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---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
c849755c-b936-4714-bd93-50dd5d851143 | Urteilskopf
134 III 294
50. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bank X. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_411/2007 vom 29. Januar 2008 | Regeste
Stillstand der Verjährung, solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht werden kann (
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
).
Die abstrakte Möglichkeit, sich in der Schweiz einen Gerichtsstand zu verschaffen, schliesst einen Stillstand der Verjährung nach
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
nicht aus (E. 2). Der Gläubiger ist nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte nach in der Schweiz liegenden Arrestgegenständen zu suchen (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 295
BGE 134 III 294 S. 295
A.
In einer Betreibung auf Grundpfandverwertung der Bank X. (Beschwerdegegnerin) gegen A. (Beschwerdeführer), damals unbekannten Aufenthalts, stellte das zuständige Betreibungsamt am 17. September 1993 einen Pfandausfallschein über Fr. 8'648'304.- aus (vgl.
Art. 158 SchKG
). Mit Begehren vom 16. Januar 2006 setzte die Beschwerdegegnerin die Ausfallforderung in Betreibung. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsvorschlag. Im darauf folgenden Rechtsöffnungsverfahren erwirkte die Beschwerdegegnerin provisorische Rechtsöffnung für die genannte Forderung.
B.
Der Beschwerdeführer leitete am 10. Juli 2006 fristgerecht Aberkennungsklage ein, im Wesentlichen mit der Begründung, die mit der Ausstellung des Pfandausfallscheins ausgelöste zehnjährige Verjährungsfrist (
Art. 127 OR
) habe am 17. September 2003 geendet und sei somit am 16. Januar 2006, als die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer erneut betrieben habe, bereits abgelaufen gewesen. Diese Betreibung habe somit keine Unterbrechung der Verjährung nach
Art. 135 Ziff. 2 OR
bewirken können. Die Beschwerdegegnerin wandte demgegenüber ein, der Beschwerdeführer sei im Zeitpunkt der Ausstellung des Pfandausfallscheins unbekannten Aufenthalts gewesen. Er sei erst am 24. Juni 2005 von Venezuela nach Zürich gezogen, wie sie in Erfahrung gebracht habe. Bis dahin habe die Forderung nicht vor einem schweizerischen Gericht geltend gemacht werden können, weshalb die Verjährung erst nach diesem Datum zu laufen begonnen habe (
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
). Das mit der Sache befasste Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 31. August 2007 ab und erklärte die der Beschwerdegegnerin erteilte provisorische Rechtsöffnung für definitiv.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht, das Urteil des Handelsgerichts aufzuheben und die Forderung von Fr. 8'648'304.- nebst Zins und Kosten, für welche die Beschwerdegegnerin provisorische Rechtsöffnung erlangt hatte, abzuerkennen. Eventuell sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, nachdem das Bundesgericht ihr Gesuch um Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung mit Verfügung vom 6. Dezember 2007 abgewiesen hat.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 134 III 294 S. 296
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer anerkennt vor Bundesgericht ausdrücklich, dass er im kantonalen Verfahren in der Replik darauf verzichtet habe, seine Auslandsabwesenheit substantiiert zu bestreiten. Daher beanstandet er (zumindest im Ergebnis) nicht, dass die Vorinstanz für den Zeitraum ab Ausstellung des Pfandausfallscheines bis zum 1. März 1997 einen Wohnsitzgerichtsstand in der Schweiz verneint hat. Hingegen kritisiert er den Schluss der Vorinstanz, die Verjährung habe erst an diesem Datum zu laufen begonnen.
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
ist nach seiner Auffassung nicht anwendbar, da die Beschwerdegegnerin in der Zeit seiner Landesabwesenheit verschiedene ihm gehörende, in der Schweiz befindliche Vermögenswerte, namentlich Oldtimer und andere Automobile, mit Arrest hätte belegen und so am Arrestort hätte klagen können.
1.1
Die Verjährung beginnt nicht oder steht stille, falls sie begonnen hat, solange eine Forderung vor einem schweizerischen Gericht nicht geltend gemacht werden kann (
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
). Nach der Rechtsprechung kann sich auf diese Bestimmung nur berufen, wer aus objektiven, von seinen persönlichen Verhältnissen unabhängigen Gründen daran gehindert ist, in der Schweiz zu klagen, namentlich wenn ihm kein Gerichtsstand in der Schweiz zur Verfügung steht (
BGE 124 III 449
E. 4a S. 452 f.;
BGE 90 II 428
E. 6-9 S. 435 ff.; vgl. auch
BGE 88 II 283
E. 3a S. 290; DÄPPEN, Basler Kommentar, 4. Aufl., N. 7 zu
Art. 134 OR
; BERTI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl., N. 16 zu
Art. 134 OR
; PICHONNAZ, Commentaire romand, N. 9 zu
Art. 134 OR
). Jedenfalls dann, wenn der Gläubiger sichere Kenntnis vom Vorhandensein von Arrestgegenständen hat, ist ihm nach der Rechtsprechung zuzumuten, diese verarrestieren zu lassen und am Arrestort eine Prosequierungsklage anzuhaben. In derartigen Fällen kann also die Forderung vor einem schweizerischen Gericht geltend gemacht werden, weshalb der Hinderungsgrund des
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
nicht zum Zuge kommt. Das Bundesgericht liess ausdrücklich offen, wie es sich verhält, wenn der Gläubiger nichts über das Vorhandensein von Vermögenswerten des Schuldners in der Schweiz weiss oder wenn er diesbezüglich einen blossen Verdacht hegt (
BGE 124 III 449
E. 4b/bb S. 455; ungenau daher DÄPPEN, a.a.O., N. 7 zu
Art. 134 OR
).
1.2
Nach dem angefochtenen Urteil wäre zwar die Schaffung eines Gerichtsstandes am Arrestort in der Schweiz im Hinblick darauf,
BGE 134 III 294 S. 297
dass die beiden Staaten Monaco und Venezuela, in denen sich der Beschwerdeführer aufgehalten haben soll, dem Lugano-Übereinkommen nicht beigetreten sind, nicht ausgeschlossen (
Art. 4 IPRG
;
Art. 3 LugÜ
[SR 0.275.11]). Gestützt auf jene Lehrmeinungen, welche für die Annahme einer Unterbrechung des Verjährungsstillstandes ein Wissen oder Wissenmüssen des Gläubigers um die Möglichkeit der Arrestlegung voraussetzen (BECKER, Berner Kommentar, N. 10 zu
Art. 134 OR
; SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, S. 159 inkl. Anm. 44), verneinte die Vorinstanz aber eine Erkundigungspflicht des Gläubigers für Fälle, in denen dieser über keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein verarrestierbarer Vermögenswerte verfügt.
2.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, der Rechtsstillstand nach
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
verlange objektive, von den persönlichen Verhältnissen des Gläubigers unabhängige Umstände. Demgegenüber liege das Nichtwissen um die Möglichkeit der Arrestlegung in den subjektiven Verhältnissen des Gläubigers. Wenn schon bei unverschuldeter Unkenntnis einer Forderung die Verjährung laufe, könne sie nicht gehemmt sein, wenn der Gläubiger nicht um das Vorhandensein arresttauglichen Vermögens wisse und mangels konkreter Anhaltspunkte auch nichts wissen könne.
2.1
Das Rechtsinstitut der Verjährung beruht nicht zuletzt auch auf dem Gedanken des Vertrauensschutzes des Schuldners. Der Schuldner soll nicht dauernd im Ungewissen darüber gelassen werden, "ob eine Forderung, die längere Zeit nicht geltend gemacht wurde und mit der er natürlicherweise immer weniger rechnet, schliesslich doch noch eingeklagt werde" (
BGE 90 II 428
E. 8 S. 438). In bestimmten, im Gesetz abschliessend aufgeführten Sonderfällen, deren Vorhandensein der Schuldner leicht erkennen kann, ist aber die Verjährung gehemmt.
Art. 134 OR
umschreibt in den Ziffern 1-5 Fallkonstellationen, in denen die Geltendmachung der Forderung durch persönliche Beziehungen stark erschwert und daher unzumutbar oder tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Diesen gesetzlichen Gründen für die Hemmung der Verjährung liegt die Erwägung zu Grunde, dass es unbillig wäre, den Gläubiger auch für jene Zeitspannen die Folgen einer laufenden Verjährung spüren zu lassen, in denen seine Scheu, eine Forderung zwangsweise durchzusetzen, angesichts der Natur des zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden Rechtsverhältnisses nachvollziehbar ist. Eine ähnliche Wertung liegt auch
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
zugrunde, der einen Stillstandsgrund bezeichnet,
BGE 134 III 294 S. 298
bei dessen Vorliegen dem Gläubiger die Durchsetzung der Forderung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist (BERTI, a.a.O., N. 1 zu
Art. 134 OR
). Subjektive, in den persönlichen Verhältnissen des Gläubigers liegende Umstände, die einer an sich möglichen Klage in der Schweiz entgegenstehen, fallen dagegen schon deshalb nicht unter diese Bestimmung, weil sie für den Schuldner oft nicht erkennbar sind (
BGE 90 II 428
E. 9 S. 440). Daraus ist e contrario zu folgern, dass ein Schuldner, der nach Treu und Glauben aus der Nichtverfolgung des Anspruchs des Gläubigers nicht schliessen darf, dieser verzichte auf die Durchsetzung seines Anspruchs, nicht in gleichem Masse auf den Verjährungsschutz angewiesen ist. Beispielsweise wird ein im Ausland lebender Schuldner, der dem Gläubiger nicht bekanntgibt, wo und welche seiner Vermögenswerte sich in der Schweiz befinden, und der auch sonst keinen Anhaltspunkt dafür hat, der Gläubiger habe entsprechende Kenntnis, in aller Regel darauf zählen, dass ihm in der Schweiz keine Klage droht. Der vom Gläubiger unbehelligte Schuldner kann daher nicht in guten Treuen annehmen, der Gläubiger habe sein Interesse an der Durchsetzung seines Anspruchs verloren, diesen gewissermassen "derelinquiert" (vgl. BERTI, a.a.O., N. 13 Vorbemerkungen zu
Art. 127-142 OR
).
2.2
Die abstrakte Möglichkeit, sich in der Schweiz einen Gerichtsstand zu verschaffen, stellt nicht grundsätzlich einen Ausschlussgrund für die Anrufung von
Art. 134 Abs. 1 Ziff. 6 OR
dar (
BGE 124 III 449
E. 4a S. 453). Andernfalls hätte es der Schuldner, der sich ins Ausland abgesetzt hat, in der Hand, durch heimliche Hinterlegung eines Vermögenswertes in der Schweiz die Fortsetzung des Verjährungslaufs herbeizuführen. Das liegt nicht in der Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Ob dem Gläubiger unter Umständen bei hinreichend gesicherten Anhaltspunkten zuzumuten ist, weitere Abklärungen über allenfalls in der Schweiz befindliche Vermögenswerte des Schuldners zu treffen, braucht nach wie vor nicht entschieden zu werden. Der Gläubiger kann nämlich keinenfalls im Sinne einer Obliegenheit gehalten sein, sich um das Auffinden von Anhaltspunkten zu bemühen oder Vorkehrungen zur Erlangung eines schweizerischen Gerichtsstandes zu treffen, wenn deren Erfolg höchst ungewiss ist. Eine derartige Anforderung an den Gläubiger scheitert an der Zumutbarkeit (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5C.116/ 2003 vom 5. Februar 2004, E. 2.2.2 nicht publ. in
BGE 130 III 547
, aber publ. in: Pra 94/2005 Nr. 105 S. 752). Der Gläubiger darf sich
BGE 134 III 294 S. 299
in solchen Situationen darauf verlassen, dass die Verjährung mangels Belangbarkeit des Schuldners gehemmt ist oder nicht zu laufen beginnt. Nach PICHONNAZ, a.a.O., N. 10 zu
Art. 134 OR
, soll das blosse Vorhandensein von Arrestgegenständen in der Schweiz nur dann zur Aufhebung des Verjährungsstillstandes genügen, wenn der Gläubiger hinreichende Kenntnis davon hat und in der Lage ist, einen gültigen Arrest zu erlangen. Bei blossem Sucharrest ist dies nicht der Fall (vgl. schon ZR 51/1952 S. 97, wo ein Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Mai 1951 wiedergegeben wird).
3.
3.1
Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren vorgebracht, die in Betreibung gesetzte Forderung beruhe auf einem Kredit der mittlerweile von der Beschwerdegegnerin übernommenen Bank Y. Die Beschwerdegegnerin sei mit deren damaligem Direktor in persönlichem Kontakt gestanden. Sie hätte durch dessen Befragung sowie durch Einsicht in die Akten des ursprünglichen Finanzierungsgeschäfts ohne Weiteres in Erfahrung bringen können, dass der Beschwerdeführer enge Geschäftsbeziehungen und ein Vertrauensverhältnis zu B. unterhalten habe. Dieser sei als Treuhänder und Geschäftspartner des Beschwerdeführers aufgetreten und hätte über dessen verarrestierbare Vermögenswerte in der Schweiz Auskunft geben können. Nach Auffassung der Vorinstanz muss der Gläubiger indessen keine derartigen Nachforschungen auf sich nehmen. Eine Befragung des Treuhänders musste zudem von vornherein als nutzlos erscheinen, da dieser nicht zur Auskunfterteilung verpflichtet war, als Freund und Geschäftspartner des Beschwerdeführers aus moralischen Gründen kaum Auskunft erteilt hätte und als Treuhänder zufolge seiner vertraglichen Treuepflicht (
Art. 398 Abs. 2 OR
) in Wahrung der Interessen des Beschwerdeführers ohnehin keine Angaben über dessen Vermögen hätte machen dürfen.
3.2
Diese Subsumtion ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Einem Gläubiger ist nicht zuzumuten, in jedem Fall von Auslandabwesenheit des Schuldners, welche einen Arrestgrund darstellt, aufs Geratewohl, gewissermassen ins Blaue hinaus, Aktivitäten zur Suche nach Arrestgegenständen in der Schweiz zu entfalten, um den Stillstand der Verjährung zu erhalten. Erst recht erscheint unter vertrauenstheoretischen Gesichtspunkten unzulässig, Suchbemühungen zu fordern, die von Beginn an kaum Aussicht auf Erfolg versprechen. Die Beschwerdegegnerin hätte über den Treuhänder erst vom
BGE 134 III 294 S. 300
Vorhandensein der Wertgegenstände ins Bild gesetzt werden müssen. Dass der Treuhänder diese Auskunft korrekterweise hätte verweigern müssen, hat die Vorinstanz zutreffend erkannt. Soweit der Beschwerdeführer vor Bundesgericht anführt, die Beschwerdegegnerin bzw. eine von ihr beauftragte Inkassofirma hätte sich beim Treuhänder nur als Kaufinteressentin ausgeben müssen, und sie hätte "die verarrestierbaren Vermögenswerte des Beschwerdeführers auf dem Silbertablett präsentiert" erhalten, verkennt er, dass es den Grundwerten des Obligationenrechts zuwiderläuft, ein täuschendes Verhalten als Obliegenheit zur Rechtserhaltung zu fordern. | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c84f0e04-5491-4b42-8a62-5c57649c986b | Urteilskopf
140 IV 213
31. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Beschwerde in Strafsachen)
6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014 | Regeste
Zulässigkeit der Beschwerde in Strafsachen bei Anfechtung des Entschädigungsentscheids durch die unentgeltliche Verbeiständung der Privatklägerschaft;
Art 135 Abs. 3 StPO
.
Wird ein Urteil des Berufungsgerichts angefochten, das über die vom erstinstanzlichen Gericht der unentgeltlichen Rechtsbeiständin für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene Entschädigung entscheidet, und bleibt die für das Berufungsverfahren festgesetzte Entschädigung unangefochten, liegt kein Anwendungsfall von
Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO
vor. Die Beschwerde in Strafsachen ist zulässig (E. 1.7). | Sachverhalt
ab Seite 213
BGE 140 IV 213 S. 213
Das Richteramt Solothurn-Lebern setzte Rechtsanwältin X. im Strafverfahren gegen A. betreffend mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind als unentgeltliche Rechtsbeiständin der Privatklägerschaft ein. Das Amtsgericht Solothurn-Lebern sprach ihr mit Urteil
BGE 140 IV 213 S. 214
vom 22. März 2013 für das erstinstanzliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 15'274.30 zu. Auf Berufung von A. reduzierte das Obergericht des Kantons Solothurn am 13. März 2014 die Entschädigung auf Fr. 13'073.15 und setzte das Honorar der unentgeltlichen Rechtsvertreterin für das Berufungsverfahren auf Fr. 1'628.30 fest.
Rechtsanwältin X. erhob am 10. April 2014 Beschwerde beim Bundesstrafgericht und beantragte die Aufhebung des Urteils des Kantonsgerichts Solothurn, soweit dieses die Kürzung der ihr vom Amtsgericht Solothurn-Lebern für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochenen Entschädigung betrifft.
Das Bundesstrafgericht übermittelte die Beschwerde dem Bundesgericht. Es erachtet sich für die Behandlung nicht zuständig, da weder eine Beschwerde gegen die erstinstanzliche Festsetzung der Entschädigung durch die Strafkammer des Bundesstrafgerichts noch eine solche gegen die Festsetzung der Entschädigung durch eine zweite kantonale Instanz vorliegt.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.1
Die Strafbehörde legt im Endentscheid die Kosten- und Entschädigungsfolgen fest (
Art. 421 Abs. 1 StPO
; vgl. auch
Art. 81 Abs. 4 lit. b und
Art. 351 Abs. 1 StPO
). Dazu zählen nicht nur die Entschädigungen für die private Rechtsvertretung, sondern auch die Auslagen für die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Verbeiständung. Während Erstere zu den Entschädigungsfolgen zählen, bilden Letztere Bestandteil der Verfahrenskosten (
Art. 422 Abs. 2 lit. a StPO
).
1.2
Auch wenn über alle Entschädigungsfragen im gleichen Endentscheid zu befinden ist, sieht die Strafprozessordnung eine Gabelung des Rechtsmittelwegs und damit auch der Beurteilungsinstanzen vor.
1.3
Die vom erstinstanzlichen Gericht zugesprochene Entschädigung für die private Rechtsvertretung ist mit Berufung anzufechten (
Art. 398 Abs. 1 und 2 StPO
; vgl. auch
Art. 399 Abs. 4 lit. f StPO
). Dazu legitimiert ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des Entscheids hat (
Art. 382 Abs. 1 StPO
), insbesondere auch die Staatsanwaltschaft (
Art. 381 Abs. 1 StPO
; siehe dazu
BGE 139 IV 199
E. 2).
1.4
Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung der Privatklägerschaft zählen nicht zu den
BGE 140 IV 213 S. 215
Verfahrensparteien (
Art. 104 Abs. 1 StPO
). Ihre Rechtsmittellegitimation hinsichtlich der Festsetzung des Honorars ergibt sich nicht aus
Art. 382 StPO
, sondern aus der besonderen Regelung in
Art. 135 Abs. 3 StPO
. Sie können (und müssen) gegen den erstinstanzlichen Entschädigungsentscheid in ihrer Eigenschaft als Verfahrensbeteiligte in eigenem Namen strafprozessuale Beschwerde führen (vgl.
BGE 139 IV 199
E. 5.2).
Der Staatsanwaltschaft und den anderen Parteien, die für die Kosten der amtlichen Verteidigung oder der unentgeltlichen Prozessführung aufzukommen haben, steht die strafprozessuale Beschwerde gegen den Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts nicht offen. Sie müssen die Reduktion der Entschädigung mit Berufung verlangen. Hat eine Partei Berufung erhoben und wird darauf eingetreten, sind sämtliche Einwendungen gegen die Entschädigung im Berufungsverfahren zu beurteilen. Ein allfälliges, von der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung gestützt auf
Art. 135 Abs. 3 StPO
separat anhängig gemachtes Beschwerdeverfahren wird gegenstandslos (
BGE 139 IV 199
E. 5.6).
1.5
Je nach der prozessualen Stellung des Rechtsmitteleinlegers sind auf kantonaler Ebene sowohl Berufungsgericht wie auch Beschwerdeinstanz gehalten, in zweiter Instanz über die Festsetzung der Entschädigung durch das erstinstanzliche Gericht zu befinden.
Soweit die unentgeltliche Rechtsverbeiständung Beschwerde erhebt, sieht die Strafprozessordnung eine weitere Aufsplittung des Rechtsmittelwegs vor. Für Beschwerden gegen den erstinstanzlichen Entschädigungsentscheid ist die kantonale Beschwerdeinstanz zuständig (
Art. 135 Abs. 3 lit. a StPO
); über Beschwerden gegen die von der Beschwerdeinstanz oder dem Berufungsgericht im zweitinstanzlichen Verfahren festgesetzte Entschädigung entscheidet das Bundesstrafgericht (
Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO
).
1.6
Die unterschiedlichen Rechtsmittelwege und Rechtsmittelinstanzen führen zu unterschiedlichen Anfechtungsmöglichkeiten vor Bundesgericht. Erstinstanzliche Entscheide des Bundesstrafgerichts und letztinstanzliche kantonale Entscheide über die Festsetzung der Entschädigung für die private Rechtsvertretung unterliegen der Beschwerde in Strafsachen (
Art. 78 Abs. 1 BGG
). Das Gleiche gilt für Entscheide der kantonalen Beschwerdeinstanz und des Berufungsgerichts, soweit sie im Rechtsmittelverfahren die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für das erstinstanzliche Verfahren
BGE 140 IV 213 S. 216
festsetzen. Demgegenüber ist die Beschwerde in Strafsachen nach
Art. 79 Abs. 1 BGG
nicht zulässig, wenn das Bundesstrafgericht über die von der Beschwerdeinstanz oder dem Berufungsgericht im kantonalen Rechtsmittelverfahren originär zugesprochene Entschädigung entscheidet (vgl. Urteil 6B_647/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 1). Wird mit Entscheid einer kantonalen Beschwerdeinstanz oder des Berufungsgerichts die Entschädigung des unentgeltlichen Rechtsbeistands sowohl für das erstinstanzliche wie auch für das zweitinstanzliche Verfahren festgesetzt und werden ausschliesslich diese beiden Punkte angefochten, rechtfertigt sich ein einheitlicher Rechtsweg. Diesfalls ist das Bundesstrafgericht alleinige Rechtsmittelinstanz (vgl. Urteil 6B_985/2013 vom 19. Juni 2014 E. 1.2).
1.7
Der Wortlaut von
Art. 135 Abs. 3 StPO
ist klar und lässt keinen Interpretationsspielraum offen. Gegen den erstinstanzlichen Entschädigungsentscheid kann die unentgeltliche Rechtsverbeiständung Beschwerde bei der (kantonalen) Beschwerdeinstanz erheben. Richtet sich die Beschwerde gegen die in einem kantonalen Rechtsmittelverfahren zugesprochene Entschädigung, ist das Bundesstrafgericht zuständig (Urteil 6B_647/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 1; vgl. NIKLAUS RUCKSTUHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 19 zu
Art. 135 StPO
).
Angefochten ist ein Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, in welchem über die vom Amtsgericht Solothurn-Lebern der unentgeltlichen Rechtsbeiständin für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene Entschädigung entschieden wurde. Die vom Obergericht für das Berufungsverfahren festgesetzte Entschädigung blieb unangefochten. Es liegt deshalb kein Anwendungsfall von
Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO
vor, sodass die beim Bundesstrafgericht eingereichte Beschwerde vom Bundesgericht als Beschwerde in Strafsachen zu behandeln ist. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c85633f0-13a5-4bfc-9d06-b78ff224b90b | Urteilskopf
135 V 185
24. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern gegen S. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_231/2008 vom 3. April 2009 | Regeste
Art. 28 Abs. 4 AVIG
;
Art. 25 Abs. 3 UVV
; Taggeldkoordination im Arbeitslosen- und Unfallversicherungsbereich.
Erbringt die Unfallversicherung ganze Taggelder auf Grund einer über 50%igen Arbeitsunfähigkeit gemäss
Art. 25 Abs. 3 UVV
, so besteht angesichts der ausdrücklichen und spezifischen Koordinationsbestimmung in
Art. 28 Abs. 4 AVIG
unabhängig davon, ob die versicherte Person dauernd (
Art. 15 Abs. 2 AVIG
) oder bloss vorübergehend (
Art. 28 Abs. 1 AVIG
) nicht oder vermindert arbeitsfähig ist, kein Anspruch auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung (E. 6).
Bei einer 20%igen Arbeitsfähigkeit wirkt sich eine Kürzung der ganzen UV-Taggelder infolge Selbstverschuldens der versicherten Person im Arbeitslosenversicherungsbereich nicht aus, da Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nur besteht, wenn die versicherte Person zu mindestens 50 % arbeitsfähig ist (E. 9.1). | Sachverhalt
ab Seite 186
BGE 135 V 185 S. 186
A.
Der 1959 geborene S. war seit 16. Mai 1990 als Schmiedemitarbeiter für die Firma I. AG tätig. Bei einer Messerstecherei zog er sich am 27. April 2002 diverse Verletzungen zu. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erbrachte Versicherungsleistungen. Mit rechtskräftig gewordenem Einspracheentscheid vom 16. Januar 2004 kürzte sie ihre Geldleistungen wegen Beteiligung an einer Rauferei um 50 %. Am 25. Mai 2004 sprach sie S. verfügungsweise mit Wirkung ab 1. Juni 2004 eine Invalidenrente, basierend auf einer Erwerbsunfähigkeit von 19 %, zu. In Gutheissung der dagegen erhobenen Einsprache richtete sie ihm rückwirkend ab 1. Juni 2004 ein volles Taggeld aus (Schreiben der SUVA vom 12. und 20. Mai 2005). Mit Verfügung vom 13. Juli 2006 sprach sie ihm ab 1. Juli 2006 eine Rente, entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von 82 %, zu.
Die IV-Stelle Luzern gewährte S. ab 1. April 2003 eine bis 31. Januar 2004 befristete halbe Invalidenrente (Verfügung vom 12. Oktober 2004). Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 27. Juli 2005. Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hob diesen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 23. März 2007). Auf die dagegen von der IV-Stelle erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht nicht ein (Urteil 9C_250/2007 vom 18. Oktober 2007).
Mit Schreiben vom 11. November 2003 hatte die Firma I. AG das Arbeitsverhältnis per 29. Februar 2004 durch Kündigung aufgelöst. Ebenfalls am 11. November 2003 hatte sich S. zur
BGE 135 V 185 S. 187
Arbeitsvermittlung angemeldet und Antrag auf Arbeitslosenentschädigung gestellt. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Luzern richtete ab 1. März 2004 Arbeitslosentaggelder aus. Mit Verfügung vom 3. Juni 2005 forderte sie die vom 1. Juni 2004 bis 30. April 2005 ausbezahlten Taggelder im Betrag von Fr. 27'283.85 zurück. In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Einsprache, soweit darauf eingetreten wurde, hielt sie fest, sie habe Fr. 13'926.40 mit Leistungen der SUVA verrechnet und den Restbetrag von Fr. 13'357.45 müsse der Versicherte nicht zurückerstatten (Einspracheentscheid vom 25. Oktober 2005). Für die Zeit ab 1. Mai 2005 lehnte die Kasse die Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosentaggelder ab (Verfügung vom 24. Oktober 2005). Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 21. September 2006).
B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess die dagegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, dass es die Sache in Aufhebung des Einspracheentscheides vom 21. September 2006 an die Arbeitslosenkasse zurückwies, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre (Entscheid vom 14. Februar 2008).
C.
Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Anspruchsberechtigung sei ab 1. Mai 2005 zu verneinen.
S. lässt das Rechtsbegehren stellen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die Arbeitslosenkasse sei zu verpflichten, ihm ab 1. Mai 2005 - vorbehältlich der Überentschädigungsbestimmungen - Arbeitslosentaggelder auf der Basis einer vollen Erwerbsfähigkeit auszurichten; ferner lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung ersuchen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Das kantonale Gericht hat erwogen, die SUVA richte zwar erst ab 1. Juli 2006 eine Rente, gestützt auf eine Erwerbsunfähigkeit von 82 %, aus, da sich aber die Verhältnisse von Mai 2005 bis Juli 2006 nicht verändert hätten, sei davon auszugehen, dass die Erwerbsfähigkeit für die Jahre 2005 und 2006 gleichbleibend 18 % betrage.
BGE 135 V 185 S. 188
Basierend auf dieser Resterwerbsfähigkeit sei der versicherte Verdienst zu ermitteln und die Arbeitslosenkasse habe ab 1. Mai 2005 auf dieser Grundlage Arbeitslosentaggelder zu leisten, sofern alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Die Sache wurde zur Abklärung der restlichen Anspruchsvoraussetzungen und zur (allfälligen) Festsetzung der Taggeldhöhe an die Verwaltung zurückgewiesen.
(...)
5.
Für die vorliegend relevante Zeit vom 1. Mai 2005 bis 21. September 2006 (Datum des Einspracheentscheides) ist die Vermittlungsfähigkeit des Beschwerdegegners unbestritten. Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte in der erwähnten Zeitspanne neben den Zahlungen der Unfallversicherung (die Invalidenversicherung hat keine Leistungen erbracht) auch noch Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat. Für die Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass die SUVA vom 1. Juni 2004 bis 30. Juni 2006 ein volles Taggeld ausgerichtet hat und seit 1. Juli 2006 eine Rente, entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von 82 %, bezahlt (jeweils gekürzt um 50 % wegen Selbstverschuldens).
6.
6.1
6.1.1
Nach
Art. 28 Abs. 1 AVIG
(SR 837.0) haben Versicherte, die wegen Krankheit (
Art. 3 ATSG
[SR 830.1]), Unfall (
Art. 4 ATSG
) oder Schwangerschaft vorübergehend nicht oder nur vermindert arbeits- und vermittlungsfähig sind und deshalb die Kontrollvorschriften nicht erfüllen können, sofern sie die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Anspruch auf das volle Taggeld; dieser dauert längstens bis zum 30. Tag nach Beginn der ganzen oder teilweisen Arbeitsunfähigkeit und ist innerhalb der Rahmenfrist auf 44 Taggelder beschränkt. Taggelder der Kranken- oder Unfallversicherung, die Erwerbsersatz darstellen, werden von der Arbeitslosenentschädigung abgezogen (
Art. 28 Abs. 2 AVIG
). Arbeitslose, die ihren Anspruch nach Abs. 1 ausgeschöpft haben und weiterhin vorübergehend vermindert arbeitsfähig sind, haben, sofern sie unter Berücksichtigung ihrer verminderten Arbeitsfähigkeit vermittelbar sind und alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, Anspruch auf das volle Taggeld, wenn sie zu mindestens 75 %, und auf das halbe Taggeld, wenn sie zu mindestens 50 % arbeitsfähig sind (
Art. 28 Abs. 4 AVIG
).
BGE 135 V 185 S. 189
6.1.2
Art. 28 Abs. 1 AVIG
weicht vom Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung ab, wonach Leistungen nur bei Vermittlungsfähigkeit der versicherten Person in Betracht kommen (
BGE 117 V 244
E. 3c S. 246 f.), und erfasst - im Unterschied zu
Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG
- Fälle bloss vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit (
BGE 126 V 124
E. 3b S. 127; GERHARD GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Bd. I [Art. 1-58], 1988, N. 5 zu
Art. 28 AVIG
) infolge Krankheit, Unfall und Schwangerschaft. Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung besteht darin, trotz Vermittlungsunfähigkeit und damit an sich fehlender Anspruchsberechtigung Härtefälle zu vermeiden und Lücken im Bereich der "Nahtstellen" zwischen der Arbeitslosenversicherung und insbesondere der Kranken- und Unfallversicherung zu schliessen. Im Interesse der Verbesserung der sozialen Sicherung Arbeitsloser sollte namentlich bei Krankheit und Unfall (weiterhin) ein zeitlich limitierter Taggeldanspruch bestehen (
BGE 128 V 149
E. 3b S. 155).
6.1.3
Im Falle eingeschränkter Leistungsfähigkeit ist zu unterscheiden zwischen vorübergehend fehlender oder verminderter Arbeitsfähigkeit im Sinne von
Art. 28 AVIG
und den behinderten Versicherten im Sinne von
Art. 15 Abs. 2 AVIG
. Beide Tatbestände sind Ausnahmen vom Grundprinzip der Arbeitslosenversicherung, wonach Leistungen nur bei Vermittlungsfähigkeit des Versicherten in Betracht kommen. Bei länger andauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung ist die Vermittlungsfähigkeit (
Art. 15 AVIG
) massgebendes Abgrenzungskriterium. Die Arbeitslosenversicherung ist vorleistungspflichtig, wenn die versicherte Person nicht offensichtlich vermittlungsunfähig ist (
Art. 15 Abs. 3 AVIV
[SR 837.02]). Über das Kriterium der vorübergehenden Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit erfolgt die Abgrenzung zu den Behinderten im Sinne von
Art. 15 Abs. 2 AVIG
(
BGE 126 V 124
E. 3a und 3b S. 127; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2264 Rz. 280).
6.2
Das kantonale Gericht und der Beschwerdegegner sind der Ansicht,
Art. 28 Abs. 4 AVIG
sei nicht anwendbar, weil der Versicherte nicht bloss vorübergehend, sondern dauernd nicht oder vermindert arbeitsfähig sei. Bei dieser Sachlage sei
Art. 15 Abs. 2 Satz 1 AVIG
, wonach der körperlich oder geistig Behinderte als vermittlungsfähig gilt, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage
BGE 135 V 185 S. 190
unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbar Arbeit vermittelt werden könnte, relevant. Bei dieser Betrachtungsweise wird allerdings übersehen, dass die SUVA dem Versicherten gemäss
Art. 25 Abs. 3 UVV
(SR 832.202) vom 1. Juni 2004 bis 30. Juni 2006 ein ganzes Taggeld ausgerichtet hat. Die Frage, ob der Versicherte während dieser Zeit dauernd oder lediglich vorübergehend nicht oder vermindert arbeitsfähig war, tritt bei dieser Konstellation in den Hintergrund und kann letztlich offenbleiben. Denn
Art. 25 Abs. 3 UVV
(für Personen, welche zum Zeitpunkt des Unfalls erwerbstätig waren; vgl. die identische Regelung in Art. 5 Abs. 4 der Verordnung vom 24. Januar 1996 über die Unfallversicherung von arbeitslosen Personen [UVAL; SR 837.171] für Personen, die zur Zeit des Unfalls arbeitslos waren) bildet das Gegenstück zu
Art. 28 Abs. 4 AVIG
. Mit dieser Regelung wird die Koordination zwischen der Unfall- und der Arbeitslosenversicherung in der Weise hergestellt, dass die Leistungspflicht der einzelnen Systeme aufeinander abgestimmt wird (UELI KIESER, Die Taggeldkoordination im Sozialversicherungsrecht, AJP 2000 S. 255). Gemäss
Art. 25 Abs. 3 UVV
erbringt die Unfallversicherung die ganze Leistung, wenn die Arbeitsunfähigkeit eines arbeitslosen Versicherten mehr als 50 % beträgt, und die halbe Leistung, wenn die Arbeitsunfähigkeit mehr als 25, aber höchstens 50 % beträgt; bei einer Arbeitsunfähigkeit von 25 und weniger Prozent besteht kein Taggeldanspruch. Demgemäss kann die arbeitslose Person das volle Unfalltaggeld beanspruchen, wenn sie zu mehr als 50 % arbeitsunfähig ist (Art. 25 Abs. 3 erster Teilsatz UVV), und sie hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung; bei einer Arbeitsfähigkeit zwischen 50 und 75 % erbringt die Arbeitslosenversicherung ein halbes, bei einer Arbeitsfähigkeit von 75 % und mehr ein ganzes Taggeld (
Art. 28 Abs. 4 AVIG
). Die Koordinationsregel von
Art. 28 Abs. 4 AVIG
gilt in diesen Fällen unabhängig davon, ob vorgängig
Art. 28 Abs. 1 AVIG
zur Anwendung gelangt ist und ob die Arbeitsunfähigkeit vor oder erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eingetreten ist (NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2259 Rz. 265). Weil die SUVA somit in der Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. Juni 2006 volle Taggelder, basierend auf einer 50 % übersteigenden Arbeitsunfähigkeit (effektiv nahm sie eine Arbeitsfähigkeit von maximal 20 % an), geleistet hat, besteht aufgrund der ausdrücklichen und spezifischen Koordinationsbestimmungen von
Art. 28 Abs. 4 AVIG
und
Art. 25 Abs. 3 UVV
bis Ende Juni 2006
BGE 135 V 185 S. 191
kein Anspruch auf Arbeitslosentaggelder. Insoweit kann dem angefochtenen Gerichtsentscheid nicht gefolgt werden.
7.
7.1
Als versicherter Verdienst gilt der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen (
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG
). Bei Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, ist gemäss
Art. 40b AVIV
der Verdienst massgebend, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht.
Art. 40b AVIV
betrifft die Abgrenzung der Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung gegenüber anderen Versicherungsträgern nach Massgabe der Erwerbsfähigkeit. Sinn und Zweck der Verordnungsbestimmung ist mit anderen Worten, die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung auf einen Umfang zu beschränken, welcher sich nach der verbleibenden Erwerbsfähigkeit der versicherten Person während der Dauer der Arbeitslosigkeit auszurichten hat. Da die Arbeitslosenversicherung nur für den Lohnausfall einzustehen hat, welcher sich aus der Arbeitslosigkeit ergibt, kann für die Berechnung der Arbeitslosenentschädigung keine Rolle spielen, ob ein anderer Versicherungsträger Invalidenleistungen erbringt (
BGE 133 V 524
E. 5.2 S. 527).
7.2
Tritt eine gesundheitsbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit ein, so entspricht die aktuelle Leistungsfähigkeit nicht mehr derjenigen vor der Arbeitslosigkeit, welche die Lohnbasis bildete. Weil der Lohn vor Eintritt der Arbeitslosigkeit aber Bemessungsgrundlage für den versicherten Verdienst darstellt, muss in diesen Fällen eine Anpassung nach
Art. 40b AVIV
erfolgen. Eine Korrektur gemäss
Art. 40b AVIV
ist daher durchzuführen, wenn der versicherte Verdienst auf einem Lohn basiert, den die versicherte Person im Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Invalidität nicht mehr erzielen könnte. Unmittelbarkeit im Sinne von
Art. 40b AVIV
liegt also dann vor, wenn sich die gesundheitsbedingte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit (noch) nicht im Lohn niedergeschlagen hat, welcher gemäss
Art. 23 Abs. 1 AVIG
in
BGE 135 V 185 S. 192
Verbindung mit
Art. 37 AVIV
Bemessungsgrundlage für den versicherten Verdienst bildet (
BGE 133 V 530
E. 4.1.2 S. 534).
Vorliegend ist die gesundheitsbedingte Beeinträchtigung mit dem Unfallereignis vom 27. April 2002, während der Anstellung bei der ehemaligen Arbeitgeberin, eingetreten. Der versicherte Verdienst basiert auf dem in diesem Arbeitsverhältnis erzielten Lohn, welcher die Einbusse in der Erwerbsfähigkeit nicht berücksichtigt.
Art. 40b AVIV
gelangt deshalb in der vorliegenden Konstellation korrigierend ab Beginn des UV-Rentenanspruchs, somit ab 1. Juli 2006 zur Anwendung. Für die Zeit ab 1. Juli 2006 hat die Unfallversicherung einen Erwerbsunfähigkeitsgrad von 82 % festgestellt. Die Invalidenversicherung hat keine Leistungen erbracht. Der berichtigte versicherte Verdienst ergibt sich aus dem in der letzten Anstellung erzielten Einkommen, multipliziert mit dem Faktor, der aus der Differenz zwischen 100 % und dem Erwerbsunfähigkeitsgrad in der Höhe von 82 % (gemäss Verfügung der SUVA vom 13. Juli 2006) resultiert (
BGE 132 V 357
E. 3.2.4.2 S. 360).
8.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners kommt die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung gemäss
Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG
und
Art. 15 Abs. 3 AVIV
nicht zum Tragen, da die Unfallversicherung ihre Leistungen aufgrund der eingeschränkten Arbeits- und Erwerbsfähigkeit bereits erbracht hat (und weiter erbringt). Es kann schon deshalb keine Rede davon sein, dass die Arbeitslosenversicherung von der Fiktion einer vollen Erwerbsfähigkeit ausgehen müsste und auf dieser Grundlage ihre Taggeldleistungen festzulegen hätte.
9.
Die SUVA hat infolge des Selbstverschuldens des Versicherten sowohl die Taggelder als auch die Rentenleistungen um je 50 % gekürzt. Die Frage, ob eine Sozialversicherung die Leistungskürzung einer anderen Sozialversicherung ausgleichen muss, stellt sich insbesondere dann, wenn die Sozialversicherungen für das gleiche Risiko haften (
BGE 122 V 306
). Arbeitslosenversicherung und Unfallversicherung bzw. Invalidenversicherung decken indessen unterschiedliche Risiken ab.
9.1
Während der Zeit, in welcher die Unfallversicherung Taggelder erbringt, muss die Arbeitslosenversicherung im Rahmen von
Art. 28 Abs. 4 AVIG
die verbliebene oder wiedergewonnene Arbeitsfähigkeit entschädigen (GERHARDS, a.a.O., N. 30 zu
Art. 28 AVIG
). Die Arbeitsfähigkeit belief sich vorliegend indessen nach
BGE 135 V 185 S. 193
den Abklärungen der SUVA auf maximal 20 %, weshalb während der Zeit, in welcher die Unfallversicherung die vollen Taggelder geleistet hat, kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bestanden hat (
Art. 28 Abs. 4 AVIG
). In diesem Fall erbrachte die Unfallversicherung als für die Deckung der Nachteile der Arbeitsunfähigkeit überwiegend zuständige Sozialversicherung die ganze Leistung (
Art. 25 Abs. 3 UVV
). Ob die SUVA die (vollen) UV-Taggelder gekürzt oder ungekürzt ausgerichtet hat, tangiert die Arbeitslosenversicherung nicht. Letztere hat aufgrund der Regelung in
Art. 28 Abs. 4 AVIG
bei einer unter 50 % liegenden Arbeitsfähigkeit von vornherein keine Taggelder zu bezahlen.
9.2
Für die Zeit ab 1. Juli 2006 hat die SUVA eine Erwerbsunfähigkeit von 82 % festgestellt. Demgemäss hat nach Massgabe des
Art. 40b AVIV
eine Korrektur des versicherten Verdienstes stattzufinden, weil er auf einem Lohn basiert, den die versicherte Person im Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Invalidität nicht mehr erzielen könnte (
BGE 133 V 530
E. 4.1.2 S. 534). Diese Berichtigung hat zur Folge, dass die verbleibende Erwerbsfähigkeit, die die versicherte Person aus arbeitsmarktlichen Gründen nicht verwerten kann, im Rahmen des der Arbeitslosenentschädigung zugrunde zu legenden versicherten Verdienstes berücksichtigt wird. Hingegen berührt die aus gesundheitlichen Gründen nicht verwertbare Erwerbsfähigkeit und insofern auch die verschuldensbedingte Kürzung der UV-Invalidenrente die Arbeitslosenversicherung nicht. Letztere kann nur die Lohneinbusse im Rahmen der verbliebenen Erwerbsfähigkeit ersetzen, nicht aber den gesundheitsbedingt nicht mehr erwirtschafteten Verdienst. Die Tatsache, dass die Unfallversicherung ihre Erwerbsersatzleistungen infolge Selbstverschuldens des Versicherten gekürzt hat, muss für die Arbeitslosenversicherung ohne Relevanz bleiben.
10.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Arbeitslosenkasse vom 1. Mai 2005 bis 30. Juni 2006, während der Dauer der Ausrichtung von vollen UV-Taggeldern, keine Leistungspflicht trifft. Ab 1. Juli 2006 bezieht der Versicherte eine Rente der Unfallversicherung aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 82 %. Im Rahmen der vorinstanzlich angeordneten Rückweisung wird die Arbeitslosenkasse demgemäss zu prüfen haben, ob ab 1. Juli 2006 die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für Taggelder der Arbeitslosenversicherung erfüllt sind und - bejahendenfalls - ab 1. Juli 2006 Taggelder erbringen, basierend auf einem im Sinne von
Art. 40b AVIV
angepassten versicherten Verdienst. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c85c88a3-b7ab-447a-8a55-cb8c9f9cb1c3 | Urteilskopf
81 IV 285
62. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1955 i.S. Buser und Novic gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. | Regeste
1.
Art. 317 StGB
geht als Sonderbestimmung den
Art. 251 ff. StGB
vor. Entscheidend ist nicht die Art der gefälschten Urkunde, sondern dass der Beamte in Verletzung seiner Amtspflicht die Fälschung begeht (Erw. I 2). Anwendbarkeit des
Art. 317 StGB
auf den nicht qualifizierten Anstifter (Erw. I 3).
2. Grundsatz der Spezialität in französisch-schweiz. Auslieferungsfällen (Erw. II 1a).
3.
Art. 7 StGB
. Zum Erfolg der vollendeten Anstiftung gehört auch, dass der Angestiftete mit der Ausführung der Tat begonnen hat (Erw. II 1b). | Sachverhalt
ab Seite 285
BGE 81 IV 285 S. 285
A.-
Novic war im Mai 1948 vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt
BGE 81 IV 285 S. 286
worden. Dem Vollzug dieser Strafe entzog er sich durch die Flucht ins Ausland. Wegen der deshalb erfolgten Ausschreibung im Schweiz. Polizeianzeiger konnte er die Gültigkeit seines Schweizerpasses, die am 29. Juli 1950 abgelaufen war, nicht auf dem ordentlichen Weg verlängern lassen. Ende Sommer 1950 liess er Buser, einen früheren Angestellten des Kontrollbureaus Basel, nach St. Louis (Frankreich) kommen, wo er ihn dazu überredete, einen Beamten des Kontrollbureaus Basel zu veranlassen, die Passverlängerung heimlich vorzunehmen. Buser war damit einverstanden und bestimmte nach seiner Rückkehr den Aktuar des Kontrollbureaus, Frei, im abgelaufenen Pass Novics die erforderlichen Verlängerungsstempel anzubringen. Frei führte die Eintragungen am 17. September 1950 aus. Nach Empfang des abgeänderten Passes beauftragte Novic in Frankreich einen Dritten mit der handschriftlichen Vervollständigung des Verlängerungsvermerks, insbesondere durch Beifügung der Unterschrift des Vorstehers des Kontrollbureaus.
Novic wurde im August 1952 zur Erstehung der 1948 ausgesprochenen Gefängnisstrafe von Frankreich den schweizerischen Behörden ausgeliefert. Am 18. Februar 1953 wurde er bedingt aus dem Gefängnis entlassen und für ein Jahr unter Probe gestellt.
B.-
Am 25. Januar 1955 verurteilte das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt Frei wegen Urkundenfälschung (
Art. 317 StGB
) und Begünstigung (
Art. 305 StGB
), Buser wegen Anstiftung eines Beamten zur Urkundenfälschung und wegen Begünstigung zu je einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 6 Monaten und 2 Wochen und Novic wegen Anstiftung eines Beamten zur Urkundenfälschung zu 6 Monaten Gefängnis.
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte dieses Urteil am 8. Juli 1955.
C.-
Buser und Novic erklärten die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht. Beide beantragen, es sei das Urteil aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung,
BGE 81 IV 285 S. 287
eventuell zur Verurteilung wegen Anstiftung zur Fälschung eines Ausweises nach
Art. 252 StGB
, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt schliesst auf Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerden.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
I.1.
(Ausführungen darüber, dass Frei durch Anbringen der für die Passverlängerung erforderlichen Stempelabdrücke als Mittäter eine Urkundenfälschung begangen hat und Buser wegen Anstiftung dazu strafbar ist).
I.2.
Art. 252 StGB
privilegiert die Fälschung von Ausweisen insoweit, als der Täter lediglich beabsichtigt, sich oder einem andern das Fortkommen zu erleichtern. Handelt er in der Absicht, jemanden zu schädigen oder einen unrechtmässigen Vorteil zu erlangen, so ist
Art. 251 StGB
auch auf den Tatbestand der Fälschung von Ausweisen anwendbar.
Art. 252 StGB
kann ferner nur zur Anwendung kommen, wenn der Täter überhaupt den allgemeinen Bestimmungen über die Urkundenfälschungen des 11. Titels des StGB unterworfen ist. Diesen geht die Sonderbestimmung des
Art. 317 StGB
vor. Sie bestraft die von einem Beamten begangene Urkundenfälschung ohne Rücksicht auf dessen Absicht; denn diese Handlung ist ein Verbrechen gegen die Amtspflicht, verletzt also ein Rechtsgut, das durch die Art. 251 f. StGB nicht geschützt wird. Die Vorinstanz hat deshalb Frei zu Recht wegen Urkundenfälschung nach
Art. 317 StGB
verurteilt, falls er als Beamter gehandelt hat.
Nach
Art. 317 StGB
sind strafbar "Beamte oder Personen öffentlichen Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen...". Diese Bestimmung trifft nach der Überschrift zum 18. Titel des StGB nur auf Fälschungen zu, die ein Beamter in Verletzung seiner Amtspflicht begeht. Ihre Anwendbarkeit setzt aber nicht
BGE 81 IV 285 S. 288
voraus, dass es sich um eine Urkunde handle, deren Herstellung oder Abänderung normalerweise zum Aufgabenbereich des Täters gehört. Eine derartige Beschränkung kann dem Gesetzestext nicht entnommen werden. Sie hätte zur Folge, dass die vorliegende Verfälschung nur dann unter
Art. 317 StGB
fiele, wenn die beanstandete Eintragung durch einen Beamten gemacht worden wäre, dessen Funktion gerade in der Anbringung des Verlängerungsvermerks bestand. Es wäre jedoch stossend, wenn die von einem andern Beamten des gleichen Dienstzweiges begangene Tat einzig deshalb milder bestraft würde, weil er mit einer andern Aufgabe betraut ist. Entscheidend für die Anwendung des
Art. 317 StGB
kann nur sein, dass der Beamte zur Begehung einer Urkundenfälschung seine Amtspflicht missbraucht, zwischen der von ihm begangenen Fälschung und seinem Amt ein enger Zusammenhang besteht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Frei waren die Stempel des Kontrollbureaus kraft seiner Stellung als Aktuar dieses Amtes zugänglich, und er hat sie in dieser Eigenschaft missbraucht. Nicht stichhaltig ist deshalb der Einwand des Beschwerdeführers, die Stellung des Frei sei mit derjenigen einer Putzfrau vergleichbar, die in einem ihr zugänglichen Amtsraum amtliche Stempel missbräuchlich verwendet. Unerheblich ist auch, dass Frei sich nicht am eigenen Arbeitsplatz der Stempel bedienen konnte, sondern sich an eine andere Stelle des Schalterraumes, in dem er arbeitete, begeben musste.
I.3.
Streitig ist, ob
Art. 317 StGB
auch auf den nicht qualifizierten Anstifter anwendbar ist oder ob es sich bei der Beamteneigenschaft um einen besondern persönlichen Umstand im Sinne des
Art. 26 StGB
handelt, der nur die Strafbarkeit der Tat desjenigen erhöht, bei dem er vorliegt. Nach herrschender Auffassung findet
Art. 26 StGB
keine Anwendung auf reine Sonderdelikte (z.B. Art. 313), weil die für die Erfüllung dieser Tatbestände geforderten Eigenschaften oder Umstände die Strafbarkeit überhaupt erst begründen; dagegen wird die Anwendbarkeit des
BGE 81 IV 285 S. 289
Art. 26 StGB
auf unechte Sonderdelikte (z.B. Art. 317), also Handlungen, die allgemein unter Strafe gestellt und nur unter bestimmten Umständen einer besondern Strafdrohung unterworfen sind, bejaht. Daraus wird gefolgert, der nicht qualifizierte Anstifter (und Gehilfe) unterstehe im ersten Fall der auf den Täter anwendbaren Sondernorm, im zweiten aber der der Sondernorm entsprechenden allgemeinen Strafbestimmung. Allein diesen Schluss rechtfertigt nicht die Tatsache, dass die Beamteneigenschaft des Täters beim reinen Sonderdelikt ein die Strafbarkeit begründendes und beim unechten Sonderdelikt nur ein strafschärfendes Element ist. Sie erklärt nicht, weshalb derselbe besondere Umstand z.B. dem Anstifter zur Gebührenüberforderung (Art. 313) schaden, das Verschulden und die Strafe des Anstifters zur Beamtenurkundenfälschung dagegen nicht beeinflussen soll. Wenn ein Nichtbeamter einen Beamten zu einem Sonderdelikt anstiftet, so ist das Verschulden des Anstifters dasselbe, ob der Umstand der Beamteneigenschaft konstitutive oder nur strafschärfende Wirkung besitzt; ihn in den beiden Fällen ungleich zu behandeln, ist nicht begründet. Geht man mit der Lehre, dem Grundsatz der Akzessorietät folgend, davon aus, dass der Anstifter zu einem echten Sonderdelikt wie der Täter bestraft wird, so drängt sich logischerweise die gleiche Lösung auch im Falle der Anstiftung zu einem unechten Sonderdelikt auf.
Dieser Grundsatz widerspricht der geltenden Ordnung nicht, wenn die Beamteneigenschaft ein Umstand sachlicher und nicht persönlicher Natur ist;
Art. 26 StGB
bildet dann keinen Hinderungsgrund, den nicht ausgezeichneten Teilnehmer auch in den Fällen unechter Sonderdelikte der gleichen Strafe zu unterziehen, die den Täter trifft. Sachliche Umstände unterscheiden sich von den persönlichen dadurch, dass sie nicht die Besonderheit des Täters kennzeichnen, sondern die objektive Schwere der Tat verändern. Bei den Amtsdelikten erhöht nicht die Beamteneigenschaft als solche die Strafbarkeit; es ist vielmehr der
BGE 81 IV 285 S. 290
Umstand, dass sie unter missbräuchlicher Verwendung der den Beamten vom Staat verliehenen Amtsgewalt begangen werden. Die mittels solcher Befugnisse verübte Urkundenfälschung verletzt nicht nur das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Echtheit der Urkunden, sondern auch das besondere Vertrauen, das sie den Amtshandlungen des Staates entgegenbringt, und ebenso das Interesse des Staates an einer zuverlässigen Amtsführung seiner Beamten. Die Urkundenfälschung des Beamten ist objektiv schwerer und wirksamer als diejenige eines Nichtbeamten; es ist deshalb der in Art. 317 geforderte besondere Umstand ein sachlicher und folglich billig, dass auch der Anstifter schwerer bestraft wird.
Buser ist demnach zu Recht auf Grund von
Art. 317 StGB
verurteilt worden.
II.1.
Novic bestreitet, dass die Voraussetzungen zur Verfolgung und Beurteilung seiner Tat durch die schweizerischen Behörden erfüllt seien. In erster Linie macht er geltend, die Tat sei in Frankreich begangen worden und unter den Auslieferungsdelikten des französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrages nicht aufgeführt, so dass das schweizerische Strafrecht auf ihn nicht anwendbar sei (
Art. 6 StGB
). Im weitern bringt er vor, eine Verurteilung hätte auch nicht ausgesprochen werden dürfen, weil er einzig zur Verbüssung der 1948 über ihn verhängten Strafe ausgeliefert worden und die Wirkung der Spezialität nicht dahingefallen sei.
a) Der Grundsatz der Spezialität, wonach die Auslieferung an die Bedingung geknüpft ist, dass der Ausgelieferte für kein anderes (vor der Auslieferung begangenes) Delikt verfolgt oder bestraft werden dürfe als für dasjenige, wegen welchem die Auslieferung bewilligt wurde, wird sowohl im schweizerischen Auslieferungsgesetz von 1892 (Art. 7) als auch im französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrag von 1869 (Art. 8) ausdrücklich anerkannt.
BGE 81 IV 285 S. 291
Der Vertrag, der für die Auslieferung eines Verbrechers von Frankreich in die Schweiz massgebend ist, lässt eine Ausnahme vom Grundsatz der Spezialität nur in zwei Fällen zu, nämlich, wenn der Angeklagte ausdrücklich und freiwillig seine Zustimmung dazu gegeben und der ausliefernde Staat davon Kenntnis erhalten hat, und ferner, wenn vorher die Einwilligung der ausliefernden Regierung eingeholt worden ist und ein Auslieferungsdelikt im Sinne des Vertrages vorliegt. Nach dem Wortlaut dieses Vertrages hätte die Nichtzustimmung des Angeklagten oder die Unmöglichkeit, mangels Vorliegens eines Auslieferungsdelikts die Einwilligung des ausliefernden Staates einzuholen, zur Folge, dass sich der Ausgelieferte ohne zeitliche Beschränkung auf den Grundsatz der Spezialität berufen könnte. Sinn und Zweck dieser Vertragsbestimmung kann aber nicht sein, dem Ausgelieferten auf unbestimmte Zeit Straffreiheit für alle von ihm vor der Auslieferung begangenen, nicht zu den Auslieferungsdelikten gehörenden Straftaten zu garantieren. Der Schutz vor der Bestrafung für früher begangene Straftaten, den die Spezialität gewährt, kann nicht unbefristet andauern. Schweigt der Auslieferungsvertrag zur Frage der Dauer der Spezialität, wie im vorliegenden Fall, so ist sie auf Grund der staatlichen Gesetze zu lösen. Da das schweizerische und französische Auslieferungsgesetz übereinstimmend eine Schonfrist von einem Monat vorsehen, ist die analoge Anwendung dieser Fristbestimmung auf französisch-schweizerische Auslieferungsfälle gerechtfertigt.
Ist davon auszugehen, dass Novic am 18. Februar 1954 endgültig aus der Strafverbüssung entlassen worden ist und innert Monatsfrist die Schweiz nicht verlassen hat, so stand der Grundsatz der Spezialität seiner Verfolgung nicht im Wege.
b) Nach
Art. 7 StGB
gilt ein Verbrechen oder Vergehen als da verübt, wo der Täter es ausführt, als auch dort, wo der Erfolg eingetreten ist. Diese Bestimmung gilt auch für die Anstiftung. Sie setzt nach
Art. 24 Abs. 1 StGB
voraus,
BGE 81 IV 285 S. 292
dass der Anstifter einen andern zu dem von ihm "verübten" Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich bestimmt hat. Vollendete Anstiftung liegt demnach nur vor, wenn der Angestiftete die Tat, zu der er bestimmt wurde, ausgeführt oder zum mindesten zu verwirklichen versucht hat. Zum Erfolg der Anstiftung gehört also nicht nur, dass es dem Anstifter gelungen ist, im andern den Willen zur Tatbegehung hervorzurufen, sondern auch, dass der Angestiftete mit der Ausführung der Tat begonnen hat. Ohne das letztere wäre der zur Vollendung der Anstiftung erforderliche Erfolg nicht abgeschlossen (
Art. 22 Abs. 1 StGB
).
Buser hat zwar den Entschluss, Frei zur Verfälschung des Passes zu veranlassen, in Frankreich gefasst, ihn aber erst in der Schweiz ausgeführt. Ist somit der Erfolg der von Novic begangenen Anstiftung auch in der Schweiz eingetreten, so gilt nach
Art. 7 StGB
seine Tat auch als dort verübt. Sie ist daher nach schweizerischem Recht zu beurteilen und unterliegt gemäss
Art. 24 Abs. 1 StGB
der Strafandrohung, die auf den angestifteten Buser Anwendung findet. Ob sie als Anstiftung zu der von Buser begangenen Anstiftung oder als indirekte Anstiftung zu der von Frei verübten Urkundenfälschung bezeichnet wird, ändert am Ergebnis nichts.
...
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen. | null | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c85eab92-5bdc-4c8a-bcb7-4993042734d8 | Urteilskopf
116 Ib 96
12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. März 1990 i.S. A. und Mitbeteiligte gegen Bundesamt für Polizeiwesen und Eidgenössische Zollverwaltung (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; vorläufige Massnahmen im Sinne von
Art. 18 IRSG
; Abgabebetrug; Übermassverbot.
1. Geht es erst um vorläufige Massnahmen im Sinne von
Art. 18 IRSG
, so ist die Prüfung des Bundesgerichts auf die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Rechtshilfe und dieser Massnahmen beschränkt (E. 3a). Ausdehnung der Untersuchung bzw. vorläufigen Massnahmen gestützt auf
Art. 48 Abs. 4 VStrR
(wegen Kollusionsgefahr), indem solche auch mit Bezug auf Firmen angeordnet wurden, die im Ersuchen und den zugehörigen Unterlagen nicht ausdrücklich genannt, aber in den Gegenstand der Untersuchung bildenden Sachverhalt verwickelt sind. Auf diese Firmen bezogen muss das Ersuchen innert kurzer Frist hinreichend ergänzt werden; andernfalls würden die sie betreffenden vorläufigen Massnahmen ohne weiteres dahinfallen (E. 3b). Würden diese Massnahmen aufrechterhalten und die gestützt auf
Art. 18 IRSG
vorläufig beschlagnahmten Unterlagen ohne solche Ergänzung des Ersuchens rechtshilfeweise herausgegeben, so würde dadurch das Übermassverbot verletzt (E. 5b).
2. Im Falle von Abgabebetrug muss die ersuchende Behörde hinreichende Verdachtsmomente darlegen, damit ihrem Gesuch entsprochen werden kann. Es ist dabei an Indizien - z.B. Zeugenaussagen, Urkunden - zu denken, welche geeignet sind, die Angaben der ersuchenden Behörde wenigstens in dem Sinne objektiv zu erhärten, dass diese nicht völlig haltlos erscheinen. Diesen Anforderungen genügt das Ersuchen in casu jedenfalls zur Zeit nicht. Sollte es nicht hinreichend ergänzt werden, so würden sich die bereits erfolgten Zwangsmassnahmen als ungerechtfertigt erweisen. Diesfalls müssten die beschlagnahmten Akten den Berechtigten unbeschwert zurückerstattet werden (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 116 Ib 96 S. 97
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Würzburg (BRD) führt ein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche verschiedener Firmen des Konzerns Z. wegen des Verdachts der fortgesetzten gewerbsmässigen Steuerhinterziehung und der fortgesetzten mittelbaren Steuerhinterziehung. Am 1. Juni 1989 überbrachte ein Beamter des Zollfahndungsdienstes Karlsruhe dem Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) ein Rechtshilfeersuchen des Leitenden Oberstaatsanwaltes bei dem Landgericht Würzburg. Mit dem Ersuchen wird die Durchsuchung, Beschlagnahme
BGE 116 Ib 96 S. 98
und Herausgabe von Unterlagen bei den von den deutschen Behörden beschuldigten schweizerischen Staatsbürgern A. und B., verantwortliche Organe im Rahmen des Konzerns, sowie bei den zu diesem gehörenden Firmen C., D., E. und H. beantragt. Dem Ersuchen sind vom 1. Juni 1989 datierte, die genannten natürlichen und juristischen Personen betreffende Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des Amtsgerichts Würzburg beigelegt.
Die deutschen Behörden halten dafür, dass der untersuchte Sachverhalt den Tatbestand eines besonders schweren Falles der fortgesetzten gewerbsmässigen Steuerhinterziehung gemäss § 369 Abs. 1 Ziff. 1, § 370 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, Abs. 3 Ziff. 1 und 4, Abs. 4 und 6 sowie § 373 Abs. 1 der deutschen Abgabenordnung (AO) und zudem den Tatbestand der fortgesetzten mittelbaren Falschbeurkundung gemäss § 271 des deutschen Strafgesetzbuches (dStGB) erfüllten; es bestehe der dringende Verdacht, dass die genannten natürlichen und juristischen Personen die dargelegten Straftaten begangen hätten. Zur Aufklärung der Straftaten wird um Vornahme verschiedener Zwangsmassnahmen - namentlich Durchsuchungen sowie Beschlagnahme und Herausgabe von Geschäftsunterlagen - ersucht.
Als Vororientierung sandte das BAP das Ersuchen am 2. Juni 1989 an die Oberzolldirektion (OZD) der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV). Am selben Tag teilte die OZD dem BAP mit, dass die Beschuldigten sich - soweit gemäss der Darstellung im Ersuchen ersichtlich - des Abgabebetruges im Sinne von Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR, SR 313.0) strafbar gemacht haben dürften. Dabei stünden Zolldelikte in Frage, welche, falls sie in der Schweiz begangen worden wären, durch die Zollverwaltung zu verfolgen und zu beurteilen wären (Art. 87 Abs. 1 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925, ZG, SR 631.0).
Nachdem das BAP das Ersuchen gemäss Art. 78 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG, SR 351.1) geprüft, es als den massgebenden staatsvertraglichen Formerfordernissen genügend und als materiell vollständig erachtet und keinen Grund festgestellt hatte, der die Rechtshilfeleistung als offensichtlich unzulässig erscheinen liesse, übertrug es die Durchführung des Verfahrens mit Verfügung vom 7. Juni 1989 der OZD (
Art. 17 Abs. 4 IRSG
i.V.m.
Art. 87 Abs. 1 ZG
). Diese Verfügung blieb unangefochten.
BGE 116 Ib 96 S. 99
Parallel zu den im Ersuchen angekündigten Ermittlungshandlungen (Durchsuchungen) in der BRD verfügte die OZD am 9. Juni 1989 folgendes:
"1. Die nachgesuchte Rechtshilfe wird zum Vollzug vorsorglicher
Massnahmen bewilligt.
2. Mit dem Vollzug wird die Direktion des I. Zollkreises (unter
Mitwirkung des Zolluntersuchungsdienstes Zürich) beauftragt.
3. Einer allfälligen Beschwerde wird die aufschiebende Wirkung entzogen.
4. Gegen diese Zwischenverfügung kann binnen 10 Tagen nach Eröffnung beim
Schweizerischen Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde geführt
werden.
5. Mitteilung an die Direktion des I. und II. Zollkreises
a)zur Eröffnung der Verfügung an den Betroffenen
b) zum Vollzug der Rechtshilfemassnahme
c) zur Rückleitung der Akten."
Wegen angenommener Kollusionsgefahr wurde diese Zwischenverfügung den beschuldigten natürlichen und juristischen Personen erst unmittelbar vor den bei ihnen am 12. Juni 1989 vorgenommenen Hausdurchsuchungen eröffnet, wobei verschiedene Personen einvernommen und Unterlagen beschlagnahmt wurden. Zusätzlich wurden derartige vorsorgliche Massnahmen auch bei im Ersuchen nicht genannten Firmen getroffen, so bei den ebenfalls zum Konzern Z. gehörenden Firmen F. und G., obwohl die Zwischenverfügung der OZD nicht auch mit Bezug auf diese Firmen getroffen worden war.
Mit gemeinsamer Eingabe erhoben die erwähnten beschuldigten natürlichen und juristischen Personen sowie die Firmen F. und G. am 21. Juni 1989 Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragen (soweit hier wesentlich), die von der OZD bewilligte Rechtshilfe zum Vollzug vorsorglicher Massnahmen sei, soweit überhaupt noch möglich, rückgängig zu machen; sämtliche beschlagnahmten Akten und andern Unterlagen seien den Beschwerdeführern zurückzuerstatten.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
a) Die Beschwerdeführer übersehen, dass es sich bei den von der OZD auf Ersuchen der deutschen Behörden am 9. Juni 1989 verfügten und am 12. Juni 1989 getroffenen Massnahmen
BGE 116 Ib 96 S. 100
- Einvernahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen - erst um vorläufige Massnahmen im Sinne von
Art. 18 IRSG
handelt, die ausdrücklich als solche bezeichnet worden sind.
Vorläufige Massnahmen zur Erhaltung des bestehenden Zustandes, zur Wahrung bedrohter rechtlicher Interessen oder zur Sicherung gefährdeter Beweise können auf ausdrückliches Ersuchen eines anderen Staates getroffen werden, wenn das Verfahren nach den massgebenden Bestimmungen des IRSG nicht offensichtlich als unzulässig oder unzweckmässig erscheint; bei Gefahr im Verzuge können sie, sobald ein Ersuchen angekündigt ist, auf Antrag des BAP angeordnet werden, wenn ausreichende Angaben zur Beurteilung der Voraussetzungen vorliegen (
Art. 18 IRSG
).
Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich zweifelsfrei, dass die formellen Bestimmungen über das Rechtshilfeersuchen (s. namentlich Art. 28 i.V.m.
Art. 78 IRSG
bzw.
Art. 14 EÜR
i.V.m.
Art. 10 Abs. 2 IRSV
) bei einem Gesuch um Anordnung vorläufiger Massnahmen noch nicht in jeder Hinsicht erfüllt sein müssen (s. etwa
BGE 113 Ib 264
f. E. 2, zudem nicht publ. Urteile des Bundesgerichts vom 29. Mai 1989 i.S. K. S.A. und Mitb., vom 7. März 1989 i.S. B.M., vom 21. Februar 1989 i.S. D.B. und vom 18. April 1986 i.S. T.F. und Mitb., E. 3a). Die ausdrücklich oder sinngemäss gegen diese Bestimmungen gerichteten Einwendungen der Beschwerdeführer gehen daher fehl.
Einzig ist erforderlich, dass die in
Art. 18 IRSG
selber genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Im übrigen hat sich das Bundesgericht, wenn erst vorsorgliche Massnahmen im Sinne dieser Bestimmung zur Diskussion stehen, auf eine vorläufige Prüfung der Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Rechtshilfe und dieser Massnahmen zu beschränken (
BGE 113 Ib 264
f. E. 2 und das bereits erwähnte Urteil vom 29. Mai 1989). Im vorliegenden Fall betrifft diese Frage namentlich den Aspekt der beidseitigen Strafbarkeit bzw. der Darlegung hinreichender Verdachtsmomente bei einem wegen Abgabebetruges gestellten Rechtshilfeersuchen und den Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Eine derartige vorläufige Prüfung schon im Stadium der vorsorglichen Massnahmen drängt sich aber deshalb auf, weil so unnütze Weiterungen des Verfahrens verhindert werden könnten, falls sich die grundsätzlichen Voraussetzungen der verlangten Rechtshilfe bereits zu diesem Zeitpunkt als nicht gegeben erweisen sollten.
Dass die in
Art. 18 IRSG
selber genannten Voraussetzungen für die von der OZD wegen Kollusionsgefahr als vorläufige Massnahmen
BGE 116 Ib 96 S. 101
getroffenen Vorkehren nicht erfüllt seien, machen die Beschwerdeführer nicht geltend und ist denn auch nicht ersichtlich. Das BAP und die OZD hatten von dieser gemäss den Angaben im Ersuchen bestehenden Kollusionsgefahr auszugehen und durften dieses dem Grundsatze nach - vorbehältlich der mit Bezug auf die Firmen F. und G. nachfolgend zu erörternden Einschränkungen - ohne weiteres als jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig erachten. Als es den schweizerischen Behörden übergeben wurde, genügte es übrigens - wiederum vorbehältlich der noch zu nennenden Einschränkungen - bereits den massgebenden Formerfordernissen des
Art. 14 EÜR
i.V.m.
Art. 10 Abs. 2 IRSV
, auch wenn dies nach dem Gesagten noch nicht einmal erforderlich gewesen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts werden, dem Zweck des EÜR entsprechend, an die Begründung eines Rechtshilfeersuchens keine strengen Anforderungen gestellt; es genügt, wenn die darin gemäss
Art. 14 EÜR
i.V.m.
Art. 10 Abs. 2 IRSV
enthaltenen Angaben es den schweizerischen Behörden ermöglichen, zu prüfen, ob kein Sachverhalt vorliege, für den die Rechtshilfe unzulässig wäre (
BGE 115 Ib 77
f. mit Hinweisen). Jedenfalls diesen Anforderungen genügt das vorliegende Ersuchen grundsätzlich, ermöglicht es doch die genannte Prüfung.
Im übrigen lag auch ein an die OZD gerichteter Antrag des BAP vor, die von den ersuchenden deutschen Behörden verlangten vorläufigen Massnahmen zu treffen.
b) Zutreffend ist an sich die Feststellung der Beschwerdeführer, dass auch mit Bezug auf die beiden Firmen F. und G. vorläufige Massnahmen im Sinne von
Art. 18 IRSG
- Durchsuchungen und Beschlagnahmungen - getroffen worden sind, dies, obwohl die betreffenden beiden Firmen weder im Ersuchen noch in der diesem beigelegten, den Konzern Z. betreffenden Firmenzusammenstellung in Erscheinung treten. Auch die OZD bestätigt dies in ihren im bundesgerichtlichen Verfahren erstatteten Stellungnahmen. Im genannten Umfange gehen somit die erfolgten Zwangsmassnahmen über das vorliegende Ersuchen hinaus.
Allerdings ist mit der OZD festzustellen, dass die beiden Firmen im Verlaufe des Vollzugs der vorsorglich verlangten Rechtshilfemassnahmen bei den andern Personen bzw. Firmen in die Untersuchung einbezogen werden mussten, da den untersuchenden Beamten bekannt wurde, dass die Firma F. mit der Firma H. (BRD) Geschäfte tätige und Kompensationsgeschäfte mit dem Ostblock abwickle, so dass der dringende Verdacht entstand, dass sich dort
BGE 116 Ib 96 S. 102
ein Teil der gesuchten Akten befinde. Dasselbe gilt auch in bezug auf die die Firma G. betreffende Durchsuchung. Bei einer weiteren Firma wurden aus den genannten Gründen lediglich Akten der Firma F. erhoben und gesichtet. Diese Ausdehnung der Untersuchung im genannten Umfange auf die ebenfalls zum Konzern Z. gehörenden Firmen F. und G. war bei den gegebenen Verhältnissen - verflochtene Geschäftsbeziehungen, Kollusionsgefahr - geboten und stützte sich auf
Art. 48 Abs. 4 VStrR
, wonach der untersuchende Beamte dann, wenn Gefahr im Verzuge ist und ein Durchsuchungsbefehl nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, von sich aus eine Durchsuchung anordnen oder vornehmen kann. Da bei den gegebenen Verhältnissen, nach bereits erfolgtem Beginn der Untersuchungshandlungen, ein entsprechender Durchsuchungsbefehl auch in bezug auf die Firmen F. und G. nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden konnte und - wie ausgeführt - Kollusionsgefahr bestand, somit im Sinne von
Art. 48 Abs. 4 VStrR
"Gefahr im Verzuge" war, durften die untersuchenden Beamten die erforderliche Durchsuchung auch bei diesen beiden Firmen vornehmen. Nach den Akten bilden die verschiedenen Firmen ein kaum entwirrbares Firmengeflecht, so dass eine Beschränkung der vorläufigen Massnahmen auf die von den ersuchenden Behörden genannten Firmen den Zweck der Durchsuchung vereitelt hätte. Die durchgeführten Massnahmen haben somit jedenfalls dem Zweck des Ersuchens entsprochen. Dieses wird aber mit Bezug auf die beiden Firmen F. und G. innert kurzer, von der OZD anzuordnender Frist ergänzt werden müssen (in bisherigen, ähnlich gelagerten Fällen hat das Bundesgericht eine Frist von höchstens sechs Monaten, von der Zustellung seines begründeten Urteils an die die Rechtshilfe verfügende Instanz an gerechnet, als angemessen erachtet; s.
BGE 111 Ib 251
f. E. 6 mit Hinweisen, zudem etwa nicht publ. Urteil vom 1. Februar 1989 i.S. G.V. und Mitb., E. 2c mit weiteren Hinweisen). Ohne solche fristgerechte und hinreichende Ergänzung des Ersuchens würden die hinsichtlich der beiden Firmen getroffenen vorsorglichen Massnahmen ohne weiteres dahinfallen, was heisst, dass diesfalls die beschlagnahmten Dokumente den Berechtigten umgehend unbeschwert zurückzuerstatten wären (soweit dies noch nicht erfolgt ist).
Im Sinne dieser Erwägungen erweist sich die Beschwerde somit auch insoweit als unbegründet.
4.
b) Dass der Sachverhalt gemäss dem vorliegenden Ersuchen, falls er sich tatsächlich bewahrheiten sollte, u.a. den Tatbestand
BGE 116 Ib 96 S. 103
der qualifizierten, mittels Urkundenfälschung begangenen Steuerhinterziehung gemäss
§ 370 Ziff. 4 AO
und dementsprechend nach schweizerischem Recht den Tatbestand des Abgabebetruges - verbunden mit Urkundenfälschung - erfüllt (
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG
i.V.m.
Art. 24 Abs. 1 IRSV
,
Art. 14 Abs. 2 VStrR
; s.
BGE 115 Ib 71
ff., insb. 74 ff., mit Hinweisen), ist unbestritten und bedarf keiner weiteren Erörterungen. Entsprechend handelt es sich um rechtshilfefähige Delikte und ist das Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt (
Art. 5 Abs. 1 lit. a EÜR
i.V.m. der von der Schweiz dazu abgegebenen auslegenden Erklärung, s. SR 0.351.1 S. 2 und 25).
c) Steht somit ein Fall von Abgabebetrug zur Diskussion, so sind die genannten, von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verlangten erhöhten Anforderungen an ein Ersuchen massgebend (
BGE 115 Ib 78
mit Hinweisen). Dabei verlangt das Bundesgericht von der ersuchenden Behörde nicht einen strikten Beweis des Tatbestandes, wäre diese doch hiezu oftmals gar nicht in der Lage, da sie wichtiges - die Beschuldigten belastendes oder auch entlastendes - Beweismaterial erst auf dem Rechtshilfeweg erlangen kann; die Anforderungen an den Nachweis eines Abgabebetruges sollen nicht allzu hoch gesetzt werden, damit
Art. 3 Abs. 3 Satz 2 IRSG
nicht toter Buchstabe wird (vgl. HANS SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1988, ZbJV 1990 S. 46 zu
BGE 114 Ib 56
ff.). Die ersuchende Behörde hat aber hinreichende Verdachtsmomente darzulegen, damit ihrem Gesuch entsprochen werden kann. Es ist dabei an Indizien - z. B. Zeugenaussagen, Urkunden - zu denken, welche geeignet sind, die Angaben im Ersuchen wenigstens in dem Sinne objektiv zu erhärten, dass diese nicht völlig haltlos erscheinen, sondern eben einen hinreichenden Verdacht der den Beschuldigten angelasteten Straftaten zu begründen vermögen (vgl.
BGE 115 Ib 68
ff.,
BGE 114 Ib 56
ff.,
BGE 111 Ib 242
ff.).
Diesen Anforderungen, die zwar - wie ausgeführt - nicht bereits zur Anordnung vorläufiger Massnahmen, aber als Voraussetzung der eigentlichen Rechtshilfeleistung im Falle von Abgabebetrug erfüllt sein müssen, vermag das vorliegende Ersuchen jedenfalls zur Zeit noch nicht zu genügen. Wodurch die darin aufgestellten Behauptungen erhärtet werden sollen, wird darin in keiner Weise dargelegt. Einzig liegt ihm eine Firmenaufstellung betreffend den Konzern Z. bei, während allfällige Zeugenaussagen oder irgendwelche der angeblich gefälschten Dokumente oder
BGE 116 Ib 96 S. 104
andere Beweisstücke, wie sie offenbar - allerdings ohne nähere Angaben - erst in der der Duplik der OZD beiliegenden Aktennotiz vom 1. Dezember 1989 angerufen werden, völlig fehlen. Offenbar stützen sich die im Ersuchen erhobenen Vorwürfe des Abgabebetruges einzig auf den von den Beschwerdeführern genannten Denunzianten X. Auch wenn mit dem BAP und der OZD festzustellen ist, dass der Stellenwert der Angaben dieses Denunzianten im deutschen Verfahren der Sache nach letztlich die dortige Beweiswürdigung betrifft und demgemäss nicht hier im Rechtshilfeverfahren zu prüfen ist, ob sich die betreffenden Vorwürfe tatsächlich bewahrheiten (s.
BGE 109 Ib 67
), ist nicht zu übersehen, dass die Angaben des Denunzianten nicht als Zeugenaussagen vorliegen, sondern dass dieser seinerseits in verschiedene Strafverfahren verwickelt ist und dass es sich bei seinen Angaben möglicherweise - jedenfalls gemäss der Darstellung der Beschwerdeführer - um einen blossen Racheakt gegenüber dem Konzern Z. handelt, nachdem er von einer hiezu gehörenden Firma wegen strafbarer Handlungen entlassen werden musste. Dies führt zur Feststellung, dass seine durch nichts erhärteten Angaben im Rahmen der Prüfung der Frage, ob von der ersuchenden Behörde hinreichende Verdachtsgründe dargelegt werden, nicht zum vornherein glaubwürdig erachtet bzw. nicht als den Sachverhalt gemäss Ersuchen objektiv erhärtende Indizien berücksichtigt werden können. Anderseits kann auch nicht übersehen werden, dass gemäss dem von den Beschwerdeführern zu den Akten gegebenen Bericht der Betriebsprüfungsstelle Zoll für den Oberfinanzbezirk Nürnberg vom 8. Mai 1989 der gesamte Aussenwirtschaftsverkehr der Firma H. (BRD) (Zentralsitz der Firma H.) für den Zeitraum von wenigstens 1. Januar 1987 bis 10. Oktober 1988 im wesentlichen - abgesehen von einzelnen Ordnungswidrigkeiten - nicht zu beanstanden ist (dies bei einem geprüften Volumen von DM 700 Mio.), was ebenfalls mit Bezug auf die vom Amtsgericht Würzburg genannten Länder gilt.
Zusammenfassend ist demnach festzustellen, dass das Rechtshilfebegehren im Hinblick auf die Rechtshilfeleistung an sich - Herausgabe der verlangten Geschäftsunterlagen - jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt den genannten, von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung für den Fall von Abgabebetrug vorausgesetzten Anforderungen nicht genügt, da es keine objektiv erhärteten Verdachtsmomente darlegt.
BGE 116 Ib 96 S. 105
d) Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer kann indes davon, die deutschen Behörden hätten die Strafverfahren gegen die fraglichen Beschuldigten eingestellt, so dass die verlangte Rechtshilfe auch aus diesem Grunde nicht zu leisten sei, nicht die Rede sein. Somit müsste dem Begehren entsprochen werden, falls die aufgezeigten Erfordernisse zur Rechtshilfeleistung erfüllt wären (s.
Art. 1 Ziff. 1 EÜR
). Dass diese Erfordernisse mit einer das Ersuchen ergänzenden Tatbestandsdarstellung noch erfüllt werden können, ist keineswegs ausgeschlossen, nachdem das Zollfahndungsamt Karlsruhe am 1. Dezember 1989 mitgeteilt hat, es gebe Beweise, die belegen könnten, dass die Firma Z. Ursprungsnachweise (Form. A) zu Unrecht erwirkt habe und dass Falschdeklarationen erfolgt seien. Bei dieser Sachlage sind die angeordneten vorläufigen Massnahmen aufrechtzuerhalten und die beschlagnahmten Unterlagen, soweit diese als für das Rechtshilfeverfahren nötig erscheinen und den Berechtigten nicht bereits zurückerstattet worden sind, durch die OZD zurückzubehalten. Sollte das Ersuchen nicht hinreichend im Sinne der vorstehenden Ausführungen ergänzt werden (können), so würde sich eine weitere Beschlagnahmung als ungerechtfertigt erweisen. Diesfalls müssten die noch beschlagnahmten Akten den Berechtigten unbeschwert zurückerstattet werden.
5.
b) Die schweizerischen Behörden dürfen nicht über die im Rechtshilfegesuch ausdrücklich gestellten Begehren hinausgehen (Übermassverbot,
BGE 111 Ib 131
E. 4). Dies geht daraus hervor, dass einerseits das EÜR den ersuchten Staat nicht verpflichtet, vom ersuchenden Staat nicht verlangte Massnahmen zu treffen, und dass anderseits das IRSG bei verfassungskonformer Auslegung - in Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes - es der ersuchten Behörde verbietet, vom ersuchenden Staat nicht verlangte Massnahmen zu treffen (
BGE 115 Ib 375
E. 7). Die Überprüfung des vorliegenden Ersuchens ergibt in dieser Hinsicht, dass - soweit hier wesentlich - nur die Beschlagnahmung von Unterlagen verlangt wird, welche die Beschwerdeführer A.-E. und H. betreffen. Wie bereits dargelegt worden ist, ergibt sich aber aus den Akten, dass auch mit Bezug auf die beiden Firmen F. und G. Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchgeführt worden sind, obwohl diese beiden Firmen weder im Ersuchen noch in der diesem beigegebenen Firmenzusammenstellung in Erscheinung treten. Nach dem Ausgeführten sind zwar auch diese Massnahmen - vorbehältlich der erörterten Einschränkungen (oben E. 3b)
BGE 116 Ib 96 S. 106
- als vorläufige Massnahmen als zulässig zu erachten. Ohne fristgerechten Eingang der genannten, mit Bezug auf die beiden Firmen zu verlangenden Ergänzung des Ersuchens würden die diese Firmen betreffenden vorläufigen Massnahmen indes ohne weiteres hinfällig werden. Würden die die Firmen F. und G. betreffenden Beschlagnahmungen ohne diese Ergänzung des Ersuchens aufrechterhalten und die noch beschlagnahmten Unterlagen den ersuchenden Behörden ebenfalls ohne diese Ergänzung rechtshilfeweise herausgegeben, so würde dadurch das Übermassverbot verletzt. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c85efdff-6ef5-4ce8-a432-68ff8db9e782 | Urteilskopf
86 I 272
38. Auszug aus dem Urteil vom 23. November 1960 i.S. Rauber gegen Gemeinderat von Pratteln und Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. | Regeste
Art. 4 und 31 BV
. Handels- und Gewerbefreiheit; Grundsatz der Verhältnismässigkeit polizeilicher Eingriffe und der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen.
1. Vorschriften. welche die Schliessung der Ladengeschäfte an einem Werktag anordnen, um dem Personal die nötige Freizeit zu sichern, halten vor
Art. 31 BV
stand (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1).
2. In entsprechender Weise können die Gastwirtschaften zur Schliessung an einem Tag der Woche verpflichtet werden (Erw. 2). Wie weit kann dieses Gebot auf Hotelbetriebe Anwendung finden? (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 273
BGE 86 I 272 S. 273
Aus dem Tatbestand:
Das basellandschaftliche Gesetz über das Gastgewerbe und den Klein- und Mittelhandel mit alkoholhaltigen Getränken (WG) vom 26. Februar 1959 bestimmt in § 27:
Sofern in einer Gemeinde zwei Drittel der Gastwirte die Schliessung des Betriebes an einem ganzen oder halben Tag pro Woche wünschen, kann der Gemeinderat diesen "Wirtesonntag" als obligatorisch erklären. Dabei soll auch auf die Bedürfnisse der Kundschaft Rücksicht genommen werden. Der Gemeinderat bestimmt ferner, wie weit Hotelbetriebe den "Wirtesonntag" einzuhalten haben...
Der Gemeinderat von Pratteln hat auf Antrag des örtlichen Wirtevereins den "Wirtesonntag" verbindlich erklärt. Marie Rauber zog als Inhaberin einer Gastwirtschaft in Pratteln den Beschluss des Gemeinderats an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft weiter. Dieser hat den Rekurs abgewiesen. Er hat dazu ausgeführt, die Schliessung der Gaststätten während eines ganzen oder halben Tages je Woche liege im Interesse der Betriebsinhaber wie der Angestellten. Der Wirt habe stets mit Dritten zu tun, er kenne kaum einen Feierabend und selbst sein Familienleben spiele sich zu einem grossen Teil in öffentlichen Räumen ab; für ihn wie für seine Angestellten seien zudem die Sonn- und Feiertage gewöhnlich besonders streng. Das Bedürfnis nach einem wahren Ruhetag sei deshalb gerade in diesem Gewerbezweig gross und wohl begründet. Die Einführung des "Wirtesonntags" fördere das Wohlbefinden aller im Gastgewerbe Tätigen; sie wirke sich erfahrungsgemäss auf die Betriebseinnahmen nicht nachteilig aus, wenn alle Wirte sich daran hielten.
Marie Rauber führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der
Art. 4 und 31 BV
.
BGE 86 I 272 S. 274
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beschwerde macht sinngemäss geltend, die in
§ 27 WG
vorgesehene Verbindlicherklärung des "Wirtesonntags" verstosse schon an sich gegen die Handels- und Gewerbefreiheit. Diese Rüge ist zulässig. Die beanstandete Bestimmung kann zwar nicht mehr aufgehoben werden, weil die Frist zu ihrer Anfechtung abgelaufen ist. Das hindert das Bundesgericht indes nicht, in jedem einzelnen Anwendungsfall vorfrageweise zu prüfen, ob die Vorschrift verfassungswidrig sei; trifft das zu, so kann es den sie anwendenden Entscheid deswegen aufheben (BGE 84 1 21 Erw. 2 mit Verweisungen, 104 Erw. 2, 110 Erw. 1, 164 Erw. 2).
Art. 31 BV
, der die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet, behält in Abs. 2 kantonale Bestimmungen über die Ausübung von Handel und Gewerben sowie über deren Besteuerung vor; diese dürfen aber ihrerseits den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit nicht beeinträchtigen. Mit dieser Umschreibung zieht die Verfassung die Grenze gegen die gewerbepolitischen Massnahmen, die in die freie Konkurrenz zur Sicherung oder Förderung gewisser Erwerbszweige oder Betriebsarten eingreifen und das wirtschaftliche Geschehen planmässig lenken.
Art. 31 Abs. 2 BV
gestattet den Kantonen damit nur, gewerbepolizeiliche Vorschriften zu erlassen, das heisst die Ausübung von Handel und Gewerbe aus polizeilichen Gründen, zum Schutze der öffentlichen Ordnung, Ruhe, Sicherheit, Gesundheit und Sittlichkeit sowie von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr einzuschränken. Diese Einschränkungen dürfen nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um den Zweck zu erreichen, durch den sie gedeckt werden; sie müssen überdies alle Gewerbegenossen gleich behandeln. Wahren sie diese Grundsätze nicht, so verstossen sie gegen
Art. 31 BV
(
BGE 84 I 110
Erw. 2 mit Verweisungen, 113).
Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung
BGE 86 I 272 S. 275
erkannt, dass Vorschriften, welche die Schliessung der Ladengeschäfte an einem Werktag anordnen, um dem Personal die nötige Freiheit zu verschaffen, der öffentlichen Gesundheit dienen, dass es sich dabei somit um gewerbepolizeiliche Massnahmen handelt, die grundsätzlich mit
Art. 31 BV
vereinbar sind. Das Bundesgericht hat weiter entschieden, dass die Schliessung allen Geschäften eines Gewerbezweigs und damit auch Betrieben vorgeschrieben werden darf, die keine Angestellten oder aber so viele beschäftigen, dass diesen ohne Schliessung des Geschäfts abwechslungsweise frei gegeben werden könnte, da sonst ungleiche Bedingungen unter den konkurrierenden Gewerbegenossen geschaffen würden, was gegen die Rechtsgleichheit verstiesse (
BGE 73 I 99
ff.). Dem ist entgegengehalten worden, die ungleichen Bedingungen würden nicht erst durch die behördlichen Vorschriften geschaffen, sie gründeten vielmehr in den bestehenden tatsächlichen Verhältnissen; das Gebot der Schliessung an einem Wochentag laufe demgemäss auf den Schutz der kleinen Geschäfte vor den grossen hinaus; es stelle eine unzulässige gewerbepolitische Massnahme dar (HUBER, ZbJV 85 S. 54; MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit, S. 134/5).
Diese Kritik ist, wie das Bundesgericht wiederholt ausgeführt hat, unbegründet (nicht veröffentlichte Urteile vom 12. Oktober 1949 i.S. Binggeli, vom 9. Mai 1951 i.S. Keller, vom 24. Oktober 1951 i.S. Bachmann und vom 6. April 1960 i.S. Morgenthaler). Gewiss bestehen im Handel und im Gewerbe schon rein tatsächlich verschiedene Bedingungen, die ihren Ursprung in tatsächlich ungleichen Verhältnissen (so hinsichtlich der finanziellen Mittel, der beruflichen Fähigkeiten, der Betriebsform, der geschäftlichen Beziehungen usw.) haben. Wenn indes eine gewerbepolizeiliche Massnahme wie die Verpflichtung zur Gewährung eines freien Wochentags oder -halbtags an das Personal einen Teil der Geschäfte mittelbar zur Schliessung zwingt und so denjenigen, die nicht zu schliessen brauchen, den Vorteil verschafft, länger verkaufen zu können als die andern und
BGE 86 I 272 S. 276
deren Kunden an sich zu ziehen (vgl.
BGE 73 I 100
unten), so werden damit zusätzliche Ungleichheiten geschaffen oder doch die bestehenden Ungleichheiten verschärft. Diese Störung der Wettbewerbslage lässt sich nur dadurch vermeiden, dass die Schliessung aller Geschäfte vorgeschrieben wird. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, dem es aufs erste entsprechen würde, wenn der Staat sich mit der Anordnung des freien Wochentags oder -halbtags für das Personal begnügen würde und er es den Betriebsinhabern überliesse, wie und wann dieser Verpflichtung nachzukommen sei, wird insofern durch das Gebot der Rechtsgleichheit und den Grundgehalt der Gewährleistung der Handels- und Gewerbefreiheit modifiziert, die verlangen, dass eine polizeiliche Verfügung nicht ohne Not den einen Gewerbegenossen grössere Opfer auferlege als den andern und damit das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte verfälsche. An der gewerbepolizeilichen Zielsetzung und Natur der Beschränkung wird dadurch nichts geändert.
Art. 31 BV
schliesst es nicht aus, dass die durch eine polizeiliche Verfügung gestörte Ausgangslage im wirtschaftlichen Wettbewerb wiederhergestellt werde (
BGE 44 I 10
,
BGE 49 I 231
; nicht veröffentlichte Urteile vom 23. Dezember 1938 i.S. Gonset, vom 18. März 1941 i.S. Kioskinhaberverband des Kantons Luzern, vom 22. Dezember 1941 i.S. Péclat, vom 15. Mai 1944 i.S. Markeloff und vom 6. April 1960 i.S. Morgenthaler).
2.
Zu prüfen ist, ob das, was für die Ladengeschäfte gilt, auch auf das Gastgewerbe zutreffe. In diesem Zusammenhang wird eingewendet, das Beispiel anderer Kantone und der meisten basellandschaftlichen Gemeinden zeige, dass den im Gastgewerbe Tätigen auch ohne Verbindlicherklärung des "Wirtesonntags" die vorgeschriebene Freizeit eingeräumt werden könne und dass diese Massnahme, wenn nötig, sich auf dem Wege der Freiwilligkeit einführen lasse; es wird ferner geltend gemacht, die Schliessung an einem Tag der Woche hindere das Gastgewerbe an der Erfüllung seiner Aufgaben; diese Einschränkung sei zudem
BGE 86 I 272 S. 277
schon darum unzulässig, weil sie nicht dem Schutze des Personals, sondern dem der Betriebsinhaber diene und auf eine Bevormundung der Wirte hinauslaufe.
Wohl lässt die Begründung des Rekursentscheids des Regierungsrats die Vermutung aufkommen, der "Wirtesonntag" sei in erster Linie mit Rücksicht auf die Wirte eingeführt worden; in Wirklichkeit verhält es sich indes nicht so. Es dürfte im Kanton und besonders in den grösseren Gemeinden, für welche die Einführung des "Wirtesonntags" in Frage kommt, nur wenige Gaststätten geben, in denen der Betriebsinhaber allein tätig ist. Verhältnismässig zahlreich sind dagegen die kleineren Gaststätten, in denen sich der Wirt zur Hauptsache mit der Hilfe seiner Familie begnügen muss. Gerade auf solche Betriebe ist der "Wirtesonntag" zugeschnitten. Wie das Bundesgericht festgestellt hat, ist es zulässig, auch die Familienangehörigen des Betriebsinhabers, die zu diesem nicht in einem Dienstvertragsverhältnis stehen, der Arbeitszeitgesetzgebung zu unterstellen (nicht veröffentlichtes Urteil vom 23. Oktober 1944 i.S. Manuel & Cie SA). Der Schutz der Familienangehörigen darf nicht dem Schutz des Betriebsinhabers vor sich selbst gleichgestellt werden. Dem Wirt bleibt es unbenommen, den freien Wochentag dem Geschäft zu widmen und sich beispielsweise mit der Buchhaltung, dem Einkauf und der Instandhaltung und Verbesserung der Einrichtungen zu befassen. Soweit seiner Tätigkeit Schranken gesetzt sind, hat er diese als mittelbare und unvermeidliche Folge der im Interesse der Arbeitnehmer angeordneten Schliessung in Kauf zu nehmen.
Während grosse Gaststätten den Angestellten abwechslungsweise frei geben können, ohne den Betrieb einschränken zu müssen, ist das mittleren und kleineren Unternehmen vielfach nicht möglich, so dass sie darauf angewiesen sind, das Geschäft an einem halben oder ganzen Tag je Woche zu schliessen, um dem Personal die nötige Freizeit zu verschaffen. Diese mittleren und kleineren Unternehmen sind im Gastgewerbe, zumal ausserhalb der
BGE 86 I 272 S. 278
grossen Städte, häufig. Aus der Erwägung, dass der Betriebsinhaber in der Regel selber am besten weiss, was er vorzukehren hat, um dem Personal die vorgeschriebene Freizeit einräumen zu können, macht
§ 27 WG
die Einführung des "Wirtesonntags" davon abhängig, dass zwei Drittel der Gastwirte einer Gemeinde darum einkommen. Dem Gemeinderat bleibt es vorbehalten, das Gesuch zu überprüfen und zu entscheiden, ob es tatsächlich nötig sei, diese Einschränkung verbindlich zu erklären. Das Gesetz will mit diesen Verfahrensbestimmungen dafür sorgen, dass der "Wirtesonntag" nur eingeführt wird, wenn diese Massnahme einem wirklichen Bedürfnis des örtlichen Gastgewerbes entspricht. Dass ein solches Bedürfnis bestehen kann, wird durch das Fehlen einer entsprechenden Regelung in andern Kantonen und in der Mehrzahl der basellandschaftlichen Gemeinden nicht widerlegt. Die Erfahrung zeigt, dass vielerorts dem Personal nur durch den vermehrten Einsatz der Familienangehörigen des Wirts die nötige Freizeit gesichert werden kann. Das hat zahlreiche Wirte veranlasst, ihren Betrieb von sich aus an einem Tag oder Halbtag je Woche zu schliessen, obwohl sie bei einem solchen selbständigen Vorgehen mit einem Umsatzrückgang zu rechnen haben. Um die Gefahr eines derartigen Rückgangs zu vermindern und um auch jenen Wirten die Einhaltung des "Wirtesonntags" zu ermöglichen, die privatrechtlich (insbesondere durch Abmachungen mit Brauereien) zum ständigen Offenhalten der Gaststätte verpflichtet sind, steht mancherorts nur der Weg der behördlichen Verbindlicherklärung dieser Einschränkung offen.
Das Gesetz hat dabei dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gastgewerbe gewisse im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben zu erfüllen hat.
§ 27 WG
ordnet an, dass bei der Ansetzung des "Wirtesonntags" auf die Bedürfnisse der Kundschaft Rücksicht zu nehmen ist. Nach Auffassung des Regierungsrats ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn in grösseren Ortschaften an allen Tagen
BGE 86 I 272 S. 279
der Woche Gaststätten offen stehen, in denen im ortsüblichen Rahmen jeder sich so verpflegen kann, wie er es gewohnt ist. Damit ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs auch in dieser Hinsicht gewahrt. Der verständliche Wunsch vieler Gäste, stets am selben Ort verpflegt zu werden, hat vor der Fürsorge für die Gesundheit des Personals zurückzutreten. Auf die besonderen Verhältnisse der Gasthöfe (Hotels und Pensionen) ist in der folgenden Erwägung einzugehen.
Zusammengefasst ist festzustellen, dass die Vorschrift, wonach der Gemeinderat auf Begehren von zwei Dritteln der Gastwirte der Gemeinde die Schliessung der Gastwirtschaften an einem ganzen oder halben Tag je Woche unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kundschaft verbindlich erklären kann, nicht gegen die Handels- und Gewerbefreiheit verstösst.
3.
Gemäss
§ 27 WG
bestimmt der Gemeinderat, wie weit Hotelbetriebe den "Wirtesonntag" einzuhalten haben. Ob diese Ermächtigung vor dem in
Art. 4 und 31 BV
gewährleisteten Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen standhalte, hängt davon ab, in welchem Sinne von der Befugnis Gebrauch gemacht wird.
a) Solange der Gemeinderat darauf besteht, dass die Gasthöfe mit Bezug auf die Verpflegung nicht im Hotel wohnender Kunden den "Wirtesonntag" einzuhalten haben, kann er diese Betriebe ohne Verletzung der Rechtsgleichheit hinsichtlich der Beherbergung und Verköstigung der Hotelgäste von der Verpflichtung zur Schliessung an einem ganzen oder halben Tag je Woche ausnehmen. Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz der Bundesverfassung ist Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Den rechtsetzenden Behörden steht es damit zu, eine von der allgemeinen Ordnung abweichende Sonderregelung zu treffen, wenn die Verschiedenheit der zu erfassenden tatsächlichen Verhältnisse es erfordert (vgl.
BGE 80 I 138
, 234 Erw. 3;
BGE 84 I 105
mit Verweisungen). Ein solcher Fall
BGE 86 I 272 S. 280
liegt hier vor. Wer einen Gasthof aufsucht, der nicht als "Hotel garni" bezeichnet ist, darf damit rechnen, dort nicht nur Unterkunft, sondern auch Verpflegung zu finden. Es gehört zum Wesen der Hotels und Pensionen, dass sie in ähnlich umfassender Weise für ihre Gäste sorgen wie eine Hausgemeinschaft. Das schweizerische Beherbergungsgewerbe verdankt sein Ansehen und seine Bedeutung nicht zuletzt diesen ausgebauten Dienstleistungen. Sollen die Hotels und Pensionen ihren Aufgaben weiterhin genügen und ihren Stand im internationalen Wettbewerb wahren, so können sie ihre Gäste nicht an einem Tag der Woche ohne Verpflegung lassen. Eine derartige Verpflichtung wäre für sie mit einer Belastung verbunden, die zu dem mit dem Eingriff angestrebten Vorteil der Sicherung der Freizeit des Personals in keinem vertretbaren Verhältnis stünde, ja sie würde sich letztlich auch gegen das wohlverstandene Interesse der Arbeitnehmer selbst wenden. Anderes gilt für die Durchführung dieser Massnahme in den Wirtschaften. Diese bieten selbst ihren Dauergästen nur eingeschränkte Dienste an, auf die der Gast weit eher verzichten kann. Da er das Essen ohnehin ausserhalb seiner Wohnung einnimmt, trifft es ihn im Regelfalle nicht wesentlich, wenn er sich einmal in der Woche an einem andern als am gewohnten Orte verpflegen muss.
Nach dem Gesagten lässt sich die Sonderbehandlung, die den Gasthöfen hinsichtlich der Bewirtung der Hotelgäste zuteil wird, mit vernünftigen Gründen rechtfertigen. Sie hält deshalb vor
Art. 4 und 31 BV
stand.
b) Der Grundsatz der Rechtsgleichheit verlangt dagegen, dass die Gasthöfe mit Bezug auf die Bewirtung nicht im Hotel wohnender Kunden den "Wirtesonntag" in gleicher Weise einzuhalten haben wie die Wirtschaften. Die Gasthöfe stehen zu diesem Kreis von Kunden in keinem andern Verhältnis als die Wirtschaften zu ihren Gästen. Die Beherbergungsbetriebe treten auf diesem Gebiet als Konkurrenten der Wirtschaften auf; sie dürfen in diesem Wettbewerb nicht bevorzugt werden. Die Gasthöfe haben
BGE 86 I 272 S. 281
mithin die Räume, in denen sie die Hotelgäste bedienen, an "Wirtesonntagen" für auswärtige Kunden zu schliessen. Die Durchführung und Überwachung dieser Massnahme bereitet in der Regel keine Schwierigkeiten. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8624cc5-da59-4acb-8109-94e88447fac4 | Urteilskopf
120 II 425
78. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 18 octobre 1994 dans la cause B. SA contre Cour d'appel de l'Etat de Fribourg (recours de droit public) | Regeste
Art. 4 BV
,
Art. 725 Abs. 2 und 725a OR
. Überschuldung einer Aktiengesellschaft; Konkursaufschub; überspitzter Formalismus.
Den Konkursaufschub von der Einreichung einer durch die Revisionsstelle der Gesellschaft geprüften Zwischenbilanz abhängig zu machen, stellt dann keinen überspitzten Formalismus dar, wenn der Richter wie im vorliegenden Fall über keine anderen zuverlässigen Unterlagen verfügt (E. 2).
Die Grundsätze über die Rechnungslegung des neuen Aktienrechts sind auf das Geschäftsjahr 1993 und nicht ab deren Inkrafttreten anwendbar; die Voraussetzungen des Konkursaufschubs unterstehen dieser Regelung jedoch nicht (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 426
BGE 120 II 425 S. 426
Extrait des considérants:
2.
La recourante reproche au Tribunal cantonal d'avoir fait preuve d'un formalisme excessif en subordonnant l'octroi de l'ajournement de la faillite à la présentation d'un bilan intermédiaire, vérifié par un organe de révision. Eu égard à sa situation économique difficile, il se révèle en pratique impossible de désigner à court terme un organe de révision, le précédent ayant renoncé à son mandat lors de l'assemblée générale du 30 juin 1993. Elle estime en outre insoutenable de mettre en doute, de manière générale, les documents comptables produits par son conseil d'administration, dans la mesure où le Tribunal cantonal a apprécié la possibilité d'un assainissement en se fondant uniquement sur son bilan au 31 juillet 1993.
a) L'excès de formalisme est un déni de justice, réalisé notamment lorsque l'autorité applique une règle de procédure avec une dureté exagérée ou impose des exigences excessives à l'égard des actes juridiques, privant ainsi le citoyen d'une voie de droit d'une manière inadmissible; l'
art. 4 Cst.
est violé quand le strict respect d'une exigence de forme ne se justifie par aucun intérêt digne de protection, devient une fin en soi et empêche ou complique de manière insoutenable la réalisation du droit matériel. L'on ne saurait dès lors refuser à un justiciable une prétention juridique pour le seul motif qu'un fait qui ressort aisément des documents produits n'a pas reçu de confirmation officielle (
ATF 119 Ia 4
consid. 2 p. 6,
ATF 119 III 28
consid. 3b p. 31,
ATF 118 Ia 14
consid. 2a p. 15, 241 consid. 4 p. 244 et les arrêts cités; SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, Berne 1994, p. 129 no 408 et no 409).
b) Selon l'
art. 725 al. 2 CO
, lorsqu'il existe des raisons sérieuses d'admettre qu'une société anonyme est surendettée, un bilan intermédiaire est dressé et soumis à la vérification de l'organe de révision. Cette règle a un caractère à la fois préventif et correctif (BÖCKLI, Das neue Aktienrecht, Zürich 1992, p. 459 no 1694). Même si, pour évaluer la situation financière de la société, le juge doit prendre en considération des éléments qui ne peuvent résulter du bilan, comme par exemple l'état de la comptabilité, le rapport de révision a une signification décisive. Le
BGE 120 II 425 S. 427
juge doit estimer les chances d'un assainissement réussi et durable; en particulier, les créanciers ne doivent pas se trouver dans une plus mauvaise situation qu'en cas d'ouverture immédiate de la faillite. Si l'ajournement est accordé, il a pour effet de suspendre les poursuites (WÜSTINER, Commentaire Honsell/Vogt/Watter, vol. II, n. 3, 6, 7 et 9 ad
art. 725a CO
).
Vu la portée d'une telle décision, le juge ne peut pas faire abstraction de la présentation des documents prévus par la loi et vérifiés de manière idoine. Cela est d'autant plus vrai lorsque, comme en l'espèce, il ne dispose d'aucunes pièces examinées par un organe indépendant et compétent, et au besoin corrigées. En outre, les divergences concernant divers postes justifient précisément que l'autorité cantonale ait non pas - comme le pense la recourante - réfuté en bloc et sans motifs sa comptabilité, mais apprécié, à juste titre, la pertinence des comptes avec circonspection.
A cela s'ajoute qu'au moment de sa requête d'ajournement de faillite, la recourante ne possédait pas d'organe de révision, indispensable également sous l'ancien droit. Autant qu'il ressort de l'arrêt attaqué et des pièces du dossier, elle ne s'est pas efforcée d'en trouver, même durant l'instance cantonale. Or quand un réviseur démissionne entre deux assemblées générales ordinaires, une assemblée générale extraordinaire doit être convoquée aux fins d'en élire un autre (BÜRGI, n. 36 ad art. 727 aCO; BÖCKLI, op.cit., p. 489 no 1796). Si le conseil d'administration ne s'acquitte pas de cette obligation, et après qu'un avertissement a été donné en vain à la société anonyme par le préposé au registre du commerce, le juge désigne un organe de révision pour l'exercice annuel (
art. 727f CO
). Cela démontre l'importance de cet organe auquel il incombe même, selon le nouveau droit de la société anonyme, d'aviser le juge en cas de surendettement manifeste si le conseil d'administration omet de le faire (
art. 729b al. 2 CO
; BÖCKLI, op.cit., p. 497 no 1829).
Si le juge ajourne la faillite, il a l'obligation d'ordonner des mesures propres à maintenir le patrimoine social et à garantir le désintéressement équitable des créanciers. Entrent en ligne de compte, à côté des limitations du pouvoir de disposition et de représentation, l'établissement de rapports intermédiaires, l'institution d'une commission des créanciers et la nomination d'un curateur. En l'absence de documents fiables, le juge ne peut pas non plus se prononcer sur les mesures à prendre, de sorte que l'ajournement de la faillite n'est pas admissible (
art. 725a al. 2 CO
; WÜSTINER, op.cit., n. 10/12 ad
art. 725a CO
); BÖCKLI, op.cit., p. 465 no 1718).
BGE 120 II 425 S. 428
c) Vu ce qui précède, le grief selon lequel le Tribunal cantonal aurait appliqué trop sévèrement les conditions formelles de l'octroi de l'ajournement de la faillite, au préjudice des droits de la recourante, est dès lors mal fondé.
Au demeurant, l'autorité cantonale n'a pas refusé d'entrer en matière pour le motif que la recourante n'avait pas produit de bilan intermédiaire vérifié par un organe de révision. Elle a au contraire évalué globalement la situation financière de la société, en précisant simplement qu'il convenait d'examiner avec réserve les documents produits. Or il n'est pas démontré que la cour d'appel aurait ainsi procédé à une appréciation arbitraire des preuves.
3.
Selon la recourante, le tribunal cantonal a commis arbitraire en appliquant le nouvel
art. 725 CO
avant le début de l'exercice commercial 1993. A l'appui de ce moyen, elle se réfère à l'opinion de HIRSCH (Le droit transitoire, in: Le nouveau droit des sociétés anonymes, Lausanne, 1993, p. 408). Cependant, l'auteur précité se contente de dire que la réglementation de la comptabilité annuelle, et donc de la reddition correcte des comptes, s'applique à l'activité commerciale de 1993, et non pas déjà au moment de l'entrée en vigueur du nouveau droit de la société anonyme, à savoir le 1er juillet 1992. Si l'on considère que, dans de nombreuses entreprises, l'exercice social coïncide avec l'année civile, cette solution est pour le moins censée. La recourante perd cependant de vue qu'en ce qui concerne les conditions de l'ajournement de la faillite, la question de l'application des nouveaux principes comptables n'entre pas en considération. Seul est déterminant le fait que, comme sous l'ancien droit, le rapport intermédiaire établi par la société anonyme dans la perspective d'un assainissement doit être vérifié par une institution désormais désignée sous le nom d'organe de révision et non plus organe de contrôle. Savoir si cette vérification doit être exécutée selon les nouvelles dispositions en matière comptable n'est pas décisif; dans l'intérêt d'une liquidation rapide, il s'agira d'ailleurs d'un examen plutôt sommaire (BÖCKLI, op.cit., pp. 459/460 no 1695). | public_law | nan | fr | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8678885-b3b0-4c4c-8a12-e251fac90c7d | Urteilskopf
119 IV 339
63. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 3 septembre 1993 dans la cause C. c. C.-M. et Procureur général du canton de Genève (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 270 Abs. 1 BStP
; Legitimation des Geschädigten zur Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt.
Prüfung der drei Voraussetzungen, unter denen nach dem neuen
Art. 270 Abs. 1 BStP
der Geschädigte zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert ist. | Sachverhalt
ab Seite 339
BGE 119 IV 339 S. 339
A.-
C., citoyen italien, et M., ressortissante suisse, se sont mariés le 1er décembre 1989 à Troinex (Genève) où ils sont domiciliés; par contrat de mariage du 12 décembre 1989, ils ont adopté le régime de la communauté universelle.
Les époux sont titulaires conjointement d'un compte auprès du Credito Commerciale Tirreno.
BGE 119 IV 339 S. 340
Le 17 décembre 1992, C. déposa plainte pénale à Genève contre son épouse pour abus de confiance, lui reprochant d'avoir prélevé en Italie, en violation des règles sur le régime matrimonial, une somme de 183'313'078 lires sur leur compte auprès du Credito Commerciale Tirreno.
B.-
Le 29 janvier 1993, le Procureur général du canton de Genève a classé la plainte, en considérant que les autorités suisses étaient incompétentes pour en connaître.
Statuant sur recours le 8 mars 1993, la Chambre d'accusation cantonale a estimé qu'il ne pouvait pas y avoir d'abus de confiance, parce que le plaignant n'a pas confié des fonds à son épouse pour qu'elle les utilise de manière déterminée, que ce soit pour les garder, les administrer ou les remettre à un tiers. Elle a laissé ouverte la question de savoir s'il existe un for en Suisse. Elle a ajouté que le classement était également justifié par des considérations d'opportunité, s'agissant d'un acte entre époux qui n'ont entrepris aucune procédure tendant à leur séparation.
C.-
Contre cette décision, C. a déposé un pourvoi en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Se référant à l'
art. 227 al. 1 CC
, il soutient que son épouse était bien chargée conjointement de gérer les biens communs et que son prélèvement, violant l'
art. 228 al. 1 CC
, constitue un abus de confiance (
art. 140 CP
). Il fait observer d'autre part que son épouse a conservé la nationalité suisse, de sorte que la compétence des tribunaux suisses résulte de l'
art. 6 CP
. Enfin, invoquant la faculté de former dans le même acte un recours de droit public, il considère qu'un classement en opportunité, selon le droit cantonal, est arbitraire, compte tenu de l'importance du montant prélevé. Il conclut, avec suite de frais et dépens, à l'annulation de l'ordonnance attaquée, qui rejetait son recours contre la décision de classement du Procureur général.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
a) Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral est ouvert contre une ordonnance de non-lieu rendue en dernière instance (
art. 268 ch. 2 PPF
). Par ordonnance de non-lieu, il faut entendre toute décision qui met fin à l'action pénale, au moins sur un chef d'accusation, et qui est rendue par une autre autorité que la juridiction de jugement (
ATF 117 IV 233
consid. 1b). Rendue en dernière instance cantonale, la décision de la Chambre d'accusation genevoise qui rejette un recours contre une décision de classement met un terme à l'action pénale et constitue donc une ordonnance de non-lieu au sens de l'
art. 268 ch. 2 PPF
.
b) En ce qui concerne la qualité pour se pourvoir en nullité, le recourant fait valoir qu'il est plaignant et que l'abus de confiance
BGE 119 IV 339 S. 341
commis au préjudice des proches ou des familiers n'est poursuivi que sur plainte (
art. 140 ch. 3 CP
). Il se réfère ainsi manifestement à l'ancien texte de l'
art. 270 al. 1 PPF
, qui permettait au plaignant de recourir pour ce qui concerne les infractions qui ne sont poursuivies que sur plainte du lésé. Or, ce texte a été remplacé par un nouvel art. 270 al. 1 (RO 1992 p. 2473), entré en vigueur le 1er janvier 1993 (RO 1992 p. 2470). Comme la décision de la Chambre d'accusation a été rendue sous l'empire du nouveau droit, les possibilités de l'attaquer par un pourvoi en nullité sont régies exclusivement par les nouvelles dispositions. Selon le nouveau droit, la qualité pour se pourvoir en nullité ne dépend plus, en ce qui concerne le lésé, de la question de savoir si l'infraction n'est poursuivie que sur plainte (FF 1990 II 947).
c) Selon le nouvel
art. 270 al. 1 PPF
, "le lésé peut également se pourvoir en nullité s'il était déjà partie à la procédure auparavant et dans la mesure où la sentence peut avoir des effets sur le jugement de ses prétentions civiles" (RO 1992 p. 2473). Ce texte est entré en vigueur avec la loi fédérale sur l'aide aux victimes d'infractions (LAVI) du 4 octobre 1991, le 1er janvier 1993 (RO 1992 p. 2465 ss, 2470).
La formulation adoptée sans discussion particulière (cf. BO 1991 CE 589, BO 1991 CN I 24) correspond exactement au projet du Conseil fédéral (FF 1990 II 965). Le message relève que "le projet innove en accordant au lésé la qualité pour se pourvoir en nullité au pénal, pour autant qu'il ait déjà été partie à la procédure auparavant et que la sentence puisse avoir des effets sur le jugement de ses prétentions civiles"; plutôt que de s'attacher à la distinction entre les infractions poursuivables d'office et celles qui ne sont poursuivies que sur plainte, le projet s'attache à la notion de lésé et de dommage (FF 1990 II 947).
La qualité pour se pourvoir en nullité telle qu'elle est définie par la nouvelle version de l'
art. 270 al. 1 PPF
correspond largement à la règle générale introduite par l'
art. 8 al. 1 let
. c LAVI. Selon cette disposition, la victime peut intervenir comme partie dans la procédure pénale; elle peut en particulier "former contre le jugement les mêmes recours que le prévenu, si elle était déjà partie à la procédure auparavant et dans la mesure où cette sentence touche ses prétentions civiles ou peut avoir des effets sur le jugement de ces dernières" (RO 1992 p. 2467). Dans ce cas également, les chambres fédérales ont adopté sans modification ni discussion (cf. BO 1991 CE 588, BO 1991 CN I 20) le texte proposé par le Conseil fédéral (FF 1990 II
BGE 119 IV 339 S. 342
959). A ce propos cependant, le message est plus explicite et expose ce qui suit:
"Cette disposition garantit à la victime le droit d'attaquer un jugement sur le fond dans la mesure où ce dernier compromet l'exercice de ses prétentions en dommages-intérêts et en réparation du tort moral. Le recours est possible tant au civil que, dans une mesure limitée, au pénal:
- dans la mesure où le jugement touche directement les prétentions civiles, c'est-à-dire déboute la victime de ses conclusions civiles ou ne les adjuge que partiellement, la lettre c accorde à la victime les mêmes recours que le prévenu peut introduire au civil. Cette réglementation correspond dans une large mesure à ce qui est prévu dans le droit en vigueur (voir en particulier l'
art. 271 PPF
en ce qui concerne le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral).
- au pénal, la nouvelle réglementation va en revanche plus loin que ce que prévoient beaucoup de lois de procédure. Sur ce point, la victime doit, de manière générale, avoir la possibilité d'attaquer la sentence dans la mesure où elle a une influence sur le jugement de ses prétentions civiles. Cela permet, par exemple, à la victime d'attaquer un jugement d'acquittement fondé sur la constatation que le prévenu n'a pas commis l'acte dommageable. Un recours est en revanche exclu en ce qui concerne tous les points qui n'ont aucun lien direct avec les prétentions civiles de la victime. Ainsi, la victime ne pourra pas recourir contre le genre ou la durée de la peine prononcée, car, dans ce cas, c'est la situation de l'auteur et non celle de la victime qui est déterminante.
Pour pouvoir attaquer le jugement pénal, la victime doit avoir été partie à la procédure auparavant. La forme de cette participation n'est pas précisée. En règle générale, elle consistera dans le fait que la victime était partie civile dans la procédure de première instance (par exemple, dans les procès régis par la procédure pénale fédérale ou par la procédure pénale militaire). Selon les droits de procédure cantonaux, d'autres formes de participation peuvent être envisagées, comme l'intervention en qualité d'accusateur privé." (FF 1990 II 935)
d) Il résulte clairement du nouvel
art. 270 al. 1 PPF
que la qualité pour se pourvoir en nullité dépend de trois conditions: il faut que le recourant soit lésé par l'acte dénoncé, qu'il ait déjà été partie à la procédure auparavant et, enfin, que la sentence puisse avoir des effets sur le jugement de ses prétentions civiles.
aa) Doit être considéré comme lésé le titulaire du bien juridique protégé par les règles auxquelles il a été contrevenu (
ATF 118 Ia 14
consid. 2b,
ATF 117 Ia 135
consid. 2a et les références citées; voir également
ATF 119 Ia 345
consid. 2b). Dans la mesure où les faits ne sont pas définitivement arrêtés, il faut se fonder sur les allégués de
BGE 119 IV 339 S. 343
celui qui se prétend lésé pour déterminer si tel est effectivement le cas.
En l'espèce, on peut se demander si le recourant est lésé par les actes qu'il reproche à son épouse et si ce n'est pas plutôt la communauté des biens des époux qui est touchée, le recourant ne subissant dans ce cas qu'une atteinte indirecte, insuffisante pour le faire apparaître comme lésé (voir
ATF 119 Ia 345
consid. 2a). Cette question peut toutefois demeurer ouverte, l'une des autres conditions posées par le nouvel
art. 270 al. 1 PPF
faisant défaut au recourant.
bb) Selon l'art. 23 du code genevois de procédure pénale, les parties à la procédure cantonale sont le procureur général, la partie civile et l'inculpé. Le plaignant n'est nullement mentionné dans cette énumération. Toutefois, comme l'indique le texte allemand de l'
art. 270 al. 1 PPF
, selon lequel le lésé peut se pourvoir en nullité "wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat", on peut admettre que la qualité de partie, au sens de cette disposition, doit être comprise de manière large (voir
ATF 119 IV 168
ss) et englober également des cas où, comme en l'espèce, le lésé a pu former un recours et provoquer la décision attaquée (dans ce sens: ERHARD SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, Berne 1993, p. 90 no 256). L'art. 191 let. a du code genevois de procédure pénale assimile expressément le plaignant à une partie pour interjeter un tel recours à la Chambre d'accusation. Il faut donc conclure que le recourant était partie devant l'autorité qui a rendu la décision attaquée.
cc) Enfin, l'
art. 270 al. 1 PPF
ne permet au lésé de se pourvoir en nullité que "dans la mesure où la sentence peut avoir des effets sur le jugement de ses prétentions civiles". Le législateur n'a voulu ouvrir au lésé la faculté de se pourvoir en nullité que pour lui permettre de défendre ses intérêts juridiques en vue d'obtenir la réparation civile de son préjudice. Le message relève à ce sujet: "cela permet, par exemple, à la victime d'attaquer un jugement d'acquittement fondé sur la constatation que le prévenu n'a pas commis l'acte dommageable" (FF 1990 II 935). Il faut donc que le jugement pénal touche l'existence ou la quotité de la prétention civile (SCHWERI, op.cit., p. 91 no 257).
Le lésé ne saurait se pourvoir en nullité en invoquant un désir de vengeance, sans rapport avec sa créance en réparation. Ainsi, selon le message, la victime ne pourra pas recourir contre le genre ou la durée de la peine prononcée (FF 1990 II 935); elle ne pourra pas se plaindre non plus de l'octroi ou du refus du sursis, ou encore du prononcé
BGE 119 IV 339 S. 344
d'une mesure en lieu et place d'une peine (SCHWERI, op.cit., p. 90 no 257).
Le droit de se pourvoir en nullité accordé au lésé par la nouvelle version de l'
art. 270 al. 1 PPF
lui permet de soumettre au contrôle du Tribunal fédéral la solution apportée à un point de droit dans la mesure où elle est susceptible de l'entraver dans ses facultés de faire valoir ses prétentions civiles. Il ne saurait en revanche permettre au lésé de s'opposer à une décision parce qu'elle ne facilite pas son action sur le plan civil. Ainsi, il ne peut pas exiger des autorités qu'elles conduisent jusqu'à leur terme des poursuites pénales inopportunes uniquement pour placer le lésé dans une position aussi favorable que possible pour faire valoir ses prétentions civiles. Dès lors que l'arrêt cantonal ne contient rien qui puisse être opposé au lésé sur le plan civil, il y a lieu d'admettre que la sentence n'a pas d'effet sur le jugement de ses prétentions civiles, au sens de l'
art. 270 al. 1 PPF
. Dans l'hypothèse inverse, il n'est en revanche pas nécessaire de démontrer que l'arrêt pénal influence effectivement le jugement des prétentions civiles; il suffit, selon le texte légal clair, qu'il existe à ce propos une simple possibilité; tel est le cas notamment si le juge civil, même si rien ne l'y contraint, se sent lié par l'arrêt rendu au pénal. En revanche, il faut que le jugement attaqué ait pour conséquence que le recourant rencontrera plus de difficultés à faire valoir ses prétentions civiles, au point qu'il en résulte pour lui un intérêt juridique à faire modifier la décision, intérêt juridique qui est d'ailleurs requis pour justifier l'accès à toute voie de recours.
Pour satisfaire aux exigences de motivation imposées par l'
art. 273 al. 1 let. b PPF
, le lésé qui se pourvoit en nullité conformément à l'
art. 270 al. 1 PPF
doit exposer, au moins brièvement, en quoi il s'estime lésé par les faits dénoncés, en quelle qualité il a pris part à la procédure cantonale et, enfin, quelles prétentions il entend faire valoir sur le plan civil et en quoi elles peuvent être touchées par l'arrêt attaqué.
e) En l'espèce, on peut douter que ces différents éléments ressortent de manière suffisante du mémoire déposé par le recourant à l'appui de son pourvoi.
f) Au surplus, le recourant expose que les époux sont soumis au régime de la communauté universelle (
art. 222 al. 1 CC
) et que les fonds qui se trouvaient sur le compte auprès de la banque italienne constituaient des biens communs, et non pas des biens propres de l'un des époux (cf.
art. 221, 225 CC
). Selon l'
art. 222 al. 2 et 3 CC
, la communauté appartient indivisément aux deux époux et aucun
BGE 119 IV 339 S. 345
d'eux ne peut disposer de sa part aux biens communs. Les époux gèrent les biens communs dans l'intérêt de l'union conjugale (
art. 227 al. 1 CC
). Le recourant soutient que le prélèvement opéré par son épouse excédait les limites de l'administration ordinaire (cf.
art. 227 al. 2 CC
), de sorte qu'elle ne pouvait disposer des biens communs sans son consentement (
art. 228 al. 1 CC
), ce consentement étant par ailleurs présumé au profit des tiers (
art. 228 al. 2 CC
). Il en résulte donc une créance de la communauté à l'encontre de l'épouse (cf.
art. 238 CC
).
Il ressort donc de la propre argumentation du recourant que les prétentions civiles qu'il entend faire valoir découlent des règles régissant son régime matrimonial. Ainsi, il apparaît que les sommes qu'il réclame à son épouse seront à déterminer sur la base des normes civiles relatives au sort des biens des époux dans le cadre du régime de la communauté universelle. Ses prétentions ne supposent nullement qu'il démontre l'existence d'une infraction pénale et plus précisément d'une chose confiée au sens de l'
art. 140 CP
. Dès lors que la réparation à laquelle il prétend est en relation avec la liquidation de son régime matrimonial et ne dépend pas d'une éventuelle qualification pénale des actes qu'il reproche à son épouse comme abus de confiance, on ne voit pas en quoi le fait que celle-ci soit ou non déclarée coupable sur le plan pénal peut influencer le sort de son action civile, qui est totalement indépendante du procès pénal.
On doit par conséquent admettre que l'arrêt attaqué ne peut pas avoir d'effets sur le jugement de ses prétentions civiles et que le recours est irrecevable pour ce motif. | null | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c86b4c1d-effd-44bd-a4cc-b29ddc8815a2 | Urteilskopf
119 Ia 251
29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1993 i.S. Y. (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
; unentgeltliche Rechtspflege (Kriterium der Nichtaussichtslosigkeit).
1. Ob der aus
Art. 4 BV
abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege missachtet worden sei, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei (Erw. 2b).
2. Frage der Aussichtslosigkeit bei einer Scheidungsklage, auf welche das angerufene Gericht - unter Hinweis auf die durch den andern Ehegatten in einem andern Kanton eingeleitete gleichlautende Klage - wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit nicht eingetreten ist (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 252
BGE 119 Ia 251 S. 252
Die Eheleute A. und B. Y. sind seit 2. März 1984 verheiratet. B. Y. verliess am 3. März 1992 die eheliche Wohnung in K. (Kanton Freiburg) und zog zu ihren Eltern nach L. (Kanton St. Gallen). Am 25. März 1992 stellte sie beim dortigen Vermittleramt das Gesuch, zum Vermittlungsvorstand vorzuladen über das Rechtsbegehren, die Ehe sei zu scheiden.
A. Y. erhob am 3. April 1992 durch Einreichung des Aussöhnungsgesuchs beim Präsidenten des für K. zuständigen (freiburgischen) Zivilgerichts seinerseits eine Scheidungsklage.
Am 13. April 1992 wurde in L. der Vermittlungsvorstand durchgeführt und anschliessend der Leitschein ausgestellt. Am nächsten Tag reichte B. Y. beim Bezirksgericht M. (Kanton St. Gallen) die Scheidungsklage ein.
Mit Eingabe vom 3. September 1992 ersuchte B. Y. den Gerichtspräsidenten von M., ihr rückwirkend auf den Beginn des Verfahrens die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren. Am 8. Dezember 1992 beschloss das Bezirksgericht M., dass auf die Klage von B. Y. (wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit) nicht eingetreten werde. Dem Begehren um unentgeltliche Rechtspflege wurde nur insoweit stattgegeben, als B. Y. für das Vermittlungsverfahren ein unentgeltlicher Vertreter zugestanden wurde.
Den von B. Y. gegen den Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege erhobenen Rekurs wies das Kantonsgericht St. Gallen (II. Zivilkammer) am 24. März 1993 ab.
B. Y. führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV
mit dem Antrag, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben, soweit ihr darin die unentgeltliche Prozessführung verweigert worden sei.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
2.
a) Gemäss Art. 281 Abs. 1 des sanktgallischen Zivilprozessgesetzes (ZPO) hat eine Partei Anspruch auf Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung, wenn ihr die Mittel fehlen, um neben dem Lebensunterhalt für sich und die Familie die Prozesskosten aufzubringen. Die unentgeltliche Prozessführung wird indessen unter anderem dann nicht bewilligt, wenn das Verfahren aussichtslos erscheint (
Art. 281 Abs. 2 lit. a ZPO
).
BGE 119 Ia 251 S. 253
b) Die Beschwerdeführerin hält dafür, dass die kantonalrechtlichen Erfordernisse für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege denjenigen entsprächen, die für den unmittelbar aus
Art. 4 BV
abgeleiteten Anspruch gelten würden. Indem das Kantonsgericht die erstinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege geschützt habe, habe es mithin diesen Anspruch missachtet. Wie es sich damit verhält, kann das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht frei prüfen (
BGE 115 Ia 194
E. 2;
BGE 109 Ia 7
E. 1, je mit Hinweisen).
3.
Gestützt auf
Art. 4 BV
hat eine bedürftige Partei in einem Zivilprozess Anspruch auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, wenn jener für sie nicht aussichtslos ist (
BGE 117 Ia 281
ff.;
BGE 114 Ia 101
f. E. 2 mit Hinweisen).
a) Die Feststellung der ersten Instanz, die Beschwerdeführerin müsse zweifellos als bedürftig gelten, hat das Kantonsgericht nicht in Zweifel gezogen. Es hat die unentgeltliche Rechtspflege ausschliesslich mit der Begründung verweigert, die von der Beschwerdeführerin beim Bezirksgericht M. eingereichte Scheidungsklage sei von Anfang an aussichtslos gewesen, da A. Y. seinerseits im Kanton Freiburg bereits eine gleiche Klage anhängig gemacht gehabt habe; angesichts der im einschlägigen Punkt klaren und eindeutigen sanktgallischen Zivilprozessordnung sei die Unzuständigkeit des Bezirksgerichts M. leicht feststellbar gewesen.
b) Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Praxis Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können; dagegen hat ein Begehren nicht als aussichtslos zu gelten, wenn Gewinnaussichten und Verlustgefahren sich ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist dabei, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen oder aber davon absehen würde (
BGE 109 Ia 9
E. 4 mit Hinweisen).
c) Die Beschwerdeführerin hatte im kantonalen Verfahren verschiedene Argumente dafür vorgebracht, dass das Bezirksgericht M. für ihre Klage zuständig und diese aus dieser Sicht deshalb nicht aussichtslos sei. Unter anderem hatte sie sich auf
Art. 36 Abs. 1 ZPO
(in der seit 1. Juli 1991 geltenden Fassung) berufen, wo festgelegt wird, dass die örtliche Zuständigkeit sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Klageerhebung bestimme.
aa) Das Kantonsgericht geht in seinen Erwägungen selbst davon aus, dass die von der Beschwerdeführerin angerufene Bestimmung gewisse Wirkungen der Rechtshängigkeit auf den Zeitpunkt der Klageeinleitung
BGE 119 Ia 251 S. 254
vorverlege. Es räumt sodann ein, dass die Kommission, welche die Revision der Zivilprozessordnung vorberaten habe, die neue Fassung von Art. 36 damit begründet habe, die Klage werde mit Anhebung bzw. mit dem Vermittlungsbegehren im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis zu den
Art. 59 BV
und 144 ZGB rechtshängig, und dass SCHERRER (Örtliche Zuständigkeit, in: HANGARTNER [Hrsg.], Das st. gallische Zivilprozessgesetz, S. 77) diese Auffassung übernommen habe. Für ihre davon abweichende Auslegung der erwähnten - erst seit verhältnismässig kurzer Zeit geltenden - verfahrensrechtlichen Bestimmung führt die kantonale Instanz demgegenüber weder veröffentlichte Präjudizien noch etwa Meinungsäusserungen aus der Literatur an.
bb) Auch wenn das Kantonsgericht die zitierte Darlegung der vorberatenden Kommission als missverständlich bezeichnet, kann unter den angeführten Umständen keinesfalls gesagt werden, der Standpunkt der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuständigkeit des von ihr angerufenen Bezirksgerichts M. sei im Sinne der bundesgerichtlichen Praxis zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege aussichtslos gewesen (vgl. dazu auch den in PVG 1988, Nr. 10, S. 35 f., veröffentlichten Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 24. Juni 1988, wonach die Behörde bei heiklen und bestrittenen Rechtsfragen nicht zu Ungunsten des Gesuchstellers Aussichtslosigkeit annehmen dürfe). | public_law | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c86c1226-7076-48f6-9662-a7589128a80c | Urteilskopf
105 IV 120
32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Februar 1979 i.S. B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 181 StGB
. Nötigung.
1. In der Drohung, einen in Aussicht gestellten Vertrag nicht abzuschliessen, dessen Scheitern grosse finanzielle Verluste zur Folge hat, liegt die Androhung eines ernstlichen Nachteils (E. 2a).
2. Ob die Androhung einer Unterlassung erlaubt ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Rechtswidrigkeit einer Nötigung (E. 2b).
3. Versuchte Nötigung (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 121
BGE 105 IV 120 S. 121
Aus dem Tatbestand:
Im Jahre 1973 kamen die SBB und ein Architekt überein, ein grosses Grundstück zu erwerben und nach dessen Teilung gemeinsam mit vier Wohnblöcken zu überbauen, wobei diesem Architekten die Erstellung der Bauten und die Lieferung der Fertigelemente übertragen werden sollte. Die Verhandlungen, die seitens der SBB vom zuständigen Sachbearbeiter B. und seinem Vorgesetzten geführt wurden, verliefen vorerst reibungslos. Deswegen und auf Anraten des B. ordnete der Architekt bereits die Produktion der Fertigelemente an und kaufte entsprechende Mengen Armierungseisen. Als später B. für die Bereinigung und den Abschluss des Vertrages die Alleinvollmacht erhielt, gerieten die Verhandlungen wegen belangloser Nebenpunkte ins Stocken. Es wurde immer deutlicher, dass B. seine Stellung als Druckmittel missbrauchte und darauf ausging, den Vertragsabschluss von der Zahlung oder dem Versprechen einer persönlichen Provision abhängig zu machen. Der Architekt wollte sich nicht darauf einlassen, bot dem B. aber dennoch den Betrag von Fr. 10'000.- an, ohne sich durch eine schriftliche Schuldanerkennung zu verpflichten. Gestützt auf dieses Zahlungsversprechen unterzeichnete B. den Vertrag. Zur Zahlung der Provision kam es nicht. Der Architekt erstattete Anzeige bei der SBB, die eine Untersuchung gegen B. einleitete.
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte B. am 11. Juli 1978 u.a. wegen vollendeter Nötigung zu einer Gefängnisstrafe. Gegen diese Verurteilung erhob B. Nichtigkeitsbeschwerde und verlangte die Aufhebung des Urteils und die Rückweisung der Sache zur Freisprechung. Der Generalprokurator beantragte die Abweisung der Beschwerde.
BGE 105 IV 120 S. 122
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Der Nötigung im Sinne des
Art. 181 StGB
macht sich u.a. schuldig, wer jemanden durch Androhung ernstlicher Nachteile nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden.
a) Der Nachteil muss "ernstlicher" Natur sein. Dazu genügt, dass die Androhung geeignet ist, auch eine besonnene Person in der Lage des Betroffenen gefügig zu machen (
BGE 81 IV 105
f.,
BGE 96 IV 62
,
BGE 101 IV 48
; SCHWANDER, Nr. 629a, STRATENWERTH, BT I, 2. Aufl., S. 92). Der Architekt hatte bereits mit der Produktion der Fertigelemente für die Überbauung des Grundstückes begonnen und entsprechende Mengen von Armierungseisen eingekauft. Ferner hatte er zur Finanzierung der eigenen zwei Wohnblöcke seine Honoraransprüche gegenüber der SBB der Bank abtreten müssen. Ein Scheitern des Vertrages hätte, wie die Vorinstanz verbindlich feststellt, für ihn grosse finanzielle Verluste zur Folge gehabt. Diese waren erheblich genug, um einen verständigen Mann in der betreffenden Lage gefügig zu machen und zu veranlassen, die verlangte Provision zu bezahlen.
b) Zwar drohte der Beschwerdeführer nicht, er werde durch aktives Tun einen Nachteil herbeiführen. Vielmehr stellte er in Aussicht, er werde den Vertrag für die SBB nicht abschliessen und dadurch den Architekten in der bedrängten Lage belassen, ihm also die Vorteile des geplanten Vertrages vorenthalten. Auch dies wirkte sich als finanzieller Nachteil aus, ähnlich einem entgangenen Gewinn. Im übrigen hatte der Beschwerdeführer selber den Architekten zur Eingehung bedeutender Verpflichtungen ermuntert und insoweit auch durch aktives Tun zur Schaffung der Notlage, die er ausbeuten wollte, beigetragen. Wie jedoch der Kassationshof bereits entschieden hat, ist es unerheblich, ob der Nachteil durch ein Tun oder eine Unterlassung herbeigeführt werden soll (
BGE 96 IV 61
E. 2).
Art. 181 StGB
verlangt einzig die Androhung eines Nachteils, ohne festzulegen, auf welche Weise er herbeigeführt werden soll. Nach dem Gesetz ist nicht einmal nötig, dass der Täter willens ist, im Falle der Weigerung des Opfers die Drohung zu verwirklichen. Durch die Androhung einer Unterlassung kann denn auch je nach den Umständen ein ebenso wirksamer Druck wie durch ein Tun ausgeübt werden, so wenn ein Täter z.B. damit droht, er werde die Leistung von Unterhaltsbeiträgen oder einer anderen Hilfe, auf die das Opfer dringend angewiesen
BGE 105 IV 120 S. 123
ist, verweigern. Ob mit einer Unterlassung gedroht werden darf, beantwortet sich daher nicht nach den Regeln über unechte Unterlassungsdelikte (SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar, 18. Aufl., § 240 N. 22), sondern nach den Grundsätzen, die für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit einer Nötigung massgebend sind.
Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck der Drohung unerlaubt ist oder wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (
BGE 87 IV 14
,
BGE 96 IV 62
,
BGE 101 IV 49
, 172; SCHWANDER, Nr. 629a, STRATENWERTH, BT I, 2. Aufl., S. 94). Das trifft hier zu. Dem Beschwerdeführer war es verboten, Geschenke oder Provisionen für sich anzunehmen. Schon der Zweck war unerlaubt. Desgleichen durfte er den Vertragsabschluss nicht als Druckmittel einsetzen, um für sich einen Vorteil zu erlangen, weil er mit dem Vertragsschluss nicht eigene Interessen zu wahren hatte. Er hat somit sachfremde Mittel zur Erreichung eines unerlaubten Zwecks angewendet und seine Amtsgewalt missbraucht. Er handelte rechtswidrig.
c) Der Beschwerdeführer wollte den Architekten zwingen, ihm eine Provision auszuhändigen. Deshalb hatte er ihm auch genaue Anweisungen erteilt, wie der Geldbetrag übergeben werden sollte. Dieses Ziel hat er nicht erreicht. Es blieb daher beim Versuch.
Nicht anders wäre zu entscheiden, wenn schon das mündliche Versprechen, die Provision zu bezahlen, als Deliktserfolg angesehen werden müsste. Auch die Nötigung zu einem rechtswidrigen Zahlungsversprechen erfüllt den Tatbestand. Doch konnte nur ein ernstgemeintes Versprechen, nicht ein solches unter Mentalreservation den Beschwerdeführer zum endgültigen Vertragsabschluss bewegen. Der Architekt hatte sich aber nur zum Schein auf die Provisionsforderung eingelassen und aus diesem Grund bereits am folgenden Tag Anzeige erstattet. Es gelang dem Beschwerdeführer also auch insoweit nicht, den Willen des Opfers zu beugen. Belanglos ist, dass er später davon absah, auf der Bezahlung der Provision zu bestehen. Denn nicht freiwillig, sondern wegen der eingeleiteten administrativen Untersuchung hat er seinen verbrecherischen Willen aufgegeben.
Die Beschwerde ist somit in dem Sinne gutzuheissen, dass die
BGE 105 IV 120 S. 124
Vorinstanz den Beschwerdeführer der versuchten statt der vollendeten Nötigung zu verurteilen hat. | null | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c86cad93-086c-4fff-9b23-914b46b240e3 | Urteilskopf
110 V 360
59. Auszug aus dem Urteil vom 23. Oktober 1984 i.S. Eschmann gegen Schweizerische Ausgleichskasse und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
: Unentgeltliche Verbeiständung.
- Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht, beurteilt sich nach Bundesrecht; die Bemessung der Armenrechtsentschädigung dagegen richtet sich nach kantonalem Recht (Erw. 1b).
- Verhältnis von staatsrechtlicher Beschwerde und Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1c).
- Der unentgeltliche Rechtsbeistand ist legitimiert, gegen die Festsetzung seines Armenrechtshonorars durch die kantonale Rekursbehörde Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen (Erw. 2).
- Kriterien, welche der Sozialversicherungsrichter bei der ermessensweisen Festsetzung der Entschädigung zu berücksichtigen hat; in casu erweist sich die vorinstanzliche Festsetzung des Armenrechtshonorars als ermessensmissbräuchlich und damit willkürlich (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 361
BGE 110 V 360 S. 361
A.-
Armando B. bezog seit anfangs Mai 1978 eine ganze Invalidenrente. Im Rahmen eines Rentenrevisionsverfahrens gelangte die Invalidenversicherungs-Kommission zum Schluss, der Invaliditätsgrad betrage in Übereinstimmung mit der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt nur noch 20%. Am 2. Dezember 1981 verfügte die Ausgleichskasse deshalb die Einstellung der Rentenzahlungen auf Ende Dezember 1981, wobei einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen wurde.
B.-
Hiegegen liess Armando B. durch Rechtsanwalt Eschmann beschwerdeweise beantragen, es sei ihm ab 1. Januar 1982 eine halbe Invalidenrente zuzusprechen und es sei der verfügungsweise entzogene Suspensiveffekt der Beschwerde wiederherzustellen. Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich bewilligte die unentgeltliche Verbeiständung und bestellte Rechtsanwalt Eschmann zum unentgeltlichen Rechtsbeistand.
In der Folge beantragte Rechtsanwalt Eschmann mit Eingabe vom 30. Juni 1982, die Rekurskommission solle ihn aus dem Mandat als unentgeltlicher Rechtsbeistand entlassen.
Die Rekurskommission entsprach diesem Begehren und setzte die Entschädigung an Rechtsanwalt Eschmann auf Fr. 400.-- (Barauslagen inbegriffen) fest.
C.-
Rechtsanwalt Eschmann führt "als unentgeltlicher Rechtsvertreter von Armando B." Verwaltungsgerichtsbeschwerde
BGE 110 V 360 S. 362
mit dem Rechtsbegehren, es sei ihm eine effektiv angemessene Entschädigung auszurichten.
Die Rekurskommission nimmt zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde in ablehnendem Sinne Stellung, während die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichten.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) ...
b) Nach
Art. 69 IVG
erfolgt die Rechtspflege in Invalidenversicherungssachen in sinngemässer Anwendung der Art. 84 bis 86 AHVG. In
Art. 85 Abs. 2 AHVG
wird die Regelung des Rekursverfahrens grundsätzlich - unter Vorbehalt gewisser vereinheitlichender Richtlinien - den Kantonen anheimgestellt (vgl. die bundesrätliche Botschaft vom 24. Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Änderung des AHVG, BBl 1958 II 1285). Lit. f der zitierten Bestimmung lautet: Das Recht, sich verbeiständen zu lassen, ist gewährleistet; wo die Verhältnisse es rechtfertigen, ist dem Beschwerdeführer ein Kostenvorschuss oder die unentgeltliche Verbeiständung zu bewilligen; ferner hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung nach gerichtlicher Festsetzung. Gestützt auf diese Bestimmung hat das Eidg. Versicherungsgericht festgehalten, dass die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen in einem kantonalen Beschwerdeverfahren im AHV/IV-Bereich ein Anspruch des obsiegenden Beschwerdeführers oder weiterer Beteiligter auf Parteientschädigung bestehe, sich nach Bundesrecht beurteile (
BGE 110 V 57
Erw. 3a; ZAK 1984 S. 268 Erw. 3a). Diese Feststellung trifft auch auf die in
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
ebenfalls erwähnte unentgeltliche Verbeiständung zu.
Anderseits enthält das Bundesrecht im AHV-Bereich und den beigeordneten Sozialversicherungszweigen - nebst dem Grundsatz des Entschädigungsanspruches infolge Obsiegens oder im Rahmen der unentgeltlichen Verbeiständung - keine Bestimmungen über die Bemessung der Entschädigung, insbesondere keinen Tarif. Die Regelung dieser Fragen ist dem kantonalen Recht belassen. Mit diesem hat sich das Eidg. Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu befassen. Die Höhe einer Partei- oder Armenrechtsentschädigung hat deshalb das Eidg. Versicherungsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob die Anwendung des hiefür massgeblichen
BGE 110 V 360 S. 363
kantonalen Rechts zu einer Verletzung von Bundesrecht (
Art. 104 lit. a OG
) geführt hat, wobei in diesem Bereich als Beschwerdegrund praktisch nur das Willkürverbot des
Art. 4 Abs. 1 BV
in Betracht fällt (vgl.
BGE 110 V 58
mit Hinweisen; ZAK 1984 S. 268 Erw. 3b).
c) Kann ein Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, so ist die - subsidiäre - staatsrechtliche Beschwerde ausgeschlossen (
Art. 84 Abs. 2 OG
). Da der Beschwerdegrund der Bundesrechtsverletzung (
Art. 104 lit. a OG
) auch die Rüge einer Verletzung verfassungsmässiger Rechte nach
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
umschliesst, übernimmt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insoweit die Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde (
BGE 108 Ib 73
Erw. 1a mit Hinweisen,
BGE 104 Ib 120
f.,
BGE 102 V 125
Erw. 1b mit Hinweisen,
BGE 99 V 57
Erw. 3 und 60, GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 92 und 235).
d) Der kantonale Entscheid, soweit er angefochten ist, hat die Entschädigung von Rechtsanwalt Eschmann mit Fr. 400.-- für seine Bemühungen als unentgeltlicher Rechtsvertreter des Armando B. zum Gegenstand. Die hiegegen eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist im Sinne der Darlegungen gemäss Erw. 1a und b hievor zulässig. Die eventualiter erhobene staatsrechtliche Beschwerde dagegen ist ausgeschlossen (Erw. 1c hievor).
Da es sich im weitern bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG
;
BGE 104 V 6
Erw. 1).
2.
In formellrechtlicher Hinsicht ist sodann zu klären, wer vorliegend beschwerdeführende Partei ist.
Rechtsanwalt Eschmann hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben "in Sachen RA Eschmann, ... als unentgeltlicher Rechtsvertreter von Armando B.". Diese Darstellung wie auch die einzelnen Vorbringen in der Begründung legen den Schluss nahe, dass Rechtsanwalt Eschmann die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in eigenem Namen eingereicht hat. Ein solches Vorgehen ist zweifellos zulässig. Denn mit der Zusprechung von Fr. 400.-- an Rechtsanwalt Eschmann hat die Rekurskommission über den öffentlichen
BGE 110 V 360 S. 364
Entschädigungsanspruch des unentgeltlichen Rechtsbeistandes gegenüber dem Staat verfügt (
BGE 108 Ia 12
,
BGE 95 I 410
f.,
BGE 73 I 370
,
BGE 60 I 13
). Rechtsanwalt Eschmann ist hievon berührt und hat im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
und der dazugehörigen Rechtsprechung (
BGE 109 V 58
; vgl. auch
BGE 109 Ib 199
Erw. 4) ein schutzwürdiges Interesse an der Änderung der vorinstanzlichen Entschädigungsbemessung. Folglich ist er legitimiert, gegen den Entscheid der Rekurskommission Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen.
3.
a) Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe willkürlich gehandelt, indem sie die Armenrechtsentschädigung auf bloss Fr. 400.-- festgesetzt habe. Eine solche Honorierung werde seinen Bemühungen in keiner Weise gerecht. In Wirklichkeit seien ihm in der Zeit vom 17. Dezember 1981 bis 30. Juni 1983 ein Zeitaufwand von 18 Stunden und Unkosten im Betrag von Fr. 184.30 entstanden.
In ihrer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde verweist die Rekurskommission auf eine Eingabe an das Eidg. Versicherungsgericht in Sachen Gertrud Fischer. Darin stellt sich die Rekurskommission auf den Standpunkt, eine "mit grosser Zurückhaltung" bemessene Parteientschädigung bilde ein "Korrelat zur grundsätzlichen Kostenlosigkeit des Verfahrens". Im weitern begründet die Vorinstanz die Festlegung des Armenrechtshonorars auf Fr. 400.-- damit, dass die Beschwerde des Armando B. materiell aussichtslos sei und dass der "vom Anwalt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptete und offenbar betriebene Aufwand mit Rücksicht auf den bescheidenen materiellen Gehalt der ganzen Angelegenheit als übertrieben zu bezeichnen" sei.
b) Nach der Rechtsprechung ist eine Entscheidung willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (
BGE 107 Ia 12
oben mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, bei der Festlegung des Armenrechtshonorars auf Fr. 400.-- habe die Rekurskommission eine Norm des kantonalen Rechts willkürlich missachtet. Denn die Verordnung über das Verfahren der kantonalen AHV-Rekurskommission vom 7. November 1960 enthält weder selbst noch über den Verweis in § 16 auf das subsidiär anwendbare Recht (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozessordnung)
BGE 110 V 360 S. 365
Bestimmungen, wie sich die Höhe des Armenrechtshonorars bemisst; insbesondere ist die Verordnung über die Anwaltsgebühren vom 22. Dezember 1976 nicht anwendbar, weil sie vom Verweis gemäss § 16 der Verfahrensverordnung nicht erfasst wird.
Somit bleibt zu prüfen, ob die Rekurskommission bei der Ausübung des ihr zustehenden Ermessensspielraumes in Willkür verfallen ist. Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür und von rechtsungleicher Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt (
BGE 108 Ib 205
Erw. 4a,
BGE 98 V 131
Erw. 2 mit Hinweisen; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl., Bd. I, S. 417).
c) Praxisgemäss ist dem Richter bei der Bemessung der Partei- oder Armenrechtsentschädigung ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen (
BGE 109 Ia 109
Erw. 2c). Im Rahmen seines Ermessens hat er für die Bestimmung der Höhe eines Anwaltshonorars die Wichtigkeit der Streitsache, ihre Schwierigkeit sowie den Umfang der Arbeitsleistung und den Zeitaufwand zu berücksichtigen (vgl. Art. 2 des Tarifs des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 26. Januar 1979). Dabei ist für die Beurteilung der Wichtigkeit der Streitsache nicht der frankenmässige Streitwert im zivilprozessualen Sinne massgebend. Nach der Rechtsprechung darf der Sozialversicherungsrichter sodann auch mit berücksichtigen, dass der Sozialversicherungsprozess im Unterschied zum Zivilprozess von der Untersuchungsmaxime beherrscht wird, wodurch in vielen Fällen die Arbeit des Anwaltes erleichtert wird (
BGE 98 V 126
Erw. 4c; ZAK 1969 S. 599; in
BGE 108 V 111
nicht publizierte Erw. 4 des Urteils Honegger vom 21. Mai 1982, nicht veröffentlichte Urteile Fischer, Grossert und Travi vom 24. April 1984). In Anwendung dieser Grundsätze hat das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil Travi die vorinstanzlich zugesprochene Parteientschädigung von Fr. 300.-- in einem Fall, der keine besonderen Schwierigkeiten bot und lediglich die Ausarbeitung einer 4seitigen Beschwerdeschrift erforderte, nicht beanstandet. Zum gleichen Schluss ist das Gericht im Urteil Grossert gekommen, in welcher Sache die Vorinstanz die Ausarbeitung einer 10seitigen Klageantwortschrift und einer 7seitigen Duplik mit Fr. 900.-- honorierte. Dagegen hat das Gericht im Fall Fischer die von der Rekurskommission
BGE 110 V 360 S. 366
auf Fr. 100.-- festgelegte Parteientschädigung um 250 Franken erhöht, wobei es für die Ausarbeitung einer 4seitigen Beschwerdeschrift in einer leichteren Sache den geltend gemachten Zeitaufwand von 3 Stunden und 20 Minuten bei einem geforderten Stundenansatz von Fr. 100.-- anerkannte. Im nicht veröffentlichten Urteil Dunst vom 18. Juni 1984 schliesslich hat das Gericht eine vorinstanzlich auf Fr. 100.-- festgesetzte Parteientschädigung zwar unbeanstandet gelassen, dies jedoch wesentlich aus dem Grunde, dass der Versicherte nur in geringem Ausmass obsiegte.
d) Im bereits mehrfach erwähnten Urteil Fischer hat das Eidg. Versicherungsgericht die Auffassung der Rekurskommission, eine mit grosser Zurückhaltung bemessene Parteientschädigung bilde ein Korrelat zur grundsätzlichen Kostenlosigkeit des Verfahrens, als verfehlt bezeichnet. Daran ist auch im vorliegenden Fall, der die unentgeltliche Verbeiständung betrifft, festzuhalten. Ebensowenig zu überzeugen vermag das Argument der Vorinstanz, bei der Festlegung des Armenrechtshonorars sei die materielle Aussichtslosigkeit der Beschwerde, mit welcher die Weiterausrichtung einer halben Invalidenrente über Ende Dezember 1981 hinaus verlangt worden war, zu berücksichtigen gewesen. Der Gesichtspunkt der Aussichtslosigkeit ist wohl für die grundsätzliche Frage von Bedeutung, ob die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren sei (vgl.
Art. 152 Abs. 1 und Abs. 2 OG
). Hingegen ist es nicht angängig, die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren, dann aber dem Armenrechtsanwalt eine angemessene Honorierung mit dem Hinweis darauf zu verweigern, seine rechtlichen Schritte in der Hauptsache seien aussichtslos gewesen. Im übrigen konnte der beschwerdeweise geltend gemachte Rentenanspruch des Armando B. jedenfalls im Zeitpunkt der Einreichung der vorinstanzlichen Beschwerde und der ergänzenden Eingabe vom 3. Februar 1982 nicht als aussichtslos bezeichnet werden. Vielmehr waren die Prozessaussichten in der Hauptsache damals ungewiss ...
e) Was den Arbeitsaufwand anbelangt, geht aus den Akten hervor, dass der Beschwerdeführer am 21. Dezember 1981 von Armando B. mit der Interessenwahrung betraut wurde und sogleich bei der Verwaltung um Akteneinsicht nachsuchte. Am 4. Januar 1982 reichte er eine 8seitige Beschwerdeschrift gegen die Rentenaufhebungsverfügung vom 2. Dezember 1981 ein. Am 3. Februar 1982 liess er der Rekursbehörde eine ergänzende 6seitige Eingabe zugehen, nachdem es ihm erst in der Zwischenzeit ermöglicht worden war, die Akten der SUVA beizuziehen.
BGE 110 V 360 S. 367
Am 8. März 1982 reichte er der Rekurskommission eine Kopie des an die SUVA gerichteten Gesuchs um Revision der laufenden 20%igen Invalidenrente ein. Zu berücksichtigen ist sodann, dass die Beschwerdesache zum Teil recht schwierige Punkte prozessualer und materiellrechtlicher Natur aufwies, wie etwa die Frage nach der Bedeutung der bestehenden Invalidenrente der SUVA und ihrer allfälligen Revision für die Rentenberechtigung gegenüber der Invalidenversicherung. Deshalb ist auch für das Studium der - umfangreichen - Akten und für die Abklärung der Rechtslage ein gewisser Zeitaufwand anzuerkennen. Es trägt diesen tatsächlichen Verhältnissen in keiner Weise Rechnung, wenn die Rekurskommission den Beschwerdeführer für alle diese zur Interessenwahrung seines Klienten gebotenen Schritte mit Fr. 400.-- honorierte. Die Vorinstanz hat daher ihr Ermessen missbraucht. Die Festsetzung des Armenrechtshonorars auf Fr. 400.-- ist willkürlich im Sinne von
Art. 4 BV
.
Aus diesem Grund ist der vorinstanzliche Entscheid, soweit darin dem Beschwerdeführer ein Honorar im Rahmen der unentgeltlichen Verbeiständung von Fr. 400.-- zugesprochen wird, aufzuheben. Die Sache ist an die Rekurskommission zurückzuweisen, damit diese über die Armenrechtsentschädigung in masslicher Hinsicht neu entscheide. Hiebei wird die Vorinstanz den geltend gemachten Aufwand im Lichte der in Erw. 3c hievor dargelegten Rechtsprechung beurteilen ... | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c870190c-16fb-458a-8f95-5bc87138cee2 | Urteilskopf
82 IV 103
22. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juli 1956 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 192 Ziff. 2,
Art. 213 Abs. 2 und 4 StGB
.
Ist die für die qualifizierte Blutschande geltende zweijährige Verjährungsfrist auf andere unzuchtige Handlungen des Vaters mit seinem unmündigen, mehr als sechzehn Jahre alten Kinde analog anzuwenden? | Sachverhalt
ab Seite 104
BGE 82 IV 103 S. 104
A.-
B. fuhr in der Zeit zwischen Sommer 1950 und Sommer 1952 mit seiner im März 1934 geborenen Tochter wiederholt per Auto von X Richtung Y. Unweit Y hielt er jeweils den Wagen an, entblösste seinen Penis und stiess ihn seiner Tochter, an der er sich schon in früheren Jahren unzüchtig vergangen hatte, zwischen die Schenkel.
B.-
Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich sprach B. am 27. Januar 1956 unter anderem der wiederholten Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren (
Art. 192 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
) schuldig und verurteilte ihn unter Anrechnung von siebzehn Tagen Untersuchungshaft zu achtzehn Monaten Zuchthaus und drei Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
C.-
B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung von der Anklage der Unzucht mit einer unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er macht geltend, die in der Zeit zwischen Sommer 1950 und Sommer 1952 an seiner Tochter begangenen beischlafsähnlichen Handlungen seien verjährt.
D.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Beischlaf des Vaters mit seinem unmündigen, mehr als sechzehn Jahre alten Kinde steht unter der Strafandrohung von Zuchthaus bis zu zehn Jahren (
Art. 213 Abs. 2 StGB
). Andere unzüchtige Handlungen mit einem solchen Kinde werden als Sittlichkeitsverbrechen mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis bestraft (
Art. 192 Ziff. 2 StGB
). Die Verfolgungsverjährung für die mit der schwereren Strafe bedrohte qualifizierte Blutschande ist indessen auf zwei Jahre befristet (
Art.
BGE 82 IV 103 S. 105
213 Abs. 4 StGB), während für Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen mangels einer besonderen Verjährungsvorschrift die ordentliche zehnjährige Frist gilt (
Art. 70 Abs. 2 StGB
). Darin liegt ein Widerspruch. Das wurde auch in
BGE 72 IV 137
anerkannt. Angesichts der Stellung aber, welche die besondere Verjährungsbestimmung im Rahmen des
Art. 213 StGB
einnimmt, hat es der Kassationshof abgelehnt, den Anwendungsbereich der zweijährigen Verjährungsfrist auf den Tatbestand der einfachen Blutschande (
Art. 213 Abs. 1 StGB
) zu beschränken und das qualifizierte Delikt (
Art. 213 Abs. 2 StGB
) der ordentlichen Verjährung von zehn Jahren zu unterstellen. Er hielt dafür, dass es dem Strafrichter nicht zustehe, sich über die Regelung des
Art. 213 StGB
hinwegzusetzen, möge auch der Wortlaut des Gesetzes noch so sehr auf ein Versehen zurückgeführt werden (vgl. ebenso LOGOZ, Kommentar, N. 5 zu Art. 213; PFENNINGER, SJZ 46, S. 326; SCHWANDER, Das schweiz. Strafrecht, S. 322; WILLI, SJZ 46, S. 325; anders WAIBLINGER, ZbJV 84, S. 467 und die Frage offen lassend in Berner Festgabe für den schweiz. Juristenverein 1955, S. 239, Anm. 1). Daran ist festzuhalten.
2.
Dem widersetzt sich auch der Beschwerdeführer nicht. Dagegen macht er geltend, es liege in
Art. 192 StGB
eine Wertungslücke vor, die durch analoge Anwendung der kürzeren Verjährungsfrist des
Art. 213 Abs. 4 StGB
auf den Tatbestand der Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren auszufüllen sei, "soweit es sich beim Täter um den Vater des Opfers handelt". Dem ist nicht beizupflichten. Das Versehen des Gesetzgebers, auf das nach dem Gesagten die bestehende Ungereimtheit offenbar zurückzuführen ist, liegt nicht in
Art. 192 StGB
, sondern in der Regelung des
Art. 213 StGB
. Dass für Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen keine besondere Verjährungsvorschrift besteht, sondern die ordentliche Verjährungsfrist des
Art. 70 Abs. 2 StGB
gilt, entspricht der dem Gesetz innewohnenden
BGE 82 IV 103 S. 106
Wertung:
Art. 192 StGB
will die heranwachsende Jugend gegen Angriffe auf ihre sittliche Unversehrtheit schützen. Das ergibt sich aus seiner Einordnung unter die strafbaren Handlungen gegen die Sittlichkeit und dem Randtitel, währenddem
Art. 213 StGB
unter den Verbrechen und Vergehen gegen die Familie aufgeführt ist. Der von
Art. 192 StGB
verfolgte Zweck wird aber durch die 10-jährige Verjährungsfrist besser gewährleistet als durch die kürzere des
Art. 213 Abs. 4 StGB
. Die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den Tatbestand der Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren hätte eine erhebliche Schwächung des strafrechtlichen Jugendschutzes zur Folge und widerspräche damit der ratio legis.
Abgesehen davon würde die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Lösung neuen Widersprüchen rufen. So dürfte beispielsweise der Vater, der an seinem unmündigen mehr als sechzehn Jahre alten Kinde "andere unzüchtige Handlungen" vornimmt, nach Ablauf von drei Jahren (Art. 213 Abs. 4 in Verbindung mit
Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB
) nicht mehr verfolgt werden, während dieselben Verfehlungen gegenüber einem im gleichen Familienverband lebenden Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind, das denselben Schutz geniessen soll wie das eigene Kind (vgl. Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2 Abs. 2, Art. 192 Ziff. 2 Abs. 1; PFENNINGER, SJZ 46, S. 326), noch nach zehn Jahren geahndet werden könnten. Folgerichtig müsste somit die kürzere Verjährungsfrist aus dem gleichen Grund, aus dem sie in
Art. 213 StGB
Eingang gefunden hat (Schutz des Familienfriedens; vgl. WAIBLINGER, Festgabe 1955, S. 239, Anm. 1), nicht nur auf "andere unzüchtige Handlungen" des Vaters mit dem eigenen Kinde, sondern überhaupt auf alle Sittlichkeitsdelikte zwischen Familiengenossen Anwendung finden. Die Folgen einer solchen Ordnung wären jedoch unabsehbar und sachlich nicht zu rechtfertigen. Daraus erhellt, dass die im Gesetz liegende Ungereimtheit weder durch richterliche
BGE 82 IV 103 S. 107
Auslegung noch Rechtsfindung, sondern einzig durch Gesetzesänderung zu beheben ist.
3.
Gilt demnach für den Tatbestand der Unzucht mit unmündigen Pflegebefohlenen von mehr als sechzehn Jahren die ordentliche Verjährungsfrist von zehn Jahren, so wurde der Beschwerdeführer zu Recht nach
Art. 192 Ziff. 2 StGB
bestraft.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c87234f7-8ae4-4a0d-bd89-4d24972c5c92 | Urteilskopf
136 II 43
5. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Steinhalden AG und Realcapital Invest AG gegen Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_276/2009 vom 22. September 2009 | Regeste
Art. 1 Abs. 2 und
Art. 23
ter
Abs. 1 BankG
(Fassung vor dem 1. Januar 2009);
Art. 3a Abs. 3 lit. a BankV
;
Art. 10 Abs. 1 und
Art. 2 lit. d BEHG
;
Art. 3 Abs. 2 BEHV
;
Art. 31 und 37 Abs. 3 FINMAG
; Verhältnismässigkeit der aufsichtsrechtlichen Liquidation zweier Firmen, die im Rahmen einer Gruppe finanzmarktrechtlich bewilligungspflichtigen Aktivitäten nachgegangen sind.
Bestätigung der Rechtsprechung bezüglich der Aufsichtsbefugnisse der FINMA gegen Finanzintermediäre, die in Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen als Gruppe arbeitsteilig tätig sind (E. 3 und 4.3). Begriff des Emissionshauses (E. 4.1) und der unerlaubten gewerbsmässigen Entgegennahme von Publikumseinlagen (E. 4.2). Eigenkapitalbezogene Selbstemissionen fallen nicht in den Aufsichtsbereich der EBK bzw. der FINMA, auch wenn ein beigezogener Intermediär anderweitig illegal als Emissionshaus auftritt (E. 4-6). Verhältnismässigkeit der aufsichtsrechtlichen Liquidation einer Holdinggesellschaft, die Beziehungen zu einer bewilligungslos als Emissionshaus tätigen Gruppe unterhält und deren Tochtergesellschaften im Immobilienbereich einer eigenständigen Geschäftstätigkeit nachgehen (E. 7). | Sachverhalt
ab Seite 44
BGE 136 II 43 S. 44
A.
Ab Juli 2007 ermittelte die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) wegen allfälliger Verletzungen finanzmarktrechtlicher Bestimmungen gegen die Steinhalden AG (SAG), die AFT Allgemeine Finanztreuhand AG (AFT), die IIC Interfinance Investment Co. Ltd., Panama (IIC), die UTG Communications International Inc., Delaware (UTG), sowie gegen die Realcapital Invest AG (RCIAG bzw. RIAG). Am 1. November 2007 stellte sie fest, dass diese Gesellschaften in Verletzung des Bundesgesetzes vom 8. November 1934 über die Banken und Sparkassen (BankG; SR 952.0) bzw. des Bundesgesetzes vom 24. März 1995 über die Börsen und den Effektenhandel (BEHG; SR 954.1) gewerbsmässig Publikumseinlagen entgegengenommen hätten bzw. einer bewilligungspflichtigen Effektenhandelstätigkeit nachgegangen seien. Sie eröffnete über die AFT Allgemeine Finanztreuhand AG den bankenrechtlichen Konkurs; die weiteren Firmen versetzte sie in Liquidation. A. und B. wurde verboten, unter jeglicher Bezeichnung selbst oder über Dritte Publikumseinlagen gewerbsmässig entgegenzunehmen, bewilligungspflichtige Bank- oder Effektenhandelstätigkeiten auszuüben oder hierfür in Inseraten, Prospekten, Rundschreiben, elektronischen oder anderen Medien zu werben.
BGE 136 II 43 S. 45
B.
Am 20. März 2009 hiess das Bundesverwaltungsgericht die von der Steinhalden AG, der AFT Allgemeine Finanztreuhand AG (in Liquidation) und der Realcapital Invest AG hiergegen eingereichte Beschwerde teilweise gut. Es hob die Ziffer 1 der Verfügung der EBK insoweit auf, als darin festgestellt wurde, "die Beschwerdeführerinnen hätten auch gewerbsmässig Publikumseinlagen entgegengenommen, sich öffentlich dazu empfohlen und seien unbewilligt einer Banktätigkeit nachgegangen, womit sie gegen das Bankengesetz verstossen hätten"; im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. Das Bundesverwaltungsgericht liess die Frage offen, ob die Aktivitäten der Steinhalden AG und der Realcapital Invest AG finanzmarktrechtlich relevant wären, würden sie für sich allein betrachtet. Da sie im Gruppenverband mit den anderen Gesellschaften gehandelt hätten, träfen sie die aufsichtsrechtlichen Konsequenzen, "selbst wenn [...] - isoliert betrachtet - nicht alle Tatbestandselemente erfüllt" seien oder "sie selbst überhaupt keine finanzmarktrechtlich relevanten Tätigkeiten" ausgeübt hätten. Die von der EBK angenommene Verletzung des Bankengesetzes sei indessen nicht erstellt, da "ein und dieselbe Geldtransaktion [...] nicht gleichzeitig eine Zahlung für die Zeichnung von Aktien und eine Publikumseinlage sein" könne.
C.
Die Steinhalden AG und die Realcapital Invest AG sind hiergegen an das Bundesgericht gelangt. Sie machen geltend, sie seien Immobilien(holding)gesellschaften, die eigenständigen gewerblichen Geschäftstätigkeiten nachgingen. Die von der EBK beanstandeten Geschäfte seien als Verkäufe aus Eigenbeständen (Steinhalden AG) bzw. Zeichnungsangebote (Realcapital Invest AG) im Rahmen einer Kapitalerhöhung nicht bewilligungspflichtig gewesen. Sie hätten mit den anderen erfassten Gesellschaften lediglich ordentliche Geschäftsbeziehungen unterhalten und könnten nicht bereits deswegen in deren Aktivitäten einbezogen werden. Im Übrigen fehle für ihre (Mit-)Erfassung im Rahmen der Gruppe die für den damit verbundenen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit erforderliche gesetzliche Grundlage.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit sie die aufsichtsrechtliche Liquidation der Realcapital Invest AG betrifft. Es hebt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2009 in diesem Punkt auf und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die FINMA zurück.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
BGE 136 II 43 S. 46
Aus den Erwägungen:
3.
3.1
Die Eidgenössische Bankenkommission (bzw. heute die FINMA) ist befugt, zur Beseitigung von Missständen und zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands alle "notwendigen Verfügungen" zu treffen (vgl.
Art. 23
ter
Abs. 1 BankG
[Fassung vor dem 1. Januar 2009],
Art. 31 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht [FINMAG; SR 956.1]
). Da sie allgemein über die Einhaltung der "gesetzlichen Vorschriften" zu wachen bzw. für die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands zu sorgen hat, ist ihre Aufsicht nicht auf die dem Gesetz unterstellten Betriebe beschränkt. Zu ihrem Aufgabenbereich gehören auch die Abklärung der finanzmarktrechtlichen Bewilligungspflicht und die Ermittlung von Finanzintermediären, die in Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen bewilligungslos tätig sind (
BGE 132 II 382
E. 4.1 mit Hinweisen). Sie ist deshalb berechtigt, die im Gesetz vorgesehenen Mittel auch gegenüber Instituten (oder Personen) einzusetzen, deren Unterstellungs- bzw. Bewilligungspflicht (noch) umstritten ist.
3.2
Geht eine Gesellschaft unbewilligt einer den Banken oder den bewilligten Effektenhändlern vorbehaltenen Tätigkeit nach, kann die EBK bzw. die FINMA sie im Rahmen der allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsgrundsätze (Willkürverbot, Rechtsgleichheits- und Verhältnismässigkeitsgebot, Treu und Glauben usw.) aufsichtsrechtlich liquidieren (
BGE 131 II 306
E. 3.1.2; vgl.
Art. 37 Abs. 3 FINMAG
). Ihr Vorgehen soll dabei den Hauptzwecken der finanzmarktrechtlichen Gesetzgebung, dem Schutz der Gläubiger bzw. Anleger einerseits und der Lauterkeit des Kapitalmarkts andererseits, Rechnung tragen (
BGE 135 II 356
E. 3.1). Erweist sich das betroffene Unternehmen als überschuldet oder dauernd zahlungsunfähig, ist über den unbewilligt auftretenden Finanzintermediär analog den
Art. 33 ff. BankG
(in der Fassung vom 3. Oktober 2003 [AS 2004 2767]) der Bankenkonkurs zu eröffnen und durchzuführen. Dabei braucht die Sanierungsfähigkeit (
Art. 28 ff. BankG
[in der Fassung vom 3. Oktober 2003]) in der Regel nicht mehr gesondert geprüft zu werden. Mit der nachträglichen Verweigerung der Erteilung der erforderlichen Bewilligung und der Anordnung der Liquidation ist eine Fortführung als unterstellter Betrieb ausgeschlossen (
BGE 132 II 382
E. 4.2 S. 388;
BGE 131 II 306
E. 4.1.3 S. 321).
BGE 136 II 43 S. 47
3.3
Die finanzmarktrechtlichen Massnahmen müssen indessen - wie jedes staatliche Handeln - verhältnismässig sein (vgl. zur Einsetzung eines Beobachters:
BGE 126 II 111
E. 5b/bb). Sie sollen mit anderen Worten nicht über das hinausgehen, was zur Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustands erforderlich ist: Geht die Gesellschaft sowohl einer bewilligungspflichtigen als auch einer finanzmarktrechtlich unbedenklichen Aktivität nach, ist nur der bewilligungspflichtige Teil zu liquidieren, falls dies technisch möglich und die erlaubte Geschäftstätigkeit von eigenständiger Bedeutung ist. Es dürfen keine buchhalterisch nicht abgrenzbare finanzielle Mittel, die in Verletzung finanzmarktrechtlicher Bestimmungen generiert wurden, in die nicht bewilligungspflichtige Tätigkeit geflossen sein; zudem muss - etwa aufgrund eines Wechsels in der Geschäftsleitung oder dem Verwaltungsrat - davon ausgegangen werden können, dass künftig kein relevantes Risiko mehr besteht, dass wiederum gesetzeswidrig bewilligungspflichtige Aktivitäten entfaltet werden könnten (vgl.
BGE 131 II 306
E. 3.3 S. 317; Urteil 2C_74/2009 vom 22. Juni 2009 E. 3.2.3).
4.
4.1
Effektenhändler gelten als
Emissionshaus
, wenn sie hauptsächlich im Finanzbereich tätig sind und gewerbsmässig Effekten, welche von Drittpersonen ausgegeben wurden, fest oder in Kommission übernehmen und öffentlich auf dem Primärmarkt anbieten (Art. 3 Abs. 2 der Verordnung vom 2. Dezember 1996 über die Börsen und den Effektenhandel [BEHV; SR 954.11]). Die Tätigkeit ist bewilligungspflichtig (Art. 10 Abs. 1 i.V.m.
Art. 2 lit. d BEHG
; vgl. auch Rundschreiben der EBK [EBK-RS] 1998/2: Effektenhändler, in: THÉVENOZ/ZULAUF, BF 2007, N. 24 ff. zu 31A-21, sowie das Rundschreiben der FINMA 2008/5: Erläuterungen zum Begriff Effektenhändler, N. 24 ff., in:
dieselben
, BF 2009, B-08.05; URS P. ROTH, in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Börsen und den Effektenhandel, 2000, N. 35 ff. zu
Art. 2 lit. d BEHG
). Als
Primärmarkt
wird der Markt bezeichnet, in dem Kapitalmarktpapiere (Aktien, Obligationen usw.) erstmals begeben (emittiert) werden; auf dem Sekundärmarkt werden die emittierten Kapitalmarktpapiere börslich oder ausserbörslich gehandelt (EMCH/RENZ/ARPAGAUS, Das Schweizerische Bankgeschäft, 6. Aufl. 2004, N. 1816). Effektenhändler gehen nur dann einer bewilligungspflichtigen Aktivität als Emissionshaus nach, wenn sie
hauptsächlich
im Finanzbereich tätig sind (
Art. 2 Abs. 1 BEHV
); ihre geschäftlichen Aktivitäten im Finanzbereich müssen gegenüber allfälligen anderen Zwecken (industrieller oder gewerblicher Natur) aufgrund der
BGE 136 II 43 S. 48
Würdigung aller Umstände deutlich überwiegen (EBK-RS 1998/2 N. 7 ff.; PHILIPPE A. HUBER, in: Basler Kommentar, Börsengesetz, 2007, N. 27 zu
Art. 2 lit. d BEHG
).
Gewerbsmässig
handelt, wer das Effektenhandelsgeschäft wirtschaftlich selbständig und unabhängig betreibt. Seine Aktivität muss darauf ausgerichtet sein, regelmässige Erträge aus diesem zu erzielen (EBK-RS 1998/2 N. 11 f.). Das Angebot ist
öffentlich
, wenn es sich an unbestimmt viele Personen richtet (d.h. insbesondere durch Inserate, Prospekte, Rundschreiben oder elektronische Medien verbreitet wird), nicht indessen, wenn damit ausschliesslich in- und ausländische Effektenhändler oder andere staatlich beaufsichtigte Unternehmen, Aktionäre oder Gesellschafter mit einer massgebenden Beteiligung am Schuldner und mit ihnen wirtschaftlich oder familiär verbundene Personen sowie institutionelle Anleger mit professioneller Tresorerie angesprochen werden (EBK-RS 1998/2 N. 14 f.). Keine Tätigkeit als Emissionshaus übt aus, wer Effekten ohne öffentliches Angebot bei weniger als 20 Kunden platziert (EBK-RS 1998/2 N. 28). Nicht unter die börsenrechtliche Bewilligungspflicht fällt - anders als der "Underwriter", d.h. das Mitglied eines Syndikats, das sich verpflichtet, Titel, die nicht platziert werden können, selber zu übernehmen (PHILIPPE A. HUBER, a.a.O., N. 41 zu
Art. 2 lit. d BEHG
) - der Emittent: Die Emission eigener Beteiligungspapiere unterliegt nicht dem Börsengesetz; ebenso wenig die bloss technische Festübernahme, die es einer Aktiengesellschaft erlaubt, eine Kapitalerhöhung (Kapitalerhöhungsbeschluss und Feststellung der Liberierung) in einem Schritt durchzuführen: Die emittierten Aktien sind den Aktionären nach den Vorschriften des Aktienrechts anzubieten; dabei stehen regelmässig keine BEHG-relevanten Anlegerschutz- und Funktionsinteressen auf dem Spiel (URS P. ROTH, a.a.O., N. 37 zu
Art. 2 lit. d BEHG
).
4.2
Natürlichen und juristischen Personen, die nicht dem Bankengesetz unterstehen, ist es untersagt, gewerbsmässig Publikumseinlagen entgegenzunehmen. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen, sofern der Schutz der Einleger gewährleistet ist (
Art. 1 Abs. 2 BankG
[in der Fassung vom 18. März 1994]). Die Entgegennahme von Publikumseinlagen, das bankenmässige Passivgeschäft, besteht darin, dass ein Unternehmen gewerbsmässig Verpflichtungen gegenüber Dritten eingeht, d.h. selber zum Rückzahlungsschuldner der entsprechenden Leistung wird (
BGE 132 II 382
E. 6.3.1 S. 391 mit Hinweisen; vgl. EMCH/RENZ/ARPAGAUS, a.a.O., N. 1227 ff.). Dabei gelten grundsätzlich alle Verbindlichkeiten als
Einlagen
(vgl. EBK-RS 1996/4:
BGE 136 II 43 S. 49
Gewerbsmässige Entgegennahme von Publikumseinlagen durch Nichtbanken imSinne des Bankengesetzes, in: THÉVENOZ/ZULAUF, BF 2007, N. 10 zu 31A-15). Ausgenommen davon sind unter gewissen, eng umschriebenen Voraussetzungen fremde Mittel ohne Darlehens- oder Hinterlegungscharakter (Art. 3a Abs. 3 lit. a [in der Fassung vom 12. Dezember 1994] der Verordnung vom 17. Mai 1972 über die Banken und Sparkassen, BankV; SR 952.02), Anleihensobligationen (
Art. 3a Abs. 3 lit. b BankV
), Abwicklungskonti (
Art. 3a Abs. 3 lit. c BankV
),Gelder für Lebensversicherungen und die berufliche Vorsorge (
Art. 3a Abs. 3 lit. d BankV
) sowie Zahlungsmittel und Zahlungssysteme (N. 18
bis
EBK-RS 1996/4; vgl. zum Ganzen:
BGE 131 II 306
E. 3.2.1). Keine
Publikums
einlagen bilden Einlagen von Banken oder anderen staatlich beaufsichtigten Unternehmen (
Art. 3a Abs. 4 lit. a BankV
), Aktionären oder Gesellschaftern mit einer qualifizierten Beteiligung am Schuldner (
Art. 3a Abs. 4 lit. b BankV
; vgl. hierzu KLEINER/SCHWOB, in: Kommentar zum Bundesgesetz über die Bankenund Sparkassen, 2004, N. 38 zu
Art. 1 BankG
[Ausgabe April 2004]), von institutionellen Anlegern mit professioneller Tresorerie (Art. 3aAbs. 4 lit. c BankV), von Einlegern bei Vereinen, Stiftungen und Genossenschaften, sofern diese "in keiner Weise im Finanzbereich tätigsind" (
Art. 3a Abs. 4 lit. d BankV
), sowie von Arbeitnehmern bei ihrem Arbeitgeber (
Art. 3a Abs. 4 lit. e BankV
).
