Deutsche zu verstehen, das allgemeine Unterrichtssprache ist. Dass es sich hierbei nicht um einen blossen Nebenpunkt handelt, ergibt sich aus der Stellung, die das Deutsche als Amts- und Landessprache einnimmt, wie auch aus der Bedeutung, die ihm im "praktischen Leben" zukommt, auf das die Schule die Kinder vorzubereiten hat (§ 24 Abs. 3, § 54 Abs. 1 VolksschuIG). Die kantonalen Instanzen hatten demnach sachliche Gründe für den Schluss, um dem Unterricht an der Volksschule im Sinne von § 271 UnterrichtsG zu "entsprechen", müsse die Privatschule den Schülern ermöglichen, sich die deutsche Sprache in gleichem Masse anzueignen wie beim Besuch der Volksschule. Dem Einwand, der Gesetzgeber habe beim Erlass dieser Bestimmung im Jahre 1859 nicht an die Bedürfnisse fremdsprachiger Kinder gedacht, weshalb insofern eine Lücke bestehe, kann nicht gefolgt werden. § 271 UnterrichtsG verlangt ohne Vorbehalte, dass der Unterricht an den Privatschulen dem der Volksschule "entspreche"; er schränkt dieses Gebot nicht auf einzelne Lehrziele oder Fächer ein, sondern stellt eine allgemeine Regel auf, die alle auftretenden Möglichkeiten erfasst. Die Auslegung des § 271 UnterrichtsG durch die kantonalen Instanzen hält mithin klarerweise dem Vorwurf der Willkür stand.
Eine Verletzung der Rechtsgleichheit ist ebenfalls nicht dargetan. Wenn den Schülern der Privatschulen die gleichen Deutschkenntnisse vermittelt werden müssen wie denen der Volksschule, so liegt weder mit Bezug auf das Lehrziel noch hinsichtlich der Anforderungen an die Schüler eine rechtsungleiche Behandlung vor; denn auch die Volksschule wird von fremdsprachigen Schülern besucht. Die Behauptung, einzelne Kantone gestatteten den Privatschulen den Unterricht in einer
BGE 91 I 480 S. 491
andern als der Landessprache, ist von vornherein nicht geeignet, die davon abweichende Zürcher Praxis als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. Dass das kantonale Recht von Kanton zu Kanton verschieden ist und selbst gleich oder ähnlich lautende Bestimmungen verschieden gehandhabt werden, ist die unabwendbare Folge der in der Bundesverfassung verankerten Eigenständigkeit der Kantone, die insoweit dem Gleichheitssatz des
Art. 4 BV
vorgeht. Die Verschiedenheit des kantonalen Rechts und der kantonalen Rechtsanwendung verstösst daher nicht gegen diese Verfassungsbestimmung (
BGE 80 I 349
Erw. 3 mit Verweisungen).
Zusammengefasst ergibt sich, dass die Auslegung der §§ 23, 24 und 60 VolksschuIG und des § 271 UnterrichtsG durch die kantonalen Instanzen weder willkürlich ist noch gegen die Rechtsgleichheit verstösst und dass die angefochtene Anordnung in den so verstandenen Bestimmungen ihre gesetzliche Grundlage findet.
b) Dass diese Bestimmungen als solche formell und materiell verfassungsmässig sind, bestreiten die Beschwerdeführer mit Recht nicht. Sie machen vielmehr sinngemäss geltend, die Anwendung dieser Vorschriften im angefochtenen Entscheid greife tiefer in die Sprachenfreiheit ein, als nach der Verfassung zulässig sei.
Wie sich aus Erw. II/2 ergibt, sind die Kantone nach
Art. 116 Abs. 1 BV
befugt, zur Wahrung der sprachlichen Eigenart und Einheitlichkeit des Kantons oder einzelner Kantonsteile die Unterrichtssprache auch für die Privatschulen festzulegen; sie haben dabei jedoch den Grundsatz der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit zu beachten. Die Beschwerdeführer halten diesen Grundsatz für verletzt. Sie wenden in erster Linie ein, die Zahl der im Kanton Zürich ansässigen französischsprachigen Kinder und insbesondere der Schüler der Ecole française sei im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung verschwindend klein, so dass der sprachlichen Eigenart des Kantons von dieser Seite her keine Gefahr drohe. Das trifft an sich zu, ist indessen im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend. Es ist bekannt, dass der Kanton Zürich viele Zuwanderer wenn auch nicht aus dem französischen, so doch aus andern nichtdeutschen Sprachgebieten aufgenommen hat. Entsprechend gross ist die Zahl der diesen Sprachgruppen angehörenden Kinder. Würde der Association de l'Ecole française der Unterricht in der Muttersprache
BGE 91 I 480 S. 492
der Schüler uneingeschränkt gestattet, so müsste diese Erlaubnis um der Rechtsgleichheit willen (vgl.
BGE 89 I 477
) auch den Privatschulen erteilt werden, die sich der Kinder anderer Sprachgruppen annehmen und annehmen werden. Das hätte zur Folge, dass sich im Kanton Zürich starke Gruppen von Einwohnern bilden würden, die zwar im Lande aufgewachsen sind und da zu bleiben gedenken, die aber die Landessprache nur mangelhaft beherrschen und deshalb innerhalb der Bevölkerung dauernd ein Eigenleben führen würden. Es liegt im Sinne der in
Art. 116 Abs. 1 BV
enthaltenen Gewährleistung der überlieferten Ausdehnung und Homogenität der vier Sprachgebiete der Schweiz, wenn der Kanton Zürich einer solchen Entwicklung entgegentritt.
Die getroffenen Massnahmen eignen sich hierfür. Ihre Ausgestaltung trägt entgegen den erhobenen Einwendungen dem Gebote möglichster Schonung der Freiheit des Einzelnen Rechnung. So dürfen die Schüler, die sich voraussichtlich nur vorübergehend im Kanton aufhalten, zeitlich unbeschränkt in die Schule aufgenommen und ganz in französischer Sprache unterrichtet werden; wenn die Schule die übrigen Schüler in der deutschen Sprache so zu fördern hat, "dass sie nach zwei Jahren dem Unterricht in einer ihrem Alter entsprechenden Klasse der Volksschule zu folgen vermögen", so bleibt ihnen genügend Zeit für die sprachliche Umstellung, zumal der Schulbesuch ausnahmsweise, "insbesondere bei anhaltenden sprachlichen Schwierigkeiten oder bei bevorstehender Beendigung der Schulpflicht", bis auf drei Jahre erstreckt werden kann. Die Beschwerdeführer treten für eine Erweiterung dieser Zugeständnisse ein; sie schlagen hilfsweise vor, es sei der Ecole française zu erlauben, das Lehrziel der Volksschule, was die deutsche Sprache anbelangt, erst am Ende der Primarschule bzw. der Oberstufe zu erreichen. Es ist eine sich an den Erzieher richtende Fachfrage, ob sich auf diese Weise die volle sprachliche Eingliederung aller Kinder erreichen lasse. Die kantonalen Instanzen haben das verneint, und die Beschwerdeführer haben nichts vorgebracht, was diese Annahme in Frage stellen würde.
Richtig ist, dass die getroffene Regelung trotz der erwähnten Rücksichtnahme erhebliche Anstrengungen von Seiten der Schüler und vor allem auch der Schule erfordert. Die kantonalen Instanzen verkennen das nicht. Sie geben sich auch darüber Rechenschaft, welche Bedeutung der Muttersprache im Leben
BGE 91 I 480 S. 493
des Menschen zukommt und dass die Schulung in einer andern Sprache dem Heranwachsenden den Zugang zu den Feinheiten und dem Reichtum der eigenen Sprache erschwert, ja ihn darüber hinaus beim Fehlen genügender Gegenkräfte dem eigenen Kulturkreis entfremden kann. Wenn dem auch der Gewinn gegenübersteht, den die Aneignung der Landessprache, namentlich bei der späteren Aufnahme einer Berufstätigkeit, mit sich bringt, so bleibt es doch dabei, dass die Schulung in einer andern als der Muttersprache die Entwicklung eines Kindes in einer Weise beeinflusst, die von manchen Eltern aus an sich beachtlichen Gründen abgelehnt wird. Den so gelagerten Interessen der Eltern und Kinder steht das öffentliche Interesse an der Wahrung der sprachlichen Homogenität des betreffenden Landesteiles gegenüber. Wenn die kantonalen Instanzen dem zweiten Interesse den Vorrang vor dem ersten eingeräumt haben, so haben sie sich dabei von einer Wertung leiten lassen, die auch
Art. 116 BV
zugrunde liegt. Die angefochtene Anordnung hält sich demnach innerhalb der Grenzen, welche der Sprachenfreiheit nach der Verfassung gezogen werden dürfen.
III.
- Die Bewilligung zur Führung einer Privatschule auf der Volksschulstufe für ausländische, sich vorübergehend im Kanton Zürich aufhaltende Schüler, die der Erziehungsrat am 24. April 1956 dem Französischen Generalkonsulat erteilte, begrenzte die Zeit des Schulbesuches des einzelnen Schülers nicht, sondern sah lediglich vor, dass für Schüler, die noch länger oder dauernd in der Schweiz leben würden, nach zweijährigem Aufenthalt "eine Einführung in die deutsche Sprache in das Unterrichtsprogramm aufzunehmen" sei, "welche den Übertritt an die zürcherische Volksschule oder an Mittelschulen" gestatte. Der zweite Rekursentscheid des Regierungsrates setzt die Höchstdauer des Schulbesuches auch für die ausländischen Schüler (die sich nicht bloss vorübergehend im Kanton aufhalten) auf zwei (bzw. beim Vorliegen besonderer Gründe auf drei) Jahre fest. Die Beschwerdeführer machen geltend, diese Einschränkung der erteilten Bewilligung verstosse gegen
Art. 4 BV
, insbesondere liege darin eine willkürliche Handhabung von § 272 Abs. 2 UnterrichtsG.
Zur Erhebung dieser Einwendung ist die beschwerdeführende Association de l'Ecole française als heutige Inhaberin der eingeschränkten Bewilligung befugt; die Rüge stünde ausserdem den Eltern ausländischer Kinder zu, welche die Schule besuchen.
BGE 91 I 480 S. 494
Keiner der beschwerdeführenden Väter hat indessen dargetan, dass seine Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit seien. Auf dieses Vorbringen ist daher nur insoweit einzutreten, als es vom Schulverein als solchem ausgeht.
§ 272 Abs. 2 UnterrichtsG ermächtigt den Erziehungsrat, "privaten Schulanstalten die Fortsetzung des Unterrichts zu untersagen, wenn im Verfolge besondere Übelstände zur Kenntnis der Behörden kommen". Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ist diese Vorschrift im Lichte des in
Art. 27 Abs. 2 BV
aufgestellten Gebotes "genügenden" Primarunterrichts sowie der §§ 270 und 271 UnterrichtsG auszulegen, wonach Privatschulen einer Bewilligung bedürfen und ihr Unterricht dem der Volksschule "entsprechen" muss; sie besage so verstanden, dass die Bewilligung zur Führung einer Privatschule auch beschränkt oder entzogen werden könne, wenn die für die Erteilung notwendigen und dabei gegebenen Voraussetzungen nachträglich dahingefallen seien, wie ausserdem, wenn diese Voraussetzungen schon bei der Erteilung gefehlt hätten und auch in der Zwischenzeit nicht erfüllt worden seien und dieser Mangel so schwer wiege, dass das Interesse an der richtigen Durchführung des objektiven Rechts dem Interesse der Rechtssicherheit, das heisst am Fortbestand der Bewilligung vorgehe. Diese Auslegung geht von der Stellung des § 272 Abs. 2 UnterrichtsG zu andern, teils höherrangigen Vorschriften, von der verwaltungsrechtlichen Natur der darin behandelten Bewilligung sowie vom Zweck und Sinn der gesetzlichen Ordnung aus. Das Verwaltungsgericht gibt dabei den Grundsätzen Raum, die nach der Rechtsprechung beim Fehlen entgegenstehender Vorschriften für die Berichtigung begünstigender Verwaltungsakte gelten (vgl.
BGE 79 I 6
,
BGE 84 I 12
/13,
BGE 86 I 173
/74,
BGE 88 I 227
/28,
BGE 89 I 434
,
BGE 90 I 15
), ohne allerdings zu untersuchen, ob nicht der Gesetzgeber eine davon abweichende Regelung gewollt habe. Das Ergebnis, zu dem es dergestalt gelangt ist, entfernt sich vom Wortlaut der auszulegenden Norm, ohne ihm jedoch zu widersprechen. Das Verwaltungsgericht hat sich bei dieser Auslegung von Gründen leiten lassen, die zwar nicht durchwegs zwingend, aber doch gesamthaft betrachtet sachlich vertretbar sind; es ist dabei somit nicht in Willkür verfallen.
Kommt § 272 Abs. 2 UnterrichtsG aber die Bedeutung zu, welche das Verwaltungsgericht ihm zuerkennt, so lässt sich auch der Schluss rechtfertigen, den es bei der Anwendung
BGE 91 I 480 S. 495
dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall gezogen hat. Der Regierungsrat hat die Ordnung, die gemäss dem Beschluss des Erziehungsrates vom 24. April 1956 galt, im Sinne der Erwägungen des Verwaltungsgerichts aufgehoben, weil sie seiner (sachlich begründeten) Ansicht nach schon bei der Erteilung der Bewilligung § 271 UnterrichtsG sowie
Art. 27 Abs. 2 BV
zuwiderlief und zugleich zu einer ungleichen Behandlung von ausländischen und schweizerischen Schülern führte. Er hat damit die verfassungsmässig gewährleistete Rechtsgleichheit und das Gebot der Gesetzmässigkeit der Verwaltung vor das Interesse der Rechtssicherheit gestellt, das für die Aufrechterhaltung der bestehenden Regelung sprach. Diese Wertabwägung hat beachtliche Gründe für sich (vgl.
BGE 90 I 167
); sie ist offensichtlich nicht willkürlich. Die Einschränkung der Bewilligung verstösst mithin nicht gegen
Art. 4 BV
.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cbeb89c3-6663-457b-8bac-8080263c7229 | Urteilskopf
98 III 64
14. Entscheid vom 25. August 1972 i.S. W. | Regeste
Aufhebung eines Steigerungszuschlages.
Ein nichtiger Steigerungszuschlag ist grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Einhaltung der Beschwerdefrist von Amtes wegen aufzuheben, es sei denn, er könne nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil der Erlös aus der Steigerung bereits verteilt worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 64
BGE 98 III 64 S. 64
A.-
In der Betreibung gegen W. für eine Mietzinsforderung von Fr. 4148.-- erstellte das Betreibungsamt am 5. Juni 1970 eine Retentionsurkunde mit 21 Positionen im Schätzungswerte von total Fr. 1364.--. Das Betreibungsamt vermerkte auf der Urkunde, der Schuldner mache geltend, sämtliche aufgeführten Gegenstände seien Eigentum seiner Ehefrau. Ohne das Widerspruchsverfahren einzuleiten, versteigerte das Betreibungsamt am 9. September und 31. Oktober 1970 die in der Retentionsurkunde aufgeführten Objekte. Der Erlös wurde der betreibenden Gläubigerin ausgehändigt, welche für den ungedeckt gebliebenen Betrag einen Verlustschein erhielt.
B.-
Am 2. Mai 1972 erhob Frau W. bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs Beschwerde. Sie machte geltend, das Betreibungsamt habe
Art. 106 ff. SchKG
verletzt, weil es das Widerspruchsverfahren nicht eingeleitet habe. Sie selber habe erst am 24. April 1972 von der Verwertung der Retentionsgegenstände Kenntnis erhalten.
Die Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde mit Entscheid vom 10. Juli 1972 ab, soweit sie darauf eintrat. Sie führte aus, das Betreibungsamt habe sich zweifellos nicht gesetzeskonform verhalten, indem es das Widerspruchsverfahren aus Versehen nicht durchgeführt habe. Darin liege für Frau W. eine Rechtsverweigerung, welche grundsätzlich jederzeit mit Beschwerde
BGE 98 III 64 S. 65
angefochten werden könne. Das Beschwerderecht könne aber trotzdem verwirkt werden, wenn die Rechtsverweigerung für den Beschwerdeberechtigten im weiteren Verlaufe des Verfahrens offenkundig werde und er dann nicht innert nützlicher Frist Beschwerde einreiche. Da Frau W. nicht glaubhaft dargetan habe, dass sie erst am 24. April 1972 von der Verwertung Kenntnis erhalten habe, müsse angenommen werden, sie habe auf die Einreichung einer Beschwerde und auf die Durchführung des Widerspruchsverfahrens verzichtet. Selbst wenn ihr aber ein Beschwerderecht zustünde, müsste die Beschwerde abgewiesen werden, weil die Verwertung und die Verteilung des Verwertungserlöses nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
C.-
Frau W. erhebt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie beantragt, den Entscheid der Aufsichtsbehörde aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, ihr die in der Retentionsurkunde unter Pos. 1 bis 21 aufgeführten Gegenstände zu unbeschwertem Eigentum herauszugeben bzw. zurückzubeschaffen.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Mit dem Rekursantrag wird verlangt, das Betreibungsamt habe die retinierten und in der Folge verwerteten Gegenstände der Rekurrentin zu unbeschwertem Eigentum herauszugeben bzw. zurückzubeschaffen. Die Rückbeschaffung und Herausgabe dieser Gegenstände ist rechtlich jedoch nicht möglich, ohne dass vorgängig der Steigerungszuschlag beseitigt wird. Der Rekursantrag könnte daher in der vorliegenden Fassung nicht geschützt werden. In Frage käme höchstens die Aufhebung des Steigerungszuschlages bezüglich der verwerteten Gegenstände, was unter gewissen Bedingungen auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist möglich ist (vgl.
BGE 73 III 23
ff. und
BGE 98 III 57
ff.). Es ist deshalb zugunsten der Rekurrentin davon auszugehen, ihr Rekursantrag sei in dem Sinne zu verstehen, dass sie die Aufhebung der Zuschläge der versteigerten Gegenstände verlange.
2.
Der kantonalen Aufsichtsbehörde ist beizupflichten, dass das Betreibungsamt die Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren missachtet hat, indem es der Eigentumsansprache
BGE 98 III 64 S. 66
der Rekurrentin an den retinierten Gegenständen nicht die in
Art. 106 und 107 SchKG
vorgesehene Folge gab. Die Rekurrentin kam somit nicht in die Lage, im Falle des Festhaltens der Gläubigerin an der Retention Klage auf Aberkennung des Retentionsrechts zu erheben. Die Vorinstanz hat indessen angenommen, die Rekurrentin habe ihr Beschwerderecht verwirkt, weil sie nicht glaubhaft dargetan habe, dass sie erst am 24. April 1972 von der Retention und der Versteigerung Kenntnis erhalten habe. In diesem Zusammenhang hätte die Aufsichtsbehörde immerhin prüfen sollen, ob die Nichtbeachtung der Vorschriften über das Widerspruchsverfahren nicht allenfalls zur Nichtigkeit des weiteren Betreibungsverfahrens und insbesondere der Versteigerung geführt haben könnte. Bei Nichtigkeit wäre der Steigerungszuschlag grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Einhaltung der Beschwerdefrist von Amtes wegen aufzuheben (
BGE 97 III 96
Erw. 2). Doch wäre die Aufhebung des Zuschlags auch dann nur möglich, wenn er noch rückgängig gemacht werden könnte (
Art. 21 SchKG
;
BGE 94 III 71
mit Verweisungen,
BGE 96 III 105
und
BGE 98 III 62
).
Gemäss
Art. 107 Abs. 4 SchKG
kann ein Dritter, der nicht in die Lage gesetzt wurde, nach Massgabe der Bestimmungen über das Widerspruchsverfahren vorzugehen, einen Anspruch an der gepfändeten Sache oder an deren Erlös geltend machen, solange dieser nicht verteilt ist. Aus dieser Bestimmung ergibt sich durch Umkehrschluss mit aller Deutlichkeit, dass es jedenfalls nach der Verteilung des Erlöses für einen Dritten ausgeschlossen sein soll, die Aufhebung des Steigerungszuschlags zu verlangen oder auf den Erlös Anspruch zu erheben. Unter diesen Umständen kann die Rekurrentin ihren Anspruch auf die verwerteten Gegenstände bzw. deren Erlös auf keinen Fall durchsetzen; es kann somit offen bleiben, ob sie das Beschwerderecht verwirkt habe oder nicht. Da sie durch ein Versäumnis des Betreibungsamtes nicht in die Lage versetzt wurde, Widerspruchsklage zu erheben, bleibt ihr allenfalls die Möglichkeit, gegen den verantwortlichen Beamten vorzugehen und von diesem den Ersatz des ihr erwachsenen Schadens zu verlangen. Gemäss
Art. 5 SchKG
und nach feststehender Rechtsprechung (
BGE 59 III 186
/187) hätte dies aber durch Klage beim zuständigen Gericht und nicht auf dem Beschwerdeweg zu geschehen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cbf0cbc5-a1e5-448e-bc0b-a93d1af084f7 | Urteilskopf
141 IV 145
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_154/2015 vom 11. Mai 2015 | Regeste
Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung bei Wiederaufnahme des Verfahrens; Beweisergänzungen im wieder aufgenommenen Verfahren (Art. 70 ff. aStGB,
Art. 97 ff. StGB
; Art. 397 aStGB,
Art. 385 StGB
;
Art. 410 ff. und 414 StPO
).
Im Falle der Gutheissung eines Revisionsgesuchs gegen ein verurteilendes Erkenntnis lebt die Verfolgungsverjährung nicht wieder auf (E. 2.4).
Die Vollstreckungsverjährung, die mit der Vollstreckbarkeit des Urteils begann, läuft während des Wiederaufnahmeverfahrens und des wieder aufgenommenen Verfahrens weiter. Auch nach dem Eintritt der Vollstreckungsverjährung im wieder aufgenommenen Verfahren ist über die gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe zu entscheiden (E. 3).
Im wieder aufgenommenen Verfahren können, genauso wie im ersten Verfahren, Beweisanträge gestellt werden (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 146
BGE 141 IV 145 S. 146
A.
Die Genossenschaft A., Kiel, liess am 15. November 1994 über die B. Bank den Betrag von 63 Mio. Deutsche Mark (DM) auf ein Konto der C. AG beziehungsweise der D. Ltd. bei der Bank E. in Tel Aviv überweisen. Als Zahlungszweck wurde in der Bankanweisung vom 13. November 1994 "Festgeldbelegung bei einer Bank" angegeben. Am 22. November 1994 wurde der A. eine von X. und Y. namens der D. Ltd. unterzeichnete "Termingeldbestätigung" über eine vom 28. Oktober 1994 bis 23. Dezember 1994 laufende Festgeldanlage zugestellt. Darin wurde bestätigt, die Anlage werde zu 4,85 % p.a. verzinst. Mit Schreiben vom 24. November 1994 bestätigte die A. der D. Ltd. die Überweisung des Betrags von 63 Mio. DM. Die C. AG/D. Ltd. liess am 19. Dezember 1994 der A. eine von X. und Z. unterzeichnete Kontostandsanzeige zukommen, in welcher die Entgegennahme des Betrags von 63 Mio. DM als Festgeldanlage vom 28. Oktober 1994 bis 23. Dezember 1994 zu einem Zinssatz von 4,85 % p.a. bestätigt wurde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1994 bestätigten X. und Z. im Namen der C. AG/D. Ltd. die Prolongation der Festgeldanlage für die Periode vom 23. Dezember 1994 bis 27. Januar 1995. Am 23. Dezember 1994 liess die C. AG/D. Ltd. der A. eine weitere Kontostandsanzeige zukommen, worin ein Betrag von DM 475'300.- als fällige Zinszahlung zur Festgeldanlage deklariert wurde.
In einem Schreiben der Gesellschaft F., München, vom 7. November 1994 an die C. AG bestätigte die F., dass die C. AG für sie ein Depot für Sparkassen- und Sparbriefe in der Höhe von 3,7 Mrd. DM hielt. Mit Schreiben vom 10. November 1994 teilte G. von der F. dem Y. von der C. AG mit, der Betrag von 63 Mio. DM sei eine Provision der F. an die C. AG für die von dieser erbrachten Dienstleistungen. Im Brief wurde auch darum gebeten, 20 Mio. DM an H. und 3 Mio. DM an I., Mitinhaber der F., weiterzuleiten, was in der Folge auch geschah.
BGE 141 IV 145 S. 147
B.
B.a
Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sprach X. am 26. Februar 2002 in weitgehender Bestätigung des Entscheids des Bezirksgerichts Zürich, 9. Abteilung, vom 28. November 2000 der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB), begangen im November 1994 zum Nachteil der A., sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG
) schuldig und verurteilte ihn zu 25 Monaten Gefängnis als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 28. August 2001.
X. wird vorgeworfen, er habe als Mitarbeiter der C. AG an der unrechtmässigen Verwendung der als Festgeldanlage zu qualifizierenden Überweisung von 63 Mio. DM durch die A. bei der C. AG mitgewirkt.
Auf eine von X. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 6S.199/2002 vom 6. Januar 2004 nicht ein mit der Begründung, dass die Beschwerde den Begründungsanforderungen nicht genügte und sich auf appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung beschränkte.
B.b
X. stellte am 11. Juli 2005 ein Revisionsgesuch. Die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich wies dieses mit Beschluss vom 7. November 2005 ab, soweit sie darauf eintrat. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hiess die von X. gegen den Beschluss der Revisionskammer erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 12. Oktober 2006 gut und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Revisionskammer zurück. Die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich erachtete es in der Folge in ihrem Beschluss vom 19. Dezember 2006 für rechtsgenügend erstellt, dass der Belastungszeuge K. vorsätzlich falsch ausgesagt und dadurch den Tatbestand des falschen Zeugnisses (
Art. 307 StGB
) erfüllt hatte. Die Revisionskammer hiess daher das Revisionsgesuch gegen das Urteil der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2002 gestützt auf § 449 Ziff. 1 aStPO/ZH gut und wies die Sache an das Bezirksgericht Zürich zurück mit der Anweisung, die Verhandlung soweit erforderlich zu wiederholen und ein neues Urteil zu fällen.
C.
C.a
Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 13. Dezember 2007 erneut - diesmal nach revidiertem, da milderem Vermögensstrafrecht -
BGE 141 IV 145 S. 148
der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit
Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (
Art. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG
) schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 26 1⁄2 Monaten, welche es im Umfang von 14 1⁄2 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren bedingt aufschob und im Umfang von 12 Monaten unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 204 Tagen für vollziehbar erklärte.
C.b
X. erhob Berufung.
Mit Eingabe vom 22. April 2009 beantragte X., es sei vorab die Frage der Verfolgungsverjährung zu entscheiden. Mit Vorbeschluss vom 4. Dezember 2009 erkannte die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, dass die inkriminierten Taten nicht verjährt waren. Dagegen erhob X. Beschwerde in Strafsachen. Darauf trat das Bundesgericht mit Urteil 6B_200/2010 vom 29. April 2010 nicht ein mit der Begründung, es seien nicht sämtliche Voraussetzungen gemäss
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG
zur Anfechtung eines Vorentscheids erfüllt.
D.
Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X. mit Urteil vom 7. Januar 2015 der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit
Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (aArt. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG) schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 17 1⁄2 Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 25. April 2003, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, unter Anrechnung von 204 Tagen Untersuchungshaft.
E.
X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Januar 2015 sei aufzuheben. Er sei freizusprechen, eventualiter sei das Strafverfahren gegen ihn einzustellen, subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm eine angemessene Genugtuung auszurichten und die am 15. Februar 1996 geleistete Fluchtkaution im Betrag von Fr. 25'000.- herauszugeben.
F.
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Der Beschwerdeführer machte im kantonalen Verfahren geltend, die inkriminierten Handlungen seien verjährt. Die Vorinstanz verneint
BGE 141 IV 145 S. 149
dies. Zur Begründung verweist sie vollumfänglich auf ihre Beschlüsse vom 4. Dezember 2009 und vom 4. März 2013.
2.2
Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Verjährung wurden durch Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001, in Kraft seit 1. Oktober 2002, teilweise revidiert (AS 2002 2993, 3146). Die altrechtlichen Vorschriften betreffend das Ruhen und die Unterbrechung der Verjährung sowie die relative und die absolute Verjährung wurden aufgehoben. Die Verjährungsfristen wurden in dem Sinne verlängert, dass sie ungefähr den altrechtlichen absoluten Fristen entsprechen.
Der Beschwerdeführer soll die inkriminierten Handlungen im November/Dezember 1994 und damit vor dem Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Oktober 2002 begangen haben. Das neue Recht findet im vorliegenden Fall keine Anwendung, da es nicht milder als das alte ist. Nach dem neuen Recht hört die Verfolgungsverjährung in jedem Falle mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen auf. Demgegenüber kann die Verfolgungsverjährung nach dem alten Recht je nach den Umständen im Rechtsmittelverfahren beziehungsweise nach Gutheissung eines Rechtsmittels weiterlaufen.
2.3
Das alte Recht enthielt keine Bestimmung betreffend das Ende der Verfolgungsverjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts hörte die Verjährung mit der Ausfällung eines in Rechtskraft erwachsenden Entscheids insoweit zu laufen auf, als der Beschuldigte dadurch verurteilt wurde. Soweit der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, lief die Verjährung weiter. Ob die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen oder erst mit der Ausfällung des oberinstanzlichen verurteilenden kantonalen Erkenntnisses zu laufen aufhörte, hing gemäss der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht von der mitunter nicht einfach zu beantwortenden Frage ab, ob nach dem massgebenden kantonalen Prozessrecht das Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid als ein den Eintritt der Rechtskraft hemmendes ordentliches (Berufung, Appellation) oder als ein den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmendes ausserordentliches (Nichtigkeitsbeschwerde, Kassationsbeschwerde) Rechtsmittel ausgestaltet war. Im letztgenannten Fall endete die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der Beschuldigte verurteilt wurde. Im erstgenannten Fall hingegen lief die Verjährung während des Berufungs- beziehungsweise Appellationsverfahrens weiter, obschon der Beschuldigte durch den
BGE 141 IV 145 S. 150
erstinstanzlichen Entscheid verurteilt worden war, und konnte somit während des Berufungs- respektive Appellationsverfahrens die Verjährung eintreten. Die Verjährung lief auch im Falle eines Freispruchs durch die Berufungs- beziehungsweise Appellationsinstanz weiter und konnte daher während eines bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gegen das freisprechende letztinstanzliche kantonale Urteil eintreten, was zur Folge hatte, dass das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht eintrat. Wurde hingegen der Beschuldigte durch den Entscheid der Appellations- beziehungsweise Berufungsinstanz verurteilt, so hörte die Verfolgungsverjährung mit dem Eintritt der Rechtskraft des Entscheids zu laufen auf. Wenn das verurteilende Erkenntnis vom Bundesgericht in Gutheissung einer Beschwerde aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, nahm die Verfolgungsverjährung ihren Fortgang und lief der im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch verbliebene Rest der Verjährung ab Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils weiter (
BGE 139 IV 62
E. 1.5.3 mit Hinweisen).
2.4
Hingegen lebte nach der Rechtsprechung zum alten Verjährungsrecht die Verfolgungsverjährung im Falle der Gutheissung eines Revisionsgesuchs gegen ein verurteilendes Erkenntnis nicht wieder auf (
BGE 85 IV 169
;
BGE 114 IV 138
E. 2 mit Hinweisen auf die Lehre). Diese Auffassung findet auch in der neueren Lehre Zustimmung (siehe STEPHAN GASS, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 122 zu
Art. 385 StGB
; THOMAS FINGERHUTH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 6a zu
Art. 414 StPO
; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 14 zu
Art. 414 StPO
). An der Rechtsprechung ist festzuhalten. Sie betrifft entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht (nur) die Zeit zwischen dem verurteilenden Erkenntnis und dem Entscheid betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens, sondern sie betrifft auch und gerade das wieder aufgenommene Verfahren. Auch in diesem kann die Verfolgungsverjährung nicht eintreten. Die Verfolgungsverjährung lebt im wieder aufgenommenen Verfahren auch dann nicht wieder auf, wenn Beweisergänzungen durchgeführt werden. Die allfällige Korrektur eines unrichtigen Urteils zu Gunsten des Verurteilten soll nicht dadurch verhindert werden, dass während des wegen eines Revisionsgrundes wieder aufgenommenen Verfahrens die Verfolgungsverjährung weiterläuft und daher allenfalls zufolge Eintritts der Verjährung anstelle eines möglichen Freispruchs das Verfahren einzustellen ist.
BGE 141 IV 145 S. 151
3.
3.1
Mit der Vollstreckbarkeit des Urteils der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2002 begann die Vollstreckungsverjährung zu laufen. Die Einreichung des Revisionsgesuchs, das Revisionsverfahren und das wieder aufgenommene Verfahren nach Gutheissung des Revisionsgesuchs haben auf den Lauf der Vollstreckungsverjährung keinen Einfluss. Mit dem Urteil der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Januar 2015 im wieder aufgenommenen Verfahren, durch welches der Beschwerdeführer erneut verurteilt wurde, begann nicht eine neue Vollstreckungsverjährung zu laufen (
BGE 85 IV 169
, 171/172;
BGE 114 IV 138
E. 2a; GASS, a.a.O., N. 122 zu
Art. 385 StGB
; FINGERHUTH, a.a.O., N. 6a zu
Art. 414 StPO
; HEER, a.a.O., N. 14 zu
Art. 414 StPO
). Dies kann zur Folge haben, dass das Gericht, welches den Beschuldigten im wieder aufgenommenen Verfahren erneut verurteilt, festzustellen hat, dass die neu ausgefällte Strafe zufolge Eintritts der Vollstreckungsverjährung nicht vollzogen werden kann (
BGE 85 IV 169
,
BGE 85 IV 171
f.;
BGE 114 IV 138
E. 2b; HANS SCHULTZ, ZBJV 97/1961 S. 173). Das ergibt sich daraus, dass das neue Urteil im wieder aufgenommenen Verfahren das aufgehobene frühere Urteil rückwirkend ersetzt (ADAM CLAUS ECKERT, Die Wiederaufnahme im schweizerischen Strafprozessrecht, 1974, S. 106; MAX WAIBLINGER, Die besonderen richterlichen Aufgaben im wieder aufgenommenen neuen Verfahren, in: Mélanges Oscar Adolf Germann, ZStrR 75/1959 S. 388 ff., 403).
3.2
Die Vorinstanz nimmt an, dass die Vollstreckungsverjährung in Bezug auf den Beschwerdeführer am 26. Juli 2015 eintreten wird. Die Vollstreckungsverjährung begann mit der Vollstreckbarkeit des Urteils der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2002 zu laufen. Die Frist beträgt angesichts der ausgefällten Freiheitsstrafe von 25 Monaten Gefängnis nach dem alten, milderen Recht relativ 10 und absolut 15 Jahre. Gemäss den Feststellungen im Beschluss der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. März 2013 erfolgte die letzte auf Vollstreckung der Strafe gerichtete Handlung des Justizvollzugs des Kantons Zürich und somit die letzte Unterbrechung der Vollstreckungsverjährung am 26. Juli 2005. Dies bedeutet, dass die Vollstreckungsverjährung am 26. Juli 2015 eintreten wird. Auch nach Eintritt der Vollstreckungsverjährung ist aber im wieder aufgenommenen Verfahren über die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe zu entscheiden.
(...)
BGE 141 IV 145 S. 152
6.
Umstritten ist, was Gegenstand des wieder aufgenommenen Verfahrens nach Gutheissung eines Revisionsgesuchs ist und in welchem Umfang in diesem Verfahren Beweise erhoben werden können.
6.1
Die erste Instanz erwog in ihrem Urteil vom 13. Dezember 2007 im wieder aufgenommenen Verfahren unter Hinweis auf eine Meinungsäusserung in der Lehre, dass in einem neuen Verfahren ein neues Urteil zu fällen sei. Das Gericht habe demnach wiederum unter Beachtung der Unschuldsvermutung und bei freier Beweiswürdigung
ex nunc
zu entscheiden. Dennoch bestehe kein Anspruch auf erneute Prüfung aller vom Revisionskläger bestrittenen Tatsachen (erstinstanzliches Urteil mit Hinweis auf NIKLAUS SCHMID, in: Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, 2007, N. 1, 11, 13 zu
§ 454 StPO
/ZH). Dies bedeutet gemäss den weiteren Erwägungen der ersten Instanz insbesondere, dass keine Überprüfung jener Beweismittel erfolgen müsse, welche zum Zeitpunkt der damaligen Urteilsfällung bekannt gewesen seien. Habe das Gericht nämlich damals abschliessend beurteilt, welche der ihm vorliegenden Beweismittel es als relevant erachte und welche nicht, könne es im Rahmen eines Revisionsverfahrens nicht angehen, diese freie richterliche Beweiswürdigung nachträglich in Frage zu stellen. Insofern komme ein komplett neues Aufrollen des Prozesses nicht in Frage, sondern es seien als Grundlage für das neueUrteil nur die ursprünglichen Beweismittel unter Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Revisionsgründe beachtlich. Die Verteidigung könne daher im wieder aufgenommenen Verfahren ihre Argumentation nur noch gestützt auf die neuen Beweismittel aufbauen und insbesondere nicht geltend machen, was sie in guten Treuen schon damals hätte vorbringen können. Bei diesem Ergebnis entfielen automatisch auch alle seitens der Verteidigung subeventualiter gestellten Beweisergänzungsanträge. Damit stelle sich vorliegend nur noch die Kernfrage, ob der Beschwerdeführer auch dann anklagegemäss verurteilt werden könne, wenn man die Aussagen des Zeugen K. für unbeachtlich halten müsse.
Die Vorinstanz teilt im angefochtenen Urteil diese Auffassung. Es bestehe kein Anspruch auf erneute Überprüfung aller bestrittenen Tatsachen. Dies schliesse ein komplett neues Beweisverfahren und vor allem das nachgeschobene Geltendmachen längst bekannter Beweisofferten aus. Die Vorinstanz erwägt unter Hinweis auf eine Meinungsäusserung in der Lehre, auch gemäss dem neuen Revisionsrecht nach der Schweizerischen Strafprozessordnung falle im Revisionsverfahren eine Überprüfung aller Tat- und Rechtsfragen als dem Wesen der
BGE 141 IV 145 S. 153
Revision widersprechend ausser Betracht. Falls eine klare Trennung möglich sei, habe die neue Beurteilung lediglich die Noven zu erfassen; anders verhalte es sich nur, wenn das frühere Urteil mit offensichtlichen Mängeln behaftet sei (angefochtener Entscheid mit Hinweis auf MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu
Art. 414 StPO
).
6.2
Der Beschwerdeführer macht geltend, nach Rechtsprechung und herrschender Lehre seien nach Gutheissung eines Revisionsgesuchs im wieder aufgenommenen Verfahren sämtliche Verfahrensgarantien der BV (insbesondere Art. 29) und der EMRK (insbesondere Art. 6) zu beachten. Soweit die Vorinstanzen auf abweichende Lehrmeinungen hinwiesen, handle es sich um Minderheitsauffassungen beziehungsweise würden diese im angefochtenen Urteil unvollständig wiedergegeben.
6.3
Für den Fall der Gutheissung des Wiederaufnahmebegehrens stellt das Strafgesetzbuch in seinen Bestimmungen betreffend die Revision (
Art. 385 StGB
; aArt. 397 StGB) keine Vorschriften darüber auf, nach welchen prozessualen Grundsätzen das neue Sachurteil auszufällen ist. Namentlich unter anderem die Festsetzung der Überprüfungsbefugnis des neuen Sachrichters war bis zum Inkrafttreten der eidgenössischen Strafprozessordnung den Kantonen überlassen (
BGE 85 IV 234
;
BGE 86 IV 77
; Urteil 6S.421/2003 vom 6. Februar 2004 E. 2.3). Wird die Wiederaufnahme beschlossen, so hebt das Gericht das frühere Urteil auf und weist die Akten an dasjenige Gericht, welches erstinstanzlich erkannt hatte, mit dem Auftrag zurück, die Verhandlung soweit erforderlich zu wiederholen und ein neues Urteil auszufällen (§ 454 Abs. 1 aStPO/ZH). Das Gericht hat im wieder aufgenommenen Verfahren
ex nunc
zu entscheiden. Dabei sind alle alten und neuen Beweise und Vorbringen, also jene des Bewilligungsverfahrens sowie die in der neuen Hauptverhandlung vorgebrachten, zu berücksichtigen und frei zu würdigen (SCHMID, a.a.O., N. 11 zu
§ 454 StPO
/ZH). Das Gericht muss im wieder aufgenommenen Verfahren auf der Grundlage des aktuellen Stands der Tatsachen entscheiden und nicht, wie im Beschwerdeverfahren, auf der Basis des dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts (
BGE 107 IV 133
E. 2a). Dem Sachrichter im wieder aufgenommenen Verfahren ist es nicht verwehrt, Tat- und Rechtsfragen anders zu entscheiden als der Sachrichter im aufgehobenen Urteil, wenn ihm die Überzeugung vom Vorhandensein der früher angenommenen Tatsachen fehlt oder ihre seinerzeitige rechtliche Würdigung als unrichtig erscheint (Entscheid des Kassationsgerichts
BGE 141 IV 145 S. 154
des Kantons Zürich vom 6. September 1976, in: ZR 75/1976, Nr. 98). Im wieder aufgenommenen Verfahren muss das Gericht nicht das aufgehobene Urteil überprüfen, sondern die Sache neu und selbständig verhandeln und entscheiden.
6.4
Im vorliegend angefochtenen Urteil vom 7. Januar 2015 setzt sich die Vorinstanz mit den Beweisanträgen des Beschwerdeführers nicht im Einzelnen auseinander. Es scheint, dass sie in Übereinstimmung mit der ersten Instanz nunmehr der Auffassung ist, die Beweisanträge seien im wieder aufgenommenen Verfahren in Anbetracht der Natur dieses Verfahrens prinzipiell unzulässig, da nur zu prüfen sei, ob die im ersten Verfahren bereits vorhandenen Beweise zur Verurteilung ausreichen. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hätte im angefochtenen Entscheid mit den Beweisanträgen des Beschwerdeführers in der Weise verfahren müssen, wie sie es in ihrem Beschluss vom 14. August 2014 angedeutet hatte. Sie hätte nach Würdigung der bereits vorhandenen Beweismittel entscheiden müssen, ob auf die Abnahme der weiteren Beweise im Rahmen einer antizipierten Beweiswürdigung verzichtet werden kann oder ob die Beweise abzunehmen sind. Stattdessen hat die Vorinstanz die neuen Beweisanträge als im wieder aufgenommenen Verfahren unzulässig qualifiziert und aufgrund der bereits vorhandenen Beweismittel die der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen getroffen. Der Beschwerdeführer konnte im wieder aufgenommenen Verfahren, genauso wie im ersten Verfahren, Beweisanträge stellen, und die Strafbehörden hätten sich damit befassen müssen. Die Auffassung der Vorinstanzen, als Grundlage für das neue Urteil im wieder aufgenommenen Verfahren seien nur die ursprünglichen Beweismittel unter Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Revisionsgründe beachtlich, weshalb die Beweisergänzungsanträge automatisch entfielen, ist unzutreffend.
6.5
Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens hat das Bundesgericht nicht zu prüfen, ob die Vorinstanz ohne Willkür die Beweisanträge des Beschwerdeführers in antizipierter Beweiswürdigung hätte abweisen dürfen und ob sie gestützt auf die bereits erhobenen Beweise die Feststellungen treffen durfte, dass es sich beim überwiesenen Betrag von 63 Mio. DM um eine Festgeldanlage der A. bei der C. AG und nicht um eine Provision der F. an die C. AG gehandelt und dass der Beschwerdeführer dies gewusst habe. Denn diese Beweiswürdigung hat die Vorinstanz nicht vorgenommen, da sie im angefochtenen Entscheid die Beweisanträge des Beschwerdeführers als unzulässig erachtete.
BGE 141 IV 145 S. 155
Da somit der Sachverhalt nicht feststeht, hat das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren auch nicht zu prüfen, ob auf der Grundlage des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Gehilfenschaft zu Veruntreuung vor Bundesrecht standhielte.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das Urteil der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Januar 2015 aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich mit den Beweisanträgen des Beschwerdeführers befassen und danach neu entscheiden. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cbf6366b-e0e0-478e-90e7-15619edb7113 | Urteilskopf
91 I 144
24. Urteil vom 29. Januar 1965 i.S. G. Anliker & Co. AG und Schnyder, Plüss & Co. AG gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | Regeste
1. Begriff des Störers auf dem Gebiet des Gewässerschutzes (Erw. 2).
2. Angemessenheit einer Verfügung zum Schutz von Grundwasser (Erw. 3).
3. Ist die dem Pächter auferlegte Pflicht, einen Grundwasserteich einzuzäunen, zulässig? (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 144
BGE 91 I 144 S. 144
A.-
1. Im Schiltwald, der unterhalb Emmen dem linken Ufer der Reuss folgt, betreiben die G. Anliker & Co. AG, Bauunternehmung in Emmenbrücke, und die Schnyder, Plüss & Co. AG, Bauunternehmung in Luzern, je eine Kiesgrube. Das Grundwasser liegt ungefähr 1-2 m unter der Erdoberfläche und bildet, da der Kies bis in eine Tiefe von ungefähr 4-5 m ausgebeutet wurde, in diesen Gruben zwei offene Teiche.
Die Firma Anliker pachtete am 1. März 1957 von der Korporation Rotterswil die Parzelle Nr. 750 Grundbuch Emmen, im Halte von etwa 24'000 m2, auf die Dauer von 10 Jahren. Sie nutzte bis zum Herbst 1963 rund 18'000 m2. Die Firma Schnyder & Plüss erwarb im Frühjahr 1956 das Grundstück Nr. 376 Buchrain im Ausmass von 19'452 m2. Sie baute dort auf einer Fläche von rund 15'000 m2 Kies ab. Am 23. Februar 1962 übte sie an der Nachbarparzelle Nr. 192 im Ausmass von 41'322 m2 ein Kaufrecht aus. Auf dieser Parzelle ist bisher kein Kies geschürft worden.
BGE 91 I 144 S. 145
In beiden Teichen wurden bis im Sommer 1960 grössere Mengen von Bauschutt, Baugrundaushub, Kupferdrähten, elektrischen Isolationsröhren, Asphaltstücken, Gips und sogar Kehricht festgestellt. Im Jahre 1961 liess die Firma Schnyder & Plüss die Zufahrten durch Fahrverbote sperren. Beide Bauunternehmen erwirkten ein amtliches Verbot für das Verunreinigen des Teiches und das Ablagern von Abfällen.
2. Am 28. Dezember 1961 reichte die Eidg. Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) dem Staatswirtschaftsdepartement des Kantons Luzern das von diesem am 6. Juli 1960 in Auftrag gegebene Gutachten ein. Es empfiehlt, einen Kataster der Kies- und Grundwasservorkommen im luzernischen Reusstal aufzunehmen. Soweit sich Kies im Bereich wesentlicher Grundwasservorkommen finde, sei der Abbau und jede andere Gefährdung des Grundwassers zu verhindern, während andererseits die für eine unbeschränkte Ausbeutung in Frage kommenden Kiesbänke zu bezeichnen seien. Zur Beobachtung der Qualität des Grundwassers seien u.a. besondere Massnahmen erforderlich. Bis zum Abschluss dieser Abklärung sollten auch die bestehenden, in das Grundwasser reichenden Kiesgruben vor Verschmutzung möglichst geschützt werden.
B.-
Das Staatswirtschaftsdepartement des Kantons Luzern untersagte am 5. März 1962 den beiden Bauunternehmungen gemäss § 15 des kantonalen Gesetzes über den Gewässerschutz jegliches Auffüllen der Kiesgruben und verpflichtete sie, gestützt auf Art. 4 Abs. 3 des BG über den Schutz der Gewässer (GSchG), die Teiche durch Zäune vor dem Einfüllen von Materialien durch Dritte zu schützen.
C.-
Die Betroffenen rekurrierten gegen diese Verfügung an den Regierungsrat des Kantons Luzern. Mit Entscheid vom 1. August 1963 wies der Regierungsrat des Kantons Luzern gestützt auf Art. 2 Abs. 1 und 3,
Art. 4 Abs. 1, 2 und 3 GSchG
, § 15 des kantonalen Gewässerschutzgesetzes und § 14 der kantonalen Vollziehungsverordnung den Rekurs der Firmen Anliker und Schnyder & Plüss ab. Er ergänzte die Verfügung des Staatswirtschaftsdepartementes dahin, dass die Grundwasserteiche mit einem 2, 5 m hohen Zaun aus Geflechtdraht in mindestens 15 m Abstand vom Ufer (gemessen beim höchsten Wasserstand) zu umgeben seien. Indessen gestattete er dem kantonalen Amt für Gewässerschutz, je nach den
BGE 91 I 144 S. 146
örtlichen Verhältnissen geringere Abstände zu bewilligen. Das Verbot, die Teiche ohne Bewilligung wieder aufzufüllen, begründete er mit dem Hinweis, allein die zuständigen Behörden seien in der Lage, mit Hilfe ihrer Sachverständigen zu entscheiden, ob die Wiederauffüllung dem Grundwasser schädlich sei und welche Materialien gegebenenfalls hierfür ohne Gefahr verwendet werden könnten.
D.-
Mit rechtzeitig erhobener Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen die Bauunternehmungen Anliker und Schnyder & Plüss, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben. Sie machen zur Hauptsache geltend, die Vorinstanz habe
Art. 4 BV
verletzt; die Verpflichtung, auf eigene Kosten einen Zaun entlang der Grundwasserteiche zu errichten, sei unangemessen und der Firma Anliker als blosser Pächterin sei es rechtlich gar nicht möglich, der Auflage nachzukommen. Bundesrecht sei auch dadurch verletzt, dass die kantonalen Instanzen trotz der besonderen Verhältnisse keine Ausnahmebewilligung gemäss
Art. 4 Abs. 5 GSchG
erteilt hätten.
E.-
Der Regierungsrat beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Er macht geltend, eine Umzäunung sei unentbehrlich, da ein Auffüllen der beiden Teiche mehrere Jahre beanspruchen werde, wenn sie überhaupt zu verantworten sei. Die Kiesgruben der Beschwerdeführerinnen würden gerade durch ihre Abgeschiedenheit zu unbefugtem Ablagern von Abfällen verlocken. Die Zutritts- und Ablagerungsverbote hätten sich als ungenügend erwiesen. Besondere Verhältnisse im Sinne von
Art. 4 Abs. 5 GSchG
seien nicht gegeben.
F.-
Das Eidg. Departement des Innern beantragt ebenfalls, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen. Es führt aus, nur eine starke Umzäunung könne verhindern, dass Kehricht und andere Abfälle am Ufer oder im Grundwasser abgelegt werden.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 14 GSchG
kann gegen Entscheide der letzten kantonalen Instanz, die in Anwendung dieses Gesetzes ergehen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht eingereicht werden. Ein solcher Entscheid ist der hier angefochtene. Der Regierungsrat hat die Umzäunung gestützt auf Art. 2 Abs. 1 und
Art. 4 Abs. 2 oder 3 GSchG
angeordnet.
BGE 91 I 144 S. 147
Gegen das auf § 15 des kantonalen Gewässerschutzgesetzes beruhende Verbot, die Kiesgruben ohne Bewilligung wieder aufzufüllen, haben sich die Betroffenen im vorliegenden Verfahren nicht beschwert; hierüber ist vor den kantonalen Instanzen ein Verfahren hängig.
b) Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze Bundesrecht oder sei nicht angemessen (
Art. 104 Abs. 1 OG
,
Art. 14 GSchG
). Die Beschwerdeführerinnen haben denn auch diese beiden Rügen erhoben. Neben ihnen bleibt indessen kein Raum für den in der gleichen Beschwerde erhobenen Vorwurf, die Vorinstanz habe bei der Anwendung des eidg. Gewässerschutzgesetzes gegen
Art. 4 BV
verstossen; denn der Gerichtshof hat nicht bloss unter dem beschränkten Gesichtswinkel des
Art. 4 BV
, sondern frei zu prüfen, ob die kantonale Behörde das Bundesgesetz zutreffend angewendet und von dem ihr zustehenden Ermessen einen richtigen Gebrauch gemacht habe (
BGE 84 I 154
,
BGE 86 I 192
).
Die Beschwerdeführerinnen rügen in der gleichen Beschwerde, dass ihnen kein Einblick in das Gutachten der EAWAG gewährt worden sei. Richtig ist zwar, dass die kantonale Verwaltung dieses Gutachten den Beschwerdeführerinnen nicht zugestellt hat. Indessen ist die Unterlassung in diesem Verfahren nicht wesentlich, da sich der Regierungsrat, soweit er die Errichtung des Zaunes verfügte, nicht auf das Gutachten stützte.
2.
a) Nach
Art. 2 Abs. 1 GSchG
sind gegen die Verunreinigung oder andere schädliche Beeinträchtigung der ober- und unterirdischen Gewässer allgemein diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die notwendig sind zum Schutze der Gesundheit von Mensch und Tier, zur Verwendung von Grund- und Quellwasser als Trinkwasser und zur Aufbereitung von Wasser aus oberirdischen Gewässern zu Trink- und Brauchwasser. Daneben enthalten Art. 2 Abs. 2, Art. 3 und 4 besondere Vorschriften für einzelne Gefahrenherde (z.B. Abwasser, Lagerung von Stoffen und Kiesgruben). So bestimmt
Art. 4 Abs. 3 GSchG
, dass bei bereits vorhandenen Kiesgruben die erforderlichen Massnahmen zu treffen sind, um damit verbundene Gewässerverunreinigungen zu beheben. Für die Anordnung von Schutzmassnahmen genügt der Nachweis, dass das Wasser gefährdet sei. Auch auf dem Gebiet des Gewässerschutzes ist Störer
BGE 91 I 144 S. 148
nicht nur, wer eine polizeiliche Vorschrift selbst übertritt. Als Störer gilt ebenfalls, wer es in Kauf nimmt, dass andere durch sein an sich nicht rechtswidriges Verhalten zur Übertretung von polizeilichen Vorschriften veranlasst werden (vgl.
BGE 87 I 113
/4,
BGE 90 I 4
Erw. 1a).
b) Geht man hievon aus, so hält die angefochtene Verfügung stand:
Den Akten ist zu entnehmen, dass das bereits durch den Kiesabbau belastete Grundwasser zusätzlich durch Abfälle gefährdet wird. So hat der Vorsteher des kantonalen Amtes für Gewässerschutz anlässlich der Begehungen vom 9. August 1960, 11. August 1960, 5. April 1961, 16. Mai 1961, 25. Juli 1961 sowie 17. Januar 1962 Abfälle in den Grundwasserteichen oder an deren Ufer angetroffen. Am 14. Mai 1963 meldete der Gemeinderat Ebikon, dass leere Ölfässer aus den Teichen gezogen worden seien. Aus den Berichten des kantonalen Polizeikommandos geht zudem hervor, dass Gemeindearbeiter von Ebikon am 24. Februar 1964 aus dem Grundwasserteich der Firma Schnyder & Plüss drei Abbruchautos, die trotz des Zufahrts- und Verunreinigungsverbotes im Frühjahr 1963 dort heimlich versenkt worden waren, gehoben haben. Da die amtlichen Verbote die Ablagerer von Abfällen nicht abschrecken konnten, haben die Beschwerdeführerinnen dafür einzustehen, dass das durch ihre Kiesausbeutung freigelegte Grundwasser durch weitere Massnahmen vor solchen Verunreinigungen bewahrt wird.
Der Regierungsrat hat zum Schutze des Grundwassers verfügt, dass die beiden Teiche, 15 m vom Ufer entfernt, mit einem 2,5 m hohen Geflechtdraht einzufrieden seien. Dass ein solcher Hag ein, wenn auch nicht vollkommenes, so doch an sich taugliches Schutzmittel darstellt, ist bereits in
BGE 86 I 204
/5 erkannt worden. Das Eidg. Departement des Innern hält einen Drahtzaun im vorliegenden Fall für die Abwehr von schädlichen Abfällen als unerlässlich. Da der Abstand von 15 m der ungefähren Wurfweite ab Lastwagen entspricht, ist auch die vorgesehene Entfernung dem angestrebten Ziel angepasst. Ob ausserhalb der abgehagten Fläche weiterhin schädliche Abfälle hingelegt und ob die Teiche später aufgefüllt werden, ist nicht entscheidend. Wesentlich ist, dass die Grundwasserteiche während ihres Bestehens wirksam geschützt werden. Die Auflage, durch einen Zaun weitere Beeinträchtigungen
BGE 91 I 144 S. 149
zu verhindern, erscheint daher als dem Zweck des Gesetzes entsprechend.
3.
Die betroffenen Baufirmen bestreiten die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung und bringen im einzelnen vor:
a) Die horizontale Entfernung zwischen den Teichen und der nächsten Wasserfassung sei so gross und die filtrierende Wirkung der 30-50 m mächtigen Schotterschicht derart, dass die Verunreinigung auf natürlichem Wege behoben werde. Diese Umstände seien nach
Art. 2 Abs. 3 GSchG
bei der Anordnung von Schutzmassnahmen zu berücksichtigen.
In
BGE 86 I 200
/01 Erw. 8 wird zwar festgestellt, dass eine 2 m mächtige Schotterschicht Sickerwasser, wenn es sich mindestens 30 Tage in ihr aufhalte, normalerweise genügend reinige. Diese Aussage bezieht sich aber nur auf Grundwasser, das aus einer Kiesgrube stammt und nicht zusätzlich durch schädliche Stoffe verunreinigt wird (vgl. Erw. 9 S. 203).
Im vorliegenden Fall wird das Grundwasser durch den Abbau des Kieses und zusätzlich durch verderbliche Abfälle beeinträchtigt. Dass die filtrierende Wirkung der Schotterschicht eine doppelte Beeinträchtigung auszugleichen vermöchte, ist nicht nachgewiesen. So entspricht es dem Schutzgedanken des Gesetzes, durch einen Zaun mindestens die Abfälle fernzuhalten und die filtrierende Wirkung des Schotters ganz der natürlichen und der durch den Betrieb der Kiesgrube gegebenen Beeinträchtigung des offenen Grundwassers vorzubehalten. Der Einwand dringt daher nicht durch.
b) Die Beschwerdeführerinnen behaupten weiter, die Auflage, die Teiche zu umzäunen, belaste sie mit Kosten, die in keinem Verhältnis zum angestrebten Erfolg ständen. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig.
Auf die Kosten der zu treffenden Massnahmen ist nicht Rücksicht zu nehmen, wo es, wie hier, um die Sicherstellung gesunden Trink- und Brauchwassers geht (
Art. 2 Abs. 3 GSchG
;
BGE 86 I 198
Erw. 7 a,
BGE 90 I 199
). Es kann auch nicht gesagt werden, die Überwälzung dieser Kosten auf die beiden Baufirmen sei unzumutbar. Der von Firma Schnyder & Plüss eingereichte Voranschlag (Fr. 61'000.--) bezieht sich - wie der Regierungsrat mit Recht ausführt - auf einen Zaun, der den Teich und die noch nicht ausgebeutete Parzelle umschliesst; ein Hag, 15 m vom Ufer des jetzigen Teiches entfernt, würde indessen nur etwa 3/5 dieser Länge beanspruchen. Die
BGE 91 I 144 S. 150
Auslagen wären daher auf annähernd Fr. 36'000.--, zusätzlich die eigenen Aufwendungen zu veranschlagen. Kosten in dieser Grössenordnung erscheinen jedoch im Hinblick auf die bisher ausgebeuteten Kiesmengen (Anliker = rund 18'000 m2 auf eine Tiefe von 5 m; Schnyder & Plüss - rund 15'000 m2 auf eine Tiefe von 4-5 m) nicht als untragbar.
Richtig ist, dass die Beschwerdeführerinnen nicht mehr in der Lage sind, auf die Errichtung der Kiesgrube zu verzichten. Sie haben indessen nicht dargelegt, dass bei einer um diese Kosten verteuerten Kiesförderung kein angemessener Gewinn mehr bliebe. Unerheblich ist, ob der gewonnene Kies für den eigenen Betrieb oder für den Verkauf bestimmt war und ist.
c) Offensichtlich fehl geht der Einwand, die den Beschwerdeführerinnen auferlegte Umzäunungspflicht sei deshalb nicht angemessen, weil gegen andere Herde der Gewässerverschmutzung nicht ebenso entschieden eingeschritten werde. Eine notwendige Verwaltungsmassnahme kann nicht dadurch abgewehrt werden, dass die Behörde auf Tatbestände hingewiesen wird, wo ein Eingriff nach Meinung der Betroffenen noch dringlicher wäre. Der Regierungsrat hat zudem in der Beschwerdeantwort zugesichert, dass er auch gegen die anderen Gefahrenquellen vorgehen werde.
4.
Die Firma Anliker ficht die regierungsrätliche Verfügung noch mit dem Hinweis an, sie habe den Pachtvertrag am 1. März 1957 abgeschlossen, also bevor die Vorschriften über die Ausbeutung rechtskräftig geworden seien. Sie irrt. Das Gewässerschutzgesetz, auf welches sich die angefochtene Verfügung stützt, ist am 1. Januar 1957 in Kraft getreten.
5.
Die Firma Anliker bringt weiter vor, die Auflage, den Grundwasserteich einzuzäunen, sei rechtlich nicht durchführbar; denn sie sei nur Pächterin der Liegenschaft. Die Korporation Rotterswil als Eigentümerin könnte sich gegen solche Massnahmen mit den Mitteln des Besitzesschutzes wehren. Auch dieser Einwand kann nicht gehört werden.
Mit dem Recht, Kies auszubeuten, hat die Firma Anliker auch das Recht erworben, das Land abzuschranken. Aus den Akten folgt, dass der Zaun, so wie ihn der Regierungsrat angeordnet hat, zur Hauptsache innerhalb des gepachteten Landes erstellt werden kann. Ergibt sich bei der Einfriedigung, dass der Mindestabstand von 15 m je nach den örtlichen
BGE 91 I 144 S. 151
Verhältnissen nicht eingehalten werden kann, so ist der Regierungsrat bereit, der Beschwerdeführerin zu gestatten (vgl. Vernehmlassung S. 8/9), den Hag näher zum Teich zu rücken, wenn er entsprechend höher erstellt wird. Sollte jedoch der Zaun teilweise über das Land Dritter geführt werden müssen und sollte sich die Korporation Rotterswil oder ein anderer Nachbar zur Wehr setzen, so steht es den Behörden des Kantons Luzern zu, auch ihnen gegenüber die Umzäunung zu verfügen; denn nach
Art. 2 sowie
Art. 4 Abs. 3 GSchG
sind erforderliche Massnahmen, ohne Unterschied des Betroffenen, zulässig, um Gewässer vor Verunreinigung zu bewahren.
6.
Schliesslich machen die Beschwerdeführerinnen geltend, die kantonalen Behörden wären nach
Art. 4 Abs. 5 GSchG
gehalten gewesen, eine Sonderbewilligung zu erteilen. Wie das Bundesgericht in
BGE 86 I 199
ff. entschieden hat, setzt die erwähnte Gesetzesbestimmung voraus, dass ein besonderer Fall vorliege. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.
Die Beschwerde sagt nicht, in welchen Umständen die betroffenen Baufirmen den "besonderen Fall" erblicken. Auch den Akten ist nichts zu entnehmen, was die Anlage ihrer Kiesgruben als besonderen Fall im Sinne von
Art. 4 Abs. 5 GSchG
erscheinen liesse. Die Vorinstanz durfte somit ohne Gesetzesverletzung oder Überschreitung ihres Ermessens von einer Sonderbewilligung absehen, zumal die Firma Anliker, wie der Regierungsrat in der Vernehmlassung ausführt, für den Betrieb der Kiesgrube nach kantonalem Recht bewilligungspflichtig gewesen wäre, jedoch nie eine Bewilligung eingeholt hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,965 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cbfaf5ca-c179-4aa1-a682-d7c1721b4d3f | Urteilskopf
108 IV 41
11. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Mai 1982 i.S. K. und B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 70 und 273 StGB
.
1. Zur Bestimmung der Verjährungsfrist sind bei der Einreihung einer strafbaren Handlung in eine der drei Deliktskategorien (
Art. 70 StGB
) die Schärfungs- und Milderungsgründe des besondern Teils des StGB zu berücksichtigen (E. 2).
2. Der "schwere Fall" i.S. von
Art. 273 StGB
ist ein bei der Feststellung der angedrohten Höchststrafe in Betracht fallendes Qualifikationsmerkmal, dessen Vorliegen in objektiver Weise unter Vernachlässigung aller den konkreten Fall berührender subjektiver Elemente zu prüfen ist (E. 2).
3. Ein schwerer Fall des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes liegt vor, wenn der Verrat wirtschaftlicher Geheimnisse wegen ihrer grossen Bedeutung bzw. wegen ihres erheblichen industriellen Werts die nationale Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich in bedeutendem Ausmass mitgefährdet (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 42
BGE 108 IV 41 S. 42
A.-
K. und B. wird vorgeworfen, in der Zeit von Mitte Juli bis 12. Oktober 1973 sich u.a. des fortgesetzten bzw. des einfachen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne des
Art. 273 StGB
schuldig gemacht zu haben.
B.-
Am 7. September 1981 entschied das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft, dem Verfahren gegen K. und B. wegen des genannten Delikts zufolge Eintritts der Verjährung keine Folge zu geben. Zur Begründung wurde angeführt, der Regelstrafrahmen des
Art. 273 StGB
laute auf Gefängnis und es gelte daher die für Vergehen vorgesehene absolute Verjährungsfrist von siebeneinhalb Jahren
Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft hob den erstinstanzlichen Entscheid am 16. Februar 1982 auf Appellation der Staatsanwaltschaft hin auf und wies die Sache zur Beurteilung an das Strafgericht zurück.
C.-
K. und B. führen in getrennten Eingaben Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Einstellung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft beantragt Abweisung der Beschwerden.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Zur Entscheidung steht einzig die Frage, ob das Delikt des
Art. 273 StGB
, das "mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus" bedroht ist, im Sinne von
Art. 9 StGB
ein Verbrechen oder ein Vergehen darstellt und je nachdem gemäss den
Art. 70 und 72 Ziff. 2 StGB
ordentlicherweise in fünf bzw. in zehn Jahren und absolut in siebeneinhalb bzw. in fünfzehn Jahren verjährt.
a) Nach
Art. 70 StGB
verjährt die Strafverfolgung in zehn Jahren, wenn die strafbare Tat mit Zuchthaus, und in fünf Jahren, wenn sie mit einer anderen Strafe "bedroht" ist. Das Bundesgericht hat diese Bestimmung in ständiger Rechtsprechung dahin verstanden, dass massgebend für die Dauer der Verjährungsfrist die Strafe ist, die das Gesetz auf die betreffende strafbare Handlung allgemein androht, und nicht die Strafe, die der Täter nach den Grundsätzen der Strafzumessung (
Art. 63 ff. StGB
) im Einzelfall
BGE 108 IV 41 S. 43
verwirkt hat (
BGE 104 IV 244
E. 1c,
BGE 96 IV 32
E. 2,
BGE 92 IV 123
u.a.m.). Diese abstrakte Betrachtungsweise findet sich im Gesetz in den Art. 9 und 101 bei der Unterscheidung zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen sowie in den
Art. 68 und 350 StGB
, wo für die Bestimmung der schwersten Tat ebenfalls auf das rein formale Merkmal der im Gesetz auf die Einzeltat angedrohten Höchststrafe abgestellt wird (
BGE 93 IV 10
,
BGE 76 IV 264
,
BGE 71 IV 165
,
BGE 69 IV 37
). Sie ist denn auch nicht nur dort anwendbar, wo für ein und denselben Tatbestand wahlweise zwei verschiedene Arten von Strafen angedroht werden, sondern auch in den Fällen, wo neben einem Grundtatbestand durch eigens umschriebene Qualifikationen gekennzeichnete Tatbestände mit besonderen Strafdrohungen vorgesehen sind, wie das beispielsweise bei Art. 137 Ziff. 2, 139 Ziff. 2, 140 Ziff. 2 u.a.m. zutrifft. Hier bestimmt die durch das gesetzliche Qualifikationselement bedingte Strafdrohung die Einreihung des Delikts in die Kategorie der Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen sowie die Dauer seiner Verjährung. Von dieser abstrakten Betrachtungsweise wollte übrigens das Bundesgericht weder in
BGE 102 IV 203
E. 3 noch in dem in ZR 63/1964 Nr. 16 veröffentlichten Entscheid abgehen, hat es doch beiden Urteilen ausdrücklich den Grundsatz der abstrakten Beurteilung zugrunde gelegt.
b)
Art. 273 Abs. 3 StGB
bedroht die in den Abs. 1 und 2 umschriebenen Tatbestände mit "Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus". Danach sind leichte und mittlere Fälle mit Gefängnis und schwere mit Zuchthaus zu ahnden. Hieran anschliessend hat das Bundesgericht in einem in ZR 63/1964 Nr. 16 veröffentlichten Urteil festgestellt, die unterschiedliche Strafdrohung sei hier nicht mit einer Änderung der Tatbestände verknüpft, vielmehr blieben die Tatbestandsmerkmale in schweren wie in leichten Fällen dieselben; ob ein Fall schwer sei oder nicht, sei nicht eine Frage des Tatbestandes, sondern der Strafzumessung. Weiter folgerte es, abstrakt, d.h. wenn die im einzelnen Fall in Betracht kommenden Strafzumessungsgründe ausser acht gelassen würden, sei jeder wirtschaftliche Nachrichtendienst mit beiden vorgesehenen Strafarten und infolgedessen mit Zuchthaus als Höchststrafe bedroht. Zwischen Art. 273 und anderen Strafbestimmungen mit wahlweiser Androhung von Zuchthaus oder Gefängnis bestehe kein grundsätzlicher Unterschied. Auch bei den letzteren bedeute der erweiterte Strafrahmen, dass innerhalb des nämlichen Tatbestandes zwischen schweren und leichteren Fällen
BGE 108 IV 41 S. 44
unterschieden werden müsse und dass je nachdem auf Zuchthaus oder auf Gefängnis zu erkennen sei. Dass in
Art. 273 StGB
ausdrücklich hervorgehoben werde, was in anderen Bestimmungen mit verschiedener Strafdrohung nach den allgemeinen Grundsätzen der Strafzumessung als selbstverständlich gelte, könne auf Gründe psychologischer oder gesetzespolitischer Art zurückzuführen sein, heisse aber nicht notwendig, dass hier ausnahmsweise auf die zuzumessende statt auf die allgemein angedrohte Strafe abzustellen sei.
c) SCHULTZ (Einführung in den AT des Strafrechts, 4. Aufl., I S. 247 f.), der im Ergebnis von diesem Entscheid abweicht, geht zwar ebenso wie das Bundesgericht davon aus, dass die Dauer der Verjährung sich nach der abstrakten Strafdrohung und - wo verschiedene Strafarten vorgesehen sind - nach der schwereren unter ihnen bestimmt, unabhängig davon, ob im konkreten Fall das Verhängen der schwereren Strafart in Frage steht. Auch liegt er in der Linie jenes Entscheides, soweit er fordert, dass nur im einzelnen Fall mögliche Strafschärfungen oder -milderungen ausser Betracht zu bleiben haben. Diesen setzt er aber - anders als das Bundesgericht es getan hat - Strafschärfungen gleich, welche "einzig für schwere Fälle vorgesehen sind, z.B. in Art. 273". Entsprechend will auch STRATENWERTH (Schweizer. Strafrecht, AT I S. 99) alle Abwandlungen des ordentlichen Strafrahmens, deren Voraussetzungen das Gesetz nicht im einzelnen abschliessend umschreibt, deren Anwendung also von der richterlichen Einschätzung der Schwere des konkreten Delikts abhängt, für die Festlegung der Dauer der Verjährung unberücksichtigt lassen. Das gilt nach seiner Meinung für die zahlreichen Bestimmungen, die "in schweren Fällen" (z.B. Art. 266 Ziff. 2, 266bis Abs. 2, 273) bzw. in "leichten Fällen" (z.B. Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1, 225) oder "in besonders leichten Fällen" (z.B. Art. 144 Abs. 2, 251 Ziff. 3) eine höhere Strafe androhen bzw. den Strafrahmen herabsetzen. Und ebenso wäre nach Auffassung des genannten Autors zu entscheiden, wo das Gesetz Beispiele schwerer Fälle nennt (z.B. Art. 272 Ziff. 2), sie aber nicht abschliessend aufzählt. demgegenüber vertreten LOGOZ (Kommentar, 2. Aufl., N. 2 zu Art. 70 S. 387 oben) und THORMANN/V. OVERBECK (Kommentar N. 3 zu Art. 70) die Auffassung, dass Schärfungs- und Milderungsgründe des besonderen Teils bei Feststellung des gesetzlichen Höchstmasses der angedrohten Strafe und damit der Dauer der Verjährung zu berücksichtigen seien.
BGE 108 IV 41 S. 45
d) Die in ZR 63/1964 Nr. 16 vom Bundesgericht vertretene Meinung, wonach zwischen
Art. 273 StGB
und anderen Strafbestimmungen, die wahlweise Zuchthaus oder Gefängnis androhen, kein grundsätzlicher Unterschied bestehe, indem auch bei den letzteren der Richter innerhalb des nämlichen Tatbestandes zwischen schweren und leichteren Fällen unterscheiden und je nachdem auf Zuchthaus oder auf Gefängnis erkennen müsse, vermag nach erneuter Prüfung nicht zu überzeugen. Zwar ist der Entwicklungsgeschichte des
Art. 273 StGB
wie des BB betreffend den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft vom 21. Juni 1935 (sog. Spitzelgesetz; AS n.F. 51/1935 S. 482), dessen Art. 4 im wesentlichen ins StGB übernommen wurde, nicht zu entnehmen, warum Abs. 3 so und nicht anders gefasst worden ist. Vom Wortlaut ausgehend liegt jedoch der Schluss nahe, dass diese Vorschrift nicht den gleichen Sinn haben kann wie die Strafbestimmungen mit wahlweiser Androhung von Gefängnis oder Zuchthaus, zumal kein Grund ersichtlich ist, warum der Gesetzgeber
Art. 273 Abs. 3 StGB
diesfalls nicht gleich hätte fassen sollen wie die letzteren. Das aber hat er gerade nicht getan. Vielmehr hat er für die leichten bis durchschnittlichen Fälle Gefängnis und für schwere Fälle Zuchthaus angedroht, was doch nur bedeuten kann, dass - unter Vorbehalt der Strafmilderungsgründe des allgemeinen Teils - im ersteren Fall nur auf Gefängnis und im zweiten nur auf Zuchthaus zu erkennen ist. Dafür, dass wirtschaftlicher Nachrichtendienst schlechthin mit Zuchthaus bedroht zu gelten habe, d.h. diese Strafdrohung allein die objektive Schwere des Delikts zum Ausdruck bringe, lässt sich somit der vom Gesetzgeber gewählten Fassung des
Art. 273 Abs. 3 StGB
nichts Sicheres entnehmen.
e) Zu Zweifeln Anlass gibt aber auch die von Schultz und Stratenwerth vertretene These, derzufolge beim Tatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes nur die niedrigere der angedrohten Sanktionen, nämlich Gefängnis, nach
Art. 9 und 70 StGB
, erheblich wäre. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber die höhere, auf Zuchthaus lautende Strafdrohung hier nicht an ein Qualifikationsmerkmal geknüpft hat, das von ihm selber präziser umschrieben worden ist (wie z.B. bandenmässiger oder gewerbsmässiger Diebstahl oder Raub, Raub unter Bedrohung mit dem Tode u.a.m.). Das ist offenbar wegen der Vielfalt möglicher Erschwerungsgründe nicht geschehen, weshalb der Gesetzgeber sich gezwungen sah, auf die weite Formulierung "schwerer Fall" auszuweichen, es dem Richter überlassend, dem unbestimmten
BGE 108 IV 41 S. 46
Rechtsbegriff seinen Gehalt zu geben. Damit verwies er jenen aber nicht einfach auf sein pflichtgemässes Ermessen wie bei der Strafzumessung, bei der das konkrete Täterverschulden unter Berücksichtigung von Schärfungs- und Milderungsgründen des allgemeinen Teils abzuschätzen und dementsprechend eine mehr oder weniger schwere Strafe innert des gesetzlichen Rahmens auszufällen ist. Vielmehr hat der Richter bei
Art. 273 Abs. 3 StGB
aus dieser besonderen Norm und ihrem Kontext heraus objektiv, d.h. unter Ausschluss der persönlichen Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit des konkreten Täters berühren, zu bestimmen, was das Wesen eines schweren Falls wirtschaftlichen Nachrichtendienstes ausmacht; denn die daran anschliessende und für
Art. 9 und 70 StGB
massgebende Strafdrohung soll ja Ausdruck der objektiven Schwere der Tat sein (
BGE 93 IV 11
E. 2b). Wo der Richter aber solcherweise verfährt, um festzustellen, worin ein schwerer Fall im Sinne des
Art. 273 Abs. 3 StGB
besteht, da unterscheidet sich seine Wertung qualitativ nicht von derjenigen, welche die Auslegung im einzelnen geregelter Qualifikationsmerkmale voraussetzt, in deren Umschreibung der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe einbezogen hat (z.B. Art. 112: besonders verwerfliche Gesinnung, besondere Gefährlichkeit; Art. 122 Ziff. 1 Abs. 3: eine andere schwere Schädigung des Körpers; Art. 137 Ziff. 2 letzter Abs. und 139 Ziff. 2 Abs. 4: besondere Gefährlichkeit; Art. 139 Ziff. 2 letzter Abs.: besondere Grausamkeit u.a.m.). Und doch wird im Schrifttum nicht behauptet, es werde mit der Bestimmung der Deliktsart nach der an solche Qualifikationen anschliessenden Strafdrohung wegen jener notwendigen richterlichen Wertung von der abstrakten Betrachtungsweise abgegangen.
f) In Berücksichtigung des Gesagten erscheint die Auffassung von Logoz und Thormann/v. Overbeck, wonach die Schärfungs- und Milderungsgründe des besonderen Teils des StGB bei Feststellung des angedrohten gesetzlichen Höchstmasses der Strafe zu berücksichtigen seien, als jene mittlere Lösung, die das Richtige trifft, sofern der Richter dabei in objektiver Weise unter Vernachlässigung aller den konkreten Fall berührender subjektiver Elemente den Gehalt der betreffenden Qualifikationen feststellt. Demgegenüber muss der Hinweis auf das deutsche Schrifttum versagen, weil einerseits das deutsche StGB in § 12 Abs. 3 ausdrücklich bestimmt, dass Schärfungen oder Milderungen, welche für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind,
BGE 108 IV 41 S. 47
für die Einteilung in Deliktskategorien ausser Betracht zu bleiben haben, und weil anderseits das deutsche Recht hierbei vom Mindeststrafmass und nicht von der angedrohten Höchststrafe ausgeht.
3.
Im vorliegenden Fall bleibt noch zu prüfen, was der Gesetzgeber als schweren Fall wirtschaftlichen Nachrichtendienstes verstanden wissen wollte.
Art. 273 StGB
enthält selber keinen Anhaltspunkt. Indessen steht er unter dem Titel der Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und bezweckt den Schutz der Gebietshoheit und die Abwehr der Spitzeltätigkeit zur Erhaltung der nationalen Wirtschaft (
BGE 101 IV 313
,
BGE 98 IV 210
). Zudem macht der nahe verwandte Tatbestand des politischen Nachrichtendienstes, der analog
Art. 273 StGB
für schwere Fälle Zuchthaus androht, in Ziff. 2 durch Beispiele deutlich, wann ein schwerer Fall politischer Spionage gegeben ist. Das trifft insbesondere zu, wenn der Täter zu Handlungen aufreizt oder falsche Berichte erstattet, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden. Analog auf
Art. 273 StGB
übertragen, wird man dann, wenn der Täter private wirtschaftliche Geheimnisse, deren Bewahrung wegen ihrer grossen Bedeutung, bzw. ihrem erheblichen industriellen Wert (s.
BGE 97 IV 123
f.) auch im staatlichen Interesse liegt, ausspäht oder verrät und dadurch die nationale Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich, wenn auch bloss abstrakt, so doch in bedeutendem Ausmass mitgefährdet (vgl. HAFTER, BT II S. 674), einen schweren Fall wirtschaftlichen Nachrichtendienstes für gegeben erachten.
4.
Die Vorinstanz hat ZR 63/1964 Nr. 16 folgend Nachrichtendienst wegen der auf Zuchthaus lautenden Strafdrohung schlechthin als Verbrechen eingestuft. Sie hatte deshalb vorgängig nicht zu prüfen, ob der konkrete Fall den oben umschriebenen Erfordernissen eines schweren wirtschaftlichen Nachrichtendienstes entspreche. Das obergerichtliche Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob ein schwerer Fall gemäss Erwägung 3 gegeben sei. Für den Fall, dass dies zutreffen sollte, stände ein mit Zuchthaus bedrohtes Delikt und damit ein Verbrechen in Frage, das noch nicht verjährt wäre. Die Strafverfolgung wäre diesfalls fortzusetzen, unbekümmert darum, ob die Beschwerdeführer sich jener objektiven Schwere ihres Tuns auch bewusst gewesen sind oder nicht und ob sie deswegen dann schliesslich mit Zuchthaus oder bloss mit Gefängnis zu bestrafen wären.
BGE 108 IV 41 S. 48
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - Ausschuss - des Kantons Basel-Landschaft vom 16. Februar 1982 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cbfc3a27-82e1-4a33-b843-83e70790d3ba | Urteilskopf
92 II 77
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Juni 1966 i.S. A. gegen St., Mutter und Kind. | Regeste
Vaterschaftsklage. Anthropologisch-erbbiologische Untersuchung in bezug auf einen Dritten. a) Zulässiges Beweisthema; b) Voraussetzungen einer solchen Beweisführung.
Art. 8, 307, 314 ZGB
.
Ist es zulässig, einen beliebigen Dritten, der intime Beziehungen mit der Kindesmutter ebenso wie diese selbst verneint, auf Antrag des Beklagten einem positiven Vaterschaftsbeweis durch anthropologisch-erbbiologische Untersuchung zu unterwerfen, ohne dass wenigstens entfernte Anhaltspunkte für solche Beziehungen bestehen? Frage offen gelassen; jedenfalls müsste der Dritte auf Begehren der Klägerschaft vorerst in die serologische Untersuchung einbezogen werden.
Die vom Beklagten beantragte anthropologisch-erbbiologische Untersuchung in bezug auf den Dritten ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn das über den Beklagten selbst eingeholte Gutachten dieser Art die Schlussfolgerung erlaubt, es sei unmöglich, eine allfällige Vaterschaft des Dritten mit genügender Sicherheit nachzuweisen. | Sachverhalt
ab Seite 78
BGE 92 II 77 S. 78
Aus dem Tatbestand:
A.-
R. St. gebar am 24. Mai 1961 ausserehelich die Tochter I. Sie bezeichnete als Vater des Kindes den Beklagten A. und behauptete, sie habe mit ihm am 2. und 7. September 1960. also innerhalb der vom 28. Juli bis 25. November 1960 laufenden kritischen Zeit, geschlechtlich verkehrt. Nach den medizinischen Feststellungen wurde das Kind mit allen Zeichen der Reife geboren (Gewicht 3150 Gramm, Länge 50 cm). Es ist also eine normale Tragzeit anzunehmen, so dass als wahrscheinlichster Empfängnistermin die Zeit von Ende August/Anfang September 1960 in Frage kommt. Nach den Ergebnissen der Blutgruppenuntersuchung kann der Beklagte nicht als Vater ausgeschlossen werden, ebensowenig nach dem vom Obergericht eingeholten anthropologisch-erbbiologischen Gutachten,
BGE 92 II 77 S. 79
das sogar zum Schlusse kommt, seine Vaterschaft sei wahrscheinlich.
Obwohl der Beklagte bereit gewesen wäre, der Kindsmutter vor Einleitung des Prozesses eine Abfindung von Fr. 4 000.-- zu bezahlen, bestritt er in erster Linie überhaupt, mit ihr in der kritischen Zeit geschlechtlich verkehrt zu haben. Ausserdem erhob er verschiedene Einreden.
B.-
Die kantonalen Gerichte beider Instanzen schützten die Klage von Mutter und Kind und verurteilten den Beklagten zu den gesetzlichen Vaterschaftsleistungen.
C.-
Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Beklagte die vorliegende Berufung eingereicht mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen die Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Feststellung des Obergerichts, der Beklagte habe mit der Kindsmutter am 2. und am 7. September 1960 geschlechtlich verkehrt, beruht aufeinem Beweisergebnis, das vom Bundesgericht nicht nachzuprüfen ist (
Art. 63 Abs. 2 OG
)....
2.
Anderseits ist nach Feststellung des Obergerichts nicht erwiesen, dass die Kindsmutter während der kritischen Zeit mit einem Dritten, X, geschlechtlichen Umgang pflog....
3.
Mit der Behauptung, das Obergericht habe seinem Antrag auf Einbeziehung des X. in die erbbiologische Untersuchung zu Unrecht nicht stattgegeben, will der Beklagte offenbar geltend machen, der angefochtene Entscheid verletze
Art. 8 ZGB
, weil ihm die Führung eines ihm neben der Mehrverkehrseinrede zustehenden Gegenbeweises abgeschnitten worden sei. Wenn er jedoch nach dem Scheitern des auf seine eigene Person bezogenen Ausschlussbeweises durch die serologische wie auch durch die erbbiologische Untersuchung und nach erfolglos gebliebener Mehrverkehrseinrede eine Ergänzung der erbbiologischen Begutachtung in dem Sinne verlangt, dass zu prüfen sei, "ob nicht auf Grund der Ähnlichkeit X. als wahrscheinlicher Vater des Kindes I. St. zu betrachten sei", so übersieht er, dass eine blosse Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des genannten Dritten nicht genügen würde, um die ihm selbst gegenüber bestehende Vaterschaftsvermutung unwirksam zu machen. Wie für alle andern naturwissenschaftlichen Methoden
BGE 92 II 77 S. 80
zur Feststellung bzw. zum Ausschluss der Abstammung, so gilt auch für das anthropologisch-erbbiologische Gutachten (AEG), dass nicht schon eine mit einiger Wahrscheinlichkeit, sondern nur eine mit voller Sicherheit oder doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sich ergebende Feststellung als rechtserheblich in Betracht fällt (vgl.
BGE 90 II 273
/74,
BGE 91 II 164
Mitte).
Aber gesetzt auch, der Beklagte wolle den positiven Beweis der Vaterschaft des genannten Dritten auf dem Wege des AEG mit dem erforderlichen Grade der Wahrscheinlichkeit erbringen, so wäre seinem Antrage dennoch nicht zu entsprechen. Das Bundesgericht hat allerdings einen Beklagten, der weder die Vermutung des
Art. 314 Abs. 1 ZGB
zerstören noch den negativen Beweis seiner Vaterschaft (d.h. den Beweis des Ausschlusses seiner Vaterschaft) erbringen konnte, als berechtigt erklärt, den positiven Beweis der Vaterschaft eines bestimmten Dritten auf dem Wege des AEG zu führen, sofern auch nur Anhaltspunkte für Verkehr der Kindsmutter mit diesem Dritten in der kritischen Zeit gegeben seien (
BGE 90 II 219
ff.). Und nach einer neueren Entscheidung braucht der Beklagte nicht einmal irgendwelche Indizien für Mehrverkehr der Kindsmutter darzutun, um die Einholung eines AEG zum Beweis dafür zu verlangen, dass er selber als Vater des Kindes auszuschliessen sei, nachdem alle andern zu solchem Ausschluss geeigneten Beweismittel versagten (
BGE 91 II 159
ff., namentlich S. 165 oben). Es erscheint als fraglich, ob ihm ein so uneingeschränktes Recht auf Einholung eines AEG grundsätzlich auch dann einzuräumen sei, wenn es nicht darum geht, ihn selbst als Vater auszuschliessen, sondern die Vaterschaft eines bestimmten Dritten positiv feststellen zu lassen. Denn während der vom Beklagten zu führende Ausschlussbeweis durch AEG gemäss der erwähnten neueren Rechtsprechung nach Erschöpfung der übrigen Beweismittel ebensowenig verweigert werden kann wie zunächst der Ausschlussbeweis durch Blutuntersuchung, so dass in beiden Fällen eine Ablehnung der Beweismassnahme "mangels Indizien für Mehrverkehr" als unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung erschiene (was in
BGE 90 II 151
/52 für den serologischen Ausschlussbeweis ausgesprochen wurde), erweckt es Bedenken, einen beliebigen Dritten, der intime Beziehungen mit der Kindsmutter ebenso wie diese selbst verneint, auf Antrag des Beklagten
BGE 92 II 77 S. 81
einem positiven Vaterschaftsbeweis durch AEG zu unterwerfen, ohne dass wenigstens entfernte Anhaltspunkte für solche Beziehungen bestehen. Geht man hievon aus, so wäre im vorliegenden Falle zu prüfen, ob gegenüber X. der Vorfall vom 21. August 1960, so wie er sich nach den vorinstanzlichen Feststellungen abspielte, in Verbindung mit seiner Bekanntschaft mit der Kindsmutter hiefür ausreichen könne. Jedenfalls stünde es der Klägerschaft zu, dem in Frage stehenden Beweisantrag des Beklagten entgegenzuhalten, vorerst müsste der Dritte in die serologische Untersuchung einbezogen werden, da das AEG nur in letzter Linie einzuholen ist (
BGE 90 II 225
). Wenn der Dritte durch das Ergebnis jener Untersuchung als Vater ausgeschlossen würde, erübrigte sich die erbbiologische Begutachtung auf jeden Fall.
Wie es sich nun aber mit dem vom Beklagten in Anspruch genommenen AEG-beweis grundsätzlich auch verhalten mag, stehen seiner Anordnung die Ergebnisse des bereits eingeholten AEG entgegen. Dieses befasst sich zwar nur mit der Frage der Abstammung des Kindes vom Beklagten selbst. Seine Feststellungen erlauben aber die Schlussfolgerung, es sei unmöglich, eine allfällige Vaterschaft des X. mit genügender Sicherheit nachzuweisen. Nach den Darlegungen des Gutachtens weist das Kind überwiegend Merkmale der Mutter auf. In den wenigen Merkmalen, die es nicht von seiner Mutter geerbt haben kann, gleicht es dem Beklagten. Gleichwohl war die Expertin nicht in der Lage, zu erklären, der Beklagte sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Vater, sondern sie musste sich angesichts der Spärlichkeit des Materials mit der Feststellung begnügen, er könne nicht ausgeschlossen werden, seine Vaterschaft sei vielmehr durchaus wahrscheinlich. Diese Ungewissheit ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass der Beklagte in vielen Merkmalen der Kindsmutter sehr ähnlich ist. Wäre nun X. ein ähnlicher Typ, dann könnte die Expertin ebensowenig wie beim Beklagten zu einem sichern positiven Nachweis kommen. Sollte jedoch X. ein Mensch mit ganz andern Merkmalen sein, dann fehlten sie nach den Feststellungen der Expertin dem Kinde. Wie sich aus deren Darlegungen im einzelnen ergibt, weist das Kind keine wesentlichen Merkmale auf, die es nicht entweder von der Mutter oder vom Beklagten geerbt hat. Bei dieser Sachlage wäre der Einbezug des X. in die anthropologisch-erbbiologische
BGE 92 II 77 S. 82
Begutachtung - auch wenn er nach einer vorher durchgeführten Blutgruppenuntersuchung nicht ausgeschlossen werden könnte - zum vornherein nicht dazu geeignet, den sichern Beweis seiner Vaterschaft zu erbringen und dadurch mittelbar den Beklagten als Vater auszuschliessen.
Untaugliche Beweismittel dürfen aber ohne Verletzung von
Art. 8 ZGB
abgelehnt werden (vgl. KUMMER, N. 79 zu
Art. 8 ZGB
). | public_law | nan | de | 1,966 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cbff239c-2517-4062-ada7-9914357fe5df | Urteilskopf
101 IV 285
65. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Oktober 1975 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt | Regeste
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
.
Ob ein Gegenstand als gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Bestimmung zu gelten hat, entscheidet sich nach der Art und Weise seiner Verwendung.
Ein gezielt gegen den Kopf eines Menschen geschleudertes Bierglas stellt ein gefährliches Werkzeug dar. | Sachverhalt
ab Seite 286
BGE 101 IV 285 S. 286
Aus dem Tatbestand:
A.-
Nachdem X. ausgiebig dem Alkohol zugesprochen hatte, suchte er am 29. Juni 1974 kurz nach Mitternacht auf dem Heimweg das Restaurant "Spalenbrunnen" in Basel auf. Die Buffethilfe Frau S. machte X. klar, dass ihm wegen seiner Betrunkenheit sowie infolge der eingetretenen Polizeistunde keine Konsumation mehr gewährt werde. Es entstand in der Folge ein Wortwechsel, in dessen Verlauf X. plötzlich ein Halbliter-"Bierrugeliglas" ergriff und in einer Entfernung von ca. 4 Metern gezielt gegen die Buffethilfe schleuderte. Frau S. vermochte dem Glas auszuweichen; dieses zerschellte ca. 20 Zentimeter vom Kopf der Buffethilfe entfernt an der Wand.
B.-
Das Strafgericht Basel-Stadt sprach X. am 20. Juni 1975 schuldig der versuchten einfachen Körperverletzung mit gefährlichem Werkzeug und verurteilte ihn in Anwendung von
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
zu zehn Tagen Haft.
Auf Appellation des Angeklagten hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 3. September 1975 das erstinstanzliche Urteil.
C.-
X. führt eidg. Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, das von ihm verwendete "Bierrugeli" stelle kein gefährliches Werkzeug gemäss
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
dar. Der Begriff "Werkzeug" sei im Sinne von "Handwerkzeug" zu verstehen und umfasse bloss Gegenstände von der Art und Beschaffenheit beispielsweise eines grossen Hammers oder einer Säge; ein Trinkglas falle nicht darunter.
Im Gegensatz zu dieser Auffassung ist ein Werkzeug in einem weiteren Sinn als Gegenstand aufzufassen, der auf Grund seiner Beschaffenheit oder der konkreten Art und Weise der Benützung durch den Täter für einen andern Menschen gefährlich werden kann. Die Eigenschaft, ein "gefährliches Werkzeug" im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung
BGE 101 IV 285 S. 287
zu sein, kommt nach allgemeiner Auffassung demnach einem Gegenstand nicht von sich aus zu. Entscheidend ist vielmehr, ob die konkrete Verwendungsart die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung gemäss
Art. 122 Ziff. 1 StGB
herbeiführt (STRATENWERTH, Bes. Teil I, S. 62). So kann beispielsweise der Federhalter ein "gefährliches Werkzeug" sein, wenn mit der Federseite auf das Gesicht eines andern eingestochen wird, aber nicht, wenn er als "Schlag"instrument Verwendung findet. Dieselbe Auffassung vertritt HAFTER, wenn er erklärt, Werkzeuge an sich seien weder gefährlich noch ungefährlich. Es komme darauf an, ob die Art des Gebrauches eines Gegenstandes die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung in sich berge (HAFTER, Bes. Teil I, S. 37, insbesondere Anmerkung 5). Ebenso LOGOZ, der ausführt, bei der Entscheidung der Frage, ob ein Werkzeug als gefährlich zu gelten habe, sei ausschlaggebend, auf welche Weise dieses verwendet werde. Als Beispiel erwähnt er u.a. einen Pflasterstein, der an sich kein Werkzeug im engeren Sinn darstellt, der aber zu einem "gefährlichen Werkzeug" werden kann, wenn er wuchtig gegen den ungeschützten Kopf eines Menschen geworfen wird (LOGOZ I, S. 50 Ziff. 4). In gleicher Weise hat das Bundesgericht kürzlich in
BGE 101 IV 120
entschieden und gesagt, ein 60 Zentimeter langer, schwerer Meissel könne zwar als gefährliches Werkzeug bezeichnet werden; im zu beurteilenden Fall habe der Täter den genannten Gegenstand aber nicht auf gefährliche Weise verwendet, weil er seinem Widersacher damit bloss einen leichten Schlag auf den Hinterkopf versetzt habe. Es komme nämlich auf die Art der Verwendung des betreffenden Abwehrmittels an (vgl.
BGE 79 IV 154
Erw. 4).
Nach dem Gesagten kann es keinem Zweifel unterliegen dass im vorliegenden Fall ein aus einer Entfernung von ca. 4 Metern gezielt gegen den Kopf eines Menschen geschleudertes Bierglas ein gefährliches Werkzeug im Sinne von
Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
darstellt. Ob der betreffende Gegenstand das Ziel treffen oder verfehlen werde, konnte der Beschwerdeführer nicht zum voraus wissen. Dass dieser ferner angetrunken war, ändert nichts, umsoweniger, als er nicht so stark unter Alkoholeinfluss stand, dass er sich seiner Handlung nicht bewusst oder dass seine Willensfreiheit vollständig aufgehoben gewesen wäre.
BGE 101 IV 285 S. 288
Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe das Bierglas wohl an die Wand, nicht aber gezielt gegen Frau S. geworfen kann nicht gehört werden, da das Strafgericht in seinem Entscheid, auf den die Vorinstanz verweist, auf Grund eingehender Beweiswürdigung verbindlich feststellt (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
), die Buffethilfe sei das Ziel des Glaswurfes gewesen. | null | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc03372b-2a0a-4c3f-b470-14d3eb5dc7ec | Urteilskopf
120 V 489
68. Arrêt du 12 septembre 1994 dans la cause Vaudoise Générale, Compagnie d'Assurances contre Caisse supplétive LAA et Office fédéral des assurances sociales, Berne (Concernant M.) | Regeste
Art. 3 Abs. 2 und 5,
Art. 77 Abs. 2 UVG
,
Art. 7 Abs. 1 lit. b UVV
. Bei der Verlängerung einer Versicherung hat der Unfallversicherer des alten Arbeitgebers und nicht die Ersatzkasse ihre Leistungen einem arbeitslosen Versicherten zu erbringen, der einige Monate nach Ende des Arbeitsverhältnisses Opfer eines Unfalls geworden ist, und dies obwohl kein Versicherungsverhältnis mit dem ehemaligen Arbeitgeber mehr besteht. Keine Gesetzeslücke (Erw. 2).
Art. 78, 99, 105 Abs. 2 (alte Fassung) UVG. Ein Unfallversicherer, der sich als unzuständig erachtet, ist keine mit Entscheidungsbefugnis ausgestattete Behörde gegenüber einem anderen Versicherer oder der Ersatzkasse (Erw. 1a - c).
Art. 134 OG
: Verfahrenskosten. Rechtsstreit zwischen einem Unfallversicherer und der Ersatzkasse um Übernahme der Unfallfolgekosten eines Versicherten: Verfahrenskosten zulasten der unterliegenden Partei (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 490
BGE 120 V 489 S. 490
A.-
a) M. était employé par X S.A. en qualité de directeur administratif. Il a perdu toutefois son travail à dater du 29 février 1992, à la suite de la faillite de son employeur, et a perçu des indemnités de chômage à partir du 1er mars suivant.
Durant son emploi, le prénommé était assuré contre les accidents, conformément à la LAA, auprès de la Vaudoise Générale, Compagnie d'Assurances (ci-après: la Vaudoise), à Lausanne. En raison de la faillite de X S.A., la police d'assurance LAA conclue pour le personnel de cette entreprise a été annulée avec effet au 5 mars 1992.
b) Le 16 août 1992, M. a été victime d'un accident (fracture du talon gauche). Le cas a été annoncé le 25 août suivant à la Vaudoise, laquelle a alloué ses prestations, en l'occurrence la prise en charge de frais médicaux et d'indemnités journalières s'élevant à 32'646 fr. 80.
Par décision du 1er octobre 1992, la Vaudoise a signifié à la Caisse supplétive LAA (ci-après: la caisse supplétive) qu'elle lui demandait le remboursement des prestations versées à M., au motif qu'à la date à laquelle s'était produit l'accident, il n'existait plus aucun contrat d'assurance entre la Vaudoise et l'ancien employeur de l'intéressé. Or, s'il était incontestable que M. bénéficiait d'une couverture d'assurance prolongée pendant la durée de son chômage, c'était à la caisse supplétive et non pas à l'ancien assureur-accidents qu'il incombait d'en supporter les conséquences en cas de sinistre.
La caisse supplétive a fait opposition à cette décision, contestant toute obligation d'allouer ses prestations dans un cas de ce genre. Dans sa décision sur opposition du 14 avril 1993, la Vaudoise a réfuté de manière circonstanciée l'argumentation de la caisse supplétive et a rejeté l'opposition formée par cette dernière.
BGE 120 V 489 S. 491
B.-
Saisi d'un recours de la caisse supplétive, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), par décision du 17 décembre 1993, a annulé la décision sur opposition du 14 avril 1993.
L'office fédéral a considéré, en substance, qu'au moment de l'accident M. était toujours assuré auprès de la Vaudoise, en vertu de la loi, et qu'il incombait donc à cette compagnie d'assurances d'allouer les prestations dues en cas d'accident non professionnel, ceci indépendamment de l'existence ou de l'inexistence d'un contrat d'assurance avec l'ex-employeur de l'assuré. Contrairement à l'opinion de la Vaudoise, l'OFAS a estimé que la loi ne souffre d'aucune lacune en ce domaine et que l'on ne saurait par voie d'interprétation étendre, comme cette compagnie le voudrait, la compétence de la caisse supplétive, ce qui serait contraire à l'intention du législateur.
C.-
La Vaudoise interjette recours de droit administratif contre cette décision qu'elle demande au Tribunal fédéral des assurances d'annuler. Ses moyens seront exposés ci-après, pour autant que de besoin.
La caisse supplétive renvoie aux arguments développés en instance précédente et conclut implicitement au rejet du recours.
M. n'a pas fait usage de la faculté de se déterminer qui lui a été offerte.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Bien que le point n'ait pas été soulevé par les parties, il convient d'examiner à titre préalable et d'office la légalité de la procédure suivie par la Vaudoise en l'espèce. Il faut se demander, en effet, si cette compagnie pouvait rendre à l'égard de la caisse supplétive une décision, puis une décision sur opposition, par lesquelles non seulement elle se déclarait incompétente, mais exigeait de la caisse supplétive le remboursement des prestations versées à l'assuré ou en faveur de celui-ci.
L'OFAS a implicitement considéré que tel était le cas, dans la mesure où, d'après lui, la décision litigieuse a pour objet de régler un conflit de compétence négatif entre la Vaudoise et la caisse supplétive. Il s'est référé pour cela aux arrêts
ATF 114 V 51
et RAMA 1989 no U 68 p. 171, ainsi qu'à MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Ergänzungsband, p. 8.
Ce n'est pourtant pas la solution à laquelle conduisent cette jurisprudence et cet avis de doctrine. En réalité, un assureur social n'a pas qualité
BGE 120 V 489 S. 492
d'autorité revêtue du pouvoir de décision à l'égard d'un autre assureur de même rang, comme l'a déjà jugé le Tribunal fédéral des assurances dans un cas analogue (RAMA 1991 no U 134 p. 316 consid. 3b). La Vaudoise ne pouvait, par conséquent, rendre une décision afin de contraindre la caisse supplétive à lui rembourser les prestations qu'elle a versées à M. C'est pourquoi, tant sa décision du 25 septembre 1992 que la décision sur opposition du 14 mars 1993 sont nulles (
ATF 114 V 327
consid. 4b; SJ 1992 p. 143), ce que l'OFAS aurait dû constater d'office (
ATF 116 Ia 217
consid. 2a et les renvois).
b) Quelle voie devait alors suivre la Vaudoise pour obtenir satisfaction? Elle aurait pu se borner à contester sa compétence et à transmettre l'affaire à l'assureur qu'elle tenait pour compétent, en l'occurrence la caisse supplétive, comme le prévoit l'
art. 78 LAA
. Dans ce cas, si la caisse supplétive s'estimait à son tour incompétente, il lui eût appartenu de rendre une décision - puis, s'il y avait lieu, une décision sur opposition - dans ce sens, à l'intention de l'assuré, contre laquelle non seulement ce dernier mais également la Vaudoise aurait pu recourir (devant l'OFAS:
art. 105 al. 2 LAA
dans la version en vigueur jusqu'au 31 décembre 1993), en qualité d'intéressée à la solution du litige (cf. sur ce point RAMA 1994 no U 188 p. 101 consid. 5b in fine et, par analogie,
ATF 119 V 220
). Ce mode de faire est cependant de nature à retarder la solution du litige et peut contraindre l'assuré à procéder successivement contre deux assureurs qui contestent chacun leur compétence, à moins que l'un d'entre eux n'accepte de fournir ses prestations à l'assuré, à titre d'avance remboursable et sans reconnaissance de responsabilité, jusqu'à droit connu sur la question de la compétence (MAURER, Bundessozialversicherungsrecht, pp. 333-334; Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, pp. 74-75, et Ergänzungsband, pp. 9-10; BÖNI-CLERC, Aus der Praxis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 1988, SZS 1990 p. 149, ch. 5.5.1).
C'est sans doute pourquoi MAURER préconise une solution qui s'inspire apparemment de l'
art. 127 RAVS
, à savoir qu'une décision soit prise par l'autorité de surveillance, en l'occurrence l'OFAS, à la demande de tout intéressé - ce qui peut désigner aussi bien l'assuré que son employeur ou un assureur - sur la question de la compétence, cette décision pouvant elle-même être déférée au Tribunal fédéral des assurances (Ergänzungsband, p. 10 en haut). GHÉLEW/RAMELET/RITTER, quant à eux, sont d'avis qu'en l'absence de disposition analogue à l'
art. 127 RAVS
, l'intéressé doit
BGE 120 V 489 S. 493
demander à l'assureur qu'il tient pour compétent de statuer sur sa compétence par voie de décision selon l'
art. 99 LAA
, comme le prescrit la procédure administrative fédérale (
art. 9 al. 1 et 2 PA
;
ATF 108 Ib 540
), c'est-à-dire par une décision de constatation au sens de l'
art. 25 PA
(Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], p. 228; cf. également la p. 223 en ce qui concerne la question voisine des rapports entre la caisse supplétive et la CNA.
c) Quoi qu'il en soit, la Cour de céans ne peut, en l'espèce, que constater d'office la nullité de la décision sur opposition du 14 mars 1993 qui est l'objet de la contestation dans le présent procès.
Cela étant, ce serait faire preuve de formalisme excessif que de renvoyer la cause à la Vaudoise pour qu'elle procède comme il est dit ci-dessus. En effet, ainsi qu'on l'a vu, l'autre assureur intéressé aurait de toute manière qualité pour recourir contre la décision d'incompétence notifiée à l'assuré, de sorte qu'une procédure analogue s'engagerait devant l'OFAS et finirait de manière semblable devant le Tribunal fédéral des assurances. Il convient dès lors, par économie de procédure, d'entrer en matière sur le fond et de statuer sur les conclusions de la recourante malgré le vice dont souffre la procédure administrative de premier échelon (même solution:
ATF 116 V 261
consid. 4 in initio).
d) Par ailleurs, il sied de réserver la solution résultant des modifications de la LAA qui ont accompagné la révision de l'OJ du 4 octobre 1991 (RO 1992 p. 288) et qui sont entrées en vigueur le 1er janvier 1994 (RO 1993 p. 909), soit postérieurement à la décision litigieuse.
2.
a) Lorsque l'accident assuré s'est produit, le 16 août 1992, M. avait perdu son emploi depuis plusieurs mois et il se trouvait au chômage. Il n'en était pas moins assuré obligatoirement contre les accidents non professionnels, ce que du reste nul ne conteste. En effet, si, aux termes de l'
art. 3 al. 2 LAA
, l'assurance cesse de produire ses effets à l'expiration du trentième jour qui suit celui où a pris fin le droit au demi-salaire au moins, il résulte de l'
art. 7 al. 1 let. b OLAA
- édicté par le Conseil fédéral en vertu de l'
art. 3 al. 5 LAA
qui le charge de régler, notamment, le maintien de l'assurance en cas de chômage - que les indemnités journalières de l'assurance-chômage sont réputées salaire au sens de l'art. 3 al. 2 de la loi (
ATF 113 V 130
consid. 2b).
b) Dans un tel cas, c'est l'assureur-accidents de l'ancien employeur qui répond des conséquences de l'accident, même si celui-ci s'est produit longtemps après la fin des rapports de travail. Comme le fait observer avec
BGE 120 V 489 S. 494
raison l'OFAS dans la décision attaquée, cette solution résulte implicitement de l'
art. 77 al. 2 LAA
(et aussi de l'arrêt
ATF 113 V 127
; dans le même sens: KOCHER, Zum Wesen der Koordination in der schweizerischen Sozialversicherung, recht 1994, p. 69, cas no 3). Elle n'est en tout cas pas contraire à la jurisprudence faisant application de cette disposition légale (
ATF 116 V 51
; RAMA 1994 no U 188 p. 94).
On ne saurait en revanche suivre la recourante lorsqu'elle soutient que, faute de rapport d'assurance avec l'ancien employeur de l'assuré à la date de l'accident, ce serait à la caisse supplétive d'allouer ses prestations à ce dernier, en vertu de l'
art. 59 al. 3 LAA
. En effet, le texte de cette disposition légale vise expressément et uniquement le cas spécifique du "travailleur soumis à l'assurance obligatoire (qui) n'est pas assuré au moment où survient un accident", hypothèse manifestement non réalisée en l'espèce puisque M. était bel et bien assuré au moment déterminant, conformément à l'
art. 3 al. 2 LAA
combiné avec l'
art. 7 al. 1 let. b OLAA
.
c) En outre, et contrairement à ce que soutient la recourante dans une argumentation peu convaincante, il n'existe aucune lacune de la loi, même impropre, dans ce domaine. Car ce que voudrait la Vaudoise, en réalité, c'est faire supporter à la caisse supplétive la charge - qui peut effectivement se révéler très importante, en particulier en période de chômage élevé - des conséquences financières d'un accident dont est victime un assuré au chômage qui bénéficie de cette protection d'assurance prolongée.
Cependant, comme l'ont démontré de façon pertinente tant l'intimée que l'OFAS, pareille opinion ne trouve aucun fondement en droit positif, pas plus que dans les travaux préparatoires de la loi et de ses ordonnances d'application. Dès lors, si la Vaudoise entend obtenir satisfaction sur cette question de principe, c'est au législateur qu'elle doit s'adresser et non au juge. Aussi bien le recours ne peut-il qu'être rejeté.
3.
En l'occurrence, le litige porte sur l'octroi ou le refus de prestations d'assurance au sens de l'
art. 134 OJ
, puisque la décision sur opposition qui est à l'origine de la contestation avait pour objet, en définitive, de faire supporter à l'intimée les frais des soins médicaux de l'assuré pris en charge par la recourante. Cependant, comme dans l'affaire qui a donné lieu à l'arrêt
ATF 119 V 220
et par identité de motifs, il n'y a aucune raison de mettre la recourante au bénéfice de la règle de faveur prévue à l'
art. 134 OJ
en ce qui concerne la dispense des frais (
ATF 119 V 223
consid. 4c).
BGE 120 V 489 S. 495
La Vaudoise supportera donc les frais de justice (
art. 156 al. 1 OJ
). Ceux-ci sont fixés en fonction de la valeur litigieuse qui est celle des prestations dont la recourante entendait obtenir le remboursement. | null | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc067f68-e205-4d0a-9c43-b470c1564314 | Urteilskopf
125 IV 129
20. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 4 mai 1999 dans la cause Ministère public du canton de Vaud c. S. (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 188 StGB
; sexuelle Handlungen mit Abhängigen.
Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung (E. 2a und b).
Im vorliegenden Fall wurde eine Abhängigkeit verneint (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 129
BGE 125 IV 129 S. 129
A.-
S., né en 1942, est, de son propre aveu, intéressé par les adolescents. En 1991, il a repéré dans le train le jeune Alain (prénom fictif), né en 1976, qui l'attirait sexuellement. En août 1993, il a fait sa connaissance dans un établissement public. Après s'être assuré que le jeune homme avait bien seize ans, S. lui a en particulier parlé de sexualité et d'homosexualité. Conformément à l'attitude qu'il adopte dans des situations de ce genre, il lui a expliqué qu'il entendait le séduire, mais que celui-ci gardait son entière liberté d'appréciation pour accepter ou refuser ses propositions. Une semaine après, ils se sont de nouveau rencontrés dans un établissement public. Tout en précisant qu'il n'était pas intéressé par une aventure homosexuelle, Alain a alors accepté d'aller prendre un verre chez S. Ils ont discuté et bu des bières, S. proposant de surcroît du haschich au jeune homme, qui a accepté. Au cours de la discussion, celui-ci, d'origine asiatique, a fait état de difficultés avec son patron d'apprentissage, avec sa famille, et de problèmes d'intégration. S. a fermé à clé la porte de l'appartement et a commencé à prodiguer à Alain des caresses explicites, en soulignant le bien-être que celui-ci pourrait retirer d'une expérience homosexuelle. Il l'a ensuite sodomisé en utilisant un préservatif.
Alain a revu S. dans des établissements publics et a fait l'objet de nouvelles sollicitations. Jusqu'à la mi-1994, il a ainsi accepté à trois ou quatre reprises de se rendre chez ce dernier, avec qui il a entretenu des relations homosexuelles complètes. S. a également vendu à deux ou trois reprises du haschich à Alain.
Au cours de la procédure, S. a expliqué qu'il savait que seize ans était l'âge limite selon le Code pénal; il signifiait toujours clairement
BGE 125 IV 129 S. 130
ses intentions aux personnes visées, leur vantait les mérites d'une expérience homosexuelle, tout en les avertissant du caractère éventuellement déstabilisateur d'une telle expérience et en leur rappelant leur liberté de choix. Trois jeunes gens entendus comme témoin ont attesté ce mode de procéder.
Alain a été très perturbé par cette expérience. Il s'en est ouvert à ses parents, qui l'ont incité à suivre une thérapie. Il est toujours en traitement.
B.-
Par jugement du 13 février 1998, le Tribunal correctionnel du district de Nyon a condamné S., notamment pour actes d'ordre sexuel avec des personnes dépendantes (art. 188 CP), à la peine de dix-huit mois d'emprisonnement.
Par arrêt du 8 juin 1998, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a admis le recours de S. et l'a libéré de l'infraction d'actes d'ordre sexuel avec des personnes dépendantes (art. 188 CP). La cour cantonale a considéré qu'il n'existait aucun rapport de dépendance entre Alain et S.
C.-
Le Ministère public du canton de Vaud se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Invoquant une violation de l'art. 188 CP, il conclut à l'annulation de la décision attaquée. S. conclut au rejet du pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité)
2.
Le recourant se plaint d'une violation de l'art. 188 CP. Selon lui, une relation de dépendance a existé entre l'intimé et Alain. Le premier aurait abusé de la dépendance affective du second. Diverses circonstances en attesteraient, comme le fait que l'intimé, qui connaissait les difficultés familiales, professionnelles et d'intégration du jeune homme, savait être en relation avec une personne vulnérable.
a) Aux termes de l'art. 188 CP, en vigueur depuis le 1er octobre 1992, «celui qui, profitant de rapports d'éducation, de confiance ou de travail, ou de liens de dépendance d'une autre nature, aura commis un acte d'ordre sexuel sur un mineur âgé de plus de 16 ans» (al. 1) ou «celui qui, profitant de liens de dépendance, aura entraîné une telle personne à commettre un acte d'ordre sexuel» (al. 2), sera puni de l'emprisonnement.
Il ressort tout d'abord du message du Conseil fédéral que les jeunes de plus de seize ans ont besoin d'une protection pénale contre les
BGE 125 IV 129 S. 131
abus d'ordre sexuel lorsqu'ils se trouvent dans un rapport de dépendance diminuant leur liberté de décision à un point tel qu'ils ne sont plus à même de se défendre contre des sollicitations d'ordre sexuel. Cette protection leur était assurée jusqu'ici par l'art. 192 aCP (FF 1985 II p. 1085).
L'auteur doit avoir profité de ce rapport de dépendance et la mise à profit doit être prouvée dans le cas concret; elle ne résulte pas a priori du rapport de dépendance car, dans l'hypothèse inverse, le droit des jeunes gens de se déterminer dès seize ans en matière sexuelle serait trop limité (FF 1985 II p. 1085; BO-CN 1990 p. 2275 et 2276, intervention Cotti qui n'a pas suscité d'opposition au Conseil national ni au Conseil des Etats). Il faut donc que le mineur, bien qu'opposé aux exigences de l'auteur, n'ose pourtant pas refuser en raison de la position dominante de ce dernier; il n'est pas nécessaire que l'auteur ait en outre mis le mineur sous pression par des menaces ou d'une autre manière (cf. TRECHSEL, Kurzkommentar, 2ème éd. Zurich 1997, n. 9 ad art. 188; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7ème éd. Zurich 1997, par. 56, n. 2.12, p. 387; JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Bes. Teil 4, Berne 1997, n. 10 et 11 ad. art. 188; STRATENWERTH, Bes. Teil I, 5ème éd. Berne 1995, par. 7, n. 30, p. 151).
Les différents éléments entourant la relation entre l'auteur et le jeune de plus de seize ans relèvent du fait, de sorte qu'ils lient la Cour de cassation saisie d'un pourvoi en nullité (art. 277bis al. 1 PPF). En revanche, dire si ces éléments sont suffisants pour retenir une relation de dépendance est une question de droit, qui peut être examinée librement par la Cour de cassation (art. 269 al. 1 PPF).
b) Il n'est pas aisé de définir dans quel cas une relation de dépendance doit être admise (cf. JENNY, op.cit., n. 7 ad art. 188; STRATENWERTH, op. cit., par. 7, n. 28, p. 150). L'art. 188 CP énumère, à titre exemplatif, les «rapports d'éducation, de confiance ou de travail». Un «rapport d'éducation» existe en particulier entre le mineur et ses parents, ses parents adoptifs ou nourriciers, ses professeurs ou des personnes qui ont des fonctions à caractère pédagogique (cf. REHBERG/SCHMID, op.cit., par. 56, n. 2.11/a, p. 386; TRECHSEL, op.cit., n. 4 ad art. 188). On admet qu'il y a un «rapport de confiance» - rapport «d'assistance» selon le texte en langue allemande «Betreuungsverhältnis» - lorsque sa mise à profit est le fait de personnes auxquelles incombe un devoir de surveillance des mineurs qui ne résulte pas directement d'un devoir d'éducation; on peut penser aux personnes de l'assistance sociale (p. ex. aide aux drogués), aux
BGE 125 IV 129 S. 132
responsables de camps de vacances ou encore à l'ami à qui une famille confie sa fille pour la durée d'un voyage de vacances (FF 1985 II p. 1085). Un «rapport de travail» a pour fondement un contrat d'apprentissage ou de travail entre le mineur et son maître d'apprentissage, respectivement son employeur ou d'autres supérieurs (cf. REHBERG/SCHMID, op.cit., par. 56, n. 2.11/c, p. 386; TRECHSEL, op.cit., n. 6 ad art. 188).
Outre les relations précitées, qui permettent de mieux cerner la notion de dépendance, l'art. 188 CP introduit une clause générale. La mention des «liens de dépendance d'autre nature» a pour but de protéger tous les mineurs se trouvant dans un état de dépendance de quelque forme que ce soit (FF 1985 II p. 1085). On ne saurait cependant admettre que n'importe quelle infériorité du mineur face à l'adulte génère une relation de dépendance (cf. JENNY, op.cit., n. 7 ad art. 188; PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich - Art. 188 bis 193 StGB, thèse St-Gall 1998, p. 213). Une dépendance au sens de cette disposition peut résulter de la relation entre un psychothérapeute et son patient mineur (cf. REHBERG/SCHMID, op.cit., par. 56, n. 2.11/d p. 386); il faut aussi penser à une dépendance survenant dans le cadre de communautés religieuses ou de sectes, ainsi que, même si la disposition légale, à la différence de l'art. 193 CP, ne prévoit pas expressément cette circonstance, à des cas de détresse économique ou d'autre nature (cf. JENNY, op.cit., n. 6 ad art. 188); un lien de dépendance est concevable lorsque une personne plus âgée endosse à l'égard du mineur de plus de seize ans une position de mentor, que ce soit de manière générale ou en rapport avec une activité sportive, culturelle ou toute occupation du temps libre (cf. TRECHSEL, op.cit., n. 7 ad art. 188). Ces rapports ou liens ont, par définition, une certaine durée. En tous les cas, l'examen des circonstances concrètes est décisif.
c) Selon les constatations cantonales - qui lient la Cour de cassation (art. 277bis PPF) -, Alain avait presque dix-sept ans au moment des faits, était en apprentissage et vivait toujours dans sa famille; il n'avait pas de besoin spécifique, n'attendait de l'intimé aucun avantage, lequel ne lui a d'ailleurs rien promis, se limitant à lui vendre du haschich. Les protagonistes se sont connus dans un établissement public et il n'y a eu entre eux que des rencontres ponctuelles. Il n'apparaît pas non plus que les problèmes du jeune homme sur le plan familial, professionnel ou social, tels qu'ils sont évoqués dans la décision attaquée, se distinguent de ceux que l'on rencontre habituellement chez les gens de cet âge et aient eu une ampleur particulière.
BGE 125 IV 129 S. 133
Rien ne laisse en tout cas supposer que, malgré une certaine vulnérabilité psychoaffective, il se soit trouvé dans une situation de détresse ou que l'intimé ait eu un ascendant particulier sur lui. Dans ces conditions, on ne perçoit pas sur quelle base un lien de dépendance pourrait être retenu. Que l'intimé ait offert de la bière ou du haschich n'est pas pertinent, dès lors qu'il ne ressort pas des faits retenus qu'il aurait ainsi mis le jeune homme hors d'état de résister; une telle hypothèse tomberait d'ailleurs sous le coup de l'art. 189 CP.
Dans le cadre de la révision des dispositions relatives aux infractions contre l'intégrité sexuelle, en vigueur depuis le 1er octobre 1992, le législateur fédéral a, ainsi que l'a relevé la cour cantonale, reconnu aux adolescents à partir de seize ans une maturité suffisante dans le domaine sexuel, partant notamment de l'idée que, à cet âge, une relation homosexuelle ne risquait plus d'influencer leur comportement sexuel (FF 1985 II p. 1080 et 1104). Ainsi, l'art. 194 aCP qui réprimait le comportement de celui induisant un mineur de plus de seize ans à entretenir une relation homosexuelle a été abrogé (FF 1985 II p. 1103 s.). Le mineur de plus de seize ans ne bénéficie donc pas, hormis dans le cadre d'une relation de dépendance, d'une protection plus étendue que l'adulte en matière d'infractions contre l'intégrité sexuelle.
Il n'est certes pas contestable que l'intimé, par ses sollicitations, a amené un mineur de plus de seize ans à entretenir une relation homosexuelle. Cependant, par la volonté du législateur, un tel comportement, sauf s'il exploite un rapport de dépendance, n'est pénalement pas répréhensible. Dès lors qu'un lien de dépendance ne saurait être retenu en l'espèce, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en libérant l'intimé de l'infraction réprimée par l'art. 188 CP.
3.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc0bb5c8-fe02-402a-ab4b-a3c174a145da | Urteilskopf
112 III 86
21. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 1. Oktober 1986 i.S. X. AG (Rekurs) | Regeste
Betreibung für eine in ausländischer Währung festgesetzte Forderung.
Der Betriebene, der einen in ausländischer Währung festgesetzten Geldbetrag schuldet und in der hierfür eingeleiteten Betreibung den in Schweizerfranken ausgedrückten Betrag an das Betreibungsamt bezahlt hat, kann nicht dessen Rück-Umrechnung und die Rückerstattung eines sich dabei ergebenden Differenzbetrages verlangen. | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 112 III 86 S. 86
Im Jahre 1978 wurde die X. AG durch ein Schiedsgerichtsurteil verpflichtet, Y. US Dollars 61'406.09 nebst Zins zu zahlen. Y. setzte hierauf im Jahre 1979 eine Forderung von Fr. 106'846.60 nebst Zins in Betreibung. Am 24. August 1984 zahlte die X. AG den Betrag von Fr. 151.663.10 (Betreibungsforderung samt Zins) an das Betreibungsamt, nachdem sie zuvor die Arrestierung des Y. zustehenden Guthabens erwirkt hatte. In der Folge leitete Y. noch
BGE 112 III 86 S. 87
zwei weitere Betreibungen gegen die X. AG ein, und zwar unter Hinweis darauf, dass zwischen der Einleitung der jeweils vorangegangenen Betreibung und der Zahlung durch die X. AG der Dollar-Kurs sich zu seinem Nachteil verändert habe.
Mit Eingabe vom 13. März 1986 stellte die X. AG beim Betreibungsamt das Begehren, der von ihr bezahlte, mit Arrest belegte Betrag von Fr. 150.986.10 sei in US Dollars zu wechseln und in dieser Währung anzulegen. Das Betreibungsamt wies das Begehren durch Verfügung vom 19. März 1986 ab. Eine von der X. AG hiergegen eingereichte Beschwerde wiesen sowohl die untere als auch die obere kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen ab.
Gegen den zweitinstanzlichen Entscheid hat die X. AG an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurriert mit dem Antrag, der von ihr bezahlte, mit Arrest belegte Betrag in US Dollars zu wechseln und den zuviel bezahlten Schweizerfranken-Betrag zurückzuerstatten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Eine vollstreckungsrechtliche Bestimmung zur Stützung ihres Standpunktes, der in Schweizerwährung bezahlte Betrag sei in US Dollars umzurechnen, vermag die Rekurrentin nicht namhaft zu machen.
Art. 67 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG
bestimmt im Gegenteil, dass im Betreibungsbegehren die Forderungssumme in gesetzlicher Schweizerwährung anzugeben ist. Das Vorbringen der Rekurrentin, sie schulde dem Rekursgegner eine US Dollar-Forderung, ist unbehelflich. Es betrifft die Grundlage der Betreibungsforderung und damit eine nicht in den Zuständigkeitsbereich der Vollstreckungsorgane fallende Frage materiellrechtlicher Natur. Das Betreibungsamt hat lediglich zu prüfen, ob die in Betreibung gesetzte Forderung durch die Zahlungen des Betriebenen getilgt worden sei (vgl.
Art. 12 SchKG
). Ist ein Betriebener im nachhinein der Ansicht, er habe mehr bezahlt, als von ihm geschuldet gewesen sei, steht ihm einzig der Weg der Rückforderungsklage nach
Art. 86 SchKG
offen. Ebenso bedarf es übrigens eines richterlichen Entscheides beispielsweise dann, wenn der Betriebene eine in ausländischer Währung festgesetzte Summe direkt dem Gläubiger zahlt; in Anwendung von
Art. 85 SchKG
hat jener in einem solchen Fall beim Richter die Aufhebung der Betreibung zu verlangen. | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc10371a-a732-43b3-a589-666cc75b17d3 | Urteilskopf
89 II 12
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Januar 1963 i.S. B. gegen S. | Regeste
Nach Scheidung der Ehe sind die vormundschaftlichen Behörden befugt, gegenüber dem Inhaber der elterlichen Gewalt Massnahmen nach
Art. 283 ff. ZGB
zu treffen.
Diese Zuständigkeit bleibt bei Hängigkeit einer Klage des andern Elternteils auf Übertragung der elterlichen Gewalt (
Art. 157 ZGB
) bestehen.
Der mit dieser Klage befasste Richter kann sich seinerseits veranlasst sehen, Massnahmen im Sinne der
Art. 283 ff. ZGB
zu treffen, unter besondern Umständen auch vorsorglich auf Grund von
Art. 145 ZGB
. | Sachverhalt
ab Seite 12
BGE 89 II 12 S. 12
A.-
Die Kinder der Parteien, geboren 1953 und 1954, wurden bei Scheidung der Ehe der Mutter zugewiesen. Diese liess sich mit ihnen in Wil (St. Gallen) nieder, während der Vater in Münchwilen (Thurgau) wohnt. Die Kinder kehrten nach den beim Vater verbrachten Sommerferien 1962 zur Mutter zurück, doch begab sich der Knabe
BGE 89 II 12 S. 13
nachher ohne deren Erlaubnis mehrmals wieder zum Vater und hält sich nun seit dem 20. August 1962 dort auf.
B.-
Der Vater erhob beim Bezirksgericht Wil Klage auf Zuweisung der beiden Kinder an ihn. Ferner verlangte er bei der Vormundschaftsbehörde Wil die Wegnahme des Knaben bei der Mutter; der Knabe sei vorläufig ihm zur Pflege und Erziehung anzuvertrauen. Die Vormundschaftsbehörde Wil entsprach diesem Begehren zunächst, widerrief ihre Verfügung dann aber am 12. September 1962 auf Gesuch der Mutter, die versprach, bis zur Erledigung des Rechtsstreites die Kinder tagsüber im Kinderdörfli Iddaheim in Lütisburg unterzubringen. Die neue Verfügung wurde dem Vater mitgeteilt mit dem Ersuchen, den Knaben "der Mutter zur versprochenen Anstaltsplazierung zurückzugeben".
C.-
Darüber beschwerte sich der Vater mit dem Begehren um Bestätigung der frühern Verfügung. Mit Entscheid vom 30. Oktober 1962 hat der Regierungsrat des Kantons St. Gallen den Rekurs, soweit darauf einzutreten war, abgewiesen und die Waisenamtliche Verfügung vom 12. September 1962 "unter der Bedingung bestätigt, dass Frau S. ihre Kinder raschmöglichst im Kinderdörfli Iddaheim in Lütisburg unterbringt".
D.-
Diesen Entscheid ficht B. mit Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung eidgenössischer Zuständigkeitsnormen an (
Art. 68 Abs. 1 lit. b OG
).
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach Ansicht des Beschwerdeführers war die Vormundschaftsbehörde Wil weder sachlich noch örtlich zuständig, ihn aufzufordern, den Knaben der Mutter zurückzugeben, damit er (mit dem Mädchen) gemäss dem Versprechen der Mutter in einem Kinderheim untergebracht werden könne. Der Beschwerdeführer hält dafür, eine solche Anordnung könnte die Mutter nur beim Richter verlangen, sei es als vorsorgliche Massnahme in dem in Wil hängigen
BGE 89 II 12 S. 14
Rechtsstreit nach
Art. 157 ZGB
, sei es in einem in Münchwilen anzuhebenden Befehlsverfahren oder in einem dort einzuleitenden ordentlichen Prozess.
Dieser Ansicht ist nicht beizustimmen. Bei Scheidung der Ehe befindet freilich der Richter über die Gestaltung der Elternrechte (
Art. 156 ZGB
), und Begehren um Änderung dieser Anordnungen sind ebenfalls beim Richter anzubringen (
Art. 157 ZGB
), wobei als örtlich zuständig der Richter am derzeitigen Wohnort des beklagten Ehegatten zu gelten hat (vgl.
BGE 61 II 226
,
BGE 63 II 70
,
BGE 81 II 315
). Wie jedoch in Rechtsprechung und Lehre längst anerkannt ist, bedarf es keiner gerichtlichen Klage, um gegen den im Scheidungsurteil mit der elterlichen Gewalt betrauten Ehegatten im Sinne der
Art. 283 ff. ZGB
einzuschreiten. Vielmehr sind zu solchem Einschreiten gleich wie bei fortbestehender Ehe die vormundschaftlichen Behörden befugt, und zwar auch zum Entzug der elterlichen Gewalt aus den Gründen des
Art. 285 ZGB
, während freilich die Übertragung dieser Gewalt auf den andern Ehegatten nur im Wege der Klage nach
Art. 157 ZGB
herbeigeführt werden kann (vgl.
BGE 56 II 79
,
BGE 63 II 71
; HINDERLING, Ehescheidungsrecht, 2. Auflage, S. 128 ff.).
War somit die Vormundschaftsbehörde zuständig, die Wegnahme des Knaben von der Mutter zu verfügen, so war sie es auch zum Widerruf dieser Verfügung am 12. September 1962, und zwar besonders auch, um die von der Mutter selbst versprochene und von der Vormundschaftsbehörde als nötig befundene Unterbringung beider Kinder in einem Heime zu ermöglichen. Die örtliche Zuständigkeit war gleichfalls gegeben. Die
Art. 283 ff. ZGB
enthalten in dieser Hinsicht keine ausdrückliche Vorschrift; doch ist auf dem Wege der Analogie eine dem
Art. 376 Abs. 1 ZGB
entsprechende bundesrechtliche Zuständigkeitsnorm anzuerkennen (
BGE 52 II 417
).
Unerheblich ist hiebei der Umstand, dass sich der Knabe zur Zeit noch beim Vater befindet. Nachdem die Vormundschaftsbehörde die seinerzeit auf dessen Begehren
BGE 89 II 12 S. 15
getroffene Verfügung widerrufen hat, steht ihm kein Recht mehr zu, den Knaben bei sich zu behalten.
Endlich beruft er sich gegenüber der Vormundschaftsbehörde zu Unrecht auf
Art. 145 ZGB
. Die Befugnisse der vormundschaftlichen Behörden bestehen auch nach Einleitung einer Klage auf Übertragung der elterlichen Gewalt nach
Art. 157 ZGB
fort. Sie entfallen nur, wenn und soweit allenfalls der mit einer solchen Klage befasste Richter statt der beantragten Übertragung der elterlichen Gewalt auf den klagenden Ehegatten Massnahmen im Sinne der
Art. 283 ff. ZGB
gegenüber dem beklagten Ehegatten anordnen sollte (vgl.
BGE 69 II 129
; HINDERLING, a.a.O. S. 129, N. 59). Der Richter kann jedoch sehr wohl bei Abweisung des Klagebegehrens von jeglichen Massnahmen absehen mit Rücksicht auf die eben ohnehin bestehenden Befugnisse der vormundschaftlichen Behörden; er kann sich unter Umständen veranlasst sehen, diese auf bestimmte den Kindern drohende Gefahren aufmerksam zu machen (vgl.
BGE 60 II 16
).
Was den vom Beschwerdeführer namentlich angerufenen
Art. 145 ZGB
betrifft, so ist umstritten, ob im Abänderungsstreit nach
Art. 157 ZGB
überhaupt wie im Scheidungsprozesse Grund zu solchen vorsorglichen Massnahmen des Richters bestehen könne (vgl. über die schwankende kantonale Rechtsprechung BlZR 42 Nr. 33 in verneinendem und BlZR 55 Nr. 87 in grundsätzlich bejahendem Sinne; I. TH. GYGAX, Gestaltung und Abänderung der Elternrechte geschiedener Eltern..., Diss. 1953, S. 45 mit Hinweisen). Nach seinem Wortlaut wie auch nach seiner Stellung im Gesetz hat
Art. 145 ZGB
die Bedürfnisse im Auge, wie sie sich aus dem offenen Konflikt der Ehegatten bei Einreichung einer Klage auf Scheidung oder Trennung der Ehe ergeben (vgl. die Erläuterungen zu Art. 165 bis 168 des Vorentwurfs zum ZGB, Band 1 S. 144/45; EGGER, N. 1 zu
Art. 145 ZGB
). Indessen mag in besondern Fällen im Abänderungsstreit nach
Art. 157 ZGB
eine solche gerichtliche Anordnung sich ebenfalls
BGE 89 II 12 S. 16
rechtfertigen und
Art. 145 ZGB
alsdann auch in diesem Verfahren Anwendung finden. Immerhin kann es der mit einer derartigen Klage befasste Richter in der Regel bis zum Hauptentscheide bei den im Scheidungsurteil getroffenen Massnahmen, zumal mit Rücksicht auf die Einschreitungsbefugnisse der vormundschaftlichen Behörden, bewenden lassen. Jedenfalls kommt nicht in Frage, diese Behörden in der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben hintanzuhalten, solange der gemäss
Art. 157 ZGB
angerufene Richter sich nicht aus besondern Gründen veransieht, selbst einzugreifen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc13fd67-ed98-4751-91bc-28efae183d4b | Urteilskopf
103 III 86
17. Entscheid vom 2. November 1977 i.S. First National Boston Corporation | Regeste
Arrestvollzug.
- Legitimation des Drittansprechers des Arrestobjektes zur Beschwerde gegen den Arrestvollzug (E. 1).
- Arrestierung von Ansprüchen aus Treuhandverhältnissen an Schiffshypotheken beim Treuhänder (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 86
BGE 103 III 86 S. 86
A.-
Auf Begehren der Bank of New York (BNY) arrestierte der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichts Zürich mit Arrestbefehl vom 20. Januar 1977 für eine Forderung von Fr. 5'208'302.-- nebst Zins zu 8 3/4% seit 13. Juli 1976 gegen die in Haifa domizilierte Maritime Fruit Carriers Company Limited (MFCC) "sämtliche Ansprüche, Guthaben und Wertpapiere, insbesondere auch Ansprüche aus Treuhandverhältnissen betreffend Schiffshypotheken, die materiell der Arrestschuldnerin zustehen" bei der BANKAG Bank-Aktiengesellschaft in Zürich. Der Arrest wurde gleichentags vollzogen.
Die Allgemeine Treuhand AG als Sachwalterin der BANKAG, welcher ein Konkursaufschub bewilligt war, teilte dem Betreibungsamt Zürich 1 am 18. Februar 1977 mit, die BANKAG besitze keine Vermögenswerte, die der Arrestschuldnerin gehörten. Die im Arrestbefehl erwähnten Schiffshypotheken seien im Seeschiffsregister in Hamburg auf den Namen der BANKAG als Gläubigerin eingetragen und würden von dieser treuhänderisch für die Frist National Boston Corporation (FNBC) gehalten. Der Arrestschuldnerin stünden an diesen Schiffshypotheken keinerlei Rechte zu.
BGE 103 III 86 S. 87
Mit Schreiben vom 2. März und 1. April 1977 teilte die FNBC dem Betreibungsamt mit, die Arrestschuldnerin habe ihr zur Sicherung verschiedener Ansprüche im Sinne einer Art Sicherungszession unter anderem Forderungen aus Schiffshypotheken abgetreten, die sie im einzelnen aufführte. Für den Fall, dass diese Schiffshypotheken vom Arrest erfasst sein sollten, beanspruche sie daran Eigentums- bzw. Gläubiger- bzw. Pfandrechte.
Da die auf dem Schiff "Clementina" lastende Schiffshypothek auf Fr. 8'250'000.-- lautete, also auf einen die Arrestforderung zuzüglich Zins und Kosten übersteigenden Betrag, beschränkte das Betreibungsamt mit Verfügung vom 25. April 1977 den Arrest auf die Ansprüche aus Treuhandverhältnissen an dieser Schiffshypothek.
B.-
Gegen diese Verfügung beschwerte sich die FNBC beim Bezirksgericht Zürich als unterer kantonaler Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs mit dem Antrag, der Arrest sei auch hinsichtlich der Ansprüche aus Treuhandverhältnissen an der auf dem Motorschiff "Clementina" lastenden Schiffshypothek aufzuheben bzw. gegenstandslos zu erklären. Sie machte im wesentlichen geltend, die arrestierte Schiffshypothek stelle offensichtlich keinen Vermögenswert des Arrestschuldners dar; überdies wäre die Arrestierung der Schiffshypothek, die nicht in einem Wertpapier verkörpert sei, nur am ausländischen Sitz des Hypothekarschuldners zulässig.
Das Bezirksgericht trat mit Entscheid vom 10. Juni 1977 auf die Beschwerde mangels Legitimation der FNBC nicht ein, und das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde bestätigte diesen Entscheid mit Beschluss vom 19. September 1977.
C.-
Gegen diesen Beschluss richtet sich der vorliegende Rekurs der FNBC an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Beide kantonale Instanzen haben der Rekurrentin die Legitimation zur Beschwerde mit der Begründung abgesprochen, der Drittansprecher habe seine Rechte im Widerspruchsverfahren
BGE 103 III 86 S. 88
geltend zu machen und könne sich als nicht am Arrest- bzw. Betreibungsverfahren beteiligte Partei nicht mit Beschwerde gegen den Arrest- bzw. Pfändungsvollzug zur Wehr setzen. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Es geht der Rekurrentin nicht darum, im Beschwerdeverfahren ihre Drittansprache zu verteidigen, sondern darum, den Arrest wegen Unzulässigkeit zu beseitigen. Daran aber hat sie ein schützenswertes Interesse, denn der Arrest greift empfindlich in die von ihr behaupteten Rechte an den Arrestgegenständen ein. Es muss ihr deshalb das Recht zugestanden werden, mit Beschwerde geltend zu machen, der Vollzug des von der BNY erwirkten Gattungsarrestes hätte daran scheitern müssen, dass sich bei der BANKAG gar keine Vermögenswerte der Arrestschuldnerin von der Art, wie sie im Arrestbefehl umschrieben seien, vorgefunden hätten. Ebenso ist sie mit der von ihr sinngemäss vorgebrachten Rüge zu hören, die arrestierten Gegenstände seien ganz offensichtlich keine Vermögenswerte der Arrestschuldnerin, oder etwa, die Arrestgläubigerin habe gar nicht behauptet, die auf den Namen der Rekurrentin lautenden Vermögenswerte stünden in Wirklichkeit der Arrestschuldnerin zu. Sollten sich diese Rügen als begründet erweisen, so hätte die Rekurrentin ohne Zweifel einen berechtigten Anspruch auf Beseitigung des Arrestbeschlages über ihr zustehende bzw. von ihr beanspruchte Vermögenswerte. Auch zur Rüge, der Arrest hätte wegen örtlicher Unzuständigkeit des Betreibungsamtes Zürich 1 nicht vollzogen werden dürfen, ist die Rekurrentin legitimiert, weil davon unter anderem die Frage abhängt, ob sie sich als im Ausland domizilierte juristische Person in Zürich in einen Widerspruchsprozess einzulassen hat (vgl.
BGE 57 III 16
). Im übrigen ist der von einem örtlich unzuständigen Betreibungsamt vollzogene Arrest nichtig (
BGE 90 II 162
,
BGE 75 III 26
,
BGE 73 III 103
,
BGE 56 III 231
; anders allerdings
BGE 63 III 44
/45), was gegebenenfalls ungeachtet der Legitimation der Rekurrentin von Amtes wegen hätte berücksichtigt werden müssen. Die kantonalen Aufsichtsbehörden hätten daher auf die Beschwerde eintreten müssen.
2.
Von einer Rückweisung an die Vorinstanz kann indessen abgesehen werden, weil die Sache spruchreif ist und somit vom Bundesgericht ohne weitere Abklärungen sofort entschieden werden kann (vgl.
BGE 82 III 151
).
BGE 103 III 86 S. 89
a) Die im vorliegenden Verfahren einzig noch zur Diskussion stehende Schiffshypothek "Clementina" lautet nach unbestrittener Darstellung beider Parteien auf die BANKAG als Gläubigerin. Die BANKAG macht geltend, sie sei lediglich treuhänderisch Inhaberin dieser Hypothek, die in Wirklichkeit der Rekurrentin zustehe. Die Rekurrentin selbst hat in ihrer Zuschrift an das Betreibungsamt vom 2. März 1977 ausgeführt, die Schiffshypothek sei ihr von der MFCC (Arrestschuldnerin) zusammen mit anderen Ansprüchen im Sinne einer Art Sicherungszession übertragen worden, um Forderungsansprüche der FNBC gegenüber der MFCC sicherzustellen. Daraus ergibt sich aber, dass die FNBC auf die fraglichen Vermögenswerte nur insoweit Anspruch hat, als dieser Sicherungszweck reicht. Sie hat daran also gewissermassen ein Pfandrecht. Soweit sich im Falle einer Beanspruchung des Pfandrechts ein Überschuss ergibt, steht dieser demnach der MFCC zu. Wirtschaftlich betrachtet ist somit die MFCC "Eigentümerin", die FNBC dagegen lediglich "Pfandgläubigerin" der arrestierten Schiffshypothek. Das "Pfandrecht" wird denn von der BNY anscheinend auch gar nicht bestritten; sie räumt vielmehr ein, der FNBC stehe ein "security interest" am Arrestobjekt zu. Die Arrestgläubigerin beharrt indessen auf dem Arrest, weil sie Anspruch auf den die gesicherten Forderungen der FNBC übersteigenden Teil des Wertes des Arrestgegenstandes erhebt. In diesem Sinne stellt die Schiffshypothek einen potentiellen Vermögenswert der Arrestschuldnerin dar, der arrestiert werden durfte.
Ob die Arrestschuldnerin gegenüber der BANKAG einen direkten Anspruch hat, ist dabei ohne Bedeutung. Massgebend ist allein, dass die BNY behauptet, die bei der BANKAG arrestierte Schiffshypothek sei in Wirklichkeit weder Eigentum der BANKAG noch der FNBC, sondern der Arrestschuldnerin MFCC. Wieweit diese Behauptung gerechtfertigt ist, wird im Widerspruchsprozess durch den Zivilrichter zu entscheiden sein. Den Betreibungs- und Aufsichtsbehörden steht darüber keine Kognition zu. Sie dürften den Arrestvollzug nur dann verweigern, wenn die Arrestgegenstände zum vornherein und ganz offensichtlich nicht dem Arrestschuldner gehörten oder aber wenn der Arrestgläubiger gar keine dahingehende Behauptung aufgestellt hätte. Beides ist im vorliegenden Fall zu verneinen.
BGE 103 III 86 S. 90
b) Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit für den Arrestvollzug hat das Bezirksgericht in einer Eventualbegründung verworfen, indem es ausführte, nach § 51 Abs. 2 des deutschen Gesetzes über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15. November 1940 könne die durch eine Schiffshypothek gesicherte Forderung nicht ohne die Hypothek und die Hypothek nicht ohne die Forderung übertragen werden. Da die BANKAG als Inhaberin der Hypothek im Schiffsregister eingetragen sei, könne diese bei ihr arrestiert werden, da sie als bei ihr gelegen zu gelten habe. Mit dieser Argumentation hat sich die Rekurrentin im obergerichtlichen Verfahren nicht auseinandergesetzt, und auch in ihrem Rekurs ans Bundesgericht weist sie lediglich beiläufig darauf hin, es liege eine Verletzung der Zuständigkeitsvorschrift des
Art. 272 SchKG
vor. Diese Frage ist jedoch, wie bereits erwähnt, von Amtes wegen zu prüfen.
Die Rüge erweist sich indessen als unbegründet. Dabei ist unerheblich, ob die Hypothek in einem Wertpapier verkörpert ist oder nicht. Ist sie in einem Wertpapier verkörpert, so kann dieses ohne weiteres bei der BANKAG als Besitzerin arrestiert werden. Ist das nicht der Fall, so gelten die Regeln über die Arrestierung gewöhnlicher Forderungen. Solche Forderungen sind am Wohnsitz des Gläubigers, im Regelfall also des Arrestschuldners, zu arrestieren, sofern dieser in der Schweiz Wohnsitz hat. Wohnt er dagegen im Ausland, wie das im vorliegenden Fall zutrifft (Arrestschuldnerin ist die in Israel domizilierte MFCC), so ist der Arrest am Wohnsitz des Drittschuldners, also des Schuldners des Arrestschuldners, zulässig (
BGE 102 III 99
/100; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. 2, S. 214). Als Drittschuldner erscheint hier jedoch nicht etwa der Schuldner der durch die Schiffshypothek sichergestellten Forderung, sondern deren Inhaber, der nominelle Gläubiger der Schiffshypothek. Will nämlich die MFCC ihre Ansprüche auf die Schiffshypothek geltend machen, die ihr nach Meinung der Arrestgläubigerin BNY zustehen, so kann sie das nicht direkt gegenüber dem Hypothekarschuldner tun, weil dieser nur gegenüber dem Inhaber der Schiffshypothek, der im Schiffsregister als Gläubiger eingetragen ist, also gegenüber der BANKAG, zahlungspflichtig ist. Vielmehr muss sie vorerst die Rückübertragung der Schiffshypothek verlangen, die sie sicherheitshalber an die
BGE 103 III 86 S. 91
FNBC abgetreten hat und die treuhänderisch von der BANKAG gehalten wird. Dieser obligatorische Rückübertragungsanspruch richtet sich letzten Endes gegen die BANKAG und kann demzufolge nach der erwähnten Rechtsprechung auch bei dieser arrestiert werden (vgl.
BGE 102 III 94
ff. betreffend die Arrestierung des Anspruchs gegen eine Bank auf Herausgabe von Wertpapieren, die im Namen der Bank im Ausland hinterlegt sind).
3.
Wäre die Vorinstanz auf die Beschwerde eingetreten, hätte sie sie daher abweisen müssen. Damit erweist sich ihr Entscheid im Ergebnis als richtig, bleibt es doch bei der angefochtenen Verfügung.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc16ad17-59b9-4e2c-a0f0-35ff8d063cc5 | Urteilskopf
86 II 389
59. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1960 i. S. Zunft zu'n Schmieden gegen Schnezler. | Regeste
Verein.
Umwandlung des Vereinszwecks (
Art. 74 ZGB
).
Gerichtliche Anfechtung eines dahingehenden Beschlusses (
Art. 75 ZGB
). | Sachverhalt
ab Seite 389
BGE 86 II 389 S. 389
A.-
Die Statuten der "Zunft zu'n Schmieden Schaffhausen" vom 15. November 1924 behandeln in einem ersten Abschnitt (§§ 1-19) die "Bedeutung der Zunft", den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft sowie die Mitgliederbeiträge, in einem zweiten Abschnitt (§§ 20-26) das Zunftvermögen und in einem dritten Abschnitt (§§ 27-34) die Organisation der Zunft, worauf in einem letzten Abschnitt (§§ 35-40) Schlussbestimmungen folgen. Gemäss § 1 ist die Zunft eine privatrechtliche Korporation im Sinne von
Art. 60 ff. ZGB
und besteht ihr Zweck in der "Erhaltung ehrwürdiger Tradition, verbunden mit Abgabe von Unterstützungen und mit Geselligkeit im Zunftverband." § 2 sieht vor, die Zunft nehme als Körperschaft selbständige Persönlichkeit in Anspruch. Ihr Vermögen bleibe zu allen Zeiten unbeschränktes Eigentum der Korporation und werde nach den in diesen Statuten festgelegten Bestimmungen verwendet. Das Zunftvermögen besteht nach § 20 aus dem Zunftfonds, dem Witwen-, Waisen- und Altersfonds und den Mobilien (Becher, Banner usw.). Gemäss § 21 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 bestehen
BGE 86 II 389 S. 390
die Einnahmen der beiden Fonds je aus der Hälfte der von den Mitgliedern entrichteten Eintrittsgebühren, Jahresbeiträge (Namenstaggebühren) und Bussen sowie aus den Erträgnissen der Fonds-Kapitalien, freiwilligen Beiträgen und Vermächtnissen. Die Einnahmen des Zunftfonds sind nach § 21 Abs. 2 für folgende Zwecke bestimmt:
"1. zur Unterstützung unbemittelter Zunftgenossen bei ungewöhnlicher Verteuerung der Lebensmittel;
2. zur Unterstützung von militärpflichtigen Zunftgenossen in Kriegszeiten;
3. zu Beiträgen an die Begräbniskosten von Zunftgenossen, ihren Frauen und Kindern (Fr. 30.-);
4. für gemeinnützige Zwecke;
5. für Auslagen bei Versammlungen und Zunftanlässen;
6. zur Bestreitung der auf den Zunftfonds entfallenden Steuern und Verwaltungskosten."
Die Einnahmen des Witwen-, Waisen- und Altersfonds dienen nach § 23 Abs. 2
"1. zur Verteilung einer Quote an die bezugsberechtigten Witwen-, Waisen- und Altersgenossen; von mindestens Fr. 50. insofern es die vorjährigen Zinserträgnisse erlauben;
2. zur Bestreitung der auf diesen Fonds entfallenden Steuern, sowie der Verwaltungskosten;
3. zur Äufnung des Fonds 10 % vom Nettoergebnis."
Zu Bezügen aus diesem Fonds sind nach § 24 berechtigt
"1. für eine ganze Quote die Zunftgenossen, welche vor Ende des Rechnungsjahres das sechzigste Altersjahr zurückgelegt haben, sowie die eingekauften Witwen;
2. für eine Drittelsquote ein jedes von einem Zunftgenossen abstammende vaterlose Waisenkind, bis Ende des 16. Altersjahres."
Die "Austeilung der Quoten" findet nach § 24 Abs. 2 jeweils im Monat November statt.
§ 35 lautet:
"Das Zunftvermögen muss zu allen Zeiten Alleineigentum der Zunftkorporation bleiben; seinen statutengemässen Zwecken darf es nicht entfremdet werden. Sollten indessen Verhältnisse eintreten, welche die Liquidation desselben zur Notwendigkeit machen, so kann eine solche nur dann beschlossen werden, wenn dreiviertel aller Zunftgenossen dazu schriftlich ihre Zustimmung geben."
§ 39 bestimmt, für eine Statutenänderung sei "das Erscheinen von dreivierteln der ortsanwesenden männlichen Zünftigen" erforderlich.
BGE 86 II 389 S. 391
Ende 1956 belief sich der Zunftfonds auf Fr. 47'410.94, der Witwen-, Waisen- und Altersfonds auf Fr. 50'814.40.
B.-
Mit einem Rundschreiben vom 7. Februar 1957 wies der Vorstand die Mitglieder darauf hin, dass wegen Rückgangs der Zinserträgnisse die Zeitspanne zwischen den Zunftanlässen entgegen einem verbreiteten Wunsche immer grösser geworden und die 45 bis 50 Berechtigten zukommende Altersquote bis auf Fr. 20.- gesunken und für den einzelnen Empfänger zumal auch im Hinblick auf die Geldentwertung und die Leistungen der AHV fast bedeutungslos geworden sei, und legte den Mitgliedern die Frage vor, ob der Witwen-, Waisen- und Altersfonds mit dem Zunftfonds verschmolzen, die Ausrichtung der Quoten eingestellt und so die Finanzierung von alle zwei Jahre sich wiederholenden Zunftanlässen gesichert werden solle. Die Mehrheit der Mitglieder unterstützte diesen Vorschlag; eine Minderheit, zu welcher der in Luzern wohnhafte Heinrich Schnezler gehörte, lehnte ihn dagegen ab.
Die ordentliche Zunftversammlung vom 16. März 1957, an welcher Schnezler nicht teilnahm, beschloss einstimmig die Verschmelzung der beiden Fonds und beauftragte den Vorstand, neue Statuten auszuarbeiten. Mit Rundschreiben vom 20. Januar 1958 brachte der Vorstand diesen Beschluss allen Mitgliedern zur Kenntnis und lud sie zwecks Beschlussfassung über die neuen Statuten auf den 28. Januar 1958 zu einer ausserordentlichen Zunftversammlung ein. Schnezler protestierte am 24. Januar 1958 schriftlich gegen die geplante Statutenänderung. Die Versammlung vom 28. Januar 1958, der er fernblieb, genehmigte jedoch in Anwesenheit von drei Vierteln aller männlichen ortsanwesenden Mitglieder einstimmig die neuen Statuten. Zweck der Zunft ist danach nur noch "die Erhaltung und Erneuerung der überlieferten Zunftbräuche und -traditionen." Die Ausrichtung von Unterstützungen ist in den neuen Statuten nicht mehr vorgesehen. Dagegen regelt § 16 die Zunftanlässe.
BGE 86 II 389 S. 392
C.-
Am 18. Februar 1958 leitete Schnezler gegen die Zunft die vorliegende Klage ein, mit der er verlangt, die Beschlüsse vom 16. märz 1957 bezw. 28. Januar 1958 seien aufzuheben, "soweit durch sie der auf Fürsorge (Alters-, Witwen- und Waisenfürsorge und sonstige Unterstützungen) gerichtete Zunftzweck mit all den zugehörigen Ausführungsbestimmungen gestrichen wurde"; eventuell sei die Zunft zu verpflichten, ihm "für den Rest seines Lebens als Schadenersatz jedes Jahr denjenigen Betrag auszuzahlen, welcher ihm unter den bisherigen Statuten als Altersquote zugekommen wäre, oder aber eine Kapitalabfindung auf der Basis eines Jahresbetrages von 20 Franken."
Das Kantonsgericht Schaffhausen wies die Klage am 20. Juli 1959 ab. Das Obergericht des Kantons Schaffhausen, an das der Kläger appellierte, hat dagegen am 22. April 1960 erkannt:
"1. Der Beschluss der Zunftversammlung vom 16. März 1957, es sei der Witwen-, Waisen- und Altersfonds auf den 31. Dezember 1957 aufzuheben und mit dem Zunftfonds zu verschmelzen, wird als ungültig und aufgehoben erklärt.
2. Der Beschluss der ausserordentlichen Zunftversammlung vom 28. Januar 1958, wonach mit der Annahme der neuen Statuten vom gleichen Datum im Sinne ihres § 20 die Statuten vom 15. November 1924 in ihrer Gesamtheit als "ersetzt" und somit dahingefallen erklärt worden sind, wird in Bezug auf die den Bestand des Zunftvermögens und dessen Verwendung zu Fürsorgezwecken beschlagenden Bestimmungen der ... alten Statuten, nämlich in Bezug auf ihre §§ 20, 21, 23, 24 und 35 als ungültig und aufgehoben erklärt."
D.-
Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht beantragt die Beklagte wie im kantonalen Verfahren Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Zünfte sind in Schaffhausen (anders als in Bern und Basel) heute nicht mehr öffentlichrechtliche, sondern nur noch privatrechtliche Körperschaften (vgl. LEU, Schaffhausen unter der Herrschaft der Zunftverfassung,
BGE 86 II 389 S. 393
Zürcher Diss. 1931, S. 273). Die Statuten vom 15. November 1924 bezeichnen die Beklagte zutreffend als "privatrechtliche Korporation im Sinne der Artikel 60 und ff. des schweiz. Zivilgesetzbuches", d.h. als Verein. Der vorliegende Rechtsstreit beurteilt sich daher nicht etwa gemäss
Art. 59 ZGB
nach kantonalem öffentlichem Recht, sondern nach Bundesprivatrecht, dessen Anwendung das Bundesgericht im Berufungsverfahren überprüfen kann (
Art. 43 OG
).
2.
Vereinsbeschlüsse, die das Gesetz oder die Statuten verletzen, kann nach
Art. 75 ZGB
jedes Mitglied, das nicht zugestimmt hat, von Gesetzes wegen binnen Monatsfrist, nachdem es von ihnen Kenntnis erhalten hat, beim Richter anfechten. Die kantonalen Gerichte haben angenommen, der Kläger habe diese Frist nicht nur mit Bezug auf den Beschluss vom 28. Januar 1958, sondern auch mit Bezug auf denjenigen vom 16. März 1957 eingehalten. Den Erwägungen der Vorinstanz zu diesem Punkte, die in der Berufungsschrift nicht als bundesrechtswidrig beanstandet worden sind, ist nichts beizufügen.
3.
Der Kläger macht geltend, die streitigen Beschlüsse seien gesetzwidrig und daher gemäss
Art. 75 ZGB
anfechtbar, weil damit den Mitgliedern, die ihnen nicht zustimmten, in Verletzung von
Art. 74 ZGB
eine Umwandlung des Vereinszwecks aufgenötigt worden sei. Erweist sich dieser Standpunkt als begründet, so kann dahingestellt bleiben, ob die beiden Beschlüsse, wie vom Kläger ebenfalls behauptet und von der Vorinstanz angenommen, die Statuten (insbesondere § 35) verletzen.
4.
Die Vorschrift von
Art. 74 ZGB
, wonach eine Umwandlung des Vereinszwecks keinem Mitglied aufgenötigt werden kann, hat entgegen einer in der Literatur vereinzelt vertretenen Ansicht (HAFTER, 1. Aufl. 1910, N. 6-8 zu
Art. 74 ZGB
; E. CURTI, Die Mitgliedschaftsrechte der Vereinsmitglieder nach dem schweiz. ZGB, Zürcher Diss. 1953, S. 80/81) nicht bloss die Bedeutung, dass die
BGE 86 II 389 S. 394
nicht zustimmenden Mitglieder ohne weiteres, insbesondere ohne Beobachtung einer Frist, den Austritt erklären und allenfalls Schadenersatz verlangen können. Auf eine Umwandlung des Vereinszwecks hinauslaufende Beschlüsse, die nicht die Zustimmung aller Mitglieder gefunden haben, können vielmehr, wie das Bundesgericht in
BGE 52 II 179
Erw. 2 mit einlässlicher Begründung dargetan hat, von jedem nicht zustimmenden Mitgliede wegen Verletzung von
Art. 74 ZGB
beim Richter angefochten werden (gleicher Auffassung HAFTER, 2. Aufl. 1919, N. 6 zu
Art. 74 ZGB
; ROSSEL u. MENTHA, 2 Aufl., I N. 247 S. 164; EGGER, 2. Aufl. 1930, N. 5 zu
Art. 74 ZGB
; TUOR, Das schweiz. ZGB, 6. Aufl. 1953, S. 115).
Art. 627 Abs. 3 aoR, dem
Art. 74 ZGB
nachgebildet wurde, ist bei der Revision von 1936 freilich durch die Bestimmung ersetzt worden, dass ein Beschluss auf Umwandlung des Gesellschaftszwecks die Stimmen von zwei Dritteilen des gesamten Grundkapitals auf sich vereinigen müsse (Art. 648 Abs. 1 rev OR). Bei einer Aktiengesellschaft bedarf es also zu einer Umwandlung des Zwecks nicht mehr der Einstimmigkeit aller Aktionäre, sondern hier genügt heute eine qualifizierte Mehrheit. Diese Änderung des Aktienrechts kann jedoch die Auslegung von
Art. 74 ZGB
, der unverändert geblieben ist, nicht beeinflussen. Dies um so weniger, als sich sachliche Gründe dafür anführen lassen, den Verein und die Aktiengesellschaft in diesem Punkte verschieden zu behandeln. Die Vereinsmitglieder haben nämlich an der Beibehaltung des bisherigen Vereinszwecks oft ein ideelles Interesse. Beschlüsse über die Änderung des Zwecks einer Aktiengesellschaft berühren dagegen in der Regel einzig die wirtschaftlichen Interessen der Aktionäre, und zudem handelt es sich dabei meist nur darum, dass der Endzweck der Erzielung einer Rendite auf einem andern Weg als bisher angestrebt werden soll. In diesem Unterschied kann eine Rechtfertigung dafür gefunden werden, dass das Gesetz die Aktionäre in einem weitern Umfang dem Willen einer Mehrheit unterwirft als die Vereinsmitglieder (vgl. SIEGWART N. 5 zu
Art. 646 OR
.)
BGE 86 II 389 S. 395
(Im übrigen gilt das Mehrheitsprinzip sogar bei der Umwandlung des Zwecks einer Aktiengesellschaft nicht unbeschränkt. Soll nämlich bei einer solchen ausnahmsweise nicht bloss der Bereich der Geschäftstätigkeit geändert, sondern der Endzweck der Erzielung und Verteilung eines Gewinns aufgegeben werden, so ist dafür auch heute noch die Einstimmigkeit aller Aktionäre erforderlich, weil ein solcher Beschluss in das wohlerworbene Recht auf Dividende eingreift; vgl.
Art. 646 OR
und SIEGWART N. 6 zu
Art. 648 OR
).
5.
Eine Umwandlung des Vereinszwecks im Sinne von
Art. 74 ZGB
liegt nicht nur dann vor, wenn ein Verein seinen bisherigen Zweck durch einen neuen, anders gearteten ersetzt. Der Tatbestand von
Art. 74 ZGB
kann vielmehr auch dann gegeben sein, wenn ein Verein dem bisherigen Zweck einen neuen beifügt, wie dies im Falle
BGE 52 II 175
ff. geschehen ist, oder wenn er einen Teil der Aufgaben, denen er sich bisher gewidmet hatte, fallen lässt. Eine solche Erweiterung oder Einschränkung des Vereinszwecks kann den Charakter eines Vereins so stark beeinflussen, dass gleich wie bei völliger Preisgabe des bisherigen Zwecks von einer Umwandlung des Zwecks gesprochen und
Art. 74 ZGB
angewendet werden muss (vgl. EGGER N. 2 zu
Art. 74 ZGB
). Der Auffassung HAFTERS (N. 2), dass eine Umwandlung des Vereinszwecks nur vorliege, wenn der bisher im Vordergrund stehende Zweck durch einen andern "verdrängt" werden soll, ist das Bundesgericht schon in
BGE 52 II 175
ff. nicht gefolgt.
Ob eine den Vereinszweck betreffende Statutenänderung so wesentlich sei, dass sie der Vorschrift von
Art. 74 ZGB
unterstellt zu werden verdient, ist vom Standpunkt der Mitglieder aus zu beurteilen. Dabei kann allerdings nicht einfach ihre subjektive Auffassung massgebend sein, sondern es kommt darauf an, ob der Zweck in einem Punkte geändert werde, dem sie bei ihrem Entschluss, dem Verein beizutreten und die Mitgliederpflichten zu erfüllen, nach Treu und Glauben erhebliche Bedeutung beimessen durften (vgl. EGGER N. 2 zu
Art. 74 ZGB
).
BGE 86 II 389 S. 396
Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun. Die Statuten der Beklagten von 1924 nennen die Abgabe von Unterstützungen in der dem Vereinszweck gewidmeten Bestimmung (§ 1 Abs. 1) vor der Geselligkeit. Die Unterstützung von Zunftgenossen gehört in Schaffhausen (vgl. LEU a.a.O. S. 87) wie anderwärts (vgl. ZESIGER, Das bern. Zunftwesen, 1911, S. 115 ff.) auch zur Tradition der Zünfte, deren Erhaltung die eben genannte Bestimmung als obersten Zweck der Zunft zu'n Schmieden bezeichnet. Von den beiden Fonds, aus denen nach § 20 das Kapitalvermögen der Beklagten besteht, ist der eine schon nach seinem Namen (Witwen-, Waisen- und Altersfonds) für Unterstützungszwecke bestimmt. Nach § 21 haben aber auch die Einnahmen des sog. Zunftfonds in erster Linie der Unterstützung von Mitgliedern sowie gemeinnützigen Zwecken zu dienen; erst an fünfter Stelle wird hier die Bestreitung von Auslagen bei Versammlungen und Zunftanlässen erwähnt. Die Bedeutung dieser Vorschriften über die Verwendung des Zunftvermögens wird in den Statuten dadurch noch besonders betont, dass die §§ 2 und 35 vorschreiben, das Vermögen werde nach den statutarischen Bestimmungen verwendet und dürfe seinen statutengemässen Zwecken nicht entfremdet werden. Die Eintrittsgebühren und Jahresbeiträge der Mitglieder kommen nach §§ 21 und 23 den beiden Fonds zu gleichen Teilen zu. Die Ausrichtung von Unterstützungen erscheint also nach den Statuten von 1924 als ein Hauptzweck der Zunft. Diese Statuten liessen nach Treu und Glauben erwarten, dass die Zugehörigkeit zur Zunft den Mitgliedern in gewissen Fällen eine (wenn auch bescheidene) materielle Hilfe sichere. Dieser Umstand war geeignet, auf den Entschluss, der Zunft beizutreten und die Mitgliederpflichten zu erfüllen, einen erheblichen Einfluss auszuüben. Die Streichung der Bestimmungen über die Unterstützungstätigkeit bedeutet daher eine Umwandlung des Vereinszwecks, welche die Mitglieder, die ihr nicht zugestimmt haben, sich nicht gefallen lassen müssen.
Hieran ändert nichts, dass die Unterstützungsleistungen
BGE 86 II 389 S. 397
der Beklagten teils wegen des Ausbaus der staatlichen Fürsorge, teils wegen der Geldentwertung und des Rückgangs der Zinserträgnisse sowie wegen der Zunahme der Zahl der bezugsberechtigten Mitglieder heute praktisch nicht mehr die gleiche Bedeutung haben wie früher. Die Verfolgung des statutarischen Unterstützungszwecks ist dadurch weder unmöglich noch sinnlos geworden. Abgesehen davon, dass sich die Leistungsfähigkeit der Beklagten z.B. dank Vergabungen an sie wieder verbessern kann, gibt es auch heute noch ältere Leute, Witwen und Waisen, für die eine im Herbst ausbezahlte "Quote" von weniger als Fr. 50.- noch einen willkommenen Zuschuss zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse bedeutet. (Die von der Beklagten im Prozess aufgestellte Behauptung, nach § 23 Abs. 2 Ziff. 1 der Statuten habe die Verteilung einer "Quote" zur Voraussetzung, dass die vorjährigen Zinserträgnisse die Auszahlung von Quoten in Höhe von mindestens Fr. 50.- gestatten, ist mit dem Wortlaut der erwähnten Statutenbestimmung nicht vereinbar. Die Beklagte hat denn auch tatsächlich während Jahren Quoten von weniger als Fr. 50.- ausbezahlt.) Im übrigen ist die Beklagte nicht gehindert, die Statutenbestimmungen über die Unterstützung der Mitglieder in dem Sinne zu revidieren, dass zwar der Zweck der Unterstützung beibehalten, aber die Art der Verwirklichung dieses Zwecks den veränderten Verhältnissen angepasst wird. Davon, dass die Beibehaltung des Unterstützungszwecks der Beklagten die Verfolgung der übrigen Zwecke, insbesondere die Veranstaltung von Zunftanlässen verunmögliche, kann im Ernste nicht die Rede sein. Gesellige Veranstaltungen können auch durchgeführt werden, wenn der Verein nicht für sämtliche Kosten aufzukommen vermag.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons Schaffhausen vom 22. April 1960 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc2b7782-ec90-480c-bb90-7845d5e5900d | Urteilskopf
108 Ia 82
17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Februar 1982 i.S. evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen und evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Straubenzell gegen Z., Dr. R. und Regierungsrat des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 88 OG
, Legitimation; Gemeindeautonomie; Verfahren betreffend die Abberufung eines Pfarrers.
Legitimation der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen zur staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung der Autonomie (E. 1b).
Verletzung der Autonomie der Kantonalkirche und der Kirchgemeinde Straubenzell dadurch, dass der Regierungsrat im Rechtsmittelverfahren die ihm zustehende Prüfungsbefugnis überschritt: er nahm zu Unrecht an, es liege ein Missbrauch der Amtsgewalt durch den Kirchenrat der Kantonalkirche vor, weil dieser im Beschwerdeverfahren davon abgesehen habe, den von der Kirchgemeindeversammlung in geheimer Abstimmung gefassten Beschluss betreffend die Abberufung des Pfarrers aufzuheben (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 83
BGE 108 Ia 82 S. 83
Die Kirchenvorsteherschaft der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Straubenzell (SG) versandte am 10. Dezember 1979 ein Rundschreiben an die Kirchgemeindemitglieder, in welchem sie ausführte, sie sei einstimmig zur Überzeugung gelangt, dass ein weiteres Wirken von Z. als Pfarrer wegen der von ihm vertretenen nationalsozialistischen Ideen nicht mehr verantwortet werden könne; sie empfehle daher einstimmig die Abberufung von Pfarrer Z. und ersuche um Unterzeichnung des beigelegten Abberufungsbegehrens. Das Begehren wurde von 2539 der insgesamt 6620 Stimmberechtigten der Kirchgemeinde Straubenzell unterschrieben.
Die Kirchenvorsteherschaft von Straubenzell berief auf den 10. Februar 1980 eine ausserordentliche Kirchgemeindeversammlung
BGE 108 Ia 82 S. 84
ein. Diese beschloss in geheimer Abstimmung mit 1072 gegen 39 Stimmen die Abberufung von Pfarrer Z.. Hiegegen legten Z. und Dr. R. beim Regierungsrat Kassationsbeschwerde ein, die an den Kirchenrat der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen als zuständige konfessionelle Oberbehörde weitergeleitet wurde. Der Kirchenrat wies die Kassationsbeschwerde mit Beschluss vom 19. August 1980 ab.
Pfarrer Z. und Dr. R. erhoben Beschwerde beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Sie machten geltend, das Abberufungsverfahren sei von einem unzuständigen Organ, nämlich der Kirchenvorsteherschaft, eingeleitet worden. Diese habe versucht, mit ihrem Rundschreiben den Prozess demokratischer Willensbildung mit unwahren und aktenwidrigen Behauptungen zu beeinflussen. Dem angegriffenen Pfarrer sei keine Gelegenheit gegeben worden, zu den Anschuldigungen gebührend Stellung zu nehmen.
Der Regierungsrat hiess mit Beschluss vom 10. März 1981 die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gut und hob den Entscheid des Kirchenrates vom 19. August 1980 auf. Er erklärte zwar die von Pfarrer Z. und Dr. R. erhobenen Rügen als unbegründet, kam aber zum Schluss, nach der Kirchenverfassung sei der Entscheid über ein Abberufungsbegehren nicht in einer Kirchgemeindeversammlung, sondern in einer Urnenabstimmung zu treffen. Die Abstimmung über die Abberufung von Pfarrer Z. müsse deshalb an der Urne wiederholt werden.
Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen und die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Straubenzell führen gegen den Beschluss des Regierungsrates vom 10. März 1981 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie sowie des
Art. 4 BV
.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Es steht ausser Zweifel, dass auf die Beschwerde eingetreten werden kann, soweit sie von der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Straubenzell erhoben wurde. Der Entscheid des St. Galler Regierungsrates vom 10. März 1981 berührt die Kirchgemeinde in ihrer Eigenschaft als Trägerin öffentlicher Gewalt. Sie ist daher nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob die Gemeinde im fraglichen Bereich tatsächlich
BGE 108 Ia 82 S. 85
autonom ist, ist keine Frage des Eintretens, sondern eine solche der materiellen Beurteilung der Beschwerde (
BGE 104 Ia 387
E. 1;
BGE 103 Ia 321
E. 1, 472 E. 1 mit Hinweisen).
b) Fraglich ist hingegen, ob auf die Beschwerde auch insoweit eingetreten werden kann, als sie von der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen eingereicht wurde, d.h. ob eine kantonale öffentlichrechtliche Kirchenkorporation befugt ist, wegen Verletzung ihrer Autonomie Beschwerde zu erheben. Das Bundesgericht hat anerkannt, dass nicht nur Gemeinden, sondern auch andere öffentlichrechtliche Körperschaften wegen Verletzung der Autonomie Beschwerde führen können, wenn sie die ihnen durch Verfassung oder Gesetz gewährleistete Autonomie gegenüber dem Staat als dem ihnen übergeordneten Träger öffentlicher Gewalt verteidigen wollen (
BGE 95 I 53
). Es hatte z.B. zu prüfen, ob ein Gemeinde-Zweckverband, die Studentenschaft einer Universität oder eine kantonale Pensionskasse wegen Autonomieverletzung staatsrechtliche Beschwerde erheben könne (
BGE 95 I 53
ff.;
BGE 99 Ia 756
ff.;
BGE 103 Ia 59
ff.). Das Gericht verneinte die Frage in jenen Fällen nicht einfach mit dem Hinweis, der Beschwerdeführer sei keine Gemeinde; vielmehr untersuchte es, ob die Voraussetzung, nämlich ein durch die Kantonsverfassung oder die kantonale Gesetzgebung gewährleistetes Selbstbestimmungsrecht, gegeben sei, um die betreffende Körperschaft oder Anstalt einer Gemeinde gleichzustellen. Was den hier zu beurteilenden Fall anbelangt, so räumt die Verfassung des Kantons St. Gallen (KV) in Art. 24 dem katholischen und dem evangelischen Konfessionsteil das Recht auf eigene Organisation und auf weitgehende Selbstverwaltung ein. Diese beiden Konfessionsteile, auch kantonale Kirchen genannt, haben als Träger hoheitlicher Rechte selbständige Entscheidungsbefugnisse, die mindestens so weit reichen wie jene der Kirchgemeinden. Die Voraussetzung, um der kantonalen Kirchenkörperschaft in gleicher Weise das Recht zur Beschwerde wegen Verletzung der Autonomie zuzuerkennen, ist demnach erfüllt. Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St. Gallen ist somit ebenso wie die Kirchgemeinde Straubenzell legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde vorzubringen, sie werde durch den regierungsrätlichen Entscheid vom 10. März 1981 in ihrer Autonomie verletzt. Im Zusammenhang mit der Rüge der Autonomieverletzung können sich die Beschwerdeführerinnen auch über eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör beklagen (
BGE 98 Ia 431
E. 2;
BGE 96 I 239
).
BGE 108 Ia 82 S. 86
2.
Eine Gemeinde oder eine andere öffentlichrechtliche Körperschaft ist in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht für ihn keine abschliessende Ordnung trifft, sondern diese ganz oder teilweise der Gemeinde oder der betreffenden Körperschaft überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 104 Ia 44
f.;
BGE 103 Ia 479
E. 5).
Nach Art. 24 KV und dem gleichlautenden Art. 1 des st. gallischen Gesetzes über die Besorgung der Angelegenheiten des katholischen und des evangelischen Konfessionsteiles vom 25. Juni 1923 (KonfG) sind die beiden kantonalen Kirchen berechtigt, sich ihre konfessionelle Organisation unter Vorbehalt der staatlichen Genehmigung selbst zu geben. Art. 2 Abs. 2 KonfG (in der Fassung vom 23. August 1979) sieht vor, dass sich die von den Konfessionsteilen erlassenen Vorschriften hinsichtlich der Organisation der Kirchgemeinden nach der staatlichen Gesetzgebung über die Spezialgemeinden zu richten haben, soweit nicht besondere Verhältnisse eine Abweichung rechtfertigen. Gleichwohl steht aber der kantonalen Kirche beim Erlass solcher organisatorischer Vorschriften, zu denen auch die hier in Frage stehenden Bestimmungen über die Abberufung der Pfarrer gehören, eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zu. Die Kirchgemeinden ihrerseits regeln gemäss Art. 11 Abs. 3 der Verfassung der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen vom 13. Januar 1974 (VEK) ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetzgebung der Kantonalkirche selbständig. Die Beschwerdeführerinnen sind demnach im Sachbereich, der Gegenstand des Streites bildet, autonom.
3.
Ist eine Gemeinde in einem bestimmten Bereich autonom, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass eine kantonale Rechtsmittelbehörde die ihr zustehende Prüfungsbefugnis überschreitet. Hebt eine auf Rechtskontrolle beschränkte kantonale Beschwerdeinstanz einen kommunalen Hoheitsakt zu Unrecht auf, weil sie im Vorgehen der Gemeinde fälschlicherweise eine willkürliche Rechtsanwendung oder eine Ermessensüberschreitung erblickt, so verletzt sie damit die Gemeindeautonomie (
BGE 104 Ia 127
/128 mit Hinweisen).
a) Nach Art. 7 Abs. 2 KonfG kann beim Regierungsrat gegen Entscheide der konfessionellen Oberbehörden - abgesehen vom hier nicht zur Diskussion stehenden Anfechtungsgrund der zweckwidrigen Verwendung oder gesetzwidrigen Verwaltung von Kirchengut - lediglich "wegen Missbrauches oder Überschreitung
BGE 108 Ia 82 S. 87
der Amtsgewalt" Beschwerde geführt werden. Der Regierungsrat hat diese Vorschrift selber zutreffend in dem Sinn ausgelegt, dass er nur eingreifen kann, wenn die Verfügung eines Konfessionsteiles mit dem Gesetz offensichtlich unvereinbar oder ein Ermessensentscheid willkürlich ist (St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis 1960 Nr. 48 S. 131). Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird geltend gemacht, der Regierungsrat habe zu Unrecht angenommen, es liege eine Überschreitung der Amtsgewalt durch den Kirchenrat der evangelischen Kantonalkirche vor, weil dieser davon abgesehen habe, den Beschluss der Kirchgemeindeversammlung Straubenzell betreffend die Abberufung von Pfarrer Z. aufzuheben. Da es bei der Beurteilung der Frage, ob der Regierungsrat dem Kirchenrat Amtsmissbrauch vorwerfen konnte, nicht um die Auslegung von Normen der Bundesverfassung oder der St. Galler Kantonsverfassung geht, prüft das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid im Rahmen der Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (
BGE 104 Ia 127
, 138 mit Hinweisen).
b) Der Regierungsrat nahm an, der Kirchenrat hätte die Kassationsbeschwerde, welche gegen die von der Kirchgemeindeversammlung Straubenzell in geheimer Abstimmung beschlossene Abberufung von Pfarrer Z. erhoben worden war, gutheissen müssen, da das Abberufungsbegehren in Widerspruch zu Art. 18 Abs. 2 VEK nicht der Urnenabstimmung unterbreitet worden sei. Indem der Kirchenrat die Beschwerde abgewiesen habe, obwohl die Abberufung in einem verfassungswidrigen Verfahren erfolgt sei, habe er seine Amtsgewalt überschritten.
Ob der Regierungsrat so entscheiden durfte, obschon in der Kassationsbeschwerde gar nicht gerügt worden war, der Abberufungsbeschluss hätte an der Urne gefasst werden müssen, mag dahingestellt bleiben. Rein unter dem Gesichtspunkt des materiellen Rechts wäre der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden, wenn es sich so verhielte, wie der Regierungsrat anzunehmen scheint. Dieser geht nämlich davon aus, es bestehe hinsichtlich des Abberufungsverfahrens bloss Art. 18 Abs. 2 VEK, wonach Begehren um Abberufung eines Pfarrers durch Urnenabstimmung erledigt werden müssen. Die Kirchenverfassung enthält aber auch - was der Regierungsrat anscheinend übersah - einen Art. 16 lit. d, der vorsieht, dass über eine allfällige Abberufung der Pfarrer die Kirchgemeindeversammlung zu befinden hat. Die beiden Vorschriften widersprechen sich, erklärt doch die eine die
BGE 108 Ia 82 S. 88
Kirchgemeindeversammlung für die Abberufung zuständig, während die andere bestimmt, dass die Abberufung in einer Urnenabstimmung beschlossen werden muss. Es sprechen gewichtigere Gründe für die Annahme, nach dem Sinn der VEK sei die Kirchgemeindeversammlung zuständig. Art. 18 steht - ebenso wie Art. 16 - im Abschnitt über die "Kirchgemeindeversammlung" und sieht in Abs. 1 vor, die Kirchgemeindeversammlung übe ihre Befugnisse in der Regel in offener Abstimmung aus. Das legt den Schluss nahe, dass sich auch Abs. 2 auf die Art der Abstimmung in der Kirchgemeindeversammlung selbst bezieht und lediglich für die Abberufung von Pfarrern - als Ausnahme von der Regel - eine geheime Abstimmung in der Versammlung selbst vorschreiben will. Für diese Auslegung spricht ferner der Umstand, dass in der VEK keine ausserhalb der Kirchgemeindeversammlung stattfindenden Gemeindeabstimmungen vorgesehen sind. Zudem bestimmt Art. 42 des st. gallischen Gemeindegesetzes vom 23. August 1979, dass für die geheime Abstimmung in der Versammlung die Vorschriften des Gesetzes über die Urnenabstimmungen sachgemäss angewendet werden. Bei der geheimen Abstimmung in der Gemeindeversammlung wird zum Einsammeln der Stimmzettel in der Regel auch ein Gefäss verwendet, das als Urne bezeichnet wird. Verschiedene kantonale Vorschriften über Wahlen und Abstimmungen sehen dies ausdrücklich vor (z.B. § 81 des solothurnischen Gemeindegesetzes vom 27. März 1949). Der Ausdruck "Urnenabstimmung" in Art. 18 Abs. 2 VEK ist vermutlich ungenau und könnte auf einem Redaktionsversehen beruhen. Wie dem auch sei, auf jeden Fall lässt sich die Auffassung, die Kirchgemeindeversammlung sei zur Abberufung eines Pfarrers zuständig, mit guten Gründen vertreten. Verhält es sich so, dann konnte dem Kirchenrat klarerweise nicht Amtsmissbrauch vorgeworfen werden, wenn er in durchaus haltbarer Auslegung der Kirchenverfassung davon ausging, der Abberufungsbeschluss müsse nicht ausserhalb der Kirchgemeindeversammlung, sondern durch diese selbst gefasst werden. Die Annahme des Regierungsrates, der Beschluss des Kirchenrates vom 19. August 1980 sei offensichtlich falsch und müsse deshalb aufgehoben werden, ist nicht nur unrichtig, sondern bei Beachtung des Art. 16 VEK unhaltbar. Mit dem angefochtenen Entscheid hat der Regierungsrat die ihm gemäss Art. 7 Abs. 2 KonfG zustehende Prüfungsbefugnis eindeutig überschritten und damit die Beschwerdeführerinnen in ihrer Autonomie verletzt. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich, noch zu untersuchen, ob der
BGE 108 Ia 82 S. 89
Regierungsrat die Beschwerdeführerinnen auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör beeinträchtigt hat, wie diese behaupten. Die Beschwerde ist aus den dargelegten Gründen gutzuheissen und der angefochtene Beschluss des Regierungsrates vom 10. März 1981 aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cc2e8367-bafd-4f42-aafc-6e335defc42a | Urteilskopf
103 IV 129
36. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 12 septembre 1977 dans la cause Ministère public du canton de Vaud contre D. | Regeste
Art. 1 StGB
.
Der Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" schliesst eine extensive Auslegung des Gesetzes zu Lasten des Beschuldigten nicht aus. Der Strafrichter darf indessen keine neuen Tatbestandsmerkmale schaffen; eigentliche Gesetzeslücken dürfen nur zugunsten des Beschuldigten ausgefüllt werden. | Erwägungen
ab Seite 129
BGE 103 IV 129 S. 129
Considérant en droit:
3.
a) L'interprétation de la loi pénale par le juge est dominée par le principe "nulla poena sine lege" posé à l'
art. 1er CP
. Il ressort cependant des règles d'interprétation dégagées par la jurisprudence que le juge peut, sans violer ce principe, donner du texte légal une interprétation même extensive, afin d'en dégager le sens véritable, celui qui est seul conforme à la logique interne et au but de la disposition en cause; mais il faut que la solution ainsi trouvée s'impose d'une manière pressante, c'est-à-dire que sans elle l'application de la loi ne puisse pas correspondre à la véritable volonté du législateur (cf.
ATF 90 IV 187
consid. 6 et arrêts cités).
Mais si une interprétation conforme à l'esprit de la loi peut s'écarter de la lettre du texte légal, le cas échéant au détriment
BGE 103 IV 129 S. 130
de l'accusé, il reste que le principe "nulla poena sine lege" interdit au juge de se fonder sur des éléments que la loi ne contient pas, c'est-à-dire de créer de nouveaux états de fait punissables ou de proposer une interprétation si extensive de ceux qui existent que l'esprit de la loi n'est plus respecté (cf.
ATF 95 IV 73
consid. 3a, et arrêts cités). Il arrive cependant qu'en recherchant la volonté du législateur, le juge se heurte à une lacune de la loi. Lorsque cette lacune est le reflet d'un silence qualifié, le juge n'a pas à intervenir. En revanche, s'il arrive à la conclusion qu'il se trouve en présence d'une lacune proprement dite, il a le devoir de la combler, comme il le ferait en droit civil, avec cette réserve qu'en matière pénale, sa démarche ne saurait que profiter à l'accusé, en vertu de l'
art. 1er CP
(
ATF 101 Ib 155
,
ATF 87 IV 4
). Il convient enfin de préciser que l'absence, dans la loi et dans les sources, d'indices d'un silence qualifié n'est pas encore la preuve que la loi contient une lacune proprement dite; on ne peut en effet affirmer l'existence d'une telle lacune que lorsqu'une détermination paraît indispensable du point de vue du droit positif (
ATF 98 IV 200
consid. 1).
b) L'
art. 11 LStup
dispose que les médecins et les médecins vétérinaires sont tenus de n'employer, de ne dispenser ou de ne prescrire les stupéfiants que dans la mesure admise par la science, et qu'il en est de même pour les médecins-dentistes, en ce qui concerne l'emploi et la dispensation de stupéfiants. Quant à l'art. 20 ancien ch. 1 al. 4 de la loi, qui se réfère à l'art. 11, il érige en délit l'infraction aux devoirs contenus dans cette disposition. Il existe ainsi une concordance parfaite entre l'art. 11 et l'art. 20 ancien tant en ce qui concerne le comportement visé que les personnes concernées.
A côté de cela, l'
art. 13 LStup
dispose que "les pharmaciens ne peuvent dispenser des stupéfiants au public que sur présentation de l'ordonnance d'un médecin ou d'un vétérinaire". Or, à la différence de l'art. 11 de la loi, il n'existe à l'art. 20 ancien aucune disposition spéciale parallèle érigeant en délit spécifique l'infraction aux devoirs contenus à l'art. 13. De ce fait, logiquement, lorsque les éléments constitutifs d'autres infractions réprimées aux art. 19 à 21 de la loi font défaut, la violation de l'art. 13 ne peut tomber alors que sous le coup de l'art. 22 de la loi, qui érige d'une manière générale les infractions aux prescriptions de la loi en contravention.
BGE 103 IV 129 S. 131
L'absence du pharmacien dans l'énumération de l'art. 13 à l'art. 20 ancien LStup pourrait être l'indice d'un silence qualifié, mais, faute du moindre indice complémentaire et du moindre élément dans les travaux préparatoires, on ne peut rien affirmer à ce sujet. On a vu toutefois que cette circonstance n'autorise pas à conclure à l'existence d'une lacune de la loi, dès lors que l'assimilation des infractions à l'art. 13 à celles qui sont réprimées à l'art. 11 ne paraît pas indispensable du point de vue du droit positif. Que cette solution aille à l'encontre du droit désirable, comme le démontre l'introduction du pharmacien et de la référence à l'art. 13 dans l'art. 20 nouveau ch. 1 al. 3 LStup, n'a aucune incidence sur l'interprétation de l'art. 20 ancien. Si lacune il y avait, elle a été comblée par le législateur, seul habilité à le faire. Il n'appartenait pas au juge pénal de le faire auparavant.
C'est donc à juste titre que l'autorité cantonale s'est refusée à franchir ce pas et qu'elle a considéré que les agissements de l'intimé ne tombaient pas sous le coup de l'art. 20 ancien LStup et ne constituaient qu'une contravention réprimée par l'art. 22. Le pourvoi est ainsi mal fondé. | null | nan | fr | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc37aa30-015b-4e39-a908-d263167e24f2 | Urteilskopf
127 V 431
62. Urteil vom 21. Dezember 2001 i. S. Mineral- und Heilbad X AG gegen Eidgenössisches Departement des Innern | Regeste
Art. 5 Abs. 1 und
Art. 29 Abs. 2 BV
;
Art. 29 und 30 Abs. 1 VwVG
;
Art. 40 KVG
; Art. 57 f. KVV: Zulassung von Heilbädern zur Tätigkeit zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung; verfahrensrechtliche Ansprüche (rechtliches Gehör) der Leistungserbringer bei auf unbestimmt gehaltenen Rechtsgrundlagen beruhenden Entscheiden.
- Stützt sich eine Verfügung oder ein Entscheid auf einen - zulässigerweise - unbestimmt gehaltenen Rechtssatz, ist die Unbestimmtheit der Rechtsgrundlage durch eine Stärkung der Verfahrensrechte gewissermassen zu kompensieren.
- Im Verfahren über die Zulassung von Heilbädern zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung ist dem betroffenen Heilbad Gelegenheit zu bieten, zur vorgesehenen Auslegung der massgebenden, unbestimmt gehaltenen Normen Stellung zu nehmen. | Sachverhalt
ab Seite 432
BGE 127 V 431 S. 432
A.-
Am 8. Dezember 1995 erliess das Eidg. Departement des Innern (EDI) die Verfügung über die Zulassung von Heilbädern als Leistungserbringer der Krankenversicherung, welche am 1. Januar 1996 in Kraft trat und die Liste der anerkannten Heilbäder enthält. Die im Anschluss daran von der Mineral- und Heilbad X AG in Z, Betreiberin des in der Liste nicht aufgeführten Heilbades X in Y, erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das Eidg. Versicherungsgericht mit Urteil vom 22. Dezember 1997 in dem Sinne gut, dass es die Sache an das EDI zurückwies, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre und über das Anerkennungsbegehren der Beschwerdeführerin verfüge.
Das EDI fällte in der Folge keinen das Heilbad X betreffenden individuellen Entscheid im Rahmen eines Rückweisungsverfahrens, sondern entschied über dessen Anerkennungsbegehren im Rahmen der am 17. Januar 2001 erlassenen neuen Verfügung über die Zulassung von Heilbädern als Leistungserbringer der sozialen Krankenversicherung, welche in Art. 1 die als Heilbäder nach
Art. 40 KVG
anerkannten Einrichtungen aufzählt und mit der Veröffentlichung im Bundesblatt am 30. Januar 2001 (BBl 2001 192) in Kraft trat (Art. 3). Das Heilbad X ist in der neuen Liste (Art. 1 der Verfügung) wiederum nicht aufgeführt. Der Entscheid wurde der Betreiberin des Bades durch das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) mit einem Begleitschreiben vom 23. Januar 2001 eröffnet.
BGE 127 V 431 S. 433
B.-
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Mineral- und Heilbad X AG das Rechtsbegehren stellen, die Verfügung des EDI vom 17. Januar 2001 sei zu ergänzen, indem das Heilbad X ebenfalls als Heilbad nach
Art. 40 KVG
anerkannt werde; eventuell sei das EDI anzuweisen, über das Anerkennungsgesuch neu zu entscheiden.
Das EDI schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 40 Abs. 1 KVG
sind Heilbäder zugelassen, wenn sie vom Departement anerkannt sind. Abs. 2 der Bestimmung erteilt dem Bundesrat den Auftrag, die Anforderungen festzulegen, welche die Heilbäder hinsichtlich ärztlicher Leitung, erforderlichem Fachpersonal, Heilanwendungen und Heilquellen erfüllen müssen. Der Bundesrat ist diesem Auftrag mit dem Erlass von
Art. 57 und 58 KVV
nachgekommen.
b) Gemäss
Art. 57 KVV
werden Heilbäder zugelassen, wenn sie unter ärztlicher Aufsicht stehen, zu Heilzwecken vor Ort bestehende Heilquellen nutzen, über das erforderliche Fachpersonal sowie die zweckentsprechenden diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen verfügen und nach kantonalem Recht zugelassen sind (Abs. 1). Das Departement kann vom Erfordernis der vor Ort bestehenden Heilquelle Ausnahmen bewilligen. Es berücksichtigt dabei die bisherige Praxis der Krankenversicherer (Abs. 2).
Art. 58 KVV
bestimmt, dass als Heilquellen Quellen gelten, deren Wasser auf Grund besonderer chemischer oder physikalischer Eigenschaften und ohne jede Veränderung ihrer natürlichen Zusammensetzung eine wissenschaftlich anerkannte Heilwirkung ausüben oder erwarten lassen (Abs. 1). Die chemischen oder physikalischen Eigenschaften sind durch Heilwasseranalysen gutachtlich nachzuweisen und alle drei Jahre durch eine Kontrollanalyse durch die zuständige kantonale Instanz zu überprüfen (Abs. 2).
2.
a) Die erwähnten Bestimmungen nennen die Kriterien, welche für den Entscheid über die Zulassung als Heilbad massgebend sind. Sie enthalten jedoch keine genaue Umschreibung der Anforderungen, welche bezüglich der Kriterien im Einzelnen erfüllt sein müssen. Die Frage der Voraussetzungen einer Anerkennung als Heilbad wird somit durch ziemlich unbestimmt gehaltene Normen geregelt.
BGE 127 V 431 S. 434
b) aa) Um Grundlage einer Verfügung bilden zu können, muss ein Rechtssatz dem Erfordernis der ausreichenden Bestimmtheit genügen. Grundanliegen des Bestimmtheitsgebotes ist die Gewährleistung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit (HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, N 313 f.). Das Gebot nach Bestimmtheit rechtlicher Normen darf jedoch nicht in absoluter Weise verstanden werden. So kann der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht völlig darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht eindeutig generell umschrieben werden können und die an die Auslegung durch die Behörde besondere Anforderungen stellen. Darüber hinaus sprechen die Komplexität der im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, die Notwendigkeit einer erst bei der Konkretisierung möglichen Wahl sowie die nicht abstrakt erfassbare Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte im Einzelfall für eine gewisse Unbestimmtheit der Normen (
BGE 109 Ia 284
Erw. 4d mit Hinweisen). Verlangt ist eine den jeweiligen Verhältnissen angemessene optimale Bestimmtheit bzw. eine unter Berücksichtigung aller massgebenden Gesichtspunkte, namentlich auch der Voraussehbarkeit der Verhältnisse, optimale Determinierung (MARTIN WIRTHLIN, Das Legalitätsprinzip im Bereich des Planungs- und Baurechts, in: AJP 2001 S. 516 mit Hinweisen).
bb) Die Lehre weist darauf hin, dass Komplexität und Veränderlichkeit der zu regelnden Sachverhalte in jüngerer Zeit zugenommen haben. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung und den entsprechend gewandelten Anforderungen an die öffentliche Verwaltung, von welcher flexibles und zeitgerechtes Reagieren auf sich wandelnde Sachverhalte und Erkenntnisse verlangt wird, sind ein Abbau der Regelungsdichte und eine Tendenz zum vermehrten Erlass unbestimmter, offener Normen zu beobachten (vgl. PIERRE MOOR, Principes de l'activité étatique et responsabilité de l'Etat, in: THÜRER/AUBERT/MÜLLER, Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, S. 265 ff., 270 f.). Anzahl und Bedeutung von Rechtsnormen nehmen zu, welche durch Offenheit oder Unbestimmtheit charakterisiert sind und mit Generalklauseln, unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensbefugnissen arbeiten, deren "Freiräume" durch die Verwaltung aufzufüllen sind (MICHELE ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates, Diss. Bern 1999, S. 11 mit Hinweisen).
cc) Als Folge der dargestellten Entwicklung verlieren die Garantien des - nunmehr in Art. 5 Abs. 1 der Bundesverfassung vom
BGE 127 V 431 S. 435
18. April 1999 festgehaltenen - Gesetzmässigkeitsprinzips an Wirksamkeit (MOOR, a.a.O., S. 270 f.; THOMAS COTTIER, Die Verfassung und das Erfordernis der gesetzlichen Grundlage, Diss. Bern 1983, 2. erg. Aufl., Chur 1991, S. 206). Insbesondere weist eine im Ermessen der Behörde zu treffende Verfügung bei relativer Offenheit der materiellen Rechtsnormen für die Partei einen verminderten Grad an Voraussehbarkeit bezüglich Inhalt und Begründung auf (ALBERTINI, a.a.O., S. 306). Unbestimmte Normen sind deshalb geeignet, zu einem Verlust an Rechtssicherheit zu führen. Ihnen müssen materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Sicherungen sowie mitunter besondere Anforderungen an die Begründungspflicht entgegengestellt werden (COTTIER, a.a.O., S. 206). Die Unbestimmtheit der anzuwendenden Norm ist durch verfahrensrechtliche Garantien gewissermassen zu kompensieren (
BGE 109 Ia 284
Erw. 4d mit Hinweisen; COTTIER, a.a.O., S. 213; ALBERTINI, a.a.O., S. 74 f. mit Hinweisen; MOOR, a.a.O., S. 271; WIRTHLIN, a.a.O., S. 516 mit Hinweis). Je offener und unbestimmter die gesetzliche Grundlage ist, desto stärker sind die verfahrensrechtlichen Garantien als Schutz vor unrichtiger Anwendung des unbestimmten Rechtssatzes auszubauen (ALBERTINI, a.a.O., S. 75 f.). In diesem Zusammenhang kommt der Konkretisierung der Anforderungen, welche unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs an die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens zu stellen sind, besondere Bedeutung zu. Nach der für die Auslegung von Art. 29 Abs. 2 der am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999 weiterhin massgebenden (
BGE 126 V 130
Erw. 2a) Rechtsprechung zu Art. 4 Abs. 1 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 ist der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn die Betroffenen nur in abstrakter, allgemeiner Weise Stellung nehmen können zu einer Massnahme, deren konkrete Begründung ihnen nicht bekannt ist (
BGE 114 Ia 14
). Die verfassungskonforme Gewährung des rechtlichen Gehörs erfordert unter Umständen, dass die Behörde, bevor sie in Anwendung einer unbestimmt gehaltenen Norm oder in Ausübung eines besonders grossen Ermessensspielraums einen Entscheid fällt, der von grosser Tragweite für die Betroffenen ist, diese über ihre Rechtsauffassung orientiert und ihnen Gelegenheit bietet, dazu Stellung zu nehmen (vgl. ALBERTINI, a.a.O., S. 221, 297 f., 303 ff.).
c) Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Art. 57 f. KVV die Voraussetzungen einer Anerkennung als Heilbad gemäss
Art. 40 KVG
in vergleichsweise unbestimmter Weise umschreiben,
BGE 127 V 431 S. 436
da die Erkenntnisse hinsichtlich Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (
Art. 32 KVG
) ändern können. Die Unbestimmtheit der anzuwendenden Rechtssätze ist jedoch durch eine Stärkung der Verfahrensrechte der Betroffenen gleichsam zu kompensieren.
3.
a) Beim Entscheid über die Zulassung oder Nichtzulassung hatte das Departement nach erfolgtem Abklärungsverfahren den durch
Art. 29 Abs. 2 BV
garantierten und in
Art. 29 VwVG
statuierten Anspruch auf rechtliches Gehör und die damit verbundenen Verfahrensgarantien, insbesondere die Mitwirkungsrechte der Betroffenen, zu beachten. Dazu gehört namentlich das Recht auf Akteneinsicht (
Art. 26 VwVG
), das Recht, sich vor Erlass einer Verfügung zur Sache zu äussern (
Art. 30 VwVG
) und zu Vorbringen der Gegenpartei angehört zu werden (
Art. 31 VwVG
), sowie das Recht, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden (
Art. 33 VwVG
) (SVR 1998 KV Nr. 14 S. 51 Erw. 4b mit Hinweisen). Angesichts der Unbestimmtheit der anwendbaren materiellen Rechtsnormen ist das Anhörungsverfahren in der Weise auszugestalten, dass der Gesuchstellerin oder dem Gesuchsteller Gelegenheit geboten wird, sich zu den Ergebnissen des vorangegangenen Abklärungsverfahrens und zur in Aussicht genommenen Auslegung der massgebenden Bestimmungen zu äussern.
b) Dem Entscheid über die Anerkennung der Beschwerdeführerin als Heilbad gemäss
Art. 40 KVG
gingen die folgenden aktenkundigen Verfahrensschritte voraus:
aa) Das EDI liess zunächst durch eine Arbeitsgruppe, zusammengesetzt aus Vertretern des Verbandes Schweizer Badekurorte (VSB), des Konkordats der Schweizerischen Krankenversicherer (KSK), der Schweizerischen Gesellschaft für Balneologie und Bioklimatologie (SGBB) und des BSV, einen Fragebogen erarbeiten. Mit Schreiben vom 27. November 1998 wurde dieser Fragebogen an alle Einrichtungen, die möglicherweise die Bedingungen einer Zulassung als anerkanntes Heilbad erfüllen würden, sowie an alle Kantone versandt. Die Beschwerdeführerin retournierte den ihr zugestellten Fragebogen mit einem Begleitschreiben vom 20. Januar 1999.
bb) Anlässlich ihrer Sitzung vom 28. August 1999 beschloss die Arbeitsgruppe, die Einholung eines Gutachtens über die Heilwirkung des Wassers des Heilbades X zu empfehlen. Sie begründete dies damit, dass das Wasser keine gelösten Stoffe enthalte, die auffallen würden, und alkalisches Wasser höchstens für eine Trinkkur geeignet sei, wobei eine solche nicht als Badekur gelte.