Gewerbsmässig
im Sinne des Bankengesetzes handelt, wer dauernd mehr als 20 Publikumseinlagen hält (
Art. 3a Abs. 2 BankV
) oder in Inseraten, Prospekten, Rundschreiben oder elektronischen Medien für die gewerbsmässige Entgegennahme von Geldern wirbt (vgl.
Art. 3 Abs. 1 BankV
;
BGE 132 II 382
E. 6.3.1 S. 391;
BGE 131 II 306
E. 3.2.1).
4.3
4.3.1
Wie das Bundesgericht in zwei jüngeren Entscheiden bestätigt hat, kann eine bewilligungspflichtige Aktivität als Effektenhändler bzw. eine bankengesetzlich unzulässige Entgegennahme von Publikumsgeldern auch bei einem arbeitsteiligen Vorgehen im Rahmen einer Gruppe vorliegen: Die Bewilligungspflicht und die finanzmarktrechtliche Aufsicht sollen nicht dadurch umgangen werden können, dass jedes einzelne Unternehmen bzw. die dahinter stehenden Personen für sich allein nicht alle Voraussetzungen für die Bewilligungspflicht erfüllen - etwa je weniger als 20 Einlagen halten -, im Resultat gemeinsam aber dennoch eine bewilligungspflichtige Tätigkeit ausüben. Der Schutz des Marktes und der Anleger (vgl.
Art. 5 FINMAG
) rechtfertigt trotz formaljuristischer Trennung der
BGE 136 II 43 S. 50
Strukturen finanzmarktrechtlich eine einheitliche (wirtschaftliche) Betrachtungsweise, falls zwischen den einzelnen Personen und/oder Gesellschaften enge wirtschaftliche (finanzielle/geschäftliche), organisatorische oder personelle Verflechtungen bestehen und vernünftigerweise einzig eine Gesamtbetrachtung den faktischen Gegebenheiten und der Zielsetzung der Finanzmarktaufsicht gerecht wird. Ein gruppenweises Handeln kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Beteiligten gegen aussen als Einheit auftreten bzw. aufgrund der Umstände (Verwischen der rechtlichen und buchhalterischen Grenzen zwischen den Beteiligten; faktisch gleicher Geschäftssitz; wirtschaftlich unbegründete, verschachtelte Beteiligungsverhältnisse; zwischengeschaltete Treuhandstrukturen) davon auszugehen ist, dass koordiniert - ausdrücklich oder stillschweigend arbeitsteilig und zielgerichtet - eine gemeinsame Aktivität im aufsichtsrechtlichen Sinn ausgeübt wird (vgl.
BGE 135 II 356
E. 3.2 mit Hinweisen auf die bisherige Rechtsprechung, bestätigt im Urteil 2C_74/2009 vom 22. Juni 2009 E. 2.2.2 und E. 3).
4.3.2
Was die Beschwerdeführerinnen gestützt auf ein privates Rechtsgutachten vom 27. April 2009 (Prof. R.) hiergegen einwenden, überzeugt nicht: Richtig ist, dass weder das Banken- noch das Börsengesetz ausdrücklich eine Regelung bezüglich der Liquidation von im Rahmen einer Gruppe tätigen Finanzintermediären enthält und die Auflösung einer juristischen Person einen schweren Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (vgl.
Art. 27,
Art 94 sowie
Art. 95 Abs. 1 BV
) und allenfalls in die Eigentumsgarantie (
Art. 26 BV
) bedeutet. Nach
Art. 23
ter
Abs. 1 BankG
bzw.
Art. 35 Abs. 3 BEHG
(AS 1997 78) trifft die Finanzmarktaufsichtsbehörde indessen die zur Beseitigung der von ihr festgestellten Missstände nötigen Verfügungen. Diese gesetzliche Grundlage deckt im Interesse der Anleger und des Finanzplatzes auch Anordnungen gegen Finanzintermediäre ab, die in Verletzung bzw. in Umgehung finanzmarktrechtlicher Bestimmungen bewilligungslos tätig sind, und erlaubt, ihnen gegenüber die für die überwachten Händler im Gesetz geregelten Sanktionen und Verwaltungsmassnahmen analog anzuwenden. Die erforderlichen Einschränkungen ergeben sich aus den jeweils zu berücksichtigenden verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, wie sie das Bundesgericht konkretisiert hat. Bei sämtlichen Massnahmen (Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten, Liquidation, Bankenkonkurs usw.) kommt dabei - wegen der Offenheit der Gesetzesgrundlage - dem Verhältnismässigkeitsprinzip eine besondere Bedeutung
BGE 136 II 43 S. 51
zu. Die Eingriffsvoraussetzungen von
Art. 36 BV
sind somit grundsätzlich erfüllt, ohne dass - wie dies die Beschwerdeführerinnen tun - auf den abweichenden Gruppenbegriff im Zusammenhang mit den börsenrechtlichen Meldepflichten (
Art. 20 BEHG
) oder der bankenrechtlichen Gruppenaufsicht (vgl. Art. 3c bzw.
Art. 4
ter
BankG
) zurückgegriffen werden müsste, zumal diese anderen Zwecken dienen als die gruppenmässige Erfassung von bewilligungslos tätigen Intermediären.
4.3.3
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der bundesgerichtlichen Praxis in
Art. 31 FINMAG
hieran festgehalten, nachdem bereits der Bundesrat in seiner Botschaft darauf hingewiesen hatte, dass die Neuformulierung den bisherigen Regelungen in den Finanzmarktgesetzen entspreche und die Pflicht der FINMA statuiere, bei Missständen für die Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustands zu sorgen, wobei sie den "Grundsatz der Verhältnismässigkeit" zu beachten habe (BBl 2006 2829 ff., 2880 ff. Ziff. 2.3.2 [S. 2881]). Die FINMA entzieht nach
Art. 37 FINMAG
dem Beaufsichtigten die Bewilligung, wenn er die Voraussetzungen für die Tätigkeit nicht mehr erfüllt oder aufsichtsrechtliche Bestimmungen schwer verletzt, wobei sich die Folgen nach dem jeweiligen Finanzmarktgesetz richten. Diese gelten "analog, wenn eine Beaufsichtigte oder ein Beaufsichtigter tätig ist, ohne über eine Bewilligung, eine Anerkennung, eine Zulassung oder eine Registrierung zu verfügen" (
Art. 37 Abs. 3 FINMAG
; vgl. ZULAUF/WYSS/ROTH, Finanzmarktenforcement, 2008, S. 248 ff.). Die Regelung gebe - so der Bundesrat - die bisher vom Bundesgericht geschützte Praxis der EBK zur Liquidation illegaler Banken und Effektenhändlerinnen und -händler wieder, die fortgesetzt werden solle (BBl 2006 2829 ff., 2885 Ziff. 2.3.2 a.E.). Das Erfassen von bewilligungslos tätigen Intermediären im Rahmen einer Gruppe aufgrund einer wirtschaftlichen (statt rein formellen) Betrachtungsweise mit den entsprechenden aufsichtsrechtlichen Konsequenzen richtet sich gegen den Rechtsmissbrauch (vgl.
BGE 133 II 6
E. 3.2) und soll verhindern, dass Akteure, die in Umgehung der finanzmarktrechtlichen Auflagen handeln, besser gestellt werden, als wer sich gesetzeskonform der Aufsicht der staatlichen Behörden unterwirft.
5.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verhalten der AFT Allgemeine Finanztreuhand AG (in Liquidation) - wie bereits die Bankenkommission - als öffentliches gewerbsmässiges Anbieten von Effekten bzw. Aktien eingestuft. Die Vorgehensweise sei immer dieselbe gewesen: Die Mitarbeiter bzw. die Organe der AFT hätten telefonisch
BGE 136 II 43 S. 52
und anschliessend persönlich potentielle Investoren kontaktiert und überzeugt, nicht börsenkotierte Aktien unter anderem der Hematec Holding AG, der NicStic AG, der Libidfit AG sowie der Realcapital Invest AG zu erwerben. Den Investoren sei in Aussicht gestellt worden, die Aktien jeweils in wenigen Monaten zu einem Mehrfachen ihres Kaufpreises weiterveräussern zu können; teilweise wurde ihnen auch zugesichert, dass die AFT diese gegebenenfalls zurückkaufen bzw. weiterverkaufen könnte. Der in Aussicht gestellte Börsengang habe in der Folge nie stattgefunden; die angebotenen Aktien hätten sich vielmehr als Non-Valeur erwiesen; ein reeller Marktpreis habe nicht bestanden. Die Aktien seien unter den involvierten Gesellschaften nicht direkt bezahlt, sondern der Kaufpreis mit vorbestehenden Forderungen von fraglicher Werthaltigkeit verrechnet oder mittels verrechnungsmässiger Tatbestände im Rahmen von Kontokorrentverhältnissen beglichen worden, sodass kein direkter Mittelfluss zur Bezahlung der Papiere aktenmässig nachweisbar sei; teilweise seien die Aktien in diesem Rahmen aufgrund von unzulässigen Pfandverfallsabreden dem Publikum angeboten worden. Der AFT seien aus dieser Geschäftstätigkeit von diversen Privatpersonen Gelder im Umfang von mehreren Millionen Franken zugeflossen. Dieser Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist der AFT gegenüber in Rechtskraft erwachsen und hier nicht mehr zu prüfen. Ein ähnlicher Handel mit Titeln der Hematec Holding AG, der NicStic AG, der Libidfit AG lag im Übrigen dem Urteil
BGE 135 II 356
zugrunde. Fraglich ist vorliegend indessen, ob und wieweit die Steinhalden AG bzw. die Realcapital Invest AG ihrerseits - allein oder als Gruppe verbunden mit der AFT und den weiteren involvierten Gesellschaften um diese bzw. um A. und B. herum - einer bewilligungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen sind.
6.
6.1
Die Steinhalden AG ist am 12. August 1986 als Socimex Immobilien AG gegründet worden; ihr Name wurde am 11. September 1992 in den heutigen abgeändert. Einziges Mitglied des Verwaltungsrats ist A.; ihm und seiner Frau gehören die 2'000 Namenaktien zu Fr. 100.-. Die Steinhalden AG hält und betreibt ein Geschäftshaus von 5'000 m
2
, das zum Zeitpunkt der Eröffnung der aufsichtsrechtlichen Untersuchung an die Media Markt (Schweiz) AG, einen Limousinenservice und die AFT Allgemeine Treuhand AG vermietet war. Hieraus wurden teilweise - so der für das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren verbindlich festgestellte Sachverhalt (vgl.
Art. 105 BGG
) -
BGE 136 II 43 S. 53
Erträge erwirtschaftet, die den Aufwand für die Hypothekarzinsen "weit" überstiegen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Steinhalden AG tatsächlich einer eigenen gewerblichen Geschäftstätigkeit nachgeht, wobei die Verwaltungsaufgaben von den Aktionären A. und seiner Frau wahrgenommen werden.
6.2
Auf dem Konto der Steinhalden AG sind zwischen dem 15. April und dem 18. Juni 2004 Einzahlungen über mindestens 1,25 Mio. Fr. eingegangen, welche laut Zahlungsvermerk den Kauf oder die Zeichnung von Libidfit-Aktien betrafen. Die Steinhalden AG begründete dieses Geschäft damit, dass sie 800'000 Libidfit-Aktien an die ICC verkauft habe, welche ihr den Kaufpreis ratenweise überwies, bzw. dass sie diese mandatiert habe, die Aktien aus ihrem Eigenbestand zu verkaufen. Der bei den Akten liegende Vertrag sieht vor, dass die ICC die entsprechenden Aktien nicht öffentlich und nur an wenige, qualifizierte Käufer veräussern dürfe, woran diese sich in der Folge nicht gehalten hat. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass aufgrund der vorliegend zu berücksichtigenden Unterlagen nicht als belegt gelten kann, dass die Steinhalden AG selber Libidfit-Wertpapiere auf dem Primärmarkt im Rahmen einer hauptsächlichen Geschäftstätigkeit im Finanzbereich angeboten hat und somit selber illegal als Emissionshaus tätig geworden ist.
6.3
6.3.1
Das Bundesverwaltungsgericht durfte indessen die Steinhalden AG in die Aktivitäten der Gruppe um die AFT miteinbeziehen und in diesem Rahmen gegen sie aufsichtsrechtlich vorgehen: A. war sowohl bei der AFT als auch bei der Steinhalden AG, der Realcapital Invest AG sowie der IIC und UTG zeichnungsberechtigt. B. war seinerseits sowohl Geschäftsführer der AFT wie der IIC. Nach Aussagen von A. sollen die Aktien der AFT vollumfänglich diesem gehören; B. seinerseits erklärte indessen, sie gehörten ihm und A. gemeinsam. Das umstrittene Konzept eines mit Aktien und Zertifikaten von Start-Up-Firmen handelnden Finanzintermediärs wurde über die von ihnen beherrschten Firmen realisiert, wobei diese durch die Verschiebungen der Aktien jeweils dazu dienten, trotz fragwürdiger Werthaltigkeit einzelner Papiere entsprechende Kurse stellen zu können. Die Steinhalden AG wurde von den gleichen Büroräumlichkeiten aus betrieben wie die Allgemeine Finanztreuhand AG und die UTG bzw. die IIC, wobei die gleichen Telefon- und Faxnummern verwendet wurden. Es konnten dort auch deren Geschäftsunterlagen sichergestellt werden. Die Steinhalden AG war Mitbegründerin der
BGE 136 II 43 S. 54
Allgemeinen Finanztreuhand AG; zwischen ihnen kam es zu wechselseitigen Zahlungen, für die keine nachvollziehbaren wirtschaftlichen Begründungen ersichtlich sind.
6.3.2
Der Schluss des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des Untersuchungsbeauftragten, dass der Empfängerin offenbar jeweils kurzfristig Liquiditäten zur Verfügung gestellt werden sollten, um dem drohenden Konkurs zu entgehen bzw. um die Empfängergesellschaften "aufzublähen", um mehr Fremdgelder "anzulocken", ist aufgrund der Umstände und des Verhaltens der Betroffenen beweiswürdigungsrechtlich vertretbar: Die Organe der AFT und der Steinhalden AG versuchten wiederholt, die Ermittlungen zu erschweren bzw. den Zugang zu den verschiedenen Unterlagen ihrer Geschäftstätigkeit zu vereiteln (Verschweigen von Verschlüsselungskoden, Konten, Archivräumlichkeiten sowie widersprüchliche Angaben), was die Vorinstanzen bei ihrer Einschätzung mitberücksichtigen durften. Der Beitrag der Steinhalden AG floss in einer Art in das über A. und B. koordinierte Gruppenverhalten ein, welche sie - trotz bloss einmaligen Verkaufs von 800'000 Libidfit-Aktien - als Teil des (Gesamt-) Systems erscheinen lässt. Die Geschäfte der Steinhalden AG mit den anderen Gruppenmitgliedern bildeten Teil der Pläne und Aktivitäten, über eine verschachtelte Struktur von unter sich wirtschaftlich verbundenen Gesellschaften Drittanlegern öffentlich auf dem Primärmarkt Effekten von zweifelhafter, teilweise vorgespiegelter Werthaltigkeit, anzubieten (vgl.
BGE 135 II 356
E. 4.3).
6.3.3
Die Aktivitäten der Steinhalden AG gingen über die Verwaltung einer einzelnen Immobilie hinaus; dabei handelte es sich um eine untergeordnete Tätigkeit, welche weder ihrem Einbezug in die bewilligungspflichtige Gruppe noch ihrer aufsichtsrechtlichen Liquidation entgegenstand (vgl.
BGE 131 II 306
E. 3.3 S. 317). Der Einwand der Steinhalden AG, sie selber sei bei den Geschäften der anderen Gruppenmitglieder nicht gegen aussen aufgetreten und von den Anlegern deshalb - worauf es beim Gruppenbegriff ankomme (Urteile 2A.442/1999 vom 21. Februar 2000 E. 3b/dd und 2A.332/2006 vom 6. März 2007 E. 5.2.4) - auch nicht als Teil von deren Handeln wahrgenommen worden, überzeugt nicht: Ein aufsichtsrechtlich begründetes Schutzbedürfnis von Anlegern und Finanzplatz besteht nicht nur gegenüber nach aussen illegal in einem bewilligungspflichtigen Bereich auftretenden Finanzintermediären, sondern auch gegen Mitbeteiligte, die trotz ihrer Aktivität im Hintergrund als Teil des Systems gelten müssen, weil koordiniert und arbeitsteilig vorgegangen wird. Im
BGE 136 II 43 S. 55
Übrigen ist die Steinhalden AG tatsächlich nach aussen aufgetreten, wobei ihr Handeln als auswechselbarer Teil der Tätigkeit der Unternehmensgruppe wahrgenommen wurde. Dies ergibt sich etwa aus derZivilklage eines Anlegers vom 24. April 2006, der im Sommer 2004 von der AFT Libidfit-Aktien für Fr. 30'000.- und Hematec-Holding-Aktien für Fr. 40'000.- erworben und im März 2005 ein neues Geschäft mit Hematec-Holding-Aktien (für Fr. 50'000.-) getätigt hatte. B. hat dabei unter anderem für die Steinhalden AG, die AFT Allgemeine Finanztreuhand AG, die IIC Interfinance Investments Ltd. und die IBC Group AG gehandelt, wobei nicht klar gewesen ist, mit wem das Geschäft eigentlich geschlossen wurde, da alle involvierten Firmen über die gleiche Adresse verfügten und sich jeweils vertraten.
7.
7.1
Heikler erscheint die Frage, ob auch die Realcapital Invest AG zur illegal als Emissionshaus tätigen Gruppe gerechnet werden durfte und ob deren aufsichtsrechtliche Liquidation gerechtfertigt war. Die Realcapital Invest AG wurde am 9. Dezember 2004 gegründet. Ihr heutiges Grundkapital beträgt Fr. 4'357'000.-; es ist eingeteilt in 407'000 Namenaktien (Stimmrechtsaktien) à Fr. 1.- und 395'000 Inhaberaktien à Fr. 10.-. Die Gesellschaft soll 15 Aktionären gehören, die das entsprechende Kapital grösstenteils im Rahmen verschiedener Kapitalerhöhungen gezeichnet haben. Als Verwaltungsräte der Firma amtieren A., D. und E., wobei A. als Geschäftsführer über die Einzelzeichnungsberechtigung verfügt, während die beiden anderen Verwaltungsräte kollektiv zu zweien firmieren. Die Realcapital Invest AG ist als Immobilien-Holdinggesellschaft tätig; sie hält mit der Real Consulting AG (Aktienkapital von Fr. 500'000.-) und der Real Immobilien AG, beide in Zug, sowie der Tiffany's Immobilien AG in Sarnen (Aktienkapital von je Fr. 100'000.-) drei Tochtergesellschaften. Diese verwalten verschiedene Miethäuser und sind in Bauprojekten engagiert: Die Real Consulting AG verfügt über zwei Mehrfamilienhäuser (Investitionsvolumen von je ca. 2,7 Mio. Fr.). Die Real Immobilien AG hat 3 Mehrfamilienhäuser mit rund 32 Wohnungen von einem geschätzten Investitionsvolumen von 11 Mio. Fr. im Bau, die Tiffany's Immobilien AG deren 6 mit 50 Wohnungen und einem geplanten Investitionsvolumen von 20 Mio. Fr. Die Aktivitäten der Realcapital Invest AG liegt in der Kreditvergabe an ihre Tochtergesellschaften und dem Investment in Schuldbriefen; ihre Einnahmen erwirtschaftet sie aus den entsprechenden Zins- und Dividendenerträgen.
BGE 136 II 43 S. 56
7.2
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, dass sie - wie im vorinstanzlichen Entscheid festgehalten wird - keiner ins Gewicht fallenden Geschäftstätigkeit nachgeht. Die entsprechende Sachverhaltsfeststellung hat als offensichtlich fehlerhaft zu gelten; die daraus gezogene rechtliche Qualifikation als unzutreffend (vgl. E. 1.4.1): Nicht jede Holdingstruktur, in deren Rahmen Gelder beschafft und Tochtergesellschaften zur Verfügung gestellt werden, ist als solche unzulässig und hat als überwiegende Aktivität im Finanzbereich zu gelten. Eine reine Holding muss auch nicht notwendigerweise über eigene Geschäftsräume oder Arbeitnehmer verfügen. Bei der Einschätzung der Aktivitäten ist eine faire Gesamtsicht erforderlich. Die Realcapital Invest AG beschafft Gelder über Aktienerhöhungen, die dann in konkrete Immobilienprojekte fliessen. Diese scheinen wirtschaftlich nicht unrealistisch zu sein, werden sie doch über Hypothekarkredite auch von verschiedenen Banken massgeblich unterstützt. Die Ausgabe eigener Aktien ist weder eine Effektenhändlertätigkeit, noch stellt sie eine Entgegennahme von Publikumseinlagen dar. Die Aktienerhöhung bzw. deren Zeichnung und Liberierung richtet sich nach den Bestimmungen des Aktienrechts (
Art. 650 ff. OR
); deren Einhaltung bildet in der Regel nicht Gegenstand der Finanzmarktaufsicht. Mit dem Bundesverwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Erteilung eines Platzierungsauftrags (hinsichtlich eigener Aktien) aufsichtsrechtlich nicht als illegal gelten kann, selbst wenn der Beauftragte - wie hier die AFT Allgemeine Finanztreuhand AG - seinerseits anderweitig als unbewilligtes Emissionshaus auftritt. Die Realcapital Invest AG hat selber nicht mit Aktien Dritter gehandelt, ihre Papiere wurden über die AFT zur Zeichnung angeboten, wobei eine kommissionsweise Festübernahme nicht erstellt ist. Zwar ist auf den Unterlagen von einem unwiderruflichen "Kauf" der Aktien die Rede, das entsprechende Papier war indessen jeweils als "Zeichnungsschein" überschrieben und trug den Zahlungsvermerk "Realcapital AK Erhöhung" sowie - zumindest teilweise - auch einen Abschnitt "Zeichnungsbedingungen". Der Vorwurf des öffentlichen Angebots und der Ausgabe von mehrjährigen Anleihen mit Verzinsung durch die Realcapital Invest AG ist - entgegen den Ausführungen der EBK in ihrer Verfügung vom 1. November 2007 - nicht erwiesen: Zwar finden sich entsprechende leere Unterlagen bei den Akten, doch ist aufgrund dieser der Einwand der Realcapital Invest AG nicht widerlegt, dass es sich bei den Dokumenten nur um interne Entwürfe und Modelle gehandelt habe, die noch zu prüfen gewesen seien. Es
BGE 136 II 43 S. 57
bestehen keine Hinweise dafür, dass entsprechende Anleihen tatsächlich ausgegeben worden wären. Die Aktivitäten der Realcapital Invest AG waren damit, für sich selber betrachtet, weder börsen- noch bankenrechtlich bewilligungspflichtig.
7.3
7.3.1
Was die EBK im vorinstanzlichen Verfahren hiergegen eingewendet hat und von der FINMA im vorliegenden Verfahren teilweise wieder aufgenommen wird, überzeugt nicht: Richtig ist, dass der Realcapital Invest AG Gelder von der AFT und der Steinhalden AG zugeflossen sind und sie selber noch wenig Einnahmen generierte, dies ist indessen darauf zurückzuführen, dass die einzelnen Immobilienprojekte ihrer Tochtergesellschaften noch im Aufbau bzw. in Realisation begriffen waren. Eigenkapitalbezogene Emissionen ("Equity") fallen nicht notwendigerweise in den finanzmarktrechtlichen Aufsichtsbereich, zumal wenn sie in Selbstemission erfolgen (vgl. zu den verschiedenen Begriffen: EMCH/RENZ/ARPAGAUS, a.a.O., N. 1843 ff., 1854 ff.). Der Primärmarkt als Markt, in dem Kapitalmarktpapiere (Aktien, Obligationen) erstmals begeben (emittiert) werden, ist finanzmarktrechtlich nicht einheitlich geregelt, sondern nur bezüglich einzelner Berührungspunkte (unbewilligte Tätigkeit als Emissionshaus bzw. unerlaubte Entgegennahme von Publikumsgeldern); im Übrigen gilt für ihn das Obligationenrecht (Pflicht zur Erstellung eines Emissionsprospekts [Art. 652a bzw.
Art. 1156 OR
]; Prospekthaftung [Art. 752 bzw.
Art. 1156 OR
]; vgl. EMCH/RENZ/ARPAGAUS, a.a.O., N. 1820), dessen Durchsetzung zivilrechtlich (allenfalls strafrechtlich [Betrug; ungetreue Geschäftsbesorgung]) zu erfolgen hat. Der finanzmarktrechtliche Begriff der bewilligungslos als Gruppe handelnden Gesellschaften darf - ohne eine Gesetzesanpassung - nicht soweit ausgedehnt werden, dass diese Grenzen praktisch verwischt werden. Soweit die Bankenkommission darauf hinweist, dass nach
Art. 3a Abs. 3 lit. b BankV
Anleihensobligationen und andere massenweise ausgegebenen Schuldverschreibungen oder nicht verurkundete Rechte mit gleicher Funktion (Wertrechte) nur dann bankenrechtlich nicht als Einlagen gälten, wenn die Gläubiger in einem dem Art. 1156 i.V.m.
Art. 652a OR
entsprechenden Umfang informiert worden seien, verkennt sie, dass die Realcapital Invest AG Aktien ausgegeben hat und keine fremdkapitalbezogene Emissionen ("Debt") zur Diskussion stehen (vgl. BAHAR/STUPP, in: Basler Kommentar, Bankengesetz, 2005, N. 17-19 sowie N. 22 zu
Art. 1 BankG
).
BGE 136 II 43 S. 58
7.3.2
Das Bundesverwaltungsgericht hat den aufsichtsrechtlichen Entscheid der EBK gegenüber der Realcapital AG mit der Begründung geschützt, sie gehöre ebenfalls zum Einflussbereich von A. und zur als Emissionshaus illegal tätigen Gruppe um die AFT Allgemeine Finanztreuhand AG. Hierfür sprechen gewisse Indizien: Tatsächlich steht die Realcapital Invest AG faktisch ebenfalls unter der Leitung von A. und wird sie von diesem von seinem Büro aus geführt, obwohl sie (pro forma) eine eigene Adresse in Sarnen hat; hierbei handelt es sich jedoch lediglich um einen "Briefkasten" bei einer anderen Gesellschaft (Domizilvertrag mit der BDO Visura). Die Steinhalden AG ist zudem an der Realcapital Invest AG beteiligt. Bei der an und für sich zulässigen Eigenkapitalbeschaffung wurde ähnlich wie bei den Aktivitäten der anderen Gesellschaften vorgegangen: In der Zeitspanne von April 2006 bis Mai 2007 sind bei der AFT 31 Einzahlungen mit dem Vermerk "Realcapital" bzw. "Realcapital AK Erhöhung" von mehr als 20 Privatpersonen über insgesamt Fr. 2'963'661.- eingegangen. In derselben Zeitspanne gingen der "Realcapital Invest AG" indessen lediglich rund Fr. 905'438.-zu. Die Geldflüsse erscheinen um so überraschender, als gleichzeitig Fr. 671'496.- von der Realcapital Invest AG an die AFT zurückflossen und das neu gezeichnete Aktienkapital bei den letzten beiden Kapitalerhöhungen jeweils verrechnungsweise liberiert wurde. Zwar sind am 27. Oktober 2007 1,4 Mio. Fr. auf das Kapitaleinzahlungs-Sperrkonto überwiesen worden, wovon Fr. 650'000.-von der AFT stammten; doch kann nicht eruiert werden, woher die restlichen Gelder kommen, weil es die AFT unterlassen hat, die im Rahmen der Liberierung bezahlten Beträge, wie von ihr und der Realcapital Invest AG behauptet, unmittelbar "1:1" zu überstellen. Die Überweisung erfolgte allenfalls längere Zeit später gebündelt; dies war realistischerweise wohl nur möglich, weil A. sowohl bei der AFT wie bei der Realcapital Invest AG die Geschäftsführung besorgte und die eingehenden Mittel je nach den Bedürfnissen in der Gruppe verschieben konnte. Es sprechen somit in der Tat gewisse Gründe dafür, dass auch die Realcapital Invest AG im Rahmen der Gruppenaktivitäten tätig geworden sein könnte; es ist jedoch fraglich, ob sie tatsächlich einen
namhaften
Beitrag zur Umgehung der finanzmarktrechtlichen Regeln geleistet hat.
7.3.3
Die Problematik braucht nicht abschliessend vertieft zu werden, da die aufsichtsrechtliche Liquidation im November 2007 so oder anders unverhältnismässig war: Die Realcapital Invest AG war
BGE 136 II 43 S. 59
mit der Steinhalden AG über Darlehensverträge verbunden. Die verschiedenen Gelder der Zeichner der jeweiligen Aktien flossen der Realcapital Invest AG - wenn auch jeweils zeitlich verspätet - offenbar tatsächlich zu. Zwar war die Liquidation geeignet, das Funktionieren der Gruppe zu unterbinden, doch ging die Massnahme über das hierzu Erforderliche hinaus. Der Verdacht, die Gesellschaft könnte ähnlich verwendet werden, wie die anderen von A. aufgebauten Gesellschaften, war zwar nicht von der Hand zu weisen, wird durch die Akten aber nicht hinreichend erhärtet: Die Realcapital Invest AG wurde selber nicht für bewilligungspflichtige Aktivitäten verwendet; ob ihre Kapitalerhöhungen aktienrechtlich rechtens waren, bildet nicht Gegenstand der Finanzmarktaufsicht. Das Aktienkapital der Realcapital Invest AG ist breiter gestreut als jenes der Steinhalden AG; im Übrigen wird der Verwaltungsrat zwar von A. präsidiert, doch bestehen dort zwei zusätzliche Verwaltungsratssitze, die von Personen besetzt sind, die nach Lage der Akten zu den anderen Gesellschaften bzw. deren Aktivitäten in keiner unmittelbaren Beziehung stehen. Es kann nicht gesagt werden, dass zum Zeitpunkt des Entscheids der EBK die Anteile an den Tochtergesellschaften nicht werthaltig gewesen wären. Die verschiedenen Projekte schritten planmässig voran; erst das Eingreifen der EBK und die anschliessende Dauer des Rechtsmittelverfahrens stellten die Werthaltigkeit der Beteiligungen grundlegend infrage, sodass die Tochterunternehmen heute allenfalls überschuldet sind und mit ihnen die entsprechende Holding. Bei den Akten liegen Kurzgutachten von unabhängigen Wirtschaftsprüfern, die zum Schluss gekommen sind, dass mit den nötigen bilanziellen und finanziellen Massnahmen und einer gegenseitigen Entflechtung der Gesellschaften ein Fortbestand unter Konzentration auf die bestehenden Immobiliengeschäfte möglich gewesen wäre; unter diesen Umständen ist zwar klar, dass der Realcapital Invest AG nicht nachträglich eine Effektenhändlerbewilligung erteilt werden konnte, doch hätte zumindest deren Weiterführungsmöglichkeit vertieft geprüft werden müssen, was weder die EBK noch die Vorinstanz hinreichend getan haben.
7.3.4
Mit der Beschwerdeführerin ist davon auszugehen, dass beim aufsichtsrechtlichen Entscheid in erster Linie die Interessen der Anleger zu wahren sind; es sollen Gesellschaften liquidiert werden, die vorwiegend von
finanzmarktrechtlich
illegalen Tätigkeiten leben und Gläubiger gefährden, nicht Gesellschaften, die (allenfalls) in punktueller Verkennung finanzmarktrechtlicher Pflichten eine legale
BGE 136 II 43 S. 60
Tätigkeit ausüben und denen nicht unzweifelhaft nachgewiesen werden kann, dass sie Teil eines grösseren Systems bilden. Die Realcapital Invest AG verfügt über ein Grundkapital von Fr. 4'375'000.-; die wichtigsten Aktiven sind ihre Beteiligungen an Tochtergesellschaften im Immobilienbereich. Die unmittelbare Liquidation stand in einem Missverhältnis zwischen den privaten Interessen der Aktionäre und Gläubiger an einem möglichst optimalen Werterhalt und jenem an der Anwendung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, zumal höchstens ein (untergeordnetes) Fehlverhalten der betroffenen Gesellschaft im Rahmen einer bewilligungspflichtig tätigen Gruppe zur Diskussion stand und ihr selber als Emittentin von eigenen Aktien weder börsen- noch bankenrechtlich ein Vorwurf gemacht werden konnte. Zwar haben die AFT und die Steinhalden AG allenfalls durch Verrechnung liberierte Aktien der Realcapital Invest AG aus dem Eigenbestand verkauft und die für die Kapitalerhöhungen erhaltenen Zahlungen nicht 1:1 sofort weitergeleitet, womit diese Gesellschaften als Emissionshaus tätig waren; dies lässt indessen nicht die Kapitalerhöhung der Realcapital Invest AG ihrerseits bereits als aufsichtsrechtlich relevant erscheinen. Die aufsichtsrechtlichen Ziele ihr gegenüber hätten auch dadurch erreicht werden können, dass ihr eine angemessene Frist gesetzt worden wäre, unter Aufsicht des Untersuchungsbeauftragten bzw. der FINMA ihre Strukturen zu bereinigen, die Aktivität auf ihr Kerngeschäft bzw. dasjenige ihrer Tochtergesellschaften zu beschränken (Immobilienbau und -handel) und künftig nicht mehr mit ihren Partnern auf dem Primärmarkt in einer bewilligungspflichtigen Weise aktiv zu werden. | public_law | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8736ec2-89ec-4db6-97cb-3bb96a60d1d4 | Urteilskopf
125 I 412
38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Oktober 1999 i.S. A. gegen B. Canada Ltd., C. Trust Company und D. Trust Corporation (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 86 Abs. 1 OG
; Anfechtbarkeit einer Verfügung des Kantonsgerichts- präsidenten über die Freigabe von gepfändeten Vermögenswerten im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach Art. 36 und
Art. 37 Abs. 1 und 2 LugÜ
.
Für das Rechtsbehelfsverfahren nach dem Lugano-Übereinkommen ist das Kantonsgericht zuständig, und zwar unbesehen um den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Rechtsöffnungs- bzw. dem Vollstreckungsrichter. Mit dem Kantonsgericht ist die oberste, für den ganzen Kanton zuständige Zivil- bzw. Handelsgerichtsbehörde gemeint. Die Regelung nach der Zuger Zivilprozessordnung, wonach sowohl gegen den Einspracheentscheid des Kantonsgerichtspräsidenten als auch gegen den Entscheid der Justizkommission des Obergerichts die staatsrechtliche Beschwerde ergriffen werden kann, widerspricht dem übergeordneten Staatsvertrag (E. 1b). Überweisung der Sache an die Justizkommission (E. 1c). | Sachverhalt
ab Seite 413
BGE 125 I 412 S. 413
A.-
Die B. Canada Ltd., die C. Trust Company und die D. Trust Corporation (Treuhänderinnen von Pensionskassen der B. Corporation, Canada) erstatteten gegen A. Strafanzeige im Kanton Tessin und klagten ihn (nebst anderen) zivilrechtlich vor dem High Court in London ein. Am 23. Mai 1997 erliess der High Court zivilrechtliche sichernde Massnahmen (sog. Mareva Injunctions), die der Kantonsgerichtspräsident im Kanton Zug (als Einzelrichter) mit Verfügung vom 27. Februar 1998 zum Teil anerkannte und vollstreckbar erklärte, wobei er A. im Wesentlichen untersagte, sein Vermögen in der Schweiz zu vermindern oder darüber zu verfügen. Hiergegen reichte A. den Rechtsbehelf gemäss Art. 36 f. des Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.11) ein. Das Verfahren ist noch hängig.
Das Hauptverfahren vor dem High Court in London wurde mit Entscheiden vom 20. Mai und 12. Juni 1998 beendet. A. wurde verurteilt, den Ansprechern ca. 234 Mio. CAN$ und ca. 125 Mio. US$ zu bezahlen. Auch für diese Entscheide ersuchten die Ansprecherinnen den Kantonsgerichtspräsidenten im Kanton Zug um Anerkennung und Vollstreckbarerklärung im Sinne des LugÜ. Mit Verfügung
BGE 125 I 412 S. 414
vom 29. Oktober 1998 entsprach der Kantonsgerichtspräsident (als Rechtsöffnungsrichter) dem Ersuchen und ordnete als Sicherungsmassnahme die provisorische Pfändung in Analogie zu
Art. 83 Abs. 1 SchKG
bis zum Höchstbetrag von 4 Mio. Franken an (Betrag des geschätzten Vermögens von A. in der Schweiz). A. ergriff auch gegen diesen Entscheid den Rechtsbehelf gemäss Art. 36 f. LugÜ. Das Verfahren ist ebenfalls noch hängig.
B.-
Am 14. Mai 1999 ersuchte A. den Kantonsgerichtspräsidenten, das Betreibungsamt Z. anzuweisen, aus provisorisch gepfändeten Bankguthaben Fr. 22'950.- an die Kantonalbank X. zu überweisen. Er sei nicht in der Lage, die halbjährlich fällig werdenden Zins- und Amortisationsraten für seine Festzinshypothek auf der Ferienhausliegenschaft im Kanton Graubünden zu bezahlen und müsse die Kündigung der Hypothek gewärtigen, wenn er seinen Pflichten nicht nachkomme.
Der Kantonsgerichtspräsident (als Rechtsöffnungsrichter) wies das Gesuch am 25. Juni 1999 zur Zeit ab. Er erwog, es sei auf Grund der von den Gesuchsgegnerinnen namhaft gemachten Vermögensdispositionen A. nicht auszuschliessen, dass dieser noch über freie Vermögenswerte verfüge, und die Verwertung des Grundpfandes könnte ohnehin frühestens Ende März 2000 stattfinden, so dass dem Gesuchsteller derzeit kein Schaden drohe.
C.-
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 29. Juli 1999 beantragt A. dem Bundesgericht, die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an diesen zurückzuweisen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit der bei ihm eingereichten Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (
BGE 125 II 293
E. 1a;
BGE 124 I 11
E. 1).
b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide (Endentscheide und Zwischenentscheide) zulässig (
Art. 86 Abs. 1 OG
). Vorliegend stellt sich die Frage, ob der angefochtene Entscheid kantonal letztinstanzlich ist. Der Kantonsgerichtspräsident hatte bzw. hat über die Vollstreckbarkeit und die angeordneten Sicherungsmassnahmen im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 36 f. LugÜ entschieden bzw. noch zu entscheiden, nachdem er die umstrittenen Anordnungen bereits erstinstanzlich - als Rechtsöffnungsrichter gemäss Art. 31 f. LugÜ - getroffen hat
BGE 125 I 412 S. 415
(vgl.
Art 226bis Abs. 1 ZPO
/ZG).
Art. 226bis ZPO
/ZG sieht für das Rechtsbehelfsverfahren zwei verschiedene Zuständigkeiten vor. Hat der Kantonsgerichtspräsident den Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung abgelehnt, so kann der Antragsteller bei der Justizkommission des Obergerichts Beschwerde gemäss
Art. 208 ff. ZPO
/ZG einlegen (
Art. 226bis Abs. 4 Satz 1 ZPO
/ZG). Hat er dem Antrag aber entsprochen, so kann der Schuldner Einsprache erheben, über die wiederum der Kantonsgerichtspräsident entscheidet (
Art. 226bis Abs. 5 Satz 1 ZPO
/ZG). Sowohl gegen den Entscheid der Justizkommission des Obergerichts als auch gegen den Einspracheentscheid des Kantonsgerichtspräsidenten kann die staatsrechtliche Beschwerde ergriffen werden (Art. 226bis Abs. 4 und 5 je Satz 2 ZPO/ZG). Für das Rechtsmittel an das Bundesgericht entspricht diese Regelung
Art. 37 Abs. 2 und
Art. 41 LugÜ
, wonach gegen den Entscheid, der über den Rechtsbehelf ergangen ist, staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingelegt werden kann. Im Rechtsbehelfsverfahren ist laut
Art. 37 Abs. 1 LugÜ
die Zuständigkeit des Kantonsgerichts (tribunal cantonal/-tribunale cantonale) gegeben, und zwar unbesehen um den Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Rechtsöffnungs- bzw. dem Vollstreckungsrichter (vgl.
Art. 32 Abs. 2 LugÜ
). Die Erläuterungen in der Botschaft zum LugÜ (BBl 1990 II 265 ff., insbesondere S. 328 Ziff. 237.4) stellen klar, dass der Begriff des Kantonsgerichts stellvertretend für die oberste kantonale Gerichtsbehörde in Zivil- und Handelssachen (in mehreren Kantonen auch Obergericht genannt) verwendet wird. Die Zuständigkeit eines unteren kantonalen Gerichts sieht der Staatsvertrag für das Rechtsbehelfsverfahren nicht vor.
Das Bundesamt für Justiz vertritt zwar in seinen «Erläuterungen zur Geldvollstreckung im Hinblick auf das Inkrafttreten (des LugÜ) am 1. Januar 1992» (in BBl 1991 IV 313 ff., insb. S. 318) die Auffassung, das Rechtsbehelfsverfahren sollte im Falle des Widerspruchs des Vollstreckungsschuldners als Einsprache- und nicht als eigentliches Rechtsmittelverfahren aufgefasst werden. Zweckmässigerweise werde die Einsprache durch die erlassende Instanz selbst geprüft. Sie erfülle damit nachträglich den Gehörsanspruch und nehme eine ergänzende Rechtskontrolle wahr. In diesem Sinne lasse sich der in
Art. 37 Abs. 1 LugÜ
enthaltene unbestimmte Begriff Kantonsgericht konkretisieren. Eine derartige Ordnung des Rechtsmittelsystems wird grundsätzlich als zulässig erachtet (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Heidelberg 1998, N. 1 zu Art. 37 EuGVÜ), und der Kanton Zug ist der Empfehlung des Bundesamtes mit dem am 25. Juni 1992 eingefügten
Art. 226bis ZPO
BGE 125 I 412 S. 416
offenbar gefolgt. Indessen hat die Schweiz für eine solche Regelung insofern keine Grundlage geschaffen, als sie im LugÜ das Rechtsbehelfsverfahren sowohl bei positiver als auch bei negativer erstinstanzlicher Beurteilung des Antrags in die Hände des Kantonsgerichts gelegt hat. Dass dieser Begriff der Konkretisierung im Sinne des Bundesamtes zugänglich sei, trifft nicht zu. So geht denn auch aus der Botschaft hervor, dass mit dem Kantonsgericht (allein) die oberste, für den ganzen Kanton zuständige Zivil- bzw. Handelsgerichtsbehörde gemeint ist (vgl. BBl 1990 II 328 Ziff. 237.4, ferner S. 327 Ziff. 237.2 a.E.). Für eine Auslegung, wie sie das Bundesamt vorschlägt, besteht daher kein Raum (ebenso STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, N. 33 zu
Art. 30a SchKG
, S. 222; CHRISTOPH LEUENBERGER, Lugano-Übereinkommen: Verfahren der Vollstreckbarerklärung ausländischer «Geld»-Urteile, in AJP 1992 S. 965 ff., S. 969 Ziff. 1.6; H.U. WALDER, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, in: IVO SCHWANDER, Das Lugano-Übereinkommen, St. Gallen 1990, S. 152; Y. DONZALLAZ, La convention de Lugano, Bern 1997, vol. II, N. 3922). Die Einspracheregelung gemäss
Art. 226bis Abs. 5 ZPO
/ZG widerspricht demnach dem übergeordneten Staatsvertrag (Art. 2 UebBest. BV in Verbindung mit
Art. 113 Abs. 3 BV
). Dies bedeutet, dass kein kantonal letztinstanzlicher Entscheid vorliegt.
c) Das Bundesgericht verzichtet in konstanter Praxis ausnahmsweise auf das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, wenn an der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ernsthafte Zweifel bestehen (
BGE 120 Ia 194
E. 1d S. 198;
BGE 116 Ia 442
E. 1a). Derartige Zweifel sind hier nach dem Ausgeführten nicht am Platz. Die Beurteilung der Begehren des Beschwerdeführers fällt deshalb in die Zuständigkeit der Justizkommission des Zuger Obergerichts (
Art. 226bis Abs. 4 ZPO
/ZG analog i.V.m.
Art. 37 Abs. 1 LugÜ
; Art. 15 Abs. 2 GOG/ZG i.V.m.
Art. 208 ff. ZPO
/ZG). Auf die staatsrechtliche Beschwerde ist mangels Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheids nicht einzutreten. Da die interessierende zivilprozessuale Norm auf ein unzutreffendes Rechtsmittel hingewiesen hat und dem Beschwerdeführer daraus kein Nachteil erwachsen darf (vgl.
Art. 107 Abs. 3 OG
,
BGE 124 I 255
E. 1a/aa), wird die Beschwerde an die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug zur Behandlung überwiesen (
BGE 125 I 313
E. 5 S. 320, mit Hinweisen). | public_law | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c87c8624-7f88-47f8-aa2f-985526586070 | Urteilskopf
117 IV 181
35. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1991 i.S. F. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Erschleichen einer falschen Beurkundung (
Art. 253 StGB
) und kantonales Steuerstrafrecht; Verhältnis.
Wer zum Zwecke der Umgehung von kantonalen Steuervorschriften eine falsche Beurkundung erschleicht, ist jedenfalls dann auch gemäss
Art. 253 StGB
zu verurteilen, wenn er eine Verwendung der erschlichenen öffentlichen Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich in Kauf genommen hat. | Sachverhalt
ab Seite 181
BGE 117 IV 181 S. 181
A.-
W. kaufte ein Mehrfamilienhaus zum Preise von 4 Mio. Franken. In der Folge beauftragte sie ihren Freund F., Alleinaktionär der P., das Kaufsobjekt in Stockwerkeigentum aufzuteilen und dann die einzelnen Stockwerkeigentumsanteile zu verkaufen. F. realisierte den Verkauf von 9 Stockwerkeinheiten, wobei Kaufpreise von insgesamt Fr. 2'936'000.-- auf dem Notariat öffentlich beurkundet wurden. Darüber hinaus nahm er von den Käufern Schwarzzahlungen von je zwischen Fr. 20'000.-- und Fr. 50'000.-- entgegen, insgesamt Fr. 290'000.--.
B.-
Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz verurteilte F. zweitinstanzlich am 25. September 1990 wegen fortgesetzter Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von
Art. 253 Abs. 1 StGB
und wegen fortgesetzten versuchten (kantonalen) Steuerbetrugs im Sinne von
§ 94 StG
/SZ in Verbindung mit
Art. 22 Abs. 1 StGB
zu 6 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 12 Tagen und unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von 3 Jahren, sowie zu einer Busse von 10'000 Franken.
C.-
Der Verurteilte ficht den Entscheid des Kantonsgerichts sowohl mit staatsrechtlicher Beschwerde als auch mit eidgenössischer
BGE 117 IV 181 S. 182
Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der letzteren beantragt er dessen Aufhebung und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung.
Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft beantragen in ihren Gegenbemerkungen die Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
a) Das Bundesgericht hat in
BGE 108 IV 27
ff. in Änderung seiner früheren Rechtsprechung erkannt, dass derjenige, welcher mit einem Urkundenfälschungsdelikt ausschliesslich Steuervorschriften umgehen will und eine - objektiv mögliche - Verwendung des Dokuments im nicht-fiskalischen Bereich auch nicht in Kauf nimmt, nur nach dem Steuerstrafrecht zu verurteilen sei. Weder die objektive Möglichkeit der Verwendung der zwecks Steuerhinterziehung gefälschten Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich (vgl. dazu
BGE 103 IV 36
ff.), noch das Wissen des Täters um diese objektive Möglichkeit (so
BGE 106 IV 38
ff.) reichen nach dem zitierten Entscheid für die Anwendung von
Art. 251 StGB
aus;
Art. 251 StGB
ist nur dann neben den in Betracht fallenden Bestimmungen des Steuerstrafrechts anwendbar, wenn der Täter eine Verwendung der Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich beabsichtigt oder zumindest in Kauf nimmt.
b) Der Beschwerdeführer macht, wie bereits vor dem Kantonsgericht, unter Berufung auf verschiedene Autoren sowie auf ein Gutachten von Prof. X. vom 21. November 1986 und ein Schreiben von Prof. Y. vom 22. Mai 1990 geltend, dass die in
BGE 108 IV 27
ff. entwickelten Grundsätze betreffend das Verhältnis zwischen der Urkundenfälschung im Sinne von
Art. 251 StGB
und dem Steuerstrafrecht auch für das Verhältnis zwischen der Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von
Art. 253 StGB
und dem Steuerstrafrecht Gültigkeit haben müssen.
Art. 253 StGB
sei demnach nur dann anwendbar, wenn der Täter zumindest in Kauf genommen habe, dass die von ihm zwecks Steuerhinterziehung erschlichene unwahre öffentliche Urkunde auch im nicht-fiskalischen Bereich verwendet werde. Der Beschwerdeführer behauptet, die Vorinstanz habe diesen Nachweis nicht erbracht. Daher sei die Sache zu seiner Freisprechung von der Anschuldigung der fortgesetzten Erschleichung einer falschen Beurkundung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
BGE 117 IV 181 S. 183
c) Die Vorinstanz lehnt die Übertragung der vom Bundesgericht in
BGE 108 IV 27
ff. zu
Art. 251 StGB
entwickelten Grundsätze auf
Art. 253 StGB
, insbesondere soweit Grundstückkaufverträge zur Diskussion stehen, mit ausführlicher Begründung ab. Sie weist zunächst darauf hin, dass
Art. 253 StGB
im Unterschied zu
Art. 251 StGB
keine Vorteils- bzw. Schädigungsabsicht voraussetzt, was wohl andeute, dass
Art. 253 StGB
den Rechtsschutz verstärken und nebst Treu und Glauben im Verkehr auch den verurkundenden Beamten bzw. die Urkundsperson davor schützen wolle, getäuscht und zur Ausstellung falscher Urkunden missbraucht zu werden. Gemäss den weiteren Ausführungen im angefochtenen Entscheid erscheint es durchaus als gerechtfertigt, auf den Täter, der zuhanden der Steuerbehörden falsche Privaturkunden produziert, einen subjektiven Massstab - Inkaufnahme einer Verwendung der Urkunde im nicht-fiskalischen Bereich - anzulegen, da er selbst entscheiden oder jedenfalls überblicken kann, ob das Falsifikat auch im nicht-fiskalischen Bereich Verwendung finden kann. Ein (falsch beurkundeter) Grundstückkaufvertrag sei demgegenüber nie ausschliesslich für die Steuerbehörden bestimmt; er gerate notwendigerweise in die Hände Dritter, zumindest auch in jene des Vertragspartners, so dass die künftige Verwendung dem Einfluss des Täters weitgehend entzogen sei; schon dies schliesse es aus, massgebend auf die Vorstellungen des Täters abzustellen. Ein falsch beurkundeter Grundstückkaufvertrag könne noch nach Jahr und Tag Rechtswirkungen haben, die für den Täter im Zeitpunkt der öffentlichen Beurkundung nicht überblickbar seien, so etwa die Verletzung von Pflichtteilen bei der Erbteilung, die Benachteiligung eines Ehegatten bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung usw.
Die Vorinstanz hält sodann in einer Eventualbegründung fest, dass der Beschwerdeführer aber selbst bei Übertragung der in
BGE 108 IV 27
ff. zu
Art. 251 StGB
entwickelten Kriterien auf
Art. 253 StGB
zusätzlich zu fortgesetztem Steuerbetrugsversuch auch der fortgesetzten Erschleichung einer falschen Beurkundung schuldig zu sprechen sei. Dem Beschwerdeführer als Fachmann auf dem Immobiliensektor sei zweifellos bekannt gewesen, dass die fraglichen Grundstückkaufverträge früher oder später auch im nicht-fiskalischen Bereich eine Rolle spielen könnten und die von ihm inszenierten Falschbeurkundungen die Gefahr der Täuschung Dritter zur Erlangung illegaler Vorteile in sich bargen. Der Beschwerdeführer sei bei der Durchsetzung seines Planes, möglichst
BGE 117 IV 181 S. 184
grosse Gewinne zu erzielen, nicht zimperlich gewesen, habe die Kaufinteressenten unter Druck gesetzt und ihnen die zu leistenden Schwarzzahlungen diktiert; wer so handle, manifestiere einen intensiven deliktischen Willen und nehme ohne weiteres in Kauf, dass die erschlichenen Falsifikate später möglicherweise erneut illegalen Zwecken dienen und insbesondere zur Erlangung nicht-fiskalischer Vorteile missbraucht werden.
d) Die in der Eventualbegründung des angefochtenen Urteils enthaltene Feststellung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer habe eine Verwendung der fraglichen Grundstückkaufverträge im nicht-fiskalischen Bereich in Kauf genommen, ist tatsächlicher Natur (
BGE 110 IV 22
E. 2 mit Hinweisen) und daher für den Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde verbindlich (
Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis BStP
). Die Vorinstanz hat entgegen den Andeutungen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht schon aus der abstrakten Möglichkeit der Verwendung der in bezug auf die Kaufpreise inhaltlich unwahren Kaufverträge im nicht-fiskalischen Bereich den Schluss gezogen, der Beschwerdeführer habe eine solche Verwendung in Kauf genommen, sondern sie hat diese Schlussfolgerung unter Bezugnahme auf bestimmte Umstände des konkreten Falles begründet. Dass sie nicht im einzelnen festhielt, welche Verwendungsmöglichkeiten im nicht-fiskalischen Bereich der Beschwerdeführer konkret in Kauf genommen habe, schadet angesichts der Vielzahl solcher naheliegender Möglichkeiten nicht. Ob schon die in einer Zusatzbegründung des angefochtenen Entscheides erwähnte, vom Beschwerdeführer offensichtlich in Kauf genommene, geradezu zwangsläufige Verkürzung der Notariats- und Grundbuchgebühren als Folge der Angabe von zu niedrigen Kaufpreisen die Anwendung von
Art. 253 StGB
zu begründen vermöge, kann hier dahingestellt bleiben. Die Verwendung eines öffentlich beurkundeten Grundstückkaufvertrages im nicht-fiskalischen Bereich liegt, und dies ist entscheidend, aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung derart nahe, dass sie sich dem Täter, und gerade einem mit dem Immobiliensektor vertrauten Täter, als so wahrscheinlich aufdrängte, dass sein Verhalten vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolges ausgelegt werden kann (
BGE 101 IV 46
).
e) Bei dieser Sachlage braucht vorliegend nicht geprüft zu werden, ob die Erschleichung einer falschen Beurkundung zum Zweck der Steuerhinterziehung unter bestimmten Umständen allenfalls auch dann nach
Art. 253 StGB
(in echter Konkurrenz mit dem in
BGE 117 IV 181 S. 185
Betracht fallenden Fiskaldelikt) bestraft werden könne, wenn der Nachweis der Inkaufnahme einer Verwendung des Dokuments im nicht-fiskalischen Bereich nicht geleistet werden kann. Zwar erbringen öffentliche Urkunden, im Unterschied zu privaten, für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhalts nachgewiesen ist (
Art. 9 Abs. 1 ZGB
), und wird bei der Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von
Art. 253 StGB
der Beamte schon bei der Errichtung der Urkunde und nicht erst durch die Verwendung einer Urkunde getäuscht. Anderseits haben aber öffentlich beurkundete Rechtsgeschäfte (etwa Eheverträge) im Rechtsleben nicht eo ipso eine grössere Bedeutung als private Urkunden (etwa Bilanzen); zudem weisen
Art. 14 und 15 VStrR
, welche den Betrug (Art. 14), die private Urkundenfälschung im engeren Sinne (Art. 15 Ziff. 1 Abs. 1) und die Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 15 Ziff. 1 Abs. 2) zum Nachteil des Bundes innerhalb des weiten Anwendungsbereiches dieses Gesetzes (vgl.
Art. 1 VStrR
) regeln, darauf hin, dass die Frage nach der Konkurrenz für
Art. 253 StGB
nicht grundsätzlich anders zu beantworten ist als für
Art. 148 und 251 StGB
.
f) Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen fortgesetzter Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von
Art. 253 StGB
verstösst somit nicht gegen Bundesrecht. | null | nan | de | 1,991 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c8836480-2eb5-49f5-84aa-773f80adf683 | Urteilskopf
94 II 254
40. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. September 1968 i.S. Frieda Bär-Zurbrügg gegen Samuel Santmann | Regeste
Erbteilung. Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes.
1. Nur ein ernstlich gewollter Selbstbetrieb, wozu der Übernehmer auch fähig und in der Lage ist, rechtfertigt die Anwendung des
Art. 621 Abs. 2 ZGB
(Erw. 3 a).
2. Selbstbetrieb liegt vor,
- wenn der Übernehmer das Gewerbe persönlich leitet und sich darin in wesentlichem Umfange persönlich betätigt (Erw. 3 b);
- wenn eine anspruchsberechtigte Frau mit ihrer Familie, in erster Linie mit dem dazu geeigneten Ehemann, das Gut bewirtschaftenwill; dabei wird normalerweise den männlichen Familienangehörigen neben der schweren Arbeit die leitende Rolle zukommen (Erw. 3 c Abs. 1).
- An diesen Voraussetzungen fehlt es im vorliegenden Falle, wo die 71-jährige Bewerberin sich nicht auf die Mitarbeit ihres 78-jährigen Ehemannes berufen könnte, sondern die Bewirtschaftung des Gutes ihrer Tochter und deren Ehemann überlassen müsste (Erw. 3 c Abs. 2).
3. Würdigung der persönlichen Verhältnisse (
Art. 621 Abs. 1 ZGB
) mehrerer zum Selbstbetrieb gewillter und geeigneter Erben (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 256
BGE 94 II 254 S. 256
Aus dem Tatbestand:
A.-
Der am 23. Oktober 1964 gestorbene Albert Zurbrügg hinterliess u.a. das landwirtschaftliche Heimwesen "Kleinweid" in der Gemeinde Wädenswil von rund 11,7 ha sowie das dazugehörige tote und lebende Inventar. Eine Schwester des Erblassers, Frau Frieda Bär-Zurbrügg, leitete am 14. Mai 1965 gegen 11 Miterben eine Teilungsklage ein. Nach Abschluss eines Teilvergleiches blieb nur noch die Zuweisung des Heimwesens "Kleinweid" mit dem toten und lebenden Inventar streitig. Darum bewarben sich Frieda Bär-Zurbrügg und Samuel Santmann, ein Neffe des Erblassers (sowie zwei Brüder des Erblassers, die jedoch im Laufe des Rechtsstreites als Mitbewerber ausschieden).
Frieda Bär-Zubrügg, geb. 1897, ist mit Heinrich Bär, geb. 1890, verheiratet. Die Eheleute lebten während der ganzen Dauer der Ehe auf dem bäuerlichen Heimwesen im "Moos", Samstagern, das dem Ehemann gehörte. Sie haben drei Kinder. Der Sohn Heinrich ist Krankenpfleger. Der Sohn Hans, der stets zu Hause war, übernahm am 1. März 1965 das elterliche Heimwesen auf dem "Moos", da Vater Bär gesundheitlich geschwächt war. Die Tochter Frieda ist seit Juli 1965 mit Hans Rhyner, ebenfalls Landwirt, verheiratet und arbeitet mit ihm zusammen auf dem Heimwesen seiner Eltern in "Aesch", Schönenberg.
Samuel Santmann, geb. 1929, half bis zu seinem 18. Altersjahr auf dem elterlichen Heimwesen "Rechberg" in Schönenberg mit. Dieses Gewerbe ging nach dem Tode des Vaters auf den Sohn Robert über. Samuel absolvierte in den Jahren 1947 bis 1950 eine Schreinerlehre und war in der Folge in erster Linie in diesem Berufe tätig. Nebenbei arbeitete er gelegentlich in der Landwirtschaft. Er bestand die bäuerliche Berufsprüfung, erwarb den Ausweis als Obstverwerter und besuchte einen Spezialkurs für Baumpflege. Im Jahre 1961 verheiratete er sich mit einer Bauerntochter. Das Ehepaar hat drei Kinder im Alter von zwei, fünf und sechs Jahren. Seit Mai 1961 arbeitet Santmann als Schreiner im Bethanienheim in Zürich.
B.-
Das Bezirksgericht Horgen wies mit Entscheid vom 18. Januar 1967 das Heimwesen "Kleinweid" der Klägerin Frieda Bär-Zurbrügg zu. Es anerkannte, dass sowohl die Klägerin als auch der Beklagte zur Übernahme eines landwirtschaftlichen
BGE 94 II 254 S. 257
Gewerbes geeignet seien. Ferner nahm es an, Samuel Santmann wolle das Gewerbe selbst betreiben. Aber auch Frieda Bär habe diesen Willen bekundet. Darauf sei abzustellen, obschon es der Klägerin in erster Linie darum gehe, das Heimwesen ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn zuzuhalten. Selbsbetrieb sei - entgegen der herrschenden Lehre - auch dann anzunehmen, wenn ein Bewerber das Heimwesen einem seiner Kinder zur selbständigen Bewirtschaftung übergeben wolle. In solchen Fällen genüge es, wenn der Bewerber seine ganze ihm noch verbleibende Arbeitskraft auf dem fraglichen Betrieb einsetze; es liege in der Absicht der Klägerin, auf solche Weise mitzuwirken. Bei dieser Sachlage müssten gemäss
Art. 621 Abs. 1 ZGB
die persönlichen Verhältnisse der Erben entscheidend sein, da im Kanton Zürich kein Ortsgebrauch bestehe. Die Prüfung der hiefür massgebenden Tatsachen ergebe nun, dass die Klägerin ein besseres Anrecht auf Zuweisung des Heimwesens habe als der Beklagte...
C.-
Mit Entscheid vom 29. Februar 1968 hiess das Obergericht des Kantons Zürich die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Horgen gut und sprach ihm das Heimwesen "Kleinweid" zu. Es hielt dafür, gemäss der herrschenden Lehre, wovon die erste Instanz zu Unrecht abgehe, liege "Selbstbetrieb" nicht vor, wenn der Bewerber das Heimwesen übernehmen möchte, um es einem seiner Kinder zur selbständigen Bewirtschaftung zu übergeben. Denn wenn ein Kind das Heimwesen auf eigene Rechnung bewirtschafte und die Leitung des Betriebes innehabe, befänden sich die Eltern, mögen sie noch so fleissig mitarbeiten, bloss in der Stellung eines Knechtes oder einer Magd. Dem Beweisverfahren lasse sich mit Bestimmtheit entnehmen, dass die Eheleute Rhyner-Bär die "Kleinweid" selbständig bewirtschaften würden. Da ihnen jedoch die Erbeneigenschaft abgehe, könnten sie nicht dem Mitbewerber Santmann gegenübergestellt werden. Die Klägerin erfülle daher das Erfordernis der Selbstbewirtschaftung nicht, weshalb sie als Anwärterin ausscheide. Der Beklagte dagegen sei geeignet und auch willens, das Heimwesen zum Selbstbetrieb zu übernehmen.
D.-
Die Klägerin erhebt Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, das Urteil des Zürcher Obergerichts vom 29. Februar 1968 sei aufzuheben und das Heimwesen "Kleinweid" sei ihr zuzuteilen. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz
BGE 94 II 254 S. 258
zurückzuweisen, damit diese über die persönlichen Verhältnisse der Parteien Beweis führe und neu entscheide.
E.-
Der Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3.
a) Nach
Art. 621 Abs. 2 ZGB
haben Erben, die das Gewerbe selbst betreiben wollen, in erster Linie Anspruch auf dessen ungeteilte Zuweisung. Aus dieser Vorschrift wird gelegentlich - wie es auch das Bezirksgericht Horgen im vorliegenden Fall getan hat - abgeleitet, die blosse Erklärung des zur Übernahme geeigneten Anwärters, das Heimwesen selbst bewirtschaften zu wollen, genüge. Es könne nicht geprüft werden, ob die geäusserte Absicht ernst gemeint sei und ob sie überhaupt verwirklicht werden könne. Das kantonale Obergericht hat diese Meinung mit Recht abgelehnt. Es konnte sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu
Art. 12 Abs. 1 EGG
berufen, der den Blutsverwandten in gerader Linie den Anspruch einräumt, das Vorkaufsrecht zum Schätzungswert im Sinne des LEG auszuüben, sofern die Liegenschaft zur Selbstbewirtschaftung beansprucht wird. Das Bundesgericht hat in
BGE 81 II 574
festgehalten, dass die Selbstbewirtschaftung "ernstlich gewollt und praktisch möglich" sein muss. In
BGE 88 II 185
ff. ist ein kantonaler Entscheid wegen Verletzung von
Art. 8 ZGB
aufgehoben worden, weil die kantonale Instanz über den Einwand der Beklagten, der Kläger sei weder willens noch fähig, die umstrittene Liegenschaft selber zu bewirtschaften, hinweggegangen war und die dafür angebotenen Beweise nicht abgenommen hatte. Es besteht kein Grund, diese Grundsätze nicht auch auf
Art. 621 Abs. 2 ZGB
anzuwenden.
b) In
BGE 69 II 387
und 393 äusserte sich das Bundesgericht zum Begriff des Selbstbetriebs im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
. Es hielt dabei fest, Selbstbetrieb liege nicht nur vor, wenn der Übernehmer des Gewerbes die meisten dazu gehörenden Arbeiten eigenhändig ausführe. Vielmehr sei dem Begriff genügt, wenn der Ansprecher persönlich die Leitung habe. Anders wäre es, wenn er das Gut übernehmen wollte, nur um es zu verpachten, und allenfalls auch noch, wenn er es zwar auf eigene Rechnung, aber ohne wesentliche eigene Betätigung
BGE 94 II 254 S. 259
betreiben wollte. Aus diesen Überlegungen kam das Bundesgericht dazu, einem Erben, der das väterliche Heimwesen neben einem von ihm als Pächter bewirtschafteten Hof unter seine persönliche Leitung zu nehmen beabsichtigte, einzuräumen, er wolle das Gewerbe selbst betreiben (
BGE 69 II 387
). Einem Anwärter auf die Zuweisung eines bloss fünfeinhalb Jucharten umfassenden Gewerbes wurde zugebilligt, er wolle es zum Selbstbetrieb übernehmen, obgleich er seinen Beruf als Küfer weiterhin auswärts ausüben und nur in der Freizeit auf dem Heimwesen arbeiten wollte (
BGE 69 II 393
).
Diese Auffassung des Bundesgerichts ist auf einhellige Kritik in der Literatur gestossen (LIVER, Die Änderungen im bäuerlichen Erbrecht des ZGB durch das Bundesgesetz über die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen, Festgabe für Tuor: "Zum schweizerischen Erbrecht", S. 49 ff.; TUOR/PICENONI, Kommentar, N. 8 zu
Art. 621 ZGB
; STEIGER, Zur Frage des Anwendungsbereichs und der Geltungskraft des bäuerlichen Erbrechts sowie der allgemeinen Voraussetzungen der Integralzuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes, Diss. Bern 1966, S. 145 ff.). LIVER (a.a.O. S. 52) rügt, dass das Bundesgericht in den beiden angeführten Urteilen den Begriff des Selbstbetriebs allzuweit ausgedehnt habe, was zu ungerechten Entscheidungen führen könne. STEIGER (a.a.O. S. 146) schlägt daher vor, Selbstbetrieb nur dann anzunehmen, wenn der Bewerber das Heimwesen hauptberuflich führt oder leitet, sofern es bei einer bestimmten Grösse des Betriebs sinnvoll ist, von Leitung oder Oberleitung zu sprechen. Es wird in der Praxis jedoch nicht immer leicht sein, eine haupt- und eine nebenberufliche Tätigkeit voneinander abzugrenzen. Auch bedeutet der Vorschlag STEIGERS eine Einengung des Begriffs "Selbstbetrieb", die sich nicht ohne weiteres rechtfertigen lässt. Diese Schwierigkeiten können vermieden werden, wenn zur Selbstbewirtschaftung neben der persönlichen Leitung des Betriebs auch eine wesentliche eigene Betätigung des Übernehmers im Gewerbe vorausgesetzt wird. Das Bundesgericht hat diese Lösung bereits in
BGE 69 II 393
angetönt, was in der Literatur jedoch zu wenig beachtet worden ist. Die bisherige Praxis muss daher dahin verdeutlicht werden, dass Selbstbetrieb im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
dann vorliegt, wenn der Übernehmer das Gewerbe persönlich leitet und sich darin in wesentlichem Umfange persönlich betätigt.
BGE 94 II 254 S. 260
Werden diese Merkmale des Selbstbetriebs in Betracht gezogen, so mag es bereits als fraglich erscheinen, ob die heute 71jährige Klägerin gewillt und auch fähig ist, die "Kleinweid" zum Selbstbetrieb zu übernehmen. Gelegentliche Betätigung oder Mitarbeit in untergeordneter Stellung würden zur Annahme des Selbstbetriebs nicht genügen.
c) In der Berufungsschrift wird nun geltend gemacht, die in der bundesgerichtlichen Praxis erwähnten Merkmale des Selbstbetriebs seien in erster Linie auf männliche Bewerber um ein bäuerliches Heimwesen anwendbar. Einer weiblichen Anwärterin könnten sie nicht gerecht werden. Im bäuerlichen Familienbetrieb herrsche Arbeitsteilung. Die Bäuerin besorge den Haushalt, erziehe die Kinder, pflege die Kleintiere, unterstütze den Mann bei leichtern Feldarbeiten und stehe ihm im übrigen mit Rat und Tat zur Seite. Das ist an sich richtig und wird vom Gesetz auch anerkannt, freilich ausdrücklich nur für den Fall, dass Töchter das Gut zum Selbstbetrieb übernehmen wollen und nicht sie, sondern ihre Ehemänner zum Betrieb geeignet erscheinen (
Art. 621 Abs. 3 ZGB
). Dieser Grundsatz hat jedoch allgemeine Geltung zu beanspruchen. Es darf als anerkannt gelten, dass namentlich auch dann Selbstbetrieb anzunehmen ist, wenn eine anspruchsberechtigte Frau mit ihrer Familie, in erster Linie mit dem dazu geeigneten Ehemann, das Gut bewirtschaften will (ESCHER, Kommentar, N. 7 und TUOR/PICENONI, Kommentar, N. 8 zu
Art. 621 ZGB
). Dabei wird normalerweise den männlichen Familienangehörigen, dem Ehemann und den Söhnen oder Schwiegersöhnen, neben der schweren Arbeit die leitende Rolle zukommen.
Im vorliegenden Fall ist jedoch ein anderer Sachverhalt zu beurteilen. Die Eheleute Bär-Zurbrügg haben die Bewirtschaftung ihres Heimwesens "Moos" im Jahre 1965 altershalber aufgegeben und das Gut dem Sohne Hans abgetreten. Es mag dahingestellt bleiben, ob dies auch im Hinblick auf den im Jahre 1964 erfolgten Tod des Erblassers Albert Zurbrügg und den sich daraus ergebenden Zuweisungsanspruch erfolgt ist. Jedenfalls kann die heute 71-jährige Klägerin nun nicht ernstlich geltend machen, sie wolle die "Kleinweid" zum Selbstbetrieb mit ihrer Familie übernehmen. Nach der dargelegten natürlichen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau müsste sie sich in erster Linie auf die in Aussicht stehende Mitarbeit ihres heute 78-jährigen Ehemannes berufen können. Davon ist begreiflicherweise
BGE 94 II 254 S. 261
keine Rede. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatbeständlichen Feststellungen der Vorinstanz beabsichtigt die Klägerin vielmehr, die Bewirtschaftung der "Kleinweid" ihrer Tochter Frieda und deren Ehemann zu überlassen, die zur Zeit nicht mehr in ihrem Haushalt leben, sondern auf dem elterlichen Gut des Ehemannes wohnen und arbeiten. Die Klägerin würde in untergeordneter Stellung mit der ihr verbliebenen Arbeitskraft mitarbeiten, bestenfalls mit Sitz und Stimme im Familienrat. Die Rolle der Hofbäuerin könnte sie - abgesehen von ihrem Alter - schon deswegen nicht spielen, weil sie der Tochter zukäme. Ob die Klägerin mit ihrem Ehemann - um den Schein zu wahren - noch in ihren alten Tagen vom Gut "Moos" in die "Kleinweid" umziehen würde, bleibt ohne Bedeutung. Ebensowenig kann dem Umstand, dass die "Kleinweid" - wenigstens vorläufig - auf Rechnung der Klägerin bewirtschaftet würde, entscheidendes Gewicht zukommen; denn dies würde nichts daran ändern, dass die Klägerin das Gewerbe den Eheleuten Rhyner-Bär zur selbständigen Bewirtschaftung überlassen und die Rolle einer Platzhalterin spielen will, damit das Gut dereinst ihrer Tochter zufallen könne. Damit sind aber die Voraussetzungen für den Selbstbetrieb im Sinne von
Art. 621 Abs. 2 ZGB
nicht erfüllt (gleicher Meinung: ESCHER, Kommentar, N. 7 und TUOR/PICENONI, Kommentar, N. 8. zu
Art. 621 ZGB
; STEIGER, a.a.O. S. 145). Die Vorinstanz hat deshalb den Zuweisungsanspruch der Klägerin mit Recht schon aus diesem Grunde abgewiesen.
4.
Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, dass sich am Schicksal der Berufung nichts ändern würde, auch wenn der Klägerin zugebilligt würde, sie wolle das Gewerbe zum Selbstbetrieb übernehmen. In diesem Falle müssten die persönlichen Verhältnisse der beiden Ansprecher den Ausschlag geben. Entgegen der Auffassung des Bezirksgerichts Horgen könnten dabei die persönlichen Verhältnisse der Eheleute Rhyner-Bär nicht berücksichtigt werden, da sie nicht Erben sind. Anders verhielte es sich nur, wenn die Frage der Nachkommenschaft bei beiden Anwärtern eine wesentliche Rolle spielte und z.B. der Klägerin eine kinderlose Person ungefähr gleichen Alters gegenüberstünde. Dann vermöchte der Umstand, dass die Klägerin eine Tochter hat, den Ausschlag zu ihren Gunsten zu geben. Der heute 39 Jahre alte Samuel Santmann ist jedoch mit einer Bauerntochter verheiratet und Vater von drei Kindern.
BGE 94 II 254 S. 262
Demgegenüber ist die Klägerin 71, ihr Ehemann 78 Jahre alt. Dazu kommt noch, dass die Eheleute Bär einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb besessen, ihn jedoch schon im Jahre 1965 aus gesundheits- und altersbedingten Gründen einem Sohne abgetreten haben. Bei Gegenüberstellung der persönlichen Verhältnisse der beiden Bewerber ergibt sich eindeutig der Anspruch des Beklagten auf das umstrittene Heimwesen. Dieses Ergebnis kann auch nicht durch den Einbezug weiterer persönlicher Umstände in Frage gestellt werden. Als solche werden geltend gemacht, dass der Beklagte beim Erblasser nicht beliebt war und nach dessen Willen das Gut nicht übernehmen sollte. Der Erblasser hätte jedoch die Möglichkeit gehabt, die Zuweisung letztwillig zu ordnen, wenn er den Beklagten von der Übernahme hätte ausschliessen wollen. Im übrigen ist nicht ersichtlich, worauf die Abneigung des Erblassers beruhte. Ebensowenig fällt bei der gegebenen Sachlage entscheidend ins Gewicht, dass die Mehrheit der Erben die Zuteilung an die Klägerin wünscht und dass die Klägerin mit dem Erblasser näher verwandt ist als der Beklagte, mithin auch den grösseren Erbanteil bekommt. Alle diese Umstände könnten nur dann von Bedeutung sein, wenn die Voraussetzungen für die Zuweisung des Heimwesens bei beiden Anwärtern im übrigen in ungefähr gleichem Masse erfüllt wären, was nicht der Fall ist. Dem Eventualantrag der Klägerin auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, damit diese über die persönlichen Verhältnisse der Parteien Beweis führe und neu entscheide, könnte daher auch nicht entsprochen werden, wenn die Absicht der Klägerin, das Gut zum Selbstbetrieb zu übernehmen, hätte bejaht werden müssen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich (II. Zivilkammer) vom 29. Februar 1968 bestätigt. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c88aaea9-bbf5-4a93-8268-4adaf6b93c93 | Urteilskopf
121 II 459
60. Extrait de l'arrêt de la Ière Cour de droit public du 19 décembre 1995 dans la cause L. contre Chambre d'accusation du canton de Genève (recours de droit administratif) | Regeste
Rechtshilfe;
Art. 98a Abs. 3 und
Art. 103 OG
; Beschwerdebefugnis des Zeugen.
Der auf ein Rechtshilfegesuch hin einvernommene Zeuge kann sich nur gegen die Weitergabe der Einvernahmeprotokolle zur Wehr setzen, soweit die von ihm verlangten Auskünfte ihn persönlich betreffen oder wenn er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft (E. 2c). Dies ist nicht der Fall, wenn er rechtlich nicht Inhaber der Bankkonten ist, auf welche sich seine Aussagen beziehen (E. 2d). | Sachverhalt
ab Seite 460
BGE 121 II 459 S. 460
Saisi d'une demande d'entraide judiciaire formée par la Cour d'appel de Rennes, le Juge d'instruction du canton de Genève est entré en matière par ordonnance du 14 février 1995.
Dans le cadre de ses investigations, il a entendu deux fois L. en qualité de témoin; la première fois le 12 janvier 1995 au sujet d'un versement de 100'000 US$ dont il était le destinataire et qui constituait selon ses explications le remboursement d'un prêt; la seconde fois le 4 avril 1995 au sujet d'un second versement, de 500'000 US$, destiné selon lui à un partenaire commercial sans rapport avec les personnes poursuivies en France.
Par deux ordonnances de clôture partielle du 19 juillet 1995, le juge d'instruction a décidé de transmettre les deux procès-verbaux d'audition de L.
Ce dernier a recouru auprès de la Chambre d'accusation du canton de Genève, en faisant valoir notamment que la demande d'entraide et ses mesures d'exécution violaient le principe de la proportionnalité.
Par deux ordonnances du 12 et du 19 septembre 1995, la Chambre d'accusation a déclaré les recours irrecevables, en déniant à L. la qualité pour agir: celui-ci avait été entendu au sujet d'opérations bancaires concernant des entités autres que lui; il ne s'était pas prévalu des dispositions lui permettant de refuser son témoignage; les renseignements transmis n'étaient pas susceptibles de l'affecter dans sa situation personnelle.
Agissant par la voie de deux recours de droit administratif, L. demande au Tribunal fédéral d'annuler les ordonnances de la cour cantonale, de lui
BGE 121 II 459 S. 461
reconnaître la qualité pour recourir devant la Chambre d'accusation et de renvoyer la cause à cette dernière afin qu'elle statue sur le fond. Le Tribunal fédéral a rejeté les recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) A qualité pour recourir au Tribunal fédéral au moyen d'un recours de droit administratif quiconque est atteint par la décision attaquée et a un intérêt digne de protection à ce qu'elle soit annulée ou modifiée (
art. 103 lettre a OJ
). Selon l'
art. 98a al. 3 OJ
qui a codifié la jurisprudence du Tribunal fédéral, la qualité pour recourir en instance cantonale pour violation du droit fédéral dans des causes susceptibles d'être déférées au Tribunal fédéral par un recours de droit administratif doit être admise au moins aussi largement que pour ce recours (
ATF 118 Ib 442
).
b) En matière d'entraide judiciaire, la qualité pour recourir est reconnue à la personne physique ou morale directement touchée par un acte d'entraide, sans qu'elle n'ait à se prévaloir d'un intérêt juridiquement protégé. Point n'est besoin qu'elle soit affectée dans ses droits et obligations; il suffit qu'elle soit concrètement touchée - matériellement ou juridiquement - par la mesure ordonnée (
ATF 119 Ib 56
, 59 consid. 2a). La jurisprudence considère que seul mérite la protection légale celui qui se trouve dans un rapport suffisamment étroit avec la décision attaquée, ce qui n'est pas le cas de celui qui n'est atteint que de manière indirecte ou médiate. Elle reconnaît en principe la qualité pour recourir au titulaire d'un compte bancaire au sujet duquel des renseignements sont demandés, ou à la personne qui doit se soumettre à une mesure de contrainte (perquisition, saisie ou interrogatoire; cf.
ATF 121 II 38
consid. 1b,
ATF 118 Ib 442
, 444 consid. 2a,
ATF 116 Ib 106
, 109 consid. 2a).
c) La personne appelée à fournir son témoignage dans le cadre d'une demande d'entraide judiciaire se trouve directement soumise à une mesure de contrainte l'obligeant à se présenter devant le juge d'instruction et à y déposer. On ne saurait cependant reconnaître la qualité pour recourir du témoin en raison des seuls inconvénients liés à sa comparution, indépendamment des renseignements qu'il est appelé à fournir, car cela permettrait à la personne interrogée d'entraver la procédure d'entraide judiciaire, alors même qu'elle ne pourrait invoquer un intérêt légitime. Aussi convient-il de reconnaître la qualité du témoin pour s'opposer à la mesure d'entraide dans la seule mesure où les renseignements qu'il est appelé à fournir le concernent personnellement, ou lorsqu'il entend se
BGE 121 II 459 S. 462
prévaloir d'un droit dont il est personnellement titulaire, comme celui de refuser son témoignage (cf.
ATF 113 Ib 157
, 168 consid. 7a).
Lorsque les renseignements à transmettre figurent dans des documents, la jurisprudence relative à l'
art. 103 let. a OJ
ne reconnaît la qualité pour recourir qu'à la personne directement concernée et la dénie, lorsqu'il s'agit d'une société anonyme, à son actionnaire majoritaire ou unique, ou à l'ayant droit économique, car celui qui recourt à certaines formes juridiques (société anonyme ou rapport de fiducie) pour éviter d'apparaître directement, doit en général en accepter les conséquences (
ATF 114 Ib 156
, 158 consid. 2a et les arrêts cités). Par identité de motifs, le témoin ne peut donc être admis à recourir lorsque sa déposition ne porte pas sur ses propres rapports avec une société dont il est le bénéficiaire économique, mais sur la seule activité de cette société.
d) Or en l'espèce, les demandes d'entraide tendaient à déterminer le titulaire de deux comptes bancaires, destinataire, respectivement originaire de deux versements déterminés. Le premier versement, de 100'000 US$, daté du 21 mai 1987, provenait d'un compte bancaire détenu par la société I., à destination d'un compte global "X." ouvert auprès de la banque A., détenu économiquement par K.; entendu le 13 décembre 1994, ce dernier a indiqué que le versement était destiné au recourant; il a remis au magistrat les instructions données par le recourant quant à l'utilisation ultérieure de cette somme; selon les explications du recourant, il s'agirait du remboursement d'un prêt consenti à un partenaire commercial. Le second versement, de 500'000 US$, daté du 2 avril 1987, provenait d'un compte auprès de la banque B. dont le magistrat requérant désirait connaître le titulaire; il est apparu que la somme n'avait fait que transiter par le compte détenu par la société I. auprès de la banque B., et provenait du compte "X." précité; par lettres des 21 février et 9 mars 1995, K. a confirmé que le recourant était à l'origine de ce virement. Entendu le 4 avril 1995, le recourant a précisé que cette somme était destinée au même partenaire commercial.
Il apparaît que le recourant n'est pas titulaire des comptes visés par les demandes d'entraide; le fait qu'il soit, économiquement, à l'origine ou à la réception des versements concernés n'est pas suffisant pour justifier sa qualité pour agir. Par ailleurs, les renseignements donnés par le recourant au juge d'instruction ne font que confirmer les indications déjà données à son sujet par K., et à la transmission desquelles il ne pourrait de toute façon pas s'opposer; par ailleurs, il n'invoquait aucun motif propre qui
BGE 121 II 459 S. 463
aurait pu justifier une dispense de témoigner. Dans ces conditions, il y a lieu de considérer que le recourant ne pouvait pas se prévaloir d'un intérêt légitime suffisant pour s'opposer à l'octroi de l'entraide judiciaire. Les décisions attaquées ne violent donc pas le droit fédéral. | public_law | nan | fr | 1,995 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c88b2720-e408-42a1-8ae9-4096dfe9f425 | Urteilskopf
99 II 238
33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. September 1973 i.S. H. gegen Dr. H. | Regeste
Art. 161 OG
. Moderationsverfahren.
Hat ein Anwalt mit seinem Klienten für das bundesgerichtliche Verfahren eigene Grundsätze zur Bemessung des Honorars vereinbart, so setzt das Bundesgericht in einem allfälligen Moderationsverfahren das Honorar nach diesen Grundsätzen fest. | Erwägungen
ab Seite 238
BGE 99 II 238 S. 238
Das Bundesgericht hat es bisher abgelehnt, auf ein Moderationsbegehren einzutreten, falls die Parteien über die Höhe des.
BGE 99 II 238 S. 239
Honorars eine Vereinbarung getroffen haben (
BGE 48 II 135
und
BGE 85 I 57
; BIRCHMEIER, a.a.O., N. 2 Abs. 3 zu
Art. 161 OG
, S. 531), da in diesen Fällen lediglich die Gültigkeit der Vereinbarung oder die rechtliche Begründetheit des vereinbarten Honorars angefochten werden könne, was im Moderationsverfahren nicht zulässig sei. Daraus folgt andererseits, dass das Bundesgericht Honorarvereinbarungen, die von
Art. 161 OG
und den dazu entwickelten Bemessungsgrundlagen abweichen, grundsätzlich als zulässig erachtet, ansonst ja die Honorarvereinbarung unbeachtlich wäre und das Bundesgericht das Moderationsverfahren durchführen müsste. Den von der Praxis zu
Art. 161 OG
herausgearbeiteten Bemessungsgrundlagen kommt demzufolge kein zwingender Charakter zu (vgl. zu dieser teilweise kontroversen Frage und ihrer unterschiedlichen Regelung in einzelnen Kantonen: ZBJV 105/1969 S. 372; EICHENBERGER, Beiträge zum Aargauischen Zivilprozessrecht, S. 87; SJZ 37/1941 S. 14 Nr. 11;
BGE 66 I 51
; ZR 53/1954 Nr. 182 und 66/1967 Nrn. 86 und 95; GAUTSCHI, N. 78 b zu
Art. 394 OR
). Im unveröffentlichten Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Mai 1967 i.S. Baur gegen Huber lehnte es das Bundesgericht allerdings ab, den in der vorgedruckten Vollmachtsurkunde als massgebend bezeichneten kantonalen Verbandstarif auf das bundesgerichtliche Verfahren anzuwenden, weil der Tarif nur Rahmenansätze festlege. Es rechtfertigt sich jedoch nicht, die Zulässigkeit von Honorarvereinbarungen oder ihre Berücksichtigung im Moderationsverfahren davon abhängig zu machen, ob sich die Parteien auf einen festen Betrag oder lediglich auf einen Rahmentarif geeinigt haben, weil in beiden Fällen eine Abweichung von den zu
Art. 161 OG
herausgebildeten Bemessungsregeln voliegt. Weder
Art. 161 OG
noch eine andere bundesrechtliche Vorschrift verbieten es den Parteien, sich auf besondere Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung des Honorars zu einigen. Ist die Gültigkeit einer solchen Vereinbarung unbestritten (im Streitfall bliebe der Entscheid darüber dem ordentlichen Zivilrichter vorbehalten), so ist nicht einzusehen, weshalb es das Bundesgericht ablehnen sollte, ein Moderationsverfahren durchzuführen und das Honorar nach den von den Parteien vereinbarten Bemessungsgrundsätzen festzusetzen. Andernfalls gingen die Parteien in vielen Fällen ohne ersichtlichen Grund der mit
Art. 161 OG
geschaffenen
BGE 99 II 238 S. 240
Möglichkeit, das Honorar in einem einfachen, raschen und billigen Verfahren festsetzen zu lassen (
BGE 85 I 57
/58), verlustig.
Beide Parteien haben sich in den Rechtsschriften zum Moderationsverfahren ausdrücklich auf die vom Obergericht Zürich am 8. Dezember 1969 erlassene Verordnung über die Anwaltsgebühren berufen. Das Bundesgericht hat seinem Entscheid folglich deren Tarif zugrunde zu legen. | public_law | nan | de | 1,973 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c88e311a-c901-413b-bd7e-de2e024dbebc | Urteilskopf
111 II 326
64. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Oktober 1985 i.S. N. gegen N. (Berufung) | Regeste
Art. 620 Abs. 1 ZGB
; bäuerliches Erbrecht.
1. Bedeutung der Umzonung der umstrittenen Liegenschaft von der Bauzone in die Landwirtschaftszone für die Beurteilung ihres landwirtschaftlichen Charakters (E. 3a/cc, dd).
2. Eignung des Sohnes des Übernehmers für die Bewirtschaftung und spätere Übernahme des landwirtschaftlichen Gewerbes (E. 3c/bb). | Erwägungen
ab Seite 326
BGE 111 II 326 S. 326
Aus den Erwägungen:
3.
a/cc) Dass die Zuweisung, welche ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück in der Zonenordnung erfährt, ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung seiner künftigen Verwendung darstellt, bestreitet dem Grundsatz nach weder die eine noch die andere der Prozessparteien. Sie streiten sich jedoch über die Bedeutung, welche der Tatsache zukommt, dass die Liegenschaft durch Beschluss der Gemeindeversammlung von der Wohnzone in die Landwirtschaftszone ausgezont wurde. Das Obergericht geht davon aus, dass diese Auszonung von entscheidendem Gewicht bei der Beantwortung der Frage sei, ob von einem landwirtschaftlichen Gewerbe im Sinne von
Art. 620 ZGB
gesprochen werden könne.
BGE 111 II 326 S. 327
In der Tat kommt der Änderung der Nutzung durch Planungsmassnahmen grosses Gewicht zu, und zwar ganz besonders, wenn sie unter der Herrschaft des am 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über die Raumplanung (vom 22. Juni 1979; RPG, SR 700) erfolgte. Dieses Gesetz hat Bund, Kantone und Gemeinden in umfassender Weise zur Raumplanung verpflichtet (
Art. 2 RPG
) und hiefür verbindliche Grundsätze insbesondere zur Schonung der Landwirtschaft (
Art. 3 Abs. 2 RPG
) und zur Begrenzung der Ausdehnung des Siedlungsgebietes (
Art. 3 Abs. 3 RPG
) aufgestellt. Es verlangt eine Ordnung durch Nutzungspläne, welche vorab Bau-, Landwirtschafts- und Schutzzonen festzulegen haben (
Art. 14 RPG
). Die Bauzonen umfassen Land, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (
Art. 15 RPG
), wogegen die Landwirtschaftszonen Land umfassen, das sich für die landwirtschaftliche Nutzung oder den Gartenbau eignet oder im Gesamtinteresse landwirtschaftlich genutzt werden soll (
Art. 16 RPG
). Ungeachtet dessen, dass die Richtpläne, welche die Raumplanung in den Grundzügen festlegen und wegweisend für die Nutzungsplanung sind, in der Regel alle zehn Jahre gesamthaft überprüft und nötigenfalls überarbeitet werden (
Art. 9 Abs. 3 RPG
), bleibt die vom Nutzungsplan vorgeschriebene Zoneneinteilung über Jahre hinweg gültig. Die Nutzungspläne können nur überprüft und nötigenfalls angepasst werden, wenn sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (
Art. 21 Abs. 2 RPG
). Hierauf hat das Bundesgericht mit Nachdruck hingewiesen und dabei gesagt, dass selbst eine Zonenplanänderung nach fünf Jahren nicht allein auf eine gewandelte Einstellung zur Überbauung gestützt werden könne, sondern dass hiefür gewichtige Gründe tatsächlicher oder rechtlicher Art gegeben sein müssten (
BGE 109 Ia 113
ff., mit Verweis auf ZBl 79/1978, S. 358). ...
Damit steht fest, dass sich an der Zoneneinteilung der Liegenschaft in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach nichts ändern wird. Eine Verwendung des Grundstücks zu anderen als landwirtschaftlichen Zwecken, namentlich als Bauland, erscheint so gut wie ausgeschlossen. Das Land wird im Gegenteil auf unabsehbare Zeit mit einem Überbauungsverbot belegt bleiben, zumal keine Entwicklungen ersichtlich sind, welche Anlass zu einer Änderung des Nutzungsplanes geben könnten. Gewiss wird - eine Zunahme der Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse nach mehr Wohnraum vorausgesetzt - die Nachfrage nach Bauland anhalten, was dereinst
BGE 111 II 326 S. 328
einer Ausdehnung der Bauzone rufen könnte. Mit der Auszonung in die Landwirtschaftszone wurde aber gerade die umstrittene Liegenschaft dieser Entwicklung entzogen. Selbst die Kläger behaupten nicht, dass in absehbarer Zeit mit einem Nachfragedruck nach weiterem Bauland in der Gemeinde dergestalt zu rechnen ist, dass von einer erheblichen Veränderung der Verhältnisse gesprochen werden müsste, welche eine Anpassung des Nutzungsplanes im Sinne von
Art. 21 Abs. 2 RPG
rechtfertigte. Im übrigen haben die kantonalen Instanzen für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass die bauliche Entwicklung der Gemeinde eindeutig in Richtung West und nicht nach Osten, somit vom umstrittenen Grundstück weg, verläuft.
dd) Bei dieser Sachlage ist es von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Instanzen dem Umstand, dass die Liegenschaft in die Landwirtschaftszone ausgezont wurde, die entscheidende Bedeutung bei der Beantwortung der Frage, ob es sich um ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von
Art. 620 ZGB
handle, beigemessen haben. Damit ist der Hinweis der Kläger auf das Verhältnis zwischen Ertrags- und Verkehrswert vorweg unbeachtlich. Dass bei einer an das dicht überbaute Siedlungsgebiet angrenzenden Liegenschaft - wie die Kläger weiter ausführen - eine Groberschliessung besteht, ist eine dem Raumplanungsrecht bekannte Tatsache; sie ist aber für den Entscheid im vorliegenden Fall ebenso unerheblich wie die Frage, welcher weiterer Massnahmen der Feinerschliessung es noch bedarf, damit eine Überbauung im Einklang mit den bestehenden Vorschriften über die Quartierplanung möglich wird. Dass selbst im Falle einer späteren Einzonung der Liegenschaft in die Bauzone hiefür noch Jahre erforderlich wären, zumal nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz in dieser Hinsicht noch keinerlei Vorbereitungen getroffen worden sind, bedarf keiner weiteren Begründung. Der von den Klägern ins Feld geführte Umstand schliesslich, dass die Auszonung des umstrittenen Grundstücks in die Landwirtschaftszone während des hängigen Rechtsstreites erfolgte, worin die Kläger eine unzulässige Änderung des Streitgegenstands erblicken, würde - sofern das Argument überhaupt tauglich wäre - das kantonale Prozessrecht berühren, dessen Anwendung vom Bundesgericht nicht überprüft wird (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
e contrario).
c/bb) Im übrigen hatte das Obergericht gute Gründe, nicht allzu hohe Anforderungen an die Eignung des Beklagten zu stellen.
BGE 111 II 326 S. 329
Dieser bewirbt sich als einziger um die Übernahme der Liegenschaft zur landwirtschaftlichen Nutzung. Seine Eignung muss deshalb nicht verglichen werden mit jener eines anderen, allenfalls besser qualifizierten Bewerbers, was Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den in fachlicher Hinsicht gegen den Beklagten erhobenen Einwendungen hätte sein können. Dazu kommt, dass der Beklagte heute 75 Jahre alt ist. Ungeachtet seines derzeitigen Gesundheitszustandes wird er deshalb in absehbarer Zukunft nur noch leichtere Verrichtungen auf dem landwirtschaftlichen Gut ausüben können, während die Hauptlast der Arbeit von seinem heute 46jährigen Sohn zu tragen sein wird.
Dieser Sohn hat 1957/58 einen landwirtschaftlichen Kurs besucht und mit Erfolg abgeschlossen. Er hat seither stets in der Landwirtschaft gearbeitet, so auch auf dem Hof des Beklagten. In zunehmendem Masse wird die Betriebsführung auf ihn übergehen; und es spricht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das landwirtschaftliche Gewerbe bis in eine ferne Zukunft von ihm betrieben werden wird. Streng genommen ist zwar hier die Eignung des beklagten Vaters zur ungeteilten Übernahme des Grundstücks zu beurteilen. Doch wäre es widersinnig und liefe geradezu dem Zweck des bäuerlichen Erbrechts (vgl. dazu
BGE 110 II 331
mit Hinweisen auf Judikatur und Literatur) zuwider, wenn unverhältnismässige Anforderungen an die Eignung des unmittelbaren Übernehmers gestellt würden und gleichzeitig die reale Möglichkeit, dass dessen bereits auf dem landwirtschaftlichen Gut tätiger Sohn dieses in absehbarer Zeit zur Bewirtschaftung auf eigene Rechnung übernimmt, ignoriert würde (vgl. auch
BGE 107 II 34
ff. E. 3). Bei richtiger Betrachtungsweise kommt es deshalb in diesem besonderen Fall mehr auf die persönliche Eignung des Sohnes zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Gewerbes als auf jene des Beklagten an. Der Sohn steht in den besten Jahren und erscheint, wie dargelegt, aufgrund seiner Ausbildung und seiner bisherigen Tätigkeit als Landwirt für die Weiterführung des bäuerlichen Gewerbes geeignet. Insoweit ist die von
Art. 620 ZGB
Abs. 1 geforderte Voraussetzung der Eignung des Übernehmers als erfüllt zu betrachten. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8942075-d6e8-4a42-80cb-4b418c6375a1 | Urteilskopf
125 V 80
12. Urteil vom 12. März 1999 i.S. Visana gegen Eidg. Departement des Innern | Regeste
Art. 13 Abs. 3 KVG
: Entzug der Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung in acht Kantonen auf Ersuchen der Krankenkasse.
- Der Bewilligungsentzug umfasst neben der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zwangsläufig auch die freiwillige Taggeldversicherung gemäss
Art. 67 ff. KVG
.
- Wird die Bewilligung auf Ersuchen der Krankenkasse entzogen, entspricht es dem Regelungsziel von
Art. 13 Abs. 3 KVG
, dass der Versicherer für eine bestimmte Zeit von der Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgeschlossen werden kann. Im vorliegenden Fall wurde die vom Eidg. Departement des Innern verfügte Dauer des Bewilligungsentzuges (zehn Jahre) als bundesrechtskonform erachtet.
Art. 60 Abs. 1 KVG
;
Art. 78 Abs. 4 KVV
: Reserveverwendung bei Rückzug von der Durchführung der sozialen Krankenversicherung. Es besteht keine gesetzliche Grundlage für eine Verpflichtung der Krankenkasse, für alle vom Entzug der Bewilligung betroffenen Versicherten den Betrag, der den gesetzlichen Reserven gemäss
Art. 78 Abs. 4 KVV
entspricht (15% des jeweiligen kantonalen Prämiensolls per Ende 1998), an die Gemeinsame Einrichtung KVG zu bezahlen. Die Auffassung, die Kasse müsse jedem (erzwungenermassen) austretenden Versicherten eine Reserve mitgeben, widerspricht den Grundsätzen des Umlageverfahrens; denn es werden für und bezogen auf die einzelnen Versicherten keine Reserven gebildet.
Art. 110 Abs. 1 OG
: Ausdehnung des Schriftenwechsels auf andere Beteiligte. Abweisung des Gesuchs von drei Krankenkassen und der vom Bewilligungsentzug betroffenen Kantone um Beiladung, da eine Rückwirkung des Urteils auf die Rechtsbeziehungen zwischen Parteien und Gesuchstellern nicht in Frage steht. | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 125 V 80 S. 82
A.-
Nach Kontakten mit dem Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) im Frühsommer 1998 fasste der Stiftungsrat der Krankenkasse Visana (nachfolgend: Visana) an seiner Sitzung vom 30. Juli 1998 den Beschluss, sich in den acht Kantonen Appenzell I.Rh., Appenzell A.Rh., Genf, Glarus, Graubünden, Jura, Neuenburg und Thurgau aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zurückzuziehen. Am 26. August 1998 reichte die Visana zusammen mit den Prämientarifen für 1999 dem BSV das schriftliche "Gesuch um Bewilligung der Sistierung der Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung" in den erwähnten Kantonen ein. Zwecks Gewährung des rechtlichen Gehörs beraumte das BSV mit Schreiben vom 26. August 1998 eine Besprechung mit der Visana auf den 3. September 1998 an. Am 16. September 1998 verfügte das Eidg. Departement des Innern (EDI) den Entzug der Bewilligung der Visana "für die Durchführung der sozialen Krankenversicherung nach
Art. 1 Abs. 1 KVG
" in den acht Kantonen "per 31. Dezember 1998", wobei das Dispositiv im Einzelnen Folgendes anordnete:
1. Bewilligungsentzug
1.1 Entzug der Bewilligung der Stiftung Visana per 31. Dezember 1998 zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung gemäss
Art. 1 Abs. 1 KVG
in den acht Kantonen.
1.2 Feststellung, dass in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung das Versicherungsverhältnis der betroffenen Versicherungspflichtigen mit dem Bewilligungsentzug per 31. Dezember 1998 endet.
1.3 In der freiwilligen Taggeldversicherung (nach
Art. 67 ff. KVG
) beschränkt sich der Bewilligungsentzug auf Einzelversicherte mit Wohnsitz in einem der acht Kantone; gegenüber Kollektivversicherten gilt der Bewilligungsentzug, sofern einer der acht Kantone "Standortkanton des Vertragsnehmers" ist.
2. Auflagen
2.1 Keine Bewilligungserteilung an die Visana zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung gemäss
Art. 1 Abs. 1 KVG
vor dem 1. Januar 2009 in den acht Kantonen.
BGE 125 V 80 S. 83
2.2 Verpflichtung der Visana, für alle vom Bewilligungsentzug betroffenen Versicherten (massgeblicher Bestand: 31. Dezember 1998) denjenigen Betrag an die Gemeinsame Einrichtung KVG zu bezahlen, der den gesetzlichen Reserven gemäss
Art. 78 Abs. 4 KVV
per 31. Dezember 1998 entspricht, somit 15% des jeweiligen kantonalen Prämiensolls, fällig am 15. Januar 1999; Weisung an die Gemeinsame Einrichtung KVG bezüglich Verwendung dieses Betrages.
2.3 Anpassung aller Bestimmungen über das Tätigkeitsgebiet durch die Visana per 1. Januar 1999 in sämtlichen betroffenen Erlassen, Einreichung der geänderten Bestimmungen bis zum 31. Oktober 1998.
2.4 Jederzeitige Gewährleistung der Versichertenrechte durch die Visana (namentlich Recht auf freie Wahl des Versicherers) und individuelle Information aller betroffenen Versicherten; ausdrückliches Verbot, im Rahmen dieses Rückzuges bis am 31. Dezember 1998 direkt oder indirekt Versicherte gemäss Ziff. 1.1 anderen Versicherern zu vermitteln.
2.5 Verpflichtung der Visana, aus der freiwilligen Taggeldversicherung ausscheidende Versicherte über ihr Recht auf Freizügigkeit oder - im Falle der Kollektivversicherten - über ihr Recht auf Übertritt in die Einzelversicherung aufzuklären.
2.6 Verpflichtung der Visana, sämtliche Informationsmittel an die betroffenen Versicherten der Aufsichtsbehörde vor deren Einsatz zur Prüfung zuzustellen. Zurverfügungstellung der Publikationswege der Visana für die direkte und persönliche Information der betroffenen Versicherten durch die Aufsichtsbehörde.
2.7 Verpflichtung der Visana, die korrekte Abwicklung des Rückzuges einschliesslich Berechnung der Reservezahlungen durch eine qualifizierte Revisionsstelle in näher umschriebener Weise auf eigene Kosten mit Pflicht zur Zwischenberichterstattung per 30. November 1998 überprüfen zu lassen.
2.8 Verpflichtung der Visana, für vor dem 1. Januar 1999 erfolgte Behandlungen aus eigenen Rückstellungen nach Massgabe der bundesrechtlichen Vorschriften zu Gunsten der Versicherten zu leisten.
2.9 Verpflichtung der Visana, Leistungen an Versicherte zu erbringen, die mangels Erfassung durch die Beitrittskontrolle noch nicht einem neuen Versicherer zugewiesen werden konnten.
2.10 Verpflichtung der Visana, die für die Beitrittskontrolle per 1. Januar 1999 notwendigen Versichertendaten der Aufsichtsbehörde und den mit der Einhaltung der Beitrittskontrolle betrauten kantonalen Stellen zur Verfügung zu stellen.
3. Aufschiebende Wirkung einer allfälligen Verwaltungsgerichtsbeschwerde
3.1 "Die aufschiebende Wirkung einer eventuellen Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht sollte sich gestützt auf Art. 111 in Verbindung mit
Art. 132 OG
auf die vorstehende Ziff. 2.2 des Dispositivs beschränken."
BGE 125 V 80 S. 84
B.-
Die Visana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren um Aufhebung der Ziffern 1.3 (Weiterführung der freiwilligen Taggeldversicherung in einer geschlossenen Abteilung zu gestatten), 2.1, 2.2, 2.3 (soweit die freiwillige Taggeldversicherung betreffend), 2.4, 2.5, 2.6 (eventualiter mit der Präzisierung, dass nur die Zeitschrift "Forum" bis 31. Dezember 1998 kostenlos zur Verfügung zu stellen sei), 2.7 (eventualiter mit der Präzisierung, dass im Falle der Abweisung des Antrages zu Auflage 2.2 die Revision durch die Firma X im Rahmen der ordentlichen Jahresrevision durchzuführen sei), 2.9 und 2.10 (soweit die freiwillige Taggeldversicherung betreffend).
Ferner ersuchte sie um Gewährung der aufschiebenden Wirkung mit Bezug auf Ziff. 1.3 der Verfügung sowie für verschiedene Auflagen.
Mit Verfügung vom 2. Dezember 1998 stellte der Präsident des Eidg. Versicherungsgerichts fest, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung habe, soweit sie sich gegen Dispositiv-Ziff. 2.2 der angefochtenen Departementsverfügung richtet und erteilte der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Dispositiv-Ziff. 1.1 und 1.3 sowie 2.3 der Departementsverfügung betreffend die freiwillige Taggeldversicherung nach
Art. 67 KVG
richtet. Soweit weiter gehend, wies er das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab.
Nach Erlass dieser Verfügung zur materiellen Stellungnahme aufgefordert, liess sich das EDI am 22. Dezember 1998 mit dem Antrag auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen.
C.-
Auf die Vorbringen der Parteien und die Beiladungsgesuche der Krankenkassen CSS Versicherung, SWICA Gesundheitsorganisation und Helsana Versicherungen AG (aus dem am 2. Dezember 1998 beurteilten Verfahren [
BGE 124 V 393
]) und der acht Kantone gemäss dem nachträglich eingegangenen Schreiben vom 11. Januar 1999 wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen Bezug genommen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
(Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde).
2.
(Beschwerdelegitimation).
3.
a) Wie aus der Präsidialverfügung vom 2. Dezember 1998 hervorgeht, liegen im Streit
- der vom EDI verfügte Entzug der Bewilligung zur Durchführung der freiwilligen Taggeldversicherung ab 1. Januar 1999 und
BGE 125 V 80 S. 85
- die getroffenen Auflagen gemäss Ziff. 2.1, 2.2, 2.3 (soweit die freiwillige Taggeldversicherung betreffend), 2.4, 2.5, 2.6 (eventualiter mit der Präzisierung, dass nur die Zeitschrift "Forum" bis 31. Dezember 1998 kostenlos zur Verfügung zu stellen sei), 2.7 (eventualiter mit der Präzisierung, dass im Falle der Abweisung des Antrages zur Auflage 2.2 die Revision durch die Firma X im Rahmen der ordentlichen Jahresrevision durchzuführen sei), 2.9 und 2.10 (soweit die freiwillige Taggeldversicherung betreffend).
b) Diese im Streit liegenden verfügten Punkte des Bewilligungsentzuges, an welchen das EDI gemäss seiner Vernehmlassung nach wie vor festhält, sind nachfolgend auf ihre Bundesrechtsmässigkeit, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, zu prüfen (
Art. 104 lit. a OG
). Soweit sich Sachfragen stellen, ist das Eidg. Versicherungsgericht zur Prüfung der Sachverhaltsfeststellung befugt, weil das Departement keine gerichtliche Vorinstanz ist. Hingegen scheidet eine gerichtliche Prüfung der getroffenen Anordnungen auf ihre Angemessenheit hin (zum Unterschied gegenüber der Prüfung auf Ermessensmissbrauch oder -überschreitung siehe
BGE 114 V 316
Erw. 5a und
BGE 116 V 310
Erw. 2 im Vergleich zu
BGE 110 V 365
Erw. 3b) aus, weil es hier nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (
Art. 132 OG
). Schliesslich ist das Eidg. Versicherungsgericht an die Anträge der Beschwerdeführerin gebunden, kann also insbesondere nicht zu ihrem Nachteil über sie hinausgehen. Das betrifft namentlich die Pflicht zur Ablieferung der in Ziff. 2.2 der Verfügung angeordneten 15% des jeweiligen kantonalen Prämiensolls, handelt es sich doch hiebei nicht um Abgaben im Sinne von
Art. 114 Abs. 1 OG
.
4.
Zu prüfen ist zunächst, ob das EDI zu Recht den Bewilligungsentzug auf die freiwillige Taggeldversicherung nach den
Art. 67-77 KVG
erstreckt hat (Dispositiv-Ziff. 1.3 der Departementsverfügung).
a) Schon in der angefochtenen Verfügung hat das EDI Dispositiv-Ziff. 1.3 damit begründet, die Bewilligungserteilung nach
Art. 13 Abs. 1 KVG
beziehe sich auf die Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der freiwilligen Taggeldversicherung nach den
Art. 67-77 KVG
, weil diese beiden Versicherungssparten gemäss
Art. 1 Abs. 1 KVG
zusammen die soziale Krankenversicherung bildeten. Die gleiche Betrachtungsweise habe folgerichtig auch beim Bewilligungsentzug nach
Art. 13 Abs. 3 KVG
zu gelten. In der Vernehmlassung zur aufschiebenden Wirkung wird dies mit dem Hinweis verdeutlicht, die freiwillige Taggeldversicherung sei ein "unabdingbarer
BGE 125 V 80 S. 86
Bestandteil der sozialen Krankenversicherung", würden doch beide Versicherungsarten "nach dem klaren Wortlaut von
Art. 1 KVG
eine Einheit bilden"; eine Aufsplitterung des Bewilligungsentzuges auf einzelne Bestandteile der sozialen Krankenversicherung sei gesetzlich nicht vorgesehen, dies im Unterschied zu einer gebietsweisen Beschränkung der Tätigkeit auf einzelne Kantone, wie dies etwa
Art. 4 Abs. 2 KVG
regle. In der materiellen Vernehmlassung begründet das Departement diese "einheitliche Behandlung der Tätigkeiten" damit, dass "Rosinen picken" verhindert werden soll. So könnte etwa durch den Abschluss von Kollektiv-Taggeldverträgen mit Arbeitgebern ein andauernder Neuzugang an Zusatzversicherten sichergestellt werden. Diese Möglichkeit sei im Geschäftsbereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung infolge des Kollektivvertragsverbotes nicht gegeben. Dass die beiden Versicherungen bei verschiedenen Anbietern abgeschlossen werden können, vermöge hieran nichts zu ändern. Auch diese seien gehalten, beide zur sozialen Krankenversicherung gehörenden Versicherungsarten anzubieten, und verpflichtet, Gesuchsteller aufzunehmen. Die Fortführung des Versichertenbestandes in einer geschlossenen Abteilung habe "zwei gravierende Nachteile": Zum einen wäre der Anspruch auf Freizügigkeit zu einem späteren Zeitpunkt nicht geregelt; zum andern würden in der geschlossenen Abteilung mit der Zeit infolge Nichterneuerung des Versichertenbestandes und des damit verbundenen Risikoanstiegs die Prämien ansteigen.
b) Die Beschwerdeführerin wendet hiegegen ein, die freiwillige Taggeldversicherung müsse nicht zwingend (und auch nicht beim gleichen Versicherer) abgeschlossen werden, wie dies bei der obligatorischen Krankenversicherung der Fall sei (
Art. 67 Abs. 1 und 2 KVG
); nach
Art. 68 Abs. 2 KVG
würden auch Versicherer anerkannt, die nur die freiwillige Taggeldversicherung anbieten. Im Weitern hätten zwar Personen, welche die Taggeldversicherung wechseln wollten, dem neuen Versicherer gegenüber einen Anspruch auf die Weiterführung der bisherigen Versicherungsdeckung. Es sei aber nicht zu verkennen, dass die neuen Versicherer erfahrungsgemäss die Taggeldversicherung nur mit einem tiefen maximalen Taggeld anbieten und für höhere Leistungen auf die Zusatzversicherung verweisen würden, wo die Prämien risikogerecht abgestuft und Ausschlüsse angebracht werden könnten, womit
Art. 70 Abs. 4 KVG
unterlaufen würde. Für ein zwingendes Zusammengehören beider Versicherungssparten gebe es keine gesetzliche Grundlage. Dies sei auch
BGE 125 V 80 S. 87
sachlich nicht nötig und entspreche nicht den mit der freiwilligen Taggeldversicherung nach KVG verbundenen legislatorischen Absichten (Recht auf Abschluss der Versicherung, zeitliche Beschränkung von Vorbehalten). Die Weiterführung des bisherigen Taggeldversichertenbestandes in geschlossener Abteilung, d.h. ohne Neuaufnahmen, diene dem Schutz dieser versicherten Personen, sei doch deren Risiko, eine entsprechende Versicherungsdeckung anderwärts nicht mehr "zum gleichen Preis" abschliessen zu können, sehr gross.
c) aa) Nach
Art. 1 Abs. 1 KVG
regelt das Gesetz die soziale Krankenversicherung (erster Satz). Sie umfasst die obligatorische Krankenpflegeversicherung und eine freiwillige Taggeldversicherung (zweiter Satz). Die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist im 2. Titel (
Art. 3-66 KVG
) geregelt, dies in den Kapiteln Versicherungspflicht (
Art. 3-10 KVG
), Organisation (
Art. 11-23 KVG
), Leistungen (
Art. 24-34 KVG
), Leistungserbringer (
Art. 35-59 KVG
) und im 5. Kapitel über die Finanzierung (
Art. 60-66 KVG
). Der 3. Titel über die freiwillige Taggeldversicherung umfasst die
Art. 67-77 KVG
, bevor dann das Gesetz in den restlichen Titeln die Koordinationsregeln (4.), Verfahren, Rechtspflege, Strafbestimmungen (5.) und die Schlussbestimmungen (6.) regelt.
Art. 68 Abs. 3 KVG
erklärt die Art. 11-17 über die Versicherer, also auch den Art. 13 über die Bewilligung, für die Taggeldversicherer als sinngemäss anwendbar.
bb) Schon diese Gesetzessystematik spricht für den vom EDI vertretenen Standpunkt, nicht für die Betrachtungsweise der Visana. Hinzu kommt, dass der für die Taggeldversicherung ausdrücklich als sinngemäss anwendbar erklärte
Art. 13 Abs. 1 KVG
lautet: Das Departement bewilligt den Versicherungseinrichtungen, welche die Anforderungen dieses Gesetzes erfüllen (Versicherer), die Durchführung der sozialen Krankenversicherung (erster Satz). Auch Abs. 2 spricht von der sozialen Krankenversicherung (lit. a), ebenso Abs. 3, welcher als Gegenstand des Bewilligungsentzuges die Durchführung der sozialen Krankenversicherung bezeichnet. Die Verwendung des Oberbegriffes der sozialen Krankenversicherung (obligatorische Krankenpflege- und freiwillige Taggeldversicherung) findet in weiteren Bestimmungen des Gesetzes ihre Entsprechung, z.B. bei der Begriffsumschreibung der Krankenkassen, wo wiederum auf die soziale Krankenversicherung Bezug genommen wird, und nicht auf die eine oder andere der beiden Sparten der sozialen Krankenversicherung (
Art. 12 Abs. 1 KVG
). Dass sich bei den übrigen Versicherern, also den privaten Versicherungseinrichtungen im Sinne von
BGE 125 V 80 S. 88
Art. 11 lit. b KVG
, keine analoge Bestimmung findet, versteht sich aus systematischen Gründen von selbst, unterliegen doch die privaten Versicherer dem KVG nur insofern, als sie obligatorische Krankenpflegeversicherung nach den Art. 3 ff. betreiben (vgl. Ingress zu
Art. 11 KVG
: "Die obligatorische Krankenpflegeversicherung wird betrieben durch: [...]").
cc) Wortlaut und Systematik sprechen daher eindeutig für die vom EDI vertretene Auffassung, wogegen die Hinweise der beschwerdeführenden Kasse auf Art. 67 Abs. 1 und 2 sowie
Art. 68 KVG
nicht durchzudringen vermögen. Insbesondere
Art. 68 Abs. 2 KVG
regelt einzig den Spezialfall der Betriebs- oder Verbandskrankenkassen. Wenn sodann
Art. 67 Abs. 2 KVG
erlaubt, für die freiwillige Taggeldversicherung einen anderen Versicherer zu wählen als denjenigen für die obligatorische Krankenpflegeversicherung, so präjudiziert dies keineswegs die Antwort auf die hier allein streitige Frage, ob es zulässig sei, dass sich eine Krankenkasse (in einzelnen Kantonen) auf die Durchführung der freiwilligen Taggeldversicherung beschränken will. Vielmehr ist die Anerkennungsvoraussetzung nach
Art. 13 Abs. 2 lit. d KVG
gebührend zu würdigen, wonach die Versicherer "auch" die Einzeltaggeldversicherung nach diesem Gesetz durchführen müssen. Dieser Wortlaut zeigt klar, dass die freiwillige Taggeldversicherung ein Akzessorium der obligatorischen Krankenpflegeversicherung darstellt, hinsichtlich dessen die Versicherer alle gesetzlich angeordneten Pflichten treffen (insbesondere die gesetzliche Kontrahierungspflicht nach
Art. 68 Abs. 1 KVG
). Umgekehrt nun das Akzessorium der (im Übrigen dann noch in geschlossener Abteilung geführten) freiwilligen Taggeldversicherung zur einzigen Aktivität der Kasse im Rahmen der sozialen Krankenversicherung machen zu wollen, entspricht nicht den Regelungsabsichten des Gesetzgebers, wie sie in der Gesetzeskonzeption ihren Niederschlag gefunden haben.
dd) Soweit die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sich gegen Dispositiv-Ziff. 1.1 und 1.3 der Departementsverfügung betreffend die freiwillige Taggeldversicherung richtet, ist sie somit unbegründet. Damit sind auch die Anträge der beschwerdeführenden Kasse zu Dispositiv-Ziff. 2.3 (Anpassung der Reglemente) und 2.10 (Meldepflicht), welche laut Rechtsbegehren nur bezüglich der freiwilligen Taggeldversicherung angefochten waren, ohne Weiteres abzuweisen. Die Visana wird daher auch im Bereich der freiwilligen Taggeldversicherung ihre Bestimmungen über das Tätigkeitsgebiet anzupassen und die angeordneten Meldepflichten zu erfüllen haben. In zeitlicher Hinsicht
BGE 125 V 80 S. 89
wird das EDI unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Visana betreffend den Entzug der Bewilligung zur Durchführung der freiwilligen Taggeldversicherung aufschiebende Wirkung erteilt worden ist, die betreffenden Versicherungsverhältnisse in diesem Bereich somit bisher noch nicht aufgehoben worden sind (Präsidialverfügung vom 2. Dezember 1998), neu zu verfügen haben.
5.
Zu prüfen ist weiter die verfügte Sperrfrist von zehn Jahren, wonach der Visana vor dem 1. Januar 2009 keine neue Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung in den acht Kantonen erteilt wird (Dispositiv-Ziff. 2.1).
a) Nach
Art. 13 Abs. 3 KVG
entzieht das Departement einem Versicherer die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung, wenn er (1) darum ersucht oder (2) die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt (erster Satz).
Nach dem Gesagten steht fest, dass die Voraussetzung (1) zum Entzug der Durchführungsbewilligung erfüllt ist: In Bezug auf die obligatorische Krankenpflegeversicherung Voraussetzung (1), weil die Visana darum ersucht hat, welcher Entzug sich entsprechend den vorstehenden Darlegungen auch auf die freiwillige Taggeldversicherung erstreckt.
Nun schweigt sich das Gesetz, seinem Wortlaut nach, darüber aus, ob es zulässig sei, den Bewilligungsentzug, wie verfügt, zum Voraus für eine feste Zeit auszusprechen.
b) Die beschwerdeführende Kasse bestreitet, dass für eine belastende Auflage, wie sie die zehnjährige Sperrfrist darstelle, eine gesetzliche Grundlage bestehe. Sie erfülle die Voraussetzungen nach wie vor und hätte deshalb gegebenenfalls Anspruch auf eine Bewilligungserteilung. Sofern sie sich nicht gesetzmässig verhalte, könne das BSV auf dem Aufsichtsweg mit Hilfe von Weisungen (
Art. 21 Abs. 4 KVG
) korrigierend eingreifen. Auf Erfahrungswerte lasse sich die Dauer der zehnjährigen Sperrfrist nicht abstützen. In den ersten Gesprächen mit dem BSV sei von einer Sperrfrist zwischen drei bis fünf Jahren die Rede gewesen. Dass die Sperrfrist dann, nachdem das BSV die Vertreter der acht Kantone und des Konkordats der schweizerischen Krankenversicherer, d.h. der Konkurrenz, empfangen habe, auf zehn Jahre festgelegt worden sei, erhärte den Verdacht, dass hier auf Druck von aussen entschieden worden sei. Der Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an die Visana (Verwendung des Rückzuges dazu, um schlechte Risiken an die Konkurrenz abzugeben, nachher wieder am Markt aufzutreten und gute
BGE 125 V 80 S. 90
Risiken zu akquirieren) gehe an der Sache vorbei, bestehe doch auf Grund der gesetzlichen Aufnahmeverpflichtung gar keine Möglichkeit, unter den Bewerbern auszuwählen. Im Übrigen sei die Dauer der Sperrfrist unangemessen lang.
c) aa) Mit dieser Kritik an der durch das EDI verfügten Sperrfrist dringt die Visana weder im Grundsatz noch im Masslichen durch. Zwar ist ihr durchaus zuzugestehen, dass
Art. 13 Abs. 3 KVG
sich darüber ausschweigt, in welchem zeitlichen Rahmen ein Entzug der Durchführungsbewilligung (EUGSTER, Krankenversicherungsrecht, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 52 ff.) zu verfügen ist. Die Antwort ergibt sich aber aus dem Regelungsgehalt dieser Bestimmung: Dort, wo die Krankenkasse die gesetzlichen Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt (Variante 2), ist der Bewilligungsentzug mindestens so lange aufrechtzuerhalten, als dies zutrifft. Bei dieser Variante des Bewilligungsentzugs wird ein neues Gesuch um Erteilung der Durchführungsbewilligung mit Aussicht auf Erfolg somit erst gestellt werden können, wenn die Krankenkasse Abhilfe geschaffen und den gesetzmässigen Zustand wiederhergestellt hat, d.h. sich nunmehr darüber auszuweisen vermag, dass sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Bei dieser Variante des Bewilligungsentzuges wäre die Anordnung einer Sperrfrist in der Tat problematisch, weil das Departement nicht zum Voraus wissen kann, ob, und bejahendenfalls ab welchem Zeitpunkt, die Krankenkasse durch entsprechende Dispositionen die Voraussetzungen zur Wiedererteilung der Durchführungsbewilligung schafft.
bb) Bei der hier vorliegenden Variante (1) des Bewilligungsentzuges auf Gesuch der anerkannten Krankenkasse hin ("wenn er [der Versicherer] darum ersucht"), verhält es sich grundlegend anders. Diese Art des Bewilligungsentzuges, welche sich allein auf das Ersuchen der Krankenkasse stützt, ist ja nicht daran gebunden, dass die Durchführungsvoraussetzungen nach
Art. 13 Abs. 2 lit. a-e KVG
nicht (mehr) erfüllt sind. Mit anderen Worten ist es allein die Erklärung der Krankenkasse, sie ersuche um Entzug der Durchführungsbewilligung, welche diese Rechtsfolge eintreten lässt. Bei dieser Variante des Bewilligungsentzuges ist es durchaus zulässig, ja geboten, dass das Departement den Motiven Beachtung schenkt, welche dem Ersuchen der Kasse um Entzug der Durchführungsbewilligung zu Grunde liegen. Diese liegen im Falle der Visana auf der Hand: Ihre Versichertenstruktur wies in den acht Kantonen eine dermassen ungünstige Risikoselektion auf, dass für eine kostendeckende Versicherungsdurchführung massivste Prämienerhöhungen
BGE 125 V 80 S. 91
erforderlich gewesen wären, mit denen die Visana gegenüber ihren Mitkonkurrentinnen im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht mehr hätte mithalten können. Die Visana stand somit unternehmerisch vor zwei möglichen Entscheidungen: entweder kostengebotene Heraufsetzung der Prämien und damit - unter dem Vorbehalt, dass die stark erhöhten Prämien vom BSV überhaupt genehmigt worden wären - Inkaufnahme einer Massenabwanderung von Versicherten in den acht Kantonen zu den anderen Kassen; oder der vom Departement bewilligte Teilrückzug, welcher darin besteht, sich in den acht Kantonen aus der sozialen Krankenversicherung zurückzuziehen, was die zurückbleibenden Versicherten zwingt, zu einem andern die obligatorische Krankenpflegeversicherung im Kanton noch durchführenden Versicherer zu ziehen (oder einem solchen zugewiesen zu werden). Werden diese Zusammenhänge erkannt, kann es keinesfalls in das Belieben der Visana gestellt werden, schon nach kurzer Zeit auf von ihr zu Lasten des KVG-Systems bereinigter Grundlage wieder die obligatorische Krankenpflegeversicherung anzubieten. Dass die Visana bei Gelegenheit einer solchen "zweiten Runde" allfällige schlechte Risiken wieder aufnehmen müsste, ändert nichts daran, dass sie sich eines über Jahre hinweg angesammelten, bei ihr konzentrierten risikomässig ungünstigen Versichertenbestandes zu Lasten der Versicherten und der anderen Versicherer entledigen konnte. Das ist ein gegen die Intentionen des Gesetzes gerichtetes Verhalten, dem nur mit einem auf gewisse Dauer angelegten Bewilligungsentzug begegnet werden kann.
cc) Es entspricht daher nicht dem Wortlaut, wohl aber dem mit
Art. 13 Abs. 3 KVG
anvisierten Regelungsziel, dass ein Versicherer dort, wo er auf sein Gesuch hin das Bewilligungsentzugsverfahren auslöst, für eine bestimmte Zeit von der Durchführung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgeschlossen werden kann. Was die Dauer als solche anbelangt (zehn Jahre), vermögen sämtliche Einwendungen der Visana die verfügte Sperrfrist vielleicht als lang, allenfalls als unangemessen lang, keinesfalls aber als ermessensmissbräuchlich erscheinen zu lassen, mit welcher Form der rechtsfehlerhaften Ermessensausübung die Beschwerdeführerin im Lichte der hier gegebenen Kognition (Erw. 3b hievor) einzig zu hören ist.
6.
Zu prüfen ist sodann die Rechtmässigkeit von Dispositiv-Ziff. 2.2 der Departementsverfügung. Danach hat die Visana für alle vom Entzug der Bewilligung betroffenen Versicherten, welche am 31. Dezember 1998 bei ihr
BGE 125 V 80 S. 92
versichert sind, den Betrag, der den gesetzlichen Reserven gemäss
Art. 78 Abs. 4 KVV
per 31. Dezember 1998 entspricht, an die Gemeinsame Einrichtung KVG zu bezahlen, welche den Betrag gemäss Weisung der Aufsichtsbehörde verwendet. Dieses Betreffnis entspricht 15% des jeweiligen kantonalen Prämiensolls.
a) Diese Auflage hat das EDI in der angefochtenen Verfügung wie folgt begründet:
"Im vorliegenden Zusammenhang ist von Bedeutung, dass kein freiwilliger Kassenwechsel der Versicherten vorliegt, wenn diese in den acht Kantonen die Visana infolge deren Aufgabe der Tätigkeit verlassen müssen. Vielmehr werden die Versicherten mit dem Rückzug der Visana aus den acht Kantonen zu einem Kassenwechsel gezwungen. Die anderen Versicherer werden verpflichtet, über 100'000 Versicherte aufzunehmen, welche zuvor bei der Visana versichert waren. Die Pflicht, diesen Versicherten Versicherungsschutz zu gewähren, besteht von Gesetzes wegen und ungeachtet dessen, ob nun ein Anteil an den Gesamtreserven der Visana auf die übernehmenden Kassen weitergegeben wird oder nicht und diese damit im Markt besser, schlechter oder gleich gestellt werden wie bisher. Die Versicherer können die Aufnahme der bisherigen Visana-Versicherten nicht davon abhängig machen, dass diesen beim Wechsel Reserven der Visana mitgegeben werden. Die Mittel der sozialen Krankenversicherung dürfen aber nur zu deren Zwecken verwendet werden (Art. 13 Abs. 2 Bst. a KVG). Dieses Zweckverwendungs-Gebot schliesst ein, dass bei der Verwendung die Ziele des KVG nicht verletzt werden. Wie oben erwähnt, ist ein Ziel des KVG, dass Marktmechanismen nicht verfälscht werden.
Wenn die Visana nicht fusioniert und sich nur aus einem Teil des bisherigen Tätigkeitsgebietes zurückzieht, so muss demnach auch in Bezug auf die Verwendung der Reserven sichergestellt sein, dass das gewählte Vorgehen mit den Zielen des KVG in Einklang steht. Wenn nun aber die in den acht Kantonen verbleibenden Versicherer verpflichtet sind, die 100'000 Versicherten der Visana zu übernehmen, kann dies sowohl in den acht Kantonen wie auch in den übrigen Kantonen zu Marktverfälschungen führen, indem die zur Übernahme verpflichteten Kassen zusätzlich belastet und andererseits die Visana in ihrem Resttätigkeitsgebiet ungerechtfertigterweise entlastet würde. Diese Möglichkeit ist umso wahrscheinlicher, als die Visana in den betreffenden Kantonen insbesondere eine ungünstige Altersstruktur aufweist. Darum ist vorliegend im Sinne des gesetzlichen Zweckverwendungsgebotes und in Anlehnung an die Regelung in
Art. 99 KVG
vorzusehen, dass die Visana für alle vom Entzug der Bewilligung betroffenen Versicherten einen Betrag bezahlt, der den gesetzlichen Reserven gemäss
Art. 78 Abs. 4 KVV
entspricht."
b) Diese in der materiellen Vernehmlassung noch näher begründete Auffassung des Departementes wird von der Visana zu Recht als gesetzwidrig gerügt. Auszugehen ist dabei vom Grundsatz, dass auch das Aufsichtsrecht, namentlich
BGE 125 V 80 S. 93
bei der Anordnung von Auflagen, vom Legalitätsprinzip beherrscht ist (MASTRONARDI, Grundbegriffe und allgemeine Grundsätze der Verwaltungsorganisation, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 20 f.; HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 186 N. 733; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, S. 354, Nr. 59 B II a; GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. I, S. 408).
aa) Fest steht, dass die Norm, welche den Bewilligungsentzug regelt (
Art. 13 KVG
), keine Grundlage für eine solche Verpflichtung enthält.
bb) Zweitens ergibt sich keine entsprechende Befugnis des Departements aus dem Aufsichtsrecht (
Art. 21 KVG
). Denn von Massnahmen zur Wiederherstellung des gesetzmässigen Zustandes (
Art. 21 Abs. 5 lit. a KVG
) kann hier nicht die Rede sein, weil die Visana keine gesetzlichen Vorschriften missachtet hat.
cc) Die Anforderungen an und die Eingriffe in den Finanzhaushalt der Kasse sind in den
Art. 60 KVG
und
Art. 78-88 KVV
abschliessend geregelt. Keine dieser Bestimmungen sieht eine entsprechende Verpflichtung der Beschwerdeführerin vor.
dd) Schliesslich lässt sich eine solche Verpflichtung auch nicht, in Ergänzung des Gesetzes, aus allgemeinen Überlegungen zum Finanzierungsverfahren der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erreichen. Der Gedanke, die Kasse müsse jedem (erzwungenermassen) austretenden Versicherten eine Reserve mitgeben, widerspricht diametral den Grundsätzen des Umlageverfahrens; denn es werden für und bezogen auf die einzelnen Versicherten keine Reserven gebildet (
Art. 60 Abs. 1 KVG
). Die gesetzliche Verpflichtung, ausreichende Reserven in Form von Schwankungs- und Reservefonds sowie Rückstellungen in verordnungsmässig näher umschriebener Weise (
Art. 78 KVV
) zu äufnen, dient dazu, die Zahlungsfähigkeit der Kasse für den Fall sicherzustellen, dass die laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben nicht decken. Sie kann so wenig wie die übergangsrechtliche Bestimmung des
Art. 99 KVG
als Grundlage herangezogen werden, um die weiter bestehende Kasse zu einer Zwangsabgabe zu verpflichten, die im Gesetz nicht vorgesehen ist. Dispositiv-Ziff. 2.2 der Verfügung des EDI ist demnach bundesrechtswidrig (Erw. 3b hievor).
7.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die nachfolgenden Auflagen der Dispositiv-Ziff. 2.3 bis 2.10, soweit angefochten, ohne Weiteres zu bestätigen, weil sie sich darauf beschränken, die ordnungsmässige Vollziehung
BGE 125 V 80 S. 94
des Rückzuges der Visana aus den acht Kantonen sicherzustellen, dies mit folgenden Ausnahmen und Präzisierungen:
a) Die Anordnung in Dispositiv-Ziff. 2.4 betreffend Vermittlungsverbot bis 31. Dezember 1998 ist durch Zeitablauf gegenstandslos geworden.
b) Soweit sich Dispositiv-Ziff. 2.7 auf die Berechnung der Reservezahlungen an die gemeinsame Einrichtung KVG bezieht, ist diese Auflage ohne Weiteres aufzuheben, nachdem eine solche Pflicht der beschwerdeführenden Visana nicht besteht.
8.
a) In dem mit Urteil vom 2. Dezember 1998 (
BGE 124 V 393
) abgeschlossenen Verfahren stellten die drei Krankenkassen CSS Versicherung, SWICA Gesundheitsorganisation und Helsana Versicherungen AG den - nicht näher begründeten - Eventualantrag auf Beiladung in das vorliegende Beschwerdeverfahren. Mit Eingabe vom 11. Januar 1999 beantragten ferner der Kanton Thurgau sowie die anderen sieben vom Rückzug der Visana betroffenen Kantone, sie seien als Verfahrensbeteiligte zum vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren zuzulassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Kantone seien vom Entscheid unmittelbar betroffen, da sie die Einhaltung der Versicherungspflicht zu kontrollieren und durchzusetzen hätten. Ferner trügen die Kantone die Hauptverantwortung für die lückenlose Übertragung von rund 100'000 Versicherungsverhältnissen von der Visana auf andere Kassen.
b) Angesichts des weiten Parteibegriffs ist das Institut der Intervention (vgl.
Art. 15 BZP
) - worunter der Eintritt interessierter Dritter in den Prozess zu verstehen ist - im Verwaltungsrechtspflegeverfahren des Bundes überflüssig und daher nicht vorgesehen (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 183; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 190 N. 526; SALADIN, Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 187). Hingegen sieht
Art. 110 Abs. 1 OG
vor, dass der Schriftenwechsel auf andere "Beteiligte" ausgedehnt werden kann. Eine Pflicht zur Beiladung oder, als Korrelat dazu, ein Anspruch auf Beiladung besteht jedoch nicht. Vielmehr entscheidet das Gericht, wer als Beteiligter in den Schriftenwechsel einbezogen wird (KÖLZ/HÄNER, a.a.O., S. 346 N. 979). Der Einbezug "Beteiligter" in den Schriftenwechsel hat den Sinn, die Rechtskraft des Urteils auf den Beigeladenen auszudehnen, sodass dieser in einem später gegen ihn gerichteten Prozess dieses Urteil gegen sich gelten lassen muss. Das Interesse an einer
BGE 125 V 80 S. 95
Beiladung ist rechtlicher Natur. Es muss eine Rückwirkung auf eine Rechtsbeziehung zwischen der Hauptpartei und dem Mitinteressierten in Aussicht stehen (GYGI, a.a.O., S. 183 f.; KÖLZ/HÄNER, a.a.O., S. 191 N. 528; in diesem Sinne auch unveröffentlichte Urteile K. vom 12. Januar 1993 und M. vom 13. März 1986).
c) Im Lichte dieser grundsätzlichen Überlegungen zu Bedeutung und Tragweite von
Art. 110 Abs. 1 OG
sind die Beiladungsbegehren sowohl der drei Krankenversicherer als auch der acht Kantone ohne Weiteres abzulehnen. Denn eine rechtlich relevante Rückwirkung des vorliegenden Prozessausgangs auf die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien und den drei Krankenversicherern sowie den acht Kantonen in dem Sinne, dass auch auf diese die Rechtskraft des heutigen Urteils auszudehnen wäre, steht nicht in Frage.
9.
(Kosten und Parteientschädigung) | null | nan | de | 1,999 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c898b178-7761-4839-891b-e14cc06d6e31 | Urteilskopf
103 Ib 20
5. Sentenza 1o marzo 1977 della Corte di Cassazione penale nella causa F. c. Dipartimento di Giustizia del Cantone Ticino | Regeste
Wurde das Begehren eines Staates um Auslieferung eines in der Schweiz befindlichen Ausländers abgelehnt, so darf dieser auch nicht im Vollzug einer gerichtlich angeordneten Landesverweisung diesem Staat zugeführt werden, falls der Verurteilte in einen anderen Nachbarstaat ausreisen kann. | Sachverhalt
ab Seite 20
BGE 103 Ib 20 S. 20
La Corte delle assise correzionali di Lugano-Città condannava F., cittadino italiano, alla pena di 9 mesi di detenzione e alla pena accessoria dell'espulsione dal territorio svizzero per 10 anni per i reati di furto e di circolazione senza licenza di condurre. L'autorità cantonale di vigilanza sull'esecuzione delle pene ha deciso che la pena accessoria dell'espulsione sarebbe stata eseguita immediatamente dopo la liberazione condizionale del condannato.
Una domanda di estradizione di F., presentata dalle autorità italiane, veniva nel frattempo respinta dalla Divisione di polizia del Dipartimento federale di giustizia e polizia in quanto i reati imputati al ricercato non erano di natura estradizionale.
Il Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino disponeva che l'espulsione sarebbe avvenuta verso l'Italia con il cosiddetto sistema del
BGE 103 Ib 20 S. 21
"visto uscire" che consiste nel far controllare de visu da parte della polizia che l'espulso, liberato in prossimità di un valico doganale, abbandoni effettivamente il nostro territorio nazionale; con tale sistema viene evitata la consegna dell'espulso nelle mani delle autorità di polizia italiane.
Così richiesto il Dipartimento federale di giustizia e polizia comunicava al patrocinatore del condannato di non opporsi a che l'esecuzione dell'estradizione avvenisse verso la Francia, ammesso che l'interessato disponesse dei necessari documenti d'identità.
Con successiva istanza F. ha formalmente chiesto al Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino di essere espulso verso la Francia e non verso l'Italia.
Il Dipartimento di giustizia ha respinto l'istanza.
A fondamento della propria decisione quel Dipartimento ha rilevato che l'espulsione verso l'Italia sarebbe stata conforme alla sua prassi costante; d'altro canto il sistema del "visto uscire", previsto per l'espulsione di F., sarebbe stato introdotto per evitare la "traditio brevi manu" nei casi in cui l'espulso è ricercato senza aver fatto oggetto di una domanda di estradizione o qualora una tale domanda fosse stata respinta. Secondo l'istanza cantonale all'espulsione del condannato verso la Francia avrebbero fatto inoltre ostacolo motivi di ordine pratico, segnatamente la difficoltà di ottenere la necessaria collaborazione da parte degli organi di polizia dei cantoni di transito.
F. ha proposto un ricorso di diritto amministrativo chiedendo l'annullamento della decisione cantonale e postulando che alla competente autorità di polizia fosse ordinato di disporre che la sua espulsione fosse eseguita verso la Francia.
Il Tribunale Federale ha accolto il ricorso.
Erwägungen
Considerato in diritto:
1.
L'art. 55 CP, che prevede la pena accessoria dell'espulsione per lo straniero condannato alla reclusione o alla detenzione, è silente circa le modalità dell'esecuzione dell'espulsione stessa. In particolare non formula esigenze né precisazioni circa il luogo in cui l'espulso debba attraversare il confine o circa verso quale Stato l'espulsione pronunciata dal giudice penale debba aver luogo.
BGE 103 Ib 20 S. 22
a) Nella fattispecie in esame deve essere immediatamente rilevato che il ricorrente ha fatto oggetto di una domanda di estradizione formata dalle autorità italiane e che tale domanda è stata respinta dal Dipartimento federale di giustizia e polizia.
La questione contenziosa del paese verso il quale l'espulsione del ricorrente dovrà essere eseguita viene pertanto esaminata preliminarmente alla luce delle vigenti norme in materia estradizionale.
b) Secondo un principio generalmente ammesso in tale materia, sia dalla dottrina che dalla prassi, l'autorità deve evitare di rendere illusorio il rifiuto di un'estradizione. L'espulsione di uno straniero perseguito penalmente ma non estradato è di conseguenza ammissibile unicamente se l'interessato è condotto a una frontiera differente da quella dello Stato che ne aveva invano chiesto l'estradizione, con la sola riserva di motivi particolarmente importanti di pubblica sicurezza o di impossibilità di agire in altro modo (cfr. SCHULTZ, Das Schweizerische Auslieferungsrecht, pagg. 27/28; HOFMANN, Die fremdpolizeilichen Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen, RDS 67 (1971 pag. 290)). L'estradizione brevi manu, la consegna cioè dell'interessato senza forme particolari, è contraria alle norme della legislazione in materia estradizionale. Si deve immediatamente rilevare che sia il Consiglio federale che il Dipartimento federale di giustizia e polizia l'hanno espressamente considerata inammissibile, con la riserva, peraltro estremamente restrittiva, dell'accordo dell'interessato nei limiti dell'art. 29 della legge federale d'estradizione (cfr. SCHULTZ, op.cit. pagg. 159, 212; GAAC 1944-1945, fascicolo 17 n. 47 pag. 113; SALIS-BURCKHARDT, Droit fédéral suisse, IV n. 1768, pag. 228).
Ne consegue che, in materia di espulsione pronunciata dal giudice e nel caso della reiezione di una domanda d'estradizione, l'autorità di esecuzione non deve accompagnare lo straniero alla frontiera dello Stato che lo persegue o lo ricerca.
Il presente ricorso merita pertanto protezione nel senso che il ricorrente non deve essere espulso verso l'Italia in quanto egli è ricercato in quel paese e in quanto la domanda delle autorità italiane tendente all'ottenimento della sua estradizione è stata respinta.
c) In via abbondanziale si rileva comunque che l'espulsione
BGE 103 Ib 20 S. 23
verso l'Italia secondo il sistema del "visto uscire", disposta dal Dipartimento ticinese di giustizia, pur non potendo essere considerata una vera "estradizione brevi manu", fa cionondimeno correre all'espulso un rischio concreto di essere arrestato in quel paese entro breve termine, con l'effetto di rendere illusorio il rifiuto dell'estradizione pronunciato dalle autorità svizzere. Orbene è appunto per evitare questa conseguenza che è stato posto il principio dell'espulsione verso la frontiera di un altro paese.
d) Neppure i motivi fondati sull'economia di spese di trasporto e sul presumibile rifiuto di collaborazione delle autorità di polizia degli altri cantoni, avanzati dal Dipartimento di giustizia del Cantone Ticino per giustificare l'espulsione del ricorrente verso l'Italia, possono essere presi in considerazione: le spese occasionate da tali trasporti, come pure quelle relative all'eventuale scorta, sono infatti a carico della Confederazione giusta la Convenzione concernente i trasporti di polizia del 23 giugno 1909 (cfr. in particolare § 3 II e § 6 della Convenzione).
e) Nessun motivo d'ordine giuridico o di opportunità si oppone da ultimo a che l'espulsione del ricorrente sia effettuata verso la Francia. Le sue conclusioni in tal senso possono pertanto essere accolte.
2.
Visto l'esito del ricorso non occorre esaminare e stabilire in modo generale quali principi devono essere posti alla base di espulsioni pronunciate dal giudice nei casi ove nessun paese ha chiesto l'estradizione dell'espulso. Tale questione può pertanto essere lasciata indecisa. | public_law | nan | it | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c89d3aec-7445-4288-8f5f-2ec2730180c7 | Urteilskopf
118 Ib 60
8. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 12 février 1992 dans la cause C. contre Autorité de surveillance du registre foncier du canton de Genève (recours de droit administratif). | Regeste
Gesuch um Aufnahme im Schiffsregister und um Eintragung eines gesetzlichen Pfandrechtes; Abweisung des Gesuchs durch den Grundbuchverwalter mangels Einregistrierung der Urkunden, welche die Anmeldung zur Eintragung im Grundbuch zum Gegenstand haben, bei der kantonalen Steuerverwaltung.
1. Gemäss Art. 3 lit. b des genferischen Gesetzes über die sog. Einregistrierungsgebühren unterliegen alle Urkunden ("actes, écrits et pièces"), welche eine Anmeldung zur Eintragung im Grundbuch des Kantons Genf zum Gegenstand haben, der Einregistrierung. Die Auslegung der kantonalen Aufsichtsbehörde über das Grundbuch, wonach sich diese Bestimmung auch auf das Schiffsregister beziehe, ist nicht unhaltbar (E. 2).
2. Neben den eigentlichen Gebühren sind auch die Handänderungsgebühren zu jenen öffentlichrechtlichen Geldleistungen zu zählen, von deren Erfüllung die Kantone die Eintragung im Grundbuch abhängig machen können (E. 3a). Im Kanton Genf sind die Einregistrierungsgebühren für Urkunden und Rechtsgeschäfte, welche dem Erfordernis der Einregistrierung unterworfen sind, wegen ihrer Rechtsgrundlage als Handänderungsgebühren zu betrachten (E. 3b). | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 118 Ib 60 S. 61
A.-
Le 11 avril 1991, le Conservateur du Registre foncier du canton de Genève a rejeté deux réquisitions de C. qui tendaient à l'immatriculation du bateau E (21 m, 30 t, valeur de 300'000 francs, zone de navigation le Léman) et à l'inscription d'une hypothèque maximale au profit de M. Les réquisitions n'avaient pas été enregistrées par l'administration cantonale des contributions (art. 3 let. b et 136 al. 2 de la loi genevoise sur les droits d'enregistrement).
B.-
Le 21 août 1991, l'Autorité de surveillance du registre foncier a rejeté un recours formé par le requérant et confirmé le refus du Conservateur.
C.-
Agissant par la voie du recours de droit administratif, C. a demandé au Tribunal fédéral d'annuler la décision de l'autorité cantonale et d'ordonner l'immatriculation et l'inscription requises. Le recours a été rejeté.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) En matière de propriété, tous les bateaux sont des meubles. Toutefois, en raison de leur dimension, certains bateaux se prêtent mal à l'application des règles sur la propriété mobilière ou sur la constitution des droits réels limités mobiliers. C'est pourquoi les grands "bateaux de navigation intérieure" et les "navires de mer" sont ou peuvent être soumis à un régime juridique qui se rapproche de celui
BGE 118 Ib 60 S. 62
des immeubles. L'immatriculation est opérée dans un registre dont l'organisation et les effets sont calqués sur ceux du registre foncier (STEINAUER, Les droits réels, t. II, Berne 1990, Nos 1981 ss, p. 196/197).
En vertu de l'article premier, premier alinéa, de la loi fédérale du 28 septembre 1923 sur le registre des bateaux (RS 747.11), "les bureaux du registre foncier que le Conseil fédéral a déclarés compétents (offices du registre des bateaux)" tiennent un registre fédéral des bateaux, dans lequel doivent être faites les inscriptions et annotations prévues par la loi. Selon l'article premier, premier alinéa, de l'ordonnance du 16 juin 1986 sur le registre des bateaux, est désigné comme office du registre des bateaux, "dans le canton de Genève, le bureau cantonal du registre foncier à Genève" (RS 747.111).
L'autorité cantonale de surveillance "du registre foncier" surveille la tenue du registre des bateaux; elle est compétente pour recevoir les recours dirigés notamment contre le rejet d'une réquisition d'inscription; le recours de droit administratif devant le Tribunal fédéral est recevable contre les décisions de l'autorité cantonale statuant en dernière instance sur la gestion de l'office (art. 2 et 3 de la loi fédérale sur le registre des bateaux).
b) Le recours de droit administratif peut être formé pour violation du droit fédéral et pour violation des dispositions de droit cantonal qui sont étroitement liées aux questions de droit fédéral sur lesquelles porte son examen (cf.
ATF 103 Ib 314
consid. 2b); la notion de droit fédéral de l'
art. 104 let. a OJ
englobe les droits constitutionnels du citoyen et, en présence d'une violation de ceux-ci, le recours de droit administratif assume le rôle du recours de droit public (
ATF 112 Ib 237
consid. 2a,
ATF 111 Ib 118
,
ATF 110 Ib 257
consid. 1,
ATF 108 Ib 74
consid. 1a, 382 consid. 1e, 467 consid. 1b).
2.
Selon l'art. 3 let. b de la loi genevoise du 9 octobre 1969 sur les droits d'enregistrement, sont soumis obligatoirement à l'enregistrement (sous réserve d'exceptions qui n'existent pas en l'espèce) "les actes, écrits et pièces portant réquisition au registre foncier du canton de Genève". Aux termes de l'art. 136 al. 2, le Conservateur du registre foncier ne peut accepter aucune réquisition qui ne soit enregistrée ou qui ne résulte pas d'un titre enregistré.
Le recourant soutient que la disposition précitée de l'art. 3 s'applique uniquement aux actes à inscrire sur le registre foncier au sens du code civil et non également à ceux qui doivent l'être sur le registre des bateaux. Il invoque le principe de légalité. S'agissant non pas de la constitutionnalité de la règle légale genevoise, mais de son
BGE 118 Ib 60 S. 63
interprétation, le Tribunal fédéral n'examine la question posée que sous l'angle de l'
art. 4 Cst.
, à savoir de l'interdiction de l'arbitraire, car l'atteinte portée au justiciable n'est pas particulièrement grave (GRISEL, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1984, I p. 321/322 et les arrêts cités).
En l'espèce, l'interprétation de l'autorité cantonale n'est pas insoutenable. Ainsi qu'on l'a vu, c'est la loi fédérale et son ordonnance qui imposent la tenue du registre des bateaux par le Conservateur du registre foncier, en raison de l'analogie avec les immeubles du droit civil. Bien plus, l'ordonnance sur le registre foncier est applicable à la tenue du registre des bateaux, à moins que la loi ou son règlement n'en disposent autrement (art. 3 al. 1). Aussi bien faut-il immatriculer les bateaux concernés par la loi (art. 4 ss), sur lesquels peuvent être constituées des hypothèques (art. 38 ss), constituées par l'inscription (art. 41). Il s'ensuit que la loi cantonale de 1969 pouvait assurément être comprise dans le sens que son art. 3 let. b visait aussi le registre des bateaux, dont la tenue était attribuée par la loi fédérale antérieure de 1923 au Conservateur du registre foncier. Il n'était pas nécessaire de le préciser dans la loi. L'autorité cantonale cite pertinemment l'exposé des motifs concernant le projet de loi, selon lequel, lorsque des opérations de crédit font l'objet d'une "affectation hypothécaire" - expression toute générale - "elles nécessitent une réquisition au registre foncier et doivent en conséquence être enregistrées".
Contrairement à ce que pense le recourant, l'autorité de surveillance ne s'écarte pas du texte clair de la loi, puisque le droit fédéral antérieur donne compétence au Conservateur du registre foncier. L'analogie avec le droit immobilier démontre en outre que la décision attaquée ne s'éloigne pas du but de la législation sur l'enregistrement dans le domaine spécial en cause. Or une interprétation extensive ou par analogie est permise même en droit fiscal (GRISEL, op.cit., I, p. 322/323 et les arrêts cités). Au demeurant, ainsi que le relève l'autorité cantonale, le règlement sur l'organisation de l'administration cantonale du 23 décembre 1966 ne mentionne que le registre foncier (art. 7 let. i), alors que dans ce bureau est aussi tenu celui des bateaux.
Le recourant se réfère à l'institution du code civil pour interpréter la loi fiscale cantonale. Mais la jurisprudence qu'il cite va à fin contraire: les règles du droit civil ne sont pas nécessairement applicables; on peut se référer à la situation économique de la chose, à son utilisation et à sa destination réelles (
ATF 91 I 282
consid. 3: en
BGE 118 Ib 60 S. 64
matière d'interdiction de la double imposition -
art. 46 al. 2 Cst.
-, un chalet considéré comme une construction mobilière peut être, le cas échéant, imposé comme un immeuble à son lieu de situation). Quant à l'obligation du registre foncier, c'est bien l'accomplissement d'une "attribution administrative" (Titre XX, art. 132 à 153 de la loi genevoise sur les droits d'enregistrement), donc du Conservateur et de son bureau pris comme un Service de l'administration cantonale en matière d'enregistrement.
3.
D'après le recourant, les conditions de l'immatriculation des bateaux sont fixées exhaustivement par la loi fédérale; seuls des émoluments peuvent être per us, non un impôt cantonal. C'est là soulever une question que l'autorité cantonale n'a pas abordée, car elle ne lui avait pas été soumise. Mais, dans le recours de droit administratif, le Tribunal fédéral examine librement le droit (
art. 114 al. 1 OJ
;
ATF 107 Ib 392
consid. 2).
Selon l'art. 66 al. 1 de la loi fédérale sur le registre des bateaux, le Conseil fédéral édicte les dispositions nécessaires pour l'exécution de ladite loi, en particulier sur les émoluments à percevoir.
L'article 23 de l'ordonnance sur le registre des bateaux énonce les émoluments que les offices doivent percevoir lors des différentes opérations qu'ils sont chargés d'exécuter. L'immatriculation d'un bateau et la constitution d'une hypothèque sur celui-ci sont soumises à la perception d'un émolument (art. 23, 1er al., let. a et let. d, ch. 2). Contrairement aux émoluments du registre foncier (
art. 954 CC
), les émoluments per us en relation avec le registre des bateaux sont de droit fédéral.
a) Les cantons outrepassent les compétences qui leur sont accordées par l'
art. 6 CC
(cf.
art. 64 Cst.
et 2 Dispositions transitoires) quand ils empêchent l'application du droit fédéral ou la compliquent à l'excès; ainsi lorsqu'ils édictent des règles de droit public faisant dépendre l'inscription d'un transfert de propriété au registre foncier du paiement préalable de l'impôt de succession et sur les gains immobiliers, voire des impôts ordinaires sur la fortune et le revenu (
ATF 106 II 82
ss consid. 1 et 2). Ce principe peut être étendu à l'immatriculation ou à la constitution d'une hypothèque, et pareillement s'agissant du registre des bateaux.
Les droits de mutation constituent un véritable impôt (
ATF 72 I 394
consid. 2; BLUMENSTEIN, Schweizerisches Steuerrecht, I. Halbband, p. 7 s. et 199). Mais la jurisprudence fédérale (
ATF 82 I 284
consid. 1, 302 consid. 3b) admet que les cantons perçoivent des contributions dites mixtes, comprenant l'émolument pour l'inscription
BGE 118 Ib 60 S. 65
au registre foncier et un impôt indirect sur les mutations (cf. également HUBER, RNRF 49/1968, p. 69 ss; HOMBERGER, n. 4 ad
art. 954 CC
); par ailleurs, cet impôt est lui aussi, d'ordinaire, d'un montant plutôt modeste; surtout, sa fixation ne présente généralement pas de difficultés et il est directement lié au transfert de propriété, ce qui en fait un véritable impôt sur les mutations (BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, 3e éd. 1971, p. 164 ss). Ces considérations, en partie pratiques, en partie théoriques, conduisent à se ranger à l'opinion adoptée quasi unanimement par la jurisprudence et la doctrine, et selon laquelle, à côté des émoluments proprement dits, il convient de compter les droits de mutation parmi les taxes au paiement desquelles les cantons peuvent subordonner l'inscription au registre foncier (
ATF 106 II 86
/87 consid. 2c; cf., outre
ATF 83 I 208
ss et les décisions antérieures du Conseil fédéral qui y sont citées, HOMBERGER, n. 3 et OSTERTAG, n. 1 ad
art. 954 CC
; BLUMENSTEIN, System des Steuerrechts, p. 290; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5e éd., I p. 295). La création d'une hypothèque légale de droit cantonal (
art. 836 CC
) ne fait pas obstacle à cette jurisprudence, mais bien s'agissant d'autres impôts (
ATF 106 II 89
consid. 2c).
b) L'arrêt cité (
ATF 106 II 82
ss) concerne le droit valaisan. Peu importe, comme le relève le Département fédéral de justice et police dans ses observations, que les deux contributions soient perçues par deux autorités ou Services différents.
Dans le canton de Genève, les droits d'enregistrement frappent les "actes et opérations" soumis à la formalité de l'enregistrement (l'analyse de l'acte et sa mention dans un registre spécial; cf. l'art. 1er de la loi sur les droits d'enregistrement). Ils sont fixes, proportionnels ou progressifs (art. 7 al. 1). Ils constituent des droits de mutation, vu leur assiette (titres II et ss). Ils s'élèvent en principe à 3% en cas de vente immobilière (art. 33 al. 1; mais à 1% seulement s'agissant de ventes de biens mobiliers - art. 52 al. 1 - dont l'enregistrement est en principe facultatif) et à 3%o pour les "affectations hypothécaires" (art. 106 al. 1). La loi fiscale valaisanne du 10 mars 1976 impose les donations à un taux très élevé, semble-t-il (art. 116 al. 1: 25%). Quoi qu'il en soit, la jurisprudence actuelle, longuement et fortement motivée, permet la subordination de l'inscription au paiement de droits d'enregistrement (soit de mutation) "normaux". | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c89f2b34-4c84-42fc-bab2-8c5eb1f356be | Urteilskopf
81 II 534
81. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1955 i. S. Daetwyler gegen Delta-Werke Zofingen AG | Regeste
1.
Art. 706 Abs. 4 OR
. Wann ist die Klage schon mit dem Sühnebegehren angehoben? (Erw. 1).
2.
Art. 706 Abs. 1 OR
. Auslegung eines Beschlusses der Generalversammlung (Erw. 2).
3.
Art. 2 Abs. 2 ZGB
,
Art. 686 OR
.
a) Es ist rechtsmissbräuchlich, wenn der Verkäufer von Namenaktien vor deren Übertragung auf den Käufer das Stimmrecht nach dessen Weisungen ausübt, um eine statutarische Vinkulierungsbestimmung zu umgehen (Erw. 3).
b) Die Vinkulierung von Namenaktien verbietet die fiduziarische Aktienzeichnung und die Ausübung des Stimmrechts durch den Fiduziar nach den Weisungen des Fiduzianten nicht, wenn nicht ein Umgehungsgeschäft vorliegt (Erw. 4).
4.
Art. 689 Abs. 2 OR
. Wer seine Aktien verkauft aber noch nicht auf den Käufer übertragen hat, besitzt noch alle Mitgliedschaftsrechte, inbegriffen das durch die Statuten auf die Aktionäre beschränkte Recht, andere Aktionäre in der Ausübung des Stimmrechts zu vertreten (Erw. 5).
5.
Art. 159 Abs. 6 OG
. Wenn das Bundesgericht das kantonale Urteil in der Hauptsache bestätigt, ist es nicht befugt, den Kostenspruch zu überprüfen (Erw. 7). | Sachverhalt
ab Seite 535
BGE 81 II 534 S. 535
A.-
Das Grundkapital der Aktiengesellschaft Delta-Werke Zofingen ist in tausend auf den Namen lautende Aktien zerlegt, die nur mit Genehmigung des Verwaltungsrates übertragen werden können (Art. 3 Abs. 2 der Statuten). Bei Abstimmungen und Wahlen verleiht jede Aktie eine Stimme (Art. 8 Abs. 1 der Statuten). Die Aktionäre können sich durch andere Aktionäre vertreten lassen (Art. 8 Abs. 2 der Statuten).
Am 14. November 1952 wurde eine ausserordentliche Generalversammlung abgehalten. Unter den 18 teilnehmenden Aktionären mit 678 eigenen und vertretenen Aktienstimmen befand sich der im Aktienbuch eingetragene Theo Hertig. Er übte das Stimm- und Wahlrecht mit 142 Aktien aus, die ihm die Ed. Geistlich Söhne A.-G. für chemische Industrie abgekauft, die er ihr aber noch nicht übertragen und deren Übertragung der Verwaltungsrat der Delta-Werke Zofingen A.-G. auch noch nicht zugestimmt hatte. Ausserdem stimmte und wählte er als Bevollmächtigter des Schweizerischen Bankvereins mit 240 Aktien, die diese Bank anlässlich der Kapitalerhöhung vom 26. August 1947 im Auftrage und auf Rechnung der Ed. Geistlich Söhne A.-G. für chemische Industrie, aber im eigenen Namen gezeichnet und nachher als eingetragener Aktionär
BGE 81 II 534 S. 536
ununterbrochen besessen hatte. Hertig stimmte und wählte sowohl mit den eigenen als auch mit den von ihm vertretenen Stimmen nach den Weisungen der Ed. Geistlich Söhne A.-G.
Die Generalversammlung hatte für das im Jahre 1952 beginnende und die zwei folgenden Geschäftsjahre den Verwaltungsrat zu wählen. Da der Aktionär Werner Daetwyler die Stimm- und Wahlberechtigung Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins bestritt, wurde einmal mit den Stimmen aller im Aktienbuch eingetragenen und anwesenden oder vertretenen Aktionäre und hernach ohne die Stimmen Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins abgestimmt und gewählt, ohne dass ein förmlicher Beschluss darüber gefasst worden wäre, welche Ergebnisse massgebend sein sollten.
Die Versammlung gab mit den Stimmen Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins 450 und ohne sie 68 Stimmen für die Wahl eines Verwaltungsrates von zwei Mitgliedern ab, während 208 Stimmen die Wahl eines Verwaltungsrates von drei Mitgliedern verlangten.
Die Wahl mit den Stimmen Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins ergab 641 Stimmen für Dr. Hans Studer, 485 für Paul Geistlich und 193 für Hermann Daetwyler. Ohne die Stimmen Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins fielen 259 Stimmen auf Dr. Studer, 103 Stimmen auf Paul Geistlich und 193 Stimmen auf Hermann Daetwyler.
Der Vorsitzende erklärte Dr. Studer und Paul Geistlich als gewählt. Er fügte bei, wenn die Anfechtung der Stimmen Hertigs Erfolg haben sollte, wäre nur Dr. Studer gewählt und würde Hermann Daetwyler das andere Mandat zu übernehmen haben; bis zu einem gerichtlichen Entscheid habe der mit sämtlichen Stimmen gewählte Verwaltungsrat die Geschäftsführung zu übernehmen. Die Versammlung widersprach nicht.
B.-
Nachdem am 8. Januar 1953 auf Begehren des Hermann und des Werner Daetwyler vor dem Friedensrichter
BGE 81 II 534 S. 537
des Kreises Zofingen ein erfolgloser Sühneversuch abgehalten worden war, klagte Hermann Daetwyler am 3. Juli 1953 beim Bezirksgericht Zofingen gegen die Delta-Werke Zofingen A.-G. Nach Berichtigung der Klagebegehren beantragte Hermann Daetwyler dem Bezirksgericht, der Beschluss der ausserordentlichen Generalversammlung vom 14. November 1952, zwei Verwaltungsratsmitglieder zu wählen, sowie die Wahl des Paul Geistlich seien als ungültig aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Versammlung die Wahl von drei Verwaltungsratsmitgliedern beschlossen und Dr. Studer sowie den Kläger gewählt habe.
Das Bezirksgericht und auf Appellation des Klägers auch das Obergericht des Kantons Aargau, dieses mit Urteil vom 6. Mai 1955, wiesen die Klage entsprechend dem Antrag der Beklagten ab und verurteilten den Kläger zu den Gerichtskosten und zum Ersatz der Parteikosten der Beklagten. Letztere wurden vom Obergericht auf Fr. 2468.70 für das erstinstanzliche und Fr. 876.-- für das oberinstanzliche Verfahren bestimmt.
C.-
Der Kläger führt Berufung mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Klage sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Beklagten gutzuheissen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung sei unter Kosten- und Entschädigungsfolge abzuweisen.
D.-
Die Beklagte hat sich der Berufung mit den Anträgen angeschlossen, die Urteilssprüche über die zu ersetzenden Parteikosten seien aufzuheben und das Bundesgericht habe die der Beklagten auf Grund eines Streitwertes von mehr als Fr. 150'000.-- zukommende Entschädigung nach Massgabe des kantonalen Tarifs selber festzusetzen oder die Streitsache zur entsprechenden Kostenfestsetzung an die kantonale Instanz zurückzuweisen, unter Kostenfolge.
Der Kläger beantragt, auf die Anschlussberufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
BGE 81 II 534 S. 538
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Einwendung der Beklagten, das Anfechtungsrecht des Klägers sei erloschen, weil er binnen der in
Art. 706 Abs. 4 OR
vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach der Generalversammlung lediglich das Sühnebegehren gestellt, nicht aber auch die Klage eingereicht habe, hält nicht stand. Die Fristen, binnen denen nach Bundesrecht eine Klage bei Gefahr der Verwirkung eingereicht werden muss, können nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch durch ein Gesuch um Durchführung eines Sühneversuches eingehalten werden, wenn ein solcher nach kantonalem Prozessrecht nötig oder zulässig ist und nach dem Scheitern des Versuches entweder der Sühnebeamte die Streitsache von Amtes wegen an das Gericht weiterzuleiten hat oder der Kläger zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gehalten ist, den Richter binnen bestimmter Frist anzurufen, und er es auch tatsächlich binnen dieser Frist tut (
BGE 74 II 15
ff.). Nach aargauischem Prozessrecht hat der Richter die Streitsache von der Hand zu weisen, wenn nicht innerhalb der vorausgegangenen sechs Monate ein Sühneversuch stattgefunden hat (
§ 106 ZPO
). Die Klage muss also binnen dieser Frist nach Abhaltung des Sühneversuchs eingereicht werden, wenn der Kläger keinen Rechtsnachteil erleiden will. Im vorliegenden Falle ist diese Frist eingehalten worden, und da der Kläger das Sühnebegehren binnen zwei Monaten nach Abhaltung der Generalversammlung gestellt hat, ist die Klagefrist des
Art. 706 Abs. 4 OR
gewahrt.
2.
Die Beklagte ist der Meinung, die Berechtigung des von Hertig im eigenen Namen und als Vertreter des Schweizerischen Bankvereins ausgeübten Stimmrechts könne nicht gerichtlich angefochten werden, da kein Beschluss der Generalversammlung sie bejaht habe; der Kläger hätte hierüber eine formelle Abstimmung verlangen müssen, um nach
Art. 706 OR
vorgehen zu können.
Indessen steht fest, dass der Vorsitzende in der Generalversammlung,
BGE 81 II 534 S. 539
von dieser nicht widersprochen, erklärt hat, Dr. Studer und Paul Geistlich seien gewählt und hätten bis zu einem gerichtlichen Entscheid die Geschäftsführung zu übernehmen. Dass je zweimal abgestimmt und gewählt worden ist, kann also nur den Sinn gehabt haben, dass die unter Mitberücksichtigung der Stimmen Hertigs und des Schweizerischen Bankvereins ermittelten Ergebnisse massgebend seien, jedoch im Hinblick auf die Möglichkeit gerichtlicher Anfechtung auch festgestellt werden solle, welches der Wille der Generalversammlung wäre, wenn Hertig und der Schweizerische Bankverein kein Stimmrecht haben sollten. Es liegen somit anfechtbare Beschlüsse vor. Das zu bestreiten, widerspricht Treu und Glauben, da die Beklagte die Aufgaben des Verwaltungsrates durch Dr. Studer und Paul Geistlich erfüllen lässt und selber den Standpunkt einnimmt, sie seien gültig gewählt.
3.
Nach der Feststellung des Obergerichts hatte Hertig seine 142 Aktien zwar vor der Generalversammlung vom 14. November 1952 an die Ed. Geistlich Söhne A.-G. verkauft, den Kaufvertrag aber an diesem Tage noch nicht erfüllt. Er war somit noch Eigentümer der Aktien. Das damit verbundene Stimmrecht kam ihm folglich noch zu; deshalb kann sich die in der Literatur umstrittene Frage nicht stellen, ob es ihm mangels Genehmigung der Übertragung der Aktien durch den Verwaltungsrat auch dann noch zugestanden hätte, wenn die Übertragung vollzogen gewesen wäre. Der Kläger bestreitet denn auch nicht, dass Hertig an sich trotz des Verkaufs noch stimmberechtigt war. Er wirft ihm lediglich vor, er habe Art. 3 Abs. 2 der Statuten umgangen, indem er gemäss eingegangener Verpflichtung nach den Weisungen der Käuferin gestimmt habe, obschon der Verkauf vom Verwaltungsrat nicht genehmigt worden sei.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (Urteile vom 29. Juni 1948 und 22. April 1953 i.S. Werner Daetwyler gegen Hermann Daetwyler A.-G. bzw. Delta-Werke Zo fingen A.-G.) hält diese Rüge stand. Zu Unrecht leitet
BGE 81 II 534 S. 540
das Obergericht aus diesen Entscheiden ab, ein Aktionär könne von der Ausübung des Stimmrechts nur ausgeschlossen werden, wenn und soweit er ohne Zustimmung des Verwaltungsrates seine Macht in Gesellschaftsangelegenheiten durch Erwerb weiterer Stimmen vergrössert habe. Das Bundesgericht hat die Nichtzulassung zur Abstimmung damals damit begründet, dass die Stimmabgabe gestützt auf eine Abmachung erfolgen sollte, die gegen die statutarischen Vinkulierungsvorschriften verstiess und ausgesprochenes Umgehungsgeschäft war. Ein solches liegt auch hier vor. Indem Hertig sich im Zusammenhang mit dem Verkauf seiner Aktien verpflichtete, das Stimmrecht nach den Weisungen der Käuferin Ed. Geistlich Söhne A.-G. auszuüben, versuchte er, dieser die Rechtsstellung eines stimmberechtigten Aktionärs zu verschaffen, die sie gemäss Art. 3 Abs. 2 der Statuten nur mit Zustimmung des Verwaltungsrates hätte erlangen können. Das kann nicht zulässig sein, da sonst der Zweck des Erfordernisses dieser Zustimmung vereitelt wäre. Die Vinkulierung soll verhindern, dass gegen den Willen des Verwaltungsrates Dritte auf die Gesellschaft Einfluss nehmen oder Aktionäre ihre bisherige Stellung verstärken. Fände das Vorgehen Hertigs Rechtsschutz, so könnte jedermann sich durch den Kauf von Aktien mit Stimmverpflichtung der Verkäufer in der Generalversammlung entscheidenden Einfluss verschaffen, sich selber oder ihm unterworfene Personen in den Verwaltungsrat wählen lassen und hierauf mit Erfolg um Genehmigung der Übertragung der Aktien nachsuchen. Dieses Vorgehen ist offenbarer Missbrauch eines Rechts und daher nicht zu schützen (
Art. 2 Abs. 2 ZGB
). Die mit den Aktien Hertigs verbundenen 142 Stimmen fallen daher für das Ergebnis der Abstimmung und Wahl vom 14. November 1952 ausser Betracht, da feststeht, dass Hertig nach den Weisungen der Käuferin gestimmt und gewählt hat.
4.
Der Kläger bestreitet die Gültigkeit der vom Schweizerischen Bankverein mit Hilfe Hertigs abgegebenen 240 Stimmen zunächst mit der Begründung, der Schweizerische
BGE 81 II 534 S. 541
Bankverein habe sich in der verdeckten Stellung eines Bevollmächtigten der Ed. Geistlich Söhne A.-G. befunden, die mangels Eintragung im Aktienbuch keine Mitgliedschaftsrechte gehabt habe und daher niemanden gültig habe bevollmächtigen können. Für Strohmann-Stimmen, wie der Schweizerische Bankverein sie habe ausüben lassen, sei im Bereiche vinkulierter Namenaktien kein Raum.
Der Kläger verkennt, dass die Rechte aus dem vom Schweizerischen Bankverein gezeichneten Aktien nie der Ed. Geistlich Söhne A.-G., sondern von Anfang an und auch noch am 14. November 1952 gültig dem Schweizerischen Bankverein zugestanden haben und daher von einer Legitimationsübertragung durch Vollmacht seitens der Ed. Geistlich Söhne A.-G. keine Rede sein kann. Dass der Schweizerische Bankverein die Aktien im Auftrag und auf Rechnung dieser Gesellschaft gezeichnet hat und besitzt, sich ihr gegenüber also in der Stellung eines Fiduziars befindet, ändert nichts. Er hat die Aktien ohne Widerspruch der Beklagten im eigenen Namen gezeichnet und hat daher im Verhältnis zur Beklagten die Stellung eines vollberechtigten Aktionärs. Weder das Gesetz noch die Statuten der Beklagten verbieten die Zeichnung von Aktien durch einen Fiduziar. Es sind auch keine Tatsachen behauptet, aus denen sich ergäbe, dass sie hier in Umgehung des Gesetzes erfolgte, etwa weil die Ed. Geistlich Söhne A.-G. nicht berechtigt gewesen wäre, selber Aktien zu zeichnen, oder sonstwie zur Erschleichung von Stimmrechten. Hatte somit der Schweizerische Bankverein gültig alle Rechte eines Aktionärs, inbegriffen das Stimmrecht, so trifft auch Art. 3 Abs. 2 der Statuten nicht zu. Diese Bestimmung gilt lediglich für die Übertragung der Aktien. Eine Übertragung hat nie stattgefunden, weder von der Ed. Geistlich Söhne A.-G. auf den Schweizerischen Bankverein noch umgekehrt.
Stand das fiduziarische Rechtsverhältnis zwischen diesen Firmen den Aktienrechten des Schweizerischen Bankvereins
BGE 81 II 534 S. 542
nicht im Wege, so war zulässig, dass er das Stimmrecht nach den Weisungen des Fiduzianten ausüben liess. Wenn nicht ein Umgehungsgeschäft vorliegt, ist jeder Aktionär frei, nach den Wünschen eines Dritten zu stimmen.
5.
Der Kläger macht sodann geltend, Hertig habe den Schweizerischen Bankverein in der Ausübung des Stimmrechts nicht vertreten können, weil er selber nicht stimmberechtigt gewesen sei; nach Art. 8 Abs. 2 der Statuten müsse der Bevollmächtigte nicht nur Aktionär, sondern auch stimmberechtigt sein.
Damit unterschiebt der Kläger dieser statutarischen Bestimmung einen Sinn, den ihr Wortlaut nicht verrät, verlangt sie doch nur, dass der Bevollmächtigte Aktionär sei, nicht auch, dass er Stimmrecht habe. Darauf kommt aber nichts an. Hertig hatte am 14. November 1952 noch alle Mitgliedschaftsrechte aus seinen 142 Aktien, insbesondere auch das Stimmrecht. Lediglich die Befugnis, es in der betreffenden Generalversammlung nach den Weisungen der Ed. Geistlich Söhne A.-G. auszuüben, fehlte ihm, weil er damit Art. 3 Abs. 2 der Statuten umgehen wollte.
Es ist auch nicht zweifelhaft, dass der Schweizerische Bankverein als Vollmachtgeber befugt war, die von der Ed. Geistlich Söhne A.-G. erhaltenen Weisungen an den Bevollmächtigten Hertig weiterzugeben. Die 240 Stimmen aus den Aktien des Schweizerischen Bankvereins sind daher gültig abgegeben worden.
6.
Die Ungültigkeit der eigenen 142 Stimmen Hertigs hat zur Folge, dass nicht 678, sondern nur 536 Aktienstimmen gültig waren, das absolute Mehr also 269 Stimmen erforderte. Nach Wegfall der 142 Stimmen Hertigs haben sich für einen Verwaltungsrat von zwei Mitgliedern 308 Stimmen (450 minus 142) ausgesprochen. Da diese Zahl das absolute Mehr übersteigt, ist ein Verwaltungsrat von zwei Mitgliedern beschlossen; für drei Mitglieder sind nur 208 Stimmen abgegeben worden.
BGE 81 II 534 S. 543
In der Wahl des Verwaltungsrates hat nach Wegfall der 142 eigenen Stimmen Hertigs Paul Geistlich 343 gültige Stimmen erhalten (485 minus 142). Gewählt ist somit Paul Geistlich, nicht der Kläger, der nur 193 Stimmen erhalten hat.
Das Urteil des Obergerichts ist somit im Ergebnis richtig und unter Abweisung der Berufung zu bestätigen.
7.
Die Anschlussberufung wird damit begründet, das Obergericht habe die Prozessentschädigung, die es der Beklagten zulasten des Klägers zugesprochen hat, nach einem unrichtigen Streitwert berechnet.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange eine Partei die andere für das Verfahren vor den kantonalen Gerichten zu entschädigen habe, untersteht indessen ausschliesslich dem kantonalen Recht; die Absätze 1-5 des
Art. 159 OG
, auf den die Beklagte sich beruft, gelten nur für das Verfahren vor Bundesgericht (
BGE 71 II 189
). Das Bundesrecht verlangt auch nicht, dass die Kantone die Entschädigung nach einem bundesrechtlichen Begriff des Streitwertes abstufen. Stellen sie auf den Streitwert ab, so gehört dieser Begriff dem kantonalen Prozessrecht an, gleichgültig, ob es ihn selbst umschreibt oder durch Verweisung auf Bundesrecht dieses zu subsidiärem kantonalen Recht erhebt.
Die Anwendung kantonalen Rechts aber ist auf Berufung oder Anschlussberufung hin vom Bundesgericht nicht zu überprüfen (Art. 43 Abs. 1 und 2, 55 Abs. 1 lit. c OG).
Art. 159 Abs. 6 OG
schafft eine Ausnahme nur für den Fall, dass das in der Hauptsache ergangene kantonale Urteil durch das Bundesgericht aufgehoben oder abgeändert wird und daher der Kostenentscheid der neuen Lage angepasst werden muss. Ausgeschlossen ist nach ständiger Rechtsprechung die Abänderung des kantonalen Kostenspruches bei Bestätigung des kantonalen Urteils in der Hauptsache (vgl.
BGE 40 II 289
,
BGE 52 II 393
,
BGE 55 II 35
,
BGE 71 II 190
). Auf die Anschlussberufung ist daher nicht einzutreten.
BGE 81 II 534 S. 544
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der I. Abteilung des Obergerichts des Kantons Aargau vom 6. Mai 1955 bestätigt.
2.- Auf die Anschlussberufung wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,955 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8a3717e-c6a5-4f93-b142-9beb679b4957 | Urteilskopf
90 I 69
13. Arrêt du 29 avril 1964 dans la cause Couchepin contre Grand Conseil du canton du Valais. | Regeste
1. Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde, erhoben gegen die Anordnung eine Volksabstimmung und eingereicht nach der Abstimmung, aber innert 30 Tagen seit der Veröffentlichung der angefochtenen Anordnung (Erw. 1).
2. Das Stimmrecht umfasst die Stimmfreiheit, d.h. das Recht des Bürgers, seine Stimme geheim, von aussen unbeeinflusst und gemäss seinem wirklichen Willen abzugeben (Erw. 2 a).
3. Aus dem Recht des Bürgers, seine Stimme gemäss seinem wirklichen Willen abzugeben, folgt für das Gebiet des Finanzreferendums, dass die dem Bürger vorgelegte Frage sich grundsätzlich nur auf einen Gegenstand beziehen darf, es sei denn, dass zwei Gegenstände voneinander abhängen oder einen gemeinsamen Zweck haben, der sie objektiv betrachtet als eng zusammengehörend erscheinen lässt (Erw. 2 b und c).
4. Die Kredite für die Vergrösserung eines Spitals einerseits und für den Bau und Umbau verschiedener Schulgebäude anderseits müssen dem Volke getrennt zur Abstimmung unterbreitet werden (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 90 I 69 S. 70
A.-
Le 14 novembre 1963, le Grand Conseil du canton du Valais adopta un décret ainsi conçu:
"Article premier. Il est mis à la disposition du Conseil d'Etat un crédit de 30 millions de francs, réparti comme suit:
a) treize millions cinq cent mille francs pour la transformation et l'agrandissement du collège de Brigue;
b) cinq millions cent mille francs pour la construction des écoles professionnelles de Brigue, Martigny et Monthey;
c) deux millions huit cent mille francs pour l'agrandissement et la réfection de l'école d'agriculture de Châteauneuf;
BGE 90 I 69 S. 71
d) huit millions deux cent mille francs pour l'agrandissement de l'hôpital et la construction de cliniques pour enfants déficients à Malévoz.
Le montant du devis sera augmenté en proportion de la hausse du coût de construction déterminé par l'index admis pour les constructions fédérales (index de Zurich). Les crédits supplémentaires résultant de l'index sont mis à la disposition du Conseil d'Etat sans un nouveau décret. Ils figureront séparément au budget.
Art. 2. Les emprunts seront contractés par le Conseil d'Etat, au für et à mesure des besoins.
Art. 3. Le Conseil d'Etat veillera à conclure ces emprunts aux meilleures conditions. Un amortissement minimum de 5% sera prévu annuellement au budget de l'Etat.
Art. 4. A la commission des constructions présidée par l'architecte cantonal sera adjointe une délégation du Grand Conseil dans laquelle tous les groupes seront représentés.