BGE 127 V 431 S. 437
cc) Mit Schreiben vom 13. Oktober 1999 forderte das BSV die Beschwerdeführerin auf, weitere Unterlagen zur Beurteilung der Heilwirkung des vom Heilbad verwendeten Quellwassers zum Zwecke einer Badekur sowie ein allenfalls vorhandenes Gutachten eines spezialisierten Institutes einzureichen. Die Beschwerdeführerin gab daraufhin bei Dr. med. K., Chefarzt Rheumatologie, Klinik A., ein medizinisch-balneologisches Gutachten in Auftrag, welches am 4. Januar 2000 erstattet und dem BSV mit einem Begleitschreiben vom 13. Januar 2000 eingereicht wurde.
dd) Mit Schreiben vom 23. Januar 2001 eröffnete das BSV der Beschwerdeführerin den Entscheid des EDI vom 17. Januar 2001. Zwischenzeitlich war die Beschwerdeführerin nicht mehr formell kontaktiert worden.
c) Das beschriebene Vorgehen der Verwaltung wird den obgenannten Anforderungen an das Anhörungsverfahren gemäss
Art. 29 und
Art. 30 Abs. 1 VwVG
nicht gerecht. Insbesondere bilden die Zustellung des Fragebogens und die Aufforderung zur Einreichung weiterer Unterlagen betreffend die Heilwirkung des Quellwassers ohne Bekanntgabe des vorgesehenen Beurteilungsmassstabes keine ausreichende Gewährung des rechtlichen Gehörs. Vielmehr hätte der Beschwerdeführerin nach dem Abschluss der sachverhaltlichen Abklärungen, aber vor dem Erlass des Entscheides des EDI Gelegenheit geboten werden müssen, sich zum Ergebnis der Abklärungen sowie zur Frage nach der Heilwirkung des Quellwassers, zu den für deren Beantwortung massgebenden Kriterien und zum anzuwendenden Massstab nochmals vernehmen zu lassen. Dass der Verband der Badekurorte die Interessen der Heilbäder in die Arbeitsgruppe, die den Fragebogen erarbeitete, einbringen konnte, vermag die Gehörsgewährung an die Beschwerdeführerin nicht zu ersetzen. Eine solche konnte auch nicht deshalb unterbleiben, weil die Beschwerdeführerin den Fragebogen ohne inhaltliche Kritik eingereicht hatte, denn darin kann kein Verzicht auf eine spätere Anhörung erblickt werden.
d) aa) Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Bedeutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Entscheides veranlasst wird oder nicht (
BGE 126 V 132
Erw. 2b mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung kann
BGE 127 V 431 S. 438
eine - nicht besonders schwer wiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber die Ausnahme bleiben (
BGE 126 V 132
Erw. 2b mit Hinweisen).
bb) Die im Rahmen der Gewährung des rechtlichen Gehörs zu erwartenden Ausführungen der Beschwerdeführerin werden voraussichtlich eine balneologische Beurteilung erfordern. Diese ist nicht durch das Eidg. Versicherungsgericht, sondern in erster Linie durch die zuständigen Verwaltungsbehörden vorzunehmen. Eine Heilung der Gehörsverletzung im Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren kommt daher nicht in Frage. | null | nan | de | 2,001 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc3c5121-bf6e-4550-a314-6b929a231726 | Urteilskopf
140 IV 133
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau (Beschwerde in Strafsachen)
1B_406/2013 vom 16. Mai 2014 | Regeste
Art. 90 Abs. 2, 3 und 4,
Art. 90a Abs. 1 lit. a und b SVG
;
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
; Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme eines geleasten Motorfahrzeuges ("Via sicura").
Die Einziehungsvoraussetzungen von
Art. 90a Abs. 1 lit. a und b SVG
sind nicht vom Beschlagnahmerichter im Untersuchungsverfahren abschliessend zu beurteilen. Für eine Beschlagnahme genügt, dass im aktuellen Verfahrensstadium nicht ausgeschlossen scheint, dass der Strafrichter die materiellen Einziehungsvoraussetzungen bejahen könnte. Besteht der Tatverdacht einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung (im Sinne von
Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG
), sind die Voraussetzungen von
Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG
grundsätzlich erfüllt. Im Beschlagnahmeverfahren kann offenbleiben, ob diese Bestimmung bei qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen auch noch ein kumulatives Erfordernis der "Skrupellosigkeit" verlangt. Unter dem Gesichtspunkt von
Art. 90a Abs. 1 lit. b SVG
prüft der Beschlagnahmerichter, ob der Lenker mit dem benutzten Motorfahrzeug künftig die Verkehrssicherheit gefährden bzw. ob die Einziehungsbeschlagnahme des Fahrzeuges geeignet sein könnte, den Lenker vor weiteren groben Verkehrswidrigkeiten abzuhalten. Eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme ist auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Dritten grundsätzlich zulässig, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar und die Beschlagnahme dazu geeignet ist, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 140 IV 133 S. 134
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau, führt eine Strafuntersuchung gegen X. wegen des Verdachts der qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln (
Art. 90 Abs. 3 SVG
). Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, er habe am 16. Juli 2013 als Lenker eines Motorrades auf der Letzistrasse in Ganterschwil (Höhe Hochfeld, Fahrtrichtung Lütisburg) die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mindestens 71 km/h (nach Sicherheitsabzug) überschritten. Mit Verfügung vom 17. Juli 2013 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft das verwendete (geleaste)
BGE 140 IV 133 S. 135
Motorrad als Beweismittel, zur Kostendeckung und im Hinblick auf eine richterliche Einziehung (
Art. 90a SVG
). Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde wies die Anklagekammer des Kantons St. Gallen am 3. Oktober 2013 ab.
B.
Gegen den Entscheid der Anklagekammer gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 13. November 2013 an das Bundesgericht. Er beantragt im Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides bzw. der Beschlagnahme.
(...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beschwerdeführer macht (in der Hauptsache) geltend, die Voraussetzungen einer strafprozessualen Einziehungsbeschlagnahmung seien nicht erfüllt. Insbesondere sei ihm keine skrupellose Fahrweise vorzuwerfen und erscheine die Beschlagnahme unnötig und unverhältnismässig. Im Eigentum eines Dritten stehende Gegenstände dürften ohnehin nicht eingezogen werden. Er rügt u.a. eine Verletzung von
Art. 90 Abs. 3 und
Art. 90a Abs. 1 SVG
,
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
sowie
Art. 9,
Art. 26 und
Art. 29 BV
.
3.
Strafprozessuale Beschlagnahmen im Hinblick auf eine richterliche Einziehung setzen voraus, dass ein hinreichender, objektiv begründeter konkreter Tatverdacht besteht (Art. 197 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
). Die Zwangsmassnahme muss ausserdem vor dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz standhalten (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Abs. 2 StPO). Einziehungsbeschlagnahmen sind auch aufzuheben, falls eine strafrechtliche Sicherungs- oder Ausgleichseinziehung des beschlagnahmten Gegenstandes oder Vermögenswertes aus materiellrechtlichen Gründen bereits als offensichtlich unzulässig erscheint (
BGE 140 IV 57
E. 4.1.1 S. 61 f.;
BGE 139 IV 250
E. 2.3.4 S. 255;
BGE 137 IV 145
E. 6.4 S. 151 f.;
BGE 124 IV 313
E. 4 S. 316; s. auch
BGE 128 I 129
E. 3.1.3 S. 133 f.;
BGE 126 I 97
E. 3d/aa S. 107).
3.1
Die im vorliegenden Fall massgebliche Anlasstat erfolgte am 16. Juli 2013. Der angefochtene Entscheid und die (am 17. Juli 2013) erstinstanzlich verfügte Einziehungsbeschlagnahme stützen sich auf die am 1. Januar 2013 im Rahmen des Handlungsprogramms des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr ("Via sicura") in
BGE 140 IV 133 S. 136
Kraft getretenen Bestimmungen über die Sicherungseinziehung von Motorfahrzeugen (
Art. 90a Abs. 1 SVG
). Die altrechtlichen Bestimmungen von
Art. 69 Abs. 1 StGB
betreffend Sicherungseinziehung gelangen hier nicht mehr zur Anwendung (vgl. Urteil 1B_113/2013 vom 5. Dezember 2013 E. 3.2).
3.2
Im Rahmen des Handlungsprogrammes "Via sicura" hat der Gesetzgeber die Strafbestimmungen des SVG per 1. Januar 2013 verschärft. Dabei hat er zu den beiden bisherigen Kategorien von Verkehrsregelverletzungen - der als Übertretung strafbaren einfachen (
Art. 90 Abs. 1 SVG
) und der als Vergehen strafbaren groben Verkehrsregelverletzung (
Art. 90 Abs. 2 SVG
) - eine dritte Kategorie von als Verbrechen strafbaren, besonders bzw. qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen hinzugefügt (
Art. 90 Abs. 3 SVG
). Danach wird mit Freiheitsstrafe zwischen einem und vier Jahren bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. In
Art. 90 Abs. 4 SVG
wird sodann aufgelistet, welche Geschwindigkeitsübertretungen in jedem Fall nach Abs. 3 geahndet werden. Motorfahrzeug im Sinne des SVG ist jedes Fahrzeug mit eigenem Antrieb, durch den es auf dem Erdboden (unabhängig von Schienen) fortbewegt wird (
Art. 7 Abs. 1 SVG
). Wird, was dem Beschwerdeführer als Motorradlenker vorgeworfen wird, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mindestens 60 km/h überschritten, liegt eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Abs. 3 vor (
Art. 90 Abs. 4 lit. c SVG
;
BGE 139 IV 250
E. 2.3.1 S. 253).
3.3
Nach
Art. 90a Abs. 1 SVG
kann der Strafrichter die Einziehung eines Motorfahrzeugs anordnen, wenn (lit. a) damit eine
grobe
Verkehrsregelverletzung in
skrupelloser
Weise begangen wurde, und (lit. b) der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abgehalten werden kann. In der Botschaft des Bundesrates zum Handlungsprogramm "Via sicura" wird dazu ausgeführt, die Einziehung stelle einen Eingriff in die von
Art. 26 BV
geschützte Eigentumsgarantie dar und sei nur in Ausnahmefällen verhältnismässig und gerechtfertigt. Ihre Zulässigkeit hänge stark vom Einzelfall ab. Nicht jede grobe Verkehrsregelverletzung solle automatisch zur Sicherungseinziehung des Tatfahrzeugs führen. Von dieser Möglichkeit dürfe nur Gebrauch gemacht werden, wenn die
BGE 140 IV 133 S. 137
Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise begangen worden sei und die Einziehung geeignet sei, den Täter von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abzuhalten; das urteilende Gericht sei verpflichtet, darüber eine Prognose abzugeben (BBl 2010 8447 ff., 8484 f. Ziff. 1.3.2.23;
BGE 139 IV 250
E. 2.3.2 S. 253 f.).
3.4
Mit dem neuen
Art. 90a SVG
wollte der Gesetzgeber die (nach
Art. 69 StGB
an sich schon bisher mögliche und in verschiedenen Kantonen auch praktizierte) Sicherungseinziehung und Verwertung von Motorfahrzeugen auf Bundesebene einheitlich regeln. Die Einziehungsvoraussetzungen von
Art. 90a Abs. 1
lit. a
SVG
dürften bei
qualifiziert
groben Verkehrsdelikten (im Sinne von
Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG
) in der Regel erfüllt sein. Eine mögliche Einziehung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern fällt auch bei (nicht qualifiziert) groben Verkehrsregelverletzungen im Sinne von
Art. 90 Abs. 2 SVG
in Betracht (
BGE 139 IV 250
E. 2.3.3 S. 254). Für die kumulativ zu erfüllende Einziehungsvoraussetzung von
Art. 90a Abs. 1
lit. b
SVG
kann an die bisherige Praxis angeknüpft werden: Im Hinblick auf eine Sicherungseinziehung des beschlagnahmten Motorfahrzeuges hat der Beschlagnahmerichter (im Sinne einer Gefährdungsprognose) zu prüfen, ob das Fahrzeug in der Hand des Beschuldigten künftig die Verkehrssicherheit gefährdet bzw. ob die Beschlagnahme geeignet ist, ihn vor weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abzuhalten (
BGE 139 IV 250
E. 2.3.3 S. 254;
BGE 137 IV 249
E. 4.4. S. 255; Urteil 1B_113/2013 vom 5. Dezember 2013 E. 3.3; je mit Hinweisen). Die materiellen Voraussetzungen einer allfälligen Sicherungseinziehung (
Art. 90a Abs. 1 lit. a und b SVG
) hat der Beschlagnahmerichter noch nicht abschliessend zu beurteilen. Dies bleibt vielmehr dem Straf- und Einziehungsrichter vorbehalten (
BGE 139 IV 250
E. 2.3.4 S. 254 f.; Urteil 1B_113/2013 vom 5. Dezember 2013 E. 3.5).
3.5
Eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme kann auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Drittpersonen (Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO) grundsätzlich zulässig sein, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die Beschlagnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren. Nach der Botschaft zum Handlungsprogramm "Via sicura" bleibe es in diesem Rahmen die Aufgabe der Rechtsprechung, im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Einziehung bei Drittpersonen (voraussichtlich) gegeben sind (BBl 2010 8485
BGE 140 IV 133 S. 138
Ziff. 1.3.2.23; vgl. auch THOMAS MAURER, in: StGB Kommentar, Andreas Donatsch [Hrsg.], 19. Aufl. 2013, N. 4 zu
Art. 90a SVG
).
4.
4.1
Die kantonalen Instanzen legen den begründeten Verdacht dar, dass der Beschwerdeführer am 16. Juli 2013 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mindestens 71 km/h (nach Sicherheitsabzug) überschritten hat. In diesem Zusammenhang werden vom Beschwerdeführer keine unhaltbaren Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz dargetan. Folglich besteht hier der Tatverdacht einer
qualifiziert groben
Geschwindigkeitsüberschreitung (im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. c i.V.m.
Art. 7 Abs. 1 SVG
).
4.2
Damit sind die Voraussetzungen von
Art. 90a Abs. 1
lit. a
SVG
grundsätzlich erfüllt (vgl.
BGE 139 IV 250
E. 2.3.3 S. 254; zu dieser auch in der Literatur vorherrschend vertretenen Auffassung s. auch WOLFGANG WOHLERS, Besprechung von 1B_257/2013, forumpoenale 2014 S. 30 f.). Wie bereits erörtert, liesse diese Bestimmung (unter dem Gesichtspunkt der objektiven Tatschwere) bereits eine (nicht qualifiziert) grobe Geschwindigkeitsüberschreitung (i.S.von
Art. 90 Abs. 2 SVG
) als Teilvoraussetzung für eine allfällige Sicherungseinziehung genügen. Allerdings setzt
Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG
für Einziehungen bei
groben
Verkehrsregelverletzungen ein "skrupelloses" Vorgehen voraus. Es stellt sich die Frage, ob diese kumulative (subjektive) Voraussetzung auch für Einziehungsbeschlagnahmungen wegen
qualifiziert
groben Widerhandlungen (i.S.von
Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG
) erfüllt sein muss:
4.2.1
Art. 90 Abs. 3 (i.V.m. Abs. 4) SVG geht ausdrücklich und definitionsgemäss davon aus, dass
qualifiziert
grobe Widerhandlungen "in jedem Fall" eine
besonders krasse
und
vorsätzliche
Missachtung
elementarer
Verkehrsregeln begründen, mit welcher der Lenker das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht. Ob der Straf- und Einziehungsrichter das untersuchte Verhalten des Beschwerdeführers
darüber hinaus
auch noch als (in subjektiver Hinsicht) "skrupellos" (im Sinne von
Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG
) einstufen könnte, ist (nach der dargelegten Praxis) nicht vom Beschlagnahmerichter im Untersuchungsverfahren abschliessend zu beurteilen. Es genügt, dass im jetzigen Verfahrensstadium nicht ausgeschlossen scheint, dass der Strafrichter die materiellen Einziehungsvoraussetzungen (von
Art. 90a Abs. 1 SVG
) bejahen könnte (
BGE 139 IV 250
E. 2.3.4 S. 254 f.; Urteil 1B_113/2013 vom
BGE 140 IV 133 S. 139
5. Dezember 2013 E. 3.5). Nach dem Gesagten braucht nicht weiter vertieft zu werden, ob
Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG
bei
qualifiziert
groben Verkehrsregelverletzungen überhaupt ein kumulatives Erfordernis der "Skrupellosigkeit" verlangt. Der Gesetzeswortlaut setzt jedenfalls (als Teilvoraussetzung für eine Sicherungseinziehung) ausdrücklich nur voraus, dass eine
grobe
Verkehrsregelverletzung (
Art. 90 Abs. 2 SVG
) in skrupelloser Weise begangen wurde.
4.2.2
Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, in seinem Fall seien (über die qualifiziert grobe Geschwindigkeitsüberschreitung hinaus) keine
zusätzlichen
erschwerenden Momente erkennbar (Sichtverhältnisse, Verkehrsaufkommen, Strassenzustand, konkrete Gefährdungen von Dritten usw.). Wie oben dargelegt, hat die Vorinstanz jedoch kein Bundesrecht verletzt, indem sie im Lichte von
Art. 90a Abs. 1
lit. a
SVG
(i.V.m.
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
) und im jetzigen Verfahrensstadium ein Einziehungs- bzw. Beschlagnahmehindernis verneinte.
4.3
Weiter bestehen ausreichend konkrete Anhaltspunkte im Sinne von
Art. 90a Abs. 1
lit. b
SVG
, dass das beschlagnahmte Motorrad in der Hand des Beschwerdeführers künftig die Verkehrssicherheit gefährden bzw. dass die Einziehungsbeschlagnahme geeignet sein könnte, ihn vor weiteren groben (oder gar qualifiziert groben) Verkehrsregelverletzungen abzuhalten (vgl.
BGE 139 IV 250
E. 2.3.4 S. 255):
4.3.1
Die Vorinstanz legt in diesem Zusammenhang Folgendes dar: Das beschlagnahmte Motorrad sei "aufgrund des leistungsstarken, sportlichen Motors besonders geeignet für die Begehung weiterer Geschwindigkeitsüberschreitungen". Insofern sei (im Sinne einer allfälligen Sicherungs-Einziehung) von einem "gefährlichen Gegenstand" auszugehen. Hinzu komme, dass dem Beschwerdeführer als Lenker keine günstige Legalprognose gestellt werden könne. Am 28. Juni 2004 sei er wegen Verletzung von Verkehrsregeln, Vereitelung einer Blutprobe, pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall sowie fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen (bedingt vollziehbar) verurteilt worden. Wegen dieser Delikte hätten die Administrativbehörden einen Warnungsentzug des Führerausweises von 15 Monaten Dauer gegen ihn verfügt. Am 21. Juli 2010 sei er wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln erneut strafrechtlich schuldig gesprochen (und mit einer bedingten Geldstrafe sanktioniert) worden, nachdem er (ausserorts) die zulässige
BGE 140 IV 133 S. 140
Höchstgeschwindigkeit um 39 km/h überschritten hatte. Deswegen sei ihm der Führerausweis ein weiteres mal (für vier Monate) entzogen worden. Ferner liege eine Vorstrafe vom 19. April 2013 gegen ihn vor wegen Betrugsversuchs und Irreführung der Rechtspflege. Offenbar hätten weder die strafrechtlichen Verurteilungen noch die Führerausweisentzüge Eindruck beim Beschwerdeführer hinterlassen. Während der noch laufenden Probezeit (und nur wenige Monate nach seiner letzten strafrechtlichen Verurteilung) sei er am 16. Juli 2013 erneut mit massiv übersetzter Geschwindigkeit (151 km/h anstatt höchstens 80 km/h ausserorts) gefahren. Unerheblich sei dabei, dass er die früheren Straftaten mit einem anderen Motorrad bzw. mit einem Personenwagen verübt habe. Beim aktuellen Verfahrensstand erscheine es hinreichend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer mit dem beschlagnahmten Motorrad die Sicherheit von Menschen erneut gefährden könnte.
4.3.2
Diese Erwägungen halten vor dem Bundesrecht stand. Daran ändern auch die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers nichts, die Geschwindigkeitsübertretung sei auf eine "kurze Unachtsamkeit" zurückzuführen, und nicht jedes leistungsstarke Motorrad stelle einen gefährlichen Gegenstand dar. Auch aus
Art. 90a Abs. 1
lit
.
b
SVG
ergibt sich demnach kein Beschlagnahmehindernis.
4.4
Nach dem Gesagten erscheint es im vorliegenden Fall durchaus möglich, dass der Strafrichter die materiellen Einziehungsvoraussetzungen (von
Art. 90a Abs. 1 lit. a und b SVG
) als erfüllt ansehen könnte. Zu prüfen bleibt noch, ob die verfügte Einziehungsbeschlagnahme
verhältnismässig
ist (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Abs. 2 i.V.m.
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
;
BGE 139 IV 250
E. 2.4 S. 255;
BGE 137 IV 249
E. 4.5 S. 256 f.). Wie bereits dargelegt, kann eine provisorische Sicherungs-Beschlagnahme auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Dritten zulässig sein (vgl. Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO), wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die vorläufige prozessuale Zwangsmassnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (vgl. oben, E. 3.5).
4.4.1
Die Vorinstanz erwägt in diesem Zusammenhang Folgendes: Dem Beschwerdeführer sei (nach dem Vorfall vom 16. Juli 2013) der Führerausweis vorsorglich entzogen worden. Er habe (im ausstehenden Administrativverfahren) damit zu rechnen, dass der Ausweis für
BGE 140 IV 133 S. 141
mindestens zwei Jahre entzogen bleibt. Damit dürfe er vorläufig ohnehin kein Motorfahrzeug lenken. Weder der Führerausweisentzug noch der Umstand, dass das Motorrad geleast sei, bildeten im vorliegenden Fall Beschlagnahmehindernisse. Es seien im Untersuchungsverfahren Abklärungen der Staatsanwaltschaft bei der Leasinggeberin hängig, inwiefern diese Gewähr dafür bieten könnte, dass das beschlagnahmte Motorrad nicht erneut in den Besitz des Beschwerdeführers gelangen könnte. Es sei davon auszugehen, dass sich die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang der Notwendigkeit einer "beförderlichen Verfahrensführung" bewusst sei. Die vorläufige Zwangsmassnahme erweise sich derzeit als notwendig, um die Gefährdung der Sicherheit von Menschen abzuwehren. Mildere Massnahmen seien nicht zielführend. Dies gelte insbesondere für den Vorschlag des Beschwerdeführers, das Fahrzeug sei an seinen Schwager auszuhändigen. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte "ideelle Beziehung" zu seinem Motorrad ändere daran nichts.
4.4.2
Der Beschwerdeführer legt in diesem Zusammenhang u.a. Folgendes dar: Zwar werde er (nach dem erfolgten vorsorglichen Führerausweisentzug) es nicht riskieren, ohne Ausweis zu fahren. Dennoch stehe ihm die Möglichkeit offen, bei einer anderen Leasinggesellschaft einen Leasingvertrag (für ein ähnliches Motorrad) abzuschliessen. Die Beschlagnahme sei daher sachlich nicht dazu geeignet, künftige Geschwindigkeitsübertretungen zu verhindern. Im Eigentum eines Dritten stehende Gegenstände dürften überdies nicht (bzw. nur unter den Voraussetzungen von
Art. 70 Abs. 2 StGB
) eingezogen werden.
4.4.3
Der Beschwerdeführer macht selber ausdrücklich geltend, dass er seit März 2011 "faktisch wie ein Eigentümer" über das geleaste Motorrad verfügt habe und dieses auch weiterhin benutzen wolle. Er habe es selber lackiert, und es verbinde ihn eine besondere "ideelle Beziehung" mit dem Fahrzeug. Allein dessen Anblick erfreue ihn. Als Folge der Beschlagnahme sei er psychisch angeschlagen und zu 100 % arbeitsunfähig geworden. Im Falle einer Aufhebung der Zwangsmassnahme bestehe die Möglichkeit, dass der Leasingvertrag "weiter läuft". Gegen die Kündigung des Leasingvertrages werde er sich zur Wehr setzen. Den Leasingzins bezahle er weiterhin. Bei dieser Sachlage hält die Einschätzung der Vorinstanz, es bestehe derzeit die Gefahr, dass das geleaste Motorrad wieder in die Hände des Beschwerdeführers gelangen könnte, und das Fahrzeug sei (schon angesichts seines besonderen Affektionswertes für den
BGE 140 IV 133 S. 142
Beschwerdeführer) auch nicht ohne Weiteres und rasch durch ein anderes substituierbar, vor dem Bundesrecht stand (vgl.
BGE 137 IV 249
E. 4.5.2 S. 257). Die Aufrechterhaltung der vorläufigen Beschlagnahme erscheint im jetzigen Verfahrensstadium sachlich geeignet, weitere grobe (oder gar qualifiziert grobe) Verkehrsregelverletzungen durch den Beschwerdeführer zumindest zu verzögern oder zu erschweren. Die Voraussetzungen einer Beschlagnahme im Hinblick auf eine Ausgleichseinziehung von Vermögenswerten (
Art. 70 Abs. 2 StGB
; vgl. Urteil 1B_300/2013 vom 14. April 2014 E. 5.2) sind hier nicht zu prüfen.
4.5
Die verfügte Beschlagnahme im Hinblick auf eine mögliche richterliche Sicherungseinziehung (
Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
i.V.m.
Art. 90a Abs. 1 SVG
) erweist sich als bundesrechtskonform. Es braucht nicht geprüft zu werden, ob neben der Einziehungsbeschlagnahme zusätzlich auch noch die Voraussetzungen einer Kostendeckungs- (Art. 263 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 268 StPO
) und/oder einer Beweismittelbeschlagnahme (
Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
) erfüllt wären.
4.6
Die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers haben im genannten Zusammenhang keine über das bereits Dargelege hinausgehende selbstständige Bedeutung, soweit überhaupt zulässige Rügen ausreichend substanziiert werden (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 i.V.m.
Art. 95,
Art. 97 Abs. 1 und
Art. 106 Abs. 2 BGG
). Nicht eingetreten werden kann insbesondere auf die Rüge, die Vorinstanz habe im Untersuchungs- und Beschwerdeverfahren
Art. 389 Abs. 2 lit. b StPO
"krass verletzt". Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern diese Bestimmung (welche sich auf Ergänzungen von Beweiserhebungen des erstinstanzlichen Strafgerichtes im Haupt- und anschliessenden Rechtsmittelverfahren bezieht) hier anwendbar und verletzt sein sollte. Auch eine Verletzung der richterlichen Begründungspflicht ist nicht ersichtlich. Insbesondere musste sich die Anklagekammer nicht mit den (offensichtlich unzutreffenden) Einwänden ausdrücklich auseinandersetzen, die Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz seien nicht zuständig gewesen, über die streitige Einziehungsbeschlagnahme zu entscheiden, und es seien die Einziehungsvoraussetzungen von
Art. 70 Abs. 2 StGB
zu prüfen. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc3eed47-bcd5-4952-956a-5f88f124f91a | Urteilskopf
81 II 475
74. Arrêt de la Ire Cour civile du 26 octobre 1955 dans la cause Finger contre Lamalex SA | Regeste
Revision,
Art. 137 lit. a OG
.
1. Zulässigkeit (Erw. 1).
2. Es genügt, dass die strafbare Handlung die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Entscheids beeinflusst hat (Erw. 2 a).
3. Voraussetzungen, unter denen die Revisionsinstanz selber über das Vorliegen einer strafbaren Handlung entscheiden kann (Erw. 2 b). | Sachverhalt
ab Seite 476
BGE 81 II 475 S. 476
A.-
En décembre 1948, Lamalex SA, représentée par son administrateur Bertet, a acheté à Max Finger 250 douzaines de paires de bas, pour le prix de 11 387 fr. 50. Ce montant fut payé immédiatement, mais le vendeur ne livra pas la marchandise conformément au contrat.
B.-
Le 27 juin 1949, Lamalex SA assigna Finger devant le Tribunal de première instance du canton de Genève en restitution des 11 387 fr. 50 qu'elle avait versés et en paiement de 2500 fr. à titre de dommagesintérêts.
Le défendeur conclut au rejet de l'action. Il alléguait notamment que tous ses rapports avec Lamalex SA avaient été l'objet, le 1er mars 1949, d'un règlement de compte et que, dès cette date, les parties n'avaient plus aucune obligation l'une envers l'autre. Il prétendait au surplus que la réclamation de la demanderesse se heurtait aux art. 20 et 66 CO.
Entendu comme témoin, Bertet reconnut avoir reçu 700 fr. de Finger le 1er mars 1949, mais il affirma que ce versement ne concernait en rien l'affaire des bas et n'avait nullement été fait pour solde de tout compte.
Statuant en seconde instance le 27 janvier 1953, la Cour de justice du canton de Genève admit l'action. Elle considéra notamment que le défendeur n'avait pas prouvé l'existence du règlement de compte du 1er mars 1949 et n'avait même pas établi que le versement de 700 fr. concernât l'affaire des bas.
Finger forma contre cet arrêt un recours en réforme au Tribunal fédéral. Il admit n'avoir pu prouver que les parties eussent réglé leurs comptes le 1er mars 1949 et il déclara qu'il renonçait dès lors à faire valoir ce moyen devant la juridiction de réforme. Mais il persista à affirmer que les art. 20 et 66 CO étaient applicables et que, par conséquent, Lamalex SA ne pouvait prétendre ni à la restitution du montant versé ni à des dommages-intérêts.
Le Tribunal fédéral rejeta le recours par arrêt du 1er février 1954, notifié aux parties le 12 avril.
C.-
Entre temps, savoir le 19 mars 1953, Finger
BGE 81 II 475 S. 477
avait déposé une plainte pénale contre Bertet. Il l'accusait d'avoir fait un faux témoignage en contestant le règlement pour solde de compte opéré prétendument le 1er mars 1949. Une information fut ouverte et le juge d'instruction entendit notamment divers témoins. Mais, par décision du 3 décembre 1954, le Procureur général ordonna le classement de la procédure, attendu que celle-ci n'avait pas établi d'indices suffisants de culpabilité à la charge de Bertet.
D.-
Finger a déposé, le 26 février 1955, une demande de revision où il conclut à ce que le Tribunal fédéral annule son arrêt du 1er février 1954 et, statuant à nouveau, déboute Lamalex SA de ses conclusions. Il fonde cette demande sur l'art. 137 litt. a OJ. A son avis, les témoignages recueillis dans l'enquête pénale, rapprochés des preuves administrées dans les procédures civiles, établissent que Bertet a commis un faux témoignage lorsqu'il a affirmé que le montant de 700 fr. n'avait pas été versé, le 1er mars 1949, pour solde de tout compte.
Lamalex SA conclut à ce que la demande de revision soit déclarée irrecevable et, subsidiairement, à ce qu'elle soit rejetée.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Lamalex SA soutient que Finger n'a pas établi l'existence d'un faux témoignage à la charge de Bertet. Dès lors, dit-elle, il invoque un simple fait, savoir le règlement de compte qui serait intervenu le 1er mars 1949; en réalité, la demande de revision est donc fondée sur l'art. 137 litt. b OJ; mais, comme Finger connaissait ce fait depuis longtemps, il aurait dû présenter sa demande dans les 90 jours dès la communication écrite de l'arrêt du Tribunal fédéral (art. 141 litt. b OJ); cette condition n'étant pas remplie, la demande de revision est irrecevable.
Ce raisonnement confond la forme et le fond. Certes, à lire la version française des art. 136 et 137 OJ, on pourrait croire que les motifs de revision sont des conditions de recevabilité de la demande. Mais ce texte, qui ne correspond
BGE 81 II 475 S. 478
pas exactement, du reste, à la version allemande, est imprécis et ne saurait être interprété littéralement. Il est évident, en effet, que si l'un des motifs énumérés aux art. 136 et 137 OJ est donné, la demande de revision doit être admise au fond; elle n'est pas seulement recevable. Pour que le Tribunal fédéral puisse connaître d'une demande fondée sur l'art. 137 litt. a OJ, il n'est donc pas nécessaire que les conditions exigées par cette disposition soient remplies. Il suffit que le requérant le prétende et que, pour le reste, la demande de revision satisfasse aux conditions de recevabilité requises par la loi (cf. notamment art. 140 et 141 OJ).
C'est le cas en l'espèce. Finger soutient que l'arrêt du 1er février 1954 a été influencé à son détriment par un faux témoignage qu'a établi l'action pénale intentée à Bertet. En outre, il est constant que les autres conditions de recevabilité sont remplies. En particulier, la demande de revision a été présentée, conformément à l'art. 141 litt. b OJ, dans les 90 jours qui ont suivi la communication écrite de la clôture de la procédure pénale. Dès lors, le Tribunal fédéral peut entrer en matière.
2.
a) Le faux témoignage allégué par Finger n'a pu influencer immédiatement que les constatations de fait du jugement cantonal. Mais elles liaient la juridiction de réforme. Si cette infraction a été commise, elle a donc exercé une action indirecte sur l'arrêt fédéral. Cela suffit pour qu'il ait été influencé selon l'art. 137 litt. a OJ (RO 25 II 691 consid. 2, 60 II 357). En outre, cette action eût été défavorable au requérant, puisque la demande de Lamalex SA aurait dû être rejetée si le règlement de compte invoqué par lui avait été établi.
b) En l'espèce, l'action pénale était possible. Aussi bien la plainte de Finger a-t-elle donné lieu à une procédure pénale, dans laquelle toutes les preuves pertinentes ont pu être administrées. Selon l'art. 137 litt. a OJ, le faux témoignage allégué ne peut donc être établi que par cette procédure elle-même.
BGE 81 II 475 S. 479
Cependant, d'après cette disposition, on peut admettre l'existence de l'infraction même si son auteur n'a pas été condamné. Finger semble en déduire que le Tribunal fédéral, lorsqu'il est saisi d'une demande de revision fondée sur l'art. 137 litt. a OJ, doit toujours apprécier les preuves administrées dans la procédure pénale et juger librement si l'infraction alléguée a été commise. Cette opinion est erronée. En principe, le juge de la revision est lié sur ce point par la sentence de l'autorité de répression (cf. RO 59 II 194, 64 II 44 consid. 2). L'examen du juge civil n'est libre que si la juridiction pénale n'a pu se prononcer sur la commission même de l'infraction, lorsque, par exemple, l'inculpé est décédé ou est devenu incapable de discernement avant le jugement (cf. message du Conseil fédéral du 9 février 1943, FF 1943 I p. 157). En revanche, si l'autorité de répression a jugé, soit par un non-lieu, soit par un prononcé d'acquittement, que les éléments de l'infraction n'étaient pas réunis, cette décision ne peut être revue par le Tribunal fédéral.
Par son ordonnance de classement du 3 décembre 1954, le Procureur général a prononcé que le faux témoignage dont Bertet était accusé n'était pas suffisamment établi pour qu'on pût le retenir. Ainsi, la procédure pénale n'a pas prouvé que l'arrêt du Tribunal fédéral du 1er février 1954 eût été influencé par un crime ou un délit au détriment de Finger. Les conditions de l'art. 137 litt. a OJ n'étant dès lors pas remplies, la demande de revision doit être rejetée.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
La demande de revision est rejetée. | public_law | nan | fr | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc41670e-d582-4c24-8592-b21bf470b9ba | Urteilskopf
86 II 99
17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Mai 1960 i.S. Hagmann gegen J. Krausz'Wwe. & A. Glatz. | Regeste
Art. 2 Abs. 2 ZGB
, Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 2 HRAG.
Rechtsmissbräuchliche Einwendung, die Vereinbarung über die Abweichung von einer nicht zwingenden Bestimmung des HRAG sei nicht schriftlich getroffen worden. | Sachverhalt
ab Seite 100
BGE 86 II 99 S. 100
Hagmann stand erstmals von Anfang 1950 bis im März 1951 als Handelsreisender im Dienste von J. Krausz'Wwe. Diese verkaufte ihm am 17. Juni 1950 unter Vorbehalt des Eigentums einen Motorwagen, den er für seine Reisetätigkeit benötigte, und vereinbarte mit ihm, er habe alle den Wagen betreffenden Lasten zu tragen. Als das Anstellungsverhältnis aufgelöst wurde, zahlte Hagmann den Rest des Kaufpreises für den Wagen.
Durch Vertrag vom 15. August 1952 ging Hagmann mit J. Krausz'Wwe. ein am 1. September 1952 beginnendes neues Anstellungsverhältnis als Handelsreisender ein, das in der Folge mit ihrer Rechtsnachfolgerin, der Kollektivgesellschaft J. Krausz'Wwe. & A. Glatz, fortgesetzt wurde. Hagmann übte die Reisetätigkeit anfänglich mit dem Motorwagen aus, den er der Arbeitgeberin im Jahre 1950 abgekauft hatte. Am 17. September 1956 verkaufte diese ihm unter Eigentumsvorbehalt einen anderen Wagen. Die Vertragschliessenden vereinbarten: "Sämtliche Lasten, den Wagen betreffend, insbesondere auch Reparaturen, gehen auf Kosten des Herrn Hagmann."
Die Arbeitgeberin kündete das Anstellungsverhältnis auf 30. September 1957 und klagte auf Herausgabe des Motorwagens und Rückzahlung von Vorschüssen. Hagmann stellte durch Widerklage Gegenforderungen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Stellt der Reisende selbst ein Motorfahrzeug für die Ausübung seiner Reisetätigkeit, so hat ihm der Dienstherr nach Massgabe des Gebrauchs für die Reisetätigkeit die öffentlichen Abgaben für das Fahrzeug und die Prämien
BGE 86 II 99 S. 101
für die Haftpflichtversicherung zu vergüten und ihn für die Abnutzung des Fahrzeuges angemessen zu entschädigen (Art. 14 Abs. 2 HRAG). Diese Bestimmung ist nicht zwingend (Art. 19 HRAG), doch kann nur durch schriftliche Abrede von ihr abgewichen werden (Art. 3 Abs. 2 und 3 HRAG). Der Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, eine solche Abrede liege für die Zeit vom 1. September 1952 bis 17. September 1956 nicht vor; der Kaufvertrag vom 17. Juni 1950 dürfe nicht herangezogen werden. Er fordert daher von der Klägerin Ersatz für die Verkehrssteuern, die Gebühren für den Führerausweis, die Prämien für Unfall-, Haftpflicht- und Kaskoversicherungen und die Verbandsbeiträge, ferner Entschädigung für Verzinsung und Abschreibung.
Das Obergericht ist der Auffassung, die Übereinstimmung der Bestimmungen über die Tragung der Lasten der Motorwagen in den Kaufverträgen vom 17. Juni 1950 und 17. September 1956 zwinge zur Annahme, die Parteien hätten für die ganze Dauer des Dienstverhältnisses vereinbart, der Beklagte übernehme diese Lasten. Darin liegt die tatsächliche und für das Bundesgericht verbindliche Feststellung, dass dies der Wille der Klägerin wie auch des Beklagten war. Ob die Parteien ihn ausdrücklich oder nur stillschweigend äusserten, kann dahingestellt bleiben. Eine stillschweigende Äusserung genügte (
Art. 1 Abs. 2 OR
) und lag jedenfalls darin, dass der Beklagte die erwähnten Lasten tatsächlich trug und von der Klägerin dafür auch anlässlich des Abschlusses des zweiten Kaufvertrages nicht Ersatz verlangte.
Die auf mündlichen oder stillschweigenden Willensäusserungen beruhende Einigung darüber, dass die im Kaufvertrag vom 17. Juni 1950 schriftlich getroffene Abrede auch im neuen Dienstverhältnis gelten solle, erfüllt die Merkmale der Schriftlichkeit nicht, wie Art. 3 Abs. 2 HRAG sie verlangt. Denn die Abrede, die materiell nicht Bestandteil des Kaufes, sondern des Anstellungsvertrages bildete, war im März 1951 mit dessen Beendigung dahingefallen
BGE 86 II 99 S. 102
und wirkte daher nicht mehr nach; es bedurfte eines neuen Vertrages, um sie wieder in Kraft zu setzen.
Die Berufung auf den Formmangel ist jedoch offenbarer Missbrauch des Rechts und daher nicht zu schützen (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
). Der Beklagte verlangte während des Dienstverhältnisses nie Ersatz der festen Unkosten seines Wagens, sondern trug sie stets selber. Ab 1. Januar 1955 anerkannte er auf den Abrechnungen der Klägerin schriftlich deren Richtigkeit. Am 17. September 1956 unterzeichnete er schliesslich eine Klausel, die sich mit derjenigen vom 17. Juni 1950 deckte und dem bisherigen Willen und Verhalten der Parteien entsprach. Angesichts dieser Handhabung des Vertrages im Sinne der getroffenen Vereinbarung und ihrer späteren schriftlichen Erneuerung widerspricht es Treu und Glauben, den Formmangel geltend zu machen (vgl.
BGE 72 II 41
ff.,
BGE 78 II 227
). Der Beklagte hätte sich sagen sollen, dass die Klägerin allenfalls das Anstellungsverhältnis auflösen würde, wenn sie wüsste, dass er ihr unter Berufung auf Formmangel Lasten aufbürden wolle, die er übernommen hatte und die sie nicht glaubte tragen zu müssen. Das verpflichtete ihn, zu reden. Der Fall unterscheidet sich von dem in
BGE 81 II 627
ff. veröffentlichten, wo das Bundesgericht es nicht als rechtsmissbräuchlich erachtete, dass der Handelsreisende nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses Ersatz von Auslagen verlangte, der ihm nicht versprochen worden war. Dort berief sich der Reisende auf Bestimmungen, die, wie der Dienstherr wissen musste, durch Vertrag weder ausgeschlossen noch zu Ungunsten des Reisenden abgeändert werden konnten. Hier dagegen stand es dem Beklagten frei, die streitigen Kosten zu übernehmen, hat er das tatsächlich getan und frägt es sich nur, ob es sich mit Treu und Glauben vertrage, dass er sich nachträglich auf die Nichtverurkundung der Abrede beruft. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc42e407-2c32-4e14-97e9-1edeb7fcf395 | Urteilskopf
109 II 8
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. März 1983 i.S. A. (Berufung) | Regeste
Entmündigung wegen Freiheitsstrafe (
Art. 371 ZGB
).
Art. 371 ZGB
ist als eine Schutznorm zu betrachten, die einen Eingriff in die persönliche Freiheit nur dann zu rechtfertigen vermag, wenn ein ernsthaftes Schutzbedürfnis tatsächlich feststeht (Präzisierung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 8
BGE 109 II 8 S. 8
Am 23. Juni 1981 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt A. wegen gewerbsmässiger Hehlerei, qualifizierten Diebstahls, versuchten und vollendeten Betrugs, wiederholter und fortgesetzter Urkundenfälschung, Sachbeschädigung, fahrlässiger Tötung, versuchter Erschleichung einer falschen Beurkundung, Fälschen von Ausweisen, wiederholter Anstiftung zu Begünstigung, versuchter Anstiftung zu Begünstigung und versuchter Anstiftung zu falschem Zeugnis zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und zu einer Busse von Fr. 12'000.--. Dazu hat A. Strafen von insgesamt einem Jahr und 27 Tagen, deren bedingter Vollzug widerrufen wurde, zu verbüssen. Das Ende dieser Strafen wird auf den 19. April 1984 fallen.
BGE 109 II 8 S. 9
Die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt stellte A. am 30. September 1981 in Anwendung von
Art. 371 ZGB
unter Vormundschaft und ernannte einen Amtsvormund zum Vormund. Dieser sollte die persönlichen und finanziellen Interessen seines Schutzbefohlenen wahren.
Mit Entscheid vom 24. Juni 1982 wies das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt, als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, einen Rekurs von A. gegen die Anordnung der Vormundschaft ab. Ein dagegen von A. erhobener Rekurs wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 1. Dezember 1982 abgewiesen.
Mit Berufung ans Bundesgericht verlangt A. die Aufhebung dieses Urteils, die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und das Bestellen eines Armenanwalts.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Nach
Art. 371 Abs. 1 ZGB
gehört jede mündige Person unter Vormundschaft, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden ist. Einzige Voraussetzung der Entmündigung gemäss dieser Bestimmung ist somit die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von bestimmter Mindestdauer, wobei nach der Rechtsprechung massgebend ist, ob bei Strafantritt noch eine Strafzeit von mindestens einem Jahr zu verbüssen blieb. Anders als bei den andern Entmündigungsgründen ist demnach der Nachweis eines besonderen Schutzbedürfnisses des zu Bevormundenden oder anderer Personen nicht erforderlich. Das Gesetz erblickt in der Haft selbst die Unfähigkeit zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten (
BGE 104 II 12
mit Verweisen). Dementsprechend hört die Vormundschaft mit der Beendigung der Haft auch wieder auf (
Art. 432 Abs. 1 ZGB
). Hingegen ist die zeitweilige oder bedingte Entlassung noch kein Grund für die Beendigung der Vormundschaft (
Art. 432 Abs. 2 ZGB
).
b) Mit seiner Berufung macht A. geltend,
Art. 371 ZGB
schreibe entgegen seinem strengeren Wortlaut nicht bei jeder Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr eine Entmündigung vor. Nach dem Sinn dieser Gesetzesbestimmung sei vielmehr bloss von einer widerlegbaren Vermutung der Unfähigkeit des Strafverbüssenden zur Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten auszugehen. Ein Gegenbeweis, dass im Einzelfall die besondere, vom Gesetz im Sinne einer Tatsache vermutete Schutzbedürftigkeit nicht vorhanden
BGE 109 II 8 S. 10
sei, müsse daher zugelassen werden. So sprächen die Zürcher Behörden Entmündigungen gestützt auf
Art. 371 ZGB
nur noch aus, wenn es aus fürsorgerischen und andern sachlichen Gründen als gerechtfertigt erscheine (Rundschreiben der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 14. März 1972, veröffentlicht in SJZ 68/1972 S. 129 ff.). In seinem Fall fehle es an der Voraussetzung der Schutzbedürftigkeit, weil er selber in der Lage sei, alle seine Geschäfte zu erledigen und seine Interessen zu wahren. Deshalb müsse von einer Entmündigung abgesehen werden.
2.
In der weitgehend übereinstimmenden Lehre wird mit beachtenswerten Gründen die Meinung vertreten, der Strafvollzug ganz allgemein und der heutige Strafvollzug mit verschiedenen Formen des Übergangs in die Freiheit im besonderen sei nicht schon allein hinreichender Nachweis für die Unfähigkeit des Strafverbüssenden, seine Angelegenheiten selber zu besorgen (vgl. die in
BGE 104 II 12
aufgeführte Literatur; seither der umfassende Überblick über die Lehre bei SCHNYDER/MURER, Komm. zu
Art. 371 ZGB
; RIEMER, Grundriss des Vormundschaftsrechts, Bern 1981, S. 52 f.; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, Bern 1980, S. 50 f.; HAUSHEER in ZBJV 116, 1980, S. 117 f.). Oft seien gar keine besonderen Angelegenheiten zu betreuen oder sie könnten ebensogut von Angehörigen oder von einem Beistand beziehungsweise Beirat erledigt werden. Zudem würden auch der offene Strafvollzug gemäss
Art. 37 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
und die bedingte Entlassung mehr Möglichkeiten belassen, eigene Interessen zu wahren. Nach der bedingten Entlassung sorge die Schutzaufsicht für die finanzielle und persönliche Betreuung. Diese vermöge eine wirksamere Hilfe für eine erfolgversprechende Resozialisierung anzubieten als die Vormundschaft. Während der Strafverbüssung in einer Anstalt sei auch zu beachten, dass die anstaltsinterne Fürsorge beachtliche Fortschritte gemacht habe. Soweit aber schon der Strafvollzug selber und eine entsprechende Nachbetreuung jene Bedürfnisse finanzieller und persönlicher Art abzudecken vermöchten, die der Gesetzgeber mit einer Vormundschaft gemäss
Art. 371 ZGB
berücksichtigen wollte, gebiete der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, beziehungsweise das Verbot einer missbräuchlichen Rechtsanwendung durch den Staat (SCHNYDER/MURER, N. 37 ff. zu
Art. 371 ZGB
) und der Grundsatz der verfassungsmässigen Auslegung von Bundesprivatrecht, wonach in die durch die Verfassung geschützte persönliche Freiheit durch das Bundesprivatrecht nur möglichst
BGE 109 II 8 S. 11
schonend eingegriffen werden darf (HAUSHEER, a.a.O., S. 118), dass von einer Bevormundung abgesehen werde.
3.
Das Bundesgericht hat sich dieser Kritik nicht verschlossen und sich mehrmals mit der Frage der Relativierung des Entmündigungsgrundes der Freiheitsstrafe auseinandergesetzt (vgl. die in
BGE 104 II 12
E. 3 dargestellte Entwicklung der Rechtsprechung). In diesem Entscheid (E. 4) hat es in Aussicht genommen, im Sinne der Auffassung Eggers (N. 8-11 zu
Art. 371 ZGB
) und ähnlich der Relativierung des Scheidungsgrundes des Ehebruchs (
BGE 98 II 161
ff. E. 4b) in
Art. 371 ZGB
bloss eine widerlegbare Vermutung zu erblicken und den Gegenbeweis zuzulassen, dass im konkreten Fall die persönliche Fürsorge und die Wahrung der Vermögensinteressen des Verurteilten ausser Betracht fallen. Indessen könne nur in ausserordentlichen Fällen angenommen werden, dieser Gegenbeweis sei erbracht.
An dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten. Immerhin ist es, angesichts der Entwicklungen im modernen Strafvollzug und dessen Resozialisierungszweck, gerechtfertigt, die Anforderungen an den vom Verurteilten zu leistenden Gegenbeweis zu lockern.
Art. 371 ZGB
ist als eine Schutznorm zu betrachten, die ähnlich wie die Entmündigungsgründe der
Art. 369 und 370 ZGB
einen Eingriff in die persönliche Freiheit nur dann zu rechtfertigen vermag, wenn ein ernsthaftes Schutzbedürfnis tatsächlich feststeht (MURER, Die Entmündigung wegen Freiheitsstrafe, Diss. Freiburg 1972, S. 98). Sinn und Grund der vormundschaftlichen Massnahme nach
Art. 371 ZGB
liegen nämlich - wie die Rechtsprechung des Bundesgerichts schon bisher festgehalten hat - eben nicht in der Verurteilung von einer bestimmten Schwere, sondern in der mit Freiheitsentzug verbundenen Behinderung des Inhaftierten in der Wahrung seiner Interessen (
BGE 104 II 12
,
BGE 75 II 29
,
BGE 62 II 69
).
4.
a) Die Vorinstanz führte daher zu Recht aus, es sei im vorliegenden Fall zu prüfen, ob A. den Nachweis erbracht habe, dass er keiner persönlichen Fürsorge und Hilfe bei der Wahrung seiner Interessen bedürfe. Sie verneinte diese Frage. Aus dem Strafurteil vom 23. Juni 1981 gehe zwar hervor, dass A. kühl und berechnend seine Vorteile wahrnehme, sich dabei aber um die Schranken der Rechtsordnung nicht kümmere. Er habe zudem nie den Anschein erweckt, er wolle nun ein für allemal unter seine kriminelle Vergangenheit einen Schlussstrich ziehen. Vielmehr fühle er sich in seiner Rolle als Rechtsbrecher wohl. Das lasse auf einen wenig gefestigten Charakter schliessen. Auch die Leitung der
BGE 109 II 8 S. 12
interkantonalen Strafanstalt Bostadel vertrete die Meinung, A. bedürfe aufgrund seiner Vorstrafen tatsächlich einer Kontrolle. Eine Vormundschaft sei aber nur gerechtfertigt, wenn die Aufsicht spürbar, ja fast ausserordentlich sei. Im übrigen seien auch die persönlichen Verhältnisse von A. zur Zeit ungeklärt. Er wolle sich zu einem diplomierten Verkaufsleiter ausbilden lassen und schon in der unmittelbar bevorstehenden - und inzwischen eingetretenen - Halbfreiheit als selbständiger Verkaufs- oder Vermittlungsagent für einen neuen Arbeitgeber tätig werden. Ob aber eine solche mit viel Eigenverantwortung verbundene Berufstätigkeit, die ihn auch mit einem grösseren und auf Vertrauen zählenden Publikum in Verbindung bringe, für A. angesichts seiner kriminellen Vergangenheit gerade das Richtige sei, sei mindestens fraglich. Auch in diesem Zusammenhang könne ein Vormund für A. von Vorteil sein. Dieser könne schliesslich auch dort dem Bevormundeten seine Hilfe angedeihen lassen, wo es gelte, die noch von der ursprünglichen Deliktsumme von Fr. 150'000.-- verbleibenden Fr. 70'000.-- an Schulden zu tilgen.
b) Keine dieser Überlegungen der Vorinstanz steht indessen in einem unmittelbaren Bezug zur gesetzgeberischen Absicht in
Art. 371 ZGB
, dem Strafverbüssenden Hilfe anzubieten, derer er wegen des Freiheitsentzuges bedarf. Mit der Vormundschaft soll vielmehr eine Charakterschwäche überwunden werden, die eine nach den bisherigen Erfahrungen besonders ausgeprägte Rückfallgefahr darstellt. Zudem geht es auch darum, den finanziellen Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit dem bisherigen kriminellen Verhalten entstanden sind, zu begegnen. Was die letzteren betrifft, äussert sich die Vorinstanz nicht dazu, inwieweit diese Hilfe nicht auch durch eine weniger einschneidende Massnahme als die Entmündigung - etwa durch die Anstaltsfürsorge oder die Schutzaufsicht im Falle der bedingten Entlassung - gewährleistet werden könnte. Nicht weiter geprüft wurde auch die Möglichkeit einer Beirat- oder Beistandschaft. Ob allenfalls die bei A. festgestellte Charakterschwäche und die damit verbundene Rückfallgefahr zu einer Entmündigung aus einem andern Grund als gestützt auf
Art. 371 ZGB
führen können, wenn der Schutz des wiederholt Straffälligen vor sich selbst und vor Dritten dies erfordert (
BGE 97 II 302
, 85 II 457), hat das Bundesgericht nicht weiter zu prüfen.
c) A. legt seinerseits überzeugend dar, dass er durch sein Bemühen um die Ausbildung zum eidgenössisch diplomierten Verkaufsleiter und vor allem dadurch, dass er aus eigener Anstrengung
BGE 109 II 8 S. 13
Arbeit fand, seine Selbständigkeit unter Beweis gestellt habe. Bei der Agententätigkeit für die Firma B. AG handelt es sich um eine anspruchsvolle Arbeit, die ein grosses Mass an Verantwortung mit sich bringt und zu einer Vielzahl von selbständig abzuschliessenden Rechtsgeschäften führt. Die Vorinstanz bestreitet die Fähigkeit von A. nicht, den Anforderungen dieses Berufes zu genügen. Sie meldet nur Bedenken an, gerade weil die Tätigkeit eines selbständigen Agenten für die zur Hochstapelei und entsprechenden Vermögensdelikten neigende Persönlichkeit von A. eine erhebliche Rückfallgefahr darstelle. Lassen aber sowohl die persönliche Befähigung als auch der Strafvollzug, vor allem mit Rücksicht auf die sogenannte Halbfreiheit, eine hinreichende Wahrung der eigenen Interessen zu, verstösst eine Entmündigung gegen
Art. 371 ZGB
.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist A. gestützt auf
Art. 152 OG
die unentgeltliche Prozessführung zuzubilligen. Angesichts der noch bestehenden Schulden und der Anlaufschwierigkeiten beim Erzielen eines Erwerbseinkommens auf der Grundlage eines Agenturvertrages ist die Bedürftigkeit als erwiesen zu betrachten. Es rechtfertigt sich auch, A. einen Rechtsanwalt beizugeben.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen und das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 1. Dezember 1982 sowie die Vormundschaft über den Berufungskläger werden aufgehoben. | public_law | nan | de | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc43426e-7bd6-4219-bb0b-2e8be36b43fd | Urteilskopf
140 III 12
3. Auszug aus der Verfügung der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Y. Versicherung AG (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_589/2013 vom 16. Januar 2014 | Regeste
Art. 29 Abs. 3 BV
;
Art. 117 ZPO
;
Art. 64 BGG
;
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
; unentgeltliche Rechtspflege; vorsorgliche Beweisführung.
In einem Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zwecks Abklärung der Prozessaussichten besteht kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (E. 3.3 und 3.4). | Erwägungen
ab Seite 12
BGE 140 III 12 S. 12
Aus den Erwägungen:
3.
3.3
Die Beschwerdeführerin begehrt die unentgeltliche Rechtspflege für eine vorsorgliche Beweisführung gemäss
Art. 158 ZPO
. Sie weist für die Streitwertberechnung zutreffend darauf hin, dass die mutmasslichen Begehren im Hauptprozess massgebend sind. Allgemein beurteilt sich nach den mutmasslichen Begehren im Hauptprozess, ob das vorsorglich beantragte Beweismittel eine erhebliche Tatsache betrifft und zum Beweis dieser Tatsache tauglich ist. Die vorsorgliche Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
ist nur als Hilfsverfahren für ein beabsichtigtes Hauptverfahren zulässig, weshalb die gesuchstellende Partei ihre Rechtsbegehren zu bezeichnen hat, die sie im Hauptprozess aufgrund eines schlüssig und substanziiert behaupteten Lebenssachverhalts einzuklagen gedenkt (vgl.
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 81;
BGE 140 III 16
E. 2.2.2). Die mutmasslichen Begehren im Hauptprozess sind auch massgebend für die Erfolgsaussichten, von deren Beurteilung die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abhängt.
BGE 140 III 12 S. 13
3.3.1
Art. 29 Abs. 3 BV
und dementsprechend
Art. 117 ff. ZPO
dienen dem Zugang zum Gericht. Mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach
Art. 29 Abs. 3 BV
soll eine nicht über genügend finanzielle Mittel verfügende Partei in den Stand versetzt werden, zur Durchsetzung ihrer Rechte einen Prozess zu führen, und es soll ihr, gleich wie einer vermögenden Partei, der Zugang zum Gericht ungeachtet ihrer Bedürftigkeit möglich sein. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich darauf, den Einzelnen dann zu unterstützen, wenn er ohne diese Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Der Anspruch besteht deshalb in der Regel nicht in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, weil derartige Nachteile in der Regel nicht bereits dann unmittelbar drohen, wenn eine Norm erlassen wird; erst die Anwendung einer Norm im Einzelfall führt zu einem massgeblichen Eingriff in Rechte, und es genügt, wenn einer betroffenen bedürftigen Partei die unentgeltliche Prozessführung in jenem Zeitpunkt bewilligt wird (
BGE 139 I 138
E. 4.2 mit Hinweisen).
3.3.2
Das Bundesgericht hat aus demselben Grund etwa auch abgelehnt, dem Schuldner für die vom Konkursamt im Rahmen der Verwertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück durchzuführende Einigungsverhandlung mit den pfandberechtigten Gläubigern (Art. 73e i.V.m.
Art. 130d VZG
[SR 281.42]) einen Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu gewähren (
BGE 134 I 12
E. 2.1-2.5 S. 13 ff.). Auch für die Schätzung des zu versteigernden Grundstücks besteht kein Anspruch des Schuldners auf unentgeltliche Rechtspflege, denn die Schätzung gibt den Interessenten lediglich einen Anhaltspunkt über das vertretbare Angebot, ohne etwas über den an der Versteigerung tatsächlich erzielbaren Erlös auszusagen (vgl.
BGE 101 III 32
E. 1 S. 34;
BGE 129 III 595
E. 3.1 S. 597). Dem Beschwerdeführer als Schuldner im Verwertungsverfahren droht nicht der Verlust eines Rechts, wenn ihn das Gemeinwesen nicht durch unentgeltliche Rechtspflege bei der Neuschätzung des zu versteigernden Grundstücks unterstützt (
BGE 135 I 102
E. 3.2.3).
3.3.3
Dem Gesuchsteller im Verfahren um vorsorgliche Beweisabnahme zur Abklärung von Prozessaussichten droht kein Rechtsverlust, wenn ihm die vorsorgliche Abnahme des begehrten Beweises verweigert wird. Im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
stehen keine (materiellrechtlichen)
BGE 140 III 12 S. 14
Rechte oder Pflichten der Parteien zur Beurteilung. Es geht ausschliesslich darum, das Vorhandensein gewisser Tatsachen beweismässig zu klären. Daran ändert nichts, dass das schutzwürdige Interesse an der Beweisabnahme durch das Gericht voraussetzt, dass die gesuchstellende Partei einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin glaubhaft machen muss, zu dessen Beweis das beantragte Beweismittel dienen kann (
BGE 138 III 76
E. 2.4.2 S. 81;
BGE 140 III 16
E. 2.2.2). Damit soll vielmehr sichergestellt werden, dass das gerichtliche Verfahren zur vorsorglichen Beweiserhebung nicht ohne Rechtsschutzinteresse in Anspruch genommen wird. Die ZPO stellt mit Art. 158 Abs. 1 lit. b zweite Alternative der Partei, welche die Erhebung einer Klage in Aussicht nimmt, ein gerichtliches und damit unabhängiges Verfahren zur Verfügung, um gewisse Tatsachen beweismässig zu klären, die nach ihrer Einschätzung für den Entscheid über die Einleitung bzw. die Aussicht einer Klage wesentlich sind. Materiellrechtliche Rechte und Pflichten der Parteien stehen in diesem Verfahren jedoch nicht zur Entscheidung und das Gericht beurteilt in diesem Verfahren die Aussichten der beabsichtigten Klagebegehren nicht. Die gesuchstellende Partei hat - wenn das Verfahren der vorsorglichen Beweisführung durchgeführt wird - ein gerichtlich erhobenes Beweismittel zur Verfügung, das ihr ermöglichen soll, die Nutzlosigkeit einer Klage zu erkennen, bzw. das beiden Parteien eine vergleichsweise Regelung der Streitsache erleichtern soll.
3.3.4
Da im Verfahren um vorsorgliche Beweisführung nach
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
nicht über materiellrechtliche Rechte oder Pflichten der Parteien zu entscheiden ist, besteht grundsätzlich kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Das Gericht hat in diesem Verfahren denn auch nicht zu beurteilen, wie aussichtsreich die von der gesuchstellenden Partei erwogene Klage ist. Es ist nur erforderlich, aber auch genügend, dass die gesuchstellende Partei einen Sachverhalt glaubhaft macht, aus dem sie die von ihr behaupteten Klageansprüche ableiten kann. Wenn die gesuchstellende Partei aber ein schutzwürdiges Interesse nachweist, hat sich das Gericht in diesem Verfahren darauf zu beschränken, die beantragten Beweise lege artis abzunehmen. Das Verfahren soll ausschliesslich der interessierten Partei ermöglichen, über die Einreichung der Klage zu entscheiden. Das Gericht hat sich in diesem Verfahren zur Aussicht der beabsichtigten Klage nicht zu äussern.
BGE 140 III 12 S. 15
3.4
Die unentgeltliche Rechtspflege wird der bedürftigen Partei sowohl nach
Art. 29 Abs. 3 BV
wie nach
Art. 117 ZPO
und
Art. 64 BGG
für Verfahren gewährt, mit denen sie Rechtsansprüche durchsetzen will. Der Zugang zum Gericht wird der bedürftigen Partei danach nur für Rechtsansprüche gewährt, deren Erfolgsaussichten aufgrund summarischer Beurteilung mindestens nur wenig geringer sind als die Verlustgefahren (nicht publ. E. 3.2). Zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsbegehren muss dem über die unentgeltliche Rechtspflege entscheidenden Gericht das tatsächliche und rechtliche Fundament der Klage vollständig dargelegt werden, soweit dies nach dem Stand des Verfahrens möglich und zumutbar ist.
Art. 119 ZPO
regelt das Gesuch und Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege denn auch nur für Verfahren, mit denen die Klageansprüche rechtshängig gemacht werden (
Art. 119 Abs. 1 ZPO
). In diesem Rahmen hat sich die gesuchstellende Partei zur Sache sowie über ihre Beweismittel zu äussern (
Art. 119 Abs. 2 ZPO
). Für Beweiserhebungen hat nach
Art. 102 ZPO
jede Partei auch im Prozess um materiellrechtliche Ansprüche die Kosten für die Auslagen des Gerichts vorzuschiessen, die durch die von ihr beantragten Beweiserhebungen veranlasst werden. Wird der Vorschuss nicht geleistet, unterbleibt die Beweiserhebung (
Art. 102 Abs. 3 ZPO
). Wenn die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Verfahren um streitige Ansprüche die Befreiung von Vorschussleistungen umfasst (
Art. 118 Abs. 1 lit. a ZPO
) und die von der bedürftigen Partei beantragten Beweise ohne Vorschuss erhoben werden, so setzt dies jedenfalls die Erfolgsaussicht ihrer Ansprüche voraus, über die im Hauptverfahren zu befinden ist (vgl. auch
BGE 91 I 161
E. 2 S. 162 f.). Für gesonderte Beweiserhebungen ohne Gefahr des Rechtsverlusts, wie sie
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
zur Verfügung stellt, ist die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausgeschlossen. Den in der Literatur geäusserten Meinungen, wonach auch im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung zur Abklärung der Prozesschancen (
Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO
) die Möglichkeit der unentgeltlichen Prozessführung bestehe (so JÜRGEN BRÖNNIMANN, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 26 zu
Art. 158 ZPO
; WALTER FELLMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 42 zu
Art. 158 ZPO
), ist mithin nicht zu folgen. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc44145e-154a-4574-8081-867fd560bd38 | Urteilskopf
98 III 34
7. Entscheid vom 18. Januar 1972 i.S. B. | Regeste
Art. 93 SchKG
.
Sind Ausgaben des Schuldners im Zusammenhang mit dem Hochschulstudium seiner volljährigen Kinder bei der Berechnung des Existenzminimums des Schuldners und seiner Familie zu berücksichtigen? Frage verneint. | Sachverhalt
ab Seite 34
BGE 98 III 34 S. 34
A.-
In der Betreibung des J. gegen B. pfändete das Betreibungsamt am 10. Juli 1971 unter anderem Fr. 275.-- vom
BGE 98 III 34 S. 35
Monatslohn des Betriebenen. Den Notbedarf setzte es für den Schuldner, dessen Ehefrau und die drei Kinder im Alter von 16, 20 und 24 Jahren auf Fr. 2'225.-- fest, einschliesslich Fr. 670.-- für die Kosten des Unterhalts und des auswärtigen Studiums der beiden volljährigen Söhne.
B.-
Auf Beschwerde des Gläubigers kürzte die untere Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen zwei kleinere, ebenfalls zum Existenzminimum hinzugerechnete Posten um zusammen Fr. 46.-, bestätigte aber im übrigen die Verfügung des Betreibungsamtes und setzte den unpfändbaren Betrag auf Fr. 2'179.-- fest.
C.-
Hiegegen rekurrierte J. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts. Diese hiess den Rekurs am 1. Dezember 1971 teilweise gut und berechnete den Notbedarf auf Fr. 1'789.--. Sie begründete die Kürzung damit, dass zwar volljährige Kinder, die das Wochenende regelmässig bei den Eltern verbringen, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (
BGE 82 III 22
) zur Familie im Sinne von
Art. 93 SchKG
gehörten, weshalb im vorliegenden Falle zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum des Schuldners für jeden Sohn Fr. 140.-- hinzuzurechnen seien, dass aber andererseits Aufwendungen für die höhere Ausbildung dieser Kinder nicht zum Notbedarf gezählt werden dürften.
D.-
Mit Rekurs an das Bundesgericht verlangt der Schuldner Aufhebung des obergerichtlichen Entscheides und Bestätigung desjenigen der untern Aufsichtsbehörde.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Zur Beurteilung steht hier die Frage, ob und in welchem Umfange Ausgaben im Zusammenhang mit dem Hochschulstudium volljähriger Kinder "für den Schuldner und seine Familie unumgänglich notwendig" (
Art. 93 SchKG
) und deshalb zum unpfändbaren Teil des Lohnes zu zählen seien. Dies ist eine Frage rechtlicher Natur und nicht bloss eine solche des Ermessens.
Im Jahre 1914 erklärte das Bundesgericht (
BGE 40 III 158
), zum Existenzminimum dürften im allgemeinen nur die Kosten des obligatorischen Schulunterrichts der Kinder gerechnet werden, nicht auch die Auslagen für den Besuch höherer Bildungsanstalten (in casu für den Besuch der Realschule durch einen 17 jährigen Sohn). Mit Unterhalts- und Studienkosten mehrjähriger
BGE 98 III 34 S. 36
Kinder hatte sich das Gericht alsdann in
BGE 69 III 42
und in den beiden nicht veröffentlichten Entscheiden vom 24. April 1944 in Sachen R. (= besprochen in BlSchK 1944 S. 84) und vom 14. Dezember 1968 in Sachen M. zu befassen: stets lehnte es die Einbeziehung solcher Auslagen in den Notbedarf der Familie ab. Im Falle R. handelte es sich um die Beendigung der Mittelschule, in den andern Fällen offenbar um Universitäts- oder ähnliche Studien.
Der Rekurrent bezeichnet diese Rechtsprechung als nicht mehr zeitgemäss. Sie wird auch von ELMER und LEUPIN kritisiert (vgl. BlSchK 1959 S. 14 und 1960 S. 72/73). Letzterer schlägt mit Hinweis auf einen Berner Entscheid (vgl. BlSchK 1937 S. 138 Nr. 122) vor, es sollten mindestens die Unterhaltskosten minder- oder volljähriger studierender Kinder in den Zwangsbedarf einbezogen werden.
2.
Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz für jeden Sohn einen Betrag von Fr. 140.-- zum betreibungsrechtlichen Existenzminimum hinzugerechnet, was dem normalen Zuschlag für ein Kind von 16-20 Jahren bei drei und mehr Kindern in der selben Familie entspricht. Da der Betreibungsgläubiger diese Berechnungsweise nicht angefochten hat, ist lediglich zu prüfen, ob die kantonale Aufsichtsbehörde richtig handelte, als sie es ablehnte, auch die diesen Zuschlag übersteigenden Aufwendungen des Rekurrenten für das auswärtige Studium seiner Söhne zu berücksichtigen. Das ist zu bejahen.
Zwar kann das Studium eines hiefür geeigneten Jugendlichen heute nicht mehr als ein Luxus betrachtet werden, den sich nur Kinder aus wirtschaftlich besser gestellten Bevölkerungsschichten sollen leisten können, liegt doch eine solche Weiterbildung zweifellos auch im Interesse der Allgemeinheit. Indessen darf man nach der ratio des
Art. 93 SchKG
nicht so weit gehen, die mit dem Studium volljähriger Kinder verbundenen Auslagen als zum Leben des Schuldners und seiner Familie unbedingt notwendig zu bezeichnen. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, dass das Studium volljähriger Kinder eines betriebenen Schuldners zulasten von dessen Gläubigern ermöglicht werde. Das hätte sonst zur Folge, dass unter Umständen ein Gläubiger seine Kinder nicht studieren lassen könnte, weil ihm der Zugriff auf den Lohn seines Schuldners mit Rücksicht auf die höhere Ausbildung von dessen Kindern verwehrt wäre. Das Interesse der Allgemeinheit an der Ausschöpfung der Begabtenreserven
BGE 98 III 34 S. 37
kann nicht auf dem Wege über
Art. 93 SchKG
gewahrt werden; es muss seinen Ausdruck in anderer Weise finden, z.B. darin, dass öffentliche und private Institutionen dafür sorgen, dass der Zugang zum Universitätsstudium auch Minderbemittelten offensteht.
3.
Auch materiell-rechtliche Überlegungen führen zu keinem andern Ergebnis. Zwar kann nach heute wohl herrschender Auffassung der sich aus Art. 272 Abs. 1, 275 Abs. 2 und 276 ZGB ergebende Unterhalts- und Ausbildungsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern unter Umständen so weit gehen, dass die Eltern für die Studienkosten des Kindes auch noch nach dessen Volljährigkeit aufzukommen haben (vgl. HEGNAUER, Kommentar, N 71 ff. zu
Art. 272 ZGB
). Dieser Anspruch findet jedoch seine Grenzen in den wirtschaftlichen Verhältnissen und Möglichkeiten der Eltern (HEGNAUER, N 32 zu
Art. 275 und N 12
, 14 und 16 zu
Art. 276 ZGB
). Vermindert sich deren Leistungsfähigkeit unvorhergesehenerweise erheblich, wie das hier nach der Darstellung des Rekurrenten der Fall sein soll, so entfällt ein solcher Anspruch (HEGNAUER, N 73 zu
Art. 272 ZGB
). Eine betreibungsrechtliche Privilegierung des volljährigen Kindes durch Hinzurechnen der Studienkosten zum Existenzminimum der Eltern erscheint daher - jedenfalls unter den vorliegenden Umständen - auch aus diesem Grunde nicht gerechtfertigt.
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc4813b5-69fe-4840-abeb-68325875908f | Urteilskopf
81 I 286
45. Estratto della sentenza 1o luglio 1955 nella causa Ponzio contro Dipartimento delle finanze del Cantone Ticino. | Regeste
Tassa d'esenzione dal servizio militare.
1. La decisione sanitaria con la quale il milite è stato dichiarato inabile al servizio è vincolante per il Tribunale federale.
2. Le decisioni cantonali in materia di condono della tassa militare non possono essere impugnate mediante il ricorso di diritto amministrativo. | Erwägungen
ab Seite 287
BGE 81 I 286 S. 287
Con l'affermazione che sarebbe disposto a ripresentarsi davanti alla CVS, il ricorrente sembra contestare la fondatezza della decisione con cui è stato dichiarato inabile al servizio militare. Nella misura in cui egli intendesse con ciò far valere di essere in realtà abile al servizio, le sue conclusioni sono irricevibili, poichè il Tribunale federale è vincolato dalla decisione di riforma e deve unicamente esaminare la questione della tassa militare. Questa sarebbe del resto dovuta quand'anche il ricorrente fosse effettivamente abile al servizio, in quanto egli non sarebbe in tale ipotesi stato dichiarato inabile a causa del servizio prestato. Così stando le cose, con i vantaggi dello scarto pronunciato a torto il ricorrente dovrebbe accettare anche gli svantaggi, come l'obbligo di pagare la tassa militare (sentenza non pubblicata 17 giugno 1955 nella causa Signorini).
Irricevibile è parimente la richiesta di condono delle tasse dovute per gli anni 1953 e 1954. Le domande di condono nel senso dell'art. 96 RTM devono infatti essere presentate alle autorità designate dal Cantone e le decisioni di tali autorità non possono essere impugnate mediante il ricorso di diritto amministrativo. | public_law | nan | it | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cc53f431-ade3-4664-a83c-d95934adc09f | Urteilskopf
98 Ia 226
34. Arrêt du 2 février 1972 dans la cause R. contre Chambre d'accusation du canton de Genève. | Regeste
Behandlung eines von einer deutschen Behörde in einer Strafsache gestellten Rechtshilfegesuches in der Schweiz. Art. 12 des schweiz. deutschen Auslieferungsvertrages vom 24. Januar 1874.
Art. 4 BV
.
Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung eines Staatsvertrages (
Art. 84 lit. c OG
; Erw. 2 a).
Art. 12 des schweiz.-deutschen Staatsvertrages verweist auf die kantonale Strafprozessordnung; er wird durch eine unrichtige Anwendung derselben nicht verletzt (Erw. 2 b).
Mangels besonderer Vorschriften sind die Bestimmungen der kantonalen Strafprozessordnung auf die auf das Gesuch hin vorgenommenen Akte anwendbar, soweit dies mit dem Zweck des Gesuchs vereinbar ist (Erw. 4).
Anwendung dieses Grundsatzes:
- auf das Recht des Angeschuldigten auf Akteneinsicht (Erw. 5);
- auf eine Haussuchung und deren Folgen (Erw. 6).
Gleichbehandlung der Parteien im Strafprozess (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 227
BGE 98 Ia 226 S. 227
A.-
Le Ministère public (Staatsanwaltschaft) près la Cour de justice (Landgericht) de Hambourg a ouvert une information pénale contre les personnes responsables de deux sociétés commerciales allemandes, pour faux et usage de faux au sens des §§ 273, 271 et 272 du code pénal (Strafgesetzbuch) allemand et pour soustraction d'impôt, infractions commises à l'occasion de l'importation de préparations alimentaires contenant des extraits de lait. Lesdites personnes sont prévenues d'avoir fait établir de faux certificats d'origine des marchandises et d'en avoir fait usage en Allemagne. Le principal auteur de ces agissements serait R., apatride, qui d'après son papier à lettres serait domicilié à Genève.
Le 3 août 1970, le Parquet de Hambourg a décerné commission rogatoire aux autorités genevoises, les priant de procéder à diverses mesures d'instruction à Genève, notamment auprès de R., d'interroger celui-ci et d'autres personnes et de fournir des photocopies de documents trouvés au cours de l'exécution de ces mesures. Cette demande d'entraide judiciaire a été transmise le 31 août 1970 à la Division de police du Département fédéral de justice et police, à Berne. Dans la lettre d'envoi, l'autorité requérante donne l'assurance que les renseignements recueillis seront utilisés dans la poursuite des infractions de droit pénal ordinaire - usage de titres faux, faux intellectuel médiat (mittelbare Falschbeurkundung) - et ne le seront en aucune façon dans une procédure douanière ou fiscale quelconque.
Le 15 septembre 1970, la Division fédérale de police a fait suivre la commission rogatoire au doyen des juges d'instruction de Genève. Le juge d'instruction auquel la cause a été attribuée a rendu le 30 novembre une ordonnance aux termes de laquelle il serait procédé à une perquisition et à la saisie des documents
BGE 98 Ia 226 S. 228
relatifs aux agissements reprochés à R., tant au domicile de celui-ci qu'au siège d'une société et d'une banque nommément désignées, ainsi qu'en tous autres endroits utiles. Ces perquisitions ont eu lieu le même jour; le fils de R. a assisté à celle qui a été exécutée au domicile de son père et a donné son accord. De nombreux documents ont été saisis et le juge a entendu diverses personnes.
R. s'est présenté le 25 janvier 1971 devant le juge d'instruction, qui lui a signifié une "inculpation pour faux et usage de faux au sens des §§ 47, 74, 271, 272, 273 ss du Code pénal allemand". Il a été interrogé, en présence de ses avocats et de deux représentants du Service allemand de recherches en matière douanière (Zollfahndungsstelle) de Hambourg, mais a refusé de répondre à la plupart des questions posées, déclarant qu'elles ne concernaient pas la procédure pour faux et usage de faux et qu'il s'agissait de questions économiques. Il a indiqué que son domicile était en France.
Les conseils de R. ont demandé au juge d'instruction, vu l'art. 59 PP gen., de donner lecture de la dénonciation ou de la plainte, des procès-verbaux, des rapports et des dépositions des témoins, et de représenter à leur client les objets séquestrés. Le juge s'est borné à leur remettre copie des procès-verbaux d'audition de leur mandant, refusant pour le surplus à celui-ci tout accès à la procédure.
B.-
Le 29 janvier 1971, R. a formé auprès de la Chambre d'accusation de Genève un recours contre le refus du juge d'instruction, concluant à ce qu'il soit prononcé que les dispositions du code de procédure pénale genevois s'appliquent à tous les actes du juge d'instruction, à ce que le recourant puisse prendre connaissance du dossier intégral et en recevoir copie et à ce qu'il soit dit qu'il y a lieu de procéder conformément aux art. 80 ss. PP gen. réglant la procédure spéciale pour le faux. Le 1er février 1971, il a déposé un nouveau recours, dirigé contre les séquestres effectués tant à la banque précitée qu'au domicile de sa femme, de son fils et des parents et beaux-parents de sa femme; il demandait à la Chambre de dire que les objets séquestrés seraient représentés à ses conseils et à lui-même et que ceux des documents saisis qui ne se rapportent pas à la procédure en faux et usage de faux, mais qui peuvent servir à des procédures fiscales ou douanières lui seraient restitués, sans être transmis à l'autorité requérante.
BGE 98 Ia 226 S. 229
Par lettre du 26 février 1971, le Parquet de Hambourg a déclaré qu'en vertu du droit allemand, soit du § 147 al. 2 de la loi de procédure pénale (Strafprozessordnung), le dossier ne pourrait être soumis à l'inculpé, sous réserve du procès-verbal de son audition. Il ajoutait que l'examen par l'inculpé des pièces jointes à la demande d'entraide mettrait en péril la réalisation du but de l'information. Consultée, la Division fédérale de police a exprimé l'avis que l'on devait limiter le champ d'application du droit suisse et refuser de donner connaissance à R. du dossier allemand.
La Chambre d'accusation, statuant le 30 juillet 1971, a rejeté les deux recours.
C.-
R. forme un recours de droit public et requiert le Tribunal fédéral d'annuler l'ordonnance de la Chambre d'accusation, de dire que le juge d'instruction avait l'obligation d'appliquer strictement le code de procédure pénale genevois lors de l'exécution des commissions rogatoires décernées par le Parquet de Hambourg et de retourner le dossier audit juge pour qu'il procède conformément aux dispositions de ce code. Il se plaint de la violation de l'art. 4 Cst., des art. 2, 60 et 130 Cst. gen. et de l'art. 12 du Traité germano-suisse du 24 janvier 1874.
D.-
La Chambre d'accusation et le Procureur général du canton de Genève concluent au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Sous réserve de certains cas exceptionnels dont les conditions ne sont pas réalisées en l'espèce, le recours de droit public ne peut tendre qu'à l'annulation de la décision attaquée (RO 96 I 634; cf. RO 97 I 225/6). Pour le surplus, les conclusions du recourant sont irrecevables.
2.
a) Le recourant se plaint tout d'abord de violation du traité d'extradition conclu entre la Suisse et l'Allemagne le 24 janvier 1874, plus précisément de son art. 12, qui dispose notamment qu'il sera donné suite à la commission rogatoire "en conformité de la législation du pays où le témoin doit être entendu ou la commission exécutée". Ce grief est recevable, en vertu de l'art. 84 lit. c OJ. La norme prétendument violée n'est pas une disposition de droit pénal - dont la violation eût pu faire l'objet d'un pourvoi en nullité - mais une règle de procédure (cf. RO 95 II 378 et 96 I 390). Elle régit aujourd'hui encore l'entraide judiciaire entre la Suisse et l'Allemagne. Ce dernier
BGE 98 Ia 226 S. 230
Etat, en effet, n'a pas ratifié la Convention européenne d'entraide judiciaire en matière pénale, du 20 avril 1959, ni l'accord qu'il a conclu avec la Suisse, le 13 novembre 1969, pour la compléter et en faciliter l'application. Bien qu'il ne soit ressortissant d'aucun des deux Etats parties au traité de 1874, R. a qualité pour invoquer cet accord international. En effet, celui-ci pose ici une règle objective s'appliquant de façon générale à chacun sans distinction de nationalités et toute personne ayant un intérêt juridique à l'application de cette règle peut recourir contre une décision qui la méconnaît (cf. RO 93 I 167). En pareille hypothèse, le Tribunal fédéral examine librement les questions de fait et de droit (RO 96 I 390 consid. 1). L'épuisement des instances cantonales n'étant pas prescrit, il peut se saisir de moyens invoqués pour la première fois devant lui (RO 93 I 167, 281).
b) Par l'art. 12 du traité de 1874, chaque partie s'est engagée à donner suite, dans les formes prévues par sa législation interne, aux commissions rogatoires décernées par l'autre Etat. S'agissant d'une commission rogatoire à exécuter en Suisse et en l'absence de dispositions de droit fédéral réglant la procédure en matière d'entraide judiciaire internationale, le canton exécute la commission rogatoire selon sa propre législation, la Division de police du Département fédéral de justice et police se bornant à écarter les demandes manifestement irrecevables (cf. JAAC 1957, p. 17 ss.). C'est ainsi à tort que la Division de police affirme, dans sa lettre du 28 mai 1971 adressée au juge d'instruction, que la disposition de l'art. 12 n'a pas pour but de donner à la personne visée une position plus favorable que celle qu'elle aurait eue si l'acte d'instruction avait pu être effectué sur le territoire de l'Etat requérant. En réalité, le traité de 1874 renvoie au droit cantonal, sans restriction.
Il ne pourrait toutefois y avoir violation du traité que si les autorités genevoises avaient réellement appliqué une loi étrangère, notamment la loi allemande, en lieu et place du droit suisse. Il n'en est rien. La Chambre d'accusation relève expressément qu'il n'a jamais été question d'appliquer le droit allemand, et qu'elle s'est fondée exclusivement sur le droit suisse, soit en l'espèce sur le droit de procédure genevois. Le recourant affirme certes que les dispositions de ce droit de procédure ont été violées. Mais une telle violation n'est pas assimilable à une violation du traité. Le droit cantonal de
BGE 98 Ia 226 S. 231
procédure applicable ne devient pas partie intégrante de l'accord international, quand bien même celui-ci y renvoie. Le moyen pris de la violation de l'art. 12 du traité doit ainsi être rejeté.
3.
Le recourant reproche à la Chambre d'accusation d'avoir agi arbitrairement en violant les dispositions de la législation genevoise applicables en la matière. Il invoque les art. 4 Cst. et 2 Cst. gen.
a) En tant qu'il se fonde sur la première de ces deux dispositions, ce moyen est recevable. La décision attaquée est en effet rendue en dernière instance cantonale; elle doit être considérée comme finale (art. 87 OJ), car elle met fin à la procédure engagée devant les autorités genevoises contre R. Au demeurant, de jurisprudence constante, le Tribunal fédéral examine le moyen pris de l'art. 4 Cst. même s'il ne s'agit pas d'une décision finale, lorsque, comme en l'espèce, le recourant invoque encore d'autres griefs qui sont eux-mêmes recevables (RO 95 I 443 et les citations). Enfin, l'étranger, même domicilié à l'étranger, peut se plaindre d'un déni de justice matériel (RO 91 I 49 et les arrêts cités, 92 I 15
;
95 I 106
, 411).
b) L'art. 2 Cst. gen., qui dispose que tous les Genevois sont égaux devant la loi, n'a pas d'autre portée que l'art. 4 Cst.; il n'a pas à faire l'objet d'un examen particulier.
4.
Selon la Chambre d'accusation, qui invoque la décision précitée du Conseil fédéral (JAAC 1957 p. 14), l'exécution d'une commission rogatoire ressortit à la procédure administrative et les règles de la procédure pénale ne s'y appliquent que "par analogie et dans la mesure seulement où il est nécessaire et indiqué de le faire pour les besoins de l'entraide judiciaire". Plus loin, la Chambre affirme que les règles de la procédure pénale ne s'appliquent qu'à titre subsidiaire et par analogie.
a) Cette opinion ne peut être approuvée. Sans doute, l'exécution de l'entraide judiciaire internationale étant laissée par la Confédération à la compétence des cantons, ceux-ci peuvent édicter des règles de droit s'appliquant spécialement à cette matière. Mais le canton de Genève ne l'a pas fait et la Chambre d'accusation ne peut se fonder sur aucune disposition légale pour affirmer que ce sont les dispositions du code de procédure administrative qui s'appliquent au premier chef, alors que ce code régit des matières toutes différentes. En réalité, l'audition d'une personne pour les fins d'une information pénale et l'exécution d'une perquisition domiciliaire pour les mêmes fins
BGE 98 Ia 226 S. 232
sont régies par la loi de procédure pénale. Lorsqu'elles sont exécutées en vertu d'une commission rogatoire, elles sont confiées aux mêmes magistrats. Ceux-ci doivent en principe suivre les mêmes règles que lorsqu'ils agissent de leur chef. Les garanties instituées par le législateur cantonal en faveur des individus poursuivis pénalement doivent profiter également aux individus qui sont poursuivis dans un pays étranger, mais à l'égard desquels le magistrat informateur a reçu une commission rogatoire. En principe, la différence des situations de fait ne justifie pas que l'on fasse abstraction de ces garanties dans ce dernier cas, surtout lorsqu'il y a lieu de recourir à des mesures de contrainte. Les règles de la procédure pénale devront donc s'appliquer en principe et dans toute la mesure compatible avec le but de la commission rogatoire. Il est du reste manifeste que la loi fédérale sur l'extradition aux Etats étrangers, du 22 janvier 1892, se réfère à la procédure pénale lorsqu'elle renvoie, en son art. 18, à la loi cantonale. D'une façon générale, ces lois seules contiennent les prescriptions relatives à la forme de l'arrestation des délinquants et aux perquisitions et saisies en matière pénale, auxquelles l'article précité renvoie. C'est de toute évidence dans le même sens que l'on a prévu, à l'art. 12 du traité germano-suisse, qu'il sera donné suite à la commission rogatoire en conformité de la législation du pays requis. Ennn, dans son message du 1er mars 1966 (FF 1966 I 490), relatif à l'approbation de la convention européenne d'entraide judiciaire, le Conseil fédéral relève expressément que la disposition de cette convention selon laquelle l'entraide doit être fournie dans les formes prévues par la législation du pays requis oblige à appliquer les dispositions des lois de procédure pénale en vigueur, et constitue la base légale nécessaire pour l'application de ces dispositions à la situation particulière créée par l'exécution d'une commission rogatoire.
b) Le code de procédure pénale genevois est cependant établi en premier lieu pour s'appliquer aux cas où l'action publique est intentée dans le canton de Genève. Lorsqu'il s'agit de situations que la loi ne règle pas directement, et que le juge se trouve ainsi en présence d'une lacune, il lui appartient de procéder conformément à l'art. 1er CC et de prononcer selon les règles qu'il établirait s'il avait à faire acte de législateur (RO 90 I 141, 95 I 166). Bien que le droit cantonal genevois ne contienne pas de règle analogue à l'art. 1er CC, les tribunaux peuvent s'inspirer
BGE 98 Ia 226 S. 233
de cette dernière disposition pour statuer dans une telle hypothèse. La Cour de justice l'a admis à plusieurs reprises (cf. SJ 1920 p. 329, 1952 p. 553; cf. aussi MEIER-HAYOZ, n. 75 ad art. 1er CC). Le juge peut alors prononcer par analogie selon une disposition légale qui ne s'applique pas directement au cas particulier, mais réglemente une situation proche de celle qu'il s'agit de régler (cf. MEIER-HAYOZ, n. 346 ss. ad art. 1er CC). Lorsque les dispositions de la procédure pénale ne peuvent s'appliquer au cas de l'entraide judiciaire, le juge peut prononcer en appliquant par analogie d'autres dispositions légales, comme celles de la procédure administrative, mais il ne peut le faire qu'en demeurant dans le cadre général du système de la procédure pénale, en adoptant des solutions qui soient en harmonie avec ce système.
5.
Se plaignant d'une application arbitraire du code de procédure pénale genevois, le recourant articule plusieurs griefs particuliers. Il reproche en premier lieu au juge d'instruction d'avoir violé les art. 59, 1re phrase, et 63 al. 2 PP gen., ainsi conçus:
"Art. 59, 1re phrase. - Dès que l'inculpé se présente sur un mandat de comparution, ou qu'il a été contraint par un mandat d'amener, le juge d'instruction lui fait lire la dénonciation ou la plainte, les procès-verbaux, les rapports et les dépositions des témoins déjà entendus.
Art. 63 al. 2. - Dans toute cause, la partie civile ou son conseil, l'inculpé ou son conseil, ont le droit de voir les minutes, les pièces du dossier, ainsi que les objets servant à l'information, sous réserve des dispositions des articles 58 et 70."
L'art. 58, auquel se réfère l'art. 63 al. 2, traite du secret de la procédure dans la phase préliminaire (avant que l'inculpé ait été atteint par un mandat et. ait été interrogé par un juge d'instruction); quant à l'art. 70, il permet au juge d'instruction de suspendre l'information contradictoire lorsque l'importance d'une procédure l'exige, et de tenir l'inculpé au secret pendant huit jours, ou plus longtemps avec l'autorisation de la Chambre d'accusation.
a) En dépit de la demande présentée par les avocats du recourant, le juge a refusé de donner lecture de la dénonciation ou de la plainte, ainsi que des dépositions des témoins déjà entendus et n'a pas permis au recourant de prendre connaissance du dossier intégral. Approuvant cette décision, la Chambre
BGE 98 Ia 226 S. 234
d'accusation considère que le juge a appliqué en l'espèce l'art. 70 PP, qui lui permet de suspendre l'information contradictoire.
Il n'est pas nécessaire de décider si le magistrat pouvait suspendre l'information contradictoire tout en autorisant les avocats à assister à l'audience, ce que le recourant conteste, ni de rechercher si cette suspension entraîne la suppression de la faculté de consulter le dossier. En effet, même si les règles de la procédure pénale genevoise sont applicables en principe à l'exécution de commissions rogatoires décernées par une autorité judiciaire étrangère - et notamment une autorité allemande en vertu du traité de 1874 - c'est à la condition que la situation soit similaire à celle qui se présente dans une procédure ouverte à Genève. Or, entre les deux cas, il y a une différence essentielle. La procédure pénale ordinaire fait une place importante au principe de la contrainte: le juge d'instruction peut, dans les conditions déterminées par la loi, ordonner la détention d'une personne prévenue d'un crime ou d'un délit, "pour assurer l'instruction d'une procédure criminelle ou correctionnelle" (art. 12 Cst. gen.). Les droits que la loi confère à l'inculpé ont pour contrepartie la faculté pour le juge d'ordonner sa détention préventive, dont l'une des fonctions essentielles est de parer au danger de collusion, en empêchant l'inculpé de communiquer avec d'autres personnes (cf. art. 44 PPF; RO 96 IV 46, 97 I 52 et les citations). Le libre accès de l'inculpé au dossier n'eût pu être autorisé dans tous les cas par la loi si le juge n'avait le pouvoir d'ordonner la détention préventive.
b) En l'espèce, l'application stricte des art. 59 et 63 al. 2 PP gen. procurant la connaissance de toutes les pièces du dossier à l'inculpé eût permis à celui-ci de tirer parti de cette connaissance pour prendre contact avec d'autres personnes, notamment des personnes susceptibles d'être entendues comme témoins et pour influencer leur déposition. Le Procureur près la Cour de Hambourg signale clairement ce risque - du reste évident - dans sa lettre du 21 février 1971 au juge d'instruction. Cette objection apparaît déterminante. Le juge d'instruction genevois, appelé à entendre le recourant, ne disposait à son égard d'aucun pouvoir de contrainte. R. comparaissait volontairement. Il ne pouvait dès lors bénéficier du droit de consulter le dossier dans la même mesure qu'un inculpé soumis aux règles de la procédure pénale genevoise dans toute leur étendue. Si l'on suivait le raisonnement du recourant jusqu'au bout,
BGE 98 Ia 226 S. 235
il faudrait admettre que le juge d'instruction disposait à son égard du pouvoir qui lui appartient à l'égard d'un inculpé relevant de sa juridiction, ce qui n'est évidemment pas le cas. L'intérêt que fait valoir l'autorité requérante à la sauvegarde du secret du dossier est un intérêt digne de protection, et qui doit être considéré comme supérieur à l'intérêt du recourant à la connaissance des pièces du dossier (RO 92 I 263, 95 I 445).
c) Il n'en demeure pas moins qu'étant interrogé par un juge d'instruction sous le coup d'une inculpation, le recourant a le droit de savoir ce qui lui est reproché. En son art. 6 § 3 lit. a, la Convention européenne de sauvegarde des droits de l'homme prévoit que tout accusé a le droit d'"être informé, dans le plus court délai, dans une langue qu'il comprend et d'une manière détaillée, de la nature et de la cause de l'accusation portée contre lui". Dans son rapport du 9 décembre 1968 à l'Assemblée fédérale, le Conseil fédéral déclare que les droits de la défense tels que les énonce la Convention consacrent des règles élémentaires d'une bonne justice pénale (FF 1968 II 1120; voir aussi JEAN GRAVEN, Les droits de l'accusé dans le procès pénal, RPS 1956, p. 141 ss., ainsi que l'art. 14 § 3 du Pacte international relatif aux droits civils et politiques, adopté le 16 décembre 1966 par l'Assemblée générale des Nations Unies). Bien que la Suisse ne soit pas liée aujourd'hui par la Convention européenne précitée, le principe énoncé à l'art. 6 § 3 lit. a de cette convention est conforme à l'ordre juridique national et doit être respecté dans l'administration de la justice. La loi fédérale sur la procédure pénale dispose aussi que le juge donne connaissance à l'inculpé du fait qui lui est imputé (art. 40 al. 2 PPF).
En l'espèce, s'il n'a pas donné lecture au recourant de la requête du Parquet de Hambourg, le juge d'instruction lui a fait savoir, à l'audience du 25 janvier 1971, qu'il était inculpé de faux et usage de faux, au sens des §§ 47, 74, 271, 272, 273 ss. du code pénal allemand; il lui a montré les certificats de circulation des marchandises faisant partie du dossier des autorités allemandes. Le recourant a alors déclaré que c'était la première fois qu'il voyait ces pièces, qu'il n'avait donné aucune instruction pour leur confection et a contesté qu'il s'agît de faux. Cela étant, il ne peut prétendre ignorer de quoi il est inculpé. Dans toute la mesure où il pouvait le faire sans compromettre la réalisation du but de l'information, le juge d'instruction a
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satisfait à l'obligation que lui imposait l'art. 59 PP gen. L'ordonnance de la Chambre d'accusation rejetant le recours ne peut être taxée d'arbitraire sur ce point.
6.
a) Dans son recours du 1er février 1971, le recourant a demandé à la Chambre d'accusation de dire que les objets recueillis par le juge d'instruction à la suite des perquisitions opérées sur commission du Parquet de Hambourg lui seraient représentés, pour qu'il puisse fournir des explications, et que les documents qui ne se rapportent pas à la procédure de faux et usage de faux, mais peuvent servir à des procédures fiscales ou douanières lui seraient restitués. La Chambre a rejeté ces conclusions, vu le caractère secret de la procédure. R. se plaint à ce propos d'un déni de justice matériel (art. 4 Cst.) consistant en une application insoutenable des art. 59, 115 et 174 PP gen.
b) L'art. 115 PP gen. traite de la commission rogatoire décernée par le juge genevois aux fins d'obtenir une visite domiciliaire hors du canton; il ne s'applique pas ici. Quant à l'art. 174 PP gen., il permet à l'inculpé de recourir à la Chambre d'accusation contre les décisions du juge d'instruction. Il n'a pas été violé, puisque R. a pu exercer son recours, qui a été examiné au fond par la Chambre.
c) En revanche, il faut examiner le grief relatif à l'application de l'art. 59, 2e phrase, PP gen., qui dispose que le juge d'instruction représente à l'inculpé les objets déposés comme pièces de conviction et lui demande s'il les reconnaît.
Lorsque le juge d'instruction genevois procède à une visite domiciliaire, il doit observer strictement les dispositions des
art. 31 à 34
Cst. gen., qui fixent les formes à respecter en cette matière, et celles des
art. 108 à 114
PP gen., de même que celles des
art. 24 à 26
du même code, auxquels l'art. 113 renvoie. Le juge doit donc procéder en présence de l'inculpé ou de celui qui occupe le domicile, ou devant son fondé de pouvoirs, lui présenter les objets pour qu'il les reconnaisse et, s'il y a lieu, les paraphe.
Ces règles ne souffrent pas d'exception dans le cas où le magistrat agit en vertu d'une commission rogatoire. Il ne s'agit plus en effet de sauvegarder le secret d'une procédure ouverte à l'étranger et qui ne pourrait être dévoilée à l'inculpé sans risque de collusion entre celui-ci et d'autres personnes impliquées dans l'affaire. L'opération se déroule à Genève et
BGE 98 Ia 226 S. 237
le fait que le juge agit en vertu d'une commission rogatoire n'en modifie pas le caractère.
Si le recourant avait été présent lors de la perquisition, les objets séquestrés auraient dû lui être présentés pour qu'il les reconnaisse (art. 26 PP gen.). La loi permet certes de procéder même en l'absence de l'inculpé, mais cette absence, qui n'est pas fautive, ne doit pas le priver de ses droits. Il ne saurait donc être question d'observer le secret à l'égard des documents appartenant au recourant et séquestrés chez lui ou ailleurs, pas plus que de ceux qui, établis par des tiers, le concernent personnellement, tels les comptes de banque. En vertu de l'art. 59 PP gen., le juge avait l'obligation de les représenter au recourant. Cette disposition s'appliquait directement et sa violation ne se justifie par aucun intérêt supérieur (cf. dans le même sens, l'arrêt du Bundesverfassungsgericht allemand, du 9 mars 1965, Entscheidungen 18, p. 399 ss.). Le recours doit donc être admis sur ce point.
Au demeurant, le Parquet de Hambourg n'a présenté des objections qu'en ce qui concerne la communication au recourant des pièces jointes à la commission rogatoire ("Rechtshilfeunterlagen") et non des documents saisis à Genève. De même, la Division fédérale de police, consultée par le juge d'instruction, a déclaré estimer que la communication du "dossier allemand" devait - seule - être refusée.
d) Le recourant, ayant le droit d'examiner les pièces saisies, peut aussi s'opposer à ce que celles qui ne concernent pas l'inculpation de faux et d'usage de faux soient transmises à l'autorité requérante. Certes, celle-ci a pris l'engagement de ne pas utiliser les renseignements recueillis à Genève à d'autres fins que la poursuite des actes ressortissant au droit pénal commun et il faut lui faire confiance sur ce point (RO 95 I 446). Il n'en reste pas moins que, si les documents saisis sont sans rapport aucun avec l'inculpation de faux et d'usage de faux, le recourant a un intérêt digne de protection à ce qu'ils ne soient pas transmis à l'autorité requérante. Ses droits doivent être sauvegardés dans cette mesure et il doit pouvoir s'opposer à la communication à l'autorité allemande des documents sans rapport avec l'inculpation qui lui a été signifiée, puis recourir à la Chambre d'accusation contre la décision que le juge d'instruction rendra sur le vu de son opposition.
BGE 98 Ia 226 S. 238
7.
Le recourant reproche encore à la Chambre d'accusation d'avoir violé la nécessaire égalité des parties, en ne lui permettant pas de prendre connaissance du dossier, alors que le représentant du Ministère public y avait accès. Il y voit une nouvelle violation de l'art. 4 Cst.