Art. 5. Le présent décret est soumis à la votation populaire."
Par arrêté du 7 février 1964, le Conseil d'Etat du canton du Valais convoqua les assemblées primaires pour le 15 mars 1964, "à l'effet de se prononcer sur l'acceptation ou le rejet du décret du 14 novembre 1963". L'art. 2 de cet arrêté dispose que "la votation aura lieu au bulletin secret, par le dépôt d'un bulletin imprimé sur lequel on inscrira un oui pour l'acceptation ou un non pour le rejet".
Le décret et l'arrêté furent publiés dans le bulletin officiel du 14 février 1964. Le décret fut accepté par le peuple le 15 mars 1964.
B.-
Par acte mis à la poste le 16 mars 1964, François Couchepin, à Martigny-Ville, a formé un recours de droit public dans lequel il requiert le Tribunal fédéral d'annuler le décret du 14 novembre 1963, l'arrêté du 7 février 1964 et la votation du 15 mars 1964. Il se plaint d'une violation de l'art. 30 ch. 4 Cst. val. selon lequel le peuple doit être appelé à se prononcer sur "toute décision du Grand Conseil entraînant une dépense extraordinaire de fr. 200 000, si cette dépense ne peut être couverte par les recettes ordinaires du budget". Il soutient que les diverses dépenses prévues par le décret du 14 novembre 1963 auraient dû être soumises séparément au peuple. Selon lui, la votation unique organisée en l'espèce était de nature à porter atteinte à la liberté de vote des électeurs.
BGE 90 I 69 S. 72
Le Conseil d'Etat conclut principalement à l'irrecevabilité, subsidiairement au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le présent recours a pour objet une question relative à l'organisation de la votation. Cette question a été définitivement tranchée par le décret du 14 novembre 1963 et l'arrêté du 7 février 1964, publiés l'un et l'autre le 14 février 1964. Aucun de ces actes n'était susceptible d'un recours cantonal. Le recours de droit public, mis à la poste le dernier jour du délai à compter de cette publication, a été formé ainsi en temps utile. Peu importe que ce dernier jour coïncide avec le lendemain de la votation. Les délais de recours institués par l'OJ sont à la disposition des plaideurs jusqu'à leur expiration (cf. RO 82 I 70/71). Le fait que les opérations électorales se sont déroulées avant la fin du délai pour attaquer la décision qui les organisait n'entraîne aucune dérogation à ce principe. L'arrêt Bühler cité par l'intimé (RO 74 I 18 ss.) ne conduit pas à une conclusion différente. Certes, il déclare qu'un citoyen perd la possibilité de former un recours de droit public concernant l'organisation de la votation lorsqu'il n'agit pas avant le scrutin. Toutefois, il concerne un cas où le recours de droit public avait été formé après l'expiration du délai de l'art. 89 OJ, calculé dès la décision organisant la votation (idem dans RO 81 I 203 ss.). Il n'est dès lors pas applicable en l'espèce où le recours a été formé dans ce délai.
2.
Le décret du 14 novembre 1963 vise quatre crédits distincts. Le premier concerne la transformation et l'agrandissement du collège de Brigue, le second la construction d'écoles professionnelles à Brigue, Martigny et Monthey, le troisième l'agrandissement et la réfection de l'école d'agriculture de Châteauneuf et le quatrième l'agrandissement de l'hôpital et la construction de cliniques pour enfants déficients à Malévoz. Il s'agit de savoir si ces quatre crédits pouvaient être soumis au peuple dans une
BGE 90 I 69 S. 73
seule votation ou s'ils devaient faire, chacun ou certains d'entre eux, l'objet d'une votation séparée.
a) Le droit de vote en matière politique est un droit constitutionnel garanti par le droit fédéral. Il donne notamment au citoyen le droit d'exiger que le résultat des élections ou des votations ne soit pas reconnu, s'il n'est pas l'expression sûre et véritable de la libre volonté du corps électoral (RO 89 I 443, 75 I 245). Il confère donc à l'électeur le droit notamment de s'exprimer en pleine liberté, c'est-à-dire non seulement de voter dans le secret et à l'abri de toute influence extérieure, mais aussi de remplir son bulletin d'une manière conforme à sa volonté réelle. Si ces principes sont violés, c'est le droit de vote lui-même qui est atteint. Selon sa jurisprudence constante, le Tribunal fédéral statue alors librement (RO 89 I 77. 85/86, 443, 453/454). Dans la mesure où l'arrêt Deutsch (RO 57 I 184 ss.) dit le contraire, il est dépassé.
b) Le droit de l'électeur de s'exprimer d'une manière correspondant à sa volonté réelle implique, en matière de referendum financier, que le peuple ne soit en principe appelé à voter que sur une question à la fois. Il est vrai que cette opinion, assez largement répandue en doctrine (GIACOMETTI, Staatsrecht der schw. Kantone, p. 424/425, note 22; PICENONI, Die Kassation von Volkswahlen und Volksabstimmungen, thèse Zurich 1945, p. 46/47; GEILINGER, Die Institutionen der direkten Demokratie im Kanton Zürich, thèse Zurich 1947, p. 39, note 29 et p. 66, note 104; KUHN, Das Prinzip der Einheit der Materie bei Volksinitiativen auf Partialrevision der Bundesverfassung, thèse Zurich 1956, p. 80/81; KLINGENBERG, Das Finanzreferendum im Kanton Schaffhausen, thèse Zurich 1957, p.11), n'a pas toujours été celle du Tribunal fédéral. En effet, posant la question sur le terrain de la législation cantonale, et non sur celui du droit de vote garanti par le droit fédéral, la Chambre de droit public a jugé à plusieurs reprises que, dans la mesure où la loi ne prévoit pas expressément le contraire et sauf le cas d'arbitraire, l'électeur n'a aucun
BGE 90 I 69 S. 74
droit à ce que les questions soumises au peuple par voie de referendum aient un objet unique (RO 57 I 188 ss.; arrêts non publiés Béguin, du 7 juin 1940, résumé dans ZBl 1940, p. 364/365, et Zimmermann, du 10 mars 1949). Cette jurisprudence ne tient toutefois pas un compte suffisant de la liberté de l'électeur, telle qu'elle découle du droit de vote garanti par le droit fédéral. C'est la nécessité de sauvegarder cette liberté qui en principe l'emporte et oblige l'autorité à organiser une votation pour chaque objet, même si la constitution ou la loi cantonales ne contiennent aucune disposition à cet égard. Sinon le citoyen, qui est favorable à l'un des projets, est obligé ou de le repousser pour manifester son opposition à l'autre ou de l'accepter, mais en faisant croire alors par son vote qu'il appuie le second.
c) L'application rigoureuse de ce principe représenterait cependant pour les autorités cantonales une contrainte inadmissible et souvent contraire à l'intérêt général qu'elles ont pour mission de promouvoir. Sans doute serait-il exclu de joindre en une même votation des dépenses sans aucun rapport entre elles pour des raisons de pure tactique électorale. C'est ainsi que, à seule fin de faire admettre au peuple une dépense impopulaire, il ne saurait être question de lui présenter en même temps une dépense qu'il envisage avec faveur. Il n'en reste pas moins que, dans certaines hypothèses, les autorités cantonales doivent pouvoir soumettre en même temps au peuple plus d'une dépense ayant un unique objet.
Tel est le cas non seulement lorsque deux dépenses sont interdépendantes de telle manière que l'une ne peut être faite sans l'autre, mais aussi lorsque les dépenses soumises en même temps au peuple ont un but commun, qui les réunit étroitement par un lien réel et objectif. Ainsi les autorités d'un canton peuvent demander au citoyen de dire, par un seul oui ou un seul non, s'il accepte ou refuse un ensemble de crédits particuliers concernant tous par exemple la construction de bâtiments scolaires, ou l'amélioration du réseau routier ou encore le développement
BGE 90 I 69 S. 75
d'installations hospitalières. Certes, il se pourra que l'électeur se trouve ainsi obligé d'accepter un crédit auquel il est opposé pour pouvoir se prononcer en faveur de l'octroi des autres; sans doute aussi, sa liberté de vote sera de la sorte restreinte. Toutefois, lorsque les diverses dépenses présentées ensemble sont reliées entre elles par le but commun défini ci-dessus, le citoyen est appelé à se prononcer non pas tant sur chacun des crédits que sur ce but même. Cela permet d'exiger de lui qu'il se détache, dans une certaine mesure, de l'opinion qu'il peut avoir sur telle ou telle dépense particulière, qu'il envisage et apprécie dans son ensemble la tâche que les autorités estiment devoir entreprendre et qu'il exprime sur elle un jugement global. Si les gouvernements et les parlements cantonaux ne pouvaient pas présenter ensemble au peuple des dépenses poursuivant le même but, ils risqueraient d'être empêchés, dans un domaine déterminé, de faire participer toutes les régions du canton et toutes les couches de la population d'une manière égale à la prospérité commune.
3.
En l'espèce, les divers crédits litigieux peuvent être répartis en deux catégories bien distinctes. Les uns concernent le collège de Brigue, l'école d'agriculture de Châteauneuf ainsi que les écoles professionnelles de Brigue, Martigny et Monthey; ils relèvent de l'instruction publique au sens large. Les autres ont pour objet l'hôpital de Malévoz; ils ressortissent à la santé publique. Ces deux catégories de crédits n'ont pas de but commun. Elles ont trait à des tâches étatiques nettement distinctes. Rien ne servirait d'objecter que les travaux envisagés à Malévoz comprennent notamment la construction de cliniques pour enfants déficients. Sans doute, de telles cliniques sont destinées, comme les écoles, à la jeunesse. Il n'empêche que l'Etat envisage de les construire dans le cadre de son obligation de sauvegarder la santé publique, obligation entièrement distincte du devoir d'assurer l'instruction publique. Le crédit de 8 200 000 fr. relatif à l'hôpital de Malévoz devait donc être présenté séparément au peuple.
BGE 90 I 69 S. 76
Dans cette mesure, le recours est fondé. En revanche, il ne l'est pas en tant qu'il vise à obtenir une votation distincte pour chacun des autres crédits. Les dépenses concernant les écoles professionnelles de Brigue, Martigny et Monthey ainsi que l'école d'agriculture de Châteauneuf ont toutes pour but la formation professionnelle de la jeunesse. Le lien qui les unit est suffisamment étroit pour qu'elles puissent faire l'objet d'une votation unique. On peut se demander, il est vrai, si celle-ci doit être étendue au crédit de 13 500 000 fr. concernant la transformation et l'agrandissement du collège de Brigue. Cette institution est en effet un établissement d'instruction secondaire destiné à donner aux élèves non pas une formation directement utile à l'exercice d'un métier, mais une culture générale préparant surtout aux études supérieures. Néanmoins, comme les écoles professionnelles, il est un des moyens qu'utilise l'Etat pour contribuer à l'éducation et à la formation de la jeunesse. Ce but commun crée encore entre les diverses dépenses scolaires prévues par l'art. 1er lettres a à c du décret attaqué un lien suffisamment étroit pour considérer comme admissible l'organisation d'une votation unique.
En résumé, les autorités cantonales valaisannes devront à tout le moins organiser deux votations, l'une pour le crédit de 8 200 000 fr. relatif à l'hôpital de Malévoz, l'autre pour les trois crédits concernant le collège de Brigue, l'école de Châteauneuf et les écoles professionnelles de Monthey, Martigny et Brigue. C'est dans ce sens qu'il y a lieu d'admettre le recours.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral prononce:
Le recours est admis dans le sens des motifs. Sont en conséquence annulés:
a) le décret du Grand Conseil du 14 novembre 1963,
b) l'arrêté du Conseil d'Etat du 7 février 1964,
c) la votation du 15 mars 1964. | public_law | nan | fr | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8a5431f-119b-4f02-b12f-e78b94044564 | Urteilskopf
136 III 305
46. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. B.X. gegen C.Y.-X. und D.Z.-X. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_536/2009 vom 3. März 2010 | Regeste
Herabsetzung bei Verfügungen unter Lebenden (
Art. 522 Abs. 1 und
Art. 527 ZGB
).
Hat der Erblasser einzelnen seiner Nachkommen Darlehen gewährt mit der ausdrücklichen Erklärung, diese seien nicht zu verzinsen, ist in dieser Unentgeltlichkeit keine der Herabsetzung unterliegende Zuwendung im Sinne von
Art. 527 Abs. 1 ZGB
zu erblicken (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 305
BGE 136 III 305 S. 305
C.Y.-X., B.X. und D.Z.-X. sind die Kinder der Eheleute E.X. und F.X.-R. E.X. verstarb im März 1993 und F.X.-R. (im Folgenden: Erblasserin) im März 2002.
Mit Vertrag vom 7. April 1989 hatte die Erblasserin den beiden Töchtern C.Y.-X. und D.Z.-X. zum Preis von Fr. 870'000.- ein Grundstück verkauft. Für den Teilbetrag von Fr. 370'000.- hatte sie den Käuferinnen ein unverzinsliches Darlehen, fällig bei ihrem Ableben, gewährt. Für ein weiteres den Töchtern verkauftes Grundstück wurde
BGE 136 III 305 S. 306
gemäss Vertrag vom 12. Dezember 1989 ein Preis von Fr. 69'030.- vereinbart, wofür die Erblasserin (für den ganzen Betrag) wiederum ein unverzinsliches Darlehen gewährte, das mit ihrem Ableben fällig werden sollte. Durch einen zweiten Vertrag vom 12. Dezember 1989 verkaufte die Erblasserin ihren Töchtern ein drittes Grundstück, wobei diese zur Tilgung des Kaufpreises von Fr. 1'254'860.- von der Erblasserin abermals ein unverzinsliches Darlehen, fällig im Zeitpunkt ihres Todes, gewährt erhielten. Insgesamt hatte die Erblasserin C.Y.-X. und D.Z.-X. somit unverzinsliche Darlehen in der Höhe von Fr. 1'693'890.- ausgerichtet.
B.X. erhob mit Eingabe vom 27. März 2003 beim Kantonsgericht des Kantons Zug Klage gegen seine beiden Schwestern C.Y.-X. und D.Z.-X. und verlangte, den Nachlass der Mutter und seinen Erbteil daran festzustellen; zur Nachlassmasse seien sämtliche lebzeitigen Zuwendungen der Erblasserin an C.Y.-X. und D.Z.-X. und deren Ehemänner und Kinder hinzuzurechnen.
In teilweiser Gutheissung der Klage stellte das Kantonsgericht mit Urteil vom 23. April 2008 fest, dass der strittige Nachlass Fr. 3'943'241.45 betrage und B.X. als pflichtteilsberechtigtem Erben ein Anteil von Fr. 985'810.35 zustehe. Bei der Ermittlung des als Nachlass festgestellten Betrags berücksichtigte das Kantonsgericht unter anderem Zinsen (von 5 %) auf den den Töchtern im Zusammenhang mit den Grundstückkäufen gewährten Darlehen.
C.Y.-X. und D.Z.-X. gelangten an das Obergericht (Zivilrechtliche Abteilung), das am 9. Juni 2009 die Berufung teilweise guthiess und feststellte, dass der Nachlass Fr. 2'888'724.95 und der Pflichtteil von B.X. Fr. 722'181.25 betrügen. Das Obergericht reduzierte den von der ersten Instanz errechneten Betrag mit der Begründung, für die C.Y.-X. und D.Z.-X. gewährten Darlehen seien keine Zinsen zu veranschlagen.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 17. August 2009 beantragt B.X. unter anderem, festzustellen, dass der Wert des mütterlichen Nachlasses Fr. 3'513'181.60, zuzüglich Verzugszinsen von 5 % auf den von der Erblasserin den Miterbinnen gewährten Darlehen von insgesamt Fr. 1'693'890.- seit 27. März 2003, betrage.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
BGE 136 III 305 S. 307
Aus den Erwägungen:
3.
Falls der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten hat, können die Erben, die nicht dem Werte nach ihren Pflichtteil erhalten, die Herabsetzung der Verfügung auf das erlaubte Mass verlangen (
Art. 522 Abs. 1 ZGB
). Wie die Verfügungen von Todes wegen unterliegen nach
Art. 527 ZGB
der Herabsetzung unter anderem die Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind (Ziff. 1), sowie die Entäusserung von Vermögenswerten, die der Erblasser offenbar zum Zweck der Umgehung der Verfügungsbeschränkung vorgenommen hat (Ziff. 4).
3.1
Unter "Zuwendung" kann in einem obligationenrechtlichen Sinn jede Handlung verstanden werden, durch die eine Person einer anderen einen Vermögensvorteil verschafft. Die Zuwendung kann sich aus einem Vermögensopfer oder aus einer Arbeitsleistung ergeben (VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, 3. Aufl. 1979, S. 198 f.). In
Art. 527 Ziff. 1 ZGB
wird ausdrücklich (nur) der Begriff "Vermögensabtretung" verwendet. Es rechtfertigt sich unter diesen Umständen, der erbrechtlichen Herabsetzung einzig Tatbestände zu unterstellen, die auf einem Vermögensopfer beruhen. Die Zuwendung besteht entweder in der Übertragung eines Rechts oder im Verzicht auf ein solches. Rein wirtschaftlich betrachtet, kann der Verzicht auf das Entstehen eines Rechts - wie etwa auf Zinse - zum gleichen Ergebnis führen wie der Verzicht auf ein Recht. Das bedeutet jedoch nicht schon, dass die beiden Tatbestände aus erbrechtlicher Sicht gleich zu behandeln wären. So ist darauf hinzuweisen, dass beispielsweise bei der mit der Herabsetzung verwandten Ausgleichung (
Art. 626 ff. ZGB
) der Betrag sich nach der Natur der Zuwendung bemisst: Bei einem Geldbetrag in Landeswährung bleibt es beim Nominalwert und ist genau der zugewendete Betrag zum Nachlass hinzuzurechnen, unabhängig davon, wie der Empfänger das Geld angelegt hat. Demgegenüber trägt der Empfänger im Falle der Zuwendung eines Gegenstandes oder eines bestimmten Rechts in dem Sinne Nutzen und Gefahr von Wertschwankungen, dass bei einer Wertsteigerung der höhere Wert, bei einer Verminderung lediglich der niedrigere Wert zu berücksichtigen ist (Urteil des Bundesgerichts 5A_477/2008 vom 11. August 2009 E. 4; vgl. auch PETER WEIMAR, Berner Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 36 f. zu
Art. 475 ZGB
). Das schweizerische Erbrecht kennt
BGE 136 III 305 S. 308
mithin nicht eine absolute Gleichstellung der Erben. Erfasst werden auch bei der Herabsetzung zur Absicherung der Pflichtteile grundsätzlich nur bestimmte lebzeitige Vorgänge, und es ist deshalb angebracht, nur eigentliche Entäusserungen Art. 527 Ziff. 1 bis 3 ZGB zu unterstellen.
3.2
3.2.1
Der wirtschaftliche Vorteil, den die Beschwerdegegnerinnen aus den ihnen in Verbindung mit den Grundstückkäufen gewährten Darlehen gezogen haben, geht nicht darauf zurück, dass die Erblasserin auf ein Recht verzichtet hätte: Wie auch das Obergericht festhält, bestimmt
Art. 313 Abs. 1 OR
, Darlehen seien im gewöhnlichen Verkehr nur dann verzinslich, wenn es so verabredet sei. Zins ist in diesen Fällen mit anderen Worten keine gesetzliche Folge des Darlehens und bedarf einer vertraglichen Abmachung. Aus der angeführten Bestimmung ergibt sich zudem, dass Unentgeltlichkeit zu vermuten ist (PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2003, N. 6 zu
Art. 313 OR
).
3.2.2
Nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz wurde für die fraglichen Darlehen von Anfang an ausdrücklich die Unentgeltlichkeit vereinbart. Es ist demnach nicht so, dass die Erblasserin mit einer entsprechenden Vereinbarung zunächst einen Anspruch auf Zinsen erworben hätte, auf deren Einforderung sie nachträglich verzichtet hätte. Die Erblasserin hat einen Zinsanspruch vielmehr gar nicht erst entstehen lassen. Insoweit ist nach dem Gesagten keine Zuwendung im Sinne des Herabsetzungstatbestands von
Art. 527 Abs. 1 ZGB
vorhanden, die zu einer Hinzurechnung eines über die Nominalsummen der Darlehen hinausgehenden Betrags führen würde.
3.2.3
Den Darlegungen des Obergerichts zur Höhe bzw. zum Charakter von Darlehenszinsen, die einzusetzen seien, ist nach dem Ausgeführten die Grundlage entzogen. Die vorinstanzliche Auffassung zu diesem Punkt ist daher nicht näher zu erörtern. Festgehalten sei lediglich, dass das Obergericht verkennt, dass das unentgeltliche Einräumen von Vorteilen - unabhängig von deren wirtschaftlicher Bedeutung - für sich allein noch keine Zuwendung im hier einschlägigen Sinne darstellt.
3.3
Sodann widerspricht der Beschwerdeführer der vorinstanzlichen Feststellung, die Erblasserin habe keine verpönten Entäusserungsabsichten gehabt: Mit den unentgeltlichen Zuwendungen an die
BGE 136 III 305 S. 309
Beschwerdegegnerinnen in Form von Zinsausfall habe die Erblasserin sich ihres Vermögens offensichtlich zum Zweck der Umgehung der Verfügungsbeschränkung, d.h. zur Schmälerung seines Pflichtteils, entäussert; die strittige Zuwendung sei daher auch gestützt auf
Art. 527 Ziff. 4 ZGB
herabzusetzen.
Die Absicht einer Person lässt sich unmittelbar nur durch deren Aussagen und daneben bloss durch Schlussfolgerungen aus dem äusseren Verhalten der fraglichen Person und aus den äusseren Gegebenheiten, die auf sie eingewirkt haben, ermitteln. Es geht mithin um eine Frage tatsächlicher Natur (vgl.
BGE 134 III 452
E. 4.1 S. 456). Was der Beschwerdeführer zu den Umständen der strittigen Zuwendungen vorträgt, ist rein appellatorischer Natur und deshalb nicht geeignet, die obergerichtliche Annahme, die Erblasserin habe keine Absicht gehabt, den Beschwerdegegnerinnen einen unentgeltlichen Vorteil zu verschaffen und ihn zu schädigen, als willkürlich erscheinen zu lassen. Damit ist durch den Verzicht der Erblasserin auf Darlehenszinsen auch der Herabsetzungstatbestand von
Art. 527 Ziff. 4 ZGB
nicht erfüllt. | null | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c8b03036-0241-4191-ae1c-4b92f3e267a8 | Urteilskopf
97 I 250
37. Auszug aus dem Urteil vom 16. Juni 1971 i.S. F. gegen D. und Obergericht des Kantons Zürich. | Regeste
Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiete der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern.
Art. 4 Ziff. 3: Begriff der Versäumnisentscheidung. Kann die ordnungsgemässe Zustellung auch auf andere Weise als durch die hier genannten Urkunden bewiesen werden? (Erw. 3).
Art. 2 Ziff. 2: Ob ein Urteil Rechtskraft erlangt hat, bestimmt sich nach dem Recht des Staates, in dem es gefällt worden ist (Erw. 4).
Art.2 Ziff. 3: Auslegung von Abs. 2 (Erw. 5).
Art. 2 Ziff. 5: Wann ist ein in Deutschland gefälltes Vaterschaftsurteil, das dem ausserhalb von Deutschland befindlichen Beklagten gemäss § 175 der deutschen ZPO in Deutschland durch "Aufgabe zur Post" zugestellt worden ist, mit der öffentlichen Ordnung der Schweiz offensichtlich unvereinbar? (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 251
BGE 97 I 250 S. 251
A.-
Für D., geb. 1966 in Bad Homburg, wurde am 9. Februar 1967 gegen den italienischen Staatsangehörigen F., damals wohnhaft in Speyer, beim Amtsgericht Speyer Klage auf Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen angehoben. Die Klage wurde F. persönlich zugestellt. Er liess am 11. März 1967 durch einen Anwalt die Abweisung der Klage beantragen. Am 25. April 1967 beschloss das Gericht, die Mutter des Klägers als Zeugin zu befragen. Sie wurde am 31. Mai 1967 abgehört und erklärte, mit F. vor und während der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt zu haben. In der Folge legte der Anwalt sein Mandat nieder, und F. kehrte nach Italien zurück. Er wurde auf den 26. März 1968 zur Gerichtsverhandlung vorgeladen. Die Vorladung wurde ihm am 23. Dezember 1967 auf diplomatischem Weg an seinem damaligen Wohnort in Italien zugestellt und enthielt folgenden Vermerk:
"Wenn Sie zum Termin nicht erscheinen und sich nicht durch eine mit schriftlicher Vollmacht versehene, volljährige Person vertreten lassen, kann auf Antrag ein Versäumnisurteil gegen Sie erlassen werden. Ihre schriftlichen Mitteilungen bleiben in diesem Fall unberücksichtigt. Unterbleibt die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten und machen Sie dem Gericht auch keine im Bezirk des Amtsgerichtes Speyer am Rhein wohnhafte Person namhaft, die zum Empfang der für Sie bestimmten Schriftstücke bevollmächtigt ist, so können alle zukünftigen Zustellungen an Sie durch Aufgabe zur Post bewirkt werden (§ 174 Abs. 2, § 175 Abs. 1, § 208 der Zivilprozessordnung)."
F. liess im Februar 1968 dem Gericht durch einen italienischen Anwalt eine Eingabe zugehen, blieb aber der Verhandlung vom 26. März 1968 fern. Der Vertreter des Klägers beantragte dem Gericht, den Beklagten durch Versäumnisurteil zu verpflichten, dem Kläger eine monatliche Unterhaltsrente von 95 DM zu bezahlen. Das Amtsgericht sprach am 26. März 1968 ein diesem Antrag entsprechendes Urteil aus. Gegen dieses Versäumnisurteil liess F. im Mai 1968 Einspruch erheben und ausführen, er kenne Frau D. nicht und habe mit ihr noch nie geschlechtlich verkehrt. Das Gericht setzte Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache auf den 9. Juli 1968 an.
BGE 97 I 250 S. 252
Da der Beklagte zu dieser Verhandlung weder erschien noch sich vertreten liess, verwarf das Gericht den Einspruch des F. ohne weitere Sachprüfung durch ein zweites Versäumnisurteil. Beide Urteile sind mit Rechtskraftbescheinigung versehen. Sie wurden dem Beklagten durch Aufgabe zur Post gemäss § 175 der deutschen Zivilprozessordnung (DZPO) zugestellt.
Der Kläger betrieb den Beklagten anfangs Oktober 1969 in Zürich für eine Forderung von Fr. 4083.45 nebst Zins. F. erhob Rechtsvorschlag. Gestützt auf das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 26. März 1968 erwirkte der Kläger beim Einzelrichter des Bezirks Zürich die definitive Rechtsöffnung. Der Beklagte focht diesen Entscheid beim Obergericht des Kantons Zürich an, indem er geltend machte, die Bedingungen des Haager Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. April 1958 (im folgenden: Haager Abkommen; AS 1964, S. 1283 ff.) seien nicht oder wenigstens nicht in allen Teilen erfüllt. Das Obergericht wies den Rekurs am 7. Januar 1971 ab.
B.-
Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 7. Januar 1971 hat F. staatsrechtliche Beschwerde erhoben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer behauptet, dass einzelne der in Art. 2 des Haager Abkommens genannten Voraussetzungen und einzelne der in Art. 4 erwähnten Urkunden fehlen.
Nach Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens hat die Partei, welche die Vollstreckung beantragt, im Falle einer Versäumnisentscheidung eine beglaubigte Abschrift der das Verfahren einleitenden Ladung oder Verfügung und die Urkunden, aus denen sich die ordnungsgemässe Zustellung dieser Ladung oder Verfügung ergibt, beizubringen. Der Beschwerdeführer rügt, dass diese Unterlagen vom Beschwerdegegner nicht vorgelegt worden seien. Sie fehlen in der Tat. Art. 4 Ziff. 3 gilt aber nur für Versäumnisentscheide. Die beiden hier in Frage stehenden Entscheide sind zwar entsprechend der Ausdrucksweise der DZPO als Versäumnisurteile bezeichnet. Nach internationalem Zivilprozessrecht liegt indessen kein Versäumnisurteil vor, wenn sich der Beklagte, wie es hier geschehen ist, auf den Prozess eingelassen hat (GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht
BGE 97 I 250 S. 253
der Schweiz, S. 152; vgl. das Urteil vom 28. Oktober 1970 i.S. H., nicht veröffentlichte Erw. 3c, S. 16). Der erstinstanzliche kantonale Richter hat deshalb wohl mit Recht die Ansicht vertreten, Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens sei nicht anwendbar.
Selbst wenn indessen die beiden Urteile als Versäumnisentscheidungen im Sinne des Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens zu gelten hätten, schlüge die Argumentation des Beschwerdeführers nicht durch. Wird die Vorschrift des Art. 4 Ziff. 3 rein nach ihrem Wortlaut genommen, so könnte der Einwand allenfalls als begründet gelten. Das Urteil vom 26. März 1968 wird in den Erwägungen als Versäumnisurteil bezeichnet, und es wurde, wie ausgeführt, weder eine Abschrift der Vorladung noch eine Zustellungsurkunde eingelegt. Es wäre aber formalistisch und dem Sinne der Abkommensregel zuwider, aus diesem Grund die Vollstreckung abzulehnen. In der von dem zuständigen Justizbeamten unterzeichneten schriftlichen Urteilsausfertigung ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer zu der Gerichtsverhandlung vom 26. März 1968 auf diplomatischem Weg vorgeladen und dass ihm die Vorladung am 23. Dezember 1967 an seinem Wohnort Terracina (Agro) zugestellt wurde. Diese urkundliche Bestätigung verschafft der Vollstreckungsbehörde praktisch die gleiche Gewähr dafür, dass der Beklagte vorgeladen und ihm die Ladung ordnungsgemäss zugestellt wurde, wie eine beglaubigte Abschrift der Vorladung und eine förmliche Zustellungsbescheinigung. Es mag freilich, unter der Voraussetzung, dass es sich überhaupt um einen Versäumnisentscheid im Sinne des Abkommens gehandelt hätte, beanstandet werden, dass sich der Vertreter des D. wohl nicht ernstlich darum bemüht hat, genau die Dokumente vorzulegen, die in Art. 4 des Abkommens genannt sind. Wie der Beschwerdeführer mit Recht ausführt, sind bei der Vollstreckung ausländischer Urteile im Interesse der Rechtssicherheit bestimmte Förmlichkeiten unumgänglich. Da aber die genannte Feststellung im Urteil vom 26. März 1968 der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich Ladung und Zustellung die Sicherheit gibt, wie sie Art. 4 Ziff. 3 gewährleisten will, würde es dem Sinn dieser Vorschrift zuwiderlaufen, ohne sachlichen Grund in rein formaler Auslegung des Abkommens die Vollstreckung zu verweigern. So zu entscheiden, rechtfertigt sich aus einem weitern Grund. Nach Art. 4 Ziff. 3 müssen nur bei Versäumnisentscheiden eine Abschrift der das Verfahren einleitenden Ladung und eine Urkunde
BGE 97 I 250 S. 254
über deren ordnungsgemässe Zustellung beigebracht werden. Wenn eine Partei nicht an der Gerichtsverhandlung teilnahm und das Urteil in ihrer Abwesenheit erging, soll durch Vorlage der in Art. 4 Ziff. 3 genannten Urkunden der Nachweis dafür erbracht werden, dass die Partei von der Einleitung des Verfahrens Kenntnis hatte und über den ersten Verhandlungstermin orientiert war. Zweck der Vorschrift ist es, dem Beklagten die Garantie zu geben, von der Einleitung des gegen ihn gerichteten ausländischen Prozessverfahrens in einer Weise Kenntnis zu erhalten, die ihm die Verteidigung vor dem Prozessgericht ermöglicht (vgl. KALLMANN, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, Basel 1946, S. 284 ff., insbes. S. 286). Sowohl das Urteil vom 26. März 1968 wie jenes vom 9. Juli 1968 sind zwar nach deutschem Recht Versäumnisentscheide. Der gegen den Beschwerdeführer angestrengte Prozess war aber, wie die kantonalen Gerichte zutreffend feststellten, nicht von Anfang an ein Kontumazialverfahren. Vielmehr war der Beschwerdeführer im Prozess zunächst durch einen Anwalt vertreten. Er war also nicht nur über die Einleitung des Verfahrens orientiert und in der Lage, sich im Prozess zu verteidigen, sondern hat seine Rechte auch tatsächlich durch seinen Anwalt wahren lassen. Bei dieser Sachlage ist die Vorlage einer Abschrift der Ladung und der Zustellungsbescheinigung entbehrlich, denn das, was mit diesen Urkunden bewiesen werden soll, ist schon auf andere Weise klar nachgewiesen. Ob dem Beschwerdeführer im spätern Lauf des Prozesses, insbesondere im Einspruchsverfahren, Vorladungen ordnungsgemäss zugestellt wurden, ist im übrigen in diesem Zusammenhang unerheblich, denn Art. 4 Ziff. 3 des Abkommens bezieht sich nur auf die "das Verfahren einleitende Ladung", und einzig für deren Erlass und Zustellung müssen Beweismittel eingelegt werden. Der Einwand, der Beschwerdegegner habe die in Art. 4 Ziff. 3 genannten Unterlagen nicht beigebracht, führt demnach nicht zur Gutheissung der Beschwerde.
4.
Der Beschwerdeführer rügt ferner, er habe das Versäumnisurteil vom 9. Juli 1968 überhaupt nicht erhalten, da es nur durch Aufgabe zur Post im Sinne des § 175 DZPO "zugestellt" resp. eben nicht zugestellt worden sei.
Nach der Ansicht des Beschwerdeführers entscheidet sich die Frage, ob das Urteil richtig zugestellt wurde, nicht nach dem Haager Abkommen von 1958. Dieses verlange in Art. 2 Ziff. 3,
BGE 97 I 250 S. 255
dass der zu vollstreckende Entscheid rechtskräftig sei. Ein Urteil könne nur rechtskräftig sein, wenn es der betreffenden Prozesspartei zugestellt worden sei. Das Haager Abkommen von 1958 habe weder mit der Frage der Zustellung noch mit jener der Rechtskraft das geringste zu tun. Ob ein Urteil rechtskräftig sei, beurteile sich nach der Haager Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht von 1954 (AS 1957, S. 467), sowie im zu beurteilenden Fall nach den zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossenen besondern Vereinbarungen (betreffend Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs von 1910 und den unmittelbaren Geschäftsverkehr von 1878; BS 12 S. 292 und 293). Diese Ausführungen, mit denen die im bundesgerichtlichen Urteil vom 28. Oktober 1970 i.S. H. geäusserte Ansicht (nicht veröffentlichte Erw. 3b S. 13) kritisiert wird, sind nicht stichhaltig. Die beiden Vereinbarungen der Schweiz mit Deutschland fallen von vorneherein ausser Betracht, weil der Beschwerdeführer sich zur Zeit der streitigen Zustellungen nicht in der Schweiz, sondern in Italien aufgehalten hat. Nach der unmissverständlichen Regel des Art. 5 des Abkommens von 1958 beschränkt sich sodann die Prüfung der Vollstreckungsbehörde auf die in Art. 2 genannten Voraussetzungen und die in Art. 4 aufgezählten Urkunden. Im Abkommen wird nicht bestimmt, wie ein Urteil zugestellt werden muss, so dass sich die Prüfung der Vollstreckungsbehörde nicht darauf beziehen kann, es wäre denn, dass wegen der Art der Zustellung die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaates als offensichtlich unvereinbar erschiene (Art. 2 Ziff. 5). Diese Frage hat denn auch das Bundesgericht in dem erwähnten Urteil geprüft (
BGE 96 I 396
ff.), und wird es auch hier zu prüfen haben (Erw. 6c). Wohl muss nach dem Abkommen von 1958 die zu vollstreckende Entscheidung rechtskräftig sein, aber verlangt ist bloss, dass sie "in dem Staat, in welchem sie ergangen ist, Rechtskraft erlangt hat". Das verkennt der Beschwerdeführer; die Regel des Abkommens entspricht übrigens dem allgemeinen Grundsatz, dass unter Berücksichtigung des Rechts des Urteilsgerichts zu entscheiden ist, ob ein Urteil die Merkmale der Rechtskraft aufweist (GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, S. 95, Anm. 18). Ob das vom Amtsgericht Speyer gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Urteil in der Bundesrepublik Deutschland Rechtskraft erlangt hat, entscheidet sich nicht nach irgendwelchen Staatsverträgen,
BGE 97 I 250 S. 256
sondern nach dem deutschen Landesrecht. Nach diesem sind die beiden Versäumnisurteile rechtskräftig, was durch behördliche Rechtskraftbescheinigung nachgewiesen ist, sich aus der DZPO ergibt und auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten wird.
5.
Im Fall einer Versäumnisentscheidung kann die Vollstreckung versagt werden, wenn die Vollstreckungsbehörde in Anbetracht der Umstände des Falles der Ansicht ist, dass die säumige Partei ohne ihr Verschulden von dem Verfahren keine Kenntnis hatte oder sich in ihm nicht verteidigen konnte (Art. 2 Ziff. 2 Abs. 2). Es scheint, dass sich der Beschwerdeführer auch darauf berufen will. Es war ihm, wie ausgeführt, bekannt, dass gegen ihn in Speyer ein Prozess auf Bezahlung von Unterhaltsbeiträgen angehoben war, und von dem nach dem ersten Urteil durchgeführten Verfahren hatte er deshalb Kenntnis, weil es auf seinen eigenen Einspruch hin durchgeführt wurde. Im ersten Abschnitt des Verfahrens hatte er eine schriftlich begründete Klageantwort durch seinen deutschen Anwalt einreichen lassen, der ihn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch vor Gericht vertrat. Nach dem ersten Urteil hatte er dem Gericht seinen Standpunkt in einem schriftlich begründeten Einspruch eines italienischen Anwalts darlegen lassen. Es stand ihm demnach nicht nur die Möglichkeit der Verteidigung offen, sondern er hat sie im Prozess auch tatsächlich genutzt.
6.
a) Es ist deshalb nur noch zu prüfen, ob die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) der schweizerischen Eidgenossenschaft offensichtlich unvereinbar ist (Art. 2 Ziff. 5). Der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung greift nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung dann Platz, wenn das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde. Ein Urteil kann dabei, wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, sowohl wegen seines materiellen Inhalts wie wegen des Verfahrens, in welchem es zustande kam, gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind der Anwendung der Ordre-public-Klausel mit Bezug auf die Vollstreckung ausländischer Urteile engere Grenzen gezogen als im Gebiet der direkten Gesetzesanwendung (
BGE 96 I 391
und 397 f. mit Hinweisen auf frühere Urteile). Es kommt hinzu, dass das Haager Abkommen von 1958 den Gebrauch des Vorbehalts
BGE 97 I 250 S. 257
einschränkt, indem es bestimmt, die Vollstreckung sei zu verweigern, wenn die Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung "offensichtlich unvereinbar" ist (BBl 1964 I S. 507).
b) Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Amtsgericht Speyer sinngemäss die Einrede des Mehrverkehrs erhoben, ohne dafür aber Beweise anzutragen. Da er sich um den Prozess nicht mehr kümmerte, nachdem sein Anwalt das Mandat niedergelegt hatte und er selber nach Italien zurückgekehrt war, kann mit dem Obergericht erwogen werden, er habe es seiner eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben, wenn er keine Beweise beantragen konnte, um darzutun, dass er nicht der Vater des D. sei. Er behauptet zwar, er habe nichts davon gewusst, dass sein Anwalt das Mandat niedergelegt habe, doch wäre es seine Sache gewesen, die Verbindung mit ihm aufrecht zu erhalten. Es wurde ihm übrigens, was mit seiner Behauptung nicht im Einklang ist, mit der Vorladung, die ihm am 23. Dezember 1967 in Terracina zugestellt wurde, bekannt gegeben, dass sein Anwalt das Mandat niedergelegt habe. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, das Amtsgericht habe dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert. Die Behauptung, nach schweizerischer Rechtsauffassung hätte ihm das Gericht ausdrücklich den Ausschluss vom Beweis androhen müssen, ist nicht stichhaltig. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, selbst wenn man annähme, er hätte sich pflichtwidrig zu wenig um den Prozess gekümmert, hätte das Gericht, nachdem Mehrverkehr behauptet war, die entsprechenden Beweise von Amtes wegen erheben müssen, da nach schweizerischem Recht ein Beklagter einen absoluten Anspruch auf ein Blutgruppengutachten habe. Es besteht freilich nach der Rechtsprechung ein bundesrechtlicher Anspruch auf eine Blutgruppenuntersuchung, doch kann diese auch in einem schweizerischen Prozess dann verweigert werden, wenn der Beklagte diesen Beweis nach dem kantonalen Prozessrecht nicht frist- und formgerecht beantragt hat (
BGE 90 II 152
; vgl. auch
BGE 90 I 110
,
BGE 90 II 224
,
BGE 91 II 2
). Ist es in einem schweizerischen Vaterschaftsprozess möglich und zulässig, die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift genannten Beweismittel auszuschliessen, wenn sie von der Prozesspartei nicht rechtzeitig und formrichtig beantragt wurden, so verstösst ein ausländisches Urteil, das auf der gleichen Rechtsauffassung fusst, nicht gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz.
BGE 97 I 250 S. 258
c) Der Beschwerdeführer behauptet schliesslich, es widerspreche der schweizerischen öffentlichen Ordnung, das Urteil vom 9. Juli 1968 für rechtskräftig zu halten, da es ihm nach § 175 DZPO durch Übergabe an die deutsche Post zugestellt worden sei. Er habe es nie erhalten, und die genannte Zustellungsart könne nach schweizerischer Rechtsanschauung nicht als rechtsgültig anerkannt werden.
Wenn eine Partei nicht in der Bundesrepublik wohnt, ist sie nach § 174 Abs. 2 DZPO zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten verpflichtet, falls sie nicht einen in einem bestimmten deutschen Ort oder Bezirk wohnhaften Prozessbevollmächtigten bestellt hat. Kommt die Partei dieser Pflicht nicht nach, so können die spätern Zustellungen nach § 175 Abs. 1 in der Art bewirkt werden, dass der Gerichtsvollzieher das zu übergebende Schriftstück unter der Adresse der Partei nach ihrem Wohnort zur Post gibt. Die Zustellung wird mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen, selbst wenn die Sendung als unbestellbar zurückkommt. Das Bundesgericht hat in
BGE 96 I 398
E. 4a festgestellt, dass diese unterstellte oder fingierte Zustellung dem Rechtsschutzinteresse der ausländischen Partei wenig Rechnung trägt, da diese vor allem die Folgen zu tragen hat, wenn ihr durch ein Versehen der Post die Sendung nicht zukommt. Die Rechtskraft kann in einem solchen Fall eintreten, obschon die Partei von dem Urteil keine Kenntnis erhielt. Das Bundesgericht hat in dem genannten Entscheid die Frage offen gelassen, ob die Annahme der Rechtskraft gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstiesse, wenn das Urteil nach § 175 DZPO zugestellt wurde und die Sendung die Partei infolge eines Versehens der Postorgane nicht erreicht hat, da in jenem Fall festgestellt war, dass die Urteilsausfertigung der beklagten Partei durch die Post ausgehändigt worden war (
BGE 96 I 398
/99).
Im hier zu beurteilenden Fall wurden zwei Urteile ausgesprochen. Am 26. März 1968 wurde der Beklagte durch Versäumnisurteil verpflichtet, dem Kläger D. eine monatliche Unterhaltsrente von DM 95 zu bezahlen. Dieses gemäss § 175 DZPO zugestellte Urteil wurde dem Beklagten zugestandenermassen an seinem italienischen Wohnort ausgehändigt. Er hat dagegen Einspruch erhoben und bediente sich damit des Rechtsbehelfs, mit dem ein (erstes) Versäumnisurteil grundsätzlich allein angefochten werden kann (§ 338 DZPO; BAUMBACH/LAUTERBACH, Kommentar N 1 zu § 338 DZPO). Der Einspruch
BGE 97 I 250 S. 259
wurde am 9. Juli 1968 wiederum durch Versäumnisurteil abgewiesen, und dieses neuerdings nach § 175 DZPO zugestellt. Ob es dem Beschwerdeführer zukam, steht nicht fest. Er bestreitet es. Der Beschwerdegegner verlangt die Vollstreckung des Urteils vom 26. März 1968, und da es dem Beschwerdeführer an seinem damaligen Wohnort ausgehändigt wurde, liesse sich entsprechend dem bundesgerichtlichen Urteil vom 28. Oktober 1970 (
BGE 96 I 398
/9) erwägen, die Annahme der Rechtskraft verstosse schon aus diesem Grund nicht gegen den schweizerischen ordre public. Da der Beschwerdeführer das erste Urteil angefochten hat, muss aber auch das zweite in die Prüfung einbezogen werden, da von dessen rechtskräftigem Bestand die Rechtskraft des ersten abhängig ist. Die Annahme der Rechtskraft des zweiten, den Einspruch des Beschwerdeführers abweisenden Versäumnisurteils kann indessen nur dann überhaupt gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen, wenn dieser zweite Entscheid durch ein Rechtsmittel angefochten werden konnte. Denn die Bedenken des Bundesgerichts gegen die Zustellung nach § 175 DZPO gründen vor allem auf der Überlegung, dass die Prozesspartei ihres Rechtsmittelrechts beraubt werden könnte, wenn ihr das Urteil infolge eines Versehens der Post nicht ausgehändigt wird. Durch Einspruch konnte F. das zweite Urteil nicht anfechten (§ 345 DZPO), doch war offenbar die Berufung möglich, die damit hätte begründet werden können, es liege kein Fall der Versäumung vor (BAUMBACH/LAUTERBACH, Kommentar N 1 zu P 345 DZPO; § 513 Abs. 2 DZPO). Deshalb ist zu prüfen, ob die Annahme der Rechtskraft des zweiten Urteils mit dem schweizerischen ordre public unvereinbar ist.
Der Beschwerdeführer wurde mit der Vorladung, die ihm am 23. Dezember 1967 auf diplomatischem Wege zugestellt wurde, unter Hinweis auf die §§ 174 Abs. 2 und 175 Abs. 1 DZPO aufgefordert, einen Prozess- bzw. Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, und es wurde ihm eröffnet, dass im Unterlassungsfall alle zukünftigen Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden könnten. Da die Eröffnung "alle zukünftigen Zustellungen" betraf, musste dem Beschwerdeführer klar sein, dass auch im Einspruchsverfahren Zustellungen gemäss § 175 DZPO erfolgen konnten. Die Zustellung nach § 175 verstösst wenigstens dann nicht gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz, wenn, wie hier, das Gericht die im Ausland wohnhafte
BGE 97 I 250 S. 260
Partei aufgefordert hat, einen in Deutschland domizilierten Zustellungsbevollmächtigten zu bezeichnen und wenn es sie davon in Kenntnis gesetzt hat, dass im Unterlassungsfall nach § 175 DZPO zugestellt werden könne. Bei solchem Vorgehen hat es die ausländische Partei in der Hand, durch geeignete Vorkehr dafür zu sorgen, dass ihr gerichtliche Urkunden zukommen. Tut sie es nicht, so handelt sie einer ihr bekannten prozessualen Pflicht (§ 174 Abs. 2 DZPO) zuwider und kann sie sich nicht beklagen, wenn daran Folgen geknüpft werden, die für sie nachteilig sein können. Auf jeden Fall lässt sich nicht sagen, der Eintritt solcher selbstverschuldeter Folgen verletze das einheimische Rechtsgefühl in unerträglicher Weise. Das schweizerische Recht kennt selber Regeln, die mit den genannten Vorschriften der DZPO eine gewisse Verwandtschaft haben. So bestimmt Art. 29 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG): "Parteien, die im Ausland wohnen, haben in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu verzeigen. Zustellungen an Parteien, die dieser Auflage nicht Folge leisten, können unterbleiben oder auf dem Ediktalweg erfolgen" (vgl. dazu
BGE 86 II 4
/5). Freilich ist diese Vorschrift nicht von gleicher Tragweite wie § 175 DZPO, da bundesgerichtliche Urteile durch kein ordentliches Rechtsmittel angefochten werden können. Es kann trotzdem für eine Partei erhebliche Nachteile zeitigen, wenn sie es unterlässt, gemäss
Art. 29 OG
in der Schweiz ein Zustellungsdomizil zu verzeigen. Es gibt zudem auch kantonale Rechtsordnungen, die ähnliche Vorschriften enthalten. Art. 69 Abs. 2 der Bündner Zivilprozessordnung bestimmt:
"Eine im Ausland wohnende Partei ist gehalten, nach Empfang der ersten an sie gelangten Vorladung durch Ernennung eines Vertreters im Kanton Rechtsdomizil zu nehmen, widrigenfalls die ferneren Vorladungen an sie ediktaliter erlassen werden können. Von dieser Vorschrift und ihren Rechtsfolgen ist ihr mit der Vorladung Kenntnis zu geben."
Art. 144 regelt die Mitteilung von Abwesenheitsurteilen, und Abs. 3 lautet:
"Wurde das Kontumazurteil gegen eine im Ausland befindliche Partei erlassen, die trotz der an sie ergangenen Aufforderung keine Rechtsvertretung im Kanton gemäss Art. 69 dieses Gesetzes bestellte, so genügt die Veröffentlichung des Dispositivs im Kantonsamtsblatt."
BGE 97 I 250 S. 261
Nach Art. 4 erfolgt die Publikation im Amtsblatt zweimal. Im wesentlichen besteht der Unterschied zwischen der deutschen und der bündnerischen Ordnung darin, dass die Mitteilung nach jener durch Aufgabe zur Post, nach dieser durch Publikation im kantonalen Amtsblatt erfolgt. Das Obergericht führte m angefochtenen Entscheid aus, die Gewähr, dass der Adressat auch wirklich von der Mitteilung Kenntnis nehme, sei bei der Publikation in einem kantonalen Amtsblatt geringer als bei der nach der DZPO zulässigen Zustellung durch Aufgabe zur Post, die sich immerhin an einen bestimmten Auslandsadressaten richte, der bei normalem Funktionieren der Post auch erreicht werde. Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, bei der Publikation im Amtsblatt sei es immerhin möglich, dass der Adressat durch einen Bekannten auf die Mitteilung aufmerksam gemacht werde, so ist dem mit dem Obergericht entgegenzuhalten, dass diese entfernte Möglichkeit von geringerem Wahrscheinlichkeitsgrad ist als jene, dass die Sendung dem Adressaten durch die Post übergeben wird. Ist eine im Ausland wohnhafte Partei durch den deutschen Richter aufgefordert worden, einen in Deutschland wohnenden Prozess- oder Zustellungsbevollmächtigten zu bezeichnen, hat sie diese Aufforderung mit dem Hinweis auf die Folgen der Unterlassung erhalten und handelt sie ihrer prozessualen Pflicht zuwider, so ist es im Hinblick auf einzelne ähnliche Vorschriften des schweizerischen Prozessrechts mit der öffentlichen Ordnung der Eidgenossenschaft nicht offensichtlich unvereinbar, wenn ein nach § 175 DZPO zugestelltes Urteil, das nicht angefochten wurde, für rechtskräftig gehalten wird. Im hier zu beurteilenden Fall so zu entscheiden, begegnet umso weniger Bedenken, als die Vorladung zur Einspruchsverhandlung vom 9. Juli 1968 nicht nur (durch Aufgabe zur Post) an den Beschwerdeführer, sondern auch an dessen italienischen Anwalt zugestellt wurde, so dass mit grosser Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass wenigstens eine der beiden Sendungen den Adressaten erreicht hat und F. damit wenigstens von der Verhandlung Kenntnis erhielt.
Das Bundesgericht behält sich die Prüfung der Frage vor, ob ein Vollstreckungsbegehren dann wegen offensichtlichen Verstosses gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz abzulehnen ist, wenn ein Urteil nach § 175 DZPO zugestellt wird, ohne dass die in Frage kommende Partei vorher zur Bezeichnung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert und auf die Folgen der Unterlassung hingewiesen wurde. | public_law | nan | de | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8b20f45-f415-4a7e-871c-b311fd5f2a47 | Urteilskopf
113 V 287
47. Extrait de l'arrêt du 31 décembre 1987 dans la cause P. contre Caisse de pensions de l'Etat de Vaud et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 27 Abs. 2 BVG
und
Art. 331c OR
: Freizügigkeitsleistung. Schicksal der Leistung, wenn der Arbeitnehmer nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses stirbt und wenn keine im Gesetz oder im Reglement der Vorsorgeeinrichtung aufgeführten Anspruchsberechtigten vorhanden sind. | Sachverhalt
ab Seite 287
BGE 113 V 287 S. 287
A.-
L'art. 41 de la loi cantonale vaudoise du 18 juin 1984 sur la Caisse de pensions de l'Etat de Vaud (LCP), entrée en vigueur le 1er janvier 1985, a la teneur suivante:
"Si l'assuré ou le pensionné décède sans laisser de conjoint ou
d'enfant ayant droit à une prestation selon les art. 60 ss et 66 ss, ses
versements et ceux de l'Etat (ou d'un autre employeur, art. 6 et 9) sont
acquis à la Caisse."
Quant à l'art. 8 al. 1 LCP, il prévoit d'autre part que l'affiliation prend fin, entre autres éventualités, lorsque l'assuré cesse définitivement ses fonctions. Cependant, la couverture des risques d'invalidité définitive et de mort subsiste encore trente jours après la cessation définitive des fonctions, pour autant que l'assuré ne soit pas engagé par un nouvel employeur (art. 8 al. 3 LCP).
B.-
A la suite de son engagement comme assistante sociale, le 1er janvier 1985, Christiane P., née en 1947, célibataire, a été affiliée, dès la même date, à la Caisse de pensions de l'Etat de Vaud (CPEV). Ayant été assurée précédemment à une autre institution
BGE 113 V 287 S. 288
de prévoyance, elle a bénéficié d'une prestation de libre passage, qui a servi au rachat d'années d'assurance auprès de la nouvelle caisse.
L'assurée ayant démissionné de sa fonction pour le 30 juin 1985, la CPEV lui a communiqué que le montant de sa prestation de libre passage s'élevait à 47'975 fr. 15 et lui a demandé de lui faire part de ses intentions quant à l'affectation de cette somme (lettre du 19 juin 1985).
Christiane P. n'a pas répondu à cette communication. Elle est décédée le 15 juillet 1985, en laissant pour seuls héritiers légaux sa mère, ainsi que ses trois frère et soeurs. Elle n'avait pas pris de nouvel emploi entre le 30 juin 1985 et le jour de son décès.
Les frère et soeurs de la défunte ont requis le versement en leur faveur de la prestation de libre passage. Par décision du 12 février 1986, la CPEV a refusé de faire droit à cette requête, au motif que, l'assurée étant décédée le 15 juillet 1985, soit - à teneur de l'art. 8 al. 3 LCP - pendant le temps de prolongation de la couverture des risques d'invalidité et de décès, et n'ayant laissé ni conjoint ni enfants, ses propres versements, ceux de l'Etat ou ceux d'un autre employeur lui étaient acquis, conformément à l'art. 41 LCP.
C.-
Les frère et soeurs survivants de Christiane P. ont recouru contre cette décision devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud. Ils ont allégué que l'affiliation de leur soeur défunte avait cessé le 30 juin 1985 et que la disposition invoquée de l'art. 8 LCP, laissant temporairement subsister la couverture de certains risques, n'avait pas eu pour effet de faire "revivre une affiliation périmée".
Par jugement du 3 septembre 1986, la juridiction cantonale a rejeté le recours porté devant elle. Elle a admis, en substance, que la défunte était encore assurée à la CPEV le jour de son décès, compte tenu de l'art. 8 al. 3 LCP. Par conséquent, le montant de la prestation de libre passage à laquelle elle aurait eu droit ne constituait pas encore une créance exigible, susceptible de tomber dans la succession.
D.-
Les frère et soeurs de l'assurée interjettent recours de droit administratif contre ce jugement en concluant au paiement par la CPEV d'une somme de 47'000 fr. avec intérêts à 5% l'an dès le 16 juillet 1985.
La caisse intimée conclut au rejet du recours. Quant à l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS), il propose d'admettre celui-ci.
BGE 113 V 287 S. 289
Conformément à l'
art. 110 al. 4 OJ
, il a été procédé à un échange ultérieur d'écritures, au terme duquel les parties et l'OFAS ont maintenu leurs points de vue respectifs.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
a) Selon l'
art. 27 al. 2 LPP
, l'assuré a droit à une prestation de libre passage lorsque ses rapports de travail ont été dissous avant la survenance d'un cas d'assurance et qu'il quitte l'institution de prévoyance (voir également l'
art. 331c CO
). D'autre part, l'
art. 10 al. 3 LPP
- auquel correspond l'art. 8 al. 3 LCP - dispose que, durant trente jours après la dissolution des rapports de travail, le salarié demeure assuré auprès de l'ancienne institution de prévoyance pour les risques de décès et d'invalidité; en cas de nouvel engagement du salarié avant l'expiration de ce délai, c'est la nouvelle institution de prévoyance qui est compétente.
La juridiction cantonale et les parties, de même que l'OFAS, s'accordent à considérer que la solution du présent litige dépend exclusivement du point de savoir à quelle date l'affiliation de l'assurée défunte à la CPEV a pris fin: si cette date doit être fixée au 30 juillet 1985 (fin de la couverture d'assurance prolongée selon l'
art. 10 al. 3 LPP
), le montant de la prestation de libre passage demeure acquis à la caisse, conformément à l'art. 41 LCP; en revanche, si l'affiliation a cessé le 30 juin 1985 (dissolution des rapports de service), la prestation, devenue exigible à la même date, tombe dans la succession de l'assurée, décédée le 15 juillet 1985, et doit donc être versée aux héritiers de celle-ci.
Les premiers juges ont opté pour le premier terme de l'alternative, contrairement à l'opinion des recourants, à laquelle se rallie l'office fédéral.
b) Ce n'est toutefois pas sur ce terrain qu'il convient de se placer en l'espèce. En effet, en cas de décès de l'assuré, les ayants droit ne reçoivent pas la prestation de l'institution de prévoyance en vertu d'une prétention successorale. Ils disposent d'un droit originaire qui leur est conféré directement par la loi (art. 18 à 22 LPP) ou par le règlement de l'institution de prévoyance; dans cette dernière éventualité, ils apparaissent comme les bénéficiaires d'une stipulation pour autrui au sens de l'
art. 112 CO
, le travailleur stipulant s'étant fait promettre par la caisse, obligée, le versement de prestations à certains tiers survivants. Ainsi donc, à défaut de
BGE 113 V 287 S. 290
survivants désignés par la loi ou les statuts, les héritiers, en tant que tels, ne peuvent prétendre ni le paiement de prestations ni la restitution des contributions versées (sur ces divers points, voir:
ATF 112 II 38
, 245; arrêt du Tribunal fédéral du 18 mai 1981, SZS 1983, p. 37; RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, p. 121; REYMOND, Les prestations de prévoyance en cas de décès prématuré, SZS 1982, p. 178 ss; BLAUENSTEIN, Prévoyance professionnelle et droit successoral, Revue suisse d'assurance 1982, p. 43; UMBRICHT/LAUR, La nouvelle loi sur les caisses de pension, tome I, ch. 5.3.3). A cet égard, l'on ne saurait parler d'un enrichissement illégitime de la caisse: raisonner ainsi conduirait à nier l'essence même de toute opération d'assurance (cf. arrêt du 26 juin 1987 en la cause B., publié dans la SZS 1987, p. 244).
De fait, la date de la fin de l'affiliation de l'assurée n'aurait d'incidence pratique que si la CPEV eût été tenue de s'acquitter de son obligation en espèces, conformément à l'
art. 30 LPP
(auquel correspond l'
art. 331c al. 4 CO
; cf.
ATF 113 V 124
consid. 3): dans cette hypothèse, et en admettant que la créance fût exigible le 30 juin 1985, l'assurée aurait acquis de son vivant le montant litigieux, qui eût alors été transmissible à ses héritiers. Mais, dans le cas particulier, l'intéressée n'a pas requis le versement en espèces de sa prestation de libre passage. Il n'apparaît pas non plus qu'elle remplissait objectivement les conditions légales d'un tel versement, par exemple parce qu'elle envisageait de quitter définitivement la Suisse ou de s'établir à son propre compte, ou encore de se marier et de cesser toute activité lucrative (art. 30 al. 2 let. a à c LPP et art. 331c al. 4 let. b ch. 1 à 3 CO). D'ailleurs, supposé que ces conditions aient été réalisées, il faudrait encore se demander si une requête explicite de l'assurée n'eût pas été malgré tout nécessaire pour fonder une éventuelle obligation de la CPEV vis-à-vis des recourants (pour une telle solution: Tribunal de district d'Uster, SZS 1984, p. 165 ss), question qui peut demeurer indécise en l'espèce.
c) Dans ces conditions, c'est le maintien de la prévoyance professionnelle qui devait en l'espèce prévaloir après la dissolution des rapports de travail, conformément aux
art. 27 al. 1 LPP
et 331c CO. Comme la LCP ne prévoit pas la possibilité d'une affiliation dite "externe" (cf. RIEMER, op.cit., p. 108-109) et que, par ailleurs, l'assurée n'avait pas repris un emploi après le 30 juin 1985 (vraisemblablement en raison de son état de santé déficient, qui a conduit à son décès), le montant de la prestation de libre passage
BGE 113 V 287 S. 291
ne pouvait ni être laissé auprès de la CPEV (
art. 29 al. 3 LPP
et 331c al. 3 CO) ni être transféré auprès d'une autre institution de prévoyance (
art. 29 al. 3 LPP
et 331c al. 1 CO).
En vertu de la délégation de compétence que lui confère l'
art. 29 al. 4 LPP
, le Conseil fédéral a adopté l'ordonnance sur le maintien de la prévoyance et le libre passage du 12 novembre 1986 (RS 831.425). Celle-ci stipule, à son art. 2, que la prévoyance est maintenue au moyen d'une police de libre passage ou d'un compte de libre passage, lorsque l'une ou l'autre des situations envisagées ci-dessus n'est pas réalisée (poursuite de l'assurance auprès d'une nouvelle institution ou auprès de l'institution jusqu'ici compétente). A son art. 6 al. 1, ladite ordonnance fixe le cercle des bénéficiaires en cas de décès du preneur de prévoyance selon l'ordre suivant: 1) les survivants au sens des art. 18 à 22 LPP; 2) les autres enfants, le veuf ainsi que les personnes à l'entretien desquelles le preneur de prévoyance subvenait de façon substantielle; 3) les autres héritiers. Cette ordonnance n'est toutefois entrée en vigueur que le 1er janvier 1987 et elle n'est donc pas applicable au cas d'espèce.
Auparavant, le Conseil fédéral avait édicté une ordonnance du 27 février 1985 (entrée en vigueur le 1er mars 1985; RS 831.424) sur "le maintien de la prévoyance dans le domaine de la LPP", qui déclarait applicables, à titre transitoire, "les dispositions en vigueur jusqu'à ce jour" (art. 1er). Il s'agit-là d'un renvoi aux règles du code des obligations, y compris en ce qui concerne le régime obligatoire (voir à ce sujet: RCC 1985 p. 207) et donc, en particulier, à l'
art. 331c CO
.
Il s'ensuit en l'occurrence que le maintien de la prévoyance aurait dû être garanti au moyen de la constitution d'une créance en prestations futures, soit envers une compagnie d'assurance, soit envers une banque ou une caisse d'épargne (
art. 331c al. 1 CO
). Partant, les droits que les survivants auraient pu exercer à l'encontre de l'assureur ou de la banque devaient, en vertu de l'
art. 331c al. 2 CO
, s'apprécier exclusivement selon le règlement de l'ancienne caisse, c'est-à-dire de la CPEV (cf. VISCHER, Traité de droit privé suisse, volume VII, tome I, 2, p. 135). Or, la LCP, en cas de décès du fonctionnaire ou de l'agent, prévoit le versement de prestations au conjoint et aux orphelins (art. 60 ss et 66 ss). Elle ne reconnaît aucun droit aux héritiers en tant que tels. A défaut d'ayants droit expressément désignés, les versements de l'assuré et ceux de l'Etat sont acquis à la caisse (art. 41).
BGE 113 V 287 S. 292
d) Ainsi donc, même si l'on admettait avec les recourants et l'OFAS que l'affiliation de l'assurée défunte a pris fin le 30 juin 1985, ces derniers ne disposaient de toute façon pas d'une créance à l'encontre de la caisse intimée.
Le recours de droit administratif se révèle dès lors mal fondé. | null | nan | fr | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8b2ae87-6d65-4d33-ab58-98824981ed1f | Urteilskopf
98 V 243
60. Extrait de l'arrêt dn 12 décembre 1972 dans la cause Leemann contre Caisse de compensation de la Fédération genevoise des sociétés de détaillants et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'assurance-vieillesse et survivants | Regeste
Für die Ermittlung des gemäss
Art. 8 AHVG
zu verabgabenden Einkommens sind die Angaben der Steuerbehörde unbrauchbar, wenn sie auch Lohn umfassen.
In diesem Fall hat die Ausgleichskasse das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit selbst einzuschätzen (
Art. 23 und 24 AHVV
). | Erwägungen
ab Seite 244
BGE 98 V 243 S. 244
Extrait des considérants:
3.
Pour fixer les cotisations personnelles, les caisses de compensation doivent se fonder en principe sur les revenus que leur communiquent les autorités fiscales. Ces données les lient (art. 23 al. 4 RAVS). Le juge peut toutefois, lui, s'écarter des taxations fiscales passées en force, mais seulement si ces dernières contiennent des erreurs manifestes et dûment prouvées qui peuvent être corrigées d'emblée, ou lorsqu'il s'agit d'apprécier des faits sans importance du point de vue fiscal mais décisifs en matière de droit des assurances sociales (v. p.ex. RO 98 V 18 consid. 3).
Aux termes de l'art. 24 al. 1er RAVS cependant, il incombe aux caisses de compensation d'estimer elles-mêmes le revenu net déterminant la cotisation annuelle si les autorités fiscales cantonales ne peuvent pas communiquer le revenu ou si la communication tarde au point de faire surgir le risque d'une perte de cotisations. Suivant les directives de l'Office fédéral des assurances sociales sur les cotisations des travailleurs indépendants et des non-actifs (valables dès le 1er janvier 1970), la caisse de compensation doit estimer elle-même le revenu et l'intérêt du capital engagé dans l'entreprise lorsque, entre autres, "la communication de l'autorité fiscale est inutilisable, du fait, par exemple, que le revenu communiqué comprend également un salaire ou s'il s'agit d'un revenu acquis en commun par deux époux" (chiffre 172b). La Cour de céans ne voit aucun motif de s'écarter de ces directives.
4.
En l'espèce, la communication fiscale est inutilisable, du fait que les chiffres qu'elle indique comprennent aussi la rémunération d'une activité salariée. De toute façon, si, sur le plan fiscal, Hans Leemann n'avait aucun motif impérieux d'attaquer la taxation d'office fixant globalement ses revenus de salarié et d'indépendant, il importe, du point de vue de l'AVS, de distinguer entre les activités dépendante et indépendante, en raison de la différence des régimes de perception des cotisations institués par la loi. Aussi le jugement cantonal et la décision administrative attaqués, qui omettent cette distinction, ne peuvent-ils être maintenus.
BGE 98 V 243 S. 245
Les pièces du dossier actuel ne permettent pas de fixer le montant du revenu de l'activité lucrative indépendante de l'assuré en 1969. C'est pourquoi la Cour, vu l'art. 114 al. 2, dernière phrase, OJ et la jurisprudence citée ci-dessus, renvoie l'affaire à la caisse de compensation, pour qu'elle procède à une estimation aussi correcte que possible du revenu de 1969 provenant de l'exploitation du commerce de l'assuré. | null | nan | fr | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8b4b37c-12a1-4b6a-86fa-37f56ef93905 | Urteilskopf
110 II 249
51. Estratto della sentenza 26 giugno 1984 della I Corte civile nella causa X. e Y. contro Banca Z. e Camera di cassazione civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino (ricorso di diritto pubblico) | Regeste
Erstreckung des Mietverhältnisses (
Art. 267a OR
).
1. Unzulässigkeit der Berufung gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, der aufgrund eines kassatorischen Rechtsmittels ergangen ist, das nicht aufschiebende Wirkung hat und der Behörde mit Bezug auf die Anwendung des Bundesrechts nur eine beschränkte Überprüfungsbefugnis einräumt (E. 1a).
2. Zulässigkeit einer staatsrechtlichen Beschwerde, mit der die Aufhebung des letztinstanzlichen und des unterinstanzlichen kantonalen Entscheids verlangt wird; angebliche Ausnahme von der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde (E. 1b u. 1c).
3. Gültigkeit einer "Aufschiebung" der Kündigung: Frage offengelassen, da die von den Parteien vereinbarte Aufschiebung im konkreten Fall der stillschweigenden Vereinbarung identischer neuer Verträge gleichgesetzt werden kann (E. 3).
4. Das Interesse des Eigentümers, die Mietsache vorteilhafter und für eine längere Zeit zu vermieten, überwiegt nicht das berechtigte Interesse des Mieters an einer Erstreckung des Mietverhältnisses (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 250
BGE 110 II 249 S. 250
A.-
Il 5 luglio 1983 X. e Y. hanno disdetto per il 31 dicembre 1985 sette contratti di locazione stipulati con la Banca Z. Il provvedimento riguardava l'intera superficie dal primo al quinto
BGE 110 II 249 S. 251
piano di uno stabile, con locali di deposito e posteggi (valore complessivo del canone annuo di locazione oltre Fr. 370 mila). Iniziate trattative per la conclusione di nuovi contratti, le parti hanno deciso il 19 luglio 1983 di "sospendere la disdetta", che sarebbe stata "riconfermata" in caso di fallimento dei colloqui. Con lettera del 15 settembre 1983 i proprietari hanno confermato la disdetta per il 31 dicembre 1985, al che la Banca Z. ha domandato al Pretore di Lugano-Distretto, il 29 settembre 1983, la protrazione dei contratti fino al 31 dicembre 1987 "con possibilità di chiedere una seconda proroga fino al 31 dicembre 1988". Statuendo il 2 dicembre 1983 in luogo e vece del Pretore, il Segretario assessore della giurisdizione di Lugano-Distretto ha accolto l'istanza e prorogato i contratti sino al 31 dicembre 1987. Il 27 febbraio 1984 la Camera di cassazione civile del Tribunale di appello del Cantone Ticino ha respinto un ricorso dei convenuti.
B.-
Insorti al Tribunale federale con un ricorso di diritto pubblico per violazione dell'
art. 4 Cost.
, X. e Y. postulano l'annullamento di entrambe le sentenze cantonali e il rigetto della citata protrazione; subordinatamente propongono di annullare la sentenza di secondo grado e di rinviare la causa al primo giudice perché respinga la petizione; in via di ulteriore subordine auspicano la mera cassazione delle due sentenze. La Banca Z. chiede di respingere il gravame. La Camera di cassazione civile del Tribunale di appello non ha formulato osservazioni.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
a) Il ricorso di diritto pubblico è ammissibile solo ove non siano dati altri rimedi giuridici ad autorità federali (
art. 84 cpv. 2 OG
). La proroga di un contratto di locazione (art. 267a segg. CO), costituendo una causa civile di carattere pecuniario (
art. 44 OG
), è suscettiva di ricorso per riforma, premesso che il valore litigioso raggiunga il limite dell'
art. 46 OG
(
DTF 98 II 201
consid. 1, 106 consid. 1a). La vertenza in questione supera ampiamente tale limite. Nondimeno, se il ricorso per riforma è esperibile anche contro decisioni di tribunali inferiori, esso non può concernere sentenze emanate da giurisdizioni cantonali uniche (
art. 48 cpv. 2 lett. a OG
). Un sindacato del Pretore in materia di protrazione non potrebbe quindi essere impugnato per riforma (
DTF 85 II 285
consid. 2; v. altresì
DTF 94 II 133
consid. 1,
DTF 96 II 269
,
DTF 109 II 48
consid. 2). Ciò non toglie che un successivo giudizio della Camera di cassazione civile
BGE 110 II 249 S. 252
del Tribunale di appello seguirebbe identica sorte, almeno nella misura in cui non fa che respingere il gravame, senza effetto sospensivo (
art. 330 cpv. 1 CPC
) e con esame circoscritto quanto all'applicazione del diritto federale (art. 327 lett. g CPC; ANASTASI, Il sistema dei mezzi d'impugnazione del codice di procedura civile ticinese, Zurigo 1981, pag. 188 segg.). Poco importa che il ricorso per cassazione sia l'unico rimedio offerto dall'ordinamento ticinese in tema di protrazione (
art. 267f CO
,
art. 411 cpv. 1 CPC
): un giudizio come quello accennato non potrebbe reputarsi "finale" nel senso dell'
art. 48 cpv. 1 OG
(
DTF 93 II 284
consid. 1,
DTF 85 II 285
consid. 1). Certo, in concreto la procedura cantonale sottrae alle parti un mezzo d'impugnazione ordinario del diritto federale: si tratta, senza dubbio, di una situazione insoddisfacente, che tuttavia può essere corretta soltanto con una modifica dell'organizzazione giudiziaria cantonale (
DTF 109 II 48
consid. 2,
DTF 85 II 286
). Se ne conclude che, nella specie, il ricorso di diritto pubblico è ricevibile giusta l'
art. 84 cpv. 1 lett. a OG
.
b) Insieme all'annullamento della sentenza di secondo grado, i ricorrenti domandano l'invalidazione del primo giudizio. La richiesta è ammissibile. Il ricorso di diritto pubblico può tendere anche all'annullamento della decisione emessa da un'autorità inferiore se l'ultima giurisdizione cantonale ha statuito con potere d'esame limitato (
DTF 109 Ia 250
, 225 consid. 2a,
DTF 107 Ia 207
consid. 1a con richiami). È il caso della Camera di cassazione civile del Tribunale di appello, il cui ambito cognitivo è ristretto all'
art. 327 CPC
, segnatamente a una nozione d'arbitrio che rispecchia la prassi sviluppata dal Tribunale federale in applicazione dell'
art. 4 Cost.
(Rep. 1983 pag. 10 consid. 1).
c) Circa la natura cassatoria del ricorso di diritto pubblico, i convenuti sostengono a torto il verificarsi di ipotesi eccezionali che legittimino disposizioni positive, volte a tutelare il diritto individuale minacciato (cfr.
DTF 107 Ia 257
consid. 1,
DTF 105 Ia 29
consid. 1). Se, in realtà, il Tribunale federale dovesse annullare le sentenze cantonali di primo e secondo grado, i ricorrenti non patirebbero alcun danno giuridico attendendo l'emanazione di una nuova sentenza: la maggior durata di una causa rappresenta tutt'al più un pregiudizio di fatto, non di diritto (
DTF 108 Ia 204
consid. 1,
DTF 106 Ia 233
consid. 3c). Pure inammissibile è il prospettato rinvio degli atti all'autorità cantonale con indicazioni vincolanti per il nuovo giudizio (
DTF 108 Ia 199
consid. 1).
BGE 110 II 249 S. 253
3.
Richiamandosi all'
art. 267a cpv. 3 CO
, i ricorrenti eccepiscono che l'istanza di protrazione è tardiva, essendo stata interposta dopo il termine di 30 giorni previsto dalla legge; quanto alla "sospensione" della disdetta, essa non dev'essere considerata, giacché il termine indicato è perentorio e non può essere interrotto. La corte cantonale non ha condiviso l'opinione del primo giudice, che aveva equiparato la sospensione della disdetta a un ritiro vero e proprio; ha sottolineato però che la sospensione di una disdetta non ha senso e che il problema va esaminato in base all'
art. 2 CC
: i convenuti non potevano indurre la controparte ad astenersi dal domandare la protrazione per poi invocare la disdetta originaria, sicché non era arbitrario parificare la "riconferma" del 15 settembre 1983 a una nuova disdetta.
È pacifico che una disdetta rappresenta un diritto potestativo volto alla risoluzione unilaterale di un negozio giuridico. Nella specie è superfluo esaminare se la revoca - o quanto meno la "sospensione" - di una disdetta possa inibire unicamente gli effetti della rescissione, lasciando sussistere il contratto primitivo (
DTF 63 II 368
; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, pag. 33 con riferimenti), oppure costituisca un paradosso giuridico, interpretabile tutt'al più come una semplice offerta intesa alla stipulazione di un negozio identico a quello disdetto (
DTF 68 II 248
; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, vol. I, pag. 147; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, pag. 109). Anche scartando la prima ipotesi, avversata dai ricorrenti, l'esito del giudizio non muterebbe. Nulla impedisce di ritenere che, sospendendo consensualmente la disdetta, le parti abbiano stipulato - se non altro per atti concludenti - accordi uguali ai primitivi: un contratto di locazione, invero, non soggiace a esigenze di forma (
art. 11 cpv. 1 CO
). Non è arbitrario reputare, pertanto, che i contratti litigiosi dovessero essere resiliati con un'ulteriore disdetta, ciò che è avvenuto il 15 settembre 1983, meno di trenta giorni prima dell'introduzione dell'istanza. Non è necessario vagliare, di conseguenza, se le contestazioni dei locatori siano conformi al principio della buona fede (
art. 2 CC
;
DTF 101 II 88
).
4.
Dal profilo sostanziale i ricorrenti si avvalgono dell'
art. 267a cpv. 1 CO
e rimproverano alla corte cantonale di aver ravvisato a torto gli estremi di una protrazione, l'istante non avendo intrapreso la benché minima ricerca di locali idonei a ospitare i propri uffici. Il primo giudice
BGE 110 II 249 S. 254
aveva osservato che tale condizione non doveva essere valutata con il rigore di una seconda proroga, che il tempo intercorso fra la disdetta del 5 luglio 1983 e l'inoltro dell'istanza era stato troppo breve per consentire alla banca un'adeguata sistemazione e che il trasferimento provvisorio di un intero centro elettronico (130 dipendenti) in attesa della nuova sede bancaria (pronta solo dopo la fine del 1985) appariva "irto di inconvenienti"; di converso, i locatori suffragavano il mantenimento della disdetta con giustificazioni meramente economiche, inidonee a prevalere sugli interessi dell'istante. La corte di cassazione, ponderando le contingenze evocate, non ha scorto arbitrio nell'apprezzamento del primo giudice, ritenuto altresì che l'istante aveva tentato senza esito di trovare una soluzione amichevole con i convenuti.
È vero che, sebbene il testo dell'
art. 267a cpv. 1 CO
non preveda obblighi espressi, il conduttore può instare per una protrazione solo ove abbia compiuto gli sforzi che ragionevolmente si possono pretendere da lui per ovviare agli svantaggi della disdetta (
DTF 105 II 197
,
DTF 102 II 256
). L'adempimento di tale presupposto dipende dalle particolarità del caso, segnatamente dalla natura di un'eventuale attività commerciale e dalle necessità logistiche dell'istante, dalle possibilità e dal tempo a disposizione di costui per reperire locali sostitutivi, nonché dalla probabilità di attenuare gli inconvenienti della disdetta con una proroga della locazione. In concreto non è arbitrario considerare che la situazione dell'istante differisca notevolmente da quella di un abituale inquilino costretto a cercare un nuovo alloggio per un periodo indeterminato: la banca, infatti, aveva progettato la costruzione di una nuova sede già prima di ricevere la disdetta; l'unico problema consisteva nel trovare una soluzione per ospitare nel frattempo il centro elettronico. Il primo giudice disponeva dunque di tutti gli elementi per stimare le difficoltà legate alla sistemazione transitoria di un complesso di uffici strutturati su cinque piani, dopo che le trattative intese alla pattuizione di un accordo provvisorio con i locatori si erano tradotte in un insuccesso.
Senza dubbio il primo giudice doveva tener calcolo, nella misura in cui apparivano dimostrati (
art. 8 CC
), anche degli interessi vantati dai locatori. Se non che, la disdetta è stata motivata con il solo beneficio di poter locare il fabbricato a miglior prezzo e per una durata superiore. Tale convenienza non è preponderante di fronte a un interesse legittimo del
BGE 110 II 249 S. 255
conduttore, il proprietario potendo chiedere in casi simili una modifica del contratto (
art. 267a cpv. 4 CO
; FÉDÉRATION ROMANDE DES LOCATAIRES, Guide du locataire, Losanna 1981, pag. 207; SCHWEIZERISCHER MIETERVERBAND, Mietrecht für die Praxis, Basilea 1983, pag. 180 n. 2.5.3.; MOSER, Die Erstreckung des Mietverhältnisses nach Art. 267a-267f des Obligationenrechts, tesi, Friburgo 1975, pag. 101; JEANPRÊTRE, La prolongation des baux à loyer, in: Mémoires publiés par la Faculté de droit, vol. 30, Ginevra 1970, pag. 101 segg., specialmente pag. 140 seg.). I convenuti obiettano che le ricordate proroghe rischiano di far perdere loro l'opportunità di locare l'immobile a condizioni favorevoli. Ma un'ipotesi del genere non si evince dai giudizi cantonali, né sembra essere stata provata. Quanto all'assunto, avanzato dai convenuti, per cui essi sarebbero economicamente più vulnerabili dell'istituto bancario, manca qualsiasi fatto nelle sentenze di primo e secondo grado che permetta di considerare tale evenienza ai fini della pronunzia.
La decisione pretorile, esaminato l'insieme delle circostanze, non può definirsi arbitraria, cioè manifestamente erronea, in urto flagrante con un principio giuridico generale o con il sentimento di giustizia ed equità (v.
DTF 109 Ia 109
consid. 2c, 22 consid. 2, 108 III 42, 108 Ia 120 consid. 2c). A sua volta la Corte di cassazione, respingendo il ricorso, non è caduta nell'arbitrio. | public_law | nan | it | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8bd4090-3999-42cb-bda1-6b47e20c25a7 | Urteilskopf
98 V 86
22. Auszug aus dem Urteil vom 2. Mai 1972 i.S. Wiget gegen Eidgenössische Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 24 und 26 Abs. 1 MVG
: Berechnung der Rente.
Anrechenbar ist der Jahresverdienst, den der Versicherte zur Zeit des Rentenbeginns ohne Invalidität mutmasslich hätte erzielen können (Änderung der Rechtsprechung).
Art. 37 Abs. 3 MVG
.
Revision des Rentenauskaufs. | Erwägungen
ab Seite 87
BGE 98 V 86 S. 87
Aus den Erwägungen:
4.
In zeitlicher Hinsicht stellt sich die Rechtsfrage, ob bei der ersten Festsetzung oder revisionsweisen Neufestsetzung einer Invalidenrente auf den Jahresverdienst zur Zeit des Rentenbeginns oder zur Zeit der Rentenfestsetzung abzustellen sei.
Wie in EVGE 1963 S. 248 f. und 1969 S. 201 lit. a entschieden wurde, ist bei Arbeitnehmern der zur Zeit der Rentenfestsetzung übliche Lohnansatz massgebend. An dieser Rechtsprechung kann jedoch nicht festgehalten werden. Wie der vorliegende Fall zeigt, befriedigt ein Abstellen auf die Zeit der Rentenfestsetzung nicht, wenn der Rentenbeginn erst nach Jahren rückwirkend festgesetzt und daher der Jahresverdienst für jedes der zurückliegenden Jahre gesondert bestimmt wird, wie es die Vorinstanz getan hat. Kann nämlich der Rentenbeginn wegen langwieriger tatbeständlicher Erhebungen erst nach Jahren festgesetzt werden (Art. 24 Abs. 1 bzw.
Art. 26 Abs. 1 MVG
), so profitiert der Versicherte für die ganze folgende Rentendauer vom entsprechend höher ausfallenden späteren Jahresverdienst (
Art. 24 Abs. 5 MVG
). Eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten ist nur gewährleistet, wenn man mit dem Jahresverdienst rechnet, welchen der Rentenberechtigte zur Zeit des Rentenbeginns ohne Invalidität mutmasslich erzielt hätte. Im übrigen muss sich die Militärversicherung ab Rentenbeginn selbstverständlich an die Rentenanpassungen halten, die auf Grund des
Art. 25bis MVG
angeordnet worden sind.
Demnach ist im vorliegenden Fall der Jahreslohn von Fr. 17 320.-- massgebend, den der Beschwerdeführer ohne seine Invalidität bei Beginn der neuen Rente im Juni 1966 mutmasslich erzielt hätte. Bei diesem Jahreswert hat es kraft des
Art. 24 Abs. 5 MVG
bis zum Zeitpunkt einer allfälligen weiteren Rentenrevision sein Bewenden. Vorbehalten bleiben die auf Grund des
Art. 25bis MVG
beschlossenen Rentenanpassungen.
5.
...
BGE 98 V 86 S. 88
6.
Das Gesuch um Rückgängigmachung des teilweisen Rentenauskaufs von 1957 hat die Vorinstanz mit Recht abgelehnt.
Die Möglichkeit des Wiedereinkaufs in eine Invalidenrente, die ausgekauft wurde, ist in
Art. 37 MVG
nicht vorgesehen und lässt sich auch nicht durch Interpretation daraus ableiten. Doch muss nach Art. 37 Abs. 3 des Gesetzes aufGesuch hin entweder die Auskaufssumme angemessen erhöht oder aber eine zusätzliche Rente gewährt werden, sobald der Invaliditätsgrad erheblich zugenommen hat.
Weil im vorliegenden Fall die seit Juli 1957 geschuldet gewesene Rente zur Hälfte ausgekauft war, kann wegen der seit Juni 1966 erheblich grössern Invalidität bloss eine halbe neue Rente festgesetzt werden. Hinsichtlich der ausgekauften andern Hälfte hat Kurt Wiget -entgegen der Ansicht der Vorinstanz - Anspruch auf Erhöhung der Auskaufssumme oder der neuen halben Rente, wie sich aus dem klaren Wortlaut des
Art. 37 Abs. 3 MVG
ergibt. Ein so zu verstehendes Revisionsgesuch hat der Kläger am 29. Juni 1971 im kantonalen Verfahren gestellt. Es ist Sache der Militärversicherung, darüber durch eine Verfügung laut
Art. 12 MVG
zu entscheiden. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8bfd0cd-b6c4-4a48-a8a7-13fbc9399a32 | Urteilskopf
105 Ib 1
1. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 6. April 1979 i.S. Eidg. Steuerverwaltung gegen X. und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Wehrsteuer; Art. 21 Abs. 1 und 4 WStB.
Die Entschädigung für die Tätigkeit als Zivilschutz-Ortschef ist nicht Ersatz der mit einer Dienstleistung verbundenen Sonderaufwendungen (in analoger Anwendung von Art. 21 Abs. 4 WStB), sondern Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung und unterliegt daher der Wehrsteuerpflicht. | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 105 Ib 1 S. 1
X. ist Bankangestellter und daneben als Zivilschutz-Ortschef in einer luzernischen Gemeinde tätig. Für diese Tätigkeit wurde ihm für das Jahr 1976 eine Entschädigung ausbezahlt. Die Veranlagungsbehörde hat diese Entschädigung als steuerbares Einkommen aufgerechnet, und hielt daran auch im Einspracheverfahren fest. Das luzernische Verwaltungsgericht hat auf Beschwerde von X. hin den Einspracheentscheid aufgehoben und das der Wehrsteuer unterliegende Einkommen neu festgesetzt, da es die in Frage stehende Entschädigung nicht als steuerbares Einkommen betrachtete. Die Eidg. Steuerverwaltung erhebt gegen diesen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Schweiz. Bundesgericht. Es wird beantragt, das steuerbare Einkommen
BGE 105 Ib 1 S. 2
neu festzusetzen, unter Einbezug der Einkünfte aus der Tätigkeit als Zivilschutz-Ortschef. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Nach Art. 21 Abs. 1 WStB ist das "gesamte Einkommen des Steuerpflichtigen aus Erwerbstätigkeit, Vermögensertrag oder andern Einnahmequellen" wehrsteuerpflichtig. Im Wehrsteuerbeschluss fehlt eine eigentliche Definition des steuerrechtlichen Einkommensbegriffs, und die in Absatz 1 lit. a-f aufgeführte Enumeration ist nicht abschliessend, sondern nur beispielhaft (ASA 43, Nr. 41, S. 581 f., 583 E. 3; HÖHN, Steuerrecht, S. 82). Von der Systematik des Wehrsteuerbeschlusses her betrachtet unterliegt der Wehrsteuer als Gesamteinkommenssteuer jedwelches Einkommen, das nicht ausdrücklich vom Beschluss als nichtsteuerbarer Bestandteil des Einkommens von der Steuer ausgenommen ist (vgl. Art. 21 Abs. 3 und 4 WStB).
2.
Nach Art. 21 Abs. 4 WStB gilt vom Militärsold nur der Teil als steuerbar, der die mit der Dienstleistung verbundenen, nach den Weisungen des Eidg. Finanz- und Zolldepartements zu bemessenden Sonderaufwendungen übersteigt. Hierzu wird in Art. 1 der Verfügung des Eidg. Finanz- und Zolldepartements über die Behandlung des Militärsoldes bei der Wehrsteuer vom 16. Oktober 1958 (SR 642.111) präzisierend ausgeführt, die mit der Leistung von Militärdienst verbundenen Sonderaufwendungen gemäss Art. 21 Abs. 4 WStB seien gleich hoch wie der Militärsold zu bemessen. Dies bedeutet, dass der Militärsold in voller Höhe nicht als wehrsteuerpflichtiges Einkommen gilt.
3.
Art. 34 ff. des Zivilschutzgesetzes (ZSG) umschreiben die Zivilschutzdienstpflicht. Nach
Art. 46 Abs. 1 ZSG
hat Anspruch auf eine Vergütung, wer in Kursen, in Übungen und an Rapporten oder in Zeiten aktiven Dienstes Schutzdienst oder Nothilfe leistet, sofern er mindestens während drei aufeinanderfolgenden Stunden beansprucht wird. Daneben können dem in einer Schutzorganisation Eingeteilten grundsätzlich auch ausserdienstliche Aufgaben erwachsen (Art. 67 Abs. 1 Verordnung über den Zivilschutz ZSV). Dabei wird in Abs. 2 der zitierten Bestimmung insbesondere angeführt, Vorgesetzte und
BGE 105 Ib 1 S. 3
Spezialisten hätten die für die Durchführung von Kursen, Übungen und Rapporten notwendigen Vorarbeiten zu treffen.
Im Bundesratsbeschluss über die Funktionsstufen und Vergütungen im Zivilschutz vom 17. November 1971 (SR 521.2) wird in Anwendung von
Art. 46 Abs. 2 ZSG
die Höhe der Vergütung für die dienstliche Tätigkeit der Angehörigen der einzelnen Funktionsstufen festgesetzt.
Art. 46 Abs. 2 ZSG
nennt dabei als Richtlinie, die Vergütung habe sich "im Rahmen der Soldansätze in der Armee" zu bewegen.
4.
An sich ist die Vergütung für die Leistung von Zivilschutzdienst im Wehrsteuerbeschluss nicht ausdrücklich von der Wehrsteuerpflicht ausgenommen. Das Bundesamt für Zivilschutz hat jedoch mit Kreisschreiben Nr. 207 vom 11. Mai 1971 die Vergütung gemäss
Art. 46 ZSG
dem Militärsold (Art. 21 Abs. 4 WStB) wehrsteuerrechtlich gleichgestellt, was bedeutet, dass auf ihr keine Wehrsteuer erhoben wird. Dagegen unterliegen die sogenannten Taggelder diesem Kreisschreiben gemäss der Wehrsteuerpflicht. Die wehrsteuerrechtliche Gleichbehandlung von Militärsold und Vergütung für die Leistung von Zivilschutzdienst im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 ZSG
entspricht der gesetzgeberischen Richtlinie für die Bemessung dieser Leistungen, wonach sich die Vergütung im Rahmen der Soldansätze in der Armee zu bewegen habe (
Art. 46 Abs. 2 ZSG
).
5.
Im vorliegenden Fall ist nach dem Gesagten für die steuerrechtliche Behandlung der Einkünfte des Beschwerdegegners als Zivilschutz-Ortschef massgebend, ob es sich dabei um eine dienstliche Tätigkeit im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 ZSG
, oder aber eine ausserdienstliche im Sinne von
Art. 67 Abs. 1 ZSV
handelt. Handelt es sich um Einkünfte aus der Leistung von Zivilschutzdienst im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 ZSG
, so unterstehen diese von vornherein nicht der Wehrsteuerpflicht. Handelt es sich dagegen um Einkünfte in Erfüllung ausserdienstlicher Aufgaben (
Art. 67 Abs. 1 ZSV
), so ist zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen der Unterstellung unter die Umschreibung des Einkommens gemäss Art. 21 WStB gegeben sind.
a) Aus den Akten geht klar hervor, dass es sich bei der fraglichen Tätigkeit des Beschwerdegegners um eine ausserdienstliche Tätigkeit im Sinne von
Art. 67 Abs. 1 ZSV
handelt. Es handelt sich offensichtlich nicht um Tätigkeiten, wie sie in
BGE 105 Ib 1 S. 4
Art. 46 Abs. 1 ZSG
umschrieben sind (Leistung von Schutzdienst oder Nothilfe in Kursen, Übungen und an Rapporten oder in Zeiten aktiven Dienstes). Alles, was diesen in der zitierten Bestimmung umschriebenen Dienstleistungsformen nicht entspricht, muss als ausserdienstliche Tätigkeit betrachtet werden.
Auch der Beschwerdegegner selbst stellt diese Qualifikation als ausserdienstliche Tätigkeit nicht ausdrücklich in Abrede, auch wenn er feststellt, auch diese Dienstleistungen würden im Rahmen des gesamten Zivilschutzes erbracht, was unbestritten ist. Auch aus der Beweisauskunft des ehemaligen Präsidenten des luzernischen Gemeindeammänner-Verbandes, der Empfehlungen für die Entschädigung der Ortschefs und Zivilschutzstellenleiter ausgearbeitet hat, ergibt sich ohne weiteres, dass die Erfüllung der Aufgaben des Zivilschutz-Ortschefs als ausserdienstliche Tätigkeit betrachtet wird. Wäre die Tätigkeit des Beschwerdegegners eine dienstliche im Sinne von
Art. 46 Abs. 1 ZSG
, so würde sich die Vergütung unmittelbar auf der Grundlage des Bundesratsbeschlusses über die Funktionsstufen und Vergütungen im Zivilschutz vom 17. November 1971 bestimmen, und es wäre nicht notwendig gewesen, für die Entschädigung Empfehlungen an die Gemeinden zu erlassen. Somit fällt die wehrsteuerrechtliche Gleichstellung der fraglichen Entschädigung mit dem Militärsold aufgrund des Kreisschreibens des Bundesamtes für Zivilschutz vom 11. Mai 1971 von vornherein ausser Betracht.
b) Die fragliche Entschädigung des Beschwerdegegners ist auch im Lichte der allgemeinen Umschreibung des Einkommens gemäss Art. 21 WStB als steuerpflichtig zu betrachten. Gemäss Beweisauskunft des ehemaligen Präsidenten des Gemeindeammänner-Verbandes basiert die Bemessung der Entschädigung auf dem geschätzten Zeitaufwand (in Funktion der Einwohnerzahl), der Verantwortung und dem Entschädigungsansatz für Dienstleistungen des Ortschefs. Zeitaufwand und Verantwortung müssen nun aber als allgemeine Faktoren der Einkommensbemessung betrachtet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Entschädigung als Pauschale in Abhängigkeit zur Einwohnerzahl der betreffenden Gemeinde festgelegt wird.
Der Wehrsteuerbeschluss nimmt, wie schon ausgeführt, die Vergütung oder Entschädigung für die Leistung dienstlicher und ausserdienstlicher Aufgaben im Rahmen des Zivilschutzes
BGE 105 Ib 1 S. 5
nicht ausdrücklich von der Wehrsteuerpflicht aus. Erst das erwähnte Kreisschreiben des Bundesamtes für Zivilschutz hat die Gleichstellung insoweit herbeigeführt, als es sich um eine dienstliche Tätigkeit gemäss
Art. 46 ZSG
handelt. Geht man somit davon aus, Art. 21 Abs. 4 WStB sei für den Bereich des Zivilschutzes grundsätzlich analog anzuwenden, so muss sich die Auslegung vom gesetzgeberischen Sinn der in Art. 21 Abs. 4 WStB für den Militärsold niedergelegten Ausnahmeregelung leiten lassen. Gesetzgeberisches Motiv für die Nichtunterstellung des Militärsoldes unter die Wehrsteuerpflicht ist die Annahme, dieser übersteige in der Regel die mit der Dienstleistung verbundenen "Sonderaufwendungen" nicht (vgl. Art. 1 der Verfügung des Eidg. Finanz- und Zolldepartementes über die Behandlung des Militärsoldes bei der Wehrsteuer). Unter diesen "Sonderaufwendungen" sind die mit der Einkommenserzielung unmittelbar verbundenen Gewinnungskosten zu verstehen (vgl. HÖHN, a.a.O., S. 88 f.; S. 100 ff.). Die dem Beschwerdegegner ausgerichtete Pauschale für seine Tätigkeit als Zivilschutz-Ortschef mag gering bemessen sein, es wird aber weder vom Verwaltungsgericht noch vom Beschwerdegegner selber behauptet, sie übersteige die mit der Einkommenserzielung verbundenen Gewinnungskosten nicht, was für den Militärsold und die Vergütung für Zivilschutzdienst regelmässig zutrifft. Dies geht auch daraus hervor, dass die Empfehlungen des luzernischen Gemeindeammänner-Verbandes für die Entschädigung der Ortschefs und Zivilschutzstellenleiter in den gemeinsamen Bestimmungen ausdrücklich Porti, Telefon, Büromaterial und Lokalmiete als durch die ausgerichtete Entschädigung nicht abgegolten betrachten. Daraus kann geschlossen werden, dass die mit der Einkommenserzielung verbundenen Aufwendungen dem Beschwerdegegner separat entschädigt worden sind. Somit handelt es sich bei den fraglichen Einkünften um Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung und nicht um Ersatz der mit der Dienstleistung verbundenen Sonderaufwendungen im Sinne von Art. 21 Abs. 4 WStB. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in analogen Fällen schon früher entschieden (vgl. ASA 14, Nr. 44, S. 191 ff.).
Somit sind die fraglichen Einkünfte unter Berücksichtigung eines pauschalierten Gewinnungskostenabzugs im Sinne des Antrages der Eidg. Steuerverwaltung als wehrsteuerpflichtig zu betrachten. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c8c0e536-3529-4cee-b547-9c105d03a703 | Urteilskopf
135 V 306
38. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Bundesamt für Sozialversicherungen gegen F. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_763/2008 vom 19. Juni 2009 | Regeste
Art. 17 Abs. 1 ATSG
;
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
; Rentenrevision; Zeitpunkt, ab welchem die Herabsetzung oder Aufhebung der Rente wirksam wird.
Die in
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
verankerte Frist für den Beginn der Wirksamkeit der Revision kann nicht verlängert werden (E. 7.2). | Sachverhalt
ab Seite 306
BGE 135 V 306 S. 306
A.
Mit Verfügungen vom 23. Februar 1999 verneinte die IV-Stelle des Kantons Thurgau (nachfolgend: IV-Stelle) den Anspruch des 1970 geborenen F. auf berufliche Massnahmen und Invalidenrente, was mit Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 18. August 1999 bestätigt wurde. Nach einer Neuanmeldung des Versicherten sprach ihm die IV-Stelle mit Verfügung vom 12. Juli 2004 mit Wirkung ab 1. März 2002 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad 100 %) zu. Im Juli 2005 leitete sie ein Revisionsverfahren ein. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2006 gewährte sie dem Versicherten ab 1. Dezember 2006 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad 100 %). In der Folge holte sie ein polydisziplinäres Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 11. April 2007 mit Ergänzung vom 8. August 2007 ein. Mit Verfügung vom 15. Oktober 2007 eröffnete die IV-Stelle dem Versicherten, die Invalidenrente werde nach Zustellung der Verfügung auf Ende des folgenden Monats aufgehoben. Gleichentags teilte sie ihm mit, sie gewähre ihm Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche.
B.
In teilweiser Gutheissung der gegen die Rentenaufhebungsverfügung eingereichten Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
BGE 135 V 306 S. 307
Kantons Thurgau die IV-Stelle an, dem Versicherten bis Ende Februar 2008 eine Invalidenrente auszurichten. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. Es sah von einer Zusprechung einer Parteientschädigung an den Versicherten zu Lasten der IV-Stelle ab (Entscheid vom 13. August 2008).
C.
Mit Beschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) die Aufhebung des kantonalen Entscheides; der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Der Versicherte schliesst auf Abweisung der Beschwerde und verlangt Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Die IV-Stelle und das kantonale Gericht verzichten auf eine Vernehmlassung. (...)
D.
Die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat bezüglich der Rechtsfrage, ob die Monatsfrist von
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
(SR 831.201) in begründeten Fällen verlängert werden kann, die Stellungnahme der II. sozialrechtlichen Abteilung eingeholt (
Art. 23 Abs. 2 BGG
).
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
7.
7.1
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
(in der seit 1. Januar 1983 unverändert geltenden Fassung) statuiert, dass die Herabsetzung oder Aufhebung der Renten und Hilflosenentschädigungen "frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an" erfolgt. Damit wird bestimmt, dass eine Aufhebung oder Herabsetzung der Renten nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft erfolgen darf (vgl. nicht publizierte E. 5). Der Wortlaut "frühestens" verbietet es - isoliert betrachtet - an sich nicht, den Änderungszeitpunkt auf einen späteren Zeitpunkt als den ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats hinauszuschieben.
7.2
Indessen wurde in den Erläuterungen zu
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
, die vom BSV angerufen werden (vgl. nicht publizierte E. 3.2), Folgendes ausgeführt: Ist der Bezüger einer Invalidenrente nicht mehr im erforderlichen Ausmass invalid, so wird ihm mit einer Verfügung mitgeteilt, die Rente werde herabgesetzt oder aufgehoben. Nach der geltenden Regelung erfolgt die Korrektur vom
BGE 135 V 306 S. 308
nächstfolgenden Monat an. Dies kann den Versicherten in eine schwierige finanzielle Lage bringen. Deshalb wird ihm künftig die Rente noch für einen weiteren Monat ausgerichtet (ZAK 1982 S. 336). Im vom BSV ebenfalls ins Feld geführten Entscheid des Eidg. Versicherungsgerichts (seit 1. Januar 2007 Bundesgericht) vom 2. Juli 1985 wurde Folgendes erwogen: Nach
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
sind Renten oder Hilflosenentschädigungen frühestens vom ersten Tag des zweiten der Zustellung der Verfügung folgenden Monats an herabzusetzen oder aufzuheben. Diese ab 1. Januar 1983 geltende Bestimmung stellt abweichend von der früheren Regelung sicher, dass Leistungen erst nach einem zusätzlichen Monat herabgesetzt oder aufgehoben werden. Damit soll dem Versicherten Gelegenheit gegeben werden, die sich aufdrängenden Vorkehren zu treffen (
BGE 111 V 219
E. 3 S. 225, übersetzt in: ZAK 1986 S. 342). Entstehungsgeschichtlich und im Lichte dieser Rechtsprechung ist mithin davon auszugehen, dass mit der Revision von
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
die Herabsetzung oder Aufhebung der Rente um eine nicht verlängerbare Frist von einem Monat hinausgeschoben wurde.
Für dieses Ergebnis spricht auch die systematische und teleologische Auslegung.
Art. 88a IVV
geht
Art. 88
bis
IVV
im rechtslogischen Ablauf der Verordnungsanwendung vor (
BGE 105 V 262
; ULRICH MEYER-BLASER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 1997, S. 263).
Art. 88a IVV
fixiert die Bedingungen, unter denen eine Rente modifiziert werden kann.
Art. 88
bis
IVV
bestimmt lediglich die zeitliche Wirkung des geänderten Rentenanspruchs im Revisionsverfahren (JEAN-LOUIS DUC, L'assurance-invalidité, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2007, S. 1497 Rz. 267). Der Begriff "frühestens" in
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
soll lediglich im systematischen Zusammenhang mit
Art. 88a Abs. 1 IVV
vermeiden, dass der bereits früher entstandene geänderte Rentenanspruch rückwirkend wirksam wird (siehe nicht publizierte E. 5). Die in
Art. 88
bis
Abs. 2 lit. a IVV
verankerte Frist für den Beginn der Wirksamkeit der Revision kann demnach nicht verlängert werden, weshalb die von der Vorinstanz in diesem Rahmen gewährte längere Anpassungsfrist (vgl. nicht publizierte E. 3.1 und 6) nicht berücksichtigt werden kann. Der vorinstanzliche Entscheid ist demnach in diesem Punkt aufzuheben. | null | nan | de | 2,009 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8c1ad52-9ab9-4d50-a3a0-3ff50007ea2a | Urteilskopf
110 Ib 280
49. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 31. Oktober 1984 i.S. Mac Charra gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde/erstinstanzlicher Entscheid) | Regeste
Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (EAÜ).
1. Begriff des Ausnahmegerichtes im Sinne des schweizerischen Vorbehaltes zu
Art. 1 EAÜ
. Der irische "Special Criminal Court" stellt kein solches Ausnahmegericht dar (E. 5).
2. Einwand des politischen Delikts. Einwand für ein Sprengstoff-Delikt abgewiesen, weil sich das Vergehen nicht gegen den ersuchenden, sondern gegen einen Drittstaat richtete und die eingesetzten Mittel nicht in angemessenem Verhältnis zum verfolgten politischen Ziel standen (E. 6). | Sachverhalt
ab Seite 280
BGE 110 Ib 280 S. 280
Die Botschaft der Irischen Republik stellte beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten ein Gesuch um Auslieferung des irischen Staatsangehörigen Seamus Mac
BGE 110 Ib 280 S. 281
Charra wegen Verstössen gegen das Sprengstoffgesetz. Mac Charra widersetzte sich der Auslieferung und machte unter anderem geltend, die ihm zur Last gelegten Vergehen seien politische Delikte und er werde in Irland vor ein Ausnahmegericht gestellt werden. Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) bewilligte die Auslieferung unter dem Vorbehalt des Entscheides des Bundesgerichts zur Frage des politischen Deliktes. Mac Charra hat hiegegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, welche das Bundesgericht zusammen mit dem Einwand des politischen Deliktes abweist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
5.
Der Verfolgte behauptet, er würde nach der Auslieferung in Irland vor ein Ausnahmegericht gestellt; die Auslieferung sei demgemäss nicht zu bewilligen. Nach dem Vorbehalt der Schweiz zu Art. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EAÜ) wird die Auslieferung verweigert, wenn der ersuchende Staat nicht die Zusicherung abgibt, dass die Beurteilung durch ein Gericht erfolge, das nach den Vorschriften der Gerichtsorganisation allgemein für die Rechtsprechung in Strafsachen zuständig sei. Der Begriff des Ausnahmegerichtes wird in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eher eng ausgelegt. Als Ausnahmegerichte gelten Gerichte, die ausserhalb der verfassungsmässigen Gerichtsorganisation stehen und nur für einen oder mehrere konkrete Fälle gebildet werden. In einem die Republik Zaire betreffenden Urteil hat das Bundesgericht ausgeführt, ein Spezialgericht, das nach Verfassung oder Gesetz allgemein in bestimmten Fällen über bestimmte Anschuldigungen zu entscheiden habe, sei kein Ausnahmegericht. Das Verbot der Auslieferung bei drohender Beurteilung durch Ausnahmegerichte beziehe sich vielmehr im wesentlichen auf Gerichte, die erst nach Begehung der Tat eingesetzt würden und die über Strafkompetenzen verfügten, die jene der ordentlichen Gerichte des ersuchenden Staates überstiegen (
BGE 99 Ia 552
E. 1b). Aufgrund dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht in neuester Zeit die argentinischen Gerichte zur Zeit der Militärdiktatur sowie die türkischen Militärgerichte nicht als Ausnahmegerichte betrachtet (
BGE 108 Ib 409
E. 7a;
BGE 109 Ib 68
E. 4).
Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) hat in seinem Entscheid vom 18. Juli 1984 ausgeführt, der "Special Criminal Court" in Dublin, der die Anklage gegen Seamus Mac Charra zu beurteilen haben werde, könne wohl hinsichtlich seiner staatsrechtlichen Stellung
BGE 110 Ib 280 S. 282
den türkischen Militärgerichten etwa gleichgestellt werden. Der Verfolgte bemängelt diesen Satz als blosse Vermutung. Es ist einzuräumen, dass die Begründung des angefochtenen Entscheides in diesem Punkt etwas knapp ausgefallen ist. Indessen hat die Irische Botschaft sowohl dem Vertreter des Verfolgten als auch dem BAP nachträglich einen ausführlichen Bericht über die Natur des "Special Criminal Court" zugestellt; in den beiden letzten Eingaben des Verfolgten wird dazu Stellung genommen. Ein allfälliger Mangel des erstinstanzlichen Entscheides müsste daher heute als geheilt gelten.
Nach dem Bericht der Irischen Botschaft vom 25. Juli 1984, auf den sich sowohl das BAP als auch der Verfolgte berufen und dessen Inhalt daher als unbestritten gelten kann, handelt es sich beim "Special Criminal Court" um ein durch Gesetz von 1972 eingesetztes, ständiges Gericht, das aus drei Berufsrichtern zusammengesetzt ist und ohne die Mitwirkung von Geschworenen urteilt. Dem Gericht steht die Beurteilung einer Reihe bestimmter, in einer speziellen Liste aufgezählter Tatbestände zu; es handelt sich dabei um Verbrechen und Vergehen gegen den Staat oder die öffentliche Sicherheit, die nach Auffassung des irischen Gesetzgebers durch die ordentlichen Gerichte nicht zweckmässig beurteilt werden können. Im weiteren können dem "Special Criminal Court" auch andere Straftaten zur Beurteilung zugewiesen werden, wenn die ordentlichen Gerichte im Hinblick auf eine wirksame Rechtspflege und auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dafür als nicht geeignet erscheinen. Für Personen, die vor den "Special Criminal Court" gestellt werden, gelten die nämlichen Gesetze, die auch auf andere Angeschuldigte Anwendung finden, und die Urteile dieses Gerichtes können ebenso wie jene der ordentlichen Gerichte an das Strafappellationsgericht ("Court of Criminal Appeal") weitergezogen werden. Der Vollzug von Strafen, welche der "Special Criminal Court" ausgefällt hat, erfolgt häufig in Gefängnissen mit einem besonders hohen Sicherheitsgrad; doch können die Verurteilten auch in gewöhnliche Vollzugsanstalten oder in offene Institutionen eingewiesen werden.
Aufgrund dieser tatsächlichen Feststellungen fällt der irische "Special Criminal Court" nicht unter den Begriff des Ausnahmegerichtes im Sinne der schweizerischen Rechtsprechung. Weder handelt es sich um ein erst nachträglich zur Beurteilung bereits begangener Straftaten eingesetztes Gericht, noch verfügt es über Kompetenzen, welche diejenigen eines ordentlichen Gerichtes
BGE 110 Ib 280 S. 283
überstiegen. Der Hinweis des Verfolgten auf eine Äusserung von "Amnesty international", wonach der Prozentsatz der Schuldsprüche beim "Special Criminal Court" höher liege als bei anderen Gerichten, ändert hieran nichts. Die Ursache dieser Erscheinung kann durchaus in der Art der zur Beurteilung gelangenden Fälle liegen. Ebensowenig kann dem Verfolgten beigepflichtet werden, wenn er vorbringt, schon der Umstand, dass der "Special Criminal Court" ohne Geschworene tage, schliesse jede Kontrolle über die Rechtmässigkeit des Verfahrens aus. In den meisten schweizerischen Kantonen bestehen keine Geschworenengerichte mehr oder ist ihre Zuständigkeit auf einen engen Bereich beschränkt, ohne dass sich sagen liesse, die schweizerische Strafjustiz entziehe sich deshalb der öffentlichen Kontrolle oder genüge gar rechtsstaatlichen Anforderungen nicht. Auch die Tatsache, dass ein besonderes Gericht zur Hauptsache Straftaten mit politischem Einschlag zu beurteilen hat, hat für die Schweiz nichts Stossendes; es genügt, hiezu auf die
Art. 340-342 StGB
in Verbindung mit dem Bundesgesetz über den Bundesstrafprozess zu verweisen. Der irische "Special Criminal Court" kann somit - selbst wenn man einen etwas strengeren Massstab anlegen wollte als in
BGE 109 Ib 66
ff. - nicht als Ausnahmegericht bezeichnet werden.
6.
a) Der Verfolgte macht weiter geltend, bei der ihm zur Last gelegten Straftat handle es sich um ein politisches Delikt, weshalb nach
Art. 3 EAÜ
die Auslieferung nicht erfolgen dürfe. Der Ausschluss der Auslieferung wegen politischer Delikte ist auch im internen schweizerischen Recht vorgesehen (Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen); er bildet seit jeher einen wesentlichen Grundsatz des Auslieferungsrechts (vgl. dazu SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, S. 407 ff.). Der Entscheid über diesen Einwand steht, wie eingangs dargelegt, dem Bundesgericht als einziger Instanz zu.
b) Während der Verfolgte in seiner Einsprache an das BAP lediglich in allgemeiner Form geltend machte, er sei "aktiver Sympathisant der nordirischen Katholiken", lässt er seinen erwähnten Standpunkt vor Bundesgericht einlässlicher begründen. Er macht zunächst geltend, Sprengstoffdelikte seien praktisch immer politisch motiviert; sie seien daher zwar nicht den absolut, wohl aber den relativ politischen Delikten zuzurechnen. Dies gelte insbesondere auch für das irische Recht, dessen Gesetzgebung im Bereich der Sprengstoffe im Jahre 1972 gerade im Zusammenhang mit der politischen Lage des Landes bzw. mit dem Wiederaufflammen der
BGE 110 Ib 280 S. 284
bürgerkriegsähnlichen Wirren im benachbarten Nordirland verschärft worden sei.
Zu seiner persönlichen Lage lässt der Verfolgte vorbringen, es gehe ihm weniger um seine Sympathien für den Katholizismus als um die Befreiung Nordirlands von Grossbritannien, das er als "Besetzer" bezeichnet. Davon abgesehen habe er sich immer für Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit nach sozialistischem Vorbild eingesetzt. Von 1937 bis 1955 sei er Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen, und er habe im Zweiten Weltkrieg im antifaschistischen Widerstand gekämpft. Anfangs der Siebzigerjahre habe er sich der Sinn-Fein-Partei angeschlossen, welche die Unabhängigkeit Nordirlands von Grossbritannien und dessen Vereinigung mit der Irischen Republik unter einem sozialistischen Gesellschaftssystem anstrebe. Mit der legalen Sinn-Fein verbunden sei die illegale irisch-republikanische Armee (IRA), welche die nämlichen Ziele mit Waffengewalt erreichen wolle. Er, der Verfolgte, sei sogar Mitglied des Zentralkomitees der Sinn-Fein gewesen. Wegen ideologischer Meinungsverschiedenheiten sei er jedoch 1973 aus dieser Partei ausgetreten und habe zusammen mit anderen Personen eine neue Partei gegründet, die IRSP (Irisch-republikanisch-sozialistische Partei). Auch diese Partei besitze einen illegalen bewaffneten Flügel, nämlich die INLA (Irish national liberation army). Dieser kämpfe für dieselbe Sache wie die IRA. Mit dem Austritt aus der Sinn-Fein und der Gründung einer neuen Partei habe sich der Verfolgte viele politische Feindschaften zugezogen.
Die Tatsache, dass die beiden Parteien, denen der Verfolgte angehört hat bzw. angehört, je eine eigene Armee besässen, zeige auf, dass es ihnen wirklich darum gehe, die Macht im Staat zu erkämpfen. Zu den dabei eingesetzten Waffen gehörten häufig auch Sprengstoffe. Wenn er somit entgegen dem irischen Gesetz Sprengstoffe aufbewahrt habe, dann hätten diese der Unterstützung des Kampfes der von ihm mitbegründeten Partei gedient. Die Tat sei deshalb als politisches Delikt zu werten. Da sie im übrigen keine Verletzung von Leib und Leben von Menschen oder von fremdem Eigentum zur Folge gehabt habe, sei die Voraussetzung der Verhältnismässigkeit erfüllt.
c) Absolut politische Delikte stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes jene strafbaren Handlungen dar, die gegen die politische und soziale Organisation des Staates gerichtet sind und bei denen der Angriff auf den Staat und dessen grundlegende
BGE 110 Ib 280 S. 285
Einrichtungen zum objektiven Tatbestand gehören. Strafbare Handlungen, bei denen die zweite Voraussetzung nicht erfüllt ist, gelten nicht als absolut politische Delikte, selbst wenn sie ebenfalls in der Absicht verübt worden sind, die politische und soziale Organisation des Staates zu beeinträchtigen oder zu zerstören (
BGE 109 Ib 71
E. 6a;
BGE 106 Ib 308
E. 3b). Es ist offensichtlich und wird vom Verfolgten auch anerkannt, dass die erwähnten Voraussetzungen hier nicht gegeben sind. Ein absolut politisches Delikt liegt somit nicht vor.
d) Als relativ politisches Delikt gilt eine Tat dann, wenn sie nach den Umständen, namentlich nach den Beweggründen und Zielen des Täters, einen vorwiegend politischen Charakter hat. Ein solcher wird dann angenommen, wenn die strafbare Handlung im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staate ausgeführt oder wenn sie verübt wurde, um jemanden dem Zwang eines jede Opposition ausschliessenden Staates zu entziehen. Zwischen solchen Taten und den angestrebten Zielen muss eine enge, direkte und klare Beziehung bestehen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Verletzung fremder Rechtsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum politischen Ziel steht und dass die auf dem Spiel stehenden politischen Interessen wichtig genug sind, um die Tat mindestens einigermassen verständlich erscheinen zu lassen.
Im vorliegenden Falle steht kein gegen die Regierung des ersuchenden Staates gerichtetes Delikt in Frage. Indessen schliesst der Umstand, dass die Tat nicht gegen diesen, sondern gegen das Regime eines Drittstaates gerichtet ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Einrede des politischen Deliktes nicht aus. Allerdings kommt ihr nicht dasselbe Gewicht zu wie bei Angriffen gegen Persönlichkeiten oder Einrichtungen des ersuchenden Staates selbst, ist doch die Gefahr wesentlich geringer, dass sich die Gerichte bei der Beurteilung der Tat von politischen Erwägungen beeinflussen liessen bzw. der Verfolgte allgemein seiner politischen Anschauungen wegen einer Erschwerung seiner Lage ausgesetzt wäre (
BGE 106 Ib 299
/300).
Es ist verständlich, dass der Verfolgte seine Tat als eine politische betrachtet, und es liegen ihr auch zweifellos politische Motive zugrunde. Indessen genügt dies nach den vorstehenden Darlegungen nicht, um die Einrede des politischen Deliktes im Sinne des schweizerischen Auslieferungsrechtes als begründet anzuerkennen. Einzuräumen ist zwar, dass die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat im Rahmen des Kampfes um die Macht in einem Nachbarstaate
BGE 110 Ib 280 S. 286
des ersuchenden Staates (Grossbritannien/Nordirland) lag, und es lässt sich auch die Annahme vertreten, zwischen ihr und den angestrebten Zielen bestehe ein verhältnismässig enger Zusammenhang. Indessen muss entgegen dem Standpunkt des Verfolgten verneint werden, dass hier die beabsichtigte Verletzung fremder Rechtsgüter in einem angemessenen Verhältnis zum politischen Ziel stand und dass die auf dem Spiele stehenden politischen Interessen die Tat mindestens als einigermassen verständlich erscheinen lassen. Die Verwendung explosiver Materialien für politische Sabotage-Akte bringt - verglichen mit dem Einsatz von Schusswaffen - eine erhöhte Gemeingefahr mit sich; sie wird im Regelfalle nicht nur die politischen Machthaber, sondern auch eine unbestimmte Zahl von am politischen Kampf nicht oder höchstens am Rande beteiligten Personen an Leib und Leben verletzen oder mindestens gefährden. Die Geschichte der vergangenen rund zwölf Jahre zeigt denn auch eindrücklich, dass die IRA und ihr nahestehende bewaffnete Organisationen in Nordirland Terrorakte auch gegen die Zivilbevölkerung verüben, offenbar in der Absicht, das britische Regime zu verunsichern und es bei der Bevölkerung in Misskredit zu bringen. Dem Standpunkt des Verfolgten, wonach sich die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung nicht gegen Leib und Leben von Personen gerichtet habe, kann nicht beigepflichtet werden; er steht sogar bis zu einem gewissen Grade in Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen über die Tätigkeit der INLA, der er angehört, und über deren Kampfmethoden. Der Besitz von Sprengstoffen zu nichtfriedlichen Zwecken wird gerade deshalb unter Strafe gestellt, weil der Besitzer damit dessen spätere Verwendung im Einsatz gegen Personen oder Sachen unterstützt, auch wenn er die Einzelheiten des beabsichtigten Einsatzes nicht kennt. Der Einwand des politischen Deliktes ist demnach im vorliegenden Falle mangels Verhältnismässigkeit zwischen dem angestrebten Ziel und dem einzusetzenden Mittel zu verwerfen. | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c8c2435d-66dd-4254-af21-c87862af3faa | Urteilskopf
94 I 659
90. Auszug aus dem Urteil vom 22. November 1968 i.S. Christian Holzäpfel GmbH gegen Eidg. Steuerverwaltung. | Regeste
Ungerechtfertigte Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens.
1. Voraussetzungen der Gewährung eines Replikrechtes im staatsrechtlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Art. 93 Abs. 3/
Art. 107 OG
(Erw. 1 b).
2. Gegen die Ablehnung einer Einsprache wegen Verweigerung der Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.
Art. 100 OG
; Art. 2 Abs. 1 lit. c des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung; Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes. Analoge Anwendung des
Art. 8 Abs. 5 StG
(Erw. 2).
3. Inwiefern kann das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit einer unselbständigen Verordnung des Bundesrates überprüfen? (Erw. 3).
4. Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 (betreffend den vorliegenden Fall missbräuchlicher Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens) verstösst weder gegen den Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 noch gegen Sinn und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen selbst (Erw. 4).
5. Die erwähnte Bestimmung des BRB gilt auch in bezug auf das neue Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 14. Juni 1966. - Ablehnung einer aus Art. 9 der VV zum VStG hergeleiteten Einwendung (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 661
BGE 94 I 659 S. 661
A.-
Die Firma Christian Holzäpfel GmbH hat ihren Sitz in Basel und weist ein Stammkapital von Fr. 20'000. - auf. Die eine Hälfte des Stammkapitals gehört dem in Deutschland wohnhaften Christian Holzäpfel und die andere der Finadex AG., welche diesen Stammanteil nach den Angaben der GmbH treuhänderisch für Christian Holzäpfel besitzt. Im Jahre 1966 erzielte die Gesellschaft einen Ertrag aus Lizenzgebühren von Fr. 219'947.95 und einen Jahresgewinn von Fr. 148'535.35; der Gewinnvortrag belief sich auf Fr. 220'584.09.
Am 7. Februar 1968 reichte die Firma Christian Holzäpfel GmbH gestützt auf Art. VII A des Doppelbesteuerungsabkommens mit Grossbritannien vom 30. September 1954/14. Juni 1966 und Art. 11 des BRB über die Ausführung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 25. März 1955/25. April 1967 einen Antrag auf Entlastung von der britischen Einkommenssteuer ein. Die Eidg. Steuerverwaltung verweigerte jedoch dessen Weiterleitung mit der Begründung, an der fraglichen Gesellschaft sei eine nicht abkommensberechtigte Person (Christian Holzäpfel) in wesentlichem Umfange interessiert, und die GmbH nehme keine angemessene Gewinnausschüttung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes vor. Die Christian Holzäpfel GmbH erhob gegen diese Weigerung Einsprache, welche von der Eidg. Steuerverwaltung am 10. Juni 1968 abgewiesen wurde.
B.-
Gegen den Entscheid der Eidg. Steuerverwaltung führt die Firma Christian Holzäpfel GmbH Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie das britisch-schweizerische Doppelbesteuerungsabkommen nicht missbräuchlich in Anspruch nehme. Sie sei dementsprechend von der Auflage, mindestens 25% der von der englischen Quellensteuer zu befreienden bzw. befreiten Lizenzgebühren als Gewinn auszuschütten, zu entbinden. Die Beschwerdeführerin macht der Sache nach geltend, Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 sei ungesetzlich.
C.-
Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde. Sie weist insbesondere darauf hin, dass die Beschwerdeführerin offensichtlich nicht
BGE 94 I 659 S. 662
ein von einem deutschen und einem schweizerischen Beteiligten betriebenes Unternehmen zur gemeinsamen Ausnützung von immateriellen Güterrechten sei; denn die Einkünfte, deren Besteuerung umstritten ist, stammten ausschliesslich aus den Rechten des deutschen Gesellschafters. Es dränge sich daher die Vermutung auf, dass die Finadex AG. eine treuhänderische Funktion ausübe und bei der Gründung der GmbH nur deshalb mitgewirkt habe, um gegenüber den Behörden eine schweizerische Beteiligung vorzutäuschen. Die Einschaltung der beschwerdeführenden Gesellschaft habe nur den Zweck, die Einkünfte aus den Rechten, die der deutsche Gesellschafter zur Verfügung gestellt habe, der Besteuerung in Deutschland zu entziehen. Dieses Vorgehen des Gesellschafters möge sein gutes Recht sein, doch könne er nicht erwarten, darüber hinaus noch in den Genuss der Vorteile des von der Schweiz mit einem Drittstaat abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens zu gelangen, ohne dass eine volle Besteuerung in der Schweiz erfolge. Die von der Beschwerdeführerin in der Schweiz zu bezahlenden Wehrsteuern vom Ertrag (max. 7,2%) seien im Vergleich zu den zu erwartenden Steuerentlastungen in Grossbritannien (zur Zeit 41,25%) als äusserst bescheiden anzusprechen. Auf die Beschwerdeführerin finde deshalb der BRB vom 14. Dezember 1962 Anwendung.
D.-
Die Vernehmlassung der Eidg. Steuerverwaltung zur Beschwerde wurde der Beschwerdeführerin mit dem Vermerk "zur Kenntnisnahme ohne Replikrecht" zugestellt. Sie ersuchte daraufhin mit Eingabe vom 23. September 1968 um Einräumung des Replikrechts und stellte gleichzeitig noch weitere Anträge.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
a)...
b) Mit ihrem zweiten Begehren beantragt die Beschwerdeführerin, es sei ihr Gelegenheit zu einer ausführlichen Replik zu geben.
Gemäss
Art. 93 Abs. 3 OG
findet ein weiterer Schriftenwechsel nach Einreichung von Beschwerdebegründung und -beantwortung bei staatsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Beschwerden nur ausnahmsweise statt. Er erübrigt sich immer dann, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse durch die Beschwerdeschrift und die Vernehmlassung hinreichend abgeklärt sind, so dass das Gericht zur Urteilsfindung keine
BGE 94 I 659 S. 663
zusätzlichen Angaben mehr benötigt (vgl.
BGE 90 I 11
). Dagegen ist dem Beschwerdeführer das Replikrecht zu gewähren, wenn die Verwaltung in ihrer Vernehmlassung neue tatsächliche Behauptungen aufstellt, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres aktenkundig ist und die nach Ansicht des Bundesgerichts für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung sind. Was allfällige neue rechtliche Argumente anbetrifft, ist davon auszugehen, dass das Bundesgericht das richtige Recht von Amtes wegen anzuwenden hat. Der blosse Umstand, dass die Verwaltung in ihrer Vernehmlassung zusätzlich zu den im Einspracheentscheid angeführten Gründen noch weitere Argumente für ihre Auffassung vorbringt, rechtfertigt noch keine Gewährung des Replikrechts. Anders ist jedoch die Sachlage, wenn das Bundesgericht der Ansicht ist, dass sich der angefochtene Entscheid mit der ursprünglichen Motivierung zwar nicht halten lässt, wohl aber mit einer andern, von der Verwaltung erstmals in der Beschwerdebeantwortung dargelegten Begründung. In einem solchen Fall hat der Beschwerdeführer Anspruch darauf, sich hiezu noch äussern zu können, um seine Gegenargumente vorzubringen.
.....
2.
Die Beschwerdeführerin ficht eine Verfügung der Eidg. Steuerverwaltung an, welche die Weiterleitung eines Antrags auf Entlastung von einer ausländischen Einkommenssteuer ablehnt. Bei dieser Verfügung handelt es sich nicht um einen Entscheid über bundesrechtliche Abgaben im Sinne von
Art. 97 OG
. Art. 2 Abs. 1 lit. c des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ermächtigt jedoch den Bundesrat, die im Rahmen des Abkommens zu treffenden Entscheidungen der Eidg. Steuerverwaltung, welche Steuern des andern Vertragsstaates zum Gegenstand haben, der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu unterstellen. Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962 bestimmt, dass für Einsprache und Beschwerde gegen Entscheide der Eidg. Steuerverwaltung sinngemäss Art. 8 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1917 über die Stempelabgaben gelte. Diese Bestimmung sieht in Abs. 5 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegen Einspracheentscheide der Eidg. Steuerverwaltung vor. Daraus muss geschlossen werden, dass der Bundesrat von der ihm im Bundesbeschluss vom 22. Juni
BGE 94 I 659 S. 664
1951 eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde demnach im vorliegenden Fall zulässig ist. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
3.
Der BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes stützt sich auf den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vgl. dazu MASSHARDT, Die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, ASA Bd 31 S. 225 ff., und MATHEY, Les mesures contre l'utilisation sans cause légitime des conventions conclues par la Confédération en vue d'éviter les doubles impositions, RDAF 19 S. 53 ff.). Halten sich die Bestimmungen des BRB im Rahmen dieses Bundesbeschlusses, so sind sie anzuwenden; es ist nicht notwendig, dass auch die einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen den Bundesrat zusätzlich zur Anordnung derartiger Massnahmen ermächtigen. Der BRB wäre nur dann nicht anwendbar, wenn er etwas enthielte, was den einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen widersprechen würde; denn der Bundesbeschluss und damit auch der sich auf ihn stützende BRB sind nach dem Willen des Gesetzgebers in Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Pflichten durchzuführen, die sich aus den einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen ergeben.
Im vorliegenden Fall bestreitet die Beschwerdeführerin dem Sinne nach die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit sowie die Staatsvertragskonformität von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962. Die Eidg. Steuerverwaltung hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, es sei nicht ihre Aufgabe, die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit dieses BRB zu überprüfen; denn für die Verwaltung seien die Erlasse des Bundesrates verbindlich und müssten von ihr angewendet werden. Allenfalls sei es Sache des Bundesgerichts, einen Erlass auf der Verordnungsstufe insoweit auf seine Rechtsbeständigkeit zu untersuchen, als er in einem Einzelfall zur Anwendung gelange. Richtig ist, dass dem Bundesgericht gestützt auf
Art. 113 Abs. 3 und
Art. 114bis BV
das akzessorische richterliche Prüfungsrecht gegenüber Verordnungen des Bundesrates zusteht. Bei unselbständigen Verordnungen, die auf Gesetzes- oder Beschlussesdelegation beruhen, bezieht sich die richterliche
BGE 94 I 659 S. 665
Kontrolle vorab darauf, ob sie im Rahmen der Delegation bleiben. Wie das Bundesgericht in
BGE 92 I 432
ausgeführt hat, heisst dies aber nicht, dass dem Gericht die Kontrolle der Verfassungsmässigkeit solcher Verordnungen überhaupt entzogen sei. Es kommt daraufan, ob die gesetzliche Delegationsnorm den Bundesrat zum Erlass einer Verordnung, die von einem Grundsatz der Bundesverfassung abweicht, ermächtige oder nicht. Ist diese Frage zu bejahen, so kann das Bundesgericht allerdings die Verordnung nicht wegen der Verfassungswidrigkeit, welche vom Gesetz zugelassen wird, ungültig erklären. Dagegen kann das Gericht einschreiten, falls die Verfassungswidrigkeit der Verordnung nicht durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckt ist. Diese Befugnis steht ihm namentlich dann zu, wenn es mit einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid befasst ist, der eine Verordnung des Bundesrates anwendet; gehört doch auch die Bundesverfassung zum Bundesrecht, dessen Verletzung mit diesem Rechtsmittel geltend gemacht werden kann (
BGE 92 I 432
ff.,
BGE 88 I 307
und
BGE 86 I 192
f.). Dass ein Gesetz den Bundesrat ermächtige, in der Verordnung von der Verfassung abzuweichen, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Vielmehr ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber sich von der Verfassung nicht habe entfernen wollen (
BGE 92 I 433
).
4.
In der Botschaft zum Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 (BBl 1951 II 296 ff.) wird ausgeführt, dass das schweizerisch-amerikanische Doppelbesteuerungsabkommen den unmittelbaren Anlass geboten habe zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Erlass einseitiger schweizerischer Durchführungsbestimmungen, die auch auf die andern schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen anzuwenden wären. Diese Ausführungsbestimmungen müssten insbesondere das Verfahren ordnen, das die in der Schweiz wohnenden Einkommensempfänger einzuhalten haben, damit ihnen die vom andern Vertragsstaat zugesicherte Entlastung von den an der Quelle erhobenen Einkommenssteuern gewährt werde.
Mit dem Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 ist diese gesetzliche Grundlage geschaffen worden. Art. 1 dieses Beschlusses sieht vor, dass die Ausführungsbestimmungen für die Durchführung der Doppelbesteuerungsabkommen vom Bundesrat aufgestellt werden. In Art. 2 Abs. 1 lit. b wird der Bundesrat insbesondere als zuständig erklärt, Massnahmen zu treffen, um
BGE 94 I 659 S. 666
zu verhindern, dass die vom andern Vertragsstaat zugesicherte Herabsetzung von an der Quelle erhobenen Steuern Personen zugute kommt, die darauf nach dem Abkommen keinen Anspruch haben. Gestützt auf diesen Bundesbeschluss war der Bundesrat durchaus ermächtigt, Bestimmungen über Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen zu erlassen, wie er es im BRB vom 14. Dezember 1962 getan hat. Er war auch kompetent, die nicht abkommensberechtigten Personen durch generell abstrakte Normen zu umschreiben.
Der Bundesrat benötigte dazu keiner Zustimmung der Vertragspartner der einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen, sofern sein Vorgehen mit dem Sinn und Zweck dieser Abkommen im Einklang stand. Grundsätzlich ist jeder Vertragspartner berechtigt, ein Doppelbesteuerungsabkommen selbständig auszulegen. Insbesondere durfte der Bundesrat annehmen, auch die Vertragspartner würden den Sinn dieser Abkommen darin sehen, dass die Doppelbesteuerung der Angehörigen der Vertragsstaaten durch Quellensteuern einerseits und Einkommens- bzw. Reinertragssteuern anderseits gemildert oder beseitigt werde. Tritt infolge einer gezielten Geschäftspolitik für Vermögen und Einkünfte eines Angehörigen eines Vertragsstaates, der diese Werte für den Angehörigen eines Drittstaates besitzt, gar keine Doppelbelastung ein, so entfällt der Zweck des Doppelbesteuerungsabkommens. Diese gezielte Geschäftspolitik kann u.a. zur Folge haben, dass eine Gesellschaft trotz zufliessender Einkünfte keinen Reingewinn ausweist oder keinen Gewinn ausschüttet und nach den anwendbaren Steuergesetzen selbst auf den akkumulierten Gewinnen keine Reinertragssteuer bezahlen muss. Kommen die steuerlichen Vorteile Angehörigen von Drittstaaten zugute, so liegt ein Abkommensmissbrauch vor. Dementsprechend ist nach Art. 2 Abs. 2 des BRB vom 14. Dezember 1962 die Beanspruchung eines Doppelbesteuerungsabkommens insbesondere dann missbräuchlich, wenn Angehörige von Drittstaaten über die Erträgnisse von Beteiligungen bzw. Lizenzen praktisch steuerfrei verfügen können, indem sie
- entweder diese Erträgnisse durch eine schweizerische Gesellschaft durchlaufen lassen (Durchlaufgesellschaften /Art. 2 Abs. 2 lit. a BRB) oder
- die Gewinne bei einer schweizerischen Gesellschaft akkumulieren,
BGE 94 I 659 S. 667
um von der Schweiz aus darüber verfügen zu können (Gewinnakkumulierungs-Gesellschaften /Art. 2 Abs. 2 lit. b) oder
- einen Treuhänder in der Schweiz bestellen, der die Erträgnisse für sie unter Beanspruchung der Steuerentlastung empfängt (Art. 2 Abs. 2 lit. c) oder
- eine Familienstiftung oder Personengesellschaft ohne geschäftlichen Betrieb als abzugsberechtigten Empfänger vorschieben (Art. 2 Abs. 2 lit. d).
Auch ohne Steuerentlastung an der Quelle kommt es in diesen vier Fällen nicht zu einer wirklichen Doppelbelastung, weil weder der schweizerische Empfänger noch die hinter ihm stehenden Personen in Drittländern erhebliche Steuern bezahlen müssen. Die Steuerentlastung an der Quelle rechtfertigt sich deshalb nach dem Sinn und Zweck der Abkommen in solchen Fällen nicht. Mit Recht bezeichnet der BRB die Inanspruchnahme einer Steuerentlastung ohne Doppelbesteuerung als missbräuchlich; denn Merkmal des Rechtsmissbrauchs ist die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will (vgl. MERZ, Kommentar, N. 50 zu
Art. 2 ZGB
und
BGE 86 II 421
). Dieses Merkmal trifft auf die in Art. 2 Abs. 2 BRB aufgezählten Fälle zu.
Nach dem Ausgeführten hält sich der BRB vom 14. Dezember 1962 und insbesondere dessen Art. 2 Abs. 2 lit. b im Rahmen des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951. Er läuft aber auch dem Sinn und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen nicht zuwider.
5.
Die Schweiz hat im Jahre 1966 sowohl mit Frankreich als auch mit Grossbritannien Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Doppelbesteuerungsabkommens geführt. Während Frankreich verlangte, dass die im BRB vom 14. Dezember 1962 aufgestellten Prinzipien ausdrücklich in das neue Abkommen aufgenommen würden (vgl. Art. 14 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich vom 9. September 1966), verzichtete England auf eine entsprechende Regelung. Grossbritannien hat im Gegenteil darein eingewilligt, dass im neuen Abkommen die von seiner Seite vorgesehenen Steuererleichterungen auch Personen zugute kommen, die in der Schweiz von der Einkommens- oder Ertragssteuer befreit sind (Art. VI und VII A des Abkommens). Mit diesem Entgegenkommen
BGE 94 I 659 S. 668
sollen Institutionen, die aus besondern Gründen im andern Vertragsstaat steuerfrei sind wie das Rote Kreuz oder andere gemeinnützige Einrichtungen, begünstigt werden (vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien, BBl 1966 I 1310).
Da der BRB vom 14. Dezember 1962 in den vergangenen Jahren auch England gegenüber immer angewendet wurde, ist anzunehmen, dass die schweizerische und die britische Delegation bei den Vertragsverhandlungen ohne weiteres davon ausgegangen sind, an der Anwendbarkeit des BRB solle nichts geändert werden. Auch wenn der BRB vom 25. April 1967 über die Ausführung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien keinen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des BRB vom 14. Dezember 1962 enthält, so spricht doch alles dafür, dass er nach dem Willen des Bundesrates auch weiterhin neben dem BRB vom 25. April 1967 gilt und die darin erwähnten juristischen Personen beim Fehlen der entsprechenden Voraussetzungen keinen Anspruch auf Steuerentlastung erheben können.
An der Geltung des BRB vom 14. Dezember 1962 hat sich auch dadurch nichts geändert, dass die Eidg. Steuerverwaltung bei Gesellschaften, die von Ausländern beherrscht werden und ihre Gewinne akkumulieren, nunmehr gestützt auf Art. 9 der Vollziehungsverordnung zum Verrechnungssteuergesetz eine Sicherstellungsverfügung erlassen kann. Ob diese Verordnungsbestimmung gesetzes- und verfassungswidrig ist, wie die Beschwerdeführerin beiläufig behauptet, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen; denn die Sicherstellungsverfügung verpflichtet die Gesellschaft nur zur Leistung einer Realkaution, Bürgschaft oder Garantie und steht mit der Berechtigung zur Inanspruchnahme der Doppelbesteuerungsabkommen nicht im Zusammenhang. Der weitere Einwand der Beschwerdeführerin, es widerspreche den elementarsten rechtsstaatlichen Grundsätzen, einen Steuerpflichtigen fiskalisch zu belasten, weil er später vielleicht einmal unkorrekt handeln könnte, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin kann selbst nicht bestreiten, dass es mehrere legale Wege gibt, welche den ausländischen Gesellschaftern oder Aktionären ermöglichen, de facto über die aufgehäuften Erträgnisse zu verfügen, ohne dass es zu einer offenen oder verdeckten Gewinnausschüttung
BGE 94 I 659 S. 669
kommt. Die blosse Möglichkeit der spätern Besteuerung der akkumulierten Erträgnisse ändert nichts an der Tatsache, dass diese Gesellschaften zur Zeit nicht von einer effektiven Doppelbelastung betroffen werden. Die Eidg. Steuerverwaltung hat daher der Beschwerdeführerin die Inanspruchnahme der im schweizerisch-britischen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Steuerentlastungen mit Recht verweigert.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,968 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8c281d8-f5d2-4809-8593-0823d26114e1 | Urteilskopf
104 IV 258
58. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 15 décembre 1978 dans la cause T. contre Ministère public du canton de Vaud | Regeste
Unzucht.
Eine Entblössung, die weder auf ein geschlechtliches Verhalten hinweist, noch sonst eine geschlechtliche Bedeutung hat, stellt keine unzüchtige Handlung im Sinne des StGB's dar.
Das schliesst indessen nicht aus, ein das allgemeine Anstandsgefühl und die guten Sitten verletzendes Zurschaustellen eines Körperteils, der in der Regel keine geschlechtliche Bedeutung aufweist und meistens verborgen bleibt, von einem subjektiven Gesichtspunkt aus als unzüchtig zu beurteilen, wenn das Zurschaustellen nach der Absicht des Urhebers offensichtlich eine geschlechtliche Bedeutung hat oder wenn es sich unzweifelhaft auf ein Verhalten im Zusammenhang mit geschlechtlicher Betätigung bezieht. | Erwägungen
ab Seite 259
BGE 104 IV 258 S. 259
Extrait des considérants:
2.
L'arrêt auquel se réfère tant la cour cantonale que le recourant (
ATF 103 IV 167
ss.) a posé que la notion de pudeur, ou d'impudeur, visée par le Code pénal, ne concerne que la pudeur sexuelle. Un acte ne peut être considéré comme impudique que s'il blesse la décence sexuelle, c'est-à-dire la décence ou les convenances que l'on doit observer en matière sexuelle. Se référant à la définition selon laquelle n'est sexuel que ce "qui se rapporte aux conformations et aux fonctions de reproduction particulière. de l'homme et de la femme" ou que ce "qui concerne l'accouplement, les comportements qu'il détermine et ceux qui en dérivent", le Tribunal fédéral a considéré que le postérieur n'étant pas chez les humains destiné à la reproduction, son exhibition, dans la mesure où elle est sans rapport avec un comportement dérivant de l'accouplement, n'a rien de sexuel.
Il ressort de ce qui précède qu'une exhibition dépourvue de tout caractère sexuel ou de toute référence sexuelle ne constitue pas un acte contraire à la pudeur au sens du Code pénal (cf. arrêt cité, in fine), mais cela n'exclut nullement que l'exposition d'une partie du corps ne présentant normalement aucun caractère sexuel puisse le cas échéant constituer un acte contraire à la pudeur lorsqu'elle comporte une référence sexuelle évidente ou qu'elle se rapporte sans équivoque à un comportement dérivant d'une activité sexuelle. Tel sera le cas de l'exhibition - c'est-à-dire de l'étalage ostentatoire - de parties du corps qui selon l'usage commun demeurent généralement cachées et dont l'apparition porte atteinte au sentiment général de la décence et des
BGE 104 IV 258 S. 260
bonnes moeurs. Et ainsi en va-t-il du postérieur, qui représente pour beaucoup un élément sinon l'objet de l'activité sexuelle lato sensu.
En l'espèce, et à la différence du cas traité dans l'arrêt déjà cité, il est constant que les exhibitions de postérieur, auxquelles s'est livré le recourant, sont une manifestation de sa sexualité et même la seule manifestation qu'il a encore sur ce plan. Dans un tel cas, l'intention du recourant doit être prise en considération. En effet, ainsi que le relève l'autorité cantonale, si l'intention de l'auteur est sans pertinence quand l'acte apparaît objectivement comme impudique, elle doit en revanche être prise en considération dans les cas objectivement équivoques ou qui ne sont comme ici pas manifestement contraires à la pudeur (cf.
ATF 78 IV 164
consid. 2).
Il est vrai que l'intention de l'auteur ne saurait suffire à elle seule dans les cas équivoques; il faut bien sûr aussi que la référence ou l'intention sexuelle de l'auteur apparaisse objectivement dans son comportement. Mais cette condition doit être considérée comme réalisée lorsque l'auteur fait étalage de ses fesses devant des personnes de l'autre sexe, voire du même sexe dans un contexte visiblement homosexuel, et si aucune indication objective quelconque ne permet de découvrir une autre explication telle que la volonté d'injurier, de s'adonner au naturisme, au sport, ou encore la nécessité de céder aux exigences de la nature. Tel est le cas en l'espèce, où le recourant a procédé à ses exhibitions devant des personnes du sexe féminin, non seulement dans une intention sexuelle, mais dans des conditions qui ne permettent d'imaginer aucune référence à un quelconque autre but ou intention. Le pourvoi doit dès lors être rejeté. | null | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c8c2d1e2-8308-4c1a-b163-d0fcdf936115 | Urteilskopf
138 IV 169
25. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen)
6B_805/2011 vom 12. Juli 2012 | Regeste
Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten.
Erkenntnisse aus nicht genehmigten Telefonüberwachungen sind absolut unverwertbar. Dies gilt auch, wenn für eine im Ausland erfolgte Telefonüberwachung die hierfür nach ausländischem Recht erforderlichen Genehmigungen fehlen (E. 3.1).
Es liegt keine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots gemäss
BGE 133 IV 329
E. 4.5 und
Art. 141 Abs. 4 StPO
vor, wenn der Folgebeweis im Sinne eines hypothetischen Ermittlungsverlaufs zumindest mit einer grossen Wahrscheinlichkeit auch ohne den illegalen ersten Beweis erlangt worden wäre. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls. Die bloss theoretische Möglichkeit, den Beweis rechtmässig zu erlangen, genügt nicht (E. 3.3.3).
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Führer eines Fahrzeugs an einem besetzten Grenzübergang vom Schweizer Zoll nach verzollbaren Waren und seinen Papieren gefragt wird, kann durchaus als gross bezeichnet werden. Verhält sich der Fahrzeuglenker auffällig nervös, liegt es nahe, dass die Zollbehörden Verdacht schöpfen, ihn einer weitergehenden Kontrolle unterziehen und dabei auf die im Fahrzeug versteckten Drogen stossen (E. 3.4). | Sachverhalt
ab Seite 170
BGE 138 IV 169 S. 170
A.
Das Kreisgericht Rheintal verurteilte X. am 8. Dezember 2010 wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 3 1⁄4 Jahren. Es hält für erwiesen, dass er am 26. April 2010 in einem Feuerlöscher wissentlich 6,112 Kilogramm Heroingemisch mit einem Reinheitsgehalt von 8 % transportierte und in die Schweiz einführte.
B.
Das Kantonsgericht St. Gallen wies die von X. dagegen erhobene Berufung am 30. August 2011 ab.
C.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil vom 30. August 2011 aufzuheben und ihn vollumfänglich freizusprechen sowie sofort aus der Haft zu entlassen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Vorinstanz verneint eine Fernwirkung des Verwertungsverbots auf die anlässlich der Grenzkontrolle erlangten Beweise für den Fall, dass die Telefonüberwachung in Slowenien illegal war.
3.1
Gemäss Art. 7 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs
BGE 138 IV 169 S. 171
(Fassung vor Inkrafttreten der StPO am 1. Januar 2011 [aBÜPF; SR 780.1]) sind Erkenntnisse aus nicht genehmigten Telefonüberwachungen absolut unverwertbar. Für eine Interessenabwägung besteht kein Raum (vgl.
BGE 133 IV 329
E. 4.4; vgl. auch
Art. 277 StPO
[SR 312.0] sowie THOMAS HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 8 zu
Art. 277 StPO
). Dies muss für die Verwertung in der Schweiz auch gelten, wenn für eine im Ausland erfolgte Telefonüberwachung die hierfür nach ausländischem Recht erforderlichen Genehmigungen fehlen.
Folgebeweise, welche im Anschluss an die rechtswidrige Beschaffung eines primären Beweismittels an sich legal erhoben werden, sind nach der neueren Rechtsprechung unverwertbar, wenn sie ohne den rechtswidrig beschafften primären Beweis nicht hätten erhältlich gemacht werden können (
BGE 133 IV 329
E. 4.5 mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 134 IV 266
E. 5.3.2;
BGE 137 I 218
E. 2.4 sowie Urteil 6B_211/2009 vom 22. Juni 2009 E. 1.4.2; anders noch
BGE 109 Ia 244
E. 2b). Das Bundesgericht folgte im Entscheid
BGE 133 IV 329
der Auffassung von NIKLAUS SCHMID, wonach von der Unverwertbarkeit auszugehen ist, wenn "der ursprüngliche, ungültige Beweis Bestandteil sine qua non des mittelbar erlangten Beweises ist" (vgl. a.a.O., E. 4.5 mit Hinweisen).
BGE 133 IV 329
orientierte sich an der zukünftigen Regelung in der StPO (vgl. DANIEL HÄRING, Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung - alte Zöpfe oder substanzielle Neuerungen?, ZStrR 127/2009 S. 251). Die gleichen Grundsätze sind nunmehr in
Art. 141 Abs. 4 StPO
verankert. Ermöglichte ein Beweis, der nach
Art. 141 Abs. 2 StPO
nicht verwertet werden darf, die Erhebung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre (
Art. 141 Abs. 4 StPO
), d.h. der erste Beweis "condicio sine qua non" des zweiten ist (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1184).
3.2
Der angefochtene Entscheid erging unter dem alten Recht (nicht publ. E. 1).
BGE 133 IV 329
unterscheidet für die Frage der Verwertbarkeit von Folgebeweisen nicht danach, ob Grund für die Unverwertbarkeit des Primärbeweises ein absolutes oder ein relatives Beweisverwertungsverbot ist. Daher braucht die in der Lehre umstrittene Frage nicht beantwortet zu werden, ob
Art. 141 Abs. 4 StPO
entgegen seinem Wortlaut auch für absolute Beweisverwertungsverbote
BGE 138 IV 169 S. 172
(
Art. 141 Abs. 1 StPO
) gelten muss (so SABINE GLESS, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 90 zu
Art. 141 StPO
; a.M. JÜRG SOLLBERGER, Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung [...], Goldschmid/Maurer/Sollberger [Hrsg.], 2008, S. 126; HÄRING, a.a.O., S. 250 f.; WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 15 zu
Art. 141 StPO
; kritisch zur gesetzlichen Regelung: BÉNÉDICT/TRECCANI, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 39 zu
Art. 141 StPO
; sowie LUZIA VETTERLI, Gesetzesbindung im Strafprozess, Zur Geltung von Verwertungsverboten und ihrer Fernwirkung nach illegalen Zwangsmassnahmen, 2010, S. 333 ff.; Frage offengelassen bei NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar [nachfolgend: Praxiskommentar], 2009, N. 12 zu
Art. 141 StPO
).
3.3
3.3.1
Das Bundesgericht erachtete in
BGE 133 IV 329
E. 4.6 als "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" erstellt, dass das Geständnis auch ohne den illegalen Zufallsfund erlangt worden wäre. Im Urteil 6B_211/2009 vom 22. Juni 2009 E. 1.4.2.2 deutete es an, dass der Folgebeweis verwertbar gewesen wäre, wenn er "selon toute probabilité" ohne die unzulässige verdeckte Ermittlung erhoben worden wäre.
Die Formulierung "wenn er (der weitere Beweis) ohne die vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre" (vgl.
Art. 141 Abs. 4 StPO
) bzw. die "Bestandteil sine qua non"-Klausel (
BGE 133 IV 329
E. 4.5) sind auslegungsbedürftig. Ein Teil der Lehre will eine Fernwirkung des Verwertungsverbots gestützt darauf nur verneinen, wenn "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" feststeht, dass der mittelbare Beweis (Folgebeweis) auch ohne den rechtswidrigen unmittelbaren Beweis (Primärbeweis) beigebracht worden wäre (HÄRING, a.a.O., S. 252; MARK PIETH, Schweizerisches Strafprozessrecht, 2009, S. 152; WOHLERS, a.a.O., N. 15 zu
Art. 141 StPO
). Andere Autoren lassen demgegenüber genügen, wenn der Folgebeweis "höchst- bzw. sehr wahrscheinlich" (GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 95 zu
Art. 141 StPO
; VETTERLI, a.a.O., S. 336), mit "grosser Wahrscheinlichkeit" (SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 16 zu
Art. 141 StPO
) oder gar bloss mit einer "naheliegenden Möglichkeit" (GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 97 zu
Art. 141 StPO
) auch ohne den illegalen Primärbeweis erlangt worden wäre. BÉNÉDICT/TRECCANI (a.a.O.,
BGE 138 IV 169 S. 173
N. 38 in fine zu
Art. 141 StPO
) weisen darauf hin, dass eine "Quasi-Sicherheit" nicht verlangt werden kann.
3.3.2
Die Rechtsprechung betont, dass es bei der Frage nach der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten darum gehen muss, einen angemessenen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen zu erzielen. Während für eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten spricht, dass andernfalls die Regeln über die Beweiserhebung unterminiert würden, können indirekte Beweisverbote auf der anderen Seite der Ermittlung der materiellen Wahrheit hinderlich sein (
BGE 137 I 218
E. 2.4.1;
BGE 133 IV 329
E. 4.5). Der gleiche Gedanke liegt der bundesrätlichen Botschaft zur StPO zugrunde (vgl. BBl 2006 1184) und ergibt sich überdies aus den parlamentarischen Beratungen bzw. der vom Parlament im Vergleich zum bundesrätlichen Entwurf angebrachten Änderung von
Art. 141 Abs. 4 StPO
(vgl. AB 2006 S 2014). Im Gegensatz zur früheren Praxis (vgl. SABINE GLESS, Beweisverbote und Fernwirkung, ZStrR 128/2010 S. 154 f.) wollte der Gesetzgeber in
Art. 141 Abs. 4 StPO
zwar eine sehr weitgehende, nicht jedoch eine absolute Fernwirkung verankern. Würde ein Verwertungsverbot von Folgebeweisen immer angenommen, wenn nicht sicher bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der zweite Beweis nicht auch ohne den ersten, illegalen Beweis erlangt worden wäre, käme es gerade nicht zu einem "Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen". Dies entspräche nicht dem mit
Art. 141 Abs. 4 StPO
anvisierten Mittelweg, sondern käme einer strikten Bejahung der Fernwirkung gleich. Steht sicher fest, dass der erste Beweis keinen Einfluss auf die Erlangung des zweiten Beweises hatte, sondern Letzterer auch ohne bzw. unabhängig vom Ersteren erhoben worden wäre, besteht grundsätzlich kein Grund für eine Unverwertbarkeit des zweiten Beweises, da der illegale Beweis nicht kausal für den zweiten Beweis war und demnach nicht von einer Fernwirkung gesprochen werden kann (vgl. zur sog. "inevitable discovery"- und zur "independent source"-Doktrin im amerikanischen Recht auch GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 96 zu
Art. 141 StPO
; PIETH, a.a.O., S. 151; VETTERLI, a.a.O., S. 308 ff.; je mit Hinweisen).
3.3.3
Eine Fernwirkung gemäss
BGE 133 IV 329
E. 4.5 und
Art. 141 Abs. 4 StPO
ist auch zu verneinen, wenn der Folgebeweis im Sinne eines hypothetischen Ermittlungsverlaufs zumindest mit einer grossen Wahrscheinlichkeit auch ohne den illegalen ersten Beweis erlangt worden wäre. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls
BGE 138 IV 169 S. 174
(vgl. GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 95 und 97 zu
Art. 141 StPO
; VETTERLI, a.a.O., S. 336; BÉNÉDICT/TRECCANI, a.a.O., N. 38 Fn. 36 zu
Art. 141 StPO
). Die bloss theoretische Möglichkeit, den Beweis rechtmässig zu erlangen, genügt nicht (vgl. GLESS, in: Basler Kommentar, a.a.O., N. 97 zu
Art. 141 StPO
; VETTERLI, a.a.O., S. 335 f.).
3.4
3.4.1
Aus dem Polizeirapport vom 26. April 2010 geht hervor, dass der Beschwerdeführer am gleichen Tag um 12.20 Uhr beim Grenzübergang Au in die Schweiz einreiste. Er sei kontrolliert worden. Er habe einen etwas nervösen Eindruck gemacht. Nach Waren und Zielort befragt, habe er angegeben, er sei Techniker und habe eine dringende Besprechung bei einer Firma in Basel. Er habe weder den Namen der Firma noch deren Adresse angeben können. Dem Grenzwächter sei die Sache verdächtig vorgekommen. Er habe daher das Fahrzeug des Beschwerdeführers untersucht, wobei er auf die Drogen im Feuerlöscher im Kofferraum des Fahrzeugs gestossen sei. Daraus ergibt sich zwar, dass der Grenzwächter anlässlich der Kontrolle des Beschwerdeführers Verdacht schöpfte. Dass sich der Beschwerdeführer bereits vor der Identitätskontrolle auffällig verhielt und diese durch sein Verhalten veranlasst hätte, kann dem Polizeirapport nicht entnommen werden. Dies wurde von der Vorinstanz auch nicht festgestellt.
3.4.2
3.4.2.1
Die Schweiz ist mit Abkommen vom 26. Oktober 2004 dem Übereinkommen von Schengen beigetreten (Schengen-Assoziierungsabkommen, SAA; SR 0.362.31). Die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands betreffend die Abschaffung der systematischen Personenkontrollen an den Binnengrenzen sind für die Schweiz an den Landgrenzen mit Wirkung ab 12. Dezember 2008 und an den Luftgrenzen mit Wirkung ab 29. März 2009 in Kraft getreten (vgl. Beschluss 2008/903/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2008 über die vollständige Anwendung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands in der Schweizerischen Eidgenossenschaft, ABl. L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 15 ff.). Gemäss Art. 20 der Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments unddes Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex; ABl. L 105 vom 13. April 2006 S. 1 ff.) dürfen die Binnengrenzen (zur Begriffsbestimmung vgl. Art. 2 Ziff. 1 Schengener Grenzkodex) unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen
BGE 138 IV 169 S. 175
an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Von der Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen nicht berührt wird die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nach Massgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat (Art. 21 lit. a Satz 1 Schengener Grenzkodex). Unter "Grenzübertrittskontrollen" sind Kontrollen zu verstehen, die an den Grenzübergangsstellen erfolgen, um festzustellen, ob die betreffenden Personen mit ihrem Fortbewegungsmittel und den von ihnen mitgeführten Sachen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen oder aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausreisen dürfen (Art. 2 Ziff. 10 Schengener Grenzkodex). Die Ausübung der polizeilichen Befugnisse darf gemäss Art. 21 lit. a Satz 2 Schengener Grenzkodex insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Massnahmen keine Grenzkontrollen zum Ziel haben (i), auf allgemeinen polizeilichen Informationen und Erfahrungen in Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen (ii), in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personenkontrollen an den Aussengrenzen unterscheidet (iii) und auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden (iv). Verdachtsunabhängige Identitätskontrollen sind unter gewissen Bedingungen daher auch an den Binnengrenzen weiterhin zulässig, vorausgesetzt sie haben hinsichtlich Intensität und Häufigkeit nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen (vgl. dazu auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 22. Juni 2010 C-188/10 und C-189/10
Melki und Abdeli
, Slg. 2010 I-05667, insb. Randnr. 63 ff.; sowie den Bericht der Europäischen Kommission vom 13. Oktober 2010 über die Anwendung von Titel III [Binnengrenzen] des Schengener Grenzkodexes). Vorbehalten bleiben namentlich polizeiliche Massnahmen gestützt auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Von der Abschaffung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ebenfalls nicht berührt wird die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, in ihren Rechtsvorschriften die Verpflichtung zum Besitz oder Mitführen von Urkunden und Bescheinigungen vorzusehen (Art. 21 lit. c Schengener Grenzkodex).
3.4.2.2
Das Schengener Durchführungsübereinkommen (ABl. L 239 vom 22. September 2000, S. 19 ff.) und der Schengener Grenzkodex
BGE 138 IV 169 S. 176
sind für die Schweiz verbindlich (vgl. Art. 2 Ziff. 1 und Anhang A Teil 1 SAA; Notenaustausch vom 28. März 2008 zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Übernahme des Schengener Grenzkodexes; SR 0.362.380.010). Die Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens zu den Warenkontrollen wurden im Schengen-Assoziierungsabkommen für die Schweiz jedoch ausdrücklich für nicht anwendbar erklärt (vgl. Anhang A Teil 1 SAA; ANDREA RAUBER SAXER, Mobilität versus Sicherheit: Grenzkontrollen im Schengen-Konzept, in: Bilaterale Abkommen II Schweiz-EU und andere neue Abkommen, 2006, S. 277; SCHREIER/CONTIN, Aufgaben und Funktionsweise des Grenzwachtkorps heute und unter Schengen, in: Bilaterale Abkommen II Schweiz-EU und andere neue Abkommen, 2006, S. 298 f.). Da die Schweiz nicht Mitglied der EU-Zollunion ist, darf sie Warenkontrollen an den Schweizer Landesgrenzen unter Schengen vollumfänglich beibehalten. Ebenso können die mit Warenkontrollen verbundenen Personenkontrollen weiterhin durchgeführt werden (RAUBER SAXER, a.a.O., S. 277 und 280; SCHREIER/CONTIN, a.a.O., S. 299). Anders als die EU-Mitgliedstaaten hat die Schweiz ihre Zollinfrastruktur (Grenzwachtposten) an den Binnengrenzen nicht abgebaut (RAUBER SAXER, a.a.O., S. 274 und 280; SCHREIER/CONTIN, a.a.O., S. 299 und 303). Die Umsetzung des Schengen-Besitzstands ging beim Schweizer Grenzwachtkorps auch nicht mit einem Abbau des Personalbestands einher (vgl. Art. 1 Abs. 3 des Bundesbeschlusses vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU über die Assoziierung an Schengen und an Dublin [SR 362]; Antworten des Bundesrates auf die Interpellation 11.3093 vom 10. März 2011 und die Motion 12.3071 vom 5. März 2012). Sowohl das Zollpersonal als auch die Zollinfrastruktur auf der Grenze blieben unter Schengen unverändert (Bericht des Bundesrates vom 26. Januar 2011 über die Eidg. Zollverwaltung, S. 41).
3.4.2.3
Das Schweizer Grenzwachtkorps nimmt nebst fiskal- und zollpolizeilichen (Kontrolle des Warenverkehrs) hauptsächlich sicherheits- und fremdenpolizeiliche Aufgaben wahr (Art. 94 ff. und 100 Abs. 1 des Zollgesetzes vom 18. März 2005 [ZG; SR 631.0];
Art. 14 der Organisationsverordnung für das Eidg. Finanzdepartement vom 17. Februar 2010 [OV-EFD; SR 172.215.1]
; SCHREIER/CONTIN, a.a.O., S. 284 ff.). Zu den Aufgaben des Grenzwachtkorps gehören namentlich die Fahndung nach Personen und Sachen im Grenzraum sowie das Aufdecken und die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität (Schmuggel von steuer-, bewilligungspflichtigen oder
BGE 138 IV 169 S. 177
verbotenen Waren wie Waffen oder Betäubungsmitteln, illegale Migration und Schlepperei, Dokumentenfälschung etc.). Das Grenzwachtkorps hat zwecks Fahndung nach Personen und Sachen Zugang zum Schengener Informationssystem (SIS) (Art. 7 Abs. 1 lit. e Ziff. 1 der Verordnung vom 7. Mai 2008 über den nationalen Teil des Schengener Informationssystems [N-SIS] und das SIRENE-Büro [N-SIS-Verordnung; SR 362.0]). Es ist zur Erfüllung seiner Aufgaben u.a. befugt, den Verkehr von Personen zu kontrollieren, namentlich deren Identität sowie deren Berechtigung zum Grenzübertritt und zum Aufenthalt in der Schweiz (Art. 100 Abs. 1 lit. a Ziff. 1-3 ZG). Personenkontrollen nach
Art. 100 Abs. 1 lit. a ZG
können, anders als die (Zwangs-)Massnahmen nach
Art. 101 ff. ZG
, unabhängig von einem konkreten Verdacht erfolgen (THOMAS ZUBER, in: Polizeiliche Ermittlung, Ein Handbuch der Vereinigung der Schweizerischen Kriminalpolizeichefs zum polizeilichen Ermittlungsverfahren gemäss der Schweizerischen Strafprozessordnung, 2008, S. 331).
Das Schweizer Grenzwachtkorps kontrolliert den Warenverkehr und leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung der grenzüberschreitenden Kriminalität, dies nicht nur an den Schengen-Aussengrenzen (Flughäfen), sondern auch an den Binnengrenzen. Jährlich werden vom Grenzwachtkorps grosse Mengen Betäubungsmittel, Medikamente etc. sichergestellt. Das Grenzwachtkorps ist zudem für rund 58 % der Fahndungserfolge im SIS verantwortlich (vgl. dazu Eidg. Zollverwaltung, Was macht der Schweizer Zoll?, Fakten & Zahlen 2011 [Ausgabe 2012]; Bericht des Bundesrates vom 26. Januar 2011 über die Eidg. Zollverwaltung, S. 46).
3.4.3
Auch wenn an den Schweizer Landgrenzen keine systematischen Personenkontrollen durchgeführt werden - dies im Übrigen bereits vor dem Beitritt der Schweiz zu Schengen (vgl. Bericht des Bundesrates vom 26. Januar 2011 über die Eidg. Zollverwaltung, S. 41; RAUBER SAXER, a.a.O., S. 280; SCHREIER/CONTIN, a.a.O., S. 299 f.) -, birgt ein Grenzübertritt an einem besetzten Grenzübergang angesichts der an dieser Stelle stattfindenden Kontrollen das Risiko in sich, Ausweispapiere vorzeigen und die Frage nach verzollbaren Waren beantworten zu müssen. Nach welchen Kriterien eine solche verdachtsunabhängige Kontrolle geschieht, liegt im Ermessen der Grenzbehörde. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Führer eines Fahrzeugs am Schweizer Zoll nicht bloss "durchgewinkt", sondern nach seinen Papieren und nach verzollbaren Waren gefragt wird, kann vor diesem Hintergrund durchaus als gross bezeichnet werden. Verhält sich der
BGE 138 IV 169 S. 178
Fahrzeuglenker auffällig nervös, liegt es nahe, dass die Zollbehörden Verdacht schöpfen, ihn einer weitergehenden Kontrolle unterziehen und dabei auf die im Fahrzeug versteckten Drogen stossen.
Unter den gegebenen Umständen muss als erstellt gelten, dass die Grenzwache den Beschwerdeführer mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ohne den Hinweis aus Slowenien angehalten hätte und angesichts seines auffälligen Verhaltens auf die Drogen in seinem Fahrzeug gestossen wäre. Dies muss für die Verneinung der Fernwirkung genügen. Davon geht die Vorinstanz aus, wenn sie ausführt, der Hinweis aus Slowenien habe höchstens eine "sehr untergeordnete Rolle" gespielt. Selbst wenn die Telefonüberwachung in Slowenien illegal gewesen wäre, würde dies somit gestützt auf die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht zur Unverwertbarkeit der in der Schweiz gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beweise führen. Dessen Rüge ist unbegründet. | null | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c8c371eb-7d8d-4ce5-8d69-4c983d0c76a1 | Urteilskopf
126 V 435
73. Urteil vom 27. Dezember 2000 i. S. P. gegen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau und AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau | Regeste
Art. 29septies Abs. 1 AHVG
: Betreuungsgutschriften.
Versicherte, welche Personen betreuen, die - gemäss deutschem Gesetzestext - Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder der IV für mindestens mittlere Hilflosigkeit haben, haben ein Recht auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift, falls sie auch die übrigen Voraussetzungen erfüllen.
Nicht notwendig ist, dass die betreuten Personen die Hilflosenentschädigung tatsächlich beziehen, wie dies in der französischen und italienischen Fassung des Gesetzes verlangt wird. | Sachverhalt
ab Seite 435
BGE 126 V 435 S. 435
A.-
Die 1937 geborene P. ersuchte die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau am 11. September 1998 um Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997, da sie während dieser Zeit für ihre dauernd pflegebedürftige Mutter R. gesorgt habe. Mit
BGE 126 V 435 S. 436
Verfügung vom 20. Oktober 1998 lehnte die Ausgleichskasse das Gesuch ab mit der Begründung, Betreuungsgutschriften würden nur für Zeitabschnitte angerechnet, während denen betreute Personen eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung für mindestens mittlere Hilflosigkeit beanspruchen könnten.
B.-
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau ab (Entscheid vom 14. Januar 1999).
C.-
P. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, es sei ihr für das Jahr 1997 eine Betreuungsgutschrift zu gewähren. Der Eingabe liegt ein Vorbescheid der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 17. Dezember 1998 über die vorgesehene Zusprechung einer Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades für die Zeit vom 1. November 1997 bis 28. Februar 1998 bei.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) lässt sich nicht vernehmen.
Im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels stellt das BSV das Rechtsbegehren, in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde seien rückwirkend Betreuungsgutschriften zu gewähren, während sich die Ausgleichskasse eines Antrages enthält und P. auf eine Stellungnahme verzichtet.
D.-
Im Laufe des Instruktionsverfahrens sind die Akten der IV-Stelle des Kantons Thurgau eingeholt worden.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss dem mit der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen
Art. 29septies Abs. 1 AHVG
haben Versicherte, welche im gemeinsamen Haushalt Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder Geschwister mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder IV für mindestens mittlere Hilflosigkeit betreuen, Anspruch auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift (Satz 1). Sie müssen diesen Anspruch jährlich schriftlich anmelden (Satz 2). Verwandten sind Ehegatten, Schwiegereltern und Stiefkinder gleichgestellt (Satz 3).
b) Wird der Anspruch auf Betreuungsgutschrift nicht innert fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres angemeldet, in welchem eine Person betreut wurde, so wird die Gutschrift für das betreffende Jahr nicht mehr im individuellen Konto vermerkt (
Art. 29septies Abs. 5 AHVG
).
BGE 126 V 435 S. 437
Nach Art. 52k in Verbindung mit
Art. 52f Abs. 1 AHVV
werden während des Jahres, in dem der Anspruch entsteht, keine Betreuungsgutschriften angerechnet.
2.
a) Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Anrechnung von Betreuungsgutschriften für das Jahr 1997 hat. Dabei ist zu beachten, dass die IV-Stelle der Mutter der Versicherten mit während der Dauer des letztinstanzlichen Verfahrens ergangener Verfügung vom 18. Mai 1999 rückwirkend eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades zugesprochen und festgestellt hat, der Anspruch auf Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades sei mehrere Jahre vor der Anmeldung entstanden, denn die Mutter der Versicherten sei seit Jahren in fünf alltäglichen Lebensverrichtungen in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen gewesen. Demzufolge konnte die Hilflosenentschädigung wegen verspäteter Anmeldung nur für die Zeit vom 1. November 1997 bis 28. Februar 1998 ausgerichtet werden.
b) Die Ausgleichskasse vertritt mit Blick auf den Umstand, dass der Mutter der Versicherten lediglich für die Zeit ab 1. November 1997 Hilflosenentschädigung ausbezahlt worden ist, die Ansicht, der Anspruch auf Anrechnung von Betreuungsgutschriften sei ebenfalls erst im Jahr 1997 entstanden. Da das Jahr der Entstehung des Anspruchs nicht berücksichtigt werde, könne für das Jahr 1997 keine Betreuungsgutschrift gewährt werden.
Demgegenüber macht das BSV geltend, dass eine Hilflosenentschädigung wegen verspäteter Anmeldung erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Auszahlung gelange, vereitle die Anwendung von
Art. 29septies Abs. 1 AHVG
nicht. Für die Gewährung der Betreuungsgutschriften sei nicht in erster Linie massgebend, ob und wann der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung geltend gemacht worden sei. Im Vordergrund stehe vielmehr das Vorhandensein eines Pflegeverhältnisses und einer Pflegebedürftigkeit, weshalb vorliegend für das Jahr 1997 eine Betreuungsgutschrift anzurechnen sei.
c) Die Beschwerdegegnerin verkennt, dass der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Anrechnung von Betreuungsgutschriften nicht mit dem Beginn der Leistung von Hilflosenentschädigung an die betreute Person zusammenfallen muss. Es stellt sich indessen die Frage, ob der Umstand, dass die der Mutter der Beschwerdeführerin zustehende Hilflosenentschädigung erst ab 1. November 1997 ausgerichtet wurde, der Anrechenbarkeit einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997 entgegensteht.
BGE 126 V 435 S. 438
3.
Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (
BGE 125 II 196
Erw. 3a, 244 Erw. 5a,
BGE 125 V 130
Erw. 5, 180 Erw. 2a, je mit Hinweisen).
Im Rahmen verfassungskonformer oder verfassungsbezogener Auslegung ist sodann, soweit mit den erwähnten normunmittelbaren Auslegungselementen vereinbar, rechtsprechungsgemäss der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten, wobei der klare Sinn einer Gesetzesnorm nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden darf (
BGE 126 V 97
Erw. 4b,
BGE 121 V 352
Erw. 5,
BGE 119 V 130
Erw. 5b, je mit Hinweisen). Begründet wird die verfassungskonforme Auslegung hauptsächlich mit der Einheit der Rechtsordnung und der Überordnung der Verfassung (ULRICH HÄFELIN, Die verfassungskonforme Auslegung und ihre Grenzen, in: Recht und Prozess als Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981, S. 241-259, insbes. S. 242). Da die neue Bundesverfassung am Stufenbau der landesinternen Rechtsordnung grundsätzlich nichts geändert hat (GEORG MÜLLER, Formen der Rechtssetzung, in: ULRICH ZIMMERLI [Hrsg.], Die neue Bundesverfassung, Konsequenzen für Praxis und Wissenschaft, Berner Tage für die juristische Praxis [BTJP] 1999, Bern 2000, S. 249-266, insbes. S. 250; vgl. auch
Art. 182 Abs. 1 BV
), sind die Normen auch unter Geltung der neuen Bundesverfassung so auszulegen, dass sie mit deren Grundwerten übereinstimmen (
BGE 126 V 97
Erw. 4b).
a) Dem Wortlaut des deutschen
Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG
nach muss die betreute Person Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung für mindestens mittlere Hilflosigkeit haben. Dass sie die Hilflosenentschädigung auch tatsächlich beziehen muss, damit der versicherten Person Betreuungsgutschriften gewährt werden können, ergibt sich jedoch nicht aus dem Gesetzestext. Mit Blick darauf, dass
BGE 126 V 435 S. 439
bei der grammatikalischen Auslegung von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der drei Amtssprachen auszugehen ist (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. März 1986 über die Gesetzessammlungen und das Bundesblatt; SR 170.512) und dass diesem Auslegungselement nur untergeordnete Bedeutung zukommt, wenn die drei verschiedenen sprachlichen Versionen nicht vollständig übereinstimmen oder sich gar widersprechen (
BGE 119 V 127
Erw. 4a mit Hinweis), ist zu prüfen, wie es sich mit der französischen und der italienischen Fassung verhält. Die französische Version lautet: "Les assurés qui prennent en charge des parents de ligne ascendante ou descendante ainsi que des frères et soeurs au bénéfice d'une allocation de l'AVS ou de l'AI pour impotent de degré moyen au moins et avec lesquels ils font ménage commun, peuvent prétendre à une bonification pour tâches d'assistance." Nach dem italienischen Wortlaut werden Versicherten "(...) che si occupano di parenti di linea ascendente o discendente nonché di fratelli e sorelle che beneficiano di un assegno dell'AVS o dell'AI per grandi invalidi, con un'invalidità almeno di grado medio, e che vivono in comunione domestica con essi (...)" Betreuungsgutschriften gewährt. Die französische wie die italienische Fassung gehen somit, entgegen dem deutschen Text, davon aus, dass die betreute Person die Hilflosenentschädigung tatsächlich empfangen muss, damit der versicherten Person Betreuungsgutschriften angerechnet werden können.
b) Zu prüfen ist des Weiteren, ob die Materialien zuverlässigen Aufschluss über die Auslegung des
Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG
geben. Nach ständiger Rechtsprechung stellen sie, gerade bei jüngeren Gesetzen, ein wichtiges Erkenntnismittel dar, von dem im Rahmen der Auslegung stets Gebrauch zu machen ist (
BGE 125 V 131
Erw. 5 in fine mit Hinweisen). Sie können namentlich dann, wenn eine Bestimmung unklar ist oder verschiedene, einander widersprechende Auslegungen zulässt, ein wertvolles Hilfsmittel sein, um den Sinn der Norm zu erkennen und damit falsche Auslegungen zu vermeiden. Nach gefestigter Rechtsprechung sind sie aber für sich allein nicht geeignet, direkt auf den Rechtssinn einer Gesetzesbestimmung schliessen zu lassen, weil das Gesetz sich mit seinem Erlass von seinen Schöpfern löst und ein eigenständiges rechtliches Dasein entfaltet (
BGE 124 V 189
Erw. 3a). Schliesslich sind die Materialien als Auslegungshilfe nicht dienlich, wo sie keine klare Antwort geben (
BGE 124 V 190
Erw. 3a mit Hinweisen).
In der bundesrätlichen Botschaft über die zehnte Revision der Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 5. März 1990 (BBl
BGE 126 V 435 S. 440
1990 II 1 ff.) war das Institut der Betreuungsgutschriften noch nicht vorgesehen. Erst im Verlaufe der parlamentarischen Beratung wurde es gestützt auf die Vorarbeiten der Kommission des Nationalrates als Bestandteil des neuen, grundsätzlich zivilstands- und geschlechtsunabhängigen Individual-Rentensystems mit Beitragssplitting aufgenommen (Amtl.Bull. 1993 N 207 ff.). Zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und aufwändigen Abklärungen legte man Wert auf die Schaffung präziser Anspruchsvoraussetzungen und fand diese in der "Begrenzung des Personenkreises auf enge Verwandte und den zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen Hilflosenentschädigung mittleren Grades und Hausgemeinschaft" (Amtl.Bull. 1993 N 215, vgl. auch 233 und 256; Amtl.Bull. 1994 S 550 und 560). Diesen Absichten trägt bereits die deutsche Fassung des
Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG
(vgl. Erw. 1 hievor) Rechnung. Eine zusätzliche Abgrenzung oder eine Verminderung des Abklärungsaufwandes wird durch die französische und die italienische Version (Erw. 3a hievor) nicht erreicht.
Die Abweichung der deutschen von der französischen und der italienischen Fassung des
Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG
wurde nicht erst in der Differenzbereinigung geschaffen, sondern bestand bereits in der ersten Version des Gesetzesartikels (vgl. die deutsche und französische Formulierung des von der Nationalratskommission beantragten Textes: Amtl.Bull. 1993 N 255 f.). Aus den Materialien ergeben sich keine Hinweise darauf, welche Aussage ursprünglich beabsichtigt war, noch lässt sich der Grund der unterschiedlichen Formulierung feststellen, weshalb anzunehmen ist, dass sie aus einer Ungenauigkeit in der Übersetzung entstanden ist.
c) Die in
Art. 29septies AHVG
statuierten Betreuungsgutschriften werden auf Gesetzesstufe nicht näher konkretisiert. Die Verordnung enthält eine Umschreibung des Erfordernisses des gemeinsamen Haushaltes (
Art. 52g AHVV
) sowie eine Sonderbestimmung für versicherte Personen, welche Minderjährige pflegen (
Art. 52h AHVV
); ausserdem regelt sie die Aufteilung der Betreuungsgutschrift in Fällen, in denen mehrere Personen die Voraussetzungen für eine Anrechnung erfüllen (
Art. 52i AHVV
), sowie deren Festsetzung (Art. 52k in Verbindung mit
Art. 52f AHVV
) und Anmeldung (
Art. 52l AHVV
). Für die vorliegend umstrittene Frage liefert die Systematik keine Aufschlüsse.
d) Sinn und Zweck von
Art. 29septies AHVG
besteht darin, die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, die regelmässig zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten führt, als fiktives
BGE 126 V 435 S. 441
Einkommen bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen und damit zu verhindern, dass die unentgeltliche Verrichtung von Betreuungsarbeit für nahe Angehörige den individuellen Rentenanspruch schmälert (Amtl.Bull. 1993 N 209; THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997,
§ 36 N 34
f.). Die Anrechnung von Betreuungsgutschriften ist für die Pflege von Personen vorgesehen, die für die alltäglichen Lebensverrichtungen so sehr der Hilfe Dritter oder der persönlichen Überwachung bedürfen, dass bei ihnen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung gegeben sind. Mit dem Erfordernis der Hilflosigkeit mittleren Grades der betreuten Person wird das Vorliegen eines Mindestmasses an Pflegebedürftigkeit sowie gleichzeitig eines Mindestmasses an zeitlichem Pflegeaufwand sichergestellt. Steht der Anspruch der betreuten Person auf Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades fest, sind diese Voraussetzungen erfüllt. Keine Rolle spielt dabei, ob die Hilflosenentschädigung tatsächlich bezogen wird.
4.
a) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Materialien sowie der Sinn und Zweck der Bestimmung die auf dem deutschen Wortlaut des
Art. 29septies Abs. 1 Satz 1 AHVG
basierende Auslegung stützen, wonach der Anspruch auf Hilflosenentschädigung für mindestens mittlere Hilflosigkeit für die Anrechenbarkeit von Betreuungsgutschriften genügt und der Bezug der Hilflosenentschädigung nicht vorausgesetzt wird. Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Grundsätze der verfassungskonformen oder verfassungsbezogenen Auslegung bestätigt, da das Abstellen auf die französische oder italienische Fassung der Norm zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen den Versicherten, welche eine Person betreuen, die zwar einen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mittleren Grades hat, die Hilflosenentschädigung aber nicht bezieht, und denjenigen, welche eine Person betreuen, die in den Genuss einer Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit mindestens mittleren Grades kommen, führen würde. Denn Pflegebedürftigkeit und Pflegeaufwand sind in beiden Fällen gleich gross.
b) Dem BSV kann somit insoweit beigepflichtet werden, als es die Anrechnung von Betreuungsgutschriften auch in Fällen als zulässig erachtet, in denen die betreute Person die Hilflosenentschädigung wegen verspäteter Anmeldung nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt beziehen kann. Im zu beurteilenden Fall
BGE 126 V 435 S. 442
ist den Anforderungen an den Nachweis der grossen Pflegebedürftigkeit der betreuten Person mittels der in einem Verwaltungsverfahren - rechtskräftig - festgestellten langjährigen Hilflosigkeit der von der Beschwerdeführerin betreuten Mutter zweifellos Genüge getan, zumal die Ausgleichskasse gegen das Abklärungsergebnis der IV-Stelle zur Hilflosigkeit keine Einwendungen erhebt. Deshalb kann im vorliegenden Prozess offen bleiben, ob der Anspruch auf Hilflosenentschädigung mindestens mittleren Grades notwendigerweise in dieser Form von der jeweils zuständigen Verwaltungsbehörde festgestellt worden sein muss, damit die Anspruchsvoraussetzungen des
Art. 29septies Abs. 1 AHVG
als erfüllt gelten können.
5.
Die IV-Stelle hat am 18. Mai 1999 erkannt, dass die am 5. Februar 1998 verstorbene Mutter der Versicherten vor ihrem Tod mehrere Jahre in mittelschwerem Grad hilflos gewesen war. Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung entsteht am ersten Tag des Monats, in dem sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind und die Hilflosigkeit schweren oder mittleren Grades ununterbrochen während mindestens eines Jahres bestanden hat (
Art. 43bis Abs. 2 AHVG
). Es steht fest, dass der Anspruch auf Hilflosenentschädigung bereits vor 1997 entstanden ist und die Hilflosenentschädigung einzig darum erst ab 1. November 1997 ausgerichtet wurde, weil die Anmeldung zum Bezug von Hilflosenentschädigung verspätet erfolgt war (
Art. 46 Abs. 2 AHVG
). Dass diese - unbestrittenen - Tatsachen erst nach der Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 20. Oktober 1998 bekannt wurden, steht ihrer Beachtlichkeit im letztinstanzlichen Verfahren nicht entgegen.
Wie die Ausgleichskasse zutreffend ausführt, werden während des Jahres, in dem der Anspruch entsteht, keine Betreuungsgutschriften angerechnet (Art. 52k in Verbindung mit
Art. 52f Abs. 1 AHVV
; vgl. Erw. 1b hievor). Die Beschwerdeführerin erfüllt allerdings die Voraussetzungen zur Anrechnung von Betreuungsgutschriften nicht erst seit 1997. Sie hat ihre seit längerer Zeit in mittlerem Grad hilflos gewesene Mutter auch schon im Jahr 1996 betreut und die Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997 rechtzeitig (
Art. 29septies Abs. 5 AHVG
) angemeldet. Da ihr Anspruch auf die Gewährung von Betreuungsgutschriften somit vor 1997 entstanden ist, hat sie - entsprechend ihrer Anmeldung vom 11. September 1998 - ein Recht auf Anrechnung einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 1997. | null | nan | de | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8c8108f-c56c-4e33-8e93-cb4b5807aeea | Urteilskopf
102 Ib 193
31. Auszug aus dem Urteil vom 15. September 1976 i.S. W. gegen Regierungsrat des Kantons Zug | Regeste
Führerausweisentzug.
1. Ob ein Führerausweisentzug auf Art. 16 Abs. 2 oder 16 Abs. 3 lit. a SVG gestützt wird, ist eine Frage der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes, in der die Administrativbehörde grundsätzlich nicht an das Erkenntnis des Strafrichters gebunden ist (E. 3c).
2. Verhältnis zwischen
Art. 16 und 90 SVG
(E. 3d).
3. Die Anwendung von
Art. 90 Ziff. 1 SVG
durch den Strafrichter verpflichtet die Administrativbehörde nicht, ihre Massnahme auf
Art. 16 Abs. 2 SVG
zu stützen (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 194
BGE 102 Ib 193 S. 194
Am 14. April 1972 fuhr W. mit einer Geschwindigkeit von 140-160 km/h auf der Sihltalstrasse in Adliswil. Diese Strasse ist als Umfahrungsstrasse ausgebaut und weist eine Spur für jede Fahrtrichtung auf. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung galt zu jenem Zeitpunkt weder generell noch war eine solche auf dieser Strasse speziell signalisiert.
Als W. nach seinen Angaben ca. 150 m von der im spitzen Winkel einmündenden Albisrampe entfernt war, sah er den von F. gesteuerten Personenwagen auf dieser Rampe in die Sihltalstrasse einbiegen.
W. versuchte, F. durch Hupsignale zur Freigabe seiner Fahrspur zu bewegen. Dieser hielt sich in der Folge stark an die rechte Strassenseite, was W. ermöglichte, ihn ohne Überfahren der Sicherheitslinie zu überholen. Beim Überholmanöver hatte W. nur einen sehr kleinen Abstand zum Fahrzeug von F. Dieser schwenkte darum nach rechts aus, geriet über den Strassenrand hinaus und kollidierte mit einem Beleuchtungskandelaber.
Das Bezirksgericht Horgen verurteilte W. am 2. November 1973 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 32 Abs. 1, 34 Abs. 4 und 35 Abs. 3 SVG) in Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
zu 14 Tagen Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug, Probezeit vier Jahre.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte zwar am 21. März 1974 im wesentlichen die Sachverhaltsfeststellung des erstinstanzlichen Urteils, sprach W. jedoch nur wegen einfacher Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 1 SVG
schuldig und reduzierte die Strafe auf eine Busse von Fr. 500.--. Bereits am 23. Mai 1972 hatte die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug W. den Führerausweis für die Dauer von fünf Monaten entzogen. Gegen diesen Entscheid führte W. Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zug. Dieser wies die Beschwerde am 13. April 1976 ab und stützte den Führerausweisentzug ausdrücklich auf
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
.
W. beantragt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde, es sei der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Zug aufzuheben
BGE 102 Ib 193 S. 195
und die Dauer des Führerausweisentzuges auf einen Monat zu beschränken.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
In rechtlicher Hinsicht betrachtete die Vorinstanz die Geschwindigkeit, mit der W. gefahren war, begründeterweise als übersetzt. Im Bereiche einer Einmündung auf eine normale zweispurige Strasse war eine Geschwindigkeit von 140-160 km/h, auch als noch keine generelle Höchstgeschwindigkeit galt, zu hoch, denn dort muss mit wesentlich langsamer fahrenden, einbiegenden Fahrzeugen gerechnet werden. Der Beschwerdeführer räumt denn auch im zweitinstanzlichen Strafverfahren ein, mit übersetzter Geschwindigkeit gefahren zu sein.
Die Vorinstanz macht W. ferner den Vorwurf, sein Abstand zum Fahrzeug F. sei beim Überholen ungenügend gewesen (
Art. 34 Abs. 4 SVG
) und er habe es an der besonderen Rücksichtnahme gegenüber dem Lenker des zu überholenden Fahrzeuges fehlen lassen (
Art. 35 Abs. 3 SVG
). Da W. erwiesenermassen F. zur Freigabe der Fahrbahn drängte und beim Überholen einen sehr kleinen seitlichen Abstand zu diesem hielt, ist dieser Vorwurf gerechtfertigt. Die Fahrweise von W. ist selbst dann zu beanstanden, wenn angenommen wird, F. sei unter Missachtung des Vortrittsrechtes auf die Fahrbahn eingeschwenkt. Der Beschwerdeführer hätte nämlich seinen Vortritt nicht unbekümmert um andere Strassenbenützer ausüben dürfen, sondern wäre verpflichtet gewesen, auf ein allfälliges fehlerhaftes Verhalten eines Vortrittsbelasteten Rücksicht zu nehmen, zumal da dieser auf 150 m sichtbar war. Dass dies möglich gewesen wäre, hat die Vorinstanz überzeugend nachgewiesen. Sie kam nämlich zum Schluss, dass W. eine genügend grosse Distanz zur Verfügung gestanden hat, um sein Tempo so stark zu reduzieren, dass er nicht mehr hätte überholen müssen. (Nach den Berechnungen der Vorinstanz hat W. das Fahrzeug von F., das sich ebenfalls in Fahrt befand, ca. 250 m nachdem er es erblickt hatte, eingeholt. Auf dieser Strecke hätte W. nach diesen Berechnungen sein Fahrzeug sogar zum Stillstand bringen können.) Der Beschwerdeführer bestreitet auch diese Verkehrsregelverletzung nicht mehr grundsätzlich.
BGE 102 Ib 193 S. 196
3.
a) Er macht jedoch geltend, die Vorinstanz habe sich zu Unrecht über die Tatsache hinweggesetzt, dass seine Fahrweise vom Obergericht des Kantons Zürich als einfache Verkehrsregelverletzung nach
Art. 90 Ziff. 1 SVG
qualifiziert worden sei. Bei dieser Lage habe der Regierungsrat den Führerausweis nicht unter Annahme einer schweren Gefährdung des Verkehrs, gestützt auf
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
entziehen dürfen. Eine solche Abweichung von der rechtlichen Würdigung des Strafrichters sei unzulässig.
b) Die Tatbestandsumschreibungen für den Führerausweisentzug und die strafrechtliche Sanktion stimmen nicht überein. Es bestehen aber gewisse Parallelen zwischen
Art. 16 Abs. 2 und 90 Ziff. 1 SVG
einerseits,
Art. 16 Abs. 3 lit. a und
Art. 90 Ziff. 2 SVG
andererseits (
BGE 101 Ib 273
). Insbesondere sind die Formulierungen "... wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat" (
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
) und "Wer ... eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft ..." (
Art. 90 Ziff. 2 SVG
) ähnlich. Es stellt sich darum die Frage, ob sich die Administrativbehörde in der Beurteilung der Schwere der Verkehrsgefährdung vom Erkenntnis des Strafrichters entfernen darf.
c) Der Entscheid über die Schwere einer Verkehrsgefährdung ist eine Frage der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes. Ob darin eine Bindung der Administrativbehörden an das Strafurteil bestehe, sofern dieses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vollständig ist, wurde vom Bundesgericht in
BGE 96 I 775
zunächst offen gelassen. Im nicht publizierten Entscheid vom 9. April 1976 i.S. Grosjean führt das Bundesgericht nun aus, in reinen Rechtsfragen sei die Verwaltungsbehörde nicht an die Beurteilung durch den Strafrichter gebunden, denn sonst würde die Verwaltung in ihrer freien Rechtsanwendung beschränkt. Eine andere Lösung ist nach diesem Entscheid höchstens gerechtfertigt, wenn die rechtliche Würdigung eines Falles sehr stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde.
Eine solch enge Verknüpfung von Sachverhaltsfeststellung und Rechtsanwendung liegt im zu beurteilenden Fall nicht vor. Somit ist die Verwaltungsbehörde in ihrer rechtlichen Qualifikation des Verhaltens von W. schon aus diesem Grund frei.
d) In
Art. 90 Ziff. 2 SVG
ist die schwere Gefährdung des
BGE 102 Ib 193 S. 197
Verkehrs nicht das einzige Tatbestandselement; diese Gefährdung muss zusätzlich durch eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln eingetreten sein. Diese Bestimmung legt damit ein Schwergewicht auf das Verschulden des Fahrzeuglenkers und verlangt eine Würdigung eines Sachverhaltes unter einem subjektiven Gesichtspunkt. Die nach
Art. 90 SVG
verhängte Sanktion ist dementsprechend eine besonders dem subjektiven Verschulden angemessene Strafe.
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
hingegen stellt mehr auf die objektive Gefährdung des Verkehrs ab. Die auf Grund dieser Bestimmung ausgesprochene Sanktion ist denn auch eine sichernde oder warnende Massnahme und nicht eine Strafe (nicht veröffentlichte Urteile Détraz vom 21. Dezember 1973, E. 2 und Stäheli vom 5. November 1973, E. 2a).
Da Art. 16 Abs. 3 lit. a und 90 Ziff. 2 SVG neben ihrer Ähnlichkeit somit einen wesentlichen Unterschied aufweisen, kann die Verwaltungsbehörde auch aus diesem Grund nicht an die rechtliche Würdigung des Strafrichters gebunden sein. Der Regierungsrat des Kantons Zug durfte daher den Führerausweis auf Grund von Art. 16 Abs. 3 lit. a entziehen, auch wenn das Obergericht des Kantons Zürich die Anwendung von
Art. 90 Ziff. 2 SVG
abgelehnt hatte.
4.
Die Vorinstanz ist der Ansicht, W. habe den Verkehr in schwerer Weise gefährdet.
Das Überholmanöver des Beschwerdeführers war in der Tat sehr riskant: Sein Tempo war übersetzt; er drängte F. auf die Seite und hielt, als er an diesem vorbeifuhr, rücksichtslos einen zu kleinen seitlichen Abstand ein.
Es ist schwer verständlich, wie das Obergericht des Kantons Zürich zum Schluss kommen konnte, W. habe sich durch sein "riskantes Manöver in erster Linie selbst" gefährdet. Bei einem Überholvorgang ist eine Selbstgefährdung fast immer mit einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verbunden. Das trifft im vorliegenden Fall in hohem Masse zu, denn F. wurde beträchtlich gefährdet. Selbst wenn dieser, durch das Überholmanöver überrascht, sich selber nicht ganz richtig verhalten haben sollte, vermindert dies die Gefahr, die mit der Fahrweise von W. verbunden war, nicht.
Der Regierungsrat des Kantons Zug hat somit zu Recht entschieden, W. habe den Verkehr im Sinne von
Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG
in schwerer Weise gefährdet. Bei dieser Lage
BGE 102 Ib 193 S. 198
ist der Entzug des Führerausweises obligatorisch. Die Entzugsdauer von fünf Monaten liegt in Anbetracht der Schwere der Gefährdung und der Tatsache, dass W. schon im Jahr 1969 der Führerausweis wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand für die Dauer von vier Monaten entzogen wurde, im Ermessensspielraum der Vorinstanz.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c8c86013-62c7-457f-aae3-e478810e4421 | Urteilskopf
95 I 57
9. Extrait de l'arrêt du 28 février 1969 en la cause Administration neuchâteloise de la taxe militaire contre Rausis. | Regeste
Militärpflichtersatz, Art. 4 Abs. 1 lit. b MPG.
Kausalzusammenhang, Beweislast (Klarstellung der Rechtsprechung; Erw. 2).
Angeborene Veränderung der Wirbelsäule, Verschlimmerung infolge des Dienstes (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 58
BGE 95 I 57 S. 58
1.
L'art. 4 al. 1 litt. b LTM exonère notamment de la taxe militaire celui qui, en raison d'une atteinte portée à sa santé par le service militaire, n'est plus apte à l'accomplir. L'aggravation sensible et durable d'une maladie antérieure au service constitue une telle atteinte. Si l'aggravation n'est que temporaire, l'exonération l'est aussi. Celle-ci prend fin dès que celle-là n'est plus imputable au service. Plus précisément, l'exonération cesse soit au moment où l'état antérieur au service est rétabli, soit au moment où, sans le service, l'état du malade eût été le même (RO 85 I 61 s.
;
90 I 50
).
2.
Appelé à statuer sur ces questions, le juge élucide d'office les circonstances de fait et en déduit d'office les conséquences juridiques. Cette conception du rôle du juge n'élimine pourtant pas la question du fardeau de la preuve. Lorsqu'après une instruction aussi complète que possible, le juge n'est pas parvenu à élucider complètement les faits, il doit faire supporter à l'une des parties les conséquences de l'incertitude qu'il ne peut dissiper. L'objet des règles sur la répartition du fardeau de la preuve est précisément de désigner cette partie (RO 92 I 255/256 et les références). Faute de disposition légale directement applicable, le juge recourra, en matière de taxe militaire, au principe général du droit, qui trouve notamment son expression à l'art. 8 CC et selon lequel l'échec de la preuve d'un fait tourne au détriment de la partie qui aurait pu déduire de ce fait un droit (RO 92 I 257 consid. 3 et la référence).
a) S'agissant de la naissance du rapport de causalité, le Tribunal fédéral a nié que le malade fût "à proprement parler" chargé du fardeau de la preuve (RO 85 I 61). En réalité, il le lui fait supporter. Il ne retient l'existence d'un rapport de causalité entre le service et l'état du malade qu'en cas de certitude, de vraisemblance suffisante ou, exceptionnellement, s'il y a eu accident grave au service, de simple possibilité (RO 81 I 67, 85 I 60 ss., 90 I 51; arrêts non publiés Le Blanc, du 22 décembre 1953, consid. 1; Renevier, du 13 mars 1959, consid. 1; Kohler, du 1er juin 1962, consid. 2; Administration fédérale des contributions, du 1er février 1963, consid. 3 et Altorfer, du 15 juillet
BGE 95 I 57 S. 59
1966, consid. 1). En règle générale, il tranche donc tous les cas douteux en faveur de l'administration et contre le malade. Cette jurisprudence est conforme au principe rappelé. Celui qui prétend un droit supporte les conséquences de l'échec de la preuve des faits dont il voulait le déduire.
b) Appliqué à la rupture du lien de causalité entre le service et l'état du malade, le même principe conduit à imposer le fardeau de la preuve à l'administration. Celui qui allègue des faits de nature à supprimer un droit doit démontrer leur existence (KUMMER, Berner Kommentar zum schweiz. Zivilrecht, 1962, n. 160 ss. ad art. 8 CC). Certes, là encore, le juge n'exigera pas une certitude absolue et se contentera d'une vraisemblance suffisante. S'il paraît probable que les effets du service n'influent plus sur l'état du malade, la taxe sera due. En revanche, dans les cas douteux, qui ne peuvent être suffisamment élucidés ni à l'aide des éléments d'appréciation recueillis, ni au moyen d'une instruction complémentaire, le malade continuera d'être exonéré du paiement de la taxe. Si les faits qui justifieraient le retrait de l'exonération ne sont pas établis, il reste au bénéfice de la situation acquise.
3.
Atteint d'une déviation lombaire qu'il ne soupçonnait pas jusqu'en 1963, l'intimé a fourni cette année-là, pendant un cours de complément, des efforts qui ont déclenché des lombalgies. Ce service a donc aggravé une maladie préexistante. Aussi, tant que dure l'aggravation imputable au service, l'intimé est-il dispensé de payer la taxe militaire. Pour qu'il y soit astreint, il faut ou bien qu'il ait retrouvé son état antérieur au service, ou bien que, sans le service, il eût été dans le même état que maintenant.
La première condition n'est pas remplie. Rien ne laisse supposer qu'avant le cours de 1963, l'intimé ait souffert de lombalgies. Il le conteste, sans être contredit par la recourante. Il prétend n'avoir jamais été tout à fait exempt de douleurs depuis le service où elles se sont déclarées. S'il n'a pas consulté de médecin de 1964 à 1966, cela ne signifie pas que, durant cette période, il n'ait pas subi de troubles. En tout cas, les trois experts qui l'ont examiné rapportent ses doléances et aucun ne les suspecte d'être infondées. Dans ces circonstances, il n'est nullement certain, ni même vraisemblable que l'état de l'intimé soit actuellement le même qu'avant le service. Même s'il subsistait un doute à cet égard, il n'y aurait pas lieu de priver
BGE 95 I 57 S. 60
l'intimé du bénéfice de l'exonération. Ainsi qu'il résulte des principes développés, le doute profite au malade.
La seconde condition n'est pas réalisée non plus. En 1964, le Dr Borel avait émis un pronostic qui s'est révélé trop optimiste et sur lequel le juge ne saurait se fonder. En 1967, le Dr Wyss écrivait: "Der Verschlimmerungsfaktor ist nicht von der Hand zu weisen"; il n'excluait donc pas que le service jouât encore un rôle aggravant. En 1968, le Dr de Montmollin jugeait "extrêmement difficile" de se prononcer sur la persistance de troubles imputables au service. Vu la perplexité de ces médecins, tous spécialistes en orthopédie, il est impossible d'affirmer que, sans le service, l'intimé souffrirait autant qu'aujourd'hui. Pour les motifs exposés, le doute qui subsiste sur ce point justifie le maintien de l'exonération.
La nouvelle expertise requise par la recourante et l'Administration fédérale des contributions ne s'impose pas. Même si un autre médecin se prononçait plus catégoriquement que ceux qui ont été déjà consultés, il n'y aurait pas de raison de retenir son opinion plutôt que la leur.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8c92479-3471-4035-b646-dd2a75210d4b | Urteilskopf
98 Ib 53
9. Urteil vom 28. Januar 1972 i.S. B. AG gegen Eidg. Bankenkommission. | Regeste
Art. 97ff. OG. BG über das Verwaltungsverfahren. BG über die Anlagefonds.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Beschluss der Eidg. Bankenkommission, auf das Begehren eines Anlegers um Anordnung bestimmter Massnahmen nicht einzutreten (Erw. 1).
2. Befugnis des Anlegers zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 2).
3. Die in der Sache zuständige Verwaltungsbehörde des Bundes muss auf das Begehren eines Privaten um Erlass einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung eintreten, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse an der beantragten Verfügung hat (Erw. 3).
4. Dieser Grundsatz gilt auch für die Eidg. Bankenkommission als Aufsichtsbehörde über die Anlagefonds. Rückweisung an sie zur Beurteilung des Begehrens des Beschwerdeführers um Abberufung des von ihr ernannten Sachwalters (Erw. 4). Abweisung der Beschwerde, soweit sie das Begehren des Beschwerdeführers um Veranlassung eines Strafverfahrens betrifft (Erw. 5). | Sachverhalt
ab Seite 54
BGE 98 Ib 53 S. 54
A.-
Im Jahre 1960 gründeten die X. AG als Fondsleitung und die Treuhandgesellschaft Y. als Treuhänderin den Immobilien- und Wertschriften-Anlagefonds Z. Die X. AG wird von A. beherrscht. Dieser verfügt über sämtliche Aktien der B. AG, welche Inhaberin von Anteilscheinen des Fonds Z. ist.
Auf den 1. Februar 1967, den Zeitpunkt des Inkrafttretens des BG über die Anlagefonds vom 1. Juli 1966 (AFG), meldeten sich die X. AG als Fondsleitung und die Treuhandgesellschaft Y. als Depotbank bei der Eidg. Bankenkommission an, wodurch sie die Bewilligung zur Weiterführung der Geschäfte gemäss
Art. 53 Abs. 3 AFG
erwarben.
Am 29. Mai 1967 beschlossen die beiden Gesellschaften, den Anlagefonds Z. aufzulösen.
In der Folge gelangte die Bankenkommission zum Schluss, dass die X. AG bei der Leitung des Fonds ihre gesetzlichen und vertraglichen Pflichten grob verletzt habe. Sie entzog ihr daher am 26. September 1969 die Bewilligung zur Führung der Geschäfte von Anlagefonds und ernannte an ihrer Stelle für den in Liquidation stehenden Fonds Z. die Treuhandgesellschaft C. als Sachwalter. Eine von der X. AG gegen diese Verfügung erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde vom Bundesgericht am 25. September 1970 abgewiesen (
BGE 96 I 474
).
BGE 98 Ib 53 S. 55
Der Sachwalter ersetzte die bisherige Revisionsstelle der Fondsleitung durch die Revisionsgesellschaft D.
B.-
Die B. AG stellte in einer Eingabe vom 11. März 1971 an die Bankenkommission das Begehren, der Revisionsgesellschaft D. sei die Bewilligung zur Tätigkeit als Revisionsstelle des Fonds Z. mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Sie machte geltend, die Treuhandgesellschaft C. sei an der Revisionsgesellschaft D. massgebend beteiligt, weshalb dieser die erforderliche Unabhängigkeit fehle.
In einer weiteren Eingabe vom 30. März 1971 beantragte die B. AG der Bankenkommission, der Treuhandgesellschaft C. die Bewilligung zur Tätigkeit als Sachwalter für den Fonds Z. mit sofortiger Wirkung zu entziehen und die Durchführung eines Strafverfahrens gegen die verantwortlichen Funktionäre dieser Gesellschaft zu veranlassen. Zur Begründung wurde vorgebracht, die Sachwalterin habe ihre Pflichten grob verletzt. Es wurde ihr vorgeworfen, sie habe die Interessen der Anleger vernachlässigt, indem sie ein zum Fonds gehörendes Grundstück in der Bundesrepublik Deutschland zu ungünstigen Bedingungen verkauft und Gelegenheiten für eine vorteilhafte Liquidation von Immobilienwerten des Fonds in Frankreich verpasst habe. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass sie ihren ersten Rechenschaftsbericht nicht wahrheitsgetreu abgefasst und nicht rechtzeitig erstattet habe, was strafbar sei. Gerügt wurde auch, dass sie eine von ihr abhängige Revisionsstelle beigezogen habe.
Die Bankenkommission verfügte am 26. April 1971, dass sie auf die Begehren der B. AG nicht eintrete. Sie nahm unter Berufung auf die Botschaft des Bundesrates zum AFG (BBl 1965 III 312) und auf
BGE 93 I 655
an, der Anleger habe ihr gegenüber keine Parteirechte. Die Eingaben der B. AG qualifizierten sich als blosse Aufsichtsbeschwerde im Sinne des Art. 71 des BG über das Verwaltungsverfahren (VwG). Die Aufsichtsbehörde sei nicht verpflichtet, den Anleger darüber zu informieren, welche Folge sie seiner Anzeige geben wolle. Die B. AG könne sich an den Zivilrichter wenden (
Art. 25 Abs. 1 AFG
), und sie könne auch selber Strafanzeige erstatten.
C.-
Gegen diesen Entscheid erhob die B. AG Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den folgenden Anträgen:
"1.- Die angefochtene Verfügung der Eidg. Bankenkommission sei aufzuheben.
2. Es sei der Treuhandgesellschaft C. die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit
BGE 98 Ib 53 S. 56
als Sachwalterin bzw. Fondsleitung des Fonds Z. mit sofortiger Wirkung zu entziehen.
3. Es sei gegen die verantwortlichen Funktionäre der Treuhandgesellschaft C. die Durchführung eines Strafverfahrens zu veranlassen mit Bezug auf die in der Eingabe der B. AG an die Eidg. Bankenkommission vom 30. März 1971 umschriebenen Tatbestände.
4. Es sei der Revisionsgesellschaft D. die Bewilligung als Revisionsstelle des Fonds Z. mit sofortiger Wirkung zu entziehen.
5. Eventuell sei die Angelegenheit an die Eidg. Bankenkommission zurückzuweisen mit der Weisung, die Anträge der B. AG in deren Eingaben an die Eidg. Bankenkommission vom 11. März und vom 30. März 1971 materiell zu behandeln und der B. AG in diesem Verfahren die vollen Parteirechte nach dem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren einzuräumen."
Die Beschwerdeführerin berief sich auf ein ihr von Professor F. Gygi, Bern, erstattetes Rechtsgutachten.
D.-
Die Treuhandgesellschaft C. beantragte für den Fall, dass auf die Beschwerde eingetreten und das Beschwerdebegehren 1 gutgeheissen würde, die Abweisung der Beschwerdebegehren 2-4. Sie erwähnte, dass die zuständige Behörde gegen ihre verantwortlichen Funktionäre auf Anzeige der B. AG vom 1. Juni 1971 hin eine Strafuntersuchung eingeleitet habe.
E.-
Die Bankenkommission beantragte, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, falls angenommen werde, dass keine beschwerdefähige Verfügung vorliege; eventuell sei die Beschwerde abzuweisen.
F.-
Am 23. August 1971 verfügte die Bankenkommission, dass die Revisionsgesellschaft D. ihr Mandat als Revisionsstelle des Fonds Z. niederzulegen habe, da ein Mitglied des Verwaltungsrates dieser Gesellschaft auch dem Verwaltungsrat der Treuhandgesellschaft C. angehöre. Die Revisionsgesellschaft D. kam der Aufforderung nach.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es ist nicht bestritten, dass die B. AG einer der am Anlagefonds Z. beteiligten Anleger ist. In dieser Eigenschaft hat sie der Bankenkommission in Eingaben vom 11. und 30. März 1971 beantragt, der Revisionsgesellschaft D. die Bewilligung zur Tätigkeit als Revisionsstelle für den Fonds Z. zu entziehen, die Treuhandgesellschaft C. als Sachwalter für die Leitung desselben Fonds abzuberufen und gegen die verantwortlichen
BGE 98 Ib 53 S. 57
Funktionäre dieser Gesellschaft Strafanzeige zu erstatten. Die Bankenkommission hat am 26. April 1971 "verfügt", dass sie auf diese Begehren nicht eintrete, weil sie angenommen hat, der Anleger habe kein Recht darauf, dass die Aufsichtsbehörde über die Anlagefonds solche von ihm gestellte Anträge materiell prüfe und in einem ihm zu eröffnenden Sachentscheid beurteile. Damit hat sie eine Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b und c VwG getroffen, nämlich eine Anordnung in einem Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes (aus dem AFG und dem VwG abgeleitete Grundsätze) stützt und die "Feststellung des Nichtbestehens von Rechten" (der Anleger) sowie das "Nichteintreten auf Begehren um Aufhebung von Rechten und Pflichten" (des von der Aufsichtsbehörde eingesetzten Sachwalters und der von diesem beigezogenen Revisionsstelle) zum Gegenstand hat. Nach
Art. 97 Abs. 1 OG
beurteilt das Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne des Art. 5 VwG. Geht eine solche Verfügung - wie der hier angefochtene Entscheid der Bankenkommission - von einer eidgenössischen Kommission im Sinne von
Art. 98 lit. f OG
aus, so kann sie nach dieser Bestimmung unmittelbar mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden, wenn das Bundesrecht das vorsieht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt; denn
Art. 47 AFG
bestimmt, dass gegen die Entscheidungen und Verfügungen der Aufsichtsbehörde über die Anlagefonds die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig ist. Es liegt keiner der Fälle vor, in denen dieses Rechtsmittel nach
Art. 99-102 OG
ausgeschlossen ist. Die Verfügung der Bankenkommission vom 26. April 1971 unterlag demnach der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht.
Indessen ist die erhobene Beschwerde insoweit gegenstandslos geworden, als sie sich gegen den Beschluss der Bankenkommission richtet, auf das Begehren der Beschwerdeführerin um Absetzung der vom Sachwalter eingesetzten Revisionsstelle - Revisionsgesellschaft D. - nicht einzutreten; denn die Bankenkommission hat am 23. August 1971 verfügt, dass die genannte Revisionsgesellschaft das ihr vom Sachwalter erteilte Mandat niederzulegen habe.
Soweit die Verfügung vom 26. April 1971 die Begehren der Beschwerdeführerin um Abberufung des Sachwalters und um
BGE 98 Ib 53 S. 58
Einreichung einer Strafanzeige gegen die für dessen Geschäftsführung verantwortlichen Personen betrifft, ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegenstandslos geworden und ist darauf einzutreten, wenn die B. AG in diesen Punkten die Beschwerdelegitimation besitzt.
2.
Nach
Art. 103 lit. a OG
ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die B. AG ist durch den Beschluss der Bankenkommission, auf ihre Begehren um Abberufung des Sachwalters und um Einreichung einer Strafanzeige nicht einzutreten, offensichtlich berührt. Als Anlegerin ist sie auch daran interessiert, dass dieser Beschluss aufgehoben und auf jene Begehren eingetreten wird.
Art. 103 lit. a OG
verlangt nicht, dass der Beschwerdeführer ein Interesse habe, das durch das in Betracht kommende materielle Recht geschützt ist. Das Interesse kann auch bloss tatsächlicher Art sein, doch muss es auf jeden Fall schutzwürdig sein, d.h. im Beschwerdeverfahren berücksichtigt zu werden verdienen (
BGE 97 I 593
). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die rechtliche oder tatsächliche Stellung des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Beschwerdeverfahrens unmittelbar beeinflusst werden kann (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 478 f., 504; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 107 f.). So verhält es sich hier. Die B. AG wahrt mit der Beschwerde in den noch strittigen Punkten ein eigenes, unmittelbares und daher im Sinne von
Art. 103 lit. a OG
schutzwürdiges Interesse.
3.
Nach Art. 25 Abs. 2 VwG hat die in der Sache zuständige Behörde einem Begehren um Erlass einer Feststellungsverfügung über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlichrechtlicher Rechte oder Pflichten zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse nachweist. Dagegen sagt das Verwaltungsverfahrensgesetz nicht ausdrücklich, dass die Behörde auch auf ein Begehren um Durchführung eines auf den Erlass einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung gerichteten Verfahrens immer dann einzutreten habe, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers anzunehmen ist. Wie es sich damit verhält, ist durch Auslegung des Gesetzes abzuklären.
Art. 5 VwG umschreibt den Begriff der Verfügung. Darunter fallen nach Abs. 1 Anordnungen, die zum Gegenstand haben: a) Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder
BGE 98 Ib 53 S. 59
Pflichten; b) Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten; c) Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten, oder Nichteintreten auf solche Begehren. Verfügungen aller dieser Arten können gegebenenfalls durch Verwaltungsbeschwerde oder Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden. Zur einen wie zur anderen Beschwerde ist u.a. berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 48 lit. a VwG,
Art. 103 lit. a OG
). Die zur Beschwerdeführung befugte Person ist auch Partei in dem der Verfügung vorausgehenden Verfahren (Art. 6 VwG). Art. 48 lit. a VwG,
Art. 103 lit. a OG
und Art. 6 VwG hängen nicht nur miteinander, sondern auch mit Art. 25 Abs. 2 VwG eng zusammen. In Art. 6 wie in Art. 25 Abs. 2 VwG ist von der Stellung des Privaten im Verwaltungsverfahren die Rede, und die zweite Bestimmung stellt wie Art. 48 lit. a VwG und
Art. 103 lit. a OG
darauf ab, ob der Private ein schutzwürdiges Interesse hat. Art. 6 und Art. 48 lit. a VwG sowie
Art. 103 lit. a OG
beziehen sich aber auf Verfügungen aller in Art. 5 VwG genannten Arten, insbesondere auch auf Leistungs- und Gestaltungsverfügungen. Angesichts dieser Zusammenhänge drängt sich die Annahme auf, dass die in der Sache zuständige Verwaltungsbehörde entsprechend dem in Art. 25 Abs. 2 VwG für Feststellungsverfügungen aufgestellten Grundsatz auch auf das von einem Privaten gestellte Begehren um Durchführung eines auf den Erlass einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung gerichteten Verfahrens eintreten muss, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse an der beantragten Verfügung nachweist.
Diese Auslegung wird durch Art. 5 Abs. 1 lit. c und Art. 13 VwG bestätigt. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. c gilt als Verfügung auch der Beschluss einer Behörde, auf ein Begehren um Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten nicht einzutreten. Eine solche Verfügung kann vom Gesuchsteller gegebenenfalls mit Beschwerde angefochten werden, wenn er ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Änderung hat. Diese Ordnung setzt voraus, dass die Verwaltungsbehörde auch auf das Begehren eines hinlänglich interessierten Privaten um Durchführung eines Verfahrens, das zu einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung führen soll, einzutreten
BGE 98 Ib 53 S. 60
hat. Art. 13 VwG setzt dies ebenfalls voraus; denn dort ist von "einem Verfahren" (nicht nur von einem Feststellungsverfahren), das eine Partei durch ihr Begehren einleitet, die Rede und wird bestimmt, dass die Behörde auf ein solches Begehren "nicht einzutreten braucht", wenn der Gesuchsteller die notwendige und zumutbare Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes verweigert.
Das Fehlen einer dem Art. 25 Abs. 2 VwG entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung für Leistungs- und Gestaltungsverfügungen mag darauf zurückzuführen sein, dass der Gesetzgeber angenommen hat, ein genügendes Interesse des eine solche Verfügung beantragenden Gesuchstellers liege in der Regel auf der Hand (vgl. Gygi a.a.O. S. 100).
Der dargelegten Auslegung steht Art. 71 VwG nicht entgegen. Dort wird bestimmt, dass jedermann jederzeit Tatsachen, die im öffentlichen Interesse ein Einschreiten gegen eine Behörde von Amtes wegen erfordern, der Aufsichtsbehörde anzeigen kann, und dass der Anzeiger nicht die Rechte einer Partei hat. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Anzeige, im Randtitel "Aufsichtsbeschwerde" genannt, ist ein subsidiärer Rechtsbehelf für Personen, die nicht legitimiert sind (oder trotz Legitimation davon absehen), Begehren zu stellen, auf welche die Behörde (gegebenenfalls auch eine Aufsichtsbehörde) eintreten muss. Solche Begehren können aber auch den Erlass einer Leistungs- oder Gestaltungsverfügung zum Gegenstand haben, wie sich aus dem System der geltenden gesetzlichen Ordnung des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bund ergibt.
4.
Gemäss Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 lit. d VwG ist dieses Gesetz auch massgebend für das Verfahren in Verwaltungssachen, die durch Verfügungen eidgenössischer Kommissionen zu erledigen sind. Die Eidg. Bankenkommission ist eine solche Behörde. Sie hat sich daher an die Grundsätze, die sich aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz ergeben, insbesondere auch insoweit zu halten, als sie Verfügungen in Anwendung des Anlagefondsgesetzes zu treffen hat.
Sie hatte am 26. September 1969 gestützt auf Art. 44/45 AFG der X. AG die Bewilligung zur Leitung von Anlagefonds entzogen und an ihrer Stelle für den Fonds Z. die Treuhandgesellschaft C. als Sachwalter ernannt. Die B. AG hat in ihrer Eingabe vom 30. März 1971 der Bankenkommission beantragt, die
BGE 98 Ib 53 S. 61
Treuhandgesellschaft C. als Sachwalter für diesen Fonds abzuberufen. Auf dieses unzweideutige, einlässlich begründete Begehren hätte die Bankenkommission eintreten müssen, wenn sie in der Sache zuständig ist und die Gesuchstellerin ein schutzwürdiges Interesse an der beantragten Massnahme hat. Beide Voraussetzungen sind erfüllt.
Wenn sich zeigt, dass ein von der Bankenkommission für die geschäftsunfähige Fondsleitung ernannter Sachwalter nicht fähig ist, seine Obliegenheiten in gehöriger Weise zu erfüllen, oder wenn er seine Pflichten grob verletzt, muss er abberufen werden können, obwohl weder das Anlagefondsgesetz noch die zugehörige Vollziehungsverordnung (AFV) darüber etwas bestimmt. Zuständig für die Abberufung kann nur die Bankenkommission sein, welche den Sachwalter ernannt hat und unter deren Aufsicht er steht (
Art. 43 AFV
).
Die B. AG hat das Begehren um Abberufung des Sachwalters in ihrer Eigenschaft als Inhaberin von Anteilscheinen des Fonds Z. gestellt. Es ist - wie erwähnt - nicht bestritten, dass sie diese Stellung hat. Als Anlegerin hat sie aber offensichtlich ein eigenes, unmittelbares und daher schutzwürdiges Interesse an der beantragten Abberufung. In der Tat kann der Anleger durch diese Massnahme wirksam dagegen geschützt werden, dass seine Interessen durch mangelhafte Geschäftsführung des Sachwalters beeinträchtigt werden. Wohl kann der Anleger gegen die mit der Sachwalterschaft betrauten Personen nach
Art. 25 Abs. 1 AFG
Klage auf Schadenersatz erheben, doch ist der Zivilrichter nicht zuständig, den Sachwalter abzuberufen.
Die Bankenkommission betrachtet die Eingabe der B. AG vom 30. März 1971 zu Unrecht als blosse Anzeige im Sinne des Art 71 VwG. Diese Bestimmung betrifft die Aufsicht einer oberen Behörde über die Amtsführung einer ihr unterstellten Behörde. Die Bankenkommission wird allerdings in
Art. 40 ff. AFG
als Aufsichtsbehörde bezeichnet, doch beaufsichtigt sie auf Grund dieses Gesetzes nicht Behörden, sondern die Fondsleitungen und die Depotbanken, die an deren Stelle eingesetzten Sachwalter und auch die Revisionsstellen. Freilich ist es nicht ausgeschlossen, dass Art. 71 VwG in gewissen Fällen auf Mitteilungen von Anlegern an die Aufsichtsbehörde sinngemäss anwendbar sein könnte. Aber nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz muss die Bankenkommission auf die Eingabe eines Anlegers jedenfalls dann eintreten, wenn damit der Erlass einer in
BGE 98 Ib 53 S. 62
ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Verfügung beantragt wird und der Antragsteller ein schutzwürdiges Interesse an der von ihm verlangten Massnahme hat.
Vergeblich beruft die Bankenkommission sich auf Ausführungen über ihr Verhältnis zu den Anlegern in der Botschaft des Bundesrates zum AFG (BBl 1965 III 312) und in
BGE 93 I 655
. Ob diese Ausführungen den weiten Sinn haben, den die Kommission ihnen beilegt, braucht hier nicht geprüft zu werden. Wäre die Frage zu bejahen, so wäre damit für den Standpunkt der Bankenkommission nichts gewonnen. Jene Ausführungen betreffen die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der revidierten
Art. 97 ff. OG
. Im vorliegenden Fall findet aber diese neue Ordnung Anwendung. Aus ihr ergibt sich, dass die Bankenkommission auf das Begehren der Beschwerdeführerin um Abberufung des für den Fonds Z. an Stelle der geschäftsunfähigen Fondsleitung eingesetzten Sachwalters hätte eintreten müssen.
Der Beschluss der Vorinstanz, auf dieses Begehren nicht einzutreten, ist daher aufzuheben. Es ist zunächst an ihr, einen Sachentscheid darüber zu fällen, weshalb die Angelegenheit an sie zurückzuweisen ist.
5.
Die B. AG hat der Bankenkommission in der Eingabe vom 30. März 1971 auch beantragt, gemäss
Art. 43 Abs. 3 AFG
Strafanzeige gegen die verantwortlichen Funktionäre der Treuhandgesellschaft C. zu erstatten. Nach dieser Bestimmung kann die Aufsichtsbehörde von der zuständigen kantonalen Behörde die Durchführung eines Strafverfahrens verlangen, wenn sie Kenntnis von einer mit Strafe bedrohten Handlung erhält. Das ist eine der "Massnahmen", welche die Aufsichtsbehörde nach
Art. 43 ff. AFG
treffen kann. Ob diese Massnahme den Charakter einer Verfügung im Sinne des Art. 5 VwG habe, ist indessen zweifelhaft, kann aber offen gelassen werden. Auf jeden Fall erscheint das Interesse des Anlegers daran, dass sie getroffen wird, nicht als schutzwürdig. Denn der Anleger ist nicht darauf angewiesen, dass die Bankenkommission Strafanzeige erstattet, da er dies selbst tun kann. Die B. AG hat denn auch im Sommer 1971 selber die Einleitung eines Strafverfahrens gegen die verantwortlichen Funktionäre der Treuhandgesellschaft C. veranlasst. Der Beschluss der Bankenkommission, auf das Begehren der Beschwerdeführerin um Einreichung einer Strafanzeige nicht einzutreten, ist somit nicht zu beanstanden.
BGE 98 Ib 53 S. 63
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen; der angefochtene Entscheid wird, soweit er das Begehren der Beschwerdeführerin um Abberufung der Sachwalterin betrifft, aufgehoben und die Sache zur Beurteilung dieses Begehrens an die Eidg. Bankenkommission zurückgewiesen.
2.- Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist. | public_law | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c8cb0dc8-7132-4cd6-a6c2-ee2c1be1b408 | Urteilskopf
116 II 533
97. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1990 i.S. G. AG, K. GmbH und O. AG gegen G. K., E. K. und K. AG (Berufung) | Regeste
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates und der Kontrollstelle; Feststellung der Überschuldung (
Art. 754,
Art. 725 OR
).
1. Begriff der ausweispflichtigen Eventualverpflichtungen gemäss
Art. 670 OR
. Wann sind dafür Rückstellungen zu bilden? (E. 2a/aa).
2. Wertberichtigungen bei gefährdeten Debitoren (E. 2a/bb).
3. Begriff des Imparitätsprinzips (E. 2a/dd).
4. Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung. Auslegung von
Art. 725 Abs. 3 OR
(E. 5a).
5. Umfang der materiellen Bilanzprüfungspflicht der Kontrollstelle (
Art. 728 Abs. 1 OR
; E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 534
BGE 116 II 533 S. 534
A.-
Die H. AG wurde 1971 mit einem zur Hälfte einbezahlten Aktienkapital von Fr. 200'000.-- gegründet; Hauptaktionär war W. H.
Die H. AG erwarb mit Vertrag vom 14. Juli 1972 von der D. AG 103/1000 Stockwerkeigentumsanteile am künftigen Einkaufszentrum T. Bereits am 13. Oktober 1973 hatte sie 39/1000 dieses Miteigentumsanteils an die K. GmbH weiterveräussert. Anfangs 1974 mietete sie überdies Räumlichkeiten in einem Einkaufszentrum in E., um dort ein weiteres Gourmet-Geschäft zu betreiben.
Bis 1974 führte die B. L. die Buchhaltung der H. AG und amtete als deren Kontrollstelle. Ab 1974 wurde die Führung der Buchhaltung der K. AG (Drittbeklagte) übertragen. Am 20. August 1974 wählte die Generalversammlung G. K. (Erstbeklagter) als Kontrollstelle für das Geschäftsjahr 1973/4. Als er am 5. September 1974 in den Verwaltungsrat der H. AG gewählt wurde, wurde als Kontrollstelle für das Geschäftsjahr 1974/5 E. K. (Zweitbeklagter) bestimmt.
An der Generalversammlung vom 22. Juli 1975 trat der Zweitbeklagte als Kontrollstelle zurück. Der Erstbeklagte demissionierte als Verwaltungsrat am 4. November 1975. Am 19. Mai 1976 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet.
B.-
Das Bezirksgericht Baden wies am 17. Februar 1988 die von der Konkursmasse geführte Verantwortlichkeitsklage ab, das Obergericht des Kantons Aargau am 2. November 1989 ebenfalls deren Appellation.
C.-
Das Bundesgericht heisst die Berufung der Abtretungsgläubigerinnen teilweise gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Klägerinnen werfen den Beklagten insbesondere vor, dass sie als - rechtliche oder faktische - Organe der H. AG pflichtwidrig deren Überschuldung nicht rechtzeitig festgestellt, demzufolge die nach
Art. 725 OR
vorgeschriebenen Massnahmen
BGE 116 II 533 S. 535
unterlassen und mit der daraus resultierenden Verzögerung der Konkursliquidation einen Schaden durch Verminderung der Aktiven bewirkt hätten, welcher mit rund 8,4 Mio. Franken beziffert und als unmittelbarer Gesellschaftsschaden sowie mittelbarer Gläubigerschaden zum Ersatz beansprucht wird. Demgegenüber verneint das Obergericht eine Verletzung der sich aus
Art. 725 OR
ergebenden Pflichten.
a) Die der Generalversammlung unterbreitete Jahresbilanz der H. AG per 31. Januar 1975 wies nach den Feststellungen der Vorinstanz unter Berücksichtigung des Gewinnvortrags einen Reinverlust von Fr. 887'319.89 aus. Dieser erhöhe sich um unterbliebene Rückstellungen für Kosten der Miteigentümergemeinschaft von Fr. 99'829.50, um Sozialabzüge auf Lohnkosten von Fr. 41'800.-- sowie um gebotene Abschreibungen von Fr. 200'207.-- auf insgesamt Fr. 1'229'156.40. Die Vorinstanz stellt demgegenüber für den Bilanzstichtag ein Eigenkapital von Fr. 1'586'863.30 fest (einbezahltes Aktienkapital Fr. 100'000.--, gesetzliche Reserven Fr. 30'000.--, freie Reserven Fr. 720'000.--, Rückstellungen für Personalvorsorge Fr. 100'000.--, aktivierter Gewinn aus dem Verkauf der T.-Anteile Fr. 636'863.30) und verneint demzufolge eine Überschuldung. Die Klägerinnen machen dagegen geltend, einerseits seien gebotene Rückstellungen nicht passiviert, anderseits der Verkaufsgewinn von Fr. 636'863.30 unzulässigerweise aktiviert worden. Ihrer Auffassung nach wäre unter Berücksichtigung dieser Bilanzkorrekturen per 31. Januar 1975 richtigerweise eine Überschuldung von Fr. 4'167'711.80 auszuweisen gewesen.
aa) Das Einkaufszentrum T. wurde durch die D. AG als Generalunternehmerin erstellt. Vor Fertigstellung hatte diese mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, was die Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten durch Subunternehmer zur Folge hatte. Um die Fertigstellung der Anlage zu erreichen, gründete ein Teil der Miteigentümer das Immobilienkonsortium T. (IKT).
Per 31. Januar 1975 wies die H. AG eine Restschuld zugunsten der D. AG von per Saldo Fr. 2'006'951.40 aus. Sie war allerdings bloss als Eventualverpflichtung in den Bemerkungen zum Baukonto T., nicht dagegen als Passivum in der Bilanz aufgeführt. Nach Auffassung des Obergerichts genügte dieses Vorgehen den gesetzlichen Bilanzierungsvorschriften. Ebensowenig sei die H. AG verpflichtet gewesen, für die auf ihre ideelle Miteigentumsquote entfallenden Bauhandwerkerpfandrechte von anteilsmässig
BGE 116 II 533 S. 536
Fr. 440'029.70 und für die dem IKT geschuldeten Fertigstellungskosten von Fr. 69'496.65 Rückstellungen zu bilden. Die Klägerinnen sind gegenteiliger Auffassung.
aaa) Eventualverpflichtungen der Aktiengesellschaft sind in der Bilanz oder in einer Beilage in Gesamtsummen aufzuführen (
Art. 670 Abs. 1 OR
). Für Vermögenseinbussen, die daraus oder aus schwebenden Geschäften zu erwarten sind, ist durch Rücklagen Deckung zu verschaffen (
Art. 670 Abs. 2 OR
). Ausweispflichtige Eventualverpflichtungen - das Gesetz erwähnt namentlich Bürgschaften, Garantieverpflichtungen und Pfandbestellungen zugunsten Dritter - sind bedingte Verbindlichkeiten, die auf Verpflichtungen zugunsten Dritter gründen und denen bei Inanspruchnahme entsprechende Forderungen gegenüberstehen (KÄFER, N 459 zu
Art. 958 OR
; BOSSARD, N 179 zu
Art. 957 OR
; BÜRGI, N 3 ff. zu
Art. 670 OR
). Künftige Forderungen aus (noch) nicht vollständig abgewickelten Werkverträgen fallen nicht darunter; ihr Ausweis ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, kann aber im Interesse der Bilanzwahrheit und der Bilanzklarheit kaufmännisch geboten sein (Revisionshandbuch der Schweiz, RHB, Teil 2.2, S. 130). Sie stehen in der Regel in Zusammenhang mit schwebenden Geschäften, worunter rechtsgültig abgeschlossene, nach den allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen aber noch nicht oder erst teilweise verbuchte Geschäfte zu verstehen sind (BOSSARD, N 182 zu
Art. 957 OR
; BÜRGI, N 6 zu
Art. 670 OR
). Diese sind nach
Art. 670 Abs. 1 OR
nicht ausweispflichtig; doch sind zur Deckung der daraus resultierenden Verbindlichkeiten gemäss
Art. 670 Abs. 2 OR
Rückstellungen zu bilden, sofern Vermögenseinbussen zu erwarten sind. Die Pflicht zur Bildung entsprechender Passiven setzt mithin die Erkennbarkeit eines Verlustrisikos im Einzelfall voraus (RHB, a.a.O., S. 133). Ein solches Verlustrisiko ist gegeben, wenn die künftige Abwicklung des schwebenden Geschäfts nicht mehr als gewinnbringend oder als erfolgsneutral erscheint.
bbb) Die H. AG hat in ihrer Jahresbilanz per 31. Januar 1975 die restanzliche Werklohnforderung der D. AG als Eventualverbindlichkeit ausgewiesen. Nach Auffassung der Klägerinnen hätte sie für diese Verbindlichkeit zudem eine Rückstellung bilden müssen. Weder aus den Feststellungen der Vorinstanz noch aus den Darlegungen der Klägerinnen geht jedoch hervor, dass diese Verbindlichkeit mit einem Verlustrisiko behaftet gewesen wäre. Vorbehältlich der später zu erörternden Frage einer Aktivierung des
BGE 116 II 533 S. 537
Verkaufsgewinns aus dem Vertrag mit der K. GmbH ist den Feststellungen des Obergerichts jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die Gesellschaft in Missachtung des aktienrechtlichen Höchstwertprinzips (
Art. 665 Abs. 1 OR
) ihren Miteigentumsanteil am Einkaufszentrum T. bereits über die am Bilanzstichtag geleisteten Anzahlungen und damit über den Kostenwert hinaus aktiviert hätte (KÄFER, N 346 zu
Art. 958 OR
; BOSSARD, N 98 zu
Art. 960 OR
; RENÉ M. SCHMID, Die Bilanzierung des Anlage- und Umlaufsvermögens nach schweizerischem Aktienrecht, S. 28). Das angefochtene Urteil stellt auch nicht fest, eine Aktivierung der Restkosten hätte voraussehbar den betriebswirtschaftlich richtigen Wert des Anteils überschritten. Es war bundesrechtskonform, davon auszugehen, auch die Restkosten seien voll aktivierungsfähig gewesen, so dass objektiv keine Vermögenseinbusse im Sinne von
Art. 670 Abs. 2 OR
zu erwarten und damit auch keine Rückstellung zu bilden war.
ccc) Die Klägerinnen beanstanden weiter, den möglichen Verbindlichkeiten der H. AG aus den auf ihrem Miteigentumsanteil lastenden oder anteilsmässig darauf entfallenden Bauhandwerkerpfandrechten und der Forderung des IKT für die Fertigstellungsarbeiten sei nicht durch Rückstellungen Rechnung getragen worden. Die Vorinstanz verneint eine solche Pflicht mit der Begründung, diese Forderungen der H. AG hätten der D. AG entgegengehalten werden können und seien damit betragsmässig in der ausgewiesenen Eventualverpflichtung aufgegangen. Nach der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellung des Obergerichts wären die Leistungen, welche einerseits durch die gesetzlichen Pfandrechte gesichert und anderseits vom IKT erbracht wurden, im Generalunternehmerverhältnis durch die D. AG zu erbringen gewesen. Soweit Leistungen von Subunternehmern in Frage stehen, hätte die D. AG sie somit auch entlöhnen müssen. Die Ablieferung eines Werks, welches mit Pfandrechten der Subunternehmer belastet ist, stellt demzufolge eine vertragliche Schlechterfüllung seitens des Generalunternehmers dar. Sie berechtigt den Besteller, einen den Forderungen der Subunternehmer entsprechenden Abzug am Werklohn des Generalunternehmers vorzunehmen oder - nach erfolgter Befriedigung der Pfandgläubiger - die kraft Subrogation (
Art. 110 Ziff. 1 OR
,
Art. 827 Abs. 2 ZGB
) auf ihn übergegangenen Forderungen der Subunternehmer mit derjenigen des Generalunternehmers zu verrechnen (
BGE 104 II 355
E. bb; ZOBL, Das Bauhandwerkerpfandrecht de lege lata und de lege
BGE 116 II 533 S. 538
ferenda, ZSR n. F. 101/1982 II S. 1 ff., 105; SCHUMACHER, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2. Aufl. 1982, S. 268 f. Rz. 927 ff.). Soweit die Generalunternehmerin darüber hinaus ihre vertraglich geschuldeten Leistungen überhaupt nicht erbrachte, ging sie eines Werklohn(teil)anspruchs verlustig und wurde der Bestellerin für allfällige Mehrkosten einer Ersatzvornahme ersatzpflichtig (
Art. 97 OR
). Da die Restschuld der H. AG gegenüber der D. AG die möglichen Drittansprüche bei weitem überstieg, konnte sich die H. AG für allfällige Zahlungen an die Pfandgläubiger und das IKT vollumfänglich schadlos halten. Zufolge Aktivierungsfähigkeit dieser Kosten aber waren keine Vermögenseinbussen zu erwarten, welche die Bildung von Rückstellungen im Sinne von
Art. 670 Abs. 2 OR
bedingt hätten. Insoweit wurden keine Bilanzierungsvorschriften verletzt.
bb) Die Klägerinnen beanstanden weiter fehlende Rückstellungen zur Deckung der aus den Darlehen an W. H. zu erwartenden Vermögenseinbussen. Die Vorinstanz äussert sich dazu im Zusammenhang mit der Jahresbilanz per 31. Januar 1975 nicht, sondern prüft im wesentlichen bloss, ob die Beklagten bei der Gewährung oder Duldung solcher Darlehen Sorgfaltspflichten verletzt hätten. In anderem Zusammenhang stellt sie jedoch fest, dem Erstbeklagten sei zwar bewusst gewesen, dass bei W. H. nichts mehr zusätzlich zu holen gewesen sei; doch habe kein Anlass bestanden, die Substanz der Darlehen als gefährdet zu betrachten, solange die Kantonalbank weiterhin Kredit gewährt habe.
Die Betrachtungsweise der Vorinstanz ist nicht haltbar. Ist die Bonität eines Darlehensschuldners nicht mehr gewährleistet, drohen auf seinen als Guthaben aktivierten Verbindlichkeiten Verluste, welchen durch Wertberichtigungen, sei es durch Herabsetzung der gefährdeten Aktiven oder durch Gegenposten auf der Passivseite zum Nominalwert der aktivierten Guthaben (
BGE 113 II 55
mit Hinweisen), Rechnung zu tragen ist. Die Pflicht zu Wertberichtigungen aber entfällt nicht bereits, wenn die Gesellschaft sich anderweitig Kredit zu beschaffen vermag. Solche Kredite verbessern nicht die Bonität eines Gesellschaftsschuldners, sondern vermögen höchstens Aussicht auf eine Sanierung zu geben, welche davon entbindet, unverzüglich Massnahmen nach
Art. 725 Abs. 2 und 3 OR
zu treffen (E. 5a hienach).
Nach den Feststellungen des Obergerichts überstieg das Eigenkapital der H. AG am Bilanzstichtag den Verlustsaldo um Fr. 359'706.90. Danach war eine Überschuldung der Gesellschaft
BGE 116 II 533 S. 539
zu verneinen. Ergibt sich indessen, dass die gebotenen Wertberichtigungen auf den Darlehensforderungen gegenüber W. H. diesen Betrag überstiegen hätten, wird eine Überschuldung zu bejahen und weiter zu prüfen sein, ob diesfalls Massnahmen nach
Art. 725 OR
zu treffen gewesen wären, deren Unterlassung den Beklagten zum Vorwurf gereicht und zu einer Schädigung der Gesellschaft und damit zu einer mittelbaren Schädigung der Gläubiger geführt hat.
cc) Nicht zu beanstanden ist demgegenüber die Auffassung der Vorinstanz, für das nach dem Bilanzstichtag eröffnete Gourmet-Geschäft in E. seien keine Rückstellungen notwendig gewesen, da der Finanzbedarf als erfolgsneutral habe betrachtet werden dürfen. Den Erwägungen des angefochtenen Urteils ist nicht zu entnehmen, dass am 31. Januar 1975 bereits Verluste erkennbar gewesen wären, welche zu Rückstellungen verpflichtet hätten, und die Klägerinnen machen nicht belegt geltend (
BGE 115 II 465
E. 1 mit Hinweis), entsprechende Sachbehauptungen im kantonalen Verfahren prozesskonform vorgebracht und zum Beweis verstellt zu haben. Die Vorbringen gelten daher als neu und damit als unzulässig (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
dd) Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts beliefen sich die Anschaffungskosten der H. AG für den später veräusserten Miteigentumsanteil von 39/1000 auf effektiv Fr. 3'744'878.50. Der Verkaufserlös bzw. die Kaufpreisforderung gegenüber der K. GmbH betrug demgegenüber netto Fr. 4'381'741.80. Die Aktivierung des daraus resultierenden Gewinns von Fr. 636'863.30 hält das Obergericht bilanzrechtlich für zulässig. Demgegenüber verstösst nach Auffassung der Klägerinnen die Aktivierung gegen das Imparitätsprinzip und
Art. 665 Abs. 1 OR
.
Nach dem den aktienrechtlichen Bilanzierungsvorschriften zugrunde liegenden Imparitätsprinzip dürfen Erträge erst bei der Realisierung und müssen Verluste bereits bei der Feststellung bilanzmässig berücksichtigt werden (KÄFER, N 77 zu
Art. 959 und N 128
ff. zu
Art. 960 OR
; BOSSARD, N 244 zu
Art. 957 OR
; BÜRGI, N 9 zu
Art. 665 OR
). Realisiert sind Erträge, wenn die entsprechenden Leistungen erbracht oder rechtlich vollstreckbar geschuldet sind (BOSSARD, a.a.O.; KÄFER, N 119 zu
Art. 960 OR
). Bei Veräusserungsverträgen tritt der Aktivierungszeitpunkt für die Gegenleistung mit der Übertragung der Verfügungsgewalt ein (VON GREYERZ, Bewertungsgrundsätze im Aktienrecht, SAG
BGE 116 II 533 S. 540
54/1982, S. 1 ff., S. 6 Ziff. 2.6 mit Hinweis). Davon geht zutreffend auch die Vorinstanz aus und bejaht daher folgerichtig die Aktivierungsfähigkeit der fälligen Kaufpreisforderung für den Bilanzstichtag. Das schliesst aber die Annahme einer unzulässigen Aufwertung des Anlagevermögens begriffsnotwendig aus.
Eine Pflicht zur Vornahme einer Wertberichtigung auf der Kaufpreisforderung für das Eingangsrisiko (BOSSARD, N 317 der Vorbemerkungen zu
Art. 957-964 OR
) verneint das Obergericht mit der Begründung, die K. GmbH hätte der Preisschuld nur solche Einwände entgegensetzen können, welche der H. AG ihrerseits der D. AG gegenüber zugestanden hätten, namentlich die Schlechterfüllung des Generalunternehmervertrages, und die zu einer Minderung der restanzlichen Werklohnschuld berechtigt hätten, so dass (entsprechend E. ccc) per Saldo ein Verlustrisiko nicht bestanden habe. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Soweit die Klägerinnen darüber hinaus zusätzliche Verlustrisiken behaupten, finden ihre Vorbringen in den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz keine Stütze und sind daher nicht zu hören (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
).
b) Sollte die Vorinstanz nach der Ergänzung des Sachverhalts feststellen, dass sich bei den gebotenen Wertberichtigungen eine Überschuldung der H. AG ergibt, wird sie weiter zu prüfen haben, wann diese Überschuldung eingetreten ist, und insbesondere, ob sie bereits im Zeitpunkt der Zwischenbilanz per 31. Oktober 1974 gegeben und erkennbar war. Dabei ist rechtlich bedeutungslos, ob die H. AG zur Erstellung einer Zwischenbilanz verpflichtet war. Entscheidend ist einzig, ob bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit eine Überschuldung hätte festgestellt und allenfalls bereits Massnahmen nach
Art. 725 OR
hätten ergriffen werden müssen, da die Klägerinnen ausschliesslich Verzögerungsschaden aus verspäteter Konkurseröffnung geltend machen.
5.
a) Demnach ist dem Erstbeklagten als Verwaltungsrat einzig vorzuwerfen, auf den Darlehensforderungen gegenüber W. H. keine Wertberichtigungen vorgenommen zu haben. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz lässt sich nicht beurteilen, in welchem Umfang solche Wertberichtigungen nach den allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen erforderlich gewesen wären. Demzufolge ist die Streitsache zur Ergänzung des Sachverhalts an das Obergericht zurückzuweisen.
Ergibt sich nach dieser Ergänzung eine Überschuldung der H. AG, wird weiter zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls wann
BGE 116 II 533 S. 541
der Erstbeklagte nach
Art. 725 Abs. 3 OR
verpflichtet gewesen wäre, den Richter zu benachrichtigen, leiten die Klägerinnen den zu beurteilenden Schaden doch ausschliesslich aus einer Verzögerung der Konkurseröffnung ab. Dabei wird zu beachten sein, dass die Auslegung von
Art. 725 Abs. 3 OR
, welcher die vorbehaltlose und unbedingte Pflicht der Verwaltung vorsieht, bei Überschuldung der Aktiengesellschaft den Richter zu benachrichtigen, in der jüngeren Lehre und Rechtsprechung erheblich relativiert worden ist. So vertritt etwa M. DUSS (Rangrücktritt des Gläubigers bei Überschuldung der Aktiengesellschaft, SAG 44/1972 S. 4) die Meinung, die Anzeige könne unterbleiben, solange Sanierungschancen beständen, es sei denn, Forderungen der Gesellschaftsgläubiger würden durch neuerliche Verschlechterung der finanziellen Lage gefährdet. Auch nach FORSTMOSER (Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl. 1987, S. 249 Rz. 842) verletzt die Verwaltung ihre Pflicht nicht, wenn sie unverzüglich saniert, statt sich an den Richter zu wenden; jedenfalls handelt sie nicht schuldhaft, wenn sie in einer schwierigen Lage tut, was vernünftigerweise von einem Unternehmer erwartet werden darf (FORSTMOSER, a.a.O., Rz. 843). Diesen Auffassungen hat sich das Bundesgericht angeschlossen (
BGE 108 V 188
). Die Vorinstanz wird daher auch zu prüfen haben, ob bei allfälliger Überschuldung konkrete Aussichten auf eine Sanierung bestanden haben, welche es rechtfertigten, von einer sofortigen Benachrichtigung des Richters abzusehen.
Kommt die Vorinstanz zum Schluss, der Erstbeklagte habe pflichtwidrig den Richter nicht benachrichtigt, wird sie weiter zu prüfen haben, ob der Gesellschaft aus der dadurch bewirkten Verzögerung der Konkurseröffnung ein Schaden erwachsen ist, wie die Klägerinnen geltend machen. Gegebenenfalls wird sie über das Mass der Ersatzpflicht des Erstbeklagten zu befinden haben.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Kontrollstelle ebenfalls verpflichtet, die ausgewiesenen Gesellschaftsaktiven auf ihren tatsächlichen Bestand zu überprüfen. Gegebenenfalls hat sie die Massnahmen nach
Art. 725 OR
zu veranlassen (
BGE 112 II 462
). Die Prüfung der Bilanzwahrheit erstreckt sich dabei nicht bloss auf das Anlage- und Umlaufsvermögen (
BGE 112 II 462
), sondern auch auf die Forderungen (nicht publ. E. 3a und d von
BGE 112 II 462
). In der Literatur werden hiezu im allgemeinen restriktivere Auffassungen vertreten. Nach einem Teil der Lehre ist die Kontrollstelle zur Prüfung der Bonität der
BGE 116 II 533 S. 542
Debitoren überhaupt nicht verpflichtet (SCHUCANY, Kommentar zum schweizerischen Aktienrecht, 2. Aufl. 1960, N 3 zu
Art. 728 OR
; VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. 1970, S. 283), nach anderen Autoren bloss stichprobeweise (BÜRGI, N 32 zu
Art. 728 OR
; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen Gesellschaftsrechts, 6. Aufl. 1989, S. 292 Rz. 141) oder auf offenkundige Gefährdungen hin (FORSTMOSER, a.a.O., S. 258 Rz. 885 mit Kritik an
BGE 112 II 462
in Fn. 1613). Indessen wird auch in der Literatur zunehmend auf die Bedeutung der Kontrollaufgaben im Hinblick auf die Sicherung des Unternehmensbestandes und die Gewährleistung der Betriebsfortführung hingewiesen (VON GREYERZ, SPR VIII/2, S. 215/6; BÄHLER, recht 1989, S. 22 ff., 24 ff.; HÜTTE, Der Schweizer Treuhänder 1987 S. 391 ff., 392).
Auf die Erwägungen in
BGE 112 II 462
zurückzukommen, besteht jedenfalls vorliegend keine Veranlassung. Angesichts des Umfangs der W. H. gewährten Darlehen (Klumpenrisiko), der wirtschaftlichen Verflechtung von Darlehensnehmer und Aktiengesellschaft sowie der von ihr zum Jahresabschluss per 31. Januar 1975 bereits angebrachten Beanstandungen durfte die Kontrollstelle jedenfalls nicht davon absehen, die Bonität des Hauptschuldners zu prüfen. Mithin ist auch ihr als Sorgfaltspflichtverletzung anzulasten, dass sie keine Wertberichtigungen verlangt und damit eine mögliche Überschuldung der Aktiengesellschaft nicht kenntlich gemacht hat. Dass sie das Klumpenrisiko erkannt und dessen Abbau gefordert hat, hat sie von den materiellen Bilanzprüfungspflichten nicht entlastet.
Bei objektiv gegebener Überschuldung der H. AG ist daher dem Zweitbeklagten vorzuwerfen, dies als Kontrollstelle nicht erkannt und darauf nicht aufmerksam gemacht zu haben. Ob sich daraus eine Haftung für den behaupteten Schaden aus Verzögerung der Konkurseröffnung ergibt, wird auch für die Kontrollstelle durch die Vorinstanz noch zu prüfen sein.
c) Schliesslich wird die Vorinstanz bei gegebener Haftung des Erst- und des Zweitbeklagten noch die Behauptung zu prüfen haben, die Drittbeklagte habe als faktisches Organ der H. AG nach den für die statutarische Kontrollstelle geltenden Grundsätzen für den geltend gemachten Schaden einzustehen. | public_law | nan | de | 1,990 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8cdc203-0901-4c6d-a2c5-6a83c67970b9 | Urteilskopf
124 V 52
8. Arrêt du 10 février 1998 dans la cause R. contre Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents et Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents contre R. et Tribunal administratif du canton de Genève | Regeste
Art. 118 Abs. 2 lit. c UVG
: Übergangsrecht. Anwendbares Recht bezüglich einer Hilflosenentschädigung, welche nach einem 1978 erlittenen Unfall zunächst im Sinne von
Art. 77 Abs. 1 Satz 2 KUVG
in Form einer Erhöhung der Invalidenrente ausgerichtet, darauf während zwölf Jahren ausgesetzt und ab Dezember 1995 von neuem gewährt wurde.
Art. 21 Abs. 1 lit. d UVG
: Heilbehandlung nach Festsetzung der Rente. Ausdehnung des Anspruchs eines zu 100% invaliden Versicherten, dessen Gesundheitszustand eine dauernde Hospitalisierung erforderlich macht, auf Übernahme der (ärztlichen und nicht-ärztlichen) Spitalkosten.
Art. 4 Abs. 1 BV
. Gutglaubensschutz im Falle einer Praxisänderung des Unfallversicherers. | Sachverhalt
ab Seite 53
BGE 124 V 52 S. 53
A.-
a) A la suite d'un accident de moto survenu le 6 août 1978 en France, au cours duquel il fut grièvement blessé, R., né le 3 février 1956, assuré auprès de la Caisse nationale suisse d'assurance en cas d'accidents (CNA), est devenu tétraplégique et présente d'importants troubles neuropsychologiques dans le cadre d'une démence post-traumatique. L'évolution défavorable de son état de santé a nécessité, à partir du mois de mars 1984, une hospitalisation permanente, d'abord à l'Hôpital cantonal de Genève, puis à la clinique psychiatrique de Bel-Air et, à partir du 3 décembre 1992, à l'Hôpital de Loëx, à Bernex.
Depuis le 1er août 1979, R. perçoit une rente entière et une allocation pour impotent de l'assurance-invalidité (AI).
Par décision du 4 septembre 1980, la CNA a alloué à son assuré, à partir du 5 juillet 1980, une rente d'invalidité fondée sur une incapacité de travail de 100%, ainsi qu'une "rente d'impotent" (recte: une majoration de la rente pour impotence [cf.
art. 77 al. 1, seconde phrase, LAMA
]) de 30%. Ces prestations étaient toutefois réduites pour cause de surindemnisation, en conformité avec la LAI.
La CNA a pris en charge la totalité des frais d'hospitalisation de l'assuré mais en contrepartie, par décision du 13 avril 1984, elle a "interrompu" le droit de celui-ci à la "rente d'impotent" pour la durée du séjour à l'hôpital.
b) Une procédure menée devant les tribunaux français, opposant la CNA et l'assuré d'une part au coresponsable de l'accident du 6 août 1978, P. et son assureur-responsabilité civile d'autre part, s'est terminée par un arrêt de la Cour d'appel de Chambéry, du 10 mai 1994, dont le dispositif est le suivant:
"Confirme la décision déférée en ce qu'elle a alloué à R. une indemnité de 100'000 F [français] et condamné la M.G.F.A. IARD à verser au père de R. ès qualités ladite somme.
La réforme pour le surplus.
Dit que la M.G.F.A. IARD devra rembourser à la CNA
1) les frais médicaux et d'hospitalisation pris en charge par cet organisme et actuellement échus soit la contre-valeur en francs français à la date du présent arrêt de la somme de 812'967,80 Frs suisses;
BGE 124 V 52 S. 54
2) la contre-valeur en francs français des frais médicaux et d'hospitalisation futurs versés par l'organisme suisse (à) son assuré, R., au fur et à mesure où ces dépenses seront faites et ce, jusqu'à hauteur d'une somme capitalisée correspondant à la contre-valeur en francs français de 1'524'960 Frs suisses.
Rejette les autres demandes des parties."
c) En date du 18 décembre 1992, la CNA a informé l'hôpital de Loëx qu'à partir du 3 décembre 1992, elle prendrait en charge les frais d'hospitalisation de l'assuré à raison de 378 francs par jour, conformément au tarif conventionnel.
Au mois de juillet 1994, lors d'un entretien avec le père et tuteur de l'assuré, la CNA informa ce dernier qu'en raison d'un changement de pratique, elle n'entendait plus prendre à sa charge la totalité des frais d'hospitalisation de l'intéressé, attendu que celui-ci percevait deux rentes d'invalidité, ainsi qu'une allocation pour impotent de l'AI, soit environ 4'900 francs par mois. Cette argumentation se heurta toutefois à l'incompréhension du père de l'assuré. Par la suite et après avoir procédé à une enquête auprès de l'hôpital pour déterminer de manière plus précise les dépenses entraînées par l'hospitalisation et le traitement de R., la caisse rendit le 7 novembre 1995 une décision par laquelle elle informait le mandataire de l'assuré que sa "pratique consistant à prendre en charge pour les assurés qui séjournent à demeure dans un établissement hospitalier ou dans un home tous les frais y relatifs" devait être abandonnée. En conséquence, elle verserait à partir du 1er décembre 1995 une rente d'invalidité et une "rente d'impotent" s'élevant au total, y compris l'allocation de renchérissement, à 4'609 francs par mois, plus une contribution mensuelle de 2'600 francs pour la couverture des soins à caractère médical prodigués à l'Hôpital de Loëx.
Saisie d'une opposition de l'assuré, la CNA l'a rejetée par décision du 28 juin 1996.
B.-
Statuant le 18 mars 1997 sur le recours formé par l'assuré contre cette décision sur opposition, le Tribunal administratif du canton de Genève l'a partiellement admis et annulé la décision entreprise, donnant acte à la CNA "de ce qu'elle s'engage à rembourser à R. les frais hospitaliers médicaux", l'y condamnant en tant que de besoin, puis "dit que la CNA doit rembourser à R. dès le 1er décembre 1995 les deux tiers des frais d'hospitalisation non médicaux", le tout sous suite de dépens en faveur du recourant.
Les juges cantonaux ont considéré, en bref, que la pratique sur laquelle la CNA entend revenir était plus large que les exigences légales, de sorte
BGE 124 V 52 S. 55
qu'il s'agissait "de prestations délivrées à bien plaire et en dehors du cadre de la LAA". En l'espèce, ce changement de pratique ne fait qu'appliquer la loi et s'appuie sur des motifs sérieux et objectifs. Quant au montant mensuel de 2'600 francs fixé par l'assureur-accidents pour les frais médicaux, il a été calculé de manière conforme à la loi.
Mais par ailleurs, l'assuré peut se réclamer du principe de la confiance en ce qui concerne le remboursement des frais non médicaux car il a renoncé à les faire valoir contre le coresponsable de l'accident, compte tenu de l'attitude de la CNA au cours de la procédure civile menée en France, en particulier ses conclusions tendant au remboursement intégral des frais encourus par l'assuré du fait de son hospitalisation de longue durée. Les juges français ayant mis les deux tiers de ces frais à la charge de l'assureur RC du conducteur P., la CNA devra continuer à verser à l'assuré les deux tiers des frais hospitaliers non médicaux, à charge pour elle d'entreprendre des démarches auprès de l'assureur RC pour régler différemment le problème de l'indemnisation de l'assuré.
C.-
Les deux parties interjettent recours de droit administratif contre ce jugement.
Toujours représenté par son père et tuteur, ce dernier dûment autorisé par l'autorité tutélaire comme l'exige la loi, R. demande au Tribunal fédéral des assurances, préalablement, d'accorder l'effet suspensif à son recours et, en conséquence, de condamner la CNA à payer l'intégralité des sommes dues à l'Hôpital de Loëx. Cette requête a été rejetée par ordonnance présidentielle du 9 juillet 1997. Sur le fond, R. conclut à l'annulation du jugement attaqué et à la condamnation de la CNA à prendre en charge la totalité des frais en relation avec son placement dans un établissement médical, sans qu'il y ait lieu de distinguer entre frais strictement médicaux et frais d'hébergement, sous suite de dépens.
La CNA, quant à elle, conclut également à l'annulation du jugement cantonal en tant qu'il la condamne à rembourser à R., dès le 1er décembre 1995, les deux tiers des frais d'hospitalisation non médicaux, et elle demande au Tribunal fédéral des assurances de rétablir sa décision sur opposition du 28 juin 1996.
Chacun des recourants conclut au rejet des conclusions de son adversaire. L'Office fédéral des assurances sociales n'a pas fait usage de son droit de s'exprimer.
BGE 124 V 52 S. 56
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Jonction de causes; cf.
ATF 120 V 466
consid. 1 et les références).
2.
(Pouvoir d'examen étendu; cf.
ATF 121 V 222
consid. 1, 366 sv. consid. 1c,
ATF 120 V 448
consid. 2a/aa,
ATF 117 V 306
consid. 1a).
3.
D'après l'
art. 118 al. 1 LAA
, les prestations d'assurance allouées pour les accidents qui sont survenus avant l'entrée en vigueur de la LAA, le 1er janvier 1984, et pour les maladies professionnelles qui se sont déclarées avant cette date, sont régies par l'ancien droit (LAMA). Toutefois, dans ces cas, les assurés de la CNA sont soumis dès l'entrée en vigueur de la LAA aux dispositions de cette loi, notamment en ce qui concerne le traitement médical accordé après la fixation de la rente (art. 21), si le droit naît après l'entrée en vigueur de la loi (
art. 118 al. 2 let. a LAA
).
En l'espèce, l'hospitalisation permanente de l'assuré est devenue nécessaire à partir du mois de mars 1984, c'est-à-dire postérieurement à l'entrée en vigueur de la LAA et c'est aussi à partir de cette époque que les frais d'hospitalisation ont été pris en charge par la CNA dans leur intégralité.
Par ailleurs, à partir du 26 septembre 1983, date qui marque le début d'une hospitalisation à l'Hôpital cantonal de Genève, la CNA a "interrompu" le service de la "rente d'impotent" allouée à son assuré depuis le 5 juillet 1980, ainsi qu'elle le lui a signifié par décision du 13 avril 1984. Par la suite, la caisse a décidé de suspendre le droit à la "rente d'impotent" dès le 10 mai 1984 (décisions des 10 avril 1985 et 27 juin 1985).
Dans sa décision du 7 novembre 1995 qui est à l'origine du litige, la CNA a rétabli à partir du 1er décembre 1995 le droit de l'assuré à la "rente d'impotent", calculée sous la forme d'un supplément de 30% à la rente d'invalidité, comme le prévoyait l'
art. 77 al. 1, seconde phrase, LAMA
.
La CNA a confirmé, dans sa décision sur opposition du 28 juin 1996, que, d'après elle, c'est l'ancien droit qui s'applique à cette prestation car le droit à cette dernière est né avant le 1er janvier 1984, date de l'entrée en vigueur de la LAA et, par la suite, il n'a été que suspendu en application de la pratique abandonnée par la caisse à partir du 1er décembre 1995.
Les premiers juges ne se sont pas prononcés sur ce point, lequel doit néanmoins être examiné d'office.
BGE 124 V 52 S. 57
Selon l'
art. 118 al. 2 let
. c LAA, les rentes d'invalidité et les allocations pour impotent, entre autres prestations d'assurance, sont soumises au nouveau droit si le droit à ces prestations naît après l'entrée en vigueur de la nouvelle loi. Or, dans le cas d'espèce, la CNA, contrairement à ce qu'elle soutient, n'a pas simplement "interrompu" ou suspendu le droit de son assuré à la majoration de la rente d'invalidité, improprement appelée "rente d'impotent", que prévoyait l'
art. 77 al. 1, seconde phrase, LAMA
. Elle l'a bel et bien supprimé pendant plus de douze ans (du 26 septembre 1983 au 1er décembre 1995), en application de la pratique administrative décrite plus haut et dont la modification, dans un sens plus restrictif pour l'assuré, a eu notamment pour conséquence la naissance - et non le rétablissement - du droit de ce dernier à la prestation que le nouveau droit désigne sous le nom d'allocation pour impotent (
art. 26 et 27 LAA
), laquelle a le même objet que l'ancienne majoration de la rente d'invalidité dite "rente d'impotent" (GHÉLEW/RAMELET/RITTER, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], Lausanne 1992, p. 125).
On doit en effet considérer, dans le contexte du cas d'espèce, que c'est en réalité ce changement de pratique, et non l'accident survenu en 1978, qui est à l'origine du droit de R. à l'allocation pour impotent. Aussi, conformément aux principes généraux du droit, il faut appliquer les règles de droit en vigueur à ce moment-là, soit en 1995, c'est-à-dire lors de la réalisation de l'état de fait qui doit être apprécié juridiquement ou qui a des conséquences juridiques (
ATF 123 V 135
consid. 2b).
Dès lors, contrairement à l'opinion de la CNA, la présente cause doit être jugée exclusivement à la lumière de la LAA, en ce qui concerne le droit de l'assuré aux prestations litigieuses.
4.
Aux termes de l'
art. 21 al. 1 let
. d LAA, lorsque la rente a été fixée, les prestations pour soins et remboursement de frais (art. 10 à 13 LAMA) sont accordées à son bénéficiaire lorsqu'il présente une incapacité de gain et que des mesures médicales amélioreraient notablement son état de santé ou empêcheraient que celui-ci ne subisse une notable détérioration. On vise ici les assurés totalement invalides dont l'état de santé peut être amélioré ou tout au moins stabilisé grâce à des mesures médicales, même si cela reste sans influence sur leur capacité de gain (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Berne 1985, p. 384). La prise en charge de telles mesures par l'assureur-accidents ne fait pas obstacle au maintien du droit de l'assuré à une allocation pour impotence grave (
ATF 116 V 48
sv. consid. 6).
BGE 124 V 52 S. 58
S'il n'est pas contesté, en l'espèce, que l'assuré remplit les conditions prévues à l'
art. 21 al. 1 let
. d LAA, l'étendue des prestations dues par la CNA à ce titre est en revanche litigieuse.
Les premiers juges, après avoir rappelé que selon l'
art. 10 al. 1 let
. c LAA - auquel renvoie l'art. 21 al. 1 de la loi - l'assuré a droit au traitement médical approprié des lésions résultant de l'accident, notamment au traitement, à la nourriture et au logement en salle commune dans un hôpital, ont considéré que la CNA pouvait néanmoins, sans violer la loi, limiter cette prise en charge, dans le cas d'un assuré hospitalisé à demeure et qui continue à percevoir une rente d'invalidité et une allocation pour impotent, aux seuls frais d'hospitalisation médicaux.
Ils ont ainsi répondu à la question laissée ouverte par le Tribunal fédéral des assurances dans l'arrêt
ATF 116 V 46
consid. 3b in fine.
Indépendamment de ses autres moyens qui sont liés aux particularités du cas d'espèce et sur lesquels on reviendra, le recourant R. conteste le bien-fondé de cette opinion en arguant que les prestations que lui verse désormais la CNA, additionnées à celles qu'il perçoit de l'AI, suffisent juste à couvrir les frais de son hospitalisation à l'Hôpital de Loëx où il séjourne depuis le mois de décembre 1992. Dès lors, dit-il, qu'adviendrait-il s'il était marié et avait charge de famille? Le législateur ne peut avoir voulu cela.
Cet argument n'est guère convaincant dans la mesure où il isole un élément parmi tous ceux qui doivent être pris en considération. En effet, la loi définit de manière exhaustive l'étendue des prestations à la charge de l'assureur-accidents dans le cas d'un assuré hospitalisé à demeure ou, en tout cas, pour une longue durée, à savoir l'indemnisation de l'invalidité sous la forme d'une rente dont le montant résulte du gain assuré (
art. 20 LAA
), l'allocation pour impotent destinée à l'assuré qui a besoin de façon permanente de l'aide d'autrui pour accomplir les actes ordinaires de la vie ou d'une surveillance personnelle (
art. 26 al. 1 LAA
) et dont le montant ne peut dépasser certaines limites, soit au plus le sextuple du salaire journalier assuré maximum (
art. 27 LAA
) et, enfin, les mesures médicales dont il a besoin, au sens de l'
art. 21 al. 1 let
. d LAA.
Un assuré qui se trouve dans cette situation aura également droit, en principe, aux prestations de l'AI et, si nécessaire, aux prestations complémentaires, lesquelles tiennent compte des charges de famille incombant à l'invalide (cf. les
art. 34 et 35 LAI
, ainsi que les
art. 1a ss OPC-AVS/AI
).
BGE 124 V 52 S. 59
Quoi qu'il en soit, le tribunal n'a pas à se prononcer dans la présente cause sur la base d'une hypothèse mais en fonction de la situation réelle de l'assuré, lequel est célibataire et n'a, cela n'est pas contesté, aucune charge de famille.
Le moyen se révèle donc mal fondé.
5.
Pour déterminer le montant des frais de soins à sa charge, la CNA s'est fondée sur une analyse du temps consacré, durant une journée de 24 heures, aux actes à caractère médical d'une part et au "nursing" d'autre part. Sur la base des données fournies par l'Hôpital de Loëx, elle a fixé le montant de ces frais à 2'600 francs par mois, soit en chiffres ronds 87 francs par jour, alors que le montant facturé à l'assuré par l'établissement hospitalier s'élève à 248 francs par jour.
Dans son recours, l'assuré conteste "avec force" ce calcul et il allègue qu'en réalité la CNA a fixé ce montant de telle façon que "l'intégralité des prestations versées à titre de frais médicaux, de rente d'impotent et de perte de gain suffisent juste à couvrir les frais d'hospitalisation".
Pour leur part, les juges cantonaux se sont bornés à constater que le montant fixé par la CNA tenait compte des informations fournies par l'Hôpital de Loëx et que ce chiffre devait être confirmé, bien que l'assuré le juge insuffisant.
Or, sur ce point, tant la décision sur opposition litigieuse que le jugement entrepris ne sont pas motivés de manière conforme à la loi. Il est en effet impossible de comprendre comment la CNA est parvenue à ce résultat et, plus particulièrement, selon quels critères elle a chiffré la valeur des soins médicaux administrés à l'assuré. Dès lors, on ne saurait reprocher à ce dernier le manque de précision de sa contestation s'il n'a pas été informé en détail, dans une décision motivée, des éléments de calcul retenus par l'assureur-accidents pour fixer le montant de sa prestation.
6.
Le recourant R. soutient encore que le changement de pratique de la CNA lui porte un lourd préjudice dans la mesure où il est intervenu à l'issue du procès civil intenté au responsable de l'accident dont il a été victime et au cours duquel lui-même n'a pu faire valoir aucune prétention à la couverture de ses frais d'hospitalisation, puisque la CNA était subrogée dans ses droits (
art. 41 LAA
). D'après lui, les calculs opérés par les juges français pour fixer le montant des frais d'hospitalisation remboursables à la CNA ne tiennent compte que d'une manière insuffisante de l'étendue du dommage - ce qui serait le véritable motif du changement de
BGE 124 V 52 S. 60
pratique de la CNA - et la caisse aurait dû contester l'arrêt de la Cour d'appel de Chambéry.
Par ailleurs, l'assuré n'est pas non plus d'accord avec la décision des juges cantonaux qui condamnent la CNA à lui verser les deux tiers de ses frais d'hospitalisation non médicaux aussi longtemps qu'il ne pourra en obtenir le remboursement directement de l'assureur RC du responsable de l'accident. Il considère, en effet, que cette décision ne tient pas compte de son droit préférentiel au sens de l'
art. 42 al. 1 LAA
et que, d'autre part, la manière dont les juges français ont capitalisé le montant prévisible des frais hospitaliers est juridiquement erronée, ce que la CNA n'aurait pas dû accepter.
7.
Pour sa part, la CNA motive son recours par des moyens exactement inverses. Elle reproche en effet aux premiers juges "de lier l'application correcte de la LAA à des considérations tirées du droit de la responsabilité civile" et elle soutient que l'étendue de ses prestations ne saurait en aucune façon dépendre de la possibilité de l'assuré de recouvrer le découvert auprès du tiers responsable de l'accident. Elle reconnaît toutefois que "dans le cadre du recours contre le tiers responsable, les répercussions du changement de pratique devront être discutées et convenues entre toutes les parties intéressées". Elle déclare n'avoir jamais nié son devoir d'assistance envers l'assuré et se déclare d'ores et déjà prête à lui céder ses droits à l'encontre de l'assureur RC du responsable de l'accident.
8.
Le juge des assurances sociales ne saurait se prononcer sur l'étendue du dommage que la CNA, légalement subrogée dans les droits de l'assuré contre le tiers responsable (
art. 41 LAA
), pouvait ou pourrait encore faire valoir contre ce dernier. Cette question relève en effet du juge civil. De même, il n'y pas lieu d'examiner ici les modalités de l'exercice du droit de recours contre le tiers responsable (cf. G. FRÉSARD-FELLAY, Le concours de prétentions de l'assurance sociale suisse et de la responsabilité civile en cas d'accident de circulation survenant en France, in: RSA 1993, p. 225 ss), ni l'étendue du privilège conféré à l'assuré par l'
art. 42 al. 1 LAA
(voir à ce sujet
ATF 120 II 62
consid. 3c et les références), car ce n'est pas l'objet du litige.
En réalité, dans le cadre du présent procès, le débat porte sur la protection des droits de l'assuré, modifiés dans un sens restrictif par le changement de pratique de la CNA, eu égard au comportement de cette dernière dans l'exercice de son droit de recours contre le tiers responsable.
Or, sur ce point, le raisonnement des premiers juges est convaincant: du moment que la CNA, se fondant sur l'
art. 41 LAA
, a réclamé au tiers
BGE 124 V 52 S. 61
responsable le remboursement des frais d'hospitalisation médicaux et non médicaux, elle a empêché l'assuré de faire valoir lui-même son droit au payement de ces mêmes frais. En intervenant dans ces circonstances, cette modification de la pratique de la CNA ne respectait pas, à l'égard de l'assuré, les règles de la bonne foi. C'est pourquoi, les premiers juges n'ont pas violé le droit fédéral en considérant qu'aussi longtemps que l'assuré n'aurait pas obtenu le droit de se faire rembourser directement par le tiers responsable - ou par son assureur RC - la part non couverte de ses frais d'hospitalisation, c'est à la CNA qu'il incombait de les prendre à sa charge, dans la mesure fixée par le juge civil, soit les deux tiers.
La CNA fait cependant valoir que cette solution n'est pas claire dans la mesure où il n'est pas expressément indiqué ce qu'il advient de l'allocation pour impotent, alors même que le jugement cantonal consacre en partie le retour à son ancienne pratique. Il est exact que l'assuré ne saurait prétendre - il ne le fait d'ailleurs pas - à la fois la couverture des frais d'hospitalisation non médicaux et le versement d'une allocation pour impotent (
art. 26 al. 2 LAA
). Toutefois, lorsque seule une partie de ces frais est à la charge de la CNA, comme c'est le cas en l'occurrence, l'allocation pour impotent ne saurait être complètement supprimée mais seulement réduite dans une mesure analogue.
9.
Aux termes du dispositif du jugement attaqué - qui peut seul faire l'objet du recours de droit administratif - la CNA est condamnée à rembourser à l'assuré les frais hospitaliers médicaux et, à partir du 1er décembre 1995, les deux tiers des frais d'hospitalisation non médicaux.
Sur le vu de ce qui précède, ce jugement n'est pas contraire au droit fédéral, étant cependant précisé que dans la nouvelle décision qu'elle sera appelée à rendre, la CNA devra fixer d'une part le montant de l'allocation pour impotent à laquelle l'assuré pourrait prétendre si la caisse ne prenait pas en charge une partie des frais d'hospitalisation non médicaux et, d'autre part, la composition et le montant des frais médicaux (couverts à 100%) et des frais non médicaux (couverts aux deux tiers) à l'Hôpital de Loëx. Une fois ces éléments chiffrés, la caisse statuera sur le montant réduit de l'allocation pour impotent à laquelle l'assuré a droit, en sus de la rente d'invalidité et du remboursement des frais d'hospitalisation dans la mesure sus-indiquée.
10.
Les deux recours se révèlent ainsi mal fondés. (Frais et dépens) | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8d034ef-a740-4aa1-aeb2-b3fd3293fb90 | Urteilskopf
109 V 60
13. Arrêt du 6 janvier 1983 dans la cause Caisse cantonale genevoise de compensation contre Roderer et Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS | Regeste
Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
.
Anspruch des Beschwerdeführers, des Beschwerdegegners und der Mitinteressierten auf Parteientschädigung. | Sachverhalt
ab Seite 60
BGE 109 V 60 S. 60
A.-
Par décision du 26 février 1981, la Caisse cantonale genevoise de compensation a accordé à Pierre Freymond une rente entière ordinaire simple d'invalidité à partir du 1er février 1979. Le même jour, ladite caisse a notifié à Monique Roderer, ex-épouse du prénommé et elle-même bénéficiaire d'une rente entière d'invalidité depuis le 1er février 1980, une décision lui annonçant le versement entre ses mains, avec effet rétroactif au 1er février 1979, d'une rente ordinaire complémentaire double pour son fils, dont elle avait la garde.
BGE 109 V 60 S. 61
B.-
Pierre Freymond recourut contre ce deuxième acte administratif, en contestant le bien-fondé du versement rétroactif en mains de son ancienne femme et en annonçant son intention de demander une modification du jugement de divorce en tant qu'il concernait la pension à laquelle il était astreint en faveur de son fils.
Par jugement du 29 septembre 1981, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS rejeta le recours et alloua à Monique Roderer, qui avait été invitée à se déterminer en qualité de "personne intéressée à la solution du litige" et s'était fait représenter par un avocat, la somme de 100 francs à titre de dépens, qu'elle mit à la charge de la caisse intimée.
C.-
La Caisse cantonale genevoise de compensation interjette recours de droit administratif, en concluant à l'annulation du jugement cantonal, dans la mesure où il la condamne à verser des dépens.
Représentée par son avocat, Monique Roderer renonce à prendre position sur le recours.
Pierre Freymond n'a pas fait usage de la possibilité qui lui a été donnée de se déterminer.
La Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS estime que Monique Roderer était partie au procès, qu'elle a obtenu gain de cause et qu'il était logique de mettre les dépens à la charge de l'administration de l'AVS, qui avait "bénéficié indirectement de l'appui d'un avocat", le paiement des frais de la procédure ne pouvant être imposé au recourant dans le cas d'espèce.
L'Office fédéral des assurances sociales propose d'admettre le recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Un jugement de première instance en matière d'AVS/AI fixant les dépens est susceptible de recours de droit administratif (
art. 101 let. b OJ
interprété a contrario;
ATF 99 V 125
,
ATF 98 V 121
, 123 et 272; cf. également RCC 1980 p. 114, 1978 p. 330).
2.
Aux termes de l'
art. 85 al. 2 let
. f LAVS, applicable par analogie en matière d'assurance-invalidité en vertu de l'
art. 69 LAI
, le recourant qui obtient gain de cause a droit au remboursement de ses frais et dépens, ainsi que de ceux de son mandataire, dans la mesure fixée par le juge.
BGE 109 V 60 S. 62
3.
En l'occurrence, Pierre Freymond a recouru devant la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS contre une décision notifiée à son ex-épouse, Monique Roderer, qui portait sur le droit à une rente complémentaire double pour enfant. Il est indéniable que, titulaire d'une rente entière d'invalidité, il était intéressé, au sens de l'
art. 84 al. 1 LAVS
, s'agissant d'une décision concernant la rente complémentaire due pour son fils; il avait donc qualité pour recourir (voir par exemple RCC 1979 p. 124). En présence toutefois d'un acte administratif notifié à son ex-épouse, il est non moins clair que cette dernière était directement concernée par le procès, auquel elle est devenue intéressée, même à son corps défendant (arrêts non publiés Wermeille du 22 juin 1982 et de Paoli du 21 mai 1981, à propos de la situation de l'époux dont le conjoint a recouru contre une décision de rente de couple les concernant). Comme le recours tendait en l'espèce à la priver d'une prestation que lui accordait la décision attaquée, la prénommée ne pouvait que soutenir le point de vue de la Caisse cantonale genevoise de compensation. A l'instar de cette dernière, elle a donc obtenu gain de cause, elle aussi - ce qui n'est du reste pas contesté.
4.
La question essentielle qui se pose est dès lors de savoir si Monique Roderer, qui était assistée d'un avocat, peut prétendre des dépens de première instance, bien qu'elle n'eût pas qualité de recourante mais se trouvât dans la situation de devoir résister au recours de Pierre Freymond.
A cet égard, il sied de relever que la Cour de céans a jugé que l'
art. 85 al. 2 let
. f LAVS avait pour but de garantir aux assurés le droit d'être assistés en justice et de permettre de leur rembourser, dans une certaine mesure, leurs frais et dépens, y compris ceux de leur mandataire. Elle a par conséquent admis que l'assuré devenu intimé en deuxième instance cantonale, dans les domaines où cela est possible, peut en principe prétendre des dépens, s'il gagne son procès, bien que la disposition susmentionnée ne parle que de "recourant" obtenant gain de cause (
ATF 108 V 111
).
Dans ces conditions, si l'on ne veut pas aboutir à des résultats inadmissibles (voir par exemple
ATF 107 V 214
; RCC 1982 pp. 212, 216, 350), on ne saurait invoquer la lettre de la loi pour refuser d'accorder des dépens à un assuré obtenant gain de cause sur le plan cantonal pour la seule raison que, vu la nature des prétentions du recourant, il ne peut être partie au litige qu'en qualité d'intimé ou ne peut y participer qu'en tant qu'intéressé. Un
BGE 109 V 60 S. 63
tel assuré a le droit tout autant que celui qui a recouru d'être assisté en justice et de se voir rembourser dans une certaine mesure ses frais et dépens ainsi que ceux de son mandataire.
Lorsque le recourant succombe, c'est bien entendu à lui qu'il incombe de verser les dépens alloués à sa partie adverse qui peut en prétendre (voir par analogie
art. 159 OJ
, 64 PA). L'
art. 85 al. 2 let. a LAVS
n'est en effet pas applicable aux dépens. En l'espèce, dès lors, c'est à tort que des dépens ont été mis à la charge de la caisse de compensation.
Dans ces conditions, il y a lieu d'admettre le recours et de renvoyer la cause aux premiers juges pour qu'ils statuent à nouveau sur les dépens de première instance, conformément à ce qui vient d'être exposé.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral des assurances prononce:
Le recours est admis, le jugement cantonal étant réformé dans ce sens que le ch. 2 de son dispositif est annulé et la cause renvoyée à la commission de recours pour nouvelle décision sur la question des dépens, conformément aux considérants. Il n'est pas perçu de frais de justice ni alloué de dépens pour l'instance fédérale. | null | nan | fr | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8d20222-0de4-4aa1-8908-2b7852815ee5 | Urteilskopf
122 V 69
11. Extrait de l'arrêt du 22 février 1996 dans la cause Office fédéral des assurances sociales contre Dame W. et Commission cantonale de recours en matière d'AVS, Genève | Regeste
Art. 9, 10 und 11 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über Soziale Sicherheit vom 8. März 1989: Altersrente einer geschiedenen Frau, deren verstorbener Ex-Mann Beiträge an die Sozialversicherungen der Schweiz und Liechtensteins entrichtet hatte.
Nach dem durch das Abkommen festgelegten Integrationsprinzip werden bei Angehörigen eines Vertragsstaates, die in beiden Vertragsstaaten versichert waren, die beiderseitigen Versicherungszeiten zusammengezählt und wird hierauf eine einzige Rente ausgerichtet, deren Betrag entsprechend den erfüllten Beitragszeiten zu Lasten beider Versicherungen geht.
Anwendungsfall. | Sachverhalt
ab Seite 70
BGE 122 V 69 S. 70
A.-
Les époux W., nés tous deux en 1929, ressortissants suisses, se sont mariés le 21 août 1956. Leur mariage a été dissous par le divorce le 22 mars 1973.
Le 12 janvier 1977, W. est décédé. Dame W. a été mise au bénéfice d'une rente de veuve de l'AVS. Comme son ex-mari avait versé des cotisations à l'AVS suisse et à l'assurance-vieillesse et survivants de la Principauté de Liechtenstein, la rente fut calculée conformément aux dispositions de la Convention de sécurité sociale entre la Suisse et le Liechtenstein. Chacune des deux assurances versa une part de rente (rente dite "intégrée"); la part versée par l'assurance suisse fut déterminée selon le rapport existant entre les cotisations payées à l'AVS suisse et la somme totale des cotisations versées aux deux assurances.
B.-
Dame W. a accompli sa 62ème année le 25 mai 1991. Par décision du 15 juillet 1991, la Caisse cantonale genevoise de compensation lui a alloué, en remplacement de la rente de veuve en cours, une rente simple de vieillesse à partir du 1er juin 1991.
La rente fut calculée sur la base du revenu annuel moyen de l'assurée (66'240 francs), de la durée de cotisations de celle-ci (23 années) et de l'échelle de rente 44. L'intéressée n'ayant elle-même jamais versé de cotisations à l'assurance du Liechtenstein, seules entraient en
BGE 122 V 69 S. 71
considération des périodes d'assurance accomplies en Suisse.
Ces bases de calcul, plus favorables à l'assurée que celles qui avaient servi au calcul de la rente de veuve, permettaient le versement d'une rente maximale de 1'600 francs par mois.
C.-
A l'occasion d'un contrôle, il est apparu que l'assurance du Liechtenstein versait également à l'assurée une rente de vieillesse à partir du 1er juin 1991. Sur la base d'un nouveau calcul, effectué par la Caisse suisse de compensation, la Caisse cantonale genevoise de compensation a rendu, le 19 août 1993, la décision suivante:
Elle a fixé à 1'621 francs dès le 1er janvier 1993 la part de rente à la charge de l'AVS suisse, tandis que la part de rente versée par l'assurance liechtensteinoise s'élevait à 259 francs. Il en résultait, au total, une rente maximale de 1'880 francs. En outre, la caisse cantonale a réclamé à l'assurée la restitution du montant de 6'419 francs, représentant la différence entre la rente maximale versée par l'AVS suisse du 1er juin 1991 au 31 juillet 1993 et la part de rente qui était due par la même assurance pour cette période.
A l'appui de sa décision, la caisse indiquait qu'elle avait cru erronément, en 1991, que l'assurance liechtensteinoise ne "participait" plus au paiement d'une rente en faveur de l'assurée, étant donné que les périodes d'assurance accomplies au Liechtenstein par feu W. n'entraient plus en ligne de compte dans le calcul de la rente.
D.-
Par jugement du 22 mars 1995, la Commission cantonale genevoise de recours en matière d'AVS a admis le recours formé contre cette décision par l'assurée. Elle a statué que celle-ci avait droit à une "rente AVS simple, entière de l'assurance-vieillesse et survivants suisse", cela indépendamment de la rente versée par l'assurance liechtensteinoise, dont il n'y avait pas lieu, selon la commission, d'examiner si elle était ou non perçue à tort par l'assurée.
E.-
L'Office fédéral des assurances sociales interjette un recours de droit administratif en concluant à l'annulation de ce jugement et au rétablissement de la décision administrative du 19 août 1993.
Dame W. n'a pas fait usage de la possibilité qui lui a été donnée de répondre au recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
Les relations entre la Confédération suisse et la Principauté de Liechtenstein en matière de sécurité sociale sont régies, principalement, par une convention du 8 mars 1989, entrée en vigueur le 1er mai 1990 (RO
BGE 122 V 69 S. 72
1990 638). Cette convention remplace une convention antérieure du 3 septembre 1965 (RO 1966 1272).
a) Les systèmes suisses et liechtensteinois d'assurance-vieillesse et survivants ont été conçus de manière pratiquement identique (HILMAR HOCH, Geschichte des Liechtensteinischen Sozialversicherungsrechts, thèse Berne 1991, p. 80 ss). Pour cette raison, la convention de 1989, à l'instar de la convention précédente, repose sur le principe dit de l'intégration. Selon ce principe, lorsqu'une personne a été affiliée dans les deux Etats contractants, les périodes d'assurance accomplies de part et d'autre sont totalisées et elles donnent lieu à une seule rente. Le montant de celle-ci est mis à la charge de chacun des régimes d'assurance des deux pays, proportionnellement aux périodes d'assurance qui y ont été accomplies (Message concernant la convention de sécurité sociale avec la Principauté de Liechtenstein du 26 avril 1989, FF 1989 II 603; HOCH, op.cit., p. 214 ss). Ce système a pour but d'éviter un cumul de prestations: la prise en compte par chacun des Etats de la totalité des périodes de cotisations accomplies dans les deux Etats et le versement d'une seule rente, à répartir entre les deux assurances, permet, en effet, d'éviter que la prestation ne dépasse le montant maximal des rentes prévu par chacune des législations internes (HOCH, op.cit., p. 216) et qui est identique dans les deux régimes (actuellement 1'940 francs pour la rente mensuelle simple de vieillesse).
b) Le principe susmentionné de l'intégration découle des
art. 9 à 11
de la Convention.
Selon l'art. 9 par. 1 de la Convention, les ressortissants des Etats contractants qui ont versé des cotisations à l'assurance obligatoire ou facultative des deux Etats pendant au moins une année entière au total ont droit, ainsi que leurs survivants, à une part des rentes ordinaires servies par les assurances-vieillesse, survivants et invalidité des deux Etats, calculée selon les modalités prévues aux art. 10 et 11.
L'art. 10 a la teneur suivante:
a. Pour déterminer la durée de cotisations en vue de fixer l'échelle de rente, l'assurance de l'un des Etats prend également en considération les périodes de cotisations ainsi que les périodes assimilées, accomplies dans l'assurance obligatoire ou facultative, conformément à la législation de l'autre Etat comme si elles avaient été accomplies dans l'assurance du premier Etat.
BGE 122 V 69 S. 73
(...)
b. Pour déterminer le revenu annuel moyen, l'assurance de chaque Etat prend en considération les revenus sur lesquels l'assuré a payé des cotisations à l'assurance obligatoire ou facultative des deux Etats et les années de cotisations correspondantes, comme s'ils avaient été acquis dans l'assurance de l'Etat concerné. La lettre a, deuxième sous-paragraphe, est applicable par analogie.
(...)
c. L'assurance de chaque Etat détermine ensuite la rente selon sa propre législation en se conformant aux lettres a et b, mais en ne comptant qu'une seule fois les périodes pour lesquelles des cotisations ont été payées simultanément à l'assurance obligatoire ou facultative des deux Etats. L'assurance de chaque Etat alloue la part de la rente ainsi fixée qui correspond au rapport existant entre les revenus sur lesquels des cotisations ont été payées conformément à la législation de cet Etat et la somme des revenus sur lesquels des cotisations ont été payées aux assurances des deux Etats depuis le 1er janvier 1948.
Quant à l'art. 11 de la Convention, il a la teneur suivante:
Lorsque, sans faire application des art. 9 et 10, la rente que l'ayant droit pourrait prétendre de l'assurance de l'un des Etats contractants en vertu de la législation interne, sur la base des revenus sur lesquels des cotisations ont été payées dans cet Etat et des années de cotisations qui y ont été accomplies, est supérieure au montant total des parts de rentes déterminées par les assurances des deux Etats conformément à l'art. 10, la rente due par le premier Etat est augmentée d'un complément égal à la différence.
c) Conformément à l'art. 3 par. 1 de la Convention, ces dispositions s'appliquent aux ressortissants des Etats contractants, ainsi qu'aux membres de leur famille et à leurs survivants, en tant que leurs droits dérivent d'un ressortissant.
2.
a) Au décès de son ex-mari, l'intimée avait droit à des parts de rente de veuve de chacun des Etats contractants, dès lors que le défunt avait versé des cotisations aux assurances suisse et liechtensteinoise. La durée totale de cotisations était de 21 ans et six mois (dont six années accomplies au Liechtenstein), entraînant l'application de l'échelle de rente 24. La part de rente versée par l'assurance suisse était déterminée par le rapport existant entre les cotisations payées à l'AVS suisse et la somme totale des cotisations versées aux deux assurances.
b) Lors de la fixation de la rente de vieillesse de l'intimée, la caisse de compensation a procédé à un calcul comparatif. Au lieu de calculer la rente sur la base du revenu annuel moyen qui aurait été déterminant pour le calcul de la rente de vieillesse pour couple (art. 31 al. 3 LAVS), elle a fixé la rente sur la base du revenu annuel moyen de l'assurée (art. 30 al. 1 LAVS)
BGE 122 V 69 S. 74
et de sa propre durée de cotisations (art. 29bis LAVS), ce qui permettait le versement d'une rente plus élevée, en l'occurrence une rente maximale.
Constatant que les périodes de cotisations accomplies au Liechtenstein par l'ex-mari de l'assurée n'entraient plus en considération dans ce calcul, la caisse a tout d'abord cru que l'assurance de ce pays ne participait plus au paiement d'une rente. Dans un premier temps, elle n'a dès lors pas effectué le calcul proportionnel prévu par la Convention et a versé la rente en totalité. En 1993, elle a retenu les mêmes bases de calcul qu'en 1991, mais elle a cette fois opéré une répartition de la rente maximale entre les deux régimes.
3.
Les premiers juges sont d'avis qu'il ne se justifiait pas de faire application de la "méthode d'intégration" prévue par la Convention, dans la mesure où l'intimée, sur la base du seul droit suisse et de sa carrière d'assurance en Suisse, peut prétendre une rente ordinaire simple de vieillesse maximale. La décision rectificative du 19 août 1993 n'était, dès lors, pas fondée. Peu importe que l'assurance du Liechtenstein verse pour sa part - à tort ou à raison - une rente de vieillesse à l'intimée.
a) Cette manière de voir ne saurait être partagée.
L'intimée, qui a été mariée à un assuré décédé, de nationalité suisse, ayant lui-même versé des cotisations aux deux régimes d'assurance en cause, a sans conteste qualité de survivante au sens des art. 3 par. 1 et 9 par. 1 de la Convention. Celle-ci est donc applicable en l'espèce.
En conséquence, l'assurée a droit à des parts de rente de vieillesse servies par les régimes respectifs de chaque Etat contractant. En outre, pour fixer ces parts de rente, il convient de prendre en considération les périodes de cotisations accomplies dans l'assurance de l'autre Etat, comme si elles avaient été accomplies dans l'assurance du premier Etat; il en va de même des revenus sur lesquels les cotisations ont été payées (art. 10 let. a et b de la Convention).
C'est bien ainsi qu'a procédé l'autorité compétente du Liechtenstein. Lors du remplacement de la rente de veuve par une rente de vieillesse, elle a aussi effectué le calcul comparatif décrit ci-dessus (également prévu par la législation interne du Liechtenstein). Elle a conclu que l'assurée avait droit à une rente maximale en tenant compte de sa durée de cotisations accomplie en Suisse (et de ses seuls revenus obtenus dans ce pays). En 1993, il en résultait une part de rente, à la charge de l'assurance du
BGE 122 V 69 S. 75
Liechtenstein, de 259 francs par mois.
b) Selon le calcul de la Caisse suisse de compensation, qui a conduit au prononcé de la décision rectificative litigieuse, le revenu sur lequel des cotisations ont été payées en Suisse (par l'intimée et par son ex-mari) s'élève au total à 1'670'981 francs. Le revenu sur lequel des cotisations ont été payées au Liechtenstein (par le mari seulement) s'élève à 267'300 francs. Le total du revenu déterminant est donc de 1'938'281 francs. Le rapport entre les revenus obtenus en Suisse et la somme des revenus déterminants (art. 10 let. c de la Convention) est de 86,21 pour cent, ce qui donnait, en 1991, une part de rente de l'assurance suisse de 1'379 francs (1992: 1'552 francs; 1993: 1'621 francs) à la charge de l'AVS suisse; inversement, le montant à la charge de l'assurance du Liechtenstein s'élevait - on l'a vu - à 259 francs en 1993.
Ce calcul, qui est conforme aux dispositions de la Convention, n'apparaît pas critiquable. Il correspond en tous points à celui effectué par l'institution d'assurance du Liechtenstein, comme l'a confirmé le directeur de la "Liechtensteinische Alters- und Hinterlassenenversicherung" dans une lettre du 9 mai 1994 à la commission cantonale genevoise de recours. On note au demeurant que l'addition des parts de rente conduit au paiement d'une rente maximale selon chacune des législations nationales.
c) Contrairement à l'opinion de la juridiction cantonale, le fait que l'intimée peut prétendre une rente maximale uniquement sur la base de sa propre carrière d'assurance en Suisse ne rend pas inopérant le principe de l'intégration prévu par la Convention. Le raisonnement des premiers juges conduirait, en fait, à l'allocation de deux rentes maximales, à la charge de l'assurance de chaque Etat contractant, puisque l'assurance du Liechtenstein est en tout état de cause tenue, en vertu de sa législation interne et de la Convention, de verser une rente à l'intimée, calculée sur sa durée de cotisations et sur ses revenus obtenus en Suisse.
Du reste, l'hypothèse d'une rente calculée en vertu de la seule législation interne d'un Etat contractant, sur la base de la carrière d'assurance accomplie dans cet Etat uniquement, est expressément envisagée à l'art. 11 de la Convention; cette disposition réserve le cas où une telle rente serait supérieure aux parts de rente déterminées par les assurances des deux Etats. Ainsi, supposé que la rente de l'intimée, déterminée uniquement en vertu du droit suisse et calculée sur la base de la propre carrière d'assurance de l'intéressée fût plus élevée que le total des deux parts de
BGE 122 V 69 S. 76
rentes calculées conformément à l'art. 10 de la Convention, l'assurance suisse devrait verser un complément égal à la différence. Mais en aucun cas l'assurance du Liechtenstein ne serait libérée de son obligation de verser la part de rente qui lui incombe, conformément à la règle conventionnelle de l'intégration. | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c8d75d70-e57b-4036-9382-b83c318f5300 | Urteilskopf
109 Ib 60
9. Estratto della sentenza 2 marzo 1983 della I Corte di diritto pubblico nella causa Federici c. Dipartimento federale di giustizia e polizia (opposizione a una domanda d'estradizione) | Regeste
Auslieferung. Europäisches Auslieferungsübereinkommen, Bundesgesetz betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande vom 22. Januar 1892 und Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe im Strafsachen vom 20. März 1981 (IRSG).
1. Auf ein Auslieferungsgesuch anwendbare verfahrens- und materiellrechtliche Bestimmungen, wenn dieses vor dem Inkrafttreten des IRSG gestellt worden ist, vom Bundesgericht aber erst nach dem 1. Januar 1983 beurteilt wird (E. 1 und 2).
2. Mit der Frage der Täterschaft und Schuld hat sich die ersuchte schweizerische Behörde nicht zu befassen; nach dem Inkrafttreten des IRSG ist allerdings der vom Verfolgten angebotene Alibibeweis zu prüfen (E. 5a). | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 109 Ib 60 S. 61
L'avvocato Federico Federici, cittadino italiano, è stato arrestato a Ginevra il 22 settembre 1982 per ordine dell'Ufficio federale di polizia (UFP), su richiesta dell'Ambasciata d'Italia a Berna presentata con nota verbale del 16 settembre 1982, ed è stato posto in detenzione provvisoria a titolo estradizionale nel carcere di Bois-Mermet a Losanna. La domanda formale d'estradizione è stata inoltrata lo stesso 22 settembre 1982 e l'avv. Federici ha interposto opposizione.
Il Dipartimento federale di giustizia e polizia ha trasmesso gli atti al Tribunale federale in data 1o febbraio 1983, unitamente ad un rapporto 11 gennaio 1983 dell'UFP e ad osservazioni 27 gennaio 1983 del Ministero pubblico della Confederazione.
Erwägungen
Dai considerandi:
1.
La legge federale sull'assistenza internazionale in materia penale (AIMP) del 20 marzo 1981 (RU 1981, pag. 846), entrata in vigore il 1o gennaio 1983, ha abrogato la legge federale sull'estradizione agli Stati stranieri (LEstr) del 22 gennaio 1892 (
art. 109 cpv. 1 AIMP
). In virtù della norma transitoria dell'
art. 110 cpv. 1 AIMP
, i procedimenti d'estradizione pendenti, come il presente, al momento dell'entrata in vigore della nuova legge sono tuttavia ultimati secondo le disposizioni procedurali della cessata LEstr. Il Tribunale federale deve quindi pronunciarsi quale unica istanza sull'opposizione del ricercato ai sensi
BGE 109 Ib 60 S. 62
dell'
art. 23 LEstr
. Esso esamina liberamente, senza esser legato alle sole obiezioni dell'opponente, se le condizioni dell'estradizione sono adempiute, e può controllare anche gli aspetti formali sui quali spetta in primo luogo all'Ufficio federale di polizia di pronunciarsi (
DTF 105 Ib 296
consid. 1b, 101 Ia 62 segg. consid. 3, 421 consid. 1c; sentenza 3 agosto 1982 in re Suarez, destinata a pubblicazione, consid. 2c).
2.
Per quel che concerne il diritto estradizionale materiale, il Tribunale federale deve applicare quello in vigore al momento in cui decide.
a) Per quanto riguarda la legge, ciò risulta da un lato dalla norma abrogativa dell'
art. 109 cpv. 1 AIMP
, e dall'altro - e contrario - dal tenore dell'
art. 110 cpv. 1 AIMP
: questa disposizione, infatti, si limita a riservare per i procedimenti pendenti al 1o gennaio 1983 le disposizioni procedurali della vecchia legge, senza far cenno invece di quelle di diritto materiale. È appena il caso di avvertire che il principio della non-retroattività della legge penale non è in gioco, il diritto estradizionale regolando semplicemente una forma dell'assistenza giudiziaria fra gli Stati (cfr. SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, pagg. 98, 322/23). D'altronde, non avrebbe senso pronunciarsi sull'ammissibilità dell'estradizione secondo il vecchio diritto, dal momento che lo Stato richiedente, presentando una nuova domanda, potrebbe provocare immediatamente una decisione fondata sulla nuova normativa (circa la rinnovabilità di principio della domanda d'estradizione, cfr. SCHULTZ, op.cit., pagg. 177/79 e nota 95).
b) Alla stessa conclusione si giunge per quanto concerne l'applicazione della Convenzione europea d'estradizione (CEEstr), che regge i rapporti italo-svizzeri in materia. La Svizzera, in applicazione del decreto federale del 21 giugno 1979 concernente le riserve a detta Convenzione (RU 1982, pag. 889), ha notificato al Consiglio d'Europa - appunto con effetto a partire dal 1o gennaio 1983, data dell'entrata in vigore dell'AIMP - il ritiro di talune riserve e la modifica di una delle dichiarazioni inizialmente formulate (RU 1983, pag. 165). Ciò facendo, la Svizzera si è adeguata alla sollecitazione contenuta nell'
art. 26 CEEstr
, norma che invita le Parti contraenti, che avessero espresso delle riserve, a ritirarle non appena le circostanze lo permettono. Tale invito perderebbe parte della sua portata, ove riserve inizialmente formulate e poi ritirate rimanessero in vigore per i casi pendenti oltre il momento in cui la loro giustificazione è venuta a cadere.
BGE 109 Ib 60 S. 63
Ciò significa che, a partire dal 1o gennaio 1983, le condizioni dell'estradizione a titolo principale sono determinate secondo la clausola generale prevista all'art. 2
§ 1 CEEstr
, disposizione alla quale il nuovo diritto interno è stato adeguato (cfr.
art. 35 cpv. 1 lett. a AIMP
) e che è quindi divenuto caduco l'elenco dei reati estradizionali che ricalcava l'enumerazione contenuta nell'
art. 3 LEstr
(ritiro della riserva concernente l'art. 2 § 1). In secondo luogo, sono divenute caduche le riserve a suo tempo formulate a proposito degli
art. 7 e 8 CEEstr
e relative alle restrizioni frapposte dal precedente diritto interno all'estradizione per reati commessi su territorio svizzero o commessi all'estero, ma soggiacenti alla giurisdizione svizzera (ritiro delle riserve concernenti gli
art. 7 e 8 CEEstr
). Infine, sono state riformulate le dichiarazioni fatte dalla Svizzera in punto all'art. 2 § 2 e all'
art. 6 CEEstr
. La nuova formulazione della prima dichiarazione non muta nulla alla situazione anteriore, nel senso che la Svizzera, andando oltre a quanto strettamente previsto dalla Convenzione, si riserva la facoltà, quando un'estradizione è o è stata accordata, di estenderne gli effetti a qualsiasi altro fatto punibile secondo una disposizione di diritto comune della legislazione svizzera, senza esigere che sia comminata una pena privativa della libertà. Quanto alla dichiarazione concernente l'
art. 6 CEEstr
, la nuova formulazione è dovuta al fatto che la nuova legge permette ormai l'estradizione di un cittadino svizzero, ove questi vi acconsenta (cfr.
art. 7 cpv. 1 AIMP
), rispettivamente è dettata dalla necessità di menzionare il perseguimento penale surrogatorio in Svizzera (cfr. il messaggio del Consiglio federale dell'8 marzo 1976, FF 1976 II pag. 489, n. 62).
5.
(...)
a) In linea generale, Federici si proclama estraneo ai fatti imputatigli. In questa misura le sue censure debbono esser dichiarate improponibili. Per costante giurisprudenza, il tema della colpevolezza sfugge infatti alla cognizione del giudice dell'estradizione, che è vincolato dalle risultanze del mandato di cattura, fintanto almeno che esso non contenga lacune, contraddizioni o errori manifesti: la questione della colpa, in altri termini, è riservata al giudice italiano del merito (
DTF 107 Ib 76
consid. 3b,
DTF 106 Ib 299
consid. 2,
DTF 101 Ia 611
consid. 2; sentenza 3 agosto 1982 in re Suarez, consid. 6). Si osservi tuttavia che, accogliendo le critiche della dottrina, l'
art. 53 AIMP
impone ora di controllare l'alibi sollevato dal ricercato (messaggio 8 marzo 1976 del Consiglio federale, FF 1976 II pag. 481; cfr.
BGE 109 Ib 60 S. 64
inoltre:
DTF 95 I 467
consid. 5; SCHULTZ, op.cit., pag. 234 e nota 68; risoluzioni del colloquio preparatorio al X Congresso internazionale di diritto penale (Roma 1969), in Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 81/1969 pag. 243, e Revue internationale de droit pénal, 1968 pag. 831). Nel caso in esame, la verifica dell'alibi prodotto dall'opponente a proposito dell'imputazione di furto aggravato è però superflua, dal momento che essa è stata lasciata cadere, siccome inconsistente, dalle stesse autorità italiane. | public_law | nan | it | 1,983 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c8e2687b-6b1d-484b-9026-45fff1c81d51 | Urteilskopf
122 IV 97
16. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 22 avril 1996 dans la cause B. c Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 189, 190 StGB
, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, begangen mit psychischem Druck.
Fall eines kindlichen, leicht debilen Opfers (Alter 10-15 Jahre), von einem in Lebensgemeinschaft mit der Mutter lebenden Mann missbraucht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 97
BGE 122 IV 97 S. 97
En 1986, B. s'est mis en ménage avec T., qu'il a épousée en juillet 1990. La fille cadette de celle-ci, L., née le 4 juillet 1976, est débile légère; interne à l'établissement La Cigale, elle a passé certains week-ends chez eux avant d'y être placée en 1990. B. a été décrit comme un homme intransigeant et rigide, redouté de sa femme et de L. L'expertise psychiatrique a admis que sa responsabilité pénale était entière. Son casier judiciaire est vierge.
Dès l'automne 1986, il est arrivé à B. d'entrer dans la chambre de sa belle-fille, L., pour la caresser sur les seins et sur le sexe, à même la peau, sous le pyjama.
Depuis la fin de l'hiver ou le printemps 1988, il a pris l'habitude de passer le matin dans la chambre de sa belle-fille, en profitant de ces occasions pour la caresser, l'embrasser sur la bouche, sur les seins et sur le sexe.
BGE 122 IV 97 S. 98
En été 1988, dans le chalet du couple, B. a introduit pour la première fois un doigt dans le vagin de l'enfant et lui a fait subir depuis lors à plusieurs reprises ce genre d'attouchements. Il a également eu son premier rapport sexuel complet avec l'enfant, qui dormait dans la même pièce que sa mère et son beau-père.
Depuis cette époque, B., tout en continuant à prodiguer des caresses à L., a entretenu des relations sexuelles avec elle à de très nombreuses reprises. Il a été retenu que le nombre des relations sexuelles complètes subies par l'enfant était d'au moins 25, ces relations ayant cessé à fin septembre 1991.
Lors des premiers attouchements en 1986, L. n'était pas consentante, demandant à plusieurs reprises à son beau-père de la laisser tranquille et de s'en aller et le repoussant parfois de la main. Elle a également essayé en vain de l'écarter lors du premier rapport sexuel; si elle n'a pas alors crié, c'était par peur de réveiller sa mère qui dormait à ses côtés. Les autres rapports sexuels ont aussi généralement eu lieu contre son gré, et elle a tenté plusieurs fois d'éloigner B. Celui-ci, qui a reconnu que L. était réticente et a admis en cours d'enquête qu'elle s'était peut-être pliée à ses caprices pour ne pas perdre son affection, lui a fait comprendre qu'elle pouvait prendre une fessée si sa mère apprenait ce qui se passait, et lui a dit d'éviter de lui parler de leurs relations si elle ne voulait pas avoir d'histoires. L. a toutefois été à quelques reprises d'accord d'entretenir des rapports avec B.; elle a ainsi déclaré que parfois c'était elle qui l'excitait parce qu'elle l'aimait. Il a été retenu que L. n'était en tout cas pas consentante au début de la relation et que si elle l'était devenue par la suite, c'était parce que B. l'avait initiée à ces pratiques. Il a été admis que B. avait, dans la majorité des cas, exercé des pressions d'ordre psychique sur sa belle-fille, qui le craignait et qui était sous son emprise, et l'avait mise hors d'état de résister, en insistant pour avoir des rapports avec elle malgré son opposition et en lui recommandant de ne pas révéler leurs relations à sa mère, la menaçant sinon d'une fessée.
Le 24 novembre 1991, à la suite d'une violente altercation entre les époux B., L. s'est confiée à sa mère, qui a dénoncé les faits à la police. Il fut retenu que T. savait, dès juillet/août 1991, que son mari entretenait des relations sexuelles avec sa fille, mais qu'elle ne l'avait pas dénoncé avant le 24 novembre 1991, afin de ne pas faire éclater son couple.
Par jugement du 23 mars 1995, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a condamné B., pour actes d'ordre sexuel avec des enfants
BGE 122 IV 97 S. 99
(
art. 187 CP
), contrainte sexuelle (
art. 189 CP
) et viol (
art. 190 CP
), à la peine de trois ans d'emprisonnement, mettant à sa charge une partie des frais de la procédure. Pour fixer la peine, le tribunal a tenu compte du concours d'infractions, de la répétition des actes et de leur gravité intrinsèque; à décharge, il a retenu le casier judiciaire vierge, la bonne réputation sur le plan professionnel, l'attitude coopérative durant l'enquête, ainsi que les regrets et la prise de conscience manifestés.
Par arrêt du 16 juin 1995, la cour de cassation cantonale a rejeté le recours formé contre cette décision par le condamné.
Contre cet arrêt, B. s'est pourvu en nullité à la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral. Invoquant une violation des art. 189 al. 1, 190 al. 1, 63 et 41 CP, il conclut à l'annulation de la décision attaquée avec suite de frais et dépens. Il a sollicité l'effet suspensif qui lui a été accordé par ordonnance présidentielle du 7 août 1995. Il a également requis l'assistance judiciaire qui lui a été refusée par décision de la Cour de cassation pénale du Tribunal fédéral du 10 janvier 1996.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
(Recevabilité).
2.
a) Le recourant ne conteste pas s'être rendu coupable d'actes d'ordre sexuel avec un enfant, au sens de l'
art. 187 ch. 1 CP
. Si l'acte a été imposé à l'enfant par la contrainte, il a été admis que cette infraction pouvait être retenue concurremment avec le viol (
art. 190 CP
) et la contrainte sexuelle (
art. 189 CP
) (
ATF 119 IV 309
consid. 7a); le recourant ne remet pas en cause cette jurisprudence.
Le viol et la contrainte sexuelle supposent l'emploi des mêmes moyens et la même situation de contrainte; le viol constitue une lex specialis pour le cas où la victime est une femme et qu'il lui est imposé l'acte sexuel proprement dit (
ATF 119 IV 309
consid. 7b).
Selon les constatations cantonales - qui lient la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) -, le recourant a accompli tantôt l'acte sexuel proprement dit, tantôt d'autres actes d'ordre sexuel, de sorte que les deux infractions, en concours réel, entrent en considération.
Le recourant conteste avoir commis l'infraction de viol et de contrainte sexuelle, en soutenant qu'il n'a pas recouru à l'un des moyens de contrainte prévus par la loi, à savoir la menace, la violence, la pression d'ordre psychique ou la mise hors d'état de résister.
BGE 122 IV 97 S. 100
b) Les art. 189 al. 1 et 190 al. 1 CP prévoient que l'auteur, "notamment en usant de menaces ou de violence envers une personne, en exerçant sur elle des pressions d'ordre psychique ou en la mettant hors d'état de résister", la contraint à subir l'acte.
Ces dispositions tendent à protéger la libre détermination en matière sexuelle (
ATF 119 IV 309
consid. 7a), en réprimant de manière générale la contrainte dans ce domaine, ayant pour objet d'amener une personne, sans son consentement, à faire ou subir l'acte sexuel ou un autre acte d'ordre sexuel (
ATF 119 IV 309
consid. 7b). Pour qu'il y ait contrainte en matière sexuelle, il faut que la victime ne soit pas consentante, que l'auteur le sache ou accepte cette éventualité (
ATF 119 IV 309
consid. 7b), et qu'il passe outre en profitant de la situation ou en employant un moyen efficace.
S'agissant plus précisément des moyens employés pour contraindre la victime, les dispositions citées mentionnent "notamment" la menace, la violence, les pressions d'ordre psychique et la mise hors d'état de résister.
Par menace, il faut entendre que l'auteur, par ses paroles ou son comportement, fait volontairement redouter à la victime la survenance d'un préjudice, à l'effet de l'amener à céder. La menace doit faire craindre un préjudice sérieux (REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6è édition, p. 378; STRATENWERTH, Bes. Teil I, 5è édition, p. 158 no 7).
Par violence, il faut entendre, comme dans le cas du brigandage (
art. 140 ch. 1 al. 1 CP
), l'emploi volontaire de la force physique sur la personne de la victime, dans le but de la faire céder.
Il n'est toutefois pas nécessaire que l'auteur recoure à la violence ou à la menace (FF 1985 II 1091); le Conseil fédéral a tenu à ajouter aux moyens déjà cités la mise hors d'état de résister, pour englober les cas où l'auteur, pour parvenir à ses fins, rend la victime inconsciente, par exemple en lui administrant des somnifères ou de la drogue, ce qui le dispense de violences ou de menaces pour agir sans le consentement de sa victime (FF 1985 II 1087).
A l'initiative du Conseil national, la liste des moyens a été complétée en ajoutant les pressions d'ordre psychique, pour inclure également les cas où la victime est mise hors d'état de résister par la surprise (BO 1990 CN 2302), la frayeur ou une situation sans espoir (PHILIPP MAIER, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, thèse de Zurich 1994, p. 304 et les références citées).
Egalement à l'initiative du Conseil national, l'adverbe "notamment" a été ajouté aussi bien à l'art. 189 al. 1 qu'à l'
art. 190 al. 1 CP
(MAIER, op.cit., p. 305 s. et les références citées). Contrairement à ce que pense
BGE 122 IV 97 S. 101
le recourant, les moyens de contrainte ne sont donc pas énumérés de façon exhaustive par la loi; l'adjonction, par rapport au projet du Conseil fédéral, de l'adverbe "notamment" et de la notion de pression psychologique procède de la volonté d'englober toutes les hypothèses de contrainte, même celles auxquelles le législateur n'aurait pas songé (MAIER, op.cit., p. 303 ss). Il ne suffirait par conséquent pas que le recourant puisse démontrer qu'il n'a employé aucun des moyens cités expressément par les art. 189 al. 1 et 190 al. 1 CP.
Il est vrai que le nouveau texte légal, en énumérant de façon non exhaustive des moyens de contrainte formulés en termes très généraux, comporte sous cet angle une certaine imprécision (dans ce sens: STRATENWERTH, op.cit., p. 158 ss no 6 ss); il pourra notamment s'avérer délicat de déterminer quelle intensité doit atteindre la pression psychique exercée sur la victime pour faire admettre que celle-ci a été contrainte, au sens des art. 189 al. 1 et 190 al. 1 CP, à subir les actes incriminés. La personnalité de la victime ne pourra notamment pas être ignorée dans ce contexte car on peut, par exemple, attendre d'un adulte en pleine possession de ses facultés de discernement une résistance à de telles pressions supérieure à celle que peut offrir un enfant. Il en résulte cependant que la victime doit être contrainte, ce qui présuppose un moyen efficace, autrement dit que la victime se trouve dans une situation telle qu'il soit possible d'accomplir l'acte sans tenir compte du refus; il suffit en définitive que, selon les circonstances concrètes, la soumission de la victime soit compréhensible (REHBERG/SCHMID, op.cit., p. 380). Tel est le cas lorsque la victime est placée dans une situation telle qu'il serait vain de résister physiquement ou d'appeler du secours ou que cela entraînerait un préjudice disproportionné, de sorte que l'auteur parvient à ses fins, en passant outre au refus, sans avoir nécessairement à employer la violence ou la menace (cf.
ATF 119 IV 309
consid. 7b). Le nouveau droit n'exige plus que la victime soit mise totalement hors d'état de résister (REHBERG/SCHMID, op.cit., p. 378).
c) En l'espèce, il faut tenir compte du jeune âge de la victime (surtout à l'époque des premiers actes) et du fait qu'elle est légèrement débile, ce qui la rendait particulièrement vulnérable et inapte à une défense efficace. Faisant ménage commun avec sa mère, le recourant se trouvait par rapport à la victime dans une position d'autorité. En raison de son caractère intransigeant, elle le redoutait. Si l'on considère la différence d'âge et de force physique, toute résistance pouvait raisonnablement lui paraître vaine. L'enfant vivait tout d'abord dans une institution, puis
BGE 122 IV 97 S. 102
chez le recourant et sa mère; sa situation était donc précaire. Comme sa mère semblait attachée au recourant, la victime pouvait craindre, si elle appelait sa mère au secours - et le recourant l'avait menacée de désagréments si elle le faisait -, que celle-ci donne la préférence à son union conjugale, de sorte que la victime se serait sentie seule et rejetée par ceux qui lui étaient les plus proches. On comprend aisément, dans ces circonstances, qu'elle ait choisi de céder, sans que l'auteur ait eu à recourir à la violence ou à la menace. La victime était placée dans une situation telle qu'il n'était nul besoin de tels actes pour qu'elle soit hors d'état de résister (cf.
ATF 119 IV 309
consid. 7b).
Il a été constaté en fait - d'une manière qui lie la Cour de cassation (
art. 277bis al. 1 PPF
) - que la victime n'était pas consentante, au moins lors des premiers actes et des premiers rapports sexuels, qu'elle l'a fait savoir au recourant, en lui demandant de la laisser tranquille et de s'en aller et en le repoussant avec la main, que le recourant a passé outre à son refus, conscient de celui-ci et des circonstances qui mettaient la victime hors d'état de résister.
Dans de telles circonstances, l'autorité cantonale n'a pas violé le droit fédéral en retenant que le recourant s'était rendu coupable de viol (
art. 190 al. 1 CP
) et de contrainte sexuelle (
art. 189 al. 1 CP
).
Il est vrai qu'en raison de la facilité avec laquelle il a pu commettre les actes, la faute du recourant apparaît moins lourde que s'il avait recouru à la violence, mais l'autorité cantonale en a tenu compte, au stade de la détermination de la peine (
art. 63 CP
), en fixant une peine sensiblement moins élevée que celles qui sont habituellement infligées en cas de viols répétés commis avec violence.
3.
(Quotité de la peine).
4.
(Suite de frais). | null | nan | fr | 1,996 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c8e4cc5a-ac7e-46cf-a926-2a84dbc89793 | Urteilskopf
105 Ia 91
18. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Juni 1979 i.S. Plüss und Konsorten gegen Stadtrat Schaffhausen sowie Regierungsrat und Obergericht (als Verwaltungsgericht) des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
, Meinungsäusserungsfreiheit; Standaktion auf öffentlichem Grund.
1. Das Aufstellen von Ständen auf öffentlichem Grund darf bewilligungspflichtig erklärt werden; Bestätigung der Rechtsprechung (E. 2).
2. Ermessen der Behörde; zu berücksichtigende Interessen (E. 3).
3. Interessenabwägung in einem Fall, in welchem die Gesuchsteller die Bewilligung von fünf Standaktionen innerhalb eines Zeitraumes von rund eineinhalb Monaten auf demselben öffentlichen Platz anbegehrt haben (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 92
BGE 105 Ia 91 S. 92
Am 30. Juni 1978 stellten die "Atomkraftwerkegegner Schaffhausen" (nachfolgend: "AKW-Gegner"), eine einfache Gesellschaft, bei der Stadtpolizei Schaffhausen das Gesuch, es sei ihnen an fünf Samstagen zwischen dem 30. Dezember 1978 und dem 10. Februar 1979 das Aufstellen eines Standes auf dem Fronwagplatz in der Schaffhauser Altstadt zu bewilligen. Der Inspektor der Stadtpolizei Schaffhausen bewilligte mit Verfügung vom 4. Juli 1978 jedoch lediglich zwei der nachgesuchten Veranstaltungen. Der Stadtrat Schaffhausen wies einen gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs ab. Die AKW-Gegner wandten sich an den Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, welcher den Rekurs am 24. Oktober 1978 verwarf. Die AKW-Gegner, vertreten durch Markus Plüss, erhoben Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Obergericht des Kantons Schaffhausen. Dieses trat mit Entscheid vom 19. Dezember 1978 auf die Beschwerde nicht ein mit der Begründung, die einfache Gesellschaft "AKW-Gegner" sei nicht rechts- und daher nicht parteifähig. In einer ausführlichen Eventualerwägung nahm es aber auch zur materiellen Frage im ablehnenden Sinne Stellung. Auf die Begründung wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
Der am 8. Januar 1979 gegründete Verein "AKW-Gegner" sowie Markus Plüss im eigenen Namen führen fristgerecht staatsrechtliche Beschwerde. Sie machen sinngemäss formelle Rechtsverweigerung, Willkür und eine Verletzung von Treu und Glauben sowie der Meinungsäusserungsfreiheit geltend.
Ein Gesuch um Erlass einer vorsorglichen Verfügung im Sinne von
Art. 94 OG
wurde vom Präsidenten der staatsrechtlichen Kammer am 10. Januar 1979 abgewiesen.
Regierungsrat und Obergericht des Kantons Schaffhausen beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdeführer halten in ihrer Replik vom 12. März 1979 an ihren Antrügen fest.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Die Beschwerdeführer werfen erstmals im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren die Frage auf, ob das Aufstellen eines Standes auf einem zur Fussgängerzone gehörenden, ihrer Auffassung nach in erster Linie als "Stätte der kulturellen und politischen Begegnung" dienenden Platz überhaupt als bewilligungspflichtig
BGE 105 Ia 91 S. 93
erklärt werden dürfe. Da einerseits die Beschwerdeführer nicht bloss eine Verletzung von
Art. 4 BV
rügen und andererseits das Obergericht freie Kognition besass und das Recht von Amtes wegen anzuwenden hatte, sind neue rechtliche Argumente im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zulässig (
BGE 102 Ia 246
E. 2 mit Verweisungen).
Ist eine bestimmte Art der Benützung einer öffentlichen Sache nicht mehr gemeinverträglich, d.h. hält sie sich ihrer Natur oder Intensität nach nicht mehr im Rahmen des Üblichen und könnte sie deshalb den rechtmässigen Gebrauch der Sache durch andere Benützer beeinträchtigen, so darf sie der Bewilligungspflicht unterstellt werden (
BGE 100 Ia 136
E. 5b mit Verweisungen;
BGE 88 I 24
f.; vgl. IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Basel 1976, Nr. 118 B I). Ob dabei in Anlehnung an die deutsche Doktrin Gemeingebrauch, gesteigerter Gemeingebrauch und Sondernutzung auseinandergehalten werden oder ob entsprechend der französischen Lehre lediglich zwischen "usage collectif" und "usage privatif" unterschieden wird, ist im vorliegenden Fall belanglos (vgl. dazu GRISEL, Droit administratif Suisse, Neuenburg 1970, S. 293). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf eine den Gemeingebrauch überschreitende Benutzung öffentlicher Sachen selbst dann bewilligungspflichtig erklärt werden, wenn dafür keine gesetzliche Grundlage besteht (
BGE 100 Ia 398
E. 3 a.E.). Im vorliegenden Fall findet sich indessen die gesetzliche Grundlage der Bewilligungspflicht in Art. 25 der Polizeiverordnung der Stadt Schaffhausen.
Ein Stand nimmt einen gewissen Raum in ausschliesslicher Weise in Anspruch, der zur Verfügung stehende öffentliche Grund ist beschränkt, und es können nicht in beliebiger Anzahl Stände aufgestellt werden. Ungeregeltes Aufstellen von Ständen auf einem öffentlichen Platz könnte zudem andere legitime Benutzungsarten beeinträchtigen. Das Gemeinwesen muss daher über den widmungsgemässen Gebrauch des öffentlichen Grundes wachen und ist berufen, den Gemeingebrauch übersteigende Arten der Benutzung des öffentlichen Grundes zu regeln. Dies gilt auch dann, wenn der angestrebte Gebrauch einer weit verstandenen Zweckbestimmung des öffentlichen Grundes nicht zum vornherein zuwiderläuft und grundsätzlich von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt ist. Das Aufstellen von Ständen auf dem öffentlichen Grund darf daher ohne
BGE 105 Ia 91 S. 94
Verletzung von
Art. 4 BV
und der Meinungsäusserungsfreiheit der Bewilligungspflicht unterstellt werden.
3.
Bei der Bewilligung von Veranstaltungen, welche den öffentlichen Grund in einer den Gemeingebrauch übersteigenden Weise in Anspruch nehmen, kommt den zuständigen Behörden ein gewisses Ermessen zu. Die Behörde, welcher die Aufsicht und die Verfügung über den öffentlichen Boden zusteht, darf beim Entscheid über die Erteilung der Bewilligung für einen Stand neben dem Gesichtspunkt der polizeilichen Gefahrenabwehr auch andere öffentliche Interessen berücksichtigen, namentlich dasjenige an einer zweckmässigen Nutzung der vorhandenen öffentlichen Anlagen im Interesse der Allgemeinheit und der Anwohner. Doch ist die Behörde dabei nicht nur an das Willkürverbot und den Grundsatz der Rechtsgleichheit gebunden. Sie hat darüber hinaus den besonderen ideellen Gehalt der Freiheitsrechte, um deren Ausübung es geht, in die Interessenabwägung einzubeziehen. Insoweit entfaltet die Meinungsäusserungsfreiheit ihre Wirkungen auch bei Betätigungsformen, die mit gesteigertem Gemeingebrauch verbunden sind. Die Behörde hat demnach die entgegenstehenden Interessen nach objektiven Gesichtspunkten gegeneinander abzuwägen und dabei dem legitimen Bedürfnis, Veranstaltungen mit Appellwirkung an die Öffentlichkeit durchführen zu können, angemessen Rechnung zu tragen. Ob die Auffassungen, die durch die nachgesuchten Veranstaltungen propagiert werden sollen, der zuständigen Behörde mehr oder weniger wertvoll oder wichtig erscheinen, kann für den Entscheid über das Gesuch nicht massgebend sein (
BGE 100 Ia 402
f. E. 5).
Das Bundesgericht prüft grundsätzlich frei, ob der angefochtene Entscheid mit diesen verfassungsrechtlichen Prinzipien vereinbar ist. Es setzt indessen nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen der in der Sache zuständigen kantonalen und kommunalen Behörden, und es übt Zurückhaltung, soweit es um die Würdigung der besonderen örtlichen Verhältnisse geht (
BGE 101 Ia 256
f. E. 3c, 481 E. 5c;
BGE 100 Ia 403
E. 5 a.E. mit Verweisungen).
4.
Den Beschwerdeführern wurde bewilligt, zweimal einen Stand auf dem Fronwagplatz aufzustellen; bezüglich der drei weiteren anbegehrten Bewilligungen wurde das Gesuch abgewiesen. Wie das Obergericht festhält, erklärte sich die Stadt Schaffhausen aber bereit, die weiteren geplanten Veranstaltungen
BGE 105 Ia 91 S. 95
an anderen Örtlichkeiten in der Altstadt zu bewilligen. Als mögliche Standorte wurden die Vordergasse, die Schwertstrasse, die Oberstadt oder die Vorstadt genannt. Streitig ist somit einzig, ob die Bundesverfassung verletzt wurde, weil nicht alle fünf, sondern nur zwei Aktionen auf dem Fronwagplatz bewilligt wurden.
a) Nach Auffassung der Beschwerdeführer hat die zuständige Behörde die nachgesuchten Bewilligungen zu erteilen, solange sich die zu bewilligende Veranstaltung im Rahmen des Hauptzweckes des Platzes hält. Sie weisen darauf hin, dass die von ihnen beantragten Aktionen den öffentlichen Grund in wenig intensiver Art und Weise beanspruchen. Es seien damit weder Lärm noch lästige Auswirkungen für das Publikum verbunden. Politische Betätigung dieser Art bewege sich durchaus im Rahmen des Hauptzweckes des Fronwagplatzes. Es fehle an polizeilichen oder anderen gleichwertigen öffentlichen Interessen, welche im vorliegenden Fall die teilweise Ablehnung ihres Gesuches gerechtfertigt hätten. Die abschlägige Antwort der Schaffhauser Behörden sei um so stossender, als - wie die Beschwerdeführer geltend machen - weder am 30. Dezember 1978 noch am 13. und 27. Januar 1979 eine andere Veranstaltung auf dem Fronwagplatz stattgefunden habe. Die Behauptung, es gelte, "unvernünftige Zustände" auf dem Fronwagplatz zu vermeiden, erweise sich damit als blosser Vorwand.
Aus der bundesrechtlichen Rechtsprechung zur Erteilung von Bewilligungen für Veranstaltungen, die den öffentlichen Grund in einer den Gemeingebrauch übersteigenden Weise beanspruchen, lässt sich in gewissen Sinne ein bedingter Anspruch auf Gewährung der Bewilligung ableiten (H.P. MOSER, Bemerkungen zu
BGE 100 Ia 392
ff. in: ZBl 1975, S. 270). Dies heisst indessen nicht ohne weiteres, dass die Bundesverfassung verletzt ist, wenn sich die zuständige Behörde weigert, eine Veranstaltung in beliebigen Wiederholungen am jeweils nachgesuchten Ort zu bewilligen. Wie bereits angetönt, steht den zuständigen Behörden bei der Konkretisierung der Zweckbestimmung der öffentlichen Sachen und beim Entscheid über deren Benützung ein gewisser Ermessensspielraum zu. Sie können insbesondere über die spezifische zusätzliche Verwendung einzelner Plätze (Markt, Konzerte, Erholungsraum usw.) bestimmen. Auch Aktivitäten der von den Beschwerdeführern vorgesehenen Art dürfen im Sinne einer vernünftigen Planung
BGE 105 Ia 91 S. 96
solcher Benutzung des öffentlichen Grundes beispielsweise auf einzelne Sektoren beschränkt werden. Der Einfluss der Meinungsäusserungsfreiheit führt nicht zu einem absoluten Vorrang politischer Veranstaltungen vor irgendwelchen anderen Interessen.
Die zuständigen Behörden betrachten den Fronwagplatz in erster Linie als Begegnungs- und Erholungsraum für Fussgänger. Sie wollen deshalb mit ihrer Bewilligungspraxis vermeiden, dass sich Veranstaltungen der nachgesuchten Art auf diesem Platz häufen oder beliebig wiederholen. Wenn die zuständigen Behörden aus dieser Überlegung heraus einer Gruppe, die innert rund eineinhalb Monaten an fünf Samstagen einen Stand auf dem Fronwagplatz aufstellen wollte, nur zwei Bewilligungen erteilten, ihr aber das Angebot machten, die übrigen Veranstaltungen auf anderen geeigneten Plätzen zu bewilligen, haben sie ihr Ermessen nicht überschritten. Den Beschwerdeführern wird das Aufstellen eines Standes nicht schlechthin verweigert, und die Örtlichkeiten, die das Obergericht in seinem Urteil als mögliche Standorte erwähnt, taugen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer durchaus für die geplanten Aktionen.
b) Die Beschwerdeführer rügen im weiteren, dass die Bewilligungspraxis der Stadt Schaffhausen für solche Anlässe grundsatzlos und daher willkürlich sei. Daran änderten auch die Bemühungen des Obergerichts, dem Handeln der städtischen Behörden nachträglich Leitlinien abzugewinnen, nichts.
Es liegt indessen in der Natur der Sache, dass allzu starre, im voraus festgelegte Regeln über die Benützung des räumlich beschränkten öffentlichen Grundes nicht ohne weiteres vernünftige Lösungen garantieren. Dies gilt namentlich für die von den Beschwerdeführern selbst vorgeschlagenen Richtlinien. So erscheint das Kriterium der Priorität für sich allein als wenig geeignet. Es könnte einerseits dazu führen, dass Bewilligungen unverhältnismässig früh beantragt werden müssten. Andererseits würde dadurch unter Umständen verunmöglicht, für Aktionen, die sich auf kurzfristig aufgetretene Sachfragen beziehen, angemessenen Platz zur Verfügung zu stellen. Dasselbe gilt für den Vorschlag, die Anzahl der Stände, die an einem bestimmten Ort aufgestellt werden dürfen, von vornherein zu limitieren. Das Abstellen auf die Anzahl der erteilten Bewilligungen pro Jahr, welche die Beschwerdeführer in der staatsrechtlichen
BGE 105 Ia 91 S. 97
Beschwerde postulieren, haben sie vor Obergericht selber als irreführendes Kriterium bezeichnet. Eine flexible Bewilligungspraxis muss den Interessen allfälliger Gesuchsteller nicht notwendigerweise zuwiderlaufen. Vielmehr kann eine gewisse Zurückhaltung seitens der Bewilligungsbehörden sogar im Interesse der Benützer liegen, wenn damit Raumreserven für kürzerfristig angesetzte Veranstaltungen geschaffen werden können. Wesentlich ist vor allem, dass alle Bewerber im Rahmen des Möglichen gleich behandelt werden und dass insbesondere auch kleineren Gruppen das Auftreten auf dem öffentlichen Grund nicht in unbilliger Weise und aus unsachlichen Motiven erschwert wird. Die Rüge der rechtsungleichen Behandlung haben die Beschwerdeführer im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren nicht mehr erhoben. Soweit sie in der Replik vom 12. März 1979 erhoben worden sein sollte, wäre sie verspätet (
BGE 102 Ia 213
E. 1). Im übrigen wäre sie, wie das Obergericht einlässlich dargelegt hat, unbegründet. Es lässt sich aber auch nicht sagen, den Beschwerdeführern sei das Auftreten auf dem öffentlichen Grund in unbilliger Weise oder aus unsachlichen Motiven erschwert worden; dies wurde bereits in der vorstehenden Erwägung a) gezeigt. Dass sie auf das Angebot der kantonalen Behörden, ihre Veranstaltungen an einem anderen geeigneten Ort durchzuführen, nicht eingegangen sind, haben sie selber zu vertreten. Zwar ist unbestritten geblieben, dass zumindest am 30. Dezember 1978 - also an einem der Tage, an welchen den Beschwerdeführern die Benützung des Fronwagplatzes verweigert wurde - dort keine anderen Veranstaltungen stattfanden. Dies vermag jedoch nach dem Gesagten wenigstens unter den hier vorliegenden Umständen keine Verfassungsverletzung zu begründen, sondern betrifft lediglich die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides, deren Überprüfung dem Staatsgerichtshof entzogen bleibt.
c) Zusammenfassend ergibt sich, dass die kantonalen Behörden ihr Ermessen nicht missbraucht und daher auch nicht gegen die Meinungsfreiheit verstossen haben. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. | public_law | nan | de | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c8f04869-2bc7-4eb9-9ffb-88b3ba6f9d50 | Urteilskopf
103 IV 134
38. Urteil des Kassationshofes vom 3. September 1977 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau | Regeste
Art. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
. Weisung zur Schadensdeckung.
Bestehen für den deliktischen Schaden Konkursverlustscheine, so schliesst
Art. 265 Abs. 3 SchKG
die Weisung zur Schadensdeckung zwar nicht schlechtweg aus. Doch muss der Strafrichter prüfen, ob und inwiefern seine Weisung im Einzelfall trotz der damit verbundenen Erschwerung der wirtschaftlichen Erholung den Täter besser von weiteren Verbrechen und Vergehen abzuhalten vermag als der Verzicht auf eine solche Weisung. | Sachverhalt
ab Seite 134
BGE 103 IV 134 S. 134
Die Ehe von S. wurde durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 13. Juni 1975 geschieden. Er wurde darin verpflichtet, an den Unterhalt seiner beiden Kinder abgestuft je Fr. 250.-- und 300.-- bzw. Fr. 350.-- zu bezahlen. Überdies hatte er an seine geschiedene Ehefrau eine monatliche Übergangsrente von Fr. 200.-- zu entrichten, die inzwischen infolge Wiederverheiratung weggefallen ist. Während des Ehescheidungsverfahrens hatte S. an Ehefrau und Kinder monatlich Fr. 900.-- zu bezahlen.
BGE 103 IV 134 S. 135
Auf Klage der Staatsanwaltschaft wurde S. durch das Bezirksgericht Muri der Vernachlässigung der Unterstützungspflichten im Sinne von
Art. 217 Ziff. 1 StGB
schuldig befunden und zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Es wurde ihm der bedingte Strafvollzug gewährt mit einer Probezeit von drei Jahren. Damit wurde die Weisung verbunden, neben den laufenden Unterhaltsbeiträgen monatlich Fr. 200.-- an die Rückstände zu zahlen.
Vor Obergericht war nur diese Weisung streitig. Sie wurde mit Urteil vom 29. April 1977 bestätigt.
Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S., die streitige Weisung sei aufzuheben.
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Richter kann dem Verurteilten für sein Verhalten während der Probezeit bestimmte Weisungen erteilen. Als Beispiel wird u.a. die Weisung, den Schaden innerhalb einer bestimmten Frist zu decken, erwähnt (
Art. 41 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass eine solche Weisung an sich erteilt werden kann. Er macht aber geltend, gestützt auf seine Insolvenzerklärung sei am 16. September 1976 über ihn der Konkurs eröffnet worden. Die Alimentenrückstände seien in Verlustscheinforderungen umgewandelt worden. Für solche könne der Gemeinschuldner nur belangt werden, wenn dieser zu neuem Vermögen bzw. zu einem Einkommen gekommen sei, das Rücklagen erlaubt hätte (
Art. 265 Abs. 2 SchKG
). Bestreite der Gemeinschuldner, dass er zu neuem Vermögen gekommen sei, so entscheide das Gericht darüber. Diese Bestimmung wolle dem Gemeinschuldner eine gewisse Ruhe zur wirtschaftlichen Erholung gewähren. Die strittige Weisung verhindere dies. Wegen des drohenden Widerrufs des bedingten Strafvollzugs könne er den Zahlungsbefehl nicht abwarten und die ihm gesetzlich zustehende Einrede des fehlenden Vermögens nicht erheben. Die kantonalen Gerichte hätten sich nicht mit der konkreten finanziellen Lage des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und auch nicht vorfrageweise geprüft, ob er im Sinne von
BGE 103 IV 134 S. 136
Art. 265 SchKG
zu neuem Vermögen gelangt sei. Die Weisungen gemäss
Art. 41 Ziff. 2 StGB
und
Art. 265 Abs. 2 SchKG
ergänzten sich, denn der wirtschaftliche Neubeginn diene ebenfalls der Resozialisierung.
2.
Wahl und Inhalt der Weisung haben sich nach dem Zweck des bedingten Strafvollzuges zu richten, durch den der Verurteilte dauernd gebessert werden soll. Der Richter darf daher keine Weisung erteilen, die sich schon zur Zeit des Urteils als unerfüllbar oder unzumutbar erweist. Sie darf auch nicht vorwiegend darauf abzielen, dem Verurteilten Nachteile zuzufügen oder Dritte vor ihm schützen zu wollen. Sie muss in erster Linie im wohlverstandenen Interesse des Verurteilten liegen und voraussichtlich befolgt werden können. Das ist dann der Fall, wenn sie dazu bestimmt und geeignet ist, erzieherisch auf den Verurteilten einzuwirken und damit der Gefahr neuer Verfehlungen vorzubeugen. Innerhalb der sich daraus ergebenden Schranken sind Wahl und Inhalt der Weisung ins richterliche Ermessen gestellt, in welches der Kassationshof nicht eingreifen kann (
BGE 94 IV 12
E. 1 mit Verweisungen).
Diese leitenden Grundsätze gelten auch für die Weisungen, welche das Gesetz ausdrücklich erwähnt, somit auch für die Weisung, den durch die strafbare Handlung verschuldeten Schaden zu decken. Ob diese Weisung im Einzelfall zulässig ist und dem Zweck der Massnahme dient, hängt von den Umständen ab. Sie darf selbstverständlich auch nicht gegen die Rechtsordnung verstossen.
3.
Die Weisung, Konkursverlustscheinforderungen ohne Rücksicht auf neues Vermögen oder auf ein Einkommen, das Rücklagen erlaubt, ratenweise abzutragen, greift in das einem Konkursiten in
Art. 265 Abs. 3 SchKG
gewährte Recht ein. Deswegen ist aber eine solche Weisung nicht ohne weiteres rechtswidrig. Alle Weisungen beschränken in irgendeiner Weise Freiheiten und Rechte, die dem Verurteilten an sich zustehen. Dieser muss solche Eingriffe kraft Gesetzes auf sich nehmen, soweit sie durch den Zweck des Gesetzes gedeckt sind.
Die Einrede des mangelnden neuen Vermögens gemäss
Art. 265 Abs. 3 SchKG
will dem Gemeinschuldner nach dem Konkurs den Wiederaufbau einer wirtschaftlichen Existenz ermöglichen (FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2.
BGE 103 IV 134 S. 137
Band, 2. Aufl., S. 185). Sie kann ihn also zu einem wirtschaftlichen Neubeginn ermutigen und ist damit auch geeignet, ihn davor zu bewahren, sich gehen zu lassen und erneut straffällig zu werden.
Art. 265 Abs. 3 SchKG
kann daher auch dem mit den strafrechtlichen Weisungen verfolgten Zweck, den Verurteilten zu bessern, dienlich sein und ihn fördern. Der Strafrichter hat deshalb dem in
Art. 265 Abs. 3 SchKG
ausgesprochenen Schutzgedanken Rechnung zu tragen und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob von einer Weisung, den deliktischen Schaden zu decken, eine erzieherisch günstige oder nachteilige Wirkung zu erwarten ist. Von den finanziellen und persönlichen Verhältnissen des Einzelfalles hängt es ab, wie die Leistung des Ersatzes zeitlich und der Höhe nach festzusetzen ist oder ob es angezeigt ist, von einer solchen Weisung überhaupt abzusehen. Ein Verzicht kann auch gerechtfertigt sein, wenn die Weisung der Schadensdeckung die übrigen Konkursverlustscheingläubiger ungebührlich benachteiligen würde.
4.
Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz sich in keiner Weise mit der Frage befasst, ob und wieweit die Weisung, den Schaden zu decken, mit Rücksicht auf die heutige finanzielle Situation des Beschwerdeführers und seine übrigen Konkursverlustscheingläubiger geeignet erscheint, den Beschwerdeführer zu bessern und ihn von weitern Verbrechen oder Vergehen abzuhalten. Das angefochtene Urteil ist daher gemäss
Art. 277 BStP
aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - 1. Strafkammer - des Kantons Aargau vom 29. April 1977 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | null | nan | de | 1,977 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c8f0a205-fbe2-4caf-ad31-c1d525930f97 | Urteilskopf
136 I 274
25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft und Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt (Beschwerde in Strafsachen)
1B_326/2009 vom 11. Mai 2010 | Regeste a
Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG;
Art. 29 Abs. 1 BV
;
Art. 13 EMRK
; Entlassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft während des bundesgerichtlichen Verfahrens; aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Haftbeschwerde.
Unter besonderen Umständen behandelt das Bundesgericht die Beschwerde trotz der Entlassung des Beschwerdeführers materiell. Solche Umstände bejaht in einem Fall, in dem eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention offensichtlich war und dem Beschwerdeführer durch die entsprechende Feststellung und eine für ihn vorteilhafte Kostenregelung sogleich die verlangte Wiedergutmachung verschafft werden konnte (E. 1.3).
Regeste b
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
und
Art. 31 Abs. 3 BV
; Anspruch des Untersuchungsgefangenen auf unverzügliche Vorführung vor einen Richter.
Die unverzügliche Vorführung bedeutet eine solche innert wenigen, höchstens aber 48 Stunden (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 275
BGE 136 I 274 S. 275
Die Bundesanwaltschaft führt gegen X. ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des versuchten In-Umlauf-Setzens falschen Geldes und weiterer Delikte. Sie übernahm dabei ein zuerst von den Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich geführtes Verfahren.
X., der bereits am 29. Juni 2009 im Kanton Zürich in Untersuchungshaft versetzt worden war, wurde am 20. Juli 2009 nach der Verfahrensübernahme durch die Bundesanwaltschaft formell die Haft eröffnet. Am 23. Juli 2009 entschied das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt, X. habe in Untersuchungshaft zu verbleiben.
Am 20. August 2009 ersuchte X. um Haftentlassung. Mit Entscheid vom 16. September 2009 wies das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt das Gesuch ab. Die von X. dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesstrafgericht (I. Beschwerdekammer) am 9. Oktober 2009 ab.
Mit Eingabe vom 11. November 2009 erhob X. Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des Bundesstrafgerichts sei in der Sache und - soweit dieser ihn belaste - im Kostenpunkt aufzuheben. Der Beschwerdeführer sei aus der Haft zu entlassen.
BGE 136 I 274 S. 276
Mit Schreiben vom 18. November 2009 teilte die Bundesanwaltschaft dem Bundesgericht mit, X. sei am gleichen Tag aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
Am 19. November 2009 schrieb das Bundesgericht den Verfahrensbeteiligten, mit der Haftentlassung scheine die Beschwerde in Strafsachen gegenstandslos geworden zu sein. Das Bundesgericht nehme in Aussicht, die Beschwerde gemäss
Art. 71 BGG
i.V.m.
Art. 72 BZP
(SR 273) als erledigt zu erklären. Es gab den Beteiligten Gelegenheit, zur Gegenstandslosigkeit und zur Kosten- und Entschädigungsregelung Stellung zu nehmen.
Am 26. November 2009 teilte X. dem Bundesgericht mit, er wehre sich nicht dagegen, dass die Beschwerde wegen Gegenstandslosigkeit als erledigt erklärt werde. Das bedeute aber nicht, dass er seinen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab dem 29. Juni 2009 aufgebe. Er erhoffe sich eine diesbezügliche Beurteilung durch das Bundesgericht.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
1.3
Gemäss
Art. 81 Abs. 1 BGG
ist zur Beschwerde berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat (...) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere die beschuldigte Person (lit. a und b Ziff. 1).
Der Beschwerdeführer muss ein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde haben. Mit diesem Erfordernis soll sichergestellt werden, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet. Es dient damit der Prozessökonomie (
BGE 133 II 81
E. 3 S. 84;
BGE 125 I 394
E. 4a S. 397; je mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung fehlt es nach Beendigung der Untersuchungshaft an einem aktuellen praktischen Interesse für die Behandlung der Haftbeschwerde. Unter besonderen Umständen sind bestimmte Rügen jedoch trotz Entlassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft materiell zu behandeln (
BGE 125 I 394
E. 5f S. 404). Solche Umstände sind hier gegeben.
Wie die folgenden Erwägungen zeigen, ist eine Verletzung von
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
offensichtlich zu bejahen. Bei dieser Sachlage
BGE 136 I 274 S. 277
entspricht es dem Gebot des fairen Verfahrens (
Art. 29 Abs. 1 BV
) und der Prozessökonomie, dass das Bundesgericht diese Rüge sogleich behandelt und dem Beschwerdeführer durch die von ihm verlangte Feststellung der Verletzung der EMRK Wiedergutmachung verschafft.
Behandelt das Bundesgericht die Beschwerde materiell, ist damit zudem
Art. 13 EMRK
in jedem Fall Genüge getan. Danach hat jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben. Würde das Bundesgericht hier die erhobenen Rügen nicht behandeln, könnte der Europäische Gerichtshof allenfalls auf eine Verletzung von
Art. 13 EMRK
erkennen. Dies hat er im Urteil vom 16. Dezember 1997 in Sachen
Camenzind gegen Schweiz
getan (
Recueil CourEDH 1997-VIII S. 2880
). Das Bundesgericht war in jenem Fall auf die vom Betroffenen bei ihm gegen eine Hausdurchsuchung eingereichte Beschwerde mangels aktuellen praktischen Interesses nicht eingetreten, da die Hausdurchsuchung abgeschlossen war. Wie der Europäische Gerichtshof entschied, stand dem Beschwerdeführer damit keine wirksame Beschwerde nach
Art. 13 EMRK
zur Verfügung. Den Einwand der Schweiz, der Beschwerdeführer hätte seine Rügen der Verletzung der EMRK insbesondere in einem Entschädigungsverfahren nach
Art. 99 VStrR
(SR 313.0) geltend machen können, erachtete der Gerichtshof nicht als massgeblich (§§ 51 ff.).
Zu berücksichtigen ist zudem Folgendes: Die Vorinstanz hat zu den Rügen der Verletzung von
Art. 5 Ziff. 3 und
Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK
nicht Stellung genommen, obschon der Beschwerdeführer diese bei ihr vorgebracht hatte. Würde das Bundesgericht die Rügen materiell ebenfalls nicht behandeln, hätte sich keine nationale Instanz dazu geäussert. Zöge der Beschwerdeführer die Sache an den Europäischen Gerichtshof weiter, wäre damit zu rechnen, dass dieser die Beschwerde als zulässig erachtete und die Rügen beurteilte. Denn für den Europäischen Gerichtshof stellt die Aktualität des Rechtsschutzinteresses kein relevantes Kriterium dar(MARKUS LANTER, Die Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges [
Art. 35 Ziff. 1 EMRK
], 2008,S. 217). So hat er im Urteil vom 15. März 2007 in Sachen
Kaiser
gegen Schweiz
die Verletzung von
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
geprüft (und bejaht), obschon die Beschwerdeführerin bereits vor dem bundesgerichtlichen Urteil aus der Untersuchungshaft entlassen worden war (vgl. §§ 13 und 38 ff.). Der Grundsatz der Einheit des Verfahrens
BGE 136 I 274 S. 278
gebietet es, dass das Bundesgericht die Rügen, die beim EuropäischenGerichtshof erhoben werden können, ebenfalls prüft.
Die Beschwerde wird hier deshalb - dem Antrag des Beschwerdeführers in seinem Schreiben vom 26. November 2009 entsprechend - materiell behandelt.
2.
2.1
Der Beschwerdeführer rügt, er sei der Haftrichterin des Bezirksgerichts Zürich in Verletzung von
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
erst ca. 65 Stunden nach seiner Festnahme vorgeführt worden.
2.2
Gemäss
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
muss jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentzug betroffen ist, unverzüglich einem Richter (...) vorgeführt werden (vgl. ebenso
Art. 31 Abs. 3 BV
).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeutet die unverzügliche Vorführung eine solche binnen wenigen, höchstens aber 48 Stunden (
BGE 131 I 36
E. 2.6 S. 44; Urteil 1P.109/2005 vom 4. Mai 2005 E. 2.2.2; je mit Hinweisen).
2.3
Wie sich aus den Akten ergibt, wurde der Beschwerdeführer am 26. Juni 2009, um 17.30 Uhr, festgenommen. Der Haftrichterin wurde er am 29. Juni 2009, um 10.25 Uhr, vorgeführt. Zwischen der Festnahme und der Vorführung vergingen danach knapp 65 Stunden.
Die Grenze von 48 Stunden wurde somit deutlich überschritten und der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine unverzügliche Vorführung nach
Art. 5 Ziff. 3 EMRK
(bzw.
Art. 31 Abs. 3 BV
) verletzt.
Diese Verletzung ist hier (im Dispositiv) festzustellen. Damit - und in Verbindung mit der für den Beschwerdeführer vorteilhaften Kostenregelung - wird diesem eine hinreichende Wiedergutmachung (satisfaction équitable; vgl.
Art. 41 EMRK
) verschafft (
BGE 135 II 334
E. 3 S. 337;
BGE 130 I 312
E. 5.3 S. 333; je mit Hinweisen). | public_law | nan | de | 2,010 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c8f3a94e-ec24-46fa-9dc8-35009fad99d9 | Urteilskopf
124 III 112
22. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Februar 1998 i.S. A. gegen Erbengemeinschaft B. (Berufung) | Regeste
Wechselbürgschaft; Rückgriff des Ehrenzahlers oder Nachindossataren.
Eine Ehrenzahlung kann auch auf einer dem Wechsel angehefteten Allonge quittiert werden (
Art. 1061 Abs. 1 OR
, E. 1).
Rückgriffsansprüche (
Art. 1062 Abs. 1 OR
) erwirbt der Ehrenzahler nur bei vorgängiger Protestaufnahme (
Art. 1058 OR
); wird der Wechsel erst nach erfolgter Ehrenzahlung protestiert und dann indossiert (
Art. 1010 Abs. 1 OR
), kann der Nachindossatar ebenfalls gegen den Wechselbürgen regressieren (
Art. 1022 Abs. 1 OR
). Die Konversion einer allenfalls ungültigen Ehrenzahlung in ein Nachindossament ist grundsätzlich möglich (E. 2).
Wird eine Wechselprolongation dem Wechselbürgen nicht angezeigt oder die Frist für die Erhebung des Protests mangels Zahlung verpasst, schadet dies den Rückgriffsberechtigten bei einem Eigenwechsel nicht, da der Aussteller (
Art. 1099 Abs. 1 OR
) und somit auch der für ihn einstehende Wechselbürge (
Art. 1022 Abs. 1 OR
) ohne vorherigen Protest haften (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 113
BGE 124 III 112 S. 113
Am 6. Dezember 1990 stellte F. einen Eigenwechsel aus, mit welchem er sich verpflichtete, am 6. Mai 1991 an die Order Bank X. in Herisau den Betrag von Fr. 15'000'000.-- zu bezahlen. A. unterzeichnete diesen Wechsel als Wechselbürge. Nach handschriftlicher Abänderung der Orderklausel auf "G. AG" und Übergabe des von der G. AG blanko indossierten Wechsels an die Bank X., protestierte diese nach ausgebliebener Zahlung den per 13. Mai 1991 prolongierten Wechsel am 15. Mai 1991. Zwecks Vermeidung einer Regressnahme von der Bank X. auf die G. AG traten B. sel. und D. im Sinne von
Art. 1058 OR
als Ehrenzahler in die Wechselverpflichtung ein und überwiesen die gesamte Forderungssumme an die Bank X.
Im gegen den Wechselbürgen eingeleiteten Betreibungsverfahren erteilte der Einzelrichter des Bezirksgerichts Meilen am 29. Oktober 1991 für Fr. 15 Mio. provisorische Rechtsöffnung. In der Folge machte A. eine Aberkennungsklage anhängig, welche das Bezirksgericht Meilen mit Urteil vom 15. September 1994 abwies. Gleich entschied auf Berufung hin das Obergericht (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich mit Urteil vom 30. November 1995.
Eine vom Kläger gegen das obergerichtliche Urteil eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 2. Juni 1997 ab, soweit es darauf eintrat. Die dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit es darauf eintrat.
Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts auch mit eidgenössischer Berufung angefochten, die das Bundesgericht abweist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz hat die Gültigkeit der auf einer Allonge zum Wechsel ausgestellten Quittung über die Ehrenzahlung bejaht. Der Kläger rügt eine Verletzung von
Art. 1061 Abs. 1 OR
; seiner Auffassung nach sind die strengen Formvorschriften des Wechselrechts eng auszulegen. Wenn
Art. 1003 Abs. 1 und
Art. 1021 Abs. 1 OR
BGE 124 III 112 S. 114
es ausdrücklich zuliessen, ein Indossament bzw. eine Bürgschaftserklärung auf eine Allonge zu setzen, hingegen
Art. 1061 OR
bestimme, dass die Ehrenzahlung auf dem Wechsel selbst quittiert werden müsse, so komme dieser im Gesetz explizit vorgenommenen Differenzierung materielle Bedeutung zu. Auch für die Annahmeerklärung bestimme
Art. 1015 Abs. 1 OR
, dass sie nur auf den Wechsel selbst gesetzt werden dürfe; ebenso verlange
Art. 1029 OR
die Quittierung für die vollständige oder teilweise Zahlung auf dem Wechsel. Sodann habe das Bundesgericht in
BGE 102 II 273
f. ähnliche Überlegungen bezüglich einer checkrechtlichen Erklärung im Sinne von
Art. 1128 Ziff. 2 OR
angestellt. Diesen Ausführungen halten die Beschwerdegegner entgegen, dass die Quittung einer Ehrenzahlung bestimmten inhaltlichen Erfordernissen zu genügen habe; bei längerem Umlauf eines Wechsels könne sie aus Platzgründen gar nicht mehr auf dem Wechsel selbst angebracht werden, weshalb es genügen müsse, sie auf einer Allonge auszustellen.
a) Der Ehreneintritt - beim Eigenwechsel nur in der Form der Ehrenzahlung möglich - bezweckt, einen drohenden Rückgriff mangels Zahlung abzuwenden. Er soll dem Begünstigten die hohen Kosten aus einem Rücklauf des Wechsels durch alle Indossanten ersparen und Kreditschädigungen vermeiden, die für den Notadressanten oder Honoraten als Rückgriffsschuldner entstehen können (MEISTER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 1 der Vorbemerkungen zu
Art. 1054-1062 OR
und N. 2 und 3 zu
Art. 1058 OR
; MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, Wertpapierrecht, Bern 1985 S. 211 und 221). Vorliegend traten B. sel. und D. als Ehrenzahler in die Wechselverpflichtung der G. AG ein, um eine Regressnahme der Bank X. auf die G. AG als Garantieindossantin zu verhindern.
b) Gemäss
Art. 1061 Abs. 1 OR
ist über die Ehrenzahlung auf dem Wechsel eine Quittung auszustellen, die denjenigen bezeichnet, für den gezahlt wird. Fraglich ist, ob - wie vorliegend geschehen - die Ehrenzahlung auch auf einer Allonge quittiert werden kann. Gemäss ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift können Indossamente (
Art. 1003 Abs. 1 OR
) oder Bürgschaftserklärungen (
Art. 1021 Abs. 1 OR
) auch auf ein mit dem Wechsel verbundenes Blatt (Anhang oder Allonge) gesetzt werden. Demgegenüber bestimmt
Art. 1015 Abs. 1 OR
für die Annahmeerklärung, dass sie auf den Wechsel gesetzt werden muss; ob sie auch auf der Allonge stehen kann, ist umstritten (bejahend: MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., Rz. 103 S. 165; ERNST JACOBI, Wechsel- und Scheckrecht, Berlin 1955, S. 524; MARTIN STRANZ, Kommentar zum Wechselgesetz,
BGE 124 III 112 S. 115
Berlin 1952, N. 1 zu
Art. 25 WG
; verneinend: PERGOLIS, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 2 zu
Art. 1015 OR
; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, Basel 1985, S. 169; PETER BÜLOW, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 2. Aufl., Heidelberg 1995, N. 3 zu
Art. 25 WG
; BAUMBACH/HEFERMEHL, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 19. Aufl., N. 1 zu
Art. 25 WG
; PIMMER, Wechselgesetz und Scheckgesetz, Wien 1992, N. 2 zu
Art. 25 WG
; QUASSOWSKI/ALBRECHT, Deutsches Wechselgesetz, Berlin 1934, N. 6 zu
Art. 25 WG
; JOSEF HUPKA, Das einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge, Wien 1934, S. 66). Während die die Zulässigkeit einer Annahmeerklärung auf der Allonge bejahenden Autoren vorab damit argumentieren, dass der Anhang Bestandteil des Wechsels bildet, gesteht die Gegenmeinung diesem keine (vollwertige) Urkundenqualität zu. Des weiteren erwähne auch das Gesetz selber - im Unterschied zu Art. 1003 Abs. 1 und 1021 Abs. 1 OR - den Anhang nicht.
Bezüglich der Zulässigkeit, die Ehrenerklärung auf einer Allonge zu quittieren, äussern sich diejenigen Autoren, welche der Annahmeerklärung auf einer Allonge die Gültigkeit absprechen wollen, durchaus weniger dezidiert; so wird etwa für das deutsche Recht hervorgehoben, dass mit der neuen Regelung in
Art. 62 Abs. 1 WG
(
Art. 1061 Abs. 1 OR
) altrechtliche Formerfordernisse (öffentliche Beurkundung der Ehrenzahlung und der Interventionserklärung im Protest oder in einem Anhang zu diesem) zugunsten einer privaten Bestätigung auf dem Wechsel fallengelassen worden seien (HUPKA, a.a.O., S. 194 und 195; QUASSOWSKI/ALBRECHT, a.a.O., N. 2 zu
Art. 62 WG
). Entsprechend lässt die deutsche Regelung auch die Quittung auf dem mit dem Wechsel verbundenen Protest zu (STRANZ, a.a.O., N. 3 zu
Art. 62 WG
; QUASSOWSKI/ALBRECHT, a.a.O., N. 2 zu
Art. 62 WG
). Entscheidend ist denn auch, dass in der Quittung selbst die Natur der Zahlung als Ehrenzahlung klar zum Ausdruck kommt, dient sie doch damit sowohl der Legitimation des Ehrenzahlers bei Geltendmachung der ihm zukommenden Ansprüche (
Art. 63 WG
bzw.
Art. 1062 OR
), wie auch dazu, offenkundig zu machen, welche Rückgriffsschuldner durch Ehrenzahlung befreit sind. Entsprechend von untergeordneter Bedeutung ist auch, wo auf dem Wechsel quittiert wird (BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 1 zu
Art. 62 WG
). Damit ist nicht ausgeschlossen, die Quittung auf der Rückseite des Wechsels oder einer Allonge anzubringen, zumal das Gesetz z.B. Rückseite und Allonge regelmässig gleichbehandelt und damit auch nicht zwingend zwischen dem Wechsel als eigentlicher Urkunde und
BGE 124 III 112 S. 116
dem Anhang unterscheidet (vgl. Art. 1003 Abs. 1 bzw.
Art. 13 Abs. 1 WG
und
Art. 81 WG
bzw. die Regelung in
Art. 1037 OR
; STRANZ, a.a.O., N. 4 zu
Art. 25 WG
). Zudem können auch praktische Gründe (lange Indossamentenkette, Mehrzahl von Wechselbürgschaften etc.) dazu führen, die Quittung auf einem neuen, dem Wechsel anzuheftenden Blatt anzubringen (vgl. JACOBI, a.a.O., S. 524).
Im übrigen genügt es auch bei der Ehrenannahme, die Interventionserklärung auf einem Anhang zu vermerken, obwohl das Gesetz diese Möglichkeit nicht ausdrücklich erwähnt (
Art. 1056 OR
; BÜLOW, a.a.O., N. 1 zu
Art. 57 WG
; BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 1 zu
Art. 57 WG
; STRANZ, a.a.O., N. 2 zu
Art. 57 WG
). Gründe des Verkehrsschutzes, die der Quittierung der Ehrenzahlung auf einer Allonge entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich, weshalb auch diese Form der Quittung zuzulassen ist (gl.M. MEISTER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 1061 OR
). Unbehelflich ist demgegenüber der Hinweis des Klägers auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Art. 1128 OR
, welche den (checkrechtlichen) Nichteinlösungsvermerk auf einer Allonge zum Check nicht genügen lässt (
BGE 102 II 270
E. 1b). Wie die Beklagten zu Recht ausführen, kennt das Checkrecht - im Gegensatz zum Wechselrecht - verschiedene Formen, innerhalb welcher die Zahlungsverweigerung festgestellt werden kann, ohne dass diese Erklärungen zwingend auf der Checkurkunde selbst angebracht werden müssten (
Art. 1128 Ziff. 1-3 OR
; BAUER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 11 f., 20 zu
Art. 1128 OR
). Eine analoge Anwendung der zu
Art. 1128 OR
entwickelten Praxis auf die Quittierung einer Ehrenzahlung drängt sich keineswegs auf.
c) Dass die dem Wechsel angeheftete Quittung inhaltliche Mängel aufgewiesen hätte (vgl. hierzu MEISTER, a.a.O, N. 2 zu
Art. 1061 OR
; BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 1 zu
Art. 62 WG
), hat die Vorinstanz nicht festgestellt und wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Demzufolge ist von einer rechtsgenüglichen Quittierung der Ehrenzahlung auszugehen und ist die Berufung des Klägers in diesem Punkt unbegründet.