En réalité, l'inégalité des parties au stade préliminaire de l'instruction résulte du texte exprès de la loi genevoise: en vertu de l'art. 63 PP, le droit de consulter les pièces du dossier peut être retiré temporairement à l'inculpé ou à son conseil; il ne peut l'être au Procureur général, qui a le droit de prendre connaissance de la procédure en tout état de cause. Cette règle n'est pas contraire à l'art. 4 Cst. L'égalité des parties est assurée par la loi pour les débats du tribunal de jugement. Elle ne l'est pas nécessairement au stade de l'instruction préparatoire: le juge peut et doit alors prendre les mesures nécessaires pour éviter que la réalisation du but de l'instruction ne soit mise en péril. On ne saurait, sous prétexte d'égalité, permettre à l'inculpé de faire échec à la poursuite, notamment en prenant contact avec des tiers et en faisant disparaître des preuves.
Le recourant invoque encore l'art. 6 de la Convention européenne de sauvegarde des droits de l'homme et des libertés fondamentales, qui exige que l'accusé bénéficie d'un procès équitable, postulant l'égalité des armes entre les parties (cf. rapport du Conseil fédéral précité, FF 1968 II 1109). Cette convention ne lie pas la Suisse à ce jour; au reste, la procédure suivie en l'espèce ne la viole pas. Le principe du procès équitable et de l'égalité des armes ne peut être affirmé, selon la jurisprudence de la Commission européenne des droits de l'homme, qu'à l'égard de l'ensemble du procès, non d'un aspect ou d'un incident particulier de celui-ci (Annuaire de la Convention européenne des droits de l'homme, 1961, p. 549-551; cf. aussi arrêt de la Cour européenne des droits de l'homme dans la cause Neumeister, Annuaire 1968, p. 829).
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet partiellement le recours, en tant qu'il est recevable, et annule l'ordonnance attaquée dans la mesure où elle refuse au recourant le droit d'examiner les pièces saisies à son préjudice et celui de s'opposer à ce que les pièces sans rapport avec l'inculpation de faux et usage de faux soient transmises à l'autorité allemande. | public_law | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cc5427d4-8470-4983-843c-6bb569bdc87a | Urteilskopf
118 V 286
36. Urteil vom 10. November 1992 i.S. M. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 6 Abs. 3 UVG
.
- Ob an der Praxis, wonach bei physischen Unfallfolgen die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der aus dem natürlichen Kausalzusammenhang sich ergebenden Haftung des Unfallversicherers praktisch keine Rolle spielt, indem die Unfallversicherung auch für seltenste, schwerwiegendste Komplikationen haftet, welche nach der unfallmedizinischen Erfahrung im allgemeinen gerade nicht einzutreten pflegen (vgl.
BGE 117 V 365
unten) auch in Fällen festzuhalten ist, wo die bei der Behandlung der Unfallfolgen eingetretene Komplikation wesentlich aus dem krankhaften Vorzustand heraus gesetzt wird, kann vorliegend im Hinblick auf
Art. 6 Abs. 3 UVG
offenbleiben (Erw. 3a).
- Gestützt auf
Art. 6 Abs. 3 UVG
hat der Unfallversicherer für jeden Schaden aufzukommen, den die Unfallbehandlung setzt. Der Gesetzgeber hat durch den Erlass dieser Bestimmung bewusst eine Risikoverteilung zwischen Unfall- und Krankenversicherung vorgenommen. Danach hat der Unfallversicherer für Schäden einzustehen, die durch Krankenpflegemassnahmen (Heilbehandlung) im Anschluss an versicherte Unfälle herbeigeführt werden, ohne dass diese behandlungsbedingte Schadensverursachung den Unfallbegriff, den Tatbestand des haftpflichtrechtlichen Kunstfehlers oder der strafrechtlich relevanten Körperschädigung erfüllen müsste (Erw. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 287
BGE 118 V 286 S. 287
A.-
B. M. arbeitete seit Dezember 1986 als Hilfsmaurer in der Firma G. & W. AG, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Am 3. August 1987 verdrehte er sich beim Bohren mit einer Handmaschine die linke Hand. Der Hausarzt, den der Versicherte am nächsten Tag aufsuchte, diagnostizierte das Vorliegen einer Distorsion des linken Handgelenkes mit einem grossen Hämatom über der Gelenkinnenseite und einem sekundären Carpaltunnelsyndrom.
Als die Beschwerden trotz anfänglicher Besserung nicht abnahmen, überwies der Kreisarzt der SUVA, Dr. med. C., B.M. am 17. September 1987 zur neurologischen Abklärung. Die Untersuchung ergab das Vorliegen einer Einklemmungsneuropathie des linken Nervus medianus auf der Höhe des Carpalkanals, weshalb Prof. K. von der Neurologischen Klinik des Kantonsspitals S. im Bericht vom 14. Oktober 1987 angesichts der bisher erfolglosen
BGE 118 V 286 S. 288
konservativen Behandlung eine dekompressive Neurolyse vorschlug. Dieser Eingriff erfolgte am 13. November 1987 in der handchirurgischen Abteilung der orthopädischen Chirurgie des Kantonsspitals S. Im Anschluss an die Operation trat erneut eine erhebliche Verschlechterung auf, so dass am 14. Dezember 1987 ein weiterer chirurgischer Eingriff nötig wurde (Bericht der Klinik für orthopädische Chirurgie des Kantonsspitals S. vom 30. Dezember 1987). Die histologische Untersuchung der exzidierten Sehnenscheidenwucherung ergab das Vorliegen einer Sehnenscheidentuberkulose.
Wegen der stark eingeschränkten Funktionsfähigkeit der linken Hand musste der Versicherte am 10. August 1988 ein drittes Mal operiert werden, wobei die entstandenen Verwachsungen soweit als möglich gelöst wurden (Bericht der Klinik für orthopädische Chirurgie des Kantonsspitals S. vom 26. August 1988). Seit Herbst 1988 ist B. M. wieder in der angestammten Firma zu 50% mit der Ausübung leichterer Tätigkeiten beschäftigt.
Am 14. April 1988 teilte die SUVA dem Versicherten mit, dass aufgrund der medizinischen Unterlagen nicht eine Unfallfolge, sondern eine Krankheit vorliege, weshalb sie nicht leistungspflichtig sei. Auf Intervention des Versicherten vom 21. April 1988 unterbreitete sie die Akten dem Kreisarzt Dr. med. C., der im Bericht vom 25. April 1988 die Meinung vertrat, die durch den erstbehandelnden Arzt am 4. August 1987 erhobenen Befunde seien ausschliesslich durch die vorbestandene tuberkulöse Synovitis verursacht worden; eine namhafte Teilwirkung des Unfalles auf das Krankheitsgeschehen könne zuverlässig ausgeschlossen werden, so dass die SUVA ihre Leistungspflicht zu Recht verneint habe. Mit Verfügung vom 17. Mai 1988 lehnte die SUVA daher die Gewährung von Versicherungsleistungen ab. Die hiegegen unter Einreichung eines Gutachtens des Hausarztes vom 7. September 1988 erhobene Einsprache mit dem Begehren auf Zusprechung der gesetzlichen Leistungen lehnte die SUVA nach Einholung einer Stellungnahme des Dr. med. B., Abteilung Unfallmedizin, vom 2. November 1988 mit Einspracheentscheid vom 10. November 1988 ab.
B.-
B. M. liess Beschwerde erheben und die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen beantragen. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen holte nach durchgeführtem zweifachem Schriftenwechsel ein Gutachten des Prof. M., Direktor der Klinik für Hand-, Plastische und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsspitals Z., ein, das am 21. August 1990 erstattet wurde. Da die SUVA hiegegen erhebliche Einwände erhob (Stellungnahme vom
BGE 118 V 286 S. 289
13. September 1990), ordnete das kantonale Gericht in der Folge eine Oberexpertise durch Prof. P. von der Hand- und peripheren Nervenchirurgie des Kantonsspitals B. (vom 26. April 1991) an. Mit Entscheid vom 25. Juni 1991 wies es die Beschwerde ab.
C.-
B. M. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das im kantonalen Verfahren erhobene Begehren erneuern.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Stellungnahme.
Auf die Vorbringen in den Rechtsschriften wird - soweit erforderlich - in den Erwägungen eingegangen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 6 UVG
werden - soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt - die Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt (Abs. 1). Ausserdem erbringt die Versicherung ihre Leistungen für Schädigungen, die dem Verunfallten bei der Heilbehandlung zugefügt werden (Abs. 3).
b) Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht. Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt, dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche oder geistige Integrität des Versicherten beeinträchtigt hat, der Unfall mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (
BGE 117 V 360
Erw. 4a mit Hinweisen).
Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die Verwaltung bzw. im Beschwerdefall der Richter im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden
BGE 118 V 286 S. 290
Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (
BGE 117 V 360
Erw. 4a mit Hinweisen). Für die Feststellung natürlicher Kausalzusammenhänge im Bereich der Medizin ist die Verwaltung bzw. der Richter bisweilen auf Angaben ärztlicher Experten angewiesen. Bei Gerichtsgutachten weicht der Richter nach der Praxis nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des medizinischen Experten ab, dessen Aufgabe es gerade ist, seine Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise widersprüchlich ist oder wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in überzeugender Weise zu andern Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Richter als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in Frage zu stellen, sei es, dass er die Überprüfung durch einen Oberexperten für angezeigt hält, sei es, dass er ohne Oberexpertise vom Ergebnis des Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (
BGE 112 V 32
Erw. 1a mit Hinweisen).
c) Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt im weiteren voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (
BGE 117 V 361
Erw. 5a und 382 Erw. 4a, je mit Hinweisen).
2.
a) Aufgrund der klaren und überzeugenden Darlegungen im von der Vorinstanz eingeholten Obergutachten des Prof. P. vom 26. April 1991 ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bereits vor dem Ereignis vom 3. August 1987 an einer stummen - für ihn nicht erkennbaren - Sehnenscheidentuberkulose litt. Wie Prof. P. weiter ausführte, bilden sich nach Ansiedlung von Tuberkelbazillen gleichzeitig Entzündungsprozesse mit Nekrosebildung und Heilungsvorgänge mit Vernarbungen, weshalb derartige chronische Entzündungs- und Vernarbungsvorgänge "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" am 3. August 1987 beim Beschwerdeführer in den Beugesehnenscheiden vorhanden gewesen
BGE 118 V 286 S. 291
seien. Die abrupte Fehlbewegung, die der Beschwerdeführer gemacht habe, als er am 3. August 1987 die Kontrolle über die laufende Handbohrmaschine verlor, habe zu einer Zerreissung oder Überdehnung von Sehnenscheidenverklebungen und -verwachsungen geführt, wodurch die vom Hausarzt am 4. August 1987 festgestellte und radiologisch dokumentierte Ergussbildung und das dadurch bedingte Carpaltunnelsyndrom entstanden seien. Das gegen diese Sehnenscheidenentzündung verabreichte Cortico-Steroid habe die lokale Abwehr des Gewebes gegen die Tuberkelbazillen vollständig blockiert, was zum eigentlichen Ausbruch der Handgelenktuberkulose und damit zu Vernarbungen und Verklebungen geführt habe, welche ihrerseits eine Bewegungseinschränkung der linken Hand bewirkten.
b) Diese Darstellung des medizinischen Sachverhalts zeigt eindeutig, dass es sich beim Ereignis vom 3. August 1987 um einen - unbestrittenermassen versicherten - Unfall handelte, der als mittelbare, indirekte Teilursache für den eingetretenen Defektzustand mitverantwortlich ist. Die Fehlbewegung der linken Hand bewirkte die Zerreissung oder Überdehnung der vorbestandenen, tuberkulosebedingten Verwachsungen in den Sehnenscheiden, und die Behandlung der dadurch entstandenen Ergussbildung mit Kortison führte zum eigentlichen Ausbruch der tuberkulösen Entzündung. Ohne den Vorfall vom 3. August 1987 wäre die Tuberkulose nicht oder jedenfalls nicht in jenem Zeitpunkt ausgebrochen. Dem Unfallereignis kommt somit klarerweise der Stellenwert einer conditio sine qua non zu; es kann nicht weggedacht werden, ohne dass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele (vgl. Erw. 1b). Damit ist der natürliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 3. August 1987 und der durch die Sehnenscheidentuberkulose entstandenen Bewegungseinschränkung der linken Hand erstellt.
3.
a) Das kantonale Gericht hat die Leistungspflicht der SUVA mit der Begründung verneint, selbst wenn der natürliche Kausalzusammenhang gegeben wäre, fehle es an der Adäquanz, weil es "gerade nicht der allgemeinen Erfahrung" entspreche, "dass die (an sich überdosierte) Behandlung von Folgen eines Bagatelltraumas eine (bis anhin klinisch nicht manifeste) Erkrankung der vorliegenden Art auslöst".
Bei physischen Unfallfolgen spielt indessen die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der aus dem natürlichen Kausalzusammenhang sich ergebenden Haftung des Unfallversicherers praktisch keine Rolle, indem die Unfallversicherung auch für seltenste, schwerwiegendste
BGE 118 V 286 S. 292
Komplikationen haftet, welche nach der unfallmedizinischen Erfahrung im allgemeinen gerade nicht einzutreten pflegen (vgl.
BGE 117 V 365
unten, mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung). Ob hievon abzuweichen und der Adäquanz auch bei physischen mittelbaren Unfallfolgen die Bedeutung des Korrektivs als Haftungsbeschränkung zuzumessen ist, wenn die Komplikation, wie im vorliegenden Fall, wesentlich aus dem krankhaften Vorzustand heraus gesetzt wird, kann im Hinblick auf die nachfolgenden Darlegungen offenbleiben.
b) Wie in Erw. 1 dargelegt, hat die Versicherung gemäss
Art. 6 Abs. 3 UVG
ihre Leistungen ausserdem für Schädigungen zu erbringen, die dem Verunfallten bei der Heilbehandlung (
Art. 10 UVG
) zugefügt werden.
Gemäss den Ausführungen des Prof. P. im Obergutachten vom 26. April 1991 waren "die mehrfachen Kenacortininjektionen in die Sehnenscheiden (nach Angabe 4x40 mg Triamcinolon), was einer 4fach höheren Dosis entspricht, als üblicherweise für derartige Lokalinfiltrationen eines Cortico-Steroides empfohlen wird", "entscheidend für den weiteren Verlauf und das akute Aufflammen der tuberkulösen Sehnenscheidenentzündung". Die lokale Abwehr des Gewebes gegen die Tuberkelbazillen sei durch diese Überschwemmung mit Steroiden vollständig blockiert worden, so dass es zum Überhandnehmen der tuberkulösen Infektion kam. Der Tuberkuloseschub und die dadurch bewirkten narbigen Verwachsungen und Zerstörungen an den Beugesehnenscheiden, welche wesentlich für das heutige Beschwerdebild verantwortlich sind, wurden somit durch die medizinische Behandlung verursacht. Dabei ist entscheidend, dass diese zu hoch dosierten Steroidinfiltrationen der Sehnenscheiden zur Behandlung der Unfallfolgen, d.h. des Sehnenscheidenergusses und des dadurch bedingten Carpaltunnelsyndroms, appliziert wurden, wie der gerichtliche Oberexperte ausdrücklich festhielt. Dass dem behandelnden Arzt, welcher diese Kenacortininjektionen vornahm, objektiv kein Vorwurf gemacht werden kann, weil er - wie der Beschwerdeführer - nicht um das Vorliegen einer vorbestandenen Tuberkulose wusste und wissen konnte, ändert nichts daran, dass die Unfallbehandlung den Schaden setzte. Dafür hat die SUVA gestützt auf
Art. 6 Abs. 3 UVG
aufzukommen, hat doch der Gesetzgeber durch den Erlass dieser Bestimmung bewusst eine Risikoteilung zwischen Unfall- und Krankenversicherung vorgenommen. Danach hat der Unfallversicherer für Schäden einzustehen, die durch Krankenpflegemassnahmen (Heilbehandlung) im Anschluss
BGE 118 V 286 S. 293
an versicherte Unfälle herbeigeführt werden, ohne dass diese behandlungsbedingte Schadensverursachung den Unfallbegriff, den Tatbestand des haftpflichtrechtlichen Kunstfehlers oder der strafrechtlich relevanten Körperschädigung erfüllen müsste (BBl 1976 III 187 oben; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 181).
c) Nach dem Gesagten hat die SUVA gestützt auf
Art. 6 Abs. 3 UVG
grundsätzlich für die Folgen einzustehen, die aus der Behandlung der am 3. August 1987 erlittenen Körperschädigung resultierten. Sie wird somit die einzelnen nach der Aktenlage in Frage kommenden Leistungen zu prüfen und gegebenenfalls zuzusprechen haben. Die Sache ist zu diesem Zweck an die SUVA zurückzuweisen.
4.
(Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc5f5b72-392c-4a08-90ef-9caf7ab79051 | Urteilskopf
83 IV 25
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Januar 1957 i.S. Rufener gegen Generalprokurator des Kantons Bern. | Regeste
Art.222Abs. 1StGB.
Wann ist eine Feuersbrunst fahrlässig
a) zum Schaden eines andern (Pächter, Versicherer) (Erw. 2 und 3) oder
b) unter Herbeiführung einer Gemeingefahr (Erw. 4) verursacht? | Sachverhalt
ab Seite 25
BGE 83 IV 25 S. 25
A.-
Paul Rufener ist Eigentümer des in Langenthal gelegenen landwirtschaftlichen Heimwesens Badgut, das seit 1952 von seinem Sohn Max Rufener als Pächter bewirtschaftet wird.
Am 26. Oktober 1955 wurden auf Badgut die Kamine gerusst. Die damit beschäftigten Kaminfeger Glanzmann und Leuenberger warfen den anfallenden Russ und die Asche in einen aus Holzbrettern errichteten und mit Blech ausgeschlagenen Behälter, der an die innere Ostwand des 12 auf 20 m messenden, auf der Südseite offenen Wagenschopfes angelehnt war. Dabei bemerkten sie, dass der Russ glimmte und die Asche rauchte. Dasselbe stellte Paul Rufener fest, der am Nachmittag des 26. Oktober 1955 zufällig in Badgut auf Besuch weilte. Er schlug vor, die Asche mit Wasser zu übergiessen. Glanzmann fand jedoch, es genüge, den Aschenhaufen mit einem Blech
BGE 83 IV 25 S. 26
zuzudecken, worauf Rufener in Gegenwart seines Sohnes Max Rufener die den Rand des Behälters übersteigende Asche abzutragen begann. Dabei kam, wie beide feststellten, Glut zum Vorschein, weswegen Paul Rufener seinen Sohn anwies, den Aschenbehälter zu überwachen.
In der Nacht des 27./28. Oktober 1955 brach im Wagenschopf des Badgutes ein Brand aus, der von der Feuerwehr von Langenthal gelöscht werden konnte. Der Brandherd wurde im Bereich des Aschenbehälters festgestellt und als Brandursache das Ablegen der nicht erkalteten Asche ermittelt. Der entstandene Schaden belief sich auf über Fr. 10'000.--. Er wurde von der Brandversicherungsanstalt des Kantons Bern gedeckt.
B.-
Am 3. Juli 1956 sprach die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern Paul Rufener der fahrrlässigen Verursachung einer Feuersbrunst schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 60.-.
C.-
Rufener führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Des Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 222 Abs 1 StGB
wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer fahrrlässig zum Schaden eines andern oder unter Herbeiführung einer Gemeingefahr eine Feuersbrunst verursacht.
Unbestritten ist, dass der dem Beschwerdeführer gehörende Wagenschopf des in Langenthal gelegenen Badgutes in der Nacht des 27./28. Oktober 1955 Gegenstand einer Feuersbrunst im Sinne der genannten Bestimmung war. Zur Entscheidung steht daher einzig, ob durch den Brand ein anderer geschädigt oder eine Gemeingefahr herbeigeführt wurde.
BGE 83 IV 25 S. 27
2.
Die Vorinstanz stellt fest, Max Rufener, der Sohn des Beschwerdeführers, sei durch die Feuersbrunst zu Schaden gekommen. Das ist eine Feststellung tatsächlicher Natur, an die der Kassationshof gebunden ist (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
). Damit ist indessen nicht gesagt, dass es sich um einen Schaden handelt, der dem Beschwerdeführer nach
Art. 222 StGB
zur Last fällt. Ein solcher Vorwurf wäre nur am Platz, wenn Rufener gegenüber seinem Sohn rechtlich verpflichtet gewesen wäre, den durch das Ablegen der nicht erkalteten Asche geschaffenen gefährlichen Zustand zu beseitigen. Davon kann nicht die Rede sein. Es ist nicht Sache des Verpächters, sondern des Pächters eines landwirtschaftlichen Heimwesens dafür zu sorgen, dass die mit dem ordentlichen Unterhalt des Gutes zusammenhängenden Reinigungsarbeiten, wozu auch das Russen der Kamine zählt, so ausgeführt werden, dass daraus niemand ein Schaden erwächst. Das gilt vorliegend umso mehr, als Max Rufener nach der verbindlichen Feststellung des angefochtenen Urteils selbst gesehen hatte, dass sich im Aschenbehälter Glut befand, und er vom Vater angewiesen worden war, den Aschenhaufen im Auge zu behalten und zu kontrollieren. Kannte er aber die Gefahr, lag es an ihm, das zum Schutz seiner Interessen Erforderliche vorzukehren. Liess er es daran fehlen, kann der ihm aus seiner eigenen Unvorsichtigkeit entstandene Schaden nicht zum Anlass genommen werden, um seinen Vater nach
Art. 222 StGB
zu bestrafen. Daran ändert nichts, dass es nach Art. 43 des bernischen Gesetzes über die kantonale Versicherung der Gebäude gegen Feuersgefahr vom 1. März 1914/30. Oktober 1927 dem Gebäudeeigentümer als Versicherungsnehmer obliegt, ein ausgebrochenes Schadenfeuer zu bekämpfen, bei Naturereignissen die zur Schadensabwendung geeigneten Schutzvorkehren zu treffen und überhaupt zur Schadensminderung nach Kräften beizutragen. Diese Pflicht betrifft ausschliesslich das Verhältnis des Beschwerdeführers zur kantonalen Brandversicherungsanstalt, nicht aber seinen Pflichtenkreis
BGE 83 IV 25 S. 28
aus dem Pachtverhältnis. Inwiefern sich aus § 1 des bernischen Dekretes betreffend die Feuerordnung vom 1. Februar 1897, wonach jedermann gehalten ist, mit Feuer und Licht sorgfältig umzugehen, etwas anderes ergeben sollte, ist nicht ersichtlich. Weder hat der Beschwerdeführer den gefährlichen Zustand geschaffen, noch gehörte es nach dem Gesagten zu seinen Obliegenheiten als Verpächter, für die richtige Ausführung der durch die ordentliche Bewirtschaftung des Gutes bedingten Reinigungsarbeiten besorgt zu sein.
3.
Die Vorinstanz hält dafür, der Brandversicherungsanstalt des Kantons Bern sei dadurch, dass sie den Feuerschaden auf Grund des Gesetzes über die kantonale Versicherung der Gebäude gegen Feuersgefahr habe decken müssen, ein nach
Art. 222 StGB
beachtlicher Schaden entstanden. Zur Begründung verweist sie auf die herrschende Lehre, die in Fällen wie dem vorliegenden eine Schädigung des Versicherers annimmt und diesen als "andern" im Sinne der genannten Bestimmung erachtet (HAFTER, Lehrbuch, S. 499; THORMANN/v. OVERBECK, Kommentar, N. 8 zu 221; LOGOZ, Kommentar, N. 2 b zu Art. 221; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, Nr. 669). Diese Auffassung hält indessen bei näherer Prüfung nicht stand.
Durch die Zerstörung oder Beschädigung des versicherten Gegenstandes wird der Versicherer in seinen Rechten nicht unmittelbar berührt. Erleidet er mit Eintritt des Schadensfalles eine Vermögenseinbusse, so lediglich infolge einer ihm obliegenden Entschädigungspflicht. Dass ein solcher Nachteil als Schaden im Sinne des
Art. 222 StGB
zu gelten habe, sagt das Gesetz nicht. Auch wird in der angeführten Literatur nicht näher begründet, warum dem so sein sollte. Zwar berufen sich HAFTER und THORMANN/v. OVERBECK auf die Gesetzesmaterialien, indem sie das Votum des Berichterstatters der ständerätlichen Kommission heranziehen, der es für selbstverständlich erachtete, dass als "anderer" auch eine Versicherungsgesellschaft in
BGE 83 IV 25 S. 29
Betracht kommt (Sten.Bull. StR 1936 S. 350). Darauf kann jedoch deswegen nicht abgestellt werden, weil nicht nur nichts dafür vorliegt, dass der Nationalrat dem gefolgt wäre, sondern im Gegenteil die Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission den Standpunkt vertraten, es handle sich hiebei um "eine andere Frage, die für die strafrechtliche Beurteilung nicht ins Gewicht fällt" (Sten. Bull. 1934, S. 703/4). Bei diesem Gegensatz der Meinungen lässt sich aus der Entstehungsgeschichte weder etwas für noch wider die herrschende Lehre ableiten. Anders verhält es sich dagegen, wenn man von dem der Leistungspflicht des Versicherers zugrunde liegenden Rechtsverhältnis ausgeht.
Im Versicherungsvertrag verspricht der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegen Entgelt für den Fall der Zerstörung, Verletzung oder Schädigung eines Gegenstandes durch ein ungewisses, zukünftiges Ereignis eine in Geld bestimmbare Leistung. Tritt der Schadensfall ein und bezahlt der Versicherer die Versicherungssumme, liegt darin nichts anderes als die Erfüllung einer Vertragspflicht. Das gilt ohne Unterschied auch dann, wenn der Versicherungsnehmer den Eintritt des Schadensereignisses schuldhaft herbeiführt und der Versicherer für solche Fälle die Schadensdeckung übernommen hat. Erleidet dieser dabei eine Vermögenseinbusse, kann er sich - betrügerische Schadensstiftung vorbehalten - nicht darauf berufen, durch den Versicherungsnehmer geschädigt worden zu sein. Nicht anderes verhält es sich, wenn der Versicherer kraft kantonalen Gesetzes zum Abschluss des Versicherungsvertrages verpflichtet ist.
Steht aber zivilrechtlich ein Schaden gar nicht in Frage, geht es nicht an, die beim Versicherer infolge Erfüllung einer vertraglichen Leistungspflicht entstandene Vermögensverminderung dem Versicherungsnehmer als Schaden nach
Art. 222 StGB
zur Last zu legen. Einer solchen Ordnung entspräche nicht nur kein schutzwürdiges Interesse, sondern sie müsste auch zu unhaltbaren Ergebnissen führen.
BGE 83 IV 25 S. 30
Wäre es doch beispielsweise widersinnig, einerseits den Versicherer kraft zwingender gesetzlicher Vorschrift (Art. 14 Abs. 4 in Verbindung mit
Art. 98 Abs. 1 VVG
) in vollem Umfang für den Schaden haften zu lassen, den der Versicherungsnehmer leichtfahrlässig verschuldet hat, und anderseits diesen letzteren für dieselbe Fahrlässigkeit nach
Art. 222 StGB
zu bestrafen, weil der Versicherer in Erfüllung einer von Gesetzes wegen unabdingbaren Vertragspflicht eine Vermögenseinbusse erlitt. Der Vermögensnachteil, welcher dem Versicherer durch Bezahlung der Versicherungssumme erwächst, fällt daher als Schaden nach
Art. 222 StGB
ausser Betracht.
4.
Ist der Vorwurf der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe "zum Schaden eines andern" eine Feuersbrunst verursacht, unbegründet, bleibt lediglich zu prüfen, ob durch den Brand eine Gemeingefahr geschaffen wurde.
Wie die herrschende Lehre annimmt, muss die Gemeingefahr im Sinne des
Art. 222 StGB
eine konkrete sein (HAFTER, a.a.O., S. 492; THORMANN/v. OVERBECK, a.a.O., Vorbemerkung 1 zu Art. 221-230; LOGoz, a.a.O., Vorbemerkung 2 zu Art. 221-230; SCHWANDER, a.a.O., Nr. 666 Ziff. 5). Dem ist beizupflichten. Würde eine bloss abstrakte Gefährdung genügen, wäre nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber in
Art. 222 StGB
, der unter dem Titel der "Gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen" eingereiht ist, noch ausdrücklich auf die "Herbeiführung der Gemeingefahr" hätte hinweisen müssen.
Die Vorinstanz hat die Frage nach der Gemeingefahr bejaht, weil der ganze Schopf in Flammen gestanden sei und das Gebäude sich in nächster Nähe der Scheune befinde. Angesichts des Umstandes, dass Schopf und Scheune Eigentum des Beschwerdeführers waren, genügt die nahe Möglichkeit einer Übertragung des Feuers vom einen auf das andere Gebäude nicht, um eine Gemeingefahr anzunehmen. Anders wäre es nur, wenn ein Übergreifen des Brandes vom Schopf auf die Scheune zugleich eine konkrete Gefährdung des von Max Rufener und seiner
BGE 83 IV 25 S. 31
Familie bewohnten Hauses zur Folge gehabt hätte. Indessen steht überhaupt nicht fest, dass die Scheune von Flammen bedroht war. Die Annahme des Obergerichtes, wonach sich dieses Gebäude in nächster Nähe des Schopfes befindet, ist zu unbestimmt, als dass sie einen solchen Schluss zuliesse. Das angefochtene Urteil schweigt sich jedoch nicht bloss über die genaue Entfernung zwischen Schopf und Scheune aus, sondern es enthält auch keine näheren Angaben über die Distanz zwischen diesen und dem Wohnhaus. Das Fehlen entsprechender tatsächlicher Feststellungen fällt vorliegend umso mehr ins Gewicht, als die Behauptung des Beschwerdeführers, es sei zur Zeit des Brandes windstill gewesen, von der Vorinstanz nicht widerlegt wurde.
Ob die von gewissen Autoren vertretene Auffassung, wonach eine Gemeingefahr immer dann anzunehmen sei, wenn die Feuerwehr eingreife (vgl. HAFTER, a.a.O., S. 500), dem Sinn des Gesetzes entspricht, erscheint zweifelhaft. Ist doch nicht zu verkennen, dass die Feuerwehrleute in solchen Fällen nicht unverhofft einer Gefahr ausgesetzt werden, sondern die mit dem Löschen von Bränden verbundenen Risiken als Folge ihrer Dienst- oder Berufspflicht auf sich nehmen. Indessen kann die Frage offen bleiben, weil so oder anders nach
Art. 222 StGB
eine konkrete Gefährdung gegeben sein müsste und dem angefochtenen Urteil hierüber nichts zu entnehmen ist. | null | nan | de | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc636fee-6f97-46d9-bd70-9e17dbec39f1 | Urteilskopf
141 III 64
10. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit civil dans la cause A. contre B. (recours en matière civile)
4A_214/2014 du 5 décembre 2014 | Regeste
Art. 415 OR
; Doppelmäklerei beim Vermittlungsmäklervertrag; Verwirkung des Anspruchs auf Mäklerlohn.
Im Immobilienbereich führt die Tatsache, dass ein Mäkler mit dem Verkäufer (bzw. Käufer) einer Liegenschaft einen Vermittlungsmäklervertrag abschliesst, zwangsläufig zu einem Interessenkonflikt, wenn er mit dem Käufer (bzw. Verkäufer) einen zweiten Vermittlungsmäklervertrag abschliesst. Gemäss
Art. 415 OR
in fine sind beide Mäklerverträge nichtig und der Mäkler verliert seinen Anspruch auf Mäklerlohn aus beiden Verträgen (E. 4.1-4.3). | Erwägungen
ab Seite 65
BGE 141 III 64 S. 65
Extrait des considérants:
4.
4.1
A teneur de l'
art. 415 CO
, le courtier perd son droit au salaire et au remboursement de ses dépenses, s'il agit dans l'intérêt du tiers contractant au mépris de ses obligations, ou s'il se fait promettre par lui une rémunération dans des circonstances où les règles de la bonne foi s'y opposaient.
L'
art. 415 CO
vise deux hypothèses: la première est celle où le courtier enfreint ses obligations de fidélité (cf.
art. 412 al. 2 CO
qui renvoie à l'
art. 398 al. 2 CO
) en agissant dans l'intérêt du tiers contractant - c'est-à-dire du cocontractant potentiel de son mandant - au mépris des obligations qu'il assume envers ce dernier; la seconde est celle où le courtier se fait promettre par le tiers cocontractant une rémunération dans une situation qui heurte les règles de la bonne foi (cf. CATERINA AMMANN, in Basler Kommentar, Obligationenrecht, vol. I, 5
e
éd. 2011, n
os
2-4 ad
art. 415 CO
; FRANÇOIS RAYROUX, in Commentaire romand, Code des obligations, vol. I, 2
e
éd. 2012, n° 2 ad
art. 415 CO
).
4.2
Il résulte de la décision attaquée que C. et le recourant étaient liés depuis le 8 mars 2010 par un contrat de courtage de négociation portant sur la vente de la villa de la première au prix minimum de 2'200'000 fr.
En automne 2010, l'intimé a téléphoné au recourant pour formuler une offre d'achat de la villa pour le prix de 1'800'000 fr. Après discussion avec le recourant, qui lui avait demandé si le prix d'achat pouvait être augmenté, l'intimé s'est déclaré prêt à verser 1'825'000 fr. pour acquérir l'immeuble.
Le recourant a informé C. de l'offre d'achat de l'intimé au montant de 1'800'000 fr., mais il ne lui a pas précisé que l'intimé acceptait, le cas échéant, d'augmenter le prix à 1'825'000 fr.
Après ses vacances d'octobre 2010, C. a accepté, en signant un avenant au contrat de courtage, rédigé par le recourant, de baisser le prix de vente net au montant de 1'755'000 fr.; avec la commission de courtage envisagée, qui était de 45'000 fr., le prix de vente devait se monter à 1'800'000 fr.
BGE 141 III 64 S. 66
Le 21 octobre 2010, un tiers a proposé au recourant d'acheter ladite villa au prix de 1'900'000 fr. Ce dernier n'a pas communiqué cette offre à la propriétaire de l'immeuble. Il a en revanche averti immédiatement l'intimé que d'autres amateurs s'intéressaient à acquérir l'immeuble, de sorte que sa décision d'acheter devait intervenir rapidement.
Toujours le 21 octobre 2010, le recourant a conclu avec l'intimé un second contrat de courtage de négociation. Selon cet accord, l'intimé se déclarait prêt à payer pour la villa le prix de 1'800'000 fr., somme à laquelle devait s'ajouter une commission de courtage globale de 30'000 fr. (incluant 5'000 fr. de "commission de succès").
Le 26 octobre 2010, C. a vendu sa villa à l'intimé au prix de 1'800'000 fr., l'entrée en jouissance étant agendée au 1
er
février 2011.
4.3
L'enchaînement de ces événements amène le Tribunal fédéral à poser les principes suivants.
En matière immobilière, le simple fait pour un courtier de conclure un contrat de courtage de négociation avec le vendeur (respectivement l'acheteur) d'un bien-fonds entraîne un conflit d'intérêts s'il conclut avec l'acheteur (respectivement le vendeur) un second courtage de négociation.
Dans un tel cas de figure, il est en effet inconcevable que le courtier négociateur d'immeubles, qui doit obtenir le prix le plus haut pour le vendeur et le prix le plus bas pour l'acheteur, ne se trouve pas dans une situation à risque de conflit d'intérêts, dès l'instant où il est appelé à défendre des intérêts opposés: en effet, soit le courtier favorise les intérêts financiers de l'une ou l'autre des parties à la transaction immobilière, de sorte qu'il enfreint son obligation de fidélité (
art. 412 al. 2 CO
qui renvoie à l'
art. 398 al. 2 CO
) à l'égard d'un de ses mandants; soit il agit, comme dans la présente espèce, dans son propre intérêt, cela au mépris des devoirs de fidélité que la passation des deux contrats de courtage avec ses mandants ont fait naître.
In casu, il appert que le recourant a incité la venderesse à accepter une baisse du prix de vente net à 1'755'000 fr. - sans l'avoir informée qu'un tiers avait présenté une offre plus élevée que celle de l'intimé - et s'est fait promettre par celle-ci que tout montant payé par l'acheteur dépassant le prix réduit lui reviendrait à titre de
BGE 141 III 64 S. 67
commission de courtage. Dans le même temps, il a conduit les négociations avec l'intimé, mais il ne l'a pas fait bénéficier du prix de vente réduit par la venderesse, puisqu'il a fait état à l'acheteur d'un prix de 1'800'000 fr. (qui sera le prix de vente définitif), auquel devait s'ajouter pour celui-ci le paiement au courtier d'une commission de courtage de 25'000 fr., plus 5'000 fr. de "commission de succès".
Le caractère inévitable du conflit d'intérêts en matière de vente immobilière est reconnu en doctrine (cf. THÉVENOZ/PEYROT, Le contrat de courtage immobilier, in Servitudes, droit de voisinage, responsabilités du propriétaire immobilier, 2007, p. 129; HEINRICH HONSELL, Schweizerisches Obligationenrecht, Besonderer Teil, 9
e
éd. 2010, p. 357; CLAIRE HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, 2
e
éd. 2014, n. 3369 p. 1012; AMMANN, op. cit., n° 4 ad
art. 415 CO
).
En conséquence, il convient d'admettre, dans le domaine immobilier, que le double courtage de négociation tombe sous le coup de la situation visée à l'art. 415 in fine CO, que les deux contrats sont nuls et que le courtier perd son droit au salaire en rapport avec les deux contrats.
En jugeant que le recourant devait être déchu de son droit au salaire à l'égard de l'intimé, la cour cantonale n'a pas transgressé l'
art. 415 CO
. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc650e4a-caca-4d27-b4de-1c8a79fb337a | Urteilskopf
84 I 161
23. Urteil vom 2. Juli 1958 i.S. AG Carl Hartmann gegen Einwohnergemeinde Biel und Baudirektion des Kantons Bern. | Regeste
1.
Art. 90 Abs. 1 lit. b OG
; staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
. Neue, im kantonalen Verfahren zulässige, aber nicht geltend gemachte Vorbringen sind vor Bundesgericht grundsätzlich ausgeschlossen (Erw. 1).
2.
Art. 954 Abs. 1 ZGB
; Gebühren für die Grundbuchvermessung und deren Nachführung. Abgrenzung von Gebühr und Gemengsteuer; Grundsätze für die Bemessung von Gebühren (Erw. 3, 4). | Sachverhalt
ab Seite 161
BGE 84 I 161 S. 161
A.-
Gemäss
Art. 954 Abs. 1 ZGB
dürfen die Kantone für die mit den Grundbucheintragungen verbundenen
BGE 84 I 161 S. 162
Vermessungsarbeiten Gebühren erheben. Nach Art. 3 Abs. 2 der bundesrätlichen Verordnung über die Grundbuchvermessungen vom 5. Januar 1934 haben die Kantone über die Tragung der Kosten der Vermessung und der Nachführung Bestimmungen aufzustellen, die der Genehmigung, des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements bedürfen.
Das bernische Dekret über die Nachführung der Vermessungswerke vom 23. November 1915 beauftragt in § 34 den Regierungsrat, einen Gebührentarif aufzustellen, der das dem Nachführungsgeometer zustehende Entgelt festsetzt. Auf Grund dieser Bestimmung hat der Regierungsrat am 18. August 1925 einen "Akkordtarif" erlassen, der am 1. April 1952 den Verhältnissen angepasst worden ist. Ziff. 2 Abs. 3 des betreffenden Beschlusses ermächtigt die Kreise, in denen Beamte den Nachführungsdienst besorgen, einen besonderen Tarif aufzustellen, der vom Regierungsrat zu genehmigen ist.
Die Stadt Biel hat (wie die Kantonshauptstadt) von dieser Befugnis Gebrauch gemacht. Nach Art. 1 lit. A des Gebührentarifs für das Vermessungsamt der Stadt Biel vom 17. Oktober 1951 ist für jede Grenzänderung eine Grundtaxe von Fr. 5.- zu erheben (Ziff. 1), die sich vermehrt um Fr. 6.- "für je Fr. 1000.-- Verkehrswert der neu entstandenen bzw. der abgetrennten Grundflächen. Für das angebrochene Tausend ist der volle Wertzuschlag zu berechnen" (Ziff. 2).
Der städtische Gebührentarif ist vom Regierungsrat und vom eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement genehmigt worden, das auch den angeführten kantonalen Erlassen die Genehmigung erteilt hat.
B.-
Anfangs Dezember 1957 ersuchte die AG Carl Hartmann das Vermessungsamt der Stadt Biel, einen Abschnitt von 1471 m2 ihres Grundstücks Kat. Nr. 2633 in Biel zu vermessen. Die neue Parzelle wurde um Fr. 500'000.-- verkauft. Unter Zugrundelegung dieses Verkehrswerts stellte das Vermessungsamt der Verkäuferin
BGE 84 I 161 S. 163
für die Vermessungsarbeiten Fr. 3014.-- in Rechnung.
Gestützt auf § 37 des Dekrets über die Nachführung der Vermessungswerke ersuchte die AG Carl Hartmann die Baudirektion des Kantons Bern um amtliche Kostenfestsetzung mit dem Antrag, die Rechnung herabzusetzen. Sie machte geltend, eine Gebühr dürfe den Wert der dadurch abzugeltenden Verwaltungsleistung nicht übersteigen. Nach dem "Akkordtarif" hätte ein freierwerbender Nachführungsgeometer für die vom Vermessungsamt ausgeführten Arbeiten höchstens Fr. 270.-- verlangen dürfen, welcher Betrag die entstandenen Aufwendungen und Auslagen vollständig decke. Der Mehrforderung des Vermessungsamts stünden keine entsprechenden Leistungen gegenüber; es handle sich dabei mithin um eine Steuer. Der Gesamtbetrag der Rechnung sei daher als Gemengsteuer zu betrachten. Für eine solche sei indes keine gesetzliche Grundlage vorhanden, weshalb die Erhebung des Fr. 270.-- übersteigenden Mehrbetrags rechtswidrig sei.
Die Baudirektion hat das Moderationsbegehren am 6. März 1958 abgewiesen. Sie hat dazu ausgeführt, in den Städten seien die Vermessungsarbeiten in Anbetracht der hohen auf dem Spiele stehenden Werte mit weit grösserer Genauigkeit auszuführen als auf dem Lande. Für die vermehrten Aufwendungen, die dadurch bedingt würden, müsse den städtischen Vermessungsämtern ein höheres Entgelt zugestanden werden als den vornehmlich auf dem Lande tätigen freierwerbenden Nachführungsgeometern. Im gleichen Sinne seien die verschiedenen Nebenleistungen zu berücksichtigen, welche die Vermessungsämter kostenlos zu erbringen hätten. Deren Gebühren seien so angesetzt worden, dass das Entgelt für die Vermessung wertvollen Landes den Ausfall aus den vielen kleinen Geschäften ausgleiche, bei denen das Amt nicht auf seine Rechnung komme.
C.-
Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
beantragt die AG Carl
BGE 84 I 161 S. 164
Hartmann, die Verfügung der kantonalen Baudirektion sei aufzuheben, und es sei die Sache zu neuer Entscheidung an die kantonale Instanz zurückzuweisen. Die Begründung der Beschwerde ist, soweit wesentlich, aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.-
Die Baudirektion des Kantons Bern und der Gemeinderat der Stadt Biel schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Wie der Staatsgerichtshof wiederholt entschieden hat, kann einer Behörde nicht Willkür vorgeworfen werden, wenn sie Argumente ausser Betracht lässt, die an sich im kantonalen Verfahren hätten vorgebracht werden können, von den Parteien aber nicht geltend gemacht worden sind (
BGE 77 I 9
Erw. 3 und dort angeführte Urteile;
BGE 83 I 237
)..Auf die erstmals in der Beschwerdeschrift enthaltenen Einwendungen ist daher nicht einzutreten. Dies betrifft namentlich die Rüge, nach dem Dekret über die Nachführung der Vermessungswerke hätte der Regierungsrat für das ganze Kantonsgebiet einen einheitlichen Gebührentarif zu erlassen gehabt.
2.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sich der Moderationsentscheid der kantonalen Baudirektion auf den Gebührentarif für das Vermessungsamt der Stadt Biel zu stützen vermag. Sie macht vielmehr geltend, Art. 1 lit. A des Tarifs, den die kantonale Behörde angewendet hat, sei selbst verfassungswidrig. Diese Rüge ist zulässig. Freilich kann die genannte Vorschrift nicht mehr als solche mit der staatsrechtlichen Beschwerde angefochten werden, weil die Frist dazu längst abgelaufen ist; wohl aber kann ihre Verfassungswidrigkeit noch im Anschluss an jeden einzelnen Anwendungsfall gerügt und verlangt werden, dass die sich darauf stützende Entscheidung deswegen aufgehoben werde (
BGE 84 I 21
Erw. 2 und dort angeführte Urteile).
Die Beschwerdeführerin bezeichnet Art. 1 lit. A des
BGE 84 I 161 S. 165
Gebührentarifs insofern als willkürlich, als diese Bestimmung dem Pflichtigen eine Gemengsteuer auferlege, während
Art. 954 Abs. 1 ZGB
, die bundesrätliche Verordnung über die Grundbuchvermessung und das bernische Dekret über die Nachführung der Vermessungswerke nur die Erhebung von Gebühren vorsähen. Zu prüfen ist, ob der auf Grund der angeführten Tarifposition in Rechnung gestellte Betrag tatsächlich nicht mehr ohne Willkür als Gebühr angesprochen werden könne.
3.
Von den besonderen Verhältnissen staatlicher und kommunaler industrieller Betriebe abgesehen, kommt einer Abgabe, die als Entgelt für eine bestimmte, durch den Pflichtigen veranlasste Amtshandlung erhoben wird, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann kein Gebührencharakter mehr zu, wenn ihr Gesamtertrag über die Gesamtkosten des betreffenden Verwaltungszweigs hinausgeht (
BGE 53 I 484
und dort angeführte Urteile;
BGE 56 I 516
,
BGE 72 I 397
Erw. 4). Nach der Gemeinderechnung der Stadt Biel für die Jahre 1955 und 1956 decken die Gebühren mit einem Ertrag von Fr. 52'948.10 bzw. 46'701.80 nur etwas mehr als die Hälfte des Aufwands des Vermessungsamts in der Höhe von Fr. 102'639.90 bzw. 97'089.50. Dass sich die Verhältnisse in den Vorjahren anders gestaltet hätten, oder dass seither eine Änderung eingetreten sei, behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Sie macht dagegen geltend, das Vermessungsamt habe, wie die kantonale Baudirektion ausführe, verschiedene Obliegenheiten zu erfüllen (Auskunftserteilung, Überprüfung sämtlicher Baugesuche, Herausgabe des Stadtplans), die mit der Nachführung des Vermessungswerks nichts zu tun hätten, und deren Kosten folglich nicht aus den Nachführungsgebühren gedeckt werden dürften. Ob es sich bei den genannten Amtshandlungen wirklich um anderweitige und dementsprechend auch mit anderen Mitteln zu finanzierende öffentliche Aufgabe handle, kann jedoch offen bleiben. Die Beschwerde enthält keine Angaben darüber, wieviel das Vermessungsamt für diese zusätzlichen Aufgaben
BGE 84 I 161 S. 166
aufwendet. Aus den Akten aber ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die entsprechenden Zahlungen der Grundeigentümer mehr einbrächten als die Kosten, die dem Vermessungsamt aus der Nachführung des Vermessungswerks erwachsen.
4.
Dieser Umstand genügt allerdings allein noch nicht, um die in Frage stehende Abgabe als Gebühr erscheinen zu lassen. Der Charakter eines besondern Entgelts, der die Gebühr von der Steuer unterscheidet, muss vielmehr auch in der Aufteilung der Gesamtkosten des Verwaltungszweigs auf die einzelnen Bürger zum Ausdruck kommen, die dessen Dienste in Anspruch nehmen: es muss dafür ein Massstab gewählt werden, der auf die Kosten der einzelnen Amtshandlung und die Grösse der damit verbundenen Verantwortung in angemessener Weise Rücksicht nimmt (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil vom 27. April 1923 i.S. SBB gegen Basel, S. 10). Unter den Kosten sind dabei nicht nur die unmittelbaren Aufwendungen für die veranlasste Amtshandlung zu verstehen; es fällt darunter auch ein Anteil an den allgemeinen Unkosten. Diese brauchen nicht notwendigerweise so auf die einzelnen Mühewaltungen verteilt zu werden, wie es dem dadurch verursachten Arbeits- und Kostenaufwand entspräche; es kann dabei vielmehr auch das Interesse des Pflichtigen an der Amtshandlung und dessen Leistungsfähigkeit dergestalt berücksichtigt werden, dass die Gebühren für bedeutende Geschäfte den Ausfall aus Verrichtungen ausgleichen, für die wegen der Geringfügigkeit des Interesses keine kostendeckende Entschädigung verlangt werden kann (
BGE 83 I 89
). So hat das Bundesgericht insbesondere entscheiden, dass die Grundbuchgebühren nach dem Wert der einzutragenden Rechte bemessen werden können (
BGE 53 I 486
). Mit Bezug auf die Kosten der Nachführung der Grundbuchvermessung kann es sich nicht anders verhalten. Wenn der Gebührentarif für das Vermessungsamt der Stadt Biel (wie übrigens auch der "Akkordtarif") die dem Pflichtigen zu belastenden Kosten
BGE 84 I 161 S. 167
nach dem Wert des vermessenen Landes abstuft, so spricht das somit nicht gegen den Gebührencharakter der Abgabe.
Die Beschwerdeführerin stellt dies denn auch nicht grundsätzlich in Frage. Ihr Einwand aber, ein freierwerbender Nachführungsgeometer hätte für die selbe Arbeit nach dem "Akkordtarif" höchstens Fr. 270.-- verlangen dürfen, erscheint nach dem Gesagten als unbehelflich. Da für die Verlegung der Kosten der Verwaltung und der öffentlichen Betriebe nicht durchwegs die gleichen Gesichtspunkte massgebend sind wie für die Preisgestaltung privater Unternehmungen, konnte der Gebührentarif für das Vermessungsamt der Stadt Biel die Gesamtunkosten dieser Amtsstelle ohne Willkür und Verletzung der Rechtsgleichheit in anderer Weise auf die einzelnen Verrichtungen aufteilen, als es der "Akkordtarif" mit Bezug auf die Geschäftskosten der freierwerbenden Nachführungsgeometer getan hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cc66b796-4fd0-41be-b753-2e3af0486ef2 | Urteilskopf
125 II 613
61. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Dezember 1999 i.S. Commcare AG Communications & Networks gegen Swisscom AG und Eidgenössische Kommunikationskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 97 OG
und
Art. 101 lit. a OG
,
Art. 5 VwVG
und
Art. 45 VwVG
,
Art. 3 FMG
und
Art. 11 FMG
sowie Art. 43, 44, 45 und 46 FDV; einstweiliger Rechtsschutz im Interkonnektionsverfahren.
Die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht setzt unter anderem voraus, dass die Verfügung über vorsorgliche Mass- nahmen für den Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Bedeutung eines solchen Nachteils im Interkonnektionsverfahren und Prüfung, ob ein solcher im zu beurteilenden Einzelfall vorliegt (E. 1-7). | Sachverhalt
ab Seite 614
BGE 125 II 613 S. 614
Die Commcare AG Communications & Networks trifft für ihre Kundschaft Telekommunikationslösungen lokaler (im sogenannten LAN-Bereich; LAN = local area network) sowie überbetrieblicher Dimension (im sogenannten WAN- Bereich; WAN = wide area network). Sie plant, realisiert, betreibt und wartet Telekommunikationsnetze vorab im Zusammenhang mit der Datenübertragung und erbringt Carrierdienste, wozu sie konzessioniert ist. Sie unterhält ein Netz, das sich über die drei Grossräume der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz erstreckt. Nur zum Teil wird dieses Netz mit eigenen Telekommunikationsanlagen der Commcare AG sichergestellt; sie ist zwar daran, ein eigenes physisches Leitungsnetz, vorab im Raum Zürich, aufzubauen, im Übrigen beruhen ihre Dienstleistungen aber auf physischen Leitungen (Mietleitungen und Übertragungsmedien) anderer Unternehmungen.
Am 21. September 1998 ersuchte die Commcare AG die Eidgenössische Kommunikationskommission, gegenüber der Swisscom AG eine Verfügung auf Interkonnektion gemäss Art. 11 Abs. 3 des Fernmeldegesetzes vom 30. April 1997 (FMG; SR 784.10; AS 1997 2187) bzw.
Art. 43 ff. der Verordnung vom 6. Oktober 1997 über Fernmeldedienste (FDV; SR 784.101.1; AS 1997 2833)
zu treffen. Nebst den eigentlichen Anträgen in der Sache stellte die Commcare AG unter dem Titel "Gesuch um vorsorgliche Massnahmen" mehrere Rechtsbegehren mit dem Ziel, superprovisorische bzw. vorsorgliche Interkonnektionsvereinbarungen zur Bereitstellung und Benutzung der Mietleitungen und Übertragungsmedien der Swisscom AG festzulegen; eventuell seien wenigstens die Preise superprovisorisch oder einstweilig zu bestimmen.
Das Bundesamt für Kommunikation als Instruktionsbehörde im Interkonnektionsverfahren forderte die Swisscom AG am 29. September 1998 zur Stellungnahme auf, womit das Bundesamt es implizit ablehnte, superprovisorisch zu handeln. Die Swisscom AG beantragte, die Begehren um einstweiligen Rechtsschutz seien abzuweisen bzw. teilweise sei darauf nicht einzutreten. In der Folge konsultierte das Bundesamt die Wettbewerbskommission zur Frage, ob die Swisscom AG im fraglichen Tätigkeitsbereich marktbeherrschend sei. Im daran anschliessenden zweiten Schriftenwechsel stellte die Commcare AG ergänzende Anträge; namentlich ersuchte sie darum, die Kommunikationskommission solle vorfrageweise feststellen, dass die Swisscom AG im landesweiten, regionalen und lokalen Markt für Übertragungsmedien und Mietleitungen den Markt im Sinne des Gesetzes beherrsche; sodann sei die Swisscom AG zu verpflichten,
BGE 125 II 613 S. 615
gewisse mit anderen Kunden abgeschlossene Wholesale-Agreements, Grosskundenvereinbarungen oder andere Verträge über Rabattierungen einzuliefern. Die Swisscom AG hielt an ihren früheren Rechtsbegehren fest und beantragte, die neuen Begehren abzuweisen.
Am 28. Juni 1999 traf die Eidgenössische Kommunikationskommission die folgende Verfügung:
"1. Das Gesuch auf Erlass vorsorglicher Massnahmen zur sofortigen Gültigerklärung der von der Gesuchstellerin beantragten Interkonnektionsvereinbarung "Mietleitungen" wird abgewiesen.
2. Das Gesuch auf Erlass vorsorglicher Massnahmen zur sofortigen Gültigerklärung der von der Gesuchstellerin beantragten Interkonnektionsvereinbarung "Übertragungsmedien" wird abgewiesen.
..."
Die Kommunikationskommission bejahte im Rahmen einer summarischen Beurteilung die Anwendbarkeit der Interkonnektionsregeln und schloss zumindest teilweise, d.h. hinsichtlich des "local loop" - der Verbindung zwischen dem einzelnen Haushalt und einer grösseren Zentrale -, nicht aus, dass die Swisscom AG im fraglichen Bereich marktbeherrschend sein könnte. Im Wesentlichen begründete sie ihren ablehnenden Entscheid damit, die Commcare AG erleide ohne vorsorgliche Massnahme keinen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil und die beantragte provisorische Lösung sei weder dringlich noch im Übrigen verhältnismässig. Insbesondere habe die Commcare AG die Möglichkeit, mit der Swiss-com AG vorläufig diskriminierungsfrei ein Wholesale-Agreement abzuschliessen, welches ihr die für ihre eigene Tätigkeit erforderlichen Dienstleistungen sicherstelle.
Gegen diesen Entscheid erhob die Commcare AG am 9. Juli 1999 beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem folgenden Antrag:
"Es sei die Verfügung der Eidg. Kommunikationskommission vom 28. Juni 1999 aufzuheben und es sei das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen vom 21. September 1998 gutzuheissen, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurückzuweisen,
..."
Zur Begründung führt die Commcare AG im Wesentlichen aus, entgegen der Auffassung der Kommunikationskommission habe sie keine Möglichkeit zu einem diskriminierungsfreien Wholesale-Agreement. Da es um die Besetzung von Marktanteilen in einem
BGE 125 II 613 S. 616
sich öffnenden Markt gehe, erleide sie einen nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil. Die beantragten vorsorglichen Massnahmen seien auch dringlich und verhältnismässig. Schliesslich habe die Kommunikationskommission in wenigstens einem anderen vergleichbaren Fall (Sunrise Communications AG, vormals Newtelco AG, gegen Swisscom AG) vorsorgliche Massnahmen getroffen, weshalb es das Gleichbehandlungsgebot verletze, wenn dies im Fall der Commcare AG nunmehr nicht geschehe.
In ihrer Stellungnahme vom 30. August 1999 schliesst die Swiss-com AG auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Im Wesentlichen macht sie geltend, die fraglichen Dienstleis- tungen fielen überhaupt nicht unter die Bestimmungen über die Interkonnektion. Die Swisscom AG beherrsche insofern auch nicht den Markt. Weder erleide die Commcare AG sodann einen nicht leicht ersetzbaren Nachteil, noch sei ein Handeln dringlich und verhältnismässig.
Die Kommunikationskommission beantragt in ihrer Vernehmlassung vom 30. August 1999 die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung bestätigt sie im Wesentlichen ihre Standpunkte im Entscheid vom 28. Juni 1999. Ergänzend führt sie aus, der angerufene Parallelfall (i.S. Sunrise Communications AG) sei nicht vergleichbar, da die damalige Gesuchstellerin im Unterschied zur Commcare AG keine Möglichkeit gehabt habe, die erforderlichen Dienstleistungen anders als über die Interkonnektion zu erlangen. Vergleichbar sei hingegen eine ablehnende Verfügung über vorsorgliche Massnahmen in einem weiteren Verfahren i.S. diAx.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Gemäss
Art. 3 lit. e FMG
bedeutet Interkonnektion die Verbindung von Fernmeldeanlagen und Fernmeldediensten, die ein fernmeldetechnisches und logisches Zusammenwirken der verbundenen Teile und Dienste sowie den Zugang zu Diensten Dritter ermöglicht.
Interkonnektion umfasst sämtliche notwendigen Voraussetzungen, damit Partner miteinander in Kontakt treten und sich gegenseitig Informationen in verständlicher und vollständiger Form zusenden können. Dies bedingt nicht nur die technische und physikalische Verbindung ihrer Anlagen, sondern auch die Kommunikationsfähigkeit
BGE 125 II 613 S. 617
zwischen den verwendeten Betriebs- und Übertragungssystemen sowie zwischen den Fernmeldediensten (BBl 1996 III 1425 und 1427). Ziel der Interkonnektion ist, dass alle Anwender von Fernmeldediensten über die Netze und Dienste aller Anbieter hinweg miteinander kommunizieren können (BBl 1996 III 1425; Peter Fischer, Das Regime für Anbieterinnen von Fernmeldediens- ten, in Rolf H. Weber [Hrsg.], Neues Fernmelderecht, Zürich 1998, S. 107; ders., Die Liberalisierung des Schweizer Telekommunikationsmarktes - Eine Standortbestimmung, in Libéralisation des télécommunications. Concentration d'entreprises, Journée du droit de la concurrence 1998, Zürich 1999, S. 39 f.). Dies geschieht insbesondere durch die gemeinsame Nutzung von Fernmeldeanlagen bzw. - netzen, Gebäuden und Grundstücken.
Da der Telekommunikationsmarkt bisher von einer staatlichen Monopolistin beherrscht war, bildet die Interkonnektion eine Voraussetzung der vom Fernmeldegesetz bezweckten Liberalisierung des Fernmeldemarktes (ROLF H. WEBER, Der Übergang zur neuen Telekommunikationsordnung, in Rolf H. Weber [Hrsg.], Neues Fernmelderecht, Zürich 1998, S. 17 und 23). Neu in den Markt eintretende Unternehmungen sind darauf angewiesen, die vorhandene Infrastruktur zu geeigneten Bedingungen mitbenützen zu können (vgl. FISCHER, Die Liberalisierung des Schweizer Telekommunikationsmarktes - Eine Standortbestimmung, a.a.O., S. 40; KATHARINA STAMPFLI, Die Prinzipien Nichtdiskriminierung, Kostenorientierung und Transparenz im Rahmen der Interkonnektion aus ökonomischer Sicht: Der Schlüssel zu wirksamem Wettbewerb?, in Rolf H. Weber [Hrsg.], Neues Fernmelderecht, Zürich 1998, S. 75 ff.). Die gegenseitige Regelung des Netzzuganges gilt als Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Fernmeldemarkt.
b) Das Gesetz regelt zwei Arten der Interkonnektion: Mit der Interkonnektionspflicht nach
Art. 11 Abs. 2 FMG
für alle Anbieter von Diensten der Grundversorgung soll sichergestellt werden, dass alle Kunden von Diensten der Grundversorgung, insbesondere vom Telefondienst, miteinander kommunizieren können, unabhängig davon, bei welchen Anbietern - namentlich ob marktbeherrschend oder nicht - sie angeschlossen sind. Dabei handelt es sich insbesondere um die sogenannte Interoperabilität aller Teilnehmer am Telekommunikationsmarkt (FISCHER, Die Liberalisierung des Schweizer Telekommunikationsmarktes - Eine Standortbestimmung, a.a.O., S. 40; AB 1997 S 87, Votum Schüle). Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht diese Variante im Vordergrund, sondern
BGE 125 II 613 S. 618
die Interkonnektionspflicht gemäss
Art. 11 Abs. 1 FMG
. Danach müssen marktbeherrschende Anbieter von Fernmeldediensten andern Anbietern nach den Grundsätzen einer transparenten und kostenorientierten Preisgestaltung auf nichtdiskriminierende Weise Interkonnektion, d.h. im Wesentlichen Zugang zu ihrem Fernmeldenetz, gewähren (dazu
Art. 29 ff. FDV
; STAMPFLI, a.a.O., S. 78 ff.). Sie müssen die Bedingungen und Preise für ihre einzelnen Interkonnektionsdienstleistungen gesondert ausweisen. Interkonnektion hat in der Regel technisch und tariflich heikle Vereinbarungen zum Inhalt. Mit der in
Art. 11 Abs. 1 FMG
vorgesehenen Interkonnektionspflicht soll verhindert werden, dass marktbeherrschende Anbieter neuen Konkurrenten mit prohibitiven Preisen und technischen Auflagen den Zugang zum Netz verbauen (BBl 1996 III 1418 f., 1427).
Offen ist freilich - gerade im vorliegenden Zusammenhang - der Anwendungsbereich der beiden Varianten der Interkonnektion untereinander sowie das Verhältnis von
Art. 11 FMG
zu
Art. 12 FMG
, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Benutzung von Mietleitungen zu kostenorientierten Preisen angeboten werden muss (vgl. dazu BBl 1996 III 1427).
c) Grundsätzlich werden die Bedingungen der Interkonnektion zwischen den beteiligten Unternehmungen direkt vereinbart. Eine staatliche Regelung ist gesetzlich nur subsidiär für den Fall vorgesehen, dass sich die Parteien nicht innert vernünftiger Frist einigen können (BBl 1996 III 1419, 1427; STAMPFLI, a.a.O., S. 79; WEBER, a.a.O., S. 23 f.).
Gemäss
Art. 11 Abs. 3 FMG
verfügt die Eidgenössische Kommunikationskommission auf Antrag des Bundesamtes für Kommunikation (vgl. auch
Art. 47 FDV
) die Interkonnektionsbedingungen nach markt- und branchenüblichen Grundsätzen, wenn innert drei Monaten zwischen dem zur Interkonnektion verpflichteten Anbieter und dem Anfrager keine Einigung zustande kommt. Auf Gesuch einer Partei - oder von Amtes wegen (vgl.
Art. 44 FDV
) - kann die Kommission einstweiligen Rechtsschutz gewähren, um die Interkonnektion während des Verfahrens sicherzustellen (Art. 11 Abs. 3 zweiter Satz FMG; vgl. auch
Art. 44 FDV
).
Art. 38 ff. FDV
regeln das Verfahren zum Abschluss von Interkonnektionsvereinbarungen,
Art. 43 ff. FDV
dasjenige um Anordnung einer Verfügung auf Interkonnektion. Gemäss
Art. 43 Abs. 2 FDV
handelt das Bundesamt für Kommunikation als Instruktionsbehörde.
Art. 46 FDV
sieht nach der Instruktion eine Schlichtungsverhandlung vor, die der Verfügung
BGE 125 II 613 S. 619
zwingend vorausgeht (dazu FISCHER, Neues Fernmelderecht, a.a.O., S. 115 f.; MATTHIAS RAMSAUER, Behördenorganisation und Rechtswege, in Rolf H. Weber [Hrsg.], Neues Fernmelderecht, Zürich 1998, S. 202). Ist die Frage der Marktbeherrschung zu beurteilen, so konsultiert das Bundesamt die Wettbewerbskommission (Art. 11 Abs. 3 dritter Satz FMG; vgl. auch
Art. 45 FDV
).
d) Nach
Art. 11 Abs. 4 FMG
unterliegen Verfügungen der Kommunikationskommission in Anwendung von
Art. 11 Abs. 3 FMG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (vgl. auch
Art. 61 Abs. 1 FMG
sowie RAMSAUER, a.a.O., S. 206). Inhaltlich hat der rechtskräftige Entscheid rein privatrechtsgestaltenden Charakter (BBl 1996 III 1427), weshalb Streitigkeiten aus Interkonnektionsvereinbarungen und Interkonnektionsentscheiden an die Zivilgerichte verwiesen werden (Art. 11 Abs. 4 zweiter Satz FMG).
e) Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin das Gesuch um Anordnung einer Verfügung über Interkonnektion gestellt und dieses mit einem Antrag auf vorsorgliche Massnahmen verbunden. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich nicht um einen Endentscheid in der Sache, sondern um eine verfahrensleitende Zwischenverfügung, mit welcher die Kommunikationskommission es abgelehnt hat, vorsorgliche Massnahmen zu treffen.
Immerhin hat die Vorinstanz im Rahmen einer summarischen Prüfung die grundsätzliche Anwendbarkeit der Interkonnektionsregeln bejaht. Die Beschwerdegegnerin zieht diese Folgerung in Zweifel. Wie es sich damit verhält, kann offen bleiben.
2.
a) Gemäss
Art. 101 lit. a OG
(e contrario) sind Zwischenverfügungen nur dann selbständig mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, wenn dieses Rechtsmittel auch gegen den Endentscheid offen steht. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall mit Blick auf
Art. 11 Abs. 4 FMG
erfüllt (vgl. E. 1d). Weiter ist erforderlich, dass die Zwischenverfügung einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (
Art. 97 OG
in Verbindung mit
Art. 5 und 45 Abs. 1 VwVG
;
BGE 122 II 211
E. 1c S. 213;
BGE 121 II 116
E. 1b/cc S. 119; KARLEN, in: Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl. 1998, Rz. 3.14 und 3.15). Selbständig anfechtbar sind namentlich Verfügungen über vorsorgliche Mass-nahmen (
Art. 45 Abs. 2 lit. g VwVG
). Auch bei den in
Art. 45 Abs. 2 VwVG
als selbständig anfechtbar bezeichneten Zwischenverfügungen gilt jedoch grundsätzlich als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Beschwerde, dass der Beschwerdeführer einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil erleiden muss (
BGE 122 II 211
E. 1c
BGE 125 II 613 S. 620
S. 213, mit Hinweis). Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde genügt freilich ein tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse für die Annahme eines schutzwürdigen Interesses bzw. für die Begründung eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils (
BGE 120 Ib 97
E. 1c S. 99 f.; KARLEN, a.a.O., Rz. 3.14). Immerhin trägt die Beschwerdeführerin insofern die Beweislast.
b) Die Beschwerdeführerin macht unter dem Gesichtspunkt des irreversiblen Nachteils geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt insofern unrichtig festgestellt, als sie davon ausgegangen sei, der Beschwerdeführerin stehe diskriminierungsfrei das sogenannte (übliche) Wholesale-Angebot der Beschwerdegegnerin offen. Für die Mietleitungen habe sie nämlich nur bedingt von den üblichen Rabatten profitiert. Für die übrigen Übertragungsmedien gebe es sodann gar kein Wholesale-Angebot.
Weiter ist die Beschwerdeführerin der Ansicht, sie erleide durch den höheren Preis, den sie ohne Interkonnektion zu entrichten habe, einen irreversiblen Nachteil. Hinzu komme, dass sie im Rahmen der Wholesale -
Agreements von der Beschwerdegegnerin nicht die gleichen Rabatte erhalte wie ihre Konkurrenz. Zudem könne sie ohne Interkonnektion nicht gleich viele Anteile in einem sich öffnenden Markt besetzen.
3.
a) Aus den Beilagen, welche die Beschwerdeführerin mit ihrem Gesuch vom 13. Dezember 1998 um Einleitung eines zweiten Schriftenwechsels an die Vorinstanz einreichte, geht hervor, dass sie bei den ihr fakturierten Preisen nicht konsequent von Rabatten der Swisscom AG profitierte. Aus der Rechnung für Oktober 1998 ist beispielsweise ersichtlich, dass sie für die damals neu eingerichteten Leitungen mit einer Ausnahme keinen Rabatt erhielt. Über die Preise, welche die Beschwerdegegnerin der Konkurrenz der Beschwerdeführerin damals verrechnete, liegen indessen keine Belege vor.
b) In ihrer Replik vom 10. Februar 1999 an die Vorinstanz machte die Beschwerdeführerin geltend, die Preise der Beschwerdegegnerin für Mietleitungen und Übertragungsmedien würden sich nicht an den Kosten orientieren, sondern seien um rund das Doppelte überhöht. Die Beschwerdeführerin unterschied somit im Hinblick auf das Wholesale-Angebot selbst nicht zwischen Mietleitungen und andern Übertragungsmedien. Die Behauptung in der Beschwerde an das Bundesgericht, das Wholesale-Angebot umfasse die Übertragungsmedien nicht, ist insofern neu und steht in einem gewissen Widerspruch zur früheren Position der Beschwerdeführerin.
BGE 125 II 613 S. 621
c) In ihrer Duplik vom 24. März 1999 vor der Vorinstanz hat die Beschwerdegegnerin behauptet, der Beschwerdeführerin würden sowohl Mietleitungen als auch Übertragungsmedien diskriminierungsfrei angeboten. Sie führte aus, die Beschwerdeführerin verfüge bereits seit geraumer Zeit über die von ihr benötigten Mietleitungen und Übertragungsmedien. Drittbewerber erhielten keine günstigeren Konditionen; vielmehr stünden der Beschwerdeführerin die verschiedenen Preismodelle diskriminierungsfrei offen. Diesen Standpunkt hat die Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung an das Bundesgericht wiederholt. Die Vorinstanz konnte damit zu Recht davon ausgehen, dass das Wholesale-Angebot der Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin spätestens mit den entsprechenden Bekräftigungen in den Rechtsschriften vor der Kommunikationskommission verbindlich offeriert wurde und sich die Beschwerdegegnerin darauf behaften lassen muss. Mit der Wiederholung der Offerte in der Vernehmlassung vor dem Bundesgericht steht dieses Angebot der Beschwerdeführerin auch heute noch zur Verfügung und es ist ihr überlassen, davon Gebrauch zu machen.
4.
a) Ein allfälliger finanzieller Nachteil, wie ihn die Beschwerdeführerin weiter geltend macht, stellt zwar zweifellos einen wirtschaftlichen und damit grundsätzlich massgeblichen Nachteil dar. Entscheidend ist aber, ob er wiedergutzumachen wäre oder nicht.
b) Wie bereits dargelegt, liegt kein irreversibler Nachteil vor im Vergleich mit anderen Kunden der Beschwerdegegnerin, da der Beschwerdeführerin dieselben finanziellen Bedingungen offen stehen. Hingegen kann davon ausgegangen werden, dass allfällige Interkonnektionstarife, soweit die Beschwerdeführerin darauf Anspruch hätte, im Vergleich mit den Wholesale-Preisen billiger wären. Nach
Art. 11 Abs. 1 FMG
hat die Preisgestaltung bei der Interkonnektion, soweit die entsprechenden Regeln im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar wären (vgl. E. 1e), transparent und kostenorientiert zu sein. In der möglichen Differenz zwischen den ordentlichen Preisen gemäss dem Wholesale-Angebot und denjenigen der Interkonnektion könnte für die Beschwerdeführerin ein finanzieller Nachteil liegen.
Nun ist aber nicht ersichtlich, dass ein solcher Nachteil nicht wiedergutzumachen wäre. Die Beschwerdeführerin scheint zwar der Ansicht zu sein, eine allfällige Interkonnektionsverfügung wirke zeitlich erst ab Rechtskraft und könne keine rückwirkende Geltung haben. Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb dies so sein sollte. Auch die Vorinstanz geht davon aus, dass allfällige finanzielle Differenzen
BGE 125 II 613 S. 622
bei einem Obsiegen der Beschwerdeführerin im Hauptverfahren rückwirkend ausgeglichen werden könnten. Damit würde ein eventuell überhöhter Preis für Mietleitungen und Übertragungsmedien rückerstattungspflichtig. Die Zahlungsfähigkeit der Beschwerdegegnerin und damit die Einbringlichkeit allfälliger Rückerstattungsansprüche (vgl. dazu
BGE 108 II 228
E. 2b) stehen nicht zur Diskussion.
5.
a) Sodann behauptet die Beschwerdeführerin, sie werde im Vergleich mit einer anderen Gesuchstellerin um Interkonnektion, bei der im Rahmen des Entscheids über vorsorgliche Massnahmen das Vorliegen eines nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteils bejaht worden sei (Verfahren i.S. Sunrise Communications AG, vormals Newtelco AG, gegen Swisscom AG), ungleich behandelt.
b) Wie die Vorinstanz zu belegen vermag, ist die sachliche Ausgangslage in den beiden Fällen nicht vergleichbar. Im Parallelfall i.S. Sunrise Communications AG (Verfügung der Kommunikationskommission über vorsorgliche Massnahmen vom 29. April 1998) hatte die Gesuchstellerin keine Möglichkeit, ihre Bedürfnisse durch vertragliche Vereinbarung zu decken, womit sie ohne vorsorgliche Interkonnektionsmassnahme von den erforderlichen und angestrebten Leistungen der Beschwerdegegnerin, insbesondere dem physischen Zugang zum Telekommunikationsnetz, ausgeschlossen und damit im Markt zweifellos behindert gewesen wäre. Im vorliegenden Fall steht der Beschwerdeführerin jedoch das Wholesale-Angebot offen. Sie kann die notwendigen Dienstleistungen beziehen und damit ihrer eigenen erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. In der Beschwerdeschrift an das Bundesgericht räumt die Beschwerdeführerin sogar ausdrücklich ein, sie beziehe zurzeit bei der Beschwerdegegnerin Mietleitungen und Übertragungsmedien. Diese Ausgangslage ist eher vergleichbar mit derjenigen in einem anderen Fall (diAx gegen Swisscom AG), in welchem ebenfalls der physische Zugang zum Netz der Gesuchsgegnerin gewährleistet war und einzig die Benutzungsbedingungen, insbesondere die provisorische Preisfestsetzung, strittig waren. Die Vorinstanz hat damals vorsorgliche Massnahmen ebenfalls abgelehnt.
6.
a) Nachdem die Beschwerdeführerin die von ihr angestrebten Dienstleistungen der Beschwerdegegnerin beziehen kann, ist sie vom Markt nicht ausgeschlossen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in ihrer wettbewerbswirtschaftlichen Stellung im Markt im Vergleich mit Drittkonkurrenten benachteiligt wäre. Diese sehen sich derzeit denselben Bedingungen gegenüber und müssen
BGE 125 II 613 S. 623
mit denselben Preisangeboten wirtschaften, wie sie auch der Beschwerdeführerin offen stehen. Im Gegenteil würde die Anerkennung von Interkonnektionsbedingungen zu einer Besserstellung der Beschwerdeführerin gegenüber ihren Drittkonkurrenten führen und wohl eine Reihe von Folgegesuchen dieser Konkurrenz auslösen. Das schliesst zwar nicht eine allfällige Gutheissung in der Sache aus, belegt aber, dass der Beschwerdeführerin bei der heutigen Sachlage kein wettbewerbswirtschaftlicher Nachteil erwächst. Diese kann ihre Dienste insoweit ungehindert anbieten, und es gibt keine Hinweise dafür, dass sie dabei nicht erfolgreich wäre. Die Beschwerdegegnerin verweist in diesem Zusammenhang im Übrigen auf den eigenen Internet-Auftritt der Beschwerdeführerin, woraus sich in der Tat ergibt, dass diese auch in den Jahren 1998 und 1999 neue bedeutende Kundschaft gewinnen konnte.
b) Eine Ausnahme gilt immerhin insoweit, als die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdegegnerin selber in Konkurrenz steht. In diesem beschränkten Bereich erleidet die Beschwerdeführerin einen wettbewerbswirtschaftlichen Nachteil, der nicht leicht wiedergutzumachen ist, weil sie riskiert, in Konkurrenz zur Beschwerdegegnerin Aufträge wegen allenfalls überhöhter Preise derselben für erforderliche Grundleistungen nicht zu erhalten und damit in ihrer wettbewerbswirtschaftlichen Entfaltung mit bleibender Wirkung behindert zu sein. Nur in diesem begrenzten Rahmen kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde somit eingetreten werden.
7.
a) Nach der Rechtsprechung ist der Entscheid über die Anordnung vorsorglicher Massnahmen unter Abwägung der entgegenstehenden Interessen und unter Beachtung des Verhältnismässigkeits-prinzips zu fällen, wobei der durch die Endverfügung zu treffende Zustand weder präjudiziert noch verunmöglicht werden darf (
BGE 119 V 503
E. 3 S. 506; GEROLD STEINMANN, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsbeschwerdeverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren, ZBl 94/1993 S. 149 f.).
b) Die Beschwerdeführerin berief sich vor der Vorinstanz im Zusammenhang mit der Konkurrenzsituation zur Beschwerdegegnerin darauf, sie sei dieser zweimal in einer Ausschreibung als Konkurrentin unterlegen. Sie zog daraus den Schluss, die Selbstkostenpreise der Beschwerdegegnerin lägen 60% unter dem Wiederverkaufspreis. Näher darzulegen vermochte sie diese Behauptung im damaligen Verfahren indessen nicht. Auch vor dem Bundesgericht reichte sie keine Belege dafür ein, welche einen solchen Schluss wenigstens glaubhaft machen würden.
BGE 125 II 613 S. 624
Unter diesen Umständen überwiegt das Interesse der Beschwerdeführerin an vorsorglichen Massnahmen dasjenige der Beschwerdegegnerin nicht. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin lediglich in ihrer Marktentfaltung gegenüber der Beschwerdegegnerin als direkter Konkurrentin benachteiligt ist, dass es sich dabei um eine relativ geringe Behinderung handelt und dass sie durch allfällige vorsorgliche Interkonnektionsmassnahmen gegenüber Drittkonkurrenten bevorteilt würde; diese könnten sich deswegen zu vergleichbaren Schritten veranlasst sehen, um selber - gegenüber der Beschwerdeführerin - konkurrenzfähig zu bleiben. Eine Kettenreaktion bzw. eine Reihe weiterer Interkonnektionsgesuche mit Anträgen auf provisorische Preisreduktionen wären die Folge. Solche Konsequenzen erweisen sich angesichts der unsicheren tatsächlichen und rechtlichen Ausgangslage im Rahmen des Entscheids über vorsorgliche Massnahmen als zu weitreichend, weshalb solche Massnahmen zurzeit nicht angebracht und verhältnismässig erscheinen. Es ist der Beschwerdeführerin zumutbar, den Entscheid in der Sache abzuwarten, welcher durch die Verweigerung provisorischer Vorkehren in keiner Weise präjudiziert oder verunmöglicht wird.
c) Scheitern vorsorgliche Interkonnektionsmassnahmen bereits am Erfordernis des überwiegenden Interesses sowie der Verhältnismässigkeit, können die übrigen strittigen Fragen im vorliegenden Verfahren, insbesondere die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Interkonnektionsrechts sowie diejenigen nach der Marktbeherrschung der Beschwerdegegnerin sowie der Dringlichkeit provisorischer Massnahmen, offen bleiben. | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc69fbba-fdb4-40b5-a51c-701012771618 | Urteilskopf
96 IV 58
15. Urteil des Kassationshofes vom 5. Juni 1970 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Dr. X. | Regeste
Art. 181 StGB
, Nötigung
1. Eine solche kann auch durch Androhung einer Unterlassung begangen werden (Erw. 2).
2. In der Drohung, der Strafantrag werde in einem bereits angehobenen Strafprozess nicht zurückgezogen, liegt die Androhung eines ernstlichen Nachteils (Erw. 3).
3. Wer zum Zwecke der Nötigung zwei an und für sich rechtmässige Handlungen miteinander verknüpft, ohne dass zwischen den beiden ein innerer Zusammenhang (Konnexität) besteht, handelt rechtswidrig (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 58
BGE 96 IV 58 S. 58
A.-
In einem Schiedsgerichtsverfahren vertrat Rechtsanwalt Dr. A. den Kläger Paul B. Dr. A. bezeichnete in einer Eingabe vom 2. Mai 1967 den Beklagten Eduard H. als "querulatorisch veranlagt".
Am 15. Mai 1967 forderte darum der Anwalt des Beklagten, Dr. X., Dr. A. auf, sich zu entschuldigen. Der letztere reagierte auf diese Aufforderung nicht.
Darauf reichte Dr. X. im Namen von Eduard H. am 30. Mai 1967 beim Strafgericht Basel-Stadt Privatklage wegen Ehrverletzung gegen Dr. A. ein. Mit Schreiben vom 14. November 1967 an Dr. X. erklärte sich dieser nunmehr bereit, sich bei Eduard H. zu entschuldigen und ihm Satisfaktion zu erteilen.
BGE 96 IV 58 S. 59
Mit Brief vom 23. November 1967 stellte Dr. X. Dr. A. einen Vergleichsentwurf zu und stellte ihm in Aussicht, er werde die Ehrverletzungsklage nach Unterzeichnung des Vergleichs zurückziehen. Der Entwurf hatte den folgenden Wortlaut:
"1. Herr Dr. A. zieht seine Behauptung, Herr Eduard H. sei ein Querulant, mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und erteilt Herrn H. volle Satisfaktion.
2. Herr E. H. zieht mit der beidseitigen Unterzeichnung dieses Vergleichs die gegen Herrn Dr. A. eingereichte Ehrverletzungsklage zurück.
Herr Dr. A. übernimmt die Abstandsgebühr sowie eine Parteientschädigung von Fr. 200.--.
3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien, Herrn und Frau Paul B./Dr. A. einerseits und Herrn E. H. anderseits bis zu diesem Datum bestehenden gegenseitigen Ansprüche vollständig saldiert sind, und dass sämtliche aus dem Umbau der Liegenschaften ... entstandenen Streitigkeiten nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören.
Basel, den ..."
Die in Ziff. 3 des Vergleichsentwurfs verlangte Saldoquittung hatte Forderungen von B. an H. im Ausmass von Fr. 1213.25 zum Gegenstand.
Dr. A. erklärte im Antwortschreiben vom 28. November 1967, er könne lediglich einen Vergleich für diejenigen Punkte abschliessen, die ihn selber beträfen. Er sei nicht befugt, namens des von ihm vertretenen Paul B. eine verbindliche Saldoerklärung abzugeben. Nachdem er dementsprechend Ziff. 3 des Vergleiches wie folgt abgeändert hatte:
"3. Im übrigen wird festgestellt, dass damit die zwischen den Parteien, Dr. A. und Herrn E. H. entstandenen Streitigkeiten nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören."
sandte Dr. A. diesen unterzeichnet an Dr. X. zurück.
Mit einem Brief an Dr. A. bestätigte Dr. X. am 14. Dezember 1967, dass sein Klient grundsätzlich bereit sei, den Streit mit Dr. A. vergleichsweise zu erledigen, aber nur unter der Voraussetzung, dass damit auch die Streitigkeiten mit Paul B. endgültig erledigt würden. Dr. A. solle sich daher für die Erteilung der verlangten Saldoquittung von seinem Klienten Vollmacht geben lassen.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 1967 lehnte es Dr. A. aus prinzipiellen Gründen erneut ab, den Ehrverletzungsprozess
BGE 96 IV 58 S. 60
zwischen ihm und Eduard H. mit allenfalls noch bestehenden Differenzen zwischen seinem Klienten Paul B. und Eduard H. zu verquicken. Das Ansinnen, er solle seinen Klienten Paul B. im Zusammenhang mit einer Sache, die diesen nur am Rande berühre, veranlassen, eine Saldoquittung zu erteilen, hielt er in jeder Hinsicht für unkorrekt.
Da Dr. X. im Ehrverletzungsprozess gegen Dr. A. auf einen Vergleich ohne die verlangte Saldoquittung für die Streitigkeiten zwischen Paul B. und Eduard H. nicht eintrat, kam der Vergleich nicht zustande.
B.-
Mit Urteil vom 27. Februar 1970 sprach der Ausschuss des Appellationsgerichts Basel-Stadt Dr. X. von der Anklage der versuchten Nötigung frei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichts Basel-Stadt sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von Dr. X. wegen versuchter Nötigung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Dr. X. beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 181 StGB
macht sich strafbar, wer sein Opfer durch Gewalt oder durch Androhung ernstlicher Nachteile oder durch eine andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Im Falle der Androhung ernstlicher Nachteile liegt die Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit darin, dass das Opfer durch die Aussicht, solche Nachteile zu erleiden, zu einem Tun oder Unterlassen bestimmt wird, zu welchem es sich ohne die Androhung nicht entschlösse (
BGE 81 IV 104
). Wie der Kassationshof in konstanter Praxis entschieden hat, ist Nötigung als Vergehen gegen die Willensfreiheit nur strafbar, wenn sie rechtswidrig ist oder gegen die guten Sitten verstösst. Wer einen erlaubten Zweck mit an sich erlaubten Mitteln verfolgt und dabei auf die Willensbildung des anderen nicht weiter einwirkt, als zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist, macht sich selbst dann nicht strafbar, wenn er ihn mit den in der Strafbestimmung erwähnten Zwangsmitteln veranlasst, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Wegen Nötigung bestraft wird hingegen, wer mit rechts- oder sittenwidrigen Mitteln oder zu einem unerlaubten Zweck
BGE 96 IV 58 S. 61
auf das freie Selbstbestimmungsrecht eines anderen einwirkt (
BGE 87 IV 14
;
BGE 94 IV 114
mit Verweisungen). Als rechtsmissbräuchlich und daher rechtswidrig hat der Kassationshof von jeher die Androhung einer Strafanzeige dann betrachtet, wenn zwischen dem Straftatbestand, der angezeigt werden soll, und dem Gegenstand des gestellten Begehrens jeder sachliche Zusammenhang fehlt (
BGE 87 IV 14
). Besonders verwerflich handelt sodann, wer einen anderen durch Androhung von ernstlichen Nachteilen zur Verletzung seiner Pflichten veranlasst (
BGE 81 IV 104
Erw. 1).
2.
Die Vorinstanz geht davon aus, dass Dr. X. den Dr. A. nicht durch die Androhung einer Strafanzeige zu einem bestimmten Verhalten genötigt habe, sondern diesem den Rückzug der bereits erhobenen Strafklage für den Fall in Aussicht gestellt hat, dass die Saldoquittung erteilt werde. Im Inaussichtstellen einer Unterlassung könne aber keine Nötigung erblickt werden, wenn die Unterlassung im freien Belieben des diese Ankündigenden stehe.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Ist nämlich in der Ankündigung, die Strafklage werde nur dann nicht erhoben, wenn das Opfer für eine Saldoquittung sorge, eine Nötigung zu erblicken, so liegt eine solche auch vor, wenn das Strafverfahren bereits angehoben ist und bloss dessen Fortsetzung oder gütlicher Abschluss durch Vergleich von der Erteilung der Saldoquittung abhängig gemacht wird. Denn die Androhung, ein Prozess werde angehoben, läuft in gleicher Weise auf die Einschüchterung des Opfers hinaus wie die Drohung, der Prozess werde fortgesetzt. In beiden Fällen wird das Opfer mit der Aussicht gefügig zu machen gesucht, es müsse ein Strafverfahren über sich ergehen lassen und werde möglicherweise zu einer Strafe verurteilt. Massgeblich ist also, dass der Drohende ankündigt, er werde sich in einer bestimmten Weise verhalten, und dass sich dieses Verhalten für den Bedrohten nachteilig auswirkt. Ob es sich um ein Tun oder um ein Unterlassen handelt, ist unerheblich (Walter KERN, Die Nötigung nach Art. 181 des Schweizerischen Strafgesetzbuches S. 53; für das deutsche Recht: SCHÖNKE-SCHRÖDER, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 12. Auflage, S. 1016).
3.
Art. 181 StGB
verlangt, dass der angedrohte Nachteil "ernstlich" sei. Damit wird nicht vorausgesetzt, dass er so
BGE 96 IV 58 S. 62
schwer sei, dass der Betroffene wegen der Androhung in Angst oder Schrecken geraten könnte. Es genügt, wenn der Nachteil erheblich genug ist, um den Betroffenen in seiner Handlungsfreiheit wesentlich zu beeinträchtigen. Die Ernstlichkeit des Nachteils hängt dabei nicht vom tatsächlichen Erfolg der Androhung auf das Opfer ab, sondern vom objektiven Ausmass des angedrohten Eingriffs (
BGE 81 IV 106
).
In der Drohung, dass ein Strafprozess, statt gütlich beigelegt, fortgesetzt werde, liegt objektiv für jedermann ein ernstlicher Nachteil. Auch wenn der Angeklagte schliesslich freigesprochen wird, bringt jedes Strafverfahren Umtriebe und eine erhebliche psychische Belastung mit sich. Um diesen Nachteilen zu entgehen, ist der Angeklagte oft bereit, andere Nachteile in Kauf zu nehmen, die er sonst einem Dritten gegenüber nicht auf sich nehmen würde.
4.
Dr. X. wäre nicht verwehrt gewesen, in Wahrung der Interessen seines Klienten über einen allfälligen Rückzug des Strafantrages mit Dr. A. zu verhandeln und diesen von einer Satisfaktionserklärung sowie von der Bezahlung der Gerichts- und Parteikosten abhängig zu machen, welche durch das zwischen Dr. A. und dem Klienten von Dr. X. hängige Verfahren verursacht worden waren. An und für sich wäre Dr. X. auch berechtigt gewesen, im Streite zwischen Eduard H. und dem Kläger Paul B. eine Saldoquittung zu verlangen.
Die Rechtswidrigkeit im Tun von Dr. X. liegt indessen darin, dass dieser die beiden Prozesse zu verquicken versuchte, wiewohl weder die Prozessparteien identisch waren, noch die Streitobjekte in einem inneren Zusammenhang zueinander standen. Sein Wille war in Wirklichkeit darauf gerichtet, Dr. A. zur Verletzung seiner Berufspflichten als Anwalt zu veranlassen. Dieser hätte zu seinem eigenen Vorteil, nämlich damit der Strafantrag gegen ihn zurückgezogen würde, auf eine Forderung seiner Klientschaft gegenüber seinem eigenen Prozessgegner verzichten oder seine Klientschaft zum Verzicht bestimmen sollen. Das Mittel, das Dr. X. zur Erreichung seines Zieles (der Saldoquittung) anwendete, war mithin widerrechtlich. Darum lag im Vorgehen von Dr. X. eine Nötigung im Sinne von
Art. 181 StGB
. Unerheblich war dabei die Höhe der Forderungen, deren Untergang durch die Saldoquittung angestrebt wurde.
Hätte Dr. X. durch seine nötigende Handlung die gewünschte Saldoquittung tatsächlich erwirken können, so läge in objektiver
BGE 96 IV 58 S. 63
Hinsicht vollendete Nötigung vor. Da er mit seinem Ansinnen an der ablehnenden Haltung von Dr. A. aber scheiterte, trat der Erfolg des von ihm bis zu Ende geführten Vergehens nicht ein. Seine Handlung ist daher als vollendeter Nötigungsversuch (
Art. 22 Abs. 1 StGB
) zu qualifizieren.
5.
Wer einen anderen im Sinne von Art. 181 StBG nötigt, kann nur bestraft werden, wenn er vorsätzlich, das heisst mit Wissen und Willen handelt (
Art. 18 Abs. 1 und 2 StGB
). Die Vorinstanz verneint den Vorsatz mit der Begründung, Dr. X. habe Dr. A. vor der Erhebung der Strafklage Gelegenheit gegeben, sich zu entschuldigen, und ihm in Aussicht gestellt, auf eine Strafklage zu verzichten, wenn er, Dr. A., sich entschuldige. Dies zeige, dass Dr. X. nicht beabsichtigt habe, in rechtswidriger oder gegen die guten Sitten verstossender Weise Vermögensvorteile für Eduard H. herauszuholen.
Hierin kann indessen nur die Feststellung liegen, dass Dr. X. vor Anhebung der Strafklage keinen Nötigungsvorsatz gehabt habe. Die Vorinstanz übersieht, dass ihm für dieses Stadium kein Nötigungsversuch vorgeworfen wird. Sein rechtsbrecherisches Verhalten beginnt erst nach Anhebung des Strafprozesses zwischen E. H. und Dr. A., nämlich mit der Bekanntgabe der Bedingungen für den Rückzug des Strafantrages. An einer tatsächlichen Feststellung darüber aber, ob Dr. X. die ihm objektiv zur Last gelegten Handlungen mit Wissen und Willen begangen habe (
BGE 90 IV 48
E. 3,
BGE 90 IV 78
E. 3,
BGE 90 IV 120
E. 4), hat es die Vorinstanz fehlen lassen. Sie wird darum zu untersuchen haben, ob Dr. X. den Vergleichsentwurf am 23. November 1967 Dr. A. mit Wissen und Willen unterbreitet habe. Wollte man Dr. X. zubilligen, er sei sich, als er am 23. November 1967 den Rückzug des Strafantrages von einer Saldoquittung abhängig machte, der mangelnden Konnexität beider in Frage stehender Prozesse und der Unzulässigkeit, auf Dr. A. zum Erhalt einer Saldoquittung einen Druck auszuüben, noch nicht bewusst gewesen, so könnte dies doch für sein späteres Beharren auf einer Saldoquittung schwerlich mehr gelten, nachdem Dr. A. ihn mit Briefen vom 28. November 1967 und 20. Dezember 1967 auf das Verwerfliche seines Ansinnens noch ausdrücklich hingewiesen hatte. Bei der nachzuholenden Prüfung wird auch nicht ausser acht zu lassen sein, dass Dr. X. rechtskundig war und den Beruf eines Anwalts ausübte, so dass von ihm mehr Einsicht als von einem Laien vorauszusetzen war.
BGE 96 IV 58 S. 64
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Ausschusses des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 27. Februar 1970 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. | null | nan | de | 1,970 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc6ea23d-34d3-4226-8e4e-9bf179b56c1f | Urteilskopf
139 III 1
1. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit civil dans la cause A. SA contre Communauté des copropriétaires par étage PPE B. (recours en matière civile)
5A_352/2012 du 27 novembre 2012 | Regeste
Art. 712a ZGB
; Einschränkungen des Nutzungsrechts des Stockwerkeigentümers.
Grenzen, welche die Stockwerkeigentümer einhalten müssen, wenn sie die freie Nutzung der zu Sonderrecht ausgeschiedenen Teile vertraglich einschränken. Fall einer reglementarischen Abänderung, welche die Einrichtung eines Kinderhorts in Stockwerkanteilen verbietet (E. 4.3 und 4.4). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 139 III 1 S. 2
A.
Le 12 mai 2006, la société A. SA a constitué la propriété par étages "B." sur la parcelle n
o
26 de la Commune de C. Elle a ensuite procédé à la création de soixante-trois appartements, septante-neuf places de parc intérieures, vingt places de parc extérieures et six locaux destinés au secteur tertiaire.
Le même jour, elle a adopté un règlement d'administration et d'utilisation (ci-après: le règlement).
La société A. SA est restée propriétaire de trois locaux au sein de la PPE: un local avec affectation tertiaire/appartement au rez-de-chaussée du bâtiment A (136/10'000) et deux locaux avec affectation tertiaire au rez-de-chaussée avec terrasse du bâtiment B (85/10'000 et 190/10'000).
A son adoption, l'art. 10 du règlement ("Destination des lots") prévoyait:
"1. Sauf décision contraire de l'assemblée des propriétaires d'étages conformément à l'al. 3 ci-dessous, les lots ne peuvent servir qu'à l'usage auquel ils sont destinés. La destination actuelle est mixte, soit:
2. Habitation, local avec affectation tertiaire, locaux, ateliers. Le promoteur de la construction, à défaut le copropriétaire d'un lot en nature de local avec affectation tertiaire, de locaux ou d'ateliers pourra unilatéralement en changer l'affectation à destination d'habitation, soit sans l'accord des autres copropriétaires, à la condition d'obtenir les autorisations administratives adéquates. Demeure réservée l'approbation des copropriétaires pour tous travaux qu'impliqueraient (sic) une telle modification de l'affectation, touchant aux parties communes.
3. Des affectations spéciales telles qu'un salon de jeu, un commerce érotique ou un restaurant 'fast food' doivent faire l'objet d'une autorisation expresse.
[...]."
Lors de l'assemblée des copropriétaires du 3 novembre 2008, deux représentants de la Commune de C. ont exposé aux copropriétaires présents le projet d'ouverture d'une garderie dans les locaux appartenant à A. SA. Une majorité des membres de la PPE s'est prononcée en défaveur de ce projet.
BGE 139 III 1 S. 3
Une assemblée générale extraordinaire s'est tenue le 17 novembre 2009. Selon le ch. 18 du procès-verbal de dite assemblée, un comité de la PPE ainsi que l'administrateur de cette dernière ont rencontré la Direction des Affaires sociales et familiales de la ville de C. vers la fin de l'été 2009. A cette occasion, la délégation des copropriétaires a rappelé la position exprimée par l'assemblée au mois de novembre 2008, à savoir un refus de voir s'ouvrir une garderie dans les lots en cours de finition. De son côté, la municipalité s'est montrée disposée à effectuer certains aménagements si le projet se concrétisait.
Une assemblée générale ordinaire a été convoquée le 5 mai 2010. Il ressort notamment du procès-verbal de dite assemblée que la modification réglementaire suivante a été adoptée à la double majorité (point 5):
"Art. 10: Destination des lots
1. Sauf décision contraire de l'assemblée des propriétaires d'étages conformément à l'al. 3 ci-dessous, les lots ne peuvent servir qu'à l'usage auquel ils sont destinés. La destination actuelle est mixte, soit:
2. Habitation, local avec affectation tertiaire, locaux, ateliers, à l'exclusion de toute activité de garderie, pouponnière, pré- ou parascolaire ou assimilé. Demeure réservée l'approbation des copropriétaires pour tous travaux qu'impliquerait une telle modification de l'affectation, touchant aux parties communes.
Les alinéas 3 et 4 de l'article 10 restent inchangés."
B.
Par demande déposée le 7 juin 2010 devant le Tribunal civil de l'arrondissement de l'Est vaudois, A. SA a conclu, entre autres, à l'annulation du point 5 de la décision de l'assemblée générale ordinaire du 5 mai 2010 en tant qu'elle concerne la modification des art. 10 du règlement et lui interdit désormais l'installation d'une garderie dans les locaux lui appartenant. L'intéressée sollicite ainsi que la teneur de cette disposition au 12 mai 2006 demeure inchangée.
Le Tribunal d'arrondissement a rejeté la demande par jugement du 17 mai 2011.
Statuant le 8 février 2012 sur appel de A. SA, la Cour d'appel civile du Tribunal cantonal du canton de Vaud l'a rejeté et confirmé le jugement de première instance.
C.
Saisi d'un recours en matière civile de A. SA, le Tribunal fédéral l'a rejeté en date du 27 novembre 2012.
(résumé)
BGE 139 III 1 S. 4
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.3
4.3.1
Aux termes de l'
art. 712a CC
, les parts de copropriété d'un immeuble peuvent être constituées en propriété par étages, de manière que chaque copropriétaire a le droit exclusif d'utiliser et d'aménager intérieurement des parties déterminées d'un bâtiment (al. 1); le copropriétaire a le pouvoir d'administrer, d'utiliser et d'aménager ses locaux dans la mesure où il ne restreint pas l'exercice du droit des autres copropriétaires, n'endommage pas les parties, ouvrages et installations communs du bâtiment, n'entrave pas leur utilisation ou n'en modifie pas l'aspect extérieur (al. 2).
Le droit d'utilisation conféré par l'
art. 712a al. 2 CC
permet au propriétaire d'utiliser ses parties exclusives comme il l'entend. Cette liberté est présumée. Elle peut toutefois être limitée par des restrictions légales et des restrictions conventionnelles (
ATF 111 II 330
consid. 7; arrêts 5A_499/2010 du 20 décembre 2010 consid. 8.2 et les références; 5C.168/2003 du 17 février 2004 consid. 4.1, in Revue du notariat et du registre foncier [RNRF] 85/2004 p. 433 ss). Les propriétaires d'étages peuvent ainsi convenir de restrictions à leur liberté d'utilisation de leurs parties exclusives dans l'acte constitutif de la propriété par étages, dans le règlement prévu à l'
art. 712g al. 3 CC
, dans le règlement de maison ou dans une décision
ad hoc
de la communauté (
ATF 111 II 330
consid. 7; arrêts 5A_499/2010 précité consid. 8.2; 5C.168/2003 précité consid. 4.2). Ils peuvent notamment prévoir que les locaux doivent être utilisés dans un certain but, par exemple qu'il est interdit d'y exploiter un commerce ou un restaurant (
ATF 111 II 330
consid. 7; arrêts 5A_499/2010 précité consid. 8.2 et les références; 5C.252/2003 du 18 mars 2004 consid. 2.2).
4.3.2
Les restrictions conventionnelles doivent respecter les limites générales de l'ordre juridique (
art. 2 et 27 CC
, art. 19 s. CO;
ATF 111 II 330
consid. 4; 5C.168/2003 précité consid. 4.2.1), ainsi que celles qui découlent de l'institution même de la propriété par étages (arrêts 5A_499/2010 précité consid. 8.2.1 et les références doctrinales; 5C.168/2003 précité consid. 4.2.1; cf.
ATF 111 II 330
consid. 8 et 9; AMÉDÉO WERMELINGER, La propriété par étages, 2
e
éd. 2008, n
o
71 ad
art. 712a CC
): les intérêts divergents et convergents des propriétaires d'étages doivent ainsi s'équilibrer, de façon que chacun d'eux puisse exercer ses droits le plus librement possible, tout en
BGE 139 III 1 S. 5
permettant à la communauté de fonctionner comme une entité (
ATF 111 II 330
consid. 7).
De graves restrictions au droit exclusif du propriétaire d'étage ne peuvent cependant être prises qu'à l'unanimité (PASCAL WIRZ, Schranken der Sonderrechtsausübung im Stockwerkeigentum, 2008, p. 176 et 195; cf. également ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1988, n
os
55 et 59 ad
art. 712a CC
notamment), ou du moins, avec l'accord du propriétaire concrètement concerné par la restriction (ROLF H. WEBER, Die Stockwerkeigentümergemeinschaft, 1979, p. 205 s. notamment).
4.3.3
Si les copropriétaires ont adopté des restrictions conventionnelles admissibles, en particulier s'ils ont convenus de soumettre l'immeuble à une certaine affectation, l'accord de tous les copropriétaires est nécessaire pour un changement dans la destination de l'immeuble ou d'une part d'étage (
art. 648 al. 2 CC
;
ATF 111 II 330
consid. 2 in fine; arrêts 5A_499/2010 précité consid. 8.2.2; 5C.168/2003 précité consid. 4.2.1). Le changement dans la destination de la chose doit néanmoins être distingué de son changement d'utilisation qui, selon l'
art. 647b al. 1 CC
, doit être pris à la majorité de tous les copropriétaires, représentant en outre, leurs parts réunies, plus de la moitié de la chose. Les art. 648 al. 2 et 647b al. 1 CC trouvent tous deux application dans le cadre de la propriété par étages en vertu de l'
art. 712g al. 1 CC
.
Il y a changement de destination lorsque, soit par des mesures de fait, soit par des mesures juridiques, l'usage et l'affectation économique de l'immeuble en propriété par étages sont modifiés de façon profonde et significative. La destination actuelle de l'objet est ainsi reléguée au second plan (arrêts 5A_428/2008 et 5A_429/2008 du 19 mars 2009 consid. 4.5.2, in RNRF 91/2010 p. 297 ss et les références; 5A_760/2011 du 18 mai 2012 consid. 4.3.3). L'affectation de l'immeuble détenu en copropriété est à cet égard déterminante: tant que subsiste le caractère global de l'immeuble, la transformation d'une seule unité d'étage ne conduit pas à un changement d'affectation au sens de l'
art. 648 al. 2 CC
(
ATF 130 III 441
consid. 2.3 et 2.4,
ATF 130 III 450
consid. 2.1; arrêts 5A_428/2008 et 5A_429/2008 précités consid. 4.5.2 et les références).
4.4
4.4.1
Il convient avant tout de rappeler que les lots objets du droit exclusif de la recourante n'ont actuellement aucune affectation: ils
BGE 139 III 1 S. 6
n'ont donc jamais été, et ne sont pas, aujourd'hui, destinés à des activités pré- ou parascolaires. Dans ces circonstances, on ne saurait admettre que les modifications réglementaires adoptées à la double majorité conformément au règlement porteraient atteinte au droit exclusif de la recourante en se référant à la protection de ses droits acquis (arrêt 5A_690/2011 du 10 janvier 2011 consid. 3.2 et 3.3).
Il ne peut en outre être tenu pour établi - bien que les parties ne paraissent pas le contester formellement - que les aménagements envisagés par la recourante auraient été autorisés par l'ancien règlement, la nécessité d'obtenir une autorisation expresse pour certains types d'activité n'ayant en effet pas un caractère exhaustif (art. 10 al. 3 du règlement).
Le nouveau règlement n'entraîne de surcroît aucun changement dans la destination de l'immeuble lui-même en tant que celui-ci demeure affecté à l'habitation ou à des activités du domaine tertiaire, dont le cercle a simplement été restreint. Dès lors que la recourante peut encore parfaitement destiner ses parts d'étages à l'exercice d'une large palette d'activités du domaine tertiaire, on ne saurait retenir que la modification réglementaire envisagée restreindrait gravement son droit exclusif et qu'elle ne pouvait en conséquence être adoptée sans son consentement. Il faut au contraire conclure que la double majorité, nécessaire pour adopter un changement dans l'utilisation d'un lot, était suffisante (
art. 47 let
. h du règlement).
4.4.2
Cela dit, il convient de relever qu'il ressort du dossier cantonal, sans que la Cour d'appel ne l'ait formellement constaté (
art. 105 al. 2 LTF
) que, alors même que les enfants amenés à fréquenter la crèche ne devraient pas utiliser le jardin au centre du complexe, la capacité de la crèche envisagée est particulièrement importante, celle-ci pouvant en effet accueillir jusqu'à 51 enfants: 5 bébés, 14 trotteurs, 20 moyens et 12 écoliers (PV de l'assemblée générale du 3 novembre 2008, p. 4). Il n'est pas non plus établi que les locaux soient adaptés aux normes phoniques liées à l'activité d'une garderie (PV de l'assemblée générale extraordinaire du 17 novembre 2009 ch. 18) et si d'éventuels aménagements ont été évoqués (cf. communiqué de presse de la municipalité), aucune garantie n'a été donnée afin qu'ils puissent être concrètement réalisés. Dans ces circonstances, on ne saurait conclure que la protection du droit exclusif de la recourante d'aménager ses parts d'étages comme elle l'entend devrait l'emporter sur le droit des autres copropriétaires à s'opposer aux immissions nécessairement générées par un établissement destiné à recevoir un nombre d'enfants
BGE 139 III 1 S. 7
aussi conséquent. Les différents éléments de fait invoqués par la recourante pour démontrer l'atteinte au noyau dur de son droit exclusif - préavis de la Municipalité de C., conclusion d'un contrat de vente avec la commune, mise à l'enquête publique - ne permettent pas, au demeurant, de faire apparaître la décision prise comme portant une atteinte grave à son droit exclusif au sens de l'
art. 712a CC
. L'intérêt évident des citoyens à bénéficier de nouvelles places de crèche n'entre pas en considération sous cet angle.
Il s'ensuit que le recours doit être rejeté sur ce point. | null | nan | fr | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
cc74bd9b-620d-4c9e-9029-f669faf6bfb2 | Urteilskopf
84 II 149
21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. April 1958 i.S. Hans Ralm & Co. gegen Phoebus Handelsgesellschaft A. G. | Regeste
Art. 82 OR
trifft nur zu, wenn beide Leistungen in ein und dem selben Vertrage versprochen worden sind und die eine die Gegenleistung für die andere ist. | Erwägungen
ab Seite 149
BGE 84 II 149 S. 149
Die Klägerin beharrt auf der Einrede des nichterfüllten Vertrages (
Art. 82 OR
) und will die Auffassung des Handelsgerichts, dass sie schon vor dem Prozesse hätte erhoben werden müssen, um berücksichtigt werden zu können, nicht gelten lassen.
Ob diese Kritik begründet ist, kann dahingestellt bleiben.
Art. 82 OR
bestimmt, wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten wolle, müsse entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen habe. Diese Bestimmung betrifft die Ordnung in der Erfüllung (s. Randtitel) von
BGE 84 II 149 S. 150
Leistung und Gegenleistung aus einem zweiseitigen Vertrage, und nur dieses Verhältnis. Sie hat nicht den Sinn, dass jeder, der zugleich Gläubiger und Schuldner eines andern ist, die geschuldete Leistung solange zurückbehalten dürfe, bis der andere die eigene Leistung erfüllt oder angeboten habe. Nur wenn die eine und die andere Leistung in ein und demselben Vertrage versprochen worden sind und gegenseitig derart aufeinander Bezug haben, dass die eine die Gegenleistung für die andere ist, trifft
Art. 82 OR
zu (
BGE 44 II 74
,
BGE 67 II 126
). Im Sukzessivlieferungsvertrag besteht dieses Austauschverhältnis zwischen allen Raten des Verkäufers einerseits und dem gesamten Kaufpreis anderseits und braucht daher der Verkäufer weitere Leistungen nicht zu erbringen, solange der Käufer mit der Zahlung des Preises für frühere Lieferungen im Verzug ist (
BGE 52 II 139
f.,
BGE 78 II 34
f.,
BGE 79 II 304
). Weiter reicht die Befugnis aus
Art. 82 OR
nicht. Die Tatsache, dass die Beklagte schon zur Zeit, da sie die Erfüllung der ausstehenden 15 t Brom verlangte, Schuldnerin der Klägerin gewesen sein soll, berechtigte daher für sich allein die Klägerin nicht, die Bromlieferungen zurückzuhalten. Die Klägerin hätte vielmehr dartun müssen, dass ihre Forderung zum mindesten teilweise Kaufpreisforderung für frühere Teillieferungen aus den Verträgen vom 16. und 19. Juni 1953 sei. Dass das zutreffe, hat sie in ihren Eingaben und Vorträgen vor dem Handelsgericht nicht behauptet, wie sie es übrigens auch im Berufungsverfahren nicht darzutun versucht. Daher ist davon auszugehen, dass ihr die Einrede des nichterfüllten Vertrages nicht zustand und die Beklagte sie berechtigterweise zur Lieferung aufforderte, insbesondere auch noch am 6. April 1955, als sie ihr die letzte Nachfrist ansetzte. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
cc7a37fa-ee33-4bfd-a728-041e39fd281e | Urteilskopf
86 I 235
33. Urteil vom 23. September 1960 i.S. Wehrsteuerverwaltung des Kantons Luzern gegen X. und Steuerrekurskommission des Kantons Luzern. | Regeste
Wehrsteuer; Abzüge vom rohen Einkommen.
1. Eine Abschreibung auf überbauten Liegenschaften wegen Abbruchs alter Geschäftshäuser ist nicht zu berücksichtigen, wenn die dem Abbruch zugeschriebene Wertverminderung durch eine Vermehrung des Bodenwertes ausgeglichen wird.
2. Die Kosten des Abbruches der sofort durch einen Neubau ersetzten Gebäude sind nicht Gewinnungs-, sondern Anlagekosten. | Sachverhalt
ab Seite 235
BGE 86 I 235 S. 235
A.-
X. ist Inhaber eines städtischen Ladengeschäftes. Er erbte es im Jahre 1943 zusammen mit dem Hause, in dem es zuerst einzig betrieben wurde. Im Jahre 1945 kaufte er gemeinsam mit dem Bruder ein anstossendes Haus dazu, und im Jahre 1952 erwarb er auch den hälftigen Anteil des Bruders an diesem Besitz. Er betrieb nun das Geschäft in den beiden Gebäuden, die er nach und nach etwas umbaute. Im Frühjahr 1956 liess er sie abbrechen. Er errichtete an ihrer Stelle einen Neubau, in dem sich wiederum sein Geschäft befindet.
Er ist verpflichtet, kaufmännische Bücher zu führen. Die genannten Liegenschaften nahm er erstmals in die Bilanz vom 31. August 1954 auf. Er bewertete darin
BGE 86 I 235 S. 236
die beiden Häuser und den Boden gesamthaft mit Fr. 345'700.--. Nach seinen Angaben ist dies der Gesamtbetrag der Gestehungskosten (Anrechnungspreis für die geerbte Liegenschaft Fr. 100'000.--, Kaufpreis für die andere Liegenschaft Fr. 87'500.-- + Fr. 105'000.--, Umbaukosten Fr. 53'200.--). In der Betriebsrechnung 1955/56 nahm er wegen des Abbruches der alten Gebäude eine Abschreibung auf den Liegenschaften vor, so dass für den Boden ein Buchwert von Fr. 101'500.-- blieb. Ferner belastete er dieser Rechnung die Abbruchkosten im Betrage von Fr. 18'965.--.
Bei der Ermittlung seines steuerbaren Einkommens für die 9. Wehrsteuerperiode (Berechnungsjahre 1954/55 und 1955/56) verweigerte die Veranlagungsbehörde den Abzug der Abschreibung und der Abbruchkosten. Sie erachtete die Abschreibung der alten Gebäude als nicht gerechtfertigt, weil der Bodenwert im Zeitpunkt des Abbruches den Buchwert des die Gebäude und den Boden umfassenden Liegenschaftskontos überstiegen habe. Die Abbruchkosten rechnete sie zu den Kosten der Errichtung des neuen Geschäftshauses (Anlagekosten).
B.-
Die kantonale Rekurskommission, an die sich der Steuerpflichtige wandte, setzte in ihrem Entscheid vom 5. Februar 1960 das steuerbare Einkommen herab, indem sie die Abschreibung der Liegenschaften bis auf den vom Pflichtigen angegebenen Anschaffungs- und Buchwert des Bodens von Fr. 101'500.-- und auch den Abzug der Abbruchkosten von Fr. 18'965.-- anerkannte.
Sie führt aus, die alten Gebäude seien mit dem Abbruch aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden, so dass der Steuerpflichtige die Liegenschaften bis auf den Bodenwert habe abschreiben dürfen. Unterste Grenze der Abschreibung sei nicht der Verkehrswert des Bodens im Zeitpunkt des Abbruches, sondern sein Anschaffungswert. Die Wertverminderung infolge des Abbruches dürfe mit der nicht verbuchten Vermehrung des Bodenwertes nicht kompensiert werden. Daran ändere es nichts, dass Gebäude und
BGE 86 I 235 S. 237
Boden in einem gemeinsamen Konto aufgeführt wurden. Der Wert des Bilanzpostens "Grundstücke" habe während der Berechnungsperiode wegen des Abbruchs der Gebäude zweifellos abgenommen. Es verhalte sich anders als in dem vom Bundesgericht am 1. November 1957 beurteilten Falle (Archiv für schweiz. Abgaberecht Bd. 26, S. 448 ff.).
Die Abbruchkosten seien in erster Linie durch die Ausserbetriebsetzung der bisherigen Gebäude bedingt; sie hingen mit ihr enger als mit dem Neubau zusammen. Sie seien daher als Geschäftsunkosten zu behandeln.
C.-
Gegen den Entscheid der Rekurskommission erhebt die kantonale Wehrsteuerverwaltung Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, bei der Veranlagung des X. für die 9. Wehrsteuerperiode die Abschreibung auf den abgebrochenen Gebäuden und die Abbruchkosten nicht, die Abschreibung eventuell nur in einem erheblich herabgesetzten Betrage, vom rohen Einkommen abzuziehen.
Sie macht geltend, es widerspreche dem Grundsatz, dass die Abschreibung nur eine effektive Wertverminderung ausgleichen solle, wenn sie auf einem Immobilienwert zugelassen werde, der nur noch einen Bruchteil des gegenwärtigen Wertes des Bodens ausmache. Hier sei anerkannt, dass der Boden im Zeitpunkt des Abbruches mindestens Fr. 902'500.-- (Fr. 5000.-- je m2) wert gewesen sei. Da der Steuerpflichtige die Liegenschaften in überbautem Zustand erworben habe, sei der Anschaffungswert des Bodens nicht bekannt. Auf jeden Fall habe der Boden bei beiden Grundstücken bereits im Zeitpunkt des Erwerbes den bei weitem wertvolleren Bestandteil gebildet; sein Anteil am Erwerbspreis müsse auf mindestens zwei Drittel geschätzt werden. Boden und Gebäude seien in einem einzigen Bilanzposten zusammengefasst worden, wie sie denn auch zivilrechtlich eine Einheit darstellten. Der im Urteil des Bundesgerichts vom 1. November 1957 aufgestellte Grundsatz, dass eine Entwertung des Gebäudes mit einer dauernden und bedeutenden Steigerung des Bodenwertes kompensiert werden dürfe, sei auch hier anwendbar.
BGE 86 I 235 S. 238
Die Abbruchkosten seien als Anlagekosten zu betrachten und daher nicht abzugsfähig.
D.-
Die kantonale Rekurskommission schliesst auf Abweisung der Beschwerde, ebenso der Steuerpflichtige.
E.-
Die eidgenössische Steuerverwaltung pflichtet der grundsätzlichen Auffassung der Rekurskommission bei, hält aber eine nähere Abklärung des Sachverhaltes für erforderlich und beantragt daher Rückweisung der Angelegenheit an die kantonale Behörde. Sie führt aus, es sei noch zu untersuchen, ob die beiden Liegenschaften überhaupt Geschäftsvermögen des Steuerpflichtigen geworden seien, wenn ja, wann dies geschehen sei. Ferner sei die vom Pflichtigen vorgenommene Bewertung des Bodens zu überprüfen. Schliesslich sei abzuklären, ob die Abbruchkosten bereits vor dem Abbruch im Bilanzansatz für den Boden berücksichtigt worden seien oder nicht.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die in Frage stehenden Liegenschaften zum Geschäftsvermögen des Steuerpflichtigen zu rechnen sind. Er hat sie in seine Geschäftsbuchhaltung aufgenommen, und diese Behandlung entspricht dem wirklichen Sachverhalt: Er hat die eine Liegenschaft im Jahre 1943 aus Erbschaft übernommen, um darin das gleichzeitig übernommene Ladengeschäft weiterzuführen. Die andere Liegenschaft hat er in der Folge erworben, um das Geschäft zu erweitern; deshalb hat er das Haus nach und nach etwas umgebaut. Tatsächlich hat er die beiden Liegenschaften, wie beabsichtigt, für das Geschäft verwendet. Die Abschreibung, die er auf dem beide Grundstücke (Boden und Gebäude) umfassenden Konto vorgenommen hat, ist daher nach Art. 22 Abs. 1 lit. b WStB vom rohen Einkommen abzuziehen, wenn und soweit sie "geschäftsmässig begründet" ist, d.h. eine während der Berechnungsperiode eingetretene Verminderung des Wertes dieses Bilanzobjektes ausgleichen soll.
2.
Die Rekurskommission anerkennt die Abschreibung
BGE 86 I 235 S. 239
bis auf den vom Steuerpflichtigen angegebenen Anschaffungs- und Buchwert des Bodens von Fr. 101'500.-- in der Meinung, dass der Bilanzposten "Grundstücke" während der Berechnungsperiode infolge des Abbruches der beiden alten Gebäude an Wert im Umfange der Abschreibung verloren habe. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden.
a) Nach der Schätzung des Steuerpflichtigen, welcher die Rekurskommission sich anschliesst, würde vom ursprünglichen Buchwert der Grundstücke von Fr. 345'700.--, welcher den Gesamtbetrag der Gestehungskosten darstellen soll, nur ein Betrag von Fr. 101'500.--, also nicht einmal ein Drittel, auf den Boden entfallen. Dieses Verhältnis kann offensichtlich nicht stimmen, auch wenn berücksichtigt wird, dass im Betrage von Fr. 345'700.-- Umbaukosten, die der Steuerpflichtige auf Fr. 53'200.-- beziffert, inbegriffen sind. Die kantonale Wehrsteuerverwaltung führt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus, die beiden Gebäude seien im Zeitpunkt des Erwerbes durch den Steuerpflichtigen bereits über 60 Jahre alt gewesen und hätten "technisch und wirtschaftlich den Erfordernissen eines modernen Geschäftsbetriebes nicht mehr entsprochen". "So ist das Grundstück, das der Pflichtige zusammen mit seinem Bruder im Jahre 1945 für Fr. 175'000.-- erworben hat, im Jahre 1943 vom Veräusserer, der dieses Objekt in der Absicht, es abzubrechen und einen Neubau zu errichten, gekauft hatte, zum gleichen Preis erstanden worden." Die Beschwerdeführerin weist ferner darauf hin, dass zur Zeit des Abbruchs der Gebäude der Boden mindestens rund Fr. 900'000.-- wert war. Diese Feststellungen sind unwidersprochen geblieben, und es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass sie nicht zutreffen. Aus ihnen ist mit der Beschwerdeführerin zu schliessen, dass für den Boden ein erheblich grösserer Teil der Gestehungskosten, als der Steuerpflichtige angibt, in Rechnung zu stellen ist. Wenn auch die alten Gebäude, namentlich nach dem Umbau, für das Geschäft noch einen
BGE 86 I 235 S. 240
gewissen Wert gehabt haben mögen, so war er jedenfalls lange nicht so gross, wie der Steuerpflichtige geltend macht. Wäre eine Abschreibung wegen einer auf den Abbruch zurückzuführenden Wertverminderung überhaupt anzuerkennen, so wäre daher der Abzug auf einen Betrag zu beschränken, der den tatsächlich abgeschriebenen bei weitem nicht erreichen würde; denn der Abbruch hat nur die alten Gebäude zum Verschwinden gebracht, nicht auch eine Entwertung des Bodens zur Folge gehabt.
b) Vor dem Abbruch war der Wert des Bodens dadurch beeinträchtigt, dass die alten Gebäude noch darauf standen. Ein Käufer hätte nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge einzig dem Boden Wert beigemessen und das Vorhandensein der alten Häuser als Belastung empfunden; er hätte im Hinblick auf die mit dem Abbruch voraussichtlich verbundenen Umtriebe und Kosten einen Preisabstrich verlangt. Durch den Abbruch ist diese Belastung beseitigt, also der Wert des Bodens nicht nur nicht gesenkt, sondern im Gegenteil erhöht worden. Dazu kommt, dass in der Schweiz seit Jahren allgemein, besonders in städtischen Gegenden, der Wert des Bodens fortwährend zugenommen hat. Im vorliegenden Fall muss er seit dem Erwerb der Liegenschaften durch den Steuerpflichtigen beträchtlich gestiegen sein, wie die Vergleichung des von diesem genannten Gestehungspreises von rund Fr. 300'000.-- für Gebäude und Land zusammen (ohne Umbaukosten) mit dem Betrage von Fr. 900'000.--, auf den allein der Wert des Bodens zur Zeit des Abbruches geschätzt wird, deutlich zeigt. Diese aus zwei Gründen eingetretene Vermehrung des Bodenwertes hat zweifellos dauernden Charakter.
Sie muss bei der Berechnung des steuerbaren Einkommens berücksichtigt werden. Es kann nicht mit Grund eingewendet werden, der Steuerpflichtige habe sie in der Berechnungsperiode weder realisiert noch verbucht (Art. 21 Abs. 1 lit. d, f WStB). Indem er auf dem die Gebäude und den Boden umfassenden Bilanzposten eine Abschreibung
BGE 86 I 235 S. 241
wegen Abbruches der Gebäude vorgenommen hat, ist er selbst zu einer neuen Bewertung dieses Postens geschritten. In einem solchen Fall darf die Steuerbehörde einer Vermehrung des Bodenwertes in dem Umfange, als dadurch ein in der Berechnungsperiode durch den Abbruch der Gebäude bewirkter Wertverlust wettgemacht wird, Rechnung tragen (vgl. zit. Urteil vom 1. November 1957).
Unter den gegebenen Umständen muss angenommen werden, dass die vom Steuerpflichtigen geltend gemachte, auf den Abbruch der alten Häuser zurückgeführte Wertverminderung - die den von ihm behaupteten Umfang auf keinen Fall erreicht - durch den erwähnten Anstieg des Bodenwertes zum mindesten aufgewogen wird. Die im Geschäftsjahr 1955/56 wegen des Abbruches vorgenommene Abschreibung kann daher vom rohen Einkommen nicht abgezogen werden. Der die beiden Liegenschaften als Gesamtheit umfassende Bilanzposten hat keine Wertverminderung erfahren, die durch diese Abschreibung auszugleichen wäre.
3.
.....
4.
Streitig ist auch, ob die Abbruchkosten von Fr. 18'965.-- als Gewinnungskosten (Art. 22 Abs. 1 lit. a WStB) vom rohen Einkommen abzuziehen oder zu den vom Abzug ausgeschlossenen Anlagekosten (Art. 23 WStB) zu rechnen sind. Die Rekurskommission betrachtet sie als Gewinnungskosten mit der Begründung, sie seien in erster Linie durch die Ausserbetriebsetzung der alten, unbrauchbar gewordenen Gebäude bedingt, hingen mit dieser enger als mit dem Neubau zusammen. Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Der Steuerpflichtige hat die alten Gebäude abgerissen, um sie sofort durch einen Neubau zu ersetzen. Die Abbruchkosten sind daher, gleich wie die Kosten anderer Vorbereitungsarbeiten (Sondierungen, Erdbewegungen usw.), zu den Kosten des Neubaues, also zu den Anlagekosten, zu zählen, gleichgültig, in welchem Zustand sich die alten Gebäude befanden.
Die eidg. Steuerverwaltung nimmt an, die Abbruchkosten
BGE 86 I 235 S. 242
seien nur dann als Anlagekosten zu aktivieren, wenn sie bereits vor dem Abbruch im Bilanzansatz für den Boden berücksichtigt worden seien. Wenn dagegen eine solche Berichtigung des Bodenwertes unterblieben sei, so bestehe nach dem Abbruch kein Grund, eine Wertvermehrung zu verbuchen; in diesem Falle stellten die Abbruchkosten keine Anlagekosten dar, sondern seien als geschäftsmässig begründete Unkosten über die Gewinn- und Verlustrechnung abzubuchen. Indessen kann es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommen, ob und in welchem Umfange durch den Abbruch ein Mehrwert geschaffen worden ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die daherigen Aufwendungen nicht direkt der Erzielung eines Gewinns im betreffenden Geschäftsjahr, sondern der Verbesserung der Betriebsanlagen als Gewinnquelle auf unbestimmte Zeit hinaus dienen. Sie sind deshalb keine Gewinnungs-, sondern Anlagekosten (
BGE 86 I 48
Erw. 2 c). Sie dürfen nicht vom Gewinn des Jahres abgezogen werden, in dem sie gemacht worden sind, sondern sind zu aktivieren, auch wenn daraus kein Mehrwert der Anlagen in der Höhe des Kostenbetrages entstanden ist; vielmehr ist ihre Abschreibung auf die voraussichtliche Dauer des Gebrauches der verbesserten Anlage zu verteilen (Urteil D. vom 18. November 1949, Erw. 4, publiziert im Archiv Bd. 18, S. 348; Urteil U. vom 6. November 1959).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid in dem Sinne abgeändert, dass die Abschreibung auf den abgebrochenen Gebäuden und die Abbruchkosten nicht vom rohen Einkommen abgezogen werden. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
cc8441ce-aae3-4571-b1d7-4b904a8df68e | Urteilskopf
141 V 487
55. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_423/2014 vom 10. August 2015 | Regeste
Art. 52 Abs. 3 AHVG
;
Art. 135 ff. OR
; Verjährung des Schadenersatzanspruchs, Unterbrechung.
Die Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegenüber dem Arbeitgeberorgan kann nur durch Rechtsakte unterbrochen werden, welche sich auf die Schadenersatzforderung selber beziehen. Rechtshandlungen hinsichtlich der Beitragsforderung gegenüber dem Arbeitgeber kommt keine fristunterbrechende Wirkung zu (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 487
BGE 141 V 487 S. 487
A.
A. war vom 3. Oktober 1995 bis 19. August 2003 Geschäftsführer und anschliessend einziges Mitglied des Verwaltungsrates der B. AG, über welche am 29. Januar 2007 der Konkurs eröffnet wurde. Das Konkursverfahren wurde mit Verfügung des Konkursrichters des Bezirks C. vom 28. August 2012 für geschlossen erklärt und die Gesellschaft von Amtes wegen gelöscht. Die Ausgleichskasse des Kantons Aargau (nachfolgend: Ausgleichskasse), welcher die Konkursitin als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen gewesen war, verpflichtete A. mit Verfügung vom 10. Februar 2013 und Einspracheentscheid vom 25. April 2013 zur Bezahlung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 450'373.65 für entgangene bundes- und kantonalrechtliche Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungs- und Betreibungskosten, Mahngebühren und Verzugszinsen; Verlustschein des Konkursamtes Aargau über den genannten Betrag vom 15. August 2012).
BGE 141 V 487 S. 488
B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die von A. erhobene Beschwerde, soweit es darauf eintrat, gut und hob den Einspracheentscheid vom 25. April 2013 wegen Verjährung der Schadenersatzforderung auf (Entscheid vom 15. April 2014).
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht zu neuer Entscheidung über die Schadenersatzforderung; diese sei nicht verjährt.
Während A. auf Abweisung der Beschwerde schliesst, beantragt die Ausgleichskasse deren Gutheissung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das kantonale Gericht hat die subsidiäre Haftung von A. als Organ der am 29. Januar 2007 in Konkurs gefallenen Arbeitgeberin nach
Art. 52 AHVG
(in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember 2011 gültig gewesenen Fassung) und § 35 Abs. 1 des aargauischen Gesetzes vom 23. Dezember 1963 über Kinderzulagen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (SAR 815.100; in Kraft bis 31. Dezember 2009) verneint, weil die Schadenersatzforderung der Ausgleichskasse bereits verjährt gewesen sei, als sie mittels Verfügung vom 10. Februar 2013 gegenüber dem Beschwerdegegner geltend gemacht wurde.
2.
2.1
Gemäss
Art. 52 Abs. 3 AHVG
verjährt der Schadenersatzanspruch zwei Jahre, nachdem die zuständige Ausgleichskasse vom Schaden Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Eintritt des Schadens (erster Satz). Diese Fristen können unterbrochen werden (zweiter Satz der genannten Gesetzesbestimmung). Die zuständige Ausgleichskasse macht den Schadenersatzanspruch durch Erlass einer Verfügung geltend (
Art. 52 Abs. 4 AHVG
, als Verfahrensvorschrift sofort in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung anwendbar).
2.2
Die Schadenersatzforderung entsteht mit dem Eintritt des Schadens, welcher seinerseits auf einen rechtlichen Grund, die Verwirkung der Beiträge (
Art. 16 Abs. 1 AHVG
), oder aber auf einen tatsächlichen Grund, nämlich die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zurückgeht. In diesem Zeitpunkt beginnt die absolute fünfjährige
BGE 141 V 487 S. 489
Verjährungsfrist gemäss Art. 52 Abs. 3 erster Satz AHVG zu laufen, das heisst im Falle der Verwirkung der Beitragsforderung mit deren Eintritt und im Falle der Uneinbringlichkeit, sobald die Beiträge wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht mehr im ordentlichen Verfahren nach
Art. 14 ff. AHVG
erhoben werden können, in der Regel mit der Ausstellung eines Pfändungsverlustscheins oder mit der Konkurseröffnung über den Arbeitgeber (
BGE 136 V 268
E. 2.6 S. 273;
BGE 134 V 257
E. 3.2 S. 263;
BGE 129 V 193
E. 2.2 S. 195;
BGE 123 V 12
E. 5b und 5c S. 15 f.,
BGE 123 V 168
E. 2a S. 170;
BGE 113 V 256
E. 3c in fine S. 257 f.; MARCO REICHMUTH, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach
Art. 52 AHVG
, 2008, S. 13 Rz. 62, S. 33 Rz. 147, S. 81-89 Rz. 329-364, S. 206 Rz. 855-858; MÉLANIE FRETZ, La responsabilité selon l'art. 52 LAVS: une comparaison avec les art. 78 LPGA et 52 LPP, HAVE 2009 S. 239 f.; ULRICH MEYER, Die Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zur Arbeitgeberhaftung, in: Temi scelti di diritto delle assicurazioni sociali, 2006, S. 31; THOMAS NUSSBAUMER, Die Haftung des Verwaltungsrates nach
Art. 52 AHVG
, AJP 1996 S. 1076; JEAN-MAURICE FRÉSARD, La responsabilité de l'employeur pour le non-paiement de cotisations d'assurances sociales selon l'art. 52 LAVS, SVZ 55/1987 S. 8).
2.3
Wie angeführt (E. 2.1 hievor), können die relative zweijährige und die absolute fünfjährige Verjährungsfrist unterbrochen werden (
BGE 135 V 74
E. 4.1 S. 77 und E. 4.2.2 S. 78;
BGE 131 V 425
E. 3.1 S. 427; je mit Hinweisen). Das AHVG regelt nicht, durch welche Handlungen der Ausgleichskasse und der Beschwerdeinstanzen (kantonales Versicherungsgericht, Bundesgericht) sowie der in Anspruch genommenen Person die Verjährung unterbrochen wird; ebenso wenig beantwortet es die Frage nach der Dauer der nach der Unterbrechung neu laufenden Frist. Rechtsprechungsgemäss sind subsidiär die im Rahmen von
Art. 60 OR
massgeblichen allgemeinen Bestimmungen nach
Art. 135 ff. OR
heranzuziehen (
BGE 135 V 74
E. 4.2.1 S. 77 mit Hinweis auf
BGE 123 III 213
E. 6a S. 219; vgl. auch
BGE 129 V 11
E. 3.5.1 und 3.5.2 S. 14 sowie
BGE 131 V 55
E. 3.1 S. 56).
Die Verjährung wird unterbrochen u.a. durch Klage oder Einrede vor einem staatlichen Gericht sowie durch Eingabe im Konkurs (
Art. 135 Ziff. 2 OR
). Mit der Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem (
Art. 137 Abs. 1 OR
), wobei die neue Verjährungsfrist der Dauer der unterbrochenen entspricht (SVR 2011 BVG Nr. 4 S. 13, 9C_262/2010 E. 4.2 am Anfang; Urteil 9C_903/2008 vom 21. Januar 2009 E. 4 in fine; ROBERT K. DÄPPEN, in: Basler Kommentar,
BGE 141 V 487 S. 490
Obligationenrecht, Bd. I, 5. Aufl. 2011, N. 2 zu
Art. 137 OR
). Bei der Anwendung dieser Regelung im Rahmen von
Art. 52 AHVG
ist zu beachten, dass im Unterschied zum Privatrecht, wo die Verjährung nur durch die in
Art. 135 Ziff. 1 und 2 OR
genannten Handlungen unterbrochen werden kann, alle Akte, mit denen die Schadenersatzforderung gegenüber dem Schuldner in geeigneter Weise geltend gemacht wird, verjährungsunterbrechende Wirkung haben (
BGE 135 V 74
E. 4.2.1 S. 77 f.; vgl.
BGE 133 V 579
E. 4.3.1 S. 583 mit Hinweisen; ASA 79 S. 863, 2C_188/2010 E. 6.3 in fine; vgl. auch Urteile 9C_289/2009 vom 19. Mai 2010 E. 4.2 f., 9C_903/2008 vom 21. Januar 2009 E. 5.4 f. und H 136/05 vom 23. November 2006 E. 5.1 f., jeweils zum subsidiär herangezogenen
Art. 138 Abs. 1 OR
in der bis 31. Dezember 2010 gültig gewesenen Fassung; THOMAS MEIER, Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher Forderungen, 2013, S. 213-231; REICHMUTH, a.a.O., S. 214 f. Rz. 895; STEPHEN V. BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2002, N. 18-34 zu
Art. 138 OR
).
3.
Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass der Schaden der Ausgleichskasse am 29. Januar 2007 eintrat, als über die B. AG der Konkurs eröffnet wurde und die von der Arbeitgeberfirma geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge mithin nicht mehr im ordentlichen Verfahren nach
Art. 14 ff. AHVG
erhoben werden konnten. Ebenfalls nicht streitig ist, dass die damals in Gang gesetzte absolute fünfjährige Verjährungsfrist gemäss Art. 52 Abs. 3 erster Satz AHVG bei Erlass der Schadenersatzverfügung gegen A. vom 10. Februar 2013 an sich bereits abgelaufen war, es sei denn, noch vor dem 29. Januar 2012 sei die Frist im Sinne der angeführten Rechtsprechung unterbrochen worden.
Das beschwerdeführende BSV macht denn auch geltend, die Ausgleichskasse habe mehrere verjährungsunterbrechende Handlungen vorgenommen, und verweist diesbezüglich auf zwei Nachzahlungsverfügungen (vom 5. November 2009 und 30. August 2010), zwei Einspracheentscheide (vom 8. Mai 2007 und 9. März 2012) sowie insgesamt vier Forderungseingaben im Konkursverfahren der ehemaligen Arbeitgeberin in Liquidation (vom 8. Mai 2007, 5. November 2009, 30. August 2010 und 20. April 2012).
4.
4.1
Wie die Vorinstanz richtigerweise darlegt, betreffen sämtliche erwähnten Akte ausschliesslich das Beitrags- oder das Konkursverfahren gegen die B. AG und nicht den Schadenersatzanspruch gegenüber dem Beschwerdegegner als subsidiär haftendem Organ der
BGE 141 V 487 S. 491
früheren Arbeitgeberfirma. Bei der (auch im Konkursverfahren eingegebenen) Beitragsforderung der zuständigen Ausgleichskasse gemäss
Art. 14 Abs. 1 AHVG
in Verbindung mit
Art. 34 ff. AHVV
(SR 831.101) und der Schadenersatzforderung nach
Art. 52 AHVG
handelt es sich rechtlich nicht um identische Forderungen, zumal erstere unmittelbar auf gesetzlicher Beitragsabrechnungs- und -zahlungspflicht der B. AG beruht, letztere dagegen - zeitlich nachgeordnet - erst mit dem Eintritt des Schadens zufolge Zahlungsunfähigkeit der angeschlossenen Arbeitgeberin entstand (E. 2.2 hievor). Die strikte Unterscheidung von Beitrags- und Schadenersatzforderung aufgrund ihres Gegenstandes und ihrer Rechtsnatur wurde von Rechtsprechung und Literatur in verschiedenen Rechtsanwendungslagen stets betont und beachtet (
BGE 136 V 268
E. 2.2 S. 270;
BGE 126 V 443
E. 4c S. 449 Mitte;
BGE 123 V 168
E. 3a und 3b S. 171 f.;
BGE 121 III 382
E. 3c S. 385;
BGE 119 V 89
E. 4b/bb S. 95 Mitte; SVR 2010 AHV Nr. 6 S. 19, 9C_720/2008 E. 5.5.1; 2006 AHV Nr. 9 S. 35, H 162/01 E. 5.2.2; 2005 AHV Nr. 22 S. 77, H 128/01 E. 5.2 und 6.2; REICHMUTH, a.a.O., S. 33-35 Rz. 147-158;
derselbe
, Die Haftung des Arbeitgebers nach
Art. 52 AHVG
, in: Aktuelle Fragen des Sozialversicherungs- und Migrationsrechts aus der Sicht der KMU, 2009, S. 128; UELI KIESER, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 3. Aufl. 2012, S. 316 f. Rz. 3;
derselbe
, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 1291 f. Rz. 256 und 260; MICHELA BOTTINELLI UND ANDERE, La procedura di risarcimento danni della Cassa di compensazione AVS/AI/IPG nei confronti del datore di lavoro ex art. 52 LAVS, RtiD 2006 II S. 360 f.; NUSSBAUMER, a.a.O., S. 1074;
derselbe
, Das Schadenersatzverfahren nach
Art. 52 AHVG
, in: Aktuelle Fragen aus dem Beitragsrecht der AHV, 1998, S. 101; FRÉSARD, Les développements récents de la jurisprudence du Tribunal fédéral des assurances relative à la responsabilité de l'employeur selon l'art. 52 LAVS, SVZ 59/1991 S. 164 Fn. 10).
4.2
Die Unterscheidung der beiden Forderungen erstreckt sich auch auf die hier zu beantwortende Rechtsfrage. Die Schadenersatzforderung stellt eine eigenständige Forderung dar, welche auch in Bezug auf die Verjährung ein eigenes, von der Beitragsforderung unabhängiges Schicksal hat (
BGE 136 V 268
E. 2.6 S. 272 f.). Konsequenterweise kann deshalb die Verjährung des Schadenersatzanspruchs gegenüber dem Arbeitgeberorgan (
Art. 52 Abs. 3 AHVG
) nur durch Rechtsakte unterbrochen werden, welche sich auf die Schadenersatzforderung selber beziehen. Rechtshandlungen hinsichtlich der
BGE 141 V 487 S. 492
Beitragsforderung gegenüber dem Arbeitgeber kommt keine fristunterbrechende Wirkung zu. Die Schadenersatzverfügung stellt denn auch in der Regel die erste verjährungsunterbrechende Handlung dar (
BGE 135 V 74
E. 4.2.2 am Anfang S. 78; Urteil 9C_903/2008 vom 21. Januar 2009 E. 4 am Anfang). Die Ausgleichskasse darf diesbezüglich bei drohendem Eintritt der absoluten Verjährungsfrist (etwa wegen eines langwierigen Konkursverfahrens) nicht einfach zuwarten, sondern hat gegebenenfalls noch vor genauer Kenntnis des Schadensumfangs eine Schadenersatzverfügung unter Abtretung einer allfälligen Konkursdividende zu erlassen (vgl.
BGE 139 V 176
E. 9.2 S. 191 mit Hinweisen auf verschiedene Rechtsgebiete; DORIS GALEAZZI WANGELER, La responsabilité des organes de sociétés en cas de non-paiement des charges sociales (Art. 52 LAVS): questions choisies, CGSS 47/2011 S. 122; NUSSBAUMER, Die Ausgleichskasse als Partei im Schadenersatzprozess nach
Art. 52 AHVG
, ZAK 1991 S. 391). Der (nicht näher begründeten) abweichenden Lehrmeinung von REICHMUTH, wonach die absolute Verjährung der Schadenersatzforderung auch durch Eingabe der Beitragsforderung im Konkurs des Arbeitgebers unterbrochen werde (S. 212 Rz. 887 des in E. 2.2 hievor ersterwähnten Literaturhinweises), ist nach dem Gesagten nicht zu folgen.
Das kantonale Gericht hat mangels einer einschlägigen fristunterbrechenden Handlung zu Recht festgestellt, dass ein allfälliger Schadenersatzanspruch der Ausgleichskasse fünf Jahre nach der Konkurseröffnung über die B. AG vom 29. Januar 2007, d.h. noch vor Erlass der Schadenersatzverfügung vom 10. Februar 2013 absolut verjährte.
4.3
Entgegen der Auffassung des beschwerdeführenden Bundesamtes lässt sich aus SVR 2006 AHV Nr. 9 S. 35, H 162/01 nichts Gegenteiliges ableiten.
4.3.1
Dieses Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 15. September 2005 bezog sich auf den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000, in welchem die AHV/IV/EO/AlV-Beitragsforderungen konkursrechtlich vorübergehend nicht in der zweiten Klasse privilegiert waren. Die damals betroffene Ausgleichskasse stimmte als Gläubigerin dritter Klasse dem an einer Gläubigerversammlung vorgelegten (später gerichtlich genehmigten) Nachlassvertrag bezüglich des gesamten Beitragsforderungsbetrages zu, ohne gegenüber dem in der Folge als schadenersatzpflichtig belangten Arbeitgeberorgan die Verfahrensvorschriften des
Art. 303 Abs. 2 SchKG
BGE 141 V 487 S. 493
eingehalten zu haben. Das BSV, welches (auch) seinerzeit Verwaltungsgerichtsbeschwerde führte, stellte sich auf den Standpunkt, die in
Art. 303 SchKG
statuierten Verfahrensvorschriften müssten nur gegenüber solidarisch oder subsidiär haftenden Schuldnern ein- und derselben Forderung beachtet werden. Diese Identität sei bezüglich AHV/IV/EO-Beitragsforderungen einerseits und Schadenersatzforderungen andererseits nicht gegeben, weshalb die einem Nachlassvertrag zustimmende Ausgleichskasse ihre Rechte gegenüber Schadenersatzpflichtigen ungeachtet einer Einhaltung der Formalien gemäss
Art. 303 Abs. 2 SchKG
wahre. Das Eidgenössische Versicherungsgericht verwarf diese Ansicht und entschied, dass die Ausgleichskassen von 1997 bis 2000 gegenüber den nach
Art. 52 AHVG
haftbaren Organen die Verfahrensvorschriften des
Art. 303 Abs. 2 SchKG
(oder - alternativ - Abs. 3 dieser Norm) auch bei den nicht identischen Beitrags- und Schadenersatzforderungen einhalten mussten, um einem Nachlassvertrag ohne Verlust ihrer Schadenersatzansprüche zustimmen zu können (E. 5 und 6 des genannten Urteils). Beitrags- und Schadenersatzpflichtige wurden dabei als Mitverpflichtete im Sinne von
Art. 303 SchKG
betrachtet und mit Blick auf den in Abs. 1 dieser Vorschrift erwähnten Bürgen wurde erwogen, dass das privatrechtliche Institut der Bürgschaft durchaus Ähnlichkeiten mit der gesetzlichen Haftung nach
Art. 52 AHVG
aufweist (E. 5.3.2 des zitierten Urteils H 162/01). Die Unterstellung des Schadenersatzpflichtigen unter
Art. 303 SchKG
, in dessen Randtitel sich der Begriff "Mitverpflichtete" findet, wurde mit dem Schutznorm-Gedanken des Gesetzgebers begründet, wonach es ungerecht wäre, wenn der Gläubiger einem Nachlassvertrag zustimmen und sich anschliessend beim Mitverpflichteten vollumfänglich schadlos halten könnte, ohne dass Letzterem die Möglichkeit eingeräumt worden ist, sich am Nachlassverfahren zu beteiligen. Denn es wäre so für den Gläubiger einfach, den Nachlassvertrag zu Lasten des Mitverpflichteten anzunehmen und ihm ein Opfer aufzuerlegen, zu welchem er sich nicht bereit erklärt hätte (H 162/01 E. 5.3.1).
4.3.2
Wenn das BSV im hier zu beurteilenden Fall aus dem dargelegten Urteil die Schlussfolgerung zieht, der als Arbeitgeberorgan subsidiär haftende Beschwerdegegner sei als Bürge im Sinne von
Art. 136 Abs. 2 OR
zu betrachten und als solchem sei ihm die unbestrittene Unterbrechung der Verjährungsfrist gegenüber der Hauptschuldnerin (B. AG) ebenfalls zuzurechnen, ist der Aufsichtsbehörde nicht zu folgen. Zunächst darf nicht aus den Augen gelassen werden, dass der Entscheid des Eidgenössischen
BGE 141 V 487 S. 494
Versicherungsgerichts im Hinblick auf den geschilderten Schutzzweck erging und nur für jene Sachverhalte praktische Bedeutung entfaltete, die sich im Zeitraum verwirklicht haben, in welchem die Sozialversicherungsbeiträge konkursrechtlich nicht privilegiert waren. Nach Wiedereinführung des Konkursprivilegs auf den 1. Januar 2001 fielen derartige Haftungsfälle aufgrund der für die Bestätigung des Nachlassvertrages vorausgesetzten vollen Deckung der privilegierten Forderungen (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 in Verbindung mit
Art. 219 Abs. 4 SchKG
[in der vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2013 geltenden Fassung]) in aller Regel ausser Betracht. Die vom BSV nunmehr in Anlehnung an das frühere Urteil vorgenommene weite Auslegung von
Art. 136 Abs. 2 OR
überzeugt nicht: Wohl findet sich in den Randtiteln zu
Art. 303 SchKG
und
Art. 136 OR
jeweils der Begriff "Mitverpflichtete(n)". Darin erschöpfen sich aber auch schon sämtliche Gemeinsamkeiten der beiden hier interessierenden Normen. Während Letztere materielles Recht bildet, stellt
Art. 303 Abs. 2 SchKG
eine reine Verfahrensvorschrift dar (zitiertes Urteil H 162/01 E. 4.3). Die Art. 135 f. OR dienen dem Schutz des Gläubigers, wogegen
Art. 303 Abs. 2 SchKG
den Schuldner schützt (E. 4.3.1 hievor in fine). Wenn schon Parallelen zu ziehen wären, spräche auch das erwähnte, im Lichte des Schuldnerschutzes ergangene Urteil zu
Art. 303 Abs. 2 SchKG
dafür, dass die Verjährung der Schadenersatzforderung nur unterbrochen wird, wenn die Ausgleichskasse spezifisch gegen das subsidiär haftende Organ als Schuldner dieser Forderung vorgeht (E. 4.2 hievor). Hier aber ist letztlich entscheidend, dass
Art. 136 OR
die Folgen der Verjährungsunterbrechung ausschliesslich für Solidarschuldner und Bürgen regelt (DÄPPEN, a.a.O., N. 1 zu
Art. 136 OR
), während im Gegensatz dazu die gesetzliche Aufzählung der Mitverpflichteten gemäss
Art. 303 SchKG
nicht abschliessend, sondern beispielhaft ist (H 162/01 E. 5.2.1; ALEXANDER VOLLMAR, in: Basler Kommentar, SchKG, Bd. II, 2. Aufl. 2010, N. 7 zu
Art. 303 SchKG
). Die Subsumtion des schadenersatzpflichtigen Arbeitgeberorgans unter
Art. 136 Abs. 2 OR
ist demnach ausgeschlossen. | null | nan | de | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc887624-98f2-4aeb-a5b2-14ca45cd7785 | Urteilskopf
103 Ia 577
85. Estratto della sentenza del 9 novembre 1977 nella causa Pedroia c. Comune di Minusio e Tribunale amministrativo del Cantone Ticino. | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde gegen einen von der zuständigen Behörde noch nicht genehmigten Erlass;
Art. 89 OG
.
Die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen kommunalen Erlass, der noch der Genehmigung durch die kantonale Behörde bedarf, ist zulässig, wenn diese vor der Urteilsfällung erfolgt. Bis zum Zeitpunkt der Genehmigung kann das Bundesgericht die Instruktion aussetzen (Erweiterung der Rechtsprechung) (E. 2).
Benützungsgebühr, Trinkwassergebühr.
Bei der Festlegung des Tarifs für die Benützung einer Sache (hier: Wasser), die von einem öffentlichen Betrieb geliefert wird, kann nicht nur der Menge sondern auch der Art und Weise des Verbrauchs Rechnung getragen werden. Unter diesem Gesichtspunkt sind die normale Spitzenbelastung und ausserordentliche Spitzenbelastung der Anlage, soweit sie ihre Ausmasse und ihre Kapazität (hier: die Wasserfassungen und -leitungen) beeinflussen, massgebend (E. 5-7). | Sachverhalt
ab Seite 578
BGE 103 Ia 577 S. 578
Il 4 luglio 1973 il Municipio di Minusio, agendo in virtù dell'art. 13 lett. a della legge cantonale sulla municipalizzazione dei servizi pubblici (LSM), ha adottato un nuovo regolamento per la distribuzione dell'acqua potabile e la relativa tariffa.
Accanto alla tassa d'allacciamento (art. 1), la tariffa istituisce una tassa minima d'abbonamento, graduata a seconda dei locali e del tipo d'impianti (art. 4). La tassa di consumo (prezzo dell'acqua) è uniformemente stabilita in Fr. 0,32 il mc (art. 10 lett. a). La tassa d'abbonamento dà diritto al consumo gratuito di tanti metri cubi d'acqua, quanti ne risultano dalla divisione dell'ammontare di essa per il prezzo unitario al mc (art. 10 cpv. 2 tariffa). Da codesta imputazione sono però escluse le tasse industriali e suppletorie previste dall'art. 6 della tariffa: esse non danno diritto a consumo e debbono esser pagate oltre la tassa minima-base (art. 6 cpv. 2).
Tra queste tasse suppletorie rientra quella (art. 6 lett. g) per le piscine fisse o di plastica con o senza filtri. Esse pagano una tassa suppletoria annua di Fr. 8.-- per mc di capienza.
Luigi Pedroia e consorti hanno ricorso contro la tassa suppletoria per le piscine al Consiglio di Stato e, dopo la pronunzia sfavorevole di questo, si sono aggravati al Tribunale amministrativo. Anche l'ultima istanza cantonale ha dato loro torto, in sostanza argomentando che nella ripartizione della tassa tra le varie categorie di utenti il legislatore non ha abusato dei propri poteri tenendo conto della natura voluttuaria del consumo, della capacità economica dei proprietari di piscine e degli oneri
BGE 103 Ia 577 S. 579
derivanti per l'impianto dal numero, dall'aumento e dal consumo particolare di tali installazioni.
Con tempestivo ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
, Luigi Pedroia e consorti impugnano questa decisione, e chiedono al Tribunale federale di annullarla insieme con l'art. 6 lett. g della Tariffa.
Ammessa, in linea di principio, la possibilità di prevedere per le piscine una tassa suppletoria, non imputabile sul consumo, essi sostengono che quella di Fr. 8.-- il mc per anno è assolutamente sproporzionata, e crea per i proprietari di simili impianti un aggravio che non può esser giustificato con alcun ragionevole motivo. La pretesa natura voluttuaria del contestato consumo, la potenzialità economica della categoria degli utenti, le pretese esigenze di potenziamento della rete e degli impianti in ragione del numero delle piscine e del loro presumibile aumento, non costituiscono motivo oggettivo per giustificare un carico così massiccio. Inoltre, la soluzione adottata costituisce una flagrante disparità di trattamento rispetto ad altre categorie di utenti, che si trovano in condizioni analoghe, e non sono gravati. Pertanto, il legislatore comunale avrebbe abusato dei poteri di apprezzamento che gli competono, e sarebbe caduto nell'arbitrio e nella disparità di trattamento condannati dall'
art. 4 Cost.
; nello stesso errore sarebbe incorso il Tribunale amministrativo respingendo il gravame.
Il nuovo regolamento dell'acqua potabile e la relativa tariffa sono stati approvati dal Consiglio di Stato con risoluzione n. 7871 del 25 ottobre 1974, posteriore all'inoltro del ricorso di diritto pubblico.
Sulle questioni concernenti la struttura tariffaria il Tribunale federale ha fatto allestire una perizia, affidata al prof. Ernst Trueb del Politecnico federale di Zurigo.
Erwägungen
Considerando in diritto:
1.
La sentenza del Tribunale amministrativo impugnata è una decisione finale di ultima istanza. Contro di essa il ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
è ammissibile (
art. 87 OG
). Conforme alla natura cassatoria del rimedio, la conclusione ricorsuale tendente all'annullamento della decisione del Tribunale amministrativo è ricevibile.
BGE 103 Ia 577 S. 580
2.
I ricorrenti chiedono però che il Tribunale federale annulli direttamente, siccome incostituzionale, anche l'art. 6 lett. g della tariffa.
a) Il regolamento e la tariffa sono stati adottati dall'esecutivo comunale in veste di legislatore, e ciò in virtù di una ripartizione di competenze fra autorità cantonali e comunali. I ricorrenti non censurano la costituzionalità di questa ripartizione di competenze, e il Tribunale federale non deve di conseguenza occuparsene.
Regolamento e tariffa constano di norme generali ed astratte, applicabili ad un numero indeterminato di fattispecie. Dopo esser stati adottati dal Municipio, essi esigono ancora l'approvazione, di effetto costitutivo, del Consiglio di Stato, a norma delle disposizioni della legge organica comunale (LOC; art. 158 e 159 LOC; art. 18 LSM - cfr.
DTF 100 Ia 149
consid. 1). Solo a partire dal momento dell'approvazione del Consiglio di Stato, essi costituiscono "decreti cantonali" (arrêtés cantonaux, kantonale Erlasse) a' sensi dell'art. 84 cpv. 1, prima frase OG (
DTF 77 I 148
e 149 consid. 2).
Nel caso concreto l'approvazione del regolamento da parte del Consiglio di Stato è avvenuta soltanto il 25 ottobre 1974. Al momento in cui il ricorso di diritto pubblico è stato presentato, la conclusione tendente all'annullamento diretto della norma, non ancora perfetta, era pertanto improponibile.
b) Nella fattispecie si giustifica tuttavia di ammettere la ricevibilità di tale conclusione per due motivi.
Quando un ricorso di diritto pubblico contro un decreto validamente adottato dall'autorità cantonale è proposto anteriormente alla sua pubblicazione, giorno dal quale secondo l'
art. 89 OG
decorre il termine per l'impugnativa, il Tribunale federale non dichiara irricevibile il ricorso prematuro, ma ne sospende l'istruzione sino al giorno della pubblicazione (
DTF 98 Ia 204
consid. 1 e riferimenti).
Dettata da ragioni pratiche, questa giurisprudenza può esser estesa al caso in cui, per la validazione di un decreto adottato da un'autorità comunale, è necessaria l'approvazione dell'autorità cantonale, e questa interviene dopo la presentazione del ricorso, ma prima del giudizio del Tribunale federale.
Nel caso in esame, Consiglio di Stato e Tribunale amministrativo, per una particolarità del diritto cantonale (actio popularis contro tutte le deliberazioni di organi comunali), erano
BGE 103 Ia 577 S. 581
chiamati ad effettuare un controllo di costituzionalità della contestata norma, adottata dal Comune, e ciò anteriormente all'approvazione costitutiva da parte del Governo. All'ultima istanza cantonale incombeva pertanto un sindacato di costituzionalità in abstracto, identico a quello che compete al Tribunale federale nel caso dell'impugnazione di un decreto cantonale. In simili circostanze non si vede per quale ragione il Tribunale federale, se dissentisse in punto alla costituzionalità della norma dall'opinione dell'ultima istanza cantonale, dovrebbe limitarsi a cassarne la decisione ed ad astringere detta istanza a pronunciare un nuovo giudizio, e non potrebbe, invece, annullare direttamente la norma impugnata, divenuta nel frattempo, per l'approvazione del Consiglio di Stato, un decreto cantonale a' sensi dell'
art. 84 OG
.
3.
(Vincoli derivanti dall'
art 4 Cost.
per il legislatore.)
4.
(Applicabilità alle tasse di utilizzazione, che possono lasciar un utile, del principio dell'equivalenza. Possibilità di tener conto per la loro determinazione della capacità contributiva e dell'interesse dell'utente. Limiti di tale presa in considerazione. Il ricorso a tali criteri non giustifica in casu il maggior onere imposto ai proprietari di piscine.)
5.
Il Tribunale amministrativo ha però ritenuto - proteggendo la tesi del Comune - che il numero delle piscine e il consumo da esse provocato impongono un potenziamento degli impianti di captazione, destinato a coprire - specie nel periodo estivo - la domanda di questa categoria di utenti. Esso ha quindi considerato lecito che il legislatore facesse capo alla tassa suppletoria di Fr. 8.-- per mc di capienza e per anno, su cui quella di consumo non è imputabile.
Vivacemente contestata dai ricorrenti, questa motivazione della sentenza non trova però negli atti cantonali un conclusivo appoggio; in particolare, non è abbastanza chiaro, sulla scorta degli atti cantonali, se la tassa trova fondamento nella quantità del consumo provocato dalle piscine, oppure nella struttura dello stesso.
In simile situazione ci si può chiedere se il Tribunale amministrativo non abbia omesso di esaminare sufficientemente le obiezioni dei ricorrenti, non facendo capo ad una perizia giudiziaria, e non sia pertanto caduto in un diniego di giustizia lesivo dell'
art. 4 Cost.
Tuttavia il Tribunale federale evita di cassare decisioni cantonali che nel loro risultato non sono arbitrarie:
BGE 103 Ia 577 S. 582
ispirandosi a questo principio e tenendo conto che la questione sollevata è di portata generale, è stata ordinata una perizia in applicazione dell'
art. 95 OG
.
6.
Il referto del perito può brevemente riassumersi in questi termini:
a) Gli impianti di captazione e di distribuzione dell'acqua potabile debbono esser dimensionati in modo da poter coprire i fabbisogni di punta giornalieri. È impossibile - o comunque troppo dispendioso - stabilire il fabbisogno di punta di ogni singolo utente. Per questa ragione, le tariffe di consumo di un'azienda (prezzo dell'acqua al mc) debbono esser calcolate in modo da coprire le punte "normali". La punta normale si determina applicando un fattore (detto fattore di punta normale) al consumo medio giornaliero, calcolato sull'arco di un intero anno. Detto fattore di punta normale va dall'1,3 all'1,6 del fabbisogno medio giornaliero. Per Minusio si giustifica di adottare il fattore 1,6. Le punte che vanno oltre detti valori normali, dette "superpunte", debbono far oggetto di una tassa suppletoria, che si aggiunge a quella di mero consumo.
b) Caratteristica delle piscine è di avere un fabbisogno giornaliero medio molto basso, per contro un fabbisogno di punta estremamente alto rispetto a quello giornaliero medio. Detto fabbisogno di punta, per di più, coincide nel tempo con quello di altre categorie di utenti.
Le superpunte richieste dalle piscine - contrariamente a quanto si potrebbe pensare - non sono occasionate dal riempimento stagionale. Giusta il regolamento, questo può esser infatti ripartito nel tempo, agevolmente controllato e si situa in periodo di bassa richiesta dell'utenza. Le superpunte, invece, si concentrano in alcuni pochi giorni - forse una decina - di temperature canicolari (38o C). In questi giorni, per mantenere la temperatura dell'acqua a un livello normale, occorre rinnovarla con un apporto di acqua fresca pari al 20% della capienza della piscina.
c) Il consumo annuale delle piscine di Minusio - considerata una stagione balneare maggio-settembre di 153 d (giorni) e un'occupazione media di 50 d sugli 80 d propizi al bagno - può esser calcolato in 25'134 mc/a, pari a 2,86 volte la capienza globale delle piscine. Il consumo giornaliero medio delle piscine è quindi di 68,9 mc/d. In questo consumo è tenuto conto del primo riempimento e delle aggiunte normali per rinfrescare,
BGE 103 Ia 577 S. 583
compensare l'evaporazione e per la pulizia. Codesti dati calcolatori trovano riscontro in rilievi effettivi: il supero di consumo dei 179 proprietari di piscine per rapporto al supero medio degli altri 1505 utenti è stato nel 1974 di 27'763 mc.
Partendo da un fabbisogno medio delle piscine di 68,9 mc/d, la punta normale (fattore per Minusio: 1,6) è di 110 mc/d. Nei giorni canicolari, tenuto conto di un'occupazione del 90% delle piscine, occorre aggiungere acqua fresca per 1580 mc (20% del 90% della capienza globale di 8776 mc). Ne risultano superpunte, da coprire con tassa speciale, di mc/d (1580 - 110) = 1470 mc/d.
d) La predetta superpunta di 1470 mc/d fa stato per stabilire la tassa suppletoria, il cui prodotto deve coprire i costi (interesse e ammortamento) dei mezzi investiti per il superdimensionamento degli impianti attribuibile alle piscine.
A seconda dei criteri prescelti per la valutazione degli impianti (valore a nuovo o valore ammortizzato attuale) e dell'annuità di ammortamento e d'interesse, tenuto conto della capacità complessiva dell'impianto (8500 mc/d), il costo dell'unità di capacità (cioè la capacità dell'impianto di fornire 1 mc al dì) va da un massimo di Fr. 87.-- a un minimo di Fr. 48.--. La superpunta di 1470 mc/d, resa necessaria dalle piscine, provoca così costi annuali che, a seconda del sistema di calcolo, vanno da un massimo di Fr. 128'000.-- ad un minimo di Fr. 71'000.-- ca. Ripartiti sulla capienza totale delle piscine (mc 8776), tali costi giustificano una tassa suppletoria da un massimo di Fr. 14,60 a un minimo di Fr. 8,10 per mc di capienza della singola piscina. Secondo il perito, pertanto, la soprattassa per le piscine si giustifica per la struttura particolare del consumo di questi impianti, ossia per le superpunte ch'essi esigono durante un numero limitato di giorni canicolari. Anche l'importo della tassa è in adeguata correlazione con le prestazioni fornite dall'azienda.
7.
Al referto peritale sono mosse dai ricorrenti obiezioni di due sorte: le prime concernono le caratteristiche del consumo, che il perito ha considerato per giustificare la tassa; le seconde concernono il calcolo della tassa.
A questo proposito giova rilevare che la perizia giudiziale ordinata nel corso dell'istruzione di un ricorso fondato sull'
art. 4 Cost.
è destinata unicamente a permettere al Tribunale federale di accertare se a favore della soluzione scelta dal legislatore
BGE 103 Ia 577 S. 584
possono esser addotti argomenti oggettivi, che rientrano nell'ambito di quelle facoltà di apprezzamento del legislatore stesso e sfuggono al sindacato del Tribunale federale. Tale perizia non è invece destinata a consentire al Tribunale federale di stabilire, al posto del legislatore, quale soluzione sarebbe la più appropriata: ancor meno essa ha lo scopo di permettere alla Corte costituzionale di stabilire essa stessa l'ammontare più confacente della tassa.
Già per queste ragioni, gli argomenti dei ricorrenti cadono nel vuoto. Comunque, se si volesse da ciò prescindere, essi appaiono infondati.
a) I ricorrenti contestano la superpunta pari al 20% della capienza delle piscine durante i giorni canicolari. A parte il fatto che essi confondono la nozione di superpunte con quella di fabbisogno, il perito ha fornito una giustificazione documentata di questo calcolo. Il Tribunale federale non ha motivo di scostarsene.
b) Lo stesso deve dirsi per quanto concerne la valutazione dell'impianto e dei costi. Volutamente il perito ha scelto due modi di calcolo diversi, che conducono a risultati diversi, e quindi a stabilire per le tariffe che ne derivano dei massimi e dei minimi. La tassa stabilita dal legislatore, e qui impugnata, si situa leggermente al disotto del minimo calcolato dal perito.
Se ne deve così concludere che la tassa suppletoria di Fr. 8.-- il mc, presa in sé, può essere giustificata con motivi oggettivi, inerenti non alla quantità del consumo occasionato dalle piscine, ma alla struttura di questo consumo. Sotto questo punto di vista, il rimprovero di violazione dell'
art. 4 Cost.
(arbitrio) sollevato dai ricorrenti risulta infondato. Esso lo sarebbe anche nel caso in cui la perizia potesse, in alcuno dei suoi punti di dettaglio, dar luogo a discussioni.
c) Può rilevarsi che il Consiglio di Stato del Cantone Zurigo s'è pronunciato su un problema analogo con due decisioni, la prima del 30 dicembre 1971 (Comune di Uster) e la seconda del 19 novembre 1975 (Comune di Hinwil), quest'ultima apparsa in ZBl 77 (1976) pag. 193 segg. In quei casi il Consiglio di Stato di Zurigo ha dichiarato inammissibile, perché contraria all'
art. 4 Cost.
, una tassa suppletoria per piscine, negando che sussista un nesso tra detta tassa ed il consumo provocato dalle piscine. Ciò è esatto, e si verifica anche nel caso di Minusio. Il Consiglio di Stato zurighese ha pure negato che punte giustificanti
BGE 103 Ia 577 S. 585
una simile tassa risultino dal primo riempimento delle piscine (che può essere scaglionato nel tempo e sorvegliato); ad uguale conclusione si giunge anche nel caso di Minusio. Per contro, il Consiglio di Stato di Zurigo non sembra aver esaminato il problema delle superpunte nei giorni di canicola, che invece è stato esaminato per Minusio. Ora tali superpunte non possono praticamente esser impedite, né può esser effettuato un controllo, diversamente da quanto avviene per altri usi.
8.
(Censura di violazione del principio dell'uguaglianza di trattamento perché il legislatore non ha assoggettato allo stesso sistema tariffario altre categorie di utenti (proprietari di giardini) il cui consumo presenterebbe analoga struttura. Censura irricevibile in quanto nuova.)
9.
(Considerazioni generali circa il problema della disparità di trattamento fra categorie di utenti con consumo di analoga struttura. Questione lasciata aperta.) | public_law | nan | it | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cc8b4d0c-bbc2-4f6c-8ad5-acad11223179 | Urteilskopf
97 V 200
49. Arrêt du 11 novembre 1971 dans la cause Stieger contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et Office fédéral des assurances sociales | Regeste
Art. 98 lit. c OG
. 35 VO I über die Unfallversicherung.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht ist zulässig gegen eine Verfügung des Bundesamtes für Sozialversicherung, wenn dieses als Rekursbehörde über die Unterstellung unter die obligatorische Versicherung entscheidet. Die richterliche Überprüfungsbefugnis wird durch die
Art. 104 und 105 Abs. 1 OG
(
Art. 132 OG
) umschrieben (Erw. 1).
Art. 60bis Ziff. 1 lit. c KUVG
.
Unterstellung unter die obligatorische Versicherung; Begriff der "betriebsgefährlichen Maschine" (Art. 17 Ziff. 7 VO I über die Unfallversicherung; Erw. 2-4). | Sachverhalt
ab Seite 200
BGE 97 V 200 S. 200
A.-
Félix Stieger, ingénieur diplômé, exploite à Neuchâtel, sous la raison de commerce de "REOS", un atelier d'études et de constructions électroniques. Il fabrique des appareils et en répare d'autres, essentiellement des récepteurs de radio et de télévision. Il installe des haut-parleurs et, rarement, des antennes.
BGE 97 V 200 S. 201
Il occupe deux apprentis et un technicien. Il utilise un petit tour, deux perceuses à main et une petite meule à main. L'atelier n'est pas une entreprise industrielle, au sens de l'art. 5 de la LF du 13 mars 1964 sur le travail. Le 16 octobre 1970, la Caisse nationale assujettit dès ce jour-là l'atelier REOS à l'assurance obligatoire, en vertu de l'art. 17 chiffre 7 Ord. I sur l'assurance-accidents.
B.-
Félix Stieger recourut, en alléguant qu'il assurait déjà ses apprentis, que son technicien bénéficiait d'une police personnelle, qu'il n'y avait jamais eu d'accident dans son entreprise depuis 1948 et qu'il était très peu probable qu'il y en ait jamais.
L'Office fédéral des assurances sociales rejeta le recours le 14 janvier 1971. Selon lui, est décisif le fait que l'atelier REOS utilise quatre machines à travailler le métal; toutes autres allégations sont irrelevantes.
C.-
Félix Stieger a formé en temps utile un recours de droit administratif contre cette décision.
Il allègue que, pratiquement, il utilise seul les machines, à l'exception d'une perceuse et - de temps en temps - de la meule. Il demande à n'être pas assujetti à l'assurance obligatoire. La Caisse nationale conclut au rejet du recours, avec suite de frais et dépens.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Aux termes de l'art. 35 Ord. I sur l'assurance-accidents, la Caisse nationale et les intéressés peuvent recourir au Tribunal fédéral, en sa qualité de Chambre de droit administratif, contre la décision de l'Office fédéral des assurances sociales statuant sur recours en vertu de l'art. 34 Ord. I (v. art. 47 al. 1er lettre b LPA) en matière de soumission à l'assurance obligatoire. Depuis le 1er octobre 1969, ledit recours relève de la compétence du Tribunal fédéral des assurances (art. 128, 97 et 98 lettre c OJ, 5 LPA; 29 Ord. 1, 47 al. 2 et 3 ainsi que 74 lettre a LPA).
Quant au pouvoir d'examen de la Cour de céans dans cette matière, qui, en soi, ne suscite pas de litiges concernant l'octroi ou le refus de prestations d'assurance, il est déterminé par les art. 104 et 105 al. 1er OJ (art. 132 OJ).
2.
Aux termes de l'art. 60bis chiffre 1er lettre c LAMA, le Conseil fédéral est autorisé à déclarer l'assurance-accidents obligatoire applicable aux entreprises industrielles ou commerciales
BGE 97 V 200 S. 202
qui utilisent des installations ou des machines dangereuses et à celles qui sont en corrélation directe avec l'industrie des transports. Faisant usage de cette faculté, le Conseil fédéral a introduit dans l'Ord. I sur l'assurance-accidents un art. 17, qui soumet à l'assurance obligatoire une série d'entreprises, énumérées sous chiffres 1 à 8, dont les entreprises travaillant mécaniquement le métal, le bois, le liège, la pierre ou les matières plastiques synthétiques (chiffre 7). Cette disposition sous-entend que les entreprises concernées utilisent des installations ou des matières dangereuses, faute de quoi l'ordonnance sortirait du cadre que la loi, soit l'art. 60bis LAMA, lui impose (cf. RO 81 I 369
;
77 I 82
).
Comme il est incontestable que le recourant travaille mécaniquement le métal, l'issue du procès dépend uniquement de la réponse qu'il faut donner à la question de savoir si les machines qu'il utilise sont dangereuses, au sens de l'art. 60bis chiffre 1er lettre c LAMA. En d'autres termes, il faut commencer par définir la notion de "machine dangereuse".
3.
En parlant dans la disposition précitée de machines dangereuses, la loi signifie clairement qu'il existe deux sortes de machines, celles qui sont dangereuses et celles qui ne le sont pas. Mais elle ne donne pas de critère pour distinguer la machine réputée dangereuse de la machine réputée non dangereuse.
L'art. 60bis a été introduit dans la LAMA par l'art. 16 de la loi complémentaire du 18 juin 1915. Cette disposition n'existait pas dans le projet initial. Le Conseil fédéral présenta après coup le futur art. 60bis à la commission du Conseil des Etats, avec un exposé, dont le rapporteur déclara vouloir rendre compte au cours des débats du Conseil (Bull. stén. 1915 p. 69 in fine et 70). Le cas des entreprises qui font usage de machines dangereuses ne figurait pas dans la première version de l'art. 60bis, telle qu'elle fut d'abord soumise au Conseil des Etats, le 8 juin 1915, par sa commission (Bull. stén. p. 66). Le lendemain, pour la discussion de l'art. 60bis, le Conseil fédéral et la commission proposèrent une seconde version, où, à la fin d'une énumération énoncée sous lettre a, sont mentionnées les "entreprises industrielles ou commerciales qui font usage d'installations ou de machines dangereuses ou qui sont en corrélation directe avec l'industrie des transports" (Bull. stén. p. 88). La discussion ne porta pas sur la notion de machine dangereuse;
BGE 97 V 200 S. 203
tout au plus faut-il citer ce passage des déclarations du rappor teur (Bull. stén. p. 90):
"Es kommt in der neuen Fassung deutlich zum Ausdruck, dass die Versicherungspflicht nur dann ausgesprochen werden soll, wenn eine besondere Betriebsgefahr vorliegt, wenn, wie hier steht, betriebsgefährliche Einrichtungen oder Maschinen verwendet werden, so dass nicht wegen irgendeiner Schreib- oder Heuwendmaschine die Versicherungspflicht ausgesprochen werden kann."
Le Conseil national aborda le sujet dans sa séance du 11 juin 1915. Sa commission présenta une 3e version de l'art. 60bis, où le cas des entreprises aujourd'hui en cause figurait sous un chiffre 1er et une lettre c. Un rapporteur de cette commission déclara alors notamment (Bull. stén. p. 144):
"Sous la lettre b on astreint à l'assurance les entreprises qui produisent, mettent en oeuvre, ont en dépôt des matières dangereuses. A la lettre c on veut astreindre à l'assurance les entreprises qui dans leurs installations font usage de machines dangereuses. Le principe est le même dans les deux cas: soumettre à l'assurance les entreprises qui d'une façon ou d'une autre exposent leur personnel ouvriér."
Le Conseil des Etats se rallia à cette solution, qui est celle de la loi en vigueur actuellement. La disposition fut adoptée sans discussion, le 14 juin.
Les rares arrêts publiés par le Tribunal fédéral, compétent en dernière instance jusqu'au 30 septembre 1969 en matière de décisions d'assujettissement, ne définissent pas davantage que la loi la machine réputée dangereuse. Dans le cas, déjà cité, publié au RO 81 I 369, le Tribunal fédéral s'est posé deux questions:
a) Le Conseil fédéral a-t-il pu, sans s'écarter de la délégation légale, décider en principe et abstraitement que les entreprises qui travaillent les matières plastiques avec des machines font usage de "machines dangereuses" au sens de l'art. 60bis chiffre 1er lettre c LAMA? - Oui, a déclaré le tribunal, qui s'en explique ainsi:
"Dans les diverses entreprises qu'il a visitées, le Tribunal fédéral a vu que, pour la fabrication d'objets divers, la matière synthétique est soit concassée, fondue et pressée, soit façonnée par découpage, sciage, perçage, etc. Pour ces travaux, on emploie des machines dont certaines sont dangereuses par leur puissance même, ainsi les presses; d'autres le sont par les pièces aiguës, coupantes ou simplement rugueuses qui sont mues par la force mécanique, souvent à une très grande vitesse, ainsi les concasseuses. les scies à ruban ou circulaires, les burins à découper,
BGE 97 V 200 S. 204
les meules. De plus, la plupart des machines comportent des courroies de transmission généralement à portée de l'ouvrier et qui, lorsqu'elles ne sont pas couvertes par un dispositif de protection, peuvent saisir soit une main ou un doigt, soit les cheveux ou une pièce de vêtement flottante, etc. et provoquer ainsi de graves accidents."
b) Cela étant, une entreprise qui travaille les matières plastiques est-elle en droit d'exciper, afin d'échapper à l'assujettissement, de ce que - contrairement à ce qui est le cas en général dans cette industrie - les machines qu'elle utilise, elle, ne sont pas dangereuses? - Le Tribunal fédéral a laissé la question indécise, parce que le recourant utilisait au moins une machine dangereuse, une découpeuse dont le burin mobile était entraîné par une courroie de transmission, qui lui imprimait une grande vitesse de rotation. Il ne l'a pas tranchée ultérieurement.
4.
En ce qui concerne les entreprises qui travaillent mécaniquement le métal, il est de notoriété publique qu'une grande proportion d'entre elles utilisent des machines dangereuses, machines qui laminent, frappent, tranchent, scient, alèsent, fraisent, rivent, etc. Le Conseil fédéral a pu, par conséquent, sans s'écarter de la délégation légale, décider en principe et abstraitement que les entreprises qui travaillent mécaniquement le métal font usage de "machines dangereuses". On rejoint ici la jurisprudence précitée du Tribunal fédéral.
Reste la question, que le Tribunal fédéral n'a donc pas tranchée, de savoir si une entreprise a le droit d'exciper, afin d'échapper à l'assujettissement, de ce que ses machines, à elle, ne sont pas dangereuses. Il serait difficile de le lui refuser sans trahir le but de la loi qui est, à l'art. 60bis LAMA, de soumettre à l'assurance les entreprises qui exposent leur personnel. Si, comme cela a été fait devant le parlement, on met en parallèle les cas prévus par l'art. 60bis chiffre 1er lettre c (machines dangereuses) avec les cas de l'art. 60bis chiffre 1er lettre b (matières explosibles ou nocives pour la santé, produites, utilisées ou gardées en dépôt en grande quantité), il apparaît bien que seules peuvent être réputées dangereuses les machines présentant un risque sérieux.
Mais il se trouve que la quasi-totalité des machines destinées à travailler le métal exposent ceux qui les utilisent à des risques sérieux. En ce qui concerne les petites machines portatives, telles que les perceuses et les meules, elles sont assez fréquemment la cause d'électrocutions. Les perceuses provoquent
BGE 97 V 200 S. 205
des accidents en happant les cheveux ou des parties d'habillement; lorsqu'on les utilise sur support fixe et qu'on commet l'erreur de tenir la pièce à percer, cette pièce peut se mettre à tourner solidairement avec la mèche et cisailler la main. Les meules et les tours projettent des particules dangereuses pour les yeux; il arrive même que les meules éclatent. Ce sont là les enseignements des statistiques dressées par la Caisse nationale; il en ressort que les apprentis sont spécialement sujets aux accidents de ce genre. Il est vrai que perceuses, meules, et même tours sont couramment utilisés extra-professionnellement, dans les menus travaux du ménage ou des loisirs. Mais, précisément, ces machines figurent aussi dans les statistiques relatives aux causes des accidents de l'assurance non professionnelle. Ainsi, il serait faux de mesurer toujours les dangers que présente une machine à ses dimensions et à sa puissance. Les usagers des petites machines ont aussi le droit de bénéficier, en cas d'accident, de la large protection qu'assure la Caisse nationale.
Par conséquent, c'est à juste titre que l'entreprise du recourant a été soumise à l'assurance obligatoire, conformément d'ailleurs à une longue pratique administrative dans ce domaine...
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce: Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc8c5018-3cff-4f94-8065-819c1d10302b | Urteilskopf
110 V 229
37. Urteil vom 22. August 1984 i.S. Ausgleichskasse des Verbandes der Industriellen von Baselland gegen Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste a
Art. 5 Abs. 4 AHVG
,
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
.
Die Verwaltungspraxis, wonach Haushaltszulagen an ledige, verwitwete oder geschiedene Arbeitnehmer von der Beitragspflicht nur befreit sind, wenn der Bezüger mit Kindern zusammenlebt, ist weder gesetzes- noch verordnungswidrig (Erw. 2 und 3).
Regeste b
Art. 39 AHVV
.
Inhaltliche Anforderungen an eine Nachzahlungsverfügung über paritätische Beiträge (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 229
BGE 110 V 229 S. 229
A.-
Die Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG zahlt ihren Arbeitnehmern gemäss Kollektiv-Arbeitsvertrag Familienzulagen (Haushaltszulagen) von Fr. 50.-- im Monat aus. Anspruchsberechtigt sind auch verwitwete und geschiedene Arbeitnehmer sowie ledige Mütter mit eigenem Haushalt und mit Kindern, für welche Anspruch auf Kinderzulagen besteht. Anlässlich einer im Februar 1981 durchgeführten Arbeitgeberkontrolle wurde festgestellt, dass die Zulagen von der Firma auch insoweit als beitragsfrei behandelt wurden, als sie ledigen, verwitweten und geschiedenen Arbeitnehmern ausbezahlt wurden, die nicht mit Kindern zusammenlebten. Mit Verfügung vom 20. Juli 1981 forderte die Ausgleichskasse des Verbandes der Industriellen von Baselland auf diesen Zulagen für die Jahre 1978 und 1979 AHV/IV/EO-Beiträge, einschliesslich Verwaltungskostenbeiträge, von insgesamt Fr. 2'776.55 nach. Dabei ging sie von der anlässlich der Arbeitgeberkontrolle festgestellten Zahl von alleinstehenden Zulagenbezügern aus und nahm an, dass hievon sämtliche unverheirateten Männer und 10% der
BGE 110 V 229 S. 230
unverheirateten Frauen nicht mit Kindern im gleichen Haushalt lebten.
B.-
Die Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG beschwerte sich gegen die Nachzahlungsverfügung mit der Begründung, die Verwaltungspraxis, wonach Haushaltszulagen an Alleinstehende nur dann von der Beitragspflicht befreit seien, wenn die Bezüger mit Kindern zusammenlebten, finde weder im Gesetz noch in der Verordnung eine Stütze und führe zu unsozialen sowie willkürlichen Ergebnissen. Die Praxis sei ferner mit einem unverhältnismässigen administrativen Aufwand verbunden und bedinge eine Auskunftspflicht, welche die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers tangiere. Schliesslich dürfe die angefochtene Verfügung auch wegen mangelnder Individualisierung der betroffenen Arbeitnehmer nicht geschützt werden.
Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft gelangte zum Schluss, als Familienzulagen im Sinne des AHV-Rechts seien Zulagen zu erachten, die ihren Rechtsgrund in einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht des Bezügers hätten. Demgemäss wies es die Sache in teilweiser Gutheissung der Beschwerde an die Verwaltung zurück, damit sie nähere Abklärungen treffe und hierauf - unter individueller Bezeichnung der von der Beitragsnachforderung betroffenen Arbeitnehmer - neu verfüge (Entscheid vom 13. Juli 1983).
C.-
Die Ausgleichskasse des Verbandes der Industriellen von Baselland erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die von der Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG ausgerichteten Haushaltszulagen im Rahmen der Verfügung vom 20. Juli 1981 der Beitragspflicht unterlägen. Zur Begründung wird vorgebracht, Haushaltszulagen bildeten eine Unterkategorie von Familienzulagen. Für den Begriff der Familie komme aber dem Umstand des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zentrale Bedeutung zu. Das einzige Kriterium, welches dem Begriff der Haushaltszulage im Sinne einer Familienzulage entspreche, sei das Zusammenleben mit verheirateten oder verwandten unterstützungsberechtigten Personen.
Die Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG lässt sich mit dem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung der Beschwerde.
BGE 110 V 229 S. 231
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
).
Ferner ist
Art. 114 Abs. 1 OG
zu beachten, wonach das Eidg. Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht (
BGE 102 V 30
).
2.
a) Nach Art. 5 Abs. 1 und 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben. Als massgebender Lohn gemäss
Art. 5 Abs. 2 AHVG
gilt jedes Entgelt für in unselbständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder Zuwendung, die sonstwie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht ausgenommen ist (
BGE 107 V 199
,
BGE 106 V 135
Erw. 1).
b) Nach
Art. 5 Abs. 4 AHVG
kann der Bundesrat Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den massgebenden Lohn ausnehmen. Der Bundesrat hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und in
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
(in Kraft getreten am 1. Juli 1981, Verordnungsänderung vom 27. Mai 1981; früher lit. d) bestimmt, dass Familienzulagen, die als Kinder-, Ausbildungs-, Haushalts-, Heirats- und Geburtszulagen gewährt werden, nicht zum (beitragspflichtigen) Erwerbseinkommen gehören. Durch Art. 143 der Verordnung über die
BGE 110 V 229 S. 232
Unfallversicherung (UVV) vom 20. Dezember 1982 wurde die Bestimmung auf den 1. Januar 1984 dahingehend ergänzt, dass sich die Beitragsbefreiung auf Familienzulagen "im orts- oder branchenüblichen Rahmen" beschränkt, womit eine bereits bestehende Praxis bestätigt wurde (vgl. ZAK 1980 S. 579).
Das BSV hat in der Wegleitung über den massgebenden Lohn, gültig ab 1. Januar 1977, mit Nachträgen 1-5 (vereinigt in der Interimsausgabe, gültig ab 1. Januar 1984) Weisungen zur Beitragsbefreiung von Familienzulagen erlassen. Nach Rz. 5a der Wegleitung gehören nicht zum massgebenden Lohn Haushaltszulagen, die verheirateten Arbeitnehmern sowie ledigen, verwitweten oder geschiedenen Arbeitnehmern gewährt werden, die mit Kindern zusammenleben. Keine Haushaltszulagen im Sinne der Verordnungsbestimmung sind Zulagen, die auch alleinstehenden Arbeitnehmern gewährt werden.
3.
a) Laut Art. 23 und 24 des Kollektiv-Arbeitsvertrages für die Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG, gültig ab 1. Januar 1981, haben deren Arbeitnehmer unter dem Titel "Sozialzulagen" Anspruch auf Familienzulagen sowie auf Kinderzulagen. Die Familienzulage von Fr. 50.-- im Monat wird nach Art. 23 des Vertrages ausbezahlt an:
"a) verheiratete männliche Arbeitnehmer,
b) verwitwete Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts mit eigenem Haushalt,
c) geschiedene Arbeitnehmer, welche gemäss Gerichtsurteil an die geschiedene Ehefrau Unterhaltsbeiträge bezahlen,
d) geschiedene Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts mit eigenem Haushalt und Kindern, für welche Anspruch auf Kinderzulagen besteht,
e) ledige Mütter mit eigenem Haushalt und mit Kindern, für welche Anspruch auf Kinderzulagen besteht."
Dabei handelt es sich, jedenfalls soweit hier streitig, um eigentliche Haushaltszulagen, denn sie werden pro Haushalt und nicht - wie die Kinderzulagen - nach der Anzahl der Kinder gewährt. Soweit der Anspruch nach Art. 23 lit. d und e des Vertrages vom Vorhandensein von Kindern abhängig gemacht wird, geht es lediglich um eine zusätzliche Voraussetzung dafür, dass der betreffende Arbeitnehmer Anspruch auf diese, von der Zahl der Kinder unabhängige Zulage hat. Die Voraussetzung des Vorhandenseins von Kindern wird von den Vertragsparteien offenbar dahingehend ausgelegt, dass es für den Anspruch bedeutungslos ist, ob der betreffende Arbeitnehmer mit den Kindern zusammenwohnt oder nicht. Gerade hierin besteht nach der Verwaltungspraxis aber das
BGE 110 V 229 S. 233
massgebende Kriterium dafür, ob es sich um eine beitragsfreie Zulage handelt oder nicht.
b) Die Vorinstanz erachtet den von der Ciba-Geigy Werke Schweizerhalle AG erhobenen Einwand, die Verwaltungspraxis führe zu willkürlichen Ergebnissen, als begründet und hält das Kriterium des gemeinsamen Haushaltes für nicht geeignet, um die Familienzulagen von andern Zulagen, denen der soziale Charakter abgehe, abzugrenzen. Ob eine vom Arbeitgeber ausgerichtete Zulage sozialen Charakter aufweise, lasse sich am ehesten anhand der wirtschaftlichen Situation des Bezügers entscheiden. Einen zuverlässigen Massstab für den Umfang der finanziellen Verpflichtungen eines Arbeitnehmers bilde der Begriff der familienrechtlichen Unterhaltspflicht. Zulagen, die ihren Rechtsgrund in der Existenz einer familienrechtlichen Unterhaltspflicht des Bezügers hätten, seien demnach als Familienzulagen im Sinne der Verordnungsbestimmung anzuerkennen. Dies gelte nicht nur für ledige, verheiratete oder geschiedene Arbeitnehmer, welche für ein Kind aufzukommen hätten, sondern auch für geschiedene Arbeitnehmer, welche gerichtlich zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an den geschiedenen Ehegatten verpflichtet worden seien. Demzufolge seien Zulagen, die gestützt auf Art. 23 lit. a sowie c bis e des vorliegenden Kollektiv-Arbeitsvertrages ausgerichtet würden, vorbehaltlos als Familienzulagen im Sinne der AHV-Gesetzgebung anzuerkennen. Hinsichtlich der Zulagen, welche gemäss Art. 23 lit. b des Vertrages gewährt würden (Zulagen an verwitwete Arbeitnehmer beiderlei Geschlechts mit eigenem Haushalt), müsse hingegen eine Einschränkung gemacht werden. Habe ein verwitweter Arbeitnehmer keine Unterhaltsverpflichtung gegenüber Kindern, so könne die Leistung nicht als Familienzulage qualifiziert werden. Nur in diesen Fällen zähle die Zulage zum massgebenden Lohn mit der Folge, dass darauf Sozialversicherungsbeiträge zu erheben seien.
c) Dieser Auffassung ist mit der Ausgleichskasse entgegenzuhalten, dass nach dem Wortlaut von
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
der Begriff der "Familienzulagen" als Oberbegriff zu den anschliessend im einzelnen aufgeführten Zulagen, worunter auch die Haushaltszulagen, zu verstehen ist. Diese sind demnach von der Beitragspflicht nur befreit, soweit ihnen der Charakter von Familienzulagen beizumessen ist. Den Charakter einer Familienzulage erhält die Haushaltszulage aber erst dadurch, dass der Arbeitnehmer mit Familienangehörigen einen gemeinsamen Haushalt führt, was bei unverheirateten Arbeitnehmern mit Kindern nur der Fall ist,
BGE 110 V 229 S. 234
wenn sie mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben. Wie das BSV ausführt, sollen mit den Haushaltszulagen zusätzliche Aufwendungen abgegolten werden, die sich daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer mit Frau oder Kindern im gleichen Haushalt lebt. Solche zusätzliche Aufwendungen erwachsen alleinstehenden Personen nicht, auch wenn sie auswärts untergebrachte Kinder haben, für die Anspruch auf Kinderzulagen besteht. In diesen Fällen sind lediglich die Kinderzulagen beitragsfrei, wogegen eine allfällige Haushaltszulage nicht als beitragsfreie Familienzulage im Sinne von
Art. 6 Abs. 2 lit. f AHVV
qualifiziert werden kann. Die Verwaltungspraxis, dergemäss Haushaltszulagen an ledige, verwitwete oder geschiedene Arbeitnehmer von der Beitragspflicht nur befreit sind, wenn der Bezüger mit Kindern zusammenlebt, erweist sich somit nicht als gesetzes- oder verordnungswidrig. Sie führt entgegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin im vorinstanzlichen Verfahren auch nicht zu willkürlichen Ergebnissen. Ähnliche Regelungen finden sich denn auch in andern Sozialversicherungszweigen (vgl.
Art. 4 Abs. 1 EOG
, anwendbar auch auf die Invalidenversicherung gemäss
Art. 23 Abs. 2 IVG
, sowie
Art. 3 Abs. 1 lit. a FLG
).
4.
a) Nachzahlungsverfügungen im Sinne von
Art. 39 AHVV
, mit welchen über paritätische Beiträge verfügt wird, müssen - zumindest in einer detaillierten Beilage - die für die Verbuchung der Beiträge und für die Eintragung in die individuellen Konten benötigten Angaben enthalten. Eine schätzungsweise Ermittlung des beitragspflichtigen Lohnes und die blosse Angabe einer Pauschalsumme sind nur in Ausnahmefällen zulässig, beispielsweise wenn es der Arbeitgeber unterlässt, die für die Ausgleichskassen notwendigen Angaben zu machen, und sich die Kasse deshalb zum Erlass einer Veranlagungsverfügung gezwungen sieht (nicht veröffentlichtes Urteil Hoffmann-La Roche vom 25. November 1982; EVGE 1961 S. 148, ZAK 1954 S. 153).
b) Im vorliegenden Fall hat die Ausgleichskasse die Nachzahlung in Form einer nicht individualisierten Pauschalsumme geltend gemacht, wobei sie aufgrund des Berichtes über die Arbeitgeberkontrolle davon ausging, dass die jährliche Haushaltszulage von je Fr. 600.-- im Jahre 1978 an 20 unverheiratete Männer und 10 unverheiratete Frauen und im Jahre 1979 an 24 unverheiratete Männer und 10 unverheiratete Frauen ausgerichtet worden ist. Ob diese Personen mit Kindern zusammenlebten, wurde, weil angeblich nicht mehr zuverlässig feststellbar, nicht untersucht. Es wurde
BGE 110 V 229 S. 235
lediglich schätzungsweise angenommen, dass keine unverheirateten Männer, aber 90% der unverheirateten Frauen mit Kindern zusammenlebten. Danach ergab sich für beide Jahre eine beitragspflichtige Lohnsumme von zusammen Fr. 27'600.--.
Diese von der Vorinstanz übernommene Sachverhaltsfeststellung erweist sich als offensichtlich unvollständig. Daraus, dass im Kontrollbericht die Zahl der Männer und Frauen, welche die fraglichen Haushaltszulagen bezogen haben, im einzelnen angegeben wird, muss geschlossen werden, dass der Revisionsstelle, welcher auch die Lohnbuchhaltung zur Verfügung gestanden hat, die Namen der betreffenden Arbeitnehmer bekannt waren. Es wäre daher Pflicht der Revisionsstelle bzw. der Ausgleichskasse gewesen, zumindest den konkreten Versuch einer Abklärung darüber zu machen, ob diese Personen mit Kindern zusammenlebten. Die Ausgleichskasse durfte sich nicht mit der Feststellung begnügen, die Arbeitgeberin habe "die für den IK-Eintrag erforderlichen Angaben nicht geliefert". Wenn die Firma nicht von sich aus Erkundigungen darüber eingezogen hat, ob die Bezüger mit Kindern zusammenlebten, so kann ihr hieraus kein Vorwurf gemacht werden, zumal ein ihr früher von der Kasse zugestelltes Orientierungsschreiben keinen entsprechenden Hinweis enthielt. Die Kasse hätte somit - soweit notwendig und möglich unter Mitwirkung der Arbeitgeberin - von Amtes wegen eine nähere Abklärung vornehmen müssen.
c) Weil demzufolge die Voraussetzungen für eine Nachforderung in Form einer bloss schätzungsweise ermittelten und nicht individualisierten Pauschalsumme nicht gegeben waren, erweist sich die Verfügung in der vorliegenden Form als unzulässig. Nebst dem vorinstanzlichen Entscheid ist daher auch die Kassenverfügung vom 20. Juli 1981 aufzuheben, und es ist die Sache an die Ausgleichskasse zurückzuweisen zu ergänzender Abklärung und zu neuer Verfügung. Dabei wird zu beachten sein, dass eine unzulässige Nachzahlungsverfügung den Eintritt der Verwirkung gemäss
Art. 16 Abs. 1 AHVG
in der Regel nicht zu hindern vermag (nicht veröffentlichtes Urteil Hoffmann-La Roche vom 25. November 1982; EVGE 1963 S. 186).
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des
BGE 110 V 229 S. 236
Kantons Basel-Landschaft vom 13. Juli 1983 und die Kassenverfügung vom 20. Juli 1981 aufgehoben werden und die Sache an die Ausgleichskasse des Verbandes der Industriellen von Baselland zurückgewiesen wird, damit sie, nach Abklärung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc9128d1-dd73-486b-83a9-eba6485cd17a | Urteilskopf
140 V 246
34. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud contre A. (recours en matière de droit public)
9C_756/2013 du 6 juin 2014 | Regeste
Art. 39 Abs. 3 IVG
in Verbindung mit
Art. 9 Abs. 3 IVG
; Anspruch von ausländischen Staatsangehörigen und Staatenlosen auf eine ausserordentliche Invalidenrente.
Die Formulierung "als Kinder" bedeutet mit Blick auf den Verweis von
Art. 39 Abs. 3 IVG
auf
Art. 9 Abs. 3 IVG
"vor der Vollendung des 20. Altersjahres" (E. 7.1-7.3). | Sachverhalt
ab Seite 247
BGE 140 V 246 S. 247
A.
A., ressortissante du Kosovo née en septembre 1992, a, avec sa mère et ses frères et soeurs, rejoint son père en Suisse en mars 2005. Alors qu'elle suivait depuis mars 2008 des cours à l'Ecole B., A. a été victime d'un accident de la circulation, en tant que passagère d'une voiture, le 13 octobre 2009. Elle a été hospitalisée à l'Hôpital C., où elle a été soignée notamment pour des fractures du crâne et de l'omoplate droite et a subi une intervention oto-rhino-laryngologique consistant en une mastoïdotomie et une tympanoplastie droite.
En avril 2010, A. a présenté une demande de prestations de l'assurance-invalidité, en invoquant souffrir d'une perte de mémoire et de concentration, d'une perte auditive droite et d'une atteinte aux nerfs faciaux. L'Office de l'assurance-invalidité pour le canton de Vaud (ci-après: l'office AI) a recueilli divers rapports médicaux, dont celui des médecins de l'Unité de neuroréhabilitation pédiatrique de l'Hôpital D. Selon leur rapport du 29 avril 2010, la prise en charge à la fois physiothérapeutique, psychothérapeutique et par une médication antidépressive était pleinement indiquée; en cas de pérennisation des difficultés de formation professionnelle au-delà de la prochaine rentrée, un signalement à l'assurance-invalidité en vue d'une réinsertion devait être envisagé. A la demande de l'office AI, E., psychologue spécialiste en neuropsychologie FSP, a effectué un examen. Elle a indiqué qu'au vu du tableau actuel - dysfonction cognitive sévère avec modification de la personnalité, compatible avec un traumatisme crânio-cérébral sévère avec contusions frontales et temporales -, la capacité de travail était nulle en économie libre et la formation professionnelle initiale compromise. Elle a également préconisé une prise en charge neuropsychologique et ergothérapeutique soutenue de l'assurée (rapport du 26 novembre 2010).
Du 24 janvier au 18 mars 2011, A. a effectué un séjour en neuroréhabilitation au service de neuropsychologie et de neuroréhabilitation de l'Hôpital D. Selon les indications données par le docteur F. (notes d'entretien téléphonique des 4 et 17 mars 2011), l'assurée souhaitait, à l'issue de son hospitalisation, faire un stage dans un EMS en commençant par deux heures par jour. L'office AI a encore requis l'avis du docteur G., médecin auprès de son Service médical régional (SMR), qui, retenant une incapacité de travail de 100 % dès
BGE 140 V 246 S. 248
le 13 octobre 2009, a préconisé qu'un examen neuropsychologique fût requis dans un an, suivi, en fonction de la récupération, de mesures de réadaptation ou d'une formation professionnelle (avis du 11 avril 2011).
Par décision du 16 avril 2012, l'office AI a nié le droit de l'assurée à des mesures professionnelles, motif pris de l'incapacité totale de travail. Il a également refusé le droit à une rente d'invalidité (ordinaire et extraordinaire), faute pour l'assurée de réaliser les "conditions générales d'assurance". Par courrier du même jour, il a indiqué à l'intéressée qu'il allait reprendre l'examen du droit à des mesures professionnelles et demander un rapport au docteur H., chef de clinique du service de neuropsychologie et de neuroréadaptation de l'Hôpital D.
B.
Statuant le 2 septembre 2013 sur le recours formé par A. contre la décision du 16 avril 2012, le Tribunal cantonal du canton de Vaud, Cour des assurances sociales, l'a admis. Annulant la décision, il a renvoyé la cause à l'office AI pour complément d'instruction et nouvelle décision dans le sens des considérants. La juridiction cantonale a considéré qu'il incombait à l'office AI de procéder à une nouvelle évaluation afin de déterminer si et dans quelle mesure A. était susceptible d'être réadaptée, puis, sur la base de ce résultat, d'établir un plan de réadaptation.
C.
L'office AI interjette un recours en matière de droit public contre ce jugement, dont il demande l'annulation. Il conclut à la confirmation de sa décision du 16 avril 2012 "quant à son résultat".
L'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) a présenté ses observations le 27 février 2014, relatives à deux questions qui lui ont été soumises par le Juge instructeur.
En connaissance de cette détermination, A. conclut au rejet du recours et sollicite le bénéfice de l'assistance judiciaire.
Le recours a été rejeté et le jugement attaqué réformé au sens des considérants de l'arrêt du Tribunal fédéral.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
4.1
Le litige porte sur le droit de l'intimée à des mesures de réadaptation d'ordre professionnel, ainsi qu'à une rente extraordinaire d'invalidité, étant précisé qu'elle n'a pas contesté le refus d'une rente ordinaire d'invalidité, que ce soit en instance cantonale ou fédérale.