2.
Die Vorinstanz hat die Ehrenzahlung gestützt auf die zu den kantonalen Akten gegebene Belastungsanzeige der Bank X. auf den 17. Mai 1991 datiert und den Einwand des Klägers verworfen, die Zahlung sei am 13. Mai 1991 und somit vor der Protestaufnahme vom 15. Mai 1991 erfolgt, weshalb keine gültige Ehrenzahlung vorliegen könne.
BGE 124 III 112 S. 117
a) Die Frage, wann eine Ehrenzahlung als erfolgt zu gelten habe, beschlägt Bundesrecht. Entscheidend ist dabei derjenige Zeitpunkt, in welchem der Gläubiger über das Geld verfügen kann. Ist bargeldloser Zahlungsverkehr vereinbart, tritt die Erfüllungswirkung ein, wenn der geschuldete Geldbetrag auf dem Konto des Gläubigers gutgeschrieben ist (
BGE 119 II 232
E. 2; WEBER, Berner Kommentar, N. 123 zu
Art. 74 OR
; LEU, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl., N. 6 zu
Art. 74 OR
; SCHRANER, Zürcher Kommentar, N. 79 zu
Art. 74 OR
; CHRISTIAN THALMANN, Die Rechtzeitigkeit von Überweisungen des Gläubigers, in: SZW 1990, S. 257 f., 258).
Vorliegend quittierte die Bank X. den Ehrenzahlern B. sel. und D. mit Schreiben vom 17. Mai 1991, deren Konto mit Fr. 15'052'723.35 "Val. 13.05.1991" belastet zu haben. Diese Summe umfasste die Wechselschuld im Nominalbetrag von Fr. 15 Mio., zuzüglich Verzugszinsen zwischen 6. Mai bis 13. Mai 1991 sowie Gebühren und Kosten. Der Begriff "Valuta" bezeichnet dabei die Wertstellung von Gutschriften und Belastungen und legt Beginn und Ende des Zinsenlaufes fest (Albisetti et al., Handbuch des Geld-, Bank- und Börsenwesens der Schweiz, 4. Aufl., S. 653). Entgegen der Auffassung des Klägers indiziert das Valutadatum nicht zwingend den Zeitpunkt, in welchem die dem Konto der Ehrenzahler belastete Wechselsumme der Bank gutgeschrieben wurde. Es ist durchaus möglich, dass - wie die Vorinstanz ausführt - die Valutierung auf das Fälligkeitsdatum des Wechsels zurückbezogen wurde, um etwa die Verzugszinsen tief zu halten. Wie die Beklagten im übrigen zu Recht ausführen, wurde am 15. Mai 1991 auf Ersuchen der Bank X. die Protesturkunde wegen nicht erfolgter Zahlung durch den Wechselnotar der Gemeinde Herisau aufgenommen, was wohl eine Ehrenzahlung nach Protestaufnahme indiziert, jedoch - entgegen ihrer Auffassung - keine diesbezügliche Beweisvermutung im Sinne von
Art. 9 ZGB
begründet. Insgesamt fehlen aber Feststellungen darüber, wann genau die Wechselsumme inkl. Zins der Bank X. gutgeschrieben wurde. Da der Ehrenzahler die wechselrechtlichen Ansprüche gemäss
Art. 1062 OR
nur bei vorgängiger Protestaufnahme erwirbt (MEISTER, a.a.O., N. 6 zu
Art. 1058 OR
), wäre der genaue Zeitpunkt der Buchungen - Belastung des Kontos der Ehrenzahler sowie Gutschrift zugunsten der Bank X. - für den Fall einer allfälligen Bundesrechtswidrigkeit der vorinstanzlichen Alternativbegründung zur Regresshaftung des Klägers noch abzuklären und die Streitsache zur Vervollständigung des Tatbestandes
BGE 124 III 112 S. 118
gemäss
Art. 64 Abs. 1 OG
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für den Fall einer tatsächlich nach Protestaufnahme geleisteten Ehrenzahlung wäre auch deren Rechtzeitigkeit im Sinne von
Art. 1058 Abs. 3 OR
durch die Vorinstanz noch abzuklären.
b) Für den Fall einer vor Protestaufnahme erfolgten Ehrenzahlung hat die Vorinstanz alternativ erwogen, dass diese als Zahlung eines aufgrund eines indossamenten- oder zessionsrechtlich berechtigten Wechselinhabers qualifiziert werden könne. Auch diesfalls - so die Vorinstanz - würde den Beklagten das Recht zum Regress auf den Kläger zustehen. Hiegegen wendet dieser mit Berufung ein, dass gemäss den verbindlichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz B. sel. und D. als Ehrenzahler aufgetreten seien und eine formungültige Ehrenzahlung nicht als Nachindossament uminterpretiert werden könne, zumal den Beklagten auf diese Weise weitergehende Regressrechte eingeräumt würden, als dies aufgrund von
Art. 1062 OR
der Fall wäre.
aa) Der Ehrenzahler subrogiert gemäss
Art. 1062 Abs. 1 OR
in die Rechtsposition des befriedigten Wechselinhabers, wobei der nach
Art. 1061 Abs. 1 OR
auf den Wechsel zu setzende Zahlungsvermerk insofern Bedeutung besitzt, als der Kreis der dem Ehrenzahler haftenden Rückgriffsschuldner über die Person des Honoraten bestimmt wird (MEISTER, a.a.O., N. 2 zu
Art. 1062 OR
). Dem Ehrenzahler haften ausser dem Aussteller der Honorat und dessen Vormänner sowie ein etwaiger Wechselbürge des Honoraten (
Art. 1022 Abs. 1 OR
), nicht aber dessen Nachmänner, welche durch die Ehrenzahlung aus dem Wechsel nicht mehr belangt werden können (MEISTER, a.a.O., N. 4 zu
Art. 1062 OR
). Wie der Kläger zu Recht ausführt, wäre die von der Bank X. erstellte und dem Wechsel angeheftete Belastungsanzeige vom 17. Mai 1991 als Nachindossament im Sinne von
Art. 1010 Abs. 1 OR
zu qualifizieren, wurde der Wechsel doch vor der streitigen Indossierung am 15. Mai 1991 protestiert. Ein derartiges Nachindossament entfaltet einzig zessionsrechtliche Wirkungen, so dass insbesondere die Regresshaftung von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist (JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, a.a.O., S. 185; GRÜNINGER/HUNZIKER/NOTTER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 4 zu
Art. 1010 OR
). Es gehen nicht die Rechte, so wie sie sich aus dem Wechsel ergeben, auf den Nachindossatar über, sondern nur die Rechte in der Gestalt, wie sie dem Nachindossanten zustanden (QUASSOWSKI/ALBRECHT, a.a.O., N. 5 zu
Art. 20 WG
). Somit erwirbt der Nachindossatar alle Rechte des Nachindossanten gegen den Aussteller und diejenigen Indossanten,
BGE 124 III 112 S. 119
die vor Protest und vor Ablauf der Protestfrist indossiert haben (BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 4 zu
Art. 20 WG
; BÜLOW, a.a.O., N. 3 zu
Art. 20 WG
; QUASSOWSKI/ALBRECHT, a.a.O, N. 6 zu
Art. 20 WG
). Entsprechend haftet dem Zessionar neben dem Aussteller grundsätzlich auch der diesem haftende Wechselbürge (
Art. 1022 Abs. 1 OR
). Eine Beschränkung der Übertragungswirkung für die durch das Nachindossament übertragenen Rechte, wie dies zessionsrechtlich für die mit der Forderung akzessorisch verbundenen Nebenrechte möglich ist (GIRSBERGER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl., N. 1 und 8 zu
Art. 170 OR
), ist demgegenüber beim Nachindossament ausgeschlossen (
Art. 1004 Abs. 1 OR
). Abgesehen davon hat die Vorinstanz den Willen der Bank X. als Nachindossantin zur Übertragung sämtlicher wechselrechtlichen Rechte auf B. sel. und D. als Nachindossataren bejaht; diese Beweiswürdigung ist im vorliegenden Berufungsverfahren nicht mehr in Frage zu stellen.
bb) Müsste vorliegend die Gültigkeit der Ehrenzahlung durch B. sel. und D. verneint werden, könnten diese mittels Nachindossament in die Rechtsposition der Bank X. eingetreten sein und insoweit auf den Kläger als Avalisten regressieren. Eine derartige Konversion eines formungültigen, nichtigen Rechtsgeschäfts in ein gesetzkonformes ist grundsätzlich möglich. An Stelle des nichtigen Rechtsgeschäfts wird das andere als zustande gekommen betrachtet, wenn anzunehmen ist, dass es bei Kenntnis der Nichtigkeit des beabsichtigten Geschäfts gewollt wäre (von Tuhr/Peter, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. I, 3. Aufl., S. 229; Schwenzer, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl., N. 25 und 26 zu
Art. 11 OR
). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts muss das Ersatzgeschäft inhaltlich im formungültigen Geschäft enthalten sein. Es darf sodann nicht weiter reichen, als das von den Parteien beabsichtigte Geschäft und keiner der Parteien strengere Verpflichtungen auferlegen. Schliesslich muss es einen ähnlichen Zweck und Erfolg anstreben wie das nichtige (
BGE 103 II 176
E. 4 S. 185 und 186; SCHWENZER, a.a.O., N. 26 zu
Art. 11 OR
). Die Frage nach dem hypothetischen Parteiwillen bei erkannter Nichtigkeit ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft (
BGE 103 II 176
E. 4 S. 185). Abzustellen ist auf den Zweck, den die Parteien mit dem nichtigen Vertrag verfolgten. Es steht fest, dass B. sel. und D. mit der Zahlung der Wechselsumme (inkl. Verzugszinsen) eine Regressnahme durch die Bank X. auf die G. AG als Garantieindossantin verhindern und gleichzeitig in die Rechtsposition
BGE 124 III 112 S. 120
der Bank X. eintreten wollten, um sich letztlich am Wechselaussteller und den ihm haftenden Bürgen schadlos halten zu können. In diesem Verständnis belastete die Bank X. auch das Konto von B. sel. und D. mit der Wechselsumme inkl. Zins und Kosten und übernahmen diese gemäss Belastungsanzeige auch sämtliche wechselrechtlichen Regressansprüche. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht ersichtlich, weshalb B. sel. und D. durch das Nachindossament mehr Rechte zustehen sollten, als in deren Eigenschaft als Ehrenzahler. In beiden Fällen steht ihnen der Regress auf den Wechselaussteller und den ihm haftenden Avalisten zu, womit auch die Identität des wirtschaftlichen Erfolgs von ungültigem und gesetzeskonformem Rechtsgeschäft zu bejahen ist.
3.
Nach Auffassung des Klägers haben die Beklagten ihm gegenüber auch deshalb keine Regressrechte aus dem Wechsel erworben, weil dieser nicht am ursprünglichen Fälligkeitstag protestiert worden sei. Soweit die Vorinstanz davon ausgegangen sei, er habe die Prolongation genehmigt, bzw. ihm vorwerfe, er habe diese Genehmigung verspätet bestritten, verletze sie die Regeln über die Beweislastverteilung gemäss
Art. 8 ZGB
. Als offensichtliches Versehen zu werten sei sodann die Feststellung, er habe nicht einmal behauptet, den Wechsel vor Prolongation avaliert zu haben. Mangels Genehmigung der Prolongation hafte er nur gemäss ursprünglichem Wechseltext, welcher den 6. Mai 1991 als Fälligkeitsdatum bestimme. Entsprechend hätte der Wechsel spätestens am 8. Mai 1991 protestiert werden müssen, was jedoch nicht geschehen sei, weshalb auch jegliche Regressrechte der Beklagten aus Aval entfielen.
a) Ob die Vorinstanz bei ihrer Feststellung, der Kläger habe den Wechsel erst nach dessen Prolongation avaliert, einem offensichtlichen Versehen unterlegen sei, kann offengelassen werden. Immerhin wurde zur Frage des genauen Zeitpunkts der Wechselprolongation kein Beweisverfahren durchgeführt, und steht aufgrund der Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz einzig fest, dass der Wechsel am 6. Dezember 1991 [recte: 1990] avaliert und am 13. Dezember neu an die Order "G. AG" ausgestellt wurde. Wann genau die neue Verfallklausel auf den Wechsel gesetzt wurde, ist aufgrund der Akten nicht eruierbar. Vor diesem tatsächlichen Hintergrund kann nicht gesagt werden, die angefochtene Feststellung beruhe auf einem schlichten Versehen. Indes braucht der Zeitpunkt der Wechselprolongation auch nicht beweismässig erstellt zu werden. Wie die Beklagten zu Recht ausführen, haftet der Wechselbürge gemäss
Art. 1022 Abs. 1
BGE 124 III 112 S. 121
OR
in gleicher Weise wie derjenige, für den er sich verbürgt hat. Handelt es sich bei diesem um den Annehmer des Wechsels, so haftet dieser ohne Protest (
BGE 91 II 108
E. 2a S. 110; BAUMBACH/HEFERMEHL, a.a.O., N. 1 zu
Art. 32 WG
; BAUER, a.a.O., N. 7 zu
Art. 1050 OR
; Netzle, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 2 zu
Art. 1022 OR
). Da der Aussteller eines Eigenwechsels in gleicher Weise haftet wie der Annehmer eines gezogenen Wechsels (
Art. 1099 Abs. 1 OR
), entfällt die Obliegenheit zum Wechselprotest somit auch gegenüber dem Hauptschuldner und seinem Wechselbürgen, weshalb eine allfällige Fristversäumnis (
Art. 1050 Abs. 1 OR
) die Rückgriffsrechte gegenüber dem Wechselbürgen nicht verwirken lässt (
BGE 91 II 108
E. 2a).
b) Vor diesem Hintergrund spielt der genaue Zeitpunkt der Kenntnisnahme des Klägers von der Wechselprolongation keine Rolle. Musste ihm gegenüber der Wechsel nicht protestiert werden, brauchte ihm auch die Änderung der Verfallzeit nicht speziell angezeigt zu werden (vgl. Bernasconi, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 7 zu
Art. 1068 OR
). Ausweislich der Akten und gestützt auf seine eigenen Aussagen steht fest, dass er spätestens im Rechtsöffnungsverfahren von der Wechselprolongation erfahren, hiegegen jedoch erst in der kantonalen Berufungsreplik - und somit prozessrechtlich verspätet - protestiert hat. Wenn die Vorinstanz dieses Verhalten als (konkludente) Genehmigung der Wechselprolongation qualifiziert, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden (BERNASCONI, a.a.O., N. 10 zu
Art. 1068 OR
). Die Frage der Genehmigung einer Wechselprolongation spielt denn vorliegend auch nur bei der Verzugszinsberechnung eine Rolle; liegt eine einfache Prolongation im Sinne eines pactum de non petendo in tempus vor, wird der Wechsel ungeachtet der Prolongation am wechselmässigen Verfalltag zur Zahlung fällig, und sind alsdann gemäss
Art. 1045 Abs. 1 Ziff. 2 OR
Verzugszinsen zu 6% geschuldet (Eduard Naegeli, Die Wechselprolongation, Zürich/St. Gallen 1956, S. 56 und 92). Wird umgekehrt der Verfalltag des Wechsels hinausgeschoben, liegt mithin eine qualifizierte Prolongation vor, entfällt die gesetzliche Zinspflicht des Prolongatars und Hauptschuldners (NAEGELI, a.a.O., S. 154). Vorliegend hat die Vorinstanz den fraglichen Vermerk auf der Vorderseite des Wechsels "prolongiert per 13. Mai 1991" unangefochten als qualifizierte Prolongation gewertet, was bundesrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, a.a.O., S. 197 Rz. 38). Auch der öffentlich beurkundete Protest erwähnt den 13. Mai 1991 als Verfallzeit des Wechsels.
BGE 124 III 112 S. 122
Anhaltspunkte dafür, dass für die Prolongation eine Entschädigung - z.B. in Form einer ab ursprünglicher Verfallzeit laufenden Verzinsung der Wechselsumme - geschuldet sein sollte, sind nicht dargetan oder ersichtlich. Damit ist der Kläger als Regressschuldner sowohl nach
Art. 1045 Abs. 1 Ziff. 2 OR
(bei gültiger Ehrenzahlung) wie auch nach
Art. 1046 OR
(beim Einlösungsrückgriff) seit dem 13. Mai 1991 verzugszinspflichtig (vgl. BAUER, a.a.O., N. 3 und 11 zu
Art. 1046 OR
). Das angefochtene Urteil ist somit in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Bezüglich der von der Vorinstanz den Beklagten gestützt auf
Art. 1046 Ziff. 4 OR
zugesprochenen Provision von Fr. 30'000.-- rügt der Kläger nicht substantiiert eine Bundesrechtsverletzung (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
), weshalb das angefochtene Urteil auch in diesem Punkt zu bestätigen ist.
c) Ist von einer gültigen Konversion der Ehrenzahlung in ein Nachindossament mit zessionsrechtlicher Wirkung im Sinne von
Art. 1010 Abs. 1 OR
auszugehen, sind B. sel. bzw. seine Rechtsnachfolger und D. in die Rechtsposition der Bank X. eingetreten und steht ihnen damit auch das Regressrecht gegenüber dem Kläger zu. Entsprechend entfällt die Notwendigkeit einer Rückweisung der Streitsache zwecks Abklärung des genauen Zeitpunkts der Ehrenzahlung. | null | nan | de | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c8f4333c-1d2f-4d94-8037-f75c304343f6 | Urteilskopf
105 Ia 107
21. Arrêt de la IIe Cour de droit public du 29 mars 1979 dans la cause Rhonewerke A.G. et consorts c. Tribunal administratif du canton du Valais (recours de droit public) | Regeste
Staatsrechtliche Beschwerde, Subsidiarität (
Art. 84 Abs. 2 OG
).
Die staatsrechtliche Beschwerde ist unzulässig, wenn die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zur Verfügung steht, sie ist es, selbst wenn die Frist für die Einreichung der letztgenannten nur zehn Tage beträgt, weil der angefochtene Entscheid eine Zwischenverfügung ist (
Art. 106 OG
). | Erwägungen
ab Seite 107
BGE 105 Ia 107 S. 107
Considérant en droit:
La décision attaquée a été rendue au cours d'un procès relatif à une contestation entre le concessionnaire et l'autorité concédante au sujet des droits et des obligations découlant d'une concession de droits d'eau; selon l'art. 71 de la loi fédérale sur l'utilisation des forces hydrauliques, du 22 décembre 1916 (LFH), une telle décision peut être attaquée par la voie du recours de droit administratif au Tribunal fédéral; en vertu des
art. 97 et 106 OJ
, 5 et 45 LPA, elle peut l'être même si elle est incidente.
Or, dans les matières soumises au Tribunal fédéral en tant que juge administratif, le recours de droit administratif assume
BGE 105 Ia 107 S. 108
le rôle du recours de droit public à l'égard des violations des droits constitutionnels commises par les autorités cantonales (
ATF 96 I 187
;
ATF 86 I 193
consid. 2 et les arrêts cités). Le grief d'arbitraire dans l'application du droit cantonal peut donc être soulevé dans un recours de droit administratif; d'ailleurs, selon la jurisprudence, il y a aussi violation du droit public fédéral - au sens de l'
art. 104 OJ
- non seulement lorsque le droit cantonal a été appliqué en lieu et place du droit fédéral applicable (
ATF 96 I 689
s. consid. 1 a), mais aussi lorsque l'application de ce dernier droit est pratiquement empêchée pour des motifs de procédure tirés du droit cantonal (ATF
ATF 100 Ib 370
consid. 1;
ATF 98 Ib 336
).
Comme la voie du recours de droit administratif était ouverte aux recourantes pour se plaindre non seulement de la violation de la loi fédérale sur l'utilisation des forces hydrauliques, mais aussi de la violation de l'
art. 4 Cst.
consistant en une application prétendument arbitraire du droit cantonal, la voie du recours de droit public, à caractère subsidiaire (
art. 84 al. 2 OJ
), n'est pas ouverte, de sorte que le présent recours doit être déclaré irrecevable. | public_law | nan | fr | 1,979 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c8f534ab-4035-4505-9717-c25c8940ce5f | Urteilskopf
107 II 419
67. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. November 1981 i.S. Grüninger gegen Neumann (Berufung) | Regeste
Erwerb eines Handelsgeschäfts durch Kauf aller Aktien.
1. Bei unrichtiger Erfüllung kann der Käufer sich wahlweise auf Gewährleistung oder einen Willensmangel berufen. Voraussetzungen einer Gewährleistung gemäss
Art. 197 ff. OR
für den wirtschaftlichen Wert der Aktien (E. 1).
2. Prüfungspflicht des Käufers gemäss
Art. 201 OR
bei Zusicherungen. Umstände, die eine absichtliche Täuschung im Sinne von
Art. 203 OR
ausschliessen (E. 2).
3.
Art. 20 Abs. 2 OR
. Teilweise Unverbindlichkeit eines Vertrages; Tat- und Rechtsfragen (E. 3a). Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens; Anspruch auf Beweisabnahme gemäss
Art. 8 ZGB
(E. 3b).
4.
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
. Umstände, unter denen ein Irrtum über die Vermögenswerte der Gesellschaft als wesentlich und kausal für den Vertragsabschluss anzusehen ist (E. 3c). | Sachverhalt
ab Seite 420
BGE 107 II 419 S. 420
A.-
Die Ibelo-F. Neumann-Lienhard AG in Zürich handelt mit Feuerwerkskörpern und anderen Bazarwaren, die zum Wiederverkauf bestimmt sind. Ihr Grundkapital von Fr. 300'000.-- ist in 300 Namenaktien zerlegt.
Mit Vertrag vom 20. Dezember 1977 verkaufte Ferdinand Neumann diese Aktien, die alle ihm gehörten, zum Preise von Fr. 250'000.-- an Willy Grüninger. Fr. 50'000.-- davon waren sofort zu bezahlen; der Rest war mit 5% zu verzinsen und in zwei Raten von je Fr. 100'000.-- Ende 1978 und 1979 zu tilgen. Die aufgeschobenen Forderungen wurden vom Käufer durch eine Bankgarantie im vollen Betrag sichergestellt. Unter Ziff. II des Vertrages erklärten die Parteien, dass der Kaufpreis "sich in genauer Höhe aus der Substanz des Warenlagers und dem Zeitwert des Inventars" vom 30. September 1977 ergebe und "dem inneren Wert" entspreche. Gemäss Bilanz vom gleichen Tag bestanden die Aktiven der Gesellschaft insbesondere aus Waren im Werte von Fr. 306'773.30 und einem Verlustvortrag von Fr. 53'992.38 der zu Fr. 41'596.03 auf 1976 und zu Fr. 12'396.35 auf 1977 entfiel.
Im Juni 1978 verlangte Grüninger eine Herabsetzung des Kaufpreises, weil das Warenlager zahlreiche Ladenhüter umfasse und in der Übernahmebilanz krass überwertet worden sei, was er erst nachträglich erfahren habe. Ferdinand Neumann liess weder das eine noch das andere gelten.
B.-
Im Januar 1979 klagte Grüninger gegen Neumann auf Feststellung, dass er ihm nur noch Fr. 65'000.-- nebst Zins seit 1. Januar 1978 schulde und die Forderung am 30. Dezember 1979 fällig sei. Er beantragte ferner, die Bankgarantie auf diesen Betrag herabzusetzen und den Beklagten zu verpflichten, ihm die entsprechenden Bankspesen zu vergüten.
Der Beklagte widersetzte sich diesen Begehren und erhob Widerklage auf Zahlung von Fr. 105'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1979. Er forderte damit die Ende 1978 fällige Rate und Fr. 5'000.-- ausstehende Zinsen.
Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 25. November 1980 auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage ab und hiessen die Widerklage gut.
Der Kläger beschwerte sich beim Kassationsgericht des Kantons Zürich, das am 30. Juni 1981 die Erwägungen des Obergerichts, wonach die Herabsetzung des Kaufpreises nur teilweise substanziert worden sei, strich und die Beschwerde im übrigen abwies, soweit darauf einzutreten war.
BGE 107 II 419 S. 421
C.-
Eine Berufung des Klägers, der an seinen Rechtsbegehren festhielt, hiess das Bundesgericht dahin gut, dass es das Urteil des Obergerichts aufhob und die Sache zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückwies.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach ständiger Rechtsprechung hat der Käufer bei unrichtiger Erfüllung die Wahl, ob er gemäss
Art. 197 ff. OR
auf Gewährleistung klagen oder nach
Art. 97 ff. OR
Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder den Vertrag wegen eines Willensmangels im Sinne von
Art. 23 ff. OR
anfechten will (
BGE 98 II 20
/21,
BGE 88 II 412
,
BGE 84 II 517
/18 mit weiteren Hinweisen); anders verhält es sich nur beim Viehkauf (
BGE 70 II 48
). Schadenersatz- und Gewährleistungsansprüche, die aus Mängeln der Kaufsache abgeleitet werden, unterliegen dabei in bezug auf die Verjährung, die Prüfung der Ware und die Mängelrüge den gleichen Vorschriften (
BGE 107 II 231
/32 mit Zitaten). Die Anfechtung wegen Irrtums hängt dagegen nicht von den besonderen Voraussetzungen der Sachgewährleistung ab, selbst wenn der Irrtum sich auf eine wesentliche Eigenschaft der Kaufsache bezieht; diesfalls genügt in der Regel, dass der Käufer sich innert der Frist des
Art. 31 OR
auf Irrtum beruft, gleichviel ob er die Sache geprüft und allfällige Mängel dem Verkäufer sogleich angezeigt habe (
BGE 84 II 517
,
BGE 82 II 422
). Nach CAVIN (Schweiz. Privatrecht Bd. VII/1 S. 119) berücksichtigt die Praxis in Fällen von Irrtum freilich auch die Sorgfalt des Käufers, dem normalerweise zugemutet werden könne, den Verkäufer unverzüglich zu benachrichtigen, wenn er entdeckt, dass er über eine wesentliche Eigenschaft getäuscht worden ist. Daraus darf indes nicht abgeleitet werden, seine Klage oder Einrede wegen Willensmängeln unterliege den allgemeinen Voraussetzungen der Mängelrüge gemäss
Art. 201 OR
, mag in einer verspäteten Prüfung und Anzeige je nach den Umständen auch ein Verhalten erblickt werden, das der Käufer sich im Rahmen der
Art. 25 und 26 OR
entgegenhalten lassen muss.
Die angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichts ist bis in die neueste Zeit in der Lehre und im Schrifttum teils ausdrücklich gebilligt (GIGER, N. 62 und 64 zu
Art. 197-210 OR
mit Hinweisen; mit gewissen Vorbehalten ferner BÜHLER, in SJZ 74/1978 S. 1 ff.), teils aber auch kritisiert oder angezweifelt worden (CAVIN, a.a.O., S. 117/18 und in Semaine judiciaire 91/1969 S. 329 ff.; GUHL/MERZ/KUMMER,
BGE 107 II 419 S. 422
OR S. 353; KOLLY, Der Grundlagenirrtum nach
Art. 24 OR
, Diss. Freiburg 1978 S. 103 ff. mit weiteren Zitaten). Darauf zurückzukommen, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, zumal die Vorschriften über die Anfechtung von Verträgen wegen Willensmängeln sich gerade bei einem Aktienkauf als notwendige Ergänzung erweisen.
Ein solches Rechtsgeschäft ist nach den Bestimmungen über den Fahrniskauf (
Art. 187 ff. OR
) zu beurteilen, selbst wenn die Aktien nicht herausgegeben, folglich auch nicht in Wertpapieren verbrieft worden sind;
Art. 187 Abs. 1 OR
beschränkt den Gegenstand des Kaufes nicht auf verurkundete Rechte oder körperliche Sachen (GIGER, N. 23/24 zu
Art. 187 OR
). Die gesetzliche Gewährleistung bezieht sich aber nicht auf die Vermögenswerte der Gesellschaft, sondern ist auch bei einem Verkauf aller Aktien bloss für den Bestand und Umfang der damit veräusserten Rechte gegeben. Für den wirtschaftlichen Wert der Aktien haftet der Verkäufer gemäss
Art. 197 OR
nur dann, wenn er dafür besondere Zusicherungen abgegeben hat und der Käufer sich seinerseits an die Vorschriften des
Art. 201 OR
hält. Liegt über die Vermögenswerte der Gesellschaft ein Irrtum vor, so kann der Erwerber den Aktienkauf dagegen wegen des Willensmangels anfechten (
BGE 79 II 159
ff.). Diese Auffassung wird von CAVIN (a.a.O. S. 78/79) und GUHL/MERZ/KUMMER (OR S. 342) geteilt, von GIGER (N. 85-89 zu
Art. 197 OR
) aber als zu weitgehend abgelehnt; er möchte bei Verkauf sämtlicher Aktien vom Erfordernis besonderer Zusicherungen abgesehen wissen, weil der Käufer diesfalls die Herrschaft über ein Unternehmen erlangen wolle, das durch die Aktien repräsentiert werde.
2.
ob vorliegend in Ziff. II des Vertrages solche Zusicherungen oder blosse Angaben über den Vermögenswert des Unternehmens zu erblicken seien (vgl.
BGE 91 II 354
/55; GIGER N. 47 zu
Art. 197 OR
; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 343), kann dahingestellt bleiben. So oder anders hat der Kläger sich nicht an
Art. 201 OR
gehalten, der auch für zugesicherte Eigenschaften gemäss
Art. 197 OR
gilt (
BGE 81 II 56
). Nach dem angefochtenen Urteil hat er das Warenlager, das den weitaus grössten Aktivposten der Gesellschaft ausmachte, mit dem Vertragsabschluss vom 20. Dezember 1977 übernommen, dem Beklagten deswegen aber erst am 29. Juni 1978 geschrieben. Die Vorinstanz hält ihm mit Recht entgegen, dass er die inventarisierten Waren, die angeblich weitgehend aus Ladenhütern bestanden, spätestens anfangs Januar 1978
BGE 107 II 419 S. 423
hätte prüfen und beanstanden müssen, wenn er den Kaufpreis deswegen im Sinne von
Art. 205 OR
gemindert wissen wollte.
Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann auch von einer absichtlichen Täuschung im Sinne von
Art. 203 OR
nicht die Rede sein. Der Kläger ist Verwaltungsrat zahlreicher Wirtschaftsunternehmen und gilt als erfahrener Geschäftsmann. Wie aus seinem Brief vom 11. August 1977 an die Neutra Treuhand AG erhellt, wusste er sich namentlich über die Bewertung des Warenlagers richtig zu erkundigen. Der Kläger durfte sich zu diesem Zweck auch an die Lieferfirma Ibelo wenden, mit der ihn der Beklagte an der Frankfurter Messe bekannt gemacht hatte. Was der Kläger gegen diese Feststellungen des angefochtenen Urteils vorbringt, um eine absichtliche Täuschung des Beklagten darzutun, ist als unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung des Obergerichts nicht zu hören (
BGE 98 II 78
/9,
BGE 96 II 27
E. 2b,
BGE 95 II 146
mit Hinweisen). Dass die Vorinstanz dabei den Rechtsbegriff der absichtlichen Täuschung verkannt habe, ist nicht zu ersehen; insbesondere lässt sich nicht sagen, sie habe ihn mit einem allfälligen Mitverschulden des Getäuschten vermengt. Fragen kann sich daher bloss, ob der Kläger sich über einen Sachverhalt geirrt habe, der für beide Parteien zur Grundlage des Vertrages gehörte, und ob er sich deswegen auf einseitige Unverbindlichkeit berufen könne.
3.
Das Obergericht geht zu Recht davon aus, dass der Kläger Fr. 50'000.-- bezahlt und die verbleibende Schuld bis zum Betrag von Fr. 65'000.-- stets anerkannt hat, den Vertrag folglich nur teilweise nichtig erklärt wissen will.
a) Betrifft ein Verstoss im Sinne von
Art. 20 Abs. 1 OR
bloss einzelne Teile eines Vertrages, so sind gemäss Abs. 2 nur diese nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass der Vertrag ohne sie überhaupt nicht geschlossen worden wäre. Es handelt sich dabei um eine Schutzvorschrift zugunsten der Partei, die bei Teilnichtigkeit des Vertrages benachteiligt würde; sie gestattet dem Richter nicht, die Ganznichtigkeit auszusprechen, wenn die dem Nachteil ausgesetzte Partei selber am übrigen Vertrag festhält. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung sinngemäss auch anzuwenden, wenn nur einzelne Klauseln unter einem Willensmangel zustande gekommen sind und der Vertrag teilbar ist. Dies trifft zu, wenn die vereinbarten Leistungen und Gegenleistungen durch die Beschränkung der Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit auf einen Teil des Vertrages miteinander in das zulässige Gleichgewicht gebracht
BGE 107 II 419 S. 424
werden können (
BGE 99 II 309
,
BGE 96 II 106
,
BGE 80 II 334
E. a,
BGE 78 II 217
). Wie es sich damit im Einzelfall verhält, ist eine Frage der Vertragsauslegung oder der allgemeinen Lebenserfahrung und damit der Rechtsanwendung, die vom Bundesgericht auf Berufung hin frei überprüft werden darf. Dazu gehört auch die Bestimmung des mutmasslichen Parteiwillens, von dem
Art. 20 Abs. 2 OR
die teilweise Nichtigkeit oder Unverbindlichkeit abhängig macht. Gebunden ist das Bundesgericht dagegen an Feststellungen der Vorinstanz über Tatsachen, die bei der Ermittlung dieses Willens als Anhaltspunkte in Betracht kommen (
BGE 107 II 218
/19,
BGE 86 II 187
/88,
BGE 80 III 57
,
BGE 76 II 15
und 279).
b) Nach dem angefochtenen Urteil ist nicht anzunehmen, dass der Beklagte die Aktien auch zum Preise von Fr. 115'000.--, den der Kläger nach Beseitigung seines angeblichen Irrtums über den Wert des Warenlagers für angemessen hält, verkauft hätte. Das Obergericht begründet dies damit, dass der Beklagte eine entsprechende Offerte, die ihm am 23. März 1977 von der Ibelo, d.h. von der deutschen Hauptlieferantin der Gesellschaft unterbreitet worden sei, ausdrücklich abgelehnt habe; er verfüge zudem über erhebliche finanzielle Mittel und sei daher nicht gezwungen gewesen, die Aktien zu verkaufen, um Verluste der Gesellschaft verkraften zu können; weitere Beweise darüber erübrigten sich.
Der Kläger lässt diese Auffassung nicht gelten, weil damit die Möglichkeit einer Teilanfechtung völlig vom subjektiven Empfinden des Beklagten abhängig und zum vornherein illusorisch gemacht werde. Bei der Bestimmung des mutmasslichen Parteiwillens seien noch andere Umstände, insbesondere der Wert der inventarisierten Waren, die ihrerseits die Klausel über den Kaufpreis beeinflusst hätten, zu berücksichtigen. Mit seiner Beschränkung auf prozessuale Behauptungen des Beklagten habe das Obergericht das Ergebnis beantragter Beweismittel in unzulässiger Weise vorweggenommen und dem Kläger das Recht abgesprochen, für erhebliche Tatsachen zum Beweise zugelassen zu werden.
Diese Einwände haben vieles für sich. Der hypothetische Parteiwille im Sinne von
Art. 20 Abs. 2 OR
darf entgegen der Annahme des Obergerichts nicht mit dem innern Willen oder Gutdünken des Beklagten gleichgesetzt werden, der allein darüber zu entscheiden gehabt habe, ob nach den bestehenden Ertragsverhältnissen der Gesellschaft ein Verkauf der Aktien auch unter ungünstigeren Vertragsbedingungen angezeigt gewesen wäre. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beklagte bei objektiver Einschätzung der
BGE 107 II 419 S. 425
vorhandenen Vermögenswerte nach der Erfahrung bereit gewesen wäre, die Aktien der Gesellschaft zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen. Diese Betrachtungsweise liegt umso näher, als der Kaufpreis sich gemäss Ziff. II des Vertrages "aus der Substanz des Warenlagers" ergab und "dem inneren Wert" des Inventars entsprach, über die sich der Kläger beim Kauf der Aktien gerade getäuscht haben will. Der mutmassliche Wille des Beklagten brauchte sich nicht mit dem nachträglich vom Kläger ermittelten Preis zu decken, sondern konnte sich auch auf einen höheren beziehen. Wie es sich mit dem Betrag von Fr. 115'000.-- verhält, ist übrigens noch offen, weil darüber nicht Beweis geführt worden ist und das Kassationsgericht die Erwägungen des Obergerichts über die ungenügende Substantiierung des Betrages gestrichen hat. War der vereinbarte Preis offensichtlich übersetzt, so lässt sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch nicht sagen, der Beklagte hätte daran unbekümmert um den Wert der Aktiven, eine lohnende Weiterführung des Betriebes oder Drittinteressenten festgehalten; diesfalls drängte sich eine Herabsetzung vielmehr auf.
Dass der Beklagte vermögend ist, im März 1977 ein tieferes Angebot der Ibelo abgelehnt hat und nicht verkaufen musste, ändert daran nichts. Weder das eine noch das andere schliesst aus, dass er den Kaufpreis bei zutreffender Bewertung der inventarisierten Waren dem Überschuss der Aktiven angepasst hätte; dies gilt umsomehr, als die Gesellschaft seit längerer Zeit mit Verlusten arbeitete und Ibelo sie liquidieren, der Kläger den Betrieb aber weiterführen wollte. Dazu kommt, dass der Beklagte so oder anders bereit war, die Aktien weit unter ihrem Nominalwert zu verkaufen. Aus diesen Gründen durfte das Obergericht den "inneren Wert" des Warenlagers nicht übergehen, als es den mutmasslichen Parteiwillen des Beklagten im Sinne von
Art. 20 Abs. 2 OR
zu bestimmen suchte. Da es sich dabei um rechtserhebliche Tatsachen handelte, hatte es den Kläger gemäss
Art. 8 ZGB
vielmehr zum Beweise zuzulassen. Sein Urteil ist daher gestützt auf
Art. 64 Abs. 1 OG
aufzuheben und die Sache zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes und neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
c) Nach
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
ist an den Vertrag nicht gebunden, wer sich bei seinem Abschluss über einen bestimmten Sachverhalt geirrt hat, der ihm notwendige Grundlage des Vertrages war und von ihm nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr
BGE 107 II 419 S. 426
auch als gegeben vorausgesetzt werden durfte. Ein solcher Irrtum kann sich nach der Rechtsprechung insbesondere auf Waren beziehen, die zum Wiederverkauf bestimmt sind (
BGE 79 II 217
E. 5), oder die finanzielle Lage einer Gesellschaft betreffen, wenn deren Aktien verkauft werden (
BGE 97 II 46
/47).
Im vorliegenden Fall bestanden die Aktiven der Gesellschaft vor allem aus solchen Waren, die in der Zwischenbilanz für Ende September 1977 auf Fr. 306'773.30 geschätzt wurden. Gemäss Ziff. II des Vertrages entsprach diese Summe nicht nur dem "Zeitwert", sondern auch "dem inneren Wert" des Inventars. Besondere Umstände, die beim Käufer zum vornherein hätten Misstrauen erwecken müssen, sind nicht zu ersehen und auch nicht geltend gemacht; der Kläger durfte in guten Treuen vielmehr davon ausgehen, dass die Gesellschaft sich bei der Schätzung des Warenlagers an die Bilanzvorschriften der
Art. 666 und 960 Abs. 2 OR
gehalten hatte. Unter diesen Umständen muss ein Irrtum über den Wert der Warenvorräte, die nach Auffassung des Klägers nur etwa einen Drittel des angegebenen Betrages ausmachten, nicht nur als wesentlich, sondern auch als kausal für den Vertragsabschluss angesehen werden. Auch deshalb ist der Kläger für seine Sachvorbringen zum Beweise zuzulassen (
BGE 105 II 144
/45 mit Zitaten). | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c8f94e8e-d40f-482c-aaf2-e26baca42292 | Urteilskopf
137 I 247
25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und Y. gegen Dienststelle für Bevölkerung und Migration und Staatsrat des Kantons Wallis (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_327/2010 / 2C_328/2010 vom 19. Mai 2011 | Regeste
Art. 8 EMRK
,
Art. 3 Abs. 1 KRK
; Art. 255 i.V.m. Art. 109 Abs. 3 sowie Art. 105 Abs. 4 i.V.m.
Art. 106 Abs. 1 ZGB
; "umgekehrter" Familiennachzug des ausländischen Sorge- und Obhutsberechtigten zu seinem Schweizer Kind.
Bestätigung der Rechtsprechung, wonach es im Rahmen der Interessenabwägung gemäss
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ordnungs- oder sicherheitspolizeilicher Gründe von einem gewissen Gewicht bedarf, um dem sorge- und obhutsberechtigten ausländischen Elternteil den Verbleib im Land zu verweigern und sein Schweizer Kind (im Ergebnis) zu verpflichten, mit ihm auszureisen. Die entsprechende Praxis gilt nicht unbesehen bei niederlassungs- oder aufenthaltsberechtigten ausländischen Kindern aus Drittstaaten (E. 4). Würdigung des konkreten Falles bei mutmasslich missbräuchlichem Verhalten des sorge- und obhutsberechtigten Elternteils (E. 5). | Sachverhalt
ab Seite 248
BGE 137 I 247 S. 248
X. (geb. 1977) stammt aus Kamerun. Sie war vom 14. Juni 1999 bis zum 1. Juli 1999 in Zürich illegal als Prostituierte tätig. Am 8. August 1999 wurde sie in ihre Heimat ausgeschafft und mit einer Einreisesperre bis zum 6. August 2002 belegt. Im Jahr 2001 reiste X. wiederum illegal in die Schweiz ein, wo sie sich anschliessend bei ihrem Schweizer Freund aufhielt. Am 23. Juni 2003 ersuchte X. in Kamerun um eine Einreisemöglichkeit in die Schweiz, da sie ihr Kind hier zur Welt bringen wollte. Weil der Kindesvater nicht bereit war, für sie aufzukommen, wurde Y. am 8. September 2003 in Kamerun geboren. Am 27. Juli 2007 anerkannte der Vater Y., worauf diese am 3. November 2008 erleichtert eingebürgert wurde (Art. 58c i.V.m.
Art. 1 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts in der Fassung vom 3. Oktober 2003 [BüG; SR 141.0]
).
Im August 2005 lernte X. in Kamerun den Schweizer Z. (geb. 1954) kennen, den sie am 19. Mai 2006 in Yaoundé heiratete. Am 19. Februar 2007 reisten X. und Y. in die Schweiz ein, wo ihnen je eine bis zum 19. Februar 2008 gültige Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. Ab April 2007 trennte sich X. von ihrem Mann. Die Ehe wurde am 23. Oktober 2008 geschieden. Am 12. September 2007 informierte die Dienststelle für Bevölkerung und Migration (DBM) des Kantons Wallis X., dass sie beabsichtige, ihre Aufenthaltsbewilligung zu widerrufen und sie und ihre Tochter aus der Schweiz wegzuweisen. Am 9. Februar 2009 lehnte sie das Gesuch ab, die Aufenthaltsbewilligung von X. zu verlängern. Der Staatsrat und das Kantonsgericht des Kantons Wallis bestätigten diesen Entscheid auf Beschwerde hin am 9. September 2009 bzw. 26. Februar 2010.
X. (Beschwerdeführerin 1) und Y. gelangten hiergegen an das Bundesgericht, welches ihre Beschwerden gutheisst, den Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Wallis aufhebt und die Dienststelle für
BGE 137 I 247 S. 249
Bevölkerung und Migration des Kantons Wallis anweist, die Aufenthaltsbewilligung von X. zu verlängern.
(Zusammenfassung)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4.
4.1
4.1.1
Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufenthalt in einem Konventionsstaat (vgl.
BGE 130 II 281
E. 3.1 S. 285 f.). Es ergibt sich daraus weder ein Recht auf Einreise noch auf Wahl des für das Familienleben am geeignetsten erscheinenden Orts. Das in
Art. 8 EMRK
geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens kann nur angerufen werden, wenn eine staatliche Entfernungs- oder Fernhaltemassnahme zur Trennung von Familienmitgliedern führt. Selbst dann gilt der Anspruch jedoch nicht absolut. Vielmehr ist nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
ein Eingriff in das durch Ziff. 1 geschützte Rechtsgut statthaft, soweit er eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesellschaft und Moral sowie der Rechte und Pflichten anderer notwendig erscheint. Die Konvention verlangt eine Abwägung der sich gegenüberstehenden individuellen Interessen an der Erteilung der Bewilligung einerseits und der öffentlichen Interessen an deren Verweigerung andererseits; diese müssen jene in dem Sinne überwiegen, dass sich der Eingriff in das Privat- und Familienleben als
notwendig
erweist (vgl.
BGE 135 I 153
E. 2.1 und 2.2.1;
BGE 122 II 1
E. 2 S. 6;
BGE 116 Ib 353
E. 3 S. 357 ff.).
4.1.2
Als zulässiges öffentliches Interesse fällt dabei grundsätzlich auch das Durchsetzen einer restriktiven Einwanderungspolitik in Betracht. Eine solche ist im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen schweizerischer und ausländischer Wohnbevölkerung, auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Eingliederung der in der Schweiz bereits ansässigen Ausländer und die Verbesserung der Arbeitsmarktstruktur sowie auf eine möglichst ausgeglichene Beschäftigung im Lichte von
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
zulässig (
BGE 135 I 153
E. 2.2.1,
BGE 135 I 143
E. 2.2). Muss ein Ausländer, dem eine ausländerrechtliche Bewilligung verweigert worden ist, das Land verlassen, haben dies seine Angehörigen grundsätzlich hinzunehmen, wenn es ihnen "ohne Schwierigkeiten" möglich ist, mit ihm
BGE 137 I 247 S. 250
auszureisen; eine Interessenabwägung nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
erübrigt sich in diesem Fall. Anders verhält es sich, falls die Ausreise für die Familienangehörigen "nicht von vornherein ohne Weiteres zumutbar" erscheint. In diesem Fall ist immer eine Interessenabwägung nach
Art. 8 Ziff. 2 EMRK
geboten, welche sämtlichen Umständen des Einzelfalls Rechnung trägt (vgl.
BGE 135 I 153
E. 2.1 mit Hinweisen).
4.2
4.2.1
Das Bundesgericht ist ursprünglich davon ausgegangen, dass es einem schweizerischen Kind, namentlich einem solchen im Kleinkindalter, regelmässig zumutbar ist, das Lebensschicksal des Sorge- bzw. Obhutsberechtigten zu teilen und diesem hierfür gegebenenfalls ins Ausland zu folgen (vgl.
BGE 135 I 143
E. 2.2;
BGE 127 II 60
E. 2a S. 67;
BGE 122 II 289
E. 3c S. 298). In neueren Entscheiden hat es diese Rechtsprechung mit Blick auf die Vorgaben des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK; SR 0.107) sowie die verfassungsrechtlichen Gebote staatsbürgerrechtlicher Natur bei
Schweizer Kindern
relativiert (
BGE 135 I 153
ff.;
BGE 136 I 285
ff.; MARTINA CARONI, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr[Hrsg.], 2010, N. 62 Vorbemerkung zu Art. 42-52 AuG; PETER UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, in: EMRK und die Schweiz, Breitenmoser/Ehrenzeller [Hrsg.], 2010, S. 203 ff., dort 226 ff.; RUMO-JUNGO/SPESCHA, Kindeswohl, Kindesanhörung und Kindeswille in ausländerrechtlichen Kontexten, AJP 2009 S. 1103 ff., dort 1112 ff.; MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht, Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 2. Aufl. 2009, Nr. 18 Rz. 19 ff.). Allein die Zumutbarkeit der Ausreise und das öffentliche Interesse, eine restriktive Einwanderungspolitik betreiben zu können, genügen danach nicht mehr dafür, dem sorgeberechtigten Ausländer eines Schweizer Kindes die Anwesenheit mit diesem zu verweigern; es bedarf hierfür jeweils besonderer - namentlich
ordnungs- und sicherheitspolizeilicher
- Gründe, welche die mit der Ausreise für das Schweizer Kind verbundenen weitreichenden Folgen zusätzlich rechtfertigen (
BGE 136 I 285
E. 5.2;
BGE 135 I 153
E. 2.2.4 S. 158,
BGE 135 I 143
E. 3 und 4 S. 148 ff.).
4.2.2
Liegt gegen den ausländischen, sorgeberechtigten Elternteil eines Schweizer Kindes nichts vor, was ihn als "unerwünschten" Ausländer erscheinen lässt oder auf ein missbräuchliches Vorgehen hinweist, ist davon auszugehen, dass dem hier lebenden Schweizer
BGE 137 I 247 S. 251
Kind nicht zugemutet werden soll, dem sorgeberechtigten ausländischen Elternteil in dessen Heimat folgen zu müssen. Der Umstand, dass der ausländische Elternteil, der sich um eine Aufenthaltsbewilligung bemüht, straffällig geworden ist, darf bei der Interessenabwägung mitberücksichtigt werden, doch überwiegt nur eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit von einer gewissen Schwere das Interesse des Schweizer Kindes, mit dem sorgeberechtigten Elternteil hier aufwachsen zu können (
BGE 136 I 285
E. 5.2 S. 287; Urteile 2C_660/2009 vom 7. Juni 2010 E. 2.2 und 2.3 [Verurteilung zu 10 Jahren wegen banden- und gewerbsmässiger Widerhandlung gegen das BetmG] sowie 2C_843/2009 vom 14. Juni 2010 E. 3.2 [von der Sozialhilfe abhängige Mutter aus Sierra Leone eines autistischen Schweizer Kindes]).
4.2.3
Grundsätzlich nicht verändert hat sich durch diese Neuausrichtung der Rechtsprechung die Rechtslage bei
aufenthaltsberechtigten
oder
niedergelassenen ausländischen Kindern
, da in diesen Fällen keine spezifischen bürgerrechtlichen Überlegungen (Niederlassungsfreiheit, Ausweisungsverbot, späteres Wiedereinreiserecht usw.) zu berücksichtigen sind (Urteil 2C_364/2010 vom 23. September 2010 E. 2.2.6). Hier genügt die Zumutbarkeit der Ausreise des Kindes für eine Bewilligungsverweigerung an den sorge- bzw. obhutsberechtigten Elternteil, wobei die Möglichkeit der Ausübung des Besuchsrechts des in der Schweiz anwesenheitsberechtigten anderen Elternteils sachgerecht mitberücksichtigt werden kann (zit. Urteil 2C_364/2010 E. 2.2.2). Für die Erteilung der Bewilligung gestützt auf
Art. 8 EMRK
bzw.
Art. 13 Abs. 1 BV
ist in diesem Fall erforderlich, dass eine intensive Beziehung in affektiver und wirtschaftlicher Hinsicht zwischen dem hier anwesenden besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind besteht und sich der obhutsberechtigte Elternteil, welcher um die Bewilligung ersucht, seinerseits "tadellos" verhalten hat. Dabei ist mit noch grösserer Zurückhaltung auf eine Pflicht zu schliessen, ihm eine Bewilligung zu erteilen, als im Falle des besuchsberechtigten Ausländers, der selber, im Hinblick auf die Ausübung seines Besuchsrechts, um die Bewilligung nachsucht. Der obhutsberechtigte Elternteil, der die Bewilligung einzig zur Erleichterung der Ausübung des Besuchsrechts zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil erhältlich machen will, soll dies nur bei Vorliegen besonderer Umstände tun können (Urteile 2C_364/2010 vom 23. September 2010 E. 2.2.4; 2C_372/2008 vom 25. September 2008 E. 3.2.1; 2A.508/2005 vom 16. September 2005 E. 2.2.3).
BGE 137 I 247 S. 252
5.
5.1
5.1.1
Der vorliegende Fall wirft die Frage auf, welches negative Verhalten des sorgeberechtigten ausländischen Elternteils geeignet erscheint, das private Interesse des Schweizer Kindes zu überwiegen, mit diesem im Land verbleiben zu dürfen. Das Bundesgericht hat bisher - wie bereits dargelegt - einerseits festgestellt, dass lediglich Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit von einer gewissen Schwere ins Gewicht fallen können (
BGE 136 I 285
ff.); andererseits hat es ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen als allfälliges öffentliches Interesse bezeichnet, welches gegen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an den sorgeberechtigten Elternteil sprechen kann (
BGE 135 I 153
E. 2.2.4; Urteil 2C_843/2009 vom 14. Juni 2010 E. 3.2 und 4.2). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs setzt der Ausübung eines Anspruchs, der formal im Einklang mit der Rechtsordnung steht, jedoch treuwidrig und damit unredlich geltend gemacht wird, eine ethisch-materielle Schranke. Es steht der Inanspruchnahme eines Rechtsinstituts zu Zwecken entgegen, welche dieses nicht schützen will (
BGE 131 I 166
E. 6.1 S. 177;
BGE 128 II 145
E. 2.2 S. 151). Das Rechtsmissbrauchsverbot lässt scheinbares Recht weichen, wo offenbares Unrecht geschaffen würde (
BGE 125 III 257
E. 3 S. 261). Nur stossendes, zweckwidriges Verhalten erscheint rechtsmissbräuchlich und soll über das Rechtsmissbrauchsverbot sanktioniert werden. War das ANAG noch vom Grundsatz des freien Ermessens der Behörden (
Art. 4 ANAG
[BS 1 121]) und einzelnen offen formulierten Rechtsansprüchen geprägt, was eine breitere Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots rechtfertigte, hat der Gesetzgeber im Ausländergesetz die einzelnen Bewilligungs- bzw. Missbrauchssituationen und die sie prägenden Wertentscheidungen neu und detaillierter gefasst, was es nahelegt, das Rechtsmissbrauchsverbot heute wieder stärker auf seinen Kernbereich zu beschränken, d.h. auf eigentliche Machenschaften, um die Behörden zu täuschen bzw. eine Bewilligung zu erschleichen (Urteil 2C_606/2009 vom 17. März 2010 E. 2.4.1; vgl. PETER UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, Jahrbuch für Migrationsrecht 2005/2006, 2006 S. 3 ff., dort 24 ff.; vgl. auch Art. 35 der Richtlinie 2004/38/EG [ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 ff.]).
5.1.2
Zu denken ist dabei an Lügengebäude und falsche, täuschende Angaben, an Umgehungsanerkennungen bzw. -adoptionen oder Umgehungsehen (auch "Ausländerrechts-" oder "Scheinehen"
BGE 137 I 247 S. 253
genannt; vgl. etwa: THOMAS GEISER, Scheinehe, Zwangsehe und Zwangsscheidung aus zivilrechtlicher Sicht, ZBJV 144/2008 S. 817 ff.; Memo/09/311 vom 2. Juli 2009, "Guidelines on free movement and residence rights of EU citizens and their families"; Entschliessung des EG-Rates 97/C 382/01 vom 4. Dezember 1997 über Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen). Auch in solchen Fällen ist jedoch ausländerrechtlich dem Wohl des Schweizer Kindes im Einzelfall jeweils sachgerecht und nicht schematisierend Rechnung zu tragen; das Kindeswohl muss dem gegenläufigen
öffentlichen Interesse der Generalprävention und Missbrauchsbekämpfung
(vgl. Art. 118 AuG [SR 142.20]:Strafbarkeit der rechtsmissbräuchlichen Ehe) gegenübergestellt und sorgfältig abgewogen werden. Beziehungen oder Verwandtschaftsverhältnisse, die ausschliesslich geschlossen oder begründet werden, um der ausländischen Person die Einreise oder den Aufenthalt in der Schweiz zu ermöglichen, verdienen als solche verfassungs- und konventionsrechtlich keinen besonderen Schutz. Der Gesetzgeber hat dies als Ausfluss des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots inzwischen mit verschiedenen Anpassungen des Zivilgesetzbuchs klargestellt (vgl. Art. 97a, 98 Abs. 4, Art. 99 Abs. 4, Art. 105 Ziff. 4 in Verbindung mit
Art. 106 Abs. 1 sowie
Art. 109 Abs. 3 ZGB
).
5.1.3
Obwohl das Eingehen einer Scheinehe ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt, soll dem
Schweizer
Kind ein bloss
mutmasslich
missbräuchliches Verhalten des sorgeberechtigten Elternteils im Rahmen der ausländerrechtlichen Interessenabwägung nicht entgegengehalten werden, solange sein zivilrechtlicher Status und die daran geknüpften Rechtswirkungen fortbestehen (vgl. Art. 255 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 109 Abs. 3 sowie Art. 105 Abs. 4 in Verbindung mit
Art. 106 Abs. 1 ZGB
). Nach
Art. 3 Abs. 1 KRK
ist das Kindeswohl bei allen staatlichen Massnahmen
vorrangig
zu berücksichtigen. Gestützt auf
Art. 2 Abs. 2 KRK
treffen die Vertragsstaaten zudem die geeigneten Massnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäusserungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird. Ist die Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung eines ausländischen erziehungsberechtigten Elternteils mit Schweizer Kind zu beurteilen, genügen unerhärtete Hinweise dafür, dass der ausländische Elternteil versucht haben könnte, ein Anwesenheitsrecht zu erwirken, für sich
BGE 137 I 247 S. 254
allein regelmässig nicht, um dem Interesse des Schweizer Kindes am Verbleib im Land vorzugehen. Erforderlich sind auch in diesem Fall zusätzlich besondere, namentlich ordnungs- und sicherheitspolizeiliche Gründe, welche die mit der Ausreise für das Schweizer Kind verbundenen weitreichenden Folgen rechtfertigen. Die Interessenabwägung ist bei dieser Ausgangslage mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 KRKzwingend eine andere, als wenn allein der Aufenthalt des ausländischen Partners eines Schweizer Gatten zur Diskussion steht: Einem unmündigen Kind unter der elterlichen Gewalt des ausländischen Ehepartners ist es kaum möglich, allein in der Schweiz zu verbleiben; zudem ist regelmässig auch der Möglichkeit zur Wahrnehmung des Besuchsrechts durch den hiesigen schweizerischen Elternteil Rechnung zu tragen. Der zivilrechtliche Zuteilungsentscheid, der in erster Linie dem Kindeswohl entsprechen muss (vgl.
Art. 133 Abs. 2 und 3 ZGB
), soll überdies nicht durch - allenfalls unsachgerechte - ausländerrechtliche Motive verfälscht werden. Zudem gilt es schliesslich zu verhindern, dass ein Schweizer Kind ohne gewichtige Gründe hierfür das Land verlassen muss, jedoch nach seiner Volljährigkeit jederzeit in dieses zurückkehren kann und sich dann relativ grossen Integrationsproblemen gegenübersieht.
5.2
5.2.1
Die Vorinstanz ging davon aus, die Beschwerdeführerin 1 sei in der Schweiz wiederholt straffällig geworden; zudem bestünden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ihr Aufenthalt mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu weiteren Verstössen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen werde. Ihr Verhalten sei alles andere als korrekt gewesen: Das illegale Einreisen (1999 und 2001 bis 2003), das Erwarten eines Kindes von einem Schweizer Bürger, verbunden mit der Absicht, das Kind in der Schweiz zu gebären (2003), sowie die Heirat mit einem anderen Schweizer Bürger (2006) und die anschliessende Einreise in die Schweiz (2007) bzw. das Verhalten als Ehefrau (Verlassen des gemeinsamen Haushalts und Aufenthalt in Zürich, Prostitution, Indizien für Scheinehe [
BGE 122 II 289
ff.]) liessen darauf schliessen, dass sie mit allen Mitteln versucht habe, in die Schweiz zu gelangen und sich hier längerfristig aufzuhalten. Ihrem Nachzug habe eine "geplante rechtsmissbräuchliche Strategie" zugrunde gelegen.
5.2.2
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz überwiegen die nach dem Gesagten vorrangig zu berücksichtigenden Interessen des Schweizer
BGE 137 I 247 S. 255
Kindes am Verbleib mit der Mutter im Land indessen diese Aspekte. Die Einschätzung des Kantonsgerichts klammert die Interessen des Schweizer Kindes, auf die es entscheidend ankommt, vollständig aus und hält diesem einseitig das Verhalten der sorgeberechtigten Mutter entgegen. Deren Straffälligkeit ist im Übrigen zu relativieren: Sie wurde 1999, d.h. vor mehr als zehn Jahren, zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 30 Tagen wegen Widerhandlung gegen das ANAG verurteilt und hernach in ihre Heimat ausgeschafft. Am 25. Mai 2007 ist sie wegen der punktuellen Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und unzulässiger Ausübung der Prostitution vom Stadtrichteramt mit einer Busse von Fr. 500.- belegt worden. Diese Verurteilungen wiegen nicht derart schwer, dass sie aus sicherheitspolizeilichen Gründen das Recht des Schweizer Kindes überwiegen würden, mit dem sorgeberechtigten Elternteil in seinem Heimatland verbleiben zu dürfen. Der Fall ist diesbezüglich weitgehend mit dem in
BGE 136 I 285
ff. beurteilten vergleichbar. Es handelt sich um Bagatelldelikte, welche für sich allein nicht geeignet erscheinen, dem Interesse des Schweizer Kindes vorzugehen.
5.2.3
Zwar weisen die kantonalen Behörden darauf hin, dass Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Beschwerdeführerin 1 eine Scheinehe eingegangen sei, um mit ihrem Kind in der Schweiz leben zu können; sie haben indessen nicht festgestellt, dass dies tatsächlich so gewesen ist. Die Frage wurde weder im zivil- noch im ausländerrechtlichen Verfahren abschliessend geklärt (vgl. das Urteil 2C_697/2008 vom 2. Juni 2009 E. 4.4). Der illegale Aufenthalt 2001 hing mit der längeren Beziehung der Beschwerdeführerin 1 zum Schweizer Vater ihrer Tochter zusammen. Es ist nicht erstellt, dass sie in dieser Zeit illegal hier berufstätig gewesen wäre. Ihr damaliger Schweizer Partner setzte sich im Anschluss hieran dafür ein, dass die Beschwerdeführerin 1 zur Geburt ihrer Tochter nicht in die Schweiz einreisen konnte, da er sein "geordnetes Leben" nicht zerstört wissen wollte. Inzwischen richtet er regelmässige Unterhaltszahlungen für seine Tochter in der Höhe von Fr. 500.- aus und verbringt nach Angaben der kantonalen Behörden sporadisch - ein- bis zweimal pro Monat - offenbar auch etwas Zeit mit ihr. Seine Vaterschaft und die schweizerische Staatsbürgerschaft der Tochter stehen fest; es ist diesbezüglich von den zivilrechtlichen Vorgaben auszugehen, solange diese nicht auf den dort vorgesehenen Rechtswegen modifiziert wurden.
BGE 137 I 247 S. 256
5.2.4
Tatsächlich heiratete die Beschwerdeführerin 1 am 19. Mai 2006 den 23 Jahre älteren Z., doch kann aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz trotz der kurzen Dauer der Ehe nicht als erwiesen gelten, dass diese
ausschliesslich
eingegangen worden ist, um die Bestimmungen über die Zulassung und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern zu umgehen. Dass die Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsmöglichkeit in der Schweiz gesucht hat und die Ehe schon wenige Wochen nach der Einreise als gescheitert gelten musste, genügt hierfür nicht; es ist aufgrund der Akten und der Feststellungen der Vorinstanz nicht erwiesen, dass von Anfang an bei der Heirat in Kamerun keinerlei Lebensgemeinschaft angestrebt gewesen wäre.
5.2.5
Die Beschwerdeführerin 1 und ihre Tochter leben heute im Kanton Zürich und beziehen dort Nothilfe. Nach Art. 63 Abs. 1 lit. c AuG kann eine Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die Ausländerin oder der Ausländer oder eine Person, für die sie oder er zu sorgen hat, dauerhaft und in erheblichem Mass auf Sozialhilfe angewiesen ist. Das Bundesgericht hat hieraus abgeleitet, dass eine fortgesetzte und erhebliche Sozialhilfeabhängigkeit auch dem Verbleib des sorgeberechtigten Ausländers eines Schweizer Kindes im umgekehrten Familiennachzug entgegenstehen kann, wenn keine Änderung absehbar erscheint (Urteil 2C_697/2008 vom 2. Juni 2009 E. 4.4; differenzierter das Urteil 2C_843/2009 vom 14. Juni 2010 E. 4.2). Die Beschwerdeführerin 1 kann zurzeit mangels einer Bewilligung nicht arbeiten, weshalb sie und ihre Schweizer Tochter nothilfeabhängig wurden. In Kamerun soll sie nach den Angaben ihres ehemaligen Gatten in einem Coiffeursalon tätig gewesen sein. Sollte sie in der Schweiz einer Arbeit nachgehen können, dürfte ihre Bedürftigkeit relativ rasch dahinfallen. Würde sich dies nicht bestätigen, bestünde die Möglichkeit, im Rahmen einer neuen Interessenabwägung - wiederum unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Schweizer Tochter - die Aufenthaltsbewilligung allenfalls zu widerrufen oder nicht mehr zu verlängern, wessen sich die Beschwerdeführerin bei der Gestaltung ihres weiteren Aufenthalts im Land bewusst sein muss. | public_law | nan | de | 2,011 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c90698e9-0a56-47eb-a6a4-a4b00e62b09b | Urteilskopf
102 IV 267
62. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 22 décembre 1976 dans la cause B et consorts contre Ministère public du canton de Vaud | Regeste
Art. 18 und 19 des BB vom 18. März 1971 über die offizielle Qualitätskontrolle in der schweizerischen Uhrenindustrie.
1. Ob eine nach diesen Bestimmungen strafbare Widerhandlung schwer sei oder nicht, bestimmt sich nach den objektiven Merkmalen der Widerhandlung; beim Vorliegen eines der drei Tatbestände des Art. 18 ist immer diese Strafbestimmung anzuwenden (Erw. 1).
2. Ist die Qualitätskontrolle von Uhren, die exportiert werden, bei der Zollabfertigung durchzuführen, so erfüllt die Umgehung der Kontrolle den Tatbestand des Art. 18 des BB (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 268
BGE 102 IV 267 S. 268
A.-
B. est l'administrateur-délégué de la Société anonyme J. qui fabrique et vend des montres. D'août à octobre 1973, il a vendu à T. 25747 montres avec des cadrans sans marque principale, mais portant l'indication "swiss made", pour le prix de 512'495 fr., payé comptant. D'origine turque, l'acheteur a exporté clandestinement ces montres en Turquie, en plusieurs fois, en les dissimulant dans les toilettes de l'Orient-Express, où elles étaient récupérées par un comparse à Istamboul. A deux reprises, T. a été assisté dans cette opération par son neveu S.
B. savait que ces montres passeraient la frontière en fraude. Ni lui, ni T. ni S. ne les ont soumises au contrôle officiel de la qualité prévu par l'AF du 18 mars 1971, contrôle dont le but est de maintenir le bon renom de l'industrie horlogère suisse. T. et S. ignoraient la législation relative au contrôle de la qualité, mais il est établi qu'ils ne se souciaient en aucune façon des dispositions relatives à l'exportation des montres. Professionnel du trafic, T. se moquait éperdument de la législation en matière d'exportation et il était bien décidé à ne pas la respecter.
B.-
Le 8 mars 1976, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a reconnu B., T. et S. coupables d'infraction à l'arrêté fédéral du 18 mars 1971 sur le contrôle officiel de la qualité dans l'industrie horlogère suisse (S. en qualité de complice) et les a condamnés respectivement à 10'000, 20'000 et 5'000 fr. d'amende. En ce qui concerne T et S., les peines infligées étaient complémentaires à celles prononcées contre eux le 26 février 1975.
Le 21 juin 1976, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté les recours des trois condamnés dans la mesure où ils portaient sur le principe de leur culpabilité et sur la quotité de la peine. Elle a cependant admis partiellement les recours de B. et de S. en ce sens que leurs condamnations ont été assorties d'un délai d'épreuve et de radiation d'un an.
C.-
Les trois condamnés se pourvoient en nullité au Tribunal fédéral. B., qui procède séparément des deux autres, conclut à la réduction de l'amende. S. et T. demandent également la réduction de la peine, le second prenant en outre des conclusions tendantes à l'octroi d'un délai d'épreuve et de radiation.
BGE 102 IV 267 S. 269
Erwägungen
Extrait des considérants:
1.
a) Le recourant B. ne conteste pas que les montres qu'il a vendues à T. étaient soumises au contrôle officiel de la qualité prévu par l'arrêté fédéral du 18 mars 1971 (ci-dessous: AF); mais il soutient qu'il a été condamné à tort en application de l'art. 18 AF. Selon lui, son cas ne saurait être considéré comme grave, car il aurait plutôt agi par négligence; il ne serait pas établi que les montres vendues ne présentent pas la qualité requise; il n'aurait enfin nullement soustrait ces montres au contrôle, mais il aurait seulement omis de satisfaire à une formalité prévue à l'art. 17 de l'ordonnance du 23 décembre 1971 sur le contrôle officiel de la qualité dans l'industrie horlogère suisse. L'amende prononcée contre lui devait donc être réduite sensiblement.
b) Il convient de reprendre préliminairement l'analyse que la cour cantonale a faite des art. 18 et 19 AF. Il ressort en effet du texte, de sa systématique et du sens de l'arrêté que celui-ci distingue, d'une part, les infractions énumérées à l'art. 18, qui sont considérées comme graves et qui peuvent entraîner une amende allant jusqu'à 50'000 fr. et, d'autre part, les autres contraventions à l'arrêté et à ses dispositions d'exécution, contraventions qui tombent sous le coup de l'art. 19 AF et qui sont sanctionnées par une amende de 20'000 fr. au plus. Le critère distinctif du champ d'application des art. 18 et 19 AF réside donc dans la nature objective de l'infraction: lorsqu'on est en présence de l'une des trois infractions prévues à l'art. 18, c'est toujours cet article qui est applicable.
Tombe notamment sous le coup de l'art. 18 AF "celui qui aura soustrait au contrôle de la qualité les montres qu'il exporte ou qu'il vend en Suisse et qui sont assujetties au contrôle". Selon le sens et le but de l'arrêté, tout acte évitant le contrôle constitue une soustraction, qu'il ait consisté à échapper à un contrôle ordonné, à éluder la présentation de la marchandise ou à ne pas respecter les formalités exigées par le contrôle. Cette interprétation ressort clairement du texte allemand de l'art. 18 AF: "wer die... Uhren der Qualitätskontrolle nicht unterbreitet". Or le recourant, qui avait l'obligation de soumettre les montres en cause au contrôle, ne l'a pas
BGE 102 IV 267 S. 270
fait; il tombe dès lors par là même sous le coup de l'art. 18, à l'exclusion de l'art. 19. Il devait en tout cas adresser au centre de contrôle le plus proche une déclaration de livraison en Suisse pour respecter les formalités prévues à l'art. 17 de l'ordonnance du 23 décembre 1971. S'en abstenant, il s'est rendu coupable d'infraction grave à l'arrêté fédéral et s'est exposé ainsi aux sanctions prévues à l'art. 18 AF et non pas à celles figurant à l'art. 19.
Comme il est établi que l'acte, ou plus précisément l'omission, du recourant a été accompli délibérément, il ne saurait être question d'admettre qu'il a agi par négligence.
Enfin, il importe peu que les montres aient été ou non d'une qualité satisfaisante. Les dispositions pénales en cause ne sont pas destinées à sanctionner l'éventuelle médiocrité des produits des fabricants, mais à punir ceux qui mettent obstacle à la mise en oeuvre du contrôle de qualité. Les moyens du recourant ne résistent donc pas à l'examen et son pourvoi doit être rejeté.
2.
Les recourants T. et S., invoquant leur ignorance de la législation suisse, soutiennent tous deux, dans un premier moyen, qu'ils n'ont agi que par négligence.
Cette manière de voir est insoutenable. En se moquant totalement de toutes les formalités qui pouvaient leur incomber, les recourants ont assumé le risque d'enfreindre la loi; en exportant les montres en fraude, ils ont envisagé l'éventualité de commettre une infraction et ils s'en sont accommodés, agissant ainsi par dol éventuel à tout le moins, et non par négligence. Le contrôle de la qualité dans l'exportation de montres s'effectuant avec le concours de la douane (cf. art. 12 AF et 10 ss de l'ordonnance), la soustraction au contrôle douanier était constitutive de l'infraction à l'art. 18 AF. | null | nan | fr | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c9082881-e3a2-4ea0-af07-be4875404c10 | Urteilskopf
86 II 69
12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Januar 1960 i.S. Diethelm gegen Diethelm und Mitbeteiligte. | Regeste
Bäuerliches Erbrecht.
Art. 621 Abs. 3 ZGB
begründet ein Vorrecht des männlichen Geschlechts nur zugunsten der Söhne des Erblassers. | Erwägungen
ab Seite 69
BGE 86 II 69 S. 69
Beide Bewerber sind unstreitig für die Übernahme des Heimwesens des Erblassers geeignet, und beide wollen es zum Selbstbetrieb übernehmen. Wie die Vorinstanz in für das Bundesgericht verbindlicher Weise festgestellt hat, besteht im Kanton Schwyz kein Ortsgebrauch, wonach der Neffe gegenüber der Nichte ein Vorrecht auf Zuweisung hätte. Für den Entscheid darüber, welchem der beiden Bewerber das Heimwesen zuzuweisen sei, können daher nach
Art. 621 ZGB
nur die persönlichen Verhältnisse der Erben massgebend sein, sofern nicht etwa anzunehmen ist, das Bundesrecht gebe den männlichen Bewerbern vor den weiblichen nicht nur im Verhältnis zwischen zum Selbstbetrieb gewillten Söhnen und Töchtern, sondern
BGE 86 II 69 S. 70
auch im Verhältnis zwischen entferntern Verwandten den Vorzug.
Letzteres ist zu verneinen. Wenn
Art. 621 Abs. 3 ZGB
kurzweg von den Söhnen und Töchtern spricht, so sind damit unzweifelhaft diejenigen des Erblassers gemeint. Diese Vorschrift ist daher nach ihrem Wortlaut im vorliegenden Falle, wo nicht ein Sohn und eine Tochter des Erblassers, sondern ein Sohn und eine Tochter der Schwester des Erblassers miteinander konkurrieren, nicht anwendbar. Sie in dem Sinn ausdehnend auszulegen, dass auch in entferntern Verwandtschaftsgraden den männlichen vor den weiblichen Bewerbern der Vorzug gegeben wird, ist nicht am Platze, denn es handelt sich hier um eine Ausnahmevorschrift, deren Zweckmässigkeit zudem nicht ausser Zweifel steht (vgl. TUOR N. 15 zu
Art. 621 ZGB
; LIVER in Festschrift für Tuor, 1946, S. 51/52). Die Lehre lehnt denn auch eine solche Auslegung einhellig ab (TUOR, Kommentar, N. 19 zu
Art. 621 ZGB
, und Das schweiz. ZGB, 6. Aufl., S. 398; ESCHER, Kommentar, 2. Aufl., N. 15 zu
Art. 621 ZGB
; BOREL/NEUKOMM, Das bäuerliche Erbrecht, S. 98). Die Tatsache, dass
Art. 11 Abs. 2 EGG
für die Ausübung des landwirtschaftlichen Vorkaufsrechts ein Vorrecht der männlichen gegenüber den im gleichen Rang stehenden weiblichen Verwandten eingeführt hat, kann an dieser Betrachtungsweise nichts ändern. Soweit die eben erwähnte Vorschrift bezüglich des Vorkaufsrechts ein solches Vorrecht begründet, stellt sie ihrerseits eine Ausnahmebestimmung dar, die um so weniger auf das bäuerliche Erbrecht übertragen werden darf, als der hiefür geltende
Art. 621 ZGB
nach seinem in dieser Beziehung klaren Wortlaut ein Vorrecht des männlichen Geschlechts eben nur zugunsten der Söhne des Erblassers anerkennt. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c9089837-c67a-434f-a58d-861223e1eecc | Urteilskopf
82 III 16
6. Entscheid vom 15. März 1956 i.S. Baur & Co. | Regeste
Rekurs an das Bundesgericht gemäss
Art. 19 SchKG
; Rekursfrist, Antrag, Begründung (
Art. 79 Abs. 1 OG
).
Binnen der Rekursfrist ist eine den Anforderungen des Art. 79 entsprechende Rekursschrift einzureichen; nach Ablauf der Frist eingereichte Ergänzungsschrift kann nicht mehr berücksichtigt werden. | Sachverhalt
ab Seite 16
BGE 82 III 16 S. 16
Gegen den die Lohnpfändung aufhebenden Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde vom 20. Februar 1956, zugestellt am 28. Februar, legte die Gläubigerin am 9. März den vorliegenden Rekurs ein mit dem Antrag auf Gültigerklärung der Lohnpfändung und mit der Bemerkung, der Entscheid verletze
Art. 93 SchKG
; eine nähere Begründung werde in den nächsten Tagen folgen. Dies geschah mit Postaufgabe vom 12. März.
Erwägungen
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Wenn
Art. 19 SchKG
bestimmt, dass der Rekurs an das Bundesgericht binnen 10 Tagen seit Mitteilung des angefochtenen Entscheides bei der Vorinstanz einzureichen sei, so heisst das, dass binnen dieser Frist eine den Anforderungen des
Art. 79 OG
entsprechende Rekursschrift bei der Vorinstanz einzureichen ist. Eine nach Ablauf der Rekursfrist emgereichte Ergänzungsschrift kann nicht mehr berücksichtigt werden, selbst wenn sie in der rechtzeitigen Rekurserklärung angekündigt wurde. Im vorliegenden Falle lief die Rekursfrist mit dem 9. März ab.
BGE 82 III 16 S. 17
Es ist also nur die Rekurserklärung vom 9., nicht aber die Ergänzungseingabe vom 12. März rechtzeitig. Die letztere fällt mithin ausser Betracht. Die erstere Eingabe aber genügt nicht dem Erfordernis nach
Art. 79 Abs. 1 OG
, wonach in der Rekursschrift, neben der Antragstellung, "kurz darzulegen ist, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind". Möchte allenfalls die Bemerkung, der Entscheid verletze
Art. 93 SchKG
, als Nennung des angeblich verletzten Rechtssatzes noch genügen, so ist daraus in keiner Weise zu entnehmen, "inwiefern" jenes der Fall sein soll. Es müsste gesagt sein, welche konkreten Erwägungen der Vorinstanz gegen welche der mehreren in
Art. 93 SchKG
enthaltenen Normen verstossen sollen. Die materielle Behandlung des Rekurses würde daher faktisch doch auf eine Berücksichtigung der Nachtragsbegründung hinauslaufen, was infolge ihrer Verspätung eben unzulässig ist (
BGE 42 III 131
E. 1,
BGE 71 II 34
, 35,
BGE 71 III 10
).
Dispositiv
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Auf den Rekurs wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c90aef65-5480-4d94-9f89-3d76aadc8107 | Urteilskopf
101 Ia 378
63. Auszug aus dem Urteil vom 3. Dezember 1975 i.S. Bischoff gegen Gemeinde Muttenz, Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; kommunales Referendum.
Negativer Charakter des Referendums (E. 3 und 4, Bestätigung der Rechtsprechung).
Der Entscheid über eine Volksinitiative braucht nicht unbedingt in einer Urnenabstimmung getroffen zu werden (E. 5b). | Sachverhalt
ab Seite 379
BGE 101 Ia 378 S. 379
Nach dem neuen basellandschaftlichen Gemeindegesetz (GG) von 1970 können Einwohnergemeinden mit mehr als 2000 Stimmberechtigten die sog. ausserordentliche Gemeindeorganisation einführen. 156 Bürger der Gemeinde Muttenz, die über 2000 Stimmberechtigte zählt, beantragten die Einführung der ausserordentlichen Gemeindeorganisation. Der Gemeinderat legte den Antrag ohne eigene Stellungnahme der Gemeindeversammlung vor, die es indessen mit 303 gegen 91 Stimmen ablehnte, die Initiative als erheblich zu erklären. Hiegegen ergriffen 337 Stimmberechtigte das Referendum, indem sie die Durchführung einer Urnenabstimmung über den Gemeindeversammlungsbeschluss bzw. die Initiative verlangten. Der Gemeinderat lehnte dies im August 1974 ab, da ablehnende Beschlüsse der Gemeindeversammlung nicht dem fakultativen Referendum unterständen. Karl Bischoff focht diesen Beschluss erfolglos beim Regierungsrat und dann beim Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft an. Seine Stimmrechtsbeschwerde wird vom Bundesgericht ebenfalls abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Das Gemeindegesetz unterscheidet zwischen Gemeinden mit ordentlicher und ausserordentlicher Organisation (§§ 47 ff., §§ 112 ff.). Bei der ordentlichen Gemeindeorganisation ist der Gemeinderat die Exekutive; oberstes Organ ist die Gemeindeversammlung, das heisst die Versammlung der stimmberechtigten Bürger. Bei der ausserordentlichen Gemeindeorganisation tritt an die Stelle der Gemeindeversammlung der Einwohnerrat. Die Stimmberechtigten können hier ihren Willen mit der Initiative und dem Referendum zur Geltung bringen.
BGE 101 Ia 378 S. 380
Das Bundesgericht hatte sich 1973 mit dem Fall aus einer Gemeinde mit ausserordentlicher Organisation zu beschäftigen in welchem der Einwohnerrat den Antrag des Gemeinderats zum Bau einer Fussgängerunterführung abgelehnt hatte, gegen den ablehnenden Beschluss das fakultative Referendum ergriffen worden war und nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts keine Urnenabstimmung stattzufinden hatte (
BGE 99 Ia 524
ff.). Der Staatsgerichtshof kam in seinem Urteil in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht zum Schluss, das Referendum könne nach dem Gemeindegesetz nur gegen positive, nicht auch gegen negative Beschlüsse des Einwohnerrats ergriffen werden. Wenn die Stimmberechtigten einem vom Gemeinderat gestellten, aber vom Einwohnerrat abgelehnten Antrag zum Durchbruch verhelfen wollten, stehe ihnen dafür das Recht der Initiative zur Verfügung.
Es besteht kein Anlass, von diesen Erwägungen abzuweichen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, schlägt nicht durch. Er macht geltend, er habe den negativen Beschluss des Gemeinderats mit kantonalen Rechtsmitteln und letztlich mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechten können; das Referendum sei nichts anderes als eine Pluralbeschwerde, sodass nicht einzusehen sei, weshalb es nicht auch wie eine Beschwerde gegen einen negativen Beschluss ergriffen werden könne. Ein Volksrecht lässt sich aber klarerweise nicht mit einem prozessualen Rechtsmittel vergleichen, das dem Bürger zur Verfügung steht, um den Entscheid einer untern Instanz bei einer obern anzufechten. Mehr Beachtung verdient der Einwand, den der Beschwerdeführer gegen die bundesgerichtliche Erwägung vorbringt, das Referendum habe - wie sich auch GIACOMETTI ausdrückte - "negativen Charakter" (
BGE 99 Ia 529
). Er macht geltend, wer das Referendum gegen einen Beschluss ergreife, müsse nicht unbedingt dessen Ablehnung anstreben, er könne auch bei positiver Einstellung die beschlossene Sache für so wichtig halten, dass nach seiner Meinung darüber das Volk entscheiden solle. Es mag in der Tat ausnahmsweise vorkommen, dass eine Gruppe trotz Einverständnis mit einem Beschluss dagegen das Referendum ergreift, weil sie der Meinung ist, um der Bedeutung der Sache willen solle der Souverän darüber beschliessen. Das ändert aber nichts daran, dass nach allgemeiner schweizerischer Auffassung den Stimmbürgern die Initiative zur Verfügung steht,
BGE 101 Ia 378 S. 381
wenn sie positiv etwas Neues schaffen wollen, und dass das historisch aus dem Volksveto herausgewachsene Referendum seinem Wesen nach dazu dient, den positiven Beschluss eines Staatsorgans dem Risiko der Ablehnung in der Volksabstimmung auszusetzen. Das Referendumsbegehren hat zumindest insofern negativen Charakter, als es "den Eintritt der unbedingten normativen Geltung von Vorlagen bis auf weiteres verhindern und deren rechtliches Schicksal der Volksabstimmung anheimstellen will" (GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweizerischen Kantone, S. 438).
4.
Nach § 121 GG, der das fakultative Referendum bei Gemeinden mit ausserordentlicher Organisation regelt, sind bestimmte dem Einwohnerrat zustehende "Geschäfte" der Gesamtheit der Stimmberechtigten zu unterbreiten, wenn eine bestimmte Zahl von Stimmbürgern ein entsprechendes Begehren stellt. Nach § 49, der das Referendum bei Gemeinden mit ordentlicher Organisation regelt, wird ein "Beschluss" der Gemeindeversammlung der Urnenabstimmung unterstellt, wenn dies eine bestimmte Zahl von Stimmberechtigten innert dreissig Tagen unterschriftlich verlangt. Während man sich noch fragen kann, ob unter Geschäften im Sinne des § 121 GG nicht auch negative Entschliessungen verstanden werden könnten, ist nach dem Sinn des Gemeindegesetzes im Zusammenhang mit dem Referendum unter einem "Beschluss" nur eine positive Entschliessung zu verstehen (
BGE 99 Ia 530
E. 5b). Nach § 120 GG unterstehen bestimmte Beschlüsse dem obligatorischen Referendum, und es ist klar und unbestritten, dass damit nur positive Entschliessungen gemeint sein können. Die Annahme erscheint nicht als sinnvoll, der Gesetzgeber habe bei der ausserordentlichen Gemeindeorganisation das fakultative Referendum nur gegen positive Entschliessungen zugelassen, bei der ordentlichen Organisation dagegen auch gegen negative, ohne dass der Gesetzestext für eine solche unterschiedliche Ordnung spräche. Diese Überlegungen lassen es als richtig erscheinen, unter einem Beschluss eine positive Entschliessung zu verstehen und das Referendum gegen negative Stellungnahmen der Gemeindeversammlung nicht zuzulassen.
5.
Das Bundesgericht hat in
BGE 99 Ia 533
E. 6 das Referendum gegen ablehnende Beschlüsse unter anderem mit Hinweis auf die Tatsache ausgeschlossen, dass den Stimmberechtigten
BGE 101 Ia 378 S. 382
die Initiative zur Verfügung stehe, um ihr Ziel zu erreichen. Es ist zu prüfen, wie es sich damit bei der ordentlichen Gemeindeorganisation verhält und ob es sich allenfalls unter diesem Gesichtspunkt aufdrängt, trotz der vorangehenden Erwägung im zu beurteilenden Fall das Referendum gegen den ablehnenden Beschluss der Gemeindeversammlung zuzulassen.
a) Das Verwaltungsgericht führte aus, die Initiative sei auch in der ordentlichen Gemeindeorganisation vorgesehen, während der Regierungsrat der Ansicht des Beschwerdeführers beipflichtete, das Initiativrecht sei bei der ordentlichen Gemeindeorganisation nicht gegeben. Rein formell ist im Gesetz nur bei der ausserordentlichen Gemeindeorganisation neben dem Referendum auch die Initiative (§§ 122 ff.) erwähnt, während bei der ordentlichen Organisation allein das Referendum ausdrücklich genannt ist (§ 49). § 68 GG sieht indes bei der Regelung der Gemeindeversammlung vor, dass jeder Stimmberechtigte Anträge stellen kann, sofern diese in die Befugnis der Gemeindeversammlung fallen. Für die Änderung der Gemeindeordnung ist ein schriftlicher Antrag einer bestimmten Zahl von Stimmberechtigten nötig, wobei in Gemeinden mit mehr als 3000 Stimmbürgern 150 Unterschriften genügen. Damit ist ein Rechtsinstitut geschaffen, das der Sache nach als Initiative zu betrachten ist. Wenn, wie hier, die Änderung der Gemeindeordnung in Frage ist, kann eine bestimmte Anzahl von Stimmbürgern ein entsprechendes Begehren stellen, über das hernach obligatorisch die Bürgerschaft abzustimmen hat. Der Unterschied zwischen der Initiative bei der ordentlichen und der ausserordentlichen Gemeindeorganisation besteht darin, dass im ersten Fall die Stimmberechtigten in der Gemeindeversammlung, im zweiten Fall an der Urne darüber zu befinden haben. Dieser Unterschied ergibt sich aus der verschiedenen Struktur der Gemeinwesen.
b) Nach der Meinung des Beschwerdeführers gehört es zum Wesen der Pluralinitiative, dass der Entscheid der Stimmberechtigten in einer Urnenabstimmung als letzter Instanz getroffen wird. Es kann aber in einem Gemeinwesen, das im wesentlichen nach dem Prinzip der direkten Demokratie organisiert ist, das Initiativrecht sehr wohl so ausgestaltet sein, dass über das begehren in der Versammlung der Stimmberechtigten und nicht an der Urne entschieden wird, wie das
BGE 101 Ia 378 S. 383
zum Beispiel auch in einem Landsgemeindekanton der Fall sein kann. Wenn es nach dem Gesetz Sache der Gemeindeversammlung ist, über eine Initiative zu befinden, so kann diese Ordnung des Initiativrechts nicht durch eine Kombination mit dem Referendum so umgestaltet werden, dass über den von der Gemeindeversammlung abgelehnten Antrag an der Urne abgestimmt werden müsste. Ein Beschluss über ein Initiativbegehren untersteht schon seiner Rechtsnatur nach nicht dem fakultativen Referendum (GIACOMETTI a.a.O., S. 432); Initiative und Referendum sind zwei getrennte Rechtsinstitute.
c) Der Regierungsrat erklärt in seiner Beschwerdeantwort, § 48 GG schliesse es bei der ordentlichen Gemeindeorganisation schlechthin aus, die Hürde des zustimmenden Gemeindeversammlungsbeschlusses zu umgehen. In der Tat spricht § 48 deutlich für die Auslegung, welche die kantonalen Instanzen dem § 49 geben. Nach § 48 unterliegen die Gemeindeordnung und deren Änderungen nach Genehmigung durch die Gemeindeversammlung noch der Urnenabstimmung. Die Initianten können demnach nur dann eine Urnenabstimmung über ein Begehren um Erlass einer neuen Gemeindeordnung oder um Änderung der bestehenden erwirken, wenn vorher die Gemeindeversammlung zugestimmt, also die Initiative erheblich erklärt hat. Es wäre mit dieser Ordnung nicht im Einklang, wenn Initianten nach Ablehnung ihres Begehrens auf Einführung der ausserordentlichen Gemeindeorganisation durch die Gemeindeversammlung eine Urnenabstimmung erzwingen könnten. Selbst wenn man - zu Unrecht - annähme, die Initianten könnten die Grundsatzfrage der Einführung der ausserordentlichen Gemeindeorganisation nach Ablehnung durch die Gemeindeversammlung an der Urne entscheiden lassen, käme das Unternehmen nach § 48 GG nicht zum Ziel, wenn die Gemeindeversammlung die neue Gemeindeordnung nicht genehmigte. Nach dem klaren Wortlaut des § 48 sind nur die von der Gemeindeversammlung genehmigten Vorlagen über die Revision der Gemeindeordnung der Urnenabstimmung unterstellt. Es entspricht demnach dem Sinn des Gesetzes, dass die kantonalen Behörden die Durchführung der verlangten Volksabstimmung ablehnten; die Beschwerde ist somit abzuweisen.
6.
Es ist einzuräumen, dass die gesetzliche Ordnung des Initiativrechts bei der ordentlichen Gemeindeorganisation in
BGE 101 Ia 378 S. 384
dem Fall nicht befriedigt, da, wie hier, Initianten die Einführung der ausserordentlichen Gemeindeorganisation (§ 122 GG) verlangen. Wenn der Gesetzgeber bei der ordentlichen Gemeindeorganisation über Initiativen die Gemeindeversammlung abstimmen lässt, so geht er davon aus, der Entscheid sei damit dem Stimmvolk übertragen. Diese Annahme wird auch heute noch in kleinern Gemeinwesen zutreffen. In grossen Gemeinden besucht aber erfahrungsgemäss oft nur ein kleiner Prozentsatz der Stimmberechtigten die Gemeindeversammlung, und gerade diese Erscheinung kann Anlass für den Übergang zur ausserordentlichen Gemeindeorganisation sein. Da die Gemeindeversammlung in solchen Fällen nicht mehr den Willen der gesamten Stimmbürgerschaft zum Ausdruck bringt, ist es unbefriedigend, wenn sie durch Ablehnung einer Initiative eine Abstimmung über die Einführung der ausserordentlichen Gemeindeorganisation verhindern kann. Diesem Mangel müsste aber allenfalls durch Änderung des Gesetzes begegnet werden. Auf dem Boden des geltenden Rechts, insbesondere § 48 GG, lässt er sich nicht beheben. Die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Anwendung des Gesetzes würde letztlich auf dessen Abänderung oder Umgehung hinauslaufen. | public_law | nan | de | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c90d1c93-b786-45d5-9481-ea6fec8776d8 | Urteilskopf
123 II 385
42. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 15. Mai 1997 i.S. X. AG gegen Eidgenössische Steuerverwaltung und Eidgenössische Steuerrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 8 Abs. 2 ÜBbest. BV und Art. 3 ÜbBest. BV,
Art. 84 MWSTV
; übergangsrechtliche Behandlung von Abonnementsverträgen.
Kognition des Bundesgerichts und der Eidgenössischen Steuerrekurskommission bei der Überprüfung der Mehrwertsteuerverordnung (E. 3 und 4).
Anwendbare Bestimmungen (E. 5 und 6).
Art. 8 Abs. 3 ÜbBest. BV räumt dem Bundesrat bei der Ausgestaltung der Übergangsordnung einen relativ grossen Entscheidungsspielraum ein (E. 7).
Aus der Verfassung ergibt sich kein Anspruch des Steuerpflichtigen, von der Steuer befreit zu werden, wenn er sie nicht auf seine Kunden überwälzen kann (E. 8).
Die fraglichen Übergangsbestimmungen verstossen nicht gegen die Prinzipien, welche das Übergangsrecht zu respektieren hat (E. 9).
Grundsatz von Treu und Glauben; ein in die Vernehmlassung gegebener Verordnungsentwurf bildet keine Vertrauensgrundlage in dem Sinne, dass die Rechtsunterworfenen sich darauf berufen können (E. 10).
Die in Frage stehende Übergangsordnung verletzt auch nicht den Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung und der Wettbewerbsneutralität der Steuer (E. 11). | Sachverhalt
ab Seite 386
BGE 123 II 385 S. 386
Die X. AG ist im Verlagswesen tätig. Sie war bis 31. Dezember 1994 als Grossistin im Register der Steuerpflichtigen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung eingetragen (gemäss Art. 9bis des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer,
BGE 123 II 385 S. 387
WUStB) und wird seit 1. Januar 1995 im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen geführt. Als Verlegerin von Zeitungen und Zeitschriften schliesst sie mit ihren Kunden Abonnementsverträge ab, deren Dauer üblicherweise ein Jahr beträgt und für die sie das Entgelt im voraus einnimmt.
Mit Eingabe vom 11. Mai 1995 ersuchte die X. AG die Eidgenössische Steuerverwaltung um einen Feststellungsentscheid in dem Sinn, dass sie für Lieferungen und Dienstleistungen aufgrund von Abonnementsverträgen für Zeitungen und Zeitschriften, die sie vor dem 1. Oktober 1994 abgeschlossen hat, im Jahre 1995 der Mehrwertsteuerpflicht nicht unterstehe. Mit Entscheid vom 8. Juni 1995 stellte die Eidgenössische Steuerverwaltung fest, dass "Lieferungen und Dienstleistungen, welche von der X. AG aufgrund eines vor dem 31. Dezember 1994 abgeschlossenen Abonnementsvertrages für Zeitungen oder Zeitschriften im Jahre 1995 erbracht werden, ... der Mehrwertsteuer (unterliegen)."
Eine Einsprache wies die Eidgenössische Steuerverwaltung ab und hielt im wesentlichen fest, dass Lieferungen und Dienstleistungen, welche von der X. AG aufgrund eines vor dem 1. Oktober 1994 abgeschlossenen Abonnementsvertrages für Zeitungen oder Zeitschriften im Jahre 1995 erbracht werden, der Mehrwertsteuer unterliegen.
Gegen den Einspracheentscheid führte die X. AG Beschwerde bei der Eidgenössischen Steuerrekurskommission. Diese wies mit Urteil vom 11. Juli 1996 die Beschwerde ab und stellte fest:
"..., dass die Beschwerdeführerin für Umsätze aus von ihr ab dem 28. November 1993 abgeschlossenen, nicht länger als ein Jahr dauernden Abonnementsverträgen, welche nach dem 1. Januar 1995 enden, die Mehrwertsteuer nach Massgabe von
Art. 84 Abs. 1, 3 und 4 MWSTV
schuldet."
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die X. AG, der Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission vom 11. Juli 1996 sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie für Verträge, die sie vom 1. Januar bis 30. September 1994 mit ihren Abonnenten abgeschlossen habe und die nach dem 1. Januar 1995 enden bzw. geendet haben, die Mehrwertsteuer nicht schulde. Sie macht geltend, dass die Eidgenössische Steuerrekurskommission ihre Kognition in unzulässiger Weise beschränkt habe, die Überwälzung der Mehrwertsteuer für die Beschwerdeführerin unmöglich und unzumutbar sei und weitere systemtragende Prinzipien der Mehrwertsteuer verletzt seien.
BGE 123 II 385 S. 388
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab und bestätigt den Entscheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission im Sinne der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
3.
Gemäss
Art. 104 Abs. 1 lit. a OG
kann mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, gerügt werden. An die Feststellung des Sachverhalts ist das Bundesgericht gebunden, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine richterliche Behörde als Vorinstanz entschieden und den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat (
Art. 105 Abs. 2 OG
). Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und frei, ob Bundesrecht verletzt worden ist. Zum Bundesrecht im Sinne dieser Bestimmung zählt auch die Bundesverfassung (
BGE 118 Ib 417
E. 2a; ferner
BGE 122 IV 8
E. 1b).
a) Bei der Mehrwertsteuerverordnung handelt es sich um eine selbständige, d.h. direkt auf der Verfassung beruhende Verordnung des Bundesrates. Sie stützt sich auf Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV und stellt gesetzesvertretendes Recht dar, bis der Gesetzgeber das Mehrwertsteuerrecht geregelt hat.
In
BGE 123 II 16
E. 3 und 295 E. 3, hat das Bundesgericht die Grundsätze aufgestellt, nach denen es die Mehrwertsteuerverordnung überprüft. Selbständige Verordnungen des Bundesrates sind daraufhin zu kontrollieren, ob sie mit den sachbezogenen Vorgaben der Verfassungsvorschrift, auf welcher sie beruhen, harmonieren. Bei der Mehrwertsteuerverordnung ist somit zu prüfen, ob der Bundesrat die in Art. 8 ÜbBest. BV (und
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
) enthaltenen Grundsätze beachtet und sich an Gegenstand, Zweck und Umfang der ihm eingeräumten Kompetenz gehalten hat. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob die Verordnung nicht mit sonstigen Verfassungsnormen, besonders den Grundrechtsgarantien, kollidiert, soweit die ermächtigende Verfassungsnorm nicht selbst Abweichungen anordnet oder bewusst in Kauf nimmt.
Zu beachten ist, dass dem Bundesrat - im Rahmen der ihm vom Verfassungsgeber übertragenen Kompetenz - der gleiche politische Entscheidungsspielraum zusteht wie dem Gesetzgeber. Diesen Entscheidungsspielraum darf das Gericht nicht durch eigene Ordnungsvorstellungen schmälern. Es hat sich vielmehr auf die
BGE 123 II 385 S. 389
Prüfung der Verfassungsmässigkeit der in Frage stehenden Regelung zu beschränken. Eine vom Bundesrat getroffene Lösung, welche sich im Rahmen des ihm zustehenden gesetzgeberischen Ermessens hält, die in der Verfassung enthaltenen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätze beachtet und die weiteren Verfassungsrechte respektiert, darf deshalb durch das Bundesgericht nicht korrigiert werden. Einschreiten darf dieses nur, wenn der Bundesrat die ihm eingeräumte Kompetenz überschritten hat, wobei das Bundesgericht auch den Umfang dieser Kompetenz zu ermitteln hat.
b) Im übrigen überprüft das Bundesgericht die Anwendung des Bundesrechts frei. In diesem Rahmen befindet es auch über die Auslegung der Vorschriften der bundesrätlichen Verordnung durch die Vorinstanzen und darüber, ob das Auslegungsergebnis mit den sachbezogenen Vorgaben der Verfassung übereinstimmt.
4.
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Vorinstanz bei der Überprüfung der Verfassungsmässigkeit der Mehrwertsteuerverordnung ihre Kognition zu Unrecht beschränkt habe. Fehl gehe insbesondere deren Annahme, dass der Bundesgesetzgeber dem Bundesrat Freiraum bei der Regelung von bestimmten Sachfragen habe einräumen wollen. Die Beschränkung bei der Überprüfung von Bundesgesetzen auf ihre Verfassungsmässigkeit (Art. 113 Abs. 3, 114bis Abs. 3 BV) gelte für die Mehrwertsteuerverordnung nicht.
a) Bei der Eidgenössischen Steuerrekurskommission handelt es sich um eine verwaltungsunabhängige richterliche Behörde (Botschaft des Bundesrates vom 18. März 1991, BBl 1991 II 480, 538, 539 f.). Ihre Richter sind in ihrer Tätigkeit unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen (
Art. 71c Abs. 1 VwVG
). Beschwerdegründe, die der Rekurskommission unterbreitet werden können, sind die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts und Unangemessenheit (
Art. 49 VwVG
). Die Rügegründe für die Beschwerde sind somit ähnlich umschrieben wie diejenigen nach
Art. 104 OG
für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Es folgt aus dieser Regelung, dass die Eidgenössische Steuerrekurskommission das Bundesrecht - zu dem auch die Bundesverfassung gehört - von Amtes wegen anzuwenden hat und wie das Bundesgericht an die Bundesgesetzgebung gebunden ist (
Art. 114bis Abs. 3 BV
). Da jedoch die Mehrwertsteuerverordnung - anders als etwa der Warenumsatzsteuerbeschluss oder der Bundesratsbeschluss über die direkte Bundessteuer, die durch den alten Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV unter
BGE 123 II 385 S. 390
Vorbehalt von Bundesgesetzen in Kraft belassen und damit auf Gesetzesstufe erhoben wurden (
BGE 100 Ib 166
E. 1;
BGE 117 Ib 367
E. 1a) - nicht zur Bundesgesetzgebung gehört, ist sie auf ihre Verfassungsmässigkeit zu prüfen (
BGE 123 II 433
E. 11a S. 451). In dieser Hinsicht ist jedoch zu beachten, dass dem Bundesrat das gleiche politische Ermessen zusteht wie dem Gesetzgeber. Einer vom Bundesrat in der Mehrwertsteuerverordnung getroffenen Lösung, die sich im Rahmen des ihm zustehenden gesetzgeberischen Ermessens hält, die in der Verfassung enthaltenen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätze beachtet und die weiteren Verfassungsrechte respektiert (vorn E. 3a), darf deshalb die Eidgenössische Steuerrekurskommission die Anwendung nicht versagen.
b) Im angefochtenen Entscheid hat die Vorinstanz ausgeführt, dass es sich bei der Mehrwertsteuerverordnung um eine selbständige Verordnung des Bundesrates handelt, deren Verfassungsmässigkeit sie zu überprüfen habe, auch wenn sie sich eine gewisse Zurückhaltung auferlege, wo politische Fragen zu entscheiden sind. Im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle prüfe sie daher, ob die zur Anwendung gelangenden Normen mit der Verfassung übereinstimmen. Diese Prüfung könne ergeben, dass sich eine Bestimmung in einem Fall als verfassungswidrig erweise, weshalb ihr die Anwendung zu versagen sei, in einem anderen Fall jedoch nicht. Die Vorinstanz hat damit ihre Überprüfungsbefugnis zutreffend umschrieben und davon auch richtig Gebrauch gemacht. Dass sie ihr Ermessen nicht an Stelle desjenigen des Gesetzgebers oder des Bundesrates setzen will, bedeutet nicht, dass sie darauf verzichtet hat, die Verfassungsmässigkeit der in Frage stehenden Verordnungsbestimmungen zu prüfen, sondern nur, dass sie nicht in den Ermessensbereich, den die Bundesverfassung dem Bundesrat einräumt, eingreifen kann. Die Rüge, die Steuerrekurskommission habe ihre Kognition nicht voll ausgeschöpft, ist offensichtlich unbegründet.
5.
a) Gemäss
Art. 41ter Abs. 1 lit. a BV
kann der Bund eine Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) erheben. Nach Abs. 3 kann diese Steuer "in der Form einer Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug auf den Lieferungen von Gegenständen, auf Dienstleistungen sowie auf den Einfuhren erhoben werden." Die Ausführung ist Sache der Bundesgesetzgebung (Abs. 6).
Art. 8 Abs. 1 ÜbBest. BV beauftragt den Bundesrat, abweichend von
Art. 41ter Abs. 6 BV
die Ausführungsbestimmungen für die Umsatzsteuer im Sinne von
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
zu
BGE 123 II 385 S. 391
erlassen, die bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes gelten sollen. Art. 8 Abs. 2 ÜbBest. BV enthält sodann die für die Ausführungsbestimmungen geltenden "Grundsätze" und Abs. 3 erteilt dem Bundesrat den Auftrag, den Übergang von der Warenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer zu regeln. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
3 Der Bundesrat regelt den Übergang von der Warenumsatzsteuer zur neuen Umsatzsteuer. Er kann auch für die erste Zeit nach deren Inkrafttreten den Vorsteuerabzug für Anlagegüter einschränken oder zeitlich vorverlegen.
b) Gestützt auf Art. 8 ÜbBest. BV hat der Bundesrat am 22. Juni 1994 mit Wirkung ab 1. Januar 1995 die Verordnung über die Mehrwertsteuer erlassen. Für die steuerliche Behandlung der Abonnementsverträge beim Übergang von der Warenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer fallen insbesondere folgende Bestimmungen in Betracht:
Art. 84 Anwendung des neuen Rechts
1 Das neue Recht gilt für Umsätze, die ab Inkrafttreten dieser Verordnung getätigt werden, sowie für Einfuhren von Gegenständen, die nicht vorher provisorisch verzollt wurden und die ab Inkrafttreten dieser Verordnung endgültig zur Einfuhr abgefertigt werden.
3 Auf Lieferungen, die ab Inkrafttreten dieser Verordnung ausgeführt werden, für die aber das Entgelt vorher vereinnahmt wurde, wird die Warenumsatzsteuer nicht mehr erhoben. Für solche Lieferungen bereits entrichtete Warenumsatzsteuer wird an die nach dieser Verordnung geschuldete Steuer angerechnet. Vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung vereinnahmte Vorauszahlungen für erst nachher erbrachte Lieferungen und Dienstleistungen unterliegen der Steuer nach dieser Verordnung.
4 Lieferungen und Dienstleistungen, die teilweise vor Inkrafttreten dieser Verordnung erbracht wurden, sind nach altem Recht zu versteuern und müssen auch per 31. Dezember 1994 verbucht werden. Für Lieferungen und Dienstleistungen, die teilweise ab Inkrafttreten dieser Verordnung erbracht werden, gilt das neue Recht. Für Raten-, Teil- und Akontozahlungen, welche noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung vereinnahmt und verbucht wurden, gilt das alte Recht, sofern die Lieferungen und Dienstleistungen auch vor Inkrafttreten dieser Verordnung erbracht und verbucht wurden.
8 Ist eine Lieferung oder Dienstleistung, für die das Entgelt vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung und nach dem bisherigen Recht vereinbart wurde, nach den Bestimmungen dieser Verordnung zu versteuern, so kann von jedem der Beteiligten eine Anpassung des Entgelts um den Betrag verlangt werden, um den die Steuer nach dieser Verordnung höher oder niedriger ist als nach den Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde.
BGE 123 II 385 S. 392
6.
Unter der Mehrwertsteuer sind unter anderem steuerbar die im Inland gegen Entgelt erbrachten Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen (
Art. 4 lit. a und b MWSTV
; SR 641.201). Die Lieferung eines Gegenstandes liegt namentlich vor, wenn dem Empfänger die Befähigung verschafft wird, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (
Art. 5 Abs. 1 MWSTV
). Darunter fällt auch die Lieferung von Zeitungen oder Zeitschriften aufgrund eines Abonnementsvertrages. Anders als unter der Warenumsatzsteuer (
Art. 14 Abs. 1 lit. b WUStB
) sind Zeitungen und Zeitschriften im neuen Recht von der Mehrwertsteuer nicht befreit. Diese beträgt bei Lieferung von Zeitungen und Zeitschriften zwei Prozent (Art. 27 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 MWSTV) und wird berechnet vom Entgelt (
Art. 26 Abs. 1 MWSTV
). Der Steuerpflichtige kann aber in seiner Steuerabrechnung von der von ihm geschuldeten Steuer die Steuern abziehen, die ihm von anderen Steuerpflichtigen in Rechnung gestellt worden sind (sog. Vorsteuerabzug, Art. 29 Abs. 1 lit. a und 2 lit. a MWSTV).
Gegen diese Ordnung wendet die Beschwerdeführerin an sich nichts ein. Sie bestreitet auch nicht, dass sie auf den Lieferungen von Zeitungen und Zeitschriften ab 1. Januar 1995 grundsätzlich die Mehrwertsteuer zu entrichten hat, und zwar auch dann, wenn die Lieferung aufgrund eines Abonnementsvertrages erfolgt, der vor dem 1. Januar 1995 abgeschlossen worden ist.
Art. 84 Abs. 3 und 4 MWSTV
bestimmt ausdrücklich, dass Lieferungen und Teillieferungen, die ab Inkrafttreten der Verordnung ausgeführt werden, der Mehrwertsteuer unterliegen, auch wenn das Entgelt vor diesem Zeitpunkt vereinnahmt worden ist. Die Beschwerdeführerin macht indessen geltend, diese Vorschrift könne in ihrem Fall erst auf Lieferungen Anwendung finden, die ihren Rechtsgrund in einem nach dem 30. September 1994 abgeschlossenen Abonnementsvertrag haben. Vorher sei es ihr nicht möglich gewesen, die künftige Steuer auf ihre Abonnenten zu überwälzen. Die Anwendung von
Art. 84 MWSTV
in diesem Fall verstosse gegen das Prinzip der Überwälzbarkeit der Steuer. Überdies würden der Grundsatz von Treu und Glauben, das Verbot der Rückwirkung von Steuererlassen, das Gleichbehandlungsgebot sowie der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Steuer verletzt. Wie es sich damit im einzelnen verhält, ist im folgenden zu prüfen.
7.
Zu widersprechen ist zunächst der Ansicht der Beschwerdeführerin, dass Art. 8 ÜbBest. BV dem Bundesrat keinen Entscheidungsspielraum bei der Regelung von bestimmten Sachfragen, vor allem was das Übergangsrecht betrifft, einräume.
BGE 123 II 385 S. 393
Art. 8 Abs. 3 ÜbBest. BV beauftragt den Bundesrat, den Übergang von der Warenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer zu regeln. Die Vorschrift legt jedoch die Grundsätze nicht fest, die für das Übergangsrecht gelten sollen. Satz 2 von Absatz 3 bestimmt nur, dass der Bundesrat den Vorsteuerabzug für Anlagegüter nach Inkrafttreten der Mehrwertsteuer für eine gewisse Zeit einschränken oder auch vorverlegen kann. Bei der Beratung des Art. 8 Abs. 3 ÜbBest. BV im Parlament standen drei Massnahmen übergangsrechtlicher Natur im Vordergrund (Amtl.Bull. N 1993 337 bzw. 345): Einerseits sollte die auf Vorräten von Handelswaren und Werkstoffen lastende Warenumsatzsteuer wie Vorsteuern abgezogen werden können. Diesem Anliegen hat der Bundesrat in
Art. 85 MWSTV
Rechnung getragen. Andererseits war vorgesehen, dass die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Mehrwertsteuer vereinbarten Preise an die neue Steuer angepasst werden dürfen (vgl. jetzt
Art. 84 Abs. 8 MWSTV
). Schliesslich sollte der Bundesrat den Vorsteuerabzug für Anlagegüter vorübergehend einschränken (oder auch vorverlegen) können. Weitere Massnahmen übergangsrechtlicher Natur wurden nicht diskutiert und ergeben sich nicht aus den Materialien. Vielmehr sollte der Bundesrat den Übergang von der Warenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer regeln. Unter diesen Umständen kann die Beschwerdeführerin nicht ernsthaft behaupten, der Verfassungsgeber habe dem Bundesrat keinen erheblichen Beurteilungsspielraum einräumen wollen (vgl.
BGE 123 II 433
E. 8 S. 443).
Die Feststellung, dass dem Bundesrat beim Erlass des Übergangsrechts ein relativ grosser Gestaltungsspielraum zusteht, bedeutet indessen nicht, dass er dabei völlig freie Hand hätte. Vielmehr ist auch er an die Verfassung gebunden. So hat er insbesondere die sich aus
Art. 4 BV
ergebenden Grundrechte wie das Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot, ferner das Verbot der Rückwirkung von Steuererlassen oder den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität zu respektieren. Fraglich erscheint jedoch, inwieweit der Bundesrat die in Art. 8 Abs. 2 ÜbBest. BV enthaltenen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätze bereits bei der Regelung des Übergangsrecht zu beachten hat. Für eine sachgemässe Regelung intertemporaler Sachverhalte kann es sich für den Gesetzgeber unter Umständen als erforderlich erweisen, eine von der definitiven Ordnung abweichende Regelung zu wählen. So wurde denn auch der Bundesrat in Art. 8 Abs. 3 Satz 2 ÜbBest. BV ermächtigt, den Vorsteuerabzug auf Anlagegütern für eine gewisse Zeit nach dem Inkrafttreten der
BGE 123 II 385 S. 394
Mehrwertsteuerverordnung einzuschränken, obschon dies dem Prinzip des Vorsteuerabzugs (Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV) widerspricht. Die Frage, inwieweit die in Art. 8 Abs. 2 ÜbBest. BV enthaltenen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätze bei der Ausgestaltung des Übergangsrechts beachtet werden müssen, braucht hier jedoch nicht abschliessend entschieden zu werden, weil die in Frage stehenden Übergangsbestimmungen, wie im folgenden darzulegen ist, nicht gegen solche Grundsätze verstossen.
8.
Gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV schuldet der Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer auf seinem steuerbaren Umsatz; verwendet er die ihm gelieferten Gegenstände und erbrachten Dienstleistungen für steuerbare Umsätze, so kann er in seiner Steuerabrechnung unter bestimmten Voraussetzungen von der von ihm geschuldeten Steuer die Steuer abziehen, die ihm von anderen Steuerpflichtigen in Rechnung gestellt worden ist (sog. Vorsteuerabzug). Die Beschwerdeführerin leitet aus dieser Bestimmung ab, dass sie einen Anspruch darauf habe, die Steuer auf ihre Kunden zu überwälzen. Soweit ihr dies nicht möglich sei, müsse sie von der Steuer befreit werden.
Richtig ist, dass es sich bei der Mehrwertsteuer, wie sie in
Art. 41ter Abs. 1 lit. a und Abs. 3 BV
vorgesehen und in Art. 8 Abs. 2 ÜbBest. BV in den Grundsätzen festgelegt ist, um eine allgemeine Verbrauchssteuer handelt. Besteuert wird zwar der Umsatz beim steuerpflichtigen Unternehmen, doch soll nach dem Plan des Verfassungsgebers der Endverbrauch belastet werden. Das setzt voraus, dass die Mehrwertsteuer vom steuerpflichtigen Unternehmen auf den Abnehmer überwälzt werden kann (MARKUS REICH, Grundzüge der Mehrwertsteuerordnung in der Schweiz und in der EU, Der Schweizer Treuhänder, 69/1995 S. 329; vgl. auch
BGE 123 II 295
E. 5; Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 28. August 1996 zur parlamentarischen Initiative Dettling: Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, BBl 1996 V 725, 726 [Ziff. 22]).
Weder aus Art. 8 Abs. 2 lit. h ÜbBest. BV über den Vorsteuerabzug noch aus einer anderen Verfassungsbestimmung ergibt sich jedoch ein Anspruch des Steuerpflichtigen, von der Steuer befreit zu werden, wenn er diese nicht auf seinen Abnehmer überwälzen kann. Unter dem Titel Vorsteuerabzug kann der Steuerpflichtige die Steuern, die ihm von seinen Lieferanten in Rechnung gestellt worden sind, in seiner Steuerabrechnung in Abzug bringen. Er hat Anspruch auf diesen Abzug, sofern er die gesetzlichen Voraussetzungen
BGE 123 II 385 S. 395
erfüllt (vgl. Kommentar des Eidgenössischen Finanzdepartements zur Verordnung über die Mehrwertsteuer, S. 32 ff.;
BGE 123 II 295
E. 5 und 6). Daraus folgt indessen nicht, dass der Steuerpflichtige ein verfassungsmässiges Recht darauf hat, die Steuer auf seine Kunden zu überwälzen bzw. von der Steuer befreit zu werden, sofern ihm dies nicht gelingt. Aus den parlamentarischen Debatten geht vielmehr klar hervor, dass der Steuerpflichtige nur insoweit von der ihn belastenden Steuer befreit wird, als es ihm gelingt, die Steuer auf die Preise und damit auf seine Kunden zu überwälzen (Bericht Matthey, Amtl.Bull. N 1993 329 f. bzw. 337 f.). Ob dies möglich ist, entscheidet der Markt. Insofern verhält es sich bei der Mehrwertsteuer nicht anders als bei der Warenumsatzsteuer (vgl. DIETER METZGER, Handbuch der Warenumsatzsteuer, N. 1084). Ein Anspruch auf Überwälzung der Steuer ergibt sich auch nicht aus
Art. 84 Abs. 8 MWSTV
, der die Parteien unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt, den Preis an die nach neuem Recht geschuldete Steuer anzupassen. Der Bundesrat verletzt daher die Verfassung nicht, wenn er bei der Regelung des Übergangsrechts die Überwälzung der Steuer weder vorschreibt noch verbietet. Zu prüfen bleibt, ob diese Übergangsordnung im vorliegenden Fall andere Grundsätze oder Grundrechte der Verfassung verletzt.
9.
Eine Übergangsordnung soll die Einführung des neuen Rechts ermöglichen oder erleichtern und den Übergang zwischen altem und neuem Recht mildern. Sie schafft mit dem Erlass technisch-organisatorischer Bestimmungen die Voraussetzungen für die Anwendung des neuen Rechts. Sie trägt allfälligen Härten der Betroffenen unter anderem dadurch Rechnung, dass sie gewisse Bestimmungen der Neuregelung früher oder später in Kraft treten lässt als den übrigen Erlass, Anpassungsfristen gewährt oder auf andere Weise für eine stufenweise Einführung strengerer Vorschriften sorgt (
BGE 106 Ia 254
E. 2b, S. 257). Auf welchen Zeitpunkt eine Neuregelung in Kraft gesetzt werden soll, ist dem pflichtgemässem Ermessen des Gesetzgebers anheimgestellt und hängt vom angestrebten Zweck ab. Eine rasche Einführung drängt sich in der Regel im Wirtschaftsrecht auf, wo die staatlichen Massnahmen häufig in den Wirtschaftsablauf eingreifen und der damit verfolgte Zweck schnell durchgesetzt werden muss, um Missbräuchen vorzubeugen (
BGE 104 Ib 205
E. 5b). Neben dem öffentlichen Interesse, das hinter jeder Rechtsänderung stehen muss, sprechen im übrigen Erwägungen der Rechtsgleichheit und der Rechtseinheit dafür, dass altrechtliche Rechtsverhältnisse möglichst rasch mit dem neuen
BGE 123 II 385 S. 396
Recht in Einklang gebracht werden. Nur wenn schützenswerte Interessen es gebieten, kann in einem gewissen Mass bei der Anpassung an das neue Recht auf bestehende Rechtsverhältnisse Rücksicht genommen werden (FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 109, 115 ff.; BLAISE KNAPP, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 4. Aufl. 1992, N. 578 ff.). Doch ist von Härtemilderungs- oder Ausnahmeklauseln auch in solchen Fällen zurückhaltend Gebrauch zu machen (Alfred Kölz, Intertemporales Verwaltungsrecht, ZSR 102/1983 II 245, 246, 249).
Bei der Wahl des Übergangsrechts hat der Gesetzgeber die Vorschriften der Verfassung und, wenn keine ausdrücklichen Vorschriften bestehen, die allgemeinen Grundsätze, z.B. der Verhältnismässigkeit, und das Willkürverbot zu beachten. Auch die allenfalls gewählte Übergangslösung muss verfassungs- oder gesetzmässig sein (
BGE 104 Ib 205
E. 5b, S. 216). Ob die hier angewendeten übergangsrechtlichen Bestimmungen der Mehrwertsteuerverordnung diesen Grundsätzen genügen, ist im folgenden zu prüfen.
a)
Art. 84 MWSTV
steht unter dem Titel Anwendung des neuen Rechts. Gemäss Absatz 1 findet das neue Recht auf alle Umsätze Anwendung, die ab Inkrafttreten der Mehrwertsteuerverordnung getätigt werden. Massgebendes Kriterium ist somit der Umsatz, das heisst die Lieferung oder Dienstleistung. Das gilt auch dann, wenn eine Lieferung oder Dienstleistung, für welche die Zahlung vor dem Inkrafttreten der Verordnung vereinnahmt worden ist, erst nach diesem Zeitpunkt ausgeführt wird (Absatz 3). Werden Lieferungen und Dienstleistungen teilweise vor und teilweise nach dem Inkrafttreten der Verordnung erbracht, so gilt das neue Recht für denjenigen Teil des Umsatzes, der ab Inkrafttreten der Verordnung erbracht wird (
Art. 84 Abs. 4 Satz 2 MWSTV
; vgl. KUHN/SPINNLER, Mehrwertsteuer, Ergänzungsband, S. 63).
Art. 84 MWSTV
stellt somit für die Anwendung des neuen Rechts auf den Zeitpunkt des Umsatzes ab.
Diese Übergangsbestimmung unterscheidet sich sowohl von der Regelung im Warenumsatzsteuerrecht wie auch der definitiven Regelung in der Mehrwertsteuerverordnung: Massgebend für die Fälligkeit der Steuerforderung bei der Warenumsatzsteuer war grundsätzlich der Zeitpunkt, wo das Entgelt eingenommen wurde (
Art. 24 lit. a WUStB
). Bei der Mehrwertsteuer entsteht die Steuerforderung bei Lieferungen und Dienstleistungen je nach Abrechnungsart entweder mit der Rechnungsstellung oder mit der Einnahme des Entgelts (
Art. 34 MWSTV
; vgl. KUHN/SPINNLER, a.a.O., Ergänzungsband S. 51): Hauptabrechnungsart bildet die Abrechnung
BGE 123 II 385 S. 397
nach dem vereinbarten Entgelt (
Art. 35 Abs. 1 MWSTV
); in diesem Fall entsteht die Steuerforderung grundsätzlich im Zeitpunkt, wo die Rechnung oder Teilrechnung gestellt wird (Art. 34 lit. a Ziff. 1 Sätze 1 und 2 MWSTV). Massgebend im Regelfall ist somit bei der Warenumsatzsteuer der Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts, bei der Mehrwertsteuer der Zeitpunkt der Rechnungsstellung.
Es ist offensichtlich, dass diese unterschiedlichen Regelungen eine Anpassung beim Übergang von der alten zur neuen Ordnung erfordern. Indem
Art. 84 MWSTV
für intertemporale Sachverhalte auf den Zeitpunkt des Umsatzes abstellt und diese Regel auch für Teilumsätze anwendbar erklärt, verwendet er ein einfach zu handhabendes Merkmal. Besteuerungslücken werden dadurch verhindert, dass bei Lieferungen und Dienstleistungen vor dem 1. Januar 1995 das alte Recht als anwendbar erklärt wird (
Art. 84 Abs. 4 Satz 1 und 3 MWSTV
). Massgebender Zeitpunkt ist in diesem Fall die Einnahme des Entgelts. Eine Doppelbesteuerung entsteht ebenfalls nicht, weil bei Lieferungen ab 1. Januar 1995 die Warenumsatzsteuer nicht mehr geschuldet und die bereits entrichtete Warenumsatzsteuer an die Mehrwertsteuer angerechnet wird, sofern die Zahlung unter dem alten Recht vereinnahmt und verbucht worden ist (
Art. 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 MWSTV
). Diese Ordnung gewährleistet einen gleichmässigen und damit schonenden Übergang von der alten zur neuen Steuer. Sie stellt zudem auf steuerrechtliche Kriterien ab (Lieferung, Dienstleistung), so dass alle Dauerschuldverhältnisse ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Qualifikation als Abonnementsverträge, Sukzessivlieferungsverträge usw. übergangsrechtlich gleich behandelt werden.
Art. 84 MWSTV
ist insofern nicht zu beanstanden.
b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Verbot der Rückwirkung von Steuererlassen sei verletzt. Gemäss
Art. 34 lit. a Ziff. 1 und 2 MWSTV
entstehe die Steuerforderung im Falle von Vorauszahlung mit der Einnahme des Entgelts. Die Zahlungen für die hier in Frage stehenden Abonnementsverträge seien im Jahre 1994 erfolgt. Das neue Recht, welches nicht nur für die Bemessung der Steuerforderung, sondern auch für ihre Entstehung auf einen Sachverhalt abstelle, der vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Mehrwertsteuerverordnung eingetreten sei, habe eine unzulässige - weil echte (vgl.
BGE 104 Ib 205
E. 6;
BGE 101 Ia 82
E. 2) - Rückwirkung zur Folge.
Dieser Einwand dringt nicht durch.
Art. 34 MWSTV
, der die Entstehung der Steuerforderung regelt, stellt nicht Übergangsrecht,
BGE 123 II 385 S. 398
sondern definitives Recht dar. Er schliesst nicht aus, dass für die Übergangsperiode eine davon abweichende Ordnung getroffen werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Bundesrat Gebrauch gemacht.
Art. 84 MWSTV
stellt auf den Umsatz ab, der ab dem 1. Januar 1995 erfolgt sein muss, damit die Lieferung oder Dienstleistung der Mehrwertsteuer unterliegt. Das Übergangsrecht knüpft somit für die Entstehung der Steuerforderung an Tatsachen an, die sich unter der Herrschaft des neuen Rechts verwirklicht haben. Vor diesem Zeitpunkt eingenommene Zahlungen und Teilzahlungen dienen lediglich als Bemessungsgrundlage für die Steuer (
Art. 84 Abs. 3 und 4 MWSTV
). Eine unzulässige (echte) Rückwirkung kann darin nicht erblickt werden.
c) Die Beschwerdeführerin kritisiert auch die Raschheit, mit welcher der Bundesrat die neue Regelung in Kraft gesetzt habe. Es sei ihr nicht möglich gewesen, zeitgerecht zu reagieren und insbesondere ihr EDV-System anzupassen. Auf diese Weise habe sie die neue Steuer, zumindest was die vor dem 1. Oktober 1994 abgeschlossenen Verträge betreffe, nicht auf die Abonnenten überwälzen können.
Der Bundesbeschluss vom 18. Juni 1993 über die Finanzordnung, mit dem Art. 8 ÜbBest. BV geändert worden ist, wurde an der Volksabstimmung vom 28. November 1993 angenommen. Deren Ergebnis wurde am 15. Februar 1994 publiziert (AS 1994 258). Bereits vor diesem Zeitpunkt war indessen vorauszusehen, dass die Mehrwertsteuer im Falle der Annahme durch Volk und Stände auf den 1. Januar 1995 in Kraft gesetzt würde: Einerseits endete die Kompetenz des Bundes zur Erhebung der Warenumsatzsteuer und der direkten Bundessteuer Ende 1994. Andererseits wollte das Parlament die Mehrwertsteuer auf den 1. Januar 1995 in Kraft setzen (Amtl.Bull. N 1993 329, 399 ff., 1246). Darauf wurde übrigens in den Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 28. November 1993 (S. 9) hingewiesen. Die Beschwerdeführerin musste somit damit rechnen, dass ihre Zeitungs- und Zeitschriftenabonnemente ab 1. Januar 1995 der Mehrwertsteuer unterliegen würden. Wohl konnte sie damals noch nicht wissen, wie Abonnementsverträge in der Übergangsperiode behandelt würden. Die Mehrwertsteuerverordnung in ihrer heute geltenden Form wurde am 12. Juli 1994 publiziert (AS 1994 1464). Die Frage wurde indessen zwischen der Eidgenössischen Steuerverwaltung und dem Schweizerischen Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, dem die Beschwerdeführerin als bedeutendes Mitglied angehört, an einer
BGE 123 II 385 S. 399
Besprechung vom 13. Januar 1994 und erneut anlässlich einer Tagung vom 20. Februar 1994 diskutiert. In seiner Stellungnahme vom 31. Januar 1994 zum Entwurf zur Verordnung über die Mehrwertsteuer ging der Schweizerische Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger denn auch davon aus, dass ab Februar 1994 abgeschlossene Jahresabonnemente teilweise der Mehrwertsteuer unterliegen würden. Das wird auch von der Beschwerdeführerin nicht grundsätzlich bestritten.
Die Beschwerdeführerin konnte somit elf Monate im voraus wissen, dass ihre Abonnementsverträge ab 1. Januar 1995 der Mehrwertsteuer unterstehen, und die nötigen Vorkehren treffen. Sie hätte die Steuer überwälzen oder eine Preisanpassung vertraglich vorbehalten können. Auch ohne solchen Vorbehalt räumt
Art. 84 Abs. 8 MWSTV
die Möglichkeit einer Preisanpassung ein. Dass die Abonnementspreise für das Jahr 1994 bereits seit Oktober 1993 bekanntgegeben und publiziert worden sind (zitierte Stellungnahme des Schweizerischen Verbandes der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger), kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Bei derart weit im voraus festgelegten Preisen kann es nicht dem Staat angelastet werden, wenn der Steuerpflichtige sich faktisch in die Unmöglichkeit versetzt, die Steuer zu überwälzen.
d) Die beanstandete Übergangsregelung hat für die Beschwerdeführerin auch keine übertriebene Härte zur Folge.
Unter der Herrschaft der Warenumsatzsteuer konnte die Beschwerdeführerin als Grossistin Wiederverkaufswaren und Werkstoffe für die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften gegen Grossistenerklärung steuerfrei beziehen (Art. 14 Abs. 1 lit. a und Abs. 2, 15 Abs. 3 WUStB). Sie selbst bezahlte keine Warenumsatzsteuer auf den von ihr hergestellten Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, da diese Umsätze von der Steuer befreit waren (
Art. 14 Abs. 1 lit. b WUStB
). Hingegen musste sie die auf ihren Anlagegütern und Betriebsmitteln lastende Warenumsatzsteuer selbst tragen bzw. auf ihre Abnehmer überwälzen, weil auch Grossisten diese Güter nicht steuerfrei erwerben konnten (Art. 14 Abs. 1 lit. a, 15 Abs. 3 WUStB e contrario). Diese Taxe occulte belief sich, wie ein Experte aufgrund von Erhebungen des Schweizerischen Verbandes der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger berechnet hat, für die Branche auf durchschnittlich 0,91 Prozent der Gesamtumsätze. Ab 1. Januar 1995 hat die Beschwerdeführerin als Mehrwertsteuerpflichtige auf ihren Lieferungen und Dienstleistungen aus Abonnementsverträgen, einschliesslich denjenigen, die vor 1995 zu laufen
BGE 123 II 385 S. 400
begonnen haben, zwei Prozent Mehrwertsteuer zu entrichten (
Art. 27 Abs. 1 lit. a MWSTV
). Sie kann aber ab 1. Januar 1995 in ihren Steuerabrechnungen unter dem Titel Vorsteuerabzug die Steuern, die ihr von anderen Steuerpflichtigen für Lieferungen und Dienstleistungen in Rechnung gestellt worden sind, abziehen (
Art. 29 MWSTV
). Selbst wenn daraus eine etwas höhere Steuerbelastung für die Beschwerdeführerin entstehen sollte - was nicht erwiesen ist -, kann nicht von einem Härtefall gesprochen werden.
10.
Die Beschwerdeführerin behauptet, Vertrauen in den Entwurf vom 28. Oktober 1993 zur Verordnung über die Mehrwertsteuer gesetzt zu haben. Dieser Entwurf habe eine für sie günstigere Regelung enthalten, weil Abonnementsverträge, für welche das Entgelt vor Inkrafttreten der Mehrwertsteuerverordnung vereinnahmt worden ist, der Mehrwertsteuer nicht unterliegen, auch wenn die Lieferung nach dem 1. Januar 1995 erfolgt (Art. 84 Abs. 1 in Verbindung mit 34 Abs. 2 des Entwurfs). Diese Regelung unterscheide sich von derjenigen, wie sie im definitiven Verordnungstext Eingang gefunden habe. Die Beschwerdeführerin sei daher in ihrem guten Glauben verletzt.
Die Rüge ist nicht berechtigt. Das Prinzip des Vertrauensschutzes hat seine Bedeutung vor allem im Bereich der Rechtsanwendung; es bindet den Gesetzgeber insoweit, als er in wohlerworbene Rechte eingreift oder sich ohne zureichenden Grund über frühere Zusicherungen hinwegsetzt (
BGE 102 Ia 331
E. 3c; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, Basel/Frankfurt a. M. 1983, S. 276 ff.). Es gewährt aber grundsätzlich keinen Schutz gegen eine Änderung der Rechtsordnung (
BGE 122 II 113
E. 3b/cc;
BGE 118 Ia 245
E. 4a, b). Am 28. Oktober 1993 hat das Eidgenössische Finanzdepartement den Entwurf zur Mehrwertsteuerverordnung in das Vernehmlassungsverfahren gegeben. Die interessierten Kreise, darunter auch der Schweizerische Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, konnten dazu Stellung nehmen. Ein in die Vernehmlassung gegebener Verordnungsentwurf schafft indessen keine Vertrauensgrundlage in dem Sinne, dass die Rechtsunterworfenen sich darauf berufen können, weil der Entwurf vermutungsweise noch Änderungen unterworfen ist (
BGE 123 II 433
E. 8b S. 444). Es wäre im übrigen auch fraglich, ob ein Entwurf des Departements, den der Bundesrat noch nicht beraten und genehmigt hat, diesen binden kann. Die Beschwerdeführerin durfte somit die im Entwurf vorgesehene Übergangsregelung nicht als verbindlich ansehen. Sie behauptet
BGE 123 II 385 S. 401
auch nicht, dass ihr seitens der Steuerbehörden eine konkrete, individuelle Zusicherung abgegeben worden wäre. Hingegen geht aus den Akten zur Genüge hervor, dass der Schweizerische Verband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger seit Januar 1994 Kenntnis hatte, dass der Entwurf zur Mehrwertsteuerverordnung in diesem Punkt geändert wird. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin in ihrem berechtigten Vertrauen verletzt worden ist.
11.
Die Beschwerdeführerin beruft sich schliesslich auf das Gleichbehandlungsgebot und das Prinzip der Wettbewerbsneutralität. Sie macht geltend, gegenüber anderen Verlagshäusern, welche ihre Erzeugnisse praktisch ausschliesslich über den Einzelverkauf am Kiosk vertreiben, benachteiligt zu werden. Im Gegensatz zu diesen Konkurrenten könne sie die Mehrwertsteuer für vor dem 1. Oktober 1994 abgeschlossene Abonnemente nicht nachbelasten.
Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Gewerbegenossen, wie er nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts aus
Art. 31 BV
folgt, sind Massnahmen verboten, die den Wettbewerb unter direkten Konkurrenten verzerren bzw. nicht wettbewerbsneutral sind (
BGE 123 II 16
E. 10). Ob die Beschwerdeführerin im direkten Wettbewerb steht zu Verlagshäusern, die ihre Erzeugnisse vorwiegend oder ausschliesslich über den Einzelverkauf an Kiosken vertreiben, ist indessen fraglich. Die Kundschaft solcher Unternehmen unterscheidet sich deutlich von derjenigen der Beschwerdeführerin. Der gelegentliche Kauf einer Zeitung oder Zeitschrift am Kiosk unterscheidet sich auch wesentlich vom Abonnieren einer solchen, so dass die beiden Produkte - Verkauf einer Einzelnummer einerseits bzw. Angebot einer Zeitung oder Zeitschrift im Abonnement andererseits - nicht direkt konkurrieren. Unter dem Gesichtswinkel der Wettbewerbsneutralität ist wesentlich, dass die Beschwerdeführerin gleich behandelt wird wie andere Verlagshäuser, die Zeitungen und Zeitschriften im Abonnement vertreiben. Diese waren im Hinblick auf die Einführung der Mehrwertsteuer mit gleichen oder ähnlichen organisatorischen, technischen und administrativen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Beschwerdeführerin verfügte zudem als Mitglied des Schweizerischen Verbandes der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger über die gleichen Informationen wie ihre Konkurrenten und konnte sich rechtzeitig auf die neue Steuer umstellen. Das Gebot der Wettbewerbsneutralität ist daher nicht verletzt. | public_law | nan | de | 1,997 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c90da5f1-0db7-4293-9506-59ef8b24b1c8 | Urteilskopf
80 I 30
6. Arrêt du 29 janvier 1954 en la cause V. A.-G. contre Administration fédérale des contributions. | Regeste
Emissions- und Couponabgaben:
1. Abtretung eines Aktienmantels (
Art. 21, Abs. 2 StG
), Emissionsabgabe auf dem Titel und Abgabe auf dem Liquidationsüberschuss.
2. Unter welchen Voraussetzungen darf bei der Besteuerung mehr auf die wirtschaftliche Erscheinung eines Geschäfts als auf dessen Rechtsform abgestellt werden? | Sachverhalt
ab Seite 30
BGE 80 I 30 S. 30
Résumé des faits:
A. - La V. A.-G. avait à la fin de 1947 un capital de 100 actions au porteur (nominal: 500 fr.). A la fin de 1946 le bilan de la société présentait, comme seuls actifs, des titres pour 237 506 fr. et des avoirs en banque pour 30 795 fr. 75. A la fin de 1947 les titres paraissent avoir été, pour la plus grande partie, réalisés, de sorte que l'actif du bilan se composait de titres pour 16 340 fr., d'avoirs en banque pour 182 116 fr. 61 et de débiteurs pour 82 251 fr. Les derniers titres, d'une valeur de 16 340 fr., ont été réalisés dans le courant d'avril 1948. Après cette dernière réalisation, la société avait environ 65 487 fr. 20 en liquidités, c'est-à-dire en avoirs en banque.
Dans le courant de ce même mois d'avril 1948 la totalité des actions de la V. A.-G. a été vendue à M. La vente est intervenue en deux fois: 60 actions le 2 avril 1948 et 40 actions le 14 avril 1948 pour le prix total de 65 500 fr.
BGE 80 I 30 S. 31
En même temps, la raison sociale a été modifiée, ainsi que le but. L'administrateur quitta ses fonctions; il devait être remplacé par un nouvel administrateur, mais celui-ci n'a en fait été inscrit comme tel qu'avec beaucoup de retard, c'est-à-dire en octobre 1950.
B.-
L'Administration fédérale des contributions (ci-après: l'Administration) a vu là une double opération soumise à l'impôt:
Elle a admis, tout d'abord, qu'il y avait eu transfert d'un cadre d'actions, opération que la loi fédérale sur les droits de timbre, du 4 octobre 1917 (LT), frappe d'un droit de timbre de 2% à payer sur l'apport du capital à la société en fait nouvelle.
Appliquant en outre l'art. 5 al. 2 LC et l'art. 4 al. 1 lit. a AIA, elle a admis qu'il y avait eu distribution aux actionnaires anciens d'un excédent de liquidation, de 15 487 fr. 20, représentant le produit de la vente du cadre d'actions diminué de 50 000 fr., montant du capital social versé.
Le 30 mai 1953, elle a pris, dans ce sens, une décision sur réclamation.
C.-
La V. A.-G. a formé le présent recours de droit administratif. Elle conclut à ce qu'il plaise au Tribunal fédéral: annuler la décision de l'Administration, du 30 mai 1953, et dire que la recourante ne doit pas les droits de timbre sur l'émission d'actions, ni sur la distribution d'un bénéfice de liquidation. Son argumentation se résume comme il suit:
Il n'y a pas eu achat d'un cadre d'actions et pas davantage dissolution de fait de l'ancienne société anonyme. L'opération a coûté 5000 fr. de plus que la valeur intrinsèque des actions acquises; il serait absurde, pour économiser 1000 fr. environ de droit de timbre, de faire une opération aussi coûteuse. La société avait un actif immatériel à transférer. Le but du transfert d'actions n'était pas d'éluder le droit de timbre. Au moment de la vente des actions, un tiers du capital existait en titres et la
BGE 80 I 30 S. 32
liquidation n'était pas achevée. Si le nommé M. a repris les actions, c'était à la demande de personnalités étrangères, qui voulaient disposer en Suisse d'une société pour y traiter des affaires. Il s'ensuit que le timbre d'émission n'est pas dû. Le timbre sur les coupons ne l'est pas davantage. Aucune prestation n'a été accordée aux anciens actionnaires de la société au sens de l'art. 5 al. 2 LC sous forme de bénéfice de liquidation.
D.-
L'Administration conclut au rejet du recours. Elle demande que l'Union de banques suisses soit appelée en cause. Son argumentation sera reprise, en tant que besoin, dans l'exposé de droit du présent arrêt.
Erwägungen
Extrait des motifs:
1.
Selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, le transfert d'un cadre d'actions consiste dans une vente d'actions qui permet à l'acquéreur de disposer d'une société juridiquement non encore dissoute, mais économiquement liquidée et abandonnée par les participants (RO 64 II 363; arrêt Saffir AG, du 18 septembre 1953; SIEGWART, com. ad art. 620 ss CO, Einleitung, n. 24). L'art. 21 al. 2 LT assimile ce cas à celui de la fondation d'une nouvelle société et soumet au droit de timbre le nouvel apport de fonds (Message du Conseil fédéral du 28 mai 1926, FF 1926 I p. 795). Il faut admettre avec l'Administration que, lorsque les autres conditions sont réalisées, il peut y avoir vente d'un cadre d'actions alors même que la société conserve un bilan avec certains actifs, ainsi lorsque ces actifs sont liquides (argent comptant, avoirs en banque) et déterminent la valeur vénale des actions.
2.
Tel est le cas dans la présente espèce. Tous les actifs de la société ont été réalisés, les derniers par la vente de titres pour 16 000 fr. environ dans le courant du mois d'avril 1948. Une fois ces réalisations achevées et après paiement des créanciers de la société, il restait environ 65 000 fr. liquides et c'est pour cette somme que les actions se sont vendues. Les acheteurs n'ont donc
BGE 80 I 30 S. 33
payé aux actionnaires que cet actif. Cela prouve que la société n'avait, comme telle, plus aucune activité ni valeur et avait été abandonnée par ses membres. Aussi bien, les actionnaires et les organes ont-ils entièrement changé, de sorte qu'il n'y a plus rien de commun entre l'ancienne et la nouvelle entreprise, si ce n'est la forme juridique. Peu importe qu'il y ait eu un décalage de quelques jours, du 2 au 14 avril, entre la vente du premier et du second paquet d'actions de la V. A.-G. Cela n'exclut nullement que l'ensemble des opérations n'ait eu pour but la dissolution de fait de la société sous sa forme ancienne et la transmission du cadre d'actions à M. Le 14 avril 1948, celui-ci a acquis les 40 dernières actions et s'est trouvé seul actionnaire. Il s'est aussitôt fait verser le solde des liquidités, ce qui n'aurait pas été possible si l'entreprise avait conservé quelque activité commerciale et ce qui prouve bien qu'il n'avait acquis qu'une simple forme juridique. Au surplus, il allègue lui-même avoir voulu mettre à la disposition d'amis étrangers une société suisse pour faire des affaires. Ces faits prouvent à satisfaction de droit qu'il y a bien eu vente d'un cadre d'actions au sens de l'art. 21 al. 2 LT.
La recourante, du reste, se contente, sur ce point, de simples dénégations. Elle n'allègue aucun fait dont on pourrait conclure que les apparences sont contredites par la réalité des choses. Supposé que l'achat des actions ait en réalité coûté à M. la somme de 5000 fr., cela pourrait s'expliquer suffisamment par l'intérêt qu'avaient ses amis étrangers d'acquérir la maîtrise d'une société anonyme suisse déjà existante pour y dissimuler des placements ou des opérations. On ne voit nullement en quoi aurait pu consister l'actif immatériel dont la recourante fait état pour justifier la dépense supplémentaire de 5000 fr., qu'elle allègue. Il est enfin sans importance que la recourante n'ait pas eu l'intention d'éluder le paiement du timbre d'émission; l'application de l'art. 21 al. 2 LT n'est pas subordonnée à cette condition.
BGE 80 I 30 S. 34
Il suit de là que l'Administration était en droit de prélever le droit de timbre de par cette disposition légale.
3.
L'Administration prétend en outre frapper du droit de timbre sur les coupons une somme de 15 000 fr. que les actionnaires ont touchée, lors de la vente de leurs actions à M., en sus du capital qu'ils avaient engagé dans la société (50 000 fr.); il faudrait, en effet, voir dans cette somme un bénéfice de liquidation. Une telle imposition se justifie si l'on s'en tient à l'aspect purement économique de l'opération, tel qu'on l'a décrit plus haut. Mais il n'en va pas de même si l'on considère la forme juridique, selon laquelle il n'y a pas eu liquidation et dissolution de la société, mais uniquement vente des actions avec un bénéfice qui n'est ni une prestation appréciable en argent, faite par la société à ses actionnaires, ni, en particulier, un bénéfice de liquidation et qui, dès lors, échapperait à l'imposition au titre du droit de timbre sur les coupons (art. 5 al. 2 LC.).
A la différence de la loi sur le droit de timbre (art. 21 al. 2), la loi concernant le droit de timbre sur les coupons ne prescrit pas que, du point de vue fiscal, la vente d'un cadre d'actions doit être considérée comme une liquidation de la société, suivie de dissolution. En d'autres termes, elle ne prévoit pas expressément que, dans ce cas, l'aspect économique de l'opération doit l'emporter sur son aspect juridique. Il doit néanmoins en aller ainsi, selon la jurisprudence du Tribunal fédéral, s'il apparaît, d'une part, que la forme juridique choisie est insolite et, d'autre part, qu'elle a été choisie abusivement et exclusivement aux fins d'éluder une imposition qui aurait eu lieu dans le cas où l'on aurait adopté la forme juridique correspondant aux circonstances économiques (RO 73 I 75, consid. 3). Il n'est pas douteux que cette hypothèse est réalisée dans la présente espèce.
En fait, et comme on l'a montré plus haut, les anciens actionnaires de la recourante avaient complètement liquidé la société - sauf un article de l'actif, qui subsistait, mais
BGE 80 I 30 S. 35
était liquide - et ils l'avaient abandonnée. Dans de telles circonstances, il était absolument anormal de ne pas procéder à la dissolution et à la radiation au registre du commerce, qui seules correspondaient à la situation réelle. La vente des actions ne peut s'expliquer que par le désir de réaliser le bénéfice de liquidation sans acquitter le droit de timbre sur les coupons que prévoit l'art. 5 al. 2 LC.
Il faut donc considérer l'opération comme si la dissolution de la société était intervenue. Les anciens actionnaires ont laissé à la société une certaine somme (65 000 fr.), égale au montant du capital social, augmenté du bénéfice de liquidation. Ce faisant, ils ont disposé de cette somme, consommant ainsi leur droit au remboursement du capital social augmenté du bénéfice de liquidation et l'on ne saurait dire, comme le fait la recourante, que la société elle-même ne leur aurait pas versé de bénéfice de liquidation imposable de par l'art. 5 al. 2 LC. Ils ont disposé de ce bénéfice et cela suffit pour que l'on doive admettre que la société a fait, en leur faveur, une prestation appréciable en argent, prestation soumise au droit de timbre sur les coupons. Au surplus, cette prestation les a effectivement enrichis, encore que ce soit par le détour de la vente des actions.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Rejette le recours. | public_law | nan | fr | 1,954 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c90f11b2-14d4-4144-a18d-abd55926094b | Urteilskopf
111 Ib 32
7. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 5. Juni 1985 i.S. X. gegen Kanton Schaffhausen und Regierungsrat des Kantons Schaffhausen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Kostentragung im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren gemäss
Art. 27 NSG
.
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (E. 1).
2. Die Kostenregelung von
Art. 114 Abs. 1 und 2 EntG
, wonach grundsätzlich der Enteigner die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechts entstehenden Kosten trägt, ist auch im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren anzuwenden, sofern sich die Einsprache gegen eine drohende Enteignung richtet (E. 2 und 3). | Sachverhalt
ab Seite 32
BGE 111 Ib 32 S. 32
X. erhob gegen das Ausführungsprojekt für die Teilstrecke Sennerei - Kantonsgrenze Zürich der Nationalstrasse 4 im Auflageverfahren gemäss Art. 26 f. des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 (NSG) Einsprache, weil gemäss diesem Projekt der Teil eines Gebäudes, in dem er eingemietet ist, abgebrochen werden muss. Mit Beschluss vom 13. November 1984 wies
BGE 111 Ib 32 S. 33
der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen die Einsprache ab, soweit er darauf eintrat, und auferlegte X. in Anwendung von kantonalem Verfahrensrecht die Kosten des Verfahrens.
Gegen die Kostenauflage führt X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht. Zur Begründung führt er an, er habe seine Einsprache als gegen die drohende Enteignung gerichtet betrachtet. Nach Bundesrecht trage der Enteigner sämtliche Verfahrenskosten. Diese bundesrechtliche Regelung müsse im Nationalstrassenrecht, das die Einsprache gegen die Enteignung ins Planauflageverfahren verweise, auch für den Kanton gelten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid des Regierungsrates behandelt gestützt auf
Art. 27 NSG
eine Einsprache des Beschwerdeführers gegen das Ausführungsprojekt eines Teilstückes der Nationalstrasse 4. Er stellt damit eine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG
dar. Auch hat der Regierungsrat als letzte kantonale Instanz entschieden, so dass sein Entscheid gemäss
Art. 97 Abs. 1 und 98 lit. g OG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht unterliegt. Es liegt keiner der in den
Art. 99-102 OG
genannten Unzulässigkeitsgründe vor. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine Einsprache gegen eine Enteignung, so ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Verfügungen über Pläne zulässig (
Art. 99 lit. c OG
).
Der Beschwerdeführer wendet sich zwar einzig gegen die vom Regierungsrat in Anwendung kantonalen Verwaltungsverfahrensrechts verfügte Kostenbelastung. Doch entfällt deswegen die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht (vgl.
Art. 101 lit. b OG
). Der Rechtsweg folgt der Hauptsache jedenfalls dann, wenn für die Kostenregelung, welche selbständig angefochten werden kann, auch eidgenössisches Recht wie das Bundesgesetz über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (EntG) zu beachten ist (FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., 1983, S. 328 f.). Ob dies zutrifft, ist freilich umstritten. Doch ist die Rüge, die kantonale Instanz habe bei ihrer Verfügung zu Unrecht eidgenössisches Verwaltungsrecht - wie hier die Kostenregelung des Enteignungsgesetzes - nicht angewendet, mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend zu machen, da auch in diesem Falle eine Bundesrechtsverletzung im Sinne von
Art. 104 lit. a OG
behauptet wird
BGE 111 Ib 32 S. 34
(
BGE 107 Ib 172
/173 E. 1 mit Hinweisen; FRITZ GYGI, a.a.O., S. 296). Ob eine solche Rechtsverletzung gegeben ist, prüft das Bundesgericht ohne Beschränkung seiner Kognition umfassend.
2.
Die öffentliche Auflage der Ausführungsprojekte für Nationalstrassen und das Einspracheverfahren sind bundesrechtlich in
Art. 26 und 27 NSG
geordnet. Die Kantone sind verpflichtet, die Zuständigkeiten zur Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben und das dabei anwendbare Verfahren zu regeln (
Art. 61 NSG
). Dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen ist darin beizupflichten, dass sie hiefür kantonales Verwaltungsverfahrensrecht als massgebend bezeichnen können. Die Kantone haben jedoch bei der Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben auch im Rahmen eines Verfahrens, das sie nach kantonalem Recht abwickeln, die zwingenden Vorschriften des Bundesrechts zu beachten.
Gemäss
Art. 114 Abs. 1 und 2 EntG
trägt grundsätzlich der Enteigner die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechtes entstehenden Kosten. Lediglich bei offensichtlich missbräuchlichen Begehren oder bei offensichtlich übersetzten Forderungen können die Kosten ganz oder teilweise dem Enteigneten auferlegt werden. Der Beschwerdeführer erachtet diese Bestimmungen auch auf das Einspracheverfahren gemäss Art. 26 f. NSG als anwendbar, welche Auffassung der Regierungsrat bestreitet.
a) Aus der Verfahrensregelung des Nationalstrassengesetzes ergibt sich, dass sich das Enteignungsverfahren auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen beschränkt. Einsprachen gegen die Enteignung sowie Begehren, die eine Planänderung bezwecken, sind ausgeschlossen (
Art. 39 Abs. 2 NSG
). Die entsprechende Regelung gilt für die Erstellung von Rohrleitungen gemäss Art. 26 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe vom 4. Oktober 1963 (
BGE 98 Ib 428
E. 1). Hieraus folgt, dass das Einsprache- und Plangenehmigungsverfahren gemäss
Art. 26 und 27 NSG
alle Funktionen des enteignungsrechtlichen Einspracheverfahrens im engern und weitern Sinne zu übernehmen hat. Mit dieser aus verfahrensökonomischen Gründen getroffenen Lösung wollte der Gesetzgeber die Privaten nicht schlechter stellen als jene, auf welche ausschliesslich die Bestimmungen des Enteignungsgesetzes Anwendung finden (
BGE 108 Ib 507
E. 2 mit Hinweisen). Wie das Bundesgericht bei Planeinsprachen gegen Rohrleitungen festgestellt hat, gilt dies auch für die Kostenfolgen (
BGE 98 Ib 432
E. 5).
BGE 111 Ib 32 S. 35
Der Regierungsrat wendet ein, die Funktionen der Einsprachen gemäss Nationalstrassengesetz und Enteignungsgesetz würden sich nicht in allen Punkten decken. Namentlich könnten im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren nicht nur Gründe expropriationsrechtlicher, sondern auch solche allgemeiner Natur geltend gemacht werden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass auch im Planauflageverfahren gemäss Enteignungsgesetz Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren, die eine Planänderung bezwecken, angemeldet werden können. Diese Begehren beziehen sich auch auf öffentlich- und nachbarrechtliche Beschränkungen, auf die Erhaltung von Naturschönheiten, Kulturland sowie Brunnen und Quellen (Art. 7-10, 30 und 35 EntG). Zur Einsprache sind auch die gesamtschweizerischen Vereinigungen, die sich statutengemäss dem Natur- und Heimatschutz oder verwandten, rein ideellen Zielen widmen, befugt (Art. 12 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966). Um den Schutz aller dieser Anliegen geht es auch im Nationalstrassenrecht (
Art. 5 NSG
).
Selbst wenn man jedoch annimmt, das nationalstrassenrechtliche Einspracheverfahren diene in weitergehendem Masse dem allgemeinen öffentlichen Interesse der bestmöglichen Projektgestaltung, weshalb Einwendungen allgemeiner Natur vorgetragen werden könnten, so ist dies für die zu beurteilende Kostenfolge nicht wesentlich. Hiefür ist entscheidend, dass das nationalstrassenrechtliche Einspracheverfahren wie auch das entsprechende Verfahren nach Rohrleitungsgesetz - wie dargelegt - alle Funktionen des enteignungsrechtlichen Einspracheverfahrens übernimmt und dass die Rechtsstellung des von einer Enteignung bedrohten Bürgers nicht verschlechtert werden soll. Warum derjenige, der von einer Enteignung für eine Nationalstrasse betroffen wird, bei der Beurteilung seiner Einsprache hinsichtlich der Kostenfolge schlechter gestellt sein soll als der von einer Enteignung für ein anderes öffentliches Werk des Bundes Betroffene, ist nicht einzusehen. Eine solche Differenzierung wäre vielmehr mit der rechtsgleichen Behandlung der Bürger, die sich auf ein eidgenössisches Enteignungsverfahren einlassen müssen, nicht vereinbar.
b) Ebenfalls nicht wesentlich für die zu beurteilende Kostenfolge ist es, dass eine kantonale Behörde und nicht eine Bundesinstanz über die Einsprache entscheidet, wie dies der Regierungsrat geltend macht. Das Bundesgericht hat im gleich gelagerten Fall einer Enteignung im Zusammenhang mit dem Bundesgesetz über
BGE 111 Ib 32 S. 36
die Nutzbarmachung der Wasserkräfte vom 22. Dezember 1916 (WRG) ausdrücklich entschieden, dass sich Kosten- und Entschädigungsfolgen im Einspracheverfahren gemäss
Art. 55 Abs. 2 EntG
i.V.m.
Art. 46 Abs. 2 WRG
nicht nach kantonalem Verfahrensrecht, sondern nach den
Art. 114 und 115 EntG
richten (
BGE 104 Ib 337
ff., nicht veröffentlichte E. 9). Im übrigen scheint der Regierungsrat zu übersehen, dass es sich bei seinem Entscheid um eine bundesrechtliche Verfügung im Sinne von
Art. 98 lit. g OG
handelt, die an das Bundesgericht weitergezogen werden kann.
c) Auch die Verweisung des Regierungsrates auf
Art. 114 Abs. 4 EntG
führt zu keinem andern Ergebnis. Danach entscheidet im Einspracheverfahren nach
Art. 55 EntG
über die Kosten das in der Sache zuständige Departement oder die nach
Art. 46 Abs. 2 WRG
zuständige kantonale Behörde. Aus dem Umstand, dass
Art. 114 Abs. 4 EntG
keine Verweisung auf das Nationalstrassengesetz enthält, folgert der Regierungsrat unzutreffend, die Kantone seien nicht an die Kostenregelung des Enteignungsgesetzes gebunden. Er übersieht, dass eine Verweisung auf das Nationalstrassengesetz in
Art. 114 Abs. 4 EntG
deshalb nicht notwendig war, weil gemäss der Nationalstrassengesetzgebung Einsprachen gegen die Enteignung und Begehren, die eine Planänderung bezwecken, nicht im Einigungsverfahren gemäss
Art. 45 ff. EntG
zu behandeln sind, weshalb auch
Art. 55 EntG
nicht zum Zuge kommt. Das Enteignungsverfahren beschränkt sich - wie dargelegt - auf die Behandlung der angemeldeten Forderungen (
Art. 39 Abs. 2 NSG
), was jedoch nicht von der Beachtung der Grundregel entbindet, dass der Enteigner die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechts entstehenden Kosten trägt (
Art. 114 Abs. 1 EntG
).
d) Unbeachtlich ist auch, dass die Praxis in den einzelnen Kantonen offenbar uneinheitlich ist, hängt doch der Ausgang der Sache ausschliesslich von der zu beurteilenden Rechtsfrage ab. Aus der Antwort des Bundesamtes für Strassenbau geht auch nicht hervor, ob die Spruchgebühren, welche einzelne Kantone erheben, Einspracheentscheide betreffen, mit denen Einwendungen eines Einsprechers abgewiesen werden, der von einer Enteignung bedroht wird, oder ob sich die Kostenbelastung lediglich auf die Ablehnung sonstiger Einwendungen bezieht. Die bundesrechtlich angeordnete Kostenbefreiung gemäss
Art. 114 Abs. 1 EntG
gilt nur für die Geltendmachung des Enteignungsrechts, wie dies auch für die Grundregel der Kostenbefreiung im
BGE 111 Ib 32 S. 37
verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nach
Art. 116 EntG
zutrifft.
Eine Verletzung von Bundesrecht liegt daher nur vor, wenn ein von einer Enteignung bedrohter Bürger bei der Ablehnung seiner Einsprache mit Kosten belastet wird, ohne dass ihm vorgeworfen werden kann, er habe offensichtlich missbräuchliche Begehren gestellt.
e) Der Regierungsrat wendet mit Recht nicht ein, dass im vorliegenden Falle der Beschwerdeführer offensichtlich missbräuchliche Begehren im Sinne von
Art. 114 Abs. 2 EntG
erhoben hätte. Aus seinem Entscheid ergibt sich vielmehr, dass er das Hauptanliegen des Beschwerdeführers, den Baubeginn in der Umgebung seiner Metzgerei hinauszuschieben, zur Kenntnis genommen hat. Dem Einsprecher kann auch nicht als missbräuchliches Verhalten angelastet werden, dass er auf einem Entscheid über sein sachlich vorgetragenes Begehren bestand und seine Einsprache im Anschluss an die Einspracheverhandlung mit Vertretern des Nationalstrassenbüros nicht zurückzog.
3.
Die Beschwerde erweist sich somit als begründet. Die Regel, dass der Enteigner grundsätzlich die aus der Geltendmachung des Enteignungsrechts entstehenden Kosten zu tragen hat, ist auch im nationalstrassenrechtlichen Einspracheverfahren zu beachten, da dieses den von einem eidgenössischen Enteignungsverfahren betroffenen Bürger nicht schlechter stellen will.
Auch das Bundesgericht wendet entgegen der Meinung des Regierungsrates bei der Beurteilung nationalstrassenrechtlicher Einspracheentscheide die Regel des
Art. 116 Abs. 1 EntG
an, wonach die Kosten des Verfahrens vor dem Bundesgericht der Enteigner trägt. Von der Möglichkeit, die Kosten anders zu verteilen, wenn die Begehren ganz oder zum grösseren Teil abgewiesen werden, wird zurückhaltend Gebrauch gemacht, im wesentlichen bei missbräuchlicher Beschwerdeführung und unnötiger Kostenverursachung (vgl.
BGE 108 Ib 498
E. 7;
BGE 100 Ib 418
E. 6;
BGE 98 Ib 424
E. 11 und 432 E. 5).
Im vorliegenden Fall droht der Liegenschaft, auf welcher der Beschwerdeführer als Mieter seine Metzgerei betreibt, die Enteignung. Gegenstand des Enteignungsrechts bilden seine Rechte als Mieter (
Art. 5 EntG
). Dass der Kanton verpflichtet ist, sich zunächst um einen freihändigen Erwerb zu bemühen (
Art. 30 Abs. 2 NSG
), schliesst die Kostenbefreiung für das gegen die drohende Enteignung gerichtete Einspracheverfahren nicht aus. Indem der Regierungsrat zu Unrecht die Kostenregelung des
BGE 111 Ib 32 S. 38
Art. 114 Abs. 1 und 2 EntG
nicht angewendet hat, verletzt seine Verfügung Bundesrecht; sie ist daher hinsichtlich der Kostenbelastung aufzuheben. | public_law | nan | de | 1,985 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c9186cd0-44cd-4394-b236-b620bf82bc48 | Urteilskopf
118 Ia 327
44. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public du 7 août 1992 dans la cause B. contre Procureur général du canton de Vaud (recours de droit public) | Regeste
Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK,
Art. 4 BV
; Zeugenaussage des V-Mannes.
1. Zeugenaussagen durch anonyme Zeugen und V-Leute. Zusammenfassung der Rechtsprechung (E. 2a-b).
2. Im vorliegenden Fall hätte der Beschwerdeführer die Gelegenheit erhalten müssen, in einer Konfrontationseinvernahme den V-Mann zu befragen, insbesondere über das Mass seiner Mitwirkung (E. 2c). | Sachverhalt
ab Seite 328
BGE 118 Ia 327 S. 328
A.-
Le 17 novembre 1990, B., ressortissant yougoslave, a été arrêté et inculpé d'infraction à la loi fédérale sur les stupéfiants; il lui était notamment reproché les faits suivants. Le 23 octobre 1990, B. s'est vu présenter un dénommé Ali, disposé à acheter de la drogue pour plusieurs centaines de milliers de francs, en réalité un agent infiltré par la police. B. contacta à plusieurs reprises S., afin que ce dernier se procure la drogue qu'Ali désirait acheter. Le jour de l'arrestation, Ali, B., S. et des comparses se sont retrouvés en vue de la vente de cinq kilos d'héroïne au prix de 70'000 francs le kilo.
B.-
Dans un rapport du 11 juillet 1991 établi à la demande du Juge informateur, l'autorité de police explique que l'intervention d'Ali, informateur yougoslave, a été rendue nécessaire par le fait que les trafiquants yougoslaves ne voulaient traiter qu'avec des compatriotes; Ali fut présenté à B. le 23 octobre 1990, comme représentant d'un acheteur potentiel de drogue, exhibant quelque 700'000 francs. Des écoutes téléphoniques révélaient que B. avait, le lendemain, téléphoné à S. qui apparaissait être son fournisseur, puis l'avait sans cesse relancé.
Selon un rapport complémentaire du 29 juillet 1991, Ali est un ex-policier yougoslave ayant offert ses services en Suisse; il aurait constamment agi sous le contrôle des enquêteurs, l'acheteur fictif, un policier suisse-allemand, se trouvant toujours à distance. Afin de préserver l'intégrité corporelle d'Ali, comme il le lui avait promis, l'auteur de ce rapport refusa de révéler son identité.
B. demanda, le 9 août 1991, qu'Ali soit interrogé, puis lui soit confronté. Par ordonnance du 19 septembre 1991, le Juge informateur considéra qu'il n'existait aucun moyen de contraindre la police à révéler l'identité de l'agent infiltré, même par le biais du témoignage, et rejeta la requête. Par la même ordonnance, il a renvoyé B.
BGE 118 Ia 327 S. 329
devant le Tribunal correctionnel du district de Lausanne (ci-après: le Tribunal correctionnel).
C.-
B. sollicita de cette juridiction la convocation d'Ali en qualité de témoin, estimant que la police avait minimisé le rôle d'Ali, que ce dernier était un agent provocateur et que le prévenu devait pouvoir poser des questions à ce témoin essentiel. Ces requêtes furent écartées.
Par jugement du 28 janvier 1992, le Tribunal correctionnel a condamné B. à cinq ans de réclusion pour violation de la loi fédérale sur les stupéfiants.
D.-
Contre ce jugement, B. a déposé, auprès de la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois (ci-après: la Cour de cassation) un recours en nullité, se plaignant du refus, par l'autorité de jugement, d'entendre l'agent infiltré.
Par arrêt du 28 février 1992, la Cour de cassation a rejeté le recours. Elle a considéré, s'agissant de l'agent infiltré, que le refus de son audition était admissible eu égard aux intérêts en présence, et au fait que son activité, sous surveillance policière, avait fait l'objet de rapports circonstanciés, de sorte que les premiers juges étaient suffisamment renseignés sur les faits liés à son intervention.
Agissant par la voie du recours de droit public, B. demande au Tribunal fédéral d'annuler ce dernier arrêt, pour violation des
art. 6 CEDH
et 4 Cst.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Avec raison, le recourant ne prétend pas que le recours à un agent infiltré violerait la Constitution ou la Convention européenne des droits de l'homme (cf.
ATF 112 Ia 23
consid. 4). Il soutient en revanche que le refus d'entendre l'agent infiltré Ali constituerait une violation de la garantie d'un procès équitable (
art. 6 par. 1 CEDH
), de l'
art. 6 par. 3 let
. d CEDH et de l'
art. 4 Cst.
a) L'
art. 6 par. 1 CEDH
garantit à toute personne le droit à ce que sa cause soit entendue équitablement et publiquement par un tribunal indépendant et impartial qui décidera du bien-fondé de toute accusation en matière pénale portée contre elle. Selon l'
art. 6 par. 3 let
. d CEDH, tout accusé a notamment le droit d'interroger ou de faire interroger les témoins à charge et d'obtenir la convocation des témoins à décharge dans les mêmes conditions que les témoins à charge. Enfin, le droit d'être entendu, garanti de manière générale par l'
art. 4 Cst.
, permet au justiciable de fournir des preuves quant
BGE 118 Ia 327 S. 330
aux faits de nature à influer sur le sort de la décision, de participer à l'administration des preuves, d'en prendre connaissance et de se déterminer à leur propos (
ATF 116 Ia 302
consid. 5a et les arrêts cités).
b) aa) Selon la jurisprudence, les éléments de preuve doivent en principe être produits en présence de l'accusé en audience publique, en vue d'un débat contradictoire. L'emploi de dépositions recueillies durant la phase de l'instruction ne heurte toutefois pas, en soi, les
art. 6 par. 1 et 6 par. 3 let
. d CEDH dans la mesure où l'accusé dispose d'une occasion adéquate et suffisante pour contester ces témoignages à charge et en interroger l'auteur, au moment de sa déposition ou plus tard (arrêt de la Cour européenne des droits de l'homme du 20 novembre 1989 en la cause Kostovsky, série A No 166, p. 20, § 41). Ainsi, lorsque l'accusation repose, notamment, sur les déclarations de témoins anonymes, l'accusé doit avoir l'occasion de les interroger directement au moins au stade de l'enquête (arrêt précité, § 42 s.). La déposition à la barre des agents ayant recueilli ces déclarations, l'interrogatoire de ces agents par l'inculpé et la possibilité de questionner les témoins par écrit ne sauraient remplacer une confrontation directe permettant à l'accusé, et au tribunal, de contrôler leur crédibilité (arrêt du 27 septembre 1990 en la cause Windisch, série A No 186 § 27-29).
bb) La jurisprudence admet que les dépositions faites par les agents infiltrés au cours de l'enquête préliminaire, à charge ou à décharge, sous l'anonymat, peuvent, dans des situations exceptionnelles, être prises en considération par le juge du fond sans que l'auteur ait à les confirmer durant les débats. L'obligation faite à ces agents de comparaître à visage découvert dans le procès compromettrait naturellement leur recrutement, menacerait souvent leur sécurité personnelle et réduirait le plus souvent à néant l'efficacité de ce système d'enquête indispensable à la répression du grand banditisme (arrêt non publié du 19 août 1991 en la cause H.).
cc) La Cour européenne des droits de l'homme a, dans un arrêt du 15 juin 1992, précisé la portée des droits du prévenu, s'agissant de la déposition d'agents infiltrés. Constatant que le litige qui lui était soumis se distinguait des affaires Kostovsky et Windisch précitées parce que, d'une part, il ne s'agissait pas d'un témoin anonyme mais d'un officier de police dont le juge d'instruction n'ignorait pas la mission et que, d'autre part, le requérant connaissait au moins l'apparence physique de cet agent, elle estima que le refus de procéder à une confrontation et de donner à l'accusé l'occasion de l'interroger
BGE 118 Ia 327 S. 331
violait l'
art. 6 par. 1 et 3 let
. d CEDH (arrêt du 15 juin 1992 en la cause Lüdi, série A No 238).
c) En l'espèce, la déclaration de culpabilité rendue à l'encontre du recourant ne se fonde pas seulement sur la déposition de l'agent infiltré Ali, mais aussi sur les déclarations d'autres témoins (notamment de S.), avec lesquels le recourant a pu être confronté. En outre, le Juge d'instruction a, à la requête du recourant, sollicité la production d'un rapport détaillé des autorités de police au sujet de l'activité d'Ali.
Ces circonstances ne suffisent pas pour dénier au recourant le droit de faire entendre l'agent infiltré. L'audition d'Ali, témoin à charge important, constituait en effet le seul moyen de contester sa crédibilité d'une part, et le rapport de police relatif à son activité d'autre part. Le recourant devait pouvoir être confronté à l'agent infiltré notamment sur la question, déterminante, de savoir quel fut son degré d'intervention. Le recourant soutient en effet qu'il s'agissait d'un agent provocateur, prétendant avoir été constamment harcelé par celui-ci afin qu'il "reprenne des contacts".
L'audition et la confrontation du recourant avec Ali pouvaient avoir lieu, moyennant certaines précautions, afin que l'identité réelle de l'agent infiltré ne parvienne pas à la connaissance de l'accusé ou de tiers, et que son apparence physique, que le recourant connaît, ne soit pas dévoilée. Durant les débats, son anonymat aurait pu être préservé par le recours à des moyens techniques permettant à l'agent infiltré de ne pas être vu et de ne pas être reconnu par sa voix, après avoir donné au recourant l'occasion de confirmer que le témoin entendu était bien Ali. | public_law | nan | fr | 1,992 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c9191840-f1e6-4c67-b86d-692050bf23a3 | Urteilskopf
107 II 366
57. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. März 1981 i.S. Birchler & Co. AG gegen Marpal AG (Berufung) | Regeste
Art. 24 Abs. 1 lit. a und b aPatG. Teilverzicht auf ein Patent.
1. Teilweise Anerkennung der Nichtigkeitsklage durch Einschränkung des Patentes. Die Folgen beurteilen sich nach dem materiellen Recht (E. 1).
2. Auslegung eines nach allgemeiner Übung verfassten Patentanspruches, der bei einem Teilverzicht insbesondere dadurch geändert wird, dass Merkmale aus dem kennzeichnenden Teil in den Oberbegriff verlegt werden. Massgebend ist, wie der fachkundige Dritte den Anspruch in guten Treuen verstehen darf (E. 2 und 3).
3.
Art. 64 Abs. 1 und 67 Ziff. 1 OG
. Rückweisung der Sache zur Ergänzung des Gutachtens und neuen Prüfung des Streitpatentes unter rechtlich zulässigen Gesichtspunkten (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 367
BGE 107 II 366 S. 367
A.-
Hugo Degen meldete am 1. Dezember 1961 ein Liegemöbel-Gestell zur Patentierung an. Das Bundesamt für geistiges Eigentum erteilte ihm dafür am 28. Februar 1965 das Patent Nr. 388 561. Der Hauptanspruch des Patentes, das Degen am 6. August 1965 auf die Marpal AG in Chur übertragen liess, lautete wie folgt:
"Liegemöbel-Gestell mit Querlatten, die an ihren Enden auf elastischen, auf der Innenseite der Längsseitenschenkel des Gestells vorgesehenen Lagerkörpern abgestützt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Lagerkörper von Abschnitten eines aus einem elastischen Material bestehenden Profilstabes gebildet sind, die in einer den Lattenenden entsprechenden Reihenfolge mit einer ihrer Flachseiten auf der Innenseite der genannten Längsschenkel angeordnet sind, wobei an ihrem oberen Teil und an den Lattenenden Lattensicherungsmittel vorgesehen sind."
Dem Hauptanspruch waren drei Unteransprüche zugeordnet. Nach dem ersten ist das Liegemöbel-Gestell "dadurch gekennzeichnet, dass die genannten Lattensicherungsmittel je einen an den Lattenenden in der Lattenlängsmittelebene liegenden Einschnitt aufweisen, mit dem sie über die Mittelrippe eines oberen, T-förmigen Stegteiles des betreffenden Lagerkörpers greifen". Gemäss dem zweiten Unteranspruch besteht der kennzeichnende Teil darin, "dass zur Befestigung der Lagerkörper an den Längsschenkeln des Gestells für jeden Lagerkörper zwei Zapfen vorgesehen sind, denen im unteren Teil der Lagerkörper vorgesehene Löcher entsprechen, mit denen die Lagerkörper bis zur Anlage an die Längsschenkelinnenseite auf diese Zapfen aufgeschoben werden".
Die Birchler & Co. AG in Schänis stellt Liegemöbel mit gummielastischen Lagerkörpern her. Im Januar 1977 forderte sie die Marpal AG auf, das von Degen übernommene Patent, das offensichtlich nichtig sei, löschen zu lassen. Da die Marpal AG sich weigerte, der Aufforderung nachzukommen, klagte die Birchler &
BGE 107 II 366 S. 368
Co. AG am 19. April 1977 gegen sie auf Feststellung, dass das Patent 388 561 von Anfang an nichtig gewesen sei.
B.-
Am 1. Juli 1977 erklärte die Beklagte, dass sie auf ihr Patent teilweise verzichte, indem sie den ersten und zweiten Unteranspruch mit dem Hauptanspruch zusammenlege und den dritten streiche. Bei der Zusammenlegung ging sie so vor, dass sie den kennzeichnenden Teil des ursprünglichen Hauptanspruches in den Oberbegriff aufnahm und ihn durch die kennzeichnenden Merkmale der Unteransprüche 1 und 2 ersetzte.
Die Klägerin fand, auch der eingeschränkte Patentanspruch sei nichtig, und hielt an ihrem Klagebegehren fest.
Das Kantonsgericht Graubünden zog einen Ingenieur und einen Patentanwalt als Gutachter bei, die sich in einem Bericht vom Oktober 1979 und in einem Ergänzungsbericht vom April 1980 äusserten. Mit Urteil vom 5. Mai 1980 nahm das Kantonsgericht davon Vormerk, dass die Beklagte durch die Einschränkung des Patentes die Klage teilweise anerkannt hatte, und wies die Nichtigkeitsklage im übrigen ab.
C.-
Die Klägerin hat Berufung eingelegt mit den Anträgen, von der teilweisen Klageanerkennung Vormerk zu nehmen, das Urteil des Kantonsgerichts im übrigen aufzuheben und festzustellen, dass das Patent 388 561 auch in der Fassung, die sich aus dem Teilverzicht ergeben habe, von Anfang an nichtig gewesen sei. Sie verlangt ferner, dass das Bundesgericht die zur Überprüfung der technischen Verhältnisse erforderlichen Beweismassnahmen selbst anordne, insbesondere einen neuen Sachverständigen bestelle, eventuell von den bisherigen ein Ergänzungsgutachten einhole oder die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückweise.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vom Kantonsgericht vorgemerkte teilweise Klageanerkennung wird mit der Berufung nicht angefochten; die Klägerin will sie sinngemäss vielmehr bestätigt wissen. Die Parteien sind sich über deren Tragweite für die Beurteilung des verbleibenden Patentanspruchs jedoch nicht einig. Nach Ansicht der Klägerin setzt sich das Kantonsgericht darüber hinweg, dass ein anerkannter Anspruch nicht mehr bestritten werden kann. Die Beklagte meint dagegen unter Hinweis auf TROLLER (Immaterialgüterrecht I S. 625), es liege nur eine faktische Klageanerkennung vor, welche den Richter nicht binde.
BGE 107 II 366 S. 369
Einig sind sich die Parteien jedoch darin, dass der ursprüngliche Patentanspruch und die ihm zugeordneten Unteransprüche im Bereich des Teilverzichts gegenstandslos geworden sind. Zu beurteilen bleibt somit nur der eingeschränkte Patentanspruch, allerdings samt den aus den früheren Ansprüchen übernommenen Merkmalen und deren Einordnung in die neue Fassung. Wie es sich damit verhält, ist nicht eine Frage der Rechtskraft, sondern des materiellen Rechts, gleichviel ob die im alten Hauptanspruch definierte Erfindung neu und technisch fortschrittlich war und Erfindungshöhe aufwies; denn durch die Einschränkung verzichtet der Patentinhaber auf den Schutz dieser angeblichen Erfindung und verlangt ihn nur noch für die Erfindung gemäss dem neuen Patentanspruch.
Zu Recht stimmen die Parteien mit der Vorinstanz auch darin überein, dass sowohl der Teilverzicht wie die von der Klägerin vorgebrachten Nichtigkeitsgründe intertemporal noch nach den Bestimmungen zu beurteilen sind, die vor dem 1. Januar 1978 galten (
Art. 142 Abs. 2 lit. b und c PatG
).
2.
Der Patentbewerber hat die Erfindung in einem Patentanspruch zu definieren, der für den sachlichen Geltungsbereich des Patentes massgebend ist (Art. 51 aPatG). Er trägt das Risiko einer unrichtigen, unvollständigen oder widersprüchlichen Definition. Der Patentanspruch ist nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auszulegen, sein Inhalt nach dem Wissen und Können eines gutausgebildeten Fachmannes zu ermitteln, der auf Grund des Anspruches erkennen muss, wofür der Erfindungsschutz verlangt wird. Dabei ist grundsätzlich vom Patentanspruch als Ganzes auszugehen, und darf auch die mit dem Patentgesuch eingereichte Beschreibung berücksichtigt werden (
BGE 104 Ib 73
,
BGE 97 I 431
E. 4b,
BGE 95 II 364
und 370,
BGE 85 II 136
,
BGE 64 II 394
).
Das Kantonsgericht hat nicht übersehen, dass der Patentanspruch in der schweizerischen Praxis meistens aus einem sogenannten Oberbegriff und aus einem kennzeichnenden Teil besteht. Im Oberbegriff wird gewöhnlich das schon Bekannte, nicht zur Erfindung Gehörende dargelegt, während anschliessend mit der Wendung "dadurch gekennzeichnet, dass" zu den Merkmalen übergeleitet wird, welche die Erfindung kennzeichnen und sie von anderen abgrenzen lassen. Wird der Patentanspruch nach diesen Grundsätzen der Logik abgefasst, so ist in der Regel anzunehmen, im Oberbegriff werde gesagt, welcher Gattung die Erfindung angehört, im kennzeichnenden Teil dagegen, durch welche Merkmale
BGE 107 II 366 S. 370
sie sich innerhalb der Gattung von anderen Erfindungen unterscheidet. Im Oberbegriff steht diesfalls das Vorbekannte, im kennzeichnenden Teil was darüber hinausgeht. Wenn die Auslegung nach Treu und Glauben eine Ausnahme rechtfertigt, darf das Wesen der Erfindung auch dem Oberbegriff entnommen werden (
BGE 104 Ib 70
,
BGE 83 II 226
und 228; BLUM/PEDRAZZINI, Schweizerisches Patentrecht, III S. 170).
3.
Nach Art. 24 Abs. 1 aPatG kann ein Patentinhaber auf das Patent teilweise verzichten, indem er einen Patentanspruch oder Unteranspruch aufhebt (lit. a) oder einen Patentanspruch durch Zusammenlegung mit einem oder mehreren Unteransprüchen einschränkt (lit. b).
a) Von diesen Möglichkeiten hat die Beklagte durch ihren Teilverzicht vom 1. Juli 1977 Gebrauch gemacht. Sie hielt sich bei der Abfassung des eingeschränkten Patentanspruchs an die allgemein übliche Aufteilung, indem sie zunächst die ihres Erachtens zum Oberbegriff gehörenden Elemente anführte und dann nach den Worten "dadurch gekennzeichnet, dass" die kennzeichnenden Merkmale der Erfindung aufzählte. Diese Unterteilung lag bereits dem alten Hauptanspruch zugrunde. Auffallend ist jedoch, dass die Beklagte beim Teilverzicht nicht etwa den Oberbegriff des ursprünglichen Patentanspruchs beibehalten und lediglich die kennzeichnenden Merkmale des Haupt- und der zwei ersten Unteransprüche zusammengelegt hat. Sie verschob vielmehr den ganzen kennzeichnenden Teil des Hauptanspruchs in den Oberbegriff und beschränkte den kennzeichnenden Teil der neuen Fassung auf die Merkmale der Unteransprüche 1 und 2. Die Parteien streiten sich denn auch vor allem über die Bedeutung dieser Verschiebung von zwei Merkmalen, die vorher die Erfindung angeblich kennzeichneten, nun aber im Oberbegriff stehen.
Nach Auffassung des Kantonsgerichts darf dem Patentinhaber im Nichtigkeitsprozess aus einer solchen Verschiebung von Merkmalen kein Rechtsnachteil erwachsen; anders verhalte es sich allenfalls im Patentverletzungsprozess, wenn zwischen Geltungs- und Schutzbereich des Patentes zu unterscheiden sei. Davon kann indes unbekümmert um diese Unterscheidung keine Rede sein. Gewiss kann der Schutz eines Patentes besonders gegen Nachahmung über den eigentlichen Gegenstand der Erfindung hinausgreifen (TROLLER I S. 617 und II S. 999; BLUM/PEDRAZZINI III S. 101). Das ändert aber nichts daran, dass der Patentanspruch als solcher auch im Nichtigkeitsprozess anhand der dargelegten
BGE 107 II 366 S. 371
Grundsätze darauf hin zu prüfen ist, ob er eine Erfindung umschreibe (TROLLER I S. 618; BLUM/PEDRAZZINI II S. 162). Es geht daher auch nicht an, für den Schutzumfang vor allem auf den kennzeichnenden Teil, für die Ermittlung und Würdigung des Erfindungsgedankens dagegen in allen Fällen auf den ganzen Patentanspruch abzustellen, statt bloss ausnahmsweise, wenn Treu und Glauben dies rechtfertigen (
BGE 104 Ib 70
unten).
Selbst die Beklagte hält die streitige Verschiebung von zwei Merkmalen in den Oberbegriff nicht für unerheblich. Sie anerkennt vielmehr zu Recht, dass sie dadurch auf Erfindungsschutz für die beiden in den Oberbegriff verschobenen Merkmale als solche verzichtet hat. Da diese Merkmale zuvor den ganzen kennzeichnenden Teil des Hauptanspruchs ausmachten, wurde der Anspruch durch ihre Verschiebung im Sinne von Art. 24 lit. a aPatG aufgehoben. Das kann nur heissen, dass die streitigen Merkmale keinen erfinderischen Charakter haben, als vorbekannt anzusehen sind und bereits im massgebenden Zeitpunkt zum freien Stand der Technik gehörten (
BGE 104 Ib 71
,
BGE 86 II 106
; TROLLER I S. 623 und 625 sowie II S. 855; PEDRAZZINI, in Festgabe Walther Hug S. 235).
b) Die Beklagte will mit der streitigen Verschiebung freilich nur anerkannt haben, die in den Oberbegriff versetzten Merkmale seien nicht wesentlich für die Erfindung, nicht aber dass sie auch vorbekannt und daher zum freien technischen Wissen zu zählen seien. Ihre Behauptung, für solche Merkmale sei im kennzeichnenden Teil kein Platz, steht in gewissem Widerspruch zu ihrer weiteren Erklärung, sie habe der Einordnung dieser Merkmale im Vertrauen auf die Rechtsprechung keine Bedeutung beigemessen.
Auf die Beweggründe der Beklagten kommt indes so oder anders nichts an. Vom fachkundigen Dritten, der auf Patentschrift und Verzichtserklärung abstellen muss, kann die neue Fassung nach der vom Bundesgericht entwickelten Regel in guten Treuen nur dahin verstanden werden, dass die in den Oberbegriff verschobenen Merkmale auch nach Auffassung der Beklagten zum freien Stand der Technik zu rechnen sind. Obschon ein eingeschränkter Patentanspruch an sich nach den gleichen Grundsätzen auszulegen ist wie ein ursprünglicher, sind gewisse Besonderheiten nicht zu übersehen. Selbst wenn ein Patentinhaber, der einen Anspruch einschränkt, um einer Nichtigkeitsklage vorzubeugen, nicht schlechthin beim Wortlaut eines Teilverzichts behaftet werden darf, bleibt es dabei, dass er sich nicht in der gleichen Lage
BGE 107 II 366 S. 372
befindet wie bei der Patentanmeldung, wo die Umschreibung technischer Gegebenheiten erfahrungsgemäss grössere Schwierigkeiten bereitet (vgl. BLUM/PEDRAZZINI III S. 97 ff. und 165); er darf daher nicht im gleichen Mass Rücksicht und Wohlwollen beanspruchen, wenn er zwölf Jahre nach dem Eintrag teilweise auf das Patent verzichtet. Dies gilt vor allem dann, wenn er den eingeschränkten Patentanspruch wie schon den ursprünglichen nach der allgemein üblichen Unterteilung abfasst, bringt er dadurch doch zum Ausdruck, dass er der Aufteilung auch die übliche Bedeutung beimisst. Umso mehr darf der Dritte in guten Treuen auf den Wortlaut und Aufbau der Verzichtserklärung abstellen, die dem eingeschränkten Patentanspruch zugrunde liegt.
c) Das Kantonsgericht nimmt gestützt auf das Gutachten an, der eingeschränkte Patentanspruch sei nicht nach den Grundsätzen der Logik abgefasst worden, weshalb die streitigen Merkmale trotz Verlegung in den Oberbegriff ihren kennzeichnenden Charakter beibehalten hätten. Diese Erwägung wird erst verständlich, wenn die vorangehenden Ausführungen der Experten mitberücksichtigt werden. Danach entsprach der ursprüngliche Patentanspruch mit seiner Gliederung in Oberbegriff und kennzeichnenden Teil durchaus der Logik. Dass beim Teilverzicht die streitigen Merkmale in den Oberbegriff verlegt worden sind, bedeutet für die Experten entgegen der gleichen Logik jedoch nicht, dass sie damit den kennzeichnenden Charakter einbüssten. Anhand vorbekannter Lösungen legen die Experten vielmehr dar, dass diese Merkmale zwar nicht je für sich, wohl aber zusammengenommen neu gewesen seien und deshalb nicht zur vorbekannten Gattung gehörten. Daraus folgern sie wiederum, dass der eingeschränkte Patentanspruch nicht mehr nach den Grundsätzen der Logik abgefasst worden sei, weshalb im Sinn von
BGE 83 II 228
die streitigen Merkmale nicht nach ihrem willkürlichen Standort, sondern nach ihrer tatsächlichen Eigenart zu beurteilen seien.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Argumentation nicht die Schlussfolgerung mit einer Voraussetzung verwechselt und daher folgerichtigem Denken widerspricht. So oder anders lassen die Experten und das Kantonsgericht, das sich ihren Überlegungen angeschlossen hat, den entscheidenden Gesichtspunkt ausser acht, dass nämlich auch der eingeschränkte Patentanspruch so auszulegen ist, wie ihn der fachkundige Dritte in guten Treuen verstehen darf. Nähere Untersuchungen, wie sie die Experten auf Grund von Vorveröffentlichungen vornehmen konnten, sind einem Dritten
BGE 107 II 366 S. 373
weder möglich noch zuzumuten; er braucht den Patentanspruch nicht so zu lesen, wie er im Lichte eines nachträglich festgestellten Sachverhaltes insbesondere nach dem Stand der Technik hätte abgefasst werden müssen (BLUM/PEDRAZZINI II S. 134). Die Beklagte muss sich daher nach Treu und Glauben gefallen lassen, dass der eingeschränkte Patentanspruch im Sinne der üblichen Unterteilung von Oberbegriff und kennzeichnendem Teil ausgelegt wird.
4.
Das angefochtene Urteil geht demnach zu Unrecht davon aus, dass die beiden streitigen Merkmale (nämlich die Ausbildung der Lagerkörper als Abschnitte eines Profilstabes sowie die Anordnung der Lagerkörper in einer den Lattenenden entsprechenden Reihenfolge mit einer ihrer Flachseiten auf der Innenseite der genannten Längsschenkel) unbekümmert darum, dass sie im Oberbegriff enthalten sind, kennzeichnenden Charakter haben. Auf dieser unzutreffenden Grundlage gelangt das Kantonsgericht mit den Experten zum Schluss, die Lehre der streitigen Erfindung laufe im wesentlichen darauf hinaus, dass die Lagerkörper beim Belasten und Durchbiegen der Latten vom Gestell abgehoben werden und dadurch eine unten eingespannte, im übrigen aber freistehende, elastisch biegsame Stütze für die Lattenenden bilden. Von den Merkmalen, welche der eingeschränkte Patentanspruch im kennzeichnenden Teil anführt (nämlich die Einschnitte in den Lattensicherungsmitteln und die Zapfen zur Befestigung der Lattenkörper) ist im Urteil überhaupt nicht die Rede. Die Experten befassen sich damit nur beiläufig und messen ihnen offensichtlich keine selbständige Bedeutung bei; sie halten die Merkmale des Oberbegriffs für massgebend. Aus ihren Ausführungen ist jedenfalls nicht ersichtlich, wieweit sich das offenbar für die Beurteilung entscheidende teilweise Abheben der Lattenkörper vom Gestell aus diesen oder jenen Merkmalen ergibt.
Da das Kantonsgericht den eingeschränkten Patentanspruch und die erfinderische Lehre von rechtlich unzulässigen Gesichtspunkten aus geprüft hat, gehen auch seine Erwägungen zum technischen Fortschritt, zur Neuheit und Erfindungshöhe fehl. Dass seine Feststellungen allenfalls auch eine Beurteilung der anders zu definierenden Erfindung zuliessen, wie die Beklagte einwendet, trifft nicht zu. Dafür fehlen vielmehr die nötigen tatbeständlichen Grundlagen. Entgegen der Annahme der Beklagten brauchte die Klägerin aber nicht weiter auszuführen, dass das angefochtene Urteil Bundesrecht widerspricht. Ob dies selbst dann bejaht werden
BGE 107 II 366 S. 374
müsste, wenn die Experten und das Kantonsgericht von zulässigen Gesichtspunkten ausgegangen wären, wie die Klägerin behauptet, kann dahingestellt bleiben.
Der Hauptantrag der Klägerin über die Beweisergänzung geht dahin, dass das Bundesgericht die erforderlichen Massnahmen selber anordne. Es rechtfertigt sich jedoch nicht, von der Möglichkeit des
Art. 67 OG
Gebrauch zu machen, der ausdrücklich von einer Überprüfung tatsächlicher Feststellungen durch das Bundesgericht handelt. Die Klägerin übersieht, dass hier solche Feststellungen überhaupt fehlen. Eine Rückweisung der Sache im Sinne von
Art. 64 Abs. 1 OG
ist daher nicht zu umgehen. Da Eignung und Unabhängigkeit der Experten von keiner Seite angezweifelt werden, liegt es nahe, sie auf der neuen Rechtsgrundlage zu einer Ergänzung ihres Gutachtens anzuhalten. Dabei werden sie die ihnen gestellten Fragen auf Grund der Lehre, die sich aus dem kennzeichnenden Teil des eingeschränkten Patentanspruches ergibt, beantworten müssen; auf Merkmale des Oberbegriffs dürfen sie nur zurückgreifen, wenn die Auslegung des kennzeichnenden Teils dies erheischt. Denn massgebend ist nicht, was bei genauer nachträglicher Prüfung im Interesse der Beklagten nahegelegen hätte, als diese den Patentanspruch einschränkte; entscheidend ist vielmehr, wie der fachkundige Dritte die Definition der Erfindung gemäss ihren kennzeichnenden Merkmalen im Lichte dessen, was im Oberbegriff als vorbekannt vorausgesetzt wird, in guten Treuen verstehen muss. Das eine wie das andere ist bereits in
BGE 83 II 229
/30 klargestellt worden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In teilweiser Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 5. Mai 1980 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c91c459f-fb71-493a-81b9-4e9f09c0513b | Urteilskopf
114 V 125
26. Arrêt du 20 avril 1988 dans la cause Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail contre Office cantonal valaisan du travail et Commission cantonale valaisanne d'arbitrage en matière d'assurance-chômage concernant l'entreprise Z. SA | Regeste
Art. 68 Abs. 1 AVIG
: Beiträge bei Arbeit ausserhalb der Wohnortsregion.
Der Anspruch auf Pendlerkostenbeiträge oder auf Beiträge an Wochenaufenthalter setzt den tatsächlichen Verlust des Arbeitsplatzes des Versicherten voraus.
Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Bauunternehmung ihre Arbeitnehmer vorübergehend ausserhalb der üblichen Wohn- und Arbeitsortsregion beschäftigt. | Sachverhalt
ab Seite 125
BGE 114 V 125 S. 125
A.-
Julius H. et Edwin M., domiciliés à Naters VS, travaillent dans l'entreprise de construction Z. SA, sur des chantiers situés en principe dans la région de Brigue. Le 3 février 1986, ils ont demandé
BGE 114 V 125 S. 126
à l'Office cantonal valaisan du travail une contribution aux frais de déplacement quotidien à Saint-Maurice, lieu où l'employeur devait les occuper provisoirement, pendant la période du 3 février au 5 avril 1986.
Par deux décisions du 17 décembre 1986, ledit office a accueilli les demandes et alloué à chacun des prénommés la somme de 534 francs par mois pour les frais de leurs voyages quotidiens en train de Naters à Saint-Maurice.
B.-
L'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT) a recouru contre ces décisions devant la Commission cantonale valaisanne d'arbitrage en matière d'assurance-chômage, en soutenant que les prestations en cause ne peuvent être allouées qu'à des assurés au chômage ou à des assurés risquant de tomber au chômage parce qu'ils ont perdu leur emploi, qui acceptent un nouveau travail hors de la région de domicile, à l'exclusion des travailleurs dont l'employeur déplace pendant quelque temps le lieu de travail habituel, comme en l'espèce.
Par jugement du 3 mars 1987, la commission d'arbitrage a rejeté le recours. Elle a exposé, en résumé, que l'employeur n'aurait pas pu occuper les deux travailleurs concernés au lieu de travail habituel en raison des conditions atmosphériques, et que les intéressés avaient donc accepté un emploi hors de la région de leur domicile pour ne pas tomber au chômage.
C.-
L'OFIAMT interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont il demande l'annulation, en reprenant les motifs invoqués en procédure cantonale.
L'intimé conclut au rejet du recours.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Au chapitre des mesures légales destinées à prévenir et à combattre le chômage (mesures préventives), l'
art. 68 al. 1 LACI
prévoit que les travailleurs auxquels il n'a pas été possible d'attribuer un travail convenable dans la région de leur domicile et qui ont accepté un emploi hors de celle-ci pour ne pas tomber au chômage ou y rester, peuvent bénéficier des prestations suivantes:
a) indemnité pour les frais de déplacement quotidien;
b) contribution aux frais de déplacement et de séjour hebdomadaires.
Selon la juridiction cantonale, les conditions dont cette disposition fait dépendre l'octroi des prestations litigieuses sont remplies
BGE 114 V 125 S. 127
en l'espèce: si l'employeur n'avait pas déplacé le lieu de travail des assurés concernés, ces derniers se seraient retrouvés au chômage à cause des conditions atmosphériques. Ces deux travailleurs ont donc accepté un emploi hors de la région de leur domicile précisément pour ne pas tomber au chômage. L'interprétation de l'
art. 68 LACI
qui se concilie le mieux avec l'esprit de la loi, relèvent les premiers juges, conduit à donner à la notion de chômage, dans le cadre de cette disposition, un sens large, comprenant également une absence de travail pour cause de "chômage intempéries".
2.
a) (Interprétation de la loi; voir
ATF 113 V 152
consid. 3a.)
b) En l'espèce, il résulte des termes mêmes de l'
art. 68 al. 1 LACI
que le droit à l'indemnité pour frais de déplacement quotidien ou à la contribution aux frais de déplacement et de séjour hebdomadaires présuppose la perte effective par l'assuré de son emploi. De telles prestations ne peuvent en effet être allouées qu'aux travailleurs "auxquels il n'a pas été possible d'attribuer un travail convenable dans la région de domicile". Cette condition signifie nécessairement que ces travailleurs sont des assurés aptes à être placés, c'est-à-dire disposés à accepter un travail convenable et en mesure et en droit de le faire (cf.
art. 15 LACI
). Tel n'est pas le cas de celui qui, comme les assurés intéressés dans la présente procédure, est partie à un rapport de travail et ne cherche pas un emploi. Les assurés visés par les
art. 68 ss LACI
sont (comme le note avec raison FREIBURGHAUS, in Präventivmassnahmen gegen die Arbeitslosigkeit in der Schweiz, Bern/Stuttgart 1987, p. 158) des personnes au chômage ou des assurés qui acceptent un nouveau travail hors de la région de domicile pour remplacer immédiatement l'emploi perdu. Au demeurant, la jurisprudence (
ATF 112 V 253
consid. 3c,
ATF 111 V 404
consid. 2; DTA 1987 No 3 p. 46 consid. 3b) a eu l'occasion de relever le caractère prioritaire de la mobilité professionnelle dans la région de domicile par rapport à l'allocation, subsidiaire, des indemnités et contributions aux frais de déplacement et de séjour (voir aussi GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], t. II, p. 670 ss).
Il n'est dès lors pas décisif de savoir si, en l'occurrence, les assurés concernés auraient pu prétendre des indemnités en cas d'intempéries au sens des
art. 42 ss LACI
s'ils n'avaient pas pu être occupés par leur entreprise dans une région différente de leur lieu de travail habituel. L'OFIAMT observe en outre à juste titre que, pendant la durée du contrat de travail, l'employeur doit au travailleur
BGE 114 V 125 S. 128
tous les frais imposés par l'exécution du travail (art. 327a à 327c CO). Aussi n'appartient-il pas à l'assurance-chômage de dédommager les travailleurs des dépenses occasionnées par l'exercice de leur activité professionnelle.
c) Au vu de ce qui précède, la conclusion à laquelle sont arrivés les premiers juges se révèle contraire au texte de la loi. L'argument de la juridiction cantonale selon lequel la thèse qu'elle préconise correspondrait davantage à la ratio legis ne peut pas être retenu, du moment que la solution légale n'a rien d'insoutenable ou d'incompatible avec la volonté du législateur.
Les contributions aux frais de déplacement quotidien allouées aux assurés H. et M. ayant été accordées à tort, le recours est bien fondé. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c9267cb2-4a51-4387-9798-a24c100af3ef | Urteilskopf
138 II 440
31. Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. B. und Mitb. gegen Anwaltskammer des Kantons St. Gallen (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_237/2011 vom 7. September 2012 | Regeste
Art. 27 BV
;
Art. 8 Abs. 1 lit. d,
Art. 12 lit. b und
Art. 13 BGFA
; Zulässigkeit körperschaftlich organisierter Anwaltskanzleien.
Allgemeine Bedeutung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
unter Berücksichtigung von Lehre und Praxis sowie der gesetzgeberischen Entwicklungen in der Schweiz und im Ausland (E. 3-12).
Tragweite der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) und der institutionellen Unabhängigkeit (
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
) mit Bezug auf Anwaltskörperschaften (E. 13-22). Die institutionelle Unabhängigkeit ist gewahrt, wenn eine Anwaltskörperschaft vollständig durch registrierte Anwälte beherrscht wird (E. 17); Frage offengelassen hinsichtlich Multidisciplinary Partnerships (E. 23). Vereinbarkeit von Anwaltskörperschaften mit der Berufsausübung unter eigener fachlicher Verantwortung gemäss
Art. 12 lit. b BGFA
(E. 19) und dem Berufsgeheimnis des
Art. 13 BGFA
(E. 20).
Vorkehren zur Wahrung der Unabhängigkeit in der zu beurteilenden Anwalts-AG (E. 23). | Sachverhalt
ab Seite 441
BGE 138 II 440 S. 441
A.
Die in der Anwaltskanzlei X. in St. Gallen tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ersuchten am 25. Mai 2010 die Anwaltskammer St. Gallen um Feststellung, dass sie nach der Umstrukturierung ihrer Kanzlei in eine Aktiengesellschaft im Anwaltsregister des Kantons St. Gallen eingetragen bleiben können. Die Anwaltskammer lehnte dieses Begehren am 28. Juli 2010 ab und hielt fest, dass die Gesuchsteller nach der vorgesehenen Umstrukturierung im kantonalen Anwaltsregister gelöscht würden. Das Kantonsgericht St. Gallen wies am 18. Januar 2011 die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ab.
B.
A., die übrigen neun Partner und die Partnerin der Kanzlei X. (St. Gallen) beantragen dem Bundesgericht mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, den erwähnten Entscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und festzustellen, dass sie nach der Umstrukturierung ihrer Kanzlei in eine Aktiengesellschaft im Anwaltsregister des Kantons St. Gallen als deren Angestellte eingetragen bleiben können. (...)
BGE 138 II 440 S. 442
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und stellt fest, dass die Beschwerdeführer nach der Umstrukturierung ihrer Kanzlei in eine Anwaltsaktiengesellschaft im Anwaltsregister des Kantons St. Gallen als Angestellte der Anwaltsaktiengesellschaft eingetragen bleiben.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Streitgegenstand bildet die Frage, ob Anwälte, die bei einer als Aktiengesellschaft organisierten Anwaltskanzlei angestellt sind, ins kantonale Anwaltsregister eingetragen werden können. Zu beurteilen ist damit gleichzeitig, ob die Aktiengesellschaft als Organisationsform für Anwaltskanzleien, die im Monopolbereich tätig sein wollen, bundesrechtlich zulässig ist.
Die Vorinstanz gelangte gestützt auf eine Analyse von
Art. 8 Abs. 1 lit. d des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61)
zu einer negativen Antwort. Sie erachtete es mit der genannten Norm grundsätzlich für unvereinbar, dass sich eine Anwaltskanzlei als Aktiengesellschaft konstituiere. Sie lehnte somit die weitere Eintragungsfähigkeit der Beschwerdeführer im Anwaltsregister allein wegen der beabsichtigten Rechtsform ihrer Kanzlei ab. Die Abweisung des Gesuchs erfolgte also nicht bloss deshalb, weil die Aktiengesellschaft als Rechtsform für Anwaltskanzleien an sich in Betracht käme, die Kanzlei der Beschwerdeführer aber einzelne Anforderungen bei der Wahl dieser Rechtsform nicht erfüllte.
Die Beschwerdeführer kritisieren die vorinstanzliche Auslegung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
unter verschiedenen, nachstehend näher zu prüfenden Gesichtspunkten. Insbesondere rügen sie, dass die Interpretation der Vorinstanz zu einer Verfassungsverletzung führe. Ein Verbot, Anwaltskanzleien als Aktiengesellschaften zu organisieren, sei mit der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) nicht vereinbar.
2.
Zur Beurteilung der aufgeworfenen Streitfrage ist von der allgemeinen Tragweite von
Art. 8 BGFA
(E. 3-5) und dessen Auslegung in der bisherigen Rechtsprechung auszugehen (E. 6 und 7). Anschliessend sind die bisherige kantonale Praxis zur Zulassung von Anwaltsaktiengesellschaften (E. 8), die heutigen faktischen Verhältnisse (E. 9), die in der Lehre vertretenen Auffassungen (E. 10), die Rechtslage in den Nachbarländern (E. 11) und die gegenwärtigen
BGE 138 II 440 S. 443
gesetzgeberischen Bestrebungen (E. 12) darzustellen. Vor diesem Hintergrund ist darauf durch Auslegung zu ermitteln, ob
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
die Aktiengesellschaft als Rechtsform für Anwaltskanzleien ausschliesst (E. 13-22). Schliesslich ist das konkret gestellte Feststellungsbegehren zu beurteilen (E. 23).
3.
Wer als Anwalt in der ganzen Schweiz Parteien vor Gericht vertreten will, muss sich im Anwaltsregister des Kantons, in dem sich seine Geschäftsadresse befindet, eintragen lassen (
Art. 4 und 6 Abs. 1 BGFA
). Für eine solche Eintragung ist als fachlicher Ausweis ein Anwaltspatent erforderlich (
Art. 7 Abs. 1 BGFA
). Ausserdem wird ins kantonale Register nur eingetragen, wer bestimmte persönliche Voraussetzungen erfüllt (
Art. 8 BGFA
). Zu diesen zählt die Unabhängigkeit. Nach
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
müssen Anwältinnen und Anwälte in der Lage sein, den Anwaltsberuf unabhängig auszuüben; sie können Angestellte nur von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind.
Die Unabhängigkeit, die
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
verlangt, ist institutioneller Natur (indépendance institutionnelle). Die Anwaltstätigkeit muss organisatorisch so strukturiert sein, dass sie unabhängig erfolgen kann. Darüber hinaus haben die Anwälte nach
Art. 12 lit. b und c BGFA
auch in jedem einzelnen Fall für eine unabhängige und von Interessenkonflikten freie Berufsausübung zu sorgen (indépendance matérielle). Sie sind mithin nicht nur zu institutioneller, sondern auch zu mandatsbezogener Unabhängigkeit verpflichtet. Während die Erstere Eintragungs- und damit Zulassungsvoraussetzung für die Anwaltstätigkeit bildet, erscheint die Zweite als Berufsregel, deren Verletzung disziplinarisch zu ahnden ist (vgl. BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, N. 1328 f.; WALTER FELLMANN, Anwaltsrecht [im Folgenden: Anwaltsrecht], 2010, N. 110 ff.; KASPAR SCHILLER, Schweizerisches Anwaltsrecht, 2009, N. 1022 und 1059; STAEHELIN/OETIKER, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, Fellmann/Zindel [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 31 zu
Art. 8 BGFA
; MICHEL VALTICOS, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, Valticos/Reiser/Chappuis [Hrsg.], 2010, N. 74 f. zu
Art. 12 BGFA
).
Wenn das Gesetz die Unabhängigkeit der Anwaltstätigkeit angesichts ihrer grossen Bedeutung auf zwei verschiedenen Ebenen sicherstellt, ist die unterschiedliche Ausrichtung der beiden Arten der Unabhängigkeit im Blick zu behalten. Die Prüfung der institutionellen Seite bezweckt, jene Anwälte von der Berufsausübung auszuschliessen,
BGE 138 II 440 S. 444
bei denen die Unabhängigkeit von vornherein, aus strukturellen Gründen fehlt. Auch nach einem Eintrag ins Register bleibt jedoch jeder Anwalt verpflichtet, bei Übernahme jedes einzelnen Mandats allfällige Interessenkonflikte zu prüfen und das Unabhängigkeitsgebot gemäss
Art. 12 lit. b und c BGFA
zu beachten. Wie das Bundesgericht bereits erkannt hat, wirkt sich das auf den Beurteilungsmassstab aus, der an die institutionelle Unabhängigkeit zu stellen ist. Die Anforderungen dürfen hier nicht so hoch angesetzt werden, dass jegliche Beeinträchtigung der Unabhängigkeit schon von vornherein ausgeschlossen erscheint (
BGE 130 II 87
E. 5.2 S. 103 f.). Der Eintrag darf deshalb nur demjenigen verweigert werden, bei dem angesichts seines besonderen Status ohne umfangreiche Abklärungen mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das Fehlen der Unabhängigkeit geschlossen werden muss (Urteil 2A.126/2003 vom 13. April 2004 E. 4.3). Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, die verlangte institutionelle Unabhängigkeit sei eng auszulegen, ja sie zähle nicht zum rechtstaatlich zwingenden Kernbereich des Anwaltsrechts (SCHILLER, a.a.O., N. 1146).
4.
Die institutionelle Unabhängigkeit schränkt als Erfordernis des Registereintrags die Wirtschaftsfreiheit jener ein, die in der ganzen Schweiz als Anwalt im Monopolbereich tätig sein wollen.
Art. 27 Abs. 2 BV
gewährleistet ausdrücklich den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit. Dazu zählt auch die Anwaltstätigkeit im Monopolbereich (
BGE 130 II 87
E. 3 S. 92). Einschränkungen dieser Freiheit sind nur unter den in
Art. 36 BV
genannten Voraussetzungen zulässig.
In
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
findet das Erfordernis der institutionellen Unabhängigkeit eine genügende gesetzliche Grundlage. Nach
Art. 36 Abs. 2 und 3 BV
muss eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit auch durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein; sie muss sich überdies als verhältnismässig erweisen.
Art. 190 BV
verwehrt es dem Bundesgericht zwar,
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
aus verfassungsrechtlichen Gründen die Anwendung zu versagen. Doch hat es bei der Auslegung die verfassungsrechtliche Bedeutung der Norm mitzuberücksichtigen. Auch aus diesem Grund ist nach der Rechtsprechung darauf zu achten, dass die Anforderungen an die institutionelle Unabhängigkeit nicht überspannt werden. Die genannte Bestimmung ist so auszulegen, dass patentierten Anwälten die Parteivertretung vor Gericht nur insoweit verwehrt bleibt, als dies zur Verwirklichung der mit der
BGE 138 II 440 S. 445
Zulassungsbeschränkung verfolgten Zielsetzung notwendig ist (
BGE 130 II 87
E. 3 S. 92 f.).
5.
Der Sinn der Unabhängigkeit anwaltlicher Tätigkeit, die
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
in institutioneller Hinsicht gewährleistet, ist unter den Beteiligten unbestritten. Das Bundesgericht hat schon mehrfach dargelegt, die Unabhängigkeit bezwecke, dass der Anwalt sich ganz der Wahrung der Interessen seines Klienten widmen könne, ohne durch sachfremde Umstände beeinflusst zu sein. Er soll Gewähr dafür bieten, dass sämtliche Handlungen, die er in einer Angelegenheit vornimmt, ausschliesslich vom Interesse seines Mandanten geleitet sind. Wer sich an einen Anwalt wendet, soll gewiss sein, dass dieser in keiner Weise an einen Dritten gebunden ist, dessen Interessen den eigenen in irgendeiner Weise entgegenstehen könnten. Die Unabhängigkeit erscheint so als wesentliche Grundlage des Vertrauens in die Anwaltschaft (
BGE 130 II 87
E. 4.1 und 4.2 S. 93 ff. mit Hinweisen).
Die Pflicht zur Unabhängigkeit untersagt es dem Anwalt aus diesen Gründen, Bindungen einzugehen, die ihn bei der Wahrnehmung der Klienteninteressen beeinträchtigen. Der Anwalt darf sich deshalb nicht in wirtschaftliche oder sonstige Abhängigkeiten zu staatlichen Behörden, zu Drittpersonen, aber auch zu seinen Klienten begeben. Er soll vielmehr die Interessen seines Mandanten uneingeschränkt und aus objektiver Warte, ohne Rücksichtnahme auf persönliche und wirtschaftliche Bindungen, vertreten können (vgl.
BGE 130 II 87
E. 4.2 S. 95). Das Gebot zur Unabhängigkeit besteht insbesondere gegenüber Personen, die ihrerseits nicht in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind (Art. 10 Abs. 2 der Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbands vom 10. Juni 2005 [
http://www.sav-fsa.ch/Regelwerk-national.769.0.html
]; FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., N. 268 f.). Der Anwalt hat seine Unabhängigkeit nicht nur in geistiger Hinsicht ("independence in mind"), sondern auch bei seinem nach aussen sichtbaren Geschäftsgebaren ("independence in appearance") zu wahren (STAEHELIN/OETIKER, a.a.O., N. 33 zu
Art. 8 BGFA
).
Das Gebot anwaltlicher Unabhängigkeit ist zwar allgemein anerkannt; seine Tragweite in den nationalen Rechtsordnungen aber sehr unterschiedlich. So untersagen die Länder des romanischen Rechtskreises dem Anwalt zusätzliche Erwerbstätigkeiten ausserhalb seines Berufs weitgehend. In den Staaten mit angelsächsischer Tradition sind demgegenüber solche Nebentätigkeiten in weitgehendem Mass erlaubt,
BGE 138 II 440 S. 446
während das deutsche Recht in dieser Frage eine Mittelposition einnimmt (
BGE 123 I 193
E. 4a S. 195 f.; BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 1310 ff.).
6.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hatte sich bisher bei der Anwendung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
allein mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang Angestellte von Personen, die nicht im Anwaltsregister eingetragen sind, als unabhängig gelten. Nach dem Wortlaut dieser Norm schliesst jede Anstellung bei einem Nichtanwalt - abgesehen von dem in
Art. 8 Abs. 2 BGFA
geregelten Sonderfall der Anstellung bei anerkannten gemeinnützigen Organisationen - die Unabhängigkeit aus. Das Bundesgericht erkannte indessen, dass der Wortlaut zu weit gefasst ist und den Sinn der Bestimmung nicht richtig wiedergibt. Denn eine rein wörtliche Auslegung hätte zur Folge, dass auch eine bloss teilzeitliche Anstellung eine selbständige Anwaltstätigkeit ausschlösse. Ein solches Ergebnis ist indessen mit der Wirtschaftsfreiheit, die bei der Auslegung mitzuberücksichtigen ist (vgl. E. 4), nicht zu vereinbaren. Das Erfordernis institutioneller Unabhängigkeit untersagt nur Anstellungsverhältnisse, welche die Anwaltstätigkeit selber betreffen und bei denen der Arbeitgeber nicht im Anwaltsregister eingetragen ist. Hingegen steht die verlangte Unabhängigkeit einer Anwaltstätigkeit ausserhalb des Gebiets des Anstellungsverhältnisses nicht entgegen (
BGE 130 II 87
E. 5.2 S. 102 f.).
Gestützt auf diese Auslegung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
hat das Bundesgericht erklärt, einem vollzeitlich bei einem Industriebetrieb angestellten Anwalt, der in seiner Freizeit und mit ausdrücklicher Erlaubnis des Arbeitgebers private Mandate betreue, könne der Eintrag im kantonalen Anwaltsregister nicht verwehrt werden. Die Gefahr von Interessenkonflikten sei bei einer solchen Anstellung von vornherein viel kleiner als bei Tätigkeiten in Unternehmen, zu deren Aufgabenkreis die Beratung in Rechts- und Wirtschaftsfragen gehöre (Urteil 2A.111/2003 vom 29. Januar 2004 E. 7). Allerdings erachtete es den Eintrag im kantonalen Anwaltsregister auch bei einem vollzeitlich bei einer Versicherung angestellten Mitarbeiter als zulässig, der durch eine vertragliche Vereinbarung jede Vermischung zwischen arbeitsvertraglicher und anwaltlicher Tätigkeit ausgeschlossen hatte (Urteil 2A.124/2005 vom 25. Oktober 2005 E. 2). Umgekehrt sprach das Bundesgericht einem bei einem Medienunternehmen angestellten Anwalt, der Mandate des Arbeitgebers und dessen Mitarbeiter bzw. solche ihm nahestehender Gesellschaften übernehmen
BGE 138 II 440 S. 447
wollte, die erforderliche institutionelle Unabhängigkeit ab (Urteil 2A.285/2003 vom 7. April 2004 E. 2), ebenso einem Vizedirektor einer Bank und einem Verwaltungsrat einer Treuhandgesellschaft, da diese die erforderliche Entflechtung der Anwaltstätigkeit von ihrer Tätigkeit als Angestellte nicht hinreichend dargetan hatten (
BGE 130 II 87
E. 7 S. 107 f.; Urteil 2A.126/2003 vom 13. April 2004 E. 5.2).
Von den dargestellten Grundsätzen liess sich das Bundesgericht auch leiten, als es die Vereinbarkeit von Tätigkeiten für die öffentliche Hand mit der Anwaltstätigkeit mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz (
Art. 30 BV
) zu beurteilen hatte. Es erklärte es als unverhältnismässig, einer teilzeitlich an einem Aargauer Bezirksgericht angestellten Gerichtsschreiberin eine nebenamtliche Tätigkeit als Anwältin für das ganze Kantonsgebiet zu untersagen; eine Beschränkung der Anwaltstätigkeit auf Mandate ausserhalb der Zuständigkeit des fraglichen Bezirksgerichts sei ausreichend zur Wahrung der Unabhängigkeit (Urteil 2P.301/2005 vom 23. Juni 2006 E. 5, in: ZBl 107/2006 S. 586 ff., 589 ff.). Die Rechtsprechung hält überdies - mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit - eine Anwaltstätigkeit mit einem nebenamtlichen Richteramt grundsätzlich für vereinbar (
BGE 133 I 1
E. 6.4.1 und 6.4.2 S. 7; kritisch zu dieser Praxis jedoch KIENER/MEDICI, Anwälte und andere Richter, SJZ 107/2011 S. 373 ff.).
7.
Die dargestellte Rechtsprechung betraf stets Anstellungen von Anwälten bei Arbeitgebern, die nicht im Anwaltsregister eingetragen sind. Dagegen hatte sich das Bundesgericht bis heute nie näher mit der Unabhängigkeit von Anwälten zu befassen, die bei Anwaltsbüros angestellt sind. Die bisherigen Äusserungen lassen jedoch darauf schliessen, dass es solche Anstellungen für unproblematisch hält, da in diesem Fall der Arbeitgeber selber die notwendigen Garantien bietet (
BGE 130 II 87
E. 4.3.4 S. 99). Das Bundesgericht erklärte auch, dass der eingetragene Rechtsanwalt als Arbeitgeber im Gegensatz zu einer Treuhandfirma selber an die Standesregeln gebunden und damit ebenso der Disziplinargewalt unterworfen sei. Er dürfe deshalb nicht im Interesse eines anderen Klienten Einfluss auf seinen angestellten Kollegen ausüben, und bei Interessenkonflikten bestehe sowohl beim angestellten als auch bei dem als Arbeitgeber auftretenden Anwalt die Pflicht zur Mandatsniederlegung (Urteil 2P.187/2000 vom 8. Januar 2001 E. 4c, in: Pra 2001 Nr. 141 S. 835 ff., 843 f.).
8.
Im Zeitpunkt, als das Anwaltsgesetz erlassen wurde, war das Bedürfnis bereits absehbar, Anwaltskanzleien als
BGE 138 II 440 S. 448
Kapitalgesellschaften oder als andere Körperschaften zu organisieren. Der Bundesrat wollte die Entwicklung in diesem Bereich nicht blockieren und sah bewusst von einer Regelung ab (Botschaft vom 28. April 1999 zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte, BBl 1999 6013, 6038 Ziff. 172.17 Anm. 44). Auch die Eidgenössischen Räte verzichteten auf eine Regelung der Frage. Sie überwiesen indessen eine Motion von Ständerat Anton Cottier (99.3656), die den Bundesrat beauftragte, die verschiedenen Organisationsformen für den Zusammenschluss von Angehörigen der freien Berufe abzuklären und dem Parlament nötigenfalls eine geeignete rechtliche Grundlage zu unterbreiten. Die Bearbeitung der Motion wurde in der Folge jedoch zurückgestellt. Die in Aussicht genommene gesetzliche Regelung erfolgte bis heute nicht (vgl. E. 12).
Ungeachtet der ausgebliebenen gesetzlichen Regelung werden die kantonalen Aufsichtsbehörden seit 2006 mit Eintragungsgesuchen von Anwälten konfrontiert, die als Angestellte einer als Aktiengesellschaft oder GmbH organisierten Kanzlei tätig sein wollen. Nach einem ersten positiven Entscheid im Kanton Obwalden stellte die Zürcher Aufsichtskommission in einem viel beachteten Entscheid am 5. Oktober 2006 fest, dass auch in einer von Anwälten beherrschten Aktiengesellschaft die von ihr angestellten Anwälte über die erforderliche Unabhängigkeit gemäss
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
verfügten. Die Aufsichtskommission knüpfte an die dargestellte bundesgerichtliche Rechtsprechung zur institutionellen Unabhängigkeit (E. 6) an und erklärte, bei geeigneter Ausgestaltung der Aktiengesellschaft könne ausgeschlossen werden, dass nicht im Anwaltsregister eingetragene Personen auf die angestellten Anwälte Einfluss nähmen. Subordinationsverhältnisse, wie sie bei Anstellungen von Anwälten bei Treuhand- und Versicherungsgesellschaften oder bei Banken häufig bestünden, liessen sich von vornherein vermeiden (Beschluss der Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte vom 5. Oktober 2006, in: ZR 105/2006 Nr. 71 S. 294 ff., 299 f.).
Dieser Auffassung schlossen sich in den Jahren 2007 und 2008 die Aufsichtskommissionen der Kantone Aargau, Basel-Stadt, Bern, Graubünden, Luzern, Schwyz, Tessin, Uri, Waadt, Wallis und Zug an (vgl. die auf
http://www.bgfa.ch
unter Rechtsprechung/Kantone gesammelten Entscheide und die näheren Hinweise bei GAUDENZ G. ZINDEL, Anwaltsgesellschaften in der Schweiz, SJZ 108/2012 S. 249 ff., 253; FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., N. 1600 ff.). Im Kanton Genf lehnte
BGE 138 II 440 S. 449
die Aufsichtskommission die Eintragung aufgrund einer besonderen kantonalen Bestimmung zunächst ab; doch das Verwaltungsgericht hob diesen Entscheid auf und erlaubte die Eintragung gestützt auf das Bundesrecht (vgl. MEIER/REISER, in: Commentaire romand, Loi sur les avocats, 2010, N. 55 zu
Art. 8 BGFA
). Heute lassen damit 14 Kantone die Organisation von Anwaltskanzleien in der Form einer Kapitalgesellschaft zu (ZINDEL, a.a.O., S. 253). Allerdings gestatten nicht alle Kantone auch branchenübergreifende Gesellschaften, sog.
Multidisciplinary Partnerships
(vgl. MEIER/REISER, a.a.O., N. 57 zu
Art. 8 BGFA
).
Einzig im Kanton St. Gallen lehnte es die Anwaltskammer am 28. Juli 2010 ab, die erwähnte Praxis zu übernehmen und Anwälte, die bei einer Anwaltsaktiengesellschaft angestellt sind, im kantonalen Register einzutragen. Die Vorinstanz bestätigte diesen Entscheid, und das Bundesgericht hat nun erstmals über die Zulässigkeit von Anwaltskörperschaften zu befinden.
9.
In den erwähnten 14 Kantonen ist von der Möglichkeit, Anwaltskanzleien als Kapitalgesellschaften zu organisieren, in reichem Mass Gebrauch gemacht worden. Bereits Ende 2009 hatten sich nach einer Erhebung unter den Mitgliedern des Schweizerischen Anwaltsverbands 80 Kanzleien mit insgesamt 908 Mitgliedern als Anwaltskörperschaften organisiert. Dabei wählten nicht nur grosse, sondern auch mittlere und kleinere Anwaltsbüros körperschaftliche Rechtsformen. In den meisten Fällen konstituierten sich Anwaltskanzleien als Aktiengesellschaften; vereinzelt kommt aber auch die Gesellschaft mit beschränkter Haftung vor (vgl. BEAT VON RECHENBERG, Die Anwalts-Gesellschaft als Faktum, Anwaltsrevue 2010 S. 190 ff.; ZINDEL, a.a.O., S. 250).
Die Gründe für eine körperschaftliche Organisationsform sind vielfältig. Im Vordergrund stehen Erleichterungen beim Wechsel in der Partnerschaft und Vorteile bei der Professionalisierung der Kanzlei (namentlich Etablierung der Firma, Festigung des Goodwills, flexiblere Entscheidungsprozesse, Finanz- und Risikokontrolle nach den Standards des Körperschaftsrechts). Weiter ermöglichen die Kapitalgesellschaften eine Haftungsbeschränkung für die einzelnen Gesellschafter, die angesichts des erhöhten Schadenspotenzials in einzelnen Bereichen einem zunehmenden Bedürfnis entspricht. In diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, dass Schweizer Anwaltskanzleien der gleichen organisatorischen Möglichkeiten
BGE 138 II 440 S. 450
bedürfen, wie sie im Ausland bestehen, um sie im internationalen Umfeld konkurrenzfähig zu erhalten, ihnen ein sog.
level playing field
zu gewährleisten (ZINDEL, a.a.O., S. 251 ff.; vgl. auch BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2359; SCHILLER, a.a.O., N. 1247; VALTICOS, a.a.O., N. 123 zu
Art. 12 BGFA
).
10.
Von Seiten der Wissenschaft wird heute die Zulassung von Anwaltskörperschaften praktisch einhellig begrüsst. Sie betont, dass die Verfassung den Anwälten - gleich wie Angehörigen anderer Berufe - die Freiheit gewähre, ihre Tätigkeit ihren Bedürfnissen entsprechend zu organisieren. Ein Verbot körperschaftlicher Kanzleistrukturen sei nicht erforderlich, um die Unabhängigkeit und das Berufsgeheimnis zu gewährleisten. Es genüge, die Beherrschung der Gesellschaft durch registrierte Anwälte sicherzustellen. Eine solche Organisationsform sei nicht mit Nachteilen für die Klienten verbunden (vgl. namentlich BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2401; FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., N. 1593 ff.; NATER/RAUBER, Zulässigkeit der Anwalts-AG: Stunde der Wahrheit, SJZ 107/2011 S. 212 ff., 214 f.; SCHILLER, a.a.O., N. 1248 ff.; ZINDEL, a.a.O., S. 259).
Allerdings ist nicht zu übersehen, dass in der Lehre Anwaltskörperschaften lange Zeit als unvereinbar mit der Unabhängigkeit galten (vgl. etwa RETO SANWALD, Rechtsformen für freie Berufe - eine Auslegeordnung, in: Festschrift 100 Jahre Verband bernischer Notare, Ruf/Pfäffli [Hrsg.], 2003, S. 239 ff., 242). Ein Meinungsumschwung setzte erst vor etwas mehr als zehn Jahren ein, als Marktveränderungen - insbesondere die verstärkte internationale Vernetzung - die Anwaltskanzleien vermehrt zu einer Überprüfung und Anpassung ihrer Organisationsstrukturen zwangen (vgl. BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2359; PETER NOBEL, Rechtsformen der Zusammenarbeit von Anwälten: Organisationsfreiheit für Anwälte!, in: Schweizerisches Anwaltsrecht, Fellmann und andere [Hrsg.], 1998, S. 339 ff., 369 f.; MICHAEL PFEIFFER, Der Rechtsanwalt in der heutigen Gesellschaft, ZSR 115/1996 II S. 253 ff., 291 ff.; RETO VONZUN, Die Anwalts-Kapitalgesellschaft - Zulässigkeit und Erfordernisse, ZSR 120/2001 I S. 447 ff.). Inzwischen wird auch auf die mit Anwaltskörperschaften gemachten positiven Erfahrungen verwiesen und festgestellt, dass sich die früher geäusserten Befürchtungen nicht bewahrheitet hätten, ja den Aspekten der Unabhängigkeit und des Berufsgeheimnisses aufgrund der durch die Umstrukturierung bewirkten Sensibilisierung sogar verstärkt Beachtung geschenkt werde (ZINDEL, a.a.O., S. 260).
BGE 138 II 440 S. 451
11.
Zahlreiche Länder lassen für die Ausübung des Anwaltsberufs nicht nur Personen-, sondern auch Kapitalgesellschaften zu. So können sich Anwaltskanzleien in Deutschland, Österreich, Frankreich und weiteren europäischen Ländern, aber auch in den USA als Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder als Aktiengesellschaften konstituieren (vgl. BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2345 ff.; SANWALD, a.a.O., S. 273 und 282). Besonders vielfältige Rechtsformen für Anwaltskanzleien stellt das französische Recht zur Verfügung; sie können sich in vier verschiedenen Formen einer société d'exercice libéral (à responsabilité limitée, à forme anonyme, par actions simplifiées, en commandite par actions) organisieren (Art. 1 und 2 der Loi n
o
90-1258 du 31 décembre 1990 relative à l'exercice sous forme de sociétés des professions libérales soumises à un statut législatif ou réglementaire ou dont le titre est protégé et aux sociétés de participations financières de professions libérales).
Aufschlussreich ist die Entwicklung der Rechtslage in Deutschland, da sie gewisse Parallelen zu jener in der Schweiz aufweist (vgl. dazu VOLKER RÖMERMANN, Anwalts-AG - Ein Zwischenruf aus Deutschland, in: Jusletter vom 15. Januar 2007, Rz. 1 ff.). Der Gesetzgeber sah zunächst bewusst davon ab, eine Regelung über Anwaltsgesellschaften zu treffen. Nachdem das Bayerische Oberlandesgericht im Jahr 1994 einer Anwalts-GmbH eine Eintragung im Handelsregister ermöglicht hatte, wurde die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959 (BRAO) um die §§ 59c-m ergänzt. Danach können Rechtsanwaltsgesellschaften als GmbH zugelassen werden (§ 59c Abs. 1 BRAO). Der Gesetzgeber hielt fest, er beschränke sich auf die Regelung der Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung. Im Jahr 2000 liess das Bayerische Oberlandesgericht auch die Aktiengesellschaft als Rechtsform für Anwaltskanzleien zu. Der Bundesgerichtshof in Zivilsachen erklärte in seinem Beschluss vom 10. Januar 2005 ebenfalls, aus dem Verzicht des Gesetzgebers, den Anwaltskanzleien die Aktiengesellschaft als Rechtsform zur Verfügung zu stellen, könne ein gesetzliches Verbot dieser Gesellschaftsform nicht hergeleitet werden (in: Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen [BGHZ] 161 [2005] S. 376 ff.). Denn für die Beurteilung, ob eine Aktiengesellschaft anwaltlich tätig sein dürfe, sei es nicht ausschlaggebend, ob es gesetzliche Bestimmungen gebe, die diese Tätigkeit zuliessen. Vielmehr sei umgekehrt zu prüfen, ob es rechtliche Regelungen gebe, die eine entsprechende Berufsausübung verböten, und ob solche Regelungen, falls sie bestünden, mit dem Grundrecht auf freie
BGE 138 II 440 S. 452
Berufsausübung gemäss Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar seien (S. 382 f.).
12.
Auf Bundesebene stimmte das Parlament im Jahr 2011 der vom Bundesrat beantragten Abschreibung der in E. 8 erwähnten Motion von Anton Cottier zu. Der Bundesrat erklärte, aus heutiger Sicht bestehe kein Handlungsbedarf mehr, da die Praxis Wege gefunden habe, das Anliegen der Motion umzusetzen. Die kantonalen Aufsichtsbehörden würden unter bestimmten standesrechtlichen (recte: berufsrechtlichen) Voraussetzungen die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als Organisationsformen für Anwaltskanzleien zulassen (Bericht vom 4. März 2011 über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2010, Auszug: Kapitel I, BBl 2011 2641, 2656). Dieser Beurteilung wird von Anwaltsseite zugestimmt (vgl. BEAT VON RECHENBERG, Anwaltskörperschaft - Wohin führt der Weg?, Anwaltsrevue 2010 S. 425 f.). Allerdings wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass eine gesetzgeberische Regelung auf Bundesebene zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beitrüge und deshalb weiterhin wünschenswert erscheine (BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2356; MEIER/REISER, a.a.O., N. 56 und 58 zu
Art. 8 BGFA
; SCHILLER, a.a.O., N. 1425; ZINDEL, a.a.O., S. 259).
In der Zwischenzeit hat der Schweizerische Anwaltsverband Vorarbeiten unternommen, um das Anwaltsrecht auf gesamtschweizerischer Ebene vollständig zu vereinheitlichen. Er hat einen Entwurf für ein Schweizerisches Anwaltsgesetz ausgearbeitet und im Februar 2012 der Bundesverwaltung eingereicht (vgl. ERNST STAEHELIN, Der Entwurf zum neuen Schweizerischen Anwaltsgesetz, Anwaltsrevue 2012 S. 68 ff.). Dieser sieht in Art. 38-42 auch eine ausdrückliche Regelung für Anwaltsgesellschaften vor. Danach könnten sich Anwaltskanzleien in allen im schweizerischen Recht zulässigen Rechtsformen und damit insbesondere auch in einer AG oder GmbH organisieren. Dabei wären bestimmte Voraussetzungen zu beachten, die sich an der bisherigen Praxis der kantonalen Aufsichtsbehörden orientieren. Neu sieht der Entwurf eine Meldepflicht für Anwaltsgesellschaften mit ausschliesslich registrierten Gesellschaftern bzw. eine Genehmigungspflicht für Gesellschaften mit registrierten und nicht registrierten Gesellschaftern vor (vgl. näher zum Entwurf ZINDEL, a.a.O., S. 256 ff.). Zudem ist eine Motion von Nationalrat Karl Vogler zum Erlass eines umfassenden Anwaltsgesetzes hängig (12.3372). Der Bundesrat beantragt die Annahme der Motion.
BGE 138 II 440 S. 453
13.
Die dargestellte Ausgangslage ist bei der Beurteilung der Frage, ob
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
eine Anstellung von Anwälten bei einer Anwaltsaktiengesellschaft von vornherein ausschliesse, in verschiedener Hinsicht mitzuberücksichtigen. Das Bundesgericht hat sich jedoch bei seinem Entscheid auf die Auslegung und Anwendung der erwähnten geltenden Bestimmung zu beschränken und nicht rechtspolitisch tätig zu werden. Es hat sich insbesondere an die in seiner Rechtsprechung aufgestellten Auslegungsgrundsätze zu halten.
Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet danach der Wortlaut der massgeblichen Norm. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden, wobei alle Auslegungselemente zu berücksichtigen sind (Methodenpluralismus). Dabei kommt es namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zugrunde liegenden Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht unmittelbar entscheidend, dient aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt ihr eine besondere Bedeutung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine andere Lösung weniger nahelegen. Vom Wortlaut darf abgewichen werden, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Regelung wiedergibt. Sind mehrere Auslegungen möglich, ist jene zu wählen, die der Verfassung am besten entspricht. Allerdings findet auch eine verfassungskonforme Auslegung ihre Grenzen im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung (
BGE 137 III 217
E. 2.4.1 S. 221 f.;
BGE 131 II 697
E. 4.1 S. 702 f.).
14.
Nach dem
Wortlaut
von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
können die Anwälte, die sich im kantonalen Register eintragen lassen wollen, Angestellte nur von Personen sein, die ihrerseits in einem kantonalen Register eingetragen sind. Da Körperschaften nicht eintragungsfähig sind, schliesst die Vorinstanz, könnten auch die bei ihnen angestellten Anwälte nicht ins Register eingetragen werden.
Der Wortlaut der Norm ist jedoch nur vordergründig klar. Wie das Bundesgericht bereits früher erkannt hat, kommen der Rechtssinn der Norm und namentlich auch der Wille des Gesetzgebers im Wortlaut nur unklar zum Ausdruck (
BGE 130 II 87
E. 5.1 und 5.2 S. 99 ff.). So schliessen nicht alle Anstellungen bei nicht registrierten Personen von vornherein eine Eintragung als Anwalt aus (vgl. E. 6). Vielmehr begründet der zweite Teilsatz von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
eine
BGE 138 II 440 S. 454
widerlegbare Vermutung fehlender Unabhängigkeit bei (nicht von Anwälten) angestellten Anwälten (
BGE 130 II 87
E. 5.1.1 S. 100). Noch nicht zu prüfen hatte das Bundesgericht bislang, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Vermutung fehlender Unabhängigkeit bei körperschaftlich organisierten Anwaltskanzleien widerlegt werden kann (vgl. E. 7).
Mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, mit der sich die Vorinstanz nicht näher auseinandersetzt, kommt dem Wortlaut für die aufgeworfene Auslegungsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
15.
Der angefochtene Entscheid misst bei der Auslegung der erwähnten Norm der
Entstehungsgeschichte
ein besonderes Gewicht zu. Das entspricht der erwähnten Rechtsprechung, welche bei jüngeren Gesetzen verstärkt auf die Materialien abstellt (E. 13).
Wie bereits ausgeführt wollte der Bundesrat bei Erlass des Anwaltsgesetzes auf eine Regelung der zulässigen Organisationsformen von Anwaltskanzleien verzichten (E. 8 am Anfang). Der Ständerat folgte dagegen in seiner ersten Beratung einem Antrag der vorberatenden Kommission und nahm in Art. 11 lit. b E-BGFA (=
Art. 12 lit. b BGFA
) den Zusatz auf, dass Anwälte in der rechtlichen Organisation ihrer Kanzleien frei seien (vgl. AB 1999 S 1170 ff.). Bei der Beratung im Nationalrat beantragte die Mehrheit der vorberatenden Kommission, diesen Zusatz wieder zu streichen; eine Minderheit wollte die ständerätliche Fassung in modifizierter Weise übernehmen (vgl. AB 2000 N 41). Der Nationalrat folgte unter Verweis auf die bereits erwähnte Motion Cottier (E. 8) dem Antrag der Kommissionsmehrheit. Der Regelungsbedarf war zwar unbestritten, doch war die Mehrheit der Auffassung, mit dem Erlass einer Norm solle zugewartet werden, bis in Erfüllung der Motion Cottier die Anschlussfragen genügend abgeklärt seien. Die Voten im Nationalrat zeugen davon, dass man die Frage vorerst offenlassen wollte (vgl. AB 2000 N 42 ff.). Der Ständerat schloss sich dem Nationalrat an und verwies darauf, dass damit die geltende Rechtslage weitergeführt werde (vgl. AB 2000 S 239).
Dabei fällt auf, dass der Ständerat die Organisationsfreiheit der Anwälte losgelöst von der Formulierung des heutigen
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
(= Art. 7 lit. e E-BGFA) diskutierte. So sprach sich der Ständerat in erster Beratung
gleichzeitig
für die Organisationsfreiheit der Anwälte (Art. 11 lit. b E-BGFA) und eine weit strenger gefasste Fassung der institutionellen Unabhängigkeit aus, als sie heute gilt (vgl.
BGE 138 II 440 S. 455
AB 1999 S 1164 ff.). Gemäss ständerätlichem Beschluss hätte Unabhängigkeit nur vorgelegen, "wenn keine Bindungen bestehen, welche die Anwältin und den Anwalt bei der Berufsausübung irgendwelchem Einfluss von Dritten, die nicht in einem kantonalen Register eingetragen sind, aussetzen" (AB 1999 S 1164). Der Nationalrat sprach sich für eine enger gefasste Umschreibung der institutionellen Unabhängigkeit aus und fügte das Kriterium "Anstellung" ein, welches letztlich auch vom Ständerat übernommen wurde (vgl. AB 2000 N 38 ff.; AB 2000 S 234 ff.). Unvereinbar mit dem Unabhängigkeitsgebot sollte - in Fortführung des Status quo - nur eine eigentliche Anstellung bei einem Nichtanwalt sein; Nebenbeschäftigungen eines Anwalts sollten dagegen weiterhin möglich sein, soweit sie seine Berufsausübung nicht beeinflussen (vgl. insb. die Voten von Nationalrat Erwin Jutzet, AB 2000 N 38, und Ständerat Rolf Schweiger, AB 2000 S 235).
Daraus ergibt sich, dass die institutionelle Unabhängigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers darauf abzielt, Anstellungsverhältnisse bei nicht registrierten Personen auszuschliessen,
soweit
damit die Gefahr einer Beeinflussung durch Dritte bei der anwaltlichen Berufsausübung einhergeht (vgl.
BGE 130 II 87
E. 5.2 S. 103). Der Gesetzgeber beabsichtigte jedoch nicht, mit
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
Anwaltskörperschaften auszuschliessen, sondern er fasste lediglich ins Auge, den Fragenkreis allenfalls in einem späteren Zeitpunkt näher zu regeln (ebenso BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2343; FELLMANN, Anwaltsrecht, a.a.O., N. 1593; MEIER/REISER, a.a.O., N. 56 zu
Art. 8 BGFA
; STAEHELIN/OETIKER, a.a.O., N. 55c zu
Art. 8 BGFA
; VONZUN, a.a.O., S. 459 f.).
16.
Die Vorinstanz begründet ein Verbot von Anwaltskörperschaften nach dem geltenden Recht auch mit allgemeinen Erwägungen. Nach ihrer Auffassung würde die mit dem Anwaltsgesetz beabsichtigte - teilweise - Vereinheitlichung des Anwaltsrechts wieder rückgängig gemacht, wenn die Bestimmung der zulässigen Organisationsformen für Anwaltskanzleien der kantonalen Praxis überlassen würde. Ausserdem bedinge die Zulassung von Anwaltskörperschaften die gleichzeitige Festlegung der Voraussetzungen, die dabei einzuhalten seien. Trotz des Versäumnisses des Gesetzgebers, die Motion Cottier zu erfüllen und eine Regelung zu erlassen, komme ein richterliches Eingreifen - gewissermassen als Ersatzgesetzgeber - nicht in Betracht. Eine richterliche Gesetzeskorrektur bzw. das Füllen sog. unechter Lücken sei nicht zulässig.
BGE 138 II 440 S. 456
Diese Argumentation geht von der Vorstellung aus, dass der Gesetzgeber alle wesentlichen Belange der Anwaltstätigkeit regeln sollte und neue Organisationsformen erst zulässig sind, wenn entsprechende gesetzliche Bestimmungen vorliegen. Damit wird jedoch übersehen, dass die Ausübung und Organisation der Anwaltstätigkeit den Schutz der Wirtschaftsfreiheit geniesst und sie deshalb grundsätzlich erlaubt ist, soweit sie nicht durch eine gesetzliche Regelung eingeschränkt wird, die den Anforderungen von
Art. 36 BV
genügt (SCHILLER, a.a.O., N. 1222; vgl. auch E. 4). Die Wirtschaftsfreiheit erstreckt sich auch auf die Befugnis, darüber zu entscheiden, in welcher Rechtsform die Anwaltstätigkeit ausgeübt wird (
BGE 131 I 223
E. 1.1 S. 226). Die Beschwerdeführer machen deshalb zu Recht geltend, dass nicht danach zu fragen ist, ob es gesetzliche Bestimmungen gibt, welche die Anwaltskörperschaft zulassen, sondern umgekehrt zu prüfen ist, ob Normen bestehen, die eine solche Rechtsform verbieten (vgl. ZINDEL, a.a.O., S. 254, sowie das in E. 11 zitierte Urteil des deutschen Bundesgerichtshofs).
Die Zulässigkeit von Anwaltskörperschaften hängt demnach allein davon ab, ob
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
eine solche Organisationsform untersagt; sie setzt indessen entgegen der vorinstanzlichen Auffassung nicht voraus, dass der Bundesgesetzgeber sie ausdrücklich gestattet. Mit der Garantie der Wirtschaftsfreiheit (
Art. 27 BV
) und der Pflicht zu institutioneller Unabhängigkeit (
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
) umschreibt das Bundesrecht den Rahmen zur Organisation der Anwaltstätigkeit für die ganze Schweiz einheitlich. Soweit erforderlich obliegt es dem Bundesgericht, die Tragweite von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
für die körperschaftliche Organisationsform von Anwaltskanzleien zu klären. Die Gefahr einer Rechtszersplitterung erscheint damit nicht grösser als in anderen bundesrechtlich geregelten Gebieten, die durch die Kantone vollzogen werden.
17.
Nach dem Ausgeführten kommt bei der Auslegung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
weder dem Wortlaut noch der Entstehungsgeschichte ein ausschlaggebendes Gewicht zu. Ebenso wenig führen die erwähnten allgemeinen Erwägungen der Vorinstanz zu einem eindeutigen Ergebnis. Abzustellen ist unter diesen Umständen auf den
Sinn und Zweck
der Norm. Dabei ist auch ihre verfassungsrechtliche Tragweite mitzuberücksichtigen (vgl. E. 4).
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
bezweckt, die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sicherzustellen. Die Norm will diejenigen
BGE 138 II 440 S. 457
Beeinflussungen ausschliessen, die sich aus einer Anstellung ergeben (vgl. E. 5 und 15). Der Gesetzgeber erachtet allerdings nicht alle Anstellungsverhältnisse als unvereinbar mit der Unabhängigkeit. Das zeigt
Art. 8 Abs. 2 BGFA
, der Anstellungen bei anerkannten gemeinnützigen Organisationen erlaubt, aber auch
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
selber, der Anstellungen bei Personen zulässt, die ihrerseits in einem kantonalen Anwaltsregister eingetragen sind. Diese letzte Ausnahme entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach Anstellungen von Anwälten bei anderen Anwälten dem Erfordernis der Unabhängigkeit nicht entgegenstehen (vgl. E. 7). Das Bundesgericht legt
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
überdies im Lichte des Gesetzeszwecks einschränkend aus; Anstellungen, welche die Anwaltstätigkeit nicht berühren und die Unabhängigkeit nicht gefährden, werden von der Bestimmung nicht erfasst (vgl. E. 6).
Der Kreis der Personen, bei denen eine Anstellung nach
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
zulässig erscheint, ist ebenfalls mit Blick auf den Gesetzeszweck zu bestimmen. Wie erwähnt gefährdet eine Anstellung bei registrierten Anwälten die Unabhängigkeit nicht. Nicht anders ist es indessen, wenn die Anstellung nicht bei den registrierten Anwälten selber, sondern bei einer körperschaftlich organisierten Anwaltskanzlei erfolgt, die vollständig von diesen Anwälten beherrscht wird. Das formale Argument, dass juristische Personen selber nicht im Anwaltsregister eingetragen werden können, erscheint mit Blick auf die Unabhängigkeit ohne Bedeutung. Die Wirkung der Anstellung ist unter diesem Gesichtspunkt dieselbe, wie wenn sie direkt bei einem registrierten Anwalt erfolgt (vgl. SCHILLER, a.a.O., N. 1257 f.; STAEHELIN/OETIKER, a.a.O., N. 37 zu
Art. 8 BGFA
). Ob die Unabhängigkeit gegeben ist, hängt nicht von der Rechtsform einer Anwaltskanzlei, sondern von deren konkreter Organisationsstruktur ab. Ist diese so ausgestaltet, dass lediglich registrierte Anwälte auf die Anstellung Einfluss nehmen können, ist die erforderliche Unabhängigkeit gewahrt. Diese Voraussetzung kann auch bei Körperschaften erfüllt werden. Der Zweck von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
erfordert demnach nicht, körperschaftliche Rechtsformen von Anwaltskanzleien generell zu untersagen.
18.
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
eine weiterreichende Bedeutung zu geben, verbietet sich auch aus
verfassungsrechtlichen Gründen
. Da die Wahl der Rechtsform für die Anwaltstätigkeit den Schutz der Wirtschaftsfreiheit geniesst, darf sie nur in dem Umfang eingeschränkt werden, als es zur Wahrung öffentlicher Interessen erforderlich ist.
BGE 138 II 440 S. 458
Von keiner Seite - auch nicht von der Vorinstanz - wird indessen geltend gemacht, dass zur Wahrung der institutionellen Unabhängigkeit Anwaltskörperschaften generell untersagt werden müssten. Auch bei der Beratung von
Art. 8 BGFA
in den Eidgenössischen Räten vertrat niemand diesen Standpunkt. Die breite Zulassung körperschaftlicher Rechtsformen im Ausland (vgl. E. 11) und die bisher in der Schweiz gemachten Erfahrungen mit Anwaltskörperschaften (vgl. E. 10) belegen, dass keine Notwendigkeit besteht, solche Rechtsformen im Interesse der Unabhängigkeit generell zu verbieten. Wenn die Vorinstanz erklärt, eine Zulassung von Anwaltskörperschaften komme erst in Betracht, wenn der Bundesgesetzgeber die dabei zu beachtenden Rahmenbedingungen näher umschrieben habe, verkennt sie, dass die Wirtschaftsfreiheit die Wahl der Rechtsform anwaltlicher Tätigkeit schützt und diese nur eingeschränkt ist, soweit dafür eine gesetzliche Grundlage besteht. Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit, die Anforderungen an die Anwaltskörperschaften detaillierter festzulegen als in
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
. Solange eine solche nähere Regelung fehlt, findet die Wirtschaftsfreiheit ihre Grenzen allein in der zuletzt genannten Norm (vgl. E. 16).
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
schliesst demnach Anwaltskörperschaften nicht von vornherein aus. Diese sind jedoch nur in dem Umfang zulässig, als die Unabhängigkeit der angestellten Anwälte in gleicher Weise sichergestellt ist, wie dies bei einer Anstellung durch registrierte Anwälte selber der Fall ist.
19.
Nach Auffassung der Vorinstanz ist eine Zulassung von Anwaltskörperschaften allerdings neben der Unabhängigkeit auch mit weiteren Berufspflichten des Anwalts nicht zu vereinbaren. Dieser Umstand müsse bei der Auslegung von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
mitberücksichtigt werden.
Zunächst bezieht sich die Vorinstanz auf
Art. 12 lit. b BGFA
. Danach übt der Anwalt seinen Beruf
in eigenem Namen
aus. Daraus den Schluss zu ziehen, dass damit ein direktes Mandat zwischen dem Anwalt und dem Klienten vorausgesetzt werde, wie dies die Vorinstanz annimmt, geht zu weit.
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
lässt ausdrücklich zu, dass Anwälte in einem Anstellungsverhältnis bei anderen registrierten Anwälten tätig sind. In diesem Fall besteht zwischen dem angestellten Anwalt und dem Klienten kein Auftragsverhältnis; das Mandat wird vielmehr mit dem Anwalt, der Arbeitgeber des angestellten Anwalts ist, abgeschlossen. Gleich verhält es sich bei
BGE 138 II 440 S. 459
Mandaten, die mit Anwaltskanzleien abgeschlossen werden, die als Kollektivgesellschaften organisiert sind. Die Aufsichtsbehörden haben soweit ersichtlich in einem solchen Vorgehen nie einen Verstoss gegen
Art. 12 lit. b BGFA
gesehen.
Die genannte Norm bezieht sich offensichtlich nicht auf das Auftragsverhältnis mit dem Klienten, sondern allein auf die berufsrechtliche Stellung des Anwalts, der das Mandat ausführt. Er handelt insofern in eigenem Namen, als er das Mandat unter eigener fachlicher Verantwortung erfüllt und dabei selber die spezifisch anwaltsrechtlichen Berufsregeln einzuhalten hat, auch wenn er angestellt ist. Er tritt auch allein vor Gericht auf und untersteht selber der disziplinarischen Aufsicht.
Art. 12 lit. b BGFA
steht Mandaten mit Anwaltskörperschaften nicht entgegen (ebenso BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2408; FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz [im Folgenden: Kommentar], 2. Aufl. 2011, N. 62 zu
Art. 12 BGFA
; SCHILLER, a.a.O., N. 1261 ff.; VALTICOS, a.a.O., N. 125 ff. zu
Art. 12 BGFA
; VONZUN, a.a.O., S. 468 f.).
20.
Aus den gleichen Gründen schliesst
Art. 12 lit. b BGFA
eine körperschaftliche Organisation von Anwaltskanzleien auch nicht aus, soweit er eine Berufsausübung
auf eigene Verantwortung
verlangt. Diese Vorschrift bezieht sich ebenfalls allein auf die fachliche Verantwortung für die Einhaltung der Berufsregeln; dagegen verlangt sie nicht eine persönliche Haftung des Anwalts auf der zivilrechtlichen Ebene (vgl. BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2413; FELLMANN, Kommentar, a.a.O., N. 63 zu
Art. 12 BGFA
; SCHILLER, a.a.O., N. 1276). Andernfalls ergäbe sich der bereits erwähnte Widerspruch zu
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
, der eine Anstellung eines Anwalts bei einem anderen Anwalt zulässt, obwohl der Erstere gegenüber dem Klienten zivilrechtlich nicht persönlich haftet. Eine persönliche Haftung der Anwälte vermöchte im Übrigen auch den Klienten im Allgemeinen keinen besseren Schutz zu gewähren, als er bei Einschaltung einer Körperschaft besteht. Denn die Zahlungsfähigkeit hängt nicht von der gewählten Rechtsform, sondern von den vorhandenen Mitteln ab (BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2414, die darauf hinweisen, dass die Vermögenssituation von Aktiengesellschaften für Aussenstehende transparenter ist als bei Einzelpersonen und zudem Schutzvorschriften bei Überschuldung bestehen).
Die Vorinstanz erwägt diese Gesichtspunkte zwar auch. Sie gelangt aber zu einem anderen Schluss, weil sie befürchtet, dass der Ausschluss der persönlichen Haftung das Verantwortungsbewusstsein
BGE 138 II 440 S. 460
der Anwälte und damit das Vertrauen in die Anwaltschaft generell schmälern könnte. So sporne die Gefahr, persönlich haften zu müssen und allenfalls sogar wegen der Ausstellung von Verlustscheinen den Beruf nicht mehr ausüben zu können (vgl.
Art. 8 Abs. 1 lit. c BGFA
), zur Sorgfalt bei der Berufsausübung an. Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen. Wie die Vorinstanz selbst einräumt, zeigt die berufsrechtliche Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung (
Art. 12 lit. f BGFA
), dass dem Gesetzgeber die Sicherstellung eines ausreichenden Haftungssubstrats und weniger die unbeschränkte persönliche Haftung des Anwalts wichtig war (SCHILLER, a.a.O., N. 1276; ZINDEL, a.a.O., S. 253). So reduziert sich mit dem Abschluss einer Haftpflichtversicherung das Risiko eines Konkurses (und damit von Verlustscheinen) erheblich.
Die vorinstanzliche Argumentation blendet weiter aus, dass angestellte Anwälte bei Fehlern der Körperschaft gegenüber haftbar werden können und auch für sie das Risiko besteht, wegen Verlustscheinen die Berufsausübungsbewilligung zu verlieren. Darüber hinaus haben die Angestellten und namentlich die Gesellschafter einer Anwaltskörperschaft ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, dass die Gesellschaft ertragreich arbeitet und ein Konkurs, nicht zuletzt aufgrund des damit einhergehenden Reputationsschadens, unter allen Umständen vermieden wird.
Dies zeigt, dass die mit der Wahl der Körperschaftsform zweifellos angestrebte Haftungsbegrenzung das Verantwortungsbewusstsein jedenfalls nicht in einem Mass einschränkt, dass dadurch das Vertrauen in die Anwaltschaft ernsthaft Schaden nehmen könnte.
21.
Schliesslich sieht die Vorinstanz in
Art. 13 BGFA
, der die Anwälte zur Wahrung des
Berufsgeheimnisses
verpflichtet, ein Hindernis für die Zulassung von Anwaltskörperschaften. Sie verweist darauf, dass die bei einzelnen Körperschaften vorgeschriebene Revisionsstelle kein Hilfsorgan im Sinne von
Art. 13 Abs. 2 BGFA
darstelle und daher nicht zur Wahrung des Anwaltsgeheimnisses verpflichtet werden könne. Allerdings räumt sie ein, dass das Berufsgeheimnis durch die gegenüber Steuerbehörden übliche Anonymisierung auch gegenüber Revisoren gewahrt werden könne; doch gelte dies nicht mehr bei einer aktienrechtlichen Sonderprüfung.
Die Lehre erachtet demgegenüber das Berufsgeheimnis auch in Anwaltskörperschaften als gewahrt, da Revisoren und Sonderprüfer selber einer Geheimhaltungspflicht unterstünden (vgl. für die
BGE 138 II 440 S. 461
Aktiengesellschaft
Art. 697d Abs. 4,
Art. 697e Abs. 1 und
Art. 730b Abs. 2 OR
in Verbindung mit
Art. 321 StGB
), die mindestens gleichwertig sei wie das anwaltliche Berufsgeheimnis (BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 2409 f.; FELLMANN, Anwaltsrecht, N. 1636; NATER/ZINDEL, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 39 f. zu
Art. 13 BGFA
; VONZUN, a.a.O., S. 467 f.; gleicher Meinung, aber mit teilweise anderer Begründung SCHILLER, a.a.O., N. 1348 ff.). Die Beschwerdeführer machen ausserdem geltend, dass nach
Art. 727a Abs. 2 OR
bei kleinen Aktiengesellschaften auf eine Revisionsstelle verzichtet werden könne. Da viele Anwaltsgesellschaften von dieser Möglichkeit Gebrauch machen könnten, ergäben sich bei ihnen von vornherein keine Konflikte mit dem Berufsgeheimnis.
Es erübrigt sich, zu den von der Vorinstanz aufgeworfenen Fragen abschliessend Stellung zu nehmen. Ausschlaggebend ist, dass
Art. 13 BGFA
gegenüber den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen über die Revision und Sonderprüfung nicht den Vorrang beanspruchen kann. Zwar wird das Berufsgeheimnis des Anwalts in der Rechtsordnung besonders geschützt, weil es für die anwaltliche Berufsausübung und damit für eine ordnungsgemässe Rechtspflege unerlässlich ist (Urteil 2P.187/2000 vom 8. Januar 2001 E. 4c, in: Pra 2001 Nr. 141 S. 835 ff., 843). Doch gilt es nicht absolut, sondern ist in die Rechtsordnung eingebunden und wird durch sie ausgestaltet. Bereits aus
Art. 13 Abs. 2 BGFA
geht hervor, dass eine absolute Wahrung des Berufsgeheimnisses aus praktischen Gründen nicht möglich und daher auch nicht vorgeschrieben ist (VONZUN, a.a.O., S. 467). Aus diesem Grund kann aus dem Umstand, dass das Berufsgeheimnis bei einer körperschaftlichen Organisation einer Anwaltskanzlei allenfalls gewisse Relativierungen erfährt, nicht auf die Unzulässigkeit von Anwaltskörperschaften geschlossen werden.
Offenbleiben kann, ob die Revisoren und Sonderprüfer nicht insoweit zu den Hilfspersonen (der registrierten Anwälte) zu zählen sind, als die Bekanntgabe von vertraulichen Informationen an sie aus (kanzlei-)organisatorischen Gründen notwendig ist (vgl. SAVERIO LEMBO, L'exercice de la profession en société de capitaux, in: Défis de l'avocat au XXI
e
siècle, Jeanneret/Hari [Hrsg.], 2008, S. 365 ff., 382). Unabhängig davon kann jedenfalls angesichts der erwähnten strengen Geheimhaltungspflichten von Revisoren und Sonderprüfern keine Rede davon sein, dass der zur anwaltlichen Berufsausübung notwendige Vertraulichkeitsschutz durch die Wahl einer körperschaftlichen
BGE 138 II 440 S. 462
Rechtsform ernsthaft gefährdet würde. Zudem weisen die Beschwerdeführer zu Recht darauf hin, dass vergleichbare Relativierungen auch bei anderen Tätigkeiten möglich sind, die Berufs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren haben und die häufig als Körperschaften organisiert sind (Spitäler, Krankenversicherungen, Revisionsgesellschaften und Banken).
22.
Die von der Vorinstanz genannten Berufspflichten lassen demnach Anwaltskörperschaften ebenfalls nicht von vornherein als unzulässig erscheinen. Der angefochtene Entscheid erweist sich damit als bundesrechtswidrig und ist aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis verlieren die Beschwerdeführer ihre Eintragungsfähigkeit im kantonalen Anwaltsregister nicht bereits dadurch, dass sie ihre Anwaltskanzlei in eine Aktiengesellschaft umwandeln. Dasselbe würde auch bei Wahl einer anderen Rechtsform gelten, solange die Unabhängigkeit der angestellten Anwälte in gleicher Weise sichergestellt ist, wie dies bei einer Anstellung durch registrierte Anwälte selber der Fall ist (vgl. E. 18).
23.
Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, dass ihre Unabhängigkeit bei der vorgesehenen Umwandlung ihrer Kanzlei in eine Aktiengesellschaft genügend sichergestellt ist. Sie beantragen deshalb neben der Aufhebung des angefochtenen Entscheids auch die Feststellung, dass sie nach der Umstrukturierung ihrer Kanzlei in eine Aktiengesellschaft im Anwaltsregister des Kantons St. Gallen eingetragen bleiben können.
Da der Sachverhalt aus den eingereichten Dokumenten über die neue Organisationsstruktur (Statuten, Organisationsreglement, Aktionärbindungsvertrag und Arbeitsverträge mit Gesellschaftern und mitarbeitenden Rechtsanwälten) eindeutig hervorgeht, rechtfertigt es sich, dass das Bundesgericht die erforderlichen Feststellungen selber trifft und auch das erwähnte Begehren beurteilt (
Art. 105 Abs. 2 und
Art. 107 Abs. 2 BGG
).
Die Leitung der Anwalts-AG, in welche die Beschwerdeführer ihre Kanzlei überführen wollen, liegt ganz in den Händen von registrierten Anwälten. Das ist bereits im Zweck der Gesellschaft angelegt ("Erbringen von Rechtsdienstleistungen im In- und Ausland durch in der Schweiz registrierte Anwältinnen und Anwälte") und wird durch die Statuten und einen Aktionärbindungsvertrag abgesichert. Mit Letzterem schliessen sich die Aktionäre zu einer einfachen Gesellschaft zusammen, über welche die Aktionäre/Gesellschafter
BGE 138 II 440 S. 463
sämtliche Aktien gesamthänderisch halten. Alle Gesellschafter müssen in der Schweiz registrierte Anwälte sein. Bei Austritt eines Gesellschafters (insb. infolge Verlustes des Registereintrags, Kündigung, Todes oder der übrigen in
Art. 545 OR
genannten Gründe) führen die Verbleibenden die Gesellschaft weiter. Statutarisch sind die Aktien vinkuliert und der Verwaltungsrat muss die Übertragung (wie auch die Bestellung einer Nutzniessung) verweigern, wenn der Erwerber kein in der Schweiz registrierter Anwalt ist. In der Generalversammlung ist eine Vertretung nur durch andere Aktionäre zulässig. Der Verwaltungsrat setzt sich aus Aktionären zusammen. Die Geschäftsführung kann delegiert werden, wobei auch die Delegierten Aktionäre der Anwalts-AG sein müssen.
Die genannten vertraglichen und statutarischen Massnahmen gewährleisten, dass die Anwalts-AG vollständig durch in der Schweiz registrierte Anwälte beherrscht wird. Damit ist das gesetzliche Erfordernis der institutionellen Unabhängigkeit erfüllt (
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
) und das Feststellungsbegehren gutzuheissen. Weitere Vorkehren, wie sie vorliegend auf Stufe Organisationsreglement und Arbeitsvertrag getroffen werden, sind keine Eintragungsvoraussetzung, sondern sichern die Einhaltung der Berufsregeln des
Art. 12 BGFA
innerhalb der Anwaltskörperschaft ab. Das Treffen solcher Vorkehren liegt - bei körperschaftlich wie anders organisierten Anwaltskanzleien - in der Verantwortung der einzelnen Anwälte, die dafür berufsrechtlich einzustehen haben (vgl. Urteil 2P.187/2000 vom 8. Januar 2001 E. 4c, in: Pra 2001 Nr. 141 S. 835 ff., 843 f.).
Nicht zu befinden ist an dieser Stelle darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen auch eine branchenübergreifende Organisationsform (Multidisciplinary Partnership), an der neben registrierten Anwälten auch Nichtanwälte bzw. nicht registrierte Anwälte Gesellschaftsanteile besitzen, mit dem Unabhängigkeitsgebot von
Art. 8 Abs. 1 lit. d BGFA
vereinbar ist. | public_law | nan | de | 2,012 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c928e1f0-78b4-452b-9b84-2f6f405ce7b0 | Urteilskopf
141 IV 257
33. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour de droit public dans la cause A. et consorts contre H. Sàrl et I. (recours en matière pénale)
1B_98/2015 du 28 juillet 2015 | Regeste
Art. 127 Abs. 3 StPO
,
Art. 12 lit. a, b und c BGFA
; Mehrfachvertretung in Strafsachen.
Ein Anwalt kann im gleichen Strafverfahren mehrere Angeklagte vertreten (
Art. 127 Abs. 3 StPO
).
Art. 127 Abs. 5 StPO
verweist dazu auf die Berufsregeln des Anwaltsgesetzes. Aus
Art. 12 lit. c BGFA
ergibt sich, dass der Anwalt jegliche Interessenkonflikte zu vermeiden hat (s. auch
Art. 12 lit. a und b BGFA
). Diese Regeln bezwecken den Schutz der Interessen der Klientel sowie die Garantie eines korrekten Verfahrens; die Möglichkeiten eines Anwalts bei der Vertretung eines Mandanten dürfen nicht eingeschränkt sein. Diese Grundsätze sind im Strafprozess, wo es um die Verteidigung eines Angeklagten geht, besonders bedeutsam; es lässt sich nämlich nicht von vornherein ausschliessen, dass im Verlauf des Verfahrens ein Angeklagter seine Schuld einem anderen anzulasten oder zumindest zu Lasten eines anderen zu verringern versucht (E. 2.1).
Die verfahrensleitende Behörde entscheidet jederzeit und von Amtes wegen über die Vertretungsbefugnis eines professionellen Rechtsbeistandes; die Möglichkeit eines Interessenkonflikts kann sich jederzeit im Verlauf des Verfahrens ergeben (E. 2.2). | Sachverhalt
ab Seite 258
BGE 141 IV 257 S. 258
A.
Le 7 juin 2012, le syndicat UNIA a décerné la palme d'or de l'année 2012 du mauvais employeur du canton de Neuchâtel à l'entreprise H. Sàrl. Celle-ci, ainsi que son associé-gérant I., ont déposé plainte pénale pour calomnie et diffamation le 25 juin 2012; le 10 août suivant, ils ont précisé que cette plainte visait les syndicalistes A., B. et C., ainsi que ses anciens employés D., E. et F. G., avocat, a annoncé avoir été constitué le 21 décembre 2012 pour la défense des trois syndicalistes, puis le 26 mars 2013 pour celle des ex-employés.
BGE 141 IV 257 S. 259
Par décision du 6 mai 2013, le Ministère public neuchâtelois a rejeté la requête des plaignants tendant à exclure la représentation des trois anciens employés par G. Le 7 octobre 2013, l'Autorité de recours en matière pénale du Tribunal cantonal de la République et canton de Neuchâtel a déclaré irrecevable le recours intenté par les plaignants contre cette décision; l'arrêt cantonal a été confirmé le 18 novembre 2013 par le Tribunal fédéral (cause 1B_376/2013).
Le 19 septembre 2014, le Procureur a renvoyé les prévenus devant le Tribunal de police du Tribunal régional des Montagnes et du Val-de-Ruz pour diffamation, subsidiairement calomnie. Par décision du 13 janvier 2015, la Juge du Tribunal de police a interdit à G. de représenter les six prévenus dans cette cause.
B.
Le recours intenté contre cette décision par les prévenus, ainsi que par leur avocat a été rejeté par l'Autorité de recours en matière pénale par arrêt du 20 février 2015. Elle a considéré que les faits reprochés aux syndicalistes n'étaient pas les mêmes que ceux prévalant pour les ex-employés. Cependant, elle a relevé que leur ligne de défense ne saurait être la même en tous points puisque les uns et les autres avaient joué des rôles tout à fait différents, quoique liés; qu'ils avaient agi pour des motivations et dans des buts divergents; et qu'enfin, ils ne soutenaient pas une version des faits parfaitement identique. Selon la juridiction cantonale, une défense efficace imposait que les deux groupes - syndicalistes et ex-travailleurs - soient défendus par des mandataires différents et, par conséquent, que G. renonce aux deux mandats.
C.
Par acte du 26 mars 2015, A., B., C., D., E., F. et G. forment un recours en matière pénale contre ce jugement, concluant à son annulation, à la constatation de la capacité de postuler de G. devant le Tribunal de police et au renvoi de la cause pour nouvelle décision. (...)
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
(extrait)
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les recourants reprochent à l'Autorité de recours en matière pénale une violation des
art. 127 CPP
et 12 let. c de la loi fédérale du 23 juin 2000 sur la libre circulation des avocats (LLCA; RS 935.61). Ils soutiennent à cet égard qu'il n'existerait aucun élément permettant de retenir l'existence d'un conflit d'intérêts. Selon les recourants,
BGE 141 IV 257 S. 260
les faits reprochés aux deux groupes de prévenus ne seraient pas les mêmes, ceux-ci ne pouvant ainsi pas se rejeter la responsabilité mutuelle de leurs actes.
2.1
A teneur de l'
art. 127 al. 3 CPP
, un conseil juridique peut défendre dans la même procédure les intérêts de plusieurs participants à la procédure dans les limites de la loi et des règles de sa profession. La défense des prévenus étant réservée aux avocats (
art. 127 al. 5 CPP
), les règles à respecter en l'espèce sont celles qui ressortent de la LLCA. Il s'agit en particulier du principe énoncé à l'
art. 12 let
. c LLCA, qui commande à l'avocat d'éviter tout conflit entre les intérêts de son client et ceux des personnes avec lesquelles il est en relation sur le plan professionnel ou privé. Cette règle est en lien avec la clause générale de l'
art. 12 let. a LLCA
, selon laquelle l'avocat exerce sa profession avec soin et diligence, de même qu'avec l'obligation d'indépendance rappelée à l'
art. 12 let. b LLCA
(
ATF 134 II 108
consid. 3 p. 109 s.). Le Tribunal fédéral a souvent rappelé que l'avocat a notamment le devoir d'éviter la double représentation, c'est-à-dire le cas où il serait amené à défendre les intérêts opposés de deux parties à la fois, car il n'est alors plus en mesure de respecter pleinement son obligation de fidélité et son devoir de diligence envers chacun de ses clients (
ATF 135 II 145
consid. 9.1 p. 154 s.; arrêts 1B_376/2013 du 18 novembre 2013 consid. 3; 1B_420/2011 du 21 novembre 2011 consid. 1.2.2; 2C_688/2009 du 25 mars 2010 consid. 3.1, in SJ 2010 I p. 433).
Les règles susmentionnées visent avant tout à protéger les intérêts des clients de l'avocat, en leur garantissant une défense exempte de conflit d'intérêts (arrêt 1B_420/2011 du 21 novembre 2011 consid. 1.2.2). Elles tendent également à garantir la bonne marche du procès, notamment en s'assurant qu'aucun avocat ne soit restreint dans sa capacité de défendre l'un de ses clients - notamment en cas de défense multiple -, respectivement en évitant qu'un mandataire puisse utiliser les connaissances d'une partie adverse acquises lors d'un mandat antérieur au détriment de celle-ci (arrêt 1B_376/2013 du 18 novembre 2013 consid. 3).
Ces principes sont d'autant plus importants en matière pénale s'agissant de la défense des prévenus. En effet, en cas de représentation multiple - et même si l'avocat entend adopter une stratégie commune et plaider pour l'ensemble de ses mandants l'acquittement -, il ne peut être exclu qu'à un moment donné l'un des prévenus ne tente de
BGE 141 IV 257 S. 261
reporter ou de diminuer sa propre culpabilité sur les autres (GRODECKI/JEANDIN, Approche critique de l'interdiction de postuler chez l'avocat aux prises avec un conflit d'intérêts, SJ 2015 II p. 107 ss, n° VII p. 122 s. et les références citées).
2.2
En l'occurrence, les recourants soutiennent tout d'abord que la question d'un possible conflit d'intérêts aurait été tranchée de manière définitive par la décision du Ministère public du 6 mai 2013 admettant la représentation des six prévenus par l'avocat G. Cependant, l'autorité en charge de la procédure statue d'office et en tout temps sur la capacité de postuler d'un mandataire professionnel (arrêt 1B_149/2013 du 5 septembre 2013 consid. 2.4.2 in fine). L'hypothèse d'un conflit d'intérêts peut en effet survenir au cours de la procédure, notamment en raison de son évolution ou d'un changement de circonstances, et l'autorité doit pouvoir agir. Une telle situation peut notamment résulter de nouvelles mesures d'instruction (cf. en l'espèce la liste des opérations intervenues postérieurement au 6 mai 2013) ou des audiences à venir (cf. la future séance devant l'autorité de jugement).
En ce qui concerne ensuite un possible conflit d'intérêts, il ne semble pas contesté que les faits reprochés aux deux groupes de prévenus soient différents. Toutefois, ils ont manifestement trait à une même problématique, soit en substance la pratique salariale adoptée par les plaignants. Certes, le syndicaliste C. a déclaré que les trois employés en cause n'avaient rien à voir avec l'action menée par le syndicat. Cela ne permet toutefois pas d'exclure toute relation de cause à effet entre le contenu des déclarations faites au syndicat par les travailleurs - ce qui leur est, à titre individuel, reproché - et la décision de celui-ci d'agir. Cela vaut d'autant plus que le prévenu C. a aussi reconnu que si les travailleurs s'étaient opposés à leur action, celle-ci n'aurait pas eu lieu. Ce processus en cascade a été relevé avec raison par la Juge du Tribunal de police dans la décision à l'origine de cette procédure. Un tel argument pourrait d'ailleurs être invoqué afin de plaider une éventuelle atténuation de responsabilité, certes peut-être sans volonté de charger les autres co-prévenus. Cela suffit cependant pour considérer que la présence d'un mandataire commun pour les deux catégories de prévenus ne permet pas d'assurer une défense adéquate de ceux-ci.
Partant, un risque concret de conflit d'intérêts existe dans cette procédure et l'Autorité de recours en matière pénale n'a pas violé le droit
BGE 141 IV 257 S. 262
fédéral en confirmant l'absence de capacité de postuler de l'avocat G. dans la présente cause, que ce soit en faveur des prévenus syndicalistes ou des ex-employés des plaignants. | null | nan | fr | 2,015 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c929aa62-49b7-426e-909f-30dbbfb4dc73 | Urteilskopf
86 I 165
25. Urteil vom 15. Juli 1960 i.S. Joppi gegen Regierungsrat des Kantons Luzern. | Regeste
Schweizerbürgerrecht.
1. Status des ehelichen Kindes einer Mutter schweizerischer Herkunft, dessen aus dem deutschsprachigen Teil des Südtirols stammender Vater vor der Verheiratung, infolge Option und Abwanderung in österreichisches Gebiet, gemäss einem deutsch-italienischen Abkommen von 1939 die deutsche Reichsangehörigkeit erhalten hat, weshalb nun die Bundesrepublik Deutschland ihn und das Kind als deutsche Staatsangehörige anerkennt (Erw. 2-4).
2. Unter welchen Voraussetzungen kann die Behörde auf einen Entscheid, durch den festgestellt wird, dass das Kind das Schweizerbürgerrecht besitzt, nachträglich zurückkommen? (Erw. 5, 6). | Sachverhalt
ab Seite 165
BGE 86 I 165 S. 165
A.-
Ferdinand Joppi, geboren am 20. Dezember 1919, ist deutschsprachiger Südtiroler. Er wohnte bis Anfang 1940 im Südtirol und war italienischer Staatsangehöriger.
BGE 86 I 165 S. 166
Gestützt auf die deutsch-italienische Vereinbarung vom 21. Oktober 1939 über "Richtlinien für die Rückwanderung der Reichsdeutschen und Abwanderung der Volksdeutschen aus dem Alto Adige in das Deutsche Reich" optierte er am 30. November 1939 für die deutsche Reichsangehörigkeit. Er wanderte dann nach Österreich ab, das damals dem Deutschen Reich angeschlossen war. Am 17. Januar 1940 wurde ihm in Österreich die deutsche Reichsangehörigkeit verliehen. Er wurde zum Dienst in der deutschen Wehrmacht eingezogen.
Nachdem er aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, heiratete er am 30. Mai 1949 in Dornbirn (Österreich) Zita Louisa Niesper, von Wolhusen (Luzern). Der Ehe entspross ein Sohn, Harald Christian Joppi, geboren am 22. Juni 1949 in Dornbirn.
B.-
Im Jahre 1953 beantragte das eidg. Justiz- und Polizeidepartement der zuständigen Behörde des Kantons Luzern, im Verfahren gemäss Art. 49 BG über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 29. September 1952 (BüG) zu prüfen, ob Frau Joppi-Niesper und ihr Sohn das Schweizerbürgerrecht besässen. Das Departement gelangte damals zum Schluss, Ferdinand Joppi habe sich zur Zeit der Eheschliessung und seither weder von Italien noch von Österreich noch von Deutschland als Staatsbürger anerkennen lassen können; er sei bei der Verheiratung staatenlos gewesen und es geblieben, so dass die Ehefrau das Bürgerrecht des Kantons Luzern und der Gemeinde Wolhusen und das Schweizerbürgerrecht behalten habe und der Sohn von Geburt an ebenfalls diese Rechte besitze (Art. 5 Abs. 2 und 3 BRB über Änderung der Vorschriften über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 11. November 1941 - BRB 1941).
Das Gemeindedepartement des Kantons Luzern teilte diese Auffassung, ebenso der Gemeinderat von Wolhusen. Dieser beschloss daher im August 1953, Frau Joppi-Niesper und Harald Christian Joppi als Bürger der Gemeinde
BGE 86 I 165 S. 167
anzuerkennen, "das Kind jedoch nur bis zum Erwerb eines ausländischen Staatsbürgerrechtes" (
Art. 5 Abs. 2 BüG
).
Die Ehe Joppi-Niesper wurde im Jahre 1955 geschieden. Frau Niespcr heiratete am 29. Mai 1956 den Schweizerbürger Bruno Gröbli. Sie besitzt seither das Bürgerrecht von Henau (St. Gallen).
C.-
In der Folge beantragte das eidg. Justiz- und Polizeidepartement, in einem neuen Verfahren nach
Art. 49 BüG
zu überprüfen, ob Harald Christian Joppi das Schweizerbürgerrecht besitze. Es erhielt mit einer Note der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern vom 22. Oktober 1957 eine Bestätigung der "Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern - Staatsangehörigkeitsangelegenheiten -" vom 9. August 1957. In der Bestätigung wird erklärt, dass Ferdinand Joppi "die deutsche Staatsangehörigkeit seit dem 17. Januar 1940 besitzt", und in der Begleitnote, dass demzufolge auch sein Sohn, durch Abstammung, deutscher Staatsangehöriger sei.
Gestützt auf diese neuen Unterlagen entschied der Gemeinderat von Wolhusen am 30. Januar 1958, dass Harald Christian Joppi im Jahre 1953 zu Unrecht als Bürger dieser Gemeinde (und des Kantons Luzern und als Schweizerbürger) anerkannt worden sei und dass diese "Erteilung" des Bürgerrechts daher widerrufen werde. Eine Beschwerde des Harald Christian Joppi hiegegen wies der Regierungsrat des Kantons Luzern am 25. Januar 1960 ab.
D.-
Gegen diesen Entscheid erhebt Harald Christian Joppi Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass er nach wie vor das Schweizerbürgerrecht und das Bürgerrecht von Wolhusen besitze.
Es wird geltend gemacht, Ferdinand Joppi sei seit dem Jahre 1940 staatenlos. Seine damals verfügte Aufnahme in das deutsche Bürgerrecht sei nichtig. Deutschland habe mit der Einbürgerung dieses Südtirolers, der nie auf
BGE 86 I 165 S. 168
deutschem Staatsgebiet, sondern immer in Österreich gewohnt habe, seine völkerrechtlichen Kompetenzen überschritten und alle einschlägigen Bestimmungen seines eigenen Staatsangehörigkeitsgesetzes von 1913 missachtet. Der Bundesrepublik möge es als billig erscheinen, diesen Akt nachträglich anzuerkennen. Keinesfalls aber könne er für die schweizerischen Behörden rechtsverbindlich sein, da er in die Hoheitsrechte der Schweiz eingreife und gegen die schweizerische Auffassung von öffentlicher Ordnung verstosse. Er könne nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer, Sohn einer schweizerischen Mutter, das ihm bereits im Jahre 1953 zuerkannte Schweizerbürgerrecht verliere.
E.-
Der Regierungsrat des Kantons Luzern und das eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragen Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Ein Entscheid, mit dem die letzte kantonale Instanz im Verfahren nach
Art. 49 BüG
feststellt, ob eine Person das Schweizerbürgerrecht (und das mit in Frage stehende Kantons- und Gemeindebürgerrecht) besitzt oder nicht, unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (
Art. 50 BüG
). Einen solchen Entscheid hat im vorliegenden Fall der Regierungsrat am 25. Januar 1960 gefällt. Auf die hiegegen gerichtete Beschwerde ist einzutreten.
2.
Ferdinand Joppi, der Vater des Beschwerdeführers, hat die italienische Staatsangehörigkeit, die er früher besessen hatte, spätestens im Jahre 1940 verloren, weil er für die deutsche Reichsangehörigkeit optiert und sie, nach der Abwanderung nach Österreich, auch erhalten hat. Er hat zwar im Januar 1949 ein Gesuch um Wiederaufnahme in das italienische Bürgerrecht gestellt, jedoch ohne Erfolg. Anderseits hat das nach dem Kriege wiedererstandene Österreich die auf seinem Gebiet während des Anschlusses an das Deutsche Reich vorgenommenen
BGE 86 I 165 S. 169
Aufnahmen in die deutsche Reichsangehörigkeit von jeher nicht als für sich verbindlich betrachtet; es hat daher Ferdinand Joppi nicht als österreichischen Staatsangehörigen anerkannt. Seitdem Ferdinand Joppi in die deutsche Reichsangehörigkeit aufgenommen worden ist (17. Januar 1940), muss er entweder weiterhin deutscher Staatsangehöriger oder aber staatenlos gewesen sein.
Nun erklärt die "Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern - Staatsangehörigkeitsangelegenheiten -" in der Bestätigung vom 9. August. 1957, dass Ferdinand Joppi "die deutsche Staatsangehörigkeit seit dem 17. Januar 1940 besitzt". Ferner stellt die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bern in der Note vom 22. Oktober 1957 fest, dass infolgedessen auch seine Ehefrau - durch die Eheschliessung vom 30. Mai 1949 - und sein Sohn - durch die Geburt - die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben (§§ 6 und 4 des deutschen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913). Aus diesen Erklärungen könnte geschlossen werden, dass Ferdinand Joppi nicht staatenlos, sondern eben deutscher Staatsangehöriger war, als er Zita Louisa Niesper heiratete und sein Sohn geboren wurde. Wenn es sich so verhält, ist weder Art. 5 Abs. 2 BRB 1941 anwendbar, wonach die Schweizerin bei Eingehung der Ehe mit einem Ausländer das Schweizerbürgerrecht behält, wenn sie andernfalls unvermeidlich staatenlos würde, noch Abs. 3 ebenda, wonach das eheliche Kind einer Schweizerin, die das Schweizerbürgerrecht gemäss Abs. 2 nicht verloren hat, mit der Geburt das Schweizerbürgerrecht erhält, sofern andernfalls auch es unvermeidlich staatenlos wäre. Vielmehr ist dann der Sohn, nach dem in
Art. 270 ZGB
anerkannten allgemeinen Grundsatz, durch Abstammung deutscher Staatsangehöriger geworden.
Indessen führt das eidg. Justiz- und Polizeidepartement aus, die deutschen Behörden hätten es nach dem Kriege anfänglich abgelehnt, die während des Anschlusses auf
BGE 86 I 165 S. 170
österreichischem Gebiet in die deutsche Reichsangehörigkeit aufgenommenen Personen weiterhin als deutsche Staatsangehörige anzuerkennen. Eine andere Auffassung habe sich in Deutschland erst später durchgesetzt, nämlich auf Grund eines Urteils des deuschen Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1952, worin der Standpunkt vertreten wird, Zwangsverleihungen deutscher Staatsangehörigkeit, die im Zusammenhang mit den vom Deutschen Reich seit dem 1. Januar 1938 vollzogenen Annexionen vorgenommen worden sind, seien trotz der Unwirksamkeit dieser Annexionen als rechtsgültig zu betrachten, wenn die betreffenden Personen dem deutschen Volke angehören, vom Staate, dessen Gebiet annektiert wurde, nicht als Bürger in Anspruch genommen werden und nach dem Zusammenbruch des Reiches im Jahre 1945 den Willen bekundet haben, weiterhin als deutsche Staatsangehörige behandelt zu werden (BVerfGE Bd. 1, S. 322 ff.). Danach wäre Ferdinand Joppi im Jahre 1949 deutscherseits nicht mehr und noch nicht wieder als deutscher Staatsangehöriger anerkannt worden. Wenn dem so ist, dann könnte angenommen werden, er sei damals eben doch staatenlos gewesen, so dass sein Kind nach Art. 5 Abs. 3 BRB 1941 mit der Geburt Schweizerbürger geworden sei, weil es sonst unvermeidlich ebenfalls staatenlos geworden wäre.
Ob diese Annahme oder die gegenteilige richtig ist, kann jedoch offen gelassen werden, weil der Beschwerdeführer im einen wie im andern Fall das Schweizerbürgerrecht heute nicht besitzt.
3.
Nach der erwähnten Bescheinigung der "Bundesstelle für Verwaltungsangelegenheiten des Bundesministers des Innern - Staatsangehörigkeitsangelegenheiten -" ist Ferdinand Joppi in der Bundesrepublik Deutschland auf jeden Fall heute als deutscher Staatsangehöriger anerkannt. Diese Amtsstelle ist, wie sich aus ihrer Bezeichnung ergibt und die Botschaft der Bundesrepublik in Bern in der Note vom 22. Oktober 1957 bestätigt, in Bürgerrechtsfragen
BGE 86 I 165 S. 171
zuständig. Es besteht kein Grund zum Zweifel daran, dass ihre Auskunft der nun in der Bundesrepublik geltenden Ordnung entspricht. Diese Ordnung besteht darìn, dass deutschsprachigen Südtirolern, die auf Grund des deutsch-italienischen Abkommens von 1939, wenn auch auf österreichischem Gebiet, die deutsche Reichsangehörigkeit erhalten haben, weiterhin die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt wird, sofern dies ihr Wille ist - was hier offenbar zutrifft. Ist aber Ferdinand Joppi heute als deutscher Staatsangehöriger anerkannt, so hat, nach dem deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913, nun auch sein Sohn als solcher zu gelten, wie in jener Note der deutschen Botschaft weiter bestätigt wird. Wenn der - heute noch unmündige - Sohn gemäss Art. 5 Abs. 3 BRB 1941 mit der Geburt das Schweizerbürgerrecht erhalten hat, so hat er es daher nach
Art. 5 Abs. 2 BüG
wieder verloren, weil er "vor der Mündigkeit die ausländische Staatsangehörigkeit des Vaters besitzt". Diese Bestimmung gilt nach
Art. 57 Abs. 4 BüG
auch für das eheliche Kind eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter, welches, vor Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Januar 1953), das Schweizerbürgerrecht der Mutter nur erworben hat, weil es andernfalls staatenlos geworden wäre. Harald Christian Joppi besitzt somit auf jeden Fall heute das Schweizerbürgerrecht nicht. Der angefochtene Entscheid ist - wenn nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis - richtig.
4.
Der Beschwerdeführer wendet vergeblich ein, die Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit an Ferdinand Joppi seitens Deutschlands sei nichtig oder zum mindesten für die schweizerischen Behörden nicht verbindlich, weil sie weder mit dem Völkerrecht noch mit den Hoheitsrechten der Schweiz und den schweizerischen Anschauungen von öffentlicher Ordnung noch mit dem deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 vereinbar sei. Nach Art. 5 Abs. 2 und 3 BRB 1941 und
Art. 5 Abs. 2 BüG
kommt es auf die staatsrechtliche Stellung des ausländischen
BGE 86 I 165 S. 172
Ehemannes und Vaters an und darauf, ob das ausländische Recht, welches diese Stellung ordnet, sie auch der schweizerischen Ehefrau und dem Kind zuerkennt oder nicht. Die Bestimmungen des ausländischen Rechtes hierüber bilden die Gegebenheiten, von denen das schweizerische Recht seinerseits die staatsrechtliche Stellung der Ehefrau und des Kindes zur Schweiz abhängen lässt. Sie sind von der schweizerischen Behörde hinzunehmen. Ob sie mit dem Völkerrecht übereinstimmen oder nicht, hat diese Behörde nicht zu prüfen, und ebensowenig, ob sie schweizerischen Auffassungen von öffentlicher Ordnung entsprechen oder nicht (
BGE 74 I 349
). Ein Eingriff in Hoheitsrechte der Schweiz kann nicht vorliegen, da das schweizerische Recht selber auf die ausländische Ordnung verweist. Die schweizerische Behörde hat auch nicht zu untersuchen, ob die Annahme der zuständigen deutschen Behörde, dass Ferdinand Joppi die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mit dem deutschen Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 vereinbar sei oder nicht. Diese Anerkennung stützt sich gar nicht auf das Gesetz von 1913, sondern auf den deutsch-italienischen Staatsvertrag von 1939, welcher eine besondere Ordnung für die Aufnahme von Südtirolern in die deutsche Staatsangehörigkeit enthält. Diese Ordnung ist im vorliegenden Fall, wie auf Grund der Bestätigung der deutschen Stelle vom 9. August 1957 angenommen werden muss, eingehalten worden, was der Beschwerdeführer nicht bestreitet.
5.
Im Entscheid vom 30. Januar 1958, den der ange fochtene Entscheid des Regierungsrates schützt, hat der Gemeinderat von Wolhusen den von ihm im Jahre 1953 gefassten Beschluss, Harald Christian Joppi als Bürger der Gemeinde (und des Kantons Luzern und als Schweizerbürger) anzuerkennen, als aufgehoben erklärt ("widerrufen"). Der aufgehobene Beschluss stellt, wie der Aufhebungsbeschluss, einen im Feststellungsverfahren nach
Art. 49 BüG
getroffenen Entscheid dar. Er ist seinerzeit nicht an eine obere Instanz weitergezogen worden, ist
BGE 86 I 165 S. 173
also formell rechtskräftig geworden. Es fragt sich, ob die Behörde nachträglich auf ihn zurückkommen durfte.
Dem zwingenden Charakter des öffentlichen Rechts und der Natur der öffentlichen Interessen entspricht es, dass ein formell rechtskräftiger Verwaltungsakt zurückgenommen oder abgeändert werden darf, wenn sich herausstellt, dass er mit dem Gesetze nicht im Einklang steht. Anderseits kann es ein Gebot der Rechtssicherheit sein, dass eine administrative Verfügung, welche eine Rechtslage begründet oder feststellt, nicht nachträglich wieder in Frage gestellt werde. Falls das Gesetz die Frage der Widerruflichkeit offen lässt, ist sie von der zu dessen Anwendung berufenen Behörde zu lösen, wobei abzuwägen ist, ob dem Postulat der richtigen Durchführung des objektiven Rechts oder den Anforderungen der Rechtssicherheit der Vorrang gebühre (
BGE 84 I 11
Erw. 4 und dort zitierte Urteile). Selbst in Angelegenheiten, in denen die Rechtssicherheit mehr Gewicht hat, kann es sich indessen unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise rechtfertigen, dass die Verwaltung auf eine formell rechtskräftige Verfügung nachträglich zurückkommt, sei es deshalb, weil inzwischen Tatsachen eingetreten sind, die nach der besonderen Ordnung des anwendbaren Gesetzes eine neue Rechtslage begründen, sei es deshalb, weil einer der Revisionsgründe, welche die Rechtsprechung in Anlehnung an
Art. 136 und 137 OG
(Revision bundesgerichtlicher Entscheide) anerkennt (
BGE 74 I 406
Erw. 3), besteht und rechtzeitig geltend gemacht wird.
Die geltende Gesetzgebung über das Schweizerbürgerrecht enthält, wie die frühere, keine Bestimmung darüber, ob ein Entscheid, der feststellt, dass eine Person dieses Bürgerrecht besitzt, nachträglich widerrufen werden darf oder nicht. Das Bundesgericht hat einen solchen Feststellungsentscheid für (grundsätzlich) unwiderruflich erklärt in Erwägung, dass die Rücksicht auf die Rechtssicherheit den Vorrang verdiene (
BGE 75 I 288
f.). Dieses Urteil betrifft einen Entscheid, den vor dem 1. Januar
BGE 86 I 165 S. 174
1941 die damals zuständige kantonale Behörde getroffen und nach diesem Zeitpunkt das nun gemäss den Bundesratsbeschlüssen vom 20. Dezember 1940 und 11. November 1941 über Änderung der Vorschriften über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts zuständige eidg. Justiz- und Polizeidepartement umgestossen hatte. Die dort angestellte Erwägung ist auch für den hier vorliegenden Fall massgebend, wo die Verbindlichkeit eines im Feststellungsverfahren nach
Art. 49 BüG
getroffenen Entscheides in Frage steht. Eine Person, die in diesem Verfahren einmal als Schweizerbürger anerkannt worden ist, darf sich hierauf verlassen. Sie hat Anspruch darauf, in ihrem Vertrauen auf die formell rechtskräftig gewordene amtliche Feststellung ihrer schweizerischen Staatsangehörigkeit geschützt zu werden. Ein Zurückkommen auf einen solchen Feststellungsentscheid ist nur zulässig, wenn seither Tatsachen eingetreten sind, die nach der Gesetzgebung über das Schweizerbürgerrecht den Verlust dieses Bürgerrechts nach sich ziehen, oder wenn ein Revisionsgrund im Sinne der
Art. 136 und 137 OG
rechtzeitig angeführt wird.
6.
Falls anzunehmen wäre, dass Ferdinand Joppi zur Zeit, da der Entscheid von 1953 getroffen wurde, noch als staatenlos zu gelten hatte, dann wäre dieser Entscheid zwar richtig gewesen, doch hätte nachträglich wegen Veränderung der Verhältnisse gestützt auf
Art. 5 Abs. 2 BüG
ein anderer Entscheid getroffen werden müssen. Wenn dagegen anzunehmen wäre, dass Ferdinand Joppi von den deutschen Behörden bereits wieder als deutscher Staatsangehöriger behandelt wurde, als der Entscheid von 1953 gefällt wurde, so wäre dieser Entscheid zwar unrichtig gewesen, hätte aber nachträglich nur dann widerrufen werden dürfen, wenn ein Revisionsgrund im Sinne der
Art. 136 und 137 OG
rechtzeitig angeführt worden wäre. Welche staatsrechtliche Stellung Ferdinand Joppi im Jahre 1953 hatte, kann dahingestellt bleiben. Für den Fall, dass er schon damals wieder als deutscher Staatsangehöriger
BGE 86 I 165 S. 175
hätte betrachtet werden müssen, wäre ein Revisionsgrund gegeben. Die schweizerischen Behörden durften im Jahre 1953 von der Annahme ausgehen, dass Ferdinand Joppi staatenlos sei. Wird vorausgesetzt, dass er bereits um jene Zeit wieder als deutscher Staatsangehöriger anerkannt war, so wäre diese wesentliche Tatsache den schweizerischen Behörden damals jedenfalls nicht bekannt gewesen. Sie hätten sie erst nachträglich erfahren, nämlich auf Grund der Bestätigung der deutschen Behörde vom 9. August 1957. Es läge eine "neue" Tatsache vor, welche nach
Art. 137 lit. b OG
die Revision des früheren Entscheides rechtfertigen würde, wenn er vom Bundesgericht getroffen worden wäre. Diese Bestimmung darf hier, wo es sich um die Revision des Entscheides einer unteren Instanz handelt, entsprechend angewendet werden.
Art. 141 OG
bestimmt, dass die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides im Falle von Art. 137 lit. b binnen 90 Tagen, von der Entdeckung des Revisionsgrundes an, nachgesucht werden muss und nach Ablauf von 10 Jahren nicht mehr nachgesucht werden kann. Es rechtfertigt sich, auch die Revision eines von einer unteren Instanz im Verfahren nach
Art. 49 BüG
getroffenen Entscheides auszuschliessen, wenn einmal 10 Jahre verflossen sind. Im vorliegenden Fall wäre diese Frist nicht abgelaufen. Ob hier auch die 90tägige Frist zu beachten wäre, ist zweifelhaft, da sie für ein Parteiverfahren aufgestellt ist, die zur Feststellung des Bürgerrechts nach
Art. 49 BüG
zuständige kantonale Behörde aber nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amtes wegen entscheiden kann. Die Frage kann indessen offen gelassen werden. Die 90tägige Frist wäre vom Zeitpunkt an zu rechnen, da die antragstellende Behörde, das eidg. Justiz- und Polizeidepartement, sichere Kenntnis vom Revisionsgrund erhalten hätte. Diese Kenntnis konnte dem Departement erst die Bestätigung der zuständigen deutschen Behörde vom 9. August 1957 vermitteln, die ihm mit der Note der
BGE 86 I 165 S. 176
deutschen Botschaft vom 22. Oktober 1957 zugestellt worden ist. Das Departement hat aber bereits am 21. März 1957, auf Grund vorläufiger neuer Erhebungen, die Durchführung eines nochmaligen Feststellungsverfahrens beantragt, und am 6. Dezember 1957, nach Erhalt jener Note, hat es den Antrag erneuert. Es hätte also die 90tägige Frist nicht überschritten.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,960 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c92b4bf4-9731-4eea-9d04-9e2300ff0363 | Urteilskopf
108 III 9
4. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8. Januar 1982 i.S. X. (Rekurs) | Regeste
Provisorische Pfändung (
Art. 83 Abs. 1 SchKG
).
Die provisorische Pfändung ist nicht zulässig, wenn dem Gläubiger definitive Rechtsöffnung erteilt wurde und der Betriebene gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein Rechtsmittel ergriffen hat. | Erwägungen
ab Seite 9
BGE 108 III 9 S. 9
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Gemäss
Art. 83 Abs. 1 SchKG
kann der Gläubiger, dem die provisorische Rechtsöffnung erteilt ist, nach Ablauf der Zahlungsfrist die provisorische Pfändung verlangen. Die Vorinstanz hält mit zutreffender Begründung dafür, diese Bestimmung biete keine Grundlage, die provisorische Pfändung auch dort zuzulassen, wo erstinstanzlich definitive Rechtsöffnung erteilt wurde, der Entscheid jedoch noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist. Das Gesetz sieht die erwähnte Massnahme ausdrücklich nur im Zusammenhang mit der provisorischen Rechtsöffnung vor, und der Rekurrent vermag nichts vorzubringen, was rechtfertigen würde, die provisorische Pfändung über den Gesetzeswortlaut hinaus und in Änderung der mit
BGE 38 I 821
ff. begründeten Praxis auch in Fällen definitiver Rechtsöffnung vollziehen zu lassen. Entgegen der Ansicht des Rekurrenten wurde in
BGE 55 III 173
ff. nicht von dieser Rechtsprechung abgewichen; der jüngere Entscheid betraf nämlich nicht eine definitive, sondern eine provisorische Rechtsöffnung. Ausschliesslich auf die provisorische Rechtsöffnung beziehen sich auch die Ausführungen von JAEGER, N. 2 zu
Art. 83 SchKG
, auf die der Rekurrent verweist (vgl. auch N. 7 zu
Art. 83 SchKG
).
Ebensowenig kann dem Rekurrenten darin gefolgt werden, dass die Interessenlage in seinem Fall gleich sei wie dort, wo der Betriebene auf die provisorische Rechtsöffnung hin Aberkennungsklage erhoben habe. Im letzteren Fall dauert das Verfahren in der Regel viel länger als bei einem Rechtsmittel gegen den Rechtsöffnungsentscheid.
Wollte man im Sinne der Ausführungen des Rekurrenten die provisorische Pfändung wenigstens in denjenigen Fällen zulassen, da der Betriebene "in aktenkundig trölerischer Weise" gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein Rechtsmittel ergriffen hat, wären die Betreibungsämter, die ja die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen hätten, überfordert. | null | nan | de | 1,982 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c92ea4cc-76dc-49ee-939a-774b45dc4cc9 | Urteilskopf
114 II 349
65. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 22 novembre 1988 dans la cause dame B. contre Compagnie d'assurances X. (recours en réforme) | Regeste
Übergang und Ende des Arbeitsverhältnisses.
1. Sinn des
Art. 333 Abs. 4 OR
(E. 3).
2. Auch wenn das Arbeitsverhältnis übernommen wird, können die Parteien einen neuen Vertrag abschliessen (E. 3).
3. Rechtsnatur des Arbeitsvertrages, den die Parteien unter Beachtung der gesetzlichen Kündigungsfristen auflösen können, der jedoch ohne weiteres endet, sobald der Arbeitnehmer die durch das Reglement einer Vorsorgeeinrichtung festgesetzte Altersgrenze erreicht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 349
BGE 114 II 349 S. 349
A.-
La Compagnie d'assurances X. (ci-après: X.) était représentée à Genève par deux agences exploitées, l'une en régie, l'autre de manière autonome par W. & Cie.
Dame B., née le 5 décembre 1924, a travaillé dès le 15 septembre 1980 pour le compte de W. & Cie en qualité d'employée de bureau. Elle a été admise au fonds de prévoyance de cette société, dont l'art. 10 du règlement fixait l'âge terme à 62 ans pour le personnel féminin.
En 1982, X. s'est séparée de W. & Cie. Elle a néanmoins accepté d'engager tout ou partie du personnel de son ancien agent.
B.-
Par lettre du 17 décembre 1982, X. a indiqué à dame B. les conditions auxquelles elle était d'accord d l'engager à partir du 1er janvier 1983. Dame B. a contresigné cette lettre, le 23 décembre 1982, en y ajoutant: "sous réserve de garder le capital retraite (cause âge)".
Le 8 février 1983, la Fondation de prévoyance de X. a informé la nouvelle employée qu'elle l'admettait au sein de sa Caisse de
BGE 114 II 349 S. 350
retraite des services intérieurs (ci-après: la Caisse de retraite) avec effet au 1er janvier 1983, ce qui impliquait la reconnaissance sans réserve du "Règlement 1971" de ladite Caisse dont un exemplaire était remis à l'intéressée. L'art. 31 de ce règlement fixait l'âge de la retraite à 65 ans pour les hommes et à 60 ans pour les femmes.
Dans le courant du mois de mai 1984, la Fondation de prévoyance de X. a indiqué aux membres de la Caisse de retraite les modifications du règlement rendues nécessaires par l'entrée en vigueur, le 1er janvier 1985, de la loi fédérale sur le prévoyance professionnelle vieillesse, survivants et invalidité du 25 juin 1982 (LPP; RS 831.40). Elle y précisait, notamment, que l'âge de la retraite des assurés du sexe féminin serait nouvellement fixé à 62 ans.
Par lettre du 29 mai 1984, confirmant un entretien du 30 avril 1984, X. a informé dame B. que son activité cesserait le 31 décembre suivant, mois dans lequel elle aurait atteint 60 ans. L'employée a sollicité en vain la poursuite des rapports de travail pendant les deux années qui devaient encore s'écouler avant qu'elle ait droit à une rente de vieillesse.
C.-
Le 20 octobre 1986, dame B. a ouvert action contre X. en concluant notamment au paiement de 54'603 francs § titre de perte de salaire pour 1985 et 1986. La défenderesse a conclu à libération.
Par jugement du 16 février 1987, le Tribunal des prud'hommes du canton de Genève a admis la conclusion précitée, tandis que la Chambre d'appel des prud'hommes statuant le 18 septembre 1987, l'a rejetée.
D.-
Parallèlement à un recours de droit public (cf. ATF 114 Ia, 4e livraison), la demanderesse interjette un recours en réforme dans lequel elle reprend ses précédentes conclusions.
Le Tribunal fédéral rejette le recours, dans la mesure où il est recevable, et confirme l'arrêt attaqué.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
a) La demanderesse voit dans le contrat de travail qui la liait à W. & Cie un contrat de durée déterminée proprement dit, au sens de l'art. 335 al. 1 CO, qui devait s'éteindre automatiquement lorsqu'elle aurait atteint l'âge terme, fixé en l'occurrence à 62 ans, et auquel il ne pouvait être mis fin pendant la durée convenue, hormis le cas de la résiliation anticipée pour justes motifs. Elle a tort. En effet, rien de tel ne peut être déduit
BGE 114 II 349 S. 351
de la lettre d'engagement du 11 août 1980 qui ne contient aucune précision quant à la durée du contrat et qui fournit, au contraire, des indices qui tendraient plutôt à infirmer la thèse de la demanderesse, à savoir l'octroi d'un "treizième mois au prorata temporis" et l'instauration d'une période d'essai. Il va sans dire, au demeurant, que la durée du contrat ne résultait pas du but auquel visait le travail convenu. Enfin, comme le souligne à juste titre la cour cantonale, l'indication, dans le règlement d'une institution de prévoyance, d'un âge terme ne signifie pas que le contrat de travail doive nécessairement se poursuivre jusqu'à ce que l'assuré ait atteint cette limite d'âge, ce qui reviendrait à exclure d'une manière générale tout licenciement avant l'âge de la retraite.
En revanche, on ne saurait conclure en l'espèce, comme l'ont fait les juges précédents, à l'existence d'un contrat de durée indéterminée. Ce serait dénier toute portée juridique à la disposition du règlement du fonds de prévoyance de W. & Cie fixant un âge terme, alors que la demanderesse affirme, dans son recours en réforme, que cette disposition "constituait à cet égard une base contractuelle". Il faut bien plutôt admettre, sur le vu de cette allégation, que les parties étaient convenues - tacitement d'une durée maximale, pendant laquelle elles pouvaient résilier le contrat en observant les délais légaux et à l'expiration de laquelle le contrat prendrait fin de lui-même (voir à ce sujet: KUHN, Aktuelles Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis, 7/2.6; STREIFF, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, 4e éd., n. 4 ad art. 336 CO; SCHNEITER, Die Rechtsbeziehungen zwischen Dienst- und Vorsorgeverhältnis bei privatrechtlichen Wohlfahrtseinrichtungen, thèse Zurich 1966, p. 106 in fine). La doctrine range un tel accord dans la catégorie des contrats de durée déterminée (HUG, Das Kündigungsrecht, thèse Zurich 1926, II, p. 23/24, lettre b.; BRENDER, Rechtsprobleme des befristeten Arbeitsvertrages, thèse Zurich 1976, p. 18/19; dans le même sens, cf. les considérations émises par le Conseil fédéral, in FF 1984 II 616/617, à propos du nouvel art. 334 CO [RO 1988 1472] qui entrera en vigueur le 1er janvier 1989). Cette opinion mérite d'être suivie.
b) La nature juridique des liens contractuels noués par la demanderesse avec la défenderesse, sur la base de la lettre d'engagement du 17 décembre 1982, est la même que celle de la convention passée avec W. & Cie. La durée déterminée du contrat en question ressort d'ailleurs nettement de la formulation de
BGE 114 II 349 S. 352
l'art. 31 du règlement de la Caisse de retraite qui prévoit la mise à la retraite, "sans avis particulier", des assurés ayant atteint la limite d'âge, ainsi que la conclusion d'une nouvelle convention pour la continuation des rapports de travail.
Il suit de là que la demanderesse est dans le vrai lorsqu'elle soutient, contrairement à l'avis de la cour cantonale, que la lettre de la défenderesse du 29 mai 1984 ne constituait pas une résiliation ordinaire, mais simplement la confirmation de l'extinction du contrat à la fin du mois dans lequel elle aurait atteint l'âge terme prévu par le règlement de la Caisse de retraite.
3.
La Chambre d'appel considère que W. & Cie a transféré à la défenderesse le droits et obligations découlant du contrat qui la liait à la demanderesse; elle se réfère à cet égard à l'art. 333 al. 4 CO. A supposer que l'on admette le bien-fondé de cette prémisse, il faudrait alors constater, avec les juges précédents, que l'âge terme déterminant pour la durée du contrat était en l'occurrence celui qui ressortait du règlement du fonds de prévoyance du premier employeur - 62 ans -, de sorte que la mise à la retraite de la demanderesse à l'âge de 60 ans constituait effectivement une résiliation anticipée du contrat de travail.
Toutefois, la prémisse du raisonnement n'est pas exacte, car les circonstances de fait de la présente affaire n'entrent pas dans les prévisions de l'art. 333 al. 4 CO, quoi qu'en dise la cour cantonale. Cette disposition, selon sa teneur même, a trait à la cession par l'employeur des droits - sans les obligations - découlant des rapports de travail; elle vise l'hypothèse où le travailleur est "prêté" ou "loué" à un tiers (TERCIER, La partie spéciale du code des obligations, n. 2108). Or, en l'espèce, une telle hypothèse peut être écartée d'emblée. Force est en effet de constater qu'il y a bien eu conclusion d'un contrat entre la demanderesse et la défenderesse. On en veut pour preuve la lettre d'engagement du 17 décembre 1982 qui fixe de nouvelles conditions s'agissant des droits et obligations respectifs des contractants. Au surplus, rien au dossier ne permet de penser que l'ancien employeur ait accepté de demeurer obligé envers la demanderesse. Sans doute n'y a-t-il pas eu de résiliation formelle du contrat, ni d'interruption du travail, mais poursuite de celui-ci au même endroit après négociations entre W. & Cie et la défenderesse. Cela ne change pourtant rien à l'affaire. Un tel mode de procéder n'apparaît nullement critiquable en droit, car les parties à un contrat de travail peuvent convenir tacitement d'y mettre un terme, comme
BGE 114 II 349 S. 353
elles l'ont fait dans le cas particulier (cf. KNUS, Betriebsübergang und Arbeitsverhältnis nach schweizerischem Recht, thèse Zurich 1978, p. 64).
Quoi qu'il en soit, la doctrine enseigne que les parties peuvent négocier un nouveau contrat, en tout ou partie, même en cas de transfert des rapports de travail au sens de l'art. 333 CO (BRÜHWILER, Handkommentar zum Einzelarbeitsvertrag, n. 3 ad art. 333 CO; KUHN, op.cit., 4/3.14, p. 5; TERCIER, op.cit., n. 2120). Or, c'est ce que la demanderesse et la défenderesse ont fait en l'espèce. Il s'ensuit que leur contrat s'est éteint ipso jure à la date convenue, soit le 31 décembre 1984, et qu'il 'a donc pas été résilié. Point n'est dès lors besoin d'examiner l'argumentation subsidiaire de la demanderesse, qui tend à faire constater le caractère abusif de la prétendue résiliation du contrat. | public_law | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c93143b6-c662-4fad-905b-eed0e33f4425 | Urteilskopf
140 III 555
81. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_289/2014 vom 21. Oktober 2014 | Regeste
Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO
; Begriff der berufsmässigen Vertretung.
Berufsmässig handelt ein Vertreter bereits dann, wenn er bereit ist, in einer unbestimmten Zahl von Fällen tätig zu werden. Es kommt nicht darauf an, ob er ein Entgelt bezieht oder zu Erwerbszwecken als Vertreter auftritt (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 555
BGE 140 III 555 S. 555
A.
Am 27. Mai 2013 reichte B.A. (Ehefrau) am Bezirksgericht Baden (...) Scheidungsklage gegen A.A. (Ehemann) ein. Zur Einigungsverhandlung am 12. November 2013 erschienen B.A. in Begleitung ihres Rechtsanwalts und A.A. in Begleitung von C. Die Einigungsverhandlung wurde abgebrochen, nachdem C. nicht zur Vertretung zugelassen worden war, was das Bezirksgericht mit Verfügung vom selben Tage bestätigte.
BGE 140 III 555 S. 556
B.
Mit Beschwerde vom 29. November 2013 an das Obergericht des Kantons Aargau verlangte A.A. sinngemäss, die genannte Verfügung betreffend Nichtzulassung von C. als Vertreter aufzuheben und Rechtsverweigerung sowie Behinderung in der freien Postulation festzustellen.
Mit Entscheid vom 17. Februar 2014 wies das Obergericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.
Am 8. April 2014 hat A.A. (Beschwerdeführer) subsidiäre Verfassungsbeschwerde und Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Er verlangt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids vom 17. Februar 2014 und die Feststellung von Rechtsverweigerung und einer Behinderung in der freien Postulation.
Das Bundesgericht hat (...) keine Vernehmlassungen eingeholt. Es weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Vorliegend ist die Frage zu beantworten, ob sich der Beschwerdeführer von C., der nicht Anwalt ist, vertreten lassen kann (vgl.
Art. 68 Abs. 1 ZPO
) oder ob dieser berufsmässig auftritt und deshalb unerlaubterweise im Monopolbereich der Anwälte tätig wird (
Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO
). Vor diesem Hintergrund haben der zusätzliche Antrag des Beschwerdeführers betreffend Rechtsverweigerung und Behinderung freier Postulation und die entsprechenden Rügen keine eigenständige Bedeutung.
2.1
Das Obergericht hat festgestellt, C. sei juristisch nicht ausgebildet, weise keine besondere Beziehungsnähe zum Beschwerdeführer auf und sei bereit, aus ideellen Gründen Vertretungen vor Gericht vorzunehmen. Jedenfalls für einen solchen Fall sei auf die verbreitete Lehrmeinung abzustellen, wonach Berufsmässigkeit anzunehmen sei, wenn jemand Vertretungen vor Gericht in einer unbestimmten Anzahl Verfahren ohne Entgelt zu erbringen bereit sei. Wer bereit sei, Dritte zu vertreten, zu denen er in keiner besonderen Beziehungsnähe stehe, nehme in Anspruch, über ähnliche Fähigkeiten wie ein Anwalt zu verfügen.
2.2
Der Beschwerdeführer kritisiert die Beweiswürdigung des Obergerichts und rügt in diesem Zusammenhang Verletzungen des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbots. Der Schluss des Obergerichts sei willkürlich, dass C. bereit sei, eine unbestimmte Anzahl von
BGE 140 III 555 S. 557
Vertretungen zu übernehmen. Es gebe dafür keine Beweise und es habe keine Befragung stattgefunden. Auch über seine Beziehungsnähe zu C. sei nicht Beweis geführt worden.
Die Einwände sind unbegründet, soweit auf sie eingetreten werden kann. Das Obergericht hat massgeblich auf die Behauptungen des Beschwerdeführers selber abgestellt: In seiner kantonalen Beschwerde habe er ausgeführt, dass die Tätigkeit von C. im Familienrecht dessen Hobby sei, dessen Freizeit betreffe und ihn (den Beschwerdeführer) und C. eine gemeinsame politische Auffassung und eine gleiche Einschätzung über die Zustände in der Gesellschaft verbinde. Wenn das Obergericht aus diesen Ausführungen auf eine fehlende besondere Beziehungsnähe (wie z.B. Freundschaft) zwischen dem Beschwerdeführer und C. geschlossen hat, so ist dies keineswegs unhaltbar, denn die einzige geltend gemachte Gemeinsamkeit ist die politische Auffassung (vgl. zur Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung
BGE 140 III 264
E. 2.3 S. 266;
BGE 137 III 226
E. 4.2 S. 234;
BGE 136 III 552
E. 4.2 S. 560). Wenn das Obergericht daraus implizit geschlossen hat, dass C. zur Vertretung in einer unbestimmten Anzahl von Fällen bereit sei, so erscheint dies ebenfalls nicht als willkürlich, da er ja schon im vorliegend zu beurteilenden Fall ohne besondere Beziehungsnähe zur Vertretung bereit ist. Der Beschwerdeführer behauptet sodann nicht, dass er vor Obergericht die Befragung von C. oder andere Beweismassnahmen verlangt und entsprechende Versäumnisse des Bezirksgerichts gerügt hätte. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist demnach von vornherein ungenügend begründet (
Art. 106 Abs. 2 BGG
und dazu
BGE 135 III 397
E. 1.4 S. 400 f.;
BGE 133 II 249
E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen; zum Beweisführungsanspruch als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs
BGE 134 I 140
E. 5.3 S. 148 mit Hinweisen).
Soweit der Beschwerdeführer ausserdem die Sachverhaltsfeststellungen im Entscheid des Bezirksgerichts vom 12. November 2013 als willkürlich bezeichnet und das vorangegangene Verfahren kritisiert (z.B. die fehlende Befragung), ist darauf nicht einzutreten (
Art. 75 BGG
). Entsprechende Rügen wären vor Obergericht vorzubringen gewesen.
2.3
Es bleibt zu prüfen, ob C. angesichts der festgestellten Tatsachen berufsmässig auftritt.
Art. 68 Abs. 2 ZPO
definiert nicht näher, was unter "berufsmässiger Vertretung" ("représenter les parties à titre professionnel", "rappresentanza professionale in giudizio") zu verstehen ist.
BGE 140 III 555 S. 558
Gemäss der bundesrätlichen Botschaft zur ZPO kann sich die Partei durch eine beliebige Vertrauensperson vertreten lassen. Es müsse sich nicht um einen Anwalt oder eine Anwältin handeln, solange die Vertrauensperson das Mandat nicht berufsmässig ausübe. Was eine berufsmässige Vertretung ist, definiert auch die Botschaft nicht näher (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7279, Ziff. 5.5.2 zu Art. 66 des Entwurfs). Auch den übrigen, öffentlich zugänglichen Materialien lässt sich insoweit kein Hinweis entnehmen.
In der Lehre werden verschiedene Ansätze zur Bestimmung des Begriffs der Berufsmässigkeit vertreten. Herangezogen werden die Kriterien der Entgeltlichkeit bzw. des vom Vertreter verfolgten wirtschaftlichen Zwecks (Erzielung eines Erwerbseinkommens), die regelmässige bzw. wiederholte Tätigkeit des Vertreters und gelegentlich seine Ausbildung und Qualifikation. Unterschiede bestehen in der Kombination dieser Kriterien und ihrer Gewichtung. Ohne auf die im Detail divergierenden Ansichten einzugehen, so steht doch für eine erste Gruppe von Autoren die Entgeltlichkeit oder der vom Vertreter verfolgte wirtschaftliche Zweck im Vordergrund, die zur Annahme der Berufsmässigkeit seines Handelns führen. Teilweise wird zusätzlich verlangt, dass die Vertretungstätigkeit regelmässig ausgeübt werden muss (vgl. zum Ganzen STAEHELIN/SCHWEIZER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 2. Aufl. 2013, N. 8 zu
Art. 68 ZPO
; MARTIN H. STERCHI, in: Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2012, N. 6 zu
Art. 68 ZPO
; STEPHANIE HRUBESCH-MILLAUER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], 2011, N. 5 zu
Art. 68 ZPO
; LUCA TENCHIO, in: Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 6 zu
Art. 68 ZPO
; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, § 13 Rz. 16; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC] [...], 2011, S. 244 f. mit Fn. 660; TANJA DOMEJ, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu
Art. 68 ZPO
). Nach Ansicht einer anderen Gruppe von Autoren ist das Kriterium der Entgeltlichkeit von untergeordneter Bedeutung. Demnach liegt eine berufsmässige Vertretung vor, wenn der Vertreter in einer unbestimmten oder unbegrenzten Zahl von Fällen für andere Prozesse führt oder zu führen bereit ist (ISAAK MEIER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 157; MARKUS AFFENTRANGER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO],
BGE 140 III 555 S. 559
Baker & McKenzie [Hrsg.], 2010, N. 6 zu
Art. 68 ZPO
; ähnlich LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2010, Rz. 3.21, wonach berufsmässige Vertretung vorliegt, wenn jemand bereit ist, von unbestimmt vielen Personen Aufträge entgegenzunehmen, wobei Berufsmässigkeit zu vermuten sei, wenn ein Entgelt verlangt werde). Diese Auffassung stützt sich insbesondere auf die frühere Zürcher Praxis (ZR 61/1962 Nr. 1 und SJZ 58/1962 S. 119 Nr. 103; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 6 zu
§ 29 ZPO
/ZH; MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 133 Fn. 39; WALDER-RICHLI/GROB-ANDERMACHER, Zivilprozessrecht, 5. Aufl. 2009, § 10 Rz. 11). Nach einer vermittelnden Ansicht sind die Kriterien Entgeltlichkeit, Wiederholung der Tätigkeit und Ausbildung gleichwertig, wobei es auf den Einzelfall ankomme, ob bereits die Erfüllung eines der Kriterien für die Annahme der Berufsmässigkeit genüge (BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, Rz. 948 f.; vgl. auch TREZZINI, a.a.O., S. 244 f.).
Die Einschränkung der Zulässigkeit der berufsmässigen Vertretung gemäss
Art. 68 Abs. 2 lit. a ZPO
auf Anwältinnen und Anwälte, die gemäss dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) zur Parteivertretung vor schweizerischen Gerichten berechtigt sind, dient der Sicherung der Qualität der Vertretung. Durch diese Beschränkung soll sichergestellt werden, dass die im Anwaltsgesetz vorgesehenen Qualitätssicherungsmassregeln in Verfahren, die der ZPO unterstehen, zum Zuge kommen, wenn der Vertreter "berufsmässig" auftritt. Bei diesen Massregeln handelt es sich um Verschiedenes: Zunächst werden Anforderungen an die Anwälte hinsichtlich ihrer Ausbildung (
Art. 7 BGFA
) und weiterer persönlicher Eigenschaften, wie ihrer finanziellen Situation oder dem Fehlen bestimmter strafrechtlicher Verurteilungen (
Art. 8 BGFA
), gestellt. Sodann legt das Anwaltsgesetz die von ihnen einzuhaltenden Berufsregeln (
Art. 12 BGFA
) fest, regelt das Berufsgeheimnis (
Art. 13 BGFA
) und schliesslich die Aufsicht, der die Anwälte unterstehen (
Art. 14 ff. BGFA
). Diese Regeln sind insbesondere im Interesse der vertretenen Parteien aufgestellt worden (vgl. STERCHI, a.a.O., N. 3 zu
Art. 68 ZPO
). Damit sie ihre Schutzwirkung entfalten können, ist bei der Zulassung von Vertretern, die diesen Ansprüchen nicht genügen, eine gewisse Zurückhaltung angezeigt, soweit die ZPO hiezu Spielraum bietet (vgl. GASSER/RICKLI, Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2. Aufl.
BGE 140 III 555 S. 560
2014, N. 2 zu
Art. 68 ZPO
; LAURA JACQUEMOUD-ROSSARI, Les parties et les actes des parties; le défaut, la notification et les délais, in: Le projet de code de procédure civile fédérale, 2008, S. 82 f.; FRANÇOIS BOHNET, in: CPC, Code de procédure civile commenté, 2011, N. 12 zu
Art. 68 ZPO
). Vor diesem Hintergrund kann es für die Auslegung des Begriffs der berufsmässigen Vertretung nicht entscheidend darauf ankommen, ob der Vertreter seine Tätigkeit gegen Entgelt oder zu Erwerbszwecken ausübt. Ein Schutzbedürfnis des Publikums besteht bereits dann, wenn der Vertreter bereit ist, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen tätig zu werden. Darauf kann - wie vorliegend - dann geschlossen werden, wenn er bereit ist, die Vertretung ohne besondere Beziehungsnähe zum Vertretenen zu übernehmen. In solchen Fällen gründet das Vertrauen in den Vertreter nicht auf seiner Person oder seiner Nähe zum Vertretenen, sondern auf anderen Eigenschaften des Vertreters (z.B. seine behauptete Fachkompetenz, Mitgliedschaft in Interessenverbänden etc.) und damit auf ähnlichen Kriterien wie bei der Auswahl eines Berufsmanns bzw. einer Berufsfrau. Da das Element des persönlichen Näheverhältnisses nicht im Vordergrund steht, rechtfertigt es sich, solche Vertreter den Restriktionen für berufsmässige Vertreter zu unterwerfen. Folglich hat das Obergericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es C. nicht als Vertreter des Beschwerdeführers zugelassen hat.
Mit alldem ist nichts dazu gesagt, ob es zulässig wäre, sich an die Verhandlung durch eine solche Person begleiten zu lassen, ohne dass sie eine Vertretungsfunktion ausübt (vgl. TENCHIO, a.a.O., N. 1b zu
Art. 68 ZPO
). Der Beschwerdeführer macht zwar am Rande geltend, es sei ihm einerlei, ob C. als Vertreter oder Begleitperson zugelassen werde. Seine Kritik gegen die Nichtzulassung von C. als Begleitperson richtet sich jedoch gegen den bezirksgerichtlichen Entscheid. Er macht nicht geltend, dass er Entsprechendes auch vor Obergericht vorgebracht hätte, und das Obergericht hat sich zu dieser Frage denn auch nicht geäussert. Darauf ist deshalb vor Bundesgericht nicht einzugehen.
Von Rechtsverweigerung oder einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Nichtzulassung von C. als Vertreter kann schliesslich keine Rede sein. Es besteht kein verfassungsmässiges Recht, sich durch beliebige Personen vertreten zu lassen. Dem Beschwerdeführer steht es frei, seine Sache selber zu vertreten oder sich durch eine zulässige Vertrauensperson oder einen Anwalt vertreten zu lassen. Dass er generell kein Vertrauen in Anwälte hat, wie er geltend macht,
BGE 140 III 555 S. 561
vermag an der gesetzlichen Ordnung der Prozessvertretung nichts zu ändern. Soweit er die Kosten einer berufsmässigen Vertretung scheut, so ist er auf die unentgeltliche Rechtspflege zu verweisen, die ihm bei gegebenen Voraussetzungen den Beizug eines unentgeltlichen Rechtsbeistands ermöglicht.
2.4
Die Beschwerde ist folglich abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann. | null | nan | de | 2,014 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c9384e9a-ca06-466a-99cb-2cb0765a6dec | Urteilskopf
106 IV 109
36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1980 i.S. C. und B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 1 Al. 4 StGB.
Besondere Gefährlichkeit des Räubers. | Sachverhalt
ab Seite 110
BGE 106 IV 109 S. 110
A.-
Auf einer Pintenkehr in Bern setzte sich am Abend des 6. Dezember 1977 der 68jährige A. im Restaurant "Halbmond" an der Genfergasse an einen Tisch, an dem Beatrix B., C., D. und zwei Mädchen sassen. A. kam mit Beatrix B. ins Gespräch und offerierte ihr einen halben Liter Weisswein. Bald vermutete er, sie könnte sich ihm gegen Entgelt zum Geschlechtsverkehr hingeben. Er prahlte mit seinem Geld, das Frau B. offenbar auch gesehen hatte. Zuerst erklärte sie A. wahrheitsgetreu, sie habe keine Absteige. Weil sie aber an die Barschaft des A. herankommen wollte, entfernte sie sich kurz; sie machte ihm dann weis, sie habe ein Zimmer auftreiben können. Sie flüsterte D. zu, A. habe viel Geld, und machte ihm den Vorschlag, das Geld zu stehlen. D. weihte C. in den Plan ein, und beide erklärten sich dazu bereit.
Beatrix B. lockte A. in Richtung Altenberg und vom Altenbergsteg aareabwärts. A. fragte, wohin es gehe, es habe ja keine Häuser mehr. Gleich darauf sprangen D. und C. die sich vereinbarungsgemäss an der Aare im Schatten einer Mauer versteckt hatten, von hinten hinzu. D. versetzte A. mit einem handbreiten Gurt mit Metallnieten und einer handtellergrossen Metallschnalle, den er sich zuvor von C. hatte geben lassen, mindestens einen Schlag auf den Kopf. Darauf packte er das Opfer und riss es zu Boden. C. sprang ebenfalls dazu und hielt ihm den Mund zu, da er befürchtete, A. werde schreien. In diesem Moment riss Beatrix B. dessen Portemonnaie aus der rechten Gesässtasche, nahm es an sich und rannte in Richtung Altenbergsteg davon. Auch die beiden andern liessen A. liegen und rannten ihr über den Steg nach und die Altenbergtreppe hinauf. Dort übergab Frau B. das Portemonnaie D., welcher es öffnete. Jeder der drei schnappte sich vom Geld einen Anteil, so Frau B. Fr. 100.-- und C. Fr. 206.--.
A. trug durch den Schlag oder die Schläge einen Kopfschwartenriss, eine stark blutende Platzwunde und eine kleine Schürfung an der Stirne davon.
B.-
Wegen dieser Tat wurde C. des qualifizierten Raubes unter Offenbarung besonderer Gefährlichkeit schuldig befunden. Daneben ist er wegen einfachen Raubes, am 5. Mai 1978 zum Nachteil des O. begangen, verurteilt worden. Das Obergericht bestrafte ihn hiefür unter Zubilligung verminderter Zurechnungsfähigkeit zu viereinhalb Jahren Zuchthaus. Einer Anklage wegen Tätlichkeiten vom 15. Oktober 1977 zum
BGE 106 IV 109 S. 111
Nachteil des F. wurde wegen eingetretener Verjährung keine Folge gegeben.
Frau B. wurde wegen der Tat vom 6. Dezember 1977 ebenfalls des qualifizierten Raubes schuldig befunden, daneben auch wegen eines am 28. Oktober 1977 begangenen Betruges zum Nachteil von L. sowie wegen unanständigen Benehmens im Sinne des kantonalen Rechts am 24. Dezember 1977. Hiefür wurde sie zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.
C.-
Gegen dieses Urteil des Obergerichts des Kantons Bern haben C. und Frau B. Nichtigkeitsbeschwerden eingereicht.
Der Generalprokurator beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
Gemäss Art. 139 Ziff. 2 Abs. 1 Alinea 4 StGB wird der Räuber mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und höchstens 20 Jahren bestraft, wenn der Raub die besondere Gefährlichkeit des Täters in anderer Weise, als in den vorausgehenden Alineas 2 und 3 angegeben ist, offenbart. Das wird nach der Rechtsprechung angenommen, wenn die Art, in welcher der Räuber vorgeht, Charaktereigenschaften aufdeckt, die in einem Masse auf eine asoziale Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit schliessen lassen, dass befürchtet werden muss, der Täter werde auch bei anderer Gelegenheit vor gleichen oder ähnlichen Handlungen nicht zurückschrecken (
BGE 105 IV 183
unten mit Hinweisen). Der Raub selber muss nach Gesetz die besondere Gefährlichkeit offenbaren, wozu aber auch die der Tat unmittelbar vorausgehenden und nachfolgenden Umstände zählen, die mit dem Tatgeschehen im Zusammenhang stehen (
BGE 100 IV 165
E. 2b mit Hinweisen). Um die bei der Tat selber zum Ausdruck gekommene besondere Gefährlichkeit zu beweisen, kann auch das Vorleben, das Ergebnis einer psychologischen oder psychiatrischen Begutachtung und alles berücksichtigt werden, was dem Richter erleichtert festzustellen, ob der Raub Ausfluss einer besonders gefährlichen Täterpersönlichkeit war (
BGE 100 IV 165
E. 2b). Oft ist es erst eine Mehrheit von Umständen in ihrer Gesamtheit, welche den Richter von der besonderen Gefährlichkeit des Täters überzeugt, während umgekehrt das Hinzutreten anderer Umstände,
BGE 106 IV 109 S. 112
wie tätige Reue, Vorleben, usw. dem entgegenwirken können. Insbesondere kann nicht schon aus einer Gewaltanwendung oder Drohung allein, die schon dem einfachen Raub anhaften, auf Gefährlichkeit, geschweige denn auf "besondere" Gefährlichkeit geschlossen werden. Im übrigen lässt die weit gefasste Generalklausel dem Sachrichter ein weites Ermessen, in das der Kassationshof nur mit Zurückhaltung eingreift (
BGE 100 IV 165
E. 2 mit weiteren Hinweisen).
3.
a) Die Vorinstanz ist bei Beurteilung der Beschwerde des C. von richtigen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen. Die Offenbarung besonderer Gefährlichkeit sieht sie darin, dass die Tat zu dritt in einer Dezembernacht an einem abgelegenen Ort an einem 68jährigen, Rentner in (zur konkreten Tatausübung nicht erforderlicher) brutaler Weise verübt und dass das Opfer dort verletzt und blutüberströmt liegen gelassen wurde. Die Vorinstanz hat nicht ausser acht gelassen, dass der Beschwerdeführer bei der Planung der Tat eher nur als Mitläufer in Erscheinung getreten ist. Die Gewaltanwendung wurde ihm aber stärker zugerechnet, weil er D. den mit Metallnieten und einer handtellergrossen gegossenen Metallschnalle versehenen Gurt übergeben hat, obwohl er wusste, dass D. das Opfer damit niederschlagen werde. Auch verschloss er dem wehrlos am Boden liegenden Opfer den Mund. Seine Vorstrafen sprechen ebenfalls für seine Gefährlichkeit. Ab Mitte 1973 delinquierte der Beschwerdeführer in umfangreichem Masse, indem er vor allem zahlreiche Diebstähle beging, weswegen er in ein Erziehungsheim eingewiesen wurde, aus dem er im April 1977 bedingt entlassen wurde. Während dieser Zeit erfolgten Entweichungen und neue Delikte, so 1975 ein erster Raub. Am 5. Mai 1978 beging der Beschwerdeführer einen dritten Raub zum Nachteil von O., nachdem er anderthalb Monate vorher wegen des Raubes vom 6. Dezember 1977 aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Hinzu kommen die am 15. Oktober 1977 an F. verübten Tätlichkeiten.
Die Vorinstanz durfte deshalb aus den Umständen des Raubes und den weiteren Taten des Beschwerdeführers, ohne Bundesrecht zu verletzen, auf einen brutalen Charakter von asozialer Grundhaltung und sittlicher Hemmungslosigkeit und damit auf eine besondere Gefährlichkeit schliessen. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
4.
a) Im Gegensatz zur ersten Instanz fand das Obergericht,
BGE 106 IV 109 S. 113
auch Beatrix B. habe durch ihre Beteiligung am Raub ihre besondere Gefährlichkeit offenbart. Ihr Anteil an der Tat ist insofern grösser als jener des C., als der Anstoss zur Tat von ihr ausging. Sie war es auch, welche das Opfer mit dem Versprechen, sich ihm zum Geschlechtsverkehr hinzugeben, zur Nachtzeit an den Tatort lockte, wo es in die übermächtige Gewalt von D. und C. gelangte. Als das Opfer bereits niedergeschlagen und wehrlos war, entriss sie ihm das Geld. Dass sie sich dadurch des Raubes mitschuldig gemacht hat, bestreitet sie mit Recht nicht.
b) Die Gefährlichkeit ist eine besondere Eigenschaft im Sinne von
Art. 26 StGB
(
BGE 105 IV 186
E. 2). Die Gefährlichkeit der Mittäter hat daher nicht zur Folge, dass auch die Beschwerdeführerin wegen besonderer Gefährlichkeit strenger bestraft werden muss. Die Vorinstanz hat es auch nicht getan, sondern vielmehr untersucht, ob die Beschwerdeführerin persönlich durch ihre Mitwirkung ihre besondere Gefährlichkeit offenbart habe.
c) Auf eine besondere Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin schliesst das Obergericht aus dem oben erwähnten Tathergang (Zustand des Opfers, Ort und Zeit der Tat, Initiative zur Tat, Locken des Opfers an den Tatort) sowie aus den folgenden, besonders erörterten Umständen.
Die Tat wurde zu dritt begangen. Die Vorinstanz verkennt keineswegs, dass es sich nicht um eine bandenmässige Begehung im Sinne des Art. 139 Ziff. 2 Abs. 1 Alinea 3 StGB handelt, da sich die drei Täter nicht zur fortgesetzten Verübung von Raub und Diebstahl zusammengefunden haben. Doch auch ohne eine solche über die Einzeltat hinausgehende Bindung durfte dieser Zusammenschluss als Teilindiz für die besondere Gefährlichkeit herangezogen werden, vermehrt doch das bewusste Zusammenwirken mehrerer an einer Straftat regelmässig die Gefährlichkeit der Rechtsbrecher (Schultz, Allg. Teil I, 3. Aufl. S. 263), so dass andere Rechte schon diesen Umstand strafschärfend berücksichtigen (vgl. öst. StGB § 33 Ziff. 4 für die führend Beteiligten). Das gilt für Gewaltverbrechen in besonderer Weise.
Hinsichtlich der Einstellung zur brutalen Gewaltanwendung durch den Mittäter D. und des Liegenlassens des Opfers in der Dezembernacht an abgelegenem Ort hält die Vorinstanz der Beschwerdeführerin zugut, dass sie nicht mit der von D. an den
BGE 106 IV 109 S. 114
Tag gelegten Brutalität gerechnet hat. Sie wirft ihr aber vor, sie habe sich nach dem brutalen Niederschlagen des Opfers ohne Hemmungen in das Zusammenwirken des Trios eingefügt, indem sie A. das Portemonnaie aus der Gesässtasche genommen habe, während ihn D. festgehalten und C. am Schreien gehindert habe. Durch das brutale Vorgehen von D. sei sie überhaupt nicht oder nur unwesentlich erschreckt und abgestossen worden. Jedenfalls sei der Gedanke an das Geld starker als alle Bedenken gewesen. Auch wenn sie die Verletzungen und Blutungen des Opfers nicht gesehen habe, habe sie doch mit Gewissheit damit rechnen müssen, dass A. verletzt worden sei, habe sie doch gemeint, er sei mit einer Flasche niedergeschlagen worden. Trotzdem habe sie den alten Mann skrupellos dort liegen gelassen.
Diese Feststellung, auch was Wissen und innere Einstellung zur Tat betrifft (
BGE 104 IV 36
, 245), ist tatsächlicher Natur und bindet daher den Kassationshof (Art. 273 Abs. 1 lit. b und 277 bis Abs. 1 BStP). Die Beschwerde beruft sich daher zu Unrecht auf die davon abweichende tatsächliche Würdigung durch das Amtsgericht und die Aussagen der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung. Sie kann nicht gehört werden, wenn sie entgegen den obergerichtlichen Feststellungen geltend macht, sie sei einfach aus Angst davongerannt, habe nur noch an Flucht gedacht und nicht mehr daran, was dem Mann geschehen sein könnte. Von einer Verletzung habe sie erst später vernommen, sie habe auch gedacht, der Mann habe sich eventuell nur fallen lassen. Auch den Umstand, dass sich die Beschwerdeführerin übergeben hatte, führt das Obergericht nicht auf ihre Abneigung gegen die Tat zurück, sondern auf das schnelle Treppensteigen in alkoholisiertem Zustand.
Den aus diesen Tatsachen gezogenen Schluss auf eine asoziale Grundhaltung und sittliche Hemmungslosigkeit hat das Obergericht durch das von der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern im März/April 1978 erstattete Gutachten nicht als widerlegt, sondern eher als bestätigt angesehen. Jenes Gutachten kam zum Schlusse, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine durchschnittlich intelligente, stark trieb- und stimmungsabhängige, agressive, frustrationsintolerante, im Grunde subdepressive, selbstunsichere und ängstliche Persönlichkeit mit asozialen und Verwahrlosungstendenzen handle. Dieses Verständnis des Gutachtens über den Geisteszustand der Beschwerdeführerin
BGE 106 IV 109 S. 115
beruht nicht auf einem offensichtlichen Versehen. Der Schluss, das Gutachten enthalte ebenfalls Elemente, welche auf die besondere Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin hinwiesen, ist tatsächlicher Natur und bindet daher den Kassationshof. Anderseits ist nicht ersichtlich, dass der Richter von einem falschen Begriff der besonderen Gefährlichkeit im Sinne von
Art. 139 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
ausgegangen wäre.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit sie die Verurteilung wegen qualifizierten Raubs betrifft. | null | nan | de | 1,980 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c9390ad6-f34d-4367-bdf7-015ba5ba9143 | Urteilskopf
124 III 370
65. Extrait de l'arrêt de la Ire Cour civile du 28 avril 1998 dans la cause B. contre Suisa (recours en réforme) | Regeste
Vermieten von Werkexemplaren - Vergütungsanspruch (
Art. 13 Abs. 1 URG
und
Art. 3 URG
).
Die Verjährungsfrist für den Vergütungsanspruch beträgt fünf Jahre. | Sachverhalt
ab Seite 370
BGE 124 III 370 S. 370
A.-
Par convention du 17 novembre 1995, Suissimage, ProLitteris, la SSA et Swissperform ont chargé la Suisa d'encaisser la redevance de location prévue par l'art. 13 de la loi fédérale sur le droit d'auteur et les droits voisins (LDA; RS 231.1) et fixée selon le tarif commun 5, approuvé par la Commission arbitrale fédérale en matière de perception de droits d'auteur. Le mandat autorise la Suisa à user de tous les procédés nécessaires et adéquats pour faire valoir la redevance, y compris la conduite d'un procès; à cette fin, les quatre sociétés de gestion ont cédé à la Suisa tous les droits à rémunération nés ou à naître, que la cessionnaire fait donc valoir en son propre nom.
B. exploite un commerce de location de cassettes vidéo. La Suisa lui a envoyé plusieurs factures portant sur les redevances dues à partir du 1er juillet 1993. Le loueur ne s'est pas acquitté des montants réclamés.
B.-
Par demande du 24 janvier 1997, la Suisa a assigné B. en paiement de 21'879 fr.95, plus intérêts à 5% dès le 25 janvier 1997, à titre de redevances pour les locations de supports audiovisuels effectuées du 1er juillet 1993 au 30 juin 1996.
BGE 124 III 370 S. 371
Par arrêt du 10 octobre 1997, la Chambre civile de la Cour de justice du canton de Genève a entièrement fait droit à la demande.
C.-
B. interjette un recours en réforme. Il conclut à l'annulation de l'arrêt de la Cour de justice, à ce qu'il soit dit que la rémunération due pour la période antérieure au 25 février 1995 est prescrite à concurrence de 10'257 fr.20 en capital, avec les intérêts y afférents, et à ce que la Suisa soit déboutée des fins de sa demande dans la même mesure.
Erwägungen
Extrait des considérants:
2.
Les redevances réclamées par la demanderesse sont fondées sur l'
art. 13 al. 1 LDA
. Cette disposition institue une obligation de rémunérer l'auteur à charge de celui qui loue ou, de quelque autre manière, met à disposition à titre onéreux des exemplaires d'oeuvres littéraires ou artistiques. En vertu de l'
art. 13 al. 3 LDA
, les droits à rémunération ne peuvent être exercés que par les sociétés de gestion agréées au sens des
art. 40 ss LDA
. En l'espèce, la demanderesse, qui remplit cette condition, agit sur la base d'une convention passée avec quatre autres sociétés de gestion agréées. Le montant de la rémunération est fixé par un tarif (cf.
art. 46 LDA
), en l'occurrence le tarif commun 5, applicable à la redevance pour la location de supports audiovisuels.
La LDA ne contient aucune disposition relative à la prescription des créances découlant des droits à rémunération. La question à résoudre dans le cas particulier consiste ainsi à déterminer quel est le délai de prescription applicable aux prétentions litigieuses.
3.
a) En l'absence d'une disposition idoine ou d'un renvoi dans la LDA, il convient, conformément à l'
art. 7 CC
, de rechercher dans le code des obligations, spécialement dans sa partie générale, la disposition applicable à la prescription de la créance résultant du droit à rémunération de l'
art. 13 al. 1 LDA
. Malgré la formulation étroite de l'
art. 7 CC
, ce sont en effet toutes les dispositions générales du droit des obligations, y compris les normes sur la prescription, qui s'appliquent aux autres matières du droit civil, et non seulement celles relatives à la conclusion, aux effets et à l'extinction des contrats (HANS SCHMID, in Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Bâle, n. 4 ad
art. 7 CC
; FRIEDRICH, Berner Kommentar, n. 35 ss ad
art. 7 CC
). En outre, la législation sur le droit d'auteur fait partie des autres matières du droit civil dont il est question à l'
art. 7 CC
(cf.
art. 64 al. 1 et 2 Cst.
; FRIEDRICH, op.cit., n. 45 ch. 3 in fine ad
art. 7 CC
).
BGE 124 III 370 S. 372
L'application des règles générales du CO à une autre matière du droit civil se fait par analogie. Le juge se prononcera en tenant compte à la fois du sens de la règle envisagée et des particularités du rapport juridique auquel elle pourrait s'appliquer (DESCHENAUX, Le titre préliminaire du code civil, in Traité de droit privé suisse, tome II,1, p. 55).
b) Sauf disposition contraire, les
art. 127 ss CO
s'appliquent à la prescription de toutes les créances, en particulier contractuelles, du droit privé fédéral (ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2e éd., p. 801). L'
art. 127 CO
prévoit un délai ordinaire de dix ans alors que l'
art. 128 CO
institue un délai de cinq ans, applicable notamment aux prestations périodiques (ch. 1). Selon l'
art. 60 al. 1 CO
invoqué par le défendeur, le délai de prescription en matière délictuelle est d'un an dès le jour où la partie lésée a eu connaissance du dommage ainsi que de la personne qui en est l'auteur et, dans tous les cas, de dix ans dès le jour où le fait dommageable s'est produit. Pour déterminer à quel délai de prescription sont soumises les prétentions de la demanderesse, il convient d'examiner la nature juridique de la créance issue du droit à rémunération de l'
art. 13 al. 1 LDA
.
aa) L'ancienne LDA ne connaissait pas de droits équivalents aux droits à rémunération (Kaspar Spoendlin, Zur Rechtsnatur und Bemessung der urheberrechtlichen Vergütung, in Festschrift 100 Jahre URG, Berne 1983, p. 379). Certains auteurs, se référant notamment aux projets de nouvelle LDA, se sont néanmoins penchés sur la nature juridique de l'obligation résultant d'un droit à rémunération. Selon SPOENDLIN, cette prétention n'est de nature ni contractuelle, ni quasi-contractuelle, ni délictuelle; il s'agit d'une obligation sui generis créée par la loi (op.cit., p. 381-382). ERNST BREM qualifie également la redevance d'obligation légale, mais il estime qu'il faut la traiter comme une obligation contractuelle (Der urheberrechtliche Vergütungsanspruch, thèse Zurich 1975, p. 74-75). Dans un arrêt non publié, le Tribunal fédéral a eu l'occasion de relever, dans un obiter dictum à propos du projet de LDA de 1984, que les créances découlant d'un droit à rémunération n'étaient pas de nature délictuelle, mais quasi-contractuelle (arrêt du 7 mars 1986 dans la cause Verband Schweiz. Kabelfernsehbetriebe et consorts contre Suissimage et consorts, reproduit in Décisions et expertises de la Commission arbitrale fédérale en matière de perception de droits d'auteur 1981-1990, p. 183 ss, consid. 10b; apparemment d'un autre avis quoiqu'hésitant: CHERPILLOD, Le droit d'auteur en Suisse, publication CEDIDAC 1986, p. 101).
BGE 124 III 370 S. 373
bb) La nouvelle LDA, entrée en vigueur le 1er juillet 1993, distingue les droits exclusifs (art. 9 à 11) et les droits à rémunération (art. 13 al. 1, art. 20 al. 3 notamment). L'auteur victime d'une atteinte à un droit exclusif dispose des actions de l'
art. 62 LDA
, dont l'alinéa 2 réserve expressément l'action en dommages-intérêts du code des obligations. Tel n'est pas le cas de la société de gestion qui ne parvient pas à obtenir l'encaissement de la créance résultant du droit à rémunération ensuite de location. En effet, contrairement à celui qui viole un droit exclusif, le loueur d'exemplaires d'oeuvres n'agit pas de manière illicite puisque l'
art. 12 al. 1 LDA
l'autorise à mettre en circulation les exemplaires de l'oeuvre qui ont été aliénés par l'auteur ou avec son consentement. En contrepartie de cet épuisement de droits, l'auteur s'est vu accorder un droit à rémunération (
art. 13 LDA
), qui apparaît ainsi comme une compensation (BARRELET/EGLOFF, Le nouveau droit d'auteur, n. 1 ad
art. 13 LDA
, p. 69; Message concernant la LDA du 29 août 1984 (premier message), in FF 1984 III, p. 216). En d'autres termes, le droit à rémunération de l'auteur est fondé sur une licence légale (KAMEN TROLLER, Manuel du droit suisse des droits immatériels, 2e éd., tome I, p. 528; FRANÇOIS PERRET, La nouvelle loi fédérale sur le droit d'auteur, in SJ 1995, p. 42; DESSEMONTET, L'objet du droit d'auteur et les droits d'auteur, in La nouvelle loi fédérale sur le droit d'auteur, publication CEDIDAC 1994, p. 58; le même, Inhalt des Urheberrechts, in Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht II/1, p. 182; cf. également
ATF 107 II 57
consid. 10 p. 81 et PATRICK F. LIECHTI, Exceptions au droit d'auteur, copie privée, reprographie et gestion collective, in La nouvelle loi fédérale sur le droit d'auteur, publication CEDIDAC 1994, p. 157-159).
Or, la rémunération fondée sur une licence, qu'elle soit contractuelle, obligatoire ou légale, ne peut pas être assimilée à des dommages-intérêts extracontractuels. La créance litigieuse n'est donc pas de nature délictuelle et ne saurait être soumise à la prescription de l'
art. 60 CO
. Cette solution s'impose d'autant plus que, d'une manière générale, l'
art. 60 CO
doit être interprété restrictivement (GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 6e éd., tome II, n. 3433, p. 264; cf., pour la fixation du délai de prescription de prétentions de droit public,
ATF 116 Ia 461
consid. 2).
Force est ainsi de conclure que la créance résultant du droit à rémunération de l'
art. 13 LDA
se prescrit selon les dispositions générales des
art. 127 ss CO
(cf. ENGEL, op.cit., p. 801-802; GASSER, Der Eigengebrauch im Urheberrecht, thèse Berne 1997, p. 150-151).
BGE 124 III 370 S. 374
c) Comme la cour cantonale l'a relevé à juste titre, les prétentions de la demanderesse ne sont pas atteintes par la prescription, que l'on retienne le délai de dix ans de l'
art. 127 CO
ou celui de cinq ans de l'
art. 128 ch. 1 CO
. Dès lors, le sort du présent litige ne dépend pas du délai applicable. Par souci de clarification, il convient néanmoins de trancher la question.
Les redevances périodiques au sens de l'
art. 128 ch. 1 CO
sont des prestations dont le débiteur est tenu à époques régulières en vertu du même rapport d'obligation. L'application de l'
art. 128 ch. 1 CO
suppose que chacune des prestations revenant régulièrement puisse être exigée de façon indépendante. Mais la notion de périodicité et la ratio legis n'impliquent pas que les prestations soient toutes de la même importance et que leur montant, voire leur échéance, soient par avance exactement déterminés (
ATF 78 II 145
consid. 3a p. 149-150). C'est ainsi, notamment, que le Tribunal fédéral a considéré comme prestations périodiques soumises à la prescription quinquennale les redevances pour une licence et les droits dus pour l'utilisation d'un brevet ou d'une marque dès lors qu'ils doivent être acquittés périodiquement et de façon régulière, même s'ils peuvent varier selon les périodes (
ATF 45 II 676
;
ATF 78 II 145
consid. 3b p. 151).
A l'instar des droits de licence, les redevances de location de l'
art. 13 al. 1 LDA
remplissent toutes les conditions de l'
art. 128 ch. 1 CO
énumérées ci-dessus (cf. ENGEL, op.cit., p. 807; GUHL, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8e éd., p. 292). Par conséquent, la prescription applicable aux prétentions de la demanderesse est de cinq ans.
d) Sur le vu de ce qui précède, la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en écartant le moyen tiré de la prescription. Il y a lieu de rejeter le recours et de confirmer l'arrêt attaqué. | null | nan | fr | 1,998 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c93b68c0-24fd-45ee-b1aa-b76b50540055 | Urteilskopf
98 V 205
51. Urteil vom 20. Juni 1972 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Geissbühler und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich | Regeste
Medizinische Eingliederungsmassnahmen:
- Über die Unmittelbarkeit, Wesentlichkeit und Dauerhaftigkeit des erforderlichen voraussichtlichen Eingliederungserfolges (
Art. 12 IVG
).
- Die ausnahmsweise Gewährung einer Operation im Ausland (
Art. 9 Abs. 1 IVG
) lässt sich nicht durch jede Verringerung der damit verbundenen Gefahr rechtfertigen: Es kommt auf die Erheblichkeit des Risikounterschiedes im Einzelfall an. | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 98 V 205 S. 206
A.-
Die 1937 geborene Verena Geissbühler leidet infolge einer in frühester Kindheit durchgemachten Kinderlähmung an hochgradiger Skoliose der Brustwirbelsäule, welche Rückenschmerzen und Störungen der Herz-Lungenfunktion verursacht. Sie arbeitet in der Glätterei der Orthopädischen Klinik X. Am 18. März 1960 meldete sie sich bei der Invalidenversicherung an und ersuchte um medizinische Massnahmen und Hilfsmittel. Mit Verfügung vom 23. November 1960 wurden die Kosten für orthopädische Gymnastik und Massage ab 1. Januar 1960 bis auf weiteres übernommen (Revision 31. Dezember 1965). Am 11. November 1965 teilte die Ausgleichskasse der Versicherten mit, die Voraussetzungen weiterer Gewährung der Kostengutsprache über den Revisionstermin hinaus seien nicht erfüllt, da periodisch notwendige medizinische Vorkehren nach
Art. 2 Abs. 2 IVV
nicht als medizinische Massnahmen gälten. Ein am 5. Mai 1969 gestelltes neues Begehren um medizinische Massnahmen (u.a. physikalische Therapie) wurde abgewiesen (Verfügung vom 16. Mai 1969).
B.-
Am 21. Dezember 1970 ersuchte Verena Geissbühler erneut um medizinische Massnahmen; ihr Arzt, PD Dr. med. S., habe sie bei Prof. Dr. med. St., Lyon, zwecks operativer Behandlung der Skoliose angemeldet. Der vorgesehene Eingriff (Methode nach Harrington) diene der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit.
Das Bundesamt für Sozialversicherung, von der Invalidenversicherungs-Kommission um Stellungnahme ersucht, vertrat die Auffassung, dass eine durch Kinderlähmung verursachte Skoliose einen relativ stabilisierten Defektzustand darstelle; im vorliegenden Fall könne aber die Operation sicher in jeder grösseren orthopädischen Klinik in der Schweiz vorgenommen werden; die Behandlung im Ausland müsse daher aus Gründen der Konsequenz abgelehnt werden.
Mit Verfügung vom 2. März 1971 wies die Ausgleichskasse das Gesuch um Übernahme der Skoliose-Operation in Lyon ab.
BGE 98 V 205 S. 207
C.-
Verena Geissbühler erhob Beschwerde mit dem Antrag, die Invalidenversicherung habe die Kosten der Skoliose-Operation in Lyon zu übernehmen. Nach dem Wortlaut der angefochtenen Verfügung sei es nicht streitig, dass die operative Korrektur der Skoliose eine Eingliederungsmassnahme im Sinne von
Art. 12 IVG
darstelle. Da wegen seiner Besonderheit und Seltenheit der Eingriff in der Schweiz nicht oder noch nicht durchgeführt werden könne, habe ihn die Invalidenversicherung gestützt auf
Art. 9 Abs. 1 IVG
zu übernehmen.
In einem der Beschwerde beigelegten Zeugnis bestreitet Dr. S., dass die Operation in der Schweiz hätte durchgeführt werden können; er habe die Vornahme des Eingriffs trotz eigener Erfahrung abgelehnt und die Patientin an die Klinik in Lyon verwiesen, in welcher - wie er aus zahlreichen persönlichen Besuchen und aus vielen wissenschaftlichen Arbeiten wisse - die Erfahrungen auf dem Gebiete der Skoliose-Operationen viel grösser seien als in der Schweiz.
Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich hiess mit Entscheid vom 11. Juni 1971 die Beschwerde gut. Sie erachtete das Leiden der Versicherten als relativ stabilisiert und dessen operative Korrektur als Eingliederungsmassnahme im Sinne des
Art. 12 IVG
; die Operation könne wegen ihrer Besonderheit und Seltenheit noch nicht ohne allzu grosses Risiko in der Schweiz vorgenommen werden; anderseits biete Prof. St. - eine anerkannte Autorität auf dem Gebiete der Skoliose - Gewähr für eine erfolgreiche Durchführung der Operation.
D.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 2. März 1971 wiederherzustellen. Das Amt wiederholt bezüglich
Art. 9 Abs. 1 IVG
seinen Standpunkt, wonach die Operation auch in der Schweiz hätte vorgenommen werden können; zusätzlich weist es darauf hin, dass das grosse Operationsrisiko gegen eine Anerkennung des Eingriffs als Eingliederungsmassnahme spreche; denn die Operation könne nur verantwortet werden, wenn es unmittelbar um die Erhaltung der Gesundheit oder des Lebens gehe; der Eingliederungscharakter trete somit in den Hintergrund.
Verena Geissbühler schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie bestreitet, dass im Zeitpunkt der Operationsindikation eine lebensbedrohende Situation bestanden habe; Anlass zum Eingriff habe der Gedanke der funktionellen
BGE 98 V 205 S. 208
Wiederherstellung bei einem stabilisierten Defektzustand einerseits und der Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit anderseits gegeben; die Frage, ob die Vorkehr eine Eingliederungsmassnahme darstelle, könne nicht von der medizinischtechnischen Schwierigkeit der Operation abhängig gemacht werden.
E.-
Aus einem nachträglich eingereichten Bericht von Dr. S. ergibt sich, dass nach Durchführung vorbereitender Behandlungen am 7. September 1971 in Lyon operiert worden sei; das praeoperative Korrekturergebnis habe verbessert werden können; die Nachbehandlung sei jedoch noch nicht abgeschlossen, so dass eine endgültige Beurteilung des Ergebnisses nicht möglich sei.
Schliesslich teilte der Vertreter der Verena Geissbühler am 10. März 1972 noch mit, diese habe vor einigen Wochen wieder nach Hause zurückkehren können; dank der erfolgreichen Skoliose-Operation werde sie in absehbarer Zeit ihre Erwerbstätigkeit, zunächst teilweise, wieder aufnehmen können.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (
Art. 132 OG
).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts ist der rechtserhebliche Sachverhalt im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren in der Regel nach den tatsächlichen Verhältnissen zur Zeit des Erlasses der angefochtenen Verfügung zu beurteilen (
BGE 96 V 144
; EVGE 1968 S. 16/17, 1965 S. 202)...
2.
Im vorliegenden Verfahren ist vorab zu prüfen, ob die Annahme von Verwaltung und Vorinstanz richtig ist, die durch Kinderlähmung verursachte Gesundheitsschädigung sei ein relativ stabilisierter Zustand, dessen operative Korrektur eine Eingliederungsmassnahme nach
Art. 12 IVG
darstelle. Laut
BGE 98 V 205 S. 209
dieser Bestimmung hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren.
Art. 12 IVG
bezweckt namentlich, die Aufgabenbereiche der Invalidenversicherung einerseits und der sozialen Kranken- und Unfallversicherung anderseits gegeneinander abzugrenzen. Die Abgrenzung "beruht auf dem Grundsatz, dass die Behandlung einer Krankheit oder einer Verletzung ohne Rücksicht auf die Dauer des Leidens primär in den Aufgabenbereich der Kranken- und Unfallversicherung gehört" (Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für die Revision der IV vom 1. Juli 1966 S. 31)...
Das Gesetz umschreibt die Vorkehren medizinischer Art, welche von der Invalidenversicherung nicht zu übernehmen sind, mit dem Rechtsbegriff "Behandlung des Leidens an sich". Wo und solange labiles pathologisches Geschehen besteht und mit medizinischen Vorkehren angegangen wird, seien sie kausal oder symptomatisch, auf das Grundleiden oder auf dessen Folgeerscheinungen gerichtet, stellen solche Heilmassnahmen, sozialversicherungsrechtlich betrachtet, Behandlung des Leidens an sich dar. Dem labilen pathologischen Geschehen hat die Rechtsprechung seit jeher im Prinzip alle nicht stabilisierten Gesundheitsschäden gleichgestellt, die Krankheitswert haben. Demnach gehören jene Vorkehren, welche auf die Heilung oder Linderung pathologischen oder sonstwie Krankheitswert aufweisenden Geschehens labiler Art gerichtet sind, nicht ins Gebiet der Invalidenversicherung. Erst wenn die Phase des (primären oder sekundären) pathologischen Geschehens insgesamt abgeschlossen und ein stabiler bzw. relativ stabilisierter Zustand eingetreten ist, kann sich - beim volljährigen Versicherten - überhaupt die Frage stellen, ob eine Vorkehr Eingliederungsmassnahme sei (
BGE 97 V 45
; EVGE 1969 S. 100; 1968 S. 112; 1967 S. 100). Stabilisierende Vorkehren richten sich gegen labiles pathologisches Geschehen. Deshalb muss eine kontinuierliche Therapie, die notwendig ist, um das Fortschreiten eines Leidens zu verhindern, als Behandlung des Leidens an sich bewertet werden. Im Anwendungsbereich des
Art. 12 IVG
besteht zwischen derartigen Vorkehren und therapeutischen Akten, welche das Fortschreiten irreversibler Lähmungsfolgen verhindern sollen, kein rechtlicher Unterschied.
BGE 98 V 205 S. 210
Unerheblich ist, ob die Lähmungsfolgen eine Zeitlang als praktisch stabilisiert gelten konnten oder nicht (EVGE 1969 S. 98 f. Erw. 3 a). Keine stabile Folge von Krankheit, Unfall oder Geburtsgebrechen ist daher ein Zustand, der sich nur dank therapeutischen Massnahmen einigermassen im Gleichgewicht halten lässt, gleichgültig welcher Art die Behandlung ist (
BGE 98 V 95
).
3.
Nach den Angaben von Dr. med. H. vom 20. Juni 1960 ist Verena Geissbühler seit 1951 in der Klinik X hospitalisiert, wo sie als Glätterin ausgebildet wurde und in beschränktem Masse arbeitet. Solange sie behandelt und regelmässig kontrolliert werde, sei kein Gesundheitsschaden zu erwarten, der sich auf die Teilerwerbsfähigkeit in der Klinik auswirken werde; die Patientin werde hingegen "nur teilerwerbsfähig bleiben, wenn sie die Möglichkeit hat, täglich massiert und behandelt zu werden".
PD Dr. med. G. bestätigte in seinem Bericht vom 20. September 1965 die anhaltende Behandlungsbedürftigkeit der Versicherten, die trotz der Schwere ihrer körperlichen Behinderung ihren Posten vollumfänglich versehe, wie folgt:
"Soll die Leistungsfähigkeit der Patientin erhalten werden und die zeitweilig, vor allem bei Ermüdung auftretenden Rückenschmerzen in Schach gehalten werden, dann ist die tägliche Anwendung von Heilgymnastik durch die Patientin selbst und die 2x wöchentliche Überwachung derselben durch eine unserer Therapeutinnen notwendig. Daneben ist Massage der Rückenmuskulatur notwendig, um die Schmerzen zu beseitigen. Täglich führt die Patientin auch in unserer Klinik Zugübungen zur Dehnung der Wirbelsäule sowie Atemgymnastik durch. Mit diesen Massnahmen ist zu erwarten, dass die Patientin ihre Erwerbsfähigkeit auch in Zukunft vollumfänglich erhalten kann."