BGE 140 V 246 S. 249
Le jugement entrepris expose de manière complète les règles légales et la jurisprudence sur les conditions du droit à ces prestations pour les ressortissants étrangers. Il suffit donc d'y renvoyer.
4.2
Pour ce qui est de l'application de la Convention de sécurité sociale conclue le 8 juin 1962 entre la Suisse et l'(ex-)République Populaire Fédérative de Yougoslavie relative aux assurances sociales (RS 0.831.109.818.1) à la contestation, la juridiction cantonale a considéré que même si les dispositions conventionnelles devaient être prises en considération, elles ne permettaient pas à l'intimée de faire valoir des prétentions plus larges que celles résultant de l'application du seul droit suisse. On précisera qu'en tout état de cause, ladite convention, qui n'est plus en vigueur entre la Suisse et le Kosovo depuis le 1
er
avril 2010, ne s'applique pas au litige, conformément à la jurisprudence du Tribunal fédéral sur le champ d'application temporel de la convention (cf.
ATF 139 V 263
, 335). Comme il résulte de ce qui suit (consid. 6 et 7 infra), le moment de la naissance du droit aux prestations litigieuses est postérieur au 31 mars 2010, de sorte que les dispositions conventionnelles ne sont pas applicables.
4.3
On rappellera que selon l'art. 6 al. 2, première phrase, LAI, les étrangers ont droit aux prestations, sous réserve de l'art. 9 al. 3, aussi longtemps qu'ils conservent leur domicile et leur résidence habituelle (
art. 13 LPGA
[RS 830.1]) en Suisse, mais seulement s'ils comptent, lors de la survenance de l'invalidité, au moins une année entière de cotisations ou dix ans de résidence ininterrompue en Suisse.
Aux termes de l'
art. 9 al. 3 LAI
, les ressortissants étrangers âgés de moins de 20 ans qui ont leur domicile et leur résidence habituelle (
art. 13 LPGA
) en Suisse ont droit aux mesures de réadaptation s'ils remplissent eux-mêmes les conditions prévues à l'art. 6, al. 2, ou si:
a. lors de la survenance de l'invalidité, leur père ou mère compte, s'il s'agit d'une personne étrangère, au moins une année entière de cotisations ou dix ans de résidence ininterrompue en Suisse et si
b. eux-mêmes sont nés invalides en Suisse ou, lors de la survenance de l'invalidité, résidaient en Suisse sans interruption depuis une année au moins ou depuis leur naissance. (...)
Conformément à l'
art. 39 al. 3 LAI
, ont aussi droit à une rente extraordinaire les invalides étrangers et apatrides qui remplissaient comme enfants les conditions fixées à l'art. 9 al. 3.
BGE 140 V 246 S. 250
5.
5.1
Considérant que l'intimée ne réalisait pas les conditions d'assurance prévues par l'
art. 6 al. 2 LAI
- elle ne présentait pas une année de cotisations, ni une résidence ininterrompue de dix ans en Suisse au moment de l'accident ou à l'échéance du délai de carence d'une année ("survenance de l'invalidité") -, les premiers juges ont examiné son droit à des mesures de réadaptation au regard des conditions posées par l'
art. 9 al. 3 LAI
. Ils ont retenu que la survenance de l'invalidité pour les mesures de réadaptation correspondait, en application de l'
art. 4 al. 2 LAI
, à la date de l'accident qui avait causé tout de suite l'incapacité de travail de l'assurée. Constatant que lors de l'accident en octobre 2009, l'intimée résidait depuis plus d'une année en Suisse (art. 9 al. 3 let. b première phrase LAI), tandis que son père comptait alors bien plus d'une année de cotisations en Suisse (cf.
art. 9 al. 3 let. a LAI
), ils ont reconnu que l'assurée pouvait en principe prétendre aux mesures de réadaptation d'ordre professionnel, même après avoir atteint l'âge de vingt ans.
En conséquence, toujours selon la juridiction cantonale, l'intimée avait également droit à une rente extraordinaire d'invalidité au sens de l'
art. 39 al. 3 LAI
- sous réserve des autres conditions prévues aux
art. 28 ss LAI
-, puisqu'elle n'avait pas encore dix-huit ans lors de l'événement accidentel, soit au moment où elle pouvait prétendre des mesures de réadaptation. L'octroi de cette rente ne devait toutefois être envisagé que dans la mesure où les mesures de réadaptation se révélaient impossibles et qu'une incapacité de travail d'au moins 40 % persistait. A cet égard, les premiers juges ont constaté que le recourant aurait dû entreprendre des démarches en vue de mesures de réadaptation dès le printemps 2011, le docteur F. ayant évoqué en mars 2011 la possibilité pour l'assurée d'effectuer un stage dans un EMS. L'office AI aurait dû notamment requérir des renseignements médicaux complémentaires (p. ex. auprès du médecin prénommé ou en mettant en oeuvre un nouvel examen neuropsychologique). Aussi, pour autant que l'office AI n'eût pas encore entrepris de telles démarches, comme il l'avait annoncé dans sa communication du 16 avril 2012 à l'assurée, il devait procéder sans tarder à une nouvelle évaluation dans le but de déterminer si et dans quelle mesure l'assurée était susceptible d'être réadaptée, puis, sur la base de ce résultat, établir un plan de réadaptation. L'autorité cantonale de recours a renvoyé la cause à l'administration à cette fin.
5.2
Le recourant reproche aux premiers juges d'avoir considéré, en violation du droit, que la survenance de l'invalidité pour le droit aux
BGE 140 V 246 S. 251
mesures de réadaptation correspondait à la date de l'accident subi par l'intimée, soit le mois d'octobre 2009. Selon lui, la possibilité de mettre en place des mesures de réadaptation n'existait pas avant la fin du séjour hospitalier de l'assurée en neuroréhabilitation, le 18 mars 2011, aucune mesure ne pouvant être mise en place au moment de l'accident (en raison de l'état de santé de l'intéressée). Aussi, le point de savoir si des possibilités de réadaptation existaient postérieurement au printemps 2011 restait encore à examiner par le recourant, sans que l'invalidité déterminante fût survenue jusque-là.
Faisant par ailleurs valoir une violation de l'
art. 39 al. 3 LAI
, le recourant soutient que l'intimée ne satisfaisait pas aux conditions de cette disposition, puisque son état de santé n'avait pas permis la mise en place de mesures de réadaptation avant l'âge de dix-huit ans. Elle n'avait donc pas droit à une rente extraordinaire.
5.3
De son côté, l'intimée conteste qu'aucune mesure de réadaptation ne pût être envisagée avant qu'elle eût atteint dix-huit ans. Elle aurait ainsi dû bénéficier de mesures médicales de réadaptation après sa sortie de l'Hôpital C., comme l'avait préconisé la psychologue E., qui avait jugé utile une prise en charge neuropsychologique et ergothérapeutique (rapport du 26 novembre 2010). De même, l'office AI aurait-il dû immédiatement prendre en considération des mesures d'ordre professionnel à la fin de l'hospitalisation. Comme des mesures de réadaptation auraient pu et dû être mises en oeuvre immédiatement après l'accident, soit avant ses dix-huit ans, l'intimée en déduit qu'elle a également droit à une rente extraordinaire d'invalidité. Celle-ci ne devrait cependant être versée qu'à la fin de l'allocation des indemnités journalières octroyée pendant l'exécution des mesures de réadaptation.
5.4
Pour l'OFAS, qui se réfère notamment aux ch. 7102 à 7104 de ses Directives concernant les rentes (DR) de l'assurance-vieillesse, survivants et invalidité fédérale (dans leur version en vigueur au 1
er
janvier 2012
http://www.bsv.admin.vollzug/documents/view/75/lang:fre/category:23/viewlang:fr
), une personne étrangère invalide n'a pas droit à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité lorsque, immédiatement avant l'accomplissement de sa dix-huitième année, elle ne pouvait prétendre des prestations en nature, soit parce qu'elle n'était pas invalide au sens de la LAI, soit parce qu'elle ne remplissait pas les conditions d'assurance. Par conséquent, l'intimée n'a pas droit à une rente extraordinaire parce qu'elle n'aurait jamais pu
BGE 140 V 246 S. 252
obtenir des mesures de réadaptation avant ses dix-huit ans, faute d'être invalide.
6.
En ce qui concerne le premier aspect du litige, soit le droit à des mesures de réadaptation d'ordre professionnel, est avant tout contesté le moment de la survenance de l'invalidité au regard de l'
art. 9 al. 3 LAI
. La juridiction cantonale a fixé celui-ci à la date de l'accident du 13 octobre 2009, ce que le recourant conteste en soutenant que la survenance de l'invalidité ne pouvait pas encore être fixée au moment de sa décision du 16 avril 2012.
6.1
Aux termes de l'
art. 4 al. 2 LAI
, l'invalidité est réputée survenue dès qu'elle est, par sa nature et sa gravité, propre à ouvrir droit aux prestations entrant en considération. Le moment de la survenance de l'invalidité doit être déterminé objectivement, d'après l'état de santé; des facteurs externes fortuits n'ont pas d'importance. Il ne dépend en particulier ni de la date à laquelle une demande a été présentée, ni de celle à partir de laquelle une prestation a été requise, et ne coïncide pas non plus nécessairement avec le moment où l'assuré apprend, pour la première fois, que l'atteinte à sa santé peut ouvrir droit à des prestations d'assurance (
ATF 126 V 5
consid. 2b p. 9;
ATF 118 V 79
consid. 3a p. 82 et les références).
La LAI ne repose pas sur une notion uniforme du cas d'assurance. Celui-ci doit être envisagé et déterminé par rapport à chaque prestation entrant concrètement en ligne de compte ("System des leistungsspezifischen Versicherungsfalles"): il convient d'examiner pour chaque prestation pouvant entrer en considération selon les circonstances, au sens de l'
art. 4 al. 2 LAI
, quand l'atteinte à la santé est susceptible, de par sa nature et sa gravité, de fonder le droit à la prestation particulière (
ATF 126 V 241
consid. 4 p. 242; arrêt I 659/06 du 22 février 2007, in SVR 2008 IV n° 14 p. 41).
6.2
Pour ce qui est de la survenance de l'invalidité pour les mesures de réadaptation d'ordre professionnel, l'
art. 10 al. 2 LAI
(dans sa version en vigueur à partir du 1
er
janvier 2012; cf. ancien
art. 10 al. 2 LAI
) prévoit que le droit aux autres mesures de réadaptation et aux mesures de nouvelle réadaptation au sens de l'art. 8a prend naissance dès qu'elles sont indiquées en raison de l'âge et de l'état de santé de l'assuré (pour le droit aux mesures de réinsertion préparant à la réadaptation professionnelle, voir
art. 10 al. 1 LAI
). Selon la jurisprudence, est déterminant le moment à partir duquel l'invalidité, compte tenu de sa nature et de sa gravité, nécessite la mesure de
BGE 140 V 246 S. 253
réadaptation et la rend possible. L'événement assuré est réputé survenu lorsque l'atteinte à la santé influe sur la capacité de gain à un degré tel que l'on ne peut plus exiger de l'intéressé qu'il exerce son activité comme il le faisait avant la survenance de l'atteinte, que la mesure de réadaptation envisagée apparaît nécessaire et que les traitements et mesures médicales de réadaptation sont terminés (
ATF 113 V 261
consid. 1b p. 263 et les références; arrêt du Tribunal fédéral des assurances I 591/03 du 31 août 2004 consid. 4.1).
Par conséquent, même si la nécessité de mesures de réadaptation futures est souvent reconnaissable peu après l'événement à l'origine de l'invalidité, cela ne signifie cependant pas que le cas d'assurance respectivement l'invalidité sont alors survenus pour la mesure d'ordre professionnel en cause. Ce qui est déterminant à cet égard, c'est la date à partir de laquelle l'atteinte à la santé, en fonction de sa nature et de sa gravité actuelles, rend nécessaire la mesure d'ordre professionnel, d'une part, et en permet, d'autre part, la mise en oeuvre. L'invalidité ne survient donc pas déjà lorsqu'il apparaît qu'une mesure d'ordre professionnel sera nécessaire, mais seulement lorsque l'état de santé de l'assuré rend possible une telle mesure (
ATF 112 V 275
consid. 2c p. 278). Aussi longtemps que la mise en oeuvre de la mesure d'ordre professionnel est exclue en raison de l'état de santé de l'assuré, l'invalidité n'est pas (encore) survenue pour la mesure en cause (SILVIA BUCHER, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, 2011, n
os
111 p. 71 et 586 p. 302).
6.3
La juridiction cantonale a fixé la survenance de l'invalidité pour les mesures de réadaptation d'ordre professionnel à la date de l'accident subi par l'intimée le 13 octobre 2009, soit au moment de la survenance des atteintes à la santé en tant que telles. Ce faisant, elle a méconnu la notion de survenance de l'invalidité découlant de l'
art. 4 al. 2 LAI
et la jurisprudence y relative, puisqu'elle a assimilé la date de la survenance de l'invalidité à celle des atteintes à la santé. Or, au moment de l'accident en octobre 2009, l'état de santé de l'intimée ne permettait pas d'envisager la possibilité de mettre en oeuvre une mesure d'ordre professionnel, puisque l'état de santé et ses conséquences sur les facultés mentales et physiques de l'assurée n'étaient pas encore stabilisés.
Cela étant, il ressort des constatations de la juridiction cantonale, qui lient le Tribunal fédéral (consid. 2 non publié), que l'état de santé de l'intimée ne permettait pas d'envisager une mesure de réadaptation à tout le moins avant le printemps 2011. Si les premiers juges n'ont
BGE 140 V 246 S. 254
pas effectué de constatations explicites sur l'évolution de l'état de santé de l'assurée depuis l'accident en octobre 2009, ils ont cependant examiné à partir de quel moment des mesures de réadaptation d'ordre professionnel auraient dû être envisagées. Ils sont arrivés à la conclusion que l'office AI aurait dû "s'engager dès le printemps 2011 dans le sens de l'évaluation, selon l'
art. 70 RAI
(...), de mesures de réadaptation". Le recourant ne remet pas en cause la nécessité d'une telle évaluation: il indique expressément dans son écriture de recours que "l'examen de la possibilité de mettre en place des mesures de réadaptation se poursuit". Quant à l'intimée, elle se limite à affirmer que des mesures d'ordre professionnel auraient dû être immédiatement envisagées après l'accident, ce qui ne suffit pas pour remettre en cause les constatations de la juridiction cantonale sur le fait que de telles mesures n'entraient pas en ligne de compte avant le printemps 2011.
6.4
Par conséquent, dès lors que jusqu'au printemps 2011, la nécessité des mesures de réadaptation d'ordre professionnel, mais avant tout la possibilité de leur mise en oeuvre n'étaient pas (encore) établies, le cas d'assurance "invalidité" n'était pas survenu au sens de l'
art. 4 al. 1 LAI
. La juridiction cantonale a cependant renvoyé la cause à l'office AI pour qu'il examine les possibilités de réadaptation à partir de la date mentionnée, soit également le point de savoir si, entre-temps, l'invalidité au sens défini par la jurisprudence (consid. 6.2 supra) est survenue. A ce moment-là, l'intimée était âgée de moins de vingt ans, de sorte qu'elle se trouvait en-deçà de l'âge-limite prévu par l'
art. 9 al. 3 LAI
pour l'ouverture du droit aux mesures de réadaptation des ressortissants étrangers. Par le renvoi ordonné - que le recourant ne conteste pas en tant que tel -, la juridiction cantonale a mis en évidence que le refus des mesures de réadaptation d'ordre professionnel était pour le moins prématuré et, en tout cas à ce stade, contraire au droit. Les premiers juges ont donc annulé à juste titre la décision du 16 avril 2012 sur ce point.
7.
7.1
En ce qui concerne le second aspect du litige, soit le droit à une rente extraordinaire de l'invalidité, il y a lieu de rappeler que cette prétention n'est en principe pas ouverte aux ressortissants étrangers de pays avec lesquels la Suisse n'a pas conclu de convention de sécurité sociale. Selon l'
art. 39 al. 1 LAI
(réservé par l'
art. 6 al. 1 LAI
), en relation avec l'
art. 42 al. 1 LAVS
, le droit à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité est réservé aux ressortissants suisses
BGE 140 V 246 S. 255
(sous réserve d'une convention de sécurité sociale). Une exception à ce principe est prévue par l'
art. 39 al. 3 LAI
, qui renvoie à l'
art. 9 al. 3 LAI
, lequel prévoit, comme on l'a vu (consid. 4.3 supra) différentes conditions alternatives (pour le droit aux mesures de réadaptation).
Pour le droit à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité, l'invalidité est réputée survenue lorsque l'assuré a présenté une incapacité de travail d'au moins 40 % en moyenne durant une année sans interruption notable (
art. 28 al. 1 let. b LAI
). Le droit à la rente ne prend pas naissance avant le mois qui suit le 18
e
anniversaire de l'assuré (
art. 29 al. 1 LAI
).
7.2
L'
art. 39 al. 3 LAI
a été introduit lors de la 1
re
révision de la LAI sur proposition de la Commission du Conseil national chargée d'examiner le projet de loi modifiant la loi sur l'assurance-invalidité. La Commission avait reconnu qu'à défaut d'une telle disposition et en raison du principe selon lequel la rente extraordinaire n'était allouée qu'à des Suisses (sous réserve de dispositions conventionnelles), les enfants étrangers ou apatrides souvent atteints d'un grave handicap, qui pouvaient bénéficier de prestations de l'assurance-invalidité pendant leur minorité, n'avaient pas droit, une fois majeurs, à une rente extraordinaire d'invalidité faute d'en réaliser les conditions (procès-verbal de la séance 29 août 1967 de ladite commission). Cette lacune avait déjà été mise en évidence par la Commission fédérale d'experts pour la révision de l'assurance-invalidité, qui avait examiné les conséquences de l'octroi d'une rente extraordinaire à des étrangers ou des apatrides devenus invalides pendant leur enfance, une fois la majorité atteinte (rapport du 1
er
juillet 1966, p. 27). Avec l'adoption de l'
art. 39 al. 3 LAI
- entré en vigueur le 1
er
janvier 1968 (RO 1968 29) -, l'Assemblée fédérale entendait accorder aux ressortissants étrangers et aux apatrides une rente extraordinaire à partir de leur dix-huitième année, pour autant qu'ils satisfissent comme enfants aux conditions de l'
art. 9 al. 3 LAI
(BO 1967 CN 440, CE 303).
7.3
7.3.1
Le renvoi opéré par l'
art. 39 al. 3 LAI
aux conditions de l'
art. 9 al. 3 LAI
a pour but de définir les conditions d'assurance que doivent réaliser les ressortissants étrangers et apatrides invalides pour bénéficier d'une rente extraordinaire d'invalidité. Les termes "remplissaient comme enfants les conditions fixées à l'art. 9, al. 3" visent, d'une part, les exigences relatives à l'année entière de cotisations et aux années de résidence en Suisse du ressortissant étranger,
BGE 140 V 246 S. 256
respectivement de son père ou de sa mère (conditions d'assurance). Ils impliquent, d'autre part, que l'intéressé a bénéficié ou aurait pu bénéficier de mesures de réadaptation, soit que le droit à ces mesures lui a été ou aurait pu lui être reconnu, parce qu'il satisfaisait ou aurait pu satisfaire aux conditions matérielles de la prestation de réadaptation visée par l'
art. 9 LAI
(cf. arrêt 9C_156/2010 du 20 avril 2011 consid. 4.2.3, in RSAS 2011 p. 513, qui renvoie au ch. 7104 des DR).
Le point de savoir si les conditions d'assurance étaient réalisées et si la personne concernée a eu droit ou aurait concrètement pu avoir droit à des mesures de réadaptation doit être examiné de manière rétrospective: il faut se demander si "comme enfant", l'intéressé satisfaisait à ces exigences. Selon la jurisprudence, tel n'est pas le cas lorsque pour la période courant avant son dix-huitième anniversaire, l'intéressé ne pouvait prétendre des mesures de réadaptation d'ordre médical ou professionnel, parce qu'il avait bénéficié d'un traitement médical ayant pour objet l'affection en tant que telle (cf.
art. 12 al. 1 LAI
a contrario) et que son état de santé n'aurait pas permis de mettre en oeuvre des mesures de réadaptation professionnelles (arrêt du Tribunal fédéral des assurances I 230/73 du 17 décembre 1973).
7.3.2
Comme l'a relevé à juste titre la juridiction cantonale, vu la constellation du cas d'espèce, où l'intimée a subi des atteintes à la santé peu de temps avant d'atteindre la majorité, on doit se demander ce que signifient les termes "comme enfants" ("als Kinder", "da bambini"). Il se pose singulièrement la question de savoir si les conditions de l'
art. 9 al. 3 LAI
doivent (ou auraient dû) être réalisées par la personne concernée jusqu'à sa majorité (dix-huit ans) ou jusqu'à ce qu'elle a atteint l'âge de vingt ans (soit la limite d'âge prévue par l'
art. 9 al. 3 LAI
, laquelle correspondait à l'âge de la majorité lors de l'entrée en vigueur de l'
art. 39 al. 3 LAI
).
On peut penser à première vue que par l'expression "comme enfants" de l'
art. 39 al. 3 LAI
, il faut entendre la période allant jusqu'à la majorité, soit, depuis le 1
er
janvier 1996 (RO 1995 1126), jusqu'à l'âge de dix-huit ans. Il convient cependant de prendre en considération qu'à l'entrée en vigueur de cette disposition, la majorité s'acquérait à vingt ans, de sorte que le terme "enfants" de l'
art. 39 al. 3 LAI
correspondait à toute personne âgée de moins de vingt ans. Or, au moment de l'abaissement de l'âge de la majorité de vingt à dix-huit ans, l'âge de vingt ans a été introduit à l'
art. 9 al. 3 LAI
en remplacement de la référence à la minorité. Il s'agissait d'éviter des conséquences défavorables pour les jeunes assurés dans les cas où la loi se
BGE 140 V 246 S. 257
référait à la majorité civile, le maintien de l'âge de vingt ans se révélant nécessaire comme âge déterminant en droit des assurances sociales(Message du 17 février 1993 concernant la révision du code civilsuisse [abaissement de l'âge de la majorité civile et matrimoniale, obligation d'entretien des père et mère], FF 1993 1093, 1110 ch. 263).
Compte tenu du renvoi que fait l'
art. 39 al. 3 LAI
aux conditions de l'
art. 9 al. 3 LAI
et, partant, aux ressortissants étrangers "âgés de moins de 20 ans", il y a lieu de tenir compte du but de protection voulu par le législateur, ainsi que de son objectif initial en relation avec l'introduction de l'
art. 39 al. 3 LAI
, à savoir la possibilité d'accorder une rente extraordinaire d'invalidité à des ressortissants étrangers devenus invalides bénéficiant de mesures de réadaptation "pendant leur minorité" (consid. 7.2 supra), soit, à cette époque, jusqu'à l'accomplissement de leur vingtième année. Dans la mesure où cette limite d'âge a été expressément maintenue à l'
art. 9 al. 3 LAI
, elle doit être prise en considération pour l'interprétation de l'
art. 39 al. 3 LAI
. A défaut, un ressortissant étranger âgé de dix-huit ans révolus au moment de bénéficier de mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité n'aurait pas droit à une rente extraordinaire d'invalidité et se retrouverait précisément dans la situation lacunaire corrigée par l'introduction de l'
art. 39 al. 3 LAI
(absence de droit à une rente extraordinaire une fois la limite de vingt ans atteinte, alors que l'intéressé avait pu jusque-là bénéficier de prestations de l'assurance-invalidité). En conséquence, il y a lieu d'admettre que les termes "comme enfants" de cette disposition signifient "avant l'âge de vingt ans révolus". L'interprétation différente qui ressort de l'arrêt I 230/73 cité ne peut pas être maintenue, dès lors qu'elle ne repose pas sur un examen approfondi de la disposition en cause. De même, le ch. 7102 DR et l'avis de la doctrine qui s'y réfère, sans autre précision (cf. MICHEL VALTERIO, Droit de l'assurance-vieillesse et survivants [AVS] et de l'assurance-invalidité [AI], 2011, p. 606 n. 2251; voir aussi EDGAR IMHOF, Ausländer/innen von ausserhalb der EU/EFTA und Sozialversicherungen - ein Überblick, RSAS 2006 p. 442) ne peuvent être suivis.
7.4
En l'espèce, comme on l'a vu (consid. 6.4 supra), l'intimée ne pouvait prétendre des mesures de réadaptation d'ordre professionnel avant le printemps 2011, soit postérieurement à son dix-huitième anniversaire (survenu en septembre 2010); son état de santé ne permettait pas d'en envisager la mise en oeuvre. La situation postérieure à cette date n'est pas suffisamment établie. Faute de pouvoir constater si l'intimée a droit à des mesures de réadaptation, on ne peut donc, à
BGE 140 V 246 S. 258
ce stade, en tirer de conséquences quant à la réalisation ou non des conditions de l'art. 39 al. 3 en relation avec l'
art. 9 al. 3 LAI
(voir consid. 7.6 infra).
7.5
Dans sa réponse au recours, l'intimée prétend qu'elle aurait pu bénéficier de mesures médicales de réadaptation avant l'âge de la majorité, en invoquant la prise en charge neuropsychologique et ergothérapeutique qui aurait été indiquée dès la sortie de l'Hôpital C. en octobre 2009.
7.5.1
A teneur de l'
art. 12 al. 1 LAI
, l'assuré a droit, jusqu'à l'âge de 20 ans, aux mesures médicales qui n'ont pas pour objet le traitement de l'affection comme telle, mais sont directement nécessaires à la réadaptation professionnelle ou à sa réadaptation en vue de l'accomplissement de ses travaux habituels, et sont de nature à améliorer de façon durable et importante sa capacité de gain ou l'accomplissement de ses travaux habituels, ou à les préserver d'une diminution notable. Lorsqu'il s'agit de mineurs, la jurisprudence a précisé que des mesures médicales pouvaient déjà être utiles de manière prédominante à la réadaptation professionnelle et, malgré le caractère encore provisoirement labile de l'affection, pouvaient être prises en charge par l'AI si, sans ces mesures, la guérison serait accompagnée de séquelles ou s'il en résulterait un état défectueux stable d'une autre manière, ce qui nuirait à la formation professionnelle, diminuerait la capacité de gain ou aurait ces deux effets en même temps (p. ex., arrêt 9C_729/2008 du 17 avril 2009 consid. 2.2 et les arrêts cités, in SVR 2009 IV n° 40 p. 116).
L'
art. 12 LAI
vise notamment à tracer une limite entre le champ d'application de l'assurance-invalidité et celui de l'assurance-maladie et de l'assurance-accidents. En principe, le traitement des conséquences d'un accident ressortit en premier lieu, sans égard à la durée de l'affection, au domaine de l'assurance-accidents (
art. 2 al. 4 RAI
[RS 831.201]). Des séquelles (relativement) stabilisées peuvent entraîner des mesures médicales au sens de l'
art. 12 LAI
, pour autant qu'il n'existe pas un rapport étroit de connexité matérielle et temporelle avec le traitement des suites de l'accident. Le lien de connexité matériel avec l'accident existe si la mesure médicale et le traitement de l'accident constitue un complexe uniforme. Une mesure médicale dont la nécessité future est reconnue comme probable déjà au moment du traitement de l'accident ne correspond pas à une mesure de réadaptation de l'assurance-invalidité (
ATF 114 V 18
consid. 1a p. 20; arrêt 9C_748/2012 du 12 avril 2013 consid. 2.1 et 2.2).
BGE 140 V 246 S. 259
7.5.2
En l'espèce - et il convient ici de compléter les constatations de fait du jugement entrepris (
art. 105 al. 2 LTF
) -, il ressort du rapport d'examen neuropsychologique du 26 novembre 2010 cité par l'intimée que les mesures envisagées par la psychologue E. auraient déjà dû être entreprises à la sortie de l'Hôpital C. (qui a apparemment eu lieu à la fin du mois d'octobre 2009, près de deux semaines après l'accident). La psychologue indiquait qu'une prise en charge neuropsychologique et ergothérapeutique aurait pour but d'améliorer le tableau neuropsychologique et d'apprendre à l'intimée à utiliser des stratégies visant à contourner ses difficultés, alors que le suivi neurologique était également nécessaire pour prendre en charge notamment les vertiges et les maux de tête de manière adéquate.
Au regard de ces conclusions, il apparaît que les mesures médicales préconisées par la psychologue E. constituaient des démarches thérapeutiques étroitement liées aux suites médicales de l'accident. Elles auraient en effet été nécessaires dès la fin du séjour hospitalier pour traiter les séquelles présentées par l'intimée, notamment sous forme de vertiges et maux de tête. D'un point de vue matériel, elles auraient dès lors fait partie du traitement des suites de l'accident en tant que tel, sans constituer des mesures médicales de réadaptation suffisamment indépendantes du traitement des atteintes provoquées par l'accident. En conséquence, l'intimée n'aurait pas pu bénéficier de la prise en charge de ces mesures par l'assurance-invalidité, en l'absence de rupture du rapport étroit de connexité matérielle et temporelle (dont il suffit de préciser que la jurisprudence exige que la lésion reste stable sans traitement pendant une longue durée, en règle générale, une année, cf. arrêt 9C_748/2012, cité, consid. 2.3.1 et 4.2;
ATF 114 V 18
consid. 1b p. 20).
7.6
Il résulte de ce qui précède que l'intimée n'aurait pas pu bénéficier de mesures de réadaptation de l'assurance-invalidité jusqu'à l'accomplissement de son dix-huitième anniversaire. En revanche, le point de savoir si elle aurait pu prétendre à des mesures de réadaptation d'ordre professionnel à partir du printemps 2011 doit faire l'objet d'une instruction complémentaire. De la réponse à cette question dépend alors le droit de l'intimée à une rente extraordinaire au sens de l'
art. 39 al. 3 LAI
: les conditions en seraient réalisées si l'intimée avait pu bénéficier de mesures de réadaptation avant le 5 septembre 2012, date de son vingtième anniversaire. | null | nan | fr | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cc926866-7b11-42ae-b2d9-fd4251a39790 | Urteilskopf
112 Ib 164
29. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 7 mai 1986 dans la cause P. et cons. contre Conseil d'Etat du canton de Vaud et commune de Rougemont (recours de droit administratif, subsidiairement recours de droit public) | Regeste
Art. 24 und 33 RPG
; Bau einer Kantonsstrasse.
1. Die Rüge, der angefochtene Entscheid hätte sich auf
Art. 24 RPG
stützen müssen, ist mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen (E. 1).
2. Der Bau einer Strasse gemäss einem speziellen Nutzungsplan ist nicht von den in
Art. 24 RPG
genannten Voraussetzungen abhängig (E. 2).
3. Das im Hinblick auf die Projektgenehmigung gemäss waadtländischem Recht vorgesehene Einspracheverfahren genügt den Anforderungen des
Art. 33 RPG
(E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 164
BGE 112 Ib 164 S. 164
Les 28 et 30 novembre 1983, le Grand Conseil du canton de Vaud a adopté à l'unanimité, en deux débats et définitivement, un décret accordant au Conseil d'Etat un crédit de 8'100'000 francs pour la construction de l'évitement du village de Rougemont par
BGE 112 Ib 164 S. 165
la route cantonale No 702 b. Ce projet s'inscrit dans le cadre de l'amélioration générale de l'axe routier intercantonal qui relie la Gruyère à l'Oberland bernois par le Pays-d'Enhaut.
Par décision du 26 juin 1985, le Conseil d'Etat a autorisé le Département des travaux publics à exproprier les terrains et les droits nécessaires à la réalisation du projet. Il a levé les oppositions dans le sens des considérants et renvoyé les propriétaires concernés devant le Tribunal d'expropriation du district du Pays-d'Enhaut pour la fixation de toutes les indemnités d'expropriation qui ne pourraient être réglées par voie conventionnelle. Il a en outre autorisé, dans son principe, la prise de possession anticipée des terrains expropriés, la date et les modalités de cette mesure devant être déterminées par le Tribunal d'expropriation.
C., Z., Y., ainsi que dames S. et P. ont déposé un recours de droit administratif, subsidiairement un recours de droit public auprès du Tribunal fédéral. Celui-ci a rejeté le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
La jurisprudence, qui tend à éviter tout excès de formalisme en la matière, admet qu'un recours de droit administratif et un recours de droit public soient joints en une seule écriture (
ATF 100 Ia 280
consid. 1b). C'est ce qu'ont fait les recourants qui forment contre la décision attaquée un recours de droit administratif, à titre principal, et un recours de droit public à titre subsidiaire. Il convient d'examiner successivement ces deux moyens. I. Recours de droit administratif
1.
Aux termes des art. 97 et 98 lettre g OJ, le Tribunal fédéral connaît en dernière instance des recours de droit administratif contre des décisions au sens de l'
art. 5 PA
, prises par des autorités statuant en dernière instance cantonale, dans la mesure où aucune des exceptions prévues aux art. 99 à 102 OJ n'est réalisée. Par décision au sens de l'
art. 5 PA
, il faut entendre les mesures prises dans des cas d'espèces en application du droit public fédéral ou bien celles qui, comme la jurisprudence l'a précisé, auraient dû se fonder sur le droit public fédéral. Ce dernier comprend toutes les normes générales et abstraites édictées par une autorité fédérale ou, en vertu d'une délégation du pouvoir législatif, par une
BGE 112 Ib 164 S. 166
organisation extérieure à l'administration fédérale. Les dispositions d'exécution du droit public fédéral adoptées par les cantons entrent dans cette catégorie dans la mesure où elles n'ont pas une portée propre, c'est-à-dire quand le droit cantonal ne contient rien qui n'ait déjà été édicté par le législateur fédéral (
ATF 108 Ib 380
consid. 1a et les arrêts cités).
La décision attaquée a été rendue en dernière instance cantonale. Elle a été rendue exclusivement en application de la législation cantonale sur les routes et sur l'expropriation. Les recourants soutiennent toutefois que l'autorisation d'exproprier qu'ils critiquent constitue, en fait, une autorisation exceptionnelle qui n'aurait dû être accordée que si les conditions cumulatives énoncées à l'
art. 24 al. 1 lettre a et b LAT
étaient réunies. Compte tenu de ce grief - dont l'allégation répond pour le surplus aux exigences de forme posées par les
art. 97 ss OJ
-, le recours de droit administratif est recevable. L'
art. 34 al. 1 LAT
prévoit du reste expressément cette voie de droit contre les décisions fondées sur l'
art. 24 LAT
. Conformément à la jurisprudence citée, il en va de même lorsque le recourant prétend que la décision attaquée aurait dû se fonder sur l'
art. 24 LAT
.
2.
a) La question primordiale posée dans le recours de droit administratif est celle de savoir si le projet litigieux constitue une exception prévue hors de la zone à bâtir selon les termes de la note marginale de l'
art. 24 LAT
. Si c'est le cas, les griefs de violation des droits constitutionnels des citoyens et en particulier celui de violation du principe de la force dérogatoire du droit fédéral énoncé à l'art. 2 Disp. trans. Cst. seront traités dans le cadre de ce recours. Si tel n'est pas le cas, le recours de droit administratif devrait être rejeté et ces griefs devraient être traités dans le cadre du recours de droit public recevable, subsidiairement, en vertu de l'
art. 84 al. 2 OJ
, pour autant que sa formulation réponde aux exigences instituées pour cette voie de droit extraordinaire aux
art. 84 ss OJ
(
art. 34 al. 3 LAT
; cf.
ATF 96 I 187
).
b) L'état et le développement souhaité de l'urbanisation, des transports et communications, de l'approvisionnement ainsi que des constructions et installations publiques sont définis par les cantons, lorsque ceux-ci établissent leurs plans directeurs (
art. 6 LAT
). Le mode d'utilisation du sol, notamment son caractère constructible ou non, est réglé par les plans d'affectation au sens des
art. 14 ss LAT
, lesquels ont force obligatoire pour chacun (
art. 21 al. 1 LAT
). Tandis que les plans d'affectation généraux
BGE 112 Ib 164 S. 167
déterminent globalement les différents modes d'utilisation du sol, les plans d'affectation spéciaux - tels les plans d'alignement (
ATF 111 Ib 13
, 109 Ib 122/123 consid. 5a) - fixent la réglementation de détail ou prescrivent les normes qui dérogent à l'affectation générale (DFJP/OFAT, Etude relative à la loi fédérale sur l'aménagement du territoire, p. 187, n. 2). Dans ce sens, en tant qu'élément de planification, les plans établissant le tracé des routes constituent de tels plans d'affectation spéciaux. Par conséquent, les terrains sur lesquels cette planification spéciale exerce son empire reçoivent une affectation spéciale, distincte de celle du territoire traversé par l'ouvrage routier. Cela étant, si l'adoption d'un plan routier doit répondre aux conditions formelles posées à l'
art. 33 LAT
, en revanche, la construction de l'ouvrage prévu ne saurait être soumise aux conditions de fond prévues pour la délivrance d'une autorisation exceptionnelle de construire hors de la zone à bâtir selon l'
art. 24 LAT
.
Le recours de droit administratif doit partant être rejeté. II. Recours de droit public
3.
Les griefs de violation du droit constitutionnel fédéral soulevés par les recourants ne pouvant pas être soumis au Tribunal fédéral par la voie du recours de droit administratif au sens des
art. 97 ss OJ
, il y a lieu, comme on l'a vu, de les examiner dans le cadre du recours de droit public.
Les recourants ont demandé l'autorisation de déposer un mémoire complétif pour répondre aux observations de l'autorité intimée, car l'exposé de celle-ci comporterait des considérations nouvelles quant à la qualité en laquelle elle a rendu la décision attaquée. Les recourants se sont en réalité exprimés déjà substantiellement sur ce point dans leur acte de recours. Le dépôt d'un mémoire complétif ne s'impose donc pas sous l'angle de l'
art. 93 al. 2 et 3 OJ
.
4.
Les recourants invoquent en premier lieu une violation du principe de la force dérogatoire du droit fédéral consacré à l'art. 2 Disp. trans. Cst. Ils soutiennent que l'autorité intimée a statué en instance cantonale unique, ce qui serait contraire à l'
art. 33 LAT
.
a) Saisi du grief de violation de l'art. 2 Disp. trans. Cst., le Tribunal fédéral examine librement si une règle de droit cantonal ou l'interprétation qui lui a été donnée en l'espèce par l'autorité
BGE 112 Ib 164 S. 168
cantonale de dernière instance est compatible avec le droit fédéral (
ATF 106 Ia 132
consid. 1b;
ATF 102 Ia 155
consid. 1). La force dérogatoire du droit fédéral implique que la législation fédérale l'emporte sur la législation cantonale, quel que soit leur niveau respectif. Selon cette règle, il est notamment prohibé au législateur cantonal d'intervenir dans les matières que le législateur fédéral a entendu réglementer de façon exhaustive, d'éluder le droit fédéral ou d'en contredire le sens ou l'esprit (
ATF 104 Ia 108
consid. 4a et les arrêts cités).
b) Dans ses observations, l'autorité intimée a exposé que la procédure ayant abouti à la décision critiquée n'avait pas pour seul objet d'exproprier les fonds touchés par le projet de route litigieux, mais aussi d'adopter la conception générale de ce projet et les détails de l'exécution des travaux conformément à l'art. 10 de la loi sur les routes. Il s'agit évidemment là, comme on l'a vu plus haut (cf. consid. 2b), d'une mesure d'aménagement qui règle le mode d'utilisation du sol selon les termes de l'
art. 14 al. 1 LAT
. Elle a en effet pour conséquence de soustraire concrètement une partie déterminée du territoire communal à l'affectation générale de la zone dans laquelle le projet va se réaliser. En tant qu'un tel projet n'a pas été adopté dans un plan d'ensemble selon une procédure assurant aux intéressés une protection juridique équivalente à celle requise par l'
art. 33 LAT
, il doit y être soumis, individuellement, étant lui-même assimilable à un plan d'affectation ou tout au moins à une adaptation d'un tel plan. Il y a lieu dès lors d'examiner si les règles de procédure appliquées en l'espèce accordent aux intéressés une protection juridique conforme à cette disposition.
c) aa) Conformément aux art. 26 al. 1 et 33 al. 1 LAT, la planification du réseau routier cantonal a été mise à l'enquête publique et décidée par une autorité cantonale, soit le Conseil d'Etat (cf. art. 4 de la loi sur les routes).
bb) La protection juridique minimale instituée à l'
art. 33 LAT
comporte l'obligation pour le droit cantonal de prévoir au moins une voie de recours contre les décisions et plans d'affectation fondés sur cette loi et sur les dispositions cantonales et fédérales d'exécution (al. 2). La qualité pour recourir doit être reconnue au moins dans les mêmes limites qu'en matière de recours de droit administratif devant le Tribunal fédéral (al. 3 lettre a). Enfin, une autorité de recours au moins doit avoir un libre pouvoir d'examen (al. 3 lettre b).
BGE 112 Ib 164 S. 169
Les questions de la qualité pour recourir et du pouvoir d'examen de l'autorité supérieure cantonale ne sont pas litigieuses. La seule question discutée est dès lors celle de savoir si la voie de l'opposition ouverte auprès de l'autorité intimée est assimilable à une "voie de recours" au sens de l'
art. 33 al. 2 LAT
.
La jurisprudence interprète largement cette notion. Suivant les travaux préparatoires, elle admet que la voie de l'opposition auprès d'une autorité administrative équivaut à celle du recours au sens de l'
art. 33 al. 2 LAT
(ATF
ATF 111 Ib 11
consid. 2b;
ATF 109 Ia 1
;
ATF 108 Ib 483
consid. 3b) et n'exige pas impérativement l'institution d'une autorité juridictionnelle, les recours ou oppositions pouvant être tranchés par l'autorité chargée d'approuver le plan (
ATF 108 Ia 33
ss;
ATF 108 Ib 484
consid. 3c).
La procédure d'opposition instituée par le législateur vaudois pour l'approbation d'un projet routier est définie fondamentalement aux art. 16 ss de la loi cantonale du 25 novembre 1974 sur l'expropriation. La portée de l'enquête publique est indiquée dans un avis qui rappelle à l'intéressé son droit de faire opposition par écrit s'il estime que l'expropriation n'est pas justifiée par un intérêt public suffisant (art. 17 ch. 4). Les oppositions sont formulées à l'intention du greffe municipal qui les transmet au Conseil d'Etat par l'intermédiaire du Département des finances dans les dix jours dès la clôture de l'enquête (art. 18 et 19). Après instruction des oppositions, le Conseil d'Etat statue sur leur bien-fondé et sur le caractère d'intérêt public du projet; il détermine les emprises en veillant à ce que l'expropriation soit contenue dans les limites de ce qu'exige l'exécution du projet (art. 22 à 24). Ces dispositions sont à mettre en relation avec celles de la loi sur les routes et en particulier avec ses art. 10 et 15. Ces textes donnent au Conseil d'Etat la compétence d'adopter les projets et les tracés routiers définitifs, qui sont établis sous la direction du Département des travaux publics.
Cette méthode de liquidation des oppositions, en définitive, par une seule autorité cantonale n'est pas propre au droit vaudois. Le Tribunal fédéral a eu l'occasion de se prononcer sur la conformité d'une formule analogue instituée par le droit genevois de l'aménagement du territoire et des constructions (
ATF 108 Ib 482
consid. 3a à d). Il a retenu comme suffisante au regard de la législation fédérale sur l'aménagement du territoire, la possibilité offerte aux intéressés de faire opposition à un plan de zone auprès de l'autorité cantonale compétente pour l'approuver, celle-ci étant ainsi appelée
BGE 112 Ib 164 S. 170
simultanément à trancher les oppositions et à approuver le plan. Certes, l'autorité compétente était en l'occurrence le Grand Conseil, c'est-à-dire la plus haute autorité du canton. La question essentielle n'est cependant pas la qualité des autorités appelées à statuer sur les oppositions mais la structure des deux procédures, qui est la même, en droit vaudois et en droit genevois; en effet, l'autorité compétente pour donner au plan l'approbation à la suite de laquelle il entre en vigueur est, dans les deux cas, celle qui statue sur les oppositions, après préavis ou proposition des autorités communales ou des organes inférieurs de l'administration cantonale. Il y a lieu de se tenir à cette jurisprudence; elle se situe dans la limite des intentions poursuivies par le législateur fédéral, lorsque celui-ci a élaboré des règles minimales pour la protection juridique des personnes touchées par une mesure d'aménagement. La question déterminante est que ces dernières puissent faire valoir tous les arguments auprès d'une autorité supérieure cantonale statuant en toute indépendance. Ce serait pur formalisme que d'exiger, par exemple, l'échelonnement de la procédure de liquidation des oppositions en deux instances administratives dont la première serait hiérarchiquement subordonnée à la seconde, selon la formule souhaitée par les recourants. On ne voit pas que le recours hiérarchique à l'administrateur-juge offre à l'administré des garanties plus étendues que la voie de l'opposition sur laquelle les autorités inférieures doivent se prononcer par un préavis ou une proposition qu'elles transmettent à l'autorité de décision.
Le grief de violation de la force dérogatoire du droit fédéral n'est donc pas fondé. | public_law | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cc94a69f-444f-4f0e-a154-6569b584bb24 | Urteilskopf
112 IV 77
23. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofs vom 23. Oktober 1986 i.S. R. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 144 StGB
; Hehlerei.
Hehlerei setzt weder voraus, dass zwischen dem Hehler und dem Vortäter eine persönliche Beziehung besteht, noch ist erforderlich, dass die Sache unmittelbar vom Vortäter auf den Hehler überging. | Sachverhalt
ab Seite 77
BGE 112 IV 77 S. 77
Z. erbeutete bei einem Einbruchdiebstahl mehrere Orientteppiche. Der von ihm angegangene K. wandte sich an den Beschwerdeführer R., welcher sich mit B. in Verbindung setzte, der seinerseits mit einem unbekannten Kaufsinteressenten Kontakt aufnahm. In der Folge kam der Handel nicht zustande. Das Bundesgericht bestätigt den vorinstanzlichen Schuldspruch wegen Versuchs der Hehlerei.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wendet ein, durch seine Handlungsweise habe er die gestohlenen Orientteppiche nicht absetzen helfen, wie das Obergericht annehme; denn zwischen ihm und dem Vortäter Z. habe keinerlei Beziehung bestanden.
Hehlerei setzt gemäss
Art. 144 StGB
weder voraus, dass zwischen dem Hehler und dem Vortäter irgendeine persönliche Beziehung bestehe, noch ist erforderlich, dass die Sache unmittelbar vom Vortäter auf den Hehler überging (LOGOZ, I, S. 136; WAIBLINGER, ZStR 61, S. 261). Es genügt, wenn der Hehler am Absatz, d.h. der wirtschaftlichen Verwertung der Sache mitgewirkt hat (THORMANN/VON OVERBECK, N. 7 zu
Art. 144 StGB
; STRATENWERTH, BT I, S. 290 N. 16 und 17; WAIBLINGER, a.a.O., S. 261; NOLL, BT S. 235; WALDER, ZStR 103, S. 262). Eine derartige Mitwirkung des Beschwerdeführers aber ist fraglos zu bejahen, wenn er, durch K. nach einem möglichen Abnehmer der Orientteppiche gefragt, diese sowohl B. wie dem Unbekannten zum Kauf anbot, ihm ihre Übergabe für einen späteren als dem vereinbarten Zeitpunkt zusicherte, B. die Bereitschaft zum Verkauf bestätigte, und K. veranlasste, Z. die Telefonnummer von B. zu übermitteln, damit die beiden direkt miteinander verhandeln konnten. Die Absatzhilfe leistete der Beschwerdeführer aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts offensichtlich im Interesse und mit dem Einverständnis des Vortäters (STRATENWERTH, a.a.O., N. 17; NOLL, S. 234/35; WALDER, a.a.O., S. 260), auch wenn damit ein eigenes Interesse an der in Aussicht gestellten Provision konkurrierte (vgl. WAIBLINGER, a.a.O., S. 272). | null | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cc97ed18-df38-49a3-becb-ef64b44aaaf5 | Urteilskopf
118 Ib 317
41. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. Oktober 1992 i.S. X.-Bank gegen Eidgenössische Steuerverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Verrechnungssteuer, Partizipationsscheine.
1. Die Rückzahlung des Nennwerts gratis emittierter Partizipationsscheine unterliegt der Verrechnungssteuer, sofern diese nicht schon bei Ausgabe der Titel erhoben worden ist (E. 1).
2. Die Verrechnungssteuer kann unter Umständen auch erhoben werden, wenn nach der Praxis zur direkten Bundessteuer kein Steuertatbestand vorliegt (E. 2).
3. Die Verrechnungssteuerpflicht besteht unabhängig davon, ob sich die Empfänger der steuerbaren Leistung ermitteln lassen und die Verrechnungssteuer überwälzt werden kann (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 318
BGE 118 Ib 317 S. 318
Die X.-Bank wies Ende 1989 ein Partizipationsscheinkapital von Fr. 180'519'280.-- aus, welches in 9'025'964 Partizipationsscheine im Nennwert von Fr. 20.-- zerlegt war. Von diesen Partizipationsscheinen waren im Frühjahr 1982 1'389'357 Stück mit einem Gesamtnennwert von Fr. 27'787'140.-- als Gratispartizipationsscheine ausgegeben worden. Die Liberierung erfolgte zulasten eines speziellen Reservefonds, auf welchem die X.-Bank das bei einer früheren Kapitalerhöhung von den Aktionären einbezahlte Agio verbucht hatte. Praxisgemäss sah die Eidgenössische Steuerverwaltung davon ab, den Nennwert der gratis ausgegebenen Partizipationsscheine im Zeitpunkt der Emission mit der Verrechnungssteuer zu erfassen.
Im Frühjahr 1990 beschloss der Verwaltungsrat der X.-Bank, der Generalversammlung die Abschaffung der ausstehenden Partizipationsscheine zu beantragen. Er offerierte den Partizipanten deshalb, je 25 Partizipationsscheine in eine neue Inhaberaktie von Fr. 500.-- umzutauschen. Von den 9'025'964 ausstehenden Partizipationsscheinen wurden gestützt auf dieses Angebot 8'213'700 zum Umtausch in Aktien angemeldet. Die Generalversammlung genehmigte die Ausgabe von 328'548 neuen Inhaberaktien von je Fr. 500.--, welche den Inhabern der zum Umtausch angemeldeten Partizipationsscheine im Verhältnis 1 Inhaberaktie gegen 25 Partizipationsscheine zu pari überlassen und durch Verrechnung mit
BGE 118 Ib 317 S. 319
Partizipationsscheinkapital liberiert wurden. Das Partizipationsscheinkapital reduzierte sich hiedurch um Fr. 164'274'000.-- auf Fr. 16'245'280.--.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung betrachtete die mit der Umwandlung gratis emittierter Partizipationsscheine in Aktien verbundene Nennwertrückzahlung von Fr. 27'787'140.-- als eine der Verrechnungssteuer unterliegende geldwerte Leistung. Da die X.-Bank von einer Überwälzung der Verrechnungssteuer auf die Begünstigten absehe, sei die steuerbare Leistung durch Aufrechnung ins Hundert auf Fr. 42'749'446.-- zu beziffern. Infolgedessen wurde die X.-Bank mit Entscheid vom 22. August 1990 bzw. Einspracheentscheid vom 17. Oktober 1991 zur Zahlung einer Verrechnungssteuer von Fr. 14'962'306.-- samt Verzugszins verpflichtet.
Mit Eingabe vom 18. November 1991 hat die X.-Bank Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt in erster Linie die Aufhebung des Einspracheentscheids vom 17. Oktober 1991; eventuell sei festzustellen, dass sie selber zur Rückforderung der allfällig geschuldeten Verrechnungssteuer befugt sei.
In der Begründung macht die X.-Bank geltend, aus steuersystematischen Gründen hätte die Verrechnungssteuer wie bei Gratisaktien bereits bei der Ausgabe der Gratispartizipationsscheine erhoben werden sollen. Zu jenem Zeitpunkt habe niemand damit gerechnet, dass diese Titel später in Aktien umgetauscht würden. Weil in den Wertschriftenverwaltungen seit vielen Jahren keine nummernmässig dem Kunden zugeordnete Erfassung der deponierten Titel mehr erfolge, sei es heute nicht mehr möglich, die gratis abgegebenen Partizipationsscheine dem jeweiligen Inhaber zuzuordnen. Unter solchen Umständen sei es Sache der Eidgenössischen Steuerverwaltung, aufzuzeigen, wie die Verrechnungssteuer zu überwälzen sei. Im massgeblichen Zeitpunkt hätten sich bei der X.-Bank 1'458'220 Partizipationsscheine im Eigenbestand befunden, also mehr als gratis emittiert worden seien. Es erscheine deshalb als sachgerechte Lösung, die Verrechnungssteuer grundsätzlich auf die Gesellschaft selbst zu überwälzen. Da aber eine steuerwirksame Leistung an sich selbst nicht möglich sei, könne eine Verrechnungssteuerpflicht gar nicht entstehen; jedenfalls müsse die X.-Bank Anspruch auf Rückerstattung haben.
Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab
BGE 118 Ib 317 S. 320
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
a) Nach Art. 4 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer vom 13. Oktober 1965 (VStG; SR 642.21) sind unter anderem Gegenstand der Verrechnungssteuer die Zinsen, Renten, Gewinnanteile und sonstigen Erträge der von einem Inländer ausgegebenen Aktien und Genusscheine Art. 20 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer vom 19. Dezember 1966 (VStV; SR 642.211) sieht vor, dass steuerbarer Ertrag von Aktien jede geldwerte Leistung der Gesellschaft an die Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte oder an ihnen nahestehende Dritte ist, die sich nicht als Rückzahlung der im Zeitpunkt der Leistung bestehenden Anteile am einbezahlten Grund- oder Stammkapital darstellt; als steuerbar bezeichnet
Art. 20 Abs. 1 VStV
ausdrücklich die Gratisaktien.
Steuerbarer Ertrag von Genussscheinen (mit Einschluss der Partizipationsscheine) ist nach
Art. 20 Abs. 2 VStV
jede auf dem Genussrecht beruhende geldwerte Leistung an den Inhaber des Rechts; sind Genussscheine ausserhalb einer Sanierung gegen Erlegung ihres Nennwerts in bar ausgegeben worden, so bildet die Rückzahlung des Nennwertes nicht Bestandteil des steuerbaren Ertrags.
b) Das Bundesgericht hat wiederholt entschieden, die vom Bundesrat in Ausführung des Gesetzes in
Art. 20 Abs. 1 VStV
getroffene Regelung, die Ausgabe von Gratisaktien mit der Verrechnungssteuer zu erfassen, sei gesetzmässig (
BGE 110 Ib 321
;
BGE 97 I 448
;
BGE 95 I 600
E. 1). In gleicher Weise gelten Gratisaktien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts auch bei der direkten Bundessteuer als steuerbare Gewinnanteile aus Beteiligung im Sinne von
Art. 21 Abs. 1 lit. c BdBSt
(
BGE 103 Ia 117
E. 4a
BGE 96 I 728
mit zahlreichen Hinweisen).
Was die Gratisausgabe von Partizipationsscheinen betrifft, so sind in der Literatur hinsichtlich der direkten Bundessteuer JUNG/AGNER (Kommentar zur direkten Bundessteuer, Ergänzungsband zur 2. Aufl. des Kommentars von Masshardt, Zürich 1989, N. 84 zu Art. 21) der Auffassung, es handle sich dabei ebenfalls um steuerbares Einkommen aus Vermögensertrag. Sie begründen dies damit, dass Genussscheinen mit Nennwert insofern dieselbe Funktion wie den Aktien zukommt, als sie gleichfalls Anteilsrechte am Kapital der Gesellschaft darstellen. Eine allfällige Rückzahlung des Nennwertes an den Inhaber sei demgegenüber nicht steuerbar.
BGE 118 Ib 317 S. 321
c) Im Unterschied hiezu und auch abweichend zur Behandlung von Gratisaktien werden Gratispartizipationsscheine nach der Praxis zur Verrechnungssteuer nicht schon bei der Emission, sondern erst bei ihrer Einlösung steuerlich erfasst (STOCKAR/HOCHREUTENER, Die Praxis der Bundessteuern, II. Teil, Bd. 2, N. 25 zu
Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG
). Diese Praxis folgt nicht direkt aus
Art. 20 VStV
. Wohl wird dort die Ausgabe von Gratispartizipationsscheinen anders als diejenige von Gratisaktien nicht ausdrücklich als steuerbar erklärt. Es trifft auch zu, dass der in den 60er Jahren aufgekommene Partizipationsschein bisher in Lehre und Rechtsprechung nicht als Aktie, sondern als Genussschein qualifiziert wurde (
BGE 113 II 529
;
BGE 105 Ib 177
; PATRY, Précis de droit suisse des sociétés, Bd. 2, S. 126). (Die am 1. Juli 1992 in Kraft getretene Revision des Aktienrechts, die die Partizipationsscheine in
Art. 656a Abs. 2 OR
den Aktien gleichstellt, ist hier noch nicht massgebend.) Der zivilrechtlich wesentliche Unterschied zwischen Partizipationsschein und Aktie liegt aber im Bereich der Mitverwaltungs- (oder Mitgliedschafts)rechte, nicht bei den für das Steuerrecht massgeblichen vermögensrechtlichen Ansprüchen von Aktionär und Partizipant. Es wäre daher schon unter dem Geltungsbereich des alten Aktienrechts zu erwägen gewesen, Gratispartizipationsscheine bei ihrer Ausgabe mit der Verrechnungssteuer zu erfassen, so wie das nun in
Art. 20 Abs. 1 VStV
in der Fassung vom 20. Mai 1992 (AS 1992 1200; Inkrafttreten mit dem neuen Aktienrecht am 1. Juli 1992) ausdrücklich vorgesehen ist.
d) Die bisherige Konzeption der Eidgenössischen Steuerverwaltung lässt sich aber immerhin auf
Art. 20 Abs. 2 VStV
in der auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung vom 19. Dezember 1966 zurückführen. Danach bildet die Rückzahlung des Nennwerts von Genussscheinen nicht Bestandteil des steuerbaren Ertrags, wenn diese ausserhalb einer Sanierung gegen Erlegung ihres Nennwerts in bar ausgegeben worden sind. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Bundesgesetz über die Coupon-Abgabe vom 25. Juni 1921 und zum Beschluss des Bundesrates vom 1. September 1943 über die Verrechnungssteuer zu sehen. Damals betrachtete das Bundesgericht den Rückkauf von Genussscheinen gegen Bezahlung einer bestimmten Geldsumme oder einer sonstigen geldwerten Leistung in seiner Gesamtheit als Gewinnausschüttung, ohne dass es darauf angekommen wäre, ob der Titel zuvor gegen Bezahlung eines Nennwertes emittiert oder aber im Zuge einer Sanierung ohne Kapitaleinlage ausgegeben worden war (ASA 17, 540; ASA 26, 49). Von dieser
BGE 118 Ib 317 S. 322
Rechtsprechung geht
Art. 20 Abs. 2 VStV
aus (PFUND, Die Eidgenössische Verrechnungssteuer, Basel 1971, N. 3.19 zu
Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG
), statuiert aber eine Ausnahme, soweit bei Ausgabe der Partizipationsscheine eine Gegenleistung erfolgt und der volle Nennwert erlegt worden ist (PFUND, a.a.O., N. 3.20 und N. 3.21 zu
Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG
). E contrario bleibt nach der Regelung von
Art. 20 Abs. 2 VStV
die Rückzahlung des Nennwerts weiterhin steuerbar, wenn die Partizipationsscheine gratis abgegeben worden sind.
e) Entscheidend ist aber, dass die Verrechnungssteuer jedenfalls einmal zu erheben ist. Wenn dies nicht bei Ausgabe der Partizipationsscheine geschehen ist, so hat die Besteuerung bei der Rückzahlung zu erfolgen. Davon geht auch
Art. 20 Abs. 2 VStV
in der Fassung vom 20. Mai 1992 aus, wenn dort bestimmt wird, dass die Rückzahlung des Nennwerts von unentgeltlich ausgegebenen Partizipationsscheinen nicht Bestandteil des steuerbaren Ertrags bildet, wenn nachgewiesenermassen die Verrechnungssteuer bei Ausgabe der Titel entrichtet worden ist.
Da die Beschwerdeführerin die Verrechnungssteuer bei der Ausgabe der Partizipationsscheine nicht entrichtet hat, ist die Umwandlung der gratis emittierten Partizipationsscheine in Aktien steuerlich zu erfassen. Eine solche Umwandlung ist mit der Rückzahlung des Nennwertes der betreffenden Partizipationsscheine verbunden (STOCKAR/HOCHREUTENER, a.a.O., N. 1 zu
Art. 20 Abs. 2 VStV
). Die Voraussetzung für eine Ausnahme, nämlich die Liberierung bei der Ausgabe der Partizipationsscheine oder allenfalls die Versteuerung anlässlich der Titelausgabe, ist nicht gegeben.
2.
Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass die Gratispartizipationsscheine im Zeitpunkt ihrer Ausgabe der direkten Bundessteuer unterlagen, so dass der Sicherungszweck der Verrechnungssteuer heute nicht mehr zum Tragen kommen könne.
Zwar trifft es zu, dass der Hauptzweck der Verrechnungssteuer darin liegt, die Steuerhinterziehung von im Inland domizilierten Steuerpflichtigen einzudämmen (BBl 1963 II 955). Insoweit kann die Verrechnungssteuer ihren Zweck nicht erfüllen, wenn sie nach der direkten Bundessteuer steuerbare Kapitalerträge nicht erfasst. Daraus kann aber nicht umgekehrt der Schluss gezogen werden, die Verrechnungssteuer dürfe immer dann nicht greifen, wenn kein steuerbarer Tatbestand nach der direkten Bundessteuer vorliegt. Die Verrechnungssteuer dient auch der Sicherung der Steuern von Kantonen und Gemeinden, welche die Einkünfte, die für die Besteuerung in Betracht fallen, selbständig bestimmen (PFUND, a.a.O., N. 41
BGE 118 Ib 317 S. 323
zu VStG Einl.). Eine vollständige steuersystematische Übereinstimmung ist daher prinzipiell ausgeschlossen. Dazu kommt, dass die Verrechnungssteuer dann, wenn der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz im Ausland hat, eine echte Steuer ist und (unter Vorbehalt von Rückerstattungsansprüchen aus Doppelbesteuerungsabkommen) zu einer endgültigen Belastung führt. Im übrigen ist die Verrechnungssteuer nicht Bestandteil der Einkommenssteuern von Bund, Kantonen und Gemeinden (PFUND, a.a.O., N. 20 zu VStG Einl.), weshalb es für die Erhebung der Verrechnungssteuer nicht darauf ankommt, ob die betreffende Leistung für den Empfänger einen Vermögenszugang darstellt und bei ihm als Einkommen besteuert wird oder besteuert werden könnte (PFUND, a.a.O., N. 40 zu VStG Einl.).
3.
a) Die Beschwerdeführerin macht geltend, es sei bundesrechtswidrig und unangemessen (
Art. 104 lit. a und c OG
), ihr die Verrechnungssteuer aufzuerlegen, weil es aus objektiven Gründen unmöglich sei, die Steuer auf die Gläubiger der steuerbaren Leistung zu überwälzen. Die 1982 gratis ausgegebenen Partizipationsscheine seien damals zwar numeriert worden. Seit Jahren erfolge in den Wertschriftenverwaltungen aber keine nummernmässig dem Kunden zugeordnete Erfassung der deponierten Titel mehr, so dass bei Handwechseln die Zuordnung der Titelnummern nicht mehr nachvollzogen werden könne. Überdies habe 1987 ein Austausch der Titel stattgefunden, weil bei den alten Partizipationsscheinen keine Coupons mehr vorhanden gewesen seien. Da der Austausch lediglich anzahl-, nicht aber nummernmässig erfolgt sei, könne auch aus diesem Grund eine Zuordnung der 1982 gratis ausgegebenen Partizipationsscheine nicht mehr vorgenommen werden. Die Beschwerdeführerin erachtet Bundesrecht deshalb als verletzt, weil die Überwälzung zwingend, aber objektiv nicht möglich sei und der Anspruch auf Rückerstattung somit vereitelt werde. Die Behörden seien verpflichtet, der Beschwerdeführerin in dieser Situation eine Überwälzungsmöglichkeit aufzuzeigen. Die angemessene Lösung liege darin, die Beschwerdeführerin selbst als Leistungsempfängerin zu betrachten, da sie im fraglichen Zeitpunkt mehr Partizipationsscheine in ihrem Eigenbestand gehabt habe als 1982 gratis ausgegeben worden seien. Das führe dazu, dass keine Verpflichtung zur Ablieferung der Verrechnungssteuer bestehe, weil eine steuerbare Leistung an sich selbst nicht möglich sei; jedenfalls sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Rückerstattung habe.
BGE 118 Ib 317 S. 324
b) Richtig ist, dass den Steuerpflichtigen grundsätzlich die Pflicht trifft, die Verrechnungssteuer auf den Empfänger der steuerbaren Leistung zu überwälzen (
Art. 14 VStG
;
BGE 108 Ib 475
). Die Verrechnungssteuerpflicht besteht aber unabhängig davon, ob der Empfänger der steuerbaren Leistung bekannt ist, denn steuerpflichtig ist nicht dieser, sondern der Schuldner (nicht veröffentlichte E. 7c von
BGE 115 Ib 274
). Schwierigkeiten der Steuerüberwälzung können nicht dazu führen, die Verrechnungssteuerpflicht zu verneinen (PFUND, a.a.O., N. 2.2 zu
Art. 14 Abs. 1 VStG
). Wohl hat die Eidgenössische Steuerverwaltung den Verrechnungssteuerpflichtigen instandzusetzen, die Überwälzungspflicht zu erfüllen, wenn sich der Empfänger der steuerbaren Leistung der Überwälzung widersetzt. Sie kann hiezu einen Entscheid im Sinne von
Art. 41a VStG
erlassen, der die Durchsetzung der Forderung ermöglicht (PFUND, a.a.O., N. 4.2 zu
Art. 14 Abs. 1 VStG
). Die Beschwerdeführerin ist aber nach eigenem Bekunden nicht in der Lage, die gratis abgegebenen Partizipationsscheine den Inhabern zuzuordnen und damit die Empfänger der steuerbaren Leistung bei der Umwandlung in Aktien zu bezeichnen. Wie sie unter diesen Umständen erwarten kann, die Eidgenössische Steuerverwaltung bezeichne die Leistungsempfänger, ist schwer verständlich.
c) Die Beschwerdeführerin selbst als Leistungsempfängerin zu betrachten und aus diesem Grund von einer Erhebung der Verrechnungssteuer abzusehen bzw. diese auf die Beschwerdeführerin selbst zu überwälzen, geht nicht an. Es steht gerade nicht fest, dass die Beschwerdeführerin die gratis emittierten (und nicht andere) Partizipationsscheine in Händen hält. Wenn sie diesen Unterschied mit dem Hinweis auf den Gattungscharakter von Partizipationsscheinen überspielen will, so geht diese Analogie zum Obligationenrecht an der Sache vorbei. Wohl kann eine vertragliche Verpflichtung nach Qualität und Quantität bestimmt werden. Steuerrechtlich ist aber gerade der Unterschied zwischen gratis und gegen Liberierung emittierten Partizipationsscheinen von entscheidender Bedeutung. Die Qualität ist insofern unterschiedlich, weshalb Austauschbarkeit nicht gegeben ist. Die Analogie, aus der die Beschwerdeführerin eine "angemessene Lösung" ableiten will, kann daher zum vornherein nicht gemacht werden.
Abgesehen davon, handelt es sich nicht um eine Frage der Angemessenheit. Angemessenheit ist die den Umständen angepasste Lösung im rechtlich nicht normierten Handlungsspielraum. Damit überhaupt ein Ermessensentscheid getroffen werden kann, muss das
BGE 118 Ib 317 S. 325
Recht vorerst Ermessensspielräume geschaffen haben. Nur wo Ermessen rechtlich überhaupt besteht, kann eine gerichtliche Überprüfung daraufhin stattfinden. Wenn die Beschwerdeführerin anführt, sie könne heute die Inhaber der gratis emittierten Partizipationsscheine nicht mehr ausfindig machen, weil die Transaktionen nicht nummernmässig erfasst worden seien, und wenn sie daraus ableitet, für die Verrechnungssteuer müsse eine diesen Umständen angepasste Lösung gefunden werden, so argumentiert sie ausserrechtlich. Sie verlangt im Grunde eine Entscheidung, die ihrer Meinung nach "billig" wäre, ohne dass aber hiefür ein Ermessensspielraum bestünde.
Aber selbst wenn nach Billigkeit zu entscheiden wäre, könnte der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden. Sie hat von Anbeginn gewusst, dass die Verrechnungssteuer bei gratis emittierten Partizipationsscheinen anlässlich der Rückzahlung des Nennwerts erfasst wird; so die Auskunft, die der Beschwerdeführerin bei der Emission von der Eidgenössischen Steuerverwaltung erteilt worden ist. Um für die Überwälzung gewappnet zu sein, hätte die Beschwerdeführerin die Transaktionen jeweils nummernmässig erfassen müssen. Sie hat das nicht getan, weil sie damals gemeint hat, der Steuerfall werde nie eintreten. Die Falscheinschätzung der Lage hat nicht die Eidgenössische Steuerverwaltung, sondern die Beschwerdeführerin allein zu vertreten.
d) Wenn keine Überwälzungsmöglichkeit besteht, kann die Steuerpflicht auch nicht durch blosse Meldung erfüllt werden (
Art. 20 VStG
). Diese Möglichkeit ist nur für Fälle vorgesehen (und sinnvoll), wo die ordentliche Besteuerung ohne Erhebung (und Überwälzung) der Verrechnungssteuer sichergestellt ist, nämlich dann, wenn feststeht, dass die Personen, auf die die Steuer zu überwälzen wäre, Anspruch auf Rückerstattung dieser Steuer hätten, und wenn ihre Zahl zwanzig nicht übersteigt (
Art. 24 Abs. 2 VStV
).
e) Die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgenommene Aufrechnung ins Hundert kann schliesslich nicht beanstandet werden. Die Beschwerdeführerin hat die Verrechnungssteuer nicht überwälzt. Darin liegt eine weitere steuerbare Zuwendung (ASA 37, 303). Die mit der Umwandlung der Gratispartizipationsscheine in Aktien verbundene Nennwertrückzahlung von Fr. 27'787'140.-- stellt damit einen um die Steuerbelastung von 35% gekürzten Nettobetrag dar, also nur 65% der steuerbaren Bruttoleistung von Fr. 42'749'466.--, woraus sich der Steuerbetrag von Fr. 14'962'306.-- ergibt (35% von Fr. 42'749'466.--). | public_law | nan | de | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cc99a514-dd12-42ab-a701-a205ae5c7ba3 | Urteilskopf
100 Ib 325
56. Urteil des Kassationshofes vom 1. November 1974 i.S. Utiger gegen Regierungsrat des Kantons Bern. | Regeste
Art. 5 Abs. 1 lit. b, 25 VwG;
Art. 38 Ziff. 1 StGB
. Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug; Feststellungsbegehren.
Unzulässigkeit eines Begehrens um richterliche Feststellung, dass der Entlassungsbeschluss so spät erfolgte, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch wurde. | Sachverhalt
ab Seite 325
BGE 100 Ib 325 S. 325
A.-
Utiger trat am 7. Juli 1972 den Vollzug zweier Gefängnisstrafen von insgesamt 18 Monaten und 26 Tagen an. Am 29. Juli 1972 entwich er und wurde am 24. Oktober 1972 in die Strafanstalt zurückgebracht.
Am 8. August 1973 stellte er ein Gesuch um bedingte Entlassung gemäss
Art. 38 Ziff. 1 StGB
auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, den 15. Oktober 1973.
BGE 100 Ib 325 S. 326
Die Polizeidirektion des Kantons Bern verfügte am 18. Oktober 1973 die bedingte Entlassung für den 8. November 1973; eine Einsprache Utigers vom 16. November 1973 wies sie ab.
Utiger beschwerte sich beim Regierungsrat des Kantons Bern mit dem Begehren um Feststellung, der Entlassungsbeschluss der Polizeidirektion sei so spät erfolgt, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch geworden sei. Der Regierungsrat wies die Beschwerde am 10. September 1974 ab.
B.-
Utiger führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass der Entscheid der Polizeidirektion vom 18. Oktober 1973 derart spät erfolgte, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch wurde, und dass diese Verspätung eine Rechtsverweigerung bzw. eine Rechtsverzögerung darstelle.
Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Den materiellen Gehalt des angefochtenen Entscheides, nämlich die Feststellung, das die am 8. November statt schon am 15. Oktober 1973 erfolgte bedingte Entlassung vor
Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
standhalte, ficht Utiger ausdrücklich nicht an.
2.
Die Rüge der Rechtsverzögerung richtet sich gegen die im Entscheid des Regierungsrates enthaltene angeblich unrichtige Feststellungsverfügung (Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 25 VwG; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 31 N. 4.6.3), mit der zwar die Legitimation des Beschwerdeführers zur Stellung des fraglichen Begehrens bejaht, dessen Begründetheit aber verneint wurde. Damit behauptet Utiger nicht eine noch bestehende Rechtsverzögerung, die nach
Art. 97 Abs. 2 OG
als Verfügung gelten und daher Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden könnte. Vielmehr wiederholt er das vor dem Regierungsrat gestellte Begehren um Feststellung einer angeblich früher bestandenen, inzwischen aber behobenen unrechtmässigen Verzögerung einer Verfügung. Ob ein solches Begehren vor Bundesgericht zulässig sei, ist nach den Grundsätzen zu entscheiden, die das Bundesgericht zu
Art. 25 BZP
und
BGE 100 Ib 325 S. 327
Art. 25 VwG aufgestellt hat. Danach kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches und aktuelles Interesse an sofortiger Feststellung hat. Ob ein solches Interesse besteht, hat der Richter von Amtes wegen zu prüfen (
BGE 97 II 375
,
BGE 99 Ib 276
). Sache der Partei ist es, ihr Interesse zu substanzieren.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die verlangte Feststellung sei geeignet, die zuständige Behörde zu veranlassen, ihre unhaltbare Praxis zu revidieren, und "ihn in gewisser Weise zu rehabilitieren". Damit ist kein rechtlich geschütztes Interesse nachgewiesen.
a) Das Bestreben, die Behörde zu einer Änderung ihrer Praxis zu veranlassen, hat keinen Bezug auf die Rechtsfolgen im konkreten Falle. Zur Feststellung von bloss abstrakten Rechtsfragen des objektiven Rechts ist jedoch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegeben (s. analog zu
Art. 25 BZP
BGE 80 II 366
und STORCK, Die "eidgenössische" Feststellungsklage und ihre Formulierung, SJZ 1973 S. 195).
b) Eine Rehabilitierung im Rechtssinne (
Art. 76 ff. StGB
) vermag eine Feststellung der angeblichen Rechtsverzögerung ebenfalls nicht zu bewirken. Auf eine in einer solchen Feststellung für den Beschwerdeführer anscheinend liegende gefühlsmässige Genugtuung hat er schon deswegen keinen Anspruch, weil er selber erklärt, den Entscheid des Regierungsrats insoweit nicht anzufechten, als die Entlassung auf den 15. Oktober 1973 abgelehnt und erst für den 8. November 1973 angeordnet wurde. Dann aber muss es dabei sein Bewenden haben, dass die Verschiebung der bedingten Entlassung auf den 8. November 1973 rechtlich begründet war und somit die behauptete Verzögerung des Entlassungsentscheids keine unrechtmässige Beeinträchtigung seiner Ehre zur Folge gehabt hat.
4.
Das Begehren um Feststellung einer Rechtsverweigerung scheint der Beschwerdeführer damit begründen zu wollen, dass die späte Zustellung des Entlassungsentscheids die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch gemacht habe. Er verkennt, dass der Gefangene keinen Rechtsanspruch darauf hat, den Entscheid über seine bedingte Entlassung so rechtzeitig vor dem frühestmöglichen Entlassungstermin zugestellt zu erhalten, dass er in der Lage wäre, noch vor diesem Termin ein Rechtsmittelverfahren durchzusetzen. Nach
Art. 38 Ziff. 1
BGE 100 Ib 325 S. 328
Abs. 1 StGB
kann die zuständige Behörde den zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilten bedingt entlassen, wenn er zwei Drittel der Strafe, bei Gefängnis mindestens drei Monate, verbüsst hat und wenn sein Verhalten während des Strafvollzugs nicht dagegen spricht und anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren. Somit hängt die bedingte Entlassung auch vom Verhalten des Täters während des Strafvollzugs ab, das neben anderen Umständen die Prognose der Behörde beeinflussen kann. Diese muss daher das Verhalten des Gefangenen grundsätzlich während der ganzen gesetzlichen Mindestdauer des Strafvollzuges würdigen können mit der Folge, dass ihr Entscheid nur verhältnismässig kurze Zeit vor der bedingten Entlassung erwartet werden kann. Besteht demnach kein Anspruch auf eine Entlassungsverfügung zu einem früheren Zeitpunkt, dann kann der Verurteilte auch kein Recht darauf haben, ein Rechtsmittelverfahren vor dem theoretisch frühestmöglichen Entlassungstermin einzuleiten und durchzuführen. Damit fehlt es an einem rechtlichen und aktuellen Interesse auf Feststellung einer Rechtsverweigerung in dem vom Beschwerdeführer gemeinten Sinne.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
cc99bf48-9d54-4570-98fb-31e40f436e9f | Urteilskopf
109 V 104
21. Arrêt du 20 avril 1983 dans la cause Hottelier contre Caisse cantonale genevoise de compensation et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 35 Abs. 1 IVG
, 25 Abs. 2 AHVG.
- Begriff der Ausbildung. Die Fortsetzung der Studien zur Erlangung eines höheren Universitätsgrades wie des Diploms oder Doktorats steht der Gewährung einer Rente im Sinne des
Art. 25 Abs. 2 AHVG
grundsätzlich nicht entgegen (Erw. 1).
- Massgebende Vergleichseinkommen für einen Universitätsassistenten (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 109 V 104 S. 104
A.-
Georges Hottelier a été mis au bénéfice d'une rente entière de l'assurance-invalidité dès le 1er décembre 1979 et de rentes complémentaires pour son épouse et son fils Michel, né en 1958. Ce dernier a obtenu sa licence en droit en juillet 1980 et, dès le 1er octobre suivant, a pris une charge d'assistant à temps partiel à la Faculté de droit de l'Université de Genève, moyennant une rétribution annuelle de 16'178 francs, correspondant à 50% d'un poste d'assistant à plein temps. Cette charge a été portée, dès le
BGE 109 V 104 S. 105
1er octobre 1981, et pour une durée de deux ans, à 80% d'une charge complète, le traitement annuel se montant à 28'255 francs. Parallèlement à cette activité d'assistant, Michel Hottelier était inscrit à la faculté précitée comme étudiant régulier en vue de l'obtention d'un diplôme d'études supérieures en droit.
Par décision du 3 septembre 1981, la Caisse cantonale genevoise de compensation a informé Georges Hottelier de la suppression, dès le 1er octobre 1981, de la rente complémentaire pour enfant qui lui était servie pour son fils Michel, motif pris que ce dernier ne poursuivait plus aucune formation professionnelle.
B.-
Saisie d'un recours de Georges Hottelier, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS l'a rejeté par jugement du 15 décembre 1981.
C.-
Georges et Michel Hottelier interjettent recours de droit administratif, concluant à l'annulation du jugement entrepris et au rétablissement de la rente complémentaire pour enfant dès la date de sa suppression. Ils estiment que le raisonnement des premiers juges, consistant à nier le caractère de perfectionnement professionnel de l'emploi de Michel Hottelier, est erroné. Ils soutiennent par ailleurs que la poursuite d'études universitaires supérieures (diplôme d'études supérieures en droit ou doctorat), succédant à l'obtention de la licence, doit être considéré comme une "véritable formation à part entière". Enfin, ils font valoir que le revenu perçu par Michel Hottelier étant inférieur à la limite des 3/4 de la rémunération d'un assistant à plein temps, la suppression de la rente complémentaire pour enfant est injustifiée.
La Caisse cantonale genevoise de compensation conclut au rejet du recours, alors que l'Office fédéral des assurances sociales s'en rapporte à justice.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Aux termes de l'
art. 35 al. 1 LAI
, les hommes et les femmes qui peuvent prétendre une rente d'invalidité ont droit à une rente pour chacun des enfants qui, au décès de ces personnes, auraient droit à la rente d'orphelin de l'AVS. A teneur de l'art. 25 al. 2 in fine LAVS, pour les enfants qui font un apprentissage ou des études, le droit à la rente dure jusqu'à la fin de l'apprentissage ou des études, mais au plus jusqu'à l'âge de 25 ans révolus.
On considère comme étudiants ou apprentis les orphelins qui fréquentent, pendant une certaine durée, des écoles ou des cours,
BGE 109 V 104 S. 106
ou qui suivent une formation professionnelle. On entend par formation professionnelle toute activité qui a pour but de préparer d'une manière systématique à une future activité lucrative et pendant laquelle l'intéressé touche, compte tenu du caractère de cette activité, qui est avant tout celui d'une formation, un revenu sensiblement inférieur à celui qu'un travailleur qualifié percevrait dans les mêmes circonstances ou dans la même branche (
ATF 108 V 54
consid. 1a et les arrêts cités).
b) En l'espèce, bien qu'ayant obtenu sa licence en droit en juillet 1980, Michel Hottelier est toujours inscrit à l'Université de Genève comme étudiant régulier se préparant au diplôme d'études supérieures en droit. Doit-il à ce titre être considéré comme faisant des études au sens de l'
art. 25 al. 2 LAVS
? Il convient tout d'abord de relever qu'en principe, toute formation professionnelle entreprise doit pouvoir être conduite à son terme. Ainsi, dans le domaine universitaire, il n'est pas douteux que la formation va au moins jusqu'au titre - ordinairement la licence - qui la sanctionne. Mais les études que l'orphelin, titulaire d'un premier grade universitaire, poursuit en vue de l'obtention d'un grade supérieur ont aussi le caractère d'études au sens de l'
art. 25 al. 2 LAVS
. Il y a donc lieu d'admettre que Michel Hottelier, qui prépare un diplôme d'études supérieures en droit, titre intermédiaire entre la licence et le doctorat, impliquant des cours et des examens, satisfait aux conditions ouvrant le droit à une rente pour enfant, complémentaire à la rente d'invalidité de son père. Il en serait de même, sous réserve de la limite d'âge de 25 ans, si l'obtention de ce diplôme l'incitait à poursuivre par la rédaction d'une thèse de doctorat.
2.
a) La jurisprudence, sanctionnant le ch. 193 des Directives concernant les rentes, refuse le droit à la rente pour celui qui étudie tout en consacrant la plus grande partie de son temps à une activité lucrative. Le critère, quantitatif, est fondé sur une comparaison de revenus et non pas sur une comparaison de temps. On est en présence d'une formation professionnelle - fondant le droit à la rente - lorsque l'intéressé perçoit un revenu sensiblement inférieur à celui qu'un travailleur qualifié toucherait dans les mêmes circonstances ou la même branche. La rémunération est réputée beaucoup moins élevée si elle est, après déduction des frais de formation, inférieure de plus de 25% à la rémunération initiale usuelle d'un tel travailleur (
ATF 108 V 54
consid. 1a et les arrêts cités).
BGE 109 V 104 S. 107
b) L'un des termes de la comparaison est connu et incontesté: c'est le traitement de Michel Hottelier pendant l'année universitaire 1981/1982, qui s'élève à 28'255 francs. L'autre doit être déterminé.
Les premiers juges ont admis que la limite des 75% de la rémunération initiale d'un travailleur bénéficiant d'une formation complète, dans la branche en cause, n'était pas atteinte. Ils se sont fondés à cet égard sur le tableau des traitements accordés par l'Etat de Genève aux assistants pendant l'année 1981, en se référant au traitement annuel d'un assistant à plein temps après achèvement de son doctorat, soit 40'423 francs ou 42'181 francs. Cette base de comparaison ne saurait être admise, car elle met en parallèle deux situations qui ne sont pas comparables: celle d'un assistant licencié en droit, non titulaire du diplôme d'études supérieures (auquel il aspire), engagé et rémunéré sur la base de six à huit semestres d'études accomplies, et celle d'un assistant titulaire du doctorat, impliquant onze semestres universitaires ou plus. Or, force est de constater que Michel Hottelier ne satisfait pas aux exigences de cette catégorie d'assistants. Le calcul de la commission cantonale de recours est ainsi faussé à la base.
En fait, Michel Hottelier perçoit proportionnellement le même revenu qu'un autre juriste qui assumerait un poste d'assistant à l'Université dans les mêmes conditions, et qui travaillerait à plein temps parce que, par hypothèse, il ne préparerait pas de thèse de doctorat ou de diplôme d'études supérieures. La différence provient du fait que, pour pouvoir consacrer un temps suffisant à la préparation de son diplôme, Michel Hottelier occupe un poste à temps partiel seulement, pour lequel il perçoit 80% d'une rémunération complète.
Certes, les recourants font-ils valoir que l'assistant universitaire consacre une partie de son temps à l'approfondissement de sa formation ou à la préparation de sa thèse; l'Université de Genève admet une telle pratique, qu'elle sanctionne même par son règlement, et qui semble être courante dans d'autres universités. Mais on ne peut rien déduire de cet avantage dont bénéficient ceux des candidats au diplôme d'études supérieures ou au doctorat qui ont eu la possibilité de devenir assistant.
On se demandera encore si la comparaison des revenus peut se fonder sur d'autres bases. On ne saurait en effet négliger le fait que le licencié en droit - qui renonce à approfondir ses connaissances et à postuler d'autres grades universitaires - est disponible sur le
BGE 109 V 104 S. 108
marché pour des postes qui peuvent être mieux rémunérés que la fonction d'assistant. La difficulté de trouver une base de comparaison tient alors à la grande diversité des rémunérations possibles, que ce soit dans la fonction publique ou dans le secteur privé, et aussi au fait que l'assistant universitaire se trouve dans une situation ambiguë. Titulaire d'une licence, il a acquis une formation qui est considérée en général comme achevée, mais sa situation particulière d'assistant implique ordinairement la poursuite d'un objectif plus élevé. Dans ces circonstances, seul correspond à la rémunération initiale usuelle d'un travailleur placé dans des conditions semblables le gain effectif de l'assistant à plein temps se trouvant dans une situation comparable quant aux semestres accomplis. Il y a dès lors lieu de se fonder, pour la comparaison des gains, sur l'échelle des traitements des assistants à plein temps. Or Michel Hottelier perçoit, en tant qu'assistant, un revenu supérieur à la limite jurisprudentielle de 75%.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est rejeté. | null | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cca14ab8-5f60-4b5c-97de-23ac2a8ad8ec | Urteilskopf
102 Ia 209
33. Auszug aus dem Urteil vom 23. April 1976 i.S. Firma X. AG und Y., Verwaltungsrat, gegen Stiftung Z. | Regeste
Art. 4 BV
; Richterliche Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung der Aktionäre gemäss
Art. 699 Abs. 4 OR
.
Anforderungen an die Berechtigung zum Begehren um Einberufung einer Generalversammlung bei Inhaberaktien. | Sachverhalt
ab Seite 209
BGE 102 Ia 209 S. 209
Die X. AG unterhielt bei der Basler Kantonalbank ein Safe, zu dem Q. kraft Vollmacht der Firma unbeschränkten Zugang hatte. Im Safe befanden sich u.a. die Zertifikate für 49 der 50 Inhaberaktien der X. AG. Nachdem Q. am 11. Januar 1976 gestorben war, händigte Y., einziger Verwaltungsrat der X. AG, der Witwe und zwei Söhnen des Verstorbenen die 49 bei der Basler Kantonalbank deponierten Aktientitel der X. AG aus. Am 30. Januar 1976 verlangte der Vertreter der Stiftung Z. gestützt auf
Art. 699 Abs. 3 OR
von Y. die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung der X. AG zwecks Abberufung und Neuwahl der Verwaltung und Kontrollstelle. Als Y. dem Begehren nicht entsprach, beantragte die Stiftung Z. gemäss
Art. 699 Abs. 4 OR
die richterliche Einberufung einer Generalversammlung der X. AG, welcher der Bezirksgerichtspräsident Unterlandquart mit Entscheid vom 17. März 1976 entsprach. Hiegegen führen die
BGE 102 Ia 209 S. 210
X. AG und Y. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, u.a. aus folgender
Erwägungen
Erwägung:
2.
Die Beschwerdeführer erachten den angefochtenen Entscheid als willkürlich, weil ihrer Meinung nach gewichtige Anhaltspunkte bestehen, dass die Stiftung Z. nicht berechtigt ist, über die Inhaberaktien zu verfügen und es ihr daher auch nicht zusteht, aufgrund von
Art. 699 Abs. 3 und 4 OR
die Einberufung einer Generalversammlung zu verlangen.
Für das Begehren um Einberufung einer Generalversammlung im Sinne von
Art. 699 Abs. 4 OR
genügt es, wenn der Gesuchsteller dem Richter glaubhaft macht, dass er Aktionär ist (Urteil des Bundesgerichts vom 8. November 1938 i.S. Dimtza in SemJud 61/1939, S. 425 f.; V. STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. A., Zürich 1970, N. 27, S. 188). Bei Inhaberaktien gilt der Inhaber des Titels als zur Einberufung legitimiert, wobei der Gesellschaft der Gegenbeweis offensteht (BÜRGI, N. 20 zu
Art. 699 OR
). Aufgrund einer Bescheinigung der Schweiz. Kreditanstalt Buchs/SG vom 2. Februar 1976 befinden sich die 49 Inhaberaktien der Firma X. AG, welche Y. der Witwe und zwei Söhnen des verstorbenen Q. ausgehändigt hatte, im Depot der Stiftung Z., und diese ist somit Inhaberin der Titel. Die Beschwerdeführer streiten ihr jedoch die Berechtigung an diesen Titeln ab. Sie wenden vor allem ein, Y. sei für das Gesuch um Einberufung einer Generalversammlung keine Erbbescheinigung der Familienangehörigen von Q. vorgelegt worden, woran sie verschiedene Vermutungen hinsichtlich einer fehlenden Erbberechtigung der Familienmitglieder des Verstorbenen knüpfen. Aus diesen Vermutungen und aus der Tatsache, dass die Inhaberaktien durch eine unbekannte Stiftung Z. vorgelegt wurden, schliessen die Beschwerdeführer auf eine mangelnde Berechtigung der Titelinhaberin an den Aktien der X. AG. Der Bezirksgerichtspräsident erblickte in diesen Vermutungen und den Schlüssen, die die Beschwerdeführer daraus zogen, keinen Gegenbeweis dafür, dass die Stiftung Z. nicht berechtigt war, über die Inhaberaktien zu verfügen und die richterliche Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung gemäss
Art. 699 Abs. 4 OR
zu verlangen.
BGE 102 Ia 209 S. 211
Diese Auffassung des Bezirksgerichtspräsidenten kann nicht als unhaltbar bezeichnet werden. Wie das Bundesgericht bereits im angeführten Urteil i.S. Dimtza hervorgehoben hat, entspricht
Art. 699 Abs. 4 OR
den praktischen Bedürfnissen und soll eine dringliche Einberufung einer Generalversammlung ermöglichen. Danach ist der Richter nicht verpflichtet, die Besitzfrage der Aktien endgültig zu klären oder zu entscheiden, da in diesem Fall kaum mit der nötigen Schnelligkeit vorgegangen werden könnte. Die streitigen Sachfragen können an der Generalversammlung vorgebracht werden (a.a.O. S. 426). Die eingewendeten Bedenken und Vermutungen gegenüber der Berechtigung der Stiftung Z. verlieren zudem durch das Verhalten der Beschwerdeführer selbst an Gewicht. So hat die nun geltendgemachte mangelnde Erbbescheinigung Y. seinerzeit jedenfalls nicht gehindert, die Aktientitel überhaupt herauszugeben. Ferner sind die Beschwerdeführer, die angesichts der Vorweisung der Aktien durch eine unbekannte Stiftung Z. zur Vorsicht mahnen, in der Vernehmlassung zum kantonalen Verfahren selbst davon ausgegangen, dass hinter der Stiftung die Familienangehörigen des Verstorbenen stehen. Schliesslich fehlt jeder Hinweis darauf, welche Personen nach Auffassung der Beschwerdeführer die wirklichen Berechtigten an den Aktien sind.
Der Vorwurf der Willkür erweist sich somit als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
cca1d351-27f0-4454-a60f-a74a1df338ff | Urteilskopf
117 V 23
3. Extrait de l'arrêt du 5 février 1991 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre R. et Commission cantonale fribourgeoise de recours en matière d'assurances sociales | Regeste
Art. 29 Abs. 1 (in der Fassung bis 31. Dezember 1987) und
Art. 48 Abs. 2 IVG
,
Art. 29bis IVV
: Beginn des Anspruchs auf eine Invalidenrente; Wartezeit.
Art. 29bis IVV
ist auch anwendbar, wenn der Rentenanspruch weniger als drei Jahre vor Wiederaufleben der Invalidität wegen einer auf dasselbe Leiden zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit entstanden wäre, der Versicherte den Anspruch aber verspätet geltend gemacht hat. | Erwägungen
ab Seite 24
BGE 117 V 23 S. 24
Extrait des considérants:
2.
L'assuré a présenté la demande de prestations de l'assurance-invalidité le 13 janvier 1987. Il est constant que les premières atteintes du mal dont il souffrait sont apparues au mois d'octobre 1984, l'obligeant à interrompre ses études pour la durée d'une année. Tant l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) que les premiers juges en déduisent que, toutes autres conditions étant réalisées, l'assuré aurait, de ce fait, pu prétendre une rente d'invalidité à partir du 1er octobre 1985. Sur le vu du dossier, notamment le rapport d'expertise du Centre hospitalier universitaire vaudois du 14 août 1987, il n'y a pas lieu de remettre en cause cette appréciation.
Par ailleurs, il est constant qu'après avoir repris ses études au mois de novembre 1985, l'assuré a de nouveau dû les interrompre en raison de sa maladie au mois de mars 1987, pour ne les reprendre qu'au mois de janvier 1988.
Dans son prononcé du 30 mars 1988, la commission de l'assurance-invalidité a considéré que le droit de l'assuré à une rente était né le 1er mars 1987, à l'issue d'une période de carence de 360 jours, et avait pris fin le 31 janvier 1988. Elle dut pourtant revenir sur ce prononcé à réception des instructions de l'OFAS. Celui-ci était d'avis que l'
art. 29bis RAI
n'était pas applicable dans un tel cas, puisque, en raison de la tardiveté de sa demande, l'intéressé n'avait pu effectivement bénéficier de la rente à laquelle il aurait eu droit, en principe, dès le 1er octobre 1985. L'autorité de surveillance reprend et développe ce point de vue dans son recours de droit administratif.
3.
a) Selon l'
art. 29 al. 1 LAI
, dans sa version - applicable en l'occurrence - valable jusqu'au 31 décembre 1987, l'assuré a droit à la rente dès qu'il présente une incapacité permanente de gain de la moitié au moins (variante I) ou dès qu'il a subi, sans interruption
BGE 117 V 23 S. 25
notable, une incapacité de travail de la moitié au moins en moyenne pendant 360 jours et qu'il présente encore une incapacité de gain de la moitié au moins (variante II). En principe, la période de carence de l'
art. 29 al. 1 LAI
(variante II) est censée commencer à courir dès qu'une diminution sensible de la capacité de travail est apparue. Au-dessous d'un certain minimum, cette diminution est sans importance pour le calcul de l'incapacité moyenne de travail selon la seconde variante. D'après la jurisprudence, une diminution de 25% doit déjà être qualifiée d'importante (
ATF 104 V 143
consid. 2a, 191 consid. a,
ATF 96 V 39
consid. 3c).
Aux termes de l'
art. 29bis RAI
, si la rente a été supprimée du fait de l'abaissement du degré d'invalidité et que l'assuré, dans les trois ans qui suivent, présente à nouveau un degré d'invalidité ouvrant le droit à la rente en raison d'une incapacité de travail de même origine, on déduira de la période d'attente, que lui imposerait l'
art. 29 al. 1 LAI
, celle qui a précédé le premier octroi.
b) Selon l'
art. 48 al. 2 LAI
, si l'assuré présente sa demande plus de douze mois après la naissance du droit, les prestations ne sont allouées que pour les douze mois précédant le dépôt de la demande. Elles sont allouées pour une période antérieure si l'assuré ne pouvait pas connaître les faits ouvrant droit à prestations et qu'il présente sa demande dans les douze mois dès le moment où il en a eu connaissance.
En l'espèce, tant l'administration que les premiers juges sont d'avis que les conditions exceptionnelles qui permettent d'allouer des prestations à un assuré pour une période antérieure aux douze mois précédant le dépôt de la demande, au sens de l'
art. 48 al. 2, seconde phrase, LAI
, ne sont pas réalisées. Compte tenu des strictes exigences auxquelles le Tribunal fédéral des assurances subordonne l'application de cette norme légale (cf. p.ex. RCC 1984 p. 420 consid. 1; VALTÉRIO, Droit et pratique de l'assurance-invalidité, les prestations, p. 305 s.), cette appréciation doit être confirmée. En effet, s'il est vrai que la lente dégradation de l'état de santé de l'assuré et l'erreur de diagnostic initiale n'ont sans doute pas permis à ce dernier, ni à ses parents, de se rendre compte immédiatement du risque de survenance d'une invalidité, il n'en demeure pas moins qu'à partir du printemps 1985 en tout cas, ils connaissaient les faits susceptibles d'ouvrir droit à des prestations de l'assurance-invalidité, notamment en raison de l'interruption des études provoquée par la maladie de l'assuré.
BGE 117 V 23 S. 26
Pour autant, le point de vue de l'office recourant ne saurait être partagé. En effet, la date à laquelle la demande est déposée (
art. 67 RAI
) détermine le début du versement de la rente mais non pas la naissance du droit qui peut fort bien être antérieure (
ATF 108 V 75
consid. 2a; RCC 1966 p. 56 consid. 2). C'est pourquoi, selon ce dernier arrêt, il faut aussi tenir compte des périodes d'incapacité de travail antérieures au dépôt de la demande pour établir si les conditions de la maladie de longue durée (période de carence de 360 jours) sont réalisées. Aussi, quelle que soit la lettre de l'
art. 29bis RAI
- sur laquelle se fonde principalement l'argumentation du recourant -, apparaît-il contraire à l'esprit de cette réglementation - dont le but consiste à faciliter un nouvel octroi d'une rente à l'assuré qui, après avoir pu reprendre momentanément une activité lucrative dans une mesure excluant le droit à une rente, est victime d'une reprise de son invalidité due à la même atteinte à la santé (RCC 1977 p. 19; cf. aussi RCC 1990 p. 40 consid. 2) - de l'interpréter aussi restrictivement que le voudrait l'OFAS. Ce qui est décisif, en effet, pour l'application de cette disposition réglementaire qui se fonde sur l'
art. 29 LAI
, c'est la date à laquelle un premier droit à une rente est né et non pas la date à laquelle l'assuré a fait valoir son droit.
En l'espèce, le droit de l'assuré à la rente est né le 1er octobre 1985 pour s'éteindre un mois plus tard, à la suite de la reprise des études universitaires. Le fait que ce droit n'a pas pu être exercé par l'intéressé en raison du dépôt tardif de sa demande ne doit pas empêcher ce dernier de bénéficier de la règle de l'
art. 29bis RAI
, faute de quoi il serait doublement pénalisé puisque non seulement il n'a pu bénéficier de la rente à laquelle il avait droit, en principe, au mois d'octobre 1985 mais qu'il aurait dû, de plus, subir une nouvelle période de carence de 360 jours d'incapacité de travail avant de pouvoir à nouveau prétendre une rente.
Cela étant, le jugement entrepris, selon lequel l'assuré a droit à une rente du 1er mars 1987 au 31 janvier 1988, n'est pas critiquable et le recours se révèle mal fondé. | null | nan | fr | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cca2ee88-14b4-45c2-9e44-919b811ef093 | Urteilskopf
141 V 530
59. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour de droit social dans la cause A. contre Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève (recours en matière de droit public)
9C_283/2015 du 11 septembre 2015 | Regeste a
Art. 39 Abs. 1 IVG
;
Art. 42 AHVG
;
Art. 23 ff. ZGB
;
Art. 13 ATSG
; Begriff des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts.
Das Recht auf eine ausserordentliche Invalidenrente setzt kumulativ Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz voraus. Unterscheidung des Begriffs Wohnsitz im Sinne von
Art. 13 Abs. 1 ATSG
und Art. 23 Abs. 1 erster Satz ZGB und desjenigen des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von
Art. 13 Abs. 2 ATSG
(E. 5).
Regeste b
Art. 39 Abs. 1 IVG
;
Art. 42 AHVG
;
Art. 8 und Anhang II FZA
; Art. 7, 70 und Anhang X der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; Export einer ausserordentlichen Invalidenrente.
Die ausserordentliche Invalidenrente ist eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne von Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Sie untersteht nicht dem Prinzip des Leistungsexports gemäss Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 531
BGE 141 V 530 S. 531
A.
A.a
Ressortissante suisse née en 1994, A. présente, à la suite d'une hémorragie intra-ventriculaire et parenchymateuse survenue à la naissance, une hémiplégie congénitale gauche, un drainage ventriculo-péritonéal ainsi qu'une épilepsie partielle, associés à un déficit intellectuel modéré et une autonomie limitée. Vivant avec ses parents en France, elle a fréquenté à compter du mois de septembre 1998 différentes écoles spécialisées situées dans la République et canton de Genève. L'Office de l'assurance-invalidité pour les assurés résidant à l'étranger a contribué aux frais de formation scolaire spéciale jusqu'au 31 décembre 2007. De même a-t-il pris en charge les mesures médicales liées à l'infirmité congénitale, l'octroi de moyens auxiliaires ainsi que les frais de transport entre le domicile et les écoles fréquentées par l'assurée.