Am 26. Januar 1971 berichtete PD Dr. med. S., Verena Geissbühler leide an einer ganz hochgradigen poliomyelitischen Skoliose. Im Laufe der letzten Jahre seien zunehmend "sehr hartnäckige und zum Teil sehr intensive Rückenschmerzen entstanden". Sie leide ferner an einer "zunehmenden Störung der Herz-Lungenfunktion", die im Frühjahr 1969 "zu einem akut lebensbedrohlichen Zustand infolge einer wahrscheinlich an sich geringfügigen pneumonischen Komplikation" geführt habe. Dr. S. spricht zudem von hochgradigen Lähmungen auch an den Extremitäten, während nach Dr. H. Arme, Beine, Hände und Füsse in allen Teilen ausserordentlich grazil, aber frei beweglich waren. Der progressive Charakter der kardiopulmonalen Störungen wird ebenfalls erst durch Dr. S. hervorgehoben,
BGE 98 V 205 S. 211
desgleichen die Tatsache, dass die Versicherte ohne die vorgeschlagene Behandlung in relativ kurzer Zeit arbeitsunfähig werde.
Gestützt auf die in Erwägung 2 dargelegten Grundsätze erscheint nach dem Gesagten die Annahme von Verwaltung und Vorinstanz, der Zustand der Beschwerdegegnerin sei als relativ stabilisiert zu betrachten, als zum mindesten fragwürdig. Auf Grund der vorliegenden Akten rechtfertigt es sich jedenfalls nicht, von einer solchen Annahme auszugehen. ...
4.
Selbst wenn indessen die hinreichende Stabilität des voroperativen Zustandes erwiesen wäre - was noch abzuklären sein wird -, muss geprüft werden, ob die bereits vorgenommenen und zum Teil noch durchzuführenden Behandlungen unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit der Beschwerdegegnerin dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren.
a) Unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet sind medizinische Vorkehren nur dann, wenn sie in einen stabilen bzw. relativ stabilisierten Defektzustand mit dem primären Zweck und der begründeten Voraussicht eingreifen, diesen Zustand zu beseitigen oder doch zu verbessern.
Nach Dr. med. B. (Zeugnis vom 3. Februar 1971) dient der Eingriff "in erster Linie der Erhaltung der heute bestehenden Arbeitsfähigkeit". Der Arzt fährt indessen fort:
"Wenn nichts getan wird, nimmt die Invalidität zu. Die Arbeitsfähigkeit wird dann nicht zuletzt beeinträchtigt sein durch Komplikationen von seiten des Herzens und der Lungen. Die eigentliche Lebensgefahr kommt eigentlich erst mit der Verschlechterung des heutigen Zustandes und die zu befürchtende weitgehende Invalidität wird dann nicht zuletzt durch das Cor pulmonale bedingt sein."
Nach diesem Bericht bestand das primäre und unmittelbare Ziel der auch von diesem Arzt befürworteten Behandlung in Lyon darin, die befürchtete Verschlechterung des labilen kardiopulmonalen Zustandes zu verhindern. Ferner ergibt sich aus den Ausführungen von Dr. S. vom 13. Dezember 1971, wonach erst die Verbesserung der Vitalkapazität (intensive korrigierende Behandlung) eine Operation überhaupt möglich machte, dass jedenfalls die 6monatige praeoperative Behandlung in Lyon nicht unmittelbar auf die Erwerbsfähigkeit gerichtet war.
b) Hinsichtlich der Wesentlichkeit des Eingliederungserfolges genügt es nicht, dass durch die medizinischen Vorkehren
BGE 98 V 205 S. 212
die Lebensdauer eines Versicherten verlängert und erst sekundär eine seit jeher eingeschränkte, auf die Dauer nur durch Stütztherapie zu konservierende Erwerbsfähigkeit erhalten wird. Wesentlich ist vielmehr der durch eine Behandlung erzielte Nutzeffekt nur dann, wenn er in einer bestimmten Zeiteinheit einen erheblichen absoluten Grad erreicht.
Bereits im Jahre 1960 wurde die Erwerbsfähigkeit der damals 23jährigen Versicherten, welche noch keine kardiopulmonalen Störungen aufwies, als eingeschränkt bezeichnet. Dies war deshalb richtig, weil Verena Geissbühler dauernd intensiver Therapie bedurfte, deren Kosten als kontinuierliche Aufwendungen für die Erhaltung ihrer Arbeitskraft die Erwerbsfähigkeit negativ beeinflussten. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, ob diese Behandlungsbedürftigkeit nach der Operation andauern wird. Bejahendenfalls müsste angenommen werden, dass die Skoliose-Operation im wesentlichen der Beseitigung oder Linderung der zunehmenden Störungen der Herz-Lungenfunktion - also labilen Anomalien - gegolten hat. Ferner kann heute die Frage nicht beantwortet werden, ob die Beschwerdegegnerin auch nach der Operation damit rechnen muss, weiterhin mit Skelettdeformitäten behaftet zu sein; insbesondere fragt es sich, ob die von Dr. H. erwähnte höchstgradige lordotische Einziehung der Wirbel der unteren Brustwirbelsäule überhaupt korrekturfähig war. Aus den Akten geht auch nicht hervor, wie weit die Versicherte den normalen Anforderungen des Berufes einer Klinik-Lingère vor und nach der Operation genügte bzw. genügen wird. Im Jahre 1960 war Verena Geissbühler 133 cm gross und 32 kg schwer; sie litt an Muskelschwäche. 1971 war ihr Allgemeinzustand nach Dr. S. sehr prekär; zudem litt sie an hochgradigen Lähmungen der Extremitäten. Die von diesem Arzt im Bericht vom 30. März 1971 prognostizierte grosse Wahrscheinlichkeit der Wiederherstellung bzw. Erhaltung mindestens einer partiellen Arbeitsfähigkeit genügt nicht zur Beantwortung der Frage, ob die Operation unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet war, einen wesentlichen erwerblichen Nutzeffekt zu zeitigen.
c) Schliesslich muss der zu erwartende erwerbliche Eingliederungserfolg auch dauernd sein, d.h. dass die konkrete Aktivitätserwartung bei der Beschwerdegegnerin gegenüber dem statistischen Durchschnitt nicht wesentlich herabgesetzt ist. Auch in dieser Hinsicht ist den Akten nichts zu entnehmen.
BGE 98 V 205 S. 213
5.
Sowohl die Verwaltung als auch die Vorinstanz haben den erwähnten Fragen nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt und die Beschwerdegegnerin in den Glauben versetzt, es gehe nur noch darum, zu entscheiden, ob die Skoliose-Operation im Ausland zu übernehmen sei. Die Invalidenversicherungs-Kommission, an welche die Sache zurückgewiesen wird, hat der Versicherten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ergänzende tatbeständliche Erhebungen vorzunehmen und über den streitigen Anspruch neu zu befinden. Sie wird insbesondere zu prüfen haben, ob die allgemeinen Voraussetzungen des
Art. 12 IVG
zur Gewährung der beanspruchten Massnahme erfüllt sind.
6.
Die gesetzlich vorgesehenen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung werden gemäss
Art. 9 Abs. 1 IVG
in der Schweiz, ausnahmsweise auch im Ausland gewährt. Diese Beschränkung gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes für alle Eingliederungsmassnahmen. Unter Hinweis auf die Materialien zum Invalidenversicherungsgesetz hat das Eidg. Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung Eingliederungsmassnahmen im Ausland nur zugesprochen, wenn die Massnahmen mangels geeigneter Einrichtungen oder wegen ihrer Besonderheit und Seltenheit in der Schweiz nicht oder noch nicht durchgeführt werden konnten, wenn also eine gleichwertige Behandlung in der Schweiz nicht zu finden war (
BGE 97 V 155
; EVGE 1966 S. 102 f.). Diese Voraussetzung des Ausnahmefalles muss objektiv vorliegen; blosse Vorzüge im Einzelfall genügen nicht (EVGE 1967 S. 248, 1966 S. 103). Denn die Invalidenversicherung gewährt den Versicherten grundsätzlich nur die dem jeweiligen Eingliederungszweck angepassten notwendigen Massnahmen (
Art. 8 Abs. 1 IVG
), nicht aber das nach den gegebenen Umständen Bestmögliche (EVGE 1963 S. 202). Aus dem Grundsatz des
Art. 2 Abs. 1 IVV
folgt ferner, dass nicht jede Verringerung des mit einer Operation verbundenen Risikos die Durchführung des Eingriffs im Ausland rechtfertigt. Vielmehr kommt es auf das Mass des Risikounterschiedes an, der sich nur im Einzelfall beurteilen lässt...
Sollte die Verwaltung zum Schluss kommen, dass die Skoliose-Operation eine medizinische Massnahme gemäss
Art. 12 IVG
darstellt, so wird sie bei der Prüfung der Frage, ob die Massnahme im Ausland zu gewähren sei, nach diesen Grundsätzen zu verfahren haben. Sie wird ausserdem das Mass des Risikounterschiedes berücksichtigen und entscheiden, ob die
BGE 98 V 205 S. 214
vorbereitenden Behandlungsmassnahmen auch zu übernehmen sind und wieweit der in Art. 14 Abs. 2 letzter Satz IVG niedergelegte Grundsatz auch auf einen ausländischen Durchführungsort anwendbar ist. | null | nan | de | 1,972 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c9461371-d505-4402-9902-d7387ae4b614 | Urteilskopf
110 Ib 264
45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21. November 1984 i.S. Gemeinde X. gegen Y. sowie Y. gegen Gemeinde X. und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Art. 24 RPG
; Ausnahmebewilligung. Umwandlung eines Maiensässgebäudes in ein Ferienhaus.
1. Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der teilweisen Änderung nach
Art. 24 Abs. 2 RPG
(E. 3).
2. Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Standortgebundenheit nach
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
(E. 4). | Erwägungen
ab Seite 264
BGE 110 Ib 264 S. 264
Erwägungen:
2.
(Darstellung der Grundsätze des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) über die Bewilligung von Ausnahmen ausserhalb der Bauzonen.)
BGE 110 Ib 264 S. 265
3.
Wie erwähnt, kann das kantonale Recht gemäss
Art. 24 Abs. 2 RPG
gestatten, zonenfremde Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Ob eine Baumassnahme unter
Art. 24 Abs. 2 RPG
fällt, beurteilt sich ausschliesslich nach dieser bundesrechtlichen Vorschrift. Bei der Erneuerung, dem Wiederaufbau und der teilweisen Änderung handelt es sich um bundesrechtliche Begriffe; sie bilden die Grenze für Bewilligungen nach
Art. 24 Abs. 2 RPG
(
BGE 108 Ib 54
E. 3b, 361 E. 3a, je mit Hinweisen).
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann eine Änderung im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
sowohl in einer Vergrösserung oder inneren Umgestaltung als auch in einer Zweckänderung bestehen. Sie ist als teilweise zu betrachten, soweit die Wesensgleichheit einer Baute gewahrt wird und keine wesentlich neuen Auswirkungen auf die Nutzungsordnung, Erschliessung und Umwelt geschaffen werden (
BGE 108 Ib 55
E. 3c, 361 E. 3a; EJPD/BRP, Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Bern 1981, Art. 22 N. 12 und 13, S. 274/275, Art. 24 N. 35 und 39, S. 303 und 304).
Im vorliegenden Fall haben die privaten Beschwerdeführer eine ursprünglich rein landwirtschaftlich genutzte Baute zu Wohnzwecken umgebaut. Aus einem Maiensässgebäude ist ein Ferienhaus geworden. Dadurch hat sich die Identität der Baute grundlegend verändert, was sich auf die Nutzungsordnung, Erschliessung und Umwelt auswirkt. Es liegt somit eine Zweckänderung vor, die nicht mehr als teilweise im Sinne von
Art. 24 Abs. 2 RPG
bezeichnet werden kann. Sie darf deshalb nur ausnahmsweise bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen von
Art. 24 Abs. 1 RPG
erfüllt sind.
4.
Wie ausgeführt, setzt
Art. 24 Abs. 1 RPG
für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung voraus, dass der Zweck der Baute oder Anlage einen Standort ausserhalb der Bauzonen erfordert (lit. a) und keine überwiegenden Interessen entgegenstehen (lit. b).
Ein Ferienhaus ist offensichtlich nicht auf einen Standort ausserhalb der Bauzonen angewiesen.
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
will unter anderem gerade die Umgestaltung von Maiensässgebäuden in Ferienhäuser verhindern (
BGE 108 Ib 133
E. 2). Die streitigen Umbauarbeiten können daher mangels Standortgebundenheit nicht bewilligt werden. Da beide Voraussetzungen von
Art. 24 Abs. 1 RPG
kumulativ erfüllt sein müssen, braucht nicht mehr
BGE 110 Ib 264 S. 266
geprüft zu werden, ob dem Umbau auch überwiegende Interessen entgegenstehen. Dessen Unzulässigkeit ergibt sich schon aus
Art. 24 Abs. 1 lit. a RPG
(
BGE 107 Ib 242
E. 3). | public_law | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c948513a-8939-4de3-ba78-a30bab7d474c | Urteilskopf
87 I 81
12. Urteil vom 12. Mai 1961 i.S. H. gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement. | Regeste
Strafrechtliche Verantwortlichkeit des Bundesbeamten; Ermächtigung zur Strafverfolgung (Art. 15 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958).
1. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
2. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung ist zu verweigern, wenn offensichtlich ein Straftatbestand nicht erfüllt ist (Erw. 2, 3). | Sachverhalt
ab Seite 82
BGE 87 I 81 S. 82
A.-
Frau H. liess im Frühjahr 1959 ihren hellbeigen Orlonmantel durch eine Reinigungsanstalt chemisch reinigen. In der Folge behauptete sie, der Mantel sei durch unsachgemässe Ausführung des Auftrages verdorben worden, und verlangte daher von der Reinigungsanstalt Schadenersatz.
Auf Begehren des Inhabers der Reinigungsanstalt ordnete der zuständige Bezirksgerichtspräsident eine vorsorgliche Begutachtung an, mit welcher die Textilprüfungsabteilung der Eidg. Materialprüfungs- und Versuchsanstalt (EMPA) betraut wurde. Die dort vorgenommene Untersuchung, deren Ergebnis in einem vom Sachbearbeiter X. und von seinem Vorgesetzten unterzeichneten Bericht vom 13. Oktober 1959 festgehalten ist, fiel im wesentlichen zugunsten der Reinigungsanstalt aus.
Frau H. erhob gegen den Inhaber der Reinigungsanstalt Zivilklage mit dem Begehren, er sei zum Ersatz des auf Fr. 363.-- bezifferten Wertes des Mantels zu verurteilen. Sie berief sich auf ein von ihr eingeholtes Gutachten des Textilinstitutes Dornbirn und ein von der Firma Belrob SA in Baden erstattetes zweites gerichtliches Gutachten. Der Gerichtspräsident schützte die Klage im reduzierten Betrage von Fr. 220.--. Die Klägerin legte beim Kantonsgericht Berufung ein, die noch hängig ist.
Ausserdem reichte sie gegen X. Strafanzeige wegen Abgabe eines falschen Gutachtens (
Art. 307 StGB
) ein.
BGE 87 I 81 S. 83
Sie behauptete, er sei ein "guter Bekannter" des Inhabers der Reinigungsanstalt und habe diesem mit dem Gutachten einen Gefallen erweisen wollen.
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement verweigerte jedoch die nach Art. 15 des BG über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (VG) erforderliche Ermächtigung zur Durchführung des Strafverfahrens gegen X. (Entscheid vom 31. Januar 1961).
B.-
Gegen diesen Entscheid erhebt Frau H. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie macht geltend, X. habe dem Zivilrichter bewusst ein falsches Gutachten abgegeben. Das Aussehen des Orlonmantels sei der beste Beweis dafür. Der Angeschuldigte werde auch durch die Gutachten des Instituts Dornbirn und der Firma Belrob belastet, ferner durch den Umstand, dass er sich geweigert habe, die von der Beschwerdeführerin gewünschte neue, einwandfreie Expertise zu erstatten. Seine Verfehlung stehe fest, auch wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass er ein guter Bekannter des Inhabers der Reinigungsanstalt sei.
C.-
Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement und X. beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
X. ist Bundesbeamter. Er hat das Gutachten vom 13. Oktober 1959 in Ausübung seines Amtes erstattet. Seine Strafverfolgung wegen der ihm von der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Abgabe eines falschen Gutachtens (
Art. 307 StGB
) bedarf daher nach
Art. 15 Abs. 1 VG
einer Ermächtigung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. Der angefochtene Entscheid, mit dem das Departement die Ermächtigung verweigert hat, unterliegt gemäss
Art. 15 Abs. 5 VG
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Nach dem letzten Satz des gleichen Absatzes steht die Beschwerde u.a. dem Verletzten zu, der Bestrafung des
BGE 87 I 81 S. 84
Beamten verlangt. Frau H. ist Verletzte im Sinne dieser Bestimmung und daher zur Beschwerde legitimiert.
Die Beschwerde ist rechtzeitig eingereicht worden. Dagegen enthält die Beschwerdeschrift weder einen förmlichen Antrag, noch werden darin deutlich Rügen erhoben, welche nach dem Gesetz in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht werden können. Immerhin kann der Begründung der Beschwerde entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin verlangen will, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die darin verweigerte Ermächtigung sei gemäss
Art. 15 Abs. 3 VG
zu erteilen, weil entgegen der Auffassung des Departementes der Straftatbestand des
Art. 307 StGB
als gegeben erscheine. Es kann angenommen werden, dass die in Art. 90/107 OG an den Inhalt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten Anforderungen erfüllt sind.
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
Art. 15 Abs. 3 VG
bestimmt: "Erscheinen ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung als erfüllt, so darf die Ermächtigung nur in leichten Fällen verweigert werden, und sofern die Tat nach allen Umständen durch eine disziplinarische Bestrafung des Fehlbaren als genügend geahndet erscheint." Danach braucht im Vorverfahren, in dem über die Ermächtigung zu entscheiden ist, nicht schon vollständig abgeklärt zu werden, ob ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung erfüllt sind oder nicht. Diese Fragen sind im nachfolgenden Strafverfahren näher zu prüfen, falls die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt wird. Im Ermächtigungsverfahren ist lediglich eine Vorprüfung vorzunehmen. Die Ermächtigung ist zu erteilen, wenn diese Prüfung Anhaltspunkte dafür ergibt, dass ein Straftatbestand und die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung gegeben sein könnten, es wäre denn, dass ein leichter Fall vorliegt und eine disziplinarische Bestrafung des Beamten als genügende Sanktion erscheint. Dagegen ist die Ermächtigung zu
BGE 87 I 81 S. 85
verweigern, wenn sich im Vorprüfungsverfahren herausstellt, dass ein Straftatbestand oder die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung offensichtlich nicht erfüllt sind. Dieses Verfahren hat vor allem den Zweck, die Bundesbeamten vor Belästigung durch völlig ungerechtfertigte (insbesondere "trölerische") Strafanzeigen zu schützen und dadurch den reibungslosen Gang der Verwaltung sicherzustellen (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 29. Juni 1956, BBl 1956 I S. 1398).
3.
Nach
Art. 307 StGB
wird bestraft, wer in einem gerichtlichen Verfahren als Sachverständiger ein falsches Gutachten abgibt. Strafbar ist mangels anderer Anordnung des Gesetzes nur die vorsätzliche, nicht auch die fahrlässige Verübung dieser Tat (
Art. 18 Abs. 1 StGB
). Vorsätzlich verübt die Tat, wer sie mit Wissen und Willen ausführt (Abs. 2 daselbst). X. könnte deshalb nur dann nach
Art. 307 StGB
bestraft werden, wenn sein Gutachten objektiv falsch wäre und er ausserdem sich der Unrichtigkeit seines Befundes bewusst gewesen wäre.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffen im wesentlichen nur den objektiven Tatbestand. Insbesondere versucht Frau H., unter Hinweis auf das jetzige Aussehen des Orlonmantels und auf die Gutachten des Textilinstitutes Dornbirn und der Firma Belrob die im Untersuchungsbericht der EMPA geäusserte Auffassung zu widerlegen, dass die Reinigungsanstalt den Mantel sachgemäss behandelt habe und dass ein wesentlicher Minderwert des Mantels im derzeitigen Zustand, nach fachgerechter Nachbehandlung, kaum geltend zu machen sei. Es mag sein, dass die gutachtlichen Äusserungen, auf welche die Beschwerdeführerin sich beruft, Anlass zu Zweifeln an der objektiven Richtigkeit des Befundes der EMPA geben können. Auf jeden Fall aber bieten sie - und erst recht das Aussehen des Mantels - keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass X. bewusst ein falsches Gutachten erstattet haben könnte.
Eine solche Annahme wäre schwerlich mit der Tatsache
BGE 87 I 81 S. 86
vereinbar, dass der Untersuchungsbericht der EMPA nicht allein von X., sondern ausserdem von seinem Vorgesetzten unterzeichnet ist, dessen Integrität auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird.
Die Beschwerdeführerin sieht ein Indiz für die Schuld des X. darin, dass er sich geweigert hat, die von ihr "gewünschte" neue Begutachtung vorzunehmen. Dieser Standpunkt der Beschwerdeführerin ist offensichtlich abwegig. Er beruht auf einer völligen Verkennung der Pflichten eines Gerichtsexperten. Nachdem X. zusammen mit seinem Vorgesetzten das vom Gericht erbetene Gutachten erstattet hatte, konnte er selbstverständlich jenem von einer Partei an ihn gestellten sonderbaren Ansinnen nicht Folge geben.
Von den Vorbringen der Beschwerdeführerin ist für die Schuldfrage einzig die Behauptung von Bedeutung, X. sei ein "guter Bekannter" des Inhabers der Reinigungsanstalt und habe diesem mit dem Gutachten eine Gefälligkeit erweisen wollen. Indessen haben die im Vorprüfungsverfahren auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft durch die Kantonspolizei vorgenommenen Einvernahmen des X. und des Inhabers der Reinigungsanstalt ergeben, dass von einer guten Bekanntschaft zwischen diesen beiden keine Rede sein kann. Entgegen der Vermutung der Beschwerdeführerin hat X. mit dem Inhaber der Reinigungsanstalt lediglich Beziehungen amtlichen Charakters unterhalten, so dass er keinen Anlass haben konnte, di-esen mit einer "Gefälligkeitsexpertise" zu begünstigen.
Da keinerlei ernsthafte Indizien für die Annahme, dass X. bewusst ein falsches Gutachten abgegeben haben könnte, ersichtlich sind, ist die angefochtene Verweigerung der Ermächtigung zu dessen Strafverfolgung nicht zu beanstanden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen. | public_law | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c94fb00a-b41d-4de4-af93-c475b2419f72 | Urteilskopf
104 II 154
25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. August 1978 i.S. M. gegen M. | Regeste
Art. 153 Abs. 1 ZGB
.
Die Pflicht zur Entrichtung einer Rente im Sinne von
Art. 151 oder 152 ZGB
hört auf, wenn der rentenberechtigte Ehegatte nach der Scheidung mit einem Angehörigen des andern Geschlechts eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bildet, diesen aber nur deswegen nicht heiratet, um der gesetzlichen Folge des Rentenverlustes auszuweichen. | Sachverhalt
ab Seite 155
BGE 104 II 154 S. 155
A.-
Die Eheleute M., die im Jahre 1947 geheiratet hatten, wurden durch Urteil des Bezirksgerichts Uster vom 20. Dezember 1974 geschieden. Dabei wurde der Ehemann verpflichtet, der Frau eine auf
Art. 151 ZGB
gestützte, indexierte Rente von monatlich Fr. 1'000.- zu bezahlen.
B.-
Mit Klage vom 17. Februar 1976 beantragte Walter M. beim Bezirksgericht Uster die sofortige Aufhebung der Rente, eventuell deren Herabsetzung auf Fr. 700.- monatlich. Zur Begründung seines Hauptantrags führte er aus, seine geschiedene Frau lebe mit einem andern Mann im Konkubinat; sie heirate nur deswegen nicht, um die Rente nicht zu verlieren; damit handle sie rechtsmissbräuchlich im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 ZGB
.
Das Bezirksgericht wies die Klage am 9. Februar 1977 in vollem Umfang ab, während das Obergericht des Kantons Zürich in Gutheissung der Berufung des Klägers mit Urteil vom 2. Februar 1978 die Verpflichtung zur Bezahlung der Rente mit Wirkung ab 1. März 1976 aufhob.
C.-
Amalie M. führt Berufung ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, eventuell auf Rückweisung an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1.
Nach
Art. 153 Abs. 1 ZGB
hört die Pflicht zur Entrichtung einer Rente im Sinne von Art. 151 bzw. 152 ZGB auf, wenn der berechtigte Ehegatte sich wieder verheiratet. Die Vorinstanz geht in ihrem Entscheid davon aus, im Hinblick auf diese Bestimmung stelle es einen offenbaren Missbrauch eines Rechts dar, wenn der rentenberechtigte Ehegatte nach der Scheidung eine neue Lebensgemeinschaft mit einem Angehörigen des andern Geschlechts bilde, mit diesem aber nicht die Ehe eingehe, um der gesetzlichen Folge des Rentenverlustes
BGE 104 II 154 S. 156
auszuweichen. Der Sachverhalt könne der Vereitelung des Eintritts einer rechtsgeschäftlichen Bedingung zur Seite gestellt werden, für welchen Fall
Art. 156 OR
aus dem allgemeinen Gebot des Handelns nach Treu und Glauben heraus bestimme, dass die Bedingung als erfüllt gelte.
Dieser grundsätzlichen Erwägung ist zuzustimmen. Sie steht in Einklang mit der Lehre (HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 145 N. 1a; MERZ, N. 578 zu
Art. 2 ZGB
). Was die Beklagte dagegen vorbringt, hält nicht stich. Gewiss lässt
Art. 153 Abs. 1 ZGB
die Rentenverpflichtung nur mit der Wiederverheiratung des berechtigten Ehegatten enden. Doch bleibt wie bei jeder Rechtsausübung auch hier der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs vorbehalten. Dass in dieser Frage eine Bundesgerichtspraxis nicht besteht, ist sodann entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift ebensowenig von Bedeutung wie der Umstand, dass die Vorinstanz "lediglich" die erwähnte Stelle bei MERZ zitiert. | public_law | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c95d7a4f-30bc-4fc6-8231-e5dbbf93b72d | Urteilskopf
112 III 59
15. Arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du 17 février 1986 dans la cause Paramount Trade Corporation (recours LP) | Regeste
Anmeldung des Drittanspruchs auf verarrestierte Vermögensgegenstände.
Bei Beantwortung der Frage, ob der Dritte seinen Eigentumsanspruch verspätet angemeldet habe, muss auf den Zeitpunkt abgestellt werden, wo er persönlich Kenntnis vom Beschlag seiner Vermögensgegenstände bekommen hat (E. 1).
Grundsätzlich muss der Eigentumsanspruch nicht angemeldet werden, solange die Aufsichtsbehörde nicht über eine Beschwerde entschieden hat, die den Arrestvollzug zum Gegenstand hat (E. 2).
In casu Verneinung einer verspäteten Anmeldung des Drittanspruchs (E. 3 und 4). | Sachverhalt
ab Seite 59
BGE 112 III 59 S. 59
A.-
Le 18 juin 1984, Paramount Trade Corporation (ci-après: Paramount) a obtenu de l'autorité genevoise compétente un séquestre (no 1184 SQ 310) contre Interfreight S.A., à Panama, pour les montants de 44'155 francs 55 et 9'906 francs 70 en capital. Le séquestre portait sur les actifs de la poursuivie Interfreight S.A.
BGE 112 III 59 S. 60
déposés à la Banque Nationale de Paris (Suisse) S.A., la Banque de Paris et des Pays-Bas (Suisse), la Banque Scandinave en Suisse et l'Union de Banques Suisses (ci-après: UBS), toutes à Genève, tant au nom d'Interfreight S.A. qu'à celui de EIT Seagrain S.A., EIT Seapako S.A. ou STL Ship and Trade Management Ltd (devenue par la suite EIT Trade and Barter S.A.), toutes trois à Genève.
L'Office des poursuites de Genève a exécuté le séquestre le même jour par l'envoi de télex aux banques précitées. Le 28 juin 1984, la Banque de Paris et des Pays-Bas informa l'Office que le séquestre n'avait pas porté. L'UBS en fit de même le 30 juillet 1984, en donnant toutefois l'état des comptes de EIT Seapako S.A., EIT Seagrain S.A. et STL Ship and Trade Management S.A. d'où il ressortait que ces trois sociétés étaient chacune titulaires d'un compte créditeur et de comptes débiteurs de montants supérieurs. L'UBS fit valoir un droit de gage, respectivement de compensation sur les avoirs en question. La Banque Scandinave accusa réception du télex sans préciser si la mesure avait porté; elle ne précisa que le 17 octobre 1984 que tel n'était pas le cas. La Banque Nationale de Paris paraît n'avoir réagi que le 3 décembre, date à laquelle elle a fait savoir à l'Office que le séquestre n'avait porté qu'à concurrence du montant de 54'052 francs 25 bloqué sur un compte de EIT Seapako S.A.
Le procès-verbal d'exécution du séquestre a été envoyé à la poursuivante Paramount le 29 juin 1984. Celle-ci valida le séquestre par une poursuite No 4.153.257 contre Interfreight S.A., notifiée par voie édictale.
B.-
Par décision du 22 août 1984, l'autorité de surveillance des offices de poursuite pour dettes et de faillite du canton de Genève a rejeté les plaintes portées par les trois sociétés indiquées comme prête-nom de la poursuivie contre l'exécution du séquestre dans la mesure où le séquestre portait sur des comptes à leurs noms. La décision de l'autorité de surveillance a été confirmée par arrêt de la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral du 3 octobre 1984.
C.-
Par lettre du 26 juin 1984, EIT Seapako S.A., EIT Seagrain S.A. et EIT Trade and Barter S.A. déclarèrent à l'Office qu'elles revendiquaient les biens frappés par le séquestre auprès des établissements bancaires concernés. Elles demandèrent à l'Office de "suspendre la poursuite" et d'ouvrir la procédure de revendication au sens de l'
art. 109 LP
, un délai étant assigné à la
BGE 112 III 59 S. 61
poursuivante pour ouvrir action en contestation de revendication. L'Office des poursuites répondit le 4 juillet 1984 en priant le conseil des revendiquantes de lui communiquer les adresses de celles-ci et de décrire avec détails les biens sur lesquels portaient les prétentions des revendiquantes. Le conseil des revendiquantes donna suite à ces requêtes, en précisant notamment, par lettres des 16 juillet et 3 décembre 1984, les montants que chacune des trois sociétés revendiquait sur le compte dont elle est titulaire auprès de l'UBS, et releva que EIT Seapako S.A. revendiquait en outre la somme de 54'052 francs 25 bloquée sur le compte dont elle est titulaire auprès de la Banque Nationale de Paris.
Dès lors, par avis du 5 décembre 1984, l'Office des poursuites a imparti à la poursuivante Paramount le délai de l'
art. 109 LP
pour ouvrir action en contestation de revendication à EIT Seagrain S.A. - qui se prétend propriétaire du compte No 441.227.00 H séquestré en mains de l'UBS et estimé à 9'744 francs 05 -, à EIT Seapako S.A. - qui se prétend propriétaire du compte No 441'479.00 W en mains de l'UBS et estimé à 13 francs 84 et de la somme de 54'052 francs 25 bloquée en mains de la Banque Nationale de Paris - et à EIT Trade and Barter S.A. - qui prétend être propriétaire du compte No 457.697.00 Z en mains de l'UBS, estimé à 2'839 francs 90. La poursuivante a donné suite à ces avis en ouvrant en temps utile les actions en contestation de revendication. Elle a toutefois porté plainte contre les avis du 5 décembre 1984 de l'office.
D.-
Par arrêt du 8 janvier 1986, l'autorité genevoise de surveillance a rejeté les plaintes portées par la poursuivante Paramount contre les avis du 5 décembre 1984 lui impartissant le délai de l'
art. 109 LP
pour ouvrir action aux revendiquantes. L'autorité cantonale a considéré que, contrairement à ce que faisait valoir la plaignante, les revendiquantes n'avaient pas tardé à présenter leurs revendications de manière telle qu'elles soient déchues du droit de revendiquer dans la poursuite en cause.
E.-
En temps utile, Paramount exerce un recours à la Chambre des poursuites et des faillites du Tribunal fédéral. Elle fait valoir que les revendications formées par les intimées sont objectivement et subjectivement tardives et conclut à l'annulation de la décision cantonale et des fixations de délais auxquelles l'Office des poursuites a procédé le 5 décembre 1984.
BGE 112 III 59 S. 62
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le tiers qui tarde à annoncer qu'il est propriétaire des biens saisis ou séquestrés perd son droit de revendication s'il sait ou doit savoir que son retard compromet le cours de la poursuite et amène le poursuivant à entreprendre des démarches tendant à l'exécution forcée dont il aurait pu s'abstenir s'il avait connu les droits revendiqués (
ATF 111 III 23
consid. 2;
ATF 109 III 20
; 60). Aucun reproche ne saurait être fait au tiers de ne pas faire valoir sa prétention tant qu'il ignore que des biens lui appartenant ont été saisis ou séquestrés. On doit donc déterminer à quel moment le tiers a personnellement eu connaissance de la mesure frappant ses biens. Ce n'est que lorsque ce point est établi que l'on peut apprécier si le laps de temps qui lui a été nécessaire pour former sa revendication est excessif et témoigne du fait qu'il a pu se rendre compte qu'il entravait le cours de la poursuite et que la bonne foi lui imposait de renseigner le poursuivant sur la prétention élevée, afin que celui-ci soit en mesure le cas échéant de recourir à d'autres formes d'exécution forcée, ou de renoncer à des procédés coûteux qui se révéleraient inutiles si le bien saisi ou séquestré ne fait pas partie du patrimoine de son véritable débiteur (
ATF 109 III 60
/61).
2.
En l'espèce, l'autorité cantonale a considéré que les revendiquantes n'avaient pas de raison d'annoncer leurs prétentions tant qu'était litigieuse la question de savoir si l'exécution du séquestre sur les comptes dont elles sont au moins formellement titulaires devait être maintenue. Cette opinion doit être approuvée. La revendication ne peut se concevoir qu'après l'exécution de la saisie ou du séquestre, c'est-à-dire au moment où le poursuivi a reçu l'avis de l'office qu'il ne peut plus disposer librement des biens frappés par la mesure (
art. 96 LP
auquel renvoie l'
art. 275 LP
;
ATF 107 III 69
/70 consid. 1;
ATF 97 III 22
). En effet, seule la saisie ou le séquestre réserve les biens qui font l'objet de cette mesure en vue de leur réalisation au bénéfice du poursuivant. C'est dès lors uniquement au moment où la saisie, respectivement le séquestre, a été validement exécutée par l'office que le tiers peut se rendre compte que l'objet frappé par la mesure risque d'être réalisé, avec la conséquence de la perte possible de ses droits (
ATF 109 III 20
en bas). Dans la mesure où les biens litigieux échapperaient à la saisie ou au séquestre, le revendiquant ne courrait pas un tel risque. Aussi bien la revendication d'un bien insaisissable ne saurait-elle donner ouverture à la procédure
BGE 112 III 59 S. 63
des
art. 106 ss LP
tant qu'il n'a pas été statué sur la saisissabilité du bien en cause (
ATF 84 III 35
consid. 3;
ATF 83 III 20
). L'action en contestation de revendication suppose que la saisie soit valable d'après les règles de la procédure (
ATF 96 III 117
consid. 4). C'est donc à bon droit que l'autorité cantonale a considéré que les revendiquantes n'avaient pas à annoncer leurs revendications aussi longtemps que les biens dont elles se prétendaient propriétaires risquaient d'échapper au poids du séquestre si l'exécution de cette mesure avait été annulée par les autorités de surveillance saisies de plaintes contre cette exécution.
3.
C'est également à bon droit que l'autorité de surveillance a considéré qu'en l'espèce la poursuivante n'a pas été surprise par une revendication inopinée, et qu'elle savait dès le moment où elle a requis le séquestre que les biens qu'elle faisait mettre sous main de justice risquaient d'être revendiqués par les titulaires - à tout le moins sur le plan formel - des comptes bancaires qu'elle désignait (
ATF 111 III 25
consid. 4).
4.
Au surplus, en l'espèce, les revendiquantes ont indiqué avec précision leurs revendications respectives déjà par lettre du 16 juillet 1984. Les indications données à cette occasion sont parfaitement claires et permettaient à l'Office des poursuites d'ouvrir la procédure de revendication dans les conditions exposées dans l'
ATF 65 III 43
. Chacun des objets revendiqués est indiqué par le numéro du compte revendiqué dans un établissement bancaire clairement désigné. La lettre des intimées en date du 3 décembre 1984 à l'Office n'est pas plus claire. Tout ce qu'elle ajoute, c'est le montant des comptes en cause. Or cette indication n'a pas à être fournie par le revendiquant; c'est en effet à l'office des poursuites qu'il incombe d'estimer la valeur du bien saisi (
art. 97 al. 1 LP
) ou séquestré (
art. 275 LP
renvoyant à l'
art. 97 al. 1 LP
).
Les revendications ont dès lors été valablement faites dès le 16 juillet 1984, avant même qu'il ait été définitivement statué sur la validité de l'exécution du séquestre, et moins d'un mois après que l'Office des poursuites eut donné suite à l'ordonnance de séquestre du 18 juin 1984. La question de la péremption du droit de revendication ne saurait se poser dans de telles circonstances. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c9612ca4-d725-4f5c-aca3-22632d0cacec | Urteilskopf
100 V 162
40. Auszug aus dem Urteil vom 29. August 1974 i.S. Reinolter gegen Schweizerische Ausgleichskasse und Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen | Regeste
Rückforderung einer irrtümlich ausgerichteten Rente (
Art. 47 Abs. 1 AHVG
). Der Grundsatz des Vertrauensschutzes tritt gegenüber einer zwingend und unmittelbar aus dem Gesetz sich ergebenden Sonderregelung zurück (Erw. 4).
Einjährige Verjährungsfrist des
Art. 47 Abs. 2 AHVG
. Auslegung des gesetzlichen Ausdrucks "Kenntnis erhalten" (Erw. 3). | Erwägungen
ab Seite 162
BGE 100 V 162 S. 162
Aus den Erwägungen:
2.
Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführerin zu Unrecht eine Witwenrente ausgerichtet worden ist. Zu beurteilen ist einzig, ob und gegebenenfalls in welchem Umfange sie hierfür rückerstattungspflichtig sei.
Mit der Verfügung vom 24. Mai 1972 erhob die Ausgleichskasse eine Rückforderung im Betrage von Fr. 15 314.-- entsprechend den in der Zeit von März 1967 bis Februar 1972 erfolgten Rentenzahlungen. Da der Rückforderungsanspruch nach
Art. 47 Abs. 2 AHVG
spätestens mit Ablauf von 5 Jah ren seit der einzelnen Rentenzahlung verjährt, hätten die Rentenbetreffnisse der Monate März bis Mai 1967 nicht zurückgefordert werden dürfen. Obgleich die Ausgleichskasse einen
BGE 100 V 162 S. 163
entsprechenden Antrag auf teilweise Gutheissung der Beschwerde gestellt hatte, blieb dieser Punkt im vorinstanzlichen Entscheid unberücksichtigt. Insoweit ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde daher gutzuheissen.
3.
Für die Rückforderung der ab Juni 1967 bezogenen Renten ist entscheidend, ob die Ausgleichskasse berechtigt war, den Beginn der einjährigen Frist auf den Zeitpunkt zu beziehen, in welchem sie sich ihres Irrtums bewusst wurde, obgleich der massgebende Sachverhalt unbestrittenermassen bereits anlässlich der Rentenverfügung aktenkundig war.
Art. 47 Abs. 2 AHVG
bestimmt, dass der Rückforderungsanspruch (im Rahmen der absoluten fünfjährigen Frist) verjährt "mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Ausgleichskasse davon Kenntnis erhalten hat". Wie das Eidg. Versicherungsgericht in EVGE 1954 S. 26ff. ausgeführt hat, ist unter dem gesetzlichen Ausdruck "Kenntnis erhalten" das "Sichbewusstwerden" des Irrtums zu verstehen. Die einjährige (relative) Verjährungsfrist beginnt demnach im Zeitpunkt zu laufen, in welchem sich die Verwaltung von der irrtümlichen Leistung Rechenschaft gibt, und nicht schon dann, wenn sie objektiv davon hätte Kenntnis haben können bzw. hätte Kenntnis haben müssen. Andernfalls würde es der Verwaltung - insbesondere im Falle von Rechnungsfehlern, bei welchen das "Kenntnis haben müssen" regelmässig zu bejahen wäre - praktisch verunmöglicht, unrechtmässig bezogene Leistungen nach Ablauf eines Jahres seit Verfügungserlass zurückzufordern.
4.
... Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Fehlerhaftigkeit der seinerzeitigen Rentenverfügung beruhe ausschliesslich auf grober Fahrlässigkeit der Ausgleichskasse; eine Gutheissung des Rückforderungsanspruchs käme daher einem nicht zu rechtfertigenden Verstoss gegen Treu und Glauben gleich.
Es besteht kein Zweifel, dass die Beschwerdeführerin die zu Unrecht ausgerichteten Rentenleistungen in gutem Glauben auf die Richtigkeit der Verfügung bezogen und zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verwendet hat. Ebenso eindeutig ist, dass die unzutreffende Verfügung vom 17. März 1967 ausschliesslich auf ein Versehen der Ausgleichskasse zurückzuführen ist. Ob sich die Beschwerdeführerin unter diesen Umständen auf die von der Praxis entwickelten Grundsätze
BGE 100 V 162 S. 164
über den Vertrauensschutz berufen kann, muss indessen unter Berücksichtigung der besondern Bestimmungen des AHVG beurteilt werden.
Mit der Vorschrift von
Art. 47 AHVG
und den zugehörigen Verordnungsbestimmungen (
Art. 78 ff. AHVV
) hat der Gesetzgeber die rechtlichen Folgen einer unrechtmässigen Ausrichtung von Versicherungsleistungen ausdrücklich geregelt. Insbesondere hat er auch die Möglichkeit eines Erlasses der Rückerstattungspflicht vorgesehen und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versicherte die Leistungen gutgläubig bezogen haben kann. Darüber hinaus wurde dem Prinzip der Rechtmässigkeit des Verwaltungshandelns der Vorrang gegeben gegenüber dem Schutz des guten Glaubens desjenigen, der unrechtmässig Versicherungsleistungen bezogen hat. Insofern tritt das Vertrauensprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz gegenüber der unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz sich ergebenden Sonderregelung zurück. Es besteht somit grundsätzlich kein Raum zu einer über den in
Art. 47 AHVG
umschriebenen Schutz des guten Glaubens hinausgehenden Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben... | null | nan | de | 1,974 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c963e7b2-0589-4104-b73f-e15473d4c035 | Urteilskopf
134 IV 60
9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Beschwerde in Strafsachen)
6B_366/2007 vom 17. März 2008 | Regeste a
Art. 34 StGB
, Geldstrafe/Bemessung.
Grundlagen und Zweck der Geldstrafe im neuen Sanktionensystem (E. 4). Grundsätze zur Bemessung der Geldstrafe (E. 5). Einkommen, Vermögen, Lebensaufwand, Familien- und Unterstützungspflichten, persönliche Verhältnisse und Existenzminimum als Kriterien zur Bemessung von Geldstrafen (E. 6).
Regeste b
Art. 42 und 43 StGB
, bedingte und teilbedingte Geldstrafen; Verbindungsgeldstrafe.
Voraussetzungen der Gewährung des bedingten und teilbedingten Geldstrafenaufschubs (E. 7.1 und 7.2). Möglichkeiten, eine bedingte Geldstrafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse zu verbinden (E. 7.3). Abgrenzung der Strafenkombination von der teilbedingten Geldstrafe (E. 7.4).
Regeste c
Art. 41 StGB
, kurze unbedingte Freiheitsstrafe.
Wegen der Subsidiarität von Freiheitsstrafen im Bereich unter sechs Monaten hat das Gericht vorab zu prüfen, ob eine Geld- oder Arbeitsstrafe vollziehbar wäre. Anforderungen an Stellung und Begründung dieser Vollstreckungsprognose (E. 8). | Sachverhalt
ab Seite 61
BGE 134 IV 60 S. 61
A.
X. wird unter anderem vorgeworfen, sich spätestens seit dem 30. März 2004 illegal in der Schweiz aufgehalten zu haben. Am 2. Mai 2005 soll er für eine Bahnfahrt von Bern nach Basel unerkannt das Halbtax-Abonnement seines Bruders benutzt und sodann nach seiner Ankunft zusammen mit Y. in verschiedenen Geschäften der Basler Innenstadt Kleider gestohlen haben.
B.
Am 26. September 2005 wurde X. vom Strafgerichtspräsidenten Basel-Stadt des mehrfachen, teilweise im Sinne von Art. 21 Abs. 1 aStGB versuchten Diebstahls (
Art. 139 Ziff. 1 StGB
), der Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; AS 1949 I 225) sowie der Widerhandlung gegen Art. 51 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1985 über den Transport im öffentlichen Verkehr (Transportgesetz, TG; SR 742.40) in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Transport im öffentlichen Verkehr (Transportverordnung, TV; SR 742.401)
für schuldig befunden und mit fünf unbedingt vollziehbaren Monaten Gefängnis sowie einer Busse von Fr. 50.- bestraft.
BGE 134 IV 60 S. 62
C.
Auf Appellation X.s hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 7. März 2007 das erstinstanzliche Urteil im Schuld- und Strafpunkt, wobei anstatt auf eine fünfmonatige Gefängnis-, auf eine ebenso lange unbedingte Freiheitsstrafe erkannt wurde.
D.
Gegen dieses Urteil erhebt X. Beschwerde in Strafsachen, mit der er bezüglich des Diebstahls und der ausländerrechtlichen Widerhandlung einen Freispruch, in Bezug auf die Übertretung des Transportgesetzes einen Schuldspruch verlangt. Eventualiter sei das angefochtene Urteil im Strafpunkt aufzuheben und sei er zu einer "Geldbusse" oder zu gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen. Subeventualiter sei die Angelegenheit zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner verlangt er die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
E.
Auf Vernehmlassung hin reichten das Appellationsgericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt je eine auf Abweisung schliessende Stellungnahme zur Beschwerde ein. Diese wurden X. zur Vernehmlassung unterbreitet. Mit Schreiben vom 20. September 2007 reichte er seine Stellungnahme ein, mit der er an seinen ursprünglichen Anträgen festhält.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Strafpunkt gut und weist sie im Übrigen ab, soweit darauf einzutreten ist.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Ausfällung einer kurzen unbedingten Freiheitsstrafe
Art. 41 StGB
verletze.
3.1
Die Dauer der Freiheitsstrafe beträgt in der Regel mindestens sechs Monate (
Art. 40 StGB
). Auf eine vollziehbare Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten kann das Gericht nach
Art. 41 StGB
nur erkennen, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe nach
Art. 42 StGB
nicht gegeben sind und zu erwarten ist, dass eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann (Abs. 1). Es hat diese Strafform näher zu begründen (Abs. 2). Darüberhinaus kommen kurze Freiheitsstrafen nur noch als Ersatzfreiheitsstrafe (
Art. 36 und 39 StGB
) in Frage, sofern der Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlt und sie auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist bzw. soweit der Verurteilte die gemeinnützige Arbeit trotz Mahnung nicht leistet. Mit der Bestimmung von
Art. 41 StGB
hat der Gesetzgeber für Strafen bis zu sechs Monaten eine
BGE 134 IV 60 S. 63
gesetzliche Prioritätsordnung zugunsten nicht freiheitsentziehender Sanktionen eingeführt (
BGE 134 IV 82
E. 4.1 S. 84 mit Hinweis auf GOran MAZZUCCHELLI, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007,
Art. 41 StGB
N. 11/38). Dahinter steckt das zentrale Anliegen des reformierten Sanktionenrechts, die sozial desintegrierenden kurzen Freiheitsstrafen möglichst zurückzudrängen (vgl.
BGE 134 IV 97
E. 4.2.2 S. 101 m.w.H). Eine unbedingte Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kommt nach neuem Recht somit nur noch ausnahmsweise in Betracht. Sie ist nach
Art. 41 StGB
nur möglich, wenn ein bedingter Aufschub nicht möglich und gleichzeitig der Vollzug von Arbeits- oder Geldstrafen nicht zu erwarten ist. Dies ist nachfolgend zu prüfen.
3.2
Das Gericht schiebt den Vollzug gemäss
Art. 42 StGB
in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Abs. 1). Wurde der Täter innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Tat zu einer bedingten oder unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen verurteilt, so ist der Aufschub nur zulässig, wenn besonders günstige Umstände vorliegen (Abs. 2). Im hier zu beurteilenden Fall scheidet der bedingte Strafvollzug nach
Art. 42 StGB
sowohl wegen der Renitenz des Beschwerdeführers (Abs. 1) als auch aus objektiven Gründen (Abs. 2) aus. Er wurde am 23. Mai 2001 und somit weniger als fünf Jahre vor der Tat vom 2. Mai 2005 zu einer 40-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt, welche er bis zum 16. Juni 2002 verbüsste. Die Voraussetzungen zur Ausfällung einer unbedingten Strafe sind somit gegeben.
3.3
Das Bundesgericht hält in einem Grundsatzentscheid fest, dass sich die Anordnung von gemeinnütziger Arbeit nur rechtfertigen lasse, solange wenigstens Aussicht besteht, dass der Betroffene auch nach einem allfälligen Strafvollzug in der Schweiz bleiben darf. Sinn der Arbeitsstrafe ist die Wiedergutmachung zu Gunsten der lokalen Gemeinschaft sowie die Erhaltung des sozialen Netzes des Verurteilten (vgl.
BGE 134 IV 97
E. 6.3.3.4 S. 110 m.w.H). Dieses Ziel lässt sich im vorliegenden Fall nicht erreichen, da der Verbleib des Beschwerdeführers in der Schweiz mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Während in jenem Entscheid eine Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung nicht auszuschliessen war, ist hier über die fehlende Anwesenheitsberechtigung des Beschwerdeführers endgültig gerichtlich entschieden worden. Es steht fest, dass er die
BGE 134 IV 60 S. 64
Schweiz verlassen muss. Die gemeinnützige Arbeit hat als unzweckmässige Sanktion daher auszuscheiden.
3.4
Nachdem die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe nach
Art. 42 StGB
zu Recht als nicht gegeben eingestuft wurden und eine Arbeitsstrafe ausscheidet, bleibt noch die gegenüber kurzen Freiheitsstrafen ebenfalls vorrangige Geldstrafe zu prüfen. Nachfolgend werden zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der Ausfällung und Bemessung von Geldstrafen im Detail dargestellt (E. 4-6), bevor in einem zweiten Schritt zur Frage des Geldstrafenaufschubs Stellung zu nehmen ist (E. 7). Erst auf dem Fundament dieser allgemeinen Überlegungen lässt sich in einem dritten Schritt das vorliegend interessierende Verhältnis zwischen Geldstrafen und kurzen unbedingten Freiheitsstrafen erschliessen (E. 8).
4.
4.1
Am 1. Januar 2007 ist der revidierte Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 in Kraft getreten (AS 2006 S. 3459). Für Vergehen und Verbrechen führte die Revision als neue Sanktionsart die Geldstrafe ein (
Art. 34 StGB
). Im Unterschied zur Busse, die sich nach dem Gesamtsummensystem bemisst und nur noch für Übertretungen zur Verfügung steht (
Art. 103 StGB
), wird sie im Tagessatzsystem verhängt. Die Geldstrafe ist eine Sanktion am Rechtsgut Vermögen, die beim Täter eine Einschränkung des Lebensstandards und Konsumverzicht bewirken soll. Darin liegt ihr Strafzweck (ANNETTE DOLGE, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007,
Art. 34 StGB
N. 13 mit Hinweisen).
4.2
Die Einführung der Geldstrafe auf der Grundlage des Tagessatzsystems geht auf ein langjähriges, weit verbreitetes Postulat zurück. Bereits im Jahre 1892 hielt CARL STOOSS dafür, "am Richtigsten werde es sein, für die Geldstrafe keine festen gesetzlichen Sätze zu bestimmen, sondern entweder die Vermögenslage durch den Richter frei würdigen zu lassen oder als Einheit das tägliche oder monatliche oder jährliche Einkommen des zu Bestrafenden zu Grunde zu legen" (Die Grundzüge des Schweizerischen Strafrechts, 1. Bd., Basel 1892, S. 380). Mehrere europäische Rechtsordnungen führten die Geldstrafe vor Jahrzehnten ein im Bestreben, die kurze Freiheitsstrafe zurückzudrängen, die Vermögenssanktion gerechter zu bemessen und ihren Anwendungsbereich zu erweitern (siehe GERHARDT GREBING, Die Geldstrafe in rechtsvergleichender Darstellung, in: Die Geldstrafe im deutschen und ausländischen Recht, Hans-Heinrich
BGE 134 IV 60 S. 65
Jescheck/Gerhard Grebing [Hrsg.], Baden-Baden 1978, S. 1195 ff., 1206 ff.;
ders.
, Geldstrafenverhängung nach dem Tagessatzsystem im deutschen Recht, ZStrR 98/1981 S. 45 ff.).
4.3
Die Revision des Sanktionensystems in der Schweiz verfolgt die nämlichen Ziele. Die bundesrätliche Botschaft nennt als zentrales Anliegen die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Geldstrafe sowie die Einführung des Tagessatzsystems, um sie transparenter und gerechter zu bemessen. Die bedeutende Stellung der Geldstrafe im Sanktionensystem soll zum Ausdruck gebracht werden, indem sie das Kapitel über die Strafen einleitet (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [im Folgenden: Botschaft 1998], BBl 1999 S. 2017, 2019, 2032, ferner S. 1984 f.).
Im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches waren entsprechende Anpassungen erforderlich. Bei allen Vergehen oder Verbrechen, die bisher die Ausfällung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ermöglichten, ist neu Geldstrafe wahlweise neben Freiheitsstrafe angedroht, auch dort, wo früher keine Busse verhängt werden konnte (z.B.
Art. 139 Ziff. 1 StGB
; siehe die Übersicht über die Anpassungen in Ziff. II/1 Abs. 1-16 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Änderung des Strafgesetzbuches [AS 2006 S. 3502 ff.]).
5.
5.1
Die Bemessung der Geldstrafe wird in
Art. 34 StGB
wie folgt geregelt:
1
Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe höchstens 360 Tagessätze. Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2
Ein Tagessatz beträgt höchstens 3'000 Franken. Das Gericht bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.
3
Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4
Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
5.2
Die Bedeutung der Geldstrafenbemessung im Tagessatzsystem wird durch die Absatz-Gliederung von
Art. 34 StGB
angezeigt. Die Bemessung erfolgt in zwei selbständigen Schritten, die strikt auseinanderzuhalten sind. Zunächst bestimmt das Gericht die Anzahl der
BGE 134 IV 60 S. 66
Tagessätze nach dem Verschulden des Täters (Abs. 1). Im Anschluss daran hat es die Höhe des Tagessatzes nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen festzusetzen (Abs. 2). Der Gesamtbetrag der Geldstrafe, die dem Verurteilten auferlegt wird, ergibt sich erst aus der Multiplikation von Zahl und Höhe der Tagessätze. Beide Faktoren sind im Urteil getrennt festzuhalten (Abs. 4).
Die Geldstrafenbildung wird auf diese Weise transparenter und zwingt dazu, genauer zu ermitteln, was ein bestimmter Betrag für den einzelnen Täter in seiner konkreten finanziellen Situation bedeutet. Zudem soll die Geldstrafe im unteren Sanktionsbereich gleichwertig an die Stelle von insbesondere kurzen Freiheitsstrafen treten und mehr als eine blosse "Busse" sein (GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, 2. Aufl., Bern 2006 [im Folgenden: StGB AT II], § 2 Rz. 5 S. 64).
5.3
Die Bemessung der
Tagessatzanzahl
richtet sich nach dem Verschulden (erster Schritt). Dabei gilt die allgemeine Regel von
Art. 47 StGB
, wonach das Gericht neben dem Verschulden im engeren Sinn (
Art. 47 Abs. 2 StGB
; sog. Tatkomponenten) das Vorleben, die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf das Leben des Täters berücksichtigt (
Art. 47 Abs. 1 StGB
; sog. Täterkomponenten). In der Anzahl Tagessätze schlägt sich das Strafmass nieder. Für den Fall, dass die Geldstrafe nicht bezahlt und voraussichtlich auch auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist, schreibt das Gesetz vor, dass ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe entspricht (
Art. 36 Abs. 1 StGB
).
Bei der Festsetzung der Anzahl Tagessätze sind die persönlichen Verhältnisse und eine allenfalls erhöhte Strafempfindlichkeit im Sinne von
Art. 47 Abs. 1 StGB
nur zu berücksichtigen, soweit sie
nicht
die aktuelle finanzielle Situation des Täters betreffen. Denn seine "persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Urteils" stellen das Kriterium für die Bemessung der Höhe des Tagessatzes dar, das vom Verschuldenskriterium streng zu trennen ist. Eine doppelte Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belastbarkeit bzw. Strafempfindlichkeit bei der Anzahl und der Höhe des Tagessatzes ist ausgeschlossen (DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 40).
5.4
Die Bemessung der
Tagessatzhöhe
(zweiter Schritt) stellt das Kernproblem der Geldstrafenbemessung dar. Dabei geht es um die Festsetzung des strafenden Gehaltes des Tagessatzes in einem individualisierenden Anpassungsakt. In rechtsvergleichender Hinsicht
BGE 134 IV 60 S. 67
lassen sich das Nettoeinkommensprinzip und das Einbusse- oder Zumutbarkeitsprinzip unterscheiden. Nach dem erstgenannten Prinzip ist in der Regel vom Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte (so ausdrücklich § 40 Abs. 2 Satz 2 deutsches StGB). Korrekturen im unteren und oberen Bereich der Anwendungsbreite sind möglich (JOACHIM HÄGER, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 12. Aufl., Berlin 2006, § 40 N. 25 und 53 ff.). Dem steht das Einbusseprinzip gegenüber, wonach die Geldstrafe so zu bemessen ist, dass (nur) eine Abschöpfung der Einkommensspitze auf einen vergleichsweise geringen, dem Existenzminimum nahe kommenden Betrag und zugleich eine fühlbare Herabsetzung des Lebensstandards eintritt (ERNST EUGEN FABRIZY, Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Wien 2006, § 19 N. 3 STGB; RUDOLF LÄSSIG, in: Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Frank Höpfel/Eckart Ratz [Hrsg.], 2. Aufl., Wien 2007, § 19 N. 8). Aufgrund von Relativierungen haben sich die beiden Bemessungsprinzipien zwar angenähert, doch bleibt die Unterscheidung im Hinblick auf das Existenzminimum nicht ohne Bedeutung (vgl. GERHARDT GREBING, Probleme der Tagessatz-Geldstrafe, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft [ZStrW] 88/1976 S. 1062 ff., 1065; SANDRO CIMICHELLA, Die Geldstrafe im Schweizerischen Strafrecht, Bern 2006, S. 61 ff.).
Der Entwurf des Bundesrates (Art. 34 Abs. 2) sah vor, dass das Gericht bei der Bestimmung der Höhe des Tagessatzes in der Regel vom Nettoeinkommen ausgeht, das der Täter im Zeitpunkt des Urteils durchschnittlich hat. Das Einbussesystem lehnt die Botschaft entschieden ab. Zur Begründung wird ausgeführt, dass sonst die Ausfällung einer Geldstrafe für die einkommensschwächsten Täter von vornherein ausgeschlossen wäre. Deshalb dürfe der Tagessatz nicht mit dem Einkommen gleichgesetzt werden, das dem Täter über das betreibungsrechtliche Existenzminimum hinaus verbleibe (Botschaft 1998 S. 2021).
Die Gesetz gewordene Wendung, wonach es auf die Würdigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ankommt, geht auf den erstberatenden Ständerat zurück, der dem Gericht mehr Ermessen einräumen wollte. Der Nationalrat fügte dann einzelne Bemessungskriterien (darunter das Existenzminimum) hinzu, ohne diese allerdings zu erläutern. Die eidgenössischen Räte haben um die Fassung von
Art. 34 Abs. 2 StGB
heftig gerungen, namentlich aufgrund der geäusserten Bedenken, ohne Mindesttagessatz könne die
BGE 134 IV 60 S. 68
Geldstrafe zu lächerlichen Ergebnissen führen. Von der Festlegung einer minimalen Höhe des Tagessatzes wurde schliesslich abgesehen. Unabhängig davon blieb in der parlamentarischen Beratung jedoch stets unbestritten, dass die Geldstrafe auch für Mittellose zur Verfügung stehen soll. Eine Abkehr vom Nettoeinkommensprinzip oder gar eine Zuwendung zum Einbusseprinzip lässt der Gesetzgebungsprozess nicht erkennen (DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 35 und 43 mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte; MARTIN KILLIAS, Eine unlösbare Aufgabe: die korrekte Bemessung der Geldstrafe im Gerichtssaal, in: Brigitte Tag/Max Hauri [Hrsg.], Die Revision des Strafgesetzbuches Allgemeiner Teil, Zürich 2006, S. 109 ["
Art. 34 Abs. 2 StGB
beruht klar auf dem Nettoeinkommenssystem"]; vgl. ferner JÜRG SOLLBERGER, Besondere Aspekte der Geldstrafe, ZStrR 121/2003 S. 252 ff.;
ders.
, Die neuen Strafen des Strafgesetzbuches in der Übersicht [im Folgenden: Die neuen Strafen], in: Felix Bänziger/ Annemarie Hubschmid/Jürg Sollberger [Hrsg.], Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, 2. Aufl., Bern 2006, S. 41).
Nach Massgabe der gesetzlichen Bemessungskriterien und des Nettoeinkommensprinzips sind im Folgenden die Grundsätze zu entwickeln, nach denen die Höhe des Tagessatzes festzusetzen ist.
6.
6.1
Ausgangspunkt für die Bemessung bildet das
Einkommen
, das dem Täter durchschnittlich an einem Tag zufliesst, ganz gleich, aus welcher Quelle die Einkünfte stammen. Denn massgebend ist die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (vgl.
BGE 116 IV 4
E. 3a S. 8). Zum Einkommen zählen ausser den Einkünften aus selbständiger und unselbständiger Arbeit namentlich die Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb, aus der Land- und Forstwirtschaft und aus dem Vermögen (Miet- und Pachtzinsen, Kapitalzinsen, Dividenden usw.), ferner privat- und öffentlichrechtliche Unterhalts- und Unterstützungsbeiträge, Renten, Sozialversicherungs- und Sozialhilfeleistungen sowie Naturaleinkünfte (Botschaft 1998 S. 2019).
Was gesetzlich geschuldet ist oder dem Täter wirtschaftlich nicht zufliesst, ist abzuziehen, so die laufenden Steuern, die Beiträge an die obligatorische Kranken- und Unfallversicherung, sowie die notwendigen Berufsauslagen bzw. bei Selbständigerwerbenden die branchenüblichen Geschäftsunkosten (Botschaft 1998 S. 2019). Das Nettoprinzip verlangt, dass bei den ermittelten Einkünften - innerhalb
BGE 134 IV 60 S. 69
der Grenzen des Rechtsmissbrauchs - nur der Überschuss der Einnahmen über die damit verbundenen Aufwendungen zu berücksichtigen sind.
Der Ermittlung des Nettoeinkommens können in der Regel die Daten der Steuerveranlagung zu Grunde gelegt werden (vgl.
Art. 34 Abs. 3 StGB
). Der Begriff des strafrechtlichen Einkommens im Sinne von
Art. 34 Abs. 2 StGB
ist allerdings mit jenem des Steuerrechts nicht identisch, was namentlich bei Selbständigerwerbenden, Wohneigentümern oder Stipendien-Bezügern von Bedeutung sein kann. Bei stark schwankenden Einkünften ist es unvermeidlich, auf einen repräsentativen Durchschnitt der letzten Jahre abzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass die Verhältnisse im Zeitpunkt des sachrichterlichen Urteils massgebend sind (
Art. 34 Abs. 2 Satz 2 StGB
). Denn diese Regel will nur besagen, dass das Gericht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit möglichst aktuell und genau zu ermitteln hat und zwar im Hinblick auf den Zeitraum, in dem die Geldstrafe zu zahlen sein wird. Daraus folgt, dass künftige Einkommensverbesserungen oder Einkommensverschlechterungen zu berücksichtigen sind, jedoch nur, wenn sie konkret zu erwarten sind und unmittelbar bevorstehen (siehe DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 51; CIMICHELLA, a.a.O., S. 85; HÄGER, a.a.O., § 40 N. 51).
Wenn die Einkünfte hinter den Beträgen zurückbleiben, die der Täter in zumutbarer Weise erzielen könnte oder auf die er (z.B. nach Art. 164 oder 165 ZGB) Anspruch hätte, so ist von einem potentiellen Einkommen auszugehen (vgl.
BGE 116 IV 4
E. 4d S. 10; STRATENWERTH, StGB AT II, § 2 Rz. 8 S. 65). Bei der Frage nach der Zumutbarkeit ist die persönlich gewählte Lebensführung zu berücksichtigen. Davon ist die Konstellation zu unterscheiden, dass der Täter keine oder unglaubhafte Aussagen zu seinen Einkommensverhältnissen macht und die behördlichen Auskünfte dazu (
Art. 34 Abs. 3 StGB
) unergiebig sind. Alsdann ist auf ein hypothetisches Einkommen abzustellen, das sich am (geschätzten) Lebensaufwand orientiert (DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 55).
6.2
Weiter nennt das Gesetz das
Vermögen
als Bemessungskriterium. Gemeint ist die Substanz des Vermögens, da dessen Ertrag bereits Einkommen darstellt. Die Frage, ob und in welchem Ausmass das Vermögen zur Bestimmung des Tagessatzes heranzuziehen ist, beantwortet sich nach Sinn und Zweck der Geldstrafe. Wer seinen Lebensunterhalt aus laufenden Einkommen bestreitet, soll die
BGE 134 IV 60 S. 70
Geldstrafe daraus bezahlen und sich in seiner gewohnten Lebensführung einschränken müssen, gleichviel, ob es sich um Arbeits-, Vermögens- oder Rentenertrag handelt. Fehlendes Vermögen stellt insoweit keinen Grund dar, die Höhe des Tagessatzes zu senken, ebenso wenig wie vorhandenes Vermögen zu einer Erhöhung führen soll. Denn die Geldstrafe will den Täter in erster Linie in seinem Einkommen treffen und nicht in den Quellen, aus denen es fliesst. Auch ist nicht einzusehen, weshalb ein Täter, der durch eigene Leistung oder vergangenen Konsumverzicht Vermögen äufnete, schlechter gestellt werden sollte, als jener, der es in der Vergangenheit ausgegeben hat. Es kann nicht der Sinn der Geldstrafe sein, Vermögen ganz oder teilweise zu konfiszieren. Das Vermögen ist bei der Bemessung des Tagessatzes daher nur (subsidiär) zu berücksichtigen, wenn besondere Vermögensverhältnisse einem vergleichsweise geringen Einkommen gegenüberstehen. Mit anderen Worten bleibt es von Bedeutung, wenn der Täter ohnehin von der Substanz des Vermögens lebt, und es bildet Bemessungsgrundlage in dem Ausmass, in dem er selbst es für seinen Alltag anzehrt (FELIX BOMMER, Die Sanktionen im neuen AT StGB - ein Überblick, in: Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, Bern 2007, S. 21 ff.; STRATENWERTH, StGB AT II, § 2 Rz. 11 S. 67 mit weiteren Hinweisen).
6.3
Das Kriterium des
Lebensaufwands
dient als Hilfsargument, wenn die Einkommensverhältnisse geschätzt werden müssen, weil ihre genaue Feststellung nicht möglich ist oder der Täter dazu unzureichende oder ungenaue Angaben macht. Die Annahme eines erhöhten Tagessatzes ist dort gerechtfertigt, wo ein ersichtlich hoher Lebensaufwand mit einem auffällig tiefen Einkommen kontrastiert (BOMMER, a.a.O., S. 23; DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 67-69; SOLLBERGER, ZStrR 121/2003 S. 253 i.f.).
6.4
Das Gesetz nennt eigens
allfällige Familien- und Unterstützungspflichten
. Der Grund dafür ist, dass die Familienangehörigen von der Einschränkung des Lebensstandards möglichst nicht in Mitleidenschaft gezogen werden sollen. Das Nettoeinkommen ist um die Unterhalts- und Unterstützungsbeiträge zu reduzieren, soweit der Verurteilte ihnen tatsächlich nachkommt (DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 70). Für die Berechnung kann sich das Gericht weitgehend an den Grundsätzen des Familienrechts orientieren (Botschaft 1998 S. 2020).
Anderweitige finanzielle Lasten können nur im Rahmen der
persönlichen Verhältnisse
berücksichtigt werden. Grössere
BGE 134 IV 60 S. 71
Zahlungsverpflichtungen des Täters, die schon unabhängig von der Tat bestanden haben (z.B. Ratenzahlungen für Konsumgüter), fallen dabei grundsätzlich ausser Betracht. Wäre jede Art von Zahlungsverpflichtung abzugsfähig, würde ein Täter mit Schulden und Abzahlungs- oder Leasingverpflichtungen mitunter besser wegkommen als einer, der keine solche Lasten hat. Auch Hypothekarzinsen können, wie an sich Wohnkosten überhaupt, in der Regel nicht in Abzug gebracht werden (BOMMER, a.a.O., S. 24 f.).
Schuldverbindlichkeiten, die mittelbare oder unmittelbare Folge der Tat sind (Schadenersatz- und Genugtuungsleistungen, Gerichtskosten usw.), sind grundsätzlich ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Hat der Täter den Schaden anerkannt und leistet er bereits vor dem Urteil Zahlungen an die geschädigten Personen, so ist diesem Umstand im Rahmen von Reue und Schadenswiedergutmachung bei der Anzahl der Tagessätze (
Art. 48 lit. d StGB
) und auch bei der Prognosestellung für den bedingten Vollzug der Geldstrafe (
Art. 42 Abs. 1-3 StGB
) Rechnung zu tragen. Eine zusätzliche Berücksichtigung bei der Tagessatzhöhe fällt ausser Betracht (DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 84).
Aussergewöhnliche finanzielle Belastungen dagegen können reduzierend berücksichtigt werden, wenn sie einen situations- oder schicksalsbedingt höheren Finanzbedarf darstellen (HÄGER, a.a.O., § 40 N. 59).
6.5
6.5.1
Schliesslich enthält das Gesetz einen Hinweis auf das
Existenzminimum
. Wie dieses bei der Bemessung des Tagessatzes zu berücksichtigen ist, bleibt unklar. Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich immerhin schliessen, dass das Existenzminimum nicht den betreibungsrechtlichen Notbedarf meinen kann und das unpfändbare Einkommen (
Art. 93 SchKG
) keine absolute Schranke bildet. Wäre nämlich in jedem Fall der Notbedarf im Sinne des Betreibungsrechts zu ermitteln und stünde nur der überschiessende Betrag zu Verfügung, hätte dies zur Folge, dass die Geldstrafe für breite Kreise der Bevölkerung (in Ausbildung stehende Personen, Studierende, haushaltsführende Ehegatten, Arbeitslose, Empfänger von Sozialhilfeleistungen, Asylsuchende, Randständige usw.) nicht in Betracht käme, was gerade nicht der Wille des Gesetzgebers war (E. 5.4).
Nach der gesetzlichen Konzeption soll eine (unbedingte) Geldstrafe auch nicht in erster Linie auf dem Betreibungsweg vollzogen
BGE 134 IV 60 S. 72
werden, sondern durch freiwillige Bezahlung. Die Betreibung ist erst anzuordnen, wenn der Verurteilte die Geldstrafe nicht innert der ihm gesetzten Frist zahlt und wenn von der Betreibung ein Ergebnis zu erwarten ist (
Art. 35 Abs. 3 StGB
). Ferner ist bedeutsam, dass nach Meinung des Gesetzgebers die Geldstrafe in der Regel bedingt, also unter Aufschub ihres Vollzugs, zu verhängen ist (
Art. 42 Abs. 1 StGB
). Aus diesen Gründen ergibt sich, dass der Tagessatz nicht auf jenes Einkommen beschränkt bleibt, das in der Zwangsvollstreckung voraussichtlich erhältlich gemacht werden könnte. Darüber besteht weitgehend Einigkeit (FRANZ RIKLIN, Die Sanktionierung von Verkehrsdelikten nach der Strafrechtsreform, ZStrR 122/2004 S. 180; SOLLBERGER, ZStrR 121/2003 S. 253;
ders.
, Die neuen Strafen, S. 40; DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 74; BOMMER, a.a.O., S. 23 f.; CIMICHELLA, a.a.O., S. 172 f.; a.M. STRATENWERTH, StGB AT II, § 2 Rz. 9 S. 66; vgl. aber
ders.
, Das neue Recht - eine Herausforderung für die Praxis, in: Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, Bern 2007, S. 210).
6.5.2
Grundlage und Ausgangspunkt für die Bemessung des Tagessatzes muss auch für einkommenschwache Personen das strafrechtliche Nettoeinkommen sein. Der zusätzliche Hinweis auf das Existenzminimum gibt dem Gericht jedoch ein Kriterium zur Hand, das erlaubt, vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und den Tagessatz bedeutend tiefer zu bemessen. Dem Existenzminimum kommt damit in ähnlicher Weise wie dem Kriterium des Lebensaufwandes Korrekturfunktion zu (vgl. SOLLBERGER, ZStrR 121/2003 S. 253 i.f.). In diesem Zusammenhang ist die Frage zu sehen, ob es eines minimalen Ansatzes bedarf, damit der Verurteilte die Ernsthaftigkeit und Bedeutung der Sanktion erkennt. Die im Parlament gestellten Anträge auf einen Mindesttagessatz (bis zu 50 Franken) wurden letztlich unter Verweis auf das richterliche Ermessen abgelehnt. Darin liegt ein bewusster Entscheid des Gesetzgebers, weshalb die Annahme einer festen Untergrenze des Tagessatzes ausser Betracht fällt.
Im Rahmen des gesetzlichen Ermessens ist allerdings dem Zweck der Geldstrafe und ihrer Bedeutung im strafrechtlichen Sanktionensystem Rechnung zu tragen. Soll die Geldstrafe gleichwertig neben die Freiheitsstrafe treten, darf der Tagessatz nicht so weit herabgesetzt werden, dass er lediglich symbolischen Wert hat. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Geldstrafe als unzweckmässige Sanktion angesehen und deshalb vielfach auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden
BGE 134 IV 60 S. 73
müsste. Dies würde dem zentralen Grundanliegen der Revision diametral zuwiderlaufen.
Der Tagessatz für Verurteilte, die nahe oder unter dem Existenzminimum leben, ist daher in dem Masse herabzusetzen, dass einerseits die Ernsthaftigkeit der Sanktion durch den Eingriff in die gewohnte Lebensführung erkennbar ist und andererseits der Eingriff nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als zumutbar erscheint. Als Richtwert lässt sich festhalten, dass eine Herabsetzung des Nettoeinkommens um mindestens die Hälfte geboten ist. Um eine übermässige Belastung zu vermeiden, sind in erster Linie Zahlungserleichterungen durch die Vollzugsbehörde nach
Art. 35 Abs. 1 StGB
zu gewähren, soweit die Geldstrafe unbedingt ausgefällt wird. Bei einer hohen Anzahl Tagessätze - namentlich bei Geldstrafen von mehr als 90 Tagessätzen - ist eine Reduktion um weitere 10-30 Prozent angebracht, da mit zunehmender Dauer die wirtschaftliche Bedrängnis und damit das Strafleiden progressiv ansteigt (HÄGER, a.a.O., § 40 N. 60; DOLGE, a.a.O.,
Art. 34 StGB
N. 48 und 85 mit Hinweisen). Massgebend sind immer die konkreten finanziellen Verhältnisse. Die Bemessung des Tagessatzes im Einzelfall ist dem sorgfältigen richterlichen Ermessen anheimgestellt.
6.6
Abgesehen vom wichtigen Sonderfall, dass der Verurteilte am Rande des Existenzminimums lebt, ist eine Herabsetzung wie auch eine Erhöhung des Tagessatzes mit Blick auf die Gesamtsumme der Geldstrafe prinzipiell ausgeschlossen. Das Ermessen bei der Strafzumessung erstreckt sich nicht auf eine nachträgliche Kontrolle des Geldstrafenbetrages. Unzulässig ist insbesondere, bei einer niedrigen Anzahl Tagessätze deren Höhe heraufzusetzen mit der Begründung, der Gesamtbetrag stünde andernfalls nicht mehr im Verhältnis zur Straftat. Auf diese Weise würde das Tagessatzsystem ausgehöhlt.
7.
7.1
Nach der Bemessung von Zahl und Höhe des Tagessatzes hat das Gericht darüber zu befinden, ob die Geldstrafe bedingt (
Art. 42 StGB
), teilbedingt (
Art. 43 StGB
) oder unbedingt auszusprechen ist. Hinzu kommt die Möglichkeit, den Vollzug der Geldstrafe aufzuschieben und diese mit einer unbedingten Geldstrafe oder Busse zu verbinden (
Art. 42 Abs. 4 StGB
).
7.2
Gemäss
Art. 42 Abs. 1 StGB
schiebt das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer
BGE 134 IV 60 S. 74
Verbrechen oder Vergehen abzuhalten. Das Gericht hat also eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen. Für die Gewährung des bedingten Geldstrafenvollzugs genügt, dass keine Befürchtung besteht, der Täter werde sich in Zukunft nicht bewähren. Die Anforderungen an die Prognose der Legalbewährung sind die gleichen wie bei der Freiheitsstrafe (
Art. 42 Abs. 1-3 StGB
;
BGE 134 IV 1
E. 4.2). Im Unterschied zur Freiheitsstrafe kennt das Gesetz jedoch keine objektive Schranke, die dem Aufschub des Geldstrafenvollzuges entgegenstehen könnte. Der Strafaufschub findet seinen Grund allein darin, dass auf die Vollstreckung der Strafe (vorerst) verzichtet werden soll, wenn dies unter spezialpräventiven Gesichtspunkten als sinnvoll erscheint.
Noch während des laufenden Gesetzgebungsprozesses wurde von verschiedener Seite kritisiert, dass der bedingte Strafvollzug auch für Geldstrafen möglich sein soll (vgl. nur SOLLBERGER, ZStrR 121/ 2003 S. 257 ff.; GÜNTER STRATENWERTH, Die Strafen im Bagatellbereich nach künftigem Recht, ZStrR 122/2004 S. 164 ff.). Gegen den bedingten Geldstrafenvollzug wurden Bedürfnisse sowohl der Spezial- als auch der Generalprävention ins Feld geführt. So wurde namentlich auf die Diskrepanz hingewiesen, die zur zwingend unbedingten Busse (
Art. 105 Abs. 1 StGB
) besteht, und vorgebracht, es sei mindestens zweifelhaft, ob eine bedingte Geldstrafe dem Verurteilten genügend Eindruck machen könnte, um ihn von weiteren Delikten abzuhalten. Der Gesetzgeber hielt an der Regel der bedingten Verurteilung bei Geldstrafen fest (
Art. 42 Abs. 1 StGB
). Hingegen hat er, der Kritik teilweise Rechnung tragend, durch nachträgliche Gesetzesanpassung
Art. 42 Abs. 4 StGB
eingeführt (Botschaft vom 29. Juni 2005 zur Änderung des Strafgesetzbuches in der Fassung vom 13. Dezember 2002 [im Folgenden: Botschaft 2005], BBl 2005 S. 4689 ff.).
7.3
7.3.1
Gemäss
Art. 42 Abs. 4 StGB
kann eine bedingte Geldstrafe mit einer unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse nach
Art. 106 StGB
verbunden werden. Dadurch soll im Bereich der Massendelinquenz die Möglichkeit geschaffen werden, eine spürbare Sanktion zu verhängen. Die Bestimmung dient in erster Linie dazu, die Schnittstellenproblematik zwischen der Busse (für Übertretungen) und der bedingten Geldstrafe (für Vergehen) zu entschärfen (Botschaft 2005 S. 4695, 4699 ff. und 4705 ff.). Auf Massendelikte, die im untersten Bereich bloss mit Bussen geahndet werden, soll - auch - mit einer
BGE 134 IV 60 S. 75
unbedingten Sanktion reagiert werden können, wenn sie die Schwelle zum Vergehen überschreiten. Insoweit, also im Bereich der leichteren Kriminalität, verhilft
Art. 42 Abs. 4 StGB
zu einer rechtsgleichen Sanktionierung (
BGE 134 IV 82
E. 8 S. 94) und übernimmt auch Aufgaben der Generalprävention (
BGE 134 IV 1
E. 4.5.1).
Die unbedingte Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse trägt ferner dazu bei, das unter spezial- und generalpräventiven Gesichtspunkten eher geringe Drohpotential der bedingten Geldstrafe zu erhöhen. Dem Verurteilten soll ein Denkzettel verpasst werden können, um ihm (und soweit nötig allen anderen) den Ernst der Lage vor Augen zu führen und zugleich zu demonstrieren, was bei Nichtbewährung droht (siehe BOMMER, a.a.O., S. 35).
7.3.2
Das Gesetz nennt an erster Stelle die Möglichkeit, die (Primär-)Geldstrafe, deren Vollzug aufgeschoben wird, mit einer unbedingten (Sekundär-)Geldstrafe zu kombinieren. Dabei müssen die beiden Geldstrafen zusammen eine schuldangemessene Sanktion darstellen, das heisst, die Gesamtzahl der Tagessätze hat dem Verschulden des Täters zu entsprechen. Es ist nicht zulässig, über die nach dem Tatschuldprinzip bemessene Strafe aus Gründen der Generalprävention hinauszugehen (
BGE 118 IV 342
E. 2g S. 350 mit Hinweisen). Auch soll die Strafenkombination nicht etwa zu einer Straferhöhung führen oder eine zusätzliche Strafe ermöglichen. Sie erlaubt lediglich innerhalb der schuldangemessenen Strafe eine täter- und tatangemessene Sanktion, wobei die kombinierten Strafen in ihrer Summe schuldangemessen sein müssen (
BGE 134 IV 1
E. 4.5.2). Im Weiteren ist zu beachten, dass der Verbindungsgeldstrafe in quantitativer Hinsicht nur untergeordnete Bedeutung zukommen kann. Das ergibt sich schon aufgrund der systematischen Einordnung von
Art. 42 Abs. 4 StGB
, welche die unbedingte Geldstrafe als bloss akzessorische Strafe ausweist. Die Regel der bedingten Geldstrafe darf nicht auf dem Wege der Verbindungsgeldstrafe unterlaufen oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Aus spezialpräventiver Sicht wäre es auch nicht verständlich zu machen, weshalb die Geldstrafe zwar wegen Fehlens einer ungünstigen Prognose aufzuschieben ist, dem Verurteilten aber dennoch mehr als nur ein Denkzettel verabreicht werden könnte. Der Zweck der Verbindungsgeldstrafe würde damit verfehlt.
7.3.3
Daneben sieht das Gesetz auch die Möglichkeit vor, die bedingte Geldstrafe mit einer Busse nach
Art. 106 StGB
BGE 134 IV 60 S. 76
(Übertretungsbusse) zu kombinieren. Dabei sind die gleichen Grundsätze wie bei der Kombination mit einer Verbindungsgeldstrafe zu beachten. Inbesondere gilt auch hier, dass sich das Verschulden auf beide Strafen beziehen, die Geldstrafe also unter Einschluss der akzessorischen Busse schuldangemessen sein muss. Ein Unterschied besteht jedoch insofern, als der Bussenbetrag die Komponenten des Verschuldens und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht aufschlüsselt. Die im Gesamtsummensystem gebildete Verbindungsbusse erschwert die Quantifizierung des Verschuldens, weil es am gemeinsamen Nenner der Tagessätze fehlt (BOMMER, a.a.O., S. 35). Zudem hat das Gericht für den Fall, dass die Busse schuldhaft nicht bezahlt wird, eine Ersatzfreiheitsstrafe von mindestens einem Tag und höchstens drei Monaten auszusprechen (
Art. 106 Abs. 2 StGB
).
Busse und Ersatzfreiheitsstrafe sind, je nach den Verhältnissen des Täters, so zu bemessen, dass dieser die Strafe erleidet, die seinem Verschulden angemessen ist (
Art. 106 Abs. 3 StGB
). Die Bestimmung stellt klar, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Täters ("je nach den Verhältnissen") auch für die Bemessung der Busse eine zentrale Rolle spielt, wenngleich hier das Gericht über ein grösseres Ermessen verfügt als im Tagessatzsystem. Das Gesamtsummensystem erweist sich daher im Allgemeinen als weniger aufwändig, doch wird dies durch die Notwendigkeit, im Urteil eine Ersatzfreiheitsstrafe festzulegen, erheblich relativiert.
Das frühere Recht sah für die Umwandlung der Busse in eine Ersatzfreiheitsstrafe einen festen Umwandlungssatz vor (vgl. Art. 49 Ziff. 3 Abs. 3 aStGB, wonach 30 Franken einem Tag Haft entsprachen). Das konnte zu rechtsungleichen Resultaten führen, weil der Bussenbetrag das für die Ersatzfreiheitsstrafe massgebende Verschulden nicht direkt und vollständig widerspiegelte. Die problematische Vorschrift wurde für das geltende Recht ersatzlos gestrichen (Botschaft 1998 S. 2023 und 2146). Ist nunmehr das Verschulden allein massgebend, hat das Gericht sich zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, inwiefern die finanziellen Verhältnisse den Bussenbetrag beeinflusst haben. Es hat - in einem quasi entgegengesetzen Vorgang zur Geldstrafenberechnung - die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von der Schuld zu abstrahieren und hernach eine täter- und tatangemessene Ersatzfreiheitsstrafe zu bestimmen (STEFAN HEIMGARTNER, Basler Kommentar, Strafrecht I, 2. Aufl., Basel 2007,
Art. 106 StGB
N. 10 f.).
BGE 134 IV 60 S. 77
Dem Gericht steht bei der Bemessung der Ersatzfreiheitsstrafe ein weiter Ermessensspielraum zu. Ist eine solche für eine Verbindungsbusse im Sinne von
Art. 42 Abs. 4 StGB
festzulegen, besteht allerdings die Besonderheit, dass das Gericht die Höhe des Tagessatzes für die bedingte Geldstrafe und damit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Täters bereits ermittelt hat. Das lässt es als sachgerecht erscheinen, die Tagessatzhöhe als Umrechnungsschlüssel zu verwenden, indem der Betrag der Verbindungsbusse durch jene dividiert wird (vgl. HEIMGARTNER, a.a.O.,
Art. 106 StGB
N. 16). Dabei muss in jedem Fall auf mindestens einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe erkannt werden (
Art. 106 Abs. 2 StGB
), also auch, wenn die Höhe des Tagessatzes den Bussenbetrag übersteigt. Denn zum einen schreibt das Gesetz - anders als bisher (
BGE 108 IV 1
) - ein Minimum ausdrücklich vor und zum anderen wäre nicht einzusehen, weshalb die schuldhafte Nichtbezahlung einer Verbindungsbusse sanktionslos bleiben sollte, während das gleiche Verhalten bei einer Verbindungsgeldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe nach sich zieht (siehe RENATE BINGGELI, Die Geldstrafe, in: Felix Bänziger/Annemarie Hubschmid/ Jürg Sollberger [Hrsg.], Zur Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafrechts und zum neuen materiellen Jugendstrafrecht, 2. Aufl., Bern 2006, S. 84; a.M. wohl STRATENWERTH, StGB AT II, § 2 Rz. 35 S. 66).
Es bleibt die Frage, wie die Strafenkombination von der teilbedingten Geldstrafe abzugrenzen ist.
7.4
Gemäss
Art. 43 Abs. 1 StGB
kann das Gericht den Vollzug einer Geldstrafe nur teilweise aufschieben, wenn dies notwendig ist, um dem Verschulden des Täters genügend Rechnung zu tragen. Die Gewährung des teilbedingten Geldstrafenvollzugs setzt wie jene des vollbedingten Geldstrafenvollzugs voraus, dass eine ungünstige Prognose ausgeschlossen werden kann. Ergeben sich aber - insbesondere aufgrund früherer Verurteilungen - ganz erhebliche Bedenken an der Legalbewährung des Täters, die bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände eine eigentliche Schlechtprognose noch nicht zu begründen vermögen, so kann das Gericht den Vollzug der Geldstrafe teilweise aufschieben. Voraussetzung für den Teilaufschub ist mit anderen Worten, dass der Aufschub wenigstens eines Teils der Strafe aus spezialpräventiver Sicht erfordert, dass der andere Teil unbedingt ausgesprochen wird (vgl.
BGE 134 IV 1
E. 5.5.2).
Gemäss
Art. 43 Abs. 2 StGB
darf der unbedingt vollziehbare Teil die Hälfte der Geldstrafe nicht überschreiten. Bei der Bemessung des
BGE 134 IV 60 S. 78
aufgeschobenen bzw. zu vollziehenden Strafteils ist das Verschulden zu beachten, dem in genügender Weise Rechnung zu tragen ist (
Art. 43 Abs. 1 StGB
). Das Verhältnis der Strafteile ist so festzusetzen, dass darin die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung des Täters einerseits und dessen Einzeltatschuld anderseits hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger die Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der auf Bewährung ausgesetzte Strafteil sein. Der unbedingte Strafteil darf dabei das unter Verschuldensgesichtspunkten (
Art. 47 StGB
) gebotene Mass nicht unterschreiten (
BGE 134 IV 1
E. 5.6).
Die Gewährung des teilbedingten Geldstrafenvollzugs im Sinne von
Art. 43 StGB
kann zu ähnlichen Ergebnissen führen wie die Kombination einer bedingten mit einer unbedingten Geldstrafe. Der Teilvollzug kommt aber erst im Bereich höchst ungewisser Prognose in Betracht. Nur hier ist es zulässig, die Geldstrafe bis zur Hälfte für vollziehbar zu erklären und unter anderem das Verschulden als Bemessungsregel anzuwenden. Dadurch grenzt sich die teilbedingte Geldstrafe von der Kombinationsmöglichkeit nach
Art. 42 Abs. 4 StGB
ab und reicht über sie hinaus.
7.5
Wenn dagegen eine ungünstige Prognose gestellt werden muss, weil keinerlei Aussicht besteht, der Verurteilte werde sich durch den - ganz oder teilweise - gewährten Strafaufschub beeinflussen lassen, ist die Geldstrafe unbedingt auszufällen und in voller Höhe zu vollziehen (
Art. 35 StGB
).
8.
8.1
Wie oben ausgeführt, wurde dem Beschwerdeführer zu Recht eine ungünstige Legalprognose gestellt (E. 3.2). Die Anordnung gemeinnütziger Arbeit scheidet aus, weil rechtskräftig feststeht, dass er die Schweiz verlassen muss (E. 3.3). Als Sanktion kommt daher noch eine unbedingte Geldstrafe oder subsidiär eine unbedingte kurze Freiheitsstrafe in Betracht. Auf eine kurze Freiheitsstrafe darf nur erkannt werden, wenn der Vollzug der Geldstrafe voraussichtlich nicht möglich ist (sog. negative Vollstreckungsprognose;
Art. 41 Abs. 1 StGB
). Das Gericht hat dies näher zu begründen (
Art. 41 Abs. 2 StGB
).
8.2
Um eine Vollstreckungsprognose stellen zu können, muss vorab die voraussichtliche Geldstrafe in den Grundzügen feststehen. Die Anzahl und die Höhe der Tagessätze sind nach den erläuterten Grundsätzen von
Art. 34 Abs. 1 und 2 StGB
festzusetzen. Erst aufgrund der so festgelegten Geldstrafe kann eine konkrete
BGE 134 IV 60 S. 79
Vollstreckungsprognose gestellt werden. Wenn sie ungünstig ausfällt, muss auf eine kurze unbedingte Freiheitsstrafe erkannt werden. Denn das Gesetz behält die Freiheitsstrafe für diesen Fall ausdrücklich vor, damit "der Staat seinen Strafanspruch durchsetzen kann" (Botschaft 1998 S. 2044).
8.3
Bei der Abschätzung der Vollzugschancen sind an erster Stelle die Vollzugsmodalitäten zu berücksichtigen. Zwar sind für die Festlegung und Erstreckung von Zahlungsfristen (
Art. 35 Abs. 1 StGB
) sowie die Anordnung der sofortigen Zahlung oder Sicherheitsleistung (
Art. 35 Abs. 2 StGB
) die Vollzugsbehörden zuständig. Gleichwohl müssen die Gerichte im Rahmen des Prognoseurteils auf den zu erwartenden Vollzug vorausblicken, um die Vollzugschancen abschätzen zu können. Dabei ist zu beachten, dass der Vollzug der Geldstrafe in erster Linie durch freiwillige Zahlung erfolgen soll. Erst bei Nichtbezahlung innert Frist wird die Geldstrafe auf dem Weg der Betreibung vollstreckt, wenn davon ein Ergebnis zu erwarten ist (vgl.
Art. 35 Abs. 3 und
Art. 36 Abs. 1 StGB
). Das Gesetz stellt zudem durch Androhung einer Ersatzfreiheitsstrafe sicher, dass die Geldstrafe geleistet wird. Dadurch soll auf den Verurteilten der nötige Druck ausgeübt werden. Weiter ist die Aufenthaltsberechtigung des Betroffenen in die Prognose zu integrieren. Eine im Urteilszeitpunkt rechtskräftige Wegweisung kann den Vollzug einer Geldstrafe fraglich erscheinen lassen. Allerdings darf selbst von einer sicher bevorstehenden Ausschaffung nicht unbesehen auf die Unvollziehbarkeit der Geldstrafe geschlossen werden. Wenn die Geldstrafe sofort bzw. bis zum Ablauf der Ausreisefrist vollständig vollzogen werden kann, ist eine Gefährdung des Geldstrafenvollzugs ausgeschlossen. Das Gericht hat daher zu prüfen, ob der Verurteilte die Geldstrafe innert dieser Zeitspanne - mit seinem Einkommen oder allenfalls unter Rückgriff auf das Vermögen - bezahlen oder dafür entsprechende Sicherheiten leisten kann. Es kann die Geldstrafe selbst im Laufe der Verhandlung entgegennehmen. Gemäss
Art. 35 Abs. 2 StGB
kann zwar nur die Vollzugsbehörde die sofortige Bezahlung oder eine Sicherheitsleistung verlangen, wenn der begründete Verdacht besteht, der Verurteilte werde sich der Vollstreckung der Geldstrafe entziehen. Doch schliesst diese Bestimmung nicht aus, dass das Gericht die Zahlung oder Sicherheit für die Vollzugsbehörde entgegennimmt. In die Vollzugsprognose miteinzubeziehen ist schliesslich noch die Frage, ob internationale Vollzugsübereinkommen den stellvertretenden Vollzug der Geldstrafe im Ausland allenfalls erlauben. Die
BGE 134 IV 60 S. 80
Überlegungen zur umgehenden Vollziehung von Geldstrafen sind jedoch nur anzustellen, wenn im Urteilszeitpunkt mit Sicherheit feststeht, dass der Täter zum Aufenthalt in der Schweiz nicht (mehr) berechtigt ist. Solange darüber nicht rechtskräftig entschieden ist, fehlen genügende Anhaltspunkte für die Prognose, ob dem Vollzug der Geldstrafe allenfalls eine Wegweisung aus der Schweiz entgegenstehen könnte. In solchen Fällen ist auf die Regelsanktionen der Geldstrafe zu erkennen, auch wenn letztlich eine Gefährdung ihres Vollzugs nicht ganz ausgeschlossen werden kann (vgl.
BGE 134 IV 97
E. 7.4.2 S. 118).
8.4
Die vorinstanzliche Strafbegründung verletzt Bundesrecht. Wegen der Subsidiarität von Freiheitsstrafen im Bereich unter sechs Monaten hat das Gericht die Bestrafung in Form von gemeinnütziger Arbeit oder Geldstrafe vorab zu prüfen (
Art. 41 Abs. 1 StGB
). Soll dennoch eine kurze unbedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen werden, ist zu begründen, weshalb der Vollzug der Geld- und Arbeitsstrafe nicht zu erwarten ist (
Art. 41 Abs. 2 StGB
). Diese Begründungsanforderungen verletzt die Vorinstanz in Bezug auf die Geldstrafe, indem sie deren Vollstreckbarkeit mit ungenügender Begründung verneint. Eine voraussichtliche Geldstrafe wurde nicht bestimmt. Entsprechend der von der Vorinstanz ausgefällten Freiheitsstrafe von fünf Monaten läge die Anzahl Tagessätze bei 150, die Höhe des Tagessatzes ist nach den erläuterten Grundsätzen zu bestimmen. Mangels Festlegung einer Geldstrafe konnte auch keine
konkrete
Vollstreckungsprognose im Sinne von
Art. 41 Abs. 1 StGB
gestellt werden. Soweit die Vorinstanz bei der Beurteilung der Vollstreckungsaussichten direkt von der Erwerbslosigkeit des Beschwerdeführers auf die Unvollziehbarkeit der Geldstrafe schliesst, verletzt sie
Art. 34 Abs. 2 StGB
. Wie aufgezeigt, soll es nicht bezahlbare Geldstrafen nicht geben. Die Geldstrafe steht daher auch für Mittellose zur Verfügung (E. 5.4). Feste Untergrenzen für Geldstrafen sind bundesrechtswidrig (E. 6.5.2). Nach vorinstanzlicher Feststellung besorgt der Beschwerdeführer den Haushalt und betreut die Kinder, während der Familienunterhalt durch seine Ehefrau bestritten wird. Er ist nicht erwerbstätig und erzielt kein eigenes Einkommen. Davon ist bei der Bemessung der Tagessatzhöhe auszugehen. Dem erwerbslosen Beschwerdeführer sind diejenigen Zuwendungen als Einkommen anzurechnen, auf die er einen familienrechtlichen Anspruch hat (z.B.
Art. 164 ZGB
). Angesichts der dokumentierten Bedürftigkeit des haushaltsführenden Beschwerdeführers und der voraussichtlichen Ausfällung von über 90 Tagessätzen ist das für die Tagessatzhöhe
BGE 134 IV 60 S. 81
relevante Nettoeinkommen zunächst um mindestens 50 % und alsdann um weitere 10-30 % herabzusetzen (E. 6.5.2). Es darf daher zusammenfassend auch bei einem sehr geringen Einkommen nicht ohne Weiteres die Unvollziehbarkeit einer Geldstrafe angenommen werden. Der Mittellosigkeit ist vielmehr mit einem entsprechend tiefen Tagessatz Rechnung zu tragen.
Ebenso wenig wie die Mittellosigkeit spricht die drohende Wegweisung per se für eine kurze unbedingte Freiheitsstrafe. Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die nach den genannten Grundsätzen festgelegte Geldstrafe unmittelbar zu begleichen oder abzusichern im Stande ist. Bundesrechtswidrig ist die ausgefällte Freiheitsstrafe ferner insoweit, als damit das rechtswidrige Verweilen in der Schweiz abgegolten wird. Bis Ende 2006 drohte das Ausländerstrafrecht bei illegalem Aufenthalt eine Freiheitsstrafe von maximal sechs Monaten an (
Art. 23 Abs. 1 ANAG
in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 8. Oktober 1948 [AS 1949 I 225]). Diese Strafe wurde bei der Einführung des neuen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches am 1. Januar 2007 durch 180 Tagessätze Geldstrafe ersetzt (AS 2006 S. 3536). Diese Strafandrohung ist milder als die frühere und daher auch auf das rechtswidrige Verweilen vor dem 1. Januar 2007 anwendbar (
Art. 2 Abs. 2 StGB
). Soweit die kurze Freiheitsstrafe für das ausländerrechtliche Delikt ausgefällt wurde, fehlt es an einer expliziten Gesetzesgrundlage in
Art. 23 Abs. 1 ANAG
(in der Fassung des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 [AS 2006 S. 3459, 3536]), weshalb der Entscheid bundesrechtswidrig ist (
Art. 1 und
Art. 41 Abs. 1 StGB
). | null | nan | de | 2,008 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c9678cf5-135f-4211-a823-bca2bafa99fc | Urteilskopf
87 IV 122
29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1961 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. | Regeste
Art. 191 Ziff. 1 StGB
.
Das blosse Aneinanderreiben der männlichen Geschlechtsteile ist keine beischlafsähnliche, sondern eine "andere unzüchtige Handlung" im Sinne des
Art. 191 Ziff. 2 StGB
. | Sachverhalt
ab Seite 123
BGE 87 IV 122 S. 123
A.-
X., der homosexuell veranlagt ist, nahm im Jahre 1960 an Lehrlingen seiner Arbeitgeberfirma wiederholt unzüchtige Handlungen vor. Als seine Frau in den Sommerferien weilte, bat X. den damals noch nicht sechszehn Jahre alten Y., ihm daheim bei Hausarbeiten behilflich zu sein. Zuhause sprach er mit dem Lehrling über den Geschlechtsverkehr und die Onanie, zeigte ihm ein illustriertes Buch über das Geschlechtsleben und gab ihm ein unzüchtiges Schriftstück zu lesen. Auch griff er Y. über den Kleidern an den Geschlechtsteil. Hierauf führte er den Lehrling von der Wohnstube in ein Nebenzimmer, wo X. seinen Geschlechtsteil an demjenigen des Y. rieb, bis es bei beiden zum Samenerguss kam.
B.-
Am 28. Januar 1961 erklärte das Obergericht des Kantons Solothurn X. wegen dieser Handlung der Unzucht im Sinne des
Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
schuldig und verurteilte ihn wegen dieser und anderer Straftaten zu sechszehn Monaten Gefängnis. Zum Falle Y. führte es aus, beischlafsähnliche Handlungen im Sinne von
Art. 191 Ziff. 1 StGB
setzten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts voraus, dass der männliche Täter sein Glied mit dem Körper des Kindes in so enge Berührung bringe, dass die Vereinigung an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich sei. Eine derart innige körperliche Vereinigung habe zwischen X. und Y. nicht stattgefunden; was sich zwischen ihnen abgespielt habe, komme gegenseitiger Onanie gleich, die zu den "andern unzüchtigen Handlungen" im Sinne von
Art. 191 Ziff. 2 StGB
zu zählen sei.
C.-
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes mit Bezug auf den Fall Y. aufzuheben und die Sache zur Bestrafung nach
Art. 191 Ziff. 1 StGB
zurückzuweisen.
D.-
X. beantragt Abweisung der Beschwerde.
BGE 87 IV 122 S. 124
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
(Gekürzt.) Die Unzuchtshandlungen, welche nach der Rechtsprechung des Kassationshofes als beischlafsähnlich im Sinne des
Art. 191 Ziff. 1 StGB
aufzufassen sind, zeichnen sich alle dadurch aus, dass der Täter entweder sein Glied mit dem Körper des Kindes (
BGE 71 IV 191
;
BGE 75 IV 165
;
BGE 76 IV 108
, 236) oder seinen Mund mit dem Geschlechtsteil des Kindes (
BGE 80 IV 173
;
BGE 84 IV 101
) in so enge Berührung bringt, dass die Vereinigung an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich ist und auch in den Wirkungen, die sie auf das Seelenleben und die sittliche Entwicklung des Kindes haben kann, sich nicht wesentlich vom Beischlaf unterscheidet (
BGE 86 IV 178
und dort angeführte Entscheidungen).
2.
Nach dem Sachverhalt, wie er im angefochtenen Urteil festgestellt ist, erschöpften sich die unzüchtigen Handlungen des Beschwerdegegners im Falle Y. darin, dass X. den Knaben über den Kleidern ausgriff und ihn alsdann in ein Nebenzimmer führte, wo er seinen Geschlechtsteil an demjenigen des Knaben bis zum beidseitigen Samenerguss rieb. Dass er sich etwa auf sein Opfer gelegt oder sein Glied zwischen dessen Oberschenkel gestossen hätte, ist weder dem Urteil des Obergerichtes noch den Akten zu entnehmen.
Bei dieser Sachlage kann nach der bisherigen Rechtsprechung nicht von einer beischlafsähnlichen Handlung im Sinne von
Art. 191 Ziff. 1 StGB
gesprochen werden; diesen Begriff aber weiter auszulegen, als es bisher geschehen ist, besteht kein Anlass.
Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass die Frage, ob eine unzüchtige Handlung als beischlafsähnlich aufzufassen ist, sich nicht bloss nach äusserlichen Unterscheidungsmerkmalen beurteilt. Es ist offensichtlich, dass das Gesetz nicht auf eine rein äusserliche Ähnlichkeit mit dem Beischlaf abstellen will, wenn es gewisse schwerwiegendere Unzuchtshandlungen mit einem Kinde gleich
BGE 87 IV 122 S. 125
behandelt wie den Beischlaf. Nach der Rechtsprechung, auf die sich auch die Beschwerdeführerin beruft, hängt die Frage vorweg vom Grad der körperlichen Intimität ab; die Vereinigung muss an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich sein. Die Beschwerdeführerin glaubt, dieses Erfordernis sei im vorliegenden Fall mit dem Aneinanderreiben der Geschlechtsteile erfüllt; denn es sei schwerlich einzusehen, wieso die gegenseitige Berührung der Geschlechtsteile zweier Personen verschiedenen Geschlechts eine beischlafsähnliche Handlung bilden solle, nicht aber die Berührung der Geschlechtsteile zweier männlicher Partner; zudem komme auch eine solche Berührung der beiden Körper an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf zweifellos viel näher als ein blosses gegenseitiges Abreiben.
Dieser Vergleich ist nicht stichhaltig, weil er auf ein äusserliches Unterscheidungsmerkmal abstellt und den wesensmässigen Unterschied zwischen dem natürlichen Beischlaf und der geschlechtlichen Befriedigung durch gleichgeschlechtlichen Umgang ausser Acht lässt. Das Aneinanderbringen der Geschlechtsorgane von Mann und Frau stellt die erste Phase des eigentlichen, heterosexuellen Beischlafs dar. Es ist daher richtig, diese Berührung der Geschlechtsteile, namentlich wenn es der Täter auf den Beischlaf abgesehen hat (
BGE 76 IV 236
), als beischlafsähnlich zu bezeichnen. Der geschlechtliche Umgang zwischen zwei männlichen Personen dagegen kann nicht auf die Vereinigung der Geschlechtsteile gerichtet sein. Das Gegenstück zum natürlichen Beiwohnungsakt bildet hier in der Regel die immissio inter femora und die Einführung des männlichen Gliedes in eine natürliche Körperöffnung des Partners. Diese Betätigungsformen sind dem homosexuell veranlagten Täter Ersatz für den Beischlaf und gleichen diesem durch die Innigkeit der Vereinigung und die Vorstellung, die beim Kinde ausgelöst wird (
BGE 76 IV 108
;
BGE 86 IV 179
f.). Das lässt sich von einem blossen Aneinanderreiben der männlichen Geschlechtsteile nicht
BGE 87 IV 122 S. 126
sagen; jedenfalls entsteht dadurch keine so innige Beziehung zwischen den Beteiligten, wie beim Beischlaf oder den nach der Rechtsprechung als beischlafsähnlich geltenden Handlungen. Insbesondere lässt es sich nicht mit dem cunnilinguus vergleichen, wie dies die Beschwerdeführerin tut, zeichnet sich doch dieser durch einen besonders hohen Grad körperlicher Intimität aus (
BGE 84 IV 102
). Ein Verhalten, wie es dem Beschwerdegegner zur Last gelegt wird, lässt sich viel eher, sei es nun nach den physiologischen oder psychischen Wirkungen auf das Opfer oder sei es nach dem Grad der körperlichen Intimität, mit der gegenseitigen Onanie vergleichen. Gerade diese fällt aber nach allgemeiner Auffassung nicht unter den Begriff der beischlafsähnlichen Handlungen, sondern ist zu den "andern unzüchtigen Handlungen" des
Art. 191 Ziff. 2 StGB
zu zählen (vgl. die frühere kant. Praxis in SJZ IX S. 292 f., XXI S. 156).
Das Obergericht hat daher X. im Falle Y. zu Recht nach
Art. 191 Ziff. 2 StGB
bestraft.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,961 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c96963fb-9399-4945-a3d1-46508b376872 | Urteilskopf
114 V 129
27. Extrait de l'arrêt du 25 juillet 1988 dans la cause Caisse cantonale vaudoise de compensation contre X et Tribunal des assurances du canton de Vaud | Regeste
Art. 4 Abs. 1 AHVG
,
Art. 6 Abs. 1 AHVV
: Beiträge auf Einnahmen eines Musikers. Die Einnahmen eines Musikers aus dem Verkauf von Schallplatten sind Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit und unterliegen der Beitragspflicht (Erw. 3).
Art. 7 Abs. 2 des schweizerisch-französischen, Art. 4 des schweizerisch-portugiesischen und Art. 5 Abs. 1 des schweizerisch-britischen Abkommens über Soziale Sicherheit: Erwerbsortsprinzip.
- Vom Erwerbsortsprinzip darf nicht deshalb abgewichen werden, weil ein Versicherter in jenem Staat, in welchem er seine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, nicht beitragspflichtig war (Erw. 4b).
- Arbeitsort eines Musikers, der bei Aufnahmen dirigiert, ist der Aufnahmeort (Erw. 4c). | Sachverhalt
ab Seite 130
BGE 114 V 129 S. 130
A.-
X, qui a son domicile en Suisse, est affilié à la Caisse cantonale vaudoise de compensation en qualité de musicien exerçant une activité indépendante. Par des décisions des 16 décembre 1982 et 15 juin 1984, la caisse a fixé le montant annuel des cotisations AVS/AI/APG dues par l'assuré pour les années 1981 à 1985. Ce montant avait été calculé d'après les revenus que l'intéressé avait obtenus en Suisse durant les années 1977 à 1982 par son activité de chef de choeur et d'orchestre.
Le 21 février 1986, la commission d'impôt compétente a adressé à la caisse une communication, d'où il ressortait que X avait perçu, durant les années 1983 et 1984, des redevances sur des enregistrements phonographiques édités en France. Comme le prénommé avait déjà obtenu de telles redevances au cours des années précédentes et que ces gains n'avaient pas été pris en compte lors de la fixation des cotisations pour les années 1981 à 1985, la caisse a rendu trois décisions, le 16 décembre 1986, par lesquelles elle a rectifié le montant annuel des cotisations dues pour les années en cause. En outre, par une autre décision rendue le même jour, elle a fixé le montant des cotisations pour les années 1986 et 1987. Selon un plan de calcul établi par la caisse, cette dernière avait pris en compte, à titre de revenu, les gains tirés par l'assuré de son activité de chef de choeur et d'orchestre exercée en Suisse durant la période de calcul déterminante, ainsi que la totalité des redevances obtenues pendant cette même période.
B.-
L'assuré a recouru contre ces décisions devant le Tribunal des assurances du canton de Vaud, en contestant l'obligation de payer des cotisations sur les redevances qu'il perçoit.
La juridiction cantonale a admis le recours dont elle était saisie, et a renvoyé le dossier à la caisse pour qu'elle procède à un nouveau calcul des cotisations litigieuses. Elle a retenu, en bref, que le lieu de travail pour un chef interprétant une oeuvre en vue d'enregistrer un disque est l'endroit où l'enregistrement s'effectue; dès lors qu'en l'espèce certains disques ont été enregistrés par l'assuré en France, au Portugal et en Grande-Bretagne - Etats avec lesquels la Suisse a conclu des conventions de sécurité sociale
BGE 114 V 129 S. 131
instituant le principe dit de la "soumission à la législation du lieu de travail" - les redevances perçues sur la vente de ces disques n'étaient pas soumises à cotisation selon la législation suisse sur l'AVS.
C.-
La caisse interjette recours de droit administratif contre ce jugement, dont elle demande l'annulation partielle, en ce sens que la totalité des redevances perçues par l'intimé soit soumise à cotisation.
Dans son mémoire de réponse, X conclut à l'annulation du jugement entrepris, en ce sens que les redevances qu'il perçoit ne soient pas considérées comme le revenu d'une activité lucrative soumis à cotisation, mais comme le rendement d'un capital.
De son coté, l'Office fédéral des assurances sociales (OFAS) propose l'admission du recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
a) En ce qui concerne l'obligation de payer des cotisations, la situation d'un musicien, chef d'orchestre ou soliste, qui perçoit des redevances sur la vente de disques, peut être comparée à celle d'un inventeur bénéficiant de redevances de licence. Selon une jurisprudence constante (cf.
ATF 97 V 28
; RCC 1988 p. 312, 1985 p. 640), ces dernières constituent soit le revenu d'une activité lucrative soumis à cotisation, soit le produit d'un capital. D'après les
art. 4 al. 1 LAVS
et 6 al. 1 RAVS est considéré comme revenu d'une activité lucrative tout gain qui provient d'une activité et augmente la capacité économique d'un assuré. Le point de savoir si l'on est en présence d'un tel revenu doit être tranché dans chaque cas particulier, en tenant compte, d'une part, de l'apport économique des redevances pour le bénéficiaire et, d'autre part, de leur importance par rapport à l'activité lucrative de ce dernier.
b) En l'occurrence, il est indéniable que la réalisation d'enregistrements phonographiques fait partie de l'activité professionnelle d'un musicien qui, comme X, dirige des choeurs et des orchestres. En outre, ce travail n'a nullement le caractère d'une activité passagère ou secondaire pour le prénommé. En effet, il ressort des constatations des premiers juges que le nombre moyen d'enregistrements réalisés annuellement a été relativement important - plus de trois pendant la période déterminante en cause - et que les gains acquis sous forme de redevances représentent une part appréciable des revenus de
BGE 114 V 129 S. 132
l'activité lucrative indépendante exercée par l'intéressé. Cela étant, il y a lieu de considérer, comme les juges cantonaux, que les redevances acquises par ce dernier sur des enregistrements phonographiques constituent le produit d'une activité lucrative indépendante soumise à cotisation.
4.
a) Sont notamment assurées obligatoirement les personnes physiques qui ont leur domicile civil en Suisse (
art. 1 al. 1 let. a LAVS
). Les assurés au sens de l'
art. 1 al. 1 LAVS
sont tenus de payer des cotisations tant qu'ils exercent une activité lucrative (art. 3 al. 1, première phrase, LAVS).
Abstraction faite des hypothèses visées à l'
art. 6ter RAVS
- lesquelles n'entrent pas en considération en l'occurrence - cette obligation ne peut être niée que lorsqu'une disposition dérogatoire d'une convention internationale est applicable. La convention entre la Suisse et la France relative à la sécurité sociale, du 3 juillet 1975, contient des dispositions concernant le droit applicable. Sous réserve d'exceptions qui n'entrent pas en ligne de compte ici, les travailleurs indépendants qui exercent leur activité professionnelle sur le territoire de l'un des Etats sont soumis à la législation de cet Etat, même s'ils résident sur le territoire de l'autre (art. 7 al. 2 de la convention). En cas d'exercice simultané de deux ou plusieurs activités professionnelles, salariées ou non salariées, sur le territoire de l'un et de l'autre Etat, chacune de ses activités est régie par la législation de l'Etat sur le territoire duquel elle est exercée (art. 7 al. 3, première phrase, de la convention). On trouve des prescriptions analogues - instituant le principe dit de la "soumission à la législation du lieu de travail" - dans les conventions de sécurité sociale entre la Suisse et, respectivement, le Portugal, du 11 septembre 1975 (art. 4) et la Grande-Bretagne, du 21 février 1968 (art. 5 al. 1). Selon la jurisprudence, ces règles conventionnelles sont des normes directement applicables, qui ont le pas sur les dispositions de la LAVS concernant l'assujettissement à l'assurance et l'obligation de cotiser (
ATF 110 V 76
consid. 2b et les références citées).
b) La recourante et l'OFAS contestent le point de vue de la juridiction cantonale selon lequel le lieu de travail, pour un musicien dirigeant un choeur ou un orchestre en vue d'enregistrer un disque, est le lieu d'enregistrement; étant donné que, selon eux, les autorités compétentes de l'Etat où s'effectuent les enregistrements ignorent le plus souvent que l'intéressé perçoit des redevances, ils sont d'avis que ces dernières seraient soustraites à toutes contribution
BGE 114 V 129 S. 133
aux assurances sociales si l'on se fondait sur le critère fixé par les premiers juges.
Cette argumentation n'est pas fondée. En effet, selon une jurisprudence constante (
ATF 110 V 77
consid. 3b et les références citées), on ne saurait déroger au principe de la soumission à la législation du lieu de travail pour le motif qu'un assuré n'a pas été soumis à l'obligation de cotiser dans l'Etat où il a exercé son activité lucrative. Une telle dérogation ne ressort en effet nullement des textes conventionnels précités, sur lesquels il faut en premier lieu se fonder pour interpréter une convention internationale.
c) L'OFAS est en outre d'avis que le lieu où s'exerce l'activité professionnelle d'un musicien dirigeant des oeuvres en vue d'un enregistrement est celui du domicile, dès lors que c'est chez lui qu'un artiste accomplit un travail indispensable de préparation et d'organisation, comme la correspondance relative à ses engagements, la planification des répétitions et l'étude des oeuvres destinées à être enregistrées. Pour justifier son point de vue, l'office se fonde essentiellement sur un arrêt de la Cour de céans selon lequel le lieu de tournage d'un film n'est pas déterminant pour un acteur de métier (RCC 1973 p. 462 consid. 4).
Le point de vue de l'autorité fédérale de surveillance ne saurait être partagé. Dans l'arrêt précité, il était question de déterminer le genre de l'activité professionnelle d'un comédien, s'agissant de la perception éventuelle de cotisations sur l'ensemble des revenus tirés par l'intéressé de l'exercice de sa profession. Or, en l'espèce, la situation est différente puisque la question qui se pose est uniquement celle de savoir où s'exerce l'activité par laquelle l'intimé obtient des revenus sous forme de redevances. Au demeurant, on ne saurait voir dans l'arrêt précité l'affirmation d'un principe général, applicable à toutes les formes d'activité artistique destinées à la confection d'un support tel qu'un disque. Dans le cas particulier, même s'il est probable que l'intimé exerce une activité préparatoire à son domicile, il y a lieu de considérer que son travail proprement dit, à savoir l'enregistrement d'oeuvres musicales à la tête de choeurs ou d'orchestres, est accompli à l'endroit où l'enregistrement s'effectue. Cela étant, c'est à bon droit que la juridiction cantonale a exclu des revenus soumis à cotisation les redevances perçues par l'intimé sur la vente de disques enregistrés au Portugal, en France et en Grande-Bretagne. Le recours se révèle ainsi mal fondé. | null | nan | fr | 1,988 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c96b2968-d192-41ea-a987-2cf8139e5c66 | Urteilskopf
112 Ia 50
10. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Februar 1986 i.S. Blum und Mitbeteiligte gegen Grosser Rat des Kantons Schaffhausen (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 85 lit. a OG
; Kreditbewilligung für Renovation des Personalhauses des Kantonsspitals; Finanzreferendum.
Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 KV-SH: Begriff der gebundenen und neuen Ausgabe (E. 3-4).
Die Kosten für Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses des Kantonsspitals (aus 76 Einzelzimmern werden 30 Einzimmerwohnungen; Einbau einer Schirmbildstation) sind neue Ausgaben, da verschiedene Verwendungsmöglichkeiten des Personalhauses in Frage kommen (E. 5-7). | Sachverhalt
ab Seite 50
BGE 112 Ia 50 S. 50
Der Grosse Rat des Kantons Schaffhausen beschloss am 3. Dezember 1984 einen Kredit von Fr. 2'770'000.-- für die Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses des Kantonsspitals. Er unterstellte den Kreditbeschluss mit 35 gegen 31 Stimmen nicht der Volksabstimmung in der Meinung, es handle sich dabei
BGE 112 Ia 50 S. 51
um eine gebundene Ausgabe. Anschliessend bewilligte er einen Kredit von Fr. 140'000.-- für die Verlegung der Schirmbildstation ins Erdgeschoss des Personalhauses.
Gegen den Beschluss über den Kredit von Fr. 2'770'000.-- erhoben Hans Blum und acht weitere stimmberechtigte Einwohner des Kantons Schaffhausen staatsrechtliche Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3.
Die Schaffhauser Kantonsverfassung bestimmt in Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2, dass der Volksabstimmung alle Beschlüsse des Grossen Rates zu unterstellen sind, welche für einen besonderen Zweck eine neue einmalige Gesamtausgabe von mehr als Fr. 150'000.-- oder eine neue jährlich wiederkehrende Ausgabe von mehr als Fr. 15'000.-- zur Folge haben. Nach einer am 8. Juni 1980 in Kraft getretenen Ergänzung gilt eine Ausgabe als neu,
- a) wenn sie nicht durch Volksabstimmung dem Umfange nach festgelegt ist und für die Verwendung dieser Ausgabe echte Wahlmöglichkeiten bestehen, oder
- b) wenn sie für die Erfüllung der gesetzlich festgelegten Verwaltungsaufgaben nicht unbedingt notwendig sind.
4.
a) Den Gegensatz zur "neuen" Ausgabe bildet die "gebundene" Ausgabe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gelten Ausgaben dann als gebunden und damit nicht referendumspflichtig, wenn sie durch einen Rechtssatz prinzipiell und dem Umfange nach vorgeschrieben oder zur Erfüllung der gesetzlich geordneten Verwaltungsaufgaben unbedingt erforderlich sind. Gebunden ist eine Ausgabe ferner, wenn anzunehmen ist, das Stimmvolk habe mit einem vorausgehenden Grunderlass auch die aus ihm folgenden Aufwendungen gebilligt, falls ein entsprechendes Bedürfnis voraussehbar war oder falls gleichgültig ist, welche Sachmittel zur Erfüllung der vom Gemeinwesen mit dem Grunderlass übernommenen Aufgaben gewählt werden. Es kann aber selbst dann, wenn das "ob" weitgehend durch den Grunderlass präjudiziert ist, das "wie" wichtig genug sein, um die Mitsprache des Volkes zu rechtfertigen. Immer dann, wenn der entscheidenden Behörde in bezug auf den Umfang der Ausgabe, den Zeitpunkt ihrer Vornahme oder andere Modalitäten eine verhältnismässig grosse Handlungsfreiheit zusteht, ist eine "neue" Ausgabe anzunehmen (
BGE 111 Ia 37
E. 4c mit Hinweisen).
BGE 112 Ia 50 S. 52
b) Es besteht jedoch kein bundesrechtlicher Begriff der neuen und gebundenen Ausgabe. Von der bundesgerichtlichen Begriffsbestimmung darf deshalb dort abgewichen werden, wo sich bei Auslegung des kantonalen Rechts oder aufgrund einer feststehenden und unangefochtenen Rechtsauffassung und Praxis des kantonalen Gesetzgebers eine andere Betrachtungsweise aufdrängt. Denn das Finanzreferendum ist ein Institut des kantonalen Verfassungsrechts. Umfang und Ausgestaltung werden durch die Kantonsverfassung bestimmt, und das Bundesgericht wacht als Verfassungsgericht lediglich über die Einhaltung der dem Bürger durch die kantonale Verfassung zugesicherte Mitwirkung. Ist das Finanzreferendum im kantonalen Verfassungsrecht jedoch vorgesehen, so muss es sinnvoll, d.h. unter Berücksichtigung seiner staatspolitischen Funktion gehandhabt und darf nicht durch die kantonale Gesetzgebung und Praxis seiner Substanz entleert werden (
BGE 111 Ia 36
E. 4b;
BGE 108 Ia 238
E. 3c, je mit Hinweisen).
c) Die Bestimmungen der Schaffhauser Kantonsverfassung über den Begriff der neuen Ausgabe lehnen sich mit der Präzisierung in lit. a und b von Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 an diese bundesgerichtliche Rechtsprechung an. Dies wird von beiden Parteien anerkannt. Der Beurteilung kann daher die bundesgerichtliche Rechtsprechung ohne Einschränkung zugrunde gelegt werden.
5.
a) In der Vorlage an den Grossen Rat hat der Regierungsrat ausgeführt, das 1952/53 mit einem Kostenaufwand von 1,1 Millionen Franken gebaute alte Personalhaus sei seither nie umfassend renoviert worden. Es verfüge über 76 Einzelzimmer und Nebenräume. Der Aufwand für Sanierungsarbeiten im Rahmen der bisherigen Nutzung dürfte in der Grössenordnung von Fr. 465'000.-- liegen. Wegen der minimalen Raumgrössen und des nicht mehr zeitgerechten allgemeinen Komfortes sei eine Vermietung an das Spitalpersonal nur noch teilweise möglich. Deshalb sei man in der letzten Zeit dazu übergegangen, ausländische Saisonniers, die in Fremdbetrieben arbeiteten, vorübergehend als Mieter aufzunehmen. Gleichwohl sei die Belegung weiterhin rückläufig und der Betrieb defizitär. Nach dem Bauprojekt sollen in den Normalgeschossen gemäss dem Wunsch von Nutzerseite die Einzelzimmer in Kleinwohnungen mit Kochnische und Bad/WC umgestaltet werden. Im Erdgeschoss-Südflügel könnten ebenfalls Kleinwohnungen eingebaut werden, während in den Erdgeschoss-Nordflügel die Schirmbildstation verlegt werden solle, wobei noch Raum für zwei weitere Einzimmerwohnungen bliebe. Bei dieser
BGE 112 Ia 50 S. 53
Modernisierung handle es sich, nachdem der Grundsatzentscheid für die Realisierung des gesamten Konzeptes des Kantonsspitals, eingeschlossen die Personalunterkünfte, seinerzeit vom Souverän getroffen worden sei, um eine gebundene Ausgabe. Dieser Auffassung hat sich der Grosse Rat mit knapper Mehrheit angeschlossen.
b) Die Beschwerdeführer machen geltend, in der ursprünglichen Vorlage für den Neubau des Kantonsspitals vom 6. Mai 1946 sei lediglich angeführt worden, dass für Schwestern, Personal, Assistenten und Wärter insgesamt 70 Betten vorgesehen seien. In der Nachtragskreditvorlage vom 17. Oktober 1949 sei dann von der Vergrösserung des Personalhauses die Rede gewesen. Gegenüber der vorgesehenen Umgestaltung böten sich sinnvolle Wahlmöglichkeiten an. Der Abbruch des Personalhauses liesse das jährliche Betriebsdefizit verschwinden. Mit der teilweisen Vermietung an Dritte sei der seinerzeitige Zweck praktisch aufgegeben worden. Das Kantonsspital verfüge über 339 Zimmer und Wohnungen für Personal von rund 580 Personen. Es bestehe also keine Notwendigkeit, schon gar nicht eine unbedingte Notwendigkeit, das Haus dem Personal zur Verfügung zu stellen. Dem Abbruch des Hauses stehe also kein gesetzlich abgestützter verwaltungsrechtlicher Auftrag entgegen. Als weitere echte Wahlmöglichkeit biete sich ein Neubau an, der nicht die Nachteile des Umbaus eines alten Gebäudes mit sich brächte und nur wenig teurer zu stehen käme. Dass Boden und Gebäude vom Kanton in verschiedener Weise genutzt werden könnten, gehe daraus hervor, dass die Verwaltung selber nach andern Verwendungsmöglichkeiten gesucht habe, wie Unterkünfte für Cilag-Angestellte, Tagesspital im Erdgeschoss oder Wohnheim für geistig Behinderte. Auch sei von der späteren Einrichtung einer Abteilung für Psychogeriatrie die Rede und der Einbau der Schirmbildstation beschlossen.
c) Der Grosse Rat führt demgegenüber in seiner Vernehmlassung aus, die seinerzeit für den Betrieb von staatlichen Krankenanstalten angenommene Notwendigkeit einer genügend grossen Zahl von Personalunterkünften bestehe heute noch. Das Projekt für die Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses diene in erster Linie der Erhaltung der bestehenden Bausubstanz. In seiner äusseren Gestalt und räumlichen Struktur solle das Haus zum überwiegenden Teil erhalten bleiben. Die Anpassung an die veränderten Wohnbedürfnisse seiner Benützer gehe nicht über den Gebäudeunterhalt hinaus. Auch jene Massnahmen dürften als Unterhalt qualifiziert werden, welche der Beseitigung unzulänglicher
BGE 112 Ia 50 S. 54
Verhältnisse dienten. Das Bauprojekt beinhalte keine Zweckänderung des Gebäudes. Die im Erdgeschoss eingeplante Schirmbildstation sei Gegenstand eines Budgetkredites innerhalb der Finanzkompetenz des Grossen Rates. Die von den Beschwerdeführern vertretene Alternativlösung eines Abbruchs sei angesichts der Notwendigkeit einer Weiterführung des Personalhauses undiskutabel und wirtschaftlich nicht vertretbar. Auch treffe nicht zu, dass ein Neubau nur wenig teurer zu stehen käme.
d) In der Beschwerdeergänzung bestreiten die Beschwerdeführer, dass die Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses nicht über den Gebäudeunterhalt hinausgehe. Dass dem nicht so sei, ergebe sich schon daraus, dass nach der Regierungsvorlage der Aufwand für Sanierungsmassnahmen im Rahmen der bisherigen Nutzung in der Grössenordnung von Fr. 465'000.-- liegen würde. Es sei eine radikale Umgestaltung mit Änderung der Installationen vorgesehen, zudem eine teilweise Zweckänderung durch Einbau der Schirmbildstation, auch wenn dieser Kredit in der Kompetenz des Grossen Rates liege.
6.
a) Der Grosse Rat ist der Meinung, die Aufwendungen für die Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses hielten sich im Rahmen des Gebäudeunterhaltes und seien deshalb gebundene Ausgaben. Die Beschwerdeführer haben dies in der Beschwerdebegründung - entgegen der Darstellung des Grossen Rates in der Vernehmlassung - nicht anerkannt. Sie haben sich dazu nicht ausdrücklich geäussert, aber das Vorliegen einer gebundenen Ausgabe unter Hinweis auf echte Wahlmöglichkeiten verneint. In ihrer Beschwerdeergänzung haben sie dann - rechtzeitig - geltend gemacht, die geplante Umgestaltung gehe über den Gebäudeunterhalt hinaus.
b) Das Bundesgericht hat es in seiner Rechtsprechung als zulässig erklärt, zu Unterhaltsarbeiten auch solche zu zählen, welche für die Anpassung eines Werks an geänderte Verhältnisse und Bedürfnisse erforderlich sind, handle es sich dabei um eine Strasse (
BGE 105 Ia 87
E. 7a) oder ein öffentliches Gebäude (
BGE 103 Ia 449
E. 3b unter Hinweis auf
BGE 77 I 115
E. 3). Danach umfasst der Unterhalt nicht bloss die ordentliche, laufende Instandhaltung, sondern auch Massnahmen zur Beseitigung unzulänglicher Verhältnisse für die im Gebäude betriebene Anstalt. Nach
BGE 103 Ia 449
/50 ist eine solche kantonale Praxis nicht zu beanstanden, sofern sie mit dem kantonalen Verfassungsrecht vereinbar ist. Fehlt allerdings eine solche gefestigte Praxis, so ist gemäss den
BGE 112 Ia 50 S. 55
Grundsätzen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu fragen, ob der zuständigen Behörde bei der Renovation des Gebäudes wesentliche Wahlmöglichkeiten zur Verfügung standen.
c) Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass nach der regierungsrätlichen Vorlage eine Renovation unter Beibehaltung der bisherigen Einzelzimmer mit Aussenrenovation, Ersatz der Doppelverglasungsfenster, Erneuerung der Bodenbeläge, teilweisem Ersatz der sanitären Apparate und Armaturen und allgemeiner Innenrenovation auf rund Fr. 465'000.-- zu stehen käme. Das Projekt will zwar die Zwecksbestimmung als Personalhaus beibehalten (wenn man von dem nicht unter den strittigen Beschluss fallenden Einbau der Schirmbildstation absieht). Die Änderungen fallen aber stark ins Gewicht, sollen doch anstelle der 76 Einzelzimmer nur noch 30 Einzimmerwohnungen entstehen, welche mit Kochnische, WC und Bad ausgestattet wären. Die Kosten dieser Neugestaltung würden diejenigen einer reinen Renovation mit rund Fr. 2,3 Millionen um fast das Fünffache übersteigen. Es ist sehr fraglich, ob diese Umgestaltung noch als Gebäudeunterhalt im weiteren Sinne einer Anpassung an geänderte Verhältnisse gelten kann. Die Frage kann offengelassen werden, weil - wie nachstehend ausgeführt wird - der entscheidenden Behörde echte Wahlmöglichkeiten zur Verfügung standen. Sicher ist aus diesem Grunde die Mitsprache des Volkes gerechtfertigt.
7.
a) Die Frage der Wahlmöglichkeiten stellt sich nicht nur nach der angeführten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, sondern auch und vor allem nach der ausdrücklichen Vorschrift von Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 lit. a KV. Nachdem diese Bestimmung 1980 im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung präzisiert worden ist, wäre eine entgegenstehende ältere kantonale Praxis unbeachtlich. Die Beschwerdeführer bezeichnen als Alternativen den Abbruch des Personalhauses, einen Neubau sowie anderweitige Verwendungen des Gebäudes. Hingegen machen sie nicht ausdrücklich geltend, bei einer weiteren Verwendung als Personalhaus wäre eine andere, allenfalls weniger kostspielige Renovation möglich und sinnvoll.
b) Das Bundesgericht hat in
BGE 103 Ia 450
E. 3c ausgeführt, der Abbruch des Bäckereigebäudes, wie ihn der Beschwerdeführer befürworte, sei angesichts der gegebenen und unveränderten Zwecksetzung keine Alternative zur baulichen Veränderung, die unter dem Gesichtspunkt der Handlungsfreiheit der Behörde ernsthaft in Betracht zu ziehen wäre. Ein Neubau könne nur dann
BGE 112 Ia 50 S. 56
für die Beurteilung als mögliche Alternative in Betracht kommen, wenn er sich bei den gegebenen Verhältnissen geradezu aufdränge, etwa dann, wenn die bestehende Baute völlig oder nahezu wertlos sei. Im vorliegenden Fall wird nicht behauptet, das Personalhaus sei in seiner Bausubstanz wertlos. Der Abbruch wird von den Beschwerdeführern damit gerechtfertigt, dass dadurch das Defizit des Betriebes beseitigt werden könne. Er wäre aber, selbst bei Aufgabe der Zwecksbestimmung eines Personalhauses, sicher so lange nicht gerechtfertigt, als anderweitige Verwendungsmöglichkeiten denkbar sind. Der Abbruch des Hauses dürfte deshalb als ernsthafte Wahlmöglichkeit ausser Betracht fallen.
c) Der Grosse Rat macht geltend, die Zurverfügungstellung von Personalwohnungen für das Spitalpersonal sei als Verwaltungsaufgabe durch die Volksabstimmungen von 1946 und 1950 festgelegt worden und schliesst daraus, dass dadurch die weitere Verwendung des Hauses präjudiziert sei. Richtig ist, dass damals das Bedürfnis nach Personalwohnungen für das Kantonsspital festgestellt und zu dessen Befriedigung das Personalhaus erstellt worden ist. Dieses Bedürfnis hat auch weiterhin bestanden, sind doch zusätzliche Wohnräume 1956/57 und 1972/73 geschaffen worden, insgesamt über 400 Wohneinheiten für Schwestern und Personal. Anderseits stellen aber auch Regierungsrat und Grosser Rat fest, dass sich seither die Wohnbedürfnisse des Spitalpersonals gewandelt haben, dass insbesondere so kleine Zimmer ohne Komfort, wie sie im Personalhaus zur Verfügung stehen, nicht mehr gefragt sind. Es besteht auch keine betriebliche Notwendigkeit, Wohngelegenheiten für das gesamte Personal zur Verfügung zu stellen. Es kann deshalb kaum gesagt werden, die Beibehaltung des Personalhauses mit dieser Funktion sei im Sinne von Art. 42 Abs. 1 Ziff. 2 lit. b KV "für die Erfüllung der gesetzlich festgelegten Verwaltungsaufgaben unbedingt notwendig". Die Spitalverwaltung hat dies schon nicht angenommen und andere Verwendungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Im Zusammenhang mit Spitalbauten wurden Räume den Architekten als Büro zur Verfügung gestellt, ferner wurden Zimmer an Saisonniers privater Arbeitgeber vermietet. Schliesslich ist das Personalhaus ganz geschlossen worden (Protokoll der Grossratssitzung vom 3. Dezember 1984, S. 786, Ende des Votums von Kommissionspräsident Rolf Meier). Auch der Regierungsrat und der Grosse Rat gehen nicht davon aus, es müsse wieder die gleiche Zahl von Wohneinheiten geschaffen werden, sollen doch nach dem umstrittenen Projekt an Stelle
BGE 112 Ia 50 S. 57
von 76 Einzelzimmer nur 30 Einzimmerwohnungen eingebaut werden. Wäre die weitere Verwendung des Personalhauses durch die seinerzeitigen Beschlüsse für alle Zeit festgelegt worden, so hätte auch nicht ein Teil durch Einbau der Schirmbildstation zweckentfremdet werden dürfen.
d) Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, durch die seinerzeitigen Volksentscheide von 1946 und 1950 sei bereits festgelegt worden, was mit dem Personalhaus fast 40 Jahre später unter veränderten Verhältnissen zu geschehen habe. Es käme einer unzulässigen Interpretation der damaligen Beschlüsse gleich, wenn daraus der Volkswille abgeleitet würde, es müssten zur Erhaltung der beschränkten Zahl von 30 Wohneinheiten in den mit einem Kostenaufwand von 1,1 Millionen Franken erstellten Bau Fr. 2'770'000.-- investiert werden.
e) Das Bundesgericht hat nicht darüber zu befinden, ob die vom Grossen Rat beschlossene Umgestaltung und Modernisierung des Personalhauses die beste Lösung für die weitere Verwendung darstellt. Selbst wenn dies zutreffen sollte, schlösse dies das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten nicht aus. Wird eine Zweckänderung nicht durch eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenwidmung ausgeschlossen, so kommen die verschiedensten Verwendungsmöglichkeiten in Betracht, sei dies eine weitere Vermietung an Gastarbeiter, sei es die Einrichtung eines Wohnheims für geistig Behinderte oder eine Abteilung für Psychogeriatrie, wie sie von den Beschwerdeführern erwähnt werden. Der Grosse Rat hat sich in seinen Vernehmlassungen zu solchen Möglichkeiten alternativer Nutzung nicht geäussert und sie an sich nicht bestritten. Er macht allerdings geltend, die Umnutzung würde den Neubau eines Personalhauses notwendig machen, was auch die Beschwerdeführer als Wahlmöglichkeit anführen. Ob im Falle einer andern Nutzung des Personalhauses ein Neubau erforderlich würde, und ob die Mehrkosten eines Neubaus dessen Vorteile gegenüber einem Umbau aufwiegen würden, ist nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann eine solche Lösung als Wahlmöglichkeit nicht ausser Betracht gelassen werden. | public_law | nan | de | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c96b798f-1d45-4761-a0fd-8677d7ad679b | Urteilskopf
110 V 218
34. Urteil vom 4. Mai 1984 i.S. F. Hoffmann-La Roche & Co. AG gegen Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel | Regeste
Art. 32 Abs. 3 und 150 Abs. 1 OG.
Zwecks Wahrung der für die Leistung eines Gerichtskostenvorschusses angesetzten Frist hat der Vorschusspflichtige, der sich eines Giromandats im Rahmen des Sammelauftragsdienstes der PTT (Art. 133d PVV) bedient, als Fälligkeitsdatum spätestens den letzten Tag der verfügten Frist einzusetzen und den Datenträger so rechtzeitig der Post zu übergeben, dass die Gutschrift auf dem Empfängerkonto nach dem ordentlichen postalischen Gang spätestens am bezeichneten Tage noch erfolgen kann. | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 110 V 218 S. 218
A.-
Am 11. Mai 1983 erhob die Firma F. Hoffmann-La Roche & Co. AG gegen Entscheide der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel, vom 17. Februar 1983 (betreffend drei Beitragsverfügungen der Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes) Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht.
BGE 110 V 218 S. 219
Mit Verfügung vom 25. Mai 1983 forderte der Präsident des Eidg. Versicherungsgerichts die Beschwerdeführerin auf, bis zum 8. Juni 1983 zur Sicherstellung der mutmasslichen Gerichtskosten einen Vorschuss von Fr. 1'000.- zu bezahlen; bei Nichtleistung innert der gesetzten Frist werde auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten.
B.-
Die Beschwerdeführerin leistete den Vorschuss mittels Giroauftrages auf einem Datenträger im Rahmen des Sammelauftragsdienstes gemäss
Art. 133d der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz (PVV; SR 783.01)
. Sie übergab den fraglichen Datenträger am 8. Juni 1983 in Basel der Post zur Weiterbeförderung an die Postcheckabteilung der Generaldirektion PTT und vermerkte für die darin erfassten Aufträge "SAD Zahlungen per 13.06.83" bzw. "Fälligkeit 13.06.83". Am 13. Juni 1983 wurden dem Postcheckkonto des Eidg. Versicherungsgerichts auftragsgemäss Fr. 1'000.- gutgeschrieben.
Die Beschwerdeführerin hat sich auf gerichtliche Aufforderung mit Eingaben vom 1. und 8. Juli sowie 21. Dezember 1983 zur Frage der rechtzeitigen Leistung des Kostenvorschusses vernehmen lassen. Auf die Stellungnahme der Generaldirektion der PTT vom 8. Dezember 1983 wird in den Erwägungen zurückzukommen sein.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss Art. 133d Abs. 1 PVV können die Teilnehmer am Sammelauftragsdienst Zahlungsaufträge mit EDV-gerechten Datenträgern einreichen; sie fassen ihre auf ein bestimmtes Datum (Werktag ohne Samstag) auszuführenden Zahlungen zu einem Sammelauftrag zusammen, erstellen einen Datenträger (Magnetband, Kassette oder Diskette) und übergeben ihn der Postcheckabteilung der PTT-Generaldirektion. Nach Abs. 3 der erwähnten Bestimmung vereinbaren die PTT-Betriebe mit jedem Teilnehmer die Einzelheiten über die Teilnahme am Sammelauftragsdienst und dessen EDV-gerechte Abwicklung.
b) Nach der schriftlichen Auskunft der PTT-Generaldirektion vom 8. Dezember 1983 wird in der Vereinbarung mit dem Teilnehmer am Sammelauftragsdienst festgehalten, dass jeder einzelne Zahlungsauftrag ein Fälligkeitsdatum aufweisen müsse; Aufträge ohne Datum der Fälligkeit (beispielsweise mit dem blossen Vermerk "sofort") würden nicht verarbeitet. Unter dem Fälligkeitsdatum
BGE 110 V 218 S. 220
sei bei Überweisung (Giro) der Tag der Gutschrift auf dem Empfängerkonto zu verstehen.
2.
Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die für die Zahlung eines Kostenvorschusses richterlich gesetzte Frist eingehalten ist, wenn die Zahlung im Verfahren des Sammelauftragsdienstes erfolgt.
Beim herkömmlichen Giromandat ist nach der Rechtsprechung die Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses in sinngemässer Anwendung von
Art. 32 Abs. 3 OG
eingehalten, wenn der entsprechende Überweisungsauftrag spätestens am letzten Tag der Frist der schweizerischen Post übergeben wird (
BGE 104 II 63
Erw. 2,
BGE 96 I 472
Erw. 1). Die Aufgabe des Giromandats wird somit der direkten Zahlung am Postschalter gleichgestellt. Der Grund hiefür liegt darin, dass einerseits die Post die Gutschrift sofort vornehmen kann, anderseits aber der Auftraggeber den Tag der Gutschrift weder bestimmen noch zuverlässig berechnen kann. Aus Gründen der Praktikabilität muss deshalb die Postaufgabe des Giromandats innerhalb der gesetzten Frist als rechtzeitige Zahlung betrachtet werden.
Demgegenüber kann der Teilnehmer am Sammelauftragsdienst den Tag der Gutschrift selber festlegen, womit er die Möglichkeit hat, zu bestimmen, auf welchen Zeitpunkt er den geforderten Kostenvorschuss erbringen will. Dieser wesentliche Unterschied bei der Benützung des Sammelauftragsdienstes hat zur Folge, dass die Fristwahrung an andere Voraussetzungen zu knüpfen ist als beim herkömmlichen Giromandat. Erforderlich ist dabei, dass der Vorschusspflichtige als Fälligkeitsdatum spätestens den letzten Tag der verfügten Frist einsetzt; zudem hat er den Datenträger der Post so rechtzeitig zu übergeben, dass die Gutschrift auf dem Empfängerkonto nach dem ordentlichen postalischen Gang spätestens am bezeichneten Tage noch erfolgen kann. Diese Lösung allein vermag in befriedigender Weise zu verhindern, dass der Auftraggeber die Zahlung nach Bedarf oder Gutdünken mehr oder weniger weit über die gesetzte Frist hinaus verzögern kann. Zwar verkürzt sich dadurch die Frist, innerhalb welcher der Zahlungspflichtige handeln muss; dieser hat das indessen in Kauf zu nehmen, wenn er sich des Sammelauftragsdienstes bedient und sich dessen Vorteile zunutze macht. Eine rechtserhebliche Benachteiligung ist darin nicht zu erblicken, da ihm ja nebstdem wie jedem andern Postbenützer die Möglichkeit der Zahlungsanweisung oder des herkömmlichen Giromandats offensteht.
BGE 110 V 218 S. 221
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Datenträger am 8. Juni 1983 (Mittwoch) der Post übergeben und als Fälligkeitstag den 13. Juni 1983 (Montag) eingesetzt. Da der letzte Tag der verfügten Frist der 8. Juni 1983 war, hat die Beschwerdeführerin den Kostenvorschuss nach dem Gesagten nicht rechtzeitig geleistet, so dass auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde androhungsgemäss nicht einzutreten ist.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten. | null | nan | de | 1,984 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c96d73c9-fa60-45e7-9c63-547bc4101750 | Urteilskopf
113 Ia 200
32. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9. April 1987 i.S. Einwohnergemeinde Egerkingen gegen Regierungsrat des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Gemeindeautonomie; Revision der Statuten eines Zweckverbandes.
1. Eine Gemeinde, die Mitglied eines öffentlichrechtlichen Zweckverbandes ist, kann mit staatsrechtlicher Beschwerde die Überprüfung der Statuten dieses Verbandes auf ihre Vereinbarkeit mit dem kantonalen Recht (im vorliegenden Fall mit dem solothurnischen Gemeindegesetz) verlangen (E. 1c).
2. Die Gründung eines Zweckverbandes und der erstmalige Erlass der Statuten bedarf der Zustimmung aller beteiligter Gemeinden. Ist es zulässig, für die Revision der Statuten ein Mehrheitsverfahren vorzusehen? Darstellung der Interessenlage. Die streitige Statutenrevision ist nicht von grundlegender Bedeutung und kann daher trotz Verweigerung der Zustimmung einer Gemeinde genehmigt und in Kraft gesetzt werden; keine Verletzung der Gemeindeautonomie (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 201
BGE 113 Ia 200 S. 201
Unter dem Namen "Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu" besteht im Kanton Solothurn ein öffentlichrechtlicher Zweckverband mit eigener Rechtspersönlichkeit im Sinne von § 10 des solothurnischen Gemeindegesetzes. Neben andern Einwohnergemeinden gehört dem Zweckverband als Mitglied die Einwohnergemeinde Egerkingen an. Der Verband bezweckt den Bau und Betrieb einer gemeinsamen Grundwasserfassungsanlage mit Pumpwerk und Trafostation in Neuendorf und die Versorgung der Verbandsgemeinden mit Wasser gemäss den in den Statuten enthaltenen Bestimmungen. Die Statuten des Zweckverbandes wurden vom Regierungsrat des Kantons Solothurn mit Beschluss vom 24. Januar 1975 genehmigt. Sie regeln im einzelnen die Organisation des Verbandes (Art. 7 ff.), den Bau, Unterhalt, Betrieb und Wasserbezug (Art. 26 ff.), die Finanzierung, Kostenverteilung und Haftung (Art. 36 ff.), Staatsaufsicht und Streitigkeiten (Art. 47 ff.), Auflösung, Liquidation und Austritt (Art. 50 f.) und enthalten verschiedene Schlussbestimmungen (Art. 53 ff.). Hinsichtlich der Änderung der Statuten ist vorgesehen, dass eine solche der Zustimmung
BGE 113 Ia 200 S. 202
von zwei Dritteln der Delegierten in der Delegiertenversammlung sowie der Zustimmung von zwei Dritteln der Verbandsgemeinden bedarf (Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 50 Ziff. 1 und 2 und Art. 6b Abs. 2).
Aufgrund massgeblicher Projektänderungen und infolge der Redimensionierung des Planungszieles hat der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu eine Revision der Statuten durchgeführt. Die Delegiertenversammlung hat der Revision am 23. Januar 1985 mit der erforderlichen Zweidrittels-Mehrheit zugestimmt. Die Zustimmung erteilten ferner alle Verbandsgemeinden ausser der Einwohnergemeinde Egerkingen.
In der Folge genehmigte der Regierungsrat des Kantons Solothurn die revidierten Statuten mit Beschluss vom 15. April 1986. Im Genehmigungsbeschluss führte der Regierungsrat aus, dass die Revision angesichts der Art. 55 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 50 Ziff. 2 der Statuten trotz der fehlenden Zustimmung der Einwohnergemeinde Egerkingen rechtsgültig zustande gekommen sei.
Gegen diesen Genehmigungsbeschluss des Regierungsrates reichte die Einwohnergemeinde beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung ihrer Autonomie ein. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
1.
a) Der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu ist nach Art. 1 Abs. 1 der Statuten eine öffentlichrechtliche Körperschaft im Sinne von § 10 des Gemeindegesetzes des Kantons Solothurn vom 27. März 1949 (GG). Den beteiligten Verbandsgemeinden obliegen nach den Statuten Verpflichtungen auf dem Gebiete der Grundwasserfassung und der Wasserversorgung. Mit der Revision der Statuten werden diese Verpflichtungen geändert. Der Beschluss des Regierungsrates, die Statutenrevision zu genehmigen, trifft die beschwerdeführende Gemeinde damit in ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt. Die Beschwerdeführerin ist daher legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung ihrer Autonomie zu rügen. Ob ihr im betreffenden Bereich tatsächlich Autonomie zusteht, ist keine Frage der Legitimation, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (
BGE 111 Ia 252
E. 2, 110 a 198 E. 1, mit Hinweisen). Unter diesem Gesichtswinkel steht dem Eintreten auf die Beschwerde nichts entgegen.
BGE 113 Ia 200 S. 203
b) Das Bau-Departement macht in seiner Vernehmlassung in verschiedener Hinsicht geltend, auf die Beschwerde könne nicht eingetreten werden.
Zum einen führt es aus, die Einwohnergemeinde Egerkingen habe keinen förmlichen Entscheid über die von der Delegiertenversammlung verabschiedete Statutenrevision nach Art. 6a der Statuten getroffen; es könne daher nicht behauptet werden, die Beschwerdeführerin habe den neuen Statuten nicht zugestimmt. Das Bau-Departement übersieht indessen, dass tatsächlich keine Zustimmung von Seiten der Beschwerdeführerin vorliegt. Der Regierungsrat hat denn die Statutenrevision auch ungeachtet der Form der Nichtzustimmung genehmigt und keinen vorgängigen Entscheid der Einwohnergemeinde Egerkingen verlangt. Bei dieser Sachlage steht der Einwand des Bau-Departementes dem Eintreten nicht entgegen.
Zum andern wendet das Departement ein, die Beschwerdeführerin hätte vorgängig beim Regierungsrat Beschwerde nach Art. 49 der Statuten erheben müssen. Nach Art. 49 Abs. 1 der Statuten sind Beschwerden u.a. gegen Beschlüsse der Delegiertenversammlung innert zehn Tagen beim Regierungsrat einzureichen, sofern sich aus den Statuten nichts anderes ergibt. Es ist indessen fraglich, ob der Regierungsrat auf eine Beschwerde der Einwohnergemeinde Egerkingen überhaupt eingetreten wäre, welche sich gegen die Beschlussfassung über die Statutenrevision gerichtet hätte und mit welcher eine Verletzung der Gemeindeautonomie geltend gemacht worden wäre. Denn unmittelbar im Anschluss an den Beschluss der Delegiertenversammlung stand noch keineswegs fest, ob eine den Statuten entsprechende Mehrheit der Mitglieder-Gemeinden die neuen Statuten tatsächlich genehmigen würde, und demnach konnte sich die Beschwerdeführerin in jenem Zeitpunkt auch noch nicht über eine Autonomieverletzung beschweren. Die gerügte Autonomieverletzung kam aus der Sicht der Beschwerdeführerin vielmehr erst mit der regierungsrätlichen Genehmigung der neuen Statuten zustande. Bestanden demnach an der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 49 Abs. 1 der Statuten ernstliche Zweifel, so brauchte dieses Rechtsmittel nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unter dem Gesichtswinkel von
Art. 86 Abs. 2 und
Art. 87 OG
nicht ergriffen zu werden (
BGE 110 Ia 213
E. 1,
BGE 106 Ia 58
oben, mit Hinweisen). Demnach kann auch in dieser Hinsicht auf die Beschwerde eingetreten werden.
BGE 113 Ia 200 S. 204
c) Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, der Regierungsrat habe die Statutenbestimmungen betreffend die Statutenrevision in verfassungswidriger Weise angewendet und sie dadurch in ihrer Autonomie verletzt. Sie behauptet vielmehr, die Statutenbestimmungen stünden in diesem Punkte mit § 10 GG im Widerspruch; deren Anwendung verletzte sie daher in ihrer Autonomie. Damit verlangt sie ausdrücklich eine vorfrageweise Überprüfung der Statutenbestimmungen auf ihre Gesetzmässigkeit. Es fragt sich daher, ob das Bundesgericht eine solche vorfrageweise Überprüfung der Statuten vornehmen kann.
Der Zweckverband Regionale Wasserversorgung Gäu ist, wie oben dargelegt, eine öffentlichrechtliche Körperschaft. Die Statuten bilden gewissermassen die Verfassung des Zweckverbandes und haben rechtssatzähnlichen Charakter mit bindender Wirkung für die beteiligten Gemeinden (vgl. MARCEL SCHENKER, Das Recht der Gemeindeverbände, Diss. St. Gallen 1986, S. 113; HANS-MARTIN ALLEMANN, Gemeinde- und Regionalverband im bündnerischen Recht, Diss. Basel 1983, S. 147; THOMAS PFISTERER, Das Recht der Abwasserzweckverbände, Diss. Bern 1968, S. 107). In dieser Hinsicht steht einer vorfrageweisen Überprüfung der Statuten nichts entgegen. Die Zulässigkeit der Überprüfung wird auch nicht durch den Umstand ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerin bei der Gründung des Zweckverbandes den Statuten und den darin enthaltenen Bestimmungen über die Statutenrevision zugestimmt hatte. Die Gemeinde Egerkingen brauchte sich damals nicht Rechenschaft darüber zu geben, wie die streitigen Statutenbestimmungen sie eines Tages treffen würden; die Tragweite dieser Bestimmungen konnte vielmehr erst im Laufe der Zeit und mit den wachsenden Aufgaben des Zweckverbandes erfasst werden (vgl.
BGE 107 Ia 95
,
BGE 104 Ia 175
). Für sie bestand daher im Gründungsstadium kein Anlass, den Statuten nicht zuzustimmen oder eine entsprechende Beschwerde zu erheben. Die vorliegende Situation unterscheidet sich damit nicht grundlegend von derjenigen, in der ein Bürger eine vorfrageweise Überprüfung eines kantonalen Gesetzes oder einer kantonalen Verordnung verlangt (vgl.
BGE 111 Ia 185
f.).
Demnach erweist sich die vorliegende Beschwerde auch unter diesem Gesichtswinkel als zulässig. Schreitet das Bundesgericht indessen zu einer inzidenten Normenkontrolle, so stellt es lediglich eine allfällige Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Norm fest, mit der Folge, dass die entsprechende Norm im konkreten
BGE 113 Ia 200 S. 205
Fall nicht angewendet und der angefochtene Entscheid aufgehoben wird; die Gutheissung führt nicht zur formellen Aufhebung der als verfassungswidrig erkannten Bestimmung (
BGE 111 Ia 185
f.,
BGE 107 Ia 54
E. a, 129 E. 1a, mit Hinweisen). Analog verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Beschwerdeführerin eine vorfrageweise Überprüfung der Statuten verlangt. Aus diesem Grunde kann auf den Antrag der Beschwerdeführerin, Art. 6b Abs. 2 und Art. 55 Abs. 1 der alten Statuten seien aufzuheben, nicht eingetreten werden (
BGE 107 Ia 235
).
2.
a) Eine Gemeinde ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in einem Sachbereich autonom, wenn das kantonale Recht dafür keine abschliessende Ordnung trifft, sondern diese ganz oder teilweise der Gemeinde zur Regelung überlässt und ihr dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit einräumt (
BGE 111 Ia 253
,
BGE 110 Ia 199
E. 2,
BGE 109 Ia 45
E. b, mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall zieht das Bau-Departement die Autonomie der Einwohnergemeinde Egerkingen auf dem Gebiete der Wasserversorgung in Zweifel.
Art. 54 der solothurnischen Kantonsverfassung und § 3 GG garantieren den solothurnischen Gemeinden in allgemeiner Weise Autonomie und bestimmen, dass die Gemeinden ihre Angelegenheiten im Rahmen von Verfassung und Gesetzgebung selbständig ordnen. In bezug auf die Wasserversorgung sieht § 28 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechte am Wasser (Wasserrechtsgesetz, WRG) vor, dass diese im Rahmen des Gesetzes den Gemeinden obliegt. Nach § 10 GG können sich die Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu Zweckverbänden zusammenschliessen. Diese Ordnung zeigt, dass die Einwohnergemeinden die Aufgabe der Wasserversorgung selbständig erfüllen und dass ihnen dabei eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit zukommt. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Regierungsrat unter Umständen zugunsten von Gruppenwasserversorgungen Massnahmen anordnen und mehrere Gemeinden zu gemeinsamer Wasserversorgung verpflichten kann (
§ 28 Abs. 3 WRG
sowie § 3 der Verordnung über Gruppenwasserversorgungen; unveröffentlichtes Urteil vom 18. November 1977 i.S. Gemeinde Senèdes, E. 3). Auch wird der Grundsatz der Autonomie der Gemeinde nicht dadurch beeinträchtigt, dass mit der Gründung eines Zweckverbandes die beteiligten Gemeinden tatsächlich einen Teil ihrer Autonomie auf den Zweckverband übertragen; die Gemeinden sind grundsätzlich frei, im
BGE 113 Ia 200 S. 206
Rahmen der restriktiven Bestimmungen der Statuten aus einem Zweckverband wieder auszutreten. Bei dieser Sachlage ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin auf dem Gebiete der Wasserversorgung tatsächlich Autonomie im Sinne der Rechtsprechung zukommt.
b) Ist eine Gemeinde in einem Sachbereich autonom, so kann sie sich mit staatsrechtlicher Beschwerde dagegen zur Wehr setzen, dass die kantonale Behörde im Genehmigungs- oder Rechtsmittelverfahren ihre Prüfungsbefugnis überschreitet. Die Gemeinde kann sodann verlangen, dass die kantonale Behörde materiell die kommunalen, kantonalen und bundesrechtlichen Vorschriften nicht verletze, die den Sachbereich, in dem Autonomie besteht, ordnen. Das Bundesgericht prüft den Entscheid der kantonalen Behörden auf Willkür hin, soweit Gesetzes- oder Verordnungsrecht in Frage steht; mit freier Kognition entscheidet es, wenn es sich um Verfassungsrecht des Bundes oder der Kantone handelt (
BGE 111 Ia 132
E. 4a, 253 E.3,
BGE 110 Ia 200
E. b,
BGE 109 Ia 45
E. b, mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin nicht geltend, der Regierungsrat habe mit seinem Entscheid seine Überprüfungsbefugnis in formeller Hinsicht überschritten. Sie wirft ihm vielmehr vor, ihre Autonomie in materieller Hinsicht zu verletzen. Der Umfang der Gemeindeautonomie ist nicht bundesverfassungsrechtlich garantiert (vgl.
BGE 100 Ia 274
, ZBl 82/1981 S. 550); Art. 54 der solothurnischen Kantonsverfassung gewährt den Gemeinden Autonomie lediglich im Rahmen der Gesetzgebung. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage nach der Auslegung und Anwendung von § 10 GG und damit von Gesetzesrecht. Nach dem Gesagten ist daher die Beschwerde entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin lediglich unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu prüfen. Den weitern Rügen der Beschwerdeführerin, der angefochtene Beschluss verletze auch das Willkürverbot und das Legalitätsprinzip, kommt daher keine eigenständige Bedeutung zu.
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihre Autonomie werde verletzt, wenn eine Statutenrevision nach dem in den Statuten vorgesehenen Mehrheitsverfahren entgegen ihrem Willen zustande kommt und genehmigt werde. Die Statutenbestimmungen stünden demnach insoweit im Widerspruch zur Garantie der Gemeindeautonomie und insbesondere zu § 10 GG. Die einschlägigen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut.
BGE 113 Ia 200 S. 207
Statuten des Zweckverbandes
Art. 55 - Revision der Statuten
1.) Für die Änderung der Statuten gelten die Erfordernisse von Art. 50
Ziff. 1-3
...
Art. 50 - Auflösung oder Fusion des Verbandes
Für die Auflösung oder Fusion des Verbandes sind erforderlich:
1. Ein mit den Stimmen von zwei Dritteln der anwesenden Delegierten gefasster Beschluss der Delegiertenversammlung;
2. Die Zustimmung von zwei Dritteln der Verbandsgemeinden;
3. Die Genehmigung durch den Regierungsrat des Kantons Solothurn.
Gemeindegesetz (GG)
§ 10 - Zweckverbände der Gemeinden
1 Gemeinden, die besondere Aufgaben gemeinsam erfüllen wollen, können sich zu einem öffentlich-rechtlichen Zweckverband zusammenschliessen oder eine gemeinsame Anstalt gründen.
2 Organisationsstatut und Reglemente des Zweckverbandes müssen von jeder der beteiligten Gemeinden wie alle andern Gemeindereglemente behandelt und beschlossen werden. Dabei finden die entsprechenden Bestimmungen dieses Gesetzes Anwendung.
3 Wenn eine Einigung über das Statut oder ein Reglement durch die angeschlossenen Gemeinden nicht erfolgt, wird ein Schiedsgericht bestellt. Jede der beteiligten Gemeinden wählt einen Schiedsrichter. Die Schiedsrichter bestimmen den Obmann; wenn sie sich nicht einigen können, wird der Obmann vom Regierungsrat bezeichnet.
4 Das von allen beteiligten Gemeinden eines Zweckverbandes angenommene Organisationsstatut muss vom Regierungsrat genehmigt werden. Er kann die Genehmigung verweigern, wenn die Vorschriften des Statuts über den Austritt und die Haftung keinen genügenden Schutz des Verbandszweckes und des Verbandsvermögens gewährleisten.
5 Der Regierungsrat löst einen Zweckverband oder eine Anstalt auf, wenn der Zweck unerreichbar geworden ist oder wenn seine Verfolgung vom Staat unmittelbar übernommen wird.
6 Die Zweckverbände unterstehen der Aufsicht des Regierungsrates.
a) Im vorliegenden Fall ist nicht streitig, dass nach dem Wortlaut der Statuten des Zweckverbandes eine Statutenrevision u.a. dann gültig zustandekommen kann, wenn ihr zwei Drittel der Verbandsgemeinden zustimmen. In dieser Hinsicht wirft die Beschwerdeführerin dem Regierungsrat keine unrichtige oder willkürliche Anwendung der Statuten vor.
BGE 113 Ia 200 S. 208
b) Nach Abs. 2 von § 10 GG bedarf das Organisationsstatut des Zweckverbandes der Zustimmung aller beteiligten Gemeinden. Es steht ausser Zweifel, dass diese Bestimmung für die Gründung des Zweckverbandes sowie für den erstmaligen Erlass der Statuten gilt. Sie will verhindern, dass einer Gemeinde entgegen ihrem Willen von andern Gemeinden der Beitritt zu einem Zweckverband und ihr nicht genehme Statuten aufgezwungen werden. Mit dem Einstimmigkeitsprinzip dient diese Bestimmung dem Schutze der Autonomie der Gemeinden. Daran vermag auch das in § 10 Abs. 3 GG vorgesehene Schiedsverfahren nichts zu ändern.
c) Es stellt sich nun aber die Frage, ob Einstimmigkeit auch für die Revision der Statuten erforderlich ist. Während das Bau-Departement die Auffassung vertritt, für die Revision der Statuten genüge - sofern von den Statuten wie im vorliegenden Fall vorgesehen - ein Mehrheitsentscheid, macht die Beschwerdeführerin geltend, eine solche könne nach § 10 GG lediglich bei Einstimmigkeit zustande kommen.
Für die Auffassung des Bau-Departements spricht vorerst der Umstand, dass § 10 Abs. 1 GG vom Zusammenschluss von Gemeinden und damit von der Gründung von Zweckverbänden handelt. Demnach kann der folgende Abs. 2 von § 10 GG, in dem Zustimmung aller beteiligten Gemeinden verlangt wird, ebenfalls als eine die Gründung und den erstmaligen Erlass der Statuten betreffende Bestimmung verstanden werden. Es ist darin nicht vom Verfahren der Statutenrevision die Rede. So wie den beteiligten Gemeinden bei der Gestaltung der Statutenbestimmungen grosse Freiheit eingeräumt wird, kann auch gesagt werden, der Gesetzgeber habe es ihnen überlassen, in den Statuten über das Revisionsverfahren zu befinden und allenfalls ein Verfahren mit Mehrheitsentscheid vorzusehen.
Auf der andern Seite lassen sich für die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach für eine Statutenrevision grundsätzlich Einstimmigkeit der Verbandsgemeinden erforderlich sei, haltbare Gründe vorbringen. § 10 Abs. 2 GG verlangt für die Statuten Einstimmigkeit, ohne zwischen dem Gründungsstadium und dem Verfahren der Statutenrevision zu differenzieren. Der oben erwähnte Schutz der Gemeinden im Zusammenhang mit der Gründung eines Zweckverbandes kann bis zu einem gewissen Grade illusorisch werden, wenn die Statuten mit einer (allenfalls qualifizierten) Mehrheit der beteiligten Gemeinden revidiert werden können. Auch das in § 10 Abs. 3 GG vorgesehene Schiedsverfahren
BGE 113 Ia 200 S. 209
spricht insofern eher für das Einstimmigkeitsprinzip, als es darum geht, unter Aufrechterhaltung des Zweckverbandes eine notwendig erscheinende Statutenrevision zu ermöglichen. Ähnlich wie bei der Revision von Erlassen kann auch im Hinblick auf Statuten die Meinung vertreten werden, eine Revision sei grundsätzlich im gleichen Verfahren wie der Erlass der Statuten selbst vorzunehmen (vgl. PFISTERER, a.a.O., S. 116 oben; ALLEMANN, a.a.O., S. 149). Schliesslich wird in der Literatur die Auffassung vertreten, das Einstimmigkeitsprinzip gelte nach § 10 Abs. 2 GG implizit auch für Statutenrevisionen (SCHENKER, a.a.O., S. 121 mit Fn. 50).
Es lassen sich demnach für beide Standpunkte gute Gründe anführen. Eine kantonale Praxis zu dieser Auslegungsfrage scheint nicht zu bestehen, und auch den Materialien zum Gemeindegesetz lassen sich, soweit ersichtlich, keine Hinweise entnehmen. Bei dieser Sachlage kann trotz der gewichtigen Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht gesagt werden, die Auffassung des Bau-Departementes sei geradezu unhaltbar und damit willkürlich im Sinne der Rechtsprechung. Die Frage, ob nach § 10 GG für Statutenrevisionen Einstimmigkeit erforderlich ist oder ob diese Bestimmung es zulasse, dass in den Statuten ein Revisionsverfahren mit Mehrheitsentscheid vorgesehen wird, braucht indessen nicht in allgemeiner und abstrakter Weise beantwortet zu werden. Angesichts des Umstandes, dass im vorliegenden Fall eine inzidente Kontrolle der Statuten vorzunehmen ist, gilt es vielmehr zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Beschluss im Hinblick auf die konkret streitige Statutenrevision in ihrer Autonomie verletzt worden ist. Für die Beurteilung dieser Frage gilt es vorerst, die sich gegenüberstehenden Interessen aufzuzeigen.
d) Das Erfordernis der Einstimmigkeit für Statutenrevisionen auf der einen Seite vermag den Schutz der einzelnen beteiligten Gemeinde in optimaler Weise zu garantieren. Es können ihr von der (allenfalls qualifizierten) Mehrheit keine ihr nicht genehme Statuten aufgezwungen werden, und das Vertrauen der Verbandsgemeinden in den Verband und dessen Tätigkeit kann gestärkt werden. Auf der anderen Seite kann das Einstimmigkeitsprinzip die Handlungsfähigkeit des Verbandes lähmen. Deshalb erleichtert ein Mehrheitsverfahren etwa eine Anpassung an veränderte Umstände oder eine Weiterentwicklung der Aufgaben (vgl. SCHENKER, a.a.O., S. 120; PFISTERER, a.a.O., S. 114). Dieser Grundkonflikt zwischen Schutzbedürfnis der einzelnen Gemeinden und der Handlungsfähigkeit des Verbandes wird in den einzelnen Kantonen
BGE 113 Ia 200 S. 210
etwa in dem Sinne gelöst, dass grundlegende Bestimmungen der Statuten nur unter Zustimmung aller beteiligten Gemeinden revidiert werden können, während Statutenbestimmungen von untergeordneter Bedeutung mit (einfacher oder qualifizierter) Mehrheit einer Revision unterzogen werden dürfen. Zu den grundlegenden Statutenbestimmungen können etwa solche gezählt werden, welche die Stellung der Verbandsgemeinden grundsätzlich und unmittelbar betreffen wie die Umschreibung des Verbandszweckes, des Kostenverteilers, der Haftung und Auflösung und ähnliches mehr. In die gleiche Richtung weist auch die Literatur, welche in bezug auf die Frage des Einstimmigkeits- bzw. Mehrheitsprinzips bei Statutenrevisionen eine Differenzierung nach deren Bedeutung befürwortet (vgl. SCHENKER, a.a.O., S. 121 ff.; PFISTERER, a.a.O., S. 114 ff.; ALLEMANN, a.a.O., S. 149; BARBARA SCHELLENBERG, Die Organisation der Zweckverbände, Diss. Zürich 1975, S. 89 ff.; ANDRÉ GRISEL, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1984, S. 275; je mit Hinweisen auf die Regelung in verschiedenen Kantonen).
Unter diesem Gesichtswinkel ist im folgenden zu prüfen, ob der Regierungsrat mit der Genehmigung der ohne die Zustimmung der Beschwerdeführerin zustande gekommenen, konkreten Statutenrevision die Gemeindeautonomie verletzt hat.
e) Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerde geltend, sie werde durch die neuen Statuten in erheblichem Ausmass stärker belastet, indem sie einen grösseren Anteil der Anlagekosten und diverse Bauten übernehmen sowie einen Kostenanteil an neu zu bauende Anlagen entrichten müsse. Im einzelnen begründet sie das Ausmass der Mehrbelastung nicht. Demgegenüber legt der Zweckverband in seiner Vernehmlassung aufgrund einer detaillierten Rechnung dar, dass die Einwohnergemeinde Egerkingen nach den neuen Statuten finanziell weniger belastet werde. Aufgrund eines Vergleiches der alten mit den neuen Statuten und nach den eingereichten Unterlagen ergibt sich folgendes Bild.
Die alten Statuten des Zweckverbandes Regionale Wasserversorgung Gäu basieren auf einem generellen Projekt des Ingenieur Büros Emch + Berger aus dem Jahre 1972 (vgl. Art. 11 der alten Statuten). Diesem Projekt lag ein Planungsziel zugrunde, das sich als überdimensioniert erwies. Aufgrund eines neu festgelegten Planungszieles arbeitete das Ingenieur Büro Emch + Berger im Jahre 1982 ein neues allgemeines Projekt aus, auf das die neuen Statuten abstellen (vgl. Art. 11 der neuen Statuten). Dieses neue Projekt und
BGE 113 Ia 200 S. 211
eine etwas modifizierte Konzeption führten zur Änderung der Statuten. Dabei bleibt der Zweck des Verbandes im wesentlichen der gleiche (Art. 2 in alter und neuer Fassung). Entsprechend dem Ziel der Redimensionierung des Projektes wurden die Wasserbezugsrechte der einzelnen Gemeinden neu umschrieben (Art. 33). Der Umfang der Verbandsanlagen wird in den neuen Statuten gegenüber der alten Regelung ausgedehnt (Art. 26); hinzu kommt, dass der Verband in erweitertem Ausmass bestehende Anlagen - gegen entsprechende Abgeltung - übernimmt (Art. 29 sowie Art. 41 Ziff. 4 der revidierten Statuten). Wie bisher sind die Gemeinden verpflichtet, Einzelanlagen selbst zu erstellen (Art. 27); darüber hinaus werden die Gemeinden an einzelnen Verbandsanlagen direkt beteiligt (Art. 41 Ziff. 3 sowie Art. 33bis der revidierten Statuten). Die Verteilung der Anlagekosten auf die Verbandsgemeinden wird nach einem neuen Schlüssel für den Grossteil gemäss Art. 41 Ziff. 1 der revidierten Statuten vorgenommen; danach hat die Einwohnergemeinde Egerkingen anstatt 24,90% neu lediglich noch 22,60% zu übernehmen. Im übrigen ist die Revision organisatorischer Natur und sieht u.a. vor, dass gewisse Beschlüsse und Statutenrevisionen nur noch mit Einstimmigkeit beschlossen werden können (Art. 6bis, Art. 6ter sowie Art. 50 Ziff. 2 der neuen Statuten).
Gesamthaft gesehen zeigt ein Vergleich der alten mit den neuen Statuten, dass die Grundordnung nicht in grundlegender Weise verändert worden ist. Der Zweck des Verbandes ist im wesentlichen gleich geblieben. Die neue Kostenverteilung stellt für die Beschwerdeführerin keinen einschneidenden Eingriff dar: Einer allenfalls grösseren Belastung in bezug auf einzelne Verbandsanlagen und Einzelanlagen steht die geringere Beteiligung der Einwohnergemeinde Egerkingen nach Art. 41 Ziff. 1 der revidierten Statuten gegenüber; darüber hinaus ist unter diesem Gesichtspunkt zu berücksichtigen, dass mit dem reduzierten Projekt die Gesamtkosten niedriger gehalten werden sollen (vgl. Kostenvoranschlag vom 16. August 1984 und den überarbeiteten technischen Bericht vom Dezember 1984 des Ingenieur Büros Emch + Berger). Angesichts des Umstandes, dass neu für gewisse Beschlüsse und für eine Statutenrevision Einstimmigkeit der Verbandsgemeinden gefordert wird, wird die Beschwerdeführerin in ihren Mitwirkungsrechten nicht beeinträchtigt, sondern erhält mehr Rechte. Die Statutenrevision betrifft damit im wesentlichen eine Anpassung an die veränderten Umstände und hält im einzelnen in detaillierter Weise
BGE 113 Ia 200 S. 212
die technischen Angaben über die zu erstellenden Angaben fest. Sie verändert die Struktur des Zweckverbandes nicht tiefgreifend und ist somit nicht von grundlegender Bedeutung.
f) Die streitige Statutenrevision des Zweckverbandes Regionale Wasserversorgung Gäu ist demnach nicht von grundlegender Bedeutung. Sie trifft daher die Beschwerdeführerin nicht in zentraler Weise in ihrem Autonomiebereich. Trotz der fehlenden Zustimmung der Beschwerdeführerin durfte der Regierungsrat im Hinblick auf § 10 GG gestützt auf die geltenden Statutenbestimmungen die streitige Statutenrevision als gültig zustande gekommen betrachten und genehmigen, ohne in Willkür zu verfallen. Aus diesen Gründen hat der Regierungsrat die Autonomie der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Demnach erweist sich die Rüge der Autonomieverletzung als unbegründet. | public_law | nan | de | 1,987 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c96d96c1-7777-4711-a34b-a7f77942f24c | Urteilskopf
104 IV 276
63. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. November 1978 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen K. | Regeste
Art. 277, 277ter BStP
.
Die kantonale Behörde ist bei ihrer neuen Entscheidung sowohl nach einer Kassation gemäss
Art. 277 BStP
wie nach einer Kassation gemäss
Art. 277ter BStP
an ihre frühern tatsächlichen Feststellungen gebunden, soweit diese nicht wegen eines offensichtlichen Versehens aufgehoben wurden. Sie kann aber im Rahmen von
Art. 277 BStP
zur weitern oder genauern Abklärung von Tatfragen angehalten werden (E. 3). | Erwägungen
ab Seite 276
BGE 104 IV 276 S. 276
Aus den Erwägungen:
3.
a) Hinsichtlich der Wirkung der Kassation auf die neue Beurteilung durch die kantonale Behörde ist zu unterscheiden zwischen dem, was am angefochtenen Entscheid aufgehoben wurde, und der "rechtlichen Begründung der Kassation",
BGE 104 IV 276 S. 277
welche die wieder mit der Sache betraute kantonale Behörde ihrer neuen Entscheidung zugrunde zu legen hat (
Art. 277ter Abs. 2 BStP
). Ersteres bezieht sich auf den Gegenstand der neuen Beurteilung, besagt also, was neu beurteilt werden muss, lässt aber offen, wie der neue Entscheid zu lauten hat. Die mit der Kassation im Sinne von
Art. 277ter BStP
verbundene rechtliche Begründung bestimmt hingegen darüber hinaus den Inhalt der neuen Entscheidung, enthält also eine Anweisung, wie neu zu entscheiden ist.
b) Sowohl die Kassation nach Art. 277 wie diejenige nach
Art. 277ter BStP
hebt auf. Bezieht sich die Aufhebung nicht auf den ganzen angefochtenen Entscheid, ist sie in doppelter Richtung verbindlich. Sie besagt positiv, was aufgehoben wurde und worüber neu zu urteilen ist. Negativ steht damit aber auch fest, was am angefochtenen Entscheid bestehen bleibt, worauf die kantonale Behörde bei der neuen Beurteilung nicht mehr zurückkommen kann. Die Kassation versetzt deshalb das Verfahren nicht in den Stand zurück, in welchem es sich vor der angefochtenen Entscheidung befand, sondern der kantonale Richter nimmt es nach der Rückweisung in einer fortgeschritteneren Stufe wieder auf. Vermehrt gilt dies, wenn mit der Kassation Weisungen über den Inhalt der neuen Entscheidung verbunden werden. Neben der Möglichkeit, die Vorinstanz zur weiteren oder genaueren Abklärung von Tatfragen anzuhalten, beschränken sich diese Weisungen aber gemäss der Kognition des Kassationshofes auf die Auslegung und die Anwendung von Bundesrecht im Sinne von
Art. 269 Abs. 1 BStP
.
c) Nicht selten treffen Mängel nach
Art. 277 und 277ter BStP
in der gleichen Entscheidung zusammen; so wenn infolge unrichtiger rechtlicher Auffassung gewisse erhebliche Tatsachen nicht festgestellt wurden oder wenn in einem Punkte der Mangel die Überprüfung der Gesetzesanwendung nicht zulässt, während in einem anderen Punkte die unrichtige Gesetzesanwendung festgestellt und durch rechtliche Weisungen korrigiert werden kann.
d) Ist ein Sachurteil angefochten, muss die Aufhebung klarstellen, welche Teile des Schuld- oder Freispruchs bzw. welche beantragten oder ausgesprochenen Rechtsfolgen dadurch betroffen werden. Das Urteil über diese Hauptfragen hängt aber von der Entscheidung zahlreicher Tat- und Rechtsfragen des materiellen und formellen Rechts des Bundes, der Kantone und
BGE 104 IV 276 S. 278
eventuell auch des Auslandes ab, welche das Urteilsfundament bilden. Diese Vorfragen (z.B. Fragen betreffend das Vorliegen der schweizerischen Gerichtsbarkeit, die Gültigkeit eines Strafantrages, den Eintritt der Verjährung) werden meistens mit der Hauptfrage beurteilt; sie können aber, wenn darüber getrennt entschieden wurde, dann selbständig Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde bilden, wenn sie in der Form eines letztinstanzlichen endgültigen Zwischenentscheides ergangen sind (
BGE 68 IV 113
,
BGE 72 IV 89
, 80 IV 177). Führt der Entscheid des Kassationshofes über solche Fragen nicht zu einer Beendigung des Verfahrens, da zum Beispiel die Gültigkeit des Strafantrages bejaht oder der Eintritt der Verjährung verneint wird, so ist über diese Vorfragen doch für das ganze an die Rückweisung anschliessende Verfahren verbindlich entschieden. Das gleiche muss aber aus Gründen der Prozessökonomie auch für frühere tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz gelten, sofern sie nicht oder erfolglos angefochten wurden. Diese Bindung der kantonalen Instanz an ihre früheren tatsächlichen Feststellungen entspricht feststehender Rechtsprechung (vgl.
BGE 80 IV 141
f. E. 2). Der Kassationshof seinerseits darf, wenn er gemäss
Art. 277 und 277ter BStP
aufhebt, nur soweit in die Gerichtshoheit der Kantone eingreifen (
Art. 64bis Abs. 2 BV
), als es die Erfüllung seiner Aufgabe, die einheitliche und richtige Anwendung des Bundesrechts zu gewährleisten (
Art. 114 BV
,
Art. 269 BStP
), erfordert. Im übrigen soll aber die prozessuale Vorarbeit, soweit sie auf Nichtigkeitsbeschwerde hin nicht zu bemängeln ist, nicht angetastet werden.
e) Die Ansicht der Vorinstanz, die tatsächlichen Feststellungen eines Urteils seien Bestandteil der Urteilsbegründung und nähmen daher an der Rechtskraft des Urteils nicht teil, übersieht, dass es hier nicht um die materielle Rechtskraft eines Urteils in einem neuen Prozesse geht, sondern um die prozessinterne Verbindlichkeit einer Entscheidung über eine rechtserhebliche Vorfrage in Hinsicht auf eine noch ausstehende Endentscheidung. Solche Entscheide über Vorfragen können für den Gang des gleichen Verfahrens verbindlich werden, ohne dass sie den Richter darüber hinaus in einem neuen Prozess binden. Sonst könnten auch die rechtlichen Gründe der Kassation, die im Sachurteil ebenfalls nur Bestandteil der Begründung sind, entgegen
Art. 277ter Abs. 2 BStP
, nicht verbindlich sein.
BGE 104 IV 276 S. 279
5.
Die Staatsanwaltschaft findet - im Widerspruch zum Urteil des kantonalen Kassationsgerichts - die Feststellung im ersten Urteil des Geschwornengerichts, K. habe nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft von Frau V. gesamthaft rund Fr. 20'000.- erhalten, gelte im neuen Verfahren auch für die Erpressung. Dem ist beizupflichten.
Schon im ersten Verfahren vor Geschwornengericht war K. wegen Erpressung angeklagt. Schon damals sah die Anklage die "Vermögensleistungen" im Sinne von
Art. 156 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
in den gleichen Leistungen von Frau V., welche zur Verurteilung K.'s wegen Hehlerei führten. K. musste demnach, sowohl um sich gegen die Anklage wegen Erpressung wie gegen die Anklage wegen Hehlerei zu wehren, zu diesen Vermögensleistungen Stellung nehmen. Das Geschwornengericht stellte den Empfang des Geldes für beide Tatbestände fest, verneinte die Erpressung aber aus andern Gründen. Auf diesen verbindlich festgestellten Sachverhalt musste der Kassationshof abstellen, als er am 9. Januar 1976 zur Erpressung Stellung nahm. Die "Vermögensleistungen" müssen daher von den kantonalen Behörden als Grundlage der neuen Entscheidung über die Erpressung betrachtet werden.
Wegen einer Verkürzung des Rechtsweges kann sich der Beschwerdeführer nicht beklagen. Einmal war er schon durch die Verurteilung wegen Hehlerei beschwert, so dass er schon damals die Möglichkeit hatte, die Feststellung über den Empfang der Gelder mit allen verfügbaren Rechtsmitteln anzufechten. Diese konnte er auch wieder zurückziehen, sofern er bereit war, die bedingten Strafen wegen Hehlerei auf sich zu nehmen, falls die Staatsanwaltschaft es ebenfalls bei dieser Verurteilung hätte bewenden lassen. Damit hätte er ungefähr das erreicht, was er mit einer gesetzlich nicht gegebenen Anschlussbeschwerde an die Nichtigkeitsbeschwerde des Staatsanwaltes allenfalls hätte erreichen können. Wenn der Angeklagte die genannte Feststellung des ersten Urteils des Geschwornengerichts nicht angefochten hat, so offensichtlich deshalb, weil ihm keine erfolgversprechenden Rechtsmittel zur Verfügung standen. Denn nach einhelliger Ansicht des Kassationsgerichts wurde sie nicht offensichtlich gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" getroffen, was nur zutreffen würde, wenn "trotz objektiver Würdigung des gesamten Beweisergebnisses schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel zugunsten des Angeklagten"
BGE 104 IV 276 S. 280
bestanden hätten; nur dann hätte ein Kassationsgrund vorgelegen, nur dann hätte auch eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Willkür Erfolg versprochen. | null | nan | de | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c96df42d-f7da-420d-9b97-3cbea037bd84 | Urteilskopf
102 IV 21
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Februar 1976 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. | Regeste
Art. 165 Ziff. 1 in Verbindung mit
Art. 172 Abs. 1 StGB
.
Der Erwerb wertloser Schuldbriefe durch den Bevollmächtigten einer zahlungsunfähigen Aktiengesellschaft verschlimmert deren Vermögenslage und stellt eine Bankrotthandlung i.S. der oben genannten Bestimmungen dar. | Sachverhalt
ab Seite 21
BGE 102 IV 21 S. 21
A.-
Die Kunststoffwerk Horgen AG (KWH) war mittellos und überschuldet. Infolge ungenügenden Umsatzes war sie nicht in der Lage, ihre enormen Verbindlichkeiten ordnungsgemäss zu regeln. Dieser Umstand war X. als Bevollmächtigtem der genannten Firma Ende Oktober 1967 bekannt, als er von der KWH beauftragt und bevollmächtigt wurde, nach eigenem Ermessen und mit Einzelunterschrift die vorgesehenen Finanzierungen durchzuführen.
Mit KWH-Wechseln vom 31. Oktober, 20. und 22. November 1967 im Nominalwert von Fr. 70'000.-- und drei alten KWH-Akzepten erwarb X. zwei wertlose Schuldbriefe von je Fr. 50'000.-- im 4. und 5. Rang, welche auf einer Liegenschaft der Sennefelder Offsetdruck AG hafteten, welche im Dezember 1967 in Konkurs fiel.
Gegen KWH-Akzepte von nominal Fr. 360'000.-- beschaffte X. 730 bzw. 830 Holiday-Zertifikate.
In der Zeit vom Februar bis April 1968 setzte er zur Beschaffung von Bargeld KWH-Obligationen in grosser Zahl zu ungünstigen Bedingungen in Umlauf, von denen sich zur Zeit der Konkurseröffnung der Gesellschaft (d.h. am 2. Mai 1968) noch mindestens 299 Titel à Fr. 5'000.-- (total Fr. 1'495'000.--) im Umlauf befanden.
BGE 102 IV 21 S. 22
B.-
Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 3. Juli 1972 des leichtsinnigen Konkurses im Sinne von Art. 165 Ziff. 1 in Verbindung mit
Art. 172 Abs. 1 StGB
schuldig und bestrafte ihn, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs und unter Anrechnung von 16 Tagen Untersuchungshaft, mit drei Monaten Gefängnis.
Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 18. März 1975 diesen Entscheid.
Eine dagegen eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde des X. hat das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 1. September 1975 gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes vom 18. März 1975 in bezug auf den Angeklagten aufgehoben und die Sache zur Beweisergänzung und Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen.
Dieses hat weisungsgemäss die Sache neu beurteilt und eine Verschlimmerung der Vermögenslage der KWH durch Ankauf von Holiday-Zertifikaten verneint. Im übrigen hat es den Schuldspruch bestätigt und die Gefängnisstrafe auf zwei Monate herabgesetzt. Was die restlichen Anklagepunkte betrifft, verweist das Obergericht auf das frühere Urteil vom 18. März 1975.
C.-
X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Freisprechung von Schuld und Strafe, eventuell Rückweisung an die Vorinstanz zur Ergänzung des Sachverhaltes.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe sich des leichtsinnigen Konkurses im Sinne von Art. 165 Ziff. 1 in Verbindung mit
Art. 172 Abs. 1 StGB
in der Weise schuldig gemacht, dass er im Bewusstsein der Zahlungsunfähigkeit der KWH als Bevollmächtigter die Vermögenslage der Gesellschaft durch argen Leichtsinn und grobe Nachlässigkeit in der Ausübung seiner Funktionen verschlimmert habe.
Der Beschwerdeführer muss also in einer der in
Art. 172 Abs. 1 StGB
genannten Eigenschaften gehandelt haben und, wenigstens im Sinne des Eventualvorsatzes, die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gekannt haben. Sodann muss er die Vermögenslage der schon zahlungsunfähigen Gesellschaft verschlimmert haben durch argen Leichtsinn, unverhältnismässigen
BGE 102 IV 21 S. 23
Aufwand, gewagte Spekulationen oder grobe Nachlässigkeit in der Berufsausübung. Zwischen diesem Verhalten und der Verschlimmerung der Vermögenslage muss Kausalzusammenhang bestehen.
4.
Die eine Bankrotthandlung, welche dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, ist der Erwerb von zwei Schuldbriefen von je Fr. 50'000.-- im 4. und 5. Rang, welche auf einer Liegenschaft in Wettingen lasteten und die im Eigentum der Sennefelder Offsetdruck AG stand, die im Dezember 1967 in Konkurs geriet. Diese Schuldbriefe waren wertlos. Der Beschwerdeführer schaffte sie für die Gesellschaft an durch Übergabe von KWH-Wechseln in der Höhe von total Fr. 70'000.-- und drei alten KWH-Akzepten.
Durch diese Finanzoperation vermehrten sich die Schulden der Gesellschaft um den Nominalwert der Wechsel. Als Gegenwert erhielt die KWH wertlose Schuldbriefe einer überschuldeten Druckerei, also keinen entsprechenden Gegenwert. Diese Transaktion hat somit die Vermögenslage der schon zahlungsunfähigen KWH erheblich verschlimmert. Damit ist auch der Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Beschwerdeführers und dem Erfolg (der Verschlimmerung der Vermögenslage) gegeben.
Daran ändert nichts, dass die KWH diese Schuldbriefe angeblich kurz nach dem Erwerb und bevor die Sennefelder Offsetdruck AG im Dezember 1967 in Konkurs fiel, weiterveräussert hat. Der Schaden wäre nur dann behoben worden, wenn die KWH bei Weiterveräusserung der Schuldbriefe einen Gegenwert erhalten hätte, welcher dem Nominalwert der Wechsel entsprochen hätte, zu dem die Schuldbriefe erworben worden waren. Das behauptet aber auch der Beschwerdeführer nicht. Die Frage, ob auch eine vorübergehende Schädigung, welche vor der Konkurseröffnung wieder wettgemacht wird, den Tatbestand des leichtsinnigen Konkurses ebenfalls erfüllt, stellt sich daher hier nicht. Ein Kausalzusammenhang der Bankrotthandlung mit der Konkurseröffnung muss aber nicht nachgewiesen werden, denn nur die Vermögensverschlimmerung, nicht die Konkurseröffnung, ist der tatbestandsmässige Erfolg (
BGE 74 IV 37
; HAFTER, Bes. Teil I S. 336; HAEFLIGER, BlSchK 1954 S. 101; LOGOZ, vor Art. 163 N. 4; SCHWANDER, SJK Nr. 1128 S. 12/Nr. 1129 S. 4 V; STRATENWERTH, Bes. Teil I S. 277). | null | nan | de | 1,976 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c9716476-ccb4-49ba-9cd7-593b9d92da28 | Urteilskopf
104 Ia 1
1. Extrait de l'arrêt du 1er février 1978 dans la cause W. contre Valais, Tribunal cantonal | Regeste
Kant. Strafverfahren. Änderung der Rechtsprechung.
Art. 4 BV
.
1. Es ist nicht willkürlich, im walliser Strafverfahren eine Berufung als zurückgezogen zu erklären, wenn der appellierende Angeklagte nicht zur Verhandlung erscheint, selbst wenn er dort durch seinen amtlichen Verteidiger vertreten ist (E. 3).
2. Eine Änderung der Rechtsprechung kann ohne vorherige Ankündigung nicht vorgenommen werden, wenn sie Fragen der Zulässigkeit einer Berufung oder einer Klage betrifft und die Verwirkung eines Rechts zur Folge hat (E. 4). | Sachverhalt
ab Seite 1
BGE 104 Ia 1 S. 1
Condamné par un Tribunal de district à trois ans de réclusion et à 3000 fr. d'amende pour diverses infractions contre le patrimoine, W. a interjeté appel auprès du Tribunal cantonal du Valais. Cité à comparaître à l'audience de ce Tribunal, il n'y a pas comparu personnellement, mais était représenté par
BGE 104 Ia 1 S. 2
son avocat d'office, qui a précisé que son mandant avait disparu sans laisser d'adresse. Le Tribunal cantonal a considéré son appel comme retiré en application de l'
art. 192 ch. 1 al. 1 CPP
, selon lequel le défaut de l'appelant aux débats est considéré comme retrait de l'appel.
Saisi d'un recours de droit public de W., le Tribunal fédéral l'a admis.
Erwägungen
Extrait des considérants:
3.
Le recourant soutient qu'il est arbitraire d'exiger la comparution personnelle de l'appelant aux débats d'appel et de ne pas tenir la comparution de son mandataire comme suffisante et comme compatible avec l'application de l'art. 192 ch. 1.
Le Tribunal cantonal a tout d'abord admis que la non-comparution de l'accusé appelant aux débats d'appel devait être tenue pour un retrait de l'appel au sens de l'art. 192 ch. 1 nonobstant la présence de son avocat à ces débats (Revue valaisanne de jurisprudence, RVJ, 1967, p. 196). Une solution analogue était appliquée à la partie civile (RVJ 1967, p. 449), mais le Tribunal cantonal l'a abandonnée dans un jugement du 5 mars 1968, estimant qu'il devait entrer en matière sur l'appel d'une partie civile absente mais représentée par son mandataire (RVJ 1968, p. 211). Il l'a fait également pour l'accusé appelant, dans un jugement des 10 et 13 octobre 1975, en déclarant que l'accusé appelant, s'il est représenté aux débats par son avocat, sans que lui-même soit présent, ne sera pas déclaré défaillant selon l'art. 192 ch. 1 et son appel ne sera par conséquent pas considéré comme retiré (RVJ 1976, p. 208 ss.).
Mais le Tribunal cantonal a réexaminé, dans l'arrêt attaqué, sa jurisprudence relative à l'
art. 192 ch. 1 CPP
, notamment en ce qui concerne l'accusé. Il a relevé que l'art. 192 ch. 1 al. 1 impose avant tout la comparution personnelle de l'accusé appelant aux débats d'appel et que cette exigence, justifiée par les intérêts mêmes de ce dernier, n'est certainement pas excessive: si l'accusé, après avoir appelé d'un jugement qui ne le satisfait pas, ne comparaît pas aux débats par sa faute, alors qu'il a été personnellement cité, il montre par son attitude
BGE 104 Ia 1 S. 3
qu'il se désintéresse de la procédure en cours. Il n'y a donc rien de choquant à considérer le défaut de comparution comme un retrait de l'appel, d'autant plus que si l'accusé appelant est empêché sans sa faute de comparaître, il peut se fonder sur l'
art. 192 ch. 1 al. 2 CPP
pour demander au président du tribunal d'appel, dans les dix jours dès la cessation de l'empêchement, que les débats d'appel soient fixés à nouveau. Il se justifiait dès lors, aux yeux de la cour cantonale, de revenir à la jurisprudence antérieure et de considérer l'appel comme retiré si l'accusé appelant ne comparaît pas personnellement aux débats d'appel.
Cette opinion du Tribunal cantonal est parfaitement défendable. Elle n'est en tout cas pas arbitraire. La juridiction d'appel doit en effet non seulement vérifier l'identité de l'accusé (art. 127 ch. 3), mais elle doit obligatoirement procéder à l'interrogatoire de ce dernier (art. 191 ch. 2), ce qui postule nécessairement la présence de celui-ci aux débats d'appel. D'ailleurs, les juges et les parties ont le droit, aux débats, de faire poser au prévenu des questions susceptibles d'éclaircir les circonstances de la cause (art. 131 ch. 1 et 2); de plus, le prévenu doit être interpellé après les plaidoiries par le président, qui lui demande s'il a personnellement quelque chose à ajouter pour sa défense (art. 137). On peut donc admettre que c'est avec raison et sans formalisme excessif que l'art. 192 ch. 1 al. 1 impose la comparution personnelle de l'accusé appelant aux débats d'appel. La modification de jurisprudence intervenue dans l'arrêt attaqué apparaît donc comme justifiée par des motifs pertinents.
4.
Si le Tribunal fédéral admet qu'un changement de jurisprudence, justifié par des motifs objectifs, n'est pas contraire à l'
art. 4 Cst.
, il exige en revanche qu'un tel changement n'intervienne qu'après avertissement s'il touche à des questions de recevabilité d'un recours ou d'une action et provoque la péremption d'un droit (
ATF 101 Ia 371
s.,
ATF 94 I 16
).
En l'espèce, le Tribunal cantonal avait récemment élargi sa jurisprudence relative à la comparution personnelle de l'accusé appelant; cette jurisprudence, publiée (RVJ 1976, p. 208 ss.), était connue du mandataire du recourant. Ce dernier pouvait donc compter que le fait de ne pas comparaître lui-même aux débats d'appel, mais de s'y faire représenter
BGE 104 Ia 1 S. 4
par son défenseur, ne pourrait entraîner la conséquence prévue à l'
art. 192 ch. 1 al. 1 CPP
.
S'il envisageait de modifier sa jurisprudence lors des débats du 16 juin 1977, le Tribunal cantonal ne pouvait le faire sans en aviser l'appelant, c'est-à-dire pratiquement sans le citer à nouveau pour les débats, en l'informant que s'il ne se présentait pas personnellement lors de cette nouvelle audience, son défaut serait considéré comme un retrait d'appel, même si son défenseur se présentait en son nom.
Il est vrai que le recourant ne se plaint pas de façon expresse de ce que le changement de jurisprudence soit intervenu sans avertissement sur un point où il touche à la recevabilité d'un recours et provoque la péremption d'un droit. Mais on peut considérer que ce qu'il dit à propos de la jurisprudence - antérieure - diamétralement opposée et de la grave insécurité juridique créée par la décision attaquée peut être considéré comme suffisant pour permettre au Tribunal fédéral d'examiner un tel grief.
Ainsi, le recours doit être admis pour le motif que le changement de jurisprudence est intervenu sans avertissement. La décision attaquée doit dès lors être annulée. | public_law | nan | fr | 1,978 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c9730408-53a2-4965-9904-802af64081a6 | Urteilskopf
95 IV 119
29. Extrait de l'Arrêt de la Cour de cassation pénale du 23 décembre 1969 dans la cause Mathez contre Ministère public du canton de Vaud. | Regeste
Sursis. Art. 41 ch. 1 CP.
1. Pour bénéficier du sursis, le condamné doit avoir pris conscience de sa faute.
2. On ne saurait conclure uniquement de ses dénégations ou de son silence que l'inculpé ne remplit pas cette condition.
3. Ne la remplit pas, en revanche, celui qui ne reconnaît pas le caractère illicite de ses actes. | Sachverhalt
ab Seite 119
BGE 95 IV 119 S. 119
A.-
Le Dr J.-A. Mathez est né en 1897. Il cessa de pratiquer la médecine en 1946. Il fit paraître en novembre 1965 un livre
BGE 95 IV 119 S. 120
de 728 pages intitulé "Le passé, les temps présents et la question juive". Il y attaque très violemment et parfois grossièrement les Juifs, leurs institutions et leur religion. Il s'en prend aussi au pasteur Rittmeyer, qu'il traite en particulier d'homme dévoyé, de scélérat et qu'il accuse d'infamie.
B.-
Le 14 juillet 1969, le Tribunal correctionnel du district de Vevey a infligé à Mathez trente jours d'emprisonnement pour diffamation, provocation publique au crime et atteinte à la liberté de croyance et des cultes. Il a en outre ordonné la destruction totale du livre de l'accusé.
C.-
Rejetant un recours de Mathez, la Cour vaudoise de cassation pénale a maintenu ce jugement, le 29 septembre 1969.
D.-
Contre cet arrêt, le condamné se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à l'octroi du sursis.
Erwägungen
Considérant en droit:
Selon une jurisprudence ancienne et constante, la conscience de sa faute est la première condition d'un amendement durable du condamné et, partant, du sursis (RO 73 IV 79, 87;
75 IV 155
consid. 2;
79 IV 161
;
82 IV 5
, 82).
De nombreux tribunaux se bornant à relever que l'accusé n'avait témoigné d'aucun regret, la cour de céans a exigé que les premiers juges exposent comment l'absence de repentir s'est manifestée; elle ne doit pas être déduite sans plus des dénégations du prévenu ou de son silence, car celui qui reconnaît ses torts, mais qui nie par crainte du châtiment, par égard pour ses proches ou pour un autre motif qui n'exclut pas un pronostic favorable peut, malgré ses dénégations, bénéficier du sursis (RO 82 IV 5, 82 no 16, 94 IV 52).
Comme il le relève dans son jugement, le Tribunal correctionnel a eu Mathez à sa barre durant plusieurs heures; il l'a longuement interrogé. C'est donc par ses réponses que l'accusé n'a manifesté ni regrets ni repentir. Et il n'en a pas manifesté parce que - cela ressort du pourvoi - il est convaincu d'avoir raison.
Il objecte que la jurisprudence citée vise uniquement l'accusé qui reconnaît le caractère illicite de ses actes. Cette opinion émise par la Cour pénale fédérale dans son arrêt Bonnard et consorts, du 2 avril 1954 (RO 80 IV 94), n'est pas fondée et déroge à la jurisprudence de la cour de céans. C'est précisément d'un condamné qui n'est pas conscient de ce caractère qu'il faut
BGE 95 IV 119 S. 121
s'attendre qu'il se montre réfractaire à une peine assortie du sursis. L'arrêt rendu par la cour de céans, le 26 juin 1956, en la cause Thiébaud (RO 82 IV 82, no 16) l'a d'ailleurs déjà dit clairement en relevant qu'un pronostic défavorable se justifie à l'égard d'un condamné qui n'a pas pris conscience du caractère répréhensible de ses actes. C'est cela qui est décisif et non l'expression d'un repentir qui n'est pas forcément sincère.
Rien, dans l'arrêt de la Cour pénale fédérale, n'engage à supposer qu'elle a voulu s'écarter de la jurisprudence de la cour de céans. Elle ne s'est probablement pas rendu compte de la portée du considérant que Mathez invoque aujourd'hui. Autrement, elle aurait sollicité le consentement de la cour de céans conformément à l'art. 16 al. 1 OJ. Dans ces conditions, la Cour de cassation n'a pas à la consulter avant de confirmer sa jurisprudence. L'arrêt Thiébaud, qui rappelle que l'inculpé qui n'a pas pris conscience du caractère répréhensible de ses actes ne mérite pas le sursis, est du reste postérieur à l'arrêt Bonnard de la Cour pénale fédérale.
La première condition d'un amendement durable d'un condamné n'étant donc pas remplie en l'espèce, les juridictions vaudoises n'ont pas violé l'art. 41 ch. 1 CP en refusant le sursis. Par ces motifs,
Dispositiv
la Cour de cassation pénale:
Rejette le pourvoi. | null | nan | fr | 1,969 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c97a3133-b247-4ea6-9391-a8822d64cb36 | Urteilskopf
120 IV 334
56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1994 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde) | Regeste
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
; qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz; Abgabe von mehr als 12 Gramm Heroin an eine süchtige Bezugsperson.
Wer mehr als 12 Gramm Heroin an eine bereits süchtige nahe Bezugsperson zum eigenen oder gemeinsamen Konsum abgibt, um dieser aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen, und dabei die Gewissheit hat, dass das Heroin nicht an Dritte weitergegeben wird, erfüllt den qualifizierten Tatbestand nicht (E. 2b/aa; Änderung der Rechtsprechung). | Sachverhalt
ab Seite 334
BGE 120 IV 334 S. 334
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft erklärte W. mit Urteil vom 6. Dezember 1993 der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der strafbaren Vorbereitungshandlungen zu Raub schuldig und verurteilte ihn zu sechs Monaten Gefängnis (unbedingt), als Teilzusatzstrafe zum Strafbefehl der Überweisungsbehörde Basel-Landschaft vom 15. Oktober 1991, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von sechs Tagen. Das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft bestätigte
BGE 120 IV 334 S. 335
auf Appellation der Staatsanwaltschaft hin mit Urteil vom 10. Mai 1994 den erstinstanzlichen Entscheid.
Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von W. wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen versuchten qualifizierten Raubes an die Vorinstanz zurückzuweisen.
W. liess sich innert Frist nicht vernehmen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut
Erwägungen
aus folgenden Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz ging hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte davon aus, der Beschwerdegegner habe rund 100 Gramm Heroin von verschiedenen Personen bezogen. Von dieser Gesamtmenge habe er mindestens die Hälfte unentgeltlich an seine damalige Freundin M. abgegeben; weitere ca. 20 Gramm Heroin habe er an S. verkauft bzw. verschenkt und den Rest selber konsumiert. Insgesamt habe er somit rund 70 Gramm Heroin weitergegeben. Ferner habe er rund 30 Gramm Kokain gekauft, wovon er den grössten Teil gegen Heroin eingetauscht und eine geringe Menge selber konsumiert habe. Gestützt auf die Feststellungen des Strafgerichts nahm die Vorinstanz an, es habe sich beim Heroin - mit Ausnahme von 30 Gramm, die der Beschwerdegegner von R. erhalten habe und die von besserer Qualität gewesen seien - um Gassenware gehandelt. Sie liess jedoch offen, ob man - wie das Strafgericht - annehmen könne, das vom Beschwerdegegner weitergegebene Heroin habe lediglich 8 Gramm reines Heroin-Hydrochlorid enthalten und somit einen Reinheitsgrad von nur 11% aufgewiesen, da der Beschwerdegegner neben dem Heroin auch noch Kokain umgesetzt habe. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei es in einem solchen Fall nicht notwendig, dass die Grenzwerte für den qualifizierten Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
(SR 812.121) in bezug auf beide Betäubungsmittel erreicht würden; massgebend sei vielmehr die Gesamtmenge der umgesetzten Drogen, die bei der vom Strafgericht angenommenen Heroinmenge von 8 Gramm auch bei einem Reinheitsgrad des Kokains von bloss 20% umgerechnet 12 Gramm Heroin ergebe.
Obwohl angesichts der Menge der weitergegebenen Betäubungsmittel rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
BGE 120 IV 334 S. 336
vorliege, sei aufgrund der besonderen Umstände eine qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verneinen. Die bisherige restriktive Praxis mit ihren absoluten Untergrenzen führe zu höchst unbefriedigenden Ergebnissen, die die Realitäten in der Drogenszene verkenne. Dies gelte namentlich für die Gleichsetzung des Begriffs "viele Menschen" mit mindestens 20 Personen. Auf der Gasse tätige Kleinhändler erreichten schon nach kurzer Zeit und ohne grössere Anstrengungen die für den qualifizierten Tatbestand notwendige Betäubungsmittelmenge. Um Ungereimtheiten und Strafmassverzerrungen zu vermeiden, seien an die Erfüllung des qualifizierten Tatbestandes höhere Anforderungen zu stellen, als dies bisher geschehen sei. Insbesondere wenn sich die umgesetzte Drogenmenge im Bereich der bundesgerichtlichen Limiten bewege, sei eine differenzierende, nicht bloss auf die Menge abstellende Betrachtungsweise unerlässlich. Der Beschwerdegegner habe den Stoff im zu beurteilenden Fall an seine damalige Freundin und an S. weitergegeben. Andere Abnehmer für das Heroin seien nicht bekannt. In bezug auf das Kokain stehe sodann nur ein Abnehmer, nämlich R. fest, bei dem er den Stoff gegen Heroin eingetauscht habe. Stelle man das durch die Drogenabgabe bei lediglich drei Abnehmern konkret erzeugte Gefährdungspotential dem durch die Bundesgerichtspraxis erforderlichen abstrakten Gefährdungspotential bei mindestens zwanzig Personen gegenüber, falle das durch den Beschwerdegegner geschaffene Unrecht relativ gering aus. Dies müsse umso mehr gelten, als das Bundesgericht bei der Festlegung der Mindestmenge von einem Gefährdungspotential ausging, wie es bei den Abnehmern im konkreten Fall gerade nicht vorgelegen habe, denn diese seien keine drogenunerfahrenen Konsumenten gewesen. Der Beschwerdegegner habe dies gewusst, ja sei bei seiner damaligen Freundin sogar bestrebt gewesen, ihr aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen und sie mittels allmählicher Verminderung der Dosierung von ihrer Sucht zu befreien. Diese konkreten Umstände erlaubten nicht, von einem schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
zu sprechen. Der Beschwerdegegner habe daher bloss den Grundtatbestand von Ziff. 1 der genannten Bestimmung erfüllt.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, der qualifizierte Tatbestand des
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
sei bereits mit der Abgabe von 70 Gramm Heroin erfüllt. Wohl habe es sich beim abgegebenen Heroin zumindest zum Teil um Gassenware gehandelt, die 30 Gramm Heroin, die der Beschwerdegegner im Tausch gegen Kokain von R. erhalten und später an Dritte weitergegeben habe, seien aber
BGE 120 IV 334 S. 337
von besserer Qualität gewesen. Angesichts dieser Umstände sei nicht von einem Reinheitsgehalt von bloss 11% sondern von einem solchen von mindestens 20% auszugehen. Der Beschwerdegegner habe somit mindestens 14 Gramm reines Heroin weitergegeben, so dass ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
vorliege. Der qualifizierte Tatbestand sei auch deshalb erfüllt, weil der Beschwerdegegner neben dem Heroin auch Kokain gehandelt habe. Auch wenn lediglich drei Abnehmer bekannt seien, ändere dies nichts daran, dass eine abstrakte Gefährdung von mehr als 20 Personen vorgelegen habe. Dass die Abnehmer keine drogenunerfahrenen Konsumenten gewesen seien und der Beschwerdegegner versucht habe, seine Freundin von der Sucht zu befreien, sei nicht von Belang.
2.
a)
Art. 19 BetmG
stellt den unbefugten Umgang mit Betäubungsmitteln unter Strafe, weil deren Genuss für die Gesundheit der Menschen als schädlich betrachtet wird. Der Gesetzgeber will dieser Gefahr für die menschliche Gesundheit unter anderem begegnen, indem er in den Abs. 1 bis 6 von Ziff. 1 der zitierten Bestimmung die Handlungen mit Strafe bedroht, die letztlich dazu führen oder führen können, dass Betäubungsmittel in Verkehr gebracht und damit für den potentiellen Konsumenten zugänglich werden (
BGE 117 IV 58
E. 2 mit Hinweis). Deshalb macht sich nach
Art. 19 Ziff. 1 BetmG
strafbar, wer Betäubungsmittel unter anderem unbefugt anbietet, verteilt, verkauft, vermittelt, verschafft, verordnet, in Verkehr bringt oder abgibt (Abs. 3). Nach Satz 2 derselben Bestimmung ist in schweren Fällen die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem Jahr, womit eine Busse bis zu 1 Million Franken verbunden werden kann. Ein schwerer Fall liegt unter anderem vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln bezieht, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
). Ebenfalls schwere Fälle stellen das bandenmässige (lit. b) und das gewerbsmässige Handeln mit grossem Umsatz oder erheblichem Gewinn dar (lit. c).
In
BGE 108 IV 63
E. 2 erkannte das Bundesgericht unter Verweisung auf seine frühere Rechtsprechung, eine Vielzahl von Menschen im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei bei zwanzig Personen gegeben (
BGE 105 IV 73
E. 3d a.E.,
BGE 106 IV 227
E. 3c: 20-40 Personen; vgl. auch
BGE 103 IV 280
E. 1: 35 Personen). Es stützte sich hiefür auf den Zweckgedanken des BetmG, der es verbiete, bei der Anwendung von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
besondere
BGE 120 IV 334 S. 338
Rücksicht walten zu lassen und den unbestimmten Rechtsbegriff der Vielzahl von Menschen so zu fassen, dass die unterste Grenze hoch angesetzt werde, da im Kampf gegen den unbefugten Rauschgifthandel Strenge am Platz sei (
BGE 108 IV 63
E. 2a). Ferner hielt es fest, ein schwerer Fall liege nach dem Gesetz schon dann vor, wenn sich die Widerhandlung auf eine Menge von Betäubungsmitteln beziehe, welche die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen könne. In objektiver Hinsicht setze die Bestimmung nur voraus, dass die Widerhandlung mit einer Menge eines bestimmten Betäubungsmittels begangen werde, die geeignet sei, eine gesundheitliche Gefahr für viele herbeizuführen.
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Es komme daher nicht darauf an, wieviele Personen durch die abgegebenen Drogen tatsächlich gefährdet worden seien, sondern allein darauf, wieviele hätten gefährdet werden können. Desgleichen spiele keine Rolle, ob durch die Tathandlung neue Abnehmerkreise von (noch) nicht süchtigen Personen erschlossen würden oder ob die vermittelten Abnehmer bereits Süchtige seien. Der Nachweis, dass die Gefahr tatsächlich eingetreten oder vom Täter gewollt gewesen sei, sei nicht erforderlich (
BGE 111 IV 31
E. 2 mit Hinweisen,
BGE 117 IV 58
E. 2,
BGE 118 IV 200
E. 3 f.).
In
BGE 109 IV 143
ff. legte das Bundesgericht nach Anhörung von Sachverständigen unter Beachtung der in konstanter Rechtsprechung entwickelten Kriterien (drogenunerfahrene Konsumenten, gefährlichste gebräuchliche Applikationsart) Grenzwerte für die Annahme des schweren Falles gemäss
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
fest. Es ging davon aus, die tägliche intravenöse Applikation von 10 mg Heroin-Hydrochlorid während 60 Tagen bzw. von 10 mg Kokain während 90 Tagen könne zur psychischen Abhängigkeit führen. Eine Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen (20 Personen) liege demnach bei einer Rauschgiftmenge von 12 Gramm Heroin bzw. 18 Gramm Kokain vor (vgl. auch
BGE 103 IV 280
E. 1,
BGE 105 IV 73
E. 3d; ebenso
BGE 106 IV 241
E. 2a). In
BGE 112 IV 109
E. 2a führte das Bundesgericht weiter aus, bei einem Täter, der mit verschiedenen Betäubungsmittelarten handle, seien nicht die Mengen der einzelnen umgesetzten Betäubungsmittelarten massgebend, sondern die Gesamtmenge aller Drogen. Könne durch die vom Täter verkaufte Menge von (verschiedenartigen) Drogen die Gesundheit von 20 Menschen gefährdet werden, liege ein schwerer Fall vor, auch wenn in bezug auf die einzelnen Betäubungsmittelarten die Grenzwerte nicht erreicht seien. Der Täter, der beispielsweise 6 Gramm Heroin (50% von 12 Gramm) und
BGE 120 IV 334 S. 339
9 Gramm Kokain (50% von 18 Gramm) verkaufe, sei wegen schwerer Widerhandlung im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
zu verurteilen, weil mit dieser Menge von Drogen die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr gebracht werden könne (112 IV 109 E. 2b).
Bei der Beurteilung des Konsums von Cannabis erkannte das Bundesgericht, die Gesundheitsgefahr gemäss
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei eng zu fassen und nicht schon zu bejahen, wenn der Gebrauch einer Droge geeignet sei, psychisch abhängig zu machen. Eine Gesundheitsgefahr liege erst vor, wenn der Gebrauch der Droge über die Gefahr psychischer Abhängigkeit an sich hinaus auch seelische oder körperliche Schäden verursachen könne. Die Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen müsse daher eine naheliegende und ernstliche sein (
BGE 117 IV 314
E. 2d/cc).
In
BGE 119 IV 180
E. 2d entschied es sodann in Änderung seiner früheren Rechtsprechung (
BGE 111 IV 100
), dass sich die Gewichtsangaben beim qualifizierten Fall auf den reinen Drogenwirkstoff bezögen. Ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
sei demgemäss bei einem Heroingemisch erst dann anzunehmen, wenn der darin enthaltene reine Drogenwirkstoff mindestens 12 Gramm Heroin-Hydrochlorid betrage.
b) Die Vorinstanz ging davon aus, dass rein rechnerisch ein schwerer Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
vorliege, da die vom Beschwerdegegner weitergegebene Drogenmenge auch bei Annahme eines Reinheitsgrades von bloss 11% für das Heroin und eines solchen von lediglich 20% für das Kokain die Grenzmenge von 12 Gramm reinen Heroin-Hydrochlorids erreicht habe. Dennoch verneinte sie den schweren Fall und beurteilte den Sachverhalt aufgrund der besonderen Umstände bloss als einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Dies ist - soweit es sich um die Weitergabe von Betäubungsmitteln an M. handelt - im Ergebnis nicht zu beanstanden.
aa) Das Bundesgericht entschied in einem Fall, in dem die Täter eine grössere Menge Kokain transportierten, um den Stoff in einen Abwasserschacht zu werfen und so zu vernichten, dass die durch das Befördern im Sinne von
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 BetmG
geschaffene geringfügige abstrakte Gefahr des Inverkehrbringens von Betäubungsmitteln unter den besonderen Umständen des Falles ein erlaubtes Risiko darstelle und es somit an einem strafwürdigen Unrecht mangle (
BGE 117 IV 58
E. 2). Der Nutzen einer Tätigkeit, die sonst gar nicht oder nur mit unverhältnismässig hohen materiellen oder anderen Aufwendungen möglich
BGE 120 IV 334 S. 340
wäre, könne das Eingehen eines gewissen Risikos rechtfertigen (BGE a.a.O., E. 2b mit Hinweis auf STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, § 10 N. 3 ff., 9). Bei der Abwägung von Nutzen und Risiko überwiege der mit dem praktisch sicheren Unschädlichmachen der Drogen erzielte Nutzen das in der entfernten Gefahr des Inverkehrbringens bestehende Risiko.
Diese Grundsätze sind analog auf den zu beurteilenden Fall zu übertragen. Wohl erweist sich das Handeln des Beschwerdegegners hier im Gegensatz zum Fall um die Beseitigung von Drogen als unrechtmässig, hingegen bestehen hinreichende Gründe, die Weitergabe von Betäubungsmitteln nicht als schweren Fall zu beurteilen. Dies jedenfalls insoweit, als der Beschwerdegegner nach den Feststellungen der Vorinstanz Drogen an seine Freundin M. geliefert hat, im Bestreben, ihr aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen, und in der Hoffnung, sie mittels allmählicher Reduzierung der Dosierung von ihrer Sucht zu befreien. Nach dem angefochtenen Urteil gab er dieser rund 50 Gramm (gestrecktes) Heroin ab, das sie selber konsumierte und wofür sie nichts bezahlen musste. Wesentlich ist, dass zwischen dem Beschwerdegegner und seiner drogensüchtigen Freundin eine enge Beziehung bestand und dass er ihr durch die Weitergabe von Heroin zum Konsum aus ihrer Situation heraushelfen wollte. Ausserdem war er von keinerlei finanziellen Interessen geleitet, vielmehr erlitt er selbst durch seine Geschäfte einen Verlust. Ins Gewicht fällt sodann, dass er selber begann, Drogen zu konsumieren und schliesslich ebenfalls abhängig wurde. Bei einer solchen Konstellation, bei der die Drogen lediglich an eine bereits süchtige Bezugsperson zum eigenen oder gemeinsamen Konsum abgegeben werden und bei der zudem die Gewissheit besteht, dass diese die Drogen selber konsumiert und nicht an Dritte weitergibt, kann die abstrakte Gefahr, dass Betäubungsmittel in die Hände unbestimmt vieler, unter Umständen auch gesunder Menschen gelangen, vernachlässigt werden. Jedenfalls ist der Umstand, dass die süchtige Person dadurch vor Beschaffungskriminalität, Prostitution und einem Abgleiten in Verwahrlosung bewahrt wird, stärker zu gewichten als die bloss abstrakte Gefahr des weiteren Inverkehrgelangens von Betäubungsmitteln. Die Weitergabe an den drogensüchtigen Partner unterscheidet sich wesentlich von der Tätigkeit des gefährlichen Drogenhändlers, der - sei es aus ausschliesslich finanziellen Motiven oder auch, um mit dem Erlös seine eigene Sucht zu befriedigen, - gegen Entgelt an mehrere oder gar unbestimmt viele Konsumenten Drogen
BGE 120 IV 334 S. 341
verkauft. Diesen wollte der Gesetzgeber mit der Bestimmung von
Art. 19 Ziff. 2 BetmG
treffen. Wo der Partner eines (drogensüchtigen) Paares Stoff für den Konsum des andern besorgt, erfüllt die Weitergabehandlung den schweren Fall hingegen nicht, auch wenn die weitergegebene Menge die Grenze von 12 Gramm überschreitet. Die Vorinstanz hat daher die Abgabe von Heroin an M. zu Recht nicht als schweren Fall im Sinne von
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
, sondern als bloss einfache Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz gewertet. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
bb) Neben den 50 Gramm Heroin an M. verkaufte bzw. verschenkte der Beschwerdegegner weitere 20 Gramm in mehreren Portionen an S. Ausserdem kaufte er rund 30 Gramm Kokain und gab sie ebenfalls in kleinen Portionen an R. weiter, wobei er den grössten Teil gegen Heroin tauschte, das er wiederum für den Eigenkonsum und den Konsum seiner Freundin verwendete. Da die Vorinstanz den tatsächlichen Reinheitsgrad der Drogen letztlich offenliess, steht nicht fest, ob die für den schweren Fall allein in Frage kommenden 20 Gramm Heroin und 30 Gramm Kokain den Grenzwert gemäss der Rechtsprechung erreichen. Nimmt man mit der Beschwerdeführerin für das Heroin einen Reinheitsgrad von mindestens 20% an, ergibt sich für die 20 Gramm an S. eine Menge von 4 Gramm reinem Heroin-Hydrochlorid. Für die Annahme des qualifizierten Falles müssten die an R. weitergegebenen 30 Gramm Kokain diesfalls 12 Gramm reines Kokain enthalten, was 8 Gramm Heroin entspricht, also einen Reinheitsgrad von mindestens 40% aufgewiesen haben. Wie es sich damit verhält, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, so dass in diesem Punkt die Gesetzesanwendung nicht überprüft werden kann und die Sache im Sinne von
Art. 277 BStP
an die kantonale Instanz zurückgewiesen werden muss. | null | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c97bf8cd-19cc-4ba6-84e2-f62ff712f388 | Urteilskopf
115 III 76
17. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 23. Januar 1989 i.S. Ernst Gaus (Rekurs) | Regeste
Art. 260 SchKG
.
Sind Forderungen nach Massgabe von
Art. 260 SchKG
abgetreten worden, so darf die Konkursverwaltung nicht weitere Forderungen (gestützt auf
Art. 164 OR
) zedieren, ohne dass hiefür die Zustimmung der Abtretungsgläubiger vorliegt. | Sachverhalt
ab Seite 76
BGE 115 III 76 S. 76
A.-
Über die Gaus Bordgeräte AG, Feldbrunnen, wurde am 7. April 1987 der Konkurs eröffnet. Am 30. April 1987 wurde das Verfahren mangels Aktiven eingestellt. Nachdem jedoch ein Gläubiger den Kostenvorschuss geleistet hatte, bewilligte das Richteramt Solothurn-Lebern am 14. Mai 1987 die Durchführung des Konkurses im summarischen Verfahren.
In dem am 29. September 1987 erstellten Konkursinventar werden bestrittene Forderungen der Konkursmasse gegen Ernst Gaus persönlich aufgeführt, die verschiedene Rechtsgründe (Verantwortlichkeit usw.) haben. Das Konkursamt Lebern verfügte am 29. September 1987 die Abtretung dieser Ansprüche an die Gläubiger nach Massgabe von
Art. 260 SchKG
, worauf - nach der Darstellung des Sachverhalts im angefochtenen Entscheid - mehrere Gläubiger das Begehren um Abtretung stellten.
Anderseits hatte Ernst Gaus im Konkurs der Gaus Bordgeräte AG eine Forderung von Fr. 351'708.35 eingegeben, die von der Konkursverwaltung vollumfänglich abgewiesen wurde. Diesbezüglich ist eine Kollokationsklage hängig.
B.-
Am 3. November 1987 liess die Innpart AG durch ihren Vertreter das Konkursamt Lebern wissen, dass sie bereit sei, für den Kauf sämtlicher Forderungen, welche der in Konkurs gefallenen Gaus Bordgeräte AG gegenüber Ernst Gaus und der DC-Aggregate Engineering AG zuständen, den Betrag von Fr. 10'000.-- zu bezahlen. Das Konkursamt nahm dieses Angebot an und trat der Innpart AG die Forderungen der Masse gegen
BGE 115 III 76 S. 77
Ernst Gaus und die DC-Aggregate Engineering AG ab. Der Betrag wurde am 9. Dezember 1987 bezahlt.
Ernst Gaus beschwerte sich hierüber am 12. Juli 1988 bei der Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn. Er machte geltend, die Konkursmasse sei durch die "unentgeltliche Abtretung" der Forderungen an die Innpart AG geschmälert und er - Ernst Gaus - dadurch in seinen Rechten als Konkursgläubiger verletzt worden. Die Abtretung sei deshalb aufzuheben.
Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 18. Oktober 1988 ab, soweit darauf eingetreten werden konnte.
Auch die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts wies den Rekurs ab, soweit darauf einzutreten war. Sie hob jedoch den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde von Amtes wegen auf und wies ihn zur Aktenergänzung und zur neuen Entscheidung zurück im Sinne der folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
b) Im kantonalen Verfahren hat der Rekurrent behauptet, dass der Abtretung der Forderungen keine Gegenleistung der Innpart AG entgegenstehe. Das trifft nicht zu, hat die Innpart AG dafür doch Fr. 10'000.-- bezahlt.
Vor Bundesgericht macht der Rekurrent nun geltend, es sei nicht allen Gläubigern Gelegenheit gegeben worden, die Abtretung der Prozessführungsbefugnis zu beanspruchen. Obwohl auch andere Gläubiger Abtretungsbegehren gestellt hätten, seien diese nicht davon unterrichtet worden, dass das Konkursamt einen Freihandverkauf an die Innpart AG beabsichtige. Abgesehen davon, dass der Rekurrent zum Beweis seiner Behauptung nur einen einzigen Gläubiger anführt, ist sein Vorbringen neu; es hätte entgegen der Behauptung des Rekurrenten durchaus schon im kantonalen Verfahren angebracht werden können (
Art. 79 Abs. 1 OG
). Der Rekurrent hat es sich selber zuzuschreiben, dass er nicht rechtzeitig die Abtretung als solche angefochten, sondern sich auf die unzutreffende Behauptung beschränkt hat, die Abtretung sei unentgeltlich erfolgt. Dass allfällige Nichtigkeit von Amtes wegen zu beachten ist, ändert daran nichts, weil der Rekurrent im kantonalen Verfahren nicht in einer Art und Weise mitgewirkt hat, welche den Aufsichtsbehörden die Feststellung eines Fehlers erlaubt hätte (
BGE 112 III 80
).
BGE 115 III 76 S. 78
Kann somit, gestützt auf die Rügen des Rekurrenten, nicht mehr auf die Abtretung zurückgekommen werden, so lässt sich der Freihandverkauf durch das Konkursamt nicht beanstanden. Der Freihandverkauf lag im Ermessen des Konkursamtes; und dieses war nicht verpflichtet, den Gläubigern von der Absicht, einen Freihandverkauf durchzuführen, durch ein zweites Rundschreiben Kenntnis zu geben.
c) Diese Erwägungen führen zur Abweisung des Rekurses, soweit darauf einzutreten war.
2.
Der angefochtene Entscheid ist indessen aus einem andern Grund von Amtes wegen aufzuheben:
Aus den Akten der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn (act. 23-34) geht hervor, dass die Konkursverwaltung an die Innpart AG und andere Gläubiger eine Reihe von Forderungen nach Massgabe von
Art. 260 SchKG
abgetreten hat. Nun geht aber der angefochtene Entscheid davon aus, dass kein anderer Gläubiger "die Abtretung dieser Prozessführungsrechte" verlangt habe. Das führt zur Frage, ob damit nur Bezug auf die der Innpart AG abgetretenen Forderungen genommen wird, neben welchen noch andere Forderungen abgetreten wurden, oder ob am Ende doch keine weiteren Forderungen abgetreten wurden. Die Ausführungen in der dem Bundesgericht vom Konkursamt Lebern am 16. Dezember 1988 eingereichten Vernehmlassung schaffen in diesem Punkt keine Klarheit.
Sollten Rechtsansprüche der Masse gemäss
Art. 260 SchKG
abgetreten worden sein, so wäre eine Zession nach
Art. 164 OR
- eine solche liegt offenbar dem Rechtsgeschäft zugrunde, welches die Konkursverwaltung zum Betrag von Fr. 10'000.-- mit der Innpart AG geschlossen hat - ohne Zustimmung der Abtretungsgläubiger nicht möglich gewesen. In den Akten finden sich keine solchen Zustimmungen; doch sind die vorinstanzlichen Akten dem Bundesgericht nur unvollständig eingereicht worden. In dem an das Konkursamt Lebern gerichteten Schreiben vom 3. November 1987 des Vertreters der Innpart AG findet sich zwar der Satz:
"Ihren Mitteilungen betreffend konkursrechtlichen Abtretungsbegehren kann entnommen werden, dass die andern Gläubiger offensichtlich nicht daran interessiert sind, Herrn Gaus persönlich und die DC-Aggregate Engineering AG ins Recht zu fassen."
Ob dies den Tatsachen entspricht, lässt sich aber den dem Bundesgericht zur Verfügung stehenden Akten nicht entnehmen.
BGE 115 III 76 S. 79
Die Sache ist daher (nach Massgabe von Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 81 OG
) an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen, damit sie feststelle, ob wirklich keine Forderungen gemäss
Art. 260 SchKG
an andere Gläubiger abgetreten worden sind. Sollte dies der Fall sein, so wäre weiter festzustellen, ob die übrigen Abtretungsgläubiger ihre Zustimmung zur freihändigen Abtretung der Forderungen an die Innpart AG erteilt haben. Nur wenn keine Abtretungen nach
Art. 260 SchKG
erfolgt sind oder die Abtretungsgläubiger ihre Zustimmung zur Abtretung der Forderungen an die Innpart AG gegeben haben, lässt sich der angefochtene Entscheid im Ergebnis bestätigen. | null | nan | de | 1,989 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c97e9cff-d464-4f0d-a33c-818ddd475f52 | Urteilskopf
119 III 1
1. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 19. Februar 1993 i.S. Manoirial SA (Rekurs) | Regeste
Rechtsverzögerung.
Bestehen auf einem Konkursamt wegen Personalmangels Geschäftsrückstände, so soll die kantonale Aufsichtsbehörde Massnahmen anordnen. Im vorliegenden Fall hätte sie, gestützt auf kantonales Recht, auf der Beiziehung von Angestellten bestehen und dafür sorgen können, dass ein Gesuch um Verlängerung der Frist für die Beendigung des Konkursverfahrens vorgelegt wird. Sodann hätte sie das Konkursamt einladen können, das verzögerte Konkursverfahren innert nützlicher Frist abzuschliessen (E. 2).
Der Kanton, welcher die Organisation des Betreibungs- und Konkurswesens in personeller Hinsicht vernachlässigt, macht sich unter Umständen haftpflichtig (E. 3). | Sachverhalt
ab Seite 2
BGE 119 III 1 S. 2
A.-
Namens der Manoirial SA liess die Hofer Treuhand AG mit Schreiben vom 3. Dezember 1992 die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern wissen, dass im Konkursverfahren der U.L. seit Ende März 1990 nichts mehr vorangegangen sei.
Die kantonale Aufsichtsbehörde behandelte das Schreiben als Rechtsverzögerungsbeschwerde und hiess diese am 29. Dezember 1992 gut. In der Begründung des Entscheides hielt sie allerdings fest, dass das Betreibungs- und Konkursamt Nidau im Rahmen seiner Möglichkeiten alles unternehme, um seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. Infolge der Sparanstrengungen des Kantons Bern würden weitere notwendige Hilfskräfte zur Zeit nicht bewilligt, und Bemühungen der Betreibungs- und Konkursämter sowie der kantonalen Aufsichtsbehörde um zusätzliches Personal endeten leider erfolglos. Aus diesen Gründen setzte die kantonale Aufsichtsbehörde dem Betreibungs- und Konkursamt Nidau keine Fristen und sah von der Anordnung disziplinarischer Massnahmen ab.
B.-
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, an welche die Manoirial SA die Sache weiterzog, hiess den Rekurs gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1.
Gemäss
Art. 270 SchKG
soll das Konkursverfahren binnen sechs Monaten seit der Eröffnung des Konkurses durchgeführt werden. Im Hinblick darauf, dass der Konkurs über U.L. am 25. Januar 1990 eröffnet worden ist, muss festgestellt werden, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Frist im jetzigen Zeitpunkt um zweieinhalb Jahre überschritten worden ist.
2.
Den Akten ist zu entnehmen, dass wegen der durch den Personalmangel verursachten Geschäftsrückstände bei den Betreibungs- und Konkursämtern im allgemeinen und beim Betreibungs- und Konkursamt Nidau im besonderen Korrespondenz zwischen den
BGE 119 III 1 S. 3
Behörden des Kantons Bern geführt worden ist. So hat sich die Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern insbesondere mit einem Schreiben vom 9. März 1992 an den Justizdirektor des Kantons Bern gewandt und darin auf die Bundesrechtswidrigkeit der Geschäftserledigung hingewiesen, zu der es wegen des Personalmangels kommen könnte. Der Justizdirektor des Kantons Bern hat darauf am 27. März 1992 geantwortet, dass der Regierung angesichts der vom Grossen Rat getroffenen Sparbeschlüsse die Hände gebunden seien.
Sosehr sich die kantonale Aufsichtsbehörde genötigt gesehen hat, bei der Kantonsregierung vorstellig zu werden, kann sie sich doch im Hinblick auf den vorliegenden Fall nicht darauf beschränken. Es ist daran zu erinnern, dass gemäss Art. 13 des Einführungsgesetzes für den Kanton Bern zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs dem Betreibungsbeamten die Beiziehung von Angestellten gestattet werden kann, sofern die ihm obliegenden Arbeiten von ihm nicht allein besorgt werden können. Die kantonale Aufsichtsbehörde hätte darauf bestehen können, dass dieser Vorschrift Nachachtung verschafft werde (
BGE 107 III 6
E. 3). Auch hat sie dafür zu sorgen, dass ihr - gemäss Art. 27 des Einführungsgesetzes - Gesuche um Verlängerung der Frist für die Beendigung eines Konkursverfahrens vorgelegt werden, wenn die nachgesuchte Verlängerung einzeln oder unter Hinzurechnung früherer Verlängerungen drei Monate überschreitet.
Es steht nichts entgegen, dass die kantonale Aufsichtsbehörde das Betreibungs- und Konkursamt Nidau einlädt, das Konkursverfahren der U.L. innert nützlicher Frist abzuschliessen, wenngleich sie - zur Wahrung der Rechtsgleichheit (
BGE 107 III 6
E. 2) - dem Amt nicht gerade eine bestimmte Frist ansetzen kann. Die Rüge der Rekurrentin, dass die Gutheissung ihrer Rechtsverzögerungsbeschwerde im kantonalen Verfahren nicht mit der Anordnung von Massnahmen begleitet sei, und ihr Antrag Ziff. 2 erweisen sich unter diesem Gesichtspunkt als begründet.
3.
Die Organisation der Betreibungs- und Konkursämter ist Sache der Kantone (
Art. 2 und 3 SchKG
). Es ist deshalb der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts noch weniger als der kantonalen Aufsichtsbehörde möglich, unmittelbar auf die Behebung des personellen Missstandes einzuwirken (vgl.
BGE 107 III 7
E. 3).
Das vorliegende Urteil wird indessen, entsprechend dem Antrag Ziff. 3 der Rekurrentin, dem Regierungsrat des Kantons Bern zur
BGE 119 III 1 S. 4
Kenntnis gegeben. Die Behörden des Kantons Bern werden daran erinnert, dass der Kanton seinen Bürgern gegenüber zur Gewährung einer ordnungsgemässen Rechtspflege - wozu auch das Betreibungs- und Konkurswesen gehört - verpflichtet ist. Es bleibt für den Kanton nicht ohne finanzielle Folgen, wenn er sich dieser Verpflichtung entzieht und für seine Versäumnisse haftbar gemacht wird (
BGE 107 III 7
E. 3). | null | nan | de | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_005 | CH | Federation |
c97fdf27-3ff9-472c-9089-b22dbacf876e | Urteilskopf
126 IV 84
13. Extrait de l'arrêt de la Cour de cassation pénale du 1er mars 2000 dans la cause X. contre Ministère public du canton de Vaud (pourvoi en nullité) | Regeste
Art. 24 ff. StGB
,
Art. 90 Ziff. 2 SVG
, Mittäterschaft bei Verkehrsdelikten.
Mittäter einer groben Verletzung von Verkehrsregeln kann auch sein, wer das Fahrzeug nicht selbst gelenkt hat; so im Besonderen derjenige, welcher die im Zusammenhang mit Versicherungsbetrügen vom Fahrzeuglenker verschuldeten Verkehrsunfälle mitgeplant und gewollt hat (E. 1 und 2). | Sachverhalt
ab Seite 84
BGE 126 IV 84 S. 84
Par jugement du 23 décembre 1998, le Tribunal correctionnel du district de Lausanne a, notamment, condamné X. pour escroquerie par métier, induction de la justice en erreur et violation grave des règles de la circulation routière à la peine de trois ans d'emprisonnement. Il a également condamné Y. pour complicité d'escroquerie, escroquerie par métier, induction de la justice en erreur et violation grave des règles de la circulation routière à la peine de trois ans d'emprisonnement.
BGE 126 IV 84 S. 85
Par arrêt du 11 mars 1999, la Cour de cassation pénale du Tribunal cantonal vaudois a rejeté le recours de X. et a confirmé le jugement attaqué.
Cet arrêt se fonde notamment sur les faits suivants: Y. et X. se sont associés durant le premier semestre de 1989 dans le commerce de véhicules d'occasion. Rapidement, les accusés ont décidé de commettre des escroqueries à l'assurance. Il appartenait à Y. de provoquer volontairement des accidents avec des tiers et de s'arranger pour ne pas commettre de fautes de circulation qui auraient eu pour effet d'interdire toute prestation d'assurance. Quant à X., sa tâche était d'assurer le financement de l'achat des véhicules d'occasion et de participer à l'élaboration des accidents.
L'arrêt attaqué décrit plus de 60 accidents de la circulation provoqués intentionnellement par Y., pour lesquels la cour cantonale a retenu qu'il avait agi d'entente avec X. Ces accidents ont, dans la grande majorité des cas, conduit à l'encaissement d'indemnités de la part de plusieurs compagnies d'assurance. Ils se sont produits entre le 14 septembre 1989 et le 4 janvier 1993.
X. a déposé un pourvoi en nullité, qui a été rejeté.
Erwägungen
Extraits des considérants:
1.
a) Le recourant se plaint d'une violation de l'
art. 90 ch. 2 LCR
(RS 741.01). Selon cette disposition, celui qui, par une violation grave d'une règle de la circulation, aura créé un sérieux danger pour la sécurité d'autrui ou en aura pris le risque, sera puni de l'emprisonnement ou de l'amende.
b) Le Tribunal correctionnel, suivi par la cour cantonale, a reconnu le recourant coupable d'escroquerie par métier et de violation grave des règles de la circulation routière. Il s'est déclaré convaincu que le recourant voulait pour siens les délits commis par Y. car il finançait totalement ou partiellement les véhicules achetés par son associé, qu'il tirait profit des prestations d'assurance qu'il savait indues, que les accidents étaient discutés à l'avance selon un stratagème préétabli et que le modus, arrêté d'entente entre Y. et le recourant, était connu de ce dernier et accepté par lui. Le Tribunal correctionnel a donc considéré que l'intention délictueuse du recourant était telle qu'il devait être considéré comme le coauteur des infractions commises par Y., même si, sous l'angle des délits relatifs à la circulation routière, il ne causait pas lui-même les accidents.
BGE 126 IV 84 S. 86
c) Le recourant ne conteste pas s'être rendu coupable d'escroquerie par métier en coactivité avec Y. Il conteste en revanche s'être rendu coupable d'infraction grave aux règles de la circulation routière. Il soutient que la notion de coauteur intellectuel n'existe pas en matière de stricts délits de circulation routière car le but du législateur n'a jamais été de rendre responsable un tiers qui n'a pas pris le volant et n'était pas présent dans le véhicule, d'une violation d'une règle de la circulation commise par le conducteur.
Le Ministère public rappelle que la partie générale du code pénal est applicable aux infractions prévues par d'autres lois fédérales, à moins que celles-ci ne contiennent des dispositions sur la matière; tel n'est pas le cas de la LCR.
2.
a) Selon l'
art. 102 ch. 1 LCR
, à défaut de prescriptions contraires de cette loi, les dispositions générales du code pénal sont applicables. Aucune disposition spécifique de la LCR n'exclut la coactivité comme forme de participation. Celle-ci est donc en principe possible pour la violation grave des règles de la circulation au sens de l'
art. 90 ch. 2 LCR
.
b) A l'appui de son grief, le recourant se réfère à la jurisprudence relative à la conduite en état d'ébriété (
art. 91 al. 1 LCR
). En effet, pour cette infraction, le Tribunal fédéral a jugé que seule la personne qui conduisait le véhicule pouvait être l'auteur de l'infraction de conduite en état d'ébriété. Celui qui n'avait pas pris une part déterminante à la conduite du véhicule ne pouvait se rendre coupable que d'instigation ou de complicité de conduite en état d'ébriété (
ATF 116 IV 71
). Cette jurisprudence a été confirmée (
ATF 117 IV 186
) mais a donné lieu à un vif débat au sein de la doctrine.
REHBERG s'est prononcé en faveur de cette solution (REHBERG, Neuere Bundesgerichtsentscheide zum Thema "Alkohol am Steuer", recht 14/1996 p. 85) tandis que SCHUBARTH l'a critiquée (SCHUBARTH, Eigenhändiges Delikt und mittelbare Täterschaft, RPS 114/1996 p. 333/334). Ce dernier article a inspiré STRATENWERTH et WOHLERS qui y ont répondu dans la même revue (STRATENWERTH, Gibt es eigenhändige Delikte ?, RPS 115/1997 p. 86 s.; WOHLERS, Trunkenheitsfahrten als eigenhändige Delikte, RPS 116/1998 p. 95 s.). SCHUBARTH a encore publié deux articles relatifs à la question (SCHUBARTH, Binnenstrafrechtsdogmatik und ihre Grenzen, ZStW 1998 p. 827 s., spéc. p. 839/840 et N. N. wird verurteilt wegen Führens eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand - Zur Strafbarkeit des Teilnehmers bei FiaZ, Collezione Assista, Genève 1998, p. 680 s.).
BGE 126 IV 84 S. 87
En l'espèce toutefois, la seule question pertinente est de savoir si une personne qui présente les caractéristiques d'un coauteur (cf.
ATF 125 IV 134
consid. 3a p. 136) peut être condamnée pour infraction à l'
art. 90 ch. 2 LCR
alors qu'elle n'a pas elle-même pris le volant. Le débat suscité par la jurisprudence relative à l'
art. 91 LCR
sera repris et discuté dans la mesure où il concerne aussi l'
art. 90 ch. 2 LCR
.
c) aa) S'agissant tout d'abord de REHBERG, cet auteur soutient depuis de nombreuses années que seul le conducteur du véhicule peut être l'auteur de l'infraction de conduite en état d'ébriété (REHBERG, "Fremdhändige" Täterschaft bei Verkehrsdelikten ?, Festgabe für Hans Schultz, RPS 95/1977 p. 72, spéc. p. 82). En effet, les dispositions de la LCR régissent, au contraire de la partie spéciale du code pénal, une activité à but licite. Cette activité ne devient punissable qu'en raison de certaines circonstances qui en augmentent inutilement la dangerosité (op. cit., p. 75). L'illicéité ne résulte pas du but de l'activité mais de la manière dont elle est exécutée. Elle est donc intimement liée à l'exécution de l'activité de sorte que celui qui n'a pas conduit le véhicule ne saurait être auteur d'une violation d'une règle de la circulation (op. cit., p. 79).
Il est exact que la LCR contient des injonctions et des interdictions régissant une activité licite, soit notamment la conduite d'un véhicule. Il est également exact que cette activité est illicite et réprimée pénalement lorsque des règles de la circulation sont violées. Toutefois, cela ne suffit pas à justifier l'exclusion de la notion de coactivité en ce qui concerne l'
art. 90 ch. 2 LCR
.
REHBERG ajoute que l'
art. 90 LCR
ne fait aucune différence entre l'acte intentionnel et l'acte résultant d'une négligence. Cela démontre à son avis que le critère décisif pour déterminer qui est l'auteur de l'infraction n'est pas à rechercher dans la maîtrise de l'événement, mais dans la violation des devoirs qu'implique la conduite d'un véhicule (op. cit., p. 81). Il estime également que si l'on veut étendre la qualité d'auteur à d'autres personnes que le conducteur, cette extension doit logiquement s'appliquer tant à la violation intentionnelle des règles de la LCR qu'à leur violation par négligence. Cela aurait cependant pour conséquence que le piéton qui traverse imprudemment la rue et contraint ainsi un automobiliste à se déporter sur l'autre moitié de la route, se rendrait coupable par négligence de violation de l'
art. 34 LCR
. REHBERG ne peut admettre cette solution et estime qu'elle conduirait à la dissolution de la notion d'auteur (op. cit., p. 80).
BGE 126 IV 84 S. 88
Cet argument ne saurait être suivi. En effet, la notion de coauteur présuppose que celui-ci collabore intentionnellement et de manière déterminante avec d'autres personnes à la décision de commettre une infraction, à son organisation ou à son exécution, au point d'apparaître comme l'un des participants principaux. La coactivité suppose une décision commune, mais qui n'est pas nécessairement expresse; elle peut aussi résulter d'actes concluants et le dol éventuel quant au résultat suffit (
ATF 125 IV 134
consid. 3a p. 136 et les arrêts cités). Par conséquent, la coactivité par négligence n'est pas concevable. Ainsi, le fait que l'
art. 90 ch. 2 LCR
ne distingue pas en deux alinéas séparés l'infraction intentionnelle et l'infraction par négligence n'est pas en soi suffisant pour exclure la notion de coactivité lorsqu'un participant présente les qualités d'un coauteur.
Certes le texte de l'
art. 90 ch. 2 LCR
ne vise que celui qui, par une violation grave d'une règle de la circulation, aura créé un sérieux danger pour la sécurité d'autrui ou en aura pris le risque. Il est également exact que les règles de la circulation sur la conduite d'un véhicule constituent des injonctions ou des interdictions adressées au conducteur. On peut toutefois relever que les infractions de la partie spéciale du code pénal ne semblent aussi s'adresser qu'à la personne qui commet personnellement l'infraction réprimée. Ainsi l'
art. 137 CP
ne semble à priori concerner que celui qui se sera approprié une chose mobilière appartenant à autrui. La notion de coactivité permet toutefois de punir celui qui a planifié l'infraction mais n'a pas pris part à son exécution proprement dite (
ATF 120 IV 17
consid. 2d p. 22 s.).
Le Tribunal fédéral a récemment admis que même si l'auteur direct d'un viol ne peut être que celui qui, par la contrainte, fait subir l'acte sexuel à une personne de sexe féminin, il est possible qu'une autre personne, aussi une femme, se rende coupable de cette infraction comme auteur médiat ou comme coauteur (
ATF 125 IV 134
consid. 2 p. 135). Le fait que l'
art. 90 ch. 2 LCR
ne s'adresse qu'au conducteur ne justifie donc pas que la coactivité soit exclue et que le participant à l'infraction ne puisse être qualifié que de complice ou d'instigateur.
bb) STRATENWERTH estime que le conducteur pris de boisson enfreint une norme de comportement qui est liée à un rôle et à la responsabilité particulière de celui qui crée une source de danger en conduisant un véhicule (STRATENWERTH, op. cit., p. 93).
Si l'on considère l'
art. 229 CP
, qui régit la violation des règles de l'art de construire, il apparaît également que l'auteur de cette
BGE 126 IV 84 S. 89
infraction est celui qui enfreint les règles de l'art en dirigeant ou en exécutant une construction ou une démolition. L'auteur de cette infraction enfreint donc également une norme de comportement (respecter les règles de l'art) liée à un rôle (direction ou exécution de travaux) et à la responsabilité particulière de celui qui crée une source de danger en construisant ou en démolissant un ouvrage. Il n'est cependant pas contesté que la notion de coauteur peut s'appliquer à cette infraction.
STRATENWERTH considère que les dispositions légales confirment la relation entre le rôle de conducteur et la responsabilité pénale qu'elle engendre. Il prend pour exemple l'
art. 93 ch. 2 LCR
. Cette disposition prévoit que celui qui aura conduit un véhicule dont il savait ou devait savoir en prêtant toute l'attention commandée par les circonstances qu'il ne répondait pas aux prescriptions, sera puni des arrêts ou de l'amende. L'alinéa 2 précise que sera passible des mêmes peines le détenteur ou celui qui, responsable comme un détenteur de l'état de sécurité d'un véhicule, aura toléré intentionnellement ou par négligence l'emploi d'un véhicule ne répondant pas aux prescriptions. STRATENWERTH considère que si la punissabilité ne dépendait pas du rôle de la personne impliquée, il serait totalement superflu que la loi désigne, à l'
art. 93 ch. 2 al. 2 LCR
, quelles personnes, en plus du conducteur, peuvent être les auteurs de cette infraction. Punir une autre personne que celles décrites dans cette disposition constituerait une violation claire de l'
art. 1 CP
(STRATENWERTH, op. cit., p. 93).
Ces conclusions ne peuvent être suivies. L'extension par le ch. 2 al. 2 du cercle des personnes susceptibles d'être auteur de l'infraction ne signifie pas que le ch. 2 al. 1 exclut le coauteur non conducteur. En effet, le ch. 2 al. 2 va au-delà de la notion de coauteur puisqu'il englobe le détenteur ou celui qui, responsable comme un détenteur de l'état de sécurité d'un véhicule, aura toléré intentionnellement ou par négligence l'emploi d'un véhicule ne répondant pas aux prescriptions. Le ch. 2 al. 2 n'est donc pas superflu comme l'affirme STRATENWERTH.
cc) L'opinion émise par WOHLERS concerne principalement la conduite en état d'ébriété. Il considère que le but de l'
art. 91 LCR
ne s'oppose pas en soi à ce que la personne qui utilise le conducteur comme un objet dépourvu de volonté pour réaliser une infraction soit reconnue coupable de conduite en état d'ébriété en tant qu'auteur médiat. Il estime cependant que le texte de la loi exige que l'auteur conduise un véhicule et qu'il se trouve simultanément en
BGE 126 IV 84 S. 90
état d'ébriété. La qualité d'auteur suppose donc que soient réunies, chez la même personne, la position de conducteur d'une part et l'incapacité de conduire d'autre part (WOHLERS, op. cit., p. 106-111).
dd) De son côté, SCHUBARTH s'oppose à la thèse soutenue par REHBERG et par la jurisprudence (
ATF 116 IV 71
et
ATF 117 IV 186
). Il estime que le but des dispositions pénales de la LCR n'est pas de donner du poids à un devoir hautement personnel du conducteur de conduire correctement ou de rester sobre. Elles ont pour objectif d'éviter la survenance d'accidents et donc de protéger en particulier la vie et l'intégrité corporelle. Personne ne songerait à exclure la notion d'auteur médiat en cas de délits contre la vie ou l'intégrité corporelle; dès lors, cette notion est également concevable pour l'infraction de conduite en état d'ébriété. Dans ce cas, la peine se justifie parce que la violation des règles de la circulation augmente le risque d'accidents. Il importe peu que l'augmentation du risque soit provoquée par celui qui conduit le véhicule ou par un tiers qui induit le conducteur en erreur et l'amène à violer une règle de la circulation. L'illicéité de l'ivresse au volant réside exclusivement dans le danger qu'elle engendre, de sorte que toute personne peut réaliser cette illicéité, également en qualité d'auteur médiat (SCHUBARTH, Eigenhändiges Delikt, p. 333/334; Binnenstrafrechtsdogmatik, p. 840; N. N. wird verurteilt, p. 680 s.).
Le raisonnement de cet auteur concerne plus particulièrement la participation en qualité d'auteur médiat. Il n'y a toutefois aucun motif pour ne pas l'appliquer à la coactivité, autre forme de participation principale. L'interprétation de SCHUBARTH, fondée sur le but des dispositions pénales de la LCR, emporte la conviction. Comme il a été vu ci-dessus, le texte de l'
art. 90 ch. 2 LCR
ne justifie pas d'exclure la forme de la coactivité. L'objectif de cette norme en revanche justifie de la traiter, sous l'angle de la participation, de la même manière que les normes protégeant la vie (
art. 111 ss CP
) et l'intégrité corporelle (
art. 122 ss CP
) et d'admettre, par conséquent, qu'elle peut être commise par un coauteur, même lorsque celui-ci n'a pas pris part à la conduite du véhicule.
d) Il résulte de la discussion qui précède que la cour cantonale n'a pas violé le droit fédéral en reconnaissant le recourant coupable comme coauteur de violation grave des règles de la circulation (
art. 90 ch. 2 LCR
), alors même qu'il n'a pas pris part à l'exécution de l'infraction. Le grief du recourant est dès lors infondé.
3.
(Circonstance atténuante). | null | nan | fr | 2,000 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c98764a3-e9c6-4a38-b433-27f54c39efd4 | Urteilskopf
101 IV 218
47. Arrêt de la Cour de cassation pénale du 21 mai 1975 dans la cause Ferretti contre Ministère public du canton du Valais | Regeste
1.
Art. 26 und 32 SVG
;
Art. 4 VRV
. Auf einer Kantonsstrasse ist auch zur Nachtzeit und bei Regen eine Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h durchaus angemessen sofern nicht besondere Umstände eine Herabsetzung der Geschwindigkeit erfordern (Erw. 2).
2. Art. 26 Abs. 2 und 33 Abs. 1 SVG;
Art. 6 und 47 Abs. 5 VRV
. Trennt eine Verkehrsinsel die Strasse in zwei verschiedene Fahrbahnen, so kann vom Motorfahrzeugführer nicht verlangt werden, dass er seine Aufmerksamkeit auch der von ihm nicht benützten Fahrbahn schenke, selbst wenn ein Fussgänger im Begriffe ist, diese zu überqueren (Erw. 3). | Sachverhalt
ab Seite 218
BGE 101 IV 218 S. 218
A.-
Le 22 février 1974 à 20 h 20, Carlo Ferretti, qui circulait au volant de sa voiture sur la route cantonale Saxon-Riddes, a heurté violemment de l'avant droit de son véhicule le piéton Angèle Moulin, qui traversait la chaussée de gauche à droite et qui fut tuée sur le coup.
BGE 101 IV 218 S. 219
A l'endroit de l'accident, la route est rectiligne, large de 10 m 50 et divisée en deux pistes de 3 m 50 chacune, séparées au milieu de la chaussée par un îlot de sécurité. Au moment de l'accident, il faisait nuit, pleuvait légèrement et la visibilité était mauvaise. La voiture de Ferretti a laissé des traces de freinage sur environ 31 m; elles commencent juste après le point de choc, qui est situé à 2 m du bord droit de la chaussée.
Ferretti circulait à 50-60 km/h avec ses feux de croisement. La victime a traversé la chaussée en marchant d'un pas rapide, parcourant 2 m à la seconde; elle a peut-être couru au tout dernier moment pour échapper à la voiture. Ferretti a prétendu qu'il avait vu subitement le piéton surgir devant son véhicule et qu'il a freiné immédiatement.
B.-
Le Tribunal du IIIe arrondissement pour le district de Martigny a reconnu Ferretti coupable d'homicide par négligence et l'a condamné à 600 fr. d'amende avec délai d'épreuve et de radiation de 2 ans.
Statuant sur l'appel du condamné, le Tribunal cantonal du Valais a confirmé le jugement de première instance, le 24 janvier 1975.
C.-
Ferretti se pourvoit en nullité au Tribunal fédéral. Il conclut à libération.
Le Procureur général du Valais propose le rejet du pourvoi.
Erwägungen
Considérant en droit:
1.
Le Tribunal cantonal retient à la charge du recourant, au titre de la négligence, le fait qu'au moment du choc la victime se trouvait sur la chaussée au moins depuis 4 secondes, qu'au moment où elle s'est engagée sur la chaussée Ferretti, circulant à 50-60 km/h, se trouvait à 60 m au moins et 70 m au plus et que, en principe, il pouvait l'apercevoir aussi loin que portaient ses feux de croisement, c'est-à-dire assez tôt pour lui permettre d'éviter l'accident. Pour le Tribunal cantonal, la victime a "surgi" subitement, non pas sur la route, qu'elle traversait normalement, mais bien dans le champ de vision du recourant, qui ne la vit que quelques secondes avant de la heurter, soit qu'il ait roulé trop vite, soit qu'il ait été momentanément distrait. Ainsi, selon l'arrêt attaqué, la négligence du recourant est constituée tant par une inattention fautive que par une inadaptation de la vitesse.
BGE 101 IV 218 S. 220
Le recourant conteste avoir commis une faute de circulation; il fait valoir que sa vitesse était adaptée aux circonstances, qu'il s'est trouvé face à un danger soudain et qu'il a correctement réagi en freinant immédiatement.
2.
La vitesse de 50-60 km/h à laquelle roulait le recourant était adaptée aux circonstances. Sur une route cantonale, même de nuit et avec la pluie, une telle vitesse est parfaitement admissible; elle permet au conducteur circulant avec ses feux de croisement de s'arrêter, en cas de danger subit, sur la distance éclairée par les phares. En l'espèce, avant l'apparition du piéton, rien n'imposait au recourant d'adopter une vitesse inférieure.
3.
a) Reste dès lors à examiner si le recourant avait l'obligation de prêter attention au piéton dès que celui-ci s'est engagé sur la chaussée et s'il a fait preuve d'inattention en ne le voyant pas avant qu'il surgisse devant lui ou en ne réagissant pas dès qu'il a mis les pieds sur la chaussée.
Le raisonnement et les calculs du Tribunal cantonal semblent être fondés sur la situation d'une route large de 10 m 50, dégagée et devant être observée sur toute sa largeur par un conducteur attentif. Il paraît ainsi être fait totalement abstraction de l'îlot de sécurité qui, à l'endroit de l'accident, divise la route en deux pistes de 3 m 50. Or c'est bien en tenant compte de cet îlot de sécurité que doit être appréciée la situation.
b) En présence d'îlots qui divisent momentanément la chaussée en deux voies distinctes et surtout si, comme en l'espèce, ils sont larges, on ne saurait raisonnablement exiger des automobilistes qu'ils portent leur attention sur l'autre voie que celle qu'ils vont emprunter. On ne saurait donc faire grief au recourant de n'avoir pas vu le piéton pendant qu'il traversait l'autre voie de la chaussée et une partie de l'îlot. Cette manière de voir correspond d'ailleurs au système légal, qui prévoit que lorsqu'un refuge coupe un passage de sécurité en deux tronçons, chacun de ceux-ci doit être considéré comme un passage indépendant (art. 47 al. 2, 2e phrase, OCR); à plus forte raison lorsqu'il n'existe pas de passage de sécurité et que l'automobiliste est prioritaire (art. 47 al. 5 OCR), celui-ci ne doit pas avoir à tenir compte et à adapter son comportement aux actes d'un piéton traversant la voie gauche de la chaussée (cf. RO 98 IV 221, ainsi que l'arrêt Jucker du 25 avril 1975, destiné à la publication).
BGE 101 IV 218 S. 221
C'est seulement à partir du moment où le piéton a quitté l'îlot pour traverser la voie où il allait passer que l'automobiliste était dans l'obligation de réagir. Compte tenu de la forme de l'îlot et du fait que le choc a eu lieu à 2 m du bord droit de la route, le piéton a parcouru un peu plus de 2 m depuis le moment où il a quitté l'îlot. Jusqu'au choc, ce déplacement, auquel le recourant avait l'obligation d'être attentif, a duré un peu plus d'une seconde. Or, comme les traces de freinage commencent juste après le choc et compte tenu du temps de réaction plus de la fraction de seconde durant laquelle le freinage a commencé sans encore laisser de traces, force est de conclure que le recourant a réagi correctement.
Aucune faute ne pouvant ainsi être retenue à la charge du recourant, il doit être libéré de l'accusation d'homicide par négligence.
Dispositiv
Par ces motifs, le Tribunal fédéral:
Admet le pourvoi, annule l'arrêt attaqué et renvoie la cause au Tribunal cantonal du Valais pour qu'il acquitte le recourant. | null | nan | fr | 1,975 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c987bc8d-c59e-4aa2-a5c2-e7a3ec13b0c3 | Urteilskopf
90 IV 210
43. Urteil des Kassationshofes vom 27. November 1964 i.S. Gees gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. | Regeste
Art. 30 Abs. 1 SVG
,
Art. 61 Abs. 1 und 3 VRV
,
Art. 117 StGB
.
1. Pflichtwidriges Verhalten eines Lastwagenführers, der einen Arbeiter auf unbefestigter Ladung mitfahren lässt (Erw. 1).
2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem Unfall des Arbeiters (Erw. 2). | Sachverhalt
ab Seite 210
BGE 90 IV 210 S. 210
A.-
Gees hatte am 14. Oktober 1963 in Chur einen Unimog mit Tiefganganhänger von einem Lager auf eine Arbeitsstelle zu führen. Es fuhren drei Arbeiter mit, von denen einer (Locher) neben ihm in der Führerkabine, ein anderer (Hemmi) auf dem Sitzbock des Anhängers und der dritte, Just, auf der Platte einer hölzernen Werkbank, die unbefestigt auf der Ladebrücke des Unimog stand, Platz nahm. Hemmi forderte Just umsonst auf, sich zu ihm zu setzen. Dieser sass, in Richtung der Fahrt gesehen, auf der linken Seite der Werkbank und stützte die Füsse auf eine Querlatte. Mit der einen Hand hielt er sich an der Bank und mit der andern an einer stehenden Isolierplatte. Gees sah beim Abfahren nicht, dass Just auf der Werkbank Platz genommen hatte; er bekümmerte sich überhaupt nicht um ihn, weil Just sich angeblich stets dort hinzusetzen pflegte, wo es ihm gerade passte. Als Gees mit einer
BGE 90 IV 210 S. 211
Geschwindigkeit von höchstens 21 km/Std. von der Ringstrasse nach links in die Felsenaustrasse abbog, kippte die Werkbank gegen die rechte Strassenseite. Just fiel rücklings Kopf voran auf die Strasse und wurde von der nachstürzenden Werkbank getroffen. Er erlitt schwere Verletzungen, die zu seinem Tode führten.
B.-
Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden verurteilte Gees am 28. April 1964 wegen Übertretung von
Art. 30 Abs. 1 SVG
und wegen fahrlässiger Tötung (
Art. 117 StGB
) zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 100.--.
C.-
Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
D.-
Die Staatsanwaltschaft Graubünden beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.
Der Kantonsgerichtsausschuss wirft Gees vor, er sei vom Lager weggefahren, ohne sich zu vergewissern, ob alle drei Arbeiter auf den besonders vorgesehenen Sitzplätzen oder doch zumindest an einem sichern Ort Platz genommen hatten. Dieser Vorwurf verstösst nach der Auffassung des Beschwerdeführers gegen Bundesrecht, weil die Vorinstanz lediglich die allgemeine Bestimmung des
Art. 30 Abs. 1 SVG
, nicht aber die für das Mitfahren auf Lastwagen und dergleichen massgebenden Vorschriften des
Art. 61 Abs. 1 und 3 VRV
für anwendbar halte.
Art. 30 Abs. 1 SVG
lautet: "Personen dürfen auf Motorfahrzeugen und Fahrrädern nur auf den dafür eingerichteten Plätzen mitgeführt werden. Der Bundesrat kann Ausnahmen vorsehen; er erlässt Vorschriften über die Personenbeförderungen mit Anhängern." Solche Ausnahmevorschriften finden sich in
Art. 61 VRV
. Nach dieser Bestimmung darf auf Ladebrücken von Motorwagen nur das Personal zum Auf- und Abladen und zur Überwachung der Ladung mitgeführt werden, auf Fahrten zwischen Betrieb und Arbeitsstelle auch weiteres Arbeitspersonal.
BGE 90 IV 210 S. 212
Mitfahrende müssen auf eingerichteten Sitz- und Stehplätzen oder geschützter Ladebrücke Platz nehmen (Abs. 1). Auf und in Anhängern darf nur das Personal zum Lenken, Bremsen oder Überwachen der Ladung mitgeführt werden. Es sind eingerichtete Sitz- oder Stehplätze zu benützen, ausser vom Personal zur Überwachung der Ladung (Abs. 3).
Die zuletzt angeführte Vorschrift fällt im vorliegenden Fall von vorneherein ausser Betracht, da sie sich auf das Mitfahren auf Anhängern bezieht, der Verunfallte aber auf dem Motorwagen mitfuhr. Auf
Art. 61 Abs. 1 VRV
sodann könnte der Beschwerdeführer sich nur berufen, wenn Just auf "geschützter Ladebrücke" Platz genommen hätte. Das war offensichtlich nicht der Fall. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz sass der Verunfallte nicht auf der Ladebrücke oder auf einem darauf eingerichteten Sitzplatz, sondern auf der Ladung. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Ladebrücke schon deswegen als "geschützt" zu gelten hatte, weil sie nach den Angaben des Beschwerdeführers mit 30 cm hohen Seitenwänden versehen war, oder ob das mit der Staatsanwaltschaft erst dann anzunehmen wäre, wenn die Brücke zusätzliche Schutzvorrichtungen, insbesondere ein Verdeck oder Aufsteckläden, aufgewiesen hätte. Es braucht auch nicht untersucht zu werden, ob Just die Aufgabe hatte, die Ladung zu überwachen, und ob er als Hilfsperson zum Abladen zu bezeichnen war oder zum andern Arbeitspersonal gehörte. Weder im einen noch im andern Fall hätte der Beschwerdeführer ihm gemäss
Art. 61 Abs. 1 VRV
erlauben dürfen, auf der Ladung Platz zu nehmen, ganz abgesehen davon, dass diese nicht befestigt war.
Die Vorschrift, auf eingerichteten Sitz- und Stehplätzen oder geschützter Ladebrücke Platz zu nehmen (
Art. 61 Abs. 1 Satz 2 VRV
), stellt übrigens nicht bloss eine Weisung an die Mitfahrenden dar, wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint. Sie richtet sich, wie schon
Art. 30 Abs. 1 SVG
, in erster Linie an den Fahrzeugführer, der für die
BGE 90 IV 210 S. 213
Sicherheit der Mitfahrenden verantwortlich ist (
BGE 78 IV 75
Erw. 2). Als solcher durfte der Beschwerdeführer aber die Fahrt nicht unternehmen, ohne sich zuvor zu vergewissern, dass die mitfahrenden Arbeiter auf den dazu besonders eingerichteten Sitzplätzen oder doch wenigstens auf dem Boden der Ladebrücke Platz genommen hatten. Indem er dies unterliess, handelte er pflichtwidrig unvorsichtig, also fahrlässig. Dass die Werkbank schon seit längerer Zeit mit dem gleichen Fahrzeug von einer Arbeitsstelle zur andern befördert wurde, ohne dass Just je darauf Platz genommen hätte, befreit den Beschwerdeführer nicht. Er wusste aus Erfahrung, dass der Verunfallte sich jeweilen dort hinzusetzen pflegte, wo es ihm gerade passte. Das entband den Beschwerdeführer nicht von der Pflicht, vor der Abfahrt Nachschau zu halten, sondern hätte ihn im Gegenteil veranlassen sollen, gerade auf Just zu achten und diesen notfalls energisch auf einen andern Platz zu verweisen.
2.
Die mangelnde Sorge des Beschwerdeführers um die mitgeführten Personen war nach der Erfahrung des Lebens und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, zum tatsächlich eingetretenen Erfolg zu führen. Der Beschwerdeführer bestreitet denn auch nicht, dass zwischen seinem Verhalten und dem Tod des Verunfallten ein rechtlich erheblicher Zusammenhang besteht. Er macht auch nicht geltend, dass dieser Zusammenhang durch das Selbstverschulden des Just unterbrochen worden sei. Er ist deshalb zu Recht wegen fahrlässiger Tötung bestraft worden.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. | null | nan | de | 1,964 | CH_BGE | CH_BGE_006 | CH | Federation |
c988cba8-6cd6-4a06-ac73-382c176a584d | Urteilskopf
82 II 555
74. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1956 i.S. Fides Treuhand-Vereinigung gegen Wwe Schoeller. | Regeste
Nichtigkeitsbeschwerde wegen Anwendung kantonalen statt eidgenössischen Rechtes (
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
).
1. Ausschluss der Nichtigkeitsbeschwerde, wenn Berufung zulässig ist (Erw. 1 und 2).
2. Unter den sonstigen Voraussetzungen unterliegt auch ein im summarischen Verfahren ergangener Entscheid der Berufung, wenn er ohne Vorbehalt eines ordentlichen Verfahrens einen endgültigen Befehl (hier: zur Vorlegung von Urkunden) ausspricht (Erw. 3).
3. Wann ist der Anspruch auf Vorlegung von Urkunden materiellrechtlicher Natur? (Erw. 4).
4. Wann ist er vom Bundesrecht beherrscht? (Erw. 7).
5. Die Einsichtnahme in Urkunden ist kein der Erbengesamtheit vorbehaltener Verfügungsakt (
Art. 602 Abs. 2 ZGB
), sondern steht jedem einzelnen Erben zu (Erw. 7).
6. Wann genügt im Berufungsverfahren ein Antrag auf Rückweisung der Sache an die kantonale Instanz? (Erw. 6). | Sachverhalt
ab Seite 556
BGE 82 II 555 S. 556
A.-
Frau Ilse Schoeller war die Ehefrau des am 29. September 1951 in Zürich verstorbenen Hans-Rütger Walter Leopold Schoeller. Das Verhältnis der Ehegatten hatte sich seit dem Jahre 1941 in zunehmendem Masse verschlechtert. In den Jahren 1944 und 1945 unternahm die Ehefrau in den Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz verschiedene rechtliche Schritte gegen den Ehemann (auf Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen, Ehetrennung, Entmündigung). Im Mai 1946 leitete sodann der Ehemann beim Bezirksgericht Unterlandquart Scheidungsklage gegen sie ein. Die Klage wurde in erster Instanz geschützt, vom Kantonsgericht von Graubünden und vom Bundesgericht (Urteil vom 23. November 1950) jedoch wegen überwiegenden Verschuldens des Ehemannes abgewiesen. Zu einer Versöhnung der Ehegatten, die seit 1942 getrennt lebten, kam es nicht.
B.-
Der Erblasser, der seit 1936 an einer schweren, langsam fortschreitenden Gehirnerkrankung (Parkinsonismus) litt, hatte die Fides Treuhandvereinigung in Zürich mit der Verwaltung seines Vermögens betraut. Sie übte diese Tätigkeit bis zu seinem Tode aus und stand ihm auch im Scheidungsprozess mit ihrem Rate bei. Der Erblasser errichtete mehrere letztwillige Verfügungen, in denen er die Ehefrau enterbte und die Fides als Willensvollstreckerin einsetzte. Im letzten Testament vom 24. Oktober 1947 widmete er den nach Abzug der Nachlasspassiven und eines Vermächtnisses verbleibenden Teil seines Vermögens einer Familienstiftung, als deren ersten Stiftungsrat er die Fides bezeichnete.
BGE 82 II 555 S. 557
C.-
Nach dem Tode des Erblassers erhob die Ehefrau Klage auf Ungültigerklärung seiner letzten Testamente wegen Irrtums und Handlungsunfähigkeit des Testators; ausserdem focht sie ihre Enterbung wegen Unrichtigkeit des Enterbungsgrundes an. Im zweiten Punkte schützte das Bezirksgericht Zürich die Klage mit Urteil vom 10. März 1954 und anerkannte den Anspruch der Ehefrau auf einen Viertel des gesamten Nachlasses als Pflichtteil. Das Urteil wurde von beiden Parteien weitergezogen; doch liessen die Beklagten jenes Prozesses ihre Appellation fallen, und die Appellation der Ehefrau hatte keinen Erfolg. Das obergerichtliche Urteil vom 10. Januar 1956 erwuchs in Rechtskraft. Somit steht nun fest, dass die Ehefrau im Umfange ihres Pflichtteils Erbin des verstorbenen Ehemannes ist. Anderseits hat die Fides ihr Amt als Willensvollstreckerin angenommen.
D.-
Mit Eingabe vom 31. März 1955 stellte Frau Ilse Schoeller beim Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich das Begehren, es sei der Fides zu befehlen, ihr bei der Gerichtskanzlei die sämtlichen Nachlassakten zur Einsichtnahme vorzulegen, insbesondere
a) die im Besitz der Fides befindlichen Akten des Erblassers selbst,
b) die Akten der Fides über die Vermögensverwaltung und Geschäftsbesorgung für den Erblasser vor dessen Tod,
c) die Akten der Vermögensverwaltung und Geschäftsbesorgung der Fides für den Nachlass seit dem Tode des Erblassers.
Mit Verfügung vom 30. Juni 1955 wies der Einzelrichter die von der Fides erhobene Unzuständigkeitseinrede ab und befahl ihr, der Klägerin Frau Schoeller oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in ihren Geschäftsräumen Einsicht in die Akten zu gewähren, welche die Verfügung genau umschreibt.
E.-
Gegen diese Verfügung rekurrierten beide Parteien, mit dem Ergebnis, dass das Obergericht am 20. Januar
BGE 82 II 555 S. 558
1956 den Rekurs der Klägerin abwies und den Rekurs der Beklagten dahin guthiess, dass lediglich vorzulegen seien "alle Urkunden, die für die wertmässige Berechnung der gesetzlichen Erbquote der Klägerin am Nachlass des H.-R. Schoeller von Bedeutung sind, insbesondere Depotverzeichnisse und Kontoabschlüsse auf den Todestag des Erblassers, ferner Kontoauszüge bis zur letzten Richtigbefundanzeige des Erblassers, sodann auch allfällige Akten über herabsetzungs- oder ausgleichungspflichtige Zuwendungen zu Lebzeiten des Erblassers".
F.-
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich schützte mit Entscheid vom 5. Mai 1956 eine von der Klägerin erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und fällte einen neuen Sachentscheid aus, wonach der Beklagten unter Androhung von Ordnungsbusse für den Säumnisfall befohlen wird, innert 14 Tagen der Klägerin oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in ihren Geschäftsräumen zur Einsicht vorzulegen:
a) alle aus der Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für H.-R. Schoeller bis zu seinem Tode herrührenden Akten, welche über Veränderungen des Vermögens der Höhe oder der Zusammenstellung nach Aufschluss geben,
b) alle die Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für den Nachlass seit dem Tode von H.-R. Schoeller betreffenden Akten.
Dieser Entscheid ist im wesentlichen wie folgt begründet: Das Obergericht hat der Klägerin ein Recht auf Einsicht in die Nachlassakten nur soweit zuerkannt, als sich ein solches Recht aus den Pflichten des Willensvollstreckers nach
Art. 518 Abs. 2 ZGB
ableiten lässt. Im übrigen hält das Obergericht dafür, sowohl nach Erbrecht wie nach Auftragsrecht und nach § 232 des zürcherischen EG zum ZGB könne ein Einsichtsrecht nur von allen Erben gemeinsam, dagegen nicht von einem einzelnen Miterben ausgeübt werden. In dieser Betrachtungsweise liegt keine Verletzung klaren Rechts, soweit Erbrecht und Auftragsrecht
BGE 82 II 555 S. 559
in Frage kommen. Die Art. 607 Abs. 3 und 610 Abs. 2 ZGB regeln die Auskunftspflicht der Miterben untereinander, bestimmen aber nichts über die Auskunftspflicht Dritter gegenüber den Miterben. Auch nach Auftragsrecht lässt sich die zwar im Ergebnis unbefriedigende Ansicht vertreten, die Rechte des Auftraggebers könnten nur von allen Erben gemeinsam ausgeübt werden. Dagegen verstösst der angefochtene Entscheid gegen § 232 des zürcherischen EG zum ZGB. Im Sinne dieser Vorschrift ist jeder einzelne Erbe an den Nachlassakten beteiligt (was näher dargelegt wird). Der angefochtene Beschluss ist daher nach
§ 344 Ziff. 9 ZPO
aufzuheben. Da Weiterungen nicht nötig sind, hat das Kassationsgericht einen neuen Entscheid in der Sache selbst zu fällen (
§ 349 ZPO
). Nun gebührt der Klägerin unbeschränkte Einsicht in diejenigen Akten, die Aufschluss geben über die Vermögensverwaltung und Geschäftsführung der Beklagten für den Nachlass seit dem Tode des Erblassers (lit. c ihres Klagebegehrens). Die Gewährung solcher Einsichtnahme ist unerlässlich, weil der Erbe sonst das ihm gegen den Willensvollstrecker zustehende Beschwerderecht und allfällige Verantwortlichkeitsansprüche nicht wirksam geltend machen könnte. Um dieser Rechte willen kann auch der Erblasser den Willensvollstrecker nicht zum voraus von der Auskunftspflicht gegenüber den Erben entbinden. - Von den Akten, die vor dem Erbfall in den Besitz der Beklagten gelangten, sind solche, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers, namentlich auf den Scheidungsprozess beziehen, der Einsichtnahme durch die Klägerin zu entziehen. Es ist nicht zweifelhaft, dass der Erblasser diese Schriftstücke vor ihr geheim halten wollte, und er hatte ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die darin enthaltenen, der Beklagten auf Grund eines Vertrauensverhältnisses preisgegebenen Geheimnisse auch nach seinem Tode gewahrt werden. Insoweit erweist sich somit das Klagebegehren a als unbegründet. - Soweit die aus dem Nachlass stammenden Akten die Vermögensverhältnisse
BGE 82 II 555 S. 560
betreffen, muss dagegen die Geheimhaltungspflicht gegenüber dem höhern Interesse der Klägerin an einer gesetzmässigen Erbteilung zurücktreten. Im Hinblick auf die ihr zustehenden Herabsetzungs- und Ausgleichungsansprüche (
Art. 527, 626 ZGB
) darf sich die Klägerin über alle zu Lebzeiten des Erblassers eingetretenen Veränderungen des Vermögens, sei es der Höhe oder der Zusammensetzung nach, orientieren. Dabei braucht sie sich nicht mit der Einsicht in die Buchungen der Beklagten zu begnügen, sondern kann verlangen, dass ihr auch die Belege vorgewiesen werden, die über die Gründe und näheren Umständen der Vermögensverschiebungen Aufschluss geben. In diesem Sinne sind die Klagebegehren a und b zu schützen.
G.-
Gegen den Entscheid des Kassationsgerichtes hat die Beklagte Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie stützt sich auf
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
und stellt den Antrag,
"es sei die Ziff. 2 lit. a) des Dispositivs des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den Rekursentscheid der II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Januar 1956 wieder herzustellen."
Die Klägerin beantragt, es sei auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach
Art. 68 Abs. 1 OG
ist "in Zivilsachen, die nicht nach Art. 44-46 der Berufung unterliegen, gegen letztinstanzliche Entscheide kantonaler Behörden Nichtigkeitsbeschwerde zulässig,
a) wenn statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales oder ausländisches Recht angewendet worden ist".
Darauf beruft sich die Beklagte in der vorliegenden Beschwerde, indem sie geltend macht, ihre Editionspflicht sei nicht nach dem vom kantonalen Kassationsgericht angewendeten § 232 des zürcherischen EG zum ZGB, sondern
BGE 82 II 555 S. 561
nach eidgenössischen Normen, nämlich Art. 602, eventuell 607 Abs. 3 und 610 Abs. 2 ZGB zu beurteilen. Mit der Anwendung jener kantonalen Vorschrift greife der angefochtene Entscheid in das dem Bundesrecht vorbehaltene Privatrecht ein.
In der Antwort auf die Beschwerde hält die Klägerin die Berufung auf
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
für unzulässig, "weil das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz nicht zu prüfen hat, ob eine kantonale Vorschrift richtig oder falsch ausgelegt worden sei, sondern nur, ob zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht angewendet wurde". Nun behaupte die Beschwerdeführerin nicht, § 232 des kantonalen EG verletze an sich Bundesrecht, sondern nur in der vom Kassationsgericht gegebenen Auslegung.
Dieser Einwand, mit dem die Beschwerdegegnerin ihren Nichteintretensantrag begründet, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerde macht gerade geltend, es sei zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht angewendet worden, also den in
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG
vorgesehenen Beschwerdegrund. Aus dem angefochtenen Entscheid (Erw. V 2, S. 9 ff., und VI 2 a, S. 13 ff.) geht auch klar hervor, dass kantonales Recht, nämlich § 232 des EG zum ZGB, angewendet worden ist. Die Frage, ob statt dessen eidgenössisches Recht hätte angewendet werden sollen, kann daher unter den nähern Voraussetzungen des
Art. 68 OG
Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde bilden.
2.
Dieses Rechtsmittel erweist sich jedoch aus einem andern, von Amtes wegen zu berücksichtigenden Grunde als unzulässig. Wie sich aus dem Eingang von
Art. 68 OG
ergibt, ist die Nichtigkeitsbeschwerde ein der Berufung nach
Art. 43 ff. OG
subsidiäres Rechtsmittel. Sie ist also nicht statthaft gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid, der dem Weiterzug durch das umfassendere Rechtsmittel der Berufung unterliegt.
Art. 68 OG
geht stillschweigend davon aus, jeder der von ihm vorgesehenen Beschwerdegründe (Abs. 1 lit. a und b) sei auch Berufungsgrund und könne daher in einem der Berufung unterliegenden
BGE 82 II 555 S. 562
Falle ohne weiteres auf diesem Wege geltend gemacht werden. Das trifft denn auch nach
Art. 43 OG
zu. Insbesondere ist nach dessen Abs. 2 das Bundesrecht nicht nur bei unrichtiger Anwendung bundesrechtlicher Normen, sondern auch dann verletzt, wenn ein eidgenössischer Rechtssatz zu Unrecht überhaupt nicht angewendet worden ist. So verhielt es sich übrigens schon unter der Herrschaft des frühern Organisationsgesetzes; in berufungsfähigen Fällen war daher die zivilrechtliche Beschwerde nach
Art. 87 Ziff. 1a OG
ausgeschlossen (
BGE 65 II 247
ff.; vgl. auchBGE 71 III 192ff. und BIRCHMEIER, N. 3, a zu
Art. 68 OG
).
3.
Nun möchte man freilich die Zulässigkeit einer Berufung gegen den hier angefochtenen Entscheid zunächst in Zweifel ziehen. Erging er doch in einem summarischen Verfahren, das seiner Natur nach nicht ohne weiteres zur endgültigen Beurteilung zivilrechtlicher Ansprüche führen kann. Aus diesem Grunde wurde denn auch einer im summarischen Verfahren der §§ 277 ff. der zürcherischen ZPO gefällten Entscheidung der Charakter eines Endentscheides im Sinne von
Art. 48 OG
gelegentlich abgesprochen (
BGE 81 II 85
). Indessen lässt das im vorliegenden Fall eingeleitete, obgleich summarische Befehlsverfahren auch eine endgültige Erledigung der erhobenen Ansprüche zu. Denn im Unterschied etwa zur einstweiligen Verfügung nach Art. 326 Ziff. 3 der bernischen ZPO, wobei die endgültige Entscheidung immer einem Hauptprozesse vorbehalten bleibt (vgl. LEUCH, N. 3 zu Art. 326 bern. ZPO), ist das Befehlsverfahren der zürcherischen ZPO zulässig "zur schnellen Handhabung klaren Rechtes ... bei sofort herstellbaren tatsächlichen Verhältnissen ..." (§ 292 Ziff. 1 zürch. ZPO) und (nach Ziff. 5 daselbst) "zur Geltendmachung von Begehren um Vorlegung von beweglichen Sachen" (worunter namentlich Urkunden zu verstehen sind; STRÄULI-HAUSER, N. 7 zu Art. 292). Dabei handelt es sich nur unter besondern Voraussetzungen um vorläufige Massnahmen, denen gegenüber ein gerichtlicher
BGE 82 II 555 S. 563
Entscheid im ordentlichen Verfahren vorbehalten bliebe (vgl. § 297 zürch. ZPO). Der angefochtene Entscheid wurde nicht im Sinne einer solchen Massnahme getroffen; er enthält vielmehr einen endgültigen, an keinen Vorbehalt geknüpften Befehl.
4.
Hat man es also mit einem Endentscheid (der letzten kantonalen Instanz) zu tun, so bleibt zu prüfen, ob der streitige Anspruch ein zivil- oder aber ein prozessrechtlicher war. Nur im ersten Falle liegt eine "Zivilrechtsstreitigkeit" vor, die auf dem Wege der Berufung hätte weitergezogen werden können, sofern ihr Gegenstand keiner vermögensrechtlichen Schätzung unterlag oder einen Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- hatte (
Art. 44 und 46 OG
). In dem von der Vorinstanz angeführten Entscheide des zürcherischen Obergerichtes vom 26. Mai 1951 (BlZR 55 Nr. 12, S. 22 ff.) wird das Recht auf "Einsicht in Privaturkunden zur eigenen Aufklärung über eine Rechtslage", soweit es nicht im Rahmen eines sonstigen Prozesses geltend gemacht wird, aus einer "vorprozessualen Editionspflicht" hergeleitet, die ebenso wie die prozessuale Editionspflicht ihrem Wesen nach zum Prozessrecht gehöre. Diese Ansicht entspricht der römisch-rechtlichen Zuweisung der "actio ad exhibendum" zu den sog. präparatorischen Klagen, denen auch die Klagen auf Rechnungslegung, z.B. auf Grund eines Mandatsverhältnisses, eines Gesellschaftsverhältnisses usw., zugezählt wurden (vgl. DERNBURG, System des römischen Rechts, 8. Auflage, I S. 258/9, § 125 Ziff. 2; JOH. ALB. AFFOLTER, Die actio ad exhibendum und ihre Bedeutung für das heutige Prozessrecht, S. 5; GUSTAV DEMELIUS, Die Exhibitionspflicht, S. 87 ff.). Im geltenden schweizerischen Rechte gibt es aber Ansprüche auf Vorlegung von Urkunden (und auf Vorzeigung anderer beweglicher Sachen), die richtigerweise dem materiellen Rechte zuzuweisen sind. Es mag hier dahingestellt bleiben, wie es sich mit der speziellen Editionspflicht im Prozess verhält, wie sie manche Prozessgesetze im Rahmen des Beweisverfahrens vorsehen
BGE 82 II 555 S. 564
(vgl. z.B.
Art. 50-54 BZP
). Auch wenn man hiebei und ebenso bei einer vorsorglichen Beweissicherung ("Beweis zu ewigem Gedächtnis") von einer prozessualen Vorlegungspflicht (der Parteien und auch dritter Personen) sprechen will und allenfalls muss, besteht daneben eine nicht aus prozessualen Normen abzuleitende Vorlegungspflicht, die nicht notwendig an dieselben Voraussetzungen gebunden ist, sich vielmehr nur nach materiell-rechtlichen Grundsätzen sachgemäss rechtfertigen lässt. Zu denken ist dabei an Vorlegungspflichten, die ohne jede Bezugnahme auf ein gegenwärtiges oder künftiges Prozessverfahren geltend gemacht werden. In solchen Fällen brauchen die Urkunden, die jemand einzusehen wünscht, nicht notwendig als Beweismittel für Ansprüche ins Auge gefasst zu werden. Es kann auch einfach eine Orientierung im Rahmen einer privatrechtlichen Beziehung in Frage stehen, dazu bestimmt, das geschäftliche oder sonstige persönliche Verhalten desjenigen, der sie verlangt, zu beeinflussen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn, wie hier, jemand ausserhalb eines Hauptprozesses oder Beweissicherungsverfahrens nur gerade die Vorlegung von Urkunden verlangt und sich dabei auf ein materiellrechtliches Verhältnis beruft, das ihm, wie er annimmt und behauptet, Anspruch auf solche Orientierung ohne Rücksicht auf eine allfällige künftige Prozessführung gibt. Ob ihm ein derartiger nicht auf prozessuale Grundsätze gestützter Anspruch wirklich zustehe, ist eine Frage des materiellen Rechtes, d.h. der das geltend gemachte materiellrechtliche Verhältnis beherrschenden Normen. Selbst das Prozessrecht kann sich übrigens damit begnügen, eine Editionspflicht nur gemäss den im materiellen Rechte begründeten Vorlegungspflichten vorzusehen. So heisst es gerade in § 328 der zürcherischen Zivilprozessordnung: "Die Pflicht, Urkunden vorzulegen, richten sich nach den Bestimmungen des Privatrechtes". Damit wird sowohl auf Vorschriften des eidgenössischen (z.B.
Art. 963 OR
) wie auch auf solche des kantonalen Rechtes (§ 232 des EG zum ZGB) hingewiesen
BGE 82 II 555 S. 565
(vgl. STRÄULI-HAUSER, N. 3 zu
§ 328 ZPO
). Aus jener Vorschrift des Prozessgesetzes ist zu ersehen, dass der zürcherische Gesetzgeber die Pflicht zur Vorlegung von Urkunden und insbesondere auch die Vorschriften von § 232 des EG zum ZGB als privatrechtliche betrachtet. Dem steht nicht entgegen, dass § 231 der zürcherischen ZPO die Editionspflicht Dritter im Prozess in das freie Ermessen des Richters stellt, also anscheinend nicht streng an die dafür geltenden materiellrechtlichen Normen bindet. Auch der Grundsatz, dass die Editionspflicht im Prozess im interkantonalen Verhältnis durch allfällige im Wohnsitzkanton des Urkundebesitzers geltende Weigerungsgründe beschränkt ist (
BGE 47 I 87
), tut der materiellrechtlichen Natur der ausserprozessualen Vorlegungspflicht keinen Abbruch. Jener Grundsatz lässt sich nur auf besondere prozessuale Editionspflichten beziehen, die nicht oder doch nicht in vollem Umfange als materiellrechtliche Vorlegungspflichten bestehen. An das materielle Recht ist dagegen jedermann gebunden. Und wenn es sich um ein vom Bundesrecht beherrschtes Rechtsverhältnis handelt, kann die Vorlegungspflicht nicht von Kanton zu Kanton verschieden sein.
5.
Somit betraf das zwischen den Parteien durchgeführte Befehlsverfahren in der Tat eine Zivilrechtsstreitigkeit. Betrachtet man den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Vorlegung von Urkunden als vermögensrechtlichen, so ist unter den vorliegenden Umständen zweifellos ein Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- vorhanden (
Art. 46 OG
). Sollte man es aber mit einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit zu tun haben, so wäre die Berufung ohnehin nach
Art. 44 OG
zulässig gewesen.
6.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit ausgeschlossen. Die Beschwerdeschrift lässt sich auch nicht etwa in eine Berufung umdeuten. Grundsätzlich könnte dies allerdings geschehen, da die unrichtige Benennung eines Rechtsmittels nicht schadet. Voraussetzung ist aber, dass die wesentlichen Formalien des zulässigen Rechtsmittels
BGE 82 II 555 S. 566
gewahrt seien. Das trifft hier nicht zu, denn die Beschwerdeführerin hat nur ein kassatorisches Rechtsbegehren gestellt, das den Vorschriften von
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG
nicht zu genügen vermag. Dieses Begehren zielt auf eine vom Kassationsgericht zu fällende neue Entscheidung, statt dass ein Sachurteil des Bundesgerichtes beantragt wird. Ein Rückweisungsantrag genügt aber nur, wenn das Bundesgericht ohne Rückweisung nicht zu Gunsten des Berufungsklägers entscheiden könnte (
BGE 71 II 186
,
BGE 75 II 230
), was hier nicht der Fall ist.
7.
Trotz der sich daraus ergebenden formellen Erledigung der Beschwerde mag, da materiellrechtliche Überlegungen bei Prüfung der Frage nach dem Vorliegen einer Zivilrechtsstreitigkeit nötig waren, noch folgendes beibefügt werden:
Das materielle Recht, nach dem sich die Vorlegungspflicht der Beklagten bestimmt, kann nicht kantonales, sondern muss eidgenössisches Recht sein. Denn sowohl der Auftrag (des Erblassers an die Beklagte) wie auch die (von ihm testamentarisch verfügte) Willensvollstreckung sind Rechtsverhältnisse des Bundesrechts, und ebenso ist die rechtliche Stellung der Klägerin zum Miterben durch eidgenössisches Recht bestimmt. Eine Pflicht zur Vorlegung von Urkunden kann daher, wenigstens als ausserprozessuale, wie sie hier in Frage steht - da, wie schon erwähnt, nur die Vorlegung an die Klägerin selbst oder einen von ihr Bevollmächtigten und nicht die Vorlegung an einen Richter im Rahmen eines (Haupt-)Prozesses oder im Sinne einer Beweissicherung verlangt wurde - nur aus den betreffenden materiellen Rechtsverhältnissen hergeleitet werden. § 232 des kantonalen EG war somit nicht als eigentliche Rechtsnorm anwendbar, sondern nur als Hinweis auf die massgebenden Normen des Zivilrechts zu betrachten. An sich wäre die mit der Beschwerde erhobene Rüge also begründet gewesen. Dennoch hätte die Beschwerde, wenn zulässig, oder eine in gleichem Sinne eingereichte Berufung abgewiesen werden müssen, weil das
BGE 82 II 555 S. 567
vorinstanzliche Urteil auch bei Anwendung des eidgenössischen Rechts im Ergebnis richtig ist. Gleichwie nach der vom Kassationsgerichte dem § 232 des zürcherischen EG zum ZGB gegebenen Auslegung ist nämlich auch nach dem massgebenden Bundesrecht jeder einzelne Miterbe befugt, Aufklärung und insbesondere Vorlegung von Urkunden in dem vom vorinstanzlichen Urteil bejahten Umfange zu verlangen. Dem kann namentlich nicht etwa entgegengehalten werden, dass nach
Art. 602 Abs. 2 ZGB
nur alle Miterben insgesamt über Erbschaftswerte verfügen können. Denn in der Einsichtnahme in Urkunden, wie sie der Klägerin gewährt worden ist, liegt keinerlei Verfügung, und es ist nicht zu finden, wieso diese Orientierung Rechte eines Miterben beeinträchtigen sollte. - Völlig ausser Betracht fällt vor Bundesgericht, ob der Einsichtnahme durch die Klägerin solche Akten des Erblassers entzogen seien, die sich nicht auf das Vermögen, sondern auf persönliche Angelegenheiten beziehen. So hat die Vorinstanz unter Annahme einer auch den Erben gegenüber zu beachtenden Geheimhaltungspflicht der Beklagten entschieden. Diese Frage ist vor Bundesgericht gar nicht mehr aufgeworfen, weil die in diesem Punkte unterlegene Klägerin den vorinstanzlichen Entscheid nicht angefochten hat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. | public_law | nan | de | 1,956 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c9902fa2-2fca-44d3-9d69-7d4c6e908737 | Urteilskopf
97 I 872
125. Estratto della sentenza del 15 dicembre 1971 nella causa Stato del cantone Ticino contro C.E. fu Enrichetta Gemetti. | Regeste
Enteignung von aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechten.
Art. 5 EntG
.
1. Fall einer Seilbahn für den Transport von Holz, die nach der Inbetriebnahme einer Nationalstrasse nicht mehr weiterbestehen kann. Vorschriften des Tessiner Rechts über solche Seilbahnen (Erw. 2).
2. Besteht die Seilbahn aufgrund eines als Dienstbarkeit bestellten Leitungsrechts (
Art. 676 ZGB
) oder aufgrund nachbarrechtlicher Verhältnisse (
Art. 691 ZGB
)? (Erw. 3).
3. Voraussetzungen, unter denen der Inhaber der Seilbahn eine Enteignungsentschädigung verlangen kann (Erw. 4). | Sachverhalt
ab Seite 873
BGE 97 I 872 S. 873
Riassunto della fattispecie:
A.-
La strada nazionale n. 13 attraversa il territorio del comune di Lumino dal confine tra il cantone Ticino ed il cantone dei Grigioni fino al comune di Arbedo-Castione. Essa segue il corso del fiume Moesa. La sua costruzione ha richiesto l'espropriazione, totale o parziale, di terreni posti sulla sponda destra del fiume. Sulla sponda sinistra si estende, in pendio, da un'altitudine di m 300 ad un'altitudine di m 1200, una zona boschiva, di una superficie totale di circa 170 ettari. La fascia inferiore, di circa 92 ettari, ripartita in 41 particelle, di cui la più piccola copre 3000 mq e la più grande 87 500 mq, va dai 300 ai 750 m di altitudine ed è di proprietà privata. La fascia superiore, fino a 1200 m di altitudine, è di proprietà patriziale.
Il legname proveniente da questi boschi veniva finora condotto al piano mediante teleferiche, la cui stazione di arrivo era posta sulla sponda destra del fiume, ad eccezione di un tratto di ca 500 m dal confine Grigioni/Ticino verso sud, ove la presenza di un elettrodotto impediva di superare il fiume. Nel maggio del 1968 erano montate cinque teleferiche, di cui una sola con arrivo sulla sponda sinistra.
BGE 97 I 872 S. 874
Con l'entrata in esercizio della n. 13, è vietato l'attraversamento della stessa con cavi aerei e quindi il mantenimento di stazioni di teleferiche sulla sponda destra del fiume. Di conseguenza, le possibilità di disboscamento di una parte delle selve sono diminuite o, comunque, rese più difficili e costose. Difatti le stazioni di arrivo sulla sponda sinistra si avvicinano maggiormente al pendio e riducono le possibilità di trasporto in elevazione ed in derivazione. Se si dovesse eseguire un traino a mano, l'economicità del taglio dei boschi ne risentirebbe in misura sensibile, forse decisiva. Le possibilità attuali per impianti di teleferiche si distribuiscono su circa nove punti, tutti situati sulla sponda sinistra. I proprietari di boschi che possedevano o possiedono tuttora terreno sulla sponda destra si vedono privati della possibilità di costruire stazioni di arrivo sul proprio terreno. Ne deriva, a mente degli interessati, una svalutazione di talune particelle boschive o di parti di esse.
B.-
La Comunione ereditaria fu Enrichetta Gemetti è proprietaria della particella n. 866 di Lumino, di complessivi mq 3739. Tale fondo è espropriato in via definitiva su una superficie di mq 14; i residui mq 3725 sono invece compiti dall'occupazione temporanea. Inizialmente, il citato mappale apparteneva ad Enrichetta Gemetti; esso è poi trapassato, per successione ereditaria, al marito Claudio Gemetti e ai figli Gustavo Gemetti e Teresina Biondina nata Gemetti. Nel frattempo è decesso anche Claudio Gemetti, e la comunione ereditaria è ora limitata ai due figli.
Claudio Gemetti era a sua volta proprietario della particella n. 1240 di Lumino, costituita d'una selva di mq 25 969, posta sulla sponda sinistra della Moesa. Per il trasporto del legname, egli usufruiva di una teleferica, la cui stazione di arrivo giaceva sulla citata particella 866. L'espropriazione (in parte definitiva, in parte temporanea) di quest'ultimo fondo ha determinato la soppressione della teleferica. L'esercizio della strada nazionale ne impedisce il ripristino.
Il 3 aprile 1968 Claudio Gemetti, a nome degli eredi, ha chiesto davanti alla Commissione federale di stima del VII circondario, in particolare, "un indennizzo per il filo a sbalzo che durante l'occupazione non potrà essere servito e che serve una selva di una superficie di oltre 50 000 mq". Successivamente, il 26 giugno 1968 egli ha presentato alla Commissione una "domanda di risarcimento per rimozione filo a sbalzo". Ivi
BGE 97 I 872 S. 875
egli espone che, fin dal 1925, un filo a sbalzo avente termine sulla part. 866 viene utilizzato per il trasporto del legname dal bosco al n. 1240. Chiede pertanto che l'espropriante abbia ad installare, a proprie spese, un nuovo filo sulla sponda sinistra del fiume ed a risarcire con fr. 10 000.-- le maggiori spese di trasporto della legna provocate dalla maggior distanza da percorrere. Qualora, invece, il ripristino del filo non sia più possibile, esige un'indennità di fr. 20 000.-- per diminuzione di valore del bosco. In una precedente udienza di conciliazione davanti alla Commissione, svoltasi il 20 giugno 1968, Claudio Gemetti aveva chiesto fr. 10 000.-- "per l'allontanamento del filo".
C.-
Mediante decisione del 1. giugno 1970 la Commissione federale di stima ha attribuito agli espropriati, privati della possibilità di utilizzare la teleferica, sita sul terreno n. 866, per lo sgombero del legname dal bosco un'indennità a titolo di inconvenienti di fr. 8000.--.
D.-
Lo Stato del cantone Ticino, quale ente espropriante, ha impugnato questa decisione mediante un ricorso di diritto amministrativo. Chiede lo stralcio dell'indennità attribuita per la soppressione del filo a sbalzo.
L'espropriata ha interposto un ricorso adesivo, nel quale chiede l'aumento a fr. 10 000.-- dell'indennità in questione.
Erwägungen
Estratto dei considerandi:
1.
(Quesiti non più litigiosi).
2.
Dal profilo amministrativo, nel cantone Ticino, l'impianto di fili a sbalzo - più propriamente telefori - è disciplinato dalla Legge sulle funi metalliche del 13 dicembre 1912 (art. 21-24). In quanto si tratta di telefori di interesse privato, essi soggiacciono alla concessione dell'ispettorato forestale di circondario (art. 22). Sennonché, il termine di "concessione" usato dal legislatore cantonale è giuridicamente inesatto e deve intendersi nel senso di autorizzazione di polizia, la quale, di regola, non fonda diritti acquisiti (RU 87 I 424 e sentenze ivi citate, 90 I 13 consid. 5 a). Difatti, in concreto, la "concessione" prevista dalla legge cantonale è dettata unicamente da motivi di sicurezza ed intende preservare persone e cose dai pericoli inerenti all'esercizio della teleferica. L'art. 24 della legge impone la prestazione di una cauzione a garanzia del risarcimento di eventuali danni procurati a terzi.
BGE 97 I 872 S. 876
Non è quindi dall'esistenza di siffatta concessione (recte: autorizzazione) che il titolare può dedurre diritti nei confronti dell'espropriante.
3.
Dal profilo civile, una teleferica costituisce una condotta, che cade sotto l'art. 676 CC, se è costituita come servitù, ed è disciplinata, invece, dall'art. 691 CC, se esiste in virtù dei rapporti di vicinato (art. 676 cpv. 2 CC). La nozione di condotta è eguale nei due articoli (HAAB, N. 9 all'art. 691). L'art. 21 della già citata legge cantonale dichiara coerentemente che i telefori di utilità privata sono sottoposti alle norme stabilite dagli
art. 691, 692 e 693
CC.
Il proprietario del bosco n. 1240, rispettivamente i suoi successori in diritto, non affermano che fossero al beneficio di una servitù. La costituzione di una servitù esige necessariamente la stipulazione di una convenzione scritta col proprietario del fondo gravato (art. 732 CC) e ciò anche se si tratta della servitù di condotta di cui all'art. 676 CC (HAAB, N. 9, MEIER-HAYOZ, N. 20 all'art. 676). Del resto, in concreto, la costituzione di una servitù appare poco probabile già per il fatto che la teleferica, pur attraversando fondi di terzi, aveva la propria stazione di arrivo su un terreno appartenente alla moglie del proprietario del bosco.
Più probabile e verosimile è che il diritto di condotta si fondi sull'art. 691 CC. Non basta però che le condizioni di legge siano date. Occorre che l'interessato faccia valere con successo la pretesa fondata sul citato articolo e sia in grado di esibire sia una sentenza favorevole sia l'accordo del proprietario del fondo gravato. Tra le condizioni dell'art. 691 CC figura il pagamento di un'indennità; se la messa in esercizio della condotta avviene prima di tale pagamento, il proprietario del fondo gravato può insorgere contro la turbativa sia con un'azione negatoria sia con un'azione possessoria (HAAB, N. 10, LEEMANN, N. 25-26 all'art. 691). Inoltre, è indispensabile che la condotta non possa essere compiuta senza servirsi del fondo stesso o senza spese eccessive (art. 691 cpv. 1 in fine CC).
L'autorizzazione impartita dalle autorità amministrative non pregiudica in nessuna maniera la questione di sapere se l'interessato possa invocare, per la costituzione del diritto di condotta, i rapporti di vicinato (HAAB, N. 2 in fine all'art. 691).
Gli elementi di fatto che risultano dall'incarto e gli accertamenti eseguiti dalla Commissione non permettono tuttavia di
BGE 97 I 872 S. 877
rispondere a tali questioni. È opportuno che i fatti vengano completati dalla stessa Commissione.
4.
Se dovesse risultare che Claudio Gemetti, rispettivamente i suoi successori in diritto, vantano un diritto di condotta per l'uso del teleforo fondato sull'art. 691 CC, bisognerebbe allora statuire l'obbligo dell'espropriante al versamento di una indennità. Rapporti di vicinato possono, difatti, formare oggetto di espropriazione, sia che essi vengano soppressi sia che vengano semplicemente ridotti (art. 5 LEspr. HESS, N. 3-4 all'art. 5 LEspr.). Nell'ipotesi considerata, l'esercizio dell'autostrada conforme alla sua destinazione provocherebbe perlomeno una limitazione del diritto dei proprietari del bosco, dedotto dal diritto di vicinato, di usufruire di una teleferica per il trasporto della legna, obbligandoli a stabilire, d'ora in poi, la stazione di arrivo sulla sponda sinistra del fiume, con tutti gli inconvenienti ed il danno già rilevati dall'istanza inferiore. Ai proprietari dovrebbe esser riconosciuta la qualità di espropriati, anche se essi non devono cedere all'espropriante nessuna superficie del bosco.
La situazione non è dissimile da quella che ha giustificato il riconoscimento della qualità di espropriati ed il diritto ad un'indennità ai proprietari che, pur non dovendo cedere nessuna superficie all'espropriante, si vedono colpiti nei loro diritti di vicinato dalle immissioni eccessive provenienti dall'opera dell'espropriante (RU 94 I 297 e segg., 95 I 493/494).
Qualora, invece, le premesse dell'art. 691 CC non fossero adempiute, bisognerebbe concludere che i proprietari dei fondi attraversati dalla teleferica non hanno assunto che un impegno di portata obbligatoria o accordato una semplice concessione precaria (HAAB, N. 2 all'art. 691) e che i proprietari del bosco non sono titolari che di un diritto personale, non suscettibile di essere espropriato ed indennizzato.
5.
e 6. - ...
Dispositiv
Il Tribunale fedederale pronuncia:
Il ricorso dell'espropriante è accolto e la causa rinviata alla precedente istanza per nuovo giudizio nel senso dei considerandi. | public_law | nan | it | 1,971 | CH_BGE | CH_BGE_001 | CH | Federation |
c994640d-e21b-4b6e-aaf0-badb7172be29 | Urteilskopf
112 V 139
23. Extrait de l'arrêt du 15 avril 1986 dans la cause Gapany contre Service cantonal fribourgeois de l'assurance-chômage et Commission cantonale fribourgeoise de recours en matière d'assurance-chômage | Regeste
Art. 42 Abs. 2 AVIG
,
Art. 65 Abs. 1 AVIV
: Schlechtwetterentschädigung.
Der Ausschluss der Geometer und ihrer Gehilfen von der Liste der Erwerbszweige mit Anspruch auf die Schlechtwetterentschädigung ist weder gesetz- noch verfassungswidrig. | Erwägungen
ab Seite 139
BGE 112 V 139 S. 139
Extrait des considérants:
2.
a) En vertu de l'
art. 42 LACI
, les travailleurs qui exercent leur activité dans des branches où les interruptions de travail sont fréquentes, en raison des conditions atmosphériques, ont droit à l'indemnité en cas d'intempéries lorsque leur employeur est tenu de cotiser à l'assurance et qu'ils subissent une perte de travail à prendre en considération (alinéa 1). Le Conseil fédéral détermine les branches dans lesquelles l'indemnité peut être versée (alinéa 2).
Selon l'
art. 43 al. 1 let. a LACI
, la perte de travail est prise en considération lorsque, entre autres conditions, elle est causée par des conditions atmosphériques contraignantes.
BGE 112 V 139 S. 140
Conformément à l'
art. 65 al. 1 OACI
, dans sa teneur en vigueur jusqu'à fin juin 1985, l'indemnité en cas d'intempéries peut être versée dans les branches suivantes:
a. Bâtiment et génie civil, charpenterie, taille de pierre et carrières;
b. Extraction de sable et gravier;
c. Construction de voies ferrées et de conduites en plein air;
d. Aménagements extérieurs (jardins);
e. Sylviculture et extraction de tourbe, dans la mesure où ces activités ne sont pas exercées accessoirement à une exploitation agricole;
f. Extraction de terre glaise et tuilerie;
g. Pêche professionnelle.
Cette liste a été augmentée des let. h et i lors de la modification de l'OACI du 25 avril 1985, en vigueur depuis le 1er juillet 1985:
h. Transports dans la mesure où les véhicules sont occupés exclusivement au transport de matériaux d'excavation et de construction vers ou à partir des chantiers ou au transport de matériaux provenant de lieux d'extraction de sable et de gravier;
i. Scierie.
b) La branche des ingénieurs géomètres n'est pas mentionnée expressément dans la liste figurant à l'
art. 65 al. 1 OACI
. Ainsi que le Tribunal fédéral des assurances l'a jugé dans l'arrêt non publié Keller AG du 23 janvier 1986, cette branche d'activité ne peut être rattachée à aucune de celles qui y sont énumérées de façon en principe exhaustive, notamment à la branche "bâtiment et génie civil". A cet égard, il faut comprendre les termes "bâtiment et génie civil" dans un sens étroit, ce qui ressort notamment du fait que la charpenterie et la taille de pierre sont expressément mentionnées à la let. a de la disposition réglementaire précitée. En effet, cette mention serait inutile si la notion de "bâtiment" devait être prise dans une acception large, puisque la charpenterie et la taille de pierre font aussi partie des travaux du bâtiment - dépendants des conditions atmosphériques - en relation directe avec la construction. Pour cette raison déjà, on doit admettre que si le Conseil fédéral avait voulu inclure les ingénieurs géomètres dans la liste en question, il les aurait expressément mentionnés parmi les branches d'activité avec droit à l'indemnité en cas d'intempéries, dès lors qu'ils n'exécutent pas eux-mêmes les travaux de construction proprement dits mais en assurent le projet. Cette intention de l'autorité exécutive est du reste confirmée par le rejet, lors des travaux préparatoires de la révision de l'
art. 65 al. 1 OACI
BGE 112 V 139 S. 141
du 25 avril 1985, de la proposition de compléter la liste des branches d'activité avec droit à l'indemnité en cas d'intempéries par la mention expresse de l'arpentage, pour le personnel qui peut être occupé exclusivement en plein air (procès-verbal de la séance de la commission de surveillance du fonds de compensation de l'assurance-chômage du 9 novembre 1984, p. 4). Aussi, par rapport aux termes "Hoch- und Tiefbau" utilisés dans la version allemande de l'ordonnance, ni le texte français "bâtiment et génie civil" ni la version italienne "edilizia e genio civile" ne permettent-ils une interprétation extensive de cette disposition réglementaire.
Or, le point de savoir si une branche d'activité est comprise ou non dans la liste figurant à l'
art. 65 al. 1 OACI
relève de la nature et du caractère du groupe de professions concerné. C'est pourquoi les activités particulières qu'englobe la profession d'ingénieur géomètre, tel le travail d'aide-géomètre, ne peuvent être rattachées ou assimilées pour elles-mêmes à une autre branche d'activité mentionnée dans cette liste, comme par exemple le génie civil. Ne saurait dès lors être décisif le fait que l'arpentage, qui n'est qu'une partie de l'activité d'ingénieur géomètre, se fait en plein air au même titre que d'autres travaux de génie civil.
3.
Du moment qu'il n'est pas possible de rattacher la profession d'ingénieur géomètre à l'une des branches d'activité énumérées à l'
art. 65 al. 1 OACI
, on doit se demander si l'exclusion de cette profession de la liste des branches d'activité avec droit à l'indemnité en cas d'intempéries est conforme à la loi et à la Constitution. C'est ce que la Cour de céans a admis dans l'arrêt Keller AG déjà cité, pour les raisons suivantes:
a) (Contrôle de la légalité des ordonnances d'exécution prises par le Conseil fédéral:
ATF 111 V 107
consid. 2c/aa.)
b) En vertu de l'
art. 42 al. 2 LACI
, le Conseil fédéral détermine les branches d'activité dans lesquelles l'indemnité en cas d'intempéries peut être versée. Mis à part le fait que, selon l'
art. 42 al. 1 LACI
(de même rang), il doit s'agir de branches où les interruptions de travail sont fréquentes en raison des conditions atmosphériques, la loi ne donne aucune indication sur la manière dont l'autorité exécutive doit user de la délégation de compétence qui lui est conférée. Aussi le Conseil fédéral jouit-il d'une liberté d'appréciation très étendue et notamment de la compétence, dans les limites de l'interdiction de l'arbitraire, d'énumérer dans une liste en principe exhaustive les branches d'activité pour lesquelles l'indemnité en cas d'intempéries peut être versée. Cette
BGE 112 V 139 S. 142
liberté pouvait donc s'exercer aussi bien dans le sens de l'admission dans ladite liste de branches d'activité au sujet desquelles on pouvait avec raison être partagé sur le point de savoir si elles devaient donner droit à l'indemnité en question, qu'inversement dans le sens de l'exclusion de la liste d'autres branches qui, à plus d'un titre, auraient mérité d'y figurer.
c) Au vu de ce qui précède et étant donné que la détermination des branches d'activité donnant droit à l'indemnité en cas d'intempéries est essentiellement une affaire d'ordre politique, le Tribunal fédéral des assurances use de retenue dans l'examen de la légalité et de la constitutionnalité de l'
art. 65 al. 1 OACI
.
Or, il résulte clairement de la genèse de la loi, en particulier des débats parlementaires, que les branches d'activité avec droit à l'indemnité en cas d'intempéries devaient être déterminées de façon restrictive, afin d'éviter que l'assurance-chômage couvre toutes sortes d'interruptions de travail pour cause d'intempéries. Ceci ressort notamment du rapport de l'Office fédéral de l'industrie, des arts et métiers et du travail (OFIAMT) à la Commission du Conseil national, du 16 mars 1981, ainsi que du procès-verbal de la séance des 9/10 avril 1981 de cette commission (cf. WEBER, p. 14) et des procès-verbaux des séances de la Commission du Conseil des Etats des 17/18 août 1981 (voir KÜNDIG, p. 7) et des 11/12 novembre 1981 (cf. BONNY, p. 17, pour qui la pratique existant jusque-là ne devait en aucun cas être élargie).
Dès lors, on ne saurait, dans un cas d'espèce, rechercher les différences plus ou moins frappantes pouvant exister entre les branches d'activité afin de justifier le fait qu'une branche n'est pas mentionnée dans la liste figurant à l'
art. 65 al. 1 OACI
et que le Conseil fédéral a exercé son pouvoir d'appréciation dans ce sens, d'autant moins que des critères de délimitation aisément praticables font défaut. Bien plutôt ne peut-on conclure à l'arbitraire que s'il existe des circonstances qui font apparaître l'exclusion d'une branche d'activité comme constituant une inégalité de traitement manifestement injustifiée. En pratique, toutefois, un tel cas ne saurait être que très exceptionnel dans le cas de la liste qui figure à l'
art. 65 al. 1 OACI
, laquelle - au même titre que les autres listes qu'on trouve dans le droit des assurances sociales - est un instrument destiné à limiter les prétentions des assurés aux prestations d'assurance. | null | nan | fr | 1,986 | CH_BGE | CH_BGE_007 | CH | Federation |
c9949823-72ad-4b2f-b6a6-b307f6929f2c | Urteilskopf
120 Ia 265
41. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Dezember 1994 i.S. Steinemann AG gegen Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen; politische Gemeinde Oberuzwil (staatsrechtliche Beschwerde) | Regeste
Art. 4 BV
: Gesetzliche Grundlage von Abgaben, Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip.
Bundesverfassungsrechtliche Anforderungen an die Rechtsgrundlage für die Erhebung von kommunalen Erschliessungsabgaben; eine Blankodelegation an die Gemeinde-Exekutive genügt nicht (E. 2). | Sachverhalt
ab Seite 265
BGE 120 Ia 265 S. 265
Im Jahre 1987 wurde die Liegenschaft Nr. 1712 der Steinemann AG in Oberuzwil/SG an das Abwasserkanalisationsnetz angeschlossen. Die Gemeinde Oberuzwil veranlagte die Grundeigentümerin am 18. April 1988 für verschiedene Gebäude (Fabrikhalle, Verwaltungs- und Lagergebäude, Schuppen) mit Gewässerschutzbeiträgen von insgesamt Fr. 231'735.--. Eine hiergegen erhobene Einsprache wies der Gemeinderat am 11. Januar 1991 ab.
Die Steinemann AG verlangte mit Rekurs vom 22. Januar/22. Februar 1991, den Einspracheentscheid und die Rechnungsverfügungen vollumfänglich
BGE 120 Ia 265 S. 266
aufzuheben und die Gewässerschutzbeiträge auf "total und maximal" Fr. 80'000.-- festzusetzen. Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen wies den Rekurs am 18. Mai 1992 ab. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen mit Urteil vom 27. November 1992 abgewiesen.
Die Steinemann AG hat staatsrechtliche Beschwerde eingereicht und beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung von
Art. 4 BV
(Anspruch auf rechtliches Gehör, Akteneinsichtsrecht, Willkür, Verbot des überspitzten Formalismus) sowie der Grundsätze der Gesetzmässigkeit (Legalitätsprinzip), der Gewaltentrennung und der Verhältnismässigkeit.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kommt dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage im Abgaberecht die Bedeutung eines verfassungsmässigen Rechts zu, dessen Verletzung selbständig, unmittelbar gestützt auf
Art. 4 BV
, mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend gemacht werden kann (G. MÜLLER in Kommentar BV, Art. 4, Rz. 78; WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 70, mit Hinweisen).
Öffentliche Abgaben der hier zur Diskussion stehenden Art bedürfen nach ständiger Rechtsprechung in aller Regel der Grundlage in einem formellen Gesetz, d.h. normalerweise in einem dem Referendum unterstehenden Erlass. Delegiert das Gesetz die Kompetenz zur (rechtssatzmässigen) Festsetzung einer Abgabe an den Verordnungsgeber, so muss es zumindest den Kreis der Abgabepflichtigen sowie Gegenstand und Bemessungsgrundlage der Abgabe selber festlegen. Dieser Grundsatz kann gelockert werden, wenn dem Bürger die Überprüfung der Abgabe auf ihre Rechtmässigkeit anhand von verfassungsrechtlichen Prinzipien (Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip) offensteht, so dass nicht allein der Gesetzesvorbehalt diese Schutzfunktion erfüllt (
BGE 120 Ia 1
E. 3c S. 3, mit Hinweisen). Das Gesagte gilt auch dort, wo die Regelungskompetenz - aufgrund einer einschlägigen Kompetenzausscheidung - bei der Gemeinde liegt. Ein kommunaler Erlass kann einem eigentlichen formellen Gesetz gleichgestellt werden, wenn er von der nach dem kantonalen Recht ermächtigten Gemeindelegislative (Gemeindeversammlung oder -parlament) beschlossen wurde oder aber dem
BGE 120 Ia 265 S. 267
(obligatorischen oder fakultativen) Referendum unterstand (vgl. RHINOW/KRÄHENMANN, Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Nr. 12 Ziff. VII S. 34; vgl. auch
BGE 97 I 792
E. 7 S. 804 f.,
BGE 118 Ia 320
E. 3 S. 323 f., mit Hinweisen; Urteil des Obergerichts Schaffhausen vom 23. Februar 1979 in: ZBl 80/1979 S. 78 ff.); eine Blankodelegation an die Gemeindeexekutive zur Festsetzung von öffentlichen Abgaben vermag hingegen dem Erfordernis der gesetzlichen Grundlage nicht zu genügen (vgl.
BGE 118 Ia 320
ff. betreffend Gebühren für die Trinkwasserversorgung).
b) Das sanktgallische Einführungsgesetz zum eidgenössischen Gewässerschutzgesetz enthält unter anderem Bestimmungen über die von den Gemeinden zwecks Finanzierung der Abwasserentsorgung zu erhebenden Beiträge (Art. 12-15 EGzGschG). Ob es sich dabei um eine Kompetenzausscheidung zwischen Kanton und Gemeinden handelt, wie das Verwaltungsgericht annimmt, oder um eine Delegation an den kommunalen Gesetzgeber (vgl. dazu grundsätzlich YVO HANGARTNER, Rechtsetzung durch Gemeinden, in: Aktuelle Probleme des Staats- und Verwaltungsrechts, Festschrift für Otto K. Kaufmann, Bern und Stuttgart 1989, S. 209 ff.), kann offenbleiben. Die kantonalen Vorgaben sind jedenfalls nicht bereits derart bestimmt, dass die erforderliche Konkretisierung unmittelbar durch eine Verordnung der Gemeindeexekutive erfolgen könnte. Das Verwaltungsgericht sieht die formell-gesetzliche Grundlage denn auch - zu Recht - nicht in diesen kantonalen Bestimmungen, sondern im kommunalen Reglement vom 14. Mai 1974 über die Finanzierung der Aufwendungen für den Gewässerschutz (GFR). Die Voraussetzungen, die es rechtfertigen würden, das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage zu lockern, sind vorliegend nicht gegeben: Wo es wie hier um die Finanzierung von kommunalen Versorgungsanlagen mit offenem Benützerkreis und nicht klar abgrenzbaren Kosten (für Erweiterungen, Sanierungen, Unterhalt, Rückstellungen usw.) geht, vermag weder das Kostendeckungs- noch das Äquivalenzprinzip eine wirksame Begrenzung der Gebühren und Beiträge sicherzustellen und damit die dem Gesetzesvorbehalt zugedachte Schutzfunktion zugunsten des Abgabepflichtigen zu übernehmen; insbesondere ist mit der blossen Feststellung, dass der Gesamtertrag der Abgaben die Gesamtkosten der Anlage nicht übersteigen und dass die Abgabe nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der Leistung stehen darf beziehungsweise sich in vernünftigen Grenzen bewegen muss, noch nicht gesagt, in welcher Form und in welchem Ausmass die
BGE 120 Ia 265 S. 268
einzelnen Benützerkategorien zur Finanzierung herangezogen werden sollen (vgl.
BGE 118 Ia 320
E. 4 S. 325 f.). Das fragliche Gebührenreglement wurde vom Gemeinderat (Exekutive) erlassen und unterstand dem (fakultativen) Referendum unbestrittenermassen nicht; es stellt insofern, wie die Beschwerdeführerin zu Recht kritisiert, keine taugliche, den bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen (
Art. 4 BV
) genügende Rechtsgrundlage für die Erhebung der streitigen Beiträge dar. Daran ändert nichts, dass die gewählte Rechtsform offenbar dem damaligen kantonalen Organisationsrecht entsprach und dass das gemeinderätliche Reglement seinerzeit öffentlich aufgelegt und anschliessend vom Baudepartement genehmigt worden war; dieses Prozedere vermochte die nach Bundesverfassungsrecht erforderliche demokratische Beschlussfassung nicht zu ersetzen.
c) Die Gemeinde Oberuzwil wendet in der Vernehmlassung vor Bundesgericht freilich ein, das "heute unverändert gültige GFR vom 14. Mai 1974" sei durch das am 2. Mai 1984 erlassene kommunale Abwasserreglement, das seinerseits dem fakultativen Referendum unterstellt worden sei, "gedeckt"; dieses halte in Art. 56 wörtlich fest: "Die einmaligen Anschlussbeiträge und die jährlichen Betriebsgebühren werden in einem Reglement über die Finanzierung der Aufwendungen für den Gewässerschutz festgelegt".
Wäre davon auszugehen, dass mit dem neuen, unter dem Vorbehalt des fakultativen Referendums zustandegekommenen Abwasserreglement (AR) gleichzeitig das hier fragliche Gebührenreglement von 1974 (GFR) nachträglich genehmigt wurde, so bestünde für die streitigen Abgaben in der Tat eine genügende gesetzliche Grundlage. Für diese Auffassung liesse sich wohl anführen, dass die Formulierung in Art. 56 AR genau dem Titel des Gebührenreglements von 1974 entspricht und dass die Stimmbürger davon ausgehen mussten, dieses solle zumindest bis zum Erlass eines neuen Reglements Grundlage für die weitere Erhebung der Abgaben bilden. Doch sprechen überwiegende Gründe gegen diese Betrachtungsweise: Weder in den Abstimmungsunterlagen zum Abwasserreglement 1984 noch in der Vorlage selber wurde das Gebührenreglement 1974 (GFR) erwähnt; es kann deshalb nicht unterstellt werden, der Stimmbürger habe dieses zusammen mit dem Abwasserreglement (wenn auch nur vorläufig) genehmigt. Andernfalls müsste nämlich gefolgert werden, dass im Fall der Ablehnung des Abwasserreglements 1984 zugleich auch das Gebührenreglement 1974 seine Geltungskraft verloren hätte; eine Konsequenz, die sich offensichtlich nicht vertreten liesse und die von keiner Seite auch nur erwogen wurde. In Wirklichkeit hatte der
BGE 120 Ia 265 S. 269
Stimmbürger (auch) mit der Abstimmung über das Abwasserreglement im Jahre 1984 keine Möglichkeit, in bundesverfassungsrechtlich genügender Weise am umstrittenen Gebührenreglement 1974 mitzuwirken. Die hierauf gestützten angefochtenen Beiträge verletzen somit das Legalitätsprinzip (im Abgaberecht), weshalb das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben ist. | public_law | nan | de | 1,994 | CH_BGE | CH_BGE_002 | CH | Federation |
c99fcfcc-ee7f-4287-bd08-ae15e1d22d9b | Urteilskopf
107 Ib 205
37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. Dezember 1981 i.S. Swissair Schweizerische Luftverkehr AG, gegen Eidg. Zollrekurskommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | Regeste
Zollgesetz; Zollmelde- und Zollzahlungspflicht.
Als Person, die eine Ware über die Grenze bringt, gilt im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZG
auch, wer nach dem Grenzübertritt, aber vor Beendigung des Zollabfertigungsverfahrens in Beziehung zur Ware tritt. Im internationalen Luftverkehr trifft dies auch auf die Abfertigungsagenten der die Schweiz anfliegenden Fluggesellschaften zu, welche für das Inland bestimmte Waren mitführen. | Sachverhalt
ab Seite 206
BGE 107 Ib 205 S. 206
Mit PAN AM Flug 141 traf am 1. Oktober 1977 in Zürich-Kloten ein Paket Bijouteriewaren (brutto 4,2 kg) ein. Die Sendung war an die Spediteurin Jacky Maeder AG in Zürich-Flughafen adressiert. Das Paket wurde nach der Landung des Flugzeugs von der SWISSAIR als Abfertigungsagentin der PAN AM übernommen und beim Zollamt Zürich-Flughafen mittels "CARIDO-System" unter Zollkontrolle gestellt. Diese Art der Zollkontrolle stützt sich auf eine Vereinbarung zwischen der Oberzolldirektion und der SWISSAIR vom 6. Mai 1977. Das Paket wurde in der Importhalle des Flughafens gelagert. Am 7. Oktober 1977 meldete Jacky Maeder AG die Sendung dem Zollamt Zürich-Flughafen zur Freipassabfertigung an. Als das Paket zur Revision gestellt werden sollte, war es in der Einfuhrhalle nicht mehr aufzufinden. Es blieb seither verschwunden.
Mit provisorischer Zollquittung vom 24. Oktober 1977 belastete das Zollamt Zürich-Flughafen die SWISSAIR mit den die fragliche Sendung betreffenden Einfuhrabgaben. Die SWISSAIR leistete die geforderten Abgaben, forderte aber am 20. Dezember 1977 die Zollverwaltung auf, ihr den provisorisch belasteten Betrag gutzuschreiben, weil die PAN AM die Ware über die Grenze gebracht habe und damit zollzahlungspflichtig sei. Auf Weisung der Oberzolldirektion lehnte die Direktion des II. Zollkreises das Begehren der SWISSAIR mit Verfügung vom 20. März 1978 gestützt auf Art. 13 und 29 Abs. 2 Zollgesetz (ZG; SR 631.0) ab.
Gegen diese Verfügung beschwerte sich die SWISSAIR auf dem Wege des Sprungrekurses (
Art. 47 Abs. 2 VwVG
) bei der Eidg. Zollrekurskommission. Mit Entscheid vom 16. Dezember 1978 wies die Eidg. Zollrekurskommission die Beschwerde ab. Gegen dieses Urteil richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der SWISSAIR. Sie verlangt, die Zollbehörden seien zu verpflichten, ihr den geleisteten Betrag zurückzuerstatten. Die Eidg. Oberzolldirektion beantragt die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2.
a) Gemäss
Art. 13 Abs. 1 ZG
obliegt die Zollzahlungspflicht dem Zollmeldepflichtigen, den übrigen in Art. 9 genannten Personen, sowie demjenigen, für dessen Rechnung die Waren eingeführt oder ausgeführt worden sind. Diese Personen haften
BGE 107 Ib 205 S. 207
solidarisch für die geschuldete Abgabe. Der Rückgriff unter ihnen richtet sich nach den Bestimmungen des Zivilrechts. Wie das Bundesgericht wiederholt festgestellt hat, zog der Gesetzgeber den Kreis der Zollzahlungspflichtigen weit, um die Einbringlichkeit der Abgabeforderung zu erleichtern (
BGE 107 Ib 200
E. b
;
89 I 545
). Die Zollbehörde kann auf einen beliebigen Zollzahlungspflichtigen greifen. Es ist dessen Sache, seine auf Zivilrecht gründende Rückgriffsforderung geltend zu machen.
Der Zollmelde- und damit der Zollzahlungspflicht unterliegt, wer eine Ware über die Grenze bringt sowie dessen Auftraggeber (
Art. 9 Abs. 1 ZG
). Die schweizerische Zollgrenze fällt grundsätzlich mit der politischen Landesgrenze zusammen (
Art. 2 Abs. 1 ZG
). Nichts anderes gilt im Luftverkehr (Art. 3 Abs. 1 Luftzollordnung, SR 631.254.1), auch wenn die Ware nach der Landung in ein Zollfreilager verbracht wird, das als Zollausland betrachtet wird (
Art. 2 Abs. 3 ZG
). Mit dem Überqueren der Landesgrenze sind der Führer des Luftfahrzeuges oder der Reisende oder deren Beauftragter daher zollmeldepflichtig (
Art. 29 Abs. 2 ZG
). Damit ist der Transport über die Grenze jedoch nicht vollendet. Der Grenzübertritt im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZG
umfasst auch das zollrechtliche Abfertigungsverfahren, welches erst mit der Ausstellung der Zollquittung seinen Abschluss findet (
Art. 62 ZG
). Grenzübergang und Zollabfertigung stehen in einem engen funktionalen Zusammenhang, obwohl beide Vorgänge örtlich und zeitlich auseinanderfallen können. Zollfreilager und Zollamt stehen derart in Verbindung mit der Zollgrenze, dass als Warenführer im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZG
folglich auch gilt, wer nach dem Grenzübergang aber vor Beendigung des Zollabfertigungsverfahrens in Beziehung zur Ware tritt; dies betrifft insbesondere Personen, welche die Ware dem Zollamt zuführen und unter Zollkontrolle stellen (
Art. 30 Abs. 1 ZG
). Es ist nicht zu verkennen, dass diese an der Warenbewegung und der Erfüllung der Zollmeldepflichten in einem mindestens gleichen Masse beteiligt sind wie derjenige, der die Ware über die Zollgrenze führt. Nichts anderes folgt aus
Art. 29 Abs. 2 ZG
. Wer die Ware nach Grenzübertritt vom Luftfrachtführer oder vom Reisenden übernimmt und den Zollbehörden zuführt, handelt regelmässig als deren Beauftragter. Insofern stellt der "Beauftragte" nur eine Konkretisierung des Begriffs des Warenführers dar und erweitert den Kreis der Zollmeldepflichtigen nicht über den Rahmen von
Art. 9 Abs. 1 ZG
hinaus. Bei dieser Sachlage kommt dem in
Art. 29 Abs. 2 ZG
erwähnten Vorbehalt
BGE 107 Ib 205 S. 208
von
Art. 13 ZG
keine selbständige Bedeutung zu. Er bringt zum Ausdruck, dass mit der Meldepflicht die Zollzahlungspflicht verbunden ist, wie sich dies bereits aus Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 13 Abs. 1 ZG
ergibt.
b) Im vorliegenden Fall war der Grenzübertritt nicht abgeschlossen, als die Maschine der PAN AM in Zürich landete, die Ware ausgeladen, unter Zollkontrolle gestellt und in der Importhalle eingelagert wurde. Nach dem Gesagten gilt als Warenführer im Sinne von
Art. 9 Abs. 1 ZG
jedermann, der nach dem Überfliegen der Zollgrenze und bis zur Annahme der Zolldeklaration die Verfügungsmacht über die Ware besass. Dies trifft unter anderem auf die Beschwerdeführerin, bzw. deren Angestellten zu, indem sie als Abfertigungsagentin die Ware übernahm, unter Zollkontrolle stellte und in der Frachthalle einlagerte. In ihrer Eigenschaft als Warenführerin ist sie zollmeldepflichtig und sie hat für die Verzollung der Ware einzustehen. Die Höhe des geschuldeten Zolles ist nicht bestritten. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde. | public_law | nan | de | 1,981 | CH_BGE | CH_BGE_003 | CH | Federation |
c9a28821-76cb-40c8-a49b-72988c61200a | Urteilskopf
119 II 9
3. Extrait de l'arrêt de la IIe Cour civile du 5 mars 1993 dans la cause X. contre Autorité de surveillance des tutelles du canton de Genève (recours en réforme) | Regeste
Art. 311 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
; Entziehung der elterlichen Gewalt gegenüber einem für lange Zeit inhaftierten Vater.
Die Verbüssung einer langfristigen Freiheitsstrafe durch den Vater, in einer gewissen Entfernung vom Wohnort der Kinder, kann mit der Ortsabwesenheit im Sinne von
Art. 311 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB
als analogem Tatbestand verglichen werden: sie hindert den Vater, allen Verpflichtungen nachzukommen, welche die elterliche Gewalt mit sich bringt. | Sachverhalt
ab Seite 9
BGE 119 II 9 S. 9
A.-
a) Les époux X. ont eu deux filles nées le 18 janvier 1987 et le 11 mai 1988.
Le 12 juillet 1990, X. a tué sa femme. Par arrêt du 14 octobre 1991, entré en force de chose jugée, la Cour d'assises du canton de Genève l'a condamné à treize ans de réclusion: la sortie de prison est prévue pour le 10 octobre 2003; les deux tiers de la peine seront atteints le 10 mai 1999.
b) Le Service de protection de la jeunesse a proposé à la Chambre des tutelles de retirer au père la garde des enfants et de la confier à Y., avec adjonction d'une curatelle de représentation. La Chambre des tutelles a pris une décision conforme à ces propositions.
BGE 119 II 9 S. 10
c) Le 7 décembre 1990, X. a recouru contre cette décision. Il demandait qu'il fût dit: a) que, au moment, de sa libération, la garde de ses filles lui sera restituée et que les fonctions de curateur d'Y. prendront fin; b) que, pendant la durée de la garde et de la curatelle d'Y., il sera consulté sur toutes les affaires importantes; c) qu'il bénéficiera d'un large droit de visite.
Y. ayant pris l'engagement de consulter X. sur toutes les questions importantes relatives à ses filles et de faciliter les visites de celles-ci à la prison, la cause a été suspendue.
d) Le 18 septembre 1992, la Chambre des tutelles a invité l'Autorité cantonale de surveillance à examiner la possibilité de prononcer à l'endroit de X. un retrait de l'autorité parentale.
B.-
Par décision du 11 décembre 1992, l'Autorité cantonale de surveillance a retiré à X. l'autorité parentale sur ses deux filles, invité la Chambre des tutelles à statuer conformément à l'art. 311 al. 2 CC et constaté que le recours interjeté contre la décision de la Chambre des tutelles du 7 décembre 1990 était devenu sans objet.
C.-
X. a recouru en réforme au Tribunal fédéral. Il demandait, pour l'essentiel, qu'il fût dit qu'il n'y a pas lieu de lui retirer l'autorité parentale.
Le Tribunal fédéral a rejeté le recours.
Erwägungen
Extrait des considérants:
4.
Aux termes de l'art. 301 al. 1 CC, les père et mère déterminent les soins à donner à l'enfant, dirigent son éducation en vue de son bien et prennent les décisions nécessaires, sous réserve de sa propre capacité. Ainsi, le droit actuel prévoit que l'autorité parentale est le pouvoir légal des parents de prendre les décisions nécessaires pour l'enfant mineur et constitue la base juridique de l'éducation et de la représentation de l'enfant, et de l'administration de ses biens, par les père et mère (cf. CYRIL HEGNAUER/BERNARD SCHNEIDER, Droit suisse de la filiation, 3e éd., Berne 1990, No 25.02, p. 164; ERIC ECKERT, Compétence et procédure au sujet de l'autorité parentale dans les causes matrimoniales, thèse Lausanne 1990, p. 12/13).
a) L'art. 311 al. 1 ch. 1 CC dispose que, lorsque d'autres mesures de protection de l'enfant sont demeurées sans résultat ou paraissent d'emblée insuffisantes, l'autorité tutélaire de surveillance prononce un retrait de l'autorité parentale lorsque, pour cause d'inexpérience, de maladie, d'infirmité, d'absence ou d'autres motifs analogues, les
BGE 119 II 9 S. 11
père et mère ne sont pas en mesure d'exercer correctement l'autorité parentale.
Il faut se montrer particulièrement rigoureux dans l'appréciation des circonstances, puisque le retrait de l'autorité parentale, qui équivaut à la perte d'un droit élémentaire de la personnalité, n'est admissible que si d'autres mesures pour prévenir le danger que court l'enfant - soit les mesures protectrices (art. 307 CC), la curatelle d'assistance (art. 308 CC) et le retrait du droit de garde (art. 310 CC) - sont d'emblée insuffisantes: le principe de la proportionnalité de l'intervention commande une attention particulière (HEGNAUER/SCHNEIDER, op.cit., No 27.46, p. 193; MARTIN STETTLER, Le droit suisse de la filiation, Traité de droit privé suisse, Volume III, tome II, 1, Fribourg 1987, p. 560; RICHARD FRANK, Grenzbereiche der elterlichen Gewalt, in Festschrift für Cyril Hegnauer, Berne 1986, p. 33 ss, spéc. 40; HENRI DESCHENAUX/PAUL-HENRI STEINAUER, Personnes physiques et tutelle, 2e éd., Berne 1986, No 857, p. 234/235).
b) Selon l'autorité cantonale, aussi longtemps que la condamnation du recourant n'était pas définitive, il pouvait apparaître suffisant de lui retirer la garde de ses enfants et de la confier à Y., assortie d'une curatelle de représentation, mais l'entrée en force de l'arrêt de la Cour d'assises constitue un fait nouveau; en effet, dit-elle, l'incarcération du père pour une longue période peut être assimilée à un "motif analogue" à l'absence, au sens de l'art. 311 al. 1 ch. 1 CC.
Cette manière de voir ne heurte pas le droit fédéral. Le recourant prétend que, s'agissant de l'éducation des enfants, aucune question ne se posera avant qu'elles aient atteint l'âge de douze ans, soit respectivement en 1999 et en 2000, époque à laquelle il bénéficiera d'une libération conditionnelle. Mais il oublie que ses filles, âgées maintenant de six et cinq ans, doivent suivre une école et que, de ce fait, diverses mesures devront être prises par leur représentant légal. Or, comme il se trouve incarcéré à une certaine distance de Genève, pour plusieurs années, il n'est pas en mesure d'assumer lui-même ses obligations de père, tandis que le titulaire actuel de la garde n'est pas habilité à agir comme devrait le faire un père ou une mère.
Le recourant affirme aussi que les visites de ses filles à la prison - visites qui seraient nécessaires à leur développement - ont lieu régulièrement et sans problème: ainsi, dit-il, l'absence pendant la période d'incarcération n'est pas telle que tout contact est coupé. Mais les rencontres alléguées ne ressortent pas de la décision attaquée. Au demeurant, supposé même qu'il fût établi qu'elles ont lieu et sont bénéfiques pour les enfants, il n'en découlerait pas que le
BGE 119 II 9 S. 12
recourant est en mesure d'exercer l'autorité parentale: sa condition de détenu ne lui permet manifestement pas de faire tous les actes qu'implique ce pouvoir.
Ainsi, contrairement à ce que prétend le recourant, l'autorité cantonale n'a pas, en statuant comme elle l'a fait, violé le principe de la proportionnalité à observer dans les mesures de protection de l'enfant.
c) La décision déférée aurait pu aussi être fondée sur le chiffre 2 de l'art. 311 al. 1 CC, qui prévoit le retrait de l'autorité parentale lorsque les père et mère manquent gravement à leurs devoirs envers leurs enfants. En effet, le meurtre par le père de la mère des enfants est un manquement grave aux devoirs des parents. | public_law | nan | fr | 1,993 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
c9b04b6b-0a82-4e8b-aea7-606b2919e9f8 | Urteilskopf
84 II 505
70. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. November 1958 i.S. B. gegen E. | Regeste
Berufung an das Bundesgericht. Streitwertangabe (
Art. 55 lit. a OG
). Die Anschlussberufungsschrift (
Art. 61 Abs. 3 OG
) braucht keine solche zu enthalten.
Letztwillige Verfügung. Unter welchen Umständen kann ein Bruchstück eines handgeschriebenen Textes, dessen übrige Teile nicht mehr vorhanden sind, als letztwillige Verfügung anerkannt werden?
Namensparhefte. Hat der Besitzer oder der Titular die Vermutung des Eigentums und Gläubigerrechts für sich? | Sachverhalt
ab Seite 505
BGE 84 II 505 S. 505
A.-
Die am 13. April 1955 in Zürich gestorbene Frau M., die von ihrem ersten Ehemann geschieden worden war und ihren zweiten und dritten Ehemann durch den Tod verloren hatte, hinterliess als gesetzliche Erben ihre beiden Söhne aus erster Ehe: Walter E. in Zürich, geb. 1905, und Heinrich B., geb. 1906, der im Jahre 1916 von den Eheleuten
BGE 84 II 505 S. 506
B. adoptiert worden war und seit 20-30 Jahren im Ausland lebt.
Am 1. September 1955 reichte Walter E., der bei der amtlichen Inventarisation das Vorhandensein eines Testaments verneint hatte, der zuständigen Behörde zur Eröffnung als Testament ein angeblich erst jetzt aufgefundenes Handschreiben der Erblasserin aus der Zeit ihrer ersten Witwenschaft mit folgendem Wortlaut ein:
"Gleichzeitig bestätige ich dass mein Sohn Walter E. mein alleiniger Erbe ist.
Mein Guthaben liegt im Tresor der Kreditanstalt Rathausplatz.
(Unterschrift)
Zürich 12. Febr. 42."
Der obere Teil des Blattes, auf das dieser Text geschrieben wurde, ist abgetrennt worden und liegt nicht vor, und zwar muss diese Abtrennung nach der Niederschrift erfolgt sein, da bei den auf der ersten Zeile stehenden Buchstaben die Oberlängen zum Teil abgeschnitten sind. Unterhalb der Unterschrift der Erblasserin befand sich die (auf den vorliegenden Photokopien nur schwach sichtbare) Unterschrift Walter E.s, die ausradiert worden zu sein scheint. In dem durch eine Anzeige Heinrich B.s veranlassten, durch Einstellung erledigten Strafverfahren wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Unterdrückung von Urkunden erklärte Walter E., er habe dieses Schriftstück, von dem er zu Lebzeiten seiner Mutter keine Kenntnis gehabt habe, kurz vor der Einsendung an die Behörde bei andern Briefschaften der Mutter in einem Körbchen gefunden. In der Folge gab er zu, dass ihm die Erblasserin gesagt habe, sie habe ein Testament errichtet, und schliesslich gestand er sogar, die fragliche Urkunde sei schon von Anfang an in seinem Besitz gewesen; er habe sie immer aufbewahrt; sie sei nicht erst nach dem Tode der Mutter in seine Hände gekommen.
In dem in dieser Urkunde erwähnten Tresorfach bei der Depositenkasse Rathausplatz der Schweiz. Kreditanstalt, für dessen Öffnung Walter E. eine über den Tod der Erblasserin
BGE 84 II 505 S. 507
hinaus gültige Vollmacht, aber bis dahin keinen Schlüssel besass und dessen Vorhandensein er bei der Inventarisation verheimlichte, lagen, wie sich im Strafverfahren ergab, zu Lebzeiten der Erblasserin das auf deren Namen lautende Sparheft Nr. 25411 der Sparkasse X. mit einem Guthaben von Fr. 5000.-- und fünf Sparhefte auf den Namen Walter E.s mit Guthaben von zusammen Fr. 50'000.--.
B.-
Am 12. April 1956 leitete Heinrich B. gegen Walter E. beim Bezirksgericht Zürich Klage ein mit Begehren, die (zusammengefasst) lauten:
1. die vom Beklagten vorgelegte Verfügung sei als nichtig zu erklären, eventuell so weit herabzusetzen, dass dem Kläger die gesetzliche Pflichtteilsquote von 3/8 des gesamten Nachlasses ausgerichtet werden könne,
2. die fünf auf den Namen des Beklagten lautenden Sparhefte seien als Gegenstand "unerlaubter Zuwendungen im Sinne von
Art. 527 ZGB
" zu betrachten; diese Zuwendungen seien so weit herabzusetzen, dass dem Kläger "die gesetzliche, eventuell die Pflichtteilsquote" ausgerichtet werden könne,
3. das Sparheft Nr. 25411 der Sparkasse X. sei als Bestandteil des Nachlasses zu erklären, eventuell wie die fünf auf den Namen des Beklagten lautenden Sparhefte als Gegenstand einer herabzusetzenden Zuwendung zu betrachten.
Der Beklagte anerkannte, dass der Kläger auf den Pflichtteil Anspruch habe und dass das Sparheft Nr. 25411 zum Nachlass gehöre. Im übrigen bestritt er die Klage.
Während des Bezirksgericht Zürich die Klage guthiess, hat das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer), an das der Beklagte appellierte, am 20. Dezember 1957 erkannt:
"1. Das ... von der Erblasserin ... verfasste, vom 12. Februar 1942 datierte ... Schriftstück ist keine letztwillige Verfügung.
2. Die ... fünf auf den Beklagten lautenden Sparhefte im Kapitalbetrag von zusammen Fr. 50'000.--, Wert 17. Dezember
BGE 84 II 505 S. 508
1955, sind nicht Nachlassvermögen, sondern Eigentum des Beklagten.
3. Das auf die Erblasserin lautende ... Sparheft Nr. 25411 der Sparkasse X. ist Nachlassvermögen, woran die Parteien gleichberechtigt sind."
C.-
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag:
"Es sei Ziff. 2 des Dispositivs des obergerichtlichen Urteils vom 20. Dezember 1957 aufzuheben und zu erkennen, dass die gemäss Rechtsbegehren 2 streitigen fünf auf Walter E. lautenden Sparhefte im Kapitalbetrage von insgesamt Fr. 50'000.--, Wert 17.12.1955, zum Nachlassvermögen gehören, demgemäss als unerlaubte Zuwendungen im Sinne von
Art. 527 ZGB
zu betrachten und herabzusetzen sind, damit dem heutigen Appellanten die ihn treffende Pflichtteilsquote ausgerichtet werden kann."
Der Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen mit den Anträgen:
"1. Dispositiv 1 des vorinstanzlichen Urteils sei aufzuheben und das Rechtsbegehren 1 des Berufungsklägers im Hauptanspruch abzuweisen, im Eventualanspruch zu schützen.
2. Dispositiv 3 des vorinstanzlichen Urteils sei aufzuheben und das Rechtsbegehren 3 des Berufungsklägers nur insoweit gutzuheissen, als der Berufungskläger am Sparheft Nr. 25411 der Sparkasse X. die Pflichtteilquote beansprucht."
Die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers gegen das obergerichtliche Urteil ist vom Kassationsgericht des Kantons Zürich am 30. Mai 1958 abgewiesen worden.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Auf die Hauptberufung ist einzutreten, obwohl die in der Hauptberufungsschrift enthaltene Streitwertangabe sich nicht auf den Streitwert nach Massgabe der vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig gewesenen Rechtsbegehren bezieht, auf den es nach
Art. 46 und 62 OG
ankommt, sondern nur sagt, auf welchen Betrag sich das Interesse des Hauptberufungsklägers an der Gutheissung seines Berufungsantrags belaufe. Die Vorinstanz hat zutreffend angenommen, der Streitwert nach Massgabe der vor ihr noch streitigen Begehren entspreche der Differenz zwischen dem vom Kläger beanspruchten gesetzlichen Erbteil von 1/2 und dem ihm vom Beklagten zugestandenen
BGE 84 II 505 S. 509
Pflichtteil von 3/8 an dem unstreitig zum Nachlass gehörenden Vermögen, also einem Achtel dieses (u.a. eine Liegenschaft umfassenden) Vermögens, vermehrt um die Hälfte der auf den Namen des Beklagten lautenden, nach dem Hauptstandpunkt des Klägers zwischen den Parteien hälftig zu teilenden Sparguthaben von Fr. 50'000.--. Auf Grund dieser.Annahme hat die Vorinstanz den Streitwert auf etwas mehr als Fr. 30'000.-- geschätzt. Angesichts dieser im angefochtenen Urteil enthaltenen Streitwertschätzung kann nach der neuern Rechtsprechung über die Mangelhaftigkeit der Streitwertangabe in der Hauptberufungsschrift hinweggesehen werden (
BGE 82 II 593
,
BGE 83 II 247
).
2.
Im Hinblick auf diese Schätzung wäre auch belanglos, wenn es, wie der Hauptberufungskläger behauptet, einen Mangel der Anschlussberufungsschrift bedeuten würde, dass diese keine Angabe über den Streitwert enthält. Im übrigen lässt sich die Anschlussberufung wegen des Fehlens einer solchen Angabe nicht als mangelhaft bezeichnen, obwohl die Anschlussberufungsschrift gemäss
Art. 61 Abs. 3 OG
dem
Art. 55 OG
entsprechen muss. Wenn
Art. 55 lit. a OG
vorschreibt, dass bei Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur, deren Streitgegenstand nicht in einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht, in der Berufungsschrift angegeben werden müsse, ob der Streitwert Fr. 8000.-- oder wenigstens Fr. 4000.-- erreiche, so hängt dies, wie schon angedeutet, damit zusammen, dass es bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten für die Zulässigkeit der Berufung und die Gestaltung des Berufungsverfahrens gemäss Art. 46 bzw. 62 Abs. 1 OG darauf ankommt, ob der Streitwert vor der letzten kantonalen Instanz noch Fr. 4000.-- bzw. Fr. 8000.-- erreicht habe. Die Streitwertangabe in der Berufungsschrift soll die Prüfung dieser Frage erleichtern. Dieser Zweck ist erreicht, wenn die Partei, die selbständig die Berufung erklärt, in ihrer Berufungsschrift den massgebenden Streitwert angibt. Dass sich die Anschlussberufungsschrift ebenfalls
BGE 84 II 505 S. 510
über den Streitwert äussere, ist nicht erforderlich, da die Zulässigkeit der Anschlussberufung gemäss
Art. 59 OG
nicht etwa von der finanziellen Tragweite der damit gestellten Abänderungsanträge, sondern nur vom Bestehen einer Hauptberufung (und einer Beschwerung des Anschlussberufungsklägers durch das angefochtene Urteil) abhängt und die Anschlussberufung ohne weiteres dahinfällt, wenn die Hauptberufung zurückgezogen oder wenn auf sie nicht eingetreten wird (
Art. 59 Abs. 4 OG
). Trotz dem allgemein gefassten Hinweis auf
Art. 55 OG
, den
Art. 61 Abs. 3 OG
enthält, ist demnach
Art. 55 lit. a OG
auf die Anschlussberufungsschrift nicht anwendbar.
3.
Die vom Anschlussberufungskläger innert der Frist von
Art. 59 OG
eingereichten Abänderungsanträge, die in der mit der Berufungsantwort eingereichten Anschlussberufungsschrift nicht wiederholt zu werden brauchten, genügen nach der neuern Rechtsprechung (
BGE 78 II 448
,
BGE 81 II 251
) der Vorschrift von
Art. 55 lit. b OG
, obschon mindestens der Antrag 1 nicht unmittelbar erkennen lässt, in welchem Sinne das damit angefochtene Dispositiv 1 des vorinstanzlichen Urteils nach der Meinung des Anschlussberufungsklägers materiell abgeändert werden sollte. Anhand der Begründung der Anschlussberufung und des angefochtenen Urteils, das die in den Anschlussberufungsanträgen erwähnten Klagebegehren wiedergibt, lässt sich nämlich ohne weiteres feststellen, was mit diesen Anträgen der Sache nach gemeint ist.
4.
Schliesslich kann dem Hauptberufungskläger auch nicht zugegeben werden, dass die Anschlussberufungsschrift keine dem
Art. 55 lit. c OG
entsprechende Begründung enthalte. In dieser Rechtsschrift wird nicht, wie der Hauptberufungskläger behauptet, in unzulässiger Weise an den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz Kritik geübt, sondern die vom Bundesrecht beherrschte Rechtsfrage erörtert, ob die Urkunde vom 12. Februar 1942 angesichts der festgestellten Tatsachen als letztwillige Verfügung angesehen werden könne und in welchem Verhältnis
BGE 84 II 505 S. 511
die Parteien bei Bejahung dieser Frage am Sparheft Nr. 25411 beteiligt seien.
Auf die Anschlussberufung ist daher wie auf die Hauptberufung einzutreten, was zur Folge hat, dass alle Rechtsbegehren, die vor der Vorinstanz noch streitig waren, der Beurteilung durch das Bundesgericht unterliegen.
5.
Wie im tatsächlichen Teil (unter A) dargelegt, stand der Text, den der Beklagte als Erbeinsetzung zu seinen Gunsten auffasst, ursprünglich auf einem grössern Blatt, dessen oberer Teil nach der Niederschrift dieses Textes abgetrennt wurde und nicht mehr vorliegt. Aus der einleitenden Wendung "Gleichzeitig bestätige ich ..." ergibt sich zudem, dass dieser Text nicht für sich allein auf dem in Frage stehenden Blatte stand, sondern nur einen Teil (den Schluss) eines umfassenderen Textes bildete, von dessen sonstigem Inhalt man nichts weiss.
Ein solches Textbruchstück kann, selbst wenn es noch alle für die formelle Gültigkeit eines Testamentes erforderlichen Elemente (hier: Handschriftlichkeit, Angabe von Ort und Zeit der Errichtung, Unterschrift) enthält und eine testamentarische Anordnung zum Ausdruck bringt, die für sich allein bestehen kann, höchstens dann als gültiges Testament anerkannt werden, wenn feststeht, dass der Erblasser den dieses Bruchstück tragenden Teil der Urkunde vom andern, nicht mehr vorliegenden und auch nicht mehr rekonstruierbaren Teil selbst abgetrennt hat (oder allenfalls durch eine Hilfsperson hat abtrennen lassen) in der Absicht, das noch vorhandene Bruchstück und nur dieses als Testament weiterbestehen zu lassen, den übrigen Inhalt der Verfügung dagegen durch Vernichtung des betreffenden Teils der Urkunde aufzuheben. Würde ein Bruchstück des ursprünglichen Textes, das nach Form und Inhalt noch als Testament gelten könnte, auch dann als solches betrachtet, wenn damit gerechnet werden müsste, dass der übrige Teil des Textes ohne den Willen des Erblassers verschwunden sei, so bestünde nicht die geringste Gewähr dafür, dass damit den wahren Absichten des
BGE 84 II 505 S. 512
Erblassers zum Durchbruch verholfen würde, da die verschiedenen Bestimmungen eines Testamentes in der Regel miteinander zusammenhängen und die praktische Tragweite gewisser Anordnungen (z.B. gerade einer Erbeinsetzung) durch andere Anordnungen (z.B. Vermächtnisse) in sehr erheblichem Umfang beeinflusst sein kann. Der Gedanke, dass der letzte Wille, um Anerkennung zu finden, vollständig bekannt sein muss, liegt auch der Vorschrift von
Art. 510 Abs. 2 ZGB
zugrunde, wonach im Falle, dass die Testamentsurkunde durch Zufall oder aus Verschulden anderer vernichtet wird, die Verfügung nur dann gültig bleibt, wenn ihr Inhalt genau und vollständig festgestellt werden kann.
Dass der Erblasser selber das noch vorhandene Bruchstück vom übrigen Teil der Verfügung abgetrennt und die Absicht gehabt hat, es allein als Testament weiterbestehen zu lassen, kann sich z.B. daraus ergeben, dass er die Resturkunde als sein Testament in einem versiegelten Umschlag versorgte oder jemandem zur Aufbewahrung übergab.
Im vorliegenden Fall ist nichts Derartiges festgestellt. Der Umstand, dass der Beklagte über die Aufbewahrung und Auffindung des streitigen Schriftstücks widersprechende Angaben gemacht und sich der nähern Befragung über diesen Punkt vor erster und zweiter Instanz durch Flucht aus dem Gerichtslokal entzogen hat, und sein übriges Verhalten in dieser Erbschaftsangelegenheit sind im Gegenteil so verdächtig, dass ernstlich mit der Möglichkeit eines Eingriffs des Beklagten zur Beseitigung ihm missliebiger Stellen des ursprünglichen Textes zu rechnen -ist. Es ist mithin keineswegs sicher, dass die Gestalt, in welcher das Handschreiben der Erblasserin vom 12. Februar 1942 heute vorliegt, ihrem letzten Willen entspricht. Schon deshalb kann dieses Schriftstück nicht als letztwillige Verfügung anerkannt werden.
6.
Liegt kein Testament vor, so steht dem Kläger am unstreitig zum Nachlass gehörenden Sparheft Nr. 25411
BGE 84 II 505 S. 513
der Sparkasse X. (wie überhaupt an dem von der Erblasserin hinterlassenen Vermögen) nicht nur die Pflichtteilsquote von 3/8, sondern die gesetzliche Erbquote von 1/2 zu. Wie der erste, ist also auch der zweite Antrag der Anschlussberufung unbegründet.
7.
Die fünf Sparhefte im Gesamtbetrag von Fr. 50'000.--, die den Gegenstand der Hauptberufung bilden, sind Namensparhefte, die auf den Beklagten lauten. Dies lässt vermuten, dass sie dem Beklagten gehören. Der Umstand, dass sie im Tresorfach der Erblasserin lagen, vermag diese Vermutung nicht zu entkräften. Bei Namensparheften liegt (auch wenn sie die übliche Klausel enthalten, dass der Schuldner den Inhaber als verfügungsberechtigt ansehen dürfe) in der Namensangabe ein deutlicherer Hinweis auf die Person des Berechtigten als im Besitz der Urkunde. Dies muss auf jeden Fall bei Verhältnissen gelten, wie sie hier vorliegen. Es lag nahe, dass der Beklagte (der ledig war und die Erblasserin häufig besuchte) zur Aufbewahrung seiner Wertsachen das Tresorfach seiner Mutter benützte. Zu diesem Fach besass er zwar keinen Schlüssel, doch hatte ihn die Erblasserin im Jahre 1952 zur Öffnung bevollmächtigt. Einlagen und Rückzüge wurden teils von der Erblasserin, teils von ihm gemacht (wobei es die Arbeitsverhältnisse des Beklagten nach den Feststellungen der Vorinstanz mit sich bringen konnten, dass die Erblasserin solche Geschäfte für den Beklagten besorgte). Bei vier Heften hob der Beklagte jeweilen die Zinsen ab, was doch offenbar nur unter Vorweisung der Hefte geschehen konnte. Der Besitz der Erblasserin an den Sparheften war also kein ausschliesslicher und nicht dazu angetan, vorläufig darauf schliessen zu lassen, dass entgegen dem Namensvermerk die Erblasserin die Berechtigte sei. Die Vorinstanz hat also auf Grund der von ihr festgestellten Tatsachen mit Recht angenommen, dass der Beklagte die Vermutung für sich habe, Eigentümer der Sparhefte (und Gläubiger der darin verurkundeten Guthaben) zu sein, so dass dem Kläger der
BGE 84 II 505 S. 514
Beweis des Gegenteils obliege (vgl. zu diesen Fragen auch JÄGGI, N. 315 zu
Art. 965 OR
).
Diesen Beweis vermochte der Kläger nach den für das Bundesgericht massgebenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die er mit der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde vergeblich als willkürlich anzufechten suchte, nicht zu leisten. Hinsichtlich des Sparhefts Nr. 25457 im Betrage von Fr. 5000.--, von welchem die Erblasserin jeweilen die Zinsen bezog, hat die Vorinstanz angenommen, die Erblasserin habe dem Beklagten das Kapital geschenkt; dass der Beklagte für diesen Betrag ausgleichungspflichtig sei, werde mit Recht nicht geltend gemacht; eine Herabsetzung dieser Zuwendung gemäss
Art. 527 ZGB
komme auf jeden Fall deswegen nicht in Frage, weil der Pflichtteil des Klägers dadurch nicht verletzt werde. Diese Ausführungen verstossen nicht gegen Bundesrecht. Ebensowenig liegt eine solche Rechtsverletzung der Annahme zugrunde, es sei nicht dargetan, dass der Beklagte ausserstande gewesen sei, die auf die vier übrigen Sparhefte einbezahlten Beträge aufzubringen, sondern dass dieses Geld aus dem Vermögen der Erblasserin stammen müsse.
Auch hinsichtlich der fünf auf den Namen des Beklagten lautenden Sparhefte im Gesamtbetrag von Fr. 50'000.-- ist also das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Haupt- und Anschlussberufung werden abgewiesen und das Urteil der II. Zivilkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 20. Dezember 1957 wird bestätigt. | public_law | nan | de | 1,958 | CH_BGE | CH_BGE_004 | CH | Federation |
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