A.b
D'après le registre de l'Office cantonal de la population de la République et canton de Genève, A. est domiciliée depuis le 1
er
février 2012 dans la commune de E. à l'adresse de F. Par ordonnance du 22 octobre 2012, le Tribunal tutélaire de la République et canton de Genève (aujourd'hui: le Tribunal de protection de l'adulte et de l'enfant de la République et canton de Genève) a prononcé l'interdiction de A. et désigné, en qualité de co-tuteurs, d'une part, ses parents, BB. et CB., pour les aspects personnel, social et médical de la mesure et, d'autre part, F. pour les aspects administratifs et financiers de la mesure. Par ordonnance du 6 décembre 2013, F. a été relevée de ses fonctions et D. désignée en qualité de co-curatrice de portée générale chargée des aspects administratifs et financiers de la mesure.
BGE 141 V 530 S. 532
A.c
A. ayant été admise à compter du 5 novembre 2012 au Centre de jour du foyer G. en qualité d'externe (avec deux nuits de dépannage par semaine), CB. a, le 2 novembre 2012, déposé pour le compte de sa fille une demande de prestations de l'assurance-invalidité tendant à l'octroi d'une allocation pour impotent auprès de l'Office de l'assurance-invalidité du canton de Genève (ci-après: l'office AI). Après avoir pris des renseignements auprès de l'Office cantonal de la population de la République et canton de Genève, l'office AI a fait procéder à une enquête à domicile chez la co-tutrice F. D'après le rapport d'enquête daté du 19 février 2013, l'assurée résidait et passait trois nuits par semaine ainsi qu'un week-end sur deux chez sa co-tutrice, dormait deux nuits par semaine dans l'institution qui l'accueillait et séjournait les week-ends restants chez ses parents. Par deux décisions des 17 et 25 avril 2013, l'office AI a, en raison d'une impotence grave, alloué à l'assurée une allocation pour mineur du 1
er
février au 31 octobre 2012, puis une allocation pour adulte à compter du 1
er
novembre 2012.
A.d
Le 6 septembre 2013, CB. a déposé une demande de prestations de l'assurance-invalidité tendant à l'octroi de mesures d'ordre professionnel ou d'une rente. Dans un projet de décision du 11 mars 2014, l'office AI a informé l'assurée qu'il entendait lui dénier le droit à une rente (extraordinaire) de l'assurance-invalidité, faute pour elle de s'être constituée un domicile en Suisse. Par courrier du 1
er
avril 2014, l'office AI a encore précisé que, malgré l'absence de domicile en Suisse, il n'allait pas revenir sur les décisions qu'il avait rendues en matière d'allocation pour impotent, ajoutant que le déménagement de parents résidant en France dans la République et canton de Genève pourrait suffire à admettre que leur enfant est domicilié en Suisse et, partant, ouvrir un droit aux prestations de l'assurance-invalidité. Malgré le désaccord exprimé par l'assurée, l'office AI a, par décision du 14 mai 2014, confirmé la teneur de son projet de décision, tout en précisant que le placement dans une institution effectué dans un but particulier ne permettait pas la création d'un nouveau domicile aussi longtemps que le séjour dans cette institution répondait encore au besoin initial.
B.
A. a déféré cette décision devant la Chambre des assurances sociales de la Cour de justice de la République et canton de Genève. Après avoir entendu les parents de l'assurée ainsi que D., la juridiction cantonale a, par jugement du 16 mars 2015, rejeté le recours.
C.
Agissant par la voie du recours en matière de droit public, A. demande au Tribunal fédéral de réformer le jugement cantonal, en ce
BGE 141 V 530 S. 533
sens que lui soit reconnu le droit à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité dès sa 18
e
année.
L'office AI conclut au rejet du recours, tandis que la Division des affaires internationales de l'Office fédéral des assurances sociales a renoncé à se déterminer.
Le recours a été rejeté.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Le litige a pour objet le droit de la recourante à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité à compter du 1
er
novembre 2012. Le jugement entrepris expose de manière complète les règles légales de droit interne (
art. 39 al. 1 LAI
en corrélation avec l'
art. 42 LAVS
) et la jurisprudence relatives à cette prestation, de sorte qu'il suffit d'y renvoyer.
3.
La juridiction cantonale a dénié à la recourante le droit à une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité. Elle a constaté en premier lieu que les dispositions de l'Accord du 21 juin 1999 entre la Confédération suisse, d'une part, et la Communauté européenne et ses Etats membres, d'autre part, sur la libre circulation des personnes (ALCP; RS 0.142.112.681) n'exigeaient pas de la Suisse qu'elle exportât les rentes extraordinaires de l'assurance-invalidité suisse si leur bénéficiaire résidait dans un Etat de l'Union européenne. Examinant dans un second temps si la recourante avait néanmoins son domicile et sa résidence habituelle en Suisse depuis le 1
er
février 2012, la juridiction cantonale a considéré que le centre de ses relations personnelles se situait en France, pays de la résidence effective de ses parents et dans lequel elle passait tous ses week-end. Le fait que la recourante et ses parents souhaitaient qu'elle s'établît en interne au foyer G. ne suffisait pas pour constituer un domicile ou un lieu de résidence habituelle en Suisse, dès lors que la recourante n'y passait, en l'état, que la journée. Finalement, la juridiction cantonale a estimé que la recourante ne pouvait se prévaloir du principe de la bonne foi pour obtenir une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité, en se fondant sur le fait qu'elle avait obtenu précédemment une allocation pour impotent. Les décisions rendues par l'office intimé étaient en effet fondées sur une "domiciliation artificielle de l'assurée à Genève", organisée par ses parents avec la collaboration de sa co-curatrice. L'attente ou l'espérance que l'octroi de cette prestation était susceptible d'éveiller chez les parents de l'assurée n'était
BGE 141 V 530 S. 534
pas légitime, car ils ne pouvaient ignorer que la condition du domicile n'était pas réalisée. S'ils avaient pensé de bonne foi que leur fille était valablement domiciliée en Suisse, ils n'auraient pas éprouvé le besoin de tenter de démontrer qu'elle résidait effectivement chez ses curatrices successives, ce qui n'était manifestement pas le cas.
4.
Eu égard à la nature du litige, il convient tout d'abord d'examiner si la recourante a désormais son domicile et sa résidence habituelle en Suisse. Dans la négative, il s'agira alors d'examiner si la recourante peut se prévaloir des dispositions de l'ALCP pour fonder un droit au versement d'une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité.
5.
5.1
Conformément à l'
art. 42 al. 1 LAVS
(en corrélation avec l'
art. 39 al. 1 LAI
), les ressortissants suisses qui ont leur domicile et leur résidence habituelle (
art. 13 LPGA
; RS 830.1) en Suisse ont droit à une rente extraordinaire s'ils ont le même nombre d'années d'assurance que les personnes de leur classe d'âge, mais n'ont pas droit à une rente ordinaire parce qu'ils n'ont pas été soumis à l'obligation de verser des cotisations pendant une année entière au moins. Ce droit revient également à leurs survivants. En vertu de l'
art. 13 LPGA
, le domicile correspond au domicile civil selon les art. 23 à 26 CC (al. 1), tandis que la résidence habituelle correspond au lieu où la personne concernée séjourne un certain temps même si la durée de ce séjour est d'emblée limitée (al. 2; sur le caractère autonome de ces deux notions, voir UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2
e
éd. 2009, n
os
13 ss ad
art. 13 LPGA
; voir également le Rapport du 27 septembre 1990 de la Commission du Conseil des Etats sur l'initiative parlementaire "Partie générale du droit des assurances sociales" [FF 1991 II 181, 245 ch. 41] et le Rapport du 26 mars 1999 de la Commission duConseil national de la sécurité sociale et de la santé sur l'initiative parlementaire "Droit des assurances sociales" [FF 1999 4168, 4198 ch. 52]).
5.2
Au sens des
art. 13 al. 1 LPGA
et 23 al. 1, 1
re
phrase, CC, le domicile civil de toute personne est au lieu où elle réside avec l'intention de s'y établir. La notion de domicile contient deux éléments: d'une part, la résidence, soit un séjour d'une certaine durée dans un endroit donné et la création en ce lieu de rapports assez étroits et, d'autre part, l'intention de se fixer pour une certaine durée au lieu de sa résidence qui doit être reconnaissable pour les tiers et donc
BGE 141 V 530 S. 535
ressortir de circonstances extérieures et objectives. Cette intention implique la volonté manifestée de faire d'un lieu le centre de ses relations personnelles et professionnelles. L'intention de se constituer un domicile volontaire suppose que l'intéressé soit capable de discernement au sens de l'
art. 16 CC
. Cette exigence ne doit pas être appréciée de manière trop sévère (
ATF 127 V 237
consid. 2c p. 240) et peut être remplie par des personnes présentant une maladie mentale, dans la mesure où leur état leur permet de se former une volonté (arrêt du Tribunal fédéral des assurances I 282/91 du 21 octobre 1992 consid. 2a). Le domicile d'une personne se trouve ainsi au lieu avec lequel elle a les relations les plus étroites, compte tenu de l'ensemble des circonstances. Le lieu où les papiers d'identité ont été déposés ou celui figurant dans des documents administratifs, comme des attestations de la police des étrangers, des autorités fiscales ou des assurances sociales constituent des indices qui ne sauraient toutefois l'emporter sur le lieu où se focalise un maximum d'éléments concernant la vie personnelle, sociale et professionnelle de l'intéressé (
ATF 136 II 405
consid. 4.3 p. 409 et les références).
Aux termes de l'art. 23 al. 1, 2
e
phrase, CC, le séjour dans une institution de formation ou le placement dans un établissement d'éducation, un home, un hôpital ou une maison de détention ne constitue en soi pas le domicile. Lors du placement dans un établissement par des tiers, on devra donc exclure régulièrement la création d'un domicile à cet endroit, l'installation dans l'établissement relevant de la volonté de tiers et non de celle de l'intéressé. Il en va en revanche autrement lorsqu'une personne majeure et capable de discernement décide de son plein gré, c'est-à-dire librement et volontairement, d'entrer dans un établissement pour une durée illimitée et choisit par ailleurs librement l'établissement ainsi que le lieu de séjour. Dans la mesure où, lors de l'entrée dans un établissement qui survient dans ces circonstances, le centre de l'existence est déplacé en ce lieu, un nouveau domicile y est constitué. L'entrée dans un établissement doit aussi être considérée comme le résultat d'une décision volontaire et libre lorsqu'elle est dictée par "la force des choses" (Zwang der Umstände), tel le fait de dépendre d'une assistance ou d'avoir des difficultés financières (
ATF 134 V 236
consid. 2.1 p. 239 et la référence).
5.3
Par résidence habituelle au sens de l'
art. 13 al. 2 LPGA
, il convient de comprendre la résidence effective en Suisse ("der tatsächliche Aufenthalt") et la volonté de conserver cette résidence; le centre de toutes les relations de l'intéressé doit en outre se situer en Suisse
BGE 141 V 530 S. 536
(
ATF 119 V 111
consid. 7b p. 117 et la référence). La notion de résidence doit être comprise dans un sens objectif, de sorte que la condition de la résidence effective en Suisse n'est en principe plus remplie à la suite d'un départ à l'étranger. En cas de séjour temporaire à l'étranger sans volonté de quitter définitivement la Suisse, le principe de la résidence tolère deux exceptions. La première concerne les séjours de courte durée à l'étranger, lorsque ils ne dépassent pas le cadre de ce qui est généralement admis et qu'ils reposent sur des raisons valables (visite, vacances, affaires, cure, formation); leur durée ne saurait dépasser une année, étant précisé qu'une telle durée ne peut se justifier que dans des circonstances très particulières. La seconde concerne les séjours de longue durée à l'étranger, lorsque le séjour, prévu initialement pour une courte durée, doit être prolongé au-delà d'une année en raison de circonstances imprévues telles que la maladie ou un accident, ou lorsque des motifs contraignants (tâches d'assistance, formation, traitement d'une maladie) imposent d'emblée un séjour d'une durée prévisible supérieure à une année (
ATF 111 V 180
consid. 4 p. 182; voir également arrêt 9C_729/2014 du 16 avril 2015 consid. 3).
5.4
Au regard des circonstances de la présente affaire, il n'y a pas lieu de considérer que la recourante a son domicile civil et sa résidence habituelle en Suisse pour la période du 1
er
novembre 2012 au 14 mai 2014, seule déterminante en l'espèce. Les démarches entreprises par les parents de la recourante afin de lui constituer un nouveau domicile civil en Suisse n'y changent rien. Certes a-t-il été procédé au dépôt des papiers le 1
er
février 2012 auprès de l'Office cantonal de la population. Cet élément ne constituait toutefois qu'un indice (cf.
ATF 125 III 100
consid. 3 p. 102), insuffisant en l'espèce à établir la volonté de la recourante de faire de la Suisse le centre de ses relations personnelles. A la lumière des faits retenus par la juridiction cantonale (consid. 10 du jugement attaqué), lesquels n'ont pas été remis en cause dans le cadre du présent recours, il convient de constater que la situation concrète de la recourante ne s'est pas modifiée entre celle qui prévalait avant sa majorité et celle qui avait cours jusqu'au 14 mai 2014, date de la décision administrative litigieuse: la recourante a continué, après comme avant, à passer les jours de la semaine dans l'institution - choisie par ses parents - qui l'a accueillie en Suisse et ses nuits - à quelques exceptions près - ainsi que ses week-ends chez ses parents en France. D'un point de vue objectif, on ne saurait y voir la manifestation, reconnaissable
BGE 141 V 530 S. 537
pour les tiers, de la volonté de la recourante de déplacer le centre de ses intérêts; le lieu de résidence effective de ses parents, lieu où la recourante dormait, passait son temps libre et laissait ses effets personnels (arrêt du Tribunal fédéral des assurances K 34/04 du 2 août 2005 consid. 3, in SVR 2006 KV n° 12 p. 38; voir également CHRISTIAN BRÜCKNER, Das Personenrecht des ZGB, 2000, p. 92 n. 319 ss), demeurait l'endroit avec lequel ses liens personnels étaient les plus intenses. Il importe à cet égard peu que la recourante passait la majeure partie de son temps éveillé au Centre de jour du foyer G. C'est également pour les mêmes raisons qu'il faut considérer que la résidence habituelle de la recourante se situait en France. Le point de savoir si le changement de domicile de la mère de l'assurée en octobre 2014 est susceptible de modifier ce résultat n'a pas à être examiné, seules les circonstances prévalant jusqu'à la date de la décision administrative litigieuse étant déterminantes.
5.5
C'est également en vain que la recourante allègue que la mise sous curatelle de portée générale prononcée par le Tribunal de protection de l'adulte et de l'enfant de la République et canton de Genève aurait fondé un domicile civil dans ce canton en vertu de l'
art. 26 CC
. La jurisprudence a en effet précisé que la mise sous tutelle ne crée pas un domicile au siège de l'autorité tutélaire, s'il n'en existait pas déjà un avant la mesure tutélaire (
ATF 135 V 249
consid. 4.4 p. 253). Ce principe continue à s'appliquer après l'entrée en vigueur, au 1
er
janvier 2013, des nouvelles dispositions sur la protection de l'adulte, singulièrement lorsqu'est instituée une curatelle de portée générale.
6.
6.1
La recourante fait encore valoir une violation du principe de la bonne foi. Elle estime que la décision rendue le 25 avril 2013 en matière d'allocation pour impotent par l'office intimé était de nature à faire croire qu'une décision similaire concernant l'octroi d'une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité allait suivre. Ses parents n'étaient pas en mesure de se rendre compte que cette décision n'était peut-être pas fondée en droit, ce d'autant que l'office intimé n'avait jamais prétendu qu'il n'était pas compétent pour la rendre. Or c'est sur la foi de cette décision que ses parents avaient décidé le maintien de son placement au foyer G., leur occasionnant ainsi des frais de pension qu'ils pensaient pouvoir couvrir avec la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité.
BGE 141 V 530 S. 538
6.2
Découlant directement de l'
art. 9 Cst.
et valant pour l'ensemble de l'activité étatique, le principe de la bonne foi protège le citoyen dans la confiance légitime qu'il met dans les assurances reçues des autorités, lorsqu'il a réglé sa conduite d'après des décisions, des déclarations ou un comportement déterminé de l'administration. Selon la jurisprudence, un renseignement ou une décision erronés de l'administration peuvent obliger celle-ci à consentir à un administré un avantage contraire à la réglementation en vigueur, à condition que l'autorité soit intervenue dans une situation concrète à l'égard de personnes déterminées, qu'elle ait agi ou soit censée avoir agi dans les limites de ses compétences et que l'administré n'ait pas pu se rendre compte immédiatement de l'inexactitude du renseignement obtenu. Il faut encore qu'il se soit fondé sur les assurances ou le comportement dont il se prévaut pour prendre des dispositions auxquelles il ne saurait renoncer sans subir de préjudice et que la réglementation n'ait pas changé depuis le moment où l'assurance a été donnée (
ATF 131 II 627
consid. 6.1 p. 636 et les références).
6.3
En l'occurrence, la recourante n'a reçu aucune assurance concrète de la part de l'office intimé quant à l'issue de sa demande de rente extraordinaire de l'assurance-invalidité. En tant qu'elle se prévaut des décisions rendues par le même office dans la procédure en matière d'allocation pour impotent, elle perd de vue que ces deux procédures sont parfaitement distinctes et indépendantes. Le droit à une prestation d'assurance sociale repose sur l'examen des conditions propres à l'octroi de cette prestation et est fondé sur les éléments du dossier constitué pour les besoins de la procédure. Les décisions des 17 et 25 avril 2013 se rapportent exclusivement aux conditions du droit à une allocation pour impotent et ne contiennent aucune référence à une autre prestation de l'assurance-invalidité; elles ne peuvent dès lors créer une expectative en ce qui concerne l'octroi d'une prestation différente de l'assurance-invalidité, dont le droit dépend (en partie) d'autres conditions que celles qui ont été examinées par l'administration en rapport avec l'allocation pour impotent. Du seul fait que l'intimé a mentionné le 1
er
février 2012 comme date d'entrée en Suisse de la recourante dans la décision du 17 avril 2013, on ne peut déduire une promesse de l'administration quant à l'octroi d'une rente extraordinaire de l'assurance-invalidité. Le moyen soulevé est dès lors mal fondé.
7.
En l'absence de domicile en Suisse, il reste à examiner si la recourante peut déduire un droit à la prestation litigieuse des dispositions
BGE 141 V 530 S. 539
de l'ALCP et des règlements communautaires auxquels il renvoie, dont les parties ne contestent pas l'application en l'espèce, sous l'angle des champs d'application personnel, matériel et temporel. A cet égard, la recourante se prévaut du principe de l'exportation des prestations en espèces de sécurité sociale, au sens de l'art. 7 du Règlement (CE) n° 883/2004 du Parlement européen et du Conseil du 29 avril 2004 portant sur la coordination des systèmes de sécurité sociale (RS 0.831.109.268.1; ci-après: règlement n° 883/2004). Elle soutient que la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité constitue une prestation de la sécurité sociale au sens de l'
art. 3 par. 1 let
. c du règlement n° 883/2004, de sorte qu'elle est soumise au principe de l'exportation. Le fait qu'elle a été inscrite par la Suisse dans la liste des prestations spéciales en espèces à caractère non contributif (Annexe X du règlement n° 883/2004) ne serait pas déterminant, compte tenu de la jurisprudence de la Cour de justice de l'Union européenne.
7.1
7.1.1
Sous le titre "Levée des clauses de résidence", l'art. 7 du règlement n° 883/2004 prévoit que les prestations en espèces dues en vertu de la législation d'un ou de plusieurs Etats membres ou du présent règlement ne peuvent faire l'objet, à moins que le présent règlement n'en dispose autrement, d'aucune réduction, modification, suspension, suppression ou confiscation du fait que le bénéficiaire ou les membres de sa famille résident dans un Etat membre autre que celui où se trouve l'institution débitrice.
7.1.2
Cette disposition correspond en substance à l'art. 10 par. 1 du Règlement (CEE) n° 1408/71 du Conseil du 14 juin 1971 relatif à l'application des régimes de sécurité sociale aux travailleurs salariés, aux travailleurs non salariés et aux membres de leur famille qui se déplacent à l'intérieur de la Communauté (RO 2004 121; ci-après: règlement n° 1408/71), lequel était applicable jusqu'au 31 mars 2012 dans les relations entre la Suisse et les Etats membres de l'Union européenne (cf.
ATF 138 V 533
consid. 2.1 p. 535). Selon l'interprétation qu'a donnée la Cour de justice des Communautés européennes (CJCE, devenue entre-temps la Cour de justice de l'Union européenne) de l'art. 10 par. 1 du règlement n° 1408/71, le principe de la levée des clauses de résidence implique non seulement que la personne intéressée conserve le droit de bénéficier des pensions, rentes et allocations acquises en vertu de la législation de l'un ou de plusieurs Etats membres même après avoir fixé sa résidence dans un
BGE 141 V 530 S. 540
autre Etat membre, mais également qu'on ne puisse lui refuser l'acquisition d'un tel droit pour la seule raison qu'elle ne réside pas sur le territoire de l'Etat où se trouve l'institution débitrice (p. ex. arrêts de la CJCE du 10 juin 1982 92/81
Camera
, Rec. 1982 p. 2214 point 14; du 20 juin 1991 C-356/89
Newton
, Rec. 1991 I-3035 point 23; du 6 juillet 2000 C-73/99
Movrin
, Rec. 2000 I-5636 point 32 s.). Le Tribunal fédéral a précisé que la levée des clauses de résidence prévue par le droit communautaire conduit dans son résultat à mettre sur un pied d'égalité les territoires des Etats membres en ce qui concerne le droit aux prestations (
ATF 130 V 145
consid. 4.1 p. 147). En vertu de ce principe, les prestations en espèces doivent par conséquent être exportées dans l'Etat (membre de l'Union européenne) où réside le bénéficiaire ou les membres de sa famille (GÄCHTER/BURCH, Nationale und internationale Rechtsquellen, in Recht der sozialen Sicherheit, 2014, p. 37 ch. 1.108).
7.2
7.2.1
Selon l'art. 70 par. 1 et 3 du règlement n° 883/2004, l'art. 7 du règlement n° 883/2004 et les autres chapitres du Titre III du règlement n° 883/2004 ne s'appliquent pas aux "prestations spéciales en espèces à caractère non contributif" relevant d'une législation qui, de par son champ d'application personnel, ses objectifs et/ou ses conditions d'éligibilité, possède les caractéristiques à la fois de la législation en matière de sécurité sociale (art. 3 par. 1 du règlement n° 883/2004) et d'une assistance sociale. En vertu de l'art. 70 par. 4 du règlement n° 883/2004, ces prestations sont octroyées exclusivement dans l'Etat membre dans lequel la personne intéressée réside et conformément à sa législation; ces prestations sont servies par l'institution du lieu de résidence et à sa charge.
7.2.2
Aux termes de l'art. 70 par. 2 du règlement n° 883/2004, on entend par "prestations spéciales en espèces à caractère non contributif" les prestations:
a) qui sont destinées:
i) soit à couvrir à titre complémentaire, subsidiaire ou de remplacement, les risques correspondant aux branches de sécurité sociale visées à l'art. 3, par. 1, et à garantir aux intéressés un revenu minimal de subsistance eu égard à l'environnement économique et social dans l'Etat membre concerné,
ii) soit uniquement à assurer la protection spécifique des personnes handicapées, étroitement liées à l'environnement social de ces personnes dans l'Etat membre concerné; et
BGE 141 V 530 S. 541
b) qui sont financées exclusivement par des contributions fiscales obligatoires destinées à couvrir des dépenses publiques générales et dont les conditions d'attribution et modalités de calcul ne sont pas fonction d'une quelconque contribution pour ce qui concerne leurs bénéficiaires. Les prestations versées à titre de complément d'une prestation contributive ne sont toutefois pas considérées, pour ce seul motif, comme des prestations contributives; et
c) qui sont énumérées à l'annexe X.
7.2.3
Cette définition des prestations spéciales en espèces à caractère non contributif correspond à l'art. 4 par. 2
bis
du règlement n° 1408/ 71, tel qu'il avait été modifié par le Règlement (CE) n° 647/2005 du Parlement européen et du Conseil du 13 avril 2005 modifiant le règlement n° 1408/71 (JO L 117/1 du 4 mai 2005), et tient compte des principes posés en la matière par la CJCE dans ses arrêts rendus dans les affaires
Friedrich Jauch contre Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter
(arrêt du 8 mars 2001 C-215/99, Rec. 2001 I-1901) et
Ghislain Leclere et Alina Deaconescu contre Caisse nationale des prestations familiales
(arrêt du 31 mai 2001 C-43/99, Rec. 2001 I-4265). La CJCE était arrivée à la conclusion que l'art. 10
bis
du règlement n° 1408/71, disposition qui permettait sous l'ancien droit de déroger au principe de l'exportation des prestations de sécurité sociale, devait être interprété "strictement", cette disposition ne pouvant viser que les prestations qui satisfaisaient aux conditions fixées à l'art. 4 par. 2
bis
du même règlement, à savoir les prestations qui présentaient un caractère à la fois spécial et non contributif et qui étaient mentionnées à l'Annexe II
bis
dudit règlement (arrêt
Jauch
cité, point 21; cf. également
ATF 132 V 423
consid. 9.4.2 p. 439; sur le développement de la jurisprudence de la CJCE relative à l'art. 4
bis
du règlement n° 1408/71, voir JÜRGEN BESCHORNER, Die beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 4 Abs. 2a VO [EWG] Nr. 1408/ 71 in der Rechtsprechung des EuGH, ZESAR 2009 p. 321 ss).
7.3
7.3.1
A teneur de la let. d de l'inscription de la Suisse à l'Annexe X du règlement n° 883/2004, constituent des prestations spéciales en espèces à caractère non contributif les rentes extraordinaires non contributives en faveur d'invalides qui n'ont pas été soumis, avant leur incapacité de travail, à la législation suisse sur la base d'une activité salariée ou non salariée (au sens de l'
art. 39 LAI
).
7.3.2
La mention des rentes extraordinaires de l'assurance-invalidité au titre de prestations spéciales en espèces à caractère non contributif
BGE 141 V 530 S. 542
est nouvelle, puisqu'elle ne figurait pas dans l'annexe correspondante du règlement n° 1408/71 (Annexe II
bis
). Dans le cadre de la mise à jour de l'Annexe II ALCP destinée à intégrer le système modernisé de coordination des systèmes de sécurité sociale applicable au sein de l'Union européenne (à savoir principalement le règlement n° 883/2004 et le Règlement [CE] n° 987/2009 du Parlementeuropéen et du Conseil du 16 septembre 2009 fixant les modalités d'application du règlement [CE] n° 883/2004 portant sur la coordination des systèmes de sécurité sociale[RS 0.831.109.268.11]),la Confédération suisse a expressément demandé, dans la mesure où la réglementation s'appliquerait désormais également aux personnes non actives, que les rentes extraordinaires de l'assurance-invalidité soient incluses dans la liste des prestations spéciales en espèces à caractère non contributif (Proposition de la Commission européenne, du 28 juin 2010, de décision du Conseil relative à la position à adopter au nom de l'Union européenne au sein du comité mixte institué par l'accord du 21 juin 1999 entre la Communauté européenne et ses Etats membres, d'une part, et la Confédération suisse, d'autre part, sur la libre circulation des personnes en ce qui concerne le remplacement de l'annexe II sur la coordination des systèmes de sécurité sociale, p. 5 ss, document consultable à l'adresse:
www.eur-lex.europa.eu
[n° CELEX 52010PC0333]).
7.3.3
Afin de justifier sa position auprès des institutions européennes, la Confédération suisse a d'abord rappelé que pour pouvoir bénéficier d'une rente ordinaire de l'assurance-invalidité suisse, les personnes assurées devaient avoir versé des contributions pendant au moins trois ans au moment de la survenance de l'incapacité de travail. Les personnes handicapées depuis la naissance ou l'enfance ne pouvaient remplir cette condition, étant donné qu'elles étaient incapables de travailler avant d'atteindre l'âge à partir duquel les contributions étaient perçues. C'est pourquoi ces personnes avaient droit à une rente spéciale correspondant au montant de la rente d'invalidité ordinaire minimale. Cette rente était octroyée aux personnes de plus de 18 ans tant qu'elles vivaient en Suisse (proposition du 28 juin 2010 précitée, p. 8 et 9).
Selon les explications données par la Confédération suisse, il se justifiait d'inclure la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité dans la liste des prestations spéciales en espèces à caractère non contributif, parce qu'elle remplissait tous les critères requis pour être considérée comme une prestation spéciale à caractère non contributif
BGE 141 V 530 S. 543
au sens de l'art. 4 par. 2
bis
du règlement n° 1408/71 et de la jurisprudence de la CJCE y relative. Il s'agissait tout d'abord d'une prestation hybride (à caractère mixte): d'une part, elle présentait des caractéristiques propres à la sécurité sociale en ce sens que les intéressés avaient un droit clairement défini à cette prestation et qu'elle couvrait le risque d'invalidité; d'autre part, elle s'apparentait à l'assistance sociale, en ce qu'elle ne reposait pas sur des périodes d'activité ou de cotisation et qu'elle visait à atténuer un état de besoin en assurant un revenu minimal vital à un groupe socialement défavorisé (jeunes handicapés). La rente extraordinaire était ensuite une prestation spéciale, puisqu'elle constituait une allocation de remplacement destinée aux personnes qui ne remplissaient pas les conditions d'assurance pour obtenir une rente d'invalidité ordinaire; elle était étroitement liée au contexte socio-économique en Suisse, puisqu'elle correspondait à la pension minimale dans cet Etat. Enfin, la rente extraordinaire avait un caractère non contributif, parce qu'elle n'était pas financée par des contributions, mais exclusivement par la Confédération (proposition du 28 juin 2010 précitée, p. 8).
7.3.4
La proposition de modification de l'Annexe II ALCP a été entérinée par le Conseil de l'Union européenne le 6 décembre 2010 (JO L 209/1 du 17 août 2011). La modification a formellement été adoptée par la décision n° 1/2012 du 31 mars 2012 du Comité mixte (institué par l'accord entre la Communauté européenne et ses Etats membres, d'une part, et la Confédération suisse, d'autre part, sur la libre circulation des personnes) remplaçant l'annexe II dudit accord sur la coordination des systèmes de sécurité sociale (RO 2012 2345 et JO L 103/51 du 13 avril 2012).
7.4
En l'espèce, il n'existe aucun motif de s'écarter des considérations émises par la Suisse au cours des travaux préparatoires qui ont conduit à l'adoption de la décision n° 1/2012 du Comité mixte du 31 mars 2012 quant à la qualification de prestation spéciale en espèces à caractère non contributif de la rente extraordinaire d'invalidité non contributive en faveur d'invalides qui n'ont pas été soumis, avant leur incapacité de travail, à la législation suisse sur la base d'une activité salariée.
7.4.1
C'est en vain que la recourante se réfère à un avis doctrinal selon lequel la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité doit, faute de constituer une prestation complémentaire, subsidiaire ou de remplacement au sens de l'art. 70 par. 2 let. a point i du
BGE 141 V 530 S. 544
règlement n° 883/2004 ou une prestation étroitement liée à l'environnement social de la personne handicapée au sens de l'art. 70 par. 2 let. a point ii du règlement n° 883/2004, être considérée comme une prestation d'invalidité au sens de l'
art. 3 par. 1 let
. c du règlement n° 883/2004 et être soumise au principe de l'exportation des prestations de sécurité sociale (PATRICIA USINGER-EGGER, Die Verordnung [EG] Nr. 883/2004 und deren Durchführungsverordnung, JaSo 2013 p. 103 s.).
7.4.2
Contrairement à ce que soutient la recourante, la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité remplit tous les critères pour qu'elle puisse être considérée comme une prestation spéciale à caractère non contributif au sens de l'art. 70 par. 2 let. a point i du règlement n° 883/2004. Dans la mesure où elle n'est allouée que lorsque le droit à une rente ordinaire de l'assurance-invalidité n'est pas ouvert faute pour la condition de la durée minimale de cotisation d'être remplie (MEYER/REICHMUTH, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 3
e
éd. 2014, n° 1 ad
art. 39 LAI
), elle couvre, à titre de remplacement, le risque de l'invalidité (
art. 3 par. 1 let
. c du règlement n° 883/2004; sur la notion de remplacement, voir aussi MAXIMILIAN FUCHS, in Europäisches Sozialrecht, 6
e
éd. 2013, n° 11 ad art. 70 du règlement n° 883/2004), en permettant d'assurer, pour des considérations de nature économique et sociale, un revenu minimum aux personnes invalides de naissance ou depuis l'enfance qui n'ont jamais eu l'occasion de verser des cotisations jusqu'à l'ouverture du droit à la rente.
7.4.3
Ainsi que l'a fait valoir la Suisse au cours des travaux préparatoires qui ont conduit à l'adoption de la décision n° 1/2012 du Comité mixte du 31 mars 2012 (proposition du 28 juin 2010 précitée, p. 9), la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité n'est au demeurant pas sans présenter des similitudes avec la prestation servie au titre de la loi néerlandaise du 24 avril 1997 sur l'assurance contre l'incapacité de travail des jeunes handicapés (
Wet arbeidsongeschiktheidsvoorziening jonggehandicapten
; ci-après: la Wajong). A l'instar de la législation suisse, la Wajong néerlandaise prévoit le versement d'une prestation d'un niveau minimal aux jeunes qui sont déjà atteints d'une incapacité de travail totale ou partielle de longue durée avant leur entrée sur le marché du travail; la prestation ne peut être versée si le bénéficiaire ne réside pas aux Pays-Bas.
Invitée à se prononcer sur la qualification à donner à cette prestation, la CJCE a jugé que la prestation servie au titre de la Wajong
BGE 141 V 530 S. 545
devait être considérée comme une prestation spéciale à caractère non contributif au sens de l'art. 4 par. 2
bis
du règlement n° 1408/71 (aujourd'hui: art. 70 par. 1 du règlement n° 883/2004), de sorte que seule la règle de coordination de l'art. 10
bis
du règlement n° 1408/71 (dont le par. 1 correspond aujourd'hui à l'art. 70 par. 4 du règlement n° 883/2004) devait être appliquée et que ladite prestation ne pouvait bénéficier à quiconque résidait ailleurs qu'aux Pays-Bas. Elle a précisé que la prestation prévue par la Wajong était une allocation de remplacement destinée aux personnes qui ne remplissaient pas les conditions d'assurance pour obtenir une prestation d'invalidité au sens de l'art. 4 par. 1 let. b du règlement n° 1408/71 (aujourd'hui:
art. 3 par. 1 let
. c du règlement n° 883/2004). En assurant un revenu minimum à un groupe socialement faible (les jeunes handicapés), la prestation servie au titre de la Wajong présentait le caractère d'une aide sociale justifiée par des raisons économiques et sociales. Son octroi reposait, en outre, sur des critères objectifs définis par la loi. De plus, ladite prestation était étroitement liée au contexte socio-économique des Pays-Bas, puisqu'elle était fonction du salaire minimum et du niveau de vie dans cet Etat membre (arrêt de la CJCE du 6 juillet 2006 C-154/05
Kersbergen-Lap et Dams-Schipper
, Rec. 2006 I-6251, confirmé par arrêt de la CJCE du 11 septembre 2007 C-287/05
Hendrix
, Rec. 2007 I-6934).
7.5
Il résulte des considérations qui précèdent que la rente extraordinaire de l'assurance-invalidité ne fait pas partie des prestations soumises au principe de la levée des clauses de résidence définie à l'art. 7 du règlement n° 883/2004. C'est donc en vain que la recourante invoque cette disposition conventionnelle pour en déduire un droit à la prestation litigieuse. | null | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cca96287-4a97-44a6-8609-00127ed756be | Urteilskopf
115 III 138
30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1989 i.S. T. gegen G. (Berufung) | Regeste
Art. 285 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG
.
Liegt nur ein provisorischer Verlustschein vor, so braucht mit der Gutheissung einer Anfechtungsklage nicht zugewartet zu werden, bis ein endgültiger Verlustschein vorliegt, sofern in der betreffenden Betreibung später noch ein solcher ausgestellt werden kann. Die Gutheissung der Klage hat in dem Sinn zu erfolgen, dass das Anfechtungsobjekt nur verwertet werden darf, wenn in der hängigen Betreibung inzwischen ein endgültiger Verlustschein ausgestellt worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 138
BGE 115 III 138 S. 138
A.-
a) Mit öffentlich beurkundetem Ehevertrag vom 26. Mai 1982 wählten Hans und Anita G. anstelle des bisherigen ordentlichen Güterstandes der Güterverbindung jenen der allgemeinen Gütertrennung. Unter anderem vereinbarten sie, dass Forderungen gegenüber der Z. AG und weiteren juristischen Personen im Gesamtbetrag von Fr. 545'000.-- auf die Ehefrau übergehen sollten, zur Abgeltung ihrer Forderungen für eingebrachtes Gut und ihren Vorschlagsanteil.
BGE 115 III 138 S. 139
b) In einer Auseinandersetzung mit der Z. AG wurde Hans G. durch Rechtsanwalt T. vertreten. Am 5. Dezember 1984 zedierte der Klient einen allfälligen Prozessgewinn an seinen Rechtsvertreter, einstweilen mindestens bis zu einer Höhe von Fr. 100' 000.--. Am 6. Dezember 1984 schliesslich unterzeichnete Hans G. auch eine Abtretungserklärung zu Gunsten von Anita G. Zediert wurden, soweit nicht bereits Gegenstand einer anderen Forderungsabtretung, die erwarteten Guthaben aus nicht näher umschriebenen Verfahren vor Bezirksgericht Plessur und Kreisamt Chur.
In einer schriftlichen Vereinbarung vom 6. Februar 1986 anerkannte Hans G. gegenüber T. ein Restguthaben von Fr. 200'000.-- aus anwaltlichen Bemühungen, die für ihn und seine Frau erbracht worden seien. Mit Zahlungsbefehl Nr. 876636 des Betreibungsamtes Chur vom 9. November 1987 wurde Hans G. hiefür betrieben. Anlässlich der Pfändung vom 22. Januar 1988 stellte sich heraus, dass er nicht über genügend pfändbares Vermögen verfügte. In der Folge wurde dem Gläubiger am 22. Februar 1988 die als provisorischer Verlustschein wirkende Pfändungsurkunde ausgehändigt.
c) Am 16. September 1985 schlossen Hans und Anita G. mit der Z. AG und weiteren Beteiligten eine Vereinbarung ab, mit der sie die zwischen ihnen bestehenden Streitfragen bereinigten. Die Parteien erklärten, dass sie mit dem Vollzug der einzelnen Abmachungen per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt seien und dass sie in der Folge sämtliche Zivil- und Strafklagen zurückziehen würden. Unter anderem verpflichtete sich die Z. AG, dem Betreibungsamt Chur für Hans G. eine Zahlung von Fr. 150'000.-- zu leisten, um seine zur Zeit bekannten Betreibungsgläubiger zu befriedigen. Ausserdem übertrug die Z. AG Hans G. zu einem Anrechnungswert von Fr. 2'350'000.-- gegen Übernahme der bestehenden Hypotheken in der Höhe von Fr. 1'900'000.-- die Liegenschaft X-Strasse in C. In einem Nachtrag vom 17. Oktober 1985 kamen die gleichen Parteien überein, dass die genannte Liegenschaft statt auf Hans G. auf Anita G. übergehen solle und dass der Anrechnungspreis von Fr. 2'350'000.-- auf Fr. 2'100'000.-- reduziert werde. Ziffer 3 dieses Vertrages lautet sodann:
"3. Aufgrund von Besprechungen, die Hans G. mit dem Betreibungsamt Chur geführt hat, ist sich Hans G. darüber im klaren, dass es seine Angelegenheit ist, nach dem Abschluss der Vereinbarung sich mit seinen Gläubigern auseinanderzusetzen."
B.-
Mit Klage vom 11. Mai 1988 gegen Anita G. focht T. dieses Geschäft gestützt auf
Art. 288 SchKG
beim Bezirksgericht
BGE 115 III 138 S. 140
Plessur an. Am 30. August 1988 wies das Bezirksgericht die Klage ab. Dieses Urteil wurde am 7. Februar 1989 auf Berufung von T. hin vom Kantonsgericht von Graubünden bestätigt.
C.-
Gegen dieses Urteil hat T. Berufung erhoben. Wie bereits den kantonalen Instanzen beantragt er dem Bundesgericht im wesentlichen, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden sei aufzuheben. Die Rechtshandlung, mit welcher Hans G. seiner Ehefrau ihm aus dem Vertrag vom 16. September 1985 zukommende Rechte übertragen habe, insbesondere die Übernahme der Liegenschaft X-Strasse in C., sei im Sinne von
Art. 288 SchKG
für ungültig zu erklären. Dies zumindest insoweit, als der Kläger in der Betreibung Nr. 876636 des Betreibungsamtes Chur gegen Hans G. zu Verlust gekommen sei. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne. Auch das Kantonsgericht von Graubünden beantragt die Abweisung der Berufung und verzichtet auf Gegenbemerkungen unter Hinweis auf das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2.
Das Kantonsgericht hat die Klage in erster Linie deshalb abgewiesen, weil kein endgültiger Verlustschein vorliege. Der Kläger erblickt darin eine Verletzung von Bundesrecht, weil das Gesetz einen provisorischen Verlustschein genügen lasse und ihm das Vorlegen eines endgültigen Verlustscheins nicht möglich sei, da ein Widerspruchsverfahren zwischen ihm und der Beklagten über in der entsprechenden Betreibung gepfändete Gegenstände hängig sei.
a) Nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist das Vorliegen eines Verlustscheins eine Voraussetzung der Aktivlegitimation (
BGE 103 III 103
ff.; im Gegensatz zu
BGE 37 II 503
f., wo noch von Prozessvoraussetzung die Rede war). Bei einem provisorischen Verlustschein steht die Aktivlegitimation unter einer Resolutivbedingung. Wird bis zum Urteil kein endgültiger Verlustschein beigebracht, fällt sie dahin. Die Begründung liegt darin, dass der provisorische Verlustschein den Verlust des Gläubigers nicht zweifelsfrei auszuweisen vermag (
BGE 103 III 103
; AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1988, S. 424). Der Verlust kann erst als bewiesen gelten, wenn
BGE 115 III 138 S. 141
er amtlich festgestellt ist, ohne dass noch irgendein Einwand möglich wäre. Erst mit dem Ausstellen des endgültigen Verlustscheins wird die Grösse des Verlusts genau bestimmt. Die bisherige Rechtsprechung ging deshalb davon aus, dass der Gläubiger, welcher aufgrund eines provisorischen Verlustscheins klagte, einen endgültigen erwirken müsse, bevor das Urteil gefällt werde (
BGE 103 III 103
). Einer aufgrund eines provisorischen Verlustscheins eingeleiteten Klage kann namentlich dann kein Erfolg beschieden sein, wenn die Betreibung gar nicht mehr zu einem endgültigen Verlustschein führen kann (vgl.
BGE 96 III 116
;
BGE 103 III 104
f.).
Demgegenüber vertritt GILLIERON die Auffassung, der Verlustschein habe bei der Anfechtungsklage eine doppelte Bedeutung: Zum einen sei er eine objektive Prozessvoraussetzung. Wenn kein provisorischer oder endgültiger Verlustschein vorliege, sei auf die Klage gar nicht einzutreten (GILLIERON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1988, S. 399). Zum andern sei materiell das Vorliegen eines Schadens nötig. Dieser könne aber nur mit einem provisorischen oder endgültigen Verlustschein bewiesen werden (GILLIERON, a.a.O., S. 399 und 392). Insofern handelt es sich beim Verlustschein nach der Auffassung GILLIERONS auch um eine materielle Voraussetzung des Anspruchs.
Es sind materielle Überlegungen, welche das Bundesgericht dazu führen, einen provisorischen Verlustschein nicht vorbehaltlos als Ausweis der Aktivlegitimation anzuerkennen. Die anfechtbare Rechtshandlung ist grundsätzlich gültig. Der Anfechtungsbeklagte ist rechtmässiger Eigentümer des Vermögenswerts, der der Befriedigung des Gläubigers dienen soll. Es wird somit das Vermögen eines Dritten zur Befriedigung des Gläubigers herangezogen. Das soll aber nur dann geschehen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht (
BGE 96 III 115
). Das Erfordernis des Verlustscheins schützt somit in erster Linie den Anfechtungsbeklagten, der nicht eine Leistung aus seinem Vermögen erbringen müssen soll, solange der Schuldner leistungsfähig ist.
Im Gegensatz zur Ausdrucksweise, welche das Bundesgericht in
BGE 37 II 503
f. verwendet hat, handelt es sich beim Erfordernis eines Verlustscheins nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht um eine Prozessvoraussetzung, sondern um eine Frage der Aktivlegitimation, somit der materiellen Berechtigung des Anfechtungsklägers (
BGE 96 III 114
f.;
BGE 103 III 103
ff.). Wäre der Verlustschein eine Prozessvoraussetzung und fehlte er, müsste die Klage nicht abgewiesen werden, sondern es wäre auf sie nicht
BGE 115 III 138 S. 142
einzutreten (vgl. WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, Zürich 1983, S. 271).
Nachdem die Rechtsprechung davon abgekommen ist, im Vorliegen eines Verlustscheins nur eine Prozessvoraussetzung zu sehen, unterscheidet sie sich von der Auffassung GILLIERONS (a.a.O., S. 399) im wesentlichen dadurch, dass das Fehlen eines Verlustscheins nach der Auffassung des Bundesgerichts zur Abweisung der Klage führt, während nach GILLIERON auf die Klage nicht einzutreten wäre. Zudem scheint dieser Autor für den Entscheid über die materielle Berechtigung des Anspruchs auch einen provisorischen Verlustschein genügen zu lassen (a.a.O., S. 392), während das Bundesgericht grundsätzlich einen endgültigen verlangt.
Die Frage, ob das Fehlen eines Verlustscheins zur Abweisung der Klage führt oder diesfalls auf sie nicht einzutreten ist, kann im vorliegenden Fall offenbleiben, da unbestrittenermassen ein provisorischer Verlustschein vorliegt.
b) Mit Bezug auf die Frage, ob ein provisorischer Verlustschein für die materielle Berechtigung des Anspruchs ausreicht, gilt es zu beachten, dass auch das Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung ausnahmsweise einen solchen genügen liess. Eine entsprechende Ausnahme liegt vor und ein provisorischer Verlustschein genügt, wenn mit der Anfechtungsklage ein Drittanspruch beseitigt werden soll, der in derjenigen Betreibung erhoben wurde, welche zu diesem provisorischen Verlustschein geführt hat (
BGE 39 II 385
f.; bestätigt in
BGE 103 III 104
). In diesem Fall kann vor dem Abschluss des Widerspruchsverfahrens kein endgültiger Verlustschein beigebracht werden. Um das Widerspruchsverfahren abzuschliessen, muss aber die Anfechtungsklage beurteilt werden. Überdies kann auch dem Anfechtungsgegner kein ungerechtfertigter Schaden entstehen, da der Anfechtungsgegenstand im gleichen Betreibungsverfahren verwertet wird, das auch zum provisorischen Verlustschein geführt hat. Die Verwertung wird deshalb nur erfolgen, soweit die anderen Vermögenswerte tatsächlich nicht ausreichen, um die in Betreibung gesetzten Forderungen zu decken.
c) Der enge Zusammenhang zwischen Widerspruchsverfahren und Anfechtungsklage, welcher das Bundesgericht in
BGE 39 II 380
bewogen hat, ausnahmsweise ein Anfechtungsurteil auch bei Vorliegen eines nur provisorischen Verlustscheins zuzulassen, ist im zu beurteilenden Fall nicht gegeben. Das vom Kläger behauptete Widerspruchsverfahren läuft wohl zwischen den gleichen Parteien
BGE 115 III 138 S. 143
wie der Anfechtungsprozess; es dreht sich aber um andere Objekte. Die beiden Verfahren können gar nicht vereinigt werden. Die Prozessökonomie gebietet somit nicht, das Urteil schon aufgrund eines provisorischen Verlustscheins zuzulassen. Ebensowenig besteht die Sicherheit, dass ein positives Anfechtungsergebnis nur verwertet wird, wenn die in der Betreibung gepfändeten Gegenstände zur Befriedigung des Gläubigers nicht ausreichen. Die Verfahren sind vollständig getrennt.
Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Kläger in Anbetracht des von ihm behaupteten hängigen Widerspruchsverfahrens ein schutzwürdiges Interesse daran hat, mit der Anfechtungsklage nicht bis zum Vorliegen eines endgültigen Verlustscheins zuwarten zu müssen. Sonst könnte allenfalls die in
Art. 292 SchKG
vorgesehene Frist nicht eingehalten werden. Dem Kläger kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit er vom Vorliegen eines endgültigen Verlustscheins vollständig absehen will. Einer Anfechtungsklage ist trotz Vorliegens eines provisorischen Verlustscheins immer dann der Erfolg zu versagen, wenn in der betreffenden Betreibung gar kein endgültiger Verlustschein mehr ausgestellt werden kann, namentlich weil die Frist zur Stellung des Verwertungsbegehrens unbenutzt verstrichen ist. Insoweit ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten (
BGE 96 III 114
ff.;
BGE 103 III 103
ff.).
Dem legitimen Anliegen des Klägers, mit dem Anfechtungsurteil nicht zuwarten zu müssen, bis in der durch das Widerspruchsverfahren verzögerten Betreibung ein endgültiger Verlustschein ausgestellt wird, kann dennoch Rechnung getragen werden. Der Weg dafür ist in
BGE 39 II 385
f. vorgezeichnet. Dort wurde eine im Zusammenhang mit einem Widerspruchsverfahren erhobene Anfechtungseinrede trotz Fehlens eines endgültigen Verlustscheins zugelassen, wobei das Bundesgericht festhielt, dass die Gutheissung vor durchgeführter Verwertung nur den Sinn habe, festzustellen, "dass das Anfechtungsobjekt in die Pfändung einzubeziehen resp. darin zu belassen ist, sofern die übrigen Pfändungsobjekte zur Deckung der Pfändungsgläubiger nicht ausreichen" (
BGE 39 II 385
f.). Im vorliegenden Fall könnte eine Klagegutheissung in dem Sinne erfolgen, dass das Anfechtungsobjekt nur verwertet werden darf, wenn in der hängigen Betreibung ein endgültiger Verlustschein ausgestellt wird. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
ccaefda6-6dda-4f86-be8f-f453e5b91d5d | Urteilskopf
112 Ib 225
38. Estratto della sentenza 22 maggio 1986 della I Corte di diritto pubblico nella causa X. c. Ufficio federale di polizia (ricorso di diritto amministrativo) | Regeste
Europäisches Auslieferungs-Übereinkommen (EAUe), Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG). Auslieferung nach Italien wegen Konkursdelikten, Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit, Verjährung der Strafverfolgung.
1. Besonderheiten der schweizerischen und der italienischen Regelung im Bereich der Konkursdelikte (betrügerischer Konkurs), insbesondere hinsichtlich der Teilnahme Dritter und der Verfolgungsverjährung (E. 3).
2. Da der Verfolgte nicht als tatsächlicher Leiter der konkursiten Gesellschaft (Art. 172 und 163 Ziff. 1 schweiz. StGB) betrachtet werden kann, sondern allerhöchstens als Dritter, der an den mehr als fünf Jahre zurückliegenden Konkursdelikten teilgenommen hat (Art. 163 Ziff. 2 schweiz. StGB), wäre nach schweizerischem Recht Verjährung eingetreten (
Art. 70 Abs. 3 StGB
) und es stünde somit einer Auslieferung
Art. 10 EAUe
entgegen (E. 4).
3. Dem Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit (
Art. 2 EAUe
) ist Genüge getan, wenn die dem Verfolgten vorgeworfene Tat - ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifikation - in beiden Staaten als Auslieferungsdelikt strafbar ist: Im konkreten Fall kann die Auslieferung gewährt werden, weil die Tat, für die in Italien die Anschuldigung der Teilnahme am betrügerischen Konkurs erhoben wird, in der Schweiz vom Tatbestand der Hehlerei (
Art. 144 Abs. 1 StGB
) am Gewinn aus dem betrügerischen Konkurs erfasst würde (E. 5a). Eine eventuelle Verfolgbarkeit dieses Deliktes in der Schweiz (
Art. 7 Abs. 1 EAUe
,
Art. 5 Abs. 1 lit. b IRSG
) rechtfertigt die Verweigerung der Auslieferung im konkreten Fall nicht (
Art. 36 Abs. 1 IRSG
) (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 226
BGE 112 Ib 225 S. 226
Il Giudice istruttore del Tribunale civile e penale di Torino, dott. Mario Vaudano, ha emesso il 23 aprile 1985 un mandato di cattura n. 268/85 M.C. contro I. X. coniugata M., nata il 3 aprile 1927, cittadina italiana domiciliata dal 1980 a Lugano. La signora X. è imputata, in concorso col
BGE 112 Ib 225 S. 227
marito ed altre sette persone già colpite da mandato di cattura, di concorso (art. 110 e 112 n. 1 CPI) nel delitto di bancarotta fraudolenta aggravata commessa dagli otto coimputati menzionati, tutti soci amministratori o gestori di fatto della S.p.A. Y., dichiarata fallita con sentenza 18 settembre 1981 del Tribunale di Milano, per aver distratto beni della società, reato previsto e punito dagli
art. 216 n. 1 e 2, 219 1
o e 2o comma, n. 1, e 223 della cosiddetta legge fallimentare (LFall), Regio Decreto 16 marzo 1942, n. 267. Dei fatti posti a carico di X. nel mandato di cattura nonché nella relazione 29 aprile 1985 stesa dal Giudice istruttore Vaudano, poi completata con rapporto aggiuntivo del 19 novembre 1985 dello stesso magistrato, si dirà oltre. Sulla scorta di tale mandato di cattura, l'Ambasciata d'Italia a Berna ha chiesto all'UFP - con nota verbale del 15 maggio 1985 - l'estradizione di X. che, su domanda dell'Interpol di Roma, era stata provvisoriamente arrestata con ordine 26 aprile 1985 dello stesso UFP e poi messa in libertà provvisoria dietro una cauzione di Fr. 300'000.--.
I. X. si è opposta all'estradizione in occasione delle sue audizioni da parte del Giudice istruttore di Lugano, e ne ha confermato i motivi con memoria 12 luglio 1985 del suo difensore. Avendo l'Ambasciata d'Italia fornito un complemento d'informazioni con nota del 20 novembre 1985, il difensore ha completato il suo esposto con atto del 12 dicembre successivo.
Con decisione del 22 gennaio 1986 l'UFP ha accordato l'estradizione della ricercata all'Italia. Della motivazione si dirà, ove occorra, nei considerandi.
Agendo col patrocinio del suo avvocato, l'estradanda ha interposto contro questa decisione un ricorso di diritto amministrativo al Tribunale federale, chiedendo che essa sia annullata e l'estradizione rifiutata. Degli argomenti ricorsuali si dirà in appresso. Nelle sue osservazioni, l'UFP ha postulato la reiezione del ricorso; anche sul contenuto di queste si tornerà in seguito.
Erwägungen
Considerato in diritto:
3.
Il mandato di cattura imputa alla ricercata il "concorso" ai sensi dell'art. 110 CPI nel reato di bancarotta.
Com'è noto e come la giurisprudenza del Tribunale federale ha più volte constatato, il codice penale italiano - contrariamente al
BGE 112 Ib 225 S. 228
diritto svizzero (art. 24/25 CPS) - non conosce più la distinzione fra correità, istigazione e complicità per quanto riguarda la partecipazione di più persone al reato (
DTF 101 Ia 63
; sentenze 12 dicembre 1975 in re Fioroni, Prampolini e Cazzaniga, 12 dicembre 1975 in re Morlacchi, 26 gennaio 1977 in re Cicchelero, 5 agosto 1977 in re Krause). Esso ha adottato, in linea generale, il criterio di un'uguale responsabilità per chiunque abbia cooperato nel reato (art. 110 CPI), prevedendo però aggravamenti oggettivi e soggettivi (art. 111 e 112 CPI) o attenuazioni (art. 114). In genere, questa diversità dei due diritti non ha rilevanza in materia estradizionale, poiché di solito le pene previste per qualsiasi forma di concorso sono determinate in entrambi gli ordinamenti con riferimento a quella edittale per la commissione del reato e, di norma, soddisfano la condizione di durata prevista dall'art. 2 § 1, 1a frase, CEEstr. In questi casi, è quindi indifferente la forma di partecipazione per la quale il ricercato viene perseguito (sentenze citate).
In materia di reati fallimentari, tuttavia, sussistono tra i due ordinamenti giuridici talune differenze che possono assumere rilievo anche per l'estradizione, segnatamente per la qualificazione dei fatti e la prescrizione. Conviene illustrare subito tali particolarità.
a) Nella bancarotta fraudolenta del diritto svizzero viene punito con la reclusione sino a cinque anni o la detenzione il debitore che in danno dei creditori diminuisce o diminuisce fittiziamente l'attivo o fa comparire una minor consistenza patrimoniale, se viene dichiarato il suo fallimento (art. 163 n. 1 CPS). Se il reato è commesso nell'azienda di una persona giuridica - che per sua natura non delinque - la sanzione penale si applica ai direttori, procuratori, amministratori, revisori o liquidatori, che se ne sono resi colpevoli (art. 172 cpv. 1 CPS): ad essi, come la giurisprudenza ha precisato, sono equiparate le persone che di fatto assolvono tali funzioni (
DTF 107 IV 177
consid. 1a,
DTF 100 IV 42
consid. 2c,
DTF 97 IV 14
,
DTF 78 IV 30
/32). L'azione penale verso il debitore, rispettivamente i suddetti soggetti si prescrive in dieci anni, la pena comminata essendo la reclusione (art. 70, 2a frase, CPS); secondo la giurisprudenza, la prescrizione comincia a decorrere, anche per i fatti prefallimentari, dal giorno in cui l'azione fraudolenta è stata compiuta, non dal giorno della pronuncia del fallimento, condizione obiettiva di punibilità (
DTF 109 Ib 326
aa,
DTF 101 IV 21
segg.).
BGE 112 Ib 225 S. 229
Il terzo - ossia chi non è debitore o gli è equiparato ai sensi dell'art. 172 cpv. 1 CPS - che compie in danno dei creditori atti di bancarotta fraudolenta è invece punito, se il debitore fallisce, con la semplice detenzione (art. 163 n. 2 CPS). La ragione del minor rigore sta nel fatto che l'estraneo non ha obblighi immediati nei confronti dei creditori: anche se il terzo opera in qualità di complice o di istigatore del reato punibile per il debitore con la reclusione secondo l'art. 163 n. 1 CPS, egli soggiace - in applicazione dell'art. 26 CPS - alla pena della detenzione prevista dall'art. 163 n. 2 CPS (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, III ediz., § 17, n. 18 pag. 302; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, II ediz., n. 590a; LOGOZ, Commentaire du Code pénal suisse, Partie spéciale I, n. 2 all'art. 163). Per il terzo, la pena comminata essendo la detenzione, l'azione penale si prescrive in cinque anni (art. 70, ultima frase, CPS).
b) Nella bancarotta propria del diritto italiano, soggetto del reato è l'imprenditore, se è dichiarato fallito, che ha commesso gli atti di distrazione o falsificazione descritti all'art. 216, 1o comma, n. 1 e 2 LFall. La pena è della reclusione da tre a dieci anni. Questa pena si applica, per la bancarotta impropria, anche agli amministratori, direttori generali, sindaci o liquidatori di società dichiarate fallite, che hanno commesso taluno dei fatti previsti dall'art. 216 (art. 223, 1o comma, LFall). Anche per la legislazione italiana, gli amministratori di fatto sono equiparati agli amministratori di diritto (ANTOLISEI, Manuale di diritto penale, Leggi complementari, V ediz., n. 32, pagg. 117/118 e nota 10). Queste persone soggiacciono inoltre alla stessa pena, se hanno commesso altri fatti previsti da una serie di articoli del Codice civile (art. 223, 2o comma, n. 1 LFall), oppure se hanno cagionato con dolo o per effetto di operazioni dolose il fallimento (art. 223, 2o comma, n. 2 LFall), ipotesi questa ove il fallimento non è condizione di punibilità né presupposto, bensì evento del reato (
DTF 109 Ib 327
/328 consid. 11d; ANTOLISEI, n. 35, pag. 127). Diversamente che nel diritto svizzero, alla partecipazione di terzi nella bancarotta si applicano le regole generali dettate dagli art. 110 e segg. CPI: è compartecipe della bancarotta e soggiace quindi per principio alla stessa pena dell'imprenditore, l'esperto o l'impiegato contabile dell'imprenditore fallito o altro complice che l'abbia consapevolmente coadiuvato (ANTOLISEI, n. 44, pagg. 162/164 e nota 29). Avuto riguardo alla pena di reclusione comminata, la
BGE 112 Ib 225 S. 230
la prescrizione nel diritto italiano è quella di 15 anni per tutti indistintamente i partecipanti (art. 157, 1o comma, n. 2 CPI); per espressa disposizione di legge, essa comincia inoltre a decorrere dalla sentenza di fallimento, condizione di punibilità (art. 158, 2o comma, CPI; ANTOLISEI, n. 41 in fine, pag. 154).
c) Illustrate queste diversità fra il diritto italiano e quello svizzero in materia di reati fallimentari, giovano però subito due rilievi. Innanzitutto va ricordato come il principio della doppia incriminazione consacrato all'
art. 2 CEEstr
non esiga che i fatti considerati nel mandato di cattura siano punibili in base a norme identiche o analoghe nell'uno e nell'altro diritto, ma soltanto che essi costituiscano reati per i quali l'estradizione dev'essere concessa in entrambi gli Stati. Una diversa qualificazione giuridica non osta all'estradizione: non è anzi neppur vietato allo stesso Stato richiedente, dopo ottenuta la consegna del ricercato, di eventualmente qualificare diversamente i fatti per i quali essa è stata concessa, alla condizione beninteso - e sotto pena di altrimenti violare il principio di specialità - che anche tale nuova qualificazione costituisca reato estradizionale secondo il diritto dello Stato richiesto (
DTF 101 Ia 595
consid. 5a; inoltre
DTF 108 Ib 534
consid. 5a).
In secondo luogo giova rammentare che in virtù dell'art. 35 cpv. 2, 1a frase, AIMP, il quale restringe in tale misura la portata del principio della doppia incriminazione, la punibilità secondo il diritto svizzero dev'essere determinata senza tener conto delle particolari forme di colpa e condizioni di punibilità da questo previste (cfr.
DTF 109 Ib 326
aa).
4.
Dalla domanda dell'autorità italiana e dalla relativa documentazione nonché da quella prodotta dalla difesa della ricorrente risulta in sostanza quanto segue:
I fatti di bancarotta sono stati commessi nell'azienda di una persona giuridica - la Y. S.p.A. - che è stata dichiarata fallita con sentenza 18 settembre 1981 del Tribunale di Milano. Precedentemente, in data 30 maggio 1979, un'assemblea straordinaria aveva deliberato lo scioglimento della società e nominato un liquidatore. Risultando la Y. S.p.A. implicata in un vasto traffico di contrabbando interno di oli minerali, il Giudice istruttore dott. Vaudano aveva disposto con decreti 14 febbraio 1980 e 21 luglio 1980 il sequestro di tutta la documentazione fiscale, contabile e commerciale per gli anni dal 1973 al 1979 nonché di tutti gli impianti e
BGE 112 Ib 225 S. 231
pertinenze (relazione del curatore fallimentare del 15 gennaio 1982). Dalla relazione supplementare dello stesso curatore nonché dalla domanda italiana, risulta che la Y. S.p.A. aveva emesso un numero notevolissimo di false fatture per oltre 300 ditte italiane, che avevano simulato di acquistare i prodotti petroliferi derivanti dalla lavorazione del petrolio che la società a sua volta fingeva di fabbricare. In realtà, la Y. S.p.A. vendeva il petrolio che sarebbe dovuto servire alla produzione di tali prodotti in mercato illecito, lucrando immensi benefici non contabilizzati e via via distratti dal patrimonio sociale per essere portati su conti neri del marito della ricorrente e di suoi complici. Secondo la domanda, tali distrazioni - intervenute fra il 1973 e il 1979 - assommerebbero a non meno di 5 miliardi di lire italiane. X. avrebbe ricevuto quantomeno a partire dal 1981 ingentissime somme di denaro, che erano state fatte affluire dal marito e da altri complici sui conti di due "Anstalten" appositamente costituite a Vaduz, oltre che su una società panamense, ma con attività a Lugano. L'esistenza di movimenti di denaro tra le due "Anstalten" di Vaduz e la ricercata X., che opera in Lugano con attività finanziarie e commerciali, risulterebbe da numerosi atti trovati in possesso del marito della ricorrente al momento del suo arresto in Spagna nonché nella documentazione inviata dall'autorità giudiziaria del Principato del Liechtenstein. La distrazione di somme ingentissime, l'emissione di fatture false, la tenuta di una contabilità nera tra il 1974 e il 1979 sono state - secondo la relazione del dott. Vaudano - ampiamente confessate dagli amministratori formali della società nonché da numerosissimi acquirenti di fatture false.
a) Da questa esposizione dei fatti unita alla domanda italiana, emerge con chiarezza che le distrazioni patrimoniali e le diminuzioni fittizie dell'attivo mediante contabilità inesatta e bilanci falsi sono avvenute tra il 1974 e il 1979 nell'azienda di una persona giuridica. Per il diritto italiano, ne sono responsabili gli amministratori formali, quelli di fatto (art. 223, 216 n. 1 e 2 LFall) nonché tutte le altre persone che, pur prive di questa qualifica, avessero con loro cooperato consapevolmente (art. 110 CPI). Secondo il diritto italiano, nessuna prescrizione si è verificata, il termine quindicennale avendo iniziato a decorrere dal giorno della pronuncia del fallimento (18 settembre 1981). Sotto il profilo della legislazione italiana, non è quindi essenziale stabilire esattamente quando ed in quale ruolo X. abbia eventualmente agito.
BGE 112 Ib 225 S. 232
b) La questione è diversa sotto il profilo del diritto svizzero. Se la ricercata deve esser considerata amministratrice di fatto della società accanto al marito, le sono applicabili gli art. 172 e 163 n. 1 CPS. La prescrizione decennale, per i fatti di bancarotta in seno alla società, che ha cominciato a decorrere dal momento in cui essi sono cessati (1979), non si è verificata. La questione della prescrizione si pone invece se la ricercata non può esser considerata amministratrice (di fatto) della società: per l'eventuale sua partecipazione quale terzo (art. 163 n. 2 CPS) a fatti di bancarotta prefallimentare, la prescrizione quinquennale si sarebbe verificata ed osterebbe ad un'estradizione in virtù dell'
art. 10 CEEstr
(cfr. il caso analogo Olivi, deciso con sentenza del 26 aprile 1978, ove l'estradizione fu rifiutata perché la prescrizione secondo il diritto svizzero era intervenuta, la pena per la corruzione attiva - art. 288 CPS - essendo più leggera, diversamente che nel diritto italiano, di quella prevista per la corruzione passiva del funzionario secondo l'art. 315 CPS).
Nel gravame la ricorrente fa valere di non aver mai svolto alcuna attività nella gestione degli affari del marito, e segnatamente in quella delle società petrolifere, tra cui la B. S.A. e, particolarmente, la Y. S.p.A. qui in discussione. Queste affermazioni della ricorrente non sono però di per sé determinanti: la questione di diritto di sapere se, ove i fatti si fossero svolti in Svizzera, la ricercata dovrebbe essere parificata ad un amministratore della persona giuridica (art. 172 cpv. 1 CPS) oppure no, deve essere risolta sulla base delle adduzioni di fatto della domanda italiana, alla quale il giudice dell'estradizione è vincolato nella misura in cui non presenti contraddizioni, errori manifesti oppure lacune (
DTF 109 Ib 63
consid. 5a, 324/25 consid. 11b,
DTF 107 Ib 76
consid. 3b).
c) A proposito di questo periodo, la domanda italiana adduce che X. era prima del 1977 proprietaria insieme con il marito di azioni della Z. S.p.A., una società finanziaria costituita a Milano, che parzialmente controllava la Y. S.p.A. (cfr., oltre l'esposto dei fatti, la relazione già citata del curatore del fallimento). Questa relazione aggiunge altresì che la ricercata sarebbe rimasta azionista anche dopo la cessione, supposta fittizia, di tali azioni. Tale circostanza - contrariamente a quanto opina l'UFP - è però di per sé assolutamente indifferente: che la ricercata sia stata azionista della Z. S.p.A. e, attraverso quest'ultima, della Y. S.p.A., non consente infatti alcuna deduzione circa un ruolo d'amministratrice di fatto che essa vi avrebbe svolto. A parte questo indifferente rilievo, la domanda italiana non allega alcun altro elemento
BGE 112 Ib 225 S. 233
fattuale dal quale sia possibile dedurre che - tra il 1974 e il 1979 - X. si sia effettivamente occupata di amministrare la società fallita. In realtà, a ben guardare, la domanda italiana non afferma neppure implicitamente che ciò sia avvenuto: quello che il mandato di cattura e le relazioni annesse rimproverano in concreto alla ricercata sono fatti intervenuti posteriormente alla messa in liquidazione ed al sequestro penale degli atti e degli impianti della Y. S.p.A. Tale conclusione dedotta dagli atti è confortata d'altronde dalla constatazione che le autorità italiane, come giustamente rileva la difesa, non hanno mai avuto motivo di procedere - prima della scoperta di tali fatti, su cui si tornerà - nei confronti della ricercata, né per quanto concerne la Y. S.p.A., né per quanto concerne le altre società petrolifere a cui era interessato il marito: il che indubbiamente non avrebbero mancato di fare se, dalle approfondite inchieste allora svolte, fosse risultato, così come era emerso per altri numerosi imputati, che X. partecipava effettivamente a quell'epoca all'amministrazione della società.
Ne consegue che, sulla scorta delle indicazioni contenute nella domanda italiana, nella documentazione prodotta e negli ulteriori atti di causa, la ricercata non può esser considerata aver svolto funzioni parificabili a quelle di un amministratore ai sensi del- l'art. 172 cpv. 1 CPS in seno alla fallita società. Ad eventuali sue complicità risalenti al periodo 1974/79 in fatti di bancarotta fraudolenta commessi dagli amministratori - che la domanda italiana d'altronde neppure assevera - sarebbe quindi applicabile l'art. 163 n. 2 CPS, onde la prescrizione sarebbe intervenuta, come giustamente afferma il patrono della ricorrente.
5.
a) Ciò non significa però ancora che il ricorso debba esser accolto e l'estradizione rifiutata. Se si parte dalla constatazione che la ricercata non amministrava la Y. S.p.A. al momento in cui sono stati perfezionati gli illeciti di bancarotta con imponenti distrazioni di beni sociali, e se si ammette perfino che - come sostenuto nel ricorso - X. non era in essi implicata in nessun modo, resta da esaminare se, alla luce del diritto svizzero, i fatti concreti che l'autorità italiana rimprovera alla ricercata potrebbero essere punibili in Svizzera quale delitto estradizionale, sia pure con altra qualifica. Ora, l'autorità italiana fa valere che ingentissime somme, incassate dalla Y. S.p.A. con il commercio illecito e con il contrabbando interno di prodotti petroliferi e poi distratte dagli attivi sociali, sarebbero state fatte affluire dal marito della ricorrente e altri complici sui conti di due "Anstalten" e su quelli
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di una società panamense, con attività in Lugano. Da questi conti X. avrebbe attinto importi molto ingenti, investiti poi in valori mobiliari, immobiliari e attività economiche in Lugano e altrove. Se questi fatti sono stati commessi sapendo o dovendo sapere che i fondi provenivano dal reato di bancarotta perfezionato da altri in precedenza, X. si sarebbe resa colpevole in Svizzera del reato di ricettazione secondo l'art. 144 cpv. 1 CPS, avendo acquistato, ricevuto in dono, occultato o aiutato a spacciare cose che sapeva o doveva presumere provenienti da un reato: che la ricettazione del prodotto di una bancarotta fraudolenta sia configurabile è riconosciuto in dottrina (SCHWANDER, n. 554 e 554a; inoltre
DTF 101 IV 405
consid. 2; STRATENWERTH, § 15, n. 6 pag. 286), e la prescrizione di un tale reato non sarebbe manifestamente ancora intervenuta (art. 70, 2a frase, CPS).
Certo, la ricercata assevera che le ingenti somme ch'essa ha ottenuto dal marito - per un importo ammesso di oltre 2 milioni di franchi - costituiscono la liquidazione di rapporti patrimoniali nonché una sistemazione cui il marito, che avrebbe relazione con altra donna, era in dovere di provvedere. Essa dichiara altresì che i fondi così trasmessile provengono dalla realizzazione di patrimonio legittimamente acquistato dal marito, già facoltosissimo industriale. Il Tribunale federale non può tuttavia occuparsi di tali obiezioni, che concernono il tema della colpevolezza, riservato al giudice italiano del merito, o che riguardano il controllo dei fatti esposti dall'autorità giudiziaria italiana, fatti che, in questa misura almeno, sono sicuramente esenti da errori, lacune o contraddizioni, e vincolano pertanto il giudice svizzero dell'estradizione (
DTF 109 Ib 324
/25 consid. 11b).
b) L'estradizione non è neppure da rifiutare a motivo che i fatti si sarebbero svolti prevalentemente in Svizzera, onde X., per l'ipotesi di ricettazione, soggiacerebbe alla giurisdizione svizzera. Per l'
art. 7 cpv. 1 CEEstr
, il rifiuto dell'estradizione costituisce in tale evenienza una mera facoltà della Parte richiesta. Certo, secondo l'
art. 35 cpv. 1 lett. b AIMP
e contrario, l'estradizione è per principio da negare se il reato soggiace alla giurisdizione svizzera; tuttavia, la persona perseguita può esser eccezionalmente estradata per un fatto che potrebbe esser perseguito in Svizzera, qualora circostanze speciali, segnatamente la possibilità di un miglior reinserimento sociale, lo giustifichino (
art. 36 cpv. 1 AIMP
). Ora, non v'è dubbio che, nel caso in esame, si giustifica la celebrazione
BGE 112 Ib 225 S. 235
di un processo in Italia: non solo i fatti originatori di questa vicenda si sono svolti in Italia e la magistratura di quel Paese è meglio in grado di acclararli, ma tutti gli altri protagonisti sono ivi perseguiti, e a ciò si aggiunga che la ricorrente è di nazionalità italiana, risiede a Lugano da tempo relativemente breve e non ha quindi con la Svizzera vincoli profondi. D'altra parte, va considerato che l'inchiesta nei confronti della ricercata non è ancora conclusa, e non si può escludere che, contrariamente alle risultanze attuali, i fatti ritenuti a suo carico si qualifichino per finire quale diretta partecipazione al reato di bancarotta piuttosto che come ricettazione del prodotto di questa: in simili casi, l'estradizione all'Italia si impone per non correre altrimenti il rischio di lasciar impunito il reato per difetto di giurisdizione dello Stato richiesto (
DTF 109 Ib 329
consid. 11f,
DTF 101 Ia 598
segg. consid. 6).
6.
Da quanto sopra discende che il ricorso dev'essere respinto e l'estradizione all'Italia concessa per i fatti relativi ai prelievi di fondi dalle "Anstalten" del Principato del Liechtenstein e dalla società panamense illustrati nella domanda italiana. Per eventuali altri fatti anteriormente commessi, l'autorità italiana dev'essere invitata a presentare - se del caso - una domanda complementare, affinché su di essi il giudice svizzero dell'estradizione possa nuovamente pronunciarsi. | public_law | nan | it | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ccaf70f0-9924-4ce5-b04d-692a07ef0503 | Urteilskopf
137 I 273
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG gegen Steueramt des Kantons Solothurn, Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft und Kantonales Steueramt Nidwalden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_463/2010 vom 1. Juli 2011 | Regeste
§
§ 138-140 und 147 StG
/SO;
Art. 46 Abs. 3 StHG
;
Art. 127 Abs. 3 BV
; Verfahrensverstösse bei der Durchführung der Ermessensveranlagung.
Absolute Unwirksamkeit einer Veranlagungsverfügung, wenn das kantonale Steueramt gegenüber einer Gesellschaft direkt eine endgültige Ermessensveranlagung vornimmt, ohne der Pflichtigen zuvor überhaupt eine Steuererklärung zugestellt zu haben (E. 3.2-3.4). Die Nichtigkeit als Verfügung schliesst jedoch eine Unterbrechung der Verjährung nicht aus (E. 3.4.3).
Blosse Anfechtbarkeit, wenn die Ermessensveranlagung durchgeführt wird, nachdem der Pflichtigen eine Steuererklärung zugesandt und die Erklärung der Veranlagungsbehörde unausgefüllt zurückgeschickt worden ist, ohne dass diese die Pflichtige daraufhin zuerst gemahnt hätte (E. 3.5). | Sachverhalt
ab Seite 274
BGE 137 I 273 S. 274
A.
Die X. AG wurde im Jahr 1994 gegründet und bezweckt die Vermittlung von Kapitalanlagen und Versicherungen, die Ausbildung von Finanz- und Versicherungsberatern sowie die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Finanzanlagen. Sie wurde für die Steuerperiode 2000 an ihrem Sitz in Reinach/BL und, nach einer Sitzverlegung, für das Jahr 2001 in Stansstad/NW aufgrund persönlicher Zugehörigkeit als unbeschränkt steuerpflichtig veranlagt. Diese Veranlagungen erwuchsen in Rechtskraft.
B.
Ohne vorgängige Zustellung einer Steuererklärung nahm das Steueramt des Kantons Solothurn gegenüber der X. AG am 22. Dezember 2005 für die Periode 2000 eine Ermessensveranlagung vor, mit der es die Gesellschaft definitiv aufgrund wirtschaftlicher Zugehörigkeit (Betriebsstätte im Kanton Solothurn) für die Ertrags- und die Kapitalsteuer erfasste. Für das Jahr 2001 wurde der X. AG zwar eine Steuererklärung zugestellt, von dieser aber unausgefüllt der Behörde zurückgeschickt, weshalb das Steueramt am 22. Dezember 2006 erneut eine endgültige Ermessensveranlagung vornahm. Die von der X. AG gegen diese Veranlagungen im Kanton erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos.
C.
Am 21. Mai 2010 hat die X. AG beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten eingereicht. Sie beantragt, es sei festzustellen, dass die Staatssteuer-Veranlagungen des Steueramtes des Kantons Solothurn vom 22. Dezember 2005 für 2000 und vom 22. Dezember 2006 für 2001 nichtig seien, und es sei das Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom 29. März 2010 aufzuheben. Eventualiter sei festzustellen, dass die X. AG im Kanton Solothurn in den Jahren 2000 und 2001 nicht steuerpflichtig war. Subeventualiter seien die Veranlagung des Kantons Basel-Landschaft vom 27. Dezember 2000 für 2000 sowie die Veranlagung des Kantons Nidwalden vom 31. Juli 2002 für 2001 aufzuheben, und die Sache sei zur Neuveranlagung an die jeweiligen Steuerverwaltungen zurückzuweisen. (...)
BGE 137 I 273 S. 275
F.
Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung hat die Angelegenheit am 1. Juli 2011 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Vorab macht die Beschwerdeführerin geltend, die hier massgeblichen Veranlagungen des Kantons Solothurn seien beide mit schwerwiegenden Verfahrensverstössen behaftet. Dieser Vorwurf beruht auf Folgendem: Für das Jahr 2000 nahm das Kantonale Steueramt Solothurn am 22. Dezember 2005, "aus Verjährungsgründen", wie es selber festhielt, direkt eine endgültige Ermessensveranlagung gegenüber der Beschwerdeführerin vor, ohne ihr zuvor überhaupt eine Steuererklärung zur Ausfüllung zugestellt zu haben. Für 2001 wurde der Pflichtigen wohl eine Steuererklärung zugesandt, welche die Betroffene unausgefüllt der Veranlagungsbehörde zurückschickte. Diese führte darauf, ohne die Beschwerdeführerin gemahnt zu haben, einmal mehr eine endgültige Ermessensveranlagung durch. Für beide Perioden vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, die auf derart krassen Verfahrensmängeln gründenden Veranlagungen seien geradezu nichtig.
3.1
Fehlerhafte Verwaltungsakte sind in der Regel nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, und sie werden durch Nichtanfechtung rechtsgültig. Nichtigkeit, d.h. absolute Unwirksamkeit, einer Verfügung wird nur angenommen, wenn sie mit einem tiefgreifenden und wesentlichen Mangel behaftet ist, wenn dieser schwerwiegende Mangel offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel haben nur in seltenen Ausnahmefällen die Nichtigkeit einer Verfügung zur Folge; erforderlich ist hierzu ein ausserordentlich schwerwiegender Mangel. Als Nichtigkeitsgründe fallen hauptsächlich funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einer Behörde sowie schwerwiegende Verfahrensfehler in Betracht (wie z.B. der Umstand, dass der Betroffene keine Gelegenheit hatte, am Verfahren teilzunehmen). Fehlt einer Verfügung in diesem Sinne jegliche Rechtsverbindlichkeit, so ist das durch jede Behörde, die mit der Sache befasst ist, jederzeit und von Amtes wegen zu beachten (vgl. u.a.
BGE 136 II 489
E. 3.3 S. 495 f.;
BGE 133 II 366
E. 3.1 und 3.2 S. 367;
BGE 132 II 342
E. 2.1 S. 346;
BGE 130 III 430
E. 3.3 S. 434;
BGE 129 I 361
E. 2.1 S. 363 f.;
BGE 127 II 32
E. 3g S. 47 f.;
BGE 137 I 273 S. 276
ASA 73 S. 299 E. 2; 70 S. 529 E. 4b/aa; 65 S. 918 E. 2; StE 2010 B 92.8 Nr. 15 E. 2.3; StR 64/2009 S. 581 E. 2.1; RDAF 2006 I S. 139 E. 2.2; RDAT 1996 I Nr. 49 S. 137 E. 5; mit weiteren Hinweisen).
3.2
Die hier massgeblichen beiden Varianten der Verweigerung des Rechts zur Einreichung der Steuererklärung sind zuerst im innerkantonalen Verhältnis zu prüfen, d.h. hinsichtlich ihrer Tragweite auf das Verhältnis zwischen dem veranlagenden Kanton und der steuerpflichtigen Person:
3.2.1
Die Abgabe einer Steuererklärung im Sinne von § 140 des Gesetzes vom 1. Dezember 1985 über die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Solothurn (StG/SO; BGS 614.11) ist einerseits eine grundlegende Verfahrenspflicht der steuerpflichtigen Person (und zwar ihre bedeutsamste Mitwirkungspflicht; vgl. MARTIN ZWEIFEL, Die Sachverhaltsermittlung im Steuerveranlagungsverfahren, 1989, S. 69 ff.; ZWEIFEL/CASANOVA, Schweizerisches Steuerverfahrensrecht, Direkte Steuern, 2008, S. 172 ff.), andererseits ein fundamentales Verfahrensrecht der steuerpflichtigen Person (vgl. HEINZ WEIDMANN, Vom Recht, eine Steuererklärung einreichen zu dürfen, StR 52/1997 S. 523 f.; siehe auch ZWEIFEL, a.a.O., S. 75). Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, wie vorzugehen ist, wenn der Pflichtige die Steuererklärung nicht oder bloss mangelhaft ausgefüllt einreicht. In diesem Fall muss ihn die Behörde gemäss
§ 140 Abs. 3 StG
/SO auffordern, das Versäumte innert angemessener Frist nachzuholen. Erst dann, wenn der Pflichtige trotz Mahnung seine Verfahrenspflichten nicht erfüllt, ist die Veranlagung nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmen (vgl.
§ 147 Abs. 2 StG
/SO; siehe auch
Art. 46 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642. 14]
). Kann die steuerpflichtige Person keine Selbstdeklaration vornehmen, ohne dass all die genannten Bedingungen kumulativ erfüllt wären, wird mithin die besonders wichtige erste Phase des Veranlagungsverfahrens einfach unterdrückt (vgl. auch GOTTHARD STEINMANN, Die Revision im Wehrsteuerrecht, StR 34/1979 S. 199 ff.).
3.2.2
Gemäss dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist die Ermessensveranlagung somit gerade kein taugliches oder zulässiges Mittel, um dem Pflichtigen die Möglichkeit vorzuenthalten, eine Steuererklärung einzureichen. Vielmehr ist sie ein unumgänglicher Notbehelf, um sogar dann zu einer sachgerechten Einschätzung zu gelangen, wenn die an sich unerlässlichen, aber selbst nach
BGE 137 I 273 S. 277
förmlicher Mahnung vom Pflichtigen nicht eingereichten Angaben fehlen oder wenn die Steuerfaktoren aus anderen Gründen mangels zuverlässiger Unterlagen nicht genau ermittelt werden können (vgl.
§ 147 Abs. 2 StG
/SO und
Art. 46 Abs. 3 StHG
; siehe auch
Art. 130 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG; SR 642.11]
). Da die Steuerbehörde mangels genügender Unterlagen nicht alle Faktoren genau ermitteln kann und eine Ermessenseinschätzung deshalb naturgemäss eine gewisse Unschärfe aufweist, kann der Pflichtige sie nur wegen offensichtlicher Unrichtigkeit in Frage stellen. Auch das Bundesgericht prüft derartige Veranlagungen nur mit Zurückhaltung auf besonders schwere Fehler und Irrtümer hin (vgl. u.a.
BGE 131 II 548
E. 2.3 S. 551;
BGE 123 II 552
E. 4c S. 557 f.; StE 2009 B 95.1 Nr. 13 E. 2.1 und 3.2
; 2009 B 95.1
Nr. 14 E. 2.1-2.2
; 2005 B 96.22
Nr. 3 E. 3.2; StR 64/2009 S. 35 E. 5.2; 64/2009 S. 588 E. 4.2; 61/2006 S. 819 E. 3.3; 61/2006 S. 558 E. 2.3; 60/2005 S. 973 E. 5; ASA 77 S. 343 E. 1.3 und 4.3; 75 S. 329 E. 5.1; NStP 57/2003 S. 139 E. 4.1; RDAF 2000 II S. 41 E. 1c und 2b; mit weiteren Hinweisen).
3.3
Die Auswirkungen des Verfahrensverstosses, dem Pflichtigen die Möglichkeit zur Einreichung einer Steuererklärung vorzuenthalten und stattdessen direkt zu einer Ermessensveranlagung überzugehen, sind weiter im interkantonalen Bereich zu prüfen. In diesem Bereich kann ein besonders schwerwiegender Verfahrensmangel darin liegen, dass eine kantonale Veranlagungsbehörde für sich eine Steuerhoheit in Anspruch nimmt, die ihr wegen Unzuständigkeit nicht zusteht:
3.3.1
Das gilt vorab bei der direkten Bundessteuer: Gemäss dem Grundsatz der Einheit des Veranlagungsortes wird der Steuerpflichtige zwecks Vermeidung einer Aufsplitterung der Veranlagung für das gesamte in der Schweiz steuerbare Einkommen allein am Wohnsitz eingeschätzt. Wenn ein Kanton eine steuerpflichtige Person, die ihm wirtschaftlich zugehörig ist, für die direkte Bundessteuer veranlagt, obwohl sie die persönliche Zugehörigkeit in einem anderen Kanton hat, liegt - wegen Verstosses gegen die bundessteuerrechtliche Zuständigkeitsordnung - eine örtliche Unzuständigkeit vor, was unter Umständen die Nichtigkeit der betreffenden Einschätzungsverfügung zur Folge haben kann. Ist der Veranlagungsort im Einzelfall ungewiss oder streitig, so ist er - wenn mehrere Kantone in Frage kommen - von der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu bestimmen (
Art. 108 Abs. 1 Satz 1 DBG
; vgl. dazu u.a. StR 62/2007
BGE 137 I 273 S. 278
S. 127 E. 2; 54/1999 S. 118 E. 7a; StE 2004 B 91.3 Nr. 4 E. 2.1; ASA 70 S. 529 E. 4b; 59 S. 636 E. 2c).
3.3.2
Hier geht es nicht um die direkte Bundessteuer und besteht somit auch nicht die Möglichkeit, von der Eidgenössischen Steuerverwaltung eine verbindliche Beurteilung hinsichtlich der jeweiligen kantonalen Besteuerungskompetenzen zu erlangen. Im Bereich der Staatssteuer gilt deshalb gemäss ständiger Rechtsprechung eine andere Regelung: Wenn eine in einem bestimmten Kanton zur Veranlagung herangezogene Person die Steuerhoheit des betreffenden Kantons bestreitet, muss dieser grundsätzlich in einem Vorentscheid (dem sog. Steuerdomizilentscheid) rechtskräftig über die Steuerpflicht entscheiden, bevor er das Veranlagungsverfahren fortsetzen darf. Es ist unzulässig und verstösst gegen
Art. 127 Abs. 3 BV
, zu einer Ermessensveranlagung zu schreiten, obschon der Pflichtige die Steuerhoheit bestritten hat. Das ergibt sich direkt aus dem verfassungsmässigen Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung und unabhängig davon, ob das kantonale Recht ein solches Domizilverfahren kennt oder nicht (vgl. in diesem Sinne aber
§ 147 Abs. 3 StG
/SO). Gegen den Vorentscheid kann der in Anspruch Genommene die kantonalen Rechtsmittel erheben und ans Bundesgericht gelangen (vgl. u.a.
BGE 134 I 303
E. 1.1 S. 304 f.;
BGE 131 I 145
E. 2.1 S. 147;
BGE 125 I 54
E. 1a S. 55;
BGE 123 I 289
E. 1a S. 291 f.;
BGE 115 Ia 73
E. 3 S. 75 f.; ASA 61 S. 678 E. 2a; RDAF 2010 II S. 577 E. 2; StE 2002 A 24.22 Nr. 4 E. 1a).
3.3.3
Jedoch verwirkt der Pflichtige das Recht zur Anfechtung der Veranlagung eines Kantons nicht nur, wenn er seine dortige Steuerpflicht in Kenntnis des kollidierenden Steueranspruchs eines andern Kantons vorbehaltlos anerkennt, z.B. wenn er sich der Veranlagung ausdrücklich oder stillschweigend unterwirft (vgl.
BGE 123 I 264
E. 2d S. 267;
BGE 101 Ia 384
E. 1 S. 386; ASA 64 S. 167 E. 4a; StE 2000 A 24.5 Nr. 4 E. 1b
; 1998 A 24.42.4
Nr. 1 E. 1b). Die Verwirkung kann sich auch daraus ergeben, dass der Pflichtige im Veranlagungsverfahren seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, z.B. wenn er die verlangte Steuererklärung, die Bilanz und Erfolgsrechnung sowie die Belege seiner Buchhaltung nicht einreicht oder andere für die Bemessung und die Ausscheidung der Steuerfaktoren notwendige Angaben verweigert, so dass zur Ermessensveranlagung geschritten werden muss (vgl. ASA 58 S. 538 E. 2c; 57 S. 582 E. 2b; StE 1987 A 24.5 Nr. 2 E. 1a). Eine solche Verwirkung wird indessen nicht von Amtes wegen berücksichtigt, sondern muss von den
BGE 137 I 273 S. 279
betroffenen Behörden/Kantonen geltend gemacht werden (vgl.
BGE 123 I 264
E. 2d S. 267; Pra 2003 Nr. 172 S. 939 E. 4; StE 2000 A 24.5. Nr. 4 E. 1b). In diesem Sinne verwirkt der Pflichtige seinen Anspruch auf einen Vorentscheid auch dann, wenn er innert Frist die Steuererklärung nicht einreicht, einer Nachfrist ebenfalls keine Folge leistet, sich nach Ermessen veranlagen lässt und erst in der Einsprache gegen die Ermessensveranlagung die Steuerhoheit des Kantons bestreitet (vgl. u.a. ASA 57 S. 582 E. 2b; StE 1987 A 24.5 Nr. 2 E. 1a und 2b; im gleichen Sinne schon
BGE 60 I 346
E. 2 S. 346 f.; siehe auch das Urteil 2C_249/2008 vom 10. Juni 2008 E. 4.2).
3.3.4
Seinerseits verwirkt ein Kanton, der die für die Steuerpflicht massgeblichen Tatsachen kennt oder kennen kann, sein Recht auf Besteuerung, wenn er trotzdem mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich lange zuwartet und wenn bei Gutheissung des erst nachträglich erhobenen Anspruchs ein anderer Kanton zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden müsste, die er formell ordnungsgemäss in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden Steueranspruchs bezogen hat. Bei periodischen Steuern gilt die Veranlagung in der Regel als verspätet, wenn sie nach Ablauf der in Frage stehenden Periode eingeleitet oder ihr Abschluss ohne ausreichenden Grund ungebührlich lange verzögert wird (vgl.
BGE 132 I 29
E. 3.2 S. 32;
BGE 123 I 264
E. 2c S. 266; siehe auch Pra 2003 Nr. 172 S. 939 E. 3.2; ASA 64 S. 167 E. 5a; StE 2008 A 24.1 Nr. 6 E. 3.2
; 2004 A 24.35
Nr. 3 E. 3.1; StR 56/2001 S. 813 E. 3b; mit Hinweisen).
Diese Verwirkung ist aber ein Institut zugunsten der steuererhebenden Kantone und nicht der Pflichtigen. Ihr Sinn und Zweck liegt darin, den betroffenen Zweitkanton davor zu bewahren, schon bezogene Steuern auf Grund eines an sich vorrangigen, aber erst ungebührlich spät erhobenen Steueranspruches rückerstatten zu müssen (vgl.
BGE 132 I 29
E. 3.3 S. 33 ff.; StE 2000 A 24.5 Nr. 4 E. 4b; ASA 56 S. 85 E. 4b; siehe auch schon
BGE 91 I 467
E. 4 S. 475 ff.). Deshalb kann die Verwirkung auch nur durch den anderen Kanton und nicht durch den Pflichtigen selbst geltend gemacht werden (vgl.
BGE 132 I 29
E. 3.1 S. 32;
BGE 123 I 264
E. 2c S. 26; StE 2008 A 24.1 Nr. 6 E. 3.3
; 2002 A 24.22
Nr. 4 E. 4).
Die Voraussetzungen für eine derartige Verwirkung wären hier bei der jeweils erst kurz vor Eintritt der fünfjährigen Verjährung
BGE 137 I 273 S. 280
erfolgten Inanspruchnahme der Besteuerungshoheit durch den Kanton Solothurn an sich für beide Steuerperioden deutlich erfüllt. Weder der Kanton Basel-Landschaft (für das Jahr 2000) noch der Kanton Nidwalden (für 2001) haben jedoch die ihnen zustehende Einrede erhoben.
3.4
Es fragt sich, was aus den genannten, im inner- und zwischenkantonalen Bereich geltenden Grundsätzen für den hier zu beurteilenden Fall zu schliessen ist. Das muss für die beiden Steuerperioden 2000 und 2001 bzw. den jeweils geltend gemachten Verfahrensverstoss getrennt geprüft werden. In Bezug auf die für das Jahr 2000 erfolgte vollumfängliche Unterdrückung der Steuererklärungs-Phase (vgl. dazu oben einleitend vor E. 3.1) muss nach dem Gesagten festgehalten werden, dass sie (besonders) schwer wiegt (vgl. im gleichen Sinne schon IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl. 1976, Nr. 40 V 2b S. 242 f. sowie den Ergänzungsband: RHINOW/KRÄHENMANN, 1990, Nr. 40 V 2b S. 120; in der neuesten Lehre: siehe u.a. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 968 S. 217), als deutliche Abweichung von einem schon im Gesetz ausdrücklich vorgeschriebenen Verfahrensablauf sowie als funktionswidrige Verkehrung eines Notbehelfs in sein Gegenteil (vgl. oben E. 3.2.2). Hier ist diese Unterdrückung unter Umständen geschehen, die zumindest nichts dazu beigetragen haben, den Verfahrensverstoss als weniger krass erscheinen zu lassen (vgl. unten E. 3.4.1). Zudem ist das weitere Verfahren nicht so verlaufen, dass der Verstoss als behoben eingestuft werden könnte (E. 3.4.2).
3.4.1
Mit der direkt vorgenommenen Ermessensveranlagung wollte das Kantonale Steueramt die einige Tage später drohende fünfjährige Veranlagungsverjährung im Sinne von
§ 138 Abs. 1 StG
/SO bzw.
Art. 47 Abs. 1 StHG
unterbrechen. Dafür hätte es aber genügt, der Beschwerdeführerin eben gerade eine Steuererklärung zukommen zu lassen. Das hätte eine hinreichende Einforderungshandlung im Sinne des Gesetzes (vgl.
§ 138 Abs. 3 lit. a StG
/SO) und der Praxis dargestellt (vgl. dazu insb.
BGE 126 II 1
E. 2 S. 2 ff. mit weiteren Hinweisen). Dazu kommt die an sich ungebührlich späte Inanspruchnahme der Besteuerungskompetenz gegenüber der in einem anderen Kanton schon seit beträchtlicher Zeit unbeschränkt und rechtskräftig veranlagten Beschwerdeführerin. Zwar trifft zu, dass es ausschliesslich an diesem anderen Kanton sein kann, die Einrede der
BGE 137 I 273 S. 281
Verwirkung zu erheben. Und allgemein schädigt dieser andere Kanton nur sich selbst, wenn er die Einrede unterlässt. Ein Fall wie der vorliegende wirft indessen die Frage auf, ob den Verfahrensrechten des Pflichtigen nicht zumindest dann ein zusätzliches Gewicht beigemessen werden muss, wenn gegenüber einer in mehrfacher Hinsicht (sehr) problematischen Vorgehensweise eines Kantons andersweitig geregelte Korrekturmechanismen nicht zum Tragen kommen. Zumindest erweist es sich als umso schwerwiegender, wenn eine ungebührlich späte Beanspruchung der Steuerhoheit dann noch mit einem krassen Verfahrensmangel behaftet ist.
3.4.2
Im nachmaligen Verfahren ist die vollumfängliche Unterdrückung der ersten Veranlagungsphase auf jeden Fall nicht genügend behoben worden. Bei richtiger Anwendung der für das Verhältnis zwischen dem veranlagenden Kanton und der steuerpflichtigen Person (vgl. dazu oben E. 3.2) geltenden Regeln hätte die Beschwerdeführerin aufgrund des (direkten) Übergangs zur Ermessensveranlagung die gegen sie verfügte Einschätzung unumgänglich nur mehr wegen offensichtlicher Unrichtigkeit anfechten können (vgl. oben E. 3.2.2). Und im zwischenkantonalen Bereich wäre mit diesem Übergang allenfalls verbunden gewesen, dass die Betroffene ihren Anspruch auf Bestreitung der Solothurner Steuerhoheit und auf Einleitung eines Steuerdomizilverfahrens vollumfänglich und endgültig verwirkt hätte (vgl. oben E. 3.3.3). Weder im Einspracheentscheid noch im angefochtenen Urteil werden diese Schlüsse ausdrücklich oder andeutungsweise gezogen. Gleichzeitig ist aber auf keiner der beiden Verfahrensebenen eine hinreichende und alle betroffenen Dimensionen umfassende Klarstellung erfolgt, wonach die Beschwerdeführerin durch die Unterdrückung der Steuererklärungs-Phase weder inner- noch interkantonal bzw. weder verfahrens- noch materiellrechtlich in irgendeiner Weise schlechtergestellt werden dürfe.
3.4.3
Vor diesem Hintergrund ist die hier für die Steuerperiode 2000 erfolgte vollumfängliche Unterdrückung der ersten Veranlagungsphase als derart krasser Verfahrensfehler einzustufen, dass er nicht nur die blosse Anfechtbarkeit, sondern geradezu die absolute Unwirksamkeit der damit behafteten Veranlagung nach sich ziehen muss.
Bezüglich der Rechtsfolgen ist jedoch zu unterscheiden: Die Vorgehensweise des Solothurner Steueramtes für das Jahr 2000 ist wohl als Veranlagungshandlung nichtig. Daraus kann aber nicht
BGE 137 I 273 S. 282
geschlossen werden, dass die sich darin äussernde Inanspruchnahme der Besteuerungskompetenz mit entsprechender verjährungsunterbrechender Wirkung im Sinne von
§ 139 Abs. 3 lit. a StG
/SO nie erfolgt wäre. Eine solche Verjährungsunterbrechung muss angesichts des praxisgemäss weiten Begriffs der Einforderungshandlung angenommen werden, wie er namentlich im Recht der direkten Bundessteuer geprägt worden ist. Unter diesen Begriff fallen nicht nur die eigentlichen Bezugshandlungen, sondern auch alle auf Feststellung des Steueranspruchs gerichteten Amtshandlungen, die dem Pflichtigen zur Kenntnis gebracht werden. Das kann selbst amtliche Mitteilungen umfassen, die lediglich eine spätere Veranlagung in Aussicht stellen und deren Zweck sich in der Unterbrechung des Verjährungsablaufs erschöpft (vgl. dazu insb.
BGE 126 II 1
E. 2 S. 2 ff.; siehe auch u.a. ASA 73 S. 237 E. 3; je mit weiteren Hinweisen). Genau eine solche Amtshandlung steht hier aber zur Diskussion (vgl. oben E. 3.4.1).
Wenn in diesem Sinne die Unterbrechung der Verjährung angenomen werden kann, so bedeutet das indessen noch nicht, dass der Kanton Solothurn die von ihm so in Anspruch genommene Besteuerungskompetenz hier auch tatsächlich umsetzen könnte. Unter Verwirkungsgesichtspunkten (vgl. dazu oben E. 3.3.4) könnte der Kanton Basel-Landschaft die ihm zustehende Einrede auf jeden Fall wegen der seit dieser Unterbrechung verstrichenen Zeit erheben. Zudem müsste der Beschwerdeführerin ein weiterhin vollumfänglicher verfahrens- und materiellrechtlicher Schutz zugestanden werden. Mit Blick auf den Verfahrensausgang sind diese Fragen vorliegend aber nicht weiter zu erörtern.
3.5
Für die Steuerperiode 2001 sind hier gegenüber derjenigen von 2000 zwei wesentliche Unterschiede festzuhalten: Einerseits stellte das Steueramt des Kantons Solothurn der Beschwerdeführerin wohl eine Steuererklärung zu, welche diese ihm unausgefüllt zurückschickte. Darauf nahm das Amt, ohne die Pflichtige zu mahnen, direkt eine endgültige Ermessensveranlagung vor. Darin liegt zwar ein unbestreitbarer Verstoss gegen den bereits im Gesetz geregelten Verfahrensablauf (vgl. oben E. 3.2.1). Er wiegt jedoch weniger schwer als die vollumfängliche Unterdrückung der ersten Verfahrensphase. Schon das spricht dagegen, für 2001 ebenfalls die Nichtigkeit der nachmaligen Veranlagung anzunehmen. Andererseits hat die Beschwerdeführerin nicht angemessen auf die Inanspruchnahme der
BGE 137 I 273 S. 283
Besteuerungshoheit durch den Kanton Solothurn reagiert: Statt die ihr zugestellte Steuererklärung bloss unausgefüllt zurückzuschicken, hätte sie dies damit verbinden müssen, in aller Form die solothurnische Steuerhoheit zu bestreiten und ausdrücklich die Einleitung des Steuerdomizilverfahrens zu verlangen. Dass sie das unterlassen hat, schwächt zusätzlich die Tragweite des durch die Veranlagungsbehörde begangenen Verfahrensverstosses. Gleichzeitig kann die blosse Zurücksendung der unausgefüllt gelassenen Steuererklärung nicht so gewertet werden, dass die Beschwerdeführerin damit die Solothurner Steuerhoheit stillschweigend akzeptiert hätte (vgl. oben E. 3.3.3).
Unter den gegebenen Umständen kann und muss es gesamthaft genügen, dass das Bundesgericht das angefochtene Urteil bezüglich der Steuerperiode 2001 ohne die Einschränkungen überprüft, die sich üblicherweise aus dem Übergang zur Ermessensveranlagung ergeben, sei es in Bezug auf die materielle Einschätzung oder die interkantonale Ordnung der Besteuerungskompetenzen (vgl. oben E. 3.2.2 und 3.3.3). In diesem Sinne ist nun zu beurteilen, ob die Behörden des Kantons Solothurn für die genannte Periode zu Recht eine Betriebsstätte der Beschwerdeführerin im Kanton angenommen haben. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ccb4ad8c-895d-4f9b-88dc-4aa354845ae9 | Urteilskopf
82 I 167
23. Auszug aus dem Urteil vom 21. November 1956 i.S. Hauri gegen Statthalter des Appellationsgerichts und Staatsanwalt- schaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (
Art. 84 Abs. 2 OG
).
Wenn ein in der Schweiz zu einer Gesamtstrafe Verurteilter vom Ausland unter Vorbehalt gewisser Nichtauslieferungsdelikte zum Strafvollzug ausgeliefert wird und deshalb die Gesamtstrafe nachträglich durch Ausscheidung der auf diese Delikte entfallenden Quote aufgeteilt wird, so kann dieser Entscheid wegen Verletzung des Grundsatzes der Spezialität der Auslieferung (und wegen Ermessensüberschreitung) bei der Bestimmung jener Quote mit Nichtigkeitsbeschwerde nach
Art. 268 ff. BStP
und daher nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden. | Sachverhalt
ab Seite 168
BGE 82 I 167 S. 168
A.-
Der Beschwerdeführer Hans Jakob Hauri ist durch Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 3. Februar 1954 wegen gewerbsmässigen Betrugs und verschiedener weiterer Delikte zu vier Jahren Zuchthaus abzüglich 15 Monate Untersuchungshaft verurteilt worden. Am 27. Januar 1955 gelang es ihm, aus der Strafhaft nach Frankreich zu entfliehen. In der Folge wurde er ausgeliefert unter Vorbehalt von 9 (von insgesamt 23) Betrugsfällen und einer Reihe anderer Delikte, die keine Auslieferungsdelikte seien. Im Hinblick auf diesen Vorbehalt verfügte der Statthalter des Appellationsgerichts am 28. Juni 1956, dass von der vierjährigen Zuchthausstrafe vorerst nur 3 1/2 Jahre zu vollziehen seien und dass dem Verurteilten zu eröffnen sei, die restlichen 6 Monate würden ebenfalls vollzogen, sofern er nach Ablauf eines Monats seit seiner Entlassung in der Schweiz betroffen werde.
Als sich Hauri am 23. Juli 1956 beim Statthalter erkundigte, bei welcher Instanz er diese ihm am 30. Juni eröffnete Verfügung anfechten könne, wurde ihm am 25. Juli mitgeteilt, dass er dagegen staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht, eventuell gleichzeitig Beschwerde beim eidg. Justiz- und Polizeidepartement erheben könne.
B.-
Am 30. Juli 1956 hat Hauri beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht mit dem
BGE 82 I 167 S. 169
Antrag, die Verfügung des Statthalters des Appellationsgericht vom 30. Juni 1956 sei aufzuheben. Er beruft sich auf
Art. 4 BV
und macht geltend: Der grösste Teil der Delikte, deretwegen er in der Schweiz verurteilt worden sei, und insbesondere alle Betrugsfälle seien nach französischem Recht nicht strafbar und daher keine Auslieferungsdelikte, was die Vollstreckbarkeit der gesamten noch nicht verbüssten Freiheitsstrafe ausschliesse. Sodann lasse der angefochtene Entscheid ausser Betracht, dass der franz.-schweiz. Auslieferungsvertrag die Auslieferung zum Strafvollzug gar nicht vorsehe.
C.-
Das Ergebnis eines über die Frage der Zuständigkeit zur Beurteilung der Beschwerde erfolgten Meinungsaustausches der staatsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts mit dem Bundesrate und mit dem Kassationshof des Bundesgerichts ist aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.
D.-
Das Bundesgericht ist auf die Beschwerde nicht eingetreten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Nach
Art. 84 Abs. 2 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder andern Bundesbehörde gerügt werden kann.
Der Beschwerdeführer beanstandet vor allem, dass der angefochtene Entscheid die auf die Auslieferungsdelikte entfallende Quote der vom Appellationsgericht seinerzeit ausgefällten Gesamtstrafe von 4 Jahren Zuchthaus mit 3 1/2 Jahren zu hoch bemessen habe. Damit macht er eine Verletzung des in Art. 8 des französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrags enthaltenen Grundsatzes der Spezialität der Auslieferung und allenfalls noch eine Ermessensüberschreitung bei der Bestimmung jener Quote geltend. Würde es sich bei der Ausscheidung des auf die Auslieferungsdelikte entfallenden Teils der Gesamtstrafe
BGE 82 I 167 S. 170
um eine blosse Vollstreckungsfrage handeln, wie der angefochtene Entscheid annimmt, so wäre darüber gemäss
Art. 392 StGB
in Verbindung mit
Art. 125 lit. b OG
vom Bundesrat zu entscheiden. Diese Betrachtungsweise ist indessen unzutreffend. Die infolge des Vorbehalts in der.Auslieferungsbewilligung notwendig gewordene nachträgliche Aufteilung der Gesamtstrafe durch Ausscheidung des auf die Nichtauslieferungsdelikte entfallenden Teils ist auch nach Auffassung des Bundesrates und des Kassationshofes Strafzumessung im Sinne der
Art. 63 ff. StGB
. Entscheidungen, durch die das Mass einer Strafe festgesetzt wird, sind aber Urteile im Sinne von
Art. 268 Abs. 1 BStP
, und es kann daher die Frage, ob eine solche nachträgliche Aufteilung einer Gesamtstrafe Bundesrecht verletze, zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof gemacht werden. Als Verletzung eidgenössischen Rechts im Sinne von
Art. 269 Abs. 1 BStP
gilt auch die Verletzung von Staatsverträgen mit Einschluss der Auslieferungsverträge, also auch die Verletzung des im französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrag aufgestellten Grundsatzes der Spezialität (vgl.
BGE 81 IV 290
Erw. II/1, nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1951 i.S. Lebet Erw. III/2). Die in der vorliegenden Beschwerde erhobenen Rügen der Verletzung dieses Grundsatzes und allenfalls der Ermessensüberschreitung bei der Bestimmung der auf die Auslieferungsdelikte entfallenden Quote der Gesamtstrafe hätten daher mit der Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden können, womit die staatsrechtliche Beschwerde, als subsidiäres Rechtsmittel, ausgeschlossen ist.
Von der Überweisung der Beschwerde an den Kassationshof zur Beurteilung als Nichtigkeitsbeschwerde kann schon deshalb abgesehen werden, weil sie als solche, wie der Kassationshof bestätigt hat, offensichtlich verspätet ist (
Art. 272 BStP
). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Statthalter des Appellationsgerichts
BGE 82 I 167 S. 171
Basel-Stadt den Beschwerdeführer auf dessen Anfrage vom 23. Juli 1956 hin fälschlicherweise auf die Möglichkeit der staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht, eventuell der Beschwerde an das eidg. Justiz- und Polizeidepartement hingewiesen hat, da bereits in jenem Zeitpunkt die Frist für die Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde abgelaufen war.
..... | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ccb90bdc-c7aa-410b-9b8f-81c66e0a9283 | Urteilskopf
83 I 285
40. Arrêt du 1er novembre 1957 dans la cause B. contre Genève. | Regeste
Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB.
Der Anteil des Aktionärs am Überschuss aus der Teilliquidation einer amerikanischen Aktiengesellschaft unterliegt der Steuer vom Einkommen. | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 83 I 285 S. 285
A.-
En 1954, B. était propriétaire de 100 actions de la Briggs Manufacturing Co., à Détroit. Cette société réorganisa peu après sa structure financière, ayant vendu ses ateliers de carrosserie à la société Chrysler. Elle paya à ses actionnaires 32'263 $ pour chacune de ses 1947 469
BGE 83 I 285 S. 286
actions et procéda en outre à un échange, émettant 21 titres nouveaux pour 100 anciens. Les uns ni les autres n'avaient aucune valeur nominale. Les 62.830.485 $ que la société paya en espèces furent prélevés sur les comptes suivants:
"Common stock account" (= "capital
account") 9.945.698 $
"Capital surplus account" 5.407.571 $
"Earned surplus account" 47.477.216 $
Total .... 62.830.485 $
En 1955, la Briggs Manufacturing Co. attribua une valeur nominale de 3,50 $ à ses nouvelles actions. De plus, pour chacune d'entre elles, elle en distribua gratuitement deux, qui avaient la même valeur nominale.
Lors de la taxation pour la 8e période de l'impôt pour la défense nationale, l'autorité fiscale ajouta au revenu déclaré par B. une somme de 10 791 fr., correspondant aux 3226,30 $ touchés en espèces de la Briggs Manufacturing Co., considérant qu'il s'agissait là d'une part aux bénéfices selon l'art. 21 al. 1 lit. c AIN. Elle calcula cette valeur comme il suit:
D'après les instructions de l'Administration fédérale des contributions touchant les bénéfices de liquidation de sociétés américaines, on considère comme remboursement des parts au capital social, remboursement non imposable,
la totalité du prélèvement sur le
"capital account" 9.945.698 $
7/10 du prélèvement sur le "capital
surplus account" 3.785.299 $
Total .... 13.730.997 $
Cela représente une somme de 7'051 $ pour chacune des 1.947.469 actions. La différence entre cette somme et celle qui a été payée (32'263 $), c'est-à-dire 25'212 $, représente le montant imposable au titre du revenu pour chaque
BGE 83 I 285 S. 287
action. Ce sont donc, pour les 100 titres de B., 2521,20 $ ou, au cours de 4,28 fr. pour un dollar, 10 791 fr.
Le contribuable forma une réclamation, mais la Commission genevoise de recours de l'impôt fédéral pour la défense nationale le débouta, le 4 juin 1957, en bref par les motifs suivants:
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, l'art. 21 al. 1 lit. c AIN est aussi applicable à l'émission d'actions gratuites. Il l'est également lorsque, comme en l'espèce, une société anonyme procède à une liquidation partielle. N'est exclu de l'imposition que le remboursement des parts au capital social existantes. L'Administration fédérale des contributions a fixé dans des instructions comment il faut calculer les sommes afférentes à ce remboursement. Elle s'est fondée, ce faisant, sur un "modus vivendi" dont elle est convenue avec l'Association suisse des banquiers. La taxation du recourant est conforme à ces instructions.
B.-
B. a formé un recours de droit administratif. Il conclut à l'annulation de la décision du 4 juin 1957 et à la déduction d'une somme de 10 791 fr. sur son revenu imposable. Son argumentation se résume comme il suit:
a) L'imposition, au titre du revenu, des actions gratuites et des bénéfices de liquidation frappe en réalité un bénéfice qui a déjà été réalisé par l'augmentation du cours des titres. La charge fiscale se justifie lorsque le contribuable a bénéficié lui-même de cette plus-value. En revanche, lorsqu'il a acquis les actions au cours déjà élevé en raison des réserves accumulées, il est imposé contrairement à la loi, arbitrairement, sur un gain qu'un autre a réalisé.
b) Il en va de même à fortiori lorsqu'il s'agit d'une société anonyme étrangère et que le bénéfice résultant du cours a été fait par un titulaire étranger. L'art. 21 al. 1 lit. c AIN, sa genèse le montre, ne peut avoir le sens que l'autorité cantonale lui donne. Il doit frapper les mêmes prestations que le timbre sur les coupons et l'impôt anticipé. Ceux-ci ne grevant pas les actions étrangères, il doit
BGE 83 I 285 S. 288
en aller de même de l'impôt sur le revenu selon l'art. 21 al. 1 lit. c AIN.
c) C'est en outre violer la loi que d'appliquer "des règles de droit fiscal conçues en fonction du droit privé suisse à des phénomènes économiques qui se déroulent sous l'empire d'un droit étranger", c'est-à-dire à des actions du droit américain sans valeur nominale. Ces titres n'ont qu'une valeur commerciale et il n'est pas possible de reconstituer pour eux une autre valeur. Le "modus vivendi" convenu entre l'Administration fédérale des contributions et l'Association suisse des banquiers ne saurait être opposé au recourant qui n'y a pas adhéré. Un impôt ne peut être fondé que sur la loi, non pas sur une convention. De plus, la taxation n'est pas conforme à l'arrangement invoqué, car elle n'exonère que 7/10 du montant prélevé sur le "capital surplus account", au lieu des 9/10 convenus. C'est seulement la valeur commerciale connue des actions qui pouvait entrer en ligne de compte; cette valeur est égale au cours.
d) La Commission genevoise de recours estime à tort que la Briggs Manufacturing Co. a créé de nouveaux droits de participation. Elle a racheté 79% de ses actions et émis de nouveaux titres pour le reste. Mais la participation des actionnaires à ce reste est demeurée la même et ils n'ont, dans cette mesure, reçu aucune prestation appréciable en argent.
e) Si, la veille du rachat de ses actions, le recourant les avait vendues pour un prix identique, il n'aurait pas réalisé un gain imposable, mais au contraire subi une perte. En décembre 1953, il a acheté ses titres pour 3620,44 $ et n'a reçu, pour leur rachat, que 3226,30 $, de sorte qu'il a perdu 394,14 $. Sans doute a-t-il reçu en compensation 21 actions nouvelles. Mais elles ne valaient que 429,48 $. Sa fortune a donc augmenté de 141 fr. 41.
C.-
La Commission genevoise de recours et l'Administration fédérale des contributions concluent au rejet du recours.
BGE 83 I 285 S. 289
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
L'art. 21 al. 1 AIN impose le revenu total du contribuable provenant d'une activité lucrative, du rendement de la fortune ou d'autres sources de recettes. La lettre c du même article compte dans le rendement de la fortune mobilière en particulier les intérêts, les rentes et parts de bénéfices provenant de créances et de participations de toutes natures. D'après un complément que cette disposition légale a reçu par l'ACF du 31 octobre 1944, les parts aux bénéfices provenant de participations comprennent "toutes les prestations appréciables en argent, faites par la société au porteur de droits de participation, sous forme de versement, virement, inscription au crédit, inscription ou d'une autre manière, qui ne constituent pas un remboursement des parts au capital social existantes". Constitue aussi une part de bénéfice d'après cette définition la part proportionnelle au produit de la liquidation d'une société anonyme, part attribuée à l'actionnaire, dans la mesure où elle dépasse sa mise de fonds effective (arrêt du 11 octobre 1957 en la cause X. c. Bern, RO 83 I 278).
La réorganisation de sa structure financière opérée par la Briggs Manufacturing Co. constitue une liquidation partielle. Elle a réduit à 21% le nombre de ses actions (sans valeur nominale) et, pour chacune des actions anciennes, elle a payé 32'263 $. Elle a prélevé les fonds nécessaires en partie sur son capital social - 79% du "capital account" et du "capital surplus account", proportion correspondant à la réduction - mais principalement sur le "earned surplus account" (cet article comprenait sans doute, en plus des réserves précédemment accumulées, le prix payé par la société Chrysler pour les ateliers de carrosserie). Il n'est donc plus resté qu'une entreprise réduite avec un capital diminué, mais auquel les anciens actionnaires participent dans la même proportion qu'auparavant, tandis que, pour leur ancienne participation aux ateliers de carrosserie, ils ont reçu le paiement
BGE 83 I 285 S. 290
indiqué plus haut. Les nouvelles actions qui leur ont été remises, c'est-à-dire 21 titres nouveaux pour 100 anciens, représentent leur participation aux éléments de l'entreprise qui subsistent; quant au paiement de 32'263 $ par titre, il provient du produit de la liquidation partielle. Dans la mesure où cette prestation ne constitue pas un remboursement des parts au capital social existantes (c'est-à-dire excède le montant du capital afférent aux biens réalisés), elle doit, de par l'art. 21 al. 1 lit. c AIN, être considérée comme une part aux bénéfices imposable au titre du revenu.
2.
Les objections que le recourant formule ne sont pas fondées.
a) Il allègue qu'en réalité, l'imposition du bénéfice de liquidation, dans son cas, grève un bénéfice qui s'est déjà manifesté précédemment par la hausse du cours des actions. Il estime que cette imposition se justifie lorsque c'est le contribuable lui-même qui a réalisé le bénéfice, mais non pas lorsqu'il a acquis les actions au cours déjà élevé. Cette distinction est incompatible avec le système de la loi. L'art. 21 al. 1 lit. c AIN définit comme part aux bénéfices imposables toutes les prestations appréciables en argent, faites aux actionnaires et qui ne constituent pas le remboursement des parts au capital social existantes. On ne peut qualifier de "part au capital social" que le montant payé comptant ou d'une autre manière par l'actionnaire à la société ou pour lui par la société elle-même comme contribution au capital social. Cette définition est conforme à la jurisprudence constante du Tribunal fédéral (RO 80 I 42, consid. 2; arrêt X. c. Bern, précité, et les arrêts cités). La formule de l'art. 21 al. 1 lit. c AIN est plus courte que celle de l'art. 5 al. 2 LC, mais elle a le même sens: "remboursement des parts au capital social versé, parts donnant droit aux dividendes et existant au moment où la prestation est effectuée". Introduite par l'ACF du 31 octobre 1944, elle avait pour but, précisément, de définir la notion de part aux bénéfices de la même façon
BGE 83 I 285 S. 291
que le fait l'art. 5 al. 2 LC (FF 1944, p. 1159). N'est franc de l'impôt sur le revenu que le remboursement de ce que la société a reçu de l'actionnaire au titre du capital (ou a versé pour lui au capital par prélèvement sur ses propres biens). La valeur vénale de la part au capital n'entre pas en ligne de compte, pas plus que le montant versé par le dernier acquéreur des actions comme prix d'achat. Ce montant représente la valeur économique des titres au moment de la vente, y compris le droit au produit de la liquidation. Mais il ne constitue en aucune manière une prestation à la société, que celle-ci rembourserait lors de la liquidation.
b) Du rapprochement qu'il y a lieu de faire entre la dernière partie de l'art. 21 al. 1 lit. c AIN et l'art. 5 al. 2 LC, le recourant croit pouvoir conclure que les parts aux bénéfices provenant des actions étrangères ne sont pas soumises à l'impôt sur le revenu, car, dit-il, elles ne le sont pas non plus au droit de timbre sur les coupons. Cette opmion est erronée. Le législateur a voulu définir de la même façon les parts aux bénéfices dans les deux systèmes d'impôts, mais non pas apporter les mêmes limites à l'imposition de cet objet. Le timbre sur les coupons et l'impôt anticipé ne frappent que les actions et les obligations suisses, tandis que l'impôt pour la défense nationale touche - avec les exceptions prévues aux art. 18bis, 19, 20, 22 et 25, qui n'entrent pas ici en ligne de compte - le revenu total du contribuable, sans faire aucune distinction entre celui qui provient de biens mobiliers suisses et étrangers. Il en était déjà ainsi avant que l'art. 21 al. 1 lit. c eût été complété par l'ACF du 31 octobre 1944. Alors déjà, le Tribunal fédéral avait jugé que toutes les prestations des sociétés aux porteurs de participations étaient, de par l'art. 21 AIN, imposables au titre du revenu et non pas seulement au titre de l'impôt pour la défense nationale perçu à la source - lequel a été remplacé par l'impôt anticipé (RO 70 I 321). Cela exclut toute différence dans le traitement des actions suisses et étrangères. L'adjonction
BGE 83 I 285 S. 292
apportée, en 1944, à l'art. 21 al. 1 lit. c AIN n'a fait que préciser le sens de cette disposition légale.
c) Dans le cas des sociétés anonymes suisses, le montant des participations au capital social résulte immédiatement de la valeur nominale ou de la part libérée des titres. S'agissant d'actions américaines, le calcul de ce montant n'est pas aussi simple, car ces titres sont fréquemment émis sans valeur nominale ou pour un prix égal à un multiple de cette valeur. C'est pourquoi il faudrait, pour fixer le montant réel de la participation, se référer à la somme effectivement payée par l'actionnaire lors de l'émission, somme qui est versée non seulement au "capital account", mais le plus souvent aussi, et même principalement, au "capital surplus account", lequel comprend également des fonds d'autres origines. Il est dès lors très difficile de constater le montant de la participation au capital social. C'est pourquoi, d'accord avec l'Association suisse des banquiers, l'Administration fédérale des contributions a établi des directives pour la fixation de la part non imposable des excédents de liquidation provenant de sociétés anonymes américaines. Elle y constate qu'outre le "capital account", en cas d'augmentation gratuite de la valeur nominale et d'émission d'actions gratuites, 9/10 du "capital surplus account" et, en cas de liquidation, 7/10 de cet article du bilan doivent être considérés comme représentant les participations des actionnaires au capital social. La taxation du recourant sur sa part à la liquidation partielle de la Briggs Manufacturing Co. est conforme à ces directives.
Celles-ci ne constituent pas une transaction fiscale conclue avec les membres de l'Association suisse des banquiers, mais une estimation faite in abstracto des parts au capital social visées par l'art. 21 al. 1 lit. c AIN dans le cas des actions américaines, parts dont l'estimation se heurte à de graves difficultés. L'Association suisse des banquiers a collaboré à l'établissement de ces directives en raison de ses connaissances spéciales en la matière. Le recourant
BGE 83 I 285 S. 293
n'allègue pas que, dans le cas de la Briggs Manufacturing Co. l'estimation soit fausse et qu'il faudrait donc s'écarter des règles établies par l'administration. Il affirme seulement que ces règles auraient été mal appliquées; qu'il aurait fallu considérer comme soustraits à l'impôt 9/10 et non pas seulement 7/10 des sommes provenant du "capital surplus account". Mais c'est seulement pour le cas de l'augmentation gratuite de la valeur nominale ou de l'émission gratuite que les instructions prévoient une proportion de 9/10; elles s'en tiennent à 7/10 lorsque, comme dans la présente espèce, il y a eu liquidation partielle. Le Tribunal fédéral n'a aucune raison de s'écarter des principes ainsi posés par l'administration.
d) Si, dans la réorganisation de la Briggs Manufacturing Co., les actionnaires n'ont point reçu de droits de participation nouveaux, mais ont conservé ceux qu'ils avaient précédemment, réduits par la liquidation partielle, il n'en reste pas moins que, par suite de cette liquidation, ils ont touché 32'263 $ par action. C'est là incontestablement une prestation appréciable en argent, faite par la société à ses actionnaires sur ses fonds propres. Peu importe, à cet égard, que les bénéficiaires ne soient pas enrichis, en ce sens qu'auparavant déjà, ils avaient droit au bénéfice de liquidation du seul fait de leur participation. La situation est la même dans le cas le plus typique du revenu provenant d'actions, à savoir la distribution de dividendes: Là aussi, le droit au dividende existait dès avant la distribution et se répercutait sur la valeur vénale (cours) des titres. Vu la teneur formelle de l'art. 21 al. 1 lit. c AIN, le point décisif n'est pas que l'actionnaire soit enrichi, ni qu'il ait joui d'un revenu - ce dernier terme étant pris dans son acception commune -, mais bien qu'il ait reçu une prestation appréciable en argent qui ne constitue pas un remboursement de sa part au capital social. Pas plus que le dividende, le bénéfice de liquidation, c'est-à-dire la somme excédant le capital social libéré, ne donne lieu à un tel remboursement lorsqu'on le distribue aux actionnaires.
BGE 83 I 285 S. 294
e) Le recourant objecte enfin que, si l'on ne tient pas compte des actions nouvelles reçues ou tout au moins des 42 actions gratuites reçues en dernier lieu (en 1955), l'achat et la revente de ses titres lui ont causé une perte ou, tout au moins, ne lui ont laissé qu'un bénéfice de 141 fr. 41. Cette argumentation est sans pertinence. Selon l'exposé qui précède, l'art. 21 al. 1 lit. c AIN ne permet pas de tenir compte du bénéfice ou de la perte que le contribuable peut avoir faits par l'achat ou la revente des titres. Il n'autorise à prendre en considération que la somme payée à la société par les actionnaires pour l'émission et celle qu'elle leur a versée lors de la liquidation; la différence constitue le bénéfice de liquidation; elle est imposable au titre du revenu de la fortune.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,957 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ccb9ac22-a5d3-42b9-ae72-dd88a8b15c1e | Urteilskopf
107 V 87
18. Auszug aus dem Urteil vom 14. Mai 1981 i.S. Papadopoulos gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 11 Abs. 1 IVV
.
Die Transportkosten bei der Sonderschulung müssen zum erstrebten Eingliederungserfolg in einem vernünftigen Verhältnis stehen. | Erwägungen
ab Seite 87
BGE 107 V 87 S. 87
Aus den Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 11 Abs. 1 IVV
übernimmt die Versicherung die für den Besuch der Sonderschule sowie für die Durchführung pädagogisch-therapeutischer Massnahmen notwendigen invaliditätsbedingten Transportkosten. Vergütet werden die Kosten, die den Preisen der öffentlichen Transportmittel für Fahrten auf dem direkten Weg entsprechen, oder die Kosten des von der Sonderschule organisierten Sammeltransportes. Ausnahmsweise können die Kosten anderer Transportmittel vergütet werden, wenn die Schule deren Benützung als notwendig erachtet.
Als notwendige Reisekosten (im Inland) gelten nach
Art. 90 Abs. 1 IVV
die Kosten von Fahrten zur nächstgelegenen geeigneten Durchführungsstelle, wogegen der Versicherte, der eine entferntere Durchführungsstelle wählt, die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen hat.
2.
Die erwähnte Regelung sieht ihrem Wortlaut nach keine generelle Höchstbegrenzung der Transportkostenvergütung vor. Es stellt sich daher die Frage, ob sich allenfalls auf dem Wege der
BGE 107 V 87 S. 88
Auslegung oder aufgrund allgemeiner Grundsätze eine Begrenzung ergibt. Die Rekurskommission beruft sich zur Einführung einer Höchstgrenze auf den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismässigkeit; sie sieht im vorliegenden Fall ein Missverhältnis zwischen den Transportkosten einerseits und der eigentlichen Eingliederungsmassnahme, nämlich dem Besuch der Tagesschule für wahrnehmungsgeschädigte Kinder, anderseits. Das ist aber unerheblich. Der allgemeine Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der auch hier zur Anwendung gelangen muss, beschlägt nicht die Relation zwischen den Kosten der eigentlichen Eingliederungsmassnahme und den zu ihrer Durchführung notwendigen Transportkosten, sondern die Relation zwischen den Transportkosten einerseits und dem mit der Eingliederungsmassnahme verfolgten Zweck anderseits. Eine betragsmässige Begrenzung der notwendigen Transportkostenvergütung käme demnach mangels einer ausdrücklichen gegenteiligen Bestimmung bloss in Frage, wenn zwischen dieser und dem Eingliederungszweck ein derart krasses Missverständnis bestände, dass sich die Vergütung der vollen Transportkosten schlechthin nicht verantworten liesse. Besteht kein solches Missverhältnis, so hat die Invalidenversicherung für die vollen Transportkosten aufzukommen.
3.
Der Beschwerdeführer besuchte von seinem Wohnort Geroldswil aus die an der Triemlistrasse 141 gelegene Tagesschule für wahrnehmungsgeschädigte Kinder. An diesen Sonderschulbesuch gewährte die Invalidenversicherung einen Schul- und Kostgeldbeitrag (Verfügung vom 4. Juli 1977). Damit anerkannte die Verwaltung grundsätzlich die Notwendigkeit und Zweckmässigkeit dieser Massnahme...
Gemäss vorinstanzlicher Beschwerde beliefen sich die Spesen für das Sammeltaxi auf Fr. 440.-- in der Woche. Dazu käme der einmalige wöchentliche Transport mit einem Privatwagen, für den eine Entschädigung von rund Fr. 10.-- verlangt wurde. Die Kosten von ca. Fr. 450.-- pro Woche wären allerdings aussergewöhnlich hoch. Trotzdem könnte nicht gesagt werden, sie ständen zu dem mit der Sonderschulung angestrebten Eingliederungsziel in einem unvernünftigen, ja geradezu unverantwortbaren Verhältnis.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons
BGE 107 V 87 S. 89
Zürich vom 20. August 1979 sowie die Kassenverfügung vom 24. Juli 1978, diese soweit die Transportkosten zum Gegenstand hat, aufgehoben werden, und es wird die Sache an die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit diese, nach erfolgten Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Transportkostenvergütung neu verfüge. | null | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
ccc3cc83-ca0f-42a8-af50-abbb692d21bd | Urteilskopf
102 IV 116
29. Urteil des Kassationshofes vom 11. Februar 1976 i.S. Polizeiamt Winterthur gegen Kaufmann | Regeste
Art. 53 Abs. 5 SSV
,
Art. 36 Abs. 2 SVG
.
Wo der Verlauf einer vortrittsberechtigten Hauptstrasse im Einmündungsgebiet von Nebenstrassen durch eine Begrenzungslinie markiert wird, bezeichnet diese Linie auch das Ende der vortrittsberechtigten Kreuzungsfläche (Erw. 2-3). | Sachverhalt
ab Seite 116
BGE 102 IV 116 S. 116
A.-
Am 8. August 1974, um 14.10 Uhr, fuhr der PTT-Beamte Viktor Kaufmann am Steuer eines Personenwagens in Winterthur aus der Neuwiesenstrasse rechts in die als Hauptstrasse signalisierte Zürcherstrasse ein, um auf dieser seine Fahrt stadtauswärts fortzusetzen. Die Zürcherstrasse beschreibt an der Stelle, wo rechts zunächst in spitzem Winkel die Neuwiesenstrasse und anschliessend in stumpfem Winkel die Anton-Graffstrasse einmünden, eine Linksbiegung und weitet sich platzartig aus. Ihr rechter Rand ist auf dieser Verzweigungsfläche mit einer Begrenzungslinie markiert. Auf der Neuwiesenstrasse ist anderseits vor der trichterförmigen Ausweitung das Signal Nr. 116 (kein Vortritt) aufgestellt, während die Anton-Graffstrasse als Stopstrasse signalisiert und markiert ist.
Als Kaufmann aus der Neuwiesenstrasse herausfuhr, näherte sich auf der Zürcherstrasse von links Ernst Rösli, der in die Anton-Graffstrasse abbiegen wollte. Kaufmann versperrte ihm dabei, bevor er die Begrenzungslinie erreicht hatte, die Fahrbahn. Um einen Zusammenstoss zu vermeiden, bremste Rösli so stark, dass die auf dem Dach seines Wagens mitgeführte Warenladung auf die Strasse rutschte.
B.-
Mit Strafverfügung vom 18. Juni 1975 büsste das Polizeiamt der Stadt Winterthur Kaufmann wegen Übertretung
BGE 102 IV 116 S. 117
von Art. 27 Abs. 1 und 36 Abs. 2 SVG sowie
Art. 65 Abs. 1 SSV
mit Fr. 50.--.
Kaufmann verlangte gerichtliche Beurteilung.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Winterthur sprach Kaufmann am 24. September 1975 frei. Eine gegen dieses Urteil vom Polizeiamt eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 25. November 1975 abgewiesen.
C.-
Das Polizeiamt der Stadt Winterthur führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Abweisungsbeschluss des Obergerichtes sei aufzuheben und Kaufmann im Sinne der Strafverfügung vom 18. Juni 1975 zu bestrafen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Soweit der Beschwerdeführer verlangt, das Bundesgericht solle den Beschwerdegegner nach Aufhebung des angefochtenen Entscheides bestrafen, ist er nicht zu hören. Bei der kassatorischen Natur der Nichtigkeitsbeschwerde kommt im Fall einer Gutheissung der Beschwerde nur eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz in Frage (
Art. 277ter Abs. 1 BStP
). Das Begehren des Polizeiamtes ist deshalb in diesem Sinne entgegenzunehmen.
2.
Nach ständiger Rechtsprechung steht beim Zusammentreffen einer Hauptstrasse mit Nebenstrassen der Vortritt dem Berechtigten auf der ganzen Fläche zu, auf der sich die Strassen überschneiden. Diese Kreuzungs- oder Einmündungsfläche wird normalerweise durch die Randlinie der Fahrbahn des Vortrittsberechtigten begrenzt. Wo sich das Einmündungsgebiet trichterförmig ausweitet, verläuft die Randlinie von dem Punkt, wo sich die vortrittsberechtigte Strasse auszuweiten beginnt, und endet an der Stelle, wo sie mit der Randlinie der einmündenden Nebenstrasse zusammentrifft (
BGE 100 IV 97
,
BGE 98 IV 116
,
BGE 85 IV 87
). Im vorliegenden Fall ist die Randlinie, die das Verzweigungsgebiet zwischen der Zürcherstrasse und der Neuwiesenstrasse abgrenzt, in der unten wiedergegebenen Planskizze eingezeichnet. Da sie mit der am Boden markierten Begrenzungslinie nicht zusammenfällt, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung dieser besonderen Markierung im Verhältnis zur Randlinie.
BGE 102 IV 116 S. 118
(Skizze nicht wiedergegeben)
3.
Gemäss
Art. 53 Abs. 5 SSV
zeigen die ununterbrochenen Randlinien (Nr. 409) den Rand der Fahrbahn an, wahrend die unterbrochenen Begrenzungslinien (Nr. 410) die Fahrbahn von andern Verkehrsflächen abgrenzen (z.B. Einmündungen Ausfahrten usw.). Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung scheidet also die Begrenzungslinie Verkehrsflächen und begründet damit eine Aufteilung des dem Verkehr zukommenden Raums. Sie hat nicht nur, wie das Polizeiamt annimmt, die Bedeutung eines blossen Mittels zur flüssigen Verkehrsführung auf der Hauptstrasse, sondern ihr Sinn liegt ausserdem in einer bestimmten verkehrsrechtlichen Zuordnung der durch die Begrenzungslinie getrennten Verkehrsflächen. Wo sie im Einmündungsgebiet einer Nebenstrasse eine vortrittsberechtigte Hauptstrasse begrenzt, endet mit ihr die vortrittsberechtigte Kreuzungsfläche. Das hat zur Folge, dass ausserhalb der Begrenzungslinie die allgemeine Ordnung gilt, insbesondere die Regelung des Rechtsvortritts. Im gleichen Sinne wurde auch in
BGE 100 IV 97
entschieden.
BGE 102 IV 116 S. 119
4.
Aus der erwähnten Zweckbestimmung der Begrenzungslinie folgt, dass der auf der Zürcherstrasse heranfahrende Rösli jenseits der Begrenzungslinie nicht mehr vortrittsberechtigt war und Kaufmann nach der Regel des Rechtsvortritts aus der Neuwiesenstrasse bis zur Begrenzungslinie der Hauptstrasse vorstossen durfte.
Demgegenüber halten die Einwände des Polizeiamtes nicht stand. Das vor der Einmündung der Neuwiesenstrasse angebrachte Signal "Kein Vortritt" könnte zwar, wenn es für sich allein stünde, zu Zweifeln Anlass geben. Es wird indessen im Sinne des
Art. 65 Abs. 4 SSV
ergänzt durch die Tafel "Richtung der Hauptstrasse" (Nr. 381), wodurch darauf hingewiesen wird, dass sich das Signal Nr. 116 (kein Vortritt) ausschliesslich auf die als Hauptstrasse signalisierte Zürcherstrasse bezieht, deren Verlauf durch die Begrenzungslinie markiert wird.
Auch kann von einem Widerspruch des angefochtenen Urteils mit
Art. 15 Abs. 1 VRV
nicht die Rede sein. Das Polizeiamt übersieht, dass diese Bestimmung ausdrücklich nur den Fall regelt, wo der Fahrzeugführer auf der Hauptstrasse nach links in eine Nebenstrasse fährt; hier ist jedoch der vortrittsberechtigte Führer von der Hauptstrasse in eine Nebenstrasse nach rechts gefahren.
Inwiefern aber der Entscheid des Obergerichtes mit dem Vertrauensprinzip unvereinbar sein sollte, ist nicht ersichtlich. Wohl orientiert sich der auf der Hauptstrasse verkehrende Führer nach den Signalen, was aber nicht heisst, dass er die Markierungen ausser acht lassen darf. Er hat diese vielmehr neben den Signaltafeln zu beachten. Wo indessen eine Markierung aus irgendeinem Grund nicht mehr wahrgenommen werden kann - was hier übrigens nicht zutraf -, da darf er auf die sichtbare Verkehrsregelung abstellen, davon ausgehend, dass die anderen Strassenbenützer sich ebenfalls nur nach dieser richten (
BGE 100 IV 74
).
Schliesslich lässt sich zugunsten der Beschwerde auch daraus nichts ableiten, dass die Anton-Graffstrasse mit einem Stop versehen wurde, um zu verhindern, dass in Stosszeiten aus dieser Strasse Fahrzeuge bis zur Begrenzungslinie vorstossen und den Verkehr blockieren. Implicite anerkennt damit das Polizeiamt vielmehr selber, dass ohne Signalisation und Markierung des Stops der Verkehr aus der Anton-Graffstrasse
BGE 102 IV 116 S. 120
bis an die Begrenzungslinie heranfahren dürfte. Dann aber darf dies auch der Verkehr auf der Neuwiesenstrasse tun, die keine Stopstrasse ist.
Die Rechtslage ist somit eindeutig. Die gewählte Verkehrsordnung und deren Signalisierung sind jedoch so kompliziert, dass insbesondere ein nicht ortskundiger Fahrer bei starkem Verkehr überfordert sein dürfte. Es fragt sich, ob der Verkehrssicherheit mit einer einfacheren und darum sofort erfassbaren Ordnung nicht besser gedient wäre.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
ccc7d15f-1f54-496d-bc2f-30c0f06e003d | Urteilskopf
100 V 135
33. Auszug aus dem Urteil vom 5. September 1974 i.S. OSKA-Krankenversicherung gegen Trendle und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen | Regeste
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
und Art. 12 Vo II.
Die Kassen haben die Versicherten in schriftlicher Form darüber aufzuklären, dass sie von der Kollektiv- in die Einzelversicherung übertreten können. | Erwägungen
ab Seite 135
BGE 100 V 135 S. 135
Aus den Erwägungen:
Art. 5bis Abs. 4 KUVG
lautet:
"Scheiden Versicherte aus dem Kreis der von einer Kollektivversicherung erfassten Personen aus, oder fällt der Kollektivversicherungsvertrag dahin, so haben sie das Recht, in die Einzelversicherung der Kasse überzutreten, wenn sie in deren Tätigkeitsgebiet wohnen oder dem Betrieb, Beruf oder Berufsverband angehören, auf den die Kasse ihre Tätigkeit beschränkt. Die Kassen sind verpflichtet, den Übertretenden im Rahmen der Einzelversicherung den bisherigen Umfang der Leistungen zu wahren."
Gemäss Art. 12 Vo II haben die Kassen dafür zu sorgen, dass die Versicherten beim Ausscheiden aus der Kollektivversicherung oder bei Dahinfallen des Kollektivversicherungsvertrages über das Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung aufgeklärt werden.
BGE 100 V 135 S. 136
Vom Ausscheiden aus der Kollektivversicherung an läuft eine 30tägige Frist zur Geltendmachung des Übertritts in die Einzelversicherung (Art. 15 Ziff. 1 der Statuten, Art. 11 Abs. 1 Vo II). Im vorliegenden Fall ist diese Frist unbestrittenermassen nicht benützt worden. Art. 11 Abs. 2 Vo II bestimmt nun aber, dass die Kasse den Übertritt rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Kollektivversicherung zu gewähren hat, "wenn der Versicherte infolge eines Verschuldens der Kasse sein Recht auf den Übertritt nicht innert der vorgesehenen Frist geltend machen kann". Ein solches Verschulden kann darin liegen, dass die Kasse ihrer in Art. 12 Vo II statuierten Aufklärungspflicht nicht nachgekommen ist.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, diese Aufklärung unterlassen zu haben, macht aber geltend, die Unterlassung sei dadurch geheilt worden, dass Rita Trendle durch den Verwalter der Gemeindekrankenkasse gesprächsweise über das ihr zustehende Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung aufmerksam gemacht worden sei. Dieser Einwand ist nicht zu hören, denn die der Kasse obliegende Pflicht, den von der Kollektivversicherung Ausscheidenden über sein befristetes Recht auf Übertritt in die Einzelversicherung aufzuklären, muss in schriftlicher Form erfüllt werden, wie dies für Rechtsmittelbelehrungen, Mahnungen und Versicherungsvorbehalte gilt. Mangels gehöriger Aufklärung konnte deshalb die 30tägige Frist nicht zu laufen beginnen, so dass die Voraussetzungen von Art. 11 Abs. 2 Vo II erfüllt sind. | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
cccb9e2b-a20f-48a7-b5ee-6999bf6e3a61 | Urteilskopf
140 IV 181
25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach gegen Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
1B_19/2014 vom 28. Mai 2014 | Regeste
Art. 13 Abs. 1 BV
;
Art. 263 ff. StPO
;
Art. 23 ff. VÜPF
; Erhebung von E-Mails beim Anbieter von Fernmeldediensten ("Provider").
Vom Beschuldigten auf dem Server abgerufene E-Mails können beschlagnahmt, nicht abgerufene durch eine Echtzeit-Überwachung erhoben werden (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 182
BGE 140 IV 181 S. 182
A.
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt ein Strafverfahren gegen den türkischen Staatsangehörigen X. Sie beschuldigt ihn, am 23. Juli 2013 seine schweizerische Ehefrau getötet zu haben. Seit jenem Tag befindet er sich in Untersuchungshaft.
Mit Editionsverfügung vom 12. November 2013 forderte die Staatsanwaltschaft zwecks Klärung eines Tatmotivs die Y. AG (Anbieterin von Fernmeldediensten) auf, sämtliche vom Beschuldigten unter der Domain "z.ch" gespeicherten Daten, insbesondere den gesamten E-Mail-Verkehr des Kontos [email protected], herauszugeben.
Die Y. AG lehnte die Herausgabe der Daten ab, da dafür eine richterliche Genehmigung erforderlich sei.
Am 10. Dezember 2013 ordnete die Staatsanwaltschaft die Überwachung des erwähnten E-Mail-Verkehrs an und ersuchte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau um deren Genehmigung.
Am 11. Dezember 2013 trat der Einzelrichter des Zwangsmassnahmengerichts auf das Gesuch nicht ein. Er wies den dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement zugewiesenen Dienst für die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (im Folgenden: Dienst) an, die erhobenen Daten der Staatsanwaltschaft nicht herauszugeben. Die Y. AG wies er an, der Staatsanwaltschaft den E-Mail-Verkehr im Umfang der Editionsverfügung vom 12. November 2013 herauszugeben.
B.
Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Einzelrichters sei aufzuheben und die verfügte aktive E-Mail-Überwachung zu genehmigen. (...)
(Auszug)
BGE 140 IV 181 S. 183
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
2.1
Art. 23 ff. der Verordnung vom 31. Oktober 2001 über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF; SR 780.11) regeln die Überwachung des Internets.
Art. 24a VÜPF
sieht die Echtzeit-Überwachung vor, Art. 24b die rückwirkende Überwachung. Gemäss
Art. 2 VÜPF
sind die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe im Anhang definiert. Danach ist unter Echtzeit-Überwachung zu verstehen das Abfangen in Echtzeit und die simultane, leicht verzögerte oder periodische Übertragung der Post- oder Fernmeldeverkehrsdaten, inklusive Nutzinformationen, durch die Anbieterinnen von Post- oder Fernmeldediensten gemäss den Angaben der Überwachungsanordnung (Ziff. 3); unter rückwirkender Überwachung die Herausgabe der Verkehrs- und Rechnungsdaten (d.h. der Randdaten) der zurückliegenden sechs Monate durch die Anbieterinnen von Post- oder Fernmeldediensten (Ziff. 4).
Die Vorinstanz erwägt, es gehe hier weder um eine Echtzeit-Überwachung nach
Art. 24a VÜPF
noch eine rückwirkende Überwachung nach
Art. 24b VÜPF
, weshalb auf das Genehmigungsgesuch nicht einzutreten sei. Die Y. AG habe die Daten des E-Mail-Verkehrs gestützt auf die Editionsverfügung der Beschwerdeführerin herauszugeben.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie sei inzwischen der Auffassung, es gehe um eine Überwachungsmassnahme, weshalb die Vorinstanz auf ihr Gesuch hätte eintreten müssen.
(...)
2.3
Gemäss
Art. 13 Abs. 1 BV
hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs. Gleichartige Garantien enthalten
Art. 8 Ziff. 1 EMRK
und
Art. 17 UNO-Pakt II
(SR 0.103.1;
BGE 126 I 50
E. 5a S. 61 mit Hinweis).
Das verfassungsrechtliche Fernmeldegeheimnis schützt die Privatsphäre. Die Kommunikation mit fremden Mitteln wie Post und Telefon soll gegenüber Drittpersonen geheim erfolgen können. Immer wenn die Kommunikation durch einen Anbieter von Fernmeldediensten erfolgt, soll sie unter Achtung der Geheimsphäre vertraulich geführt werden können, ohne dass das Gemeinwesen Einblick erhält und daraus gewonnene Erkenntnisse gegen den Betroffenen verwendet. Dies gilt auch für den E-Mail-Verkehr über das Internet. Die Geheimsphäre der E-Mail-Benützer ist durch das
BGE 140 IV 181 S. 184
Fernmeldegeheimnis verfassungsrechtlich geschützt (
BGE 126 Ia 50
E. 6a S. 65 f. mit Hinweisen).
2.4
Das Fernmeldegeheimnis schützt den Kommunikationsvorgang. Vor dessen Beginn und nach dessen Abschluss greift es nicht (ANDREAS DONATSCH/ALBERT SCHMID, Der Zugriff auf E-Mails im Strafverfahren - Überwachung [BÜPF] oder Beschlagnahme?, in: Internet-Recht und Strafrecht, Schwarzenegger und andere [Hrsg.], 2005, S. 157; MICHAEL AEPLI, Die strafprozessuale Sicherstellung von elektronisch gespeicherten Daten, 2004, S. 18; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Die Mailbox, Ziel oder Weg?, ZStrR 125/2007 S. 170/171; STEFAN HEIMGARTNER, Strafprozessuale Beschlagnahme, 2011, S. 38/39 und 175).
Bei der Überwachung wird auf Daten heimlich zugegriffen in einem Zeitpunkt, da der Absender die Datenherrschaft aufgegeben und sie der Empfänger noch nicht erlangt hat (vgl. JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 171 f.). Dies stellt einen schweren Eingriff in die Privatsphäre dar. Da die Betroffenen davon nichts wissen, können sie sich dagegen rechtlich nicht unmittelbar wehren. Aus diesen Gründen stellt das Gesetz bei einer Überwachung erhöhte Anforderungen und verlangt es eine richterliche Genehmigung.
Bei einem Brief liegt danach eine Überwachung vor, wenn ihn der Absender abgeschickt hat und die Behörden, bevor er beim Empfänger angekommen ist, darauf zugreifen. Der Brief wird so abgefangen.
Ist der Brief beim Empfänger angekommen und befindet er sich damit in dessen Herrschaftsbereich, ist der Übertragungsvorgang abgeschlossen. Ein Abfangen ist nicht mehr möglich. Der Brief kann - wie jeder andere Gegenstand im Besitz des Empfängers - beschlagnahmt werden. Dasselbe gilt, wenn der Empfänger den Brief einem Dritten zur Aufbewahrung übergibt (THOMAS HANSJAKOB, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [im Folgenden: Kommentar BÜPF], 2006, N. 17 der Vorbemerkungen zum BÜPF; JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 159; DONATSCH/SCHMID, a.a.O.; AEPLI, a.a.O.; HEIMGARTNER, a.a.O., S. 177).
2.5
Es stellt sich die Frage, wann ein Brief als beim Empfänger angekommen gelten kann.
2.5.1
Dies trifft sicher dann zu, wenn der Postbote den Brief dem Empfänger persönlich übergibt, was insbesondere bei eingeschriebenen Sendungen der Fall ist.
BGE 140 IV 181 S. 185
2.5.2
Angekommen ist der Brief ebenso, wenn ihn der Postbote in den Briefkasten des Empfängers wirft. Zwar hat der Empfänger davon in der Regel keine unmittelbare Kenntnis. Der Brief befindet sich jedoch in seinem alleinigen Herrschaftsbereich. Was damit geschieht, bestimmt einzig der Empfänger. Der Übertragungsvorgang ist deshalb abgeschlossen (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 172; AEPLI, a.a.O., S. 18 Fn. 87).
2.5.3
Legt die Post den Brief in das Postfach des Empfängers, befindet er sich ebenfalls in dessen Herrschaftsbereich. Der Empfänger kann auf das Postfach wie auf den Briefkasten jederzeit zugreifen und den Brief entnehmen. Im Unterschied zum Briefkasten hat die Post ihre Herrschaft jedoch noch nicht aufgegeben. Sie kann auf das Postfach weiterhin jederzeit zugreifen. Es besteht somit eine geteilte Datenherrschaft (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 172). Die Post kann den in das Postfach gelegten Brief daraus wieder entnehmen und den Behörden von seinem Inhalt Kenntnis geben. Tut sie das, wird der Brief weiterhin abgefangen. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob die Post den Behörden den Inhalt des Briefes zugänglich macht, kurz bevor sie diesen in das Postfach legt, oder ob sie das tut, nachdem sie den Brief in das Postfach gelegt und daraus sogleich wieder entnommen hat. Da die Post nach wie vor Herrschaftsmacht hat, muss der Empfänger - der das Postfach nicht ständig kontrollieren kann - weiterhin darauf vertrauen können, dass sie ihre Stellung nicht missbraucht und die Vertraulichkeit der Daten wahrt. Der Empfänger verdient deshalb nach wie vor den Schutz des Fernmeldegeheimnisses (ebenso HEIMGARTNER, a.a.O., S. 180).
Der Abschluss des Kommunikationsvorgangs ist daher auf jenen Zeitpunkt festzulegen, in dem der Empfänger die alleinige Datenherrschaft erlangt. Das ist dann der Fall, wenn er das Postfach öffnet. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt einzig er, was mit dem Brief geschieht. Der Empfänger kann den Brief - ob geöffnet oder nicht - mitnehmen oder fortwerfen; er kann ihn aber auch im Postfach belassen und dort aufbewahren. Tut er Letzteres, kann der Brief im Postfach beschlagnahmt werden. Es kann insoweit keinen Unterschied machen, ob der Empfänger den Brief zu Hause, bei der Post im Postfach oder bei einem anderen Dritten aufbewahrt. Greifen die Behörden auf einen Brief zu, den der Empfänger - wo auch immer - aufbewahrt, tun sie das nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs und nicht heimlich. Dies stellt keine Überwachungsmassnahme dar.
BGE 140 IV 181 S. 186
2.6
Die Zustellung eines E-Mails ist vergleichbar mit der Zustellung eines Briefes in das Postfach (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 172; HEIMGARTNER, a.a.O., S. 180).
Das E-Mail gelangt auf dem Server des Fernmeldedienstanbieters ("Provider") des Empfängers in dessen E-Mail-Konto. Dies entspricht dem Einlegen des Briefes in das Postfach. Der Empfänger erhält erst dann Kenntnis vom Eingang des E-Mails, wenn er sein Konto abruft, d.h. eine Verbindung mit dem Server des Providers herstellt und das E-Mail für ihn sichtbar macht. Dies entspricht dem Öffnen des Postfachs. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt allein der Empfänger, was mit dem E-Mail geschieht. Er kann es sofort löschen. Er kann es auf seine lokale Datenverarbeitungsanlage herunterladen und auf dem Server des Providers entfernen. Er kann das E-Mail aber auch auf dem Server des Providers belassen, womit er darauf weiterhin von überall her Zugriff hat. Belässt der Empfänger das E-Mail auf dem Server des Providers, bewahrt er es dort auf. Damit kann es wie der im Postfach belassene Brief beschlagnahmt werden. Es besteht kein Grund, das E-Mail, das der Empfänger auf dem Server seines Providers belässt und dort aufbewahrt, besser zu schützen als jenes, das er in seiner lokalen Datenverarbeitungsanlage oder sonst wo aufbewahrt (ebenso JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 179). Wie bei der Zustellung eines Briefes in das Postfach kann es bei alldem keine Rolle spielen, ob der Empfänger das E-Mail geöffnet hat, also auf das als ungelesen gekennzeichnete (häufig fett hervorgehobene) E-Mail geklickt hat, um den Inhalt zu lesen.
Bevor der Empfänger sein E-Mail-Konto abgerufen hat, dauert der Datenübertragungsvorgang an. Auf die bis zu jenem Zeitpunkt auf dem Server des Providers gespeicherten E-Mails kann deshalb nur durch eine Überwachungsmassnahme gegriffen werden. Dabei handelt es sich um eine Echtzeit-Überwachung, da das E-Mail auf dem Weg vom Absender zum Empfänger heimlich abgefangen wird (ebenso TPF 2008 42, S. 43 unten; JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 174; HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 20 und dortige Fn. 27 der Vorbemerkungen zum BÜPF). Dieses Abfangen zeichnet nach der Begriffsumschreibung von Ziffer 3 Anhang VÜPF die Echtzeit-Überwachung aus. Damit darf vom Kommunikationsinhalt Kenntnis genommen werden. Dies im Gegensatz zur rückwirkenden Überwachung, mit der lediglich Randdaten erhoben werden dürfen, welche im Wesentlichen darüber Auskunft geben, wer wann mit wem Verbindung gehabt hat.
BGE 140 IV 181 S. 187
2.7
Danach ergibt sich Folgendes:
Die abgerufenen E-Mails auf dem Server der Y. AG können - soweit sie dort noch vorhanden sind - beschlagnahmt werden. Die nicht abgerufenen E-Mails können unter den Voraussetzungen der Echtzeit-Überwachung erhoben werden (JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, a.a.O., S. 174; HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 20 der Vorbemerkungen zum BÜPF).
2.8
Die Voraussetzungen für die Echtzeit-Überwachung gemäss Art. 269 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a StPO sind hier erfüllt.
Es besteht der dringende Verdacht einer vorsätzlichen Tötung (
Art. 111 StGB
) bzw. eines Mords (
Art. 112 StGB
). Die Schwere der Straftat rechtfertigt die Überwachung. Die bisherigen Ermittlungen sind, was die Klärung eines allfälligen Tatmotivs betrifft, erfolglos geblieben. Der Beschuldigte bestreitet die Tötung nicht, gibt aber an, sich daran nicht erinnern zu können. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in der Türkei seit Langem "nach Brauch" mit einer Landsfrau verheiratet ist, mit der er mehrere Kinder hat; ebenso dafür, dass er seine schweizerische Ehefrau beseitigte, nachdem diese sich von ihm scheiden lassen wollte, womit er insbesondere keine Aussicht auf eine erleichterte Einbürgerung mehr gehabt hätte. Die Klärung eines allfälligen Tatmotivs ist wichtig, da es bei einem Schuldspruch für die rechtliche Qualifikation der Tat bzw. die Strafzumessung von Bedeutung wäre.
2.9
2.9.1
Das Bundesgericht genehmigt die Überwachung selber (
Art. 107 Abs. 2 Satz 1 BGG
), womit eine Rückweisung an die Vorinstanz - und damit eine Verlängerung des Verfahrens - vermieden werden kann.
2.9.2
Gemäss
Art. 274 Abs. 4 StPO
äussert sich die Genehmigung ausdrücklich darüber, ob: a. Vorkehren zum Schutz von Berufsgeheimnissen getroffen werden müssen; b. Direktschaltungen zulässig sind.
Vorkehren zum Schutz von Berufsgeheimnissen sind hier nicht erforderlich.
Eine Anordnung zu Direktschaltungen erübrigt sich, da
Art. 274 Abs. 4 lit. b StPO
technisch überholt ist. In der Praxis sind heute alle Überwachungen Direktschaltungen (THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch und andere [Hrsg.], 2010, N. 12 zu
Art. 274 StPO
; NIKLAUS SCHMID,
BGE 140 IV 181 S. 188
Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 11 zu
Art. 274 StPO
).
2.9.3
Gemäss
Art. 274 Abs. 5 StPO
ist die Genehmigung zu befristen. Sie kann für höchstens 3 Monate erteilt werden, aber ein- oder mehrmals um jeweils höchstens 3 Monate verlängert werden.
Da es um ein schweres Verbrechen geht, rechtfertigt es sich, die Genehmigung für die Höchstdauer von 3 Monaten zu erteilen. Diese Dauer läuft ab dem Zeitpunkt der Überwachungsanordnung (HANSJAKOB, Kommentar BÜPF, a.a.O., N. 25 zu
Art. 7 BÜPF
), hier also bis zum 10. März 2014. Die Beschwerdeführerin wird vom Inhalt sämtlicher nicht abgerufener E-Mails, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem E-Mail-Konto des Beschuldigten eingegangen sind, Kenntnis nehmen dürfen.
2.10
Soweit die E-Mails der Beschlagnahme unterliegen, kann der Beschuldigte die Siegelung verlangen (zur Legitimation
BGE 140 IV 28
E. 4.3.4 f.). Tut er dies, entscheidet auf entsprechendes Gesuch der Beschwerdeführerin hin das zuständige Gericht über die Zulässigkeit der Durchsuchung. (...)
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Einzelrichters des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau vom 11. Dezember 2013 aufgehoben. Die Überwachung des Kontos [email protected] wird im Sinne der Erwägungen bewilligt. Im übrigen Umfang wird die Beschwerde abgewiesen und die Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 12. November 2013 bestätigt. (...) | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
cccc9762-c285-42de-9606-7be8968ca358 | Urteilskopf
110 Ib 255
43. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. April 1984 i.S. Philipp gegen Gemeinde Savognin und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 5 Abs. 2,
Art. 34 RPG
; Entschädigung für Heimschlag.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gegeben, wenn der Heimschlag im Anschluss an eine Planungsmassnahme im Sinne des RPG erfolgt und umstritten ist, ob in dieser Massnahme eine materielle Enteignung liege und welche Entschädigung hiefür geschuldet sei (E. 1).
Für die Festsetzung der Heimschlagsentschädigung sind - soweit die materielle Enteignung in Frage steht - die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Planungsmassnahme massgebend (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 255
BGE 110 Ib 255 S. 255
Im Jahre 1976 leitete die Gemeinde Savognin im Zusammenhang mit dem Ausbau der Strasse Sandeilas-Grava das
BGE 110 Ib 255 S. 256
Enteignungsverfahren für einen Teil des Grundstücks Nr. 305 in Barnagn (Gemeinde Savognin) ein. Eigentümerin dieser Parzelle im Halte von insgesamt 9834 m2 ist Tina Philipp. Das Ausmass der Landabtretung sowie Art und Höhe der von der Gemeinde Savognin zu leistenden Entschädigung blieben im kantonalen Enteignungsverfahren umstritten. Auf staatsrechtliche Beschwerde von Tina Philipp hob das Schweizerische Bundesgericht den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid mit Urteil vom 25. Februar 1981 auf und wies die Gemeinde darauf hin, dass sie ein neues Enteignungsverfahren für den Erwerb des zum Strassenbau benötigten Landes einleiten oder gestützt auf Art. 27 Abs. 3 des bündnerischen Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 (kant. RPG) die Übertragung der ganzen Parzelle verlangen könne, welche inzwischen im Rahmen einer neuen Ortsplanung der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesen worden war.
Auf Rat der Regierung leitete die Gemeinde Savognin in der Folge das Verfahren nach Art. 27 Abs. 3 kant. RPG ein und ersuchte die zuständige Enteignungskommission um Durchführung des Schätzungsverfahrens, nachdem Tina Philipp die angebotene Entschädigung von Fr. 7.--/m2 abgelehnt und Fr. 105.--/m2 verlangt hatte. Mit Entscheid vom 29. September 1982 setzte die Enteignungskommission V die Entschädigung für die Übernahme der ganzen Parzelle Nr. 305 durch die Gemeinde Savognin auf Fr. 68'838.-- (= Fr. 7.--/m2) nebst Zins zu 5% seit 4. Juni 1976 (Datum der vorzeitigen Besitzeinweisung) fest. Massgebender Zeitpunkt für die Wertbestimmung sei die Genehmigung der Ortsplanung durch die Kantonsregierung (12. Juli 1976). Vor der Zuweisung zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen habe das Grundstück zum sog. "Reserve-Baugebiet" gehört, das jedoch wie "übriges Gemeindegebiet" zu behandeln sei. Die Wertbemessung richte sich deshalb nach den für landwirtschaftliches Land gültigen Kriterien. Der seinerzeit im Enteignungsverfahren festgesetzte Landwert von Fr. 7.--/m2 sei nach wie vor angemessen, weil sich die Verhältnisse seither nicht geändert hätten.
Gegen diesen Entscheid erhob Tina Philipp erneut Beschwerde beim Verwaltungsgericht, das die Entschädigung mit Urteil vom 31. Mai 1983 auf Fr. 10.50/m2 erhöhte. Hiegegen hat die Grundeigentümerin staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV
eingereicht.
BGE 110 Ib 255 S. 257
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden als kantonal letztinstanzliches Enteignungsgericht die von der Gemeinde Savognin zu leistende Entschädigung für die Übernahme des Grundstücks Nr. 305 festgesetzt. Das Übernahmebegehren stützt sich auf Art. 27 Abs. 3 kant. RPG, wonach sowohl der Grundeigentümer als auch die Gemeinde verlangen können, dass eine der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesene Parzelle der Gemeinde zu Eigentum übertragen werde (sog. Heimschlag). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, das angefochtene Urteil beruhe ausschliesslich auf kantonalem Recht, weshalb dagegen nicht eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Massgabe von
Art. 97 ff. OG
, wohl aber eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
) zulässig sei. Wie es sich damit verhält, ist von Amtes wegen zu prüfen (
BGE 107 Ib 229
).
Die staatsrechtliche Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn die behauptete Rechtsverletzung mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Diesfalls übernimmt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde, weil die behauptete Missachtung von Bundesverfassungsrecht ohne weiteres Gegenstand der Rechtskontrolle im Rahmen des in
Art. 104 lit. a OG
("Verletzung von Bundesrecht") vorgesehenen Beschwerdegrundes bildet (vgl. statt vieler
BGE 104 Ib 120
, mit weiteren Hinweisen). Dies gilt insbesondere auch für den von der Beschwerdeführerin erhobenen Vorwurf, mit dem angefochtenen Entscheid sei ihr in Verletzung von
Art. 22ter Abs. 3 BV
keine volle Entschädigung zuerkannt worden.
Nach
Art. 97 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne von
Art. 5 VwVG
. Nach dieser Vorschrift gelten als Verfügungen behördliche Anordnungen im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen müssen (
BGE 103 Ib 314
E. 2b). Wird ein Grundstück der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen (Art. 27 kant. RPG) zugewiesen, so liegt darin eine Planungsmassnahme im Sinne des Bundesgesetzes über die Raumplanung (RPG), auch wenn sie - wie im vorliegenden Fall - vor dem 1. Januar 1980 (Datum des Inkrafttretens des RPG) getroffen wurde (
BGE 107 Ib 229
ff.). Daraus
BGE 110 Ib 255 S. 258
folgt, dass gegen Entscheide über die Festsetzung der Entschädigung für die Ausübung des Heimschlagsrechts jedenfalls dann die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegeben ist, wenn der kantonale Gesetzgeber das Heimschlagsrecht als Folge einer Planungsmassnahme gemäss RPG gewährt, in welcher eine enteignungsähnliche Eigentumsbeschränkung liegt oder liegen könnte, und wenn - zumindest unter anderem - umstritten ist, ob und in welchem Masse eine Entschädigung für den planerischen Eingriff geschuldet sei (Art. 5 in Verbindung mit
Art. 34 RPG
;
BGE 109 Ib 261
E. 1;
BGE 108 Ib 334
nicht publ. E. 1, Urteil i.S. Blaser/Lüthi vom 17. Februar 1982, auszugsweise publ. in ZBl 83/1982 S. 207 ff.). Dies gilt auch dann, wenn sich diese Frage im Rahmen eines formellen Enteignungsverfahrens stellt bzw. wenn die materielle durch eine formelle Enteignung ergänzt wird (vgl. zit. Urteile).
Die Voraussetzungen zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde sind im vorliegenden Fall erfüllt: Art. 27 kant. RPG ermächtigt die bündnerischen Gemeinden, Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen zu schaffen. Nach Art. 27 Abs. 3 können die betroffenen Grundeigentümer durch schriftliche Bekanntgabe ihres Angebotes die Übertragung des Eigentums an die Gemeinde verlangen. Der Gemeinde steht das gleiche Recht zu. In Anwendung dieser Vorschrift hat die Gemeinde Savognin die Parzelle Nr. 305 an sich gezogen und das Schätzungsverfahren durchführen lassen. Was die Einwendungen der Grundeigentümerin anbelangt, so wird bezeichnenderweise nicht in erster Linie vorgebracht, für das bisher landwirtschaftlich genutzte Grundstück sei von den kantonalen Instanzen ein zu niedriger Verkehrswert festgesetzt worden. Die Beschwerdeführerin bringt vielmehr zur Hauptsache vor, das Verwaltungsgericht habe entgegen Art. 11 Abs. 1 des kantonalen Enteignungsgesetzes keine "bessere Verwendungsmöglichkeiten" (als künftiges Bauland) in Rechnung gestellt, und macht damit sinngemäss geltend, die im Jahre 1976 erfolgte Zuweisung des Grundstücks Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen habe eine reale, private Überbauungsmöglichkeit zunichte gemacht. Der wahre Streitgegenstand betrifft mithin die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch die Zonenplanrevision 1976 enteignungsähnlich betroffen worden sei.
Die form- und fristgerecht eingereichte staatsrechtliche Beschwerde ist demnach als Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu behandeln.
BGE 110 Ib 255 S. 259
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, für die Festsetzung der Heimschlagsentschädigung seien - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Jahre 1976 massgebend. Mit dem auf Art. 27 Abs. 3 kant. RPG gestützten Schätzungsbegehren vom 15. Juni 1982 habe die Gemeinde Savognin bei der zuständigen Enteignungskommission ein neues Verfahren eingeleitet, das keineswegs als blosse Fortsetzung des früheren formellen Teilenteignungsverfahrens für den Strassenbau Sandeilas-Grava angesehen werden dürfe.
Richtig ist, dass das seinerzeit angehobene Verfahren zur Festsetzung der Entschädigung für eine formelle Teilenteignung der Parzelle Nr. 305 wegen des am 15. Juni 1982 gestellten (und grundsätzlich unbestrittenen) Übernahmebegehrens gegenstandslos geworden ist. Die kantonalen Enteignungsgerichte hatten in der Tat nur noch darüber zu befinden, welche Entschädigung der Beschwerdeführerin für die Übernahme der ganzen Parzelle Nr. 305 zusteht. Das bedeutet jedoch nicht, dass für die Beurteilung aller hier interessierenden Rechtsfragen notwendigerweise die Verhältnisse im Jahre 1982 massgebend seien, wie die Beschwerdeführerin meint.
Anlass für die Ausübung des Heimschlagsrechts gab die Zuweisung des Grundstücks Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen im Rahmen der Zonenplanrevision 1976, die mit der regierungsrätlichen Genehmigung vom 12. Juli 1976 rechtskräftig wurde. Weil die Beschwerdeführerin behauptet, mit dieser Planungsmassnahme seien private Überbauungschancen vernichtet worden, muss für die Bemessung der so begründeten vollen Entschädigung für den Heimschlag auf den Sommer 1976 abgestellt werden, denn Streitgegenstand ist - wie schon erwähnt - in diesem Zusammenhang, ob der Zonenplan 1976 für die Beschwerdeführerin eine materielle Enteignung bewirkt habe. Für diese Frage ist aber seit jeher auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Eigentumsbeschränkung abzustellen (
BGE 108 Ib 338
/339,
BGE 109 Ib 16
E. 3, mit Hinweisen). Eine Ausnahme gilt lediglich mit Bezug auf den landwirtschaftlichen Restwert, da die planerische Eigentumsbeschränkung eine Preisentwicklung für landwirtschaftlichen Boden nicht ausschliesst. Die Beschwerdeführerin hat demnach Anspruch darauf, dass für die Bemessung des landwirtschaftlichen Verkehrswerts des Grundstücks Nr. 305 auf die Verhältnisse im Jahre 1982 abgestellt wird, falls die Zuweisung zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen keine materielle Enteignung bewirkt
BGE 110 Ib 255 S. 260
hat. Insoweit ist die Begründung des angefochtenen Entscheids nicht klar. Es bleibt aber dabei, dass aufgrund der Verhältnisse im Sommer 1976 zu entscheiden ist, ob die Zuweisung der Parzelle Nr. 305 zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen die Beschwerdeführerin enteignungsähnlich getroffen hat. Soweit diese etwas anderes behauptet, erweist sich ihre Beschwerde als offensichtlich unbegründet. Insbesondere vermag die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang aus
BGE 97 I 603
ff. sowie aus dem unveröffentlichten Urteil vom 15. Dezember 1982 i.S. Viamala Garage AG nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
ccd076b6-c0a4-424b-a5f6-869a234ec9d0 | Urteilskopf
84 II 463
62. Arrêt de la Ire Cour civile du 17 décembre 1958 dans la cause Confédération suisse contre Autobus Lausannois SA | Regeste
Art. 48 OG
. Begriff des ordentlichen kantonalen Rechtsmittels.
Ist der in der ZPO des Kantons Waadt vorgesehene "recours en réforme" ein solches? | Sachverhalt
ab Seite 463
BGE 84 II 463 S. 463
A.-
Le 12 mars 1956, Henri Basset, qui conduisait un autocar de la société Autobus Lausannois SA, chercha à dépasser, à la sortie occidentale de Morges, un train routier appartenant à Richard Borner. Pendant cette manoeuvre, le chauffeur du train routier dut appuyer sur la gauche pour éviter un chantier de l'administration des téléphones. Cette fouille, qui empiétait de 1 m 70 sur le bord droit de la chaussée, n'était pas annoncée par des
BGE 84 II 463 S. 464
signaux avancés, contrairement aux prescriptions des art. 8 OSR et 5 de l'ACF du 3 mars 1953 introduisant de nouveaux signaux routiers.
Au même moment survint Maurice Gavillet, qui circulait en sens inverse au volant de sa voiture. Il se jeta contre le véhicule de Basset et fut tué.
B.-
Les survivants de Gavillet ont fait assigner Basset et Autobus Lausannois SA devant la Cour civile du Tribunal cantonal vaudois, en concluant à ce qu'ils soient condamnés à leur payer plus de 200 000 fr. à titre d'indemnités.
Autobus Lausannois SA a appelé en cause Borner et son assureur, ainsi que la Confédération suisse.
Alléguant qu'elle ne pouvait être actionnée que devant le Tribunal fédéral, en vertu de l'art. 41 litt. b OJ, la Confédération a conclu à l'irrecevabilité des conclusions prises contre elle par Autobus Lausannois SA
Par décision du 4 juillet 1958, la Cour civile vaudoise s'est déclarée compétente pour connaître de ces conclusions et a rejeté l'exception soulevée par la Confédération.
C.-
Celle-ci a recouru en réforme au Tribunal fédéral, en reprenant les conclusions qu'elle avait formulées dans l'instance cantonale.
L'intimée a soutenu en premier lieu que la décision attaquée pouvait être l'objet d'un recours ordinaire de droit cantonal en vertu de l'art. 93 CPC vaudois et elle a conclu, à titre principal, à ce que le recours de la Confédération suisse fût déclaré irrecevable. Subsidiairement, elle en a proposé le rejet.
Enfin, la recourante a demandé au Tribunal fédéral de rejeter l'exception d'irrecevabilité soulevée par Autobus Lausannois SA
Erwägungen
Considérant en droit:
Le recours de la Confédération suisse est dirigé contre une décision préjudicielle prise séparément du fond et il
BGE 84 II 463 S. 465
dénonce une violation de prescriptions fédérales relatives à la compétence à raison de la matière. Il n'est recevable, selon l'art. 49 OJ, que si la juridiction cantonale qui a statué est l'une de celles que vise l'art. 48 al. 1 et 2 OJ. Il faut donc, en vertu de cette disposition, que le prononcé de la Cour civile vaudoise n'eût pu être l'objet d'un recours ordinaire de droit cantonal.
Comme cette question relève essentiellement du droit vaudois, le Tribunal cantonal a été invité à se prononcer sur ce point et a exposé ce qui suit:
"L'art. 93 CPC prévoit un recours en réforme au Tribunal cantonal contre tout jugement sur déclinatoire. Appliquant cette disposition, la Chambre des recours a statué qu'un jugement sur déclinatoire peut faire l'objet d'un recours en réforme au Tribunal cantonal, alors même qu'un recours de droit civil au Tribunal fédéral serait possible (arrêt Merz c. Commune de Vevey à JT 1941 III 73, ainsi que les deux arrêts antérieurs cités là). Il s'agissait dans la cause Merz d'un recours portant sur l'application des règles du droit fédéral en matière de for, savoir des art. 673 CO ancien et 761 CO et l'arrêt se réfère à l'art. 87 OJF ancien pour constater l'existence du recours au Tribunal fédéral.
Dans d'autres domaines, la Chambre des recours a interprété l'art. 93 CPC sans en restreindre la portée, admettant par exemple le droit de recourir en réforme contre un jugement de juge de paix prononçant le déclinatoire, alors même que le jugement principal ne pouvait faire l'objet que du recours limité au déni de justice (Capt c. Martin, JT 1946 III 36), admettant aussi le droit de recourir en réforme contre le prononcé du président de tribunal sur sa compétence pour prendre des mesures provisionnelles, alors que le prononcé de mesures provisionnelles ne peut être soumis au Tribunal cantonal par la voie d'un recours en réforme (Produits Phénix SA c. Nicole. JT 1934 III 55).
La jurisprudence résultant des arrêts cités plus haut n'a pas été modifiée à ce jour. Sur la base de cette jurisprudence, le jugement de la Cour civile dans la cause Confédération c. Autobus lausannois aurait pu être porté auprès du Tribunal cantonal, en vertu de l'art. 93 CPC, par la voie d'un recours en réforme portant sur les conclusions exceptionnelles de la Confédération."
Or, d'après la loi vaudoise, le recours en réforme a, en principe, un effet suspensif (art. 343 et 588 CPC) et il reporte la cause en son entier au Tribunal cantonal, dont le pouvoir d'examen n'est limité que par les décisions de fait rendues sous forme de solutions testimoniales (art. 527 CPC). Il s'agit donc d'un recours ordinaire selon l'art. 48 OJ (cf. RO 78 II 189, 82 II 207).
BGE 84 II 463 S. 466
Dans ces conditions, le recours formé par la Confédération est irrecevable.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Déclare le recours irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
ccd14d1a-704e-49b7-bc00-fb92d262991e | Urteilskopf
85 I 282
46. Urteil vom 2. Dezember 1959 i.S. D. gegen R. und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
Art. 89 OG
. Beschwerdefrist bei Zulassung zum Eid.
Das "bedingte Urteil" im Sinne des § 160 der baselstädtischen ZPO umfasst einen Beweisbescheid auf Abnahme eines Beweismittels (Eid, Handgelübde) einerseits, ein alternatives Sachurteil auf Gutheissung oder Abweisung der Klage anderseits. Mit Bezug auf den Beweisbescheid läuft die Beschwerdefrist von der Eröffnung des "bedingten Urteils" an, mit Bezug auf das Sachurteil von dem Zeitpunkt an, da der vorbehaltene Beweis geleistet bzw. nicht erbracht worden ist. | Sachverhalt
ab Seite 282
BGE 85 I 282 S. 282
Margrit R. (Klägerin I) und ihr Kind Karin erhoben gegen Werner D. die Vaterschaftsklage. Dieser bestritt, der Erstgenannten während der kritischen Zeit beigewohnt zu haben; er erhob ferner Einreden im Sinne von
Art. 314 Abs. 2 und
Art. 315 ZGB
.
Das Zivilgericht Basel-Stadt wies die Klage ab. Es führte dazu aus, die vorliegenden Anhaltspunkte liessen
BGE 85 I 282 S. 283
nicht mit Sicherheit darauf schliessen, dass es zur behaupteten Zeit zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Beklagten und der Klägerin I gekommen sei; sie vermöchten dies jedoch wahrscheinlich zu machen, so dass es sich grundsätzlich rechtfertige, die Klägerin I gemäss
§ 139 ZPO
zum Ergänzungseid zuzulassen, falls sie die persönlichen Voraussetzungen dazu erfülle. Das treffe indes nicht zu. Da ihr Leumund getrübt sei, sei sie vom Ergänzungseid auszuschliessen. Die Klage sei deshalb mangels Nachweises der Beiwohnung abzuweisen.
Die Klägerinnen zogen dieses Urteil an das Appellationsgericht weiter. Dieses würdigte die Indizien für die behauptete Beiwohnung gleich wie die erste Instanz. Im Gegensatz zu dieser erachtete es aber die Klägerin I als eideswürdig. Es erkannte demgemäss mit Urteil vom 27. Februar 1959:
"Sofern die Klägerin I unter Handgelübde an Eidesstatt erklärt, dass sie in der Zeit vom 29. November 1954 bis zum 29. März 1955 mit dem Beklagten und ausschliesslich mit ihm geschlechtlich verkehrt hat, wird dieser verurteilt zur Zahlung von Fr. 600. - an die Klägerin I sowie eines monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrags an die Klägerin II von Fr. 75. vom Tag der Geburt bis zum vollendeten 12. Altersjahr und von Fr. 90. - bis zum vollendeten 18. Altersjahr. .....
.....
.....
Leistet die Klägerin I das Handgelübde nicht, so wird die Klage abgewiesen."
Dieses Urteil wurde den Parteien am 13. April 1959 eröffnet. Am 12. Juni 1959 legte die Klägerin I das Handgelübde ab.
Werner D. reichte am 13. Juli 1959 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des
Art. 4 BV
ein mit dem Antrag, es sei das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben. Er wendet ein, dieses habe in aktenwidriger Weise angenommen, die Klägerin I sei eideswürdig; entgegen der Rechtssprechung des Bundesgerichts habe es den Ausschluss des Mehrverkehrs in das Handgelübde aufgenommen; es hätte die Klage überdies auch auf Grund von
Art. 314 Abs. 2 und
Art. 315 ZGB
abzuweisen gehabt.
BGE 85 I 282 S. 284
Margrit R. und ihr Kind Karin schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat sich im nämlichen Sinn vernehmen lassen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 89 OG
ist die staatsrechtliche Beschwerde binnen dreissig Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung oder Mitteilung des angefochtenen Entscheids an gerechnet, dem Bundesgericht einzureichen. Das angefochtene Urteil des Appellationsgerichts wurde am 27. Februar 1959 gefällt; es wurde den Parteien am 13. April 1959 eröffnet, worin die nach dem kantonalen Recht massgebende Mitteilung zu erblicken ist (§ 240 Abs. 1 in Verbindung mit §§ 163-165 des baselstädtischen ZPO). Das im Urteil vorbehaltene Handgelübde an Eidesstatt legte die Beschwerdegegnerin Margrit R. am 12. Juni 1959 ab. Die staatsrechtliche Beschwerde wurde am 13. Juli 1959 erhoben. Da der 12. Juli 1959 ein Sonntag war (
Art. 32 Abs. 2 OG
), ist die staatsrechtliche Beschwerde rechtzeitig eingereicht worden, wenn die dreissigtägige Beschwerdefrist erst von der Leistung des Handgelübdes an zu laufen begann. Lief die Frist dagegen von der am 13. April 1959 erfolgten Eröffnung des angefochtenen Urteils an, so ist die Beschwerde verspätet.
2.
Nach § 160 Abs. 1 der baselstädtischen ZPO kann ein Urteil bedingt gefällt werden in der Weise, "dass eine Partei abgewiesen oder verurteilt wird, falls sie nicht binnen einer ihr festzusetzenden Frist einen im Urteil anzugebenden Beweis beibringe oder antrete". Der Beweis kann namentlich in der Eidesleistung oder der Ablegung des Handgelübdes bestehen. "Wenn eine Partei für ihre Behauptungen zwar etwelchen, aber nach des Richters Ermessen nicht hinlänglichen Beweis beigebracht hat, oder wenn sonst Wahrscheinlichkeitsgründe ihrem Vorbringen zur Seite stehen", kann nach
§ 139 Abs. 1 ZPO
"je nach
BGE 85 I 282 S. 285
Gestalt der Umstände und dem Leumden der betreffenden Person der beweispflichtigen Partei der Ergänzungseid ... auferlegt werden, dessen Inhalt genau im Urteil anzugeben ist". An Stelle des förmlichen Eids tritt in minder wichtigen und nicht besonders zweifelhaften Fällen das Handgelübde an Eidesstatt (
§ 139 Abs. 2 ZPO
). In appellablen Fällen ist der auferlegte Eid oder das Handgelübde erst zu leisten, wenn das bedingte Urteil in Rechtskraft erwachsen ist (
§
§ 140 und 223 Abs. 2 ZPO
). Die kantonalrechtliche Appellation ist demgemäss auch gegen bedingte Urteile zulässig (
§ 220 Abs. 1 ZPO
); die Appellationsfrist läuft auch dann, wenn in einem bedingten Urteil noch zur Vornahme einer Handlung eine Frist gesetzt ist, schon vom Tage der Urteilseröffnung an (
§ 223 Abs. 1 ZPO
).
Das bedingte Urteil im Sinne des
§ 160 ZPO
schliesst demnach zwei verschiedene Bestandteile in sich: einen Beweisbescheid auf Abnahme des Eides bzw. Handgelübdes einerseits, ein Sachurteil anderseits. Der Beweisbescheid als solcher wird unbedingt ausgesprochen. Das Sachurteil dagegen wird bedingt erlassen: für den Fall, dass die beweispflichtige Partei den Eid oder das Handgelübde leistet, wird die Klage grundsätzlich gutgeheissen, für den gegenteiligen Fall wird sie abgewiesen. Welche der beiden alternativ getroffenen Entscheidungen Gültigkeit erlangen wird, hangt vom Eintritt einer Bedingung ab, deren Verwirklichung ganz in die Hand einer Partei gelegt wird. Eines weiteren Zutuns des Gerichts bedarf es nicht, da der Eid und das Handgelübde gemäss §§ 139 ff. der baselstädtischen ZPO formale Beweismittel sind, denen von Gesetzes wegen volle Beweiskraft zukommt, und die der freien Beweiswürdigung des Richters entzogen sind (
BGE 85 II 175
/76). Dass der Eid und das Handgelübde vor dem Gericht abzulegen sind (
§
§ 142 und 143 ZPO
), ändert daran nichts: Das Gericht hat dem bereits gefällten Urteil nichts beizufügen; es enthält sich auch einer autoritativen Feststellung darüber, ob der im Urteil vorbehaltene Beweis erbracht worden sei. Das
BGE 85 I 282 S. 286
bedingte Urteil ist demzufolge ein Endentscheid, das heisst ein Entscheid, der das Verfahren abschliesst (
BGE 76 I 393
Erw. 3,
BGE 80 I 308
Erw. 2,
BGE 82 I 147
).
3.
Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde kann nur der Hoheitsakt einer kantonalen Behörde sein (
Art. 84 Abs. 1 OG
; BIRCHMEIER, Handbuch, S. 310; GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen Bundesgerichts, S. 95). Das bedingte Urteil im Sinne des § 160 der baselstädtischen ZPO stellt einen solchen Hoheitsakt dar, während die Ablegung des darin vorbehaltenen Eides oder Handgelübdes ungeachtet der Folgen, die sich daran knüpfen, lediglich Prozesshandlung eines Privaten ist. Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde richtet sich zutreffenderweise gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 27. Februar 1959 und nicht gegen die Leistung desHandgelübdes durch dieBeschwerdegegnerin Margrit R. am 12. Juni 1959.
4.
Wie in Erw. 1 dargelegt, ist die staatsrechtliche Beschwerde gemäss
Art. 89 OG
binnen dreissig Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden Mitteilung oder Eröffnung des angefochtenen Entscheids an gerechnet, dem Bundesgericht einzureichen. Diese Regel kann indes nur Platz greifen, wenn im Zeitpunkt der Mitteilung oder Eröffnung des Entscheids feststeht, was die kantonale Instanz zu Recht erkannt hat. Das trifft nicht zu, wenn diese für den Fall der Erbringung eines vorbehaltenen Beweises die Gutheissung, für den Fall der Nichterbringung dagegen die Abweisung der Klage ausspricht. Welche der beiden alternativ getroffenen Entscheidungen Gültigkeit erlangt, ergibt sich erst, wenn der nachzubringende Beweis geleistet oder innert der hierzu angesetzten Frist nicht angetreten wird. Unter diesen Umständen kann die Beschwerdefrist nicht vor dem Eintritt der genannten Bedingung zu laufen beginnen, da bis dahin offen bleibt, welche Partei durch das Urteil beschwert und somit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist (
Art. 88 OG
), und gegen welche der alternativ getroffenen Entscheidungen
BGE 85 I 282 S. 287
sich dieses Rechtsmittel wenden muss (
Art. 90 Abs. 1 OG
).
Liegt ein bedingtes Urteil im Sinne des § 160 der baselstädtischen ZPO vor, so läuft die dreissigtägige Beschwerdefrist des
Art. 89 OG
für die staatsrechtliche Beschwerde gegen das darin enthaltene Sachurteil mithin von dem Tage an, da der im Entscheid vorbehaltene Eid oder das Handgelübde abgelegt worden ist bzw. abzulegen gewesen wäre. Es besteht insofern Übereinstimmung mit der Ordnung, die für die gleichfalls gegen das Sachurteil gerichtete Berufung an das Bundesgericht gilt. Weil dieses Rechtsmittel nur gegen einen Endentscheid gegeben ist, der den materiellen Rechtsstreit unbedingt erledigt (
BGE 68 II 327
mit Verweisung), ist die Berufungsfrist erst von dem Zeitpunkt an zu berechnen, da der vorbehaltene Beweis geleistet oder nicht erbracht worden ist und damit eine der im Sachurteil alternativ getroffenen Entscheidungen unbedingte Gültigkeit erlangt hat.
Anders verhält es sich, wenn sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen den im bedingten Urteil enthaltenen Beweisbescheid auf Abnahme des Eides oder Handgelübdes richtet. Dieser Bescheid wird unbedingt erlassen. Die darin ausgesprochene Zulassung zum Eid oder zum Handgelübde schliesst wegen der formellen Natur dieser Beweismittel (
BGE 85 II 175
/76) für die zugelassene Partei einen beweisrechtlichen Vorteil in sich, dem ein entsprechender Nachteil für die Gegenpartei gegenübersteht. Dieser Nachteil wird durch den behördlichen Bescheid begründet. Das Bundesgericht ist deshalb in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Partei, gegen deren Antrag die Abnahme des Eides oder Handgelübdes angeordnet worden ist, schon durch diese Anordnung und nicht erst durch die Abnahme des Beweises rechtlich beschwert wird (nicht veröffentlichte Urteile vom 20. Juli 1927 i.S. Uster, vom 8. Februar 1930 i.S. Bonani, vom 19. Februar 1937 i.S. Meyer, vom 9. Juli 1952 i.S. Soldati und vom 10. Juni 1953 i.S. Bossart). Ist dem aber so, dann
BGE 85 I 282 S. 288
steht der unmittelbaren Anwendung des
Art. 89 OG
nichts im Wege; die Frist für die Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Beweisbescheid läuft somit von der Eröffnung des bedingten Urteils an.
5.
Im vorliegenden Falle richtet sich die Haupteinwendung des Beschwerdeführers gegen die im Urteil des Appellationsgerichts angeordnete Abnahme des Handgelübdes. Die Beschwerde wäre in diesem Punkte nach dem Gesagten innert dreissig Tagen von der am 13. April 1959 erfolgten Eröffnung des Urteils an einzureichen gewesen. Da sie erst am 13. Juli 1959 erhoben wurde, kann sie insoweit, weil verspätet, nicht an Hand genommen werden.
In seinen weiteren Ausführungen beklagt sich der Beschwerdeführer über eine Verletzung der
Art. 314 Abs. 2 und
Art. 315 ZGB
. Es wendet sich hierbei gegen das Sachurteil. Die Frist für die Anfechtung dieses Teils des bedingten Urteils ist von der Abnahme des Handgelübdes am 12. Juni 1959 an zu berechnen. Die Beschwerde erweist sich darum in diesem Punkte als rechtzeitig. Es ist jedoch aus andern Gründen nicht darauf einzutreten. Sollten die
Art. 314 Abs. 2 und
Art. 315 ZGB
missachtet worden sein, so war das als Verletzung von Bundesrecht mit der Berufung an das Bundesgericht geltend zu machen (
Art. 43 OG
). Die staatsrechtliche Beschwerde, die subsidiärer Natur ist, steht dafür nicht offen (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Wohl könnte der Beschwerdeführer mit diese m Rechtsmittelbeanstanden, das Appellationsgericht habe mit Bezug auf die Einwendungen des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebesswandels kantonale Verfahrungsvorschriften in einer gegen
Art. 4 BV
verstossenden Weise verletzt; er hat das indes nicht behauptet. Der blosse Hinweis auf die "Scheidungsakten" ist unzulässig und vermag die in der Beschwerdeschrift fehlende Begründung nicht zu ersetzen (
BGE 81 I 56
Erw. 1,
BGE 83 I 272
Erw. 2).
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,959 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
ccd26eb3-82fc-49e8-a8c0-17bc8a054e3a | Urteilskopf
89 II 133
22. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Juni 1963 i.S. Lohse gegen Verlag Bauen und Wohnen GmbH. | Regeste
Ausschliessung aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (
Art. 822 Abs. 3 OR
).
Der Richter darf einen Gesellschafter auf Begehren der Gesellschaft aus wichtigen Gründen ausschliessen, auch wenn die vermögensrechtlichen Folgen dieser Massnahme (
Art. 822 Abs. 4 OR
) nicht zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden sind. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 89 II 133 S. 134
Das Obergericht des Kantons Zürich schloss den Kläger, der mit seiner Klage verschiedene Beschlüsse einer Gesellschafterversammlung angefochten hatte, in Gutheissung der Widerklage der beklagten GmbH aus dieser Gesellschaft aus. Das Bundesgericht bestätigt dieses Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
(Ausführungen darüber, dass wichtige Gründe zur Ausschliessung des Klägers vorliegen.)
4.
Der Kläger wirft dem Obergericht vor, es habe ihn aus der Gesellschaft ausgeschlossen, ohne die ihm zustehende Abfindung und die Art ihrer Zahlung festzusetzen. Dadurch habe es ihn in nicht zu rechtfertigender Weise benachteiligt, seine berechtigten Interessen gefährdet und für beide Parteien eine in finanzieller Hinsicht ungewisse Lage geschaffen, die einen neuen Prozess erfordere und jahrelang dauern könne. Das Vorgehen des Obergerichtes verletze
Art. 822 Abs. 4 OR
, den Grundsatz, dass Leistung und Gegenleistung Zug um Zug zu erfolgen hätten, und elementarste Regeln der Billigkeit. Es sei unumgänglich, die Frage der Ausschliessung nur zusammen mit der Frage der Abfindung des Auszuschliessenden zu prüfen. Der deutsche Bundesgerichtshof knüpfe das auf Ausschliessung aus der Gesellschaft mit beschränkter Haftung lautende Urteil an die Bedingung, dass der betroffene Gesellschafter binnen angemessener Frist den im Urteil festzusetzenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil erhalte (BGHZ 9 S. 157 ff.). Es sei indessen zweckmässiger, zunächst gerichtlich die Abfindung zu bestimmen und dann der Gesellschaft Frist zu setzen für die Erklärung, ob sie unter diesen Umständen auf der Ausschliessung beharre, und
BGE 89 II 133 S. 135
für den Nachweis, dass sie die Abfindung ohne Verletzung des
Art. 822 Abs. 4 OR
leisten könne. Die Sache müsse daher entsprechend dem Eventualantrag des Klägers an das Obergericht zurückgewiesen werden, damit es über den Wert des Geschäftsanteils des Klägers Beweis erhebe.
a) Dieser Antrag scheitert an der im angefochtenen Urteil kundgegebenen Auffassung des Obergerichts, dass die vermögensrechtlichen Folgen der Ausschliessung nicht Gegenstand des Prozesses seien. Das bedeutet, die prozessualen Voraussetzungen, unter denen über diese Folgen geurteilt werden könnte, seien nicht erfüllt. Das ist eine Frage des kantonalen Prozessrechtes, die das Bundesgericht als Berufungsinstanz nicht überprüfen darf (
Art. 43 und 55 Abs. 1 lit. c OG
). Es hat nicht zu entscheiden, ob das Obergericht die vermögensrechtliche Auseinandersetzung als Gegenstand des Prozesses hätte betrachten sollen, weil die Beklagte in der dem Bezirksgericht eingereichten Replik zur Widerklage ausführte, das Gericht werde die Entschädigung, die der Kläger für seine Ausschliessung beanspruchen dürfe, nach pflichtgemässem Ermessen festsetzen müssen, oder weil der Kläger in der mündlichen Antwort auf die Berufung der Beklagten vor dem Obergericht erstmals erklärte, er stelle vorsorglich das Begehren, gegebenenfalls durch Sachverständige die wirtschaftliche Bilanz der Beklagten aufzustellen und dem Kläger den entsprechenden Anteil auszurichten.
b) Fragen kann sich nur, ob das eidgenössische Recht dem Richter verbiete, ein Begehren auf Ausschliessung zu schützen, wenn nicht auch die vermögensrechtlichen Folgen dieser Massnahme, sei es von der Gesellschaft, sei es vom auszuschliessenden Gesellschafter, zum Gegenstand des Prozesses gemacht wurden. Wäre das zu bejahen, so müsste die Widerklage abgewiesen werden.
Es ist zunächst klar, dass der Gesellschafter durch die Ausschliessung nicht um den Vermögenswert gebracht werden darf, den sein Anteil allenfalls hat. Aus Art. 822 Abs. 4 in Verbindung mit
Art. 800 OR
ergibt sich, dass der Anteil
BGE 89 II 133 S. 136
des Ausgeschlossenen nach den Vorschriften über den Verzug bei der Einzahlungspflicht öffentlich versteigert oder mit Zustimmung aller Gesellschafter, auch des Ausgeschlossenen, auf andere Weise verwertet werden kann, wobei der Überschuss über den allenfalls noch nicht einbezahlten Betrag des Nennwertes des Anteils dem Ausgeschlossenen zukommt.
Art. 822 Abs. 4 OR
sieht auch die Übernahme des Anteils durch einen anderen Gesellschafter vor, worunter in sinngemässer Anwendung der Art. 800 Abs. 1 und 792 Abs. 2 die Übernahme zum "wirklichen Wert" zu verstehen ist. Ferner erwähnt
Art. 822 Abs. 4 OR
den Fall der Abfindung des ausgeschlossenen Gesellschafters. Sie kann entweder aus dem das Stammkapital der Gesellschaft übersteigenden Vermögen oder nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals erfolgen. Alle diese Möglichkeiten zeigen, dass das schweizerische Recht die Ausschliessung nicht entschädigungslos zulässt, wenn der Anteil des Ausgeschlossenen einen Wert hat.
Die Pflicht der Gesellschaft, den Anteil zu verwerten oder durch einen andern Gesellschafter übernehmen zu lassen oder den Ausgeschlossenen aus dem Gesellschaftsvermögen, nötigenfalls unter Herabsetzung des Stammkapitals, abzufinden, steht mit der Ausschliessung, d.h. der richterlichen Entziehung der Mitgliedschaft indessen nicht in einem synallagmatischen Verhältnis. Die Verpflichtung der Gesellschaft ist nicht die Gegenleistung für die Ausschliessung, sondern deren Rechtsfolge. Das Gesetz sieht sie vor, weil der Gesellschafter in der Form von Mitgliedschaftsrechten am Gesellschaftsvermögen virtuell Anteil hat und ihm diese Rechte durch die Ausschliessung entzogen werden. Es verhält sich ähnlich wie bei der richterlichen Ausschliessung eines Kollektivgesellschafters, die zur Folge hat, dass dem Ausgeschlossenen sein Anteil am Gesellschaftsvermögen auszurichten ist (
Art. 577 OR
), und zwar in der Form eines Geldbetrages, der mangels einer Einigung der Beteiligten durch den Richter festzusetzen ist
BGE 89 II 133 S. 137
(
Art. 580 OR
).
Art. 82 OR
über die Ordnung in der Erfüllung von Leistung und Gegenleistung aus einem zweiseitigen Vertrage trifft daher auf die Ausschliessung aus einer GmbH sowenig zu wie auf die Ausschliessung aus einer Kollektivgesellschaft. Das ist nicht unbillig, jedenfalls nicht bei der Ausschliessung aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Der Gesellschafter hat schon vor dieser Massnahme am Gesellschaftsvermögen nur virtuell Anteil. Durch die Ausschliessung verliert er nicht ein dingliches Recht, sondern blosse Mitgliedschaftsrechte. Dafür erwächst ihm im gleichen Zeitpunkt ein obligatorischer Anspruch gegen die Gesellschaft, dessen Höhe von der Grösse des Gesellschaftsvermögens und dem Verhältnis abhängt, in dem der Stammanteil des Ausgeschlossenen zu den Stammanteilen der andern Gesellschafter steht. Das Verhältnis der Stammanteile zueinander ist dem Ausgeschlossenen bekannt, und wenn er den Wert des Gesellschaftsvermögens im Zeitpunkt der Ausschliessung nicht genügend kennt, um seine Rechte wirksam geltend machen zu können, so ist das nicht die Folge der Ausschliessung, sondern der Stellung, die er vorher in der Gesellschaft hatte, besonders seiner Nichtmitwirkung bei der Geschäftsführung.
Übrigens ergibt sich aus
Art. 822 Abs. 4 OR
, dass in Fällen, wo wegen der Ausschliessung eines Gesellschafters das Stammkapital herabgesetzt werden muss, die Abfindung ohnehin nicht Zug um Zug mit der gerichtlichen Ausschliessung geltend gemacht werden könnte. Es müssen nämlich vor der Auszahlung die Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals beachtet werden, wobei die Bestimmungen über die Herabsetzung des Grundkapitals von Aktiengesellschaften entsprechend anzuwenden sind (
Art. 788 Abs. 2 OR
), also die
Art. 732-734 OR
. Man mag einwenden, das Herabsetzungsverfahren, wie es in diesen Bestimmungen umschrieben ist, müsse eben schon vor der richterlichen Ausschliessung des Gesellschafters durchgeführt werden.
Art. 822 Abs. 4 OR
steht aber nicht auf
BGE 89 II 133 S. 138
diesem Boden. Er bestimmt nicht, der Richter dürfe den Gesellschafter erst ausschliessen, nachdem die Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals beobachtet worden seien. Art. 822 umschreibt zunächst in Abs. 1-3 die materiellen und formellen Voraussetzungen des Austrittes und der Ausschliessung und bestimmt dann unter Abs. 4, Austritt und Ausschliessung würden nur unter Beobachtung der Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals "wirksam" (La sortie et l'exclusion n'ont d'effet que... Il recesso e l'esclusione producono effetti solo se...). Das zeigt, dass die Ausschliessung dem Eintritt ihrer Wirksamkeit, d.h. der Beobachtung der Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals vorausgeht. Das ist auch vernünftig. Zuerst muss die Gesellschaft wissen, ob der Richter die wichtigen Gründe bejaht und den betroffenen Gesellschafter ausschliesst. Erst nachher hat die Herabsetzung des Grundkapitals einen Sinn. Man liefe sonst Gefahr, dass das umständliche Verfahren, in dem sie erfolgt und das mit der Eintragung in das Handelsregister endet, umsonst durchgeführt würde.
Indem das Obergericht auf Ausschliessung des Klägers erkannte, obwohl deren Folgen nicht zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden waren, verstiess es somit nicht gegen eidgenössisches Recht. | public_law | nan | de | 1,963 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